Präsident. Als nächster Punkt folgt die Aussprache über den Bericht des Europäischen Rates und die Erklärung der Kommission zur Tagung des informellen Europäischen Rates in Hampton Court, zu dem das Parlament, wie Ihnen bekannt ist, in der Person des Präsidenten eingeladen war. Ich möchte dem britischen Vorsitz für seine Hochachtung gegenüber dem Europäischen Parlament danken.
Jack Straw, amtierender Ratspräsident. (EN) Herr Präsident, es ist mir eine große Ehre, erneut vor dem Parlament zu sprechen. Mir ist bewusst, dass ich es mit einer hochkarätigen Gruppe von Parlamentariern zu tun habe. Es kommt in allen Parlamenten vor, dass man bei einer Gelegenheit vor spärlich besetzten und bei einer anderen vor vollen Rängen spricht. Ich werte dies als umfassende Unterstützung für die Strategien, die sowohl der britische Vorsitz als auch das Vereinigte Königreich unter anderem in Haushaltsfragen verfolgt haben. Darauf werde ich etwas später zu sprechen kommen.
Heute erscheint zum 48. Mal seit Beginn der britischen Ratspräsidentschaft der Europäischen Union ein Minister der britischen Regierung vor dem Europäischen Parlament, und ich kann Ihnen versichern, dass in den letzten sechs Wochen noch zahlreiche weitere Minister hier das Wort ergreifen werden. Dies ist ein Beweis dafür, welche Bedeutung wir Ihrem Parlament beimessen.
Ich möchte heute Bericht über die informelle Tagung in Hampton Court erstatten. Zwar wird Ihnen vieles bereits bekannt sein, doch wir haben vor drei Wochen wichtige Entscheidungen auf den Weg gebracht. Im Frühsommer haben uns die Unionsbürger unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie mit dem Kurs der Gemeinschaft nicht einverstanden sind. Sie hatten das Gefühl, den Kontakt zur europäischen Politik und den Politikern verloren zu haben. In Hampton Court haben die Staats- und Regierungschefs der Union weitgehendes Einvernehmen über den Kurs für die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik erzielt und damit einen wichtigen Schritt unternommen, um auf dieses Zeichen zu reagieren. Natürlich hatte die Europäische Kommission schon einen Großteil der Vorarbeit geleistet und diese in ihrer hervorragenden Mitteilung „Europäische Werte in der globalisierten Welt“ veröffentlicht. Wenn ich das so sagen darf, Herr Barroso, dann war diese Mitteilung einer der besten und erhellendsten Texte, den ich in den vergangenen drei Jahren über die Zukunft Europas und seiner Nationen gelesen habe.
Angesichts von 20 Millionen Arbeitslosen in ganz Europa und einer Beschäftigungsquote von Jugendlichen in Höhe von 18 % müssen sich all diejenigen, die an das europäische Sozialmodell glauben, in erster Linie darum bemühen, in Europa Arbeitsplätze zu schaffen und unseren Bürgern die Möglichkeit zu geben, im globalen Wettbewerb zu bestehen.
Auf der Tagung in Hampton Court wurden sechs Schlüsselbereiche und eine Reihe dazugehöriger spezifischer Strategien herausgestellt, damit sich die Mitgliedstaaten und die Kommission mit geeinten Kräften um eine Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands und der kollektiven Sicherheit in Europa bemühen können.
Der erste Bereich umfasst Forschung und Entwicklung. Wir benötigen ein solides technologisches Fundament, wenn europäische Unternehmen insbesondere im Wettbewerb mit den asiatischen Wirtschaftsnationen die Nase vorn haben wollen.
Zweitens geht es um Investitionen in unseren Hochschulsektor. Wir können mit den USA sowie in einigen wichtigen Bereichen auch mit China und Indien nicht mithalten.
Drittens müssen wir auf den demografischen Wandel innerhalb der Europäischen Union reagieren. In der Gemeinschaft kommen gegenwärtig vier Personen im arbeitsfähigen Alter auf einen älteren Menschen, doch dieses Verhältnis von vier zu eins wird in den kommenden Jahrzehnten auf lediglich zwei zu eins sinken. Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich daher auf der informellen Tagung darauf verständigt, den Zusammenhang zwischen legaler Zuwanderung und den künftigen wirtschaftlichen Erfordernissen der Gemeinschaft näher zu beleuchten.
Viertens ging es um unsere Energiepolitik. Wie begegnen wir dem steigenden internationalen Energiebedarf, wenn die Versorgungssituation nach wie vor angespannt ist? Die Teilnehmer der Tagung kamen zu dem Schluss, dass für eine Lösung dieses Problems Maßnahmen in zahlreichen Bereichen erforderlich seien. Wir müssen uns um neue Energieträger bemühen und gegenüber den größten Energieversorgern eine einheitlichere Strategie verfolgen. Wir müssen unsere Marktkapazitäten und unsere Marktmacht als Verbraucher gegenüber den Versorgern nutzen. Außerdem müssen wir auf Energieeffizienz und saubere Technologien setzen und den europäischen Energiemarkt wirklich weiter öffnen. Einige, aber nicht alle Länder, haben ihre Märkte geöffnet. Für mich ist das ist kein offener Markt.
Fünftens wurden die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der internationalen Sicherheit erörtert. In der Frage der Datenvorratsspeicherung hat das Parlament die Gelegenheit, sich an der kollektiven Verantwortung der Union zu beteiligen und Rechtsvorschriften auszuarbeiten, die zu einer größeren Sicherheit unserer Bürger beitragen und eine gerechte Strafe für Gesetzesbrechern vorsehen. Die Strategie zur Terrorismusbekämpfung wird zeigen, wie wir der Radikalisierung begegnen, unsere Infrastruktur schützen und für einen besseren Informationsaustausch sorgen. Außerdem müssen wir die illegale Zuwanderung bekämpfen und unsere Grenzen besser schützen, gleichzeitig aber die Vorteile der legalen Migration für die Gemeinschaft und die Entwicklungsländer nutzbar machen.
Sechstens haben sich die Teilnehmer der Tagung darauf verständigt, dass sich Javier Solana in Zusammenarbeit mit dem Vorsitz verstärkt um außen- und sicherheitspolitische Aspekte in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit bemühen soll. Es gibt Vorschläge für Forschungs- und Schulungsmaßnahmen in diesem Bereich, um Schwachstellen unseres Fähigkeitsprofils zu beseitigen. Zudem müssen wir unser Krisenmanagement bei Katastrophen verbessern und die Mittel für die GASP erhöhen. Im Dezember werden wir im Übrigen eine umfassende Strategie für Afrika vorlegen.
In allen Bereichen sind Zwischenberichte an die Dezember-Tagung des Europäischen Rates sowie Abschlussberichte im Verlauf des österreichischen Vorsitzes in der ersten Hälfte des kommenden Jahres vorgesehen. Ich bin mir sicher, dass die Kommission bei der Ausarbeitung dieser Berichte den Standpunkten der zuständigen Parlamentsausschüsse Rechnung tragen wird. All dies wurde im Detail in Hampton Court erörtert.
Nun da wir uns weitgehend auf den Kurs für ein modernes Europa verständigt haben, müssen wir die entsprechende Haushaltseinigung erzielen, um diese wirtschaftlichen und sozialen Prioritäten umzusetzen. Die Ratspräsidentschaft wird sich im Dezember nach allen Kräften um eine Haushaltseinigung bemühen. Doch wir alle wissen, dass dies kein leichtes Unterfangen sein wird. Im Juni wurde der Haushaltsvorschlag von fünf Mitgliedstaaten abgelehnt; im kommenden Monat müssen alle 25 Mitgliedstaaten zustimmen. Es stehen uns somit harte Verhandlungen bevor. In Anbetracht dessen wollen wir für das Treffen der Außenminister Anfang Dezember umfassende Vorschläge zur Erörterung vorlegen.
In drei zentralen Bereichen muss es Veränderungen geben. Erstens müssen wir eine neue Ausrichtung des Gemeinschaftshaushalts festlegen, um sicherzustellen, dass er den neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Dafür bedarf es eines eindeutigen Zeitplans für die Prüfung aller Einnahmen- und Ausgabenaspekte sowie einer genauen Kontrolle, woher die Mittel kommen, wofür sie verwendet werden und wie wir darüber Rechenschaft ablegen. Die Tatsache, dass die Haushaltsrechnung in elf aufeinander folgenden Jahren nicht abgezeichnet werden konnte – was ein Armutszeugnis darstellt – beeinträchtigt das Klima der Debatten und die Einstellung gegenüber der Gemeinschaft an sich in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Dieser neue Kurs erfordert also, dass wir eindeutige Zielsetzungen für die künftigen Gemeinschaftsausgaben und für die dazugehörige Rechnungslegung – ohne die es kein Vertrauen der Steuerzahler in die Maßnahmen der Union geben kann – sowie eine klare Marschroute für die künftige Reform der Gemeinschaftsstrategien festlegen.
Zweitens muss die im letzten Verhandlungsrahmen im Juni vorgeschlagene Ausgabenstruktur ab dem 1. Januar 2007 geändert werden, um insbesondere den jüngsten Reaktionen der Mitgliedstaaten auf die Vorschläge von Kommissionspräsident Barroso vom 20. Oktober Rechnung zu tragen.
Drittens müssen wir darauf achten, dass mögliche Änderungen am Eigenmittelbeschluss – mit anderen Worten dem Beitrag der Mitgliedstaaten zum Gemeinschaftshaushalt – gerecht und ausgewogen sind. Dazu bedarf es grundlegender Änderungen der im Juni vorgeschlagenen Vereinbarungen, die neben anderen Mitgliedstaaten das Vereinigte Königreich betreffen. Damit es keine Missverständnisse gibt: wenn ich grundlegende Änderungen sage, dann meine ich auch grundlegende Änderungen. Ohne solche grundlegenden Änderungen gibt es in meinen Augen nur wenig Aussicht auf eine Einigung. Mit diesen Änderungen können wir meines Erachtens die Verhandlungen voranbringen, und die Ratspräsidentschaft wird sich nach besten Kräften um eine Einigung bemühen.
Meine bisherigen Ausführungen bezogen sich darauf, wie Europa der Herausforderung der Globalisierung mit Maßnahmen, Strategien und einer Haushaltseinigung begegnen will. Bei der Globalisierung geht es jedoch nicht nur darum, was wir tun, sondern auch darum, wie wir es tun. Wie ich bereits gesagt habe, wächst die Kluft zwischen der Unionspolitik und ihren Bürgern.
Genau diese Frage wird morgen im Mittelpunkt einer gemeinsamen Konferenz der niederländischen und der britischen Regierung in Den Haag stehen. Die Teilnehmer der Konferenz „Sharing Power in Europe“ werden sich damit befassen, wie regionale und einzelstaatliche Parlamente effektiver mit den europäischen Institutionen und dem Europäischen Parlament zusammenarbeiten und wie wir das richtige Verhältnis zwischen Maßnahmen auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene herstellen können, um für unsere Bürger die besten Ergebnisse zu erzielen.
Ich möchte an dieser Stelle dem niederländischen Premierminister Jan Peter Balkenende meine Anerkennung dafür aussprechen, dass er als Erster auf dem Europäischen Rat vom Juni die Veranstaltung einer solchen Konferenz angeregt hat, und unseren Kollegen, den niederländischen Außenminister Bernard Bot, dazu beglückwünschen, dass er den britischen Vorsitz bei den Vorbereitungen und der Veranstaltung der morgigen Konferenz unterstützt hat.
Ein Ergebnis dieser Bemühungen muss es sein, Europa seinen Bürgerinnen und Bürgern näher zu bringen, die Rechtsetzung der Europäischen Union zu vereinfachen und ihr mehr Relevanz zu verleihen. Durch die Globalisierung ist es für die Unionsbürger schwieriger geworden, eine Beziehung zu den Institutionen aufzubauen. Gleichzeitig stehen diese Menschen, unsere Bürger, der gemeinschaftlichen Rechtsetzung als solcher nun kritischer gegenüber. Sie sträuben sich zunehmend gegen dirigistische Eingriffe und vertreten immer mehr die Auffassung, dass Regulierungskonzepte nicht stellvertretend für Ergebnisse stehen können und dürfen. In zu vielen Fällen – und dies trifft auf alle Parlamente und Gemeinschaften, aber besonders auf die Europäische Union zu – wurde die Methode mit dem Ergebnis gleichgesetzt. Doch so ist es nicht. Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Mitgliedstaaten verlangen nach neuen europäischen Vorschriften, um beispielsweise den unlauteren Wettbewerb und Umweltverschmutzung zu bekämpfen oder unsere Rechtssysteme zu verbessern. Allerdings wollen sie Maßnahmen, die unser Leben verbessern und nicht komplizierter machen. Standardisierung und Harmonisierung allein bringen keinen zusätzlichen Nutzen.
Dank der Bemühungen der Kommission unter Präsident Barroso gibt es mittlerweile viele positive Anzeichen. Beispielsweise hat die Kommission den Wünschen der Unternehmen und der Menschen Rechnung getragen und im Bereich der Finanzdienstleistungen weniger Regulierung vorgeschlagen. Dies wird für einen international wettbewerbsfähigen europäischen Finanzdienstleistungssektor von großem Vorteil sein. Weitere positive Schritte sind das dreijährige Aktionsprogramm der Kommission zur Vereinfachung des gemeinschaftlichen Besitzstands und die Einsicht, dass die Gemeinschaft nicht weiterhin in all den Bereichen intervenieren muss, in denen sie dies bisher getan hat. Daher rührt auch die Entscheidung, eine Richtlinie aus dem Jahre 1968 abzuschaffen, in der die Zahl und Größe von Astlöchern geregelt wurde. Vor 37 Jahren mag die Europäische Union einen Grund gehabt haben, Zahl und Größe zu regeln. Heute sollten wir dies allerdings besser den Mitgliedstaaten oder dem Urteilsvermögen derjenigen Menschen überlassen, die Holz im Holzhandel kaufen. Warum auch nicht?
Der Vorschlag für eine mögliche Vereinfachung der Anforderungen an Arbeitgeber, Bewertungsberichte zu 20 unterschiedlichen Richtlinien für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vorzulegen, sollte zu einer Entlastung der Arbeitgeber beitragen und ihnen mehr Zeit geben, damit sie sich nicht der Büroarbeit, sondern den Bedürfnissen der Arbeitnehmer widmen können, indem sie beispielsweise Arbeitsplätze schaffen.
Dem Europäischen Parlament fällt dabei als Mitgesetzgeber eine wichtige Rolle zu. Nehmen wir REACH – ein Thema, das bei meiner Ankunft außerhalb des Plenarsaals und, wie mir berichtet wurde, auch hier im Saal aufgeregt diskutiert wurde. Es ist umstritten, wie weit die Vorschriften für die chemische Industrie der Gemeinschaft gehen sollten, um die Verbraucher zu schützen. Niemand von uns will eine Chemikalienvergiftung erleiden. Dennoch bin ich der Ansicht, dass sich Europa in diesem Bereich vorbildlich verhält und weltweit konkurrenzlos dasteht. Auch möchte niemand von uns, dass die europäische Chemieindustrie in einer globalisierten Welt ohne Grenzen in die Knie gezwungen wird, sodass mit dieser hervorragenden Verordnung letzten Endes eine nicht mehr existierende Industrie reglementiert wird, an deren Stelle Unternehmen in aller Welt, in China, Indien und andernorts treten, wo die Vorschriften weitaus schlechter als unsere heutigen sind. Vor diesem Dilemma steht das Parlament, denn es betrifft alle unsere Bürger.
Wir müssen erkennen, wo die Probleme liegen. Die Änderungsvorschläge für die Arbeitszeitrichtlinie sind ein gutes Beispiel für wohl gemeinte Rechtsvorschriften, mit denen wir nicht das gewünschte Ziel erreichen werden und bei denen Methode und Ergebnis völlig durcheinandergeworfen wurden.
Wir stimmen alle darin überein, dass auf den europäischen Arbeitsmärkten angemessene Schutzstandards für unsere Arbeitnehmer gelten müssen. Europäer müssen über Rechte bei der Arbeit verfügen, doch sie müssen auch Arbeitsplätze haben, um diese Rechte überhaupt wahrnehmen zu können. Unser Premierminister hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass wir hoffen, die im Zusammenhang mit dieser Richtlinie noch nicht geklärten Fragen im Verlauf unseres Vorsitzes zu klären, und dies ist auch weiterhin unser Ziel.
Lassen Sie uns deutlich hervorheben, welche Aufgaben vor uns liegen. Die Arbeitszeitrichtlinie wird damit gerechtfertigt, dass es um Gesundheit und Sicherheit geht, und dies trifft teilweise auch zu. Doch strenge Arbeitszeitbegrenzungen sind nicht die Lösung. Die Bilanz des Vereinigten Königreichs auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes zählt zu den besten in der gesamten Gemeinschaft. Da Sie fragen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir bei Arbeitsunfällen das zweitbeste und bei tödlichen Arbeitsunfällen wohl das drittbeste Ergebnis verzeichnen. Wir haben gezeigt, dass sich ein ergebnisorientierter vorbildlicher Arbeitsschutz problemlos mit flexiblen Arbeitsmärkten und flexiblen Arbeitszeiten vereinbaren lässt. Eine starre europaweite Begrenzung der Arbeitszeiten führt nicht zu einer guten Arbeitsschutzbilanz für unsere Arbeitnehmer, insbesondere dann nicht, wenn die Vorschriften nicht einheitlich umgesetzt werden.
Einige Mitgliedstaaten haben meines Erachtens zu Recht ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass in anderen Ländern Arbeitszeitbegrenzungen für einen Arbeitsvertrag und nicht für einen Arbeitnehmer gelten. Einige dieser Länder gehören gleichzeitig zu denjenigen, die sich für strenge Begrenzungen aussprechen; wenn es jedoch um die Durchführung innerhalb ihrer eigenen Grenzen geht, wenden sie einen Trick an und setzen die Regelungen nicht für jeden Arbeitnehmer – was Voraussetzung für den Gesundheits- und Sicherheitsschutz ist –, sondern nur vertragsweise um. Wenn Personen also zwei Arbeitsverträge haben – zwei Arbeitsplätze, eine Person – können sie völlig ungeregelt und ungeschützt die Begrenzung umgehen. Unter Arbeitsschutzaspekten ist dies völlig unsinnig. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gestaltung des Arbeitslebens ergibt es keinen Sinn. Und es trägt keineswegs zum Ruf der Europäischen Union bei, gerechte und sinnvolle Vorschriften in ganz Europa anzuwenden.
Wir müssen Möglichkeiten für eine Umsetzung der Richtlinie finden, die den Erfordernissen aller Arbeitsmärkte gerecht werden. Es gilt sicherzustellen, dass alle Beschäftigten in den Genuss angemessener Arbeitnehmerrechte kommen und niemand durch die Zwänge dieser Richtlinie in die Schattenwirtschaft abgedrängt wird, denn genau das ist der Fall.
Es muss einmal gesagt werden, dass wir mit der Richtlinie zwar versuchen, europäische Begrenzungen und Standards neu zu definieren, gleichzeitig aber Gefahr laufen, den einzelnen Arbeitnehmer in seiner Freiheit einzuschränken, seine Arbeitszeit selbst zu gestalten. Ohne Zweifel werden die Arbeitgeber so weniger in der Lage sein, flexibel auf wirtschaftliche Veränderungen und jahreszeitbedingte Anforderungen zu reagieren. Damit werden Arbeitsplätze gefährdet, von denen die Existenz der Arbeitnehmer abhängt. Das kann nicht der richtige Weg sein. Es ist ein zentrales Anliegen, dass sich die Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz sicher und angemessen geschützt fühlen. Dies ist eine betriebswirtschaftliche wie auch eine politische Frage.
Wir müssen abwägen, wie viel wir auf europäischer Ebene regulieren und inwieweit wir es den einzelstaatlichen Regierungen, Arbeitgebern und Gewerkschaften überlassen sollten, sich auf einen Ansatz zu verständigen, der die beschäftigungspolitischen Traditionen und bewährten Vorgehensweisen in den einzelnen Mitgliedstaaten und in ganz Europa widerspiegelt. Schließlich wurde die Festlegung eines Mindestlohns, ein weiterer Aspekt des Arbeitsrechts, den ich leidenschaftlich verfechte, immer den Mitgliedstaaten überlassen. Dies halte ich für richtig. Es ist nun an der Zeit, die Mitgliedstaaten über weitere Arbeitszeitfragen ebenfalls selbst entscheiden zu lassen. Dies scheint mir ein hervorragendes Beispiel für einen Bereich zu sein, in dem Europa ein wenig mehr Zurückhaltung an den Tag legen muss, wenn es die angestrebte größere Bürgernähe erreichen will.
Als das Vereinigte Königreich die Präsidentschaft der Europäischen Union übernahm, war damit ebenfalls die Notwendigkeit verbunden, die umfassende Debatte über die Zukunft Europas fortzusetzen. Die Tagung in Hampton Court war ein wichtiger Teil dieser Debatte. Doch sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Der Aufbau eines modernen, selbstbewussten Europa wird noch weitaus mehr Zeit in Anspruch nehmen. Diese Reise können Regierungen, Politiker und Parlamente wie das Ihre nicht allein antreten. Wir müssen den Menschen in Europa die Vorteile der Gemeinschaft näher bringen und sie mit auf die Reise nehmen.
(Beifall)
José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (FR) Herr Präsident, Herr Straw, meine Damen und Herren! Wie Herr Straw deutlich gemacht hat, können wir mit den Ergebnissen des informellen Gipfels zufrieden sein. Ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ich mich darüber gefreut habe, dass sich das Europäische Parlament über die Teilnahme von Herrn Borell an allen Sitzungen auf dem Gipfel Gehör verschaffen konnte. Ich kann Herrn Blair nur dazu beglückwünschen, wie er es verstanden hat, zum Entstehen eines positiven, von Vertrauen getragenen Klimas beizutragen. Ganz besonders stolz bin ich auf den Anteil, den die Kommission am Erfolg dieses Gipfels hat.
Unsere Aussprachen in Hampton Court mündeten in einen Konsens, der sich auf einen Grundgedanken und fünf Kernbereiche stützt. Der Grundgedanke lautet: Um unsere Werte zu bewahren, müssen wir unsere Konzepte moderner gestalten. Es besteht kein Widerspruch zwischen einem wirtschaftlichen Reformvorhaben zur Modernisierung Europas und dem Bekenntnis zu einem politischen Europa und einem sozialen Europa. Die fünf Kernbereiche sind, kurz gefasst, die folgenden: Da ist als Erstes der Konsens hinsichtlich der Analyse und des Charakters der Herausforderungen, vor denen wir stehen, der sich nach dem Beitrag der Kommission einstellte –, und wenn wir schon beim Thema sind, Herr Straw, möchte ich Ihnen für das danken, was Sie zur Qualität unseres Dokuments gesagt haben. Das Zweite ist die Bedeutung der praktischen Umsetzung ehrgeiziger Reformen zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Alle Mitgliedstaaten haben sich dieser Aufgabe verschrieben, und die Kommission wird gleich Anfang nächsten Jahres einen Bericht über die nationalen Programme verfassen, die zur Umsetzung der Schlussfolgerungen von Lissabon entwickelt wurden. Als Drittes folgt das Vorankommen der praktischen Arbeit, die im Rahmen des notwendigen politischen Reagierens auf die Globalisierung und die Alterung unserer Bevölkerung geleistet wurde und in deren Mittelpunkt spezielle Bereiche wie Forschung und Entwicklung, Hochschulen, Energie und Demografie einschließlich der Zuwanderungsfrage stehen. Das Vierte – und hier besteht ein besonderer Zusammenhang zu dem von mir soeben genannten Punkt – ist der neue Schwerpunkt Zuwanderungspolitik, die zugleich die legale Zuwanderung umfasst, die den Erfordernissen unserer Wirtschaft zweifellos entgegenkommt, aber auch die von unserer Bevölkerung erwartete Sicherung unserer Grenzen und wirksame Integrationskonzepte, die für unsere multikulturellen Gesellschaften von entscheidender Bedeutung sind. Als Fünftes schließen sich neue Initiativen zur Prüfung der Frage an, wie wir unsere nach außen gerichteten Aktionen so verstärken können, dass wir die Möglichkeit zu wirksameren Antworten auf die Globalisierung und auf die neuen Gefahren für die Sicherheit, die nicht vor Landesgrenzen Halt machen, erhalten.
Wir müssen mit unserer Arbeit jetzt vorankommen. Ich hoffe, dass uns das in enger Zusammenarbeit mit dem Parlament und mit dem derzeitigen wie dem kommenden Ratsvorsitz auch gelingt.
Damit das Tempo beibehalten wird, in dem langfristiges Wachstum und Beschäftigung gefördert werden, schlägt die Kommission vor, der Forschung und Entwicklung neuen Auftrieb zu geben und Wege zur Neugestaltung der Bildungssysteme und der Hochschulen in Europa vorzulegen. Noch vor der Frühjahrstagung des Europäischen Rates werden wir den Rat und das Europäische Parlament erneut vom Fortgang dieser Angelegenheiten unterrichten.
Zur Suche nach Ressourcen zur besseren Bewältigung der demografischen Herausforderung: Ab Anfang nächsten Jahres werden wir die Ergebnisse der Konsultationen vorstellen, die zu Jahresbeginn mit der Veröffentlichung des Grünbuchs zur Demografie auf den Weg gebracht worden sind.
Zur Gestaltung einer schlüssigen Energiepolitik: Im kommenden Jahr werden wir hierzu eine Strategie für Europa vorstellen. Wir müssen uns alle Optionen offen halten. Diese neuerliche Anerkennung der Tatsache, dass wir in einem Bereich zusammenarbeiten müssen, der noch vor kurzem als eine den Mitgliedstaaten vorbehaltene Domäne galt, ist sehr wichtig.
Was die Zuwanderung angeht, so sind die entsprechenden Arbeiten schon in vollem Gange. Mehrere Vorschläge sind bereits dem Parlament unterbreitet worden, und ich denke, dass uns noch vor Jahresende ein entsprechendes Dokument in die Lage versetzen wird, unser Nachdenken und Handeln in Sachen legale und rechtswidrige Einwanderung zu intensivieren.
Die Sicherheit schließlich stellt uns gleich vor eine zweifache Herausforderung: Wir müssen nicht nur wirksamer gemeinsam bedacht sein, der grenzüberschreitenden Kriminalität Herr zu werden, der wir uns in Europa gegenübersehen, sondern uns zugleich noch nachdrücklicher zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus bekennen. Auch zu diesem Punkt liegen wichtige Vorschläge der Kommission auf dem Tisch, und eine Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus steht kurz vor dem Abschluss. Dennoch braucht es noch größerer Anstrengungen unsererseits, um sicherzustellen, dass die Europäische Union den ihr zukommenden Platz in der Debatte über die noch ausstehenden Antworten auf die Globalisierung voll wahrnimmt. Daher gedenkt die Kommission ein Konzeptpapier vorzulegen, in dem die Art und Weise untersucht werden soll, in der wir als Europäische Kommission zusammen mit Rat und Parlament zu einem geschlosseneren Auftreten der Union nach außen beitragen können.
Klar ist, dass wir mehr für die Kohärenz unseres nach außen gerichteten Wirkens tun können, und das nicht auf dem Gebiet der Außenpolitik und der gemeinsamen Verteidigung, sondern auch im Zusammenhang mit den verschiedenen innenpolitischen Instrumenten, die eine externe Dimension besitzen, und in den Bereichen, in denen der Kommission eine besondere Aufgabe zukommt – etwa in der Entwicklungshilfe, im internationalen Handel und in der Nachbarschaftspolitik.
(EN) Hampton Court hat erneut gezeigt, warum die Europäische Union in der globalisierten Welt wichtig ist. Niemals zuvor wurde die europäische Integration so sehr in Frage gestellt, aber niemals zuvor war sie so sehr nötig. Europa verfügt über eine so weitreichende und breit gefächerte Politik, dass der Nutzen der Globalisierung für seine Bürger maximiert und die Gefahren minimiert werden können. Es sind die europäischen Rechtsvorschriften, die es ermöglichen, dass ein Terrorismusverdächtiger binnen 50 Tagen von Italien nach London überführt wird. Ein Prozess, der sich früher über Jahre hinzog, dauert heute nur Wochen, weil wir auf europäischer Ebene ein Instrument besteht und weil wir europäische Rechtsvorschriften haben, die uns so etwas ermöglichen. Es ist Europa, das auf Herausforderungen wie die immer teurer und knapper werdende Energie Antworten geben kann. Es ist Europa, das bei der Kontrolle der Grenzübergänge im Gazastreifen – eine sehr wichtige aktuelle Entwicklung – helfen wird. Es ist Europa, das bei der Entwicklungshilfe für Afrika weltweit führend ist. Diese europäische Dimension wird also benötigt.
Wir räumen ein, und wir haben viel unternommen, um dies durch bessere Rechtsetzung zu erreichen, dass es vernünftige Vorschriften geben muss, um bürokratische Maßnahmen zu vermeiden. Damit ist aber nicht ein minimalistisches Europa gemeint – das möchte ich auf jeden Fall klarstellen. Nicht im Geringsten. Gemeint ist, dass Europa auf einigen Gebieten weniger tun und das Leben unserer Bürger und Unternehmen erleichtern sollte. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Gebiete, auf denen wir mehr tun müssen, nicht weniger. Es ist sehr wichtig, die Vorstellung eines minimalistischen Europa zu vermeiden.
Es ist die Aufgabe von uns führenden europäischen Politikern – sei es auf Ratsebene, auf Parlamentsebene oder Kommissionsebene -, dies zu erklären und die Demagogie und den Populismus zu unterlassen, die gegen Europa manchmal vorgebracht werden. Denn in dieser globalisierten Welt brauchen wir mehr denn je ein starkes Europa. Doch für all diese Politikbereiche - von den Außenbeziehungen bis hin zur Sicherheits-, Migrations-, Energie-, Forschungs- und Hochschulpolitik - wird Geld benötigt; sie kosten Geld.
Als ich klein war, sagte mir meine Mutter, ich solle nie über Geld sprechen, denn das gehöre sich nicht. Aber jetzt muss ich über Geld sprechen. Denn ohne Geld können wir diese Maßnahmen nicht durchführen; wir brauchen die Mittel, um unsere Politik voranzubringen.
Verehrte Mitglieder des Rates, Sie können von der Kommission und den anderen Europäischen Institutionen nicht verlangen, etwas umzusetzen, ohne ihnen die Mittel zu geben, um diese Maßnahmen auch durchzuführen.
Auf die positive Atmosphäre, die Anzeichen eines stärkeren politischen Willens Europas, die wir in Hampton Court gesehen haben, müssen nun Taten folgen, nämlich eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau nächsten Monat. Das ist das entscheidende Thema der britischen Präsidentschaft; hier wird sich zeigen, ob sich Europa bewegt, und Europa muss in Bewegung kommen.
Was Wohlstand, Solidarität und Sicherheit betrifft, so können wir unseren Bürgern nur die Mittel an die Hand geben, dies zu erreichen. Ich weiß, dass die britische Präsidentschaft hart an einer Lösung arbeitet; die Kosten eines Scheiterns wären hoch. Es ist nur schwer abzusehen, wie unsere Standpunkte in wenigen Monaten einander anzunähern sind. Es besteht also wirklich das Risiko, dass eine Einigung nächsten Monat ausbleibt, was dazu führen könnte, dass es bei den vorgesehenen Mitteln für die neuen Mitgliedstaaten zu Verzögerungen kommt und die Gefahr besteht, dass die Gemeinschaft wesentlichen internationalen Verpflichtungen, darunter auch Zusagen gegenüber den Ärmsten, nicht mehr nachkommen könnte.
Wie kann die Europäische Union ohne die Finanzielle Vorausschau mittelfristige Zusagen für die Gesamtmittel für HIV/Aids geben? Wir können wir die Zusagen einhalten, die wir den Vereinten Nationen in Bezug auf die Millennium-Entwicklungsziele gegeben haben? Wie können wir beispielsweise den Karibikländern dabei helfen, sich an die geänderten Bananenregelungen in der Europäischen Gemeinschaft anzupassen? Wie können wir unsere Zusagen im Hinblick auf die afrikanischen Friedenstruppen einhalten? Wie sollen wir die so genannten neuen Politiken, die Politiken für die Zukunft, fortsetzen? Wenn es keine Einigung gibt, werden wir die Politiken der Vergangenheit wohl beibehalten; wir werden für die Politiken für die Zukunft nicht die Mittel haben.
Ich denke, wir sind uns auch alle einig, dass eine erweiterte, vielfältigere Europäische Union eine größere Investition erfordert. Ich sage nicht „Kosten der Erweiterung“, weil ich das Wort „Kosten“ nicht mag, wenn wir über die Erweiterung sprechen. Doch jetzt, wo wir ein viel größeres Europa und ein deutlich vielfältigeres Europa sind, brauchen wir eine größere Investition in diese neuen Mitgliedstaaten. Die Last dieser Investition müssen wir aufteilen.
Wir sind zur Solidarität gegenüber den neuen Mitgliedstaaten verpflichtet, die von der Europäischen Union eine Unterstützung ihrer raschen und bemerkenswerten Fortschritte bei der Modernisierung und den Reformen erwarten. Davon können alle Mitgliedstaaten nur profitieren. Es ist kein Nullsummenspiel, und genau deshalb, weil wir diese Kluft überbrücken müssen, habe ich einige Vorschläge unterbreitet, darunter einen Vorschlag, der nun von der britischen Präsidentschaft geprüft wird – wofür ich ihr dankbar bin – und bei dem es um die Verknüpfung von Kohäsion und Wettbewerbsfähigkeit geht. Unserer Ansicht nach gibt es keinen Widerspruch zwischen Kohäsion auf der einen Seite und Wettbewerbsfähigkeit auf der anderen, im Gegenteil. Die Kohäsion und die Unterstützung der neuen Mitgliedstaaten ist auch ein Weg, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und dass Europa als Ganzes wettbewerbsfähiger wird.
Ich hoffe also, dass diese Vorschläge bei der endgültigen Einigung berücksichtigt werden, sodass am Ende auch klar sein wird, dass das, was wir vorschlagen, nicht Geld für ein altes Konzept von Europa ist, sondern Geld für ein wettbewerbsfähigeres und moderneres Europa, das aber gleichzeitig seine strengen Werte in Sachen Kohäsion beibehält.
Wir brauchen eine faire Aufteilung dieser Last. Kein Mitgliedstaat bekommt eine Erweiterung zum Schnäppchenpreis. Ich vertraue auf den gesunden Menschenverstand der britischen Präsidentschaft, dass sie nächsten Monat eine faire und ausgewogene Vereinbarung zustande bringt. Ich hoffe, wir erreichen dies durch eine Stärkung, und nicht durch eine Verringerung des Engagements der Kommission und des Parlaments für ein erweitertes Europa. Denn wir müssen sehr offen sagen, dass die Finanzielle Vorausschau eine Vereinbarung zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament darstellt, und der Standpunkt des Parlaments und der Kommission sollte in der endgültigen Vereinbarung berücksichtigt werden.
Hampton Court war in der Tat ein Erfolg. Hampton Court war der erste sehr wichtige Schritt in einem neuen Konsens für ein dynamisches, modernes Europa. Ich hoffe, dass der positive Geist der Dynamik und Offenheit, der dort bei allen herrschte, nun eine Einigung über den Haushalt herbeiführen wird. Ich werde die Präsidentschaft bei der Verfolgung dieses Ziels nach Kräften unterstützen und wünsche ihr und allen Mitgliedstaaten viel Erfolg.
(Beifall)
Präsident. Vielen Dank, Herr Barroso, die Präsidentschaft möchte darauf hinweisen, dass die Aussprache den Europäischen Rat von Hampton Court zum Thema hatte und sie jetzt zu einer Vordebatte über die Finanzielle Vorausschau wird. Doch das Präsidium wird den Rednern in der Aussprache nicht vorschreiben, worüber sie zu diskutieren haben. Sie können weiterhin auf die Finanzielle Vorausschau eingehen, wenn sie es wünschen, auch wenn dieses Thema nicht speziell in der Tagesordnung erscheint.
Hans-Gert Poettering, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Tag vor Hampton Court war der Präsident des Europäischen Rates hier, nicht der britische Premierminister. Er ist zwar auch britischer Premierminister, aber als britischer Premierminister ist er Präsident des Europäischen Rates.
Es war ein gutes Signal, dass Tony Blair einen Tag vor Hampton Court hier war. Ich fand, das war die richtige Reihenfolge: erst ins Parlament, und dann zu den Staats- und Regierungschefs. Ich begrüße es auch sehr, dass unser Präsident die ganze Zeit in Hampton Court war. Herr Ratspräsident, ich empfehle Ihnen, dass Sie für den Gipfel in Brüssel den Präsidenten des Europäischen Parlaments auch für die ganze Zeit einladen. Das wäre dann eine gute Grundlage für die Zukunft: Man würde sich immer an Großbritannien erinnern, das den Präsidenten des Europäischen Parlaments zur Gänze in den Europäischen Gipfel einbezogen hat.
Sie haben mit wunderbarem britischen Understatement die Qualität der hier anwesenden Abgeordneten erwähnt. Ich finde es wunderbar, wie Sie damit indirekt eine berechtigte Kritik zum Ausdruck bringen: Wir könnten hier zahlreicher sein. Aber Sie haben die Qualität angesprochen, und das zeigt, welcher Meister des Parlamentarismus Sie in Großbritannien sind.
Doch jetzt möchte ich etwas Wasser in den Wein gießen: Sie sprachen von den Besuchen der Minister, 48 Mal sei ein Minister in den europäischen Institutionen gewesen. Das finde ich toll, das wird sich sicher auch noch auf 60 erhöhen, weil wir ja noch sechs Wochen haben, aber am Ende ist entscheidend, dass der Quantität der Minister des britischen Ratsvorsitzes auch die Qualität entspricht, und da haben wir noch die Hoffnung, dass dies bis Ende Dezember dieses Jahres dann auch der Fall ist.
Sie haben gesagt, Europa sei weit weg von den Bürgern. Das ist wahr, darüber müssen wir nachdenken, wie wir das gemeinsam verbessern. Aber dies gilt natürlich auch für die nationale Politik. Insofern haben wir auf der nationalen und auf der europäischen Ebene eine gleiche Anstrengung zu unternehmen, um das Vertrauen in die Politik insgesamt herzustellen.
Ich denke – und das war wohl der Erfolg von Hampton Court –, dass, wenn man das von außen betrachtet, doch zwischen den Akteuren neues Vertrauen entstanden ist. Als Vorsitzender einer Fraktion mit Abgeordneten aus allen 25 Mitgliedstaaten sowie aus 45 nationalen Parteien weiß ich aus Erfahrung, dass man bei einer so schwierigen Interessenlage – die ja auch in den anderen Fraktionen, im Parlament hier insgesamt, wie auch bei den Regierungen besteht – Probleme nur bewältigen kann, wenn Vertrauen da ist. Wenn kein Vertrauen da ist, dann gibt es auch keine politischen Lösungen. Das ist unsere Forderung an die Staats- und Regierungschefs, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leistet, Vertrauen zu schaffen im Verhältnis zu den anderen Mitgliedern des Europäischen Rates.
Es war die Rede von der Zukunft Europas, vom Papier der Kommission, von der Globalisierung. Ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Entscheidend ist aber, dass wir einerseits die Globalisierung – dass wir eine Welt sind und immer mehr eine Welt werden, das ist doch der Kern der Globalisierung – im Kern akzeptieren; dass wir sie aber andererseits nicht nur erdulden, sondern gestalten, das heißt, dass wir die Auswüchse, die negativen Auswirkungen der Globalisierung, durch politisches Handeln gestalten. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe.
Nun möchte ich etwas sagen zu dem wichtigsten Bereich, der zu entscheiden sein wird, und zu dem Sie ja auch eine Debatte geführt haben, wenn auch am Rande. Der Präsident des Parlaments hat es ja schon erwähnt: es ist die Finanzielle Vorausschau. Ich rate Ihnen, wenn Sie gestatten – und wenn Sie es nicht gestatten, rate ich es Ihnen auch –, dass Sie bei der Finanziellen Vorausschau zu einer Lösung kommen. Denn Großbritannien war immer für die Erweiterung – und hier sind Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern, die am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten sind –, wenn es auch bei den institutionellen Fragen unseren gemeinsamen Weg nicht immer mitgegangen ist. Wenn Sie mit der Finanziellen Vorausschau scheitern, dann werden Sie insbesondere die am 1. Mai 2004 beigetretenen früheren kommunistischen Länder enttäuschen. Deswegen: Tun Sie alles, Herr Ratspräsident, damit Sie zu einem Ergebnis kommen! Dazu müssen Sie – und auch der Präsident des Europäischen Rates – allerdings auch den Mut haben, beim Britenrabatt einen klaren Strich zu ziehen.
Sie haben von einem fundamentalen Wandel gesprochen. Wahrscheinlich haben Sie die Agrarpolitik gemeint. Aber wir brauchen auch einen fundamentalen Wandel, was die Beiträge der einzelnen Mitgliedstaaten angeht, und da kann jetzt während Ihrer Präsidentschaft auch Großbritannien einen großen Beitrag leisten. Die Agrarpolitik ist bis zum Jahre 2013 beschlossen. Aber wenn es eine Lösung für den britischen Beitrag gibt, wenn wir zu einer Finanziellen Vorausschau kommen wollen, dann muss auch gesichert sein, dass wir zumindest im Sinne einer verpflichtenden Absichtserklärung bereit sind, zu einem bestimmten Zeitpunkt über eine weitere Reform der Agrarpolitik nachzudenken.
Herr Ratspräsident, vergessen Sie nicht, wenn Sie über die Finanzielle Vorausschau sprechen und hoffentlich zu Entscheidungen kommen – ich sage das auch an die Adresse der Kommission: Das entscheiden Sie im Rat nicht alleine! Das Europäische Parlament ist Teil der Haushaltsbehörde, und das Europäische Parlament ist gleichberechtigter Mitentscheider. Das heißt: Gewährleisten Sie, dass das Europäische Parlament voll einbezogen wird! Wir repräsentieren, wie Sie natürlich auch, die Bürger Europas, und wenn wir gemeinsam guten Willen zeigen, wenn wir gemeinsam Vertrauen haben, dann wird es auch möglich sein, die Probleme zu lösen.
(Beifall)
Robert Goebbels, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Beim Gipfel in Hampton Court gab es keine förmlichen Schlussfolgerungen. Es besteht die Gefahr, dass die dort abgegebenen Versprechen genau so kurzlebig sind wie die ehelichen Verbindungen, die König Heinrich VIII. in eben diesem Palast einging.
Die britische Präsidentschaft hat richtig gehandelt, als sie die 25 aufforderte, Reformen durchzuführen, stärker in Zukunftstechnologien zu investieren und die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung zu schaffen. Reformen werden nach wie vor gebraucht, aber für viele Europäer hat das Wort „Reform“ einen negativen Beigeschmack und steht für Arbeitsplatzverluste und Sozialabbau.
Jack Straw hat gerade den Standpunkt des Parlaments zur Arbeitszeitrichtlinie kritisiert. Ich rate dem Minister zu einer nochmaligen Lektüre des allerersten Übereinkommens, das die Internationale Arbeitsorganisation zu Zeiten des Völkerbundes verabschiedete und das auf eine 48-Stunden-Woche ohne Opt-out abzielt.
Die Reformen werden auf Einverständnis stoßen, wenn sie zum Allgemeinwohl beitragen. Dies wiederum setzt voraus, dass Europa nicht länger Schwarzmalerei und Defätismus betreibt. Im Ausland wird die Union als Vorbild gesehen. Das hat der chilenische Präsident hier im vergangenen Monat gesagt. Wenn man aber von den Mitteilungen der Kommission ausgeht, dann ist Europa spätestens 2050 ein einziges Altersheim. Wer von uns wird 2050 noch überprüfen können, ob sich diese düsteren Vorhersagen bewahrheitet haben? Ja, Europa wird es mit einer alternden Bevölkerung zu tun haben. Aber in Japan und Russland wird die Bevölkerung zurückgehen. Und was lässt sich über China mit seiner Ein-Kind-Politik sagen? Was lässt sich über Indien und die anderen Länder sagen, die ihr rasantes Bevölkerungswachstum nicht aufhalten können? Welches Land wird 2020 die größten demografischen Probleme haben, ohne überhaupt einen Blick auf das Jahr 2050 zu wagen?
Wenn es einen Bereich gibt, in dem Europa den USA nacheifern könnte, dann ist das die Einwanderungspolitik, die großzügiger gehandhabt werden könnte. Ein Großteil des Wachstums, das die USA in den letzten zehn Jahren erzielten, ist dem Beitrag von zehn Millionen Lateinamerikanern und Hunderttausenden europäischen und asiatischen Wissenschaftlern zu verdanken. Vor zwei Wochen beschloss der amerikanische Senat, jedes Jahr zusätzliche 330 000 Green Cards an hoch qualifizierte Einwanderer zu vergeben.
Die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist ein ständiges Sorgenthema. Vergleicht man Europa mit anderen, was die stündliche Wettbewerbsfähigkeit und insbesondere die industrielle Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, so zeigt sich, dass wir die USA in den meisten Wirtschaftssektoren mit Leichtigkeit schlagen. In der Mitteilung der Kommission zur Industriepolitik wird dies anerkannt. Die Europäische Union ist noch immer der wichtigste Standort und die wichtigste Quelle für internationale Investitionen. 2003 haben die 15 in die zehn neuen Länder viermal mehr investiert als in China, das nur 3,8 % der europäischen Investitionen erhielt. Also können wir aufhören, Angst vor China zu haben. Es ist ganz normal, dass ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen einen größeren Anteil am internationalen Handel hat, aber in absoluten Zahlen nimmt der Anteil Europas am internationalen Handel zu, auch wenn einige Branchen Schwierigkeiten haben. Außerdem wickeln wir neun Zehntel unseres Handels nicht mit Niedriglohnländern, sondern mit entwickelten Ländern ab.
Die Globalisierung bietet eine großartige Chance, die Armut in der Welt zu verringern. Seit nunmehr 50 Jahren hat der internationale Handel schneller zugenommen als das Weltsozialprodukt. Daran zeigt sich, dass der Außenhandel kein Nullsummenspiel ist, sondern Millionen Menschen den Ausbruch aus der Armut ermöglicht und zugleich den Verbrauchern in den wohlhabenden Ländern zugute kommt. Es sind letztendlich unsere Verbraucher, die, indem sie die preiswertesten Produkte kaufen, unsere Hersteller zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zwingen.
Die Union ist nach wie vor die stärkste Exportkraft der Welt, allen voran Deutschland, Frankreich und Italien. Trotzdem ist das Binnenwachstum in diesen drei Ländern zum Stillstand gekommen. Die Spareinlagen ihrer Bürger weisen Rekordhöhe auf. Die Amerikaner und die Briten dagegen konsumieren und verschulden sich in gefährlichem Maße. Um das Wachstum wieder ankurbeln zu können, müssen wir das Vertrauen der Europäer wiederherstellen. Der Markt lässt sich nicht umgehen, aber er ist nicht in der Lage, die Solidarität zu erzeugen, die kennzeichnend für das europäische Modell ist. Es erfordert politischen Willen, eine stärkere Solidarität zwischen unseren Ländern und innerhalb unserer Länder zu schaffen.
Politik ist stets auch eine Frage der Mittel, und in diesem Punkt stimme ich Herrn Barroso zu. Europa leidet an knappen Kassen. Tony Blair tut recht daran, uns zu höheren Investitionen in die Forschung und die Hochschulen aufzurufen. Dann sollte aber auch für den Unionshaushalt mehr aufgewendet werden als die kläglichen 1 % des BIP, die uns einige bedeutende Länder, angefangen mit Großbritannien, zugestehen wollen.
(Beifall)
Die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament wird die Präsidentschaft danach beurteilen, ob es ihr gelingt, eine realistische, aber auch großzügigere Finanzielle Vorausschau herbeizuführen. Der Dezembergipfel muss im Zeichen einer erneuerten Solidarität stehen. Wenn sich die 25 nachhaltig zu einer abgestimmten Revitalisierungspolitik sowie zur Steigerung der Investitionen in einzelstaatliche und transeuropäische Infrastrukturen bekennen, kann Europa wieder auf Wachstumskurs gehen, was unverzichtbar ist, um Akzeptanz für die schwierigen Strukturreformen zu erreichen. Das Wachstum ist es, das Stabilität hervorbringt, und nicht umgekehrt.
(Beifall)
Präsident. Vielen Dank, Herr Goebbels. Es wird immer heftiger debattiert, was ich begrüße, denn dann beteiligen sich mehr Abgeordnete.
Karin Riis-Jørgensen, im Namen der ALDE-Fraktion. – (DA) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann mir schon vorstellen, dass die Gruppentherapie auf hoher Ebene in Hampton Court wie geplant ablief. Schließlich fand sie in einer recht romantischen und exklusiven Umgebung statt, so dass die Teilnehmer alle Vorteile auf ihrer Seite hatten. Doch nun, da die Staats- und Regierungschefs nach ihrer Therapie wieder nach Hause zurückgekehrt sind, wird sich endgültig zeigen, ob die therapeutischen Bemühungen von Tony Blair Früchte getragen haben. Denn wir alle wissen ja, wenn Ehen langsam auseinander gehen, fallen die Partner oft wieder in ihre alten schlechten Gewohnheiten zurück. Insofern möchte ich an die Präsidentschaft und die Kommission ein praktisches Ersuchen richten.
In der Praxis können die EU-Länder gemeinsam nur sehr wenig unternehmen, um den notwendigen und gewünschten Reformprozess in Gang zu setzen, der auf die Modernisierung des europäischen Arbeitsmarktes abzielt, so dass er an die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft angepasst wird. Wir wissen schließlich alle, dass diese notwendigen Schritte von den einzelnen Mitgliedstaaten ausgeführt werden müssen. Reformmaßnahmen sind allein Sache der Nationalstaaten.
Die EU kann und muss jedoch an der Vollendung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes für den Kapital- und Dienstleistungsverkehr arbeiten. Deshalb möchte ich jetzt, da die Wirkung der Gruppentherapie noch anhält, die Präsidentschaft und die Kommission aufrufen, sich für die vollständige Liberalisierung des europäischen Dienstleistungs- und Kapitalmarktes einzusetzen. Ich bin davon überzeugt, dass ein erfolgreicher Abschluss dieses Prozesses zu echten Reformen auf dem Arbeitsmarkt führen wird, und zwar frei nach dem Motto: „Es gibt keine Alternative“. Die Bürger würden von einer solchen Reform immens profitieren, und genau darum geht es ja schließlich auch bei der europäischen Zusammenarbeit: Unseren Mitbürgern soll ein zusätzlicher Nutzen entstehen.
Ich habe auch eine unmissverständliche Frage an Sie, Herr Straw. Sie kamen auf den Jahresbericht des Rechnungshofs zu sprechen. Sind Sie bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem Sie und das Vereinigte Königreich die Verantwortung für die Verwaltung der EU-Beihilfen in Ihrem Land übernehmen? Denn Ihr Finanzminister hat sich vergangene Woche leider geweigert, dies zu tun. Ich erwarte eine klare Antwort von Ihnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Pierre Jonckheer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Straw, Herr Barroso! Ich hätte drei Anmerkungen zu Ihrem Redebeitrag, Herr Straw.
Was die von Ihnen erwähnte Haager Konferenz angeht, erlaube ich mir, Ihnen in aller Bescheidenheit zu empfehlen, den Verfassungsentwurf noch einmal zu lesen, den Sie unterzeichnet haben und der, meiner Meinung nach, sowohl für die Zuständigkeitsverteilung als auch für die Rolle der nationalen Parlamente Lösungen anbietet. Weshalb sollte dieser Entwurf aufgegeben werden?
Was die Sozialpolitik und die Arbeitszeit-Richtlinie angeht, stimme ich Ihnen zu: Wir müssen die nationale Vielfalt befürworten, aber wenn wir uns schon an einem Vorbild orientieren möchten, dann würde ich das skandinavische Vorbild wählen.
Was nun den Binnenmarkt betrifft, hoffe ich, dass Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass der Wettbewerb auch fair and balanced sein muss. In anderen Worten, der Binnenmarkt baut auch auf gemeinsamen sozialen Normen auf und entspricht somit dem Geist der Verträge.
Was schließlich den Haushalt angeht, denke ich, dass wir es mit einem echten Glaubwürdigkeitsproblem zu tun haben, und zwar sowohl auf der Ebene der Einnahmen als auch der Ausgaben – Kommissionspräsident Barroso und das Europäische Parlament haben dies oft genug angedeutet. Wenn die Europäische Union mit 25 Mitgliedstaaten gut funktionieren soll, wir unsere konstante Solidarität mit den neuen Mitgliedstaaten zeigen und mit ausreichenden Mitteln Außenpolitik machen möchten - vielleicht mit mehr als 5 % des Haushalts - muss der Gemeinschaftshaushalt aufgestockt werden.
Vor allem - hiermit werde ich enden - müssen wir diese Haushaltsdebatte, die von einem Anstieg nationaler Interessen geprägt ist, beenden. In der von der Kommission und dem Parlament geforderten Halbzeitbewertung müssen die Ratspräsidentschaft und der gesamte Europäische Rat die politische Verpflichtung eingehen, einen europäischen Mechanismus vorzuschlagen, durch den die Europäische Union mit wirklich unabhängigen Mitteln für die Zukunft der Gemeinschaftspolitiken ausgestattet wird. Durch ein solches Engagement könnten wir unsere Mitbürger vielleicht vom Nutzen der Gemeinschaftspolitik überzeugen.
Kyriacos Triantaphyllides, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute die Gelegenheit haben, in Anwesenheit des amtierenden Ratspräsidenten und des Präsidenten der Kommission eine Einschätzung des informellen Europäischen Rates vorzunehmen, der Ende des letzten Monats abgehalten wurde.
Obgleich die Idee, den Rat einzuberufen, keine schlechte Idee war, haperte es leider am meisten bei der Durchführung. Zu einer Zeit, da die Europäische Union am Ende ist, nimmt man nur einmal die zwanzig Millionen Arbeitslosen, die wir haben, zu einer Zeit, da wir nicht wissen, wie wir die sozialen Probleme, insbesondere die, die kürzlich in Frankreich zum Ausbruch kamen, in den Griff bekommen sollen, und da das Vertrauen der Bürger in ihre Regierungen mit geometrischer Progression sinkt, war die Idee, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in London treffen, um über das europäische Sozialmodell und den Widerstand gegen die Globalisierung zu diskutieren, in der Tat an sich eine gute Idee.
Anstatt dass jedoch Einigkeit herrschte, erlebten wir leider wieder einmal die üblichen Streitereien über ein für die Zukunft Europas so wichtiges Thema wie die Finanzielle Vorausschau.
Ich möchte das Haus daran erinnern, dass Herr Blair in seiner Rede, die er hier im Europäischen Parlament von der gleichen Tribüne aus am 23. Juni gehalten hat, erklärte, er wäre immer schon ein enthusiastischer Verfechter Europas gewesen. Ich frage mich, viereinhalb Monate später, wie Herr Blair diese Worte in die Praxis umsetzt. Was lässt sich über die Präsidentschaft seines Landes bis zum jetzigen Zeitpunkt sagen, da wir einen Monat vor ihrem Ende keine Einigung über die Finanzielle Vorausschau erzielt haben. Das Sozialmodell hat sich nicht ein Stückchen weiterentwickelt und die Antwort des Rates auf die Globalisierung ist die Einrichtung eines Anpassungsfonds mit unklarer Zielsetzung.
Ich frage mich wirklich, Herr Kommissionspräsident, ob Sie sich ernsthaft Gedanken über die Reaktion der entlassenen Arbeitnehmer gemacht haben, wenn Sie ihnen sagen, dass es mit diesem Fonds ein Allheilmittel für alle Übel der Globalisierung gibt.
Die britische Präsidentschaft hatte die Gelegenheit, in Hampton Court Geschichte zu schreiben. Stattdessen demonstrierte sie ein weiteres Mal, dass es sich hierbei um eine Interessenvereinigung handelt, die Zeit und öffentliche Gelder mit sinnlosen Diskussionen vergeudet und für deren Fehler leider die europäischen Bürgern zahlen müssen.
Michael Henry Nattrass, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Das Treffen in Hampton Court sollte zum Gipfel des „Sozialmodells“ werden. Dann pflegte Herr Blair das Soziale - derselbe Herr Blair, der im Juli zielbewusst nach Brüssel fuhr und schonungslose Reformen versprach, dann aber einen derartigen Schongang einlegte, wie es bislang keinem EU-Ratsvorsitz gelungen ist.
In den Kommentaren nach Hampton Court zeigten sich viele verblüfft, dass nichts passiert ist. Eine Bezeichnung wie Hampton-Court-Bluff wäre eigentlich passender. Im deutschen Fernsehsender ARD hieß es, dass nach vier Monaten nichts passiert sei - rein gar nichts. Die polnischen Medien nannten ihn einen der seltsamsten EU-Gipfel. „La Repubblica“ in Italien nannte ihn einfach den Gipfel der Verlegenheit und der Peinlichkeit.
Herr Blair behauptete, man habe dort die Dinge diskutiert, die die Öffentlichkeit dort diskutiert haben wollte, jedoch will die Öffentlichkeit keine europäischen Hochschulmaßnahmen, wenn die EU für Bildung nicht zuständig ist. Genauso wenig will sie so etwas wie neun separate Einsätze auf der Welt im Rahmen der EU-Verteidigungspolitik.
Wenn Hampton Court eines gezeigt hat, dann dass ein Vakuum gefährlich ist, wenn es mit heißer Luft von Politikern gefüllt wird. Ich schlage vor, dass an der Mauer in Hampton Court eine Erinnerungstafel angebracht wird, auf der steht: „An diesem Ort passierte am 27. Oktober 2005 nichts“, oder wie man in Yorkshire sagt: „Eee, you must be jokin“.
Roberta Angelilli, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Um Ihre einführenden Worte frei wiederzugeben Herr Straw, ich bin hier und ich erlaube mir, Ihnen zu widersprechen. Aber Scherz beiseite – trotz der begrüßenswerten guten Absichten von Herrn Blair und Herrn Barroso ist das praktische Ergebnis des Gipfels von Hampton Court höchst unbefriedigend.
Vor allem erscheint die heiß ersehnte Plattform zum europäischen Sozialmodell der Europäischen Kommission eher enttäuschend. Es wurden keine reale Strategie und keine Ziele für eine echte Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft vorgeschlagen, sondern vielmehr eine Politik der Schadensbegrenzung. Hinter den lautstarken Forderungen nach einer „Lissabonisierung“ der Ressourcen und dem Globalisierungsfonds verbirgt sich bisher nichts Konkretes.
Was Herrn Blair anbelangt, so ist die Bilanz seiner Politik gewiss nicht positiv. Trotz ständiger Beteuerungen nach außen hin gibt es de facto keine Vereinbarung über die Finanzielle Vorausschau, die eindeutig den Kern des Problems darstellt.
Schließlich und endlich hat man vor allem nicht die reale Absicht, den unfairen Briten-Rabatt erneut zur Diskussion zu stellen. Das ist ein Privileg, das hauptsächlich von Italien und Frankreich bezahlt wird, wobei unseren beiden Ländern wertvolle Ressourcen entzogen werden.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! So wie es sich heute anhört, könnte man meinen, dass in Hampton Court viel erreicht wurde, aber wie wir bereits vernommen haben, war das Urteil der gut informierten EU-Presse fast durchgängig negativ. Eine Presseagentur berichtete, dass sich viele Zeitungen nicht an einen Fall erinnern könnten, in dem es mehr unnützes und leeres Getue ohne Ergebnis gegeben habe. Eine Zeitung sprach von einer bizarren Show mit entspannten Staatsoberhäuptern, die sich um die dringendsten Probleme, vor denen Europa steht, herumdrückten. Eine andere Zeitung nannte es einen Sackgassen-Gipfel mit einer Fassade aus erzwungenem Lächeln. Die „Financial Times“ schrieb in einem Artikel, dass die Staats- und Regierungschefs die Frage beantworten wollten, welche Auswirkungen die Globalisierung auf die europäische Wirtschaft haben würde, und zu dem Schluss gekommen seien, dass wir mehr Forschung und Entwicklung bräuchten – und natürlich mehr Geld. Mit anderen Worten, sie wussten keine Antwort auf die Frage. Die EU, so schrieb die „Financial Times“, sei die falsche institutionelle Plattform, um die Globalisierung anzugehen. Sie sei mittlerweile zu groß und zu gespalten. Die richtige politische Ebene seien die nationalen Regierungen und die Eurozone. Ich glaube, dass der Artikel in der „Financial Times“ der Wahrheit sehr nahe kommt. Wenn die einzelnen Mitgliedstaaten mit dem gleichen Aufwand und der gleiche Energie, die sie in die Vorbereitung von Show-Gipfeln gesteckt haben, der Frage nachgegangen wären, wie sie als Nationen in einem globalen Markt konkurrieren können, dann hätten wir wohl ein deutlich besseres Resultat.
Was mir angesichts des gescheiterten Gipfels von Hampton Court und der glanzlosen britischen Präsidentschaft die größte Sorge bereitet, ist, dass meine Regierung nun alles daran setzen wird, im Dezember eine Haushaltsvereinbarung zu erzielen, mit der sich das Gesicht wahren lässt, und dass Herr Blair infolgedessen beim Britenrabatt viel zu große Zugeständnisse machen wird, nur damit gesagt werden kann, es sei unter der britischen Präsidentschaft irgendetwas erreicht worden – und zwar etwas anderes als der garantierte Bankrott der EU durch einen forcierten Türkeibeitritt.
Timothy Kirkhope (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Es tut mir sehr Leid, aber ich fürchte, ich muss mich auch etwas barsch ausdrücken. Der Gipfel in Hampton Court wurde zu dem, wovor ich gewarnt hatte: zu einer Art Quasselclub – oder sogar zu einem Quasselpalast. Und ich glaube, die Rede von Herrn Straw war, wie Churchill einmal sagte, „ein Pudding ohne Thema“.
Zunächst einmal hat der Premierminister das Treffen in Hampton Court auf nur einen Tag angesetzt. Dann stellte er eine Tagesordnung zusammen, die wenig Konkretes enthielt und alle wichtigeren und drängenden Probleme, die sich der EU stellen, aussparte, und zur Überraschung beschloss er dann auch noch, dass es am Schluss gar kein Kommuniqué geben würde. Das ist nicht gerade eine Auszeichnung für einen Ratsvorsitz und einen Premierminister, der über die Agenda entscheidet und unsere Zukunft gestaltet. Ich bin ziemlich erstaunt, dass uns die Präsidentschaft überhaupt etwas vom Gipfel zu berichten hat. Zumindest erhält dieses Parlament aber einen Bericht, den der Premierminister dem britischen Unterhaus nach der Veranstaltung leider vorenthalten hat.
Der informelle Rat war eine vertane Chance. Europa braucht klare Vorgaben bei den Wirtschaftsreformen. Stattdessen legte die Präsidentschaft eine Reihe von Diskussionspapieren vor, die von Professoren geschrieben wurden, doch selbst darüber wurde nicht diskutiert. Europa braucht klare Vorgaben bei der Reform des so genannten Sozialmodells. Auch hier gab es nur ein paar lobenswerte, aber belanglose Diskussionspapiere. Europa braucht klare Vorgaben, um flexibler zu werden und besser zu reagieren. Jedoch lag die entscheidende Frage, was nämlich nach der Ablehnung der Verfassung zu tun sei, nicht einmal zur Diskussion vor. Europa braucht auch klare Vorgaben bei seiner künftigen Finanzierung. Es gibt hier ernste Probleme, nicht zuletzt die Frage des Britenrabatts. Die Präsidentschaft jedoch weicht den Dingen immer wieder aus, und man dümpelt weiter.
Ich stimme Herrn Barroso zu, dass die Präsidentschaft Anstrengungen unternehmen muss, damit bei der Ratstagung im Dezember ein Ergebnis erzielt wird. Wir werden uns sehr genau anschauen, wie es im Einzelnen aussieht und ob Herr Blair seine früheren Zusagen zum Schutz des Britenrabatts über Bord wirft.
Transparenz und Offenheit sind ein weiteres Thema der Präsidentschaft. Ich habe kürzlich gefordert, dass die Tagungen des Rates öffentlich stattfinden, wenn er als Gesetzgeber tätig wird. Herr Blair sagt, er wolle hier Fortschritte erzielen. Ich ersuche die Präsidentschaft nachdrücklich, ein solches Verfahren vor dem Ende ihrer Amtszeit einzuführen, und ich bin gespannt auf die entsprechende Antwort des Rates in der Fragestunde nach dieser Aussprache.
Was ist mit dem Bericht des Rechnungshofs über den Jahresabschluss der EU? Zum elften Mal in Folge konnte der Rechnungshof keine positive Zuverlässigkeitserklärung erteilen. Das muss die Präsidentschaft wirklich in Ordnung bringen. Zaudern und Unentschlossenheit sind die wesentlichen Merkmale der britischen Präsidentschaft gewesen. Als sich der slowakische Premierminister dazu äußerte, sagte er „Es herrscht Schweigen. Wir haben keine Informationen.“ Ich muss mich dieser Beurteilung anschließen, und auch wenn ich die Rede von Herrn Straw heute genossen habe, kann ich nicht erkennen, dass sie uns auch nur ansatzweise weiterbringt.
In Hampton Court gab es keine Anzeichen dafür, dass die Präsidentschaft und insbesondere der Premierminister irgendeine Strategie haben. Er vermittelte stets den Eindruck, als taumele er von Gipfel zu Gipfel und sei nicht in der Lage oder nicht willens, die Führungsrolle zu übernehmen, die wir britischen Konservativen im Juni gefordert haben. Wollen wir hoffen, dass sich bei der allerletzten Gelegenheit, nämlich dem bevorstehenden Gipfel in Brüssel, doch noch zeigen wird, dass meine Enttäuschung über die britische Präsidentschaft unangebracht ist.
Gary Titley (PSE). – (EN) Herr Präsident! Vor kurzem wurde ein von der britischen Regierung gesuchter Terrorismusverdächtiger festgenommen und von Rom aus binnen weniger Wochen ausgeliefert. Dies ist eindeutig dem Europäischen Haftbefehl zu verdanken; früher hätte es Jahre dauern können. Das ist nur ein Beispiel für die Verbesserungen, die die Europäische Union ihren Bürgern bringt.
Jeder Bürger profitiert vom Binnenmarkt, da sich die Leistung pro Kopf um etwa 6 000 Euro erhöht hat. Jetzt ist es zum Beispiel auch möglich, bei Blackpool, wo ich herkomme, im Meer zu baden, was den Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu verdanken ist, mit denen die Umwelt verbessert wurde. Dies ist ein Gewinn für unsere Bürger. Auf diese Verbesserungen müssen wir stärker aufmerksam machen.
Ich begrüße die Dokumente, die in Hampton Court vorgelegt wurden, weil sie sich damit befassen, wie die Europäische Union unseren Bürgern einen zusätzlichen Nutzen bringen kann, insbesondere im Bereich der Energiemärkte, wo es jederzeit zu einer Krise kommen kann. Wir müssen aber dafür sorgen, dass diese Dinge vorangetrieben werden. Eine der Schwierigkeiten bei der Lissabon-Agenda besteht genau darin, dass die Mitgliedstaaten selbst versprechen, ihr nachzukommen, es aber nicht tun. Ich hoffe einmal, dass die Beratungen von Hampton Court zu einer Klärung führen werden, welche Aufgabe die Mitgliedstaaten haben und welche wichtige Aufgabe die Europäische Kommission hat, um dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten das umsetzen, was bereits vereinbart wurde. Würde dies geschehen, dann könnte die Europäische Union viel weiter vorankommen, ohne unbedingt große Pläne zu verfolgen, wie sie von einigen in dieser Aussprache skizziert wurden. Bleiben wir doch dabei, das einzulösen, was wir vereinbart haben. Darin wird der entscheidende Erfolg der Europäischen Union bestehen.
Ich gratuliere dem amtierenden Ratspräsidenten für die Zusage seiner Präsidentschaft an das Parlament. Wir sind sehr erfreut darüber, in welchem Maße die Minister das Parlament eingebunden haben, und insbesondere, in welchem Maße der britische Innenminister dafür gesorgt hat, dass das Parlament bei der Weiterentwicklung der Sicherheitsagenda einbezogen wurde. Dies ist einer der wichtigsten Aspekte bei der Frage, welchen Weg die Europäische Union künftig einschlägt, um die Interessen ihrer Bürger zu schützen.
(Beifall)
Marielle De Sarnez (ALDE). – (FR) Herr Präsident! Ein Treffen umsonst oder fast, in einem angenehmen Rahmen, in der warmen Herbstsonne - das war die Tagung des informellen Europäischen Rates in Hampton Court. Kein konkretes Ergebnis, kein Fortschritt, keine Perspektive. Kurz gesagt, die Staats- und Regierungschefs haben nicht einmal versucht, einen Lösungsansatz für die tiefe Krise, in der Europa steckt, vorzuschlagen, als ob sie sich eigentlich sehr gut damit abfänden. Stattdessen beteten sie wie gewöhnlich die Litanei von schon tausendmal wiederholten Vorschlägen herunter. Ja, natürlich muss Europa seine Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung verstärken. Ja, natürlich brauchen wir akademische Exzellenzzentren in Europa. Ja, natürlich brauchen wir eine gemeinsame Energiepolitik. Ja, natürlich, auch eine wirkliche Einwanderungspolitik brauchen wir. Und schließlich, ja, natürlich braucht Europa eine Sicherheitspolitik.
Wir stoßen jedoch immer auf dieselben Probleme. Wenn wir etwas gemeinsam machen möchten, benötigen wir einen politischen Willen, effiziente und demokratische Institutionen und einen gemeinsamen Haushalt. Es muss jedoch festgestellt werden, dass in diesen drei Punkten von der britischen Ratspräsidentschaft nichts unternommen, nicht einmal versucht wurde. Die britische Ratspräsidentschaft hat es nicht nur versäumt, die Union wieder in Gang zu bringen, sondern auch zu deren Schwächung beigetragen. Von nun an trägt die britische Ratspräsidentschaft klare Verantwortung.
Herr Straw, der Dezembergipfel wird die letzte Chance sein, um Europa mit angemessenen Mitteln auszustatten und dadurch all denjenigen Hoffnung zurückzugeben, die an Europas Zukunft glauben. Es wird aber auch die letzte Gelegenheit für den britischen Premierminister sein, dafür zu sorgen, dass er nicht als ein Mann in die Geschichte eingeht, der zur europäischen Niederlage beigetragen hat, als derjenige, der bewusst einen Schlussstrich unter die politische Union Europas gezogen hat.
Elisabeth Schroedter (Verts/ALE). – Herr Präsident! Herr Ratspräsident, mit Verlaub, der Gipfel von Hampton Court war die größte Peinlichkeit, die sich eine Präsidentschaft je geleistet hat. Anstatt die dringenden Probleme wie die Finanzielle Vorausschau und die Verfassungsdebatte voranzubringen, wurden diese Punkte von der Tagesordnung gestrichen. Selbst dem gesetzten Thema „Soziales Europa“ ist der Gipfel nicht gerecht geworden. Keines der Politikinstrumente für ein soziales Europa ist diskutiert worden, weder Mindeststandards noch Arbeitsgesetzgebung noch die Instrumente zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung.
Ihre Vorschläge, Herr Minister Straw, sind Kleinstaaterei und bringen das soziale Europa nicht voran. Statt Aktionen gab es nur Ideen; statt mit proaktiven Maßnahmen der Globalisierung zu begegnen, haben Sie mit reaktiven Maßnahmen reagiert, wie z. B. diese Idee des Anti-Schock-Fonds. Ziel darf es aber nicht sein, ein rückwärts gewandtes Europa zu entwickeln, sondern das Ziel muss ein zukunftsfähiges Europa sein.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Es genügt nicht, einfach festzustellen, dass es in der EU und überall in der Welt soziale Probleme gibt. Wie meine Fraktion auf der informellen Sitzung Ende Oktober erklärte, kommt es darauf an, dass wir diese Probleme analysieren und die Politik ändern, die der Grund dafür ist.
Die Wahrheit ist doch, dass das, was wir hier gehört haben, keine Garantie dafür bietet, dass diese Politik verändert wird, obwohl allgemein unbestritten ist, dass die Bürger zunehmend unzufrieden sind und dass in einigen Ländern, direkt hier in der EU, ernste soziale Spannungen herrschen.
Statt mit dringend notwendigen Vorschlägen angemessen auf diese gravierenden sozialen Probleme zu reagieren, legt der Rat den Akzent auf die nur allzu vertraute neoliberale Blaupause, nämlich die Lissabon-Strateige, mit ihrer Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in Verbindung mit sogar noch unsichereren Arbeitsbedingungen. Ein Beispiel ist der berüchtigte Vorschlag für eine Richtlinie zur Schaffung eines Binnenmarktes für Dienstleistungen, ebenso in einigen Fällen der Stabilitäts- und Wachstumspakt, ein weiterer Nagel im Sarg der Arbeitnehmer und der kleinen und mittleren Unternehmen.
Da der Wettbewerb als Maß aller Dinge gilt, erhalten stets solche Maßnahmen Vorrang, mit denen Wettbewerb zwischen Arbeitnehmern erzeugt werden soll, um Löhne und andere Sozialleistungen immer weiter nach unten zu treiben. Daher die Betonung von größerer Beschäftigungsflexibilität, Mobilität und Förderung von Verlagerungen, bei denen Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben und die eine größere Arbeitslosigkeit und einen unsichereren Arbeitsmarkt zur Folge haben.
Wie der gewaltige Anstieg der Gewinnspannen für die großen Wirtschafts- und Finanzgruppen in der EU beweist, sind die aktuellen Politikmaßnahmen im Wesentlichen darauf ausgerichtet, die Wünsche der Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE) zu erfüllen. Was wir heute gehört haben, folgt dem gleichen Szenarium. Man spricht davon, ein günstiges Umfeld für alle Unternehmen zu schaffen, aber wir wissen doch, dass es bei den betreffenden Unternehmen nur um die großen geht.
Herr Mandelson hat dies hier gestern vollkommen deutlich gemacht, als er sich zu den Sorgen über die Folgen der Liberalisierung des Welthandels in Industriesektoren äußerte, die für die Länder Südeuropas lebenswichtig sind, wie etwa Textilien, Bekleidung und Schuhwaren, die man bei den WTO-Verhandlungen als Unterpfand einsetzt, um Vorteile für High-Tech-Sektoren und –Dienstleistungen zu erzielen. Diese Tendenz gilt es umzukehren.
Mario Borghezio (IND/DEM). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck, dass die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Treffen in Hampton Court in einem luftleeren Raum verhandelt haben.
In den großen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen, die in zahlreichen bisherigen Redebeiträgen erwähnt worden sind, wurden ausgesprochen dürftige Ergebnisse erzielt. Während Städte in halb Europa brennen, finde ich es schrecklich, dass nur so allgemein und vage über die Einwanderung und die soziale und wirtschaftliche Krise gesprochen wurde, die doch faktisch die Ursache für die Ausschreitungen in Paris, Straßburg und Brüssel sind.
Die Kampfansage, die diese rebellierenden Jugendlichen an uns richten, stellt jedoch eine sehr ernste Gefahr dar, und wir sollten sorgfältig darüber nachdenken, wenn wir über die Einwanderung sprechen. Ich will gewiss nicht diesen Jugendlichen die Schuld geben, sondern vielmehr jenen, die diese falsche Politik ausgearbeitet haben, jenen, die heute immer noch derart bürokratisch, allgemein und oberflächlich über die Einwanderung sprechen.
Wir haben die Herausforderung der Migration nicht bewältigt. Unsere Einwanderungspolitik war eine Niederlage für Europa, und ich sehe es als unsere Pflicht an, diese Tatsache anzuerkennen und darüber zu diskutieren. Ich meine, dieser Gipfel hätte ein Beispiel in diesem Sinne geben müssen, und die von der Kommission vorgeschlagene Lösung – die Bereitstellung einer Handvoll Geld für die Pariser Vororte – ist meines Erachtens nicht die richtige Antwort.
Stattdessen müssen wir bei den Wurzeln ansetzen, unsere Politik ändern und unsinnige Beschlussfassungen abstellen, wie die Erleichterung der Familienzusammenführungen oder die extreme Erleichterung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit. Im Wesentlichen brauchen wir also eine vernünftige Einwanderungspolitik.
Armando Dionisi (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, Herr Minister, meine Damen und Herren! Die von den Staats- und Regierungschefs in Hampton Court geführten Gespräche bedeuten eine wichtige Anerkennung der Schwierigkeiten, denen sich die Europäische Union gegenwärtig gegenübersieht. Die Tatsache, dass die 25 nach den Spannungen der letzten Monate ihre Fassung wiedergefunden haben und gewillt sind, die Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau im Dezember abzuschließen, muss in einem positiven Licht betrachtet werden.
Gleichwohl möchte ich den Rat darauf aufmerksam machen, dass keine Einigung angestrebt werden darf, bei der man nur nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner sucht, und vor allem, dass der Standpunkt des Parlaments nicht ignoriert werden darf. Die Prioritäten, die Tony Blair für die Neubelebung Europas bestimmt hat – Forschung, Innovation und lebenslanges Lernen –, sind Vorschläge, die unterstützt werden müssen und die tatsächlich in unserem Bericht über die Finanzielle Vorausschau enthalten sind.
Zudem stellen die Forderung nach einer europäischen Energiepolitik, die Aufstockung der Gemeinschaftshilfe für die Transitländer der Einwanderer und der Ausgleichsfonds für die Globalisierung vorrangige Ziele für Europa dar, für die jedoch angemessene Finanzmittel benötigt werden.
Die Unionsbürger sind sich dessen bewusst, dass inzwischen keine Regierung mehr allein eine Antwort auf die schlimmsten der gegenwärtigen Probleme zu geben vermag, als da sind Arbeitslosigkeit, mangelnde Arbeitsplatzsicherheit, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, internationaler Terrorismus und illegale Einwanderung. Nur Europa kann wirksam darauf reagieren sowie Wohlstand und Sicherheit für unsere Länder gewährleisten. Ein dürftiger Haushaltsplan wird es nicht ermöglichen, diese Herausforderungen zu bewältigen, doch die Tagung des Europäischen Rates im Oktober war ein ermutigender Start. Aus diesem Grund sehen wir mit verhaltenem Optimismus dem Dezember-Gipfel entgegen.
Bernard Poignant (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich habe in meinem französischen Wörterbuch das Wort „informell“ nachgeschlagen. „Informell“ bedeutet im Französischen schlecht geformt und schwerfällig. Dieses Adjektiv wurde 1580 von Montaigne benutzt, um etwas zu bezeichnen, das schwer zu definieren ist. Die Beurteilung des Gipfels von Hampton Court und des Phantoms von Catherine Howard überlasse ich Ihnen selbst.
Sie haben nicht viel Glück gehabt in Ihrer britischen Ratspräsidentschaft. Frankreich hat Nein gesagt, und man verlangt vom Vereinigten Königreich, Europa wieder zu beleben. Ich finde, das ist viel verlangt. Dabei wurden unseren Mitbürgern viele Jahre lang Aussichten geboten, mit denen sie lebten und leben mussten. Das sind die Wiedervereinigung Europas, die Verfassung, die Grundrechtecharta, der Binnenmarkt und die gemeinsame Währung.
Wenn ich an unsere Mitbürger denke, habe ich das Gefühl, dass Lissabon dieser Rolle nicht gerecht wird. Heute stehen wir vor einer Leere. Im Grunde genommen habe ich nichts gegen die Prioritäten des Gipfels einzuwenden. Das ist nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist die Verbindung zum Bürger. Es ist, als ob etwas verloren gegangen ist, das wir einst teilten. Ich denke, dass der nächste oder die nachfolgenden Gipfel uns die Möglichkeit geben sollten, wieder eine Perspektive zu finden, die wir mit unseren Mitbürgern teilen können. Natürlich denkt man dabei an den Zusammenhalt der 25, der manchmal als Marshall-Plan für diejenigen, die zu uns stoßen, bezeichnet wird. Denn die nie endende Erweiterung und die Knauserei bei der Finanzierung entgehen den Bürgern nicht. Das ist überhaupt nicht gut. Meiner Ansicht nach wäre es gut, trotz allem den Begriff „Harmonisierung“ wieder in den europäischen Wortschatz aufzunehmen, der sozusagen vom Aussterben bedroht ist, was ebenfalls bedauerlich ist. Dabei bleiben noch viele Dinge zu harmonisieren. Wir werden nicht alles harmonisieren, aber in einigen Bereichen können noch Fortschritte erzielt werden. Wenn wir dies versäumen, wenn wir diesen Begriff und diesen Wert vernachlässigen, werden sich die Bürger von uns abwenden.
Abschließend liegt mir noch ein anderes Thema am Herzen, und zwar der Jugendaustausch. Ich habe mir die Statistik angesehen. 2005-2006 finanziert Europa im Rahmen der drei Programme Comenius, Erasmus und Leonardo den Austausch von 280 000 Jugendlichen. Es gibt jedoch 58 Millionen von ihnen. Die Mittel hierfür zu verzehnfachen, würde uns nicht allzu viel kosten, insbesondere wenn man bedenkt, dass es diese jungen Menschen sind, die wir das Bewusstsein für Europa lehren müssen.
Jack Straw, amtierender Ratspräsident. (EN) Herr Präsident! Ich möchte zunächst auf zwei spezifische Punkte eingehen und dann einige allgemeine Anmerkungen zu der Aussprache machen. Frau Riis-Jørgensen stellte mir eine Frage zum Rechnungshof und bat um ein klares Ja oder Nein. Es tut mir wirklich sehr leid, aber ich muss Ihnen mit einem Ja und einem Nein antworten, da diese Angelegenheit in den Händen der Finanzminister liegt, und Sie wissen ja, wie die sind! Die Antwort auf Ihre Frage lautet, dass der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ am 8. November Schlussfolgerungen verabschiedet hat, in denen eine Reihe von Maßnahmen sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Die Minister haben über einen Fahrplan gesprochen, der ihrer Meinung nach unerlässlich ist, und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil damit größeres Augenmerk auf die Verantwortung der Mitgliedstaaten gelegt wird, ihre Buchprüfungssysteme zu verbessern und die Mittelverwendung in ihrem Land zu kontrollieren. Ich vertrete die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten über die Gelder, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, auch ordentlich Rechenschaft ablegen sollten. Wenn sie keine Kontrolle über die Mittel haben, dann wird sich die Europäische Union darum kümmern müssen, aber ich teile Ihre Ansicht, dass wir unsere Finanzminister zu einer Einigung drängen sollten. Dafür sind jedoch die Kommission und das Parlament gemeinsam verantwortlich. Wir alle stehen hier in der Pflicht.
In Bezug auf die Frage der Transparenz, die Herr Kirkhope aufgeworfen hat, ist zu sagen, dass wir in Kürze ein Optionspapier mit Ideen zur Verbesserung der Transparenz herausgeben und dem Rat im Wesentlichen zwei Optionen vorlegen werden. Es ist dann Sache des Rates, mit einfacher Mehrheit einen Beschluss zu fassen, so wie dies bei Verfahrensfragen üblich ist. Daher bin ich froh, dass ich Herrn Kirkhope zumindest in dieser Frage zufrieden stellen kann.
Die Kolleginnen und Kollegen haben heute kein Blatt vor den Mund genommen, und so werde auch ich Klartext sprechen. Ich habe ein Problem damit, dass einige Kolleginnen und Kollegen einerseits auf die Notwendigkeit von Veränderungen hinweisen, andererseits aber der Meinung sind, dass die Zukunft der Europäischen Union dennoch in der Vergangenheit liegen würde. Dazu kann ich nur sagen, dass wir die Globalisierung nicht einfach ignorieren können. Es mag ja sein, mein lieber Freund, dass die Franzosen die Globalisierung nicht mögen, aber wir müssen uns ihr trotzdem stellen, denn ansonsten wird sie uns alle verschlingen. Ich habe die Globalisierung nicht erfunden, Präsident Barroso hat sie nicht erfunden und auch Präsident Chirac hat sie nicht erfunden. Die Globalisierung ist nun einmal einfach da. Sie ist das Ergebnis anderer Politiken, die wir über viele Jahre hinweg verfolgt haben, wie den Aufbau der Welthandelsorganisation, die Förderung des freien Handels und die Bekämpfung der Armut in Asien, Afrika und Lateinamerika. Und nun möchten diese Länder natürlich am Handel teilhaben und ihre Wettbewerbsvorteile ausnutzen, so wie wir das ja früher auch getan haben. Das bedeutet, dass das alte europäische Wirtschafts- und Sozialmodell nicht mehr in dem Maße wie früher für Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Arbeitsplätze sorgen wird. Das stellt eine große Herausforderung dar, insbesondere – wenn ich das sagen darf – für das Land, das Sie vertreten, und einige andere europäische Staaten. Dennoch verstehe ich einfach nicht, weshalb Sie weiterhin an alten Methoden festhalten, wie unflexiblen Regulierungsmaßnahmen im Bereich Beschäftigung, wozu auch die Arbeitszeitrichtlinie gehört. Solche Maßnahmen mögen ja in der Vergangenheit funktioniert haben, aber künftig werden sie nichts mehr taugen.
Frankreich ist ein Land, das sich dessen sehr wohl bewusst ist, und gerade deshalb werden in Frankreich solche Vorschriften häufiger unterlaufen als in anderen Ländern. Frankreich gehört zu den Ländern, die der Auffassung sind – so wie wir das verstehen –, dass die Menschen danach beurteilt werden können, ob sie auf vertraglicher Basis 48 Stunden arbeiten und weniger danach, ob das 48 Stunden als Arbeitgeber sind. Wir möchten jedoch bei der Umsetzung einer Rechtsvorschrift – selbst wenn sie unbequem ist – nicht von Ländern bezüglich unserer Beschäftigungspraktiken belehrt werden, die erst die Trommel für die Umsetzung rühren und dann ein Hintertürchen nutzen, um die Vorschrift selbst nicht anwenden zu müssen. Das ist eine Tatsache, und dieses Parlament wird das Vertrauen in seine eigenen Maßnahmen zerstören, wenn es gegenüber solchen Vorfällen, die allgemein bekannt sind, die Augen verschließt.
Außerdem ist es besser flexibel zu sein. In den EU-Vorschriften findet sich keine Bestimmung, die die Festlegung eines Mindestlohns vorschreibt, obwohl das meiner Meinung nach eigentlich ein Grundrecht sein sollte. Trotzdem gibt es keine Vorschriften dafür, sondern ist Sache der nationalen Regierungen. Einige Länder haben einen solchen Mindestlohn und andere wiederum nicht. Weshalb also sollte es in ganz Europa ungeachtet der jeweiligen nationalen Bedingungen und der Art der Arbeitsverträge eine dirigistische Bestimmung zur Festlegung der Arbeitszeiten geben, wo doch eigentlich solche Faktoren wie Gesundheit und Sicherheit ausschlaggebend sein sollten? Die Länder, in denen offenbar etwas längere Arbeitszeiten gang und gäbe sind, schneiden in punkto Gesundheit und Sicherheit besser ab als einige andere Länder, darunter Ihr eigenes Land, mein Freund.
Ich möchte nun auf die wichtige Frage des Haushalts zu sprechen kommen. Ich habe den Redebeitrag von Präsident Barroso sehr aufmerksam verfolgt. Er sagte, dass die britische Präsidentschaft an der Erzielung einer Einigung über die Finanzielle Vorausschau gemessen werden wird. Denn daran wird sich zeigen, ob sich in Europa etwas bewegt hat. Natürlich wird sich daran zeigen, ob sich in Europa etwas bewegt hat, doch wir sehen diese Angelegenheit nicht als Bewährungsprobe an. Wenn Sie mich fragen, werden die Historiker die britische Präsidentschaft in zehn oder zwanzig Jahren bestimmt nicht an der Frage messen, ob im Dezember eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau zustande gekommen ist oder nicht, auch wenn ich das hoffe. Meiner Meinung nach werden sie die Präsidentschaft daran messen, dass am 3. Oktober eine Einigung über die Aufnahme der Verhandlungen mit Kroatien und der Türkei erzielt wurde. Das wird zur zukünftigen Gestalt der Europäischen Union beitragen. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen daran erinnert, dass die letzte Finanzielle Vorausschau auch nicht im Dezember 2005, sondern erst im darauf folgenden Jahr auf der Frühjahrstagung des Rates verabschiedet wurde.
Wir hoffen sehr, dass es uns gelingen wird, eine Einigung zu erzielen, auch wenn das äußerst schwierig sein wird. Warum? Herr Jonckheer hat davon gesprochen, dass wir nicht zulassen sollten, dass die Staaten bei dieser Frage ihr nationales Ego ausleben. Ich stimme ihm da zu, möchte aber die Kolleginnen und Kollegen auch darauf hinweisen – und sie wissen, dass das wahr ist –, dass diese Aussprache zwangsläufig von den verschiedenen nationalen Sichtweisen und dem Umstand geprägt sein wird, ob ein Land bisher Nettozahler oder Nettoempfänger von EU-Mitteln gewesen ist. Das ist einfach so. Wenn man das ignoriert oder Länder wie Deutschland, die Niederlande, Schweden und einige andere Mitgliedstaaten, deren Bürger über die Höhe der geleisteten Zahlungen und die Höhe der künftigen Zahlungen besorgt sind, mit dem Vorwurf beleidigt, dass es ihnen hier nur um ihr nationales Ego gehen würde, dann werden wir gar nichts erreichen.
Ich möchte die belgischen Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, dass ihr Land trotz seines Wohlstands bisher zu den Nettoempfängern gezählt hat, was laut allen Haushaltsvorschlägen für den Zeitraum 2006 bis 2013 auch künftig so sein wird. Luxemburg – ein Land, das mir persönlich sehr gefällt – ist der wohlhabendste Staat in Europa und wird trotzdem weiterhin ein Nettoempfänger bleiben. Wenn wir in dieser glücklichen Lage wären, dann würden wir zum Vorsitz sagen: „Okay, lassen Sie uns einen Kompromiss finden!“ Wenn es nur darum gehen würde, ob wir zum Schluss 3 Milliarden Euro oder 6 Milliarden Euro in der Tasche hätten, dann wäre die ganze Sache auch viel einfacher.
Das Problem für einige Mitgliedstaaten – und nicht nur für Großbritannien – besteht jedoch darin, dass wir seit jeher sehr hohe Nettozahlungen geleistet haben. Ich sage das nur, damit die Kolleginnen und Kollegen das Problem verstehen können, das Großbritannien mit dieser Frage hat. Ich möchte Ihnen gegenüber ganz offen sein und die Karten auf den Tisch legen. Das Problem besteht doch darin, dass während der letzten Finanziellen Vorausschau Großbritannien 39 Milliarden Euro, Frankreich 28 Milliarden Euro, Italien 24 Milliarden Euro und Deutschland 77 Milliarden Euro gezahlt haben, wobei Deutschland einen weiteren Extremfall darstellt. Großbritannien hat immerhin 39 Milliarden Euro beigetragen, so dass es gemessen an der Bevölkerungszahl wesentlich höhere Zahlungen geleistet hat als die beiden anderen Länder. Auf der Empfängerseite stehen dann Spanien mit 48 Milliarden Euro und Portugal mit 14 Milliarden Euro, was ein etwas anderes Licht auf die ganze Sache wirft.
Ich stimme Ihnen zu, dass wir alle unseren finanziellen Beitrag zur Erweiterung leisten müssen. Ganz gleich, ob an der Finanziellen Vorausschau irgendwelche Änderungen – auch nur die geringfügigsten – oder gar keine Änderungen vorgenommen werden, wird Großbritannien in jedem Fall weitere 11 Milliarden Euro entrichten und somit seine Zahlungen im Rahmen der nächsten Finanziellen Vorausschau um ein Drittel erhöhen, damit die Kosten der Erweiterung gedeckt werden können.
Es geht hier nicht darum, ob Großbritannien oder die wohlhabenderen Länder ein bisschen mehr Geld für die Erweiterung aufbringen, wenngleich einige wohlhabendere Länder keine zusätzlichen Mittel bereitstellen würden. Vielmehr geht es darum, wie viel mehr Kosten einem Land wie Großbritannien aufgebürdet werden können, das in den vergangenen 20 Jahren zweieinhalb Mal so viel wie Frankreich oder Italien gezahlt hat, obwohl unsere Länder in diesem Zeitraum das gleiche Bruttonationaleinkommen hatten. Das ist das Problem, und wir arbeiten daran. Denn wir sehen uns sowohl der Union als auch unseren Bürgern gegenüber verpflichtet. Niemand kann meinem Premierminister vorwerfen, dass er nicht mutig genug sei oder sich nicht besonders stark für die EU engagieren würde, denn wir haben schließlich viel getan. Das wollte ich nur noch einmal klar stellen, damit jeder die Schwierigkeiten, denen wir alle gegenüber stehen, versteht.
Der letzte und etwas hoffnungsvollere Punkt, auf den ich zu sprechen kommen möchte, sind die Äußerungen von Präsident Barroso, der treffenderweise sagte, dass die Europäische Union in einigen Bereich weniger und in anderen wiederum mehr tun muss, und genau das ist meiner Meinung nach auch die richtige Betrachtungsweise. Hier geht es nicht um ein minimalistisches Europa, denn Europa hat in den vergangenen 60 Jahren erstaunliche Fortschritte erzielt, wenn man nur bedenkt, wie stark unser Kontinent in den vorherigen drei Jahrhunderten von Kriegen zerrüttet war. Wenn ich mir so die heutigen Krisenherde, insbesondere die im Nahen Osten, anschaue, dann erinnere ich mich mit Schrecken an die Zuständen in Großbritannien, in denen ich als kleines Kind nach dem Krieg aufgewachsen bin, und an die noch schlimmeren Verhältnisse im übrigen Europa. Die erzielten Fortschritte haben wir allesamt der Europäischen Union zu verdanken. In Zukunft müssen wir auf diesen Errungenschaften aufbauen und endlich einsehen, dass wir es heutzutage mit etwas anderen Herausforderungen zu tun haben.
Einer der Bereiche, in dem wir am meisten bewirken können und wo wir das unter der großartigen Führung von Javier Solana und der Kommission auch tun, ist die Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Denken Sie nur an die Vereinbarungen, die gestern von Condoleezza Rice und Javier Solana getroffen wurden. Denken Sie nur an die Tatsache, dass die Europäische Union nunmehr als dritte Partei an dem Abkommen beteiligt ist, das den Palästinensern die Ein- und Ausreise in bzw. aus dem Gazastreifen und das Westjordanland gestattet. Dabei wurden wir in dieser Angelegenheit von der israelischen Regierung nicht immer als dritte Partei betrachtet. Denken Sie nur an unsere Maßnahmen im Hinblick auf den Iran, denken Sie nur an die gemeinsame Erklärung, auf die wir uns gerade erst mit Afghanistan geeinigt haben, und denken Sie nur an die erhebliche Aufstockung der Hilfe für Afrika. Das sind Beispiele für Bereiche, in denen die EU-Länder gemeinsam wirkliche Fortschritte erzielen können. Auf solchen und vielen anderen Gebieten müssen wir noch mehr unternehmen und zugleich neu festlegen, welche Aufgaben die Union hat und was die nationalen, regionalen und kommunalen Regierungen in ihrem Zuständigkeitsbereich tun.
Diese Präsidentschaft, Herr Präsident, ist für uns eine große Ehre. Mir hat sie jedenfalls viel Spaß gemacht, und ich sehe weiteren sechs interessanten Wochen hier in Straßburg, in Brüssel und in anderen Städten erwartungsvoll entgegen.
Lapo Pistelli (ALDE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meiner Ansicht nach sind die britische Präsidentschaft und Tony Blair gegenwärtig Opfer der großen Erwartungen, die der britische Premierminister mit seiner Rede am 2. Juli vor diesem Parlament geweckt hat. Je größer die Erwartungen, desto größer ist dann logischerweise die Enttäuschung.
Die Zeit ist fast abgelaufen, die Ergebnisse lassen auf sich warten, und ich denke, der britische Vorsitz muss sich nicht wundern über die Kritik, die das Parlament in dieser Aussprache hervorbringt. Dies war de facto eher ein inhaltsloser als ein informeller Rat. Anstatt im letzten Monat das europäische Sozialmodell zu erörtern, wie er es hätte tun müssen, sah er sich veranlasst, eine Rundum-Debatte über die ganze Welt zu führen, ohne irgendwelche Beschlüsse zu fassen.
Ich werde mich zwar nicht für diese Verfassung in aller Öffentlichkeit anzünden, doch denke ich, dass die Grenzen der halbjährlichen Ratspräsidentschaften offen zutage getreten sind. Jede Präsidentschaft erbt die Agenda der vorhergehenden Präsidentschaft und pfropft ihr eine neue Schicht von Verpflichtungen auf, wodurch die Liste der anstehenden Beschlüsse immer länger und der Anteil der angenommenen Beschlüsse immer kleiner wird. Wir fahren fort, dem Kuchen immer neue Zutaten hinzuzufügen, doch der Kuchen kommt nie aus dem Backofen heraus.
Ich möchte ein Beispiel anführen, das ich gestern Abend Präsident Barroso genannt habe. Es stimmt, dass Europa schon andere tiefe Krisen erlebt hat. Weder trauere ich dem Europa der Sechs nach, noch glaube ich, dass wir auf Goldene Zeiten zurückblicken. Doch wenn Sie im Alter von 18 Jahren von Ihrer Verlobten verlassen werden, erscheint Ihnen das Leben zwar hart, aber Sie wissen, dass es weitergeht, während wenn eine Ehe im Alter von 45 Jahren scheitert, mit fünf Kindern und einer Hypothek, die abgezahlt werden muss, alles viel komplizierter ist. Mir scheint, die Situation, in der sich Europa gegenwärtig befindet, nämlich in einer Phase nach der Erweiterung und vor der Verfassung, ähnelt wesentlich mehr dem zweiten als dem ersten Fall.
Ich habe keine Angst vor der institutionellen Krise, vor der Finanziellen Vorausschau oder der Lissabon-Strategie, sondern ich habe Angst, dass all diese Faktoren zusammengenommen der Europäischen Union extremen Schaden zufügen.
Dem britischen Vorsitz bleiben noch sechs Wochen, um seine Arbeit zu vollenden, und ich hoffe, er ist imstande, dem Europa von Morgen eine positive Botschaft zu vermitteln.
VORSITZ: PIERRE MOSCOVICI Vizepräsident
Ian Hudghton (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Normalerweise würde ich mich ja darüber beschweren, dass eine Minute überhaupt nicht ausreicht, um die Leistungen einer auslaufenden Präsidentschaft zusammenzufassen, aber in diesem Fall sieht das ganz anders aus. Die britische Präsidentschaft lässt sich mit zwei Worten zusammenfassen: Null Fortschritt.
Es ist schon interessant, dass sich Herr Straw zu der geringen Anwesenheit hier geäußert hat und den schwachen Versuch unternahm, einen Witz darüber zu machen. Fakt ist, dass die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen Besseres zu tun hatten, als heute aus seinem Munde noch einmal die gleiche Rede zu hören, die Tony Blair zu Beginn seiner Präsidentschaft gehalten und dann mit geringfügigen Abänderungen vor einigen Wochen wiederholt hat.
Ich hatte gehofft, Herrn Straw, wenn er noch anwesend gewesen wäre, die gleiche Frage wie Herrn Alexander vor einigen Wochen zu stellen, der mir eine Antwort schuldig geblieben ist. Aber ich werde sie hier noch einmal stellen. Kann uns die britische Präsidentschaft zusichern, dass die Interessen der schottischen Fischer nicht gegen andere Belange, die der britischen Regierung mehr am Herzen liegen, eingetauscht werden in diesem Kuhhandel, den sie sich für die Dezembertagung des Rates und die darauf folgende Tagung des Rates „Fischerei“ vorgenommen hat, die eine der letzten Amtshandlungen der Präsidentschaft darstellen wird?
Jana Bobošíková (NI). – (CS) Meine Damen und Herren! Ich bin grundsätzlich gegen die Einrichtung des so genannten Globalisierungsfonds, der eine Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung darstellen soll. Damit wird das Problem doch einfach nur unter den Teppich gekehrt. Und es zeigt sich wieder einmal der Populismus der Politiker, die sich nicht trauen, den Bürgern die Wahrheit zu sagen, dass nämlich die Globalisierung ein Phänomen ist, das schon länger anhält und auch künftig da sein wird. Und während im Zuge der Globalisierung vielleicht einige Arbeitsplätze wegfallen, wird sie auch und ganz besonders neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Die Globalisierung bringt viele Vorteile mit sich, die jedoch nur richtig zur Geltung kommen können, wenn wir einen flexiblen freien Markt schaffen, in dem sich Arbeit wieder auszahlt. Die europäische Politik geht oft genau in die andere Richtung, indem sie die Passivität der Bürger fördert und manchmal sogar ihre Trägheit belohnt. Während in den vergangenen zehn Jahren der Anteil der EU am Welthandel zurückging, ist der Anteil der USA und insbesondere Chinas und Indiens in die Höhe geschnellt. Darin spiegelt sich wider, was der freie Markt von der Politik der EU hält, und trotzdem reagieren die Staats- und Regierungschefs der 25 Mitgliedstaaten wieder einmal mit Umverteilungspolitiken. Diese mögen im Moment als Notpflaster ja ganz brauchbar sein, stellen aber keineswegs eine langfristige Lösung für die Zukunft dar. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mitgliedstaaten lieber ihre Arbeitsmärkte reformieren sollten, anstatt sich über solch eine protektionistische Maßnahme wie den Globalisierungsfonds zu streiten. Denn durch das Aufschieben solcher Reformen wird die öffentliche Unterstützung für eine Politik, die auf einen freien Markt abzielt, ausgehöhlt, und es entsteht der Nährboden für Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.
Margie Sudre (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Alexander, Herr Barroso, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union befindet sich in einer Identitätskrise, die von einem Verlust ihrer Werte und einer allgemeinen Ernüchterung geprägt ist. Zum ersten Mal seit langem befürchten die Europäer, dass ihre Kinder es einmal schlechter haben werden als sie. Wie können wir auf diese ernsten Sorgen reagieren und Lösungen anbieten?
Der Gipfel von Hampton Court sollte eine Etappe in diesem Denkprozess sein. Ich befürchte, dass nur wenige konkrete Ergebnisse erzielt wurden, denn obwohl die gestellten Fragen fundiert waren – beispielsweise: „Gibt es ein oder mehrere europäische Modelle in einer globalisierten Welt?“ -, entbehrten die Antworten auf diese Frage einer gewissen Klarheit, um es vorsichtig zu sagen.
Europa ist in der Krise, weil es nicht weiß, was es will. Es ist gespalten: Einige zielen allein darauf ab, es zu einer Handelszone ohne tarifäre Hemmnisse zu machen, kurz, zu einem Europa, das dem Zug der Globalisierung hinterher rennt, mit einer Union, die sich unbegrenzt erweitert. Andere haben eine andere Vision, ein politisches Ziel, nach dem Europa durch seine Grenzen und durch seine Projekte definiert sein soll, um sich zu festigen und seine humanistischen Werte in einer destabilisierten Welt zu teilen.
Die Europaabgeordneten der französischen Union pour un mouvement populaire (UMP) sowie die große Mehrheit der PPE-DE-Fraktionsmitglieder sind sich der Herausforderung, der wir uns stellen müssen, bewusst und setzen sich deutlich dafür ein, dass die zweite Vision siegt.
Die Vorschläge Frankreichs, die durch Präsident Chirac am Vortag des Gipfels in der gesamten Union verbreitet wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Notwendigkeit betonen, den Binnenmarkt zu vollenden, die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und dafür zu sorgen, dass ein Europa entsteht, das große Pläne verfolgt.
Um jedoch ein Wiederaufleben des Europagedankens zu erreichen, muss der Europäische Rat zuvor ein grundlegendes Hindernis aus dem Weg räumen. Denn nun, da nach den von der luxemburgischen Ratspräsidentschaft geführten Verhandlungen fast alle Mitgliedstaaten übereinstimmende Stellungnahmen über die Finanzielle Vorausschau für 2007-2013 abgegeben haben, ist es unerlässlich, dass diese bis zum Jahresende eine Einigung erzielen. Jede weitere Aussprache würde sich auf reine Vermutungen beschränken.
(Beifall)
Christopher Beazley (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident! Ich möchte einen Antrag zur Geschäftsordnung gemäß Artikel 65 Absatz c, wenn ich mich recht erinnere, stellen. Wir haben gerade den britischen Außenminister gehört. Ich stelle der Konferenz der Präsidenten über Ihre Präsidentschaft folgende Frage: Ein Kollege hat soeben für eine Minute das Wort ergriffen. Der Europaminister Seiner britischen Majestät ist unter uns. Wie kann es sein, dass die Redezeit des Europäischen Parlaments auf eine Minute begrenzt ist, um darauf zu reagieren? Könnten Sie vielleicht mit Ihren Kollegen in der Konferenz der Präsidenten darüber sprechen, um zu entscheiden, wie in Zukunft vorgegangen werden soll?
Präsident. – Danke, Herr Beazley, ich glaube, wir haben Ihr Argument verstanden. Es sind die Fraktionen, die die Redezeit aufteilen. Wenn sie ihren Hauptrednern zehn Minuten oder eine Viertelstunde gewähren möchten, ist das ihr Recht, so wie auch das Gegenteil. Die Redezeiten der Kommission und des Rates werden nicht gezählt. Jedoch sind beide darauf bedacht, es nicht zu übertreiben – das ist mir aufgefallen.
Nicola Zingaretti (PSE). – (IT) Herr Präsident, Herr Minister, meine Damen und Herren! Ich gehöre zu denjenigen, die die Anstrengungen, die diese Ratspräsidentschaft unternommen hat, um zu versuchen, Europa mit seinen Hoffnungen und seinen Herausforderungen in diesen schwierigen Zeiten neu zu beleben, anerkannt haben und auch jetzt anerkennen.
Sie tat dies mit Aktionen und Verpflichtungen, die auch konkret waren. Ich denke dabei an die erfolgreiche Lösung der Türkei-Frage, die ohne die energischen Bemühungen des britischen Vorsitzes nicht möglich gewesen wäre, sowie an dessen Fähigkeit, eine Richtung, eine Vision und klare Ziele aufzuzeigen, die dann, zumindest potenziell, in Hampton Court, konkretisiert wurden, d. h. Universitäten, Energie, Sicherheit und Verteidigungspolitik.
Doch wenn ich mir diese großen Ambitionen und die wenigen konkreten Ergebnisse, die erzielt wurden, ansehe, muss ich sagen, dass ich mehr und mehr zu der Überzeugung gelange – und ich fordere Sie alle auf, ebenfalls einmal darüber nachzudenken -, dass ein enormer Widerspruch zwischen dem Potenzial dieses Europas und der Illusion besteht, solche Ergebnisse könnten mit einem Europa erreicht werden, das über weniger Geld verfügt, als es benötigt, und das vor allem nicht gewillt ist, seine Regeln zu ändern.
Was ich meine ist, dass, wenn wir auch nur die Hälfte dieser Ziele erreichen und ehrlich zueinander sein wollen, wir die Kernprobleme dieser Krise vollständig anpacken müssen. Für diese Kernprobleme brauchen wir mehr Mittel, die besser verwendet werden müssen; brauchen wir weniger zwischenstaatliches und mehr integriertes Europa, mehr politisches Europa, d. h. neue Regeln für die Kommission, just um die Ziele, die wir uns selbst gesetzt haben, zu verwirklichen.
Der einzig mögliche Weg dorthin ist der Entwurf einer neuen institutionellen Architektur und eine gemeinsame Politik in immer weiteren Bereichen. Die Beibehaltung des Status quo, die vielleicht das größte Ergebnis der britischen Präsidentschaft ist, wird unweigerlich zu einer Renationalisierung der Politikbereiche führen, wodurch sich die Krise zuspitzen, die Vetorechte der Regierungen zunehmen und die Entscheidungsfähigkeit der Gipfel verringern werden.
Deshalb hoffe ich, dass diese sechs Monate auch die größten Skeptiker davon überzeugen können, dass gute Ideen und guter Wille nicht ausreichen: wir müssen auch die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass wir entweder den Mut zur Veränderung aufbringen und einen Schritt nach vorn zur Integration machen müssen, oder aber untergehen werden.
Chris Davies (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich würde liebend gern wissen, wann die britische Präsidentschaft erkannt hat, dass es ein Fehler gewesen ist, das Bild fliegender Vögel in Richtung Europa als ihr Logo zu nehmen.
Wenn es der britischen Präsidentschaft nicht gelingen sollte, einen Kompromiss über die künftige Finanzielle Vorausschau zu erzielen, dann wird ihre Amtszeit als Misserfolg gewertet werden.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass in die Agrarfrage Bewegung kommen muss. Während die britische Präsidentschaft einsehen sollte, dass sie sich früher oder später auf einen Kompromiss einlassen muss, stehen auch andere Mitgliedstaaten in der Pflicht, Zugeständnisse zu machen. Früher oder später müssen die Franzosen – offenbar vor allem diese – ein Angebot machen, damit die Verhandlungsparteien, die eine Einigung erzielen möchten, auf künftige Änderungen und Revisionen der Agrarpolitik verweisen können. Damit würde nicht nur Großbritannien aus einer schwierigen Lage geholfen werden, sondern auch die internationale Gemeinschaft bei der Erzielung einer Einigung über die Doha-Entwicklungsrunde unterstützt werden.
Othmar Karas (PPE-DE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ratspräsident, ich hoffe, Sie spüren, dass die Ungeduld mit ihrer Präsidentschaft steigt und die Enttäuschungen wachsen. Ihre Zeit ist zwar noch nicht abgelaufen, aber der größere Teil ist bereits vorbei. Wir vermissen nicht nur Tony Blair, aber ich frage mich, ob er vielleicht endlich erkannt hat, dass zwei gute Reden noch keine erfolgreiche Ratspräsidentschaft bewirken. Wir vermissen aber vor allem konkrete Ergebnisse, konstruktive Vorschläge und ernsthafte Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zur Lösung der Probleme und zur Erarbeitung der Antworten auf die Fragen der Menschen.
Vertrauen schaffen wir nur mit einem neuen Miteinander und nachhaltigen Lösungen. Vielleicht hat sich Ihr Außenminister gerade ein bisschen verraten, als er nämlich nicht den Blick nach vorne gerichtet, sondern gesagt hat: „Die Bedeutung der Präsidentschaft liegt schon hinter uns, nämlich Kroatien und die Türkei.“ Ich frage Sie: Sind das wirklich die Prioritäten der Bürger Europas? Sind das wirklich die Fragen, die die Menschen, die keine Arbeit haben, Europa, das wettbewerbsfähiger werden muss, haben? Ich sage Nein. Vielleicht haben sie die falschen Prioritäten. Mit Absichtserklärungen alleine machen wir keine erfolgreiche Präsidentschaft. Alle sechs Punkte von Hampton Court, Herr Ratspräsident, sind zwar politisch richtig, aber sie sind großteils nicht die Kompetenz der Europäischen Union. Wenn Sie wollen, dass wir das erreichen, was Sie selbst postulieren, dann geben Sie uns die Kompetenzen, geben Sie uns das Geld, verhindern Sie nicht Europa auf dem Weg zur politischen Union. Verhindern Sie nicht die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Zur Finanziellen Vorausschau: Zwischen Ihrem Vorschlag und unserem liegen 70 Milliarden Euro. Zwischen Ihrem Vorschlag und dem Vertrag liegen 2 Milliarden Euro. Zwischen Ihrem Vorschlag und dem der Kommission liegen über 100 Milliarden Euro. Sagen den Menschen, was Sie Ihnen wegnehmen wollen, bevor Sie so tun, als wären Sie auf der Seite der Bürger....
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident! Der Gipfel in Hampton Court hat gezeigt, dass in der Europäischen Union eine grundlegende Reform vonnöten ist. Die Europäische Union muss Forschung und Entwicklung harmonisieren, die Bildungsausgaben deutlich erhöhen, die Dienstleistungen liberalisieren und mit einer gemeinsamen Energiepolitik beginnen. Und all das müsste gleichzeitig geschehen. Die Diagnose steht, aber bis jetzt konnten die führenden Politiker Europas keine Antworten darauf finden.
Wir wissen, was getan werden müsste, aber nicht, wie diese Ziele erreicht werden können. Dazu stehen uns auch die Mittel nicht zur Verfügung. Wir können nicht mehr Europa mit weniger Geld gestalten. Auf die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 konnte man sich noch immer nicht einigen, was sich für uns, die neuen Mitgliedstaaten, noch als Katastrophe erweisen könnte, da wir möglicherweise zwei Drittel unserer möglichen finanziellen Unterstützung verlustig gehen. Deswegen ist diese Finanzielle Vorausschau für uns so wichtig.
Da Tony Blair die Gemeinsame Agrarpolitik unter Beschuss genommen hat, kommt es meines Erachtens auch darauf an, dass unser Weg nach vorn nicht darin besteht, die bestehenden Gemeinschaftspolitiken zu zerstören, denn bei der Kohäsions- und der Gemeinsamen Agrarpolitik handelt es sich um wesentliche Errungenschaften der Europäischen Union. Anstatt diese zu zerstören, sollten lieber in anderen Bereichen mehr Gemeinschaftspolitiken umgesetzt werden. Die große Frage lautet, wie all das zu bewerkstelligen ist.
Der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány hat vorgeschlagen, neben den Gemeinschaftspolitiken eine koordinierte Zusammenarbeit einzuführen, was eine Harmonisierung der nationalen Politiken in verschiedenen Bereichen zum Ziel hätte. Das würde nicht zu neuen Gemeinschaftspolitiken führen, sondern die Zusammenarbeit verbessern, sei es im Energiebereich oder bei der Forschung und Entwicklung. Ich fordere Herrn Barroso und die Kommission auf: Helfen wir Europa bei der Behebung seiner derzeitigen Krise und schreiten wir im Bereich der koordinierten Zusammenarbeit voran.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Briten sind für ihre Nerven aus Stahl, ihre Zurückhaltung, ihre Ruhe, ihren besonderen Humor und ihre Selbstbeherrschung bekannt. Daher war ich sehr überrascht, als Lord Bach gestern sagte, dass er es als persönliche Niederlage und als eine Niederlage für die britische Präsidentschaft ansehen werde, wenn vor Ende dieses Jahres kein Kompromiss zur Verordnung REACH zustande kommt.
Ich möchte diese Gelegenheit heute nutzen, um von Herrn Alexander zu erfahren, ob er diese Auffassung teilt. Wenn die Finanzielle Vorausschau 2007–2013 nicht vor Ende des Jahres angenommen werden sollte, werden Sie dies dann ebenfalls als Niederlage für sich selbst und Premierminister Blair betrachten?
Während der Junisitzung in Brüssel hat Tony Blair eine ausgezeichnete Rede hier im Plenum gehalten und eine veröffentlichungsreife Analyse der europäischen Krise abgegeben. Leider wurde uns in den folgenden Monaten und in den Reden der Minister nur noch ein schwacher Aufguss der Vorschläge des Premierministers vorgesetzt. Ich habe den Eindruck, dass die Briten einfach den Willen verloren haben, für die Verwirklichung ihrer Vision von der Europäischen Union zu kämpfen. Stattdessen haben sie beschlossen, sich durch diesen sechsmonatigen Ratsvorsitz so gut wie möglich durchzumogeln. Leider haben auch sie sich von dem Gefühl der Machtlosigkeit und Gelähmtheit anstecken lassen, das sich in ganz Europa breit gemacht hat.
Zugleich muss ich aber zugeben, dass Herr Straw, nachdem ihm die Mitglieder des Parlaments mit ihren Fragen und Redebeiträgen keine andere Wahl ließen, über die anstehenden Probleme endlich wie ein normaler Mensch sprach, was ja schließlich auch von einem Politiker zu erwarten ist. Europa kann nur mithilfe effektiver Maßnahmen und Entscheidungen weiter ausgebaut werden, die dann für immer in den Geschichtsbüchern über unseren Kontinent stehen werden. Die Art und Weise, wie die Präsidentschaft die Debatte über die Finanzielle Vorausschau bis zur letzten Minute hinausschiebt, die Haushaltsvorschläge hinter verschlossenen Türen erarbeitet und in Orwellschem „Neusprech“ über die Zivilisationsprobleme der Welt palavert, anstatt eine knallharte Debatte über die offenen Fragen zu führen, kommt entweder einer riesigen Zeitverschwendung gleich oder dem bewussten Versuch, das heiße Eisen der Haushaltsplanung im Dezember an Wien weiterzureichen.
Die wichtigste Aufgabe, der wir derzeit gegenüberstehen, ist die Finanzielle Vorausschau. Sollte darüber keine Einigung zustande kommen, dann werden die neuen Mitgliedstaaten im Jahre 2007 schätzungsweise 10 Milliarden Euro für ihre Entwicklung erhalten. Sollte jedoch eine Einigung erzielt werden, dann würde dieser Betrag auf ungefähr 22 Milliarden Euro ansteigen, wobei für Rumänien und Bulgarien zusätzlich 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen würden. Diesen Ländern würden also etwa 60 % der Gelder verloren gehen, die sie eigentlich erhalten könnten. Ich rufe Sie daher auf, diese Finanzielle Vorausschau ernst zu nehmen, und effektive Maßnahmen zu ergreifen, damit sie im Dezember verabschiedet werden kann.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Meine Damen und Herren! Gegenstand der heutigen Aussprache ist das Ergebnis der informellen Tagung des Europäischen Rates in Hampton Court und nicht die Bilanz der sechsmonatigen britischen Präsidentschaft. Ich bin jedenfalls mit dem Ergebnis von Hampton Court zufrieden. Auf der Tagung wurden ganz klar sechs Bereiche herausgearbeitet, die für das Bestehen und den Erfolg Europas in der globalisierten Welt von entscheidender Bedeutung sind. Dazu gehören Wissenschaft und Forschung, Investitionen in unsere Hochschulen, die Energiepolitik, globale Sicherheit und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Ich möchte die Energiepolitik als Beispiel herausgreifen. Europa ist zunehmend, nämlich schon zu 65 %, von einer einzigen Energiequelle abhängig, und diese Quelle befindet sich in äußerst instabilen Regionen, sprich in Gebieten der ehemaligen Sowjetunion oder im Nahen Osten. Deshalb brauchen wir auch eine gemeinsame Energiepolitik und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, doch zuallererst benötigen wir Gelder, um diese gemeinsamen Politiken überhaupt finanzieren zu können. An dieser Stelle möchte ich die britische Präsidentschaft aufrufen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um auf dem Gipfel im Dezember eine faire und ausgewogene Lösung zu erzielen, die nicht nur den Bedürfnissen der neuen Mitgliedstaaten, sondern auch denen der alten gerecht wird. Dies würde die größte Errungenschaft der britischen Präsidentschaft darstellen, über die am 20. Dezember Bilanz gezogen werden wird. Ich rechne mit einem positiven Ergebnis.
Geoffrey Van Orden (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Herr Straw hat mit Stolz verkündet, dass es hier im Plenum während der britischen Präsidentschaft 48 Ministerreden gegeben hat, doch leider muss ich sagen, dass keiner von ihnen Nennenswertes vorweisen konnte. Ich bin wirklich erstaunt, dass die britische Präsidentschaft nur einen Monat vor dem Ende ihrer Amtszeit noch immer über Agenden, Strategien und Zeitpläne redet. Ich spreche hier für die vielen Menschen in East Anglia, die Maßnahmen, Sicherheit, Wohlstand und einen wirklichen Kurswechsel in der EU-Politik erwarten und nicht mit leeren Versprechungen abgespeist werden möchten.
Den Bürgern vieler Länder wird jetzt langsam klar, was da eigentlich alles in ihrem Namen gemacht wird. Sie stellen den Charakter und die Richtung des europäischen Aufbauwerks ernsthaft in Frage. Obwohl die Menschen möchten, dass ihr Leben stärker auf kommunaler Ebene geregelt wird, räumen unsere Regierungen den Regionen und Brüssel immer mehr Befugnisse ein. Deshalb frage ich Sie: Welche Art von Beziehung zu welcher Art von Europa ist richtig für unsere Menschen und unsere Länder in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts?
Doch diese entscheidende Frage wird von unseren Regierungen und den EU-Organen nie gestellt. Dabei hätte diese Frage vielleicht auch beim Treffen in Hampton Court im Mittelpunkt stehen sollen. Aber dort wurde ja keine grundlegende Neueinschätzung der Europäischen Union vorgenommen. Es wurde einfach so weiter gemacht wie bisher. Und so werden wir auch künftig mit nutzlosen Rechtsvorschriften überschüttet werden. Herr Straw hat die Arbeitszeitrichtlinie und die Leiharbeitnehmer-Richtlinie erwähnt. Es befinden sich noch Dutzende solcher sinnlosen und störenden EU-Rechtsvorschriften in Planung. Und was wird dagegen unternommen?
Es wurde die Haushaltsfrage angesprochen. Eine äußerst wichtige, aber immer noch ungelöste Frage. Verglichen mit einer ähnlich großen Volkswirtschaft wie Frankreich leistet Großbritannien bereits unverhältnismäßig hohe Zahlungen an die EU und das noch nach dem Rabatt von Margaret Thatcher. Aber scheinbar möchten Sie uns noch mehr aufbürden. Hinzu kommt, dass unsere Länder und Gesellschaften aufgrund einer katastrophalen Asyl- und Zuwanderungspolitik stark zersplittert sind. Anstatt Zentren akademischer Spitzenleistungen aufzubauen und zu erhalten, richten wir sie mit Sparmaßnahmen und einer verfehlten Klassenpolitik zugrunde. Unsere Streitkräfte sind hoffnungslos überfordert, und es fehlt ihnen an den nötigsten Ausrüstungsgegenständen. Zugleich werden tapfere Offiziere und Soldaten von der Regierung im Regen stehen gelassen, da sie sich für deren Wohlergehen nur wenig interessiert, dafür aber umso mehr für ihre eigene politische Agenda ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Ana Maria Gomes (PSE). – (EN) Herr Präsident! Auf dem Gipfeltreffen in Hampton Court sollte eigentlich die Frage erörtert werden, wie Europa in der Welt noch mehr bewirken kann. Die Mehrheit der Äthiopier gab im Mai unter den Augen der europäischen Beobachter ihre Stimme ab. Doch die ersten Ergebnisse riefen bei der herrschenden Partei Missfallen hervor. Plötzlich wurden die Beobachter in ihrer Arbeit behindert, die Medienfreiheit eingeschränkt und Demonstrationen verboten. Im Juni wurde gegen die Bevölkerung brutal vorgegangen: Mehr als 40 Menschen wurden getötet und 5 000 Personen verhaftet.
Dennoch nahm Premierminister Meles nur wenige Wochen später am Gipfeltreffen in Gleneagles teil, das von der britischen Präsidentschaft veranstaltete wurde. Im September übermittelten ihm verschiedene Regierungen und der Kommissionspräsident ihre Glückwünsche. Am 1. November kam es zu einem weiteren Blutbad: Nun sitzen 58 gewählte Vertreter, Journalisten und Mitglieder von NRO im Gefängnis, wobei ihnen laut dem Premierminister die Todesstrafe droht; Dutzende Menschen wurden getötet, hunderte verwundet und tausende verhaftet. Und trotzdem wurde für Herrn Meles nur wenige Tage später bei einem offiziellen Besuch in Deutschland groß aufgefahren.
Herr Ratspräsident! Weshalb sendet der Rat widersprüchliche Signale aus, indem er Regierungschefs, die Menschenrechte und demokratische Grundsätze verletzen, ein Gefühl der Straflosigkeit vermittelt; Regierungschefs, die dann vielleicht einen Krieg mit ihren Nachbarn anzetteln, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken? Wurde darüber in Hampton Court geredet? Kann der Ratspräsident die Schlussfolgerung ziehen, dass Europa genügend und vor allem sein Bestes für Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung in Äthiopien tut, dem Land mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl in Afrika?
Douglas Alexander, amtierender Ratspräsident. (EN) Herr Präsident! Es ist mir eine Ehre, die heutige Aussprache über die in Hampton Court stattgefundenen Beratungen abschließen zu dürfen. Ganz besonders freut mich, dass ich an der Seite von Präsident Barroso sprechen darf.
Nachdem uns Außenminister Jack Straw verlassen hat, wurde die Debatte von Herrn Pistelli fortgeführt, der sagte, die Europäische Union sei wie eine Familie. Wenn wir von unserer kurzen Aussprache heute Nachmittag ausgehen, ist es zweifellos eine Familie, in der es, wie in jeder anderen Familie auch, hin und wieder Meinungsverschiedenheiten geben kann. Aber ich pflichte ihm auf jeden Fall bei, dass es Herausforderungen gibt, die uns in den kommenden Wochen bevorstehen.
Eine nicht ganz so glanzvolle Bemerkung wurde dann von Herrn Hudghton gemacht. Da ich auch schottischer Volksvertreter bin und als Abgeordneter für Schottland im Parlament sitze, wäre ich gerne bereit, mit ihm den ganzen Tag darüber zu diskutieren, warum ein rückwärtsgewandter Nationalismus im Stil des 19. Jahrhunderts weder irgendeinem Teil Schottlands noch irgendeiner Bevölkerungsgruppe in Schottland eine Zukunft bietet. Aber im Gegensatz zu ihm bin ich mir bewusst, dass ich heute für die Präsidentschaft der Europäischen Union spreche, anstatt einfach innenpolitische Streitigkeiten zwischen unseren Parteien aufzuwärmen.
Frau Bobošíková erwähnte die Chancen, die die Globalisierung biete. Dem stimme ich zweifellos zu; dies war bei den konstruktiven und nützlichen Beratungen, die in Hampton Court stattgefunden haben, auch ein zentrales Thema.
Frau Sudre betonte die Notwendigkeit, bis Ende Dezember zu einer Einigung über die künftige Finanzierung zu gelangen. Wie der Außenminister klarstellte, arbeiten wir darauf hin. Es gab noch einige weitere Redner, die dieses immer wiederkehrende Thema, wie wichtig eine Einigung sei, angesprochen haben. Ich werde gleich noch darauf zurückkommen.
Frau Zingaretti erkannte großzügigerweise die Bedeutung des Beitritts der Türkei an. Dafür bin ich ihr dankbar. Hier zeigt sich das unverwechselbare Vorgehen von Jack Straw als Außenminister, was - ähnlich wie bei der künftigen Finanzierung – zu Fragen zu der von der Präsidentschaft verfolgten Strategie geführt hat. Ich kann erfreut feststellen, dass wir am 3. Oktober das Ergebnis erzielen konnten, für das so viele von uns so hart gearbeitet haben: Die Beitrittsverhandlungen sowohl mit der Türkei als auch mit Kroatien haben begonnen. Ich hoffe, dass wir ein ähnliches Ergebnis bei der künftigen Finanzierung erreichen.
Herr Davies, der jetzt den Saal verlassen hat, betonte ebenfalls die Bedeutung der künftigen Finanzierung. Großbritannien hat die Motivation und ganz klar auch die Fähigkeit, die Einigung zustande zu bringen, doch worauf es ankommt, ist nicht der Wille eines Landes – sprich der Präsidentschaft –, sondern die Bereitschaft aller Mitgliedstaaten, zusammenzuarbeiten, um einen Konsens zu finden. Käme es allein auf die Motivation der Präsidentschaft an, hätten wir eine Einigung bereits im Juni erzielt und keine Situation gehabt, in der fünf Mitgliedstaaten nicht imstande waren, die Vorschläge Luxemburgs zu akzeptieren.
Herr Karas stellte die Bedeutung der Erweiterung angesichts der fortbestehenden beträchtlichen Probleme wie der Arbeitslosigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit in Frage. Doch genau dieser Punkt, nämlich die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit, dass wir diese Probleme angehen, sind ein Argument für Hampton Court. Europa muss sich zunächst über seine künftige Marschrichtung besser klar werden, bevor wir uns daransetzen können, den gewünschten Konsens bei der Finanzierung der Europäischen Union zu erzielen.
Herr Tabajdi hat bestimmte Aspekte des in Hampton Court vereinbarten Arbeitsprogramms mit Vorbehalten begrüßt, und Herr Sonik wiederholte für mich die früheren Bemerkungen meines Ministerkollegen Lord Bach. Leider muss ich ihn enttäuschen: Was die künftige Finanzierung betrifft, kann es keine Garantien geben, dass eine Einigung erzielt wird. Was ich garantieren kann, ist, dass die britische Präsidentschaft sich ernsthaft darum bemüht, hier eine Einigung herbeizuführen, aber es stehen noch kritische Tage und kritische Diskussionen bevor. Es kommt jetzt darauf an, dass alle Beteiligten erkennen, welche Bedeutung den seit Juni erzielten Fortschritten - als die Beratungen am Ende eher durch Uneinigkeit als Einigkeit gekennzeichnet waren - zukommt.
Herr Rouček sagte, er sei mit dem Resultat von Hampton Court zufrieden, und sprach sich für eine ehrliche, faire und ausgewogene Vereinbarung über die künftige Finanzierung aus. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Einwände habe ich jedoch gegen viele der Punkte, die von Herrn Van Orden geäußert wurden, der jetzt den Saal verlassen hat. Er sprach die unterschiedlichsten Dinge an, behauptete aber, für die Menschen in East Anglia zu sprechen, bevor dann sein Mikrophon abgeschaltet wurde. Es reicht wohl, wenn ich sage, dass er während seiner Rede nicht die Gelegenheit hatte, die eindrucksvolle Arbeit zu würdigen, die von der Kommission im Laufe der britischen Präsidentschaft gerade auf dem Gebiet der besseren Rechtsetzung geleistet wurde. Heute möchte ich Herrn Barroso für sein persönliches Engagement und natürlich Kommissar Verheugen für das Vorantreiben dieses Vorhabens während der britischen Präsidentschaft meine Anerkennung aussprechen.
Frau Gomes hat wichtige brennende Fragen im Zusammenhang mit Menschenrechten, Demokratie und Entwicklung in Afrika aufgeworfen. Auch in diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die Fortschritte verweisen, die von den Entwicklungsministern der Europäischen Union im Juni erzielt wurden, als wir nämlich vereinbarten, die von den Mitgliedstaaten geleistete direkte Auslandshilfe von etwa 40 auf 80 Milliarden US-Dollar aufzustocken. Ich möchte erneut betonen, was in Gleneagles zwischen dem 6. und 8. Juli zugesagt wurde, nämlich die Hilfe für Afrika tatsächlich zu verdoppeln. Erinnern möchte ich auch an das sehr konstruktive und einheitliche Vorgehen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei dem Millenniums-Folgegipfel, der im September dieses Jahres stattfand.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, den vorhin Herr Davies vorgebracht hat, und zwar dass diejenigen von uns, die es mit der zugesagten Hilfe für die Entwicklungsländer wirklich ernst meinen, auch erkennen, dass in den verbleibenden Wochen der britischen Präsidentschaft immer noch eine Herausforderung vor uns liegt: Wir müssen versuchen, bei dem im Dezember stattfindenden Ministertreffen von Hongkong ein ehrgeiziges und ausgewogenes Ergebnis zu erzielen. Ich kann den Abgeordneten versichern, dass dies auch weiterhin eine Priorität der britischen Präsidentschaft bleibt.
José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (EN) Herr Präsident! Zusammenfassend lässt sich feststellen, es wird für die britische Präsidentschaft ein entscheidendes Thema geben: die Erzielung einer Einigung über die Finanzielle Vorausschau. Ich denke, das ist der britischen Präsidentschaft heute unmissverständlich signalisiert worden.
Ich habe Verständnis für das, was Außenminister Jack Straw, der uns inzwischen verlassen musste, über andere Themen sagte, die sehr wichtig sind und strategische Konsequenzen haben. Genau deshalb ist es wichtig, eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau zu erzielen, denn das ist die erste Prüfung für das erweiterte Europa.
Lassen Sie uns ganz offen reden. Einige meinen, dass wir mit 25 Mitgliedstaaten nicht arbeitsfähig und nicht handlungsfähig sind. Es gibt die Auffassung, ein größeres Europa sei ein schwächeres Europa. Ich weiß, dass weder die britische Präsidentschaft noch die Kommission diese Auffassung teilen. Wir glauben an dieses größere Europa, das wir jetzt aufbauen. Wir halten es für eine große Leistung, jetzt 25 freie, demokratische Mitgliedstaaten zu haben - wie es gegenwärtig der Fall ist. Aber die Erweiterung gibt es nicht für ein Butterbrot. Wir brauchen Ressourcen für dieses neue Europa, an dessen Konsolidierung wir mitwirken. Daher ist eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau so außerordentlich wichtig, denn ohne sie, ohne dieses Instrument, das die Menschen von den europäischen Institutionen erwarten, wird es eine Vertrauenskrise in Europa geben, die sich verstärken wird, davon bin ich überzeugt. Und das betrifft nicht nur die gegenwärtige Situation in Europa, sondern auch Europas Zukunft, künftige Beitritte zur Union, unsere Fähigkeit, Europa zu gestalten. Für ein größeres Europa brauchen wir aber eine größere Politik. Pour une grande Europe, il nous faut une grande politique.
Genau darum geht es. Sind wir bereit? Sind wir dazu in der Lage? Schaffen wir das? Deshalb rufe ich die britische Präsidentschaft auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun - und ich kenne die Energie und das Engagement Ihres Premierministers, ja, all ihrer Beamten, sehr gut - um eine Einigung zu erzielen.
Natürlich müssen sich alle bewegen: Das ist nicht nur die Aufgabe der britischen Präsidentschaft. Natürlich nicht. Aber ich glaube wirklich, der Schlüssel zu dem Problem, oder besser gesagt der Schlüssel zu seiner Lösung, liegt in Ihrer Hand. Sie können diese Einigung herbeiführen, zumindest unter den Mitgliedstaaten. Auf dem letzten formellen Tagung des Europäischen Rates standen wir kurz davor: Wir können es schaffen. Es ist außerordentlich wichtig, und es ist meine Pflicht und Aufgabe, als Präsident der Europäischen Kommission, der das allgemeine europäische Interesse zu vertreten hat, an das Verantwortungsbewusstsein aller verantwortlichen Politiker in Europa zu appellieren, sich nach Kräften zu bemühen, diesen Kompromiss zu erreichen.
Ich will Ihnen ganz offen sagen, Herr Ratspräsident, aus meinen Kontakten mit allen Mitgliedstaaten, die ich aufgrund meiner Funktion täglich, insbesondere auch mit den neuen Mitgliedstaaten zu halten habe, weiß ich, dass sie mit dieser Erwartung auf Sie und die Rolle Ihrer Präsidentschaft blicken. Alles von uns bisher Getane ist aus meiner Sicht ein großer Dienst an Europa. Wie ich in meiner letzten Erklärung ausführte, betrachte ich das Treffen von Hampton Court als erfolgreichen Gipfel, es hat einen wertvollen Beitrag zu diesem neuen, entstehenden Konsens über ein stärkeres, moderneres Europa geleistet. Dennoch werden wir von den neuen Mitgliedstaaten, und auch von einem Großteil der Zentren der europäischen Öffentlichkeit, daran gemessen, ob wir tatsächlich beweisen können, dass wir uns in diesen konkreten Fragen bewegen. Darin besteht die große Herausforderung. Tun wir deshalb unser Bestes, fordern wir alle Staats- und Regierungschefs zu Kompromissbereitschaft auf; bitten wir die britische Präsidentschaft, ihr Allerbestes zu tun. Ich denke, es ist möglich. Es ist schwer, aber es ist möglich, und die eigentliche Prüfung für unser Durchsetzungsvermögen besteht darin, das Notwendige möglich zu machen. Ich glaube, dass wir es schaffen können.