13. 25 Jahre Solidarność und deren Bedeutung für Europa
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über die Erklärung der Kommission „25 Jahre Solidarność und deren Bedeutung für Europa“.
Zu Beginn dieser Aussprache möchte ich hervorheben, dass der Beitrag von Solidarność zur Einigung Europas als Möglichkeit und Chance zu werten ist, eine Generation zur Freiheit zu erziehen: Der Westen hat sicher viel für die unter sowjetische Knechtschaft gezwungenen osteuropäischen Länder getan, doch Solidarność hat vielleicht viel mehr für den Westen und für eine Generation westlicher Bürger getan.
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die historischen Ereignisse vom August 1980 setzten den Prozess in Gang, der zum Ende des Kalten Krieges und zur Wiedervereinigung Europas führte. Die damaligen Aktivitäten von Solidarnosc symbolisieren die Bedeutung, die alle Europäer den gemeinsamen Werten Freiheit und Solidarität beimessen.
Durch den Mut und die Entschlossenheit der führenden Köpfe von Solidarność und weil sich so viele Menschen inspirieren ließen, ging der Einfluss des Streiks der Werftarbeiter in Danzig über die polnischen Grenzen hinaus. Er gab dem aufkeimenden Widerstand und der demokratischen Bewegung in Mittel- und Osteuropa, die die Vereinigung unseres Kontinents möglich machten, neue Kraft.
Wie der Kommissionspräsident am 31. August in Danzig sagte, wurde die aus dem Danziger Streik geborene Gewerkschaft nicht von ungefähr „Solidarität“ genannt. Dieser Name stand für Kraft, Entschlossenheit und Fokus. Solidarität ist heute einer der sechs Titel der Europäischen Grundrechtecharta. Die Erinnerung an die Ereignisse vom August 1980 erfüllt dieses Wort mit Bedeutung und weckt Emotionen.
Solidarność kämpfte für die Freiheit, die heute ein gemeinsamer europäischer Wert ist und in engem Zusammenhang mit Solidarität gesehen wird. Ohne Solidarität kann es kein Europa geben. Solidarnosc ist ein treffendes Symbol, das die kommenden europäischen Generationen an dieses Bündnis erinnern soll.
Die Kommission ist der Einladung der polnischen Regierung und der Abgeordneten dieses Parlaments zur Gedenkfeier, die vor drei Wochen in Danzig anlässlich des 25. Jahrestags dieser historischen Ereignisse stattfand, gern gefolgt. Die Kommission ist an der Meinung der Abgeordneten dieses Parlaments interessiert; und seien Sie versichert, dass wir Initiativen im Zusammenhang mit dem Gedenken an den 31. August aufgeschlossen gegenüberstehen.
Jacek Emil Saryusz-Wolski, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Solidarność-Bewegung war in dreifacher Hinsicht von Bedeutung. Erstens bedeutete sie für Polen die Befreiung von dem fremden Sowjetmodell. Zweitens verband sich damit für Mittel- und Osteuropa die Überwindung der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Jalta festgeschriebenen Teilung Europas. Der Teil Europas, der durch den Kommunismus vom restlichen Europa abgeschnitten war, konnte nunmehr wieder seinen rechtmäßigen Platz in der politischen Geschichte unseres Kontinents einnehmen. So gesehen sind die Ereignisse auf der Danziger Werft, der Fall der Berliner Mauer und die Revolution in Kiew Stationen auf dem Weg Europas in die Freiheit.
Drittens entdeckte Westeuropa dank der Solidarność die wahre Bedeutung der Werte wieder, die im Zuge der Realpolitik aus dem öffentlichen Leben verschwunden waren. Ich meine damit Werte wie Freiheit, Solidarität, Demokratie und die Würde des Menschen. Durch die Solidarność haben viele Menschen in Westeuropa verstanden, dass die Grundwerte, die von dieser Bewegung wieder mit Leben erfüllt wurden, in den Aufbau eines neu gestalteten und wiedervereinigten Europas einfließen müssen.
Die Botschaft und Bedeutung dieser Geschehnisse gehen über die Erfahrungen eines einzelnen Volkes hinaus. Sie besitzen eine weitaus umfassendere, eine gesamteuropäische Bedeutung. Ihre Botschaft lautet europäische Einheit. Gilt der Schuman-Plan als Grundvoraussetzung für die europäische Integration, so haben die Forderungen der Danziger Werft eine weitere wichtige Etappe in diesem Prozess eingeläutet. In ihrer Botschaft an die Arbeiter Mittel- und Osteuropas vom September 1981 sprachen die Aktivisten der Solidarność von dem Gefühl eines gemeinsamen Schicksals, das alle Europäer im östlichen Teil unseres Kontinents eint. 25 Jahre später findet sich die gleiche Formulierung in der Präambel des Verfassungsvertrags, wo sie sich auf die erweiterte Europäische Union bezieht.
Die Solidarność-Bewegung unterstreicht die Bedeutung der Solidarität als Basis für jedwedes System des Vertrauens und der Einheit. Solidarität in dem Sinne, dass einer des anderen Last trägt, findet in Bezug auf die Europäische Union in der Tat ihren ganz praktischen Ausdruck in der finanziellen Solidarität im Bereich der Sicherheit und in der Solidarität auf dem Gebiet der Außenpolitik. Nur indem wir hier Solidarität üben, wird es uns gelingen, Europa zu einen.
Józef Pinior, im Namen der PSE-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Im Juli und August 1980 traten polnische Arbeiter in Lublin, an der Ostseeküste und in vielen anderen Städten in den Streik. Ende August hatte sich der Streik zu einem Generalstreik ausgeweitet, der das ganze Land erfasste. Geleitet und organisiert wurde die Aktion von einem Überbetrieblichen Streikkomitee und von Lech Wałęsa auf der Danziger Werft. Arbeiter und Angehörige der Intelligenz kämpften für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Würde. Wie schon 200 Jahre zuvor in Paris hatte sich Europa wieder das Motto der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahnen geschrieben.
Am 31. August wurde auf der Danziger Werft ein Abkommen unterzeichnet, in dem die Staatsmacht die 21 Forderungen der Streikenden anerkannte. Daraufhin wurde die Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft „Solidarność“ ins Leben gerufen. Der Generalstreik und die Aktivitäten der Solidarność wurden zu einer Quelle der Hoffnung für die Arbeiter in aller Welt in ihrem Kampf für die Rechte der Arbeitnehmer, für eine gerechte Gesellschaft und eine bessere Welt. Die Solidarność löste eine Kettenreaktion in ganz Osteuropa aus, die schließlich zu einer friedlichen demokratischen Revolution und zu einem Sieg für die Demokratie und die Menschenrechte führte. Damit wurde auch das Ende des totalitären Systems und der Teilung Europas eingeläutet, zu dessen Symbol der Fall der Berliner Mauer wurde.
Heute, 25 Jahre später, sollten wir hier im Europäischen Parlament in Straßburg, im politischen Herzen des vereinten Europa, den polnischen Arbeitern und all jenen Ehre zuteil werden lassen, die sich gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit aufgelehnt und an der Gründung der Gewerkschaft Solidarność mitgewirkt haben. Besondere Anerkennung gebührt jenen, die nach Verhängung des Kriegsrechts über Polen ihre unabhängigen Aktivitäten weitergeführt haben. Meine Ehrerbietung gilt allen Völkern Mittel- und Osteuropas, die für Demokratie, Menschenrechte und nationale Souveränität gekämpft haben und deshalb unsere Bewunderung verdienen.
Herr Präsident! Wir waren in diesem Kampf nicht allein. Wir erinnern uns der Hilfe, die Solidarność von der internationalen Gewerkschaftsbewegung, von der Zivilgesellschaft Westeuropas und von den demokratischen Regierungen zuteil wurde. Danke Europa! Unser Dank gilt auch all jenen Europäern, die der Solidarność zur Seite standen und unseren Kampf für Frieden und Demokratie auch dann unterstützten, als wir im Gefängnis saßen oder in den Untergrund getrieben wurden. Auf dieses Erbe sollte die Europäische Union stolz sein, so wie sie auf den Beweis der Brüderlichkeit stolz sein sollte, den sie gegeben hat. Brüderlichkeit bildet eines der Fundamente der europäischen Einheit.
In ihrem Programm, den 21 Forderungen von Danzig, und auch in ihrem Programm für die Selbstverwaltete Republik verfolgte die Solidarność die Vision von einer Gesellschaft und einem Staat, die in Freiheit verbunden sind, wo Menschenrechte geachtet werden und soziale Gerechtigkeit herrscht. Diese Vision hat bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Das Programm der Solidarność vermag weltweit und auch auf europäischer Ebene noch immer Impulse zu verleihen, steht Europa doch vor der Aufgabe, eine effiziente Wirtschaft und eine gerechte Gesellschaft aufzubauen.
Heute steht die Solidarność für den Kampf gegen Armut und Unterdrückung in der Welt. Sie fordert von der Europäischen Union Maßnahmen zur Beseitigung der Armut in der Welt. Die Botschaft der Solidarność beinhaltet heute, im 21. Jahrhundert, die Forderung nach einer EU-Außenpolitik, die Demokratie und Menschenrechte aktiv fördert, wie auch nach Hilfe für diejenigen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit verfolgt werden.
Bronisław Geremek, im Namen der ALDE-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Im Namen der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa möchte ich zunächst den polnischen Arbeitern Tribut zollen, die den Prozess der Befreiung und Vereinigung Europas in Gang gesetzt haben. Ich bin gerührt und dankbar feststellen zu können, dass sowohl das Europäische Parlament als auch die Europäische Kommission sich der Bedeutung der Ereignisse bewusst sind, die sich vor 25 Jahren auf polnischem Boden zugetragen haben.
Die polnischen Arbeiter haben sich die Botschaft des polnischen Papstes zu Herzen genommen, der sie beschwor, keine Furcht zu haben. Polnische Arbeiter waren es, die für ihr Land, das sich nach Freiheit sehnte, aufgestanden sind und damit jenen, die glaubten, das Proletariat habe keine Heimat, bewiesen haben, dass sie irrten. Die Arbeiter haben sich im Namen der Freiheit gegen ein Regime und ein System erhoben, das für sich beanspruchte, sie zu vertreten. Sie haben politische Forderungen gestellt und sich für Freiheit und die Gründung einer freien Gewerkschaft eingesetzt, die sie vertritt. Sie forderten auch Pressefreiheit, Informationsfreiheit und einen Staat, der nicht von den Funktionären der kommunistischen Partei kontrolliert wird. Alle diese Forderungen brachten etwas für das Wesen Europas ganz Entscheidendes zum Ausdruck, denn es waren Forderungen nach Freiheit.
Als die Arbeiter der Danziger Werft aufstanden, um ihr Schicksal und das ihrer Familien zu verbessern, waren sie sich dessen bewusst, dass die Lage, in der sie sich befanden, das Resultat eines fremden Regimes war, das ihnen aufgezwungen worden war und dem das polnische Volk niemals zugestimmt hatte. Das Erstaunliche an dieser Massenbewegung von zehn Millionen Arbeitern, Bauern und Angehörigen der Intelligenz ist, dass ihre Revolution friedlich war. Diese Bewegung erfasste die ganze Gesellschaft Polens und kam einem Aufstand gegen Totalitarismus gleich. Den Grundsatz „keine Gewalt“ sollten wir auch heute befolgen. Es war eine Bewegung, die sich von Werten leiten ließ. Wir sind stolz darauf, dass das Wort Solidarität Eingang in die Sprache der Politik gefunden hat. Für uns ist es ein sehr wichtiges Wort, ein wahrhaft polnisches Wort, und es ist Polens Beitrag zur Idee von Europa.
Herr Präsident! Ich bin der festen Überzeugung, dass die Vereinigung Europas in Danzig begonnen hat, dass Ost und West durch die von den Danziger Werftarbeitern initiierte Bewegung zusammengefunden haben und viele andere Völker Polen und der Solidarność gefolgt sind. Die Solidarność-Bewegung hat den Völkern Impulse verliehen, für die Freiheit aufzustehen. Das erfüllt uns mit Stolz, doch vor allem empfinden wir Solidarität mit jenen, die Georgien mit der Rosenrevolution und der Ukraine mit der Orangenen Revolution die Freiheit gebracht haben.
Wir hoffen, dass dieses Beispiel eines gewaltlosen Regimewechsels auf dem Wege von Verhandlungen, das die Chance bietet, die europäischen Ideale Wirklichkeit werden zu lassen, auch in der heutigen Zeit nichts von seiner Bedeutung eingebüßt hat. Meines Erachtens ist es für Europa wichtig, dass die Europäische Union auf der Suche nach ihrer Identität heute bereit ist, den Weg der Menschen aufzuzeigen, die sich für die Freiheit Europas eingesetzt haben. Es waren diese Männer und Frauen, die den Kalten Krieg beendeten und die Vereinigung Europas möglich gemacht haben.
(Beifall)
Milan Horáček, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Polen! Es ist mehr als symbolisch, dass wir gerade heute die BeobachterInnen aus Bulgarien und Rumänien herzlich begrüßen und zugleich an den großartigen Erfolg der Solidarność vor 25 Jahren erinnern. Ich bin froh, dass sich die Kommission heute zur Solidarność-Bewegung erklärt. Man könnte meinen, es gäbe aktuellere Anlässe und der Geschichte sei mit den Feierlichkeiten der letzten Wochen Genüge getan worden. Unsere heutige Debatte zeigt uns aber das Gegenteil. Als ich vor vier Wochen in Warschau und Gdańsk (Danzig) mit dabei sein konnte, habe ich die Aktualität dieses Bahn brechenden historischen Ereignisses wieder selber spüren können.
Wir erinnern an diesen legendären Streik der Solidarność als ein lebendiges Erbe, das auch nach 25 Jahren seine Wichtigkeit behalten hat. Wir sprechen von dem unbedingten Reformwillen politisch und sozial Unterdrückter und Benachteiligter, denen es gelungen ist, durch ihren Mut das Ende des totalitären kommunistischen Regimes in Polen und in der Folge auch in weiteren Ländern Mittel- und Osteuropas herbeizuführen. Wir verneigen uns aber zuerst vor den Opfern dieser totalitären Regime. Wir erinnern an die, die unterdrückt wurden, die verhaftet wurden, die bei Proteststreiks erschossen wurden, die nach Schauprozessen verurteilt und hingerichtet wurden. Stellvertretend für alle nenne ich einen Namen, nämlich den des Priesters Jerzy Popiełuszko.
Die Jahre 1953, 1956, 1968 in Ostdeutschland, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei sprechen für ihre historische Wichtigkeit. Es war aber auch so, dass Solidarność die Bürgerrechtsbewegungen in Mittel- und Osteuropa wie zum Beispiel die Charta 77, die die klassisch-politischen Menschenrechte verfolgte, oder „Schwerter zu Pflugscharen“ im damaligen Ostdeutschland, die sich friedenspolitisch engagierte, oder die ökologisch orientierte Dunakör-Bewegung in Ungarn unterstützte und stärkte. All dies bedeutet: Ohne Solidarność gäbe es keinen Fall der Berliner Mauer!
Für uns sage ich: Für diejenigen, die diese Solidarność-Bewegung in Polen unterstützt haben, waren die Diskussionen wichtig, mit unseren Freunden Adam Michnik, Jacek Kuroń und unseren heutigen Kollegen Bronisław Geremek und Janusz Onyskiewicz. Deshalb sind wir sehr dankbar für die vor 25 Jahren gelegten Grundsteine für ein in Frieden, Freiheit und Demokratie geeintes Europa, das sozial und ökologisch ausgerichtet ist.
(Beifall)
Jonas Sjöstedt, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Im Herbst 1980 war ich 15 Jahre alt und fuhr zum ersten Mal in meinem Leben nach Polen. Wir waren eine Gruppe schwedischer Jugendlicher, die mit der unabhängigen polnischen Studenten- und Schülerbewegung zusammenarbeitete. Diese Jugendbewegung war praktisch Teil von Solidarność und der umfassenden positiven Mobilisierung, die Solidarność für die polnische Gesellschaft jener Zeit bedeutete. Mir öffnete diese Reise damals die Augen. Die Rechte und Freiheiten, die für mich als schwedischer Teenager selbstverständlich waren, mussten sich meine polnischen Altersgenossen hart erkämpfen. Polen war eine Gesellschaft, in der ein Mangel an Handelswaren herrschte, politische Unterdrückung deutlich zu spüren war und das Leben für die meisten Polen hart war. In diesen Zeiten stand die Solidarność mit ihren Forderungen nach Freiheit, Demokratie und dem Recht auf nationale Selbstbestimmung für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie war nicht nur deshalb eine progressive Bewegung, weil sie zu einer Demokratisierung der polnischen Gesellschaft aufrief, sondern sich als Gewerkschaft für höhere Löhne, Einfluss der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz sowie eine bessere Alters- und Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung einsetzte. Diese wahrhaft fortschrittliche Bewegung wurde nach der mit Hilfe der Sowjetunion erfolgten Machtübernahme durch das Militär unterdrückt. Aber trotz der Militärherrschaft konnten die durch die Solidarność symbolisierten Forderungen und Hoffnungen nicht zerstört werden.
Tatsache ist, dass die spontane Organisierung der Arbeiter und die Forderung nach unabhängigen Gewerkschaften bei verschiedenen Gelegenheiten eine entscheidende Rolle in der Auflehnung gegen die Diktaturen in den nach dem Krieg von der Sowjetunion dominierten Ländern gespielt hat. Die Solidarność und die Opposition in Polen waren nur ein – wenn auch vielleicht das wichtigste – Beispiel für die verschiedenen Revolten gegen Unterdrückung. Ostberlin 1953, Budapest 1956, Poznan im gleichen Jahr, Prag 1968 – dort wurde die demokratische Opposition gewaltsam niedergeschlagen. In den meisten Fällen standen organisierte Arbeiter mit ihren Forderungen nach Gerechtigkeit und Demokratie dabei in der ersten Reihe der Protestierenden.
Heute gehört Polen zu den politischen Demokratien. Seit dem Fall der Berliner Mauer wurden hier in entscheidenden Bereichen enorme Fortschritte erreicht. Ein wichtiger – möglicherweise sogar der entscheidende – Faktor dabei war der Kampf von Solidarność gegen das alte Regime. Diese Entwicklung hat zu einer besseren Zukunft geführt, nicht nur für Polen, sondern für ganz Europa. Gleichzeitig bleibt natürlich noch viel zu tun, wenn man sich die sozialen Forderungen der Solidarność nach einem Einfluss der Arbeiter und einem besseren Lebensstandard anschaut.
Polen ist gegenwärtig eine Gesellschaft, in der es vielen Menschen schlecht geht und die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Zugleich ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad sehr gering, und den Arbeitnehmern fällt es oft schwer, ihren Stimmen Gehör zu verleihen. Das kann nur mit einer starken, gut organisierten Gewerkschaftsbewegung verändert werden.
Wojciech Roszkowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Der 25. Jahrestag der Gründung der Solidarność in Polen ist nicht nur Anlass, um dieses Ereignisses zu gedenken, das den Beginn der Vereinigung Europas markierte. Bei dieser Gelegenheit sollte auch an eine fundamentale Wahrheit über das Handeln der Menschen und Völker sowie über die moralischen und politischen Grundlagen der Europäischen Union erinnert werden.
Die Losung „Keine Freiheit ohne Solidarność“ hat in den Jahren 1980 und 1981 und auch während des Kriegszustands Millionen Mitglieder dieser Gewerkschaft inspiriert. Wir waren uns voll und ganz dessen bewusst, dass sich die Solidarność-Bewegung auf die Solidarität zwischen den Menschen gründete, die der Garant für ihren Erfolg und auch ihr Überleben war. Auch die Politiker und Gesellschaften im Westen haben sich von dieser Losung leiten lassen, als sie die Menschen in Polen in ihrem Kampf für nationale Souveränität und Demokratie unterstützten. Diese Losung erinnert deshalb an die Aktionen „Damit Polen Polen bleibt“ und „Solidarität mit Solidarność“ und auch an die materielle Hilfe, die die Gewerkschaft, ihre Aktivisten und viele Millionen Polen von den Bürgern der westlichen Länder erhalten haben.
Bitte glauben sie mir, meine Damen und Herren, wenn ich sage, dass die politische, moralische und materielle Solidarität der Menschen im Westen uns geholfen hat, unsere Hoffnungen lebendig zu halten, und uns das Gefühl vermittelt hat, dass unsere Anstrengungen nicht umsonst und wir nicht allein sind. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung.
Ich möchte die Gelegenheit, die sich mir mit meinen Ausführungen heute im Europäischen Parlament bietet, nutzen und allen Menschen guten Willens aufrichtig danken, die uns solidarisch zur Seite gestanden haben. Die Lehren aus der Solidarität und aus der Solidarność-Bewegung besitzen im allgemeineren Sinne auch heute noch Gültigkeit. „Keine Freiheit ohne Solidarność“ bedeutet auch, dass Freiheit nicht Selbstzweck ist. Für die Wirtschaft ist Freiheit unerlässlich, doch sie führt ohne Solidarität dazu, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden – und das gilt für alle Volkswirtschaften in der Europäischen Union.
Ohne ihre moralische Dimension kann aus Freiheit leicht Anarchie oder eine neue Form der Unterdrückung werden. Freiheit ohne Solidarität ist Willkür und wird dem Einzelnen oder der Gemeinschaft früher oder später Schaden zufügen, die Familie und die Gesellschaft zerstören. Wer Freiheit ohne Solidarität und ohne Grundrechte wie das Recht auf Leben, ohne Grundwerte wie Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit will, missachtet die Rechte der anderen und untergräbt die Gemeinschaft. Letztendlich gefährdet er damit die Freiheit selbst.
(Beifall)
VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ Vizepräsident
Ryszard Czarnecki (NI). – (PL) Herr Präsident! Vor einem Vierteljahrhundert wurde die polnische Solidarność-Bewegung ins Leben gerufen. Diese friedliche gewaltlose Bewegung hat sich als ebenso wirksam erwiesen wie die von dem großen Mahatma Ghandi geführte Bewegung einige Jahrzehnte zuvor. Ghandis Bewegung hat Indien schließlich die Unabhängigkeit gebracht, während Polen dank der Solidarność seine Souveränität und seine Bürger ihre Freiheit wiedererlangten. Aber die Solidarność-Bewegung hat noch viel mehr bewirkt. Sie führte zu einer friedlichen Revolution in Mittel- und Osteuropa. Neun Jahre nach dem so genannten Aufruhr der Solidarność kam es in der Tschechoslowakei zur Samtenen Revolution, gefolgt vom Fall der Berliner Mauer. Der Ursprung dieser Ereignisse lässt sich jedoch bis zum Jahr 1980 und bis nach Danzig in Polen zurückverfolgen.
Solidarność war nicht nur eine Gewerkschaft mit zehn Millionen Mitgliedern, die nahezu 40 % der erwachsenen Bevölkerung meines Heimatlandes repräsentierte. Es war auch eine Bewegung, die sich für demokratische Freiheiten, freie Wahlen, freie Medien und die Religionsfreiheit einsetzte. Ich bin Pole und deshalb nicht unparteiisch, und doch bin ich der festen Überzeugung, dass die Solidarność einen entscheidenden Wendepunkt in unserer gemeinsamen europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellte.
Heute, 25 Jahre danach, möchte ich als Pole und Europäer der Solidarność meine Ehrerbietung erweisen. Es war zum großen Teil das Verdienst dieser Bewegung, dass mein Heimatland und die Nachbarstaaten ihre Freiheit erlangten. Unsere Freiheit ist zwar nicht vollkommen, denn wir haben noch immer mit zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen, aber das Wichtigste ist doch, dass diese Freiheit heute für uns Realität ist und wir in unserem Haus selbst für Ordnung sorgen können. Ich möchte den vielen Millionen Arbeitern in meinem Heimatland danken, deren Anstrengungen dazu beigetragen haben, dass wir uns in dieser glücklichen Lage befinden. Polen und ganz Europa schulden ihnen Dank. Wir alle stehen in der Schuld der Solidarność-Bewegung.
Alojz Peterle (PPE-DE). – (SL) Ich begrüße von ganzem Herzen die Aufmerksamkeit, die die Europäische Kommission und das Europäische Parlament der Solidarność zuteil werden lassen, ohne die weder der Zusammenbruch des kommunistischen Totalitarismus noch die historisch bedeutsame Erweiterung der Europäischen Union möglich gewesen wäre. Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, wie sehr die Solidarność-Bewegung die Demokraten in Slowenien in ihrer Hoffnung bestärkt hat und welche Bedeutung die Worte von Johannes Paul II. damals für uns hatten, der sagte: „Fürchtet Euch nicht.“
Wenn wir der Solidarność Anerkennung zollen und mit besonderer Ehrerbietung an jene erinnern, die für den Wunsch nach Freiheit und Demokratie mit ihrem Leben bezahlt haben, sind wir uns dessen bewusst, dass die Solidarność kein Museumsstück ist, sondern eine Inspiration, ein Konzept und ein dringend benötigter Weg nach vorn, ohne die die europäische und die globale Entwicklung undenkbar sind.
Wir errichten der Solidarność ein Denkmal, aber nicht, um es ins Archiv zu verbannen, sondern wir wollen es weiterentwickeln. Es steht außer Zweifel, dass wir in Bereichen wie Sicherheit und Katastrophenhilfe auf die Solidarität zwischen den Generationen, zwischen den Sozialpartnern, zwischen den stärker und den weniger entwickelten Ländern angewiesen sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Lebensqualität in der Zukunft von der Umsetzung dieses grundlegenden Prinzips abhängen wird. Nach dem historischen Umbruch brauchen wir, wie ich meine, eine weitere Periode der Solidarność.
Jan Marinus Wiersma (PSE). – (NL) Herr Präsident! Ein gewisses Maß an Bescheidenheit ziemt sich für jemanden wie mich, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Friedenszeiten in den Niederlanden geboren wurde. Heute ist, wie ich meine, für Menschen, die nicht unter dem Joch des Kommunismus gelebt haben, der rechte Zeitpunkt gekommen, um jenen, insbesondere in Polen, die sich 1980 gegen ein Regime erhoben haben, das wir alle als verwerflich empfanden, unseren Respekt zu zollen. Dies ist ein ganz besonderes Kapitel in der Geschichte Polens, dessen wir zu meiner großen Freude heute in diesem Parlament in Straßburg gedenken. Obgleich es einen bedeutenden Abschnitt in der polnischen Geschichte darstellt, ist es nicht eine rein polnische Angelegenheit, denn das Beispiel von Solidarność – Solidarität – war Auslöser zahlreicher Diskussionen und Bewegungen und hatte auch außerhalb Polens enorme Auswirkungen.
Selbst nach 25 Jahren ist Solidarität, so möchte ich sagen, auch in meinem Land, den Niederlanden, ein Begriff. Das Besondere daran war, dass die Arbeiter in einer Schiffswerft in Gdansk protestierten, streikten, aber auch Unterstützung durch eine Gruppe namhafter Intellektueller erfuhren, die bereit waren, ihren Kopf zu riskieren und sich gegen das Regime in Polen zu stellen. Meines Erachtens war das ein Beispiel vom Besten, was die Arbeiterbewegung, wie wir sie in Europa kannten, zu bieten hatte, die demokratische Arbeiterbewegung, die in punkto Freiheit, Mündigkeit und Emanzipation auch in unseren Ländern von herausragender Bedeutung war.
Nach meinem Dafürhalten war es auch eine Quelle der Inspiration für viele, nicht nur in osteuropäischen Ländern, sondern auch in Westeuropa, und die Menschen, zumal in den Niederlanden, waren oft erstaunt über das Rückgrat der Streikenden in Gdansk, die sich in dieser Weise gegen das kommunistische Regime auflehnten.
Heute wissen wir, und im Nachhinein ist man ja immer schlauer, dass die Arbeit von Solidarność auch den Beginn des Endes einer fantastischen Revolution in der Geschichte Polens markierte; heute können wir sagen, dass Polen endlich seinen Platz gefunden hat, frei in Europa. Eben jenes Polen, das meiner Meinung nach im Mittelpunkt des Interesses stehen sollte. Das Streben der Polen nach Freiheit und ihre Geschichte bereichern unseren Kontinent; die Geschichte des polnischen Klempners wird im Lichte dieser historischen Rolle noch bewegender.
Obgleich Solidarność in Polen und in den Herzen der Polen weiterlebt, wie sich auch heute wieder zeigt, müssen wir ihr auch als leuchtendes europäisches Vorbild gedenken.
Erik Meijer (GUE/NGL). – (NL) Herr Präsident! Das Ideal der Sozialisten war im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine menschliche Gesellschaft, die auf der Gleichheit aller Menschen und auf der Solidarität zwischen den Menschen beruht. Die Menschen sollten nicht dem Staat oder ihrem Arbeitgeber Untertan sein. Wir sollten selbst unsere Entscheidungen frei treffen können und die Gesellschaft von unten organisieren.
Sie waren sich dessen bewusst, dass in einer Gesellschaft, in der eine Gruppe eine andere unterdrückt, niemand – nicht einmal die Unterdrücker – frei sein kann. Aufgrund dieser Überzeugung hätten diese alten Sozialisten, auch ihr großer Vordenker Karl Marx, den Aufstand der Arbeiter in Polen in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts sicherlich begrüßt. Jedes autoritäre Regime, das an Löhnen und Leistungen spart und zugleich eine kleine Gruppe von Menschen bevorzugt, hat es verdient, im Ergebnis von Massenprotesten unterzugehen.
Normalerweise richten sich die Proteste der Arbeiter gegen das Gewinnstreben von Großunternehmen oder gegen eine Regierung, die sich selbst als rechts stehend ansieht. In Polen war das zweifellos nicht der Fall. Der Staat basierte auf dem Sozialismus, auf dem Gedankengut von Marx, auf dem gemeinsamen Eigentum an den Produktionsmitteln und auf der Gleichheit aller Menschen. Dieser Staat war nicht das Produkt des Kampfes der Arbeiterklasse, sondern der Aufteilung der militärischen Einflusssphären zwischen den Siegern nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Menschen haben die Wirklichkeit dieses Moments als das genaue Gegenteil von dem erfahren, was die Sozialisten vorgeblich anstreben. Mitte der 80er Jahre war ich auch deshalb Redner auf einem Treffen in den Niederlanden für die Solidarität mit der unterdrückten unabhängigen Gewerkschaftsbewegung Polens. Ich habe nie die Ansicht geteilt, die Arbeiter sollten mit ihren Führern zufrieden sein, wenn sich diese selbst als Sozialisten oder Kommunisten bezeichnen.
Innerhalb und außerhalb Polens berufen sich mittlerweile Menschen mit stark voneinander abweichenden Auffassungen auf das Erbe von Solidarność. Für eine Gruppe stellte sie die Rückkehr zu dem konservativen Polen in der Ära Pilsudski zwischen den beiden Weltkriegen dar, für die andere Gruppe markierte sie einen notwendigen Schritt, der zur Ablösung der nach 1945 aufgebauten Karikatur des Sozialismus durch eine wahre sozialistische Demokratie beitragen sollte.
Die erstgenannte Auffassung scheint fürs Erste die Oberhand gewonnen zu haben. Obgleich ich dieses Ergebnis nicht bedauere, betrachte ich den Widerstand gegen eine nicht hinnehmbare Herrschaft als ein unveräußerliches Recht aller Menschen und Solidarność als leuchtendes Vorbild.
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dass ich heute in diesem Hohen Haus sein kann und nicht dazu verurteilt bin, hinter dem Eisernen Vorhang zu leben, habe ich der Solidarność zu verdanken, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Ohne die Solidarność wäre die Berliner Mauer später gefallen oder sie würde gar noch stehen. Die Tschechen, Slowaken und Ungarn haben zuvor versucht, dieses teuflische System zu stürzen, aber es waren die Polen und der polnische Papst, denen es schließlich gelang, die in den Beschlüssen von Jalta festgeschriebene Situation zu beenden. Ich möchte heute den Ländern Westeuropas und den Vereinigten Staaten für ihre Unterstützung danken. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass nicht nur Stalin Schuld auf sich geladen hat. In der Hoffnung auf Ruhe und Ordnung und um ihrer eigenen Bequemlichkeit willen haben Churchill und Roosevelt auf Jalta halb Europa an die Sowjets verraten.
Das Beispiel der Solidarność zeigt uns, wie viele Jahre es dauern kann, Fehler zu korrigieren. Mit der Zustimmung des Parlaments nimmt die Union nun Verhandlungen mit der Türkei auf. Ich befürchte, dass das der Anfang vom Ende der Union sein könnte, und bedauere das sehr, denn ich bin für ein gemeinsames Europa. Wir sollten mit der ganzen Welt solidarisch sein und Europa nicht im Namen des Internationalismus verraten.
Timothy Kirkhope (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Die Tatsache, dass die Linken in Polen gerade abgewählt worden sind, macht diese Debatte noch wichtiger. Ich gratuliere Herrn Saryusz-Wolski und der Bürgerplattform sowie der Partei Recht und Gerechtigkeit zu ihrem Sieg bei den gestrigen Parlamentswahlen, und ich bin sicher, dass diese neue Regierung Polen in eine gute Zukunft führen wird.
Lech Wałęsa verkörpert in herausragender Weise Solidarność und ihren Erfolg. Er wurde vor kurzem in Brüssel von diesem Parlament anlässlich dieses bedeutenden Jahrestages geehrt. Ihm wurden bereits Ehrungen vieler Länder und Organisationen der Welt für seinen Mut und seine Weitsicht zuteil, wobei vielleicht die höchste Auszeichnung seine Wahl zum Präsidenten Polens nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war.
Das Vereinigte Königreich hat sich Polen immer besonders verbunden gefühlt, was auch in den frühen 1980er Jahren, als Polen schwierige Zeiten durchmachte, deutlich wurde. Es war ein britischer konservativer Außenminister, Malcolm Rifkind, der sich in Warschau als erster westlicher Politiker mit Vertretern von Solidarność traf und damit das kommunistische Regime in Wut brachte. Dieses Treffen war ein Symbol für die enge Verbundenheit zwischen dem Vereinigten Königreich und Polen. In jenen finsteren Jahren haben wir Briten Polen weder vergessen noch haben wir je unsere Überzeugung aufgegeben, dass Demokratie und Freiheit schließlich siegen und Polen wieder seinen Ehrenplatz in der europäischen Familie einnehmen würde.
Man vergisst leicht, mit welchem Tempo sich Europa seit jenen düsteren Tagen entwickelt hat und wie das Leben unter dem Joch der kommunistischen Tyrannei aussah. Deshalb ist es so wichtig, nie zu vergessen – und dadurch, dass Polen voriges Jahr seinen rechtmäßigen Platz in der Europäischen Union eingenommen hat, können wir sicher sein, dass diejenigen, denen Leid zugefügt wurde, und diejenigen, die für dieses Leid verantwortlich waren, niemals vergessen werden. Solidarność symbolisiert damals wie heute Vertrauen in die Zukunft, die Entschlossenheit der Menschen, ein besseres Leben für sich und ihre Familien aufzubauen, und den unerschütterlichen Glauben an die menschliche Willenskraft. Politische Systeme können den menschlichen Willen unterwerfen, sie können die menschliche Individualität auslöschen, aber sie können nie den Wunsch nach Freiheit auslöschen. Wir alle würden gut daran tun, die Lehren aus der Geschichte von Solidarność zu ziehen.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Meinen Vorrednern sei gesagt, dass auf der Danziger Werft, wo der 25. Jahrestag des Beginns der Streiks von Solidarność im Jahr 1980 begangen wurde, 6 000 Arbeiter beschäftigt waren. Heute befindet sich die Werft in Privatbesitz, und in den 1990er Jahren sind zwei Drittel der Arbeiter entlassen worden.
Herr Wałęsa und die Solidarność haben selbstverständlich nicht gestreikt, waren sie es doch, die die Arbeiter entlassen haben. In Danzig, das für Sie ein Symbol ist, herrscht Armut. Die Arbeitslosigkeit beträgt über 15 %. Die Bauern im „freien“ Polen, die Menschen an der Basis also, leben unter dramatischen Bedingungen. Der Lebensstandard sinkt. Vierzehn Jahre nach dem Sturz des Sozialismus verbrauchen die Polen weniger als 1980, Grundnahrungsmittel eingeschlossen. Alle sozialen Errungenschaften wurden ausgehöhlt. Das Land wird vom Auslandskapital geplündert. Die Einzelbauernwirtschaften verschwinden, und es entsteht neuer Großgrundbesitz.
Diese Entwicklung zeigt, dass die Solidarność das Trojanische Pferd für die Wiederherstellung des Kapitalismus in Polen war. Die politischen Führer haben die Arbeiter betrogen. Sie haben arbeitnehmerfreundliche Forderungen aufgestellt, die Arbeiter damit geködert und dazu gebracht, sich zu erheben. Dabei wurden sie finanziell und politisch von den Vereinigten Staaten und den Regierungen anderer kapitalistischer Länder unterstützt, die heute gewaltige Profite für das Kapital einstreichen und das polnische Volk in Armut stürzen.
Meinen Vorrednern sei gesagt, dass Wałęsa die Arbeiter – verarmt, unterdrückt und ihrer Rechte beraubt – mit seinen Parolen von angeblicher Freiheit und Solidarität den Kapitalisten in die Arme getrieben hat.
Lassen Sie mich zum Thema Demokratie in Polen eine Zahl nennen: Bei den jüngsten Europawahlen betrug die Wahlbeteiligung 20 %. So also denken die Polen über die Europäische Union.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Meinem Vorredner möchte ich sagen, dass eben jene Arbeiter und auch andere die Uhr um keinen Preis in die Zeit vor der Solidarność zurückdrehen würden.
Es gibt nur wenige Ereignisse, auf die man vor allem hier in diesem Hause gern und mit Stolz zurückblicken möchte. Solidarität ist meines Erachtens ein Begriff, dem in allen Enzyklopädien ein besonderer Platz gebührt. Es ist nicht leicht, Solidarität zu üben. Oftmals müssen die eigenen Interessen, nationale und möglicherweise auch übergeordnete Interessen zurückgestellt werden. Die Europäische Union ist kein geschlossenes Gebilde wie ein Volk, eine ethnische oder auch politische Gruppe. Deshalb brauchen wir Solidarität. Nur dank der Entschlossenheit und Solidarität der Arbeiter, Studenten, Bauern, Angehörigen der Intelligenz und auch einiger unerschrockener Polizeiangehöriger und Offiziere der Armee sowie dank der solidarischen Unterstützung aus dem Ausland war es möglich, die Despoten, die sich an die Macht klammerten, zum Machtverzicht zu zwingen. Damit erhielten die einfachen rechtschaffenen Menschen die Chance, anerkannte Werte wiederherzustellen.
Wenn wir die Bedeutung der Solidarność-Bewegung erkennen und daraus die historischen Lehren ziehen, besteht für uns die Hoffnung, dass die in diesem Hohen Haus beschlossenen Maßnahmen auch umgesetzt werden und das koordinierte Gebilde namens Union schrittweise Realität wird.
Europa ist zu komplex und vielfältig, als dass wir dieses Ziel ohne Solidarität erreichen könnten. Solidarität muss hier in diesem Hause, in der Kommission und im Rahmen der Bildungs- und Kulturprogramme gefördert werden. Sie muss allen Europäern eingeimpft werden. Zugleich müssen wird die Solidarität gewissermaßen über die Kontinente hinweg auf eine breitere Grundlage stellen, um zur Lösung der Probleme der Menschheit beitragen zu können. Ohne Solidarität, das möchte ich an dieser Stelle betonen, gibt es für Europa und für die Menschheit insgesamt keine Zukunft.
Die Solidarität von 1980 begann in Świdnik und in Lublin, und sie machte es möglich, dass wir heute in diesem Haus über Grundwerte reden können.
Die europäische Solidarität von heute bildet die Voraussetzung dafür, dass die Abgeordneten nach weiteren 25 Jahren in ähnlicher Weise über das heutige Parlament und die heutige Kommission sprechen und es ihnen als Verdienst anrechnen können, in dem historischen Prozess, in den wir alle eingebunden sind, eine führende Rolle gespielt zu haben.
Anna Ibrisagic (PPE-DE). – (SV) Herr Präsident! Heute begehen wir den 25. Jahrestag der polnischen Solidarność und diskutieren ihre Botschaft für Europa. Wir erinnern uns an die Tage und Monate, in denen das polnische Volk genug hatte und polnische Arbeiter in Gdansk in den Streik traten. Damit begann so viel mehr als nur der Kampf für die Freiheit Polens, es war der Beginn des Kampfes für die Freiheit in ganz Osteuropa. Der erste Stein der Berliner Mauer fiel nicht in Berlin, sondern in Gdansk. Wir vergessen jedoch oft, dass dem Streik und der Solidarität von Gdansk eine mehrjährige polnische Revolte gegen den Kommunismus vorausgegangen war. Viele kämpften für die Freiheit – jeder für sich und jeder auf seine Weise –, aber es gab keine einende Kraft, die alle Polen um eine gemeinsame Idee scharte. Erst nachdem ein polnischer Papst im Vatikan einzog, erkannten die Polen, dass ihr geistiges Erbe sie einte und dass es Kräfte gab, die sie nach vorn tragen würden zur Unabhängigkeit und Autonomie. Und so geschah es auch.
Ich selbst lebte zu jener Zeit im kommunistischen Jugoslawien und kann mich noch deutlich an die Bilder aus Gdansk erinnern. Damals konnte ich nicht verstehen, dass jemand wirklich glauben konnte, der Kommunismus könne gestürzt werden. Als die Menschen in Serbien dann fast zwei Jahrzehnte später gegen das Milosevic-Regime protestierten, hatten sie etwas von der Solidarność gelernt. Sie hatten gelernt, dass totalitäre Regimes nicht für immer existieren, sondern tatsächlich gestürzt werden können. Sie hatten auch gelernt, dass Demokratie sich immer von innen heraus entwickeln muss und dass ein geeintes Volk, das für seine Freiheit kämpft, unweigerlich siegreich ist. Die Solidarność hatte bereits die wichtigste Botschaft an Europa gesendet. Mein schwedischer Kollege Sjöstedt, der einer Partei angehört, dessen Parteiführer sich immer noch als Kommunist bezeichnet, hat gerade eine Rede gehalten, in der er die Solidarność-Bewegung geehrt hat, die gerade gegen den Kommunismus gekämpft hat. Das ist auch eine Botschaft der Solidarność, dass Europa weder kommunistische noch andere Diktaturen oder totalitäre oder versklavende Systeme tolerieren darf. Europas Zukunft liegt in der Freiheit, die wir alle verteidigen, und insbesondere heute, indem wir den Menschen in Polen und Osteuropa, die in den 80er und 90er Jahren für ein freies Europa gekämpft haben, unsere Achtung und unsere Dankbarkeit aussprechen.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Solidarność-Bewegung war ein einzigartiges Experiment einer Gemeinschaft, die sich auf gemeinsame Werte sowie das Vertrauen in die Freiheit gründete.
Im August 1980 forderten polnische Arbeiter Pressefreiheit, Religionsfreiheit und vor allem das Recht auf Gründung freier Gewerkschaften sowie das Ende der Verfolgung aus Gründen der Überzeugung. Millionen Polen sagten „Nein“ zum Kommunismus, und das war der Anfang vom Ende der kommunistischen Diktatur. Wir haben an die Völker Osteuropas appelliert, sich dem Kampf um bürgerliche Freiheiten anzuschließen, wozu auch der Aufbau einer Zivilgesellschaft gehört. Wir taten dies mit Entschlossenheit und in der festen Überzeugung, dass die Freiheit trotz aller eindeutig politisch motivierter Restriktionen errungen werden kann. Millionen Menschen setzten sich solidarisch für ihr Heimatland ein, das 16 Monate lang frei war, bis die kommunistische Diktatur von General Jaruzelski am 13. Dezember mit einem Staatsstreich zum Schlag gegen diese Bewegung ausholte. Es gelang ihnen jedoch nicht, unseren Geist zu unterdrücken oder zu brechen, und wir lebten als freie Menschen weiter. Im August 1980 hatte der Kommunismus auf der Danziger Werft eine tödliche Wunde davongetragen, und neun Jahre später – im Jahr 1989 – erhielt er den Gnadenstoß.
Andere Völker in Europa haben uns in unserem Kampf beigestanden. Wir erhielten Unterstützung aus Frankreich, Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich. Das gab uns Mut und Vertrauen in unsere eigene Stärke, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, all jenen zu danken, die uns damals zur Seite gestanden haben. Dank Ihrer Hilfe haben wir überlebt, weil uns das Wissen, dass Europa uns beisteht und uns nicht vergessen hat, stark gemacht hat.
Inwieweit können die Ideale der Solidarität heute die Herzen und Köpfe bewegen? Wenn wir heute über die Solidarność nachdenken, dann stellen wir uns die Frage, was Europa ausmacht. Europa ist mehr als eine Wirtschaft und ein Markt. Es steht auch für die Werte, die die Größe der Europäischen Gemeinschaft ausmachen. Europa ist eine Völkerfamilie, die auf dem christlichen Erbe fußt. Die Solidarność gründete sich auf christliche Prinzipien und war bestrebt, in den Menschen die besten Werte wieder zum Leben zu erwecken, nämlich die Bereitschaft, Verantwortung füreinander zu übernehmen und den Bedürftigen zu helfen. Aufbauend auf den ethischen Grundsätzen der Solidarność-Bewegung ließe sich eine moderne Vision von Europa schaffen, die für die Welt von Interesse wäre. Wenn wir heute über die Solidarność nachdenken, dann müssen wir auch fragen, wie eigennützige nationale Interessen unter den 25 Mitgliedstaaten der Union überwunden werden können. Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen können.
Ich glaube an eine solidarische Europäische Union, an eine wettbewerbsfähige Union, die zugleich aber auch die Fähigkeit besitzt, den Kleinen und Schwachen in Solidarität beizustehen. Ich glaube an eine Union, die die Fahne der Solidarność und der Freiheit hochhalten und all jenen Impulse verleihen wird, die dieser Werte beraubt sind.
(Beifall)
Tunne Kelam (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Vor 25 Jahren gelang es polnischen Arbeitern und Intellektuellen, eine demokratische, bürgerliche Alternative zu den starren kommunistischen Strukturen zu schaffen. Solidarnosc leitete einen Prozess ein, der zur Befreiung der osteuropäischen Nationen von der totalitären Versklavung führte. Die andere Lunge desselben europäischen Mutterlands – wie Papst Johannes Paul II. einmal sinngemäß sagte – begann zu atmen und versorgte viele Millionen Osteuropäer mit Sauerstoff und Selbstrespekt.
Polen ist ein Symbol für Europa. Es war das erste Opfer des Bundes zwischen Hitler und Stalin, die gemeinsam den Zweiten Weltkrieg begannen. Das polnische Volk bekam das Schlimmste dieser beiden Diktaturen zu spüren. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es der Sieg der Danziger Arbeiter war, der den Weg für die Wiedervereinigung Europas ebnete.
Meines Erachtens war die bedeutendste Errungenschaft von Solidarnosc, dass sie alle Gesellschaftsschichten vereinen konnte. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne eine moralische Wiederbelebung, ohne die Spiritualität, die der polnische Papst verkörperte, die er anmahnte und inspirierte. Es bleibt die wichtige Botschaft des Siegs von Solidarność, wie man auf der leidenschaftlichen Suche nach Gerechtigkeit und den ewigen spirituellen europäischen Werten sowohl Kraft als auch die richtige Balance findet.
Auf diese Botschaft zu hören, würde uns wahrscheinlich bei der Überwindung der europäischen Identitätskrise helfen, über die heute gesprochen worden ist, denn Solidarność ist ein Teil dieser europäischen Identität geworden. Wir können uns nun dafür entscheiden, den 31. August als einen Tag der Freiheit und Solidarität zu begehen, doch es gibt ein weiteres Datum, das es wegen seiner Bedeutung für Europa verdient, erinnert zu werden: Am 23. August, dem Tag, an dem im Jahr 1939 der Nazi-Sowjet-Pakt unterzeichnet wurde, sollten wir sowohl der Opfer des Kommunismus als auch des Nazismus gedenken. Nur dann wird der berühmte Satz „Nie wieder“ auch auf die Opfer des Kommunismus zutreffen.
(Beifall)
Der Präsident. Ich teile Ihnen mit, dass ich gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung vier Entschließungsanträge(1) erhalten habe.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Mittwoch um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Filip Andrzej Kaczmarek (PPE-DE). – (PL) Die Solidarność ist kein ausschließlich polnisches Erbe. Mit ihren Werten und ihren ethischen Grundsätzen sollte diese Bewegung Teil des Erbes ganz Europas und auch der ganzen Welt sein. Deshalb ist es so wichtig, dass die Solidarność zu einem festen Bestandteil unseres europäischen Bewusstseins wird. Vor 25 Jahren haben die Arbeiter von Danzig – wie es in unseren Entschließungen heißt – ein neues Kapitel in Europas Kampf für Brot und Freiheit eröffnet. Tatsächlich waren es die Arbeiter meiner Heimatstadt Poznań, die diesen Kampf vor 29 Jahren begonnen hatten. Am 28. Juni 1956 wurden Dutzende von ihnen von den Kommunisten getötet. Sie starben, weil sie Brot und Freiheit gefordert hatten. Glücklicherweise war weder ihr Tod noch der Tod der Arbeiter, die im Dezember 1970 ihr Leben ließen, umsonst.
Die Solidarność besitzt globale Bedeutung, weil sie eine friedliche, aber auch siegreiche Bewegung war. Ihre Geschichte weckt Optimismus und Vertrauen, denn sie hat gezeigt, dass selbst ein kommunistisches totalitäres Regime ohne Anwendung von Gewalt gestürzt werden kann. Es wäre großartig, wenn die Handlungsweise und die Werte der Solidarność für alle Menschen, die in Unterdrückungsregimen leben, zu einer wirksamen Form des Kampfes für Frieden, Würde und Menschenrechte würden. Die Solidarność-Bewegung hat gezeigt, dass man die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgeben darf und dass Beharrlichkeit und Treue zu den eigenen Grundsätzen sich auszahlen. Ich bin davon überzeugt, dass die Europäische Union mit ihren 25 Mitgliedstaaten heute nicht existieren würde, wenn Lech Wałęsa und seine Mitstreiter vor 25 Jahren nicht so gehandelt hätten, wie sie es taten.