3. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Geltungsdauer des Mindestnormalsatzes - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige - Auf arbeitsintensive Dienstleistungen anwendbare Mehrwertsteuer
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Gemeinsame Aussprache über
den Bericht von Zsolt László Becsey im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Geltungsdauer des Mindestnormalsatzes (KOM(2005)0136 – C6-0113/2005 – 2005/0051(CNS)) (A6-0323/2005),
den Bericht von Zsolt László Becsey im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 77/388/EWG an nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (KOM(2004)0728 – C6-0251/2005 – 2005/0807(CNS)) (A6-0324/2005) und
die Anfrage zur mündlichen Beantwortung an die Kommission von Pervenche Berès im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über das Auslaufen der Richtlinie 1999/85/EG über die Möglichkeit, auf arbeitsintensive Dienstleistungen versuchsweise einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden (O-0106/2005 – B6-0342/2005).
Zsolt László Becsey (PPE-DE), Berichterstatter. – (HU) In unserer Aussprache geht es um zwei Punkte, und ich möchte mit dem Mindestnormalsatz beginnen. Wir sprechen über ein rechtlich und politisch überaus sensibles Thema. Dem Bericht der Kommission zufolge ist eine Verlängerung der derzeitigen zeitlich befristeten Regelung, wie sie die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie vorsieht, die am 31. Dezember 2005 ausläuft, gerechtfertigt. Ich denke, wir könnten die Regelung mit dem Mindestnormalsatz von gegenwärtig 15 % – ebenfalls befristet – bis 2010 verlängern. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung unseres Parlaments hat über diesen Vorschlag beraten und stimmt dem Ansatz der Kommission im Wesentlichen zu. Auch wir akzeptieren diesen Vorschlag und den entsprechenden Zeitrahmen, nämlich die Verlängerung bis zum Jahr 2010. Wir sehen ebenfalls die Notwendigkeit, diesen Punkt schnellstmöglich - noch vor der letzten Tagung des ECOFIN-Rates am 6. Dezember - zu beraten, damit dem Rat eine Stellungnahme des Parlaments vorliegt und er auf dieser Grundlage entscheiden kann. Dem Ergebnis der Aussprache im Ausschuss folgend ändern wir den ursprünglichen Vorschlag der Kommission in dem Punkt ab, dass wir neben dem Mindestnormalsatz auch einen Höchstsatz von 25 % festsetzen; das ist der höchste Steuersatz, der derzeit in den Mitgliedstaaten angewendet wird. Damit brauchten die Mitgliedstaaten keine kurzfristigen Änderungen in der Gesetzgebung oder Korrekturen am Haushaltskurs vorzunehmen. Mit der Annahme dieser Maßnahme macht die Mehrheit des Parlaments jedoch unsere Auffassung deutlich, dass ein Auseinanderdriften der Normalsätze verhindert werden muss. Das Parlament hat aber auch einen weiteren wichtigen Standpunkt in dieser Sache erarbeitet, der zwar auf die anstehende rasche Entscheidung über die Verlängerung keine Auswirkungen hat, für uns jedoch wesentlich ist. Wir wollen ganz einfach vermeiden, dass wieder eine Situation ähnlich der heutigen eintritt, wo wir zeitlich unter Druck geraten, was die Verlängerung sowohl der Gültigkeit des Mindestnormalsatzes als auch der Regelung zu den arbeitsintensiven Dienstleistungen anbelangt, die am Jahresende ausläuft und die unter Beteiligung einiger Mitgliedstaaten, die bei ihrer Umsetzung wertvolle positive Erfahrungen gesammelt haben, eingeführt wurde. Deshalb ersuchen wir die Kommission, bis Anfang 2007 eine Bewertung vorzunehmen, damit das Parlament rechtzeitig und ohne Zeitdruck mit seiner für 2007-2008 vorgesehenen Aussprache über Richtung und Inhalt der Mehrwertsteuerpolitik, die die Mitgliedstaaten einführen sollen, sowie über die dazu erforderliche EU-Verordnung beginnen kann.
In unserem Antrag, an dessen Ausarbeitung alle Fraktionen beteiligt waren, ersuchen wir die Kommission, die Unterschiede zwischen dem geltenden impliziten – d. h. auf einen Satz umgerechneten – Mehrwertsteuernormalsatz sowie die damit verbundenen Auswirkungen auf die Haushaltseinnahmen zu bewerten. Das betrifft vor allem die Unterschiede in den Mitgliedstaaten, die der EU im Zuge der jüngsten Erweiterung beigetreten sind und die die einzelnen ermäßigten Sätze nicht anwenden dürfen und bis 2007 lediglich den Übergang zu den Bereichen vollziehen können, die nicht in der Sechsten MwSt.-Richtlinie, also nicht in Anhang K oder Anhang H, enthalten sind. Auf der Grundlage dieses Materials der Kommission können wir den Standpunkt des Parlaments zur Mehrwertsteuer - in Form der Quellensteuer oder der beim Verbraucher erhobenen Steuer - festlegen und prüfen, ob wir - unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips - auf Gemeinschaftsebene einen Mindest- und einen Höchstsatz festsetzen müssen und ob wir, sollte die Antwort Ja lauten, den Normalsatz oder den impliziten, d. h. den sich aus der Umrechnung ergebenden tatsächlichen Satz der Mehrwertsteuer anwenden sollen. Mit Blick auf die Wirksamkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts muss das Parlament in den kommenden Jahren auch darüber beraten, inwieweit den Mitgliedstaaten freigestellt werden kann, die Mehrwertsteuersätze eventuell zu senken, und ob die Normalsätze oder die einzelnen Ausnahmen davon möglicherweise zu Marktverzerrungen führen (wenn sie überhaupt solche Verzerrungen verursachen). Parallel dazu könnten wir auch prüfen, ob der Umstand, dass der Verbrauchsteuer gegenüber den direkten Steuern und insbesondere den die Arbeitnehmer belastenden Steuern Priorität eingeräumt wird, wirklich dazu beiträgt, dass die Mitgliedstaaten die Beschäftigungsziele von Lissabon erreichen. Das wären die Themen für die nächste Aussprache, für die genügend Zeit zur Verfügung stehen müsste. Ich bin davon überzeugt, dass ein guter Hintergrundbericht des Ausschusses dem Parlament in dieser Frage von Nutzen sein würde und wir sogar noch vor dem Jahr 2010 einen schlüssigen Standpunkt festlegen könnten. Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch schlagen wir eine Verlängerung vor, und zwar mit der Änderung, dass auch der Höchstsatz von 25 % festgesetzt werden muss.
Mein zweiter Bericht betrifft die Erstattung der Mehrwertsteuer. Der uns vorliegende Änderungsantrag zur Achten Richtlinie gehört zu einem Paket von drei überaus wichtigen Änderungsanträgen der Kommission vom Oktober 2004, dessen Gültigkeit von der jetzigen Kommission zu Recht verlängert wurde und das für die Konzepte des einzigen Schalters und der einzigen Anlaufstelle bekannt ist. In Verbindung mit den beiden vorliegenden Berichten hat das Parlament dazu wie auch zur Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Steuerbereich bereits einen Standpunkt festgelegt. Ich freue mich, dass wir dem Ersuchen des Rates nachkommen und nun - wenn auch im Nachhinein - unsere Auffassung zur Achten Richtlinie über die Mehrwertsteuererstattung darlegen können. Zunächst möchte ich feststellen, dass wir dem Ansatz der Kommission bezüglich des gesamten Pakets mit Änderungsanträgen einschließlich des Änderungsantrags zur Achten Richtlinie voll und ganz zustimmen, denn damit erhalten die Unternehmen die Möglichkeit, ausstehende Mehrwertsteuern von anderen Mitgliedstaaten einzuziehen. Zudem wird dieser Vorgang durch die Nutzung elektronischer Verfahren beschleunigt. Steuern einzuziehen war bislang nur möglich, wenn das betreffende Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat als steuerpflichtig gemeldet war. Viele haben sich diesem komplexen und kostspieligen Verfahren verweigert, und in den meisten Fällen wurde die ausstehende Mehrwertsteuer gar nicht eingezogen, weil das Verwaltungsverfahren mehr gekostet hätte als der geschuldete Mehrwertsteuerbetrag ausmachte. Der vorliegende Änderungsantrag wird vor allem die Lage der kleinen und mittleren Unternehmen verbessern, denen es besonders schwer gefallen ist, Zugang zu den für eine kostenoptimierte Erstattung erforderlichen Instrumenten zu erlangen.
Der Ansatz des Rates, wonach die zuständigen Behörden drei Monate für die Prüfung eines Anspruchs zur Verfügung haben, kommt auch den Interessen der kleinen Unternehmen entgegen. Wir unterstützen ebenso den Vorschlag, dass die zuständige Steuerbehörde für jeden Monat Zeitverzug ein sehr hohes Bußgeld zahlen muss. Den Änderungsantrag, dem zufolge jeder Mitgliedstaat das selbst regeln kann, haben wir nicht akzeptiert. Wir sind in unseren Änderungsvorschlägen diesem Ansatz der Kommission gefolgt und haben unterstrichen, dass neben dem Schutz der Unternehmen auch die Aufgaben der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten - gegebenenfalls mit Korrekturen - eindeutig festgelegt werden müssen und ein konkreter Zeitrahmen für die Übermittlung, Prüfung, Beschlussfassung und Erstattung vorzugeben ist. Darum geht es in unseren Änderungsanträgen. Außerdem haben wir gesondert festgelegt, dass der für die Prüfung zur Verfügung stehende Zeitraum von drei Monaten auch im Falle von Rückfragen, Ersuchen um zusätzliche Informationen oder sonstigen Problemen - so haben wir das dem Vorschlag der Kommission entnommen - nicht wieder von vorn beginnt, da unserer Ansicht nach das ganze Verfahren selbst beim Auftreten solcher Probleme vier Monate nicht übersteigen darf. Mit unserem Vorschlag soll vermieden werden, dass unnötige Verzögerungen im Erstattungszeitraum entstehen und das Geld in der Staatskasse belassen wird. Obwohl wir diesen Punkt aus rechtlichen Gründen nicht als formalen Änderungsvorschlag in unseren Standpunkt aufnehmen konnten, hoffe ich dennoch, dass diese Festlegungen als Bestandteil des Pakets der Änderungsanträge, des gesamten Pakets mit den Vorschlägen für eine einzige Anlaufstelle dazu beitragen werden, die Zusammenarbeit zwischen den Behörden zu beschleunigen und Cashflowprobleme in kleinen Unternehmen sowie Probleme hinsichtlich des Anspruchs auf Mehrwertsteuererstattung und der Bestimmung der Pro-rata-Sätze, aber auch Missbrauch zu vermeiden, denn durch Betrug und die Errichtung fiktiver Unternehmen wird sehr oft versucht, die Erstattung einer fiktiven Ausfuhrumsatzsteuer geltend zu machen.
Ich hoffe, der Rat wird in seiner Aussprache die Frist von 10 – 40 Tagen, die die Behörden in dem Niederlassungsmitgliedstaat für die Übermittlung von elektronischen Daten zur Verfügung haben, im Hinblick auf die Obergrenze von 40 Tagen kürzen. Vorrang hat jedoch die schnellstmögliche Umsetzung des Maßnahmenpakets, und wir hoffen, dass wir in einigen Jahren (im Zusammenhang mit der einzigen Anlaufstelle haben wir vier Jahre veranschlagt) auf der Grundlage eines Berichts der Kommission eine Bewertung dazu vornehmen können. Ich bin davon überzeugt, dass das Verfahren und die Kontrollen zur Vermeidung von Missbrauch in Zukunft dadurch beschleunigt werden können, dass eine Art gemeinsamer Datenbank genutzt oder der Zugang zu den Datenbanken der anderen Mitgliedstaaten erleichtert wird. Dazu müssen jedoch zahlreiche rechtliche Fragen geklärt und Probleme im Zusammenhang mit dem Datenschutz sowie Probleme anderer Art gelöst werden, und das sollten wir nach der ersten Bewertung in Angriff nehmen.
Das Wichtigste ist aber jetzt, dass dieser konstruktive Vorschlag schnellstmöglich umgesetzt wird, damit unsere Unternehmen von den Vorteilen, die er bietet, profitieren können.
Pervenche Berès (PSE), Verfasserin der Anfrage. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung wollten wir die beiden von unserem verehrten Kollegen Becsey verfassten Berichte über die Mehrwertsteuer nutzen, um dem Parlament eine mündliche Anfrage vorzulegen, auf die, so hoffe ich, die Annahme einer Entschließung folgen wird. Beim System der ermäßigten Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen befinden wir uns in einer wirtschaftlichen, sozialen, politischen und rechtlichen Lage, die zumindest unangenehm, wenn nicht ausgesprochen schwierig ist.
Wir haben heute ein System, das bereits zweimal verlängert wurde. Ferner liegt uns ein Vorschlag der Kommission von 2003 vor, den das Parlament am 4. Dezember 2003 fast einstimmig befürwortet hat und der seitdem vom Rat blockiert wird. Man sagt uns ja oft, dass eine bessere Rechtsetzung ein zügigeres Arbeiten des Parlaments voraussetzt, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass wir uns auch anschauen sollten, wie die Dinge aus Sicht des Rates ablaufen.
Wir haben es hier mit einem Bereich zu tun, der Einstimmigkeit erfordert, und während einige Mitgliedstaaten allein auf der Grundlage nationaler Interessen einschreiten, indem sie sich die Mehrwertsteuersätze zunutze machen, blockieren sie im Rat die Fortsetzung eines Systems, das sich bewährt hat. Dabei ermöglicht dieses System, Beschäftigung zu sichern, Schwarzarbeit zu bekämpfen und Steuersysteme der Mitgliedstaaten einheitlicher zu gestalten. Deshalb wollte unser Ausschuss diese mündliche Anfrage stellen, durch die wir sowohl die Initiative der Kommission als auch die Bemühungen der luxemburgischen und der britischen Präsidentschaft voll und ganz unterstützen, die beide einen Kompromissvorschlag vorgebracht haben, der den vom Parlament seit 2003 ausgedrückten Wünschen voll und ganz entspricht.
Wir stehen heute mit dem Rücken zur Wand: Dieses System, das zweimal verlängert wurde, läuft zum Jahresende aus, und in neun Mitgliedstaaten wissen ganze Sektoren in diesem Moment immer noch nicht, welches Steuersystem für sie ab dem 1. Januar des nächsten Jahres gilt. Der nächste Ecofin-Rat steht kurz bevor, und hoffentlich vernehmen die Wirtschafts- und Finanzminister dort das sehr starke Signal, das unser Parlament mit dieser mündlichen Anfrage, aber auch mit mehreren schriftlichen Erklärungen, die in das Register unseres Parlaments aufgenommen und von vielen Abgeordneten unterzeichnet wurden, an sie aussendet.
Der luxemburgische Vorschlag, der von der britischen Präsidentschaft aufgegriffen wurde, ermöglicht es, das, was bisher ein einfacher Versuch war, zu klären, zu vereinfachen, zu harmonisieren und zur allgemeinen Anwendung zu bringen. Für den Bausektor und den Sektor der häuslichen Pflege geht es in erster Linie um eine Verlängerung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze. Es geht darum, einen flexibleren Mechanismus beizubehalten und dessen Verlängerung bis 2015 vorzusehen. Es geht darum, den Inhalt des berüchtigten Anhangs H geschlossen zu streichen. Auf Initiative der britischen Präsidentschaft geht es darum, alle fünf Jahre eine Bewertung des gesamten Mechanismus durchzuführen. Mir scheint, hier liegen uns ausgewogene Vorschläge vor, die es, ich wiederhole, ermöglichen, die Beschäftigung in arbeitsintensiven Sektoren zu sichern – hier kommt die Einheitlichkeit des vorgeschlagenen Steuermechanismus ins Spiel -, die Schwarzarbeit zu bekämpfen und zu dem beizutragen, was auf dem Wege ist, zum Leitmotiv dieses Parlaments – und hoffentlich auch über diese Institution hinaus des Rates – zu werden, nämlich die bessere Rechtsetzung und die Ziele von Lissabon.
Gestatten Sie mir noch einmal, dem Rat zu sagen, auch wenn ich sehe, dass er heute Morgen hier nicht vertreten ist, wie wichtig es ist, die Zustimmung der Wirtschafts- und Finanzminister zu erhalten. Ich denke, falls der luxemburgische und britische Vorschlag leider nicht einstimmig angenommen würde, müsste es im Wege der Solidarität, die auch die Tätigkeiten dieses Gremiums leiten sollte, zumindest möglich sein, das derzeitige System noch einmal um ein Jahr zu verlängern. Dies wäre noch das kleinere Übel.
László Kovács, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Bevor ich mit meinen einführenden Erläuterungen beginne, möchte ich mich noch bei Ihnen und den Abgeordneten für die Verspätung entschuldigen. Wir steckten im Verkehr fest, aber nun bin ich ja hier und kann Ihnen den Standpunkt der Kommission vortragen.
Ich möchte dem Berichterstatter, Herrn Becsey, für seine zwei Berichte und Frau Berès für ihre mündliche Anfrage zu einem solch wichtigen Thema danken, das auch mir sehr am Herzen liegt. Ich werde mich zuerst zum Vorschlag über den Mindestnormalsatz der Mehrwertsteuer äußern. Danach werde ich auf die mündliche Anfrage und den Entschließungsantrag zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu sprechen kommen. Abschließend werde ich dann kurz zum Vorschlag für eine achte Mehrwertsteuer-Richtlinie Stellung nehmen, der zum Legislativpaket für die Schaffung einer einzigen Anlaufstelle gehört, über das im September hier im Plenum eine ausführliche Aussprache stattgefunden hat.
Die Kommission dankt dem Europäischen Parlament für die schnelle Bearbeitung des Vorschlags über den Mindestnormalsatz der Mehrwertsteuer und insbesondere dem Berichterstatter, Herrn Becsey, für seinen aktiven und positiven Beitrag. Dieser Vorschlag muss dringend verabschiedet werden, da die geltenden Bestimmungen am 31. Dezember 2005 auslaufen. Wenn nicht rechtzeitig eine Entscheidung zustande kommt, wird in den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft eine Rechtslücke bestehen.
Die geltenden Bestimmungen über den Normalsatz der Mehrwertsteuer haben zusammen mit den Übergangsregelungen bisher recht gut funktioniert. Daher erscheint es zweckmäßig, den Mindestnormalsatz von derzeit 15 % für einen weiteren Zeitraum von fünf Jahren beizubehalten, damit während der Umsetzung der neuen Strategie zur Vereinfachung und Verbesserung der geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft im Bereich der Mehrwertsteuer keine Rechtslücke entsteht.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass dieser Vorschlag vom Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU positiv aufgenommen wurde. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der Kommissionsvorschlag angesichts der aktuellen Rechtslage – d. h. der Einstimmigkeitsregel – die beste Lösung darstellt. Ich möchte betonen, dass ich die Bedenken der Abgeordneten vollkommen verstehe, weil einen Monat vor dem Auslaufen der Richtlinie zu den ermäßigten Sätzen auf arbeitsintensive Dienstleistungen die Entscheidung des Rates noch immer aussteht. Doch meiner Meinung nach lässt sich dieses Problem mit dem vorliegenden Vorschlag nicht lösen. Daher möchte ich die Abgeordneten nachdrücklich auffordern, keine Verbindung zwischen diesem Papier und den Debatten über den Anwendungsbereich der ermäßigten Mehrwertsteuersätze herzustellen, die derzeit auf der Grundlage des Kompromissvorschlags der Kommission vom Jahre 2003 im Rat geführt werden.
Ich komme nun zur mündlichen Anfrage und zum Entschließungsantrag zu den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen auf arbeitsintensive Dienstleistungen. Ich möchte Ihnen für diese Anfrage an die Kommission danken. Mir ist bewusst, dass diese Frage der Öffentlichkeit und den Unternehmen große Sorge bereitet. Auch mich beunruhigt dieses Problem außerordentlich, da die geltende Regelung zur Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen Ende dieses Jahres auslaufen wird. Ich schätze die Bemühungen der britischen Präsidentschaft sehr, in der Frage der ermäßigten Mehrwertsteuersätze einen Kompromiss zu erzielen. Dieses Thema wurde auf der Tagung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ vom 8. November beraten und wird am 6. Dezember noch einmal auf der Tagesordnung stehen. Sollte der Rat bis Jahresende keinen Beschluss zur Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen fassen, dann hätten wir an diesem Ergebnis schwer zu knabbern. Die Unternehmen sind sehr beunruhigt, weil sie Rechtssicherheit brauchen. Ich kann Ihnen versichern, dass die Kommission alles Erdenkliche tun wird, um der Präsidentschaft beim Erzielen einer Einigung in dieser Sache zu helfen.
Ich möchte hier nicht näher auf den Kompromissvorschlag der Präsidentschaft eingehen, sondern die Schwierigkeiten schildern, die bei vorherigen Aussprachen zu diesem Thema aufgetreten sind. Einige Delegationen lehnen eine Erweiterung des Anhangs H grundsätzlich ab. Diese Haltung kann ich eigentlich nicht nachvollziehen. Da die in Anhang H aufgeführten ermäßigten Sätze auf freiwilliger Basis angewendet werden können, bestehen – abgesehen von einigen wenigen Kategorien, für die in ganz Europa weitgehend ermäßigte Sätze gelten – bereits heute gewaltige Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten.
Nimmt man noch die zahlreichen Ausnahmeregelungen für einige Mitgliedstaaten hinzu, werden diese Unterschiede sogar noch größer. Ein sehr gutes Beispiel sind die Restaurantdienstleistungen. Die Hälfte der Mitgliedstaaten wendet schon jetzt im Rahmen spezifischer Ausnahmeregelungen ermäßigte Sätze auf Restaurantdienstleistungen an, und das hat keinerlei Anlass zu Beschwerden gegeben oder Wettbewerbsverzerrungen verursacht. Weshalb sollte also nicht allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden, in diesem Bereich ermäßigte Sätze anzuwenden, falls sie dies wünschen? Einige Mitgliedstaaten drängen auf mehr Subsidiarität. Bei der Anwendung zusätzlicher ermäßigter Sätze müssen zwar auch die Auswirkungen auf den Haushalt in Betracht gezogen werden, doch meiner Meinung nach fallen hier nur sehr wenige Sektoren ins Gewicht. Im Großen und Ganzen werden wohl nur das Restaurantwesen und die Baubranche beträchtliche Auswirkungen auf den Haushalt haben. Bei der Baubranche etwa könnte der Rat Kriterien zur Einschränkung des Anwendungsbereichs ermäßigter Sätze aufstellen, um die möglichen Folgen auf den Haushalt zu begrenzen. So könnte zum Beispiel die Anwendung ermäßigter Sätze auf Gebäude ab einem bestimmten Alter beschränkt werden.
Ich möchte die wirtschaftliche Bedeutung des Bausektors hervorheben. Wie Sie wissen, hatte die Kommission stets ihre Zweifel, ob die Einführung ermäßigter Mehrwertsteuersätze den Arbeitsmarkt beflügeln würde. Daran hat sich nichts geändert. Dennoch müssen wir einsehen, dass der Mehrwertsteuersatz zumindest in diesem Sektor eine wichtige Rolle spielt. Im Gegensatz zur Senkung des Satzes könnte dessen Erhöhung durch die Wiedereinführung des Normalsatzes zu einem sofortigen Anstieg der Verbraucherpreise führen. Dies hätte negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und könnte sogar die Schattenwirtschaft in den betroffenen Mitgliedstaaten befördern. Ich bin mir bewusst, dass dies Unternehmen, den betroffenen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament große Sorge bereitet. Deshalb gibt es meines Erachtens gute politische und wirtschaftliche Gründe, zumindest den Status quo in diesem Bereich aufrechtzuerhalten.
Allerdings bestehen da einige Bedingungen. Zunächst einmal sollten nur lokal erbrachte Dienstleistungen in den bestehenden Anwendungsbereich der ermäßigten Mehrwertsteuersätze aufgenommen werden. Außerdem sollten die ermäßigten Sätze nicht auf neue Warenkategorien ausgeweitet werden, da die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung zu hoch ist.
Zweitens ist die bloße Verlängerung der versuchsweisen ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen weder praktikabel noch wünschenswert. Anfangs habe ich diese Lösung favorisiert, aber wir müssen doch zu der Einsicht gelangen, dass es eine Illusion ist zu glauben, eine bloße Verlängerung hätte eine bessere Chance, vom Rat einstimmig angenommen zu werden, als der derzeit erörterte Kompromissvorschlag. Zudem war dieses Experiment auf neun Mitgliedstaaten begrenzt, so dass mit einer bloßen Verlängerung nur die ungleiche Behandlung der Mitgliedstaaten fortgesetzt werden würde. Ich muss betonen, dass der Rat ja schon mehr als zwei Jahre Zeit hatte, zu einem Beschluss zu kommen. Er sollte sich nicht noch einmal vor seiner Verantwortung drücken.
Drittens sollte die Kompromisslösung fair sein, also einen Schritt in Richtung Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten darstellen. Meines Erachtens würde der Vorschlag der britischen Präsidentschaft einer Verlängerung der befristeten Ausnahmeregelungen für die neuen Mitgliedstaaten zunächst bis 2015 genau dazu beitragen.
Ich weiß, dass einige der Abgeordneten dem wahrscheinlich nicht uneingeschränkt zustimmen, insbesondere was die Erweiterung der arbeitsintensiven Dienstleistungen betrifft. Deshalb möchte ich Sie bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass die Kommission schon damals, als der Rat eine zweite Verlängerung der Anwendung ermäßigter Sätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen gebilligt hat, die Auffassung vertrat, dass die neuen Mitgliedstaaten die gleichen Möglichkeiten erhalten sollten. Als die Beitrittsverhandlungen stattfanden, wurde die Möglichkeit der Anwendung ermäßigter Sätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen gar nicht erst in Betracht gezogen, da dieses Experiment ja eigentlich am 31. Dezember 2003 auslaufen sollte, also vor der EU-Erweiterung. Daher ergab sich durch die Verlängerung der Maßnahmen auch ein neuer Faktor, der Anlass zur Prüfung der Sachlage gab. Wir stehen jetzt eindeutig vor einer ganz anderen Situation als 2003, und deshalb ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Rat wie bisher einstimmig darum bitten wird, dass die Kommission eine Verlängerung vorschlägt. Zudem bedeutet eine reine Verlängerung dieses Experiments bei arbeitsintensiven Dienstleistungen keine Lösung für die weit verbreitete Forderung, auch für Restaurantdienstleistungen ermäßigte Sätze einzuführen, die derzeit nicht in Anhang K enthalten sind.
Unter dem Strich halte ich es also für dringend erforderlich, dass der Rat endlich einen Entwurf für einen praktikablen Kompromiss erarbeitet, damit im Dezember auf der letzten Tagung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ während der britischen Präsidentschaft ein politischer Beschluss gefasst werden kann. Die Kommission ist jedoch auf den Rat angewiesen, und wir können nur eines tun, nämlich den Rat beim Erzielen einer Einigung in jeder Hinsicht zu unterstützen.
Als für steuerliche Angelegenheiten zuständiger Kommissar kann ich Ihnen versichern, dass die Kommission auf der Tagung des Rates „Wirtschaft und Finanzen“ am 6. Dezember alles in ihrer Macht Stehende tun und größtmögliche Flexibilität zeigen wird, damit auf der Grundlage des britischen Kompromissvorschlags eine einstimmige Einigung erzielt werden kann.
Abschließend möchte ich noch kurz etwas zum Vorschlag zur achten Richtlinie sagen. Wie ich schon bei mehreren Gelegenheiten hervorgehoben habe, könnten die Ziele von Lissabon unter anderem dadurch erreicht werden, dass der Verwaltungsaufwand und die Kosten für die Einhaltung der Vorschriften im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr abgebaut werden, um so die EU-weiten Aktivitäten von Unternehmen zu fördern. Heute besteht die Möglichkeit, einen weiteren Schritt zur Verwirklichung dieses Ziels zu machen. Der uns heute vorliegende Vorschlag gehört zu einem größeren Paket, das auf die Schaffung einer einzigen Anlaufstelle ausgerichtet ist. Die anderen Punkte des Gesamtvorschlags – wie die Vereinfachungsmaßnahmen, denen zufolge Steuerpflichtige ihre Anträge auf Erstattung der Mehrwertsteuer im Niederlassungsmitgliedstaat stellen können, und die Bestimmungen zum Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten – wurden vom Parlament bereits im September verabschiedet. Dieser Teil des Vorschlags zielt auf die Reform des Verfahrens zur Mehrwertsteuererstattung für Unternehmen ab, die ihren Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer in einem Mitgliedstaat stellen müssen, in dem sie nicht niedergelassen sind. Ein komplett elektronisches Verfahren würde das momentane aufwändige Papierverfahren zur Mehrwertsteuererstattung ersetzen, das derzeit im Rahmen der achten Richtlinie besteht. Durch diesen neuen Vorschlag könnte das Verfahren zur Mehrwertsteuererstattung wesentlich beschleunigt werden. Das würde vor allem kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommen. Insofern begrüße ich zwar den positiven Beitrag des Berichterstatters, kann aber die vorgeschlagenen Abänderungen nicht befürworten. Die meisten Punkte sind bereits im Vorschlag der Kommission zur Schaffung einer einzigen Anlaufstelle enthalten. Daher bitte ich Sie, den ursprünglichen Vorschlag der Kommission zu unterstützen.
Nun bin ich gespannt auf Ihren Standpunkt zu den drei Dossiers über die Mehrwertsteuer, die auf der heutigen Tagesordnung stehen. In meinen Abschlussworten werde ich dann zu den eingereichten Änderungsanträgen Stellung nehmen.
Marianne Thyssen, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Für Ihre hoffnungsfroh stimmenden Ausführungen sei Ihnen, Herr Kommissar, herzlich gedankt. Ich glaube, wir können bei der MwSt-Gesetzgebung allen Optimismus dringend gebrauchen, denn bessere Rechtsetzung und gute Verwaltung sind zwar in aller Munde, aber bei zwei der drei auf der Tagesordnung stehenden Themen stellen wir genau das Gegenteil fest.
Ich begrüße die Vereinfachung der Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige. Unternehmen, auch die kleinsten sowie alle KMU eingeschlossen, werden nunmehr allesamt die Möglichkeit erhalten, ihr Geld innerhalb einer angemessenen Frist effektiv zurückzufordern. Diejenigen von uns, die der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten angehören, können das nur befürworten.
Dann wird da aber auch noch die Erweiterung der Spanne des normalen Mehrwertsteuersatzes vorgeschlagen. Der Vorschlag einer solchen Erweiterung ist selbstverständlich begrüßenswert und wird von uns unterstützt, doch erscheint es uns etwas drastisch, eine solche Maßnahme weniger als 30 Tage vor Ablauf der Frist und dem Inkrafttreten der Nachfolgeregelung einzuführen. Wie dem auch sei, jeder weiß, was auf ihn zukommt. Die Beschlussfassung wird zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, wonach sich dann alle wieder für weitere fünf Jahre zurücklehnen können.
Gravierender sind indes die Schwierigkeiten – anders kann ich sie nicht bezeichnen – im Zusammenhang mit Anhang K sowie, indirekt, Anhang H zur Sechsten MwSt-Richtlinie. Die versuchsweise Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen läuft jetzt schon doppelt so lange wie ursprünglich geplant. Der Rat ist schlichtweg außerstande, eine Evaluierung vorzunehmen und eine Entscheidung zu treffen.
Die Bereiche, denen wir, also die Kommission und das Parlament, 2003 die Möglichkeit der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in Aussicht gestellt hatten – Hotel- und Gaststättengewerbe, Baugewerbe, aber auch Wäschereien und Gartenbaubetriebe –, müssen weiter warten. Der Rat sagt weder „Ja“ noch „Nein“, der Rat trifft keine Entscheidungen, und er ist nicht in diesem Saale anwesend. Wir schaffen Unsicherheit, und Unsicherheit ist der wirtschaftlichen Entwicklung abträglich. In einer Zeit, in der wir dringend auf Wachstum und mehr Beschäftigung hoffen, ist dies inakzeptabel. Herr Kommissar, wir verlassen uns auf Ihre Unterstützung bei den Beratungen mit dem Rat und stimmen im Übrigen den beiden Berichten Becsey sowie dem mit der mündlichen Anfrage verbundenen Entschließungsantrag uneingeschränkt zu.
Ieke van den Burg, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ich war diejenige, die applaudiert hat, weil ich nämlich den Ausführungen von Frau Thyssen voll und ganz beipflichte. Zunächst möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Becsey, der sich durch diese schwierige Materie hindurchgearbeitet hat und mittlerweile unser Mehrwertsteuer-Experte im Ausschuss für Wirtschaft und Währung ist, Anerkennung zollen. Wir stimmen seinem Bericht sowie dem, was andere zur Mehrwertsteuer-Erstattung gesagt haben, zu. Für grenzüberschreitend tätige Unternehmen ist eine zügigere und vereinfachte Einführung unabdingbar, andernfalls ist der Binnenmarkt in Europa eine Farce.
Der zweite Bericht steht mit der mündlichen Anfrage, die wir eingereicht haben, im Zusammenhang und betrifft die Fristen, innerhalb derer einige Festlegungen zu treffen sind. Mit Frau Thyssen gehe ich vollkommen konform, wenn sie es als lächerlich bezeichnet, dass jetzt, wo nur ein Monat verbleibt, noch Ungewissheit herrscht, insbesondere in den Sektoren arbeitsintensiver Dienstleistungen, die nach wie vor nicht wissen, woran sie sind. Den Kommissar trifft hier keine Schuld; als Rechtsetzungsorgan ist der Rat verantwortlich, und der schafft es nicht, eine Regelung festzulegen.
Ich stehe hier, um mich für diese arbeitsintensiven Dienstleistungen einzusetzen. Nach meiner Auffassung sollten sie in Anhang H – der strukturellen Lösung – aufgenommen werden. Ich hoffe, dass unser Appell hier in diesem Hause jedenfalls den letzten Anstoß dazu geben wird, eine Übereinkunft zu erzielen, und dass man die Zeit finden wird, im nächsten Jahr eine Aussprache dazu zu führen. Ich für meinen Teil bin für eine wesentlich breiter angelegte Diskussion. Die ganze Debatte über den Wechsel von der indirekten zur direkten Besteuerung, worauf Ihr Ministerpräsident, Herr Verhofstadt, nochmals sehr ausdrücklich Bezug genommen hat, steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der strukturellen Behandlung dieser Mehrwertsteuersätze.
Deshalb spreche ich mich wie Herr Becsey dagegen aus, in dieser Übergangsphase einen Höchstsatz zu bestimmen, und bin unbedingt für die Schaffung einer strukturellen Möglichkeit zur Anwendung dieser niedrigen Steuersätze. Wenn man von direkter zu indirekter Besteuerung übergehen will, was ja tatsächlich sehr vorteilhaft sein kann, muss man auch die Sätze differenzieren. Niedrige Sätze werden aus sozialen Gründen, aus Beschäftigungsgründen sowie zur Regelung und Verhinderung von Schwarzarbeit angewandt. Alle diese Elemente müssen mit berücksichtigt werden. Höhere Sätze sollte man vielleicht auf bestimmte Faktoren wie Luxus oder Umweltverschmutzung anwenden.
Diese Diskussion über strukturelle Aspekte sollte nächstes Jahr auf jeden Fall geführt werden, und hoffentlich kann der Kommissar den ersten Impuls dazu geben. Ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten nicht jedes Mal die Einstimmigkeitsregel und die für sie bestehende Option zum Vorwand nehmen, um alle möglichen Blockaden zu errichten und heimliche Absprachen zu treffen. Dies hielte ich für keine gute Verwaltung und keine gute Rechtsetzung und schließe mich damit den Worten von Frau Berès an.
Margarita Starkevičiūtė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Ich möchte meinem Kollegen Becsey meinen Dank für seine Arbeit zu Mehrwertsteuerfragen und die dazugehörigen Dokumente aussprechen. Heute beraten wir eine Steuer von gesamteuropäischer Bedeutung. Obwohl die Europäische Union keine gemeinsame Finanzpolitik besitzt, ist die Mehrwertsteuer eine wichtige Finanzierungsquelle für den EU-Haushalt. Bereits 1977 wurde mit der Annahme der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie der Versuch unternommen, eine gemeinsame Mehrwertsteuergrundlage zu schaffen, um die Stabilität der Zahlungen für den EU-Haushalt sicherzustellen.
Die Arbeit auf diesem Gebiet hat hervorragende Ergebnisse gebracht, doch das gegenwärtige System der Mehrwertsteuersätze sieht noch immer Ausnahmen in Form von wesentlich niedrigeren Mehrwertsteuersätzen für bestimmte Waren und Dienstleistungen vor. Darüber hinaus liegt das Problem nicht nur in den einzelnen Waren, auf die diese Mehrwertsteuersätze in verschiedenen Mitgliedstaaten angewendet werden, sondern auch in den unterschiedlichen Geltungsbedingungen für diese Ausnahmen. Ein derart kompliziertes System erschwert die Vorhersage des langfristigen Zuflusses von Haushaltsmitteln und schafft außerdem potenziell unterschiedliche Bedingungen, nach denen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie anwenden.
Deshalb möchte ich vorschlagen und entsprechende Vorschläge unterstützen, dass die Europäische Kommission ein gemeinsames Verzeichnis von Waren und Dienstleistungen erstellt und prüft, für die ermäßigte Steuersätze gelten. Zudem sollte die Kommission die makroökonomischen Auswirkungen dieser Regelungen sowie die Erfahrungen der einzelnen Länder auswerten, um sicherzustellen, dass dieses Verzeichnis auch auf lange Sicht und nicht nur zeitweilig Gültigkeit besitzt, sofern nichts anderes vereinbart wird. Die Einführung eines solchen gemeinsamen Verzeichnisses würde dazu beitragen, die falsche Praxis der Anwendung ermäßigter Steuersätze als Ausnahmeregelungen in einigen Mitgliedstaaten zu verhindern, wenn andere Länder diese Sätze nicht in Anwendung bringen können. Ferner würde es zweifellos die Stabilität des Mittelzuflusses zum Haushalt der Europäischen Union sichern, da so die Vorhersage langfristiger Finanzflüsse möglich wäre.
Ian Hudghton, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Zum Thema der ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es nun schon fast ein Jahr her ist, seit das Parlament einen Bericht angenommen hat, für den ich der Berichterstatter war und in dem nachdrücklich der Grundsatz befürwortet wurde, dass alle Mitgliedstaaten zur Anwendung dieser Regelung berechtigt sein sollten. Es ist enttäuschend, dass in den letzten zwölf Monaten keine Fortschritte gemacht wurden.
Ich sagte damals, dass wir natürlich den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten gewährleisten müssten, und wies außerdem darauf hin, dass wir den Rat eindringlich auffordern sollten, diesen Grundsatz fortan bei der Verwirklichung der Strategie von Lissabon zu berücksichtigen. Mir ist klar, dass es schwierig ist, die positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Zahlen zu fassen, doch ich bin auch davon überzeugt, dass die plötzliche Wiedereinführung der Mehrwertsteuer auf arbeitsintensive Dienstleistungen negative Folgen haben wird.
Ich weiß aus eigener Erfahrung in einem kleinen Bauunternehmen, dass die Erhebung des vollen Mehrwertsteuersatzes die Wahl der Verbraucher beeinflusst. In vielen Fällen gehen die Verbraucher dorthin, wo keine Mehrwertsteuer verlangt wird. Dieser Entschließungsantrag, den alle Fraktionen unterstützen und der heute zur Abstimmung steht, ist durchaus vernünftig. Das ist das Mindeste, was wir vom Rat erwarten können, wenn wir nicht nach dem Auslaufen dieser Regelung einen plötzlichen Schock erleben wollen. Ich hoffe, wir können die Mitgliedstaaten zu einer stärkeren Mitwirkung daran bewegen, so dass wir Daten zu den positiven Auswirkungen zusammenstellen können, die sicherlich irgendwie beziffert werden können.
Diamanto Manolakou, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Die indirekte Besteuerung stellt ein elementares Mittel dar, um das Einkommen des Volkes zu schröpfen, und ist deshalb volksfeindlich.
Die unter dem Vorwand der Investitionsförderung gewährten permanenten Steuerbefreiungen für das Großkapital und seine Profite gehen einher mit einer gleichzeitigen Anhebung der indirekten Steuern und einer Verringerung des Einkommens des Volkes. Aus diesem Grunde sprechen wir uns gegen jegliche Form einer indirekten Besteuerung aus sowie insbesondere gegen die Art und Weise, in der das Mehrwertsteuersystem derzeit funktioniert.
Erst vor kurzem hat die griechische Regierung in meinem Land in treuer Erfüllung des Diktats des Stabilitätspakts die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht. Zugleich ist zu hören, dass es unter dem Druck der Kommission eine weitere Anhebung geben könnte. In Bezug auf die Unternehmensgewinne wurde natürlich eine Steuerkürzung um zehn Prozentpunkte propagiert. Es entbehrt nicht der Ironie, aber möglicherweise gelangen wir am Ende an den paradoxen Punkt, einen MwSt-Höchstsatz von 25 % zu befürworten, weil wir dann sicher sein können, dass dieser nicht noch mehr steigen wird.
Die Sätze von 15 % bis 25 %, die keine Unterscheidung zwischen unmittelbaren Bedarfsartikeln und Luxusgütern gestatten, die Einheitssätze, die dem armen Arbeiter und dem reichen Geschäftsmann die gleiche Verbrauchsteuer auferlegen und die Zahnpasta mit demselben Satz besteuern wie eine Yacht, liegen häufig über den Sätzen, mit denen das Großkapital direkt besteuert wird. Es wird sogar vorgeschlagen, die gestaffelten Direktsteuern abzuschaffen und einen Standardsatz einzuführen, der dem für die indirekten Steuern entspricht.
Die Tatsache, dass die experimentelle Richtlinie, die für arbeitsintensive Dienstleistungen einen geringeren MwSt-Satz zulässt, keine generelle Anwendung finden kann, ist ein typisches Beispiel für die Einheitsstrategie des Großkapitals und die innerkapitalistischen Auseinandersetzungen. Der Umsetzungszeitraum, der den Mitgliedstaaten gestattet, auf bestimmte Tätigkeiten ermäßigte MwSt-Sätze zu erheben, damit dadurch zugleich auch die betreffenden Arbeitsplätze erhalten werden können, ist zweimal verlängert worden. Es ist bislang nicht möglich gewesen, sie auf alle Mitgliedstaaten anzuwenden, was eben gerade ein Beleg für die bestehenden Differenzen ist.
Wir kämpfen gemeinsam mit den Arbeitnehmern für den Schutz des Einkommens des Volkes, die Abschaffung indirekter Steuern und die Durchführung einer progressiven Einkommen- und Kapitalsteuerpolitik, um zu verhindern, dass die Arbeitnehmer, die Rentner, die Arbeitslosen und die Volksschichten generell weiterhin die Rechnung bezahlen müssen und dass die Steuern als eines der Instrumente zur Umverteilung des Einkommens der Arbeitnehmer zugunsten des Großkapitals benutzt werden.
John Whittaker, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Im Bericht Becsey zum Mindestnormalsatz heißt es, dass das Ziel des Europäischen Parlaments letztendlich darin bestehe, die wirtschaftliche Produktivität und die Wachstumsraten in der EU zu steigern. Das sind hehre Ziel, und Sie werden mir sicher gestatten, einige allgemeine Ratschläge zu geben.
Laut der aktuellen Prognose des IWF ist in der Eurozone 2006 mit einem Wachstum von 1,8 % zu rechnen, wobei die größten Volkswirtschaften am schlechtesten abschneiden. Dieses schwache Wachstum reicht bei weitem nicht aus, um das Sozialprogramm der EU zu finanzieren. Die Kommission geht davon aus, dass eine Senkung der Einkommensteuer um 1 % des BIP zu einem überproportionalen Wirtschaftswachstum führen würde. Daher sollte die Umstellung von der direkten zur indirekten Besteuerung mithilfe eines harmonisierten Mehrwertsteuersystems erfolgen. Leider gibt es keine stichhaltigen Beweise dafür, dass ein solches Wachstum auch wirklich einträte. Zudem würde ein solcher Schritt auch eine Umverteilung von Arm nach Reich mit sich bringen, wie es ja bereits bei der Gemeinsamen Agrarpolitik geschehen ist, die nicht den Landwirten, sondern den Landbesitzern zugute kommt. Ist es wirklich das, was wir wollen?
Unsere Partner in der Kommission sollten meiner Meinung nach lieber die Finger von einer Harmonisierung der Besteuerung lassen. Ist ihnen denn nicht klar, dass sie mit ihrem illusorischen Ziel der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen und ihren nach innen gerichteten Regulierungsmaßnahmen das Wachstum eher behindern, anstatt es zu fördern? Die Arbeitszeitrichtlinie, die Leiharbeitnehmer-Richtlinie und die Gemeinsame Agrarpolitik sind allesamt Beispiele für eine Europäische Union, die die Augen vor der Realität der globalen Märkte, des freien Handels und der Effizienz verschließt und stattdessen ein überholtes Sozialmodell verfolgt, das in der globalen Wirtschaft keinen Platz mehr hat.
Die Harmonisierungspolitik sollte auf der Agenda jeder nationalen Regierung an letzter Stelle stehen, wenn sie das Wirtschaftwachstum ihres Landes wirklich steigern möchte. Vielmehr würden ein paar echte deregulierende Maßnahmen wahre Wunder bewirken.
Der Präsident. Herr Whittaker, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass es weltweite Umfragen gibt, wonach Europa die attraktivste Region in der ganzen Welt ist. Die meisten Menschen der Welt würden am liebsten in Europa wohnen, noch vor Amerika. Also so schlecht kann das europäische System gar nicht sein!
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Wenn Sie Ihre Führung dazu benutzen, auch politische Statements abzugeben, dann können wir sagen, dass das am Image liegt. Aber was hier so technisch klingt, rührt doch an Grundsätzlichem im Gemeinwesen. Bei der Mehrwertsteuerfrage geht es immer auch um Gerechtigkeit. Man muss schon feststellen, dass diese Europäische Union aus einer Schwäche heraus – weil die Zähne, so wie wir uns organisieren, nicht mehr beißen – jetzt zusehends zur Prothese der Mehrwertsteuer greift, um überhaupt noch bestimmte Steuereinnahmen, die diesen Namen verdienen, akkumulieren zu können. Dabei wird sehr ungerecht vorgegangen, weil das, wie wir wissen, sehr oft die Falschen trifft.
Zwei Österreicher könnten da vielleicht als Vorbild dienen. Einen kennen Sie, Bruno Kreisky, den anderen werden Sie wahrscheinlich noch besser kennen lernen, Karl-Heinz Grasser. Schon Kreisky hat sehr klar erkannt, dass wir mit diesen Ansätzen nicht weiterkommen, dass wir, vor allem was die Höhe der Mehrwertsteuer betrifft, dort ansetzen müssen, wo man wieder ein bisschen von dem zurückbekommen kann, was woanders verloren geht. Also das, was den Reichen wirklich Spaß macht: die Luxuslimousinen, die Jachten, die zusätzlichen Immobilien, das soll jetzt durch diesen Änderungsantrag verhindert werden. Das halte ich für falsch. Karl-Heinz Grasser versucht wenigstens in Österreich – und ich denke, das ist vorbildhaft – zu verhindern, dass international tätige Unternehmen den Vorsteuerabzug hin und her schieben können, ohne überhaupt jemals Mehrwertsteuer abliefern zu müssen. Eine Chance der zukünftigen Ratspräsidentschaft liegt vielleicht darin, auf europäischer Ebene wenigstens beim Stopfen von Steuerschlupflöchern rund um die Mehrwertsteuer ein Stückchen voranzukommen.
Othmar Karas (PPE-DE). – Herr Präsident! Die meisten Vorredner haben gezeigt, dass die Vorgehensweise in diesem Zusammenhang unprofessionell und unverantwortlich gegenüber den Marktteilnehmern – sowohl den Unternehmen als auch den Kunden – ist und mehr Unsicherheit als Klarheit schafft.
Ich halte die Planungssicherheit für nicht gegeben, und die Hausaufgaben – sowohl im Rat als auch in der Kommission – wurden nicht ausreichend gemacht. Sonst hätten wir im Zeitplan nicht ein derartiges Wirrwarr an Berichten, Zeitverschiebungen und Verlängerungen von Provisorien, ohne je wirklich eine Lösung zu finden.
Das Wort Steuer hat eine doppelte Bedeutung. Steuern steuern. Die Steuerpolitik ist ein ordnungspolitisches Steuerungsinstrument in der Wirtschaftspolitik. Wenn wir in diesem Bereich auf europäischer Ebene nicht mehr Klarheit schaffen, auch nicht mehr Kompetenz erhalten, wenn nicht eine umfassende Steuerdebatte stattfindet, wenn wir nicht eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerungen bekommen, wenn wir nicht die Steuerschlupflöcher schließen, wenn wir nicht ein einheitliches Steuersystem für die betriebliche Altersvorsorge erhalten, können wir viele unserer politischen Ziele für Wachstum und Beschäftigung nicht erreichen, weil wir das Instrument dazu nicht in der Hand haben.
Daher trete ich für eine umfassende, und nicht für eine auf einzelne Punkte bezogene Steuerdebatte ein. Ich trete für eine langfristige Steuerkonzeption zwischen den Mitgliedstaaten ein und nicht für eine, die um drei Minuten vor zwölf stattfindet, die in der Verlängerung endet und damit keine Lösung schafft. Beide Beispiele zeigen uns, dass auch das, was jetzt herauskommen wird, nur ein Provisorium ist, das uns nicht weiterhilft.
Dariusz Rosati (PSE). – (PL) Herr Präsident! Die Mehrwertsteuersätze gehen in der Europäischen Union zurzeit weit auseinander. Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Normalsätze, unterschiedliche ermäßigte Sätze und unterschiedliche Regeln für deren Anwendung. Das Resultat ist eine Preisverzerrung in der Europäischen Union. Diese unterschiedlichen Sätze beeinträchtigen auch die Zuweisung von Mitteln und verringern auf lange Sicht das Wachstumspotenzial der EU.
Allerdings sind auch zahlreiche Zweifel laut geworden, ob die Mehrwertsteuersätze überhaupt harmonisiert werden müssen, und hier im Plenum waren heute ebenfalls solche Stimmen zu hören. Nach meinem Dafürhalten ist es nun für uns an der Zeit, eine ernsthafte und ausführliche Aussprache über das Steuersystem in der Europäischen Union zu führen. Ich schlage der Kommission vor, die Auswirkungen - positive oder möglicherweise negative -, die schrittweise Angleichung der Mehrwertsteuersätze innerhalb der EU sowie ihre Anwendung eingehend zu prüfen. Wir brauchen verlässliche analytische Daten, auf deren Grundlage wir ernsthafte Überlegungen zu dieser Frage anstellen können.
Was die ermäßigten Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Dienstleistungen anbelangt, so möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Sätze vor sechs Jahren versuchsweise eingeführt worden sind. Es verwundert mich doch sehr, dass die Mitgliedstaaten bisher nicht in der Lage waren, die Ergebnisse dieses Experiments zu bewerten.
Diese Sachlage führt ganz offensichtlich zu einer Diskriminierung der neuen Mitgliedstaaten, und wir dürfen nicht zulassen, dass das so weitergeht.
Wolf Klinz (ALDE). – Herr Präsident, Herr Kommissar! Es ist schon erstaunlich und enttäuschend – wie ja bereits mein Vorredner gesagt hat –, dass wir uns vier Wochen vor Jahresende mit einem Thema beschäftigen, das eigentlich schon längst abgeschlossen sein sollte.
Die 1999 zunächst für drei Jahre eingeführte Sonderregelung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bezog sich ja nur auf wenige Mitgliedstaaten und auf wenige arbeitsintensive Dienstleistungen. Nach dem Ablauf des ursprünglichen Zeitrahmens wurde dieser mehrmals verlängert, das heißt, auch in der Vergangenheit war man nicht imstande, eine definitive Lösung zu finden. Ohne erneute Entscheidung würde diese Regelung Ende dieses Jahres endgültig auslaufen. Fest steht, dass die mit der Einführung der Sonderregelung verbundenen Erwartungen sich in der Vergangenheit nicht oder nur teilweise erfüllt haben.
Die Kommission hat 2003 klar festgestellt, dass die ermäßigten Mehrwertsteuersätze sich nicht in verbilligten Preisen niedergeschlagen haben und dass sie praktisch keinen spürbaren Einfluss auf die Beschäftigungssituation hatten.
Vor diesem Hintergrund hat meine Fraktion ihre Zustimmung zu dem gemeinsamen, parteiübergreifenden Entschließungsantrag an die Erfüllung mehrerer Bedingungen geknüpft: Erstens, die Verlängerung erfolgt einmalig, aber nur noch bis Ende des nächsten Jahres. Zweitens, die Kommission stellt eine umfassende Untersuchung über die Wirksamkeit der Maßnahme an. Drittens, nach Ablauf des Verlängerungszeitraums, also ab Ende nächsten Jahres, dürfen nur noch Bereiche von der ermäßigten Mehrwertsteuer profitieren, in denen diese Ermäßigung tatsächlich positive Wirkung auf Preise und Beschäftigung hat. Dann allerdings ist die Sonderregelung von Dauer. Andere, nicht effektive Bereiche scheiden endgültig aus der Sonderregelung aus. Auch neue Mitgliedstaaten dürfen den ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden, damit es keine Wettbewerbsverzerrungen in der EU gibt.
Für Absatz 2 des Gemeinsamen Entschließungsantrags fordern wir eine getrennte Abstimmung, denn die Regelung ist schon lange in Kraft und der erwähnte Bericht der Kommission ist unseres Erachtens detailliert und aussagekräftig genug.
Marie Anne Isler Béguin (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer würde es heute wagen, in unseren alten EU-Ländern den Abbau von 170 000 Stellen bekannt zu geben? Ist dies Wahnsinn? Eine Absurdität? Nein, es ist einfach die Realität! Wenn der Ecofin-Ministerrat am 6. Dezember die Regelung zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz nicht verlängert, wird diese katastrophale Situation schon 2006 eintreten.
Der 1999 versuchsweise eingeführte ermäßigte Mehrwertsteuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen hat sich bewährt. Durch ihn wurden Arbeitsplätze geschaffen. In Frankreich beispielsweise schätzt der öffentliche Bausektor, dass etwa 60 000 Arbeitsplätze entstanden sind. Der Versuch hat auch zur Bekämpfung von Schwarzarbeit beigetragen. In Frankreich wurde die Anzahl der Verstöße im Bausektor halbiert. Darüber hinaus ist diese Maßnahme nützlich im Kampf gegen die globale Erwärmung. Eine Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in Verbindung mit Arbeiten zur Energieeinsparung würde sowohl den Verbrauchern als auch den Unternehmen zugute kommen und beinhaltet ein Potenzial von Stellen, die nicht ausgelagert werden können. Welche überzeugenderen Argumente könnte also der Rat vorbringen, um die Fortführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes abzulehnen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Frankreich haben die Bürger ihrem Ärger über ein Europa, das nicht mehr ihren Erwartungen entspricht, ja schon Ausdruck verliehen. Deshalb erwarten wir nun in Zukunft wirklich positive Signale von Seiten des Rates.
Patrick Louis (IND/DEM). – (FR) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Mai, nur wenige Tage vor dem Referendum über die Europäische Verfassung, gab die EU-Präsidentschaft bekannt, dass ein Abkommen über die Senkung der Mehrwertsteuer für den Gastronomiesektor in Frankreich von 19,6 % auf 5,5 % bevorstehe. Um die Franzosen dazu zu bewegen, für die Verfassung zu stimmen, musste die französische Regierung dieses Versprechen während der gesamten Kampagne kühn bestätigen, ein Versprechen, das in Wirklichkeit sehr alt ist, denn es stand ja schon im Programm des Präsidentschaftskandidaten Chirac von 2002 und sogar schon 1995. Ebenso hat die französische Regierung, da sie mit einer Einigung auf europäischer Ebene rechnete, in ihrem Haushaltsentwurf für 2006 eine Fortführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Renovierungsarbeiten um ein Jahr vorgesehen und angekündigt. Durch diese Doppelzüngigkeit wird natürlich eine ständige Ungewissheit in Sachen Steuerpolitik genährt, die die Verbraucher und insbesondere die in den betroffenen Sektoren Beschäftigten verunsichert.
Nachdem nun unsere Völker den Superstaat abgelehnt haben, ist es da nicht endlich Zeit, den Europäern reinen Wein einzuschenken? Immer alles mit 25 Mitgliedstaaten machen zu wollen, egal, was es kostet, wirkt lähmend. Ist es nun nicht an der Zeit, sich ein anderes Europa vorzustellen, ein Europa mit variabler Geometrie und Geographie?
José Manuel García-Margallo y Marfil (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Ich bin voll und ganz mit der Rede von Herrn Becsey einverstanden und werde mich deshalb ausschließlich auf den auf arbeitsintensive Dienstleistungen anwendbaren ermäßigten Mehrwertsteuersatz konzentrieren.
Alle in Europa durchgeführten Meinungsumfragen zeigen, dass sich die Europäer um zwei Dinge sorgen: Arbeit zu finden und die Sicherheit zu haben, dass die Mittel zur Aufrechterhaltung des Wohlfahrtsstaats vorhanden sein werden. Um die Bürger in dieser Hinsicht zu beruhigen, ist viel geschrieben, aber wenig getan worden. Viele Worte und keine Taten.
Eine der wenigen konkreten Initiativen, die in diesem Bereich unternommen wurden, ist wahrscheinlich die Errichtung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Dienstleistungen, die Arbeitsplätze schaffen, Dienstleistungen, die die Einstellung von Arbeitnehmern, insbesondere der gering qualifizierten, fördern. Eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes, der auch Ressourcen ans Licht bringt, die vorher verborgen waren und die zur Finanzierung künftiger Renten eingesetzt werden können. Und eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Arbeit, der es uns erlaubt, das instabile Verhältnis zwischen den Steuern auf das Kapital und den Steuern auf die Arbeit neu auszuloten.
Im Moment ist die Situation so, dass dieses Experiment, das im Jahr 2000 begann, auslaufen könnte, wenn es nicht verlängert wird. Und der Rat hat weiterhin keine Meinung; der Rat weiß es nicht und hat keine Antwort.
Ich möchte dem Kommissar sagen, dass er viel mehr tun kann, als er in seiner Rede gesagt hat. Der Kommissar kann Druck auf den Rat ausüben: Er kann ihm sagen, dass es keine gute Idee ist, dieses Experiment gerade dann zu beenden, wenn neue Staaten aufgenommen werden, in denen die Probleme, an deren Lösung wir arbeiten – Fehlen von Arbeitsplätzen, Schattenwirtschaft – noch drückender sind als in den alten Staaten, dass es keine gute Idee ist, ein Experiment einzustellen und dadurch Preissteigerungen und einen Rückgang der Beschäftigung zu riskieren, dass es keine gute Idee ist, dieses Experiment gerade zu dem Zeitpunkt zu beenden, an dem wir über die Dienstleistungsrichtlinie diskutieren wollen, die so viele Bedenken in Bezug auf die Beschäftigung in den Mitgliedstaaten hervorgerufen hat, und der Kommissar kann dem Rat sagen, dass es in diesem Parlament Einstimmigkeit gibt und dass es diesem Parlament nicht gefällt, dass es nicht ernst genommen wird, vor allem wenn der Rat im Gegenzug keine fundierte Meinung anbietet.
VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ Vizepräsident
Joseph Muscat (PSE). – (MT) Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe den Eindruck, dass wir hier offene Türen einrennen, denn der Rat ist nicht anwesend und der Kommissar stimmt unserem nachdrücklichen Standpunkt zu, auch wenn er erklärt, er halte die Verlängerung der Sonderregelung für keine ausreichende Lösung. Meiner Ansicht nach sollten wir jetzt, Anfang Dezember, auch diese Lösung ins Auge fassen. Ganz sicher sollte der Rat unserer Position zugunsten einer Erneuerung dieser sehr arbeitsintensiven Möglichkeit Beachtung schenken, die als Experiment erfolgreich zu sein scheint und Arbeitsplätze geschaffen hat. Abgesehen davon sollte diese Sonderregelung auch auf neue Mitgliedstaaten ausgedehnt werden. Während wir hier über ermäßigte Steuersätze und das Experimentieren damit reden, haben ironischerweise die Regierungen einiger anderer Länder, einschließlich meines eigenen Landes, Malta, seit dem Beitritt zur Europäischen Union ja nicht nur keine Versuche mit niedrigen Steuersätzen unternommen, sondern sogar die Mehrwertsteuer von 15 auf 18 Prozent erhöht. Meines Erachtens sollte auch die Palette der Dienstleistungen erweitert und beispielsweise auf Umwelt- und Restaurantdienstleistungen ausgedehnt werden. Dieser Versuch hat sich als erfolgreich erwiesen. Im Interesse unserer Glaubwürdigkeit bei den Menschen, die uns gewählt haben und die wir vertreten, sollten Kommission und Rat einem der wenigen wirklich erfolgreichen Experimente größeren Wert beimessen.
Paolo Costa (ALDE). – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme in die Ausführungen meiner Kollegen ein, selbst auf die Gefahr hin, dieselben Argumente und Auffassungen zu wiederholen.
In einigen Mitgliedstaaten wurde versuchsweise ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt, doch zum Bedauern für uns alle gerade zu einer Zeit, da die europäische Wirtschaft, speziell in vielen der größeren Mitgliedstaaten, nicht besonders glänzte.
Dieser Versuch hat de facto in den arbeitsintensiven Bereichen einen höheren Beitrag als erwartet geleistet, insofern, als er nennenswerte Beschäftigungsniveaus stützte.
Ein zusätzliches Argument zugunsten der Fortsetzung dieses Versuchs ist u. a. die Tatsache, dass sich die wirtschaftliche Gesamtlage in Europa gegenwärtig leicht, wenn auch noch sehr verhalten, verändert, weshalb ein Abbruch des Versuchs verheerende Folgen hätte.
Zudem war der Versuch insofern positiv, als er innerhalb von sechs Jahren in einigen Ländern sogar zu Strukturanpassungen geführt hat. In meinem Heimatland Italien wurde die versuchsweise Anwendung des ermäßigten MwSt-Satzes zum Beispiel durch eine Maßnahme zur Ankurbelung der Umstrukturierung im Bauwesen – über die Einkommensteuer – flankiert, die sehr erfolgreich war. Sie war wirklich erfolgreich, weil sie eine schnelle Sanierung weiter Teile des italienischen Baubestands ermöglicht und die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Landes verbessert hat.
Unter finanziellen Gesichtspunkten hat das Rezept „Einkommensteuer-ermäßigte MwSt.“ eine enorme Masse an Schwarzarbeit erkennen lassen – ein besteuerbarer Bereich für das Land selbst –, während es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wahrscheinlich die wichtigste Maßnahme zur Stützung der gesamten Binnennachfrage in einer Phase war, wo in Italien der Konsum daniederliegt, die produktiven Investitionen schrumpfen und die Ausfuhren sinken.
Meine Erwägungen sind zwei unter vielen anderen, die für eine Fortführung des Versuchs sprechen. Deshalb hoffe ich, dass der Rat, auch dank des Eingreifens der Kommission, endlich der Stimme des Europäischen Parlaments Gehör schenkt.
Astrid Lulling (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident! Ich unterstütze die Schlussfolgerungen des Berichts über den Mindestnormalsatz der Mehrwertsteuer, aber es ist meine Pflicht, einige Probleme anzusprechen, die ich mit einigen Argumenten unseres Berichterstatters habe, und ich freue mich, dass mich die große Mehrheit meiner Fraktion in dieser Sache unterstützt.
Nach sorgfältiger Prüfung erscheint mir die Idee, für den Normalsatz der Mehrwertsteuer eine Höchstgrenze von 25 % vorzuschlagen, vernünftig. Wir hätten also einen Spielraum von 15 % bis 25 %, vergleichbar mit der Währungsschlange seinerzeit.
Erinnern wir uns daran, dass ja der Ausgangspunkt 1992 war, innerhalb des Binnenmarktes eine Annäherung der Mehrwertsteuersätze anzustreben. Zu dieser Konvergenz kam es dann nicht, aber der Vorschlag des Parlaments, einen Höchstsatz von 25 % festzulegen, könnte für uns der entscheidende Anstoß sein, in diese Richtung zu gehen und so eine zu große Verzerrung der Mehrwertsteuersätze zu verhindern, die schädlich wäre. Deshalb befürworte ich diesen Vorschlag, der vom Ausschuss für Wirtschaft und Währung verabschiedet und bereits zweimal von der Europäischen Kommission gebilligt wurde.
Auch was die in seiner Begründung vom Berichterstatter dargelegte allgemeine Idee betrifft, die Steuersysteme zu reformieren, indem die indirekte Besteuerung auf Kosten der direkten Besteuerung erhöht wird, werde ich meine Bedenken nicht leugnen. Ich sehe darin momentan viel mehr Nachteile als Vorteile: das Risiko, die ohnehin schon zu starken inflationären Spannungen zu erhöhen; die Gefahr, die oft schwache Inlandsnachfrage zu bremsen; und das Problem der sozialen Gerechtigkeit einer solchen Neuorientierung. Kurz gesagt sollten wir hier sehr vorsichtig sein, ehe wir uns auf solche Wege wagen.
Erlauben Sie mir, zuletzt noch etwas zu den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen, insbesondere für arbeitsintensive Tätigkeiten, zu sagen. Diese Maßnahme, die, was Herr Klinz und andere darüber auch denken, positive Auswirkungen auf die Beschäftigung hat, nicht weiterzuführen wäre nicht nur bedauerlich, wie Sie gesagt haben, Herr Kommissar, sondern eine echte Katastrophe für alle betroffenen Sektoren. Ich schließe mich Frau Bérès an, die unsere Sorgen sehr gut erläutert hat, um den Rat dazu zu drängen, seine letzte Chance der Tagung am 6. Dezember zu nutzen und auf der Grundlage des luxemburgischen Vorschlags, der von der britischen Ratspräsidentschaft aufgegriffen und ergänzt wurde, eine Lösung zu finden. Ich hoffe also, dass unsere diesbezügliche Entschließung beim Rat, der hier wieder einmal nicht vertreten ist, endlich Eindruck hinterlässt.
Angesichts der momentanen Sachlage bin ich der Meinung, Herr Präsident, dass die Mitgliedstaaten einen weitaus größeren Handlungsspielraum besitzen sollten, um die Sektoren zu bestimmen, für die ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gelten soll, und das Anliegen der Beschäftigten im französischen Gastronomiesektor, um nur dieses eine Beispiel zu nennen, erscheint mir höchst gerechtfertigt. Ich richte also einen Appell an die neue deutsche Regierung, mehr Flexibilität zu zeigen.
Richard Howitt (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte insbesondere auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, gemeinnützigen Organisationen bzw. Wohltätigkeitsvereinen die von ihnen entrichtete Mehrwertsteuer zurückzuerstatten. Ich bitte Herrn Kommissar Kovács, seine Unterstützung dafür zu bekräftigen, die er vor zwei Monaten hier in Brüssel auf der Konferenz des Ausschusses „European Charities Committee on VAT“ erklärt hat.
Wohltätigkeitsvereinen wie dem „Home Farm Trust“, der 900 Lernbehinderte unterstützt und Zweigstellen in Braintree, Colchester, Newmarket, Saffron Walden und meinem Wahlkreis Sudbury unterhält, gehen gewaltige Geldbeträge verloren, da sie keine Mehrwertsteuer erheben und ihre Leistungen günstig mit hohen Zuschüssen oder kostenlos anbieten.
Studien in Irland, Dänemark und dem Vereinigten Königreich belegen, dass die Ausgaben für die Mehrwertsteuer ungefähr 4 % der Gesamtausgaben der Wohltätigkeitsvereine ausmachen. Da diese Vereine ihre Leistungen fast ausnahmslos auf örtlicher Ebene erbringen, müsste gerade hier der Grundsatz der Subsidiarität zur Anwendung kommen und somit die von ihnen zu zahlende MwSt. von den nationalen Regierungen festgelegt werden. Dieser Grundsatz wurde vom Europäischen Parlament bereits im Bericht Randzio-Plath anerkannt, und ich fordere die Kommission auf, sich dafür einzusetzen, dass die Entscheidungen vor Jahresende getroffen werden. Andernfalls werden die Wohltätigkeitsvereine jedes Jahr Millionen von Euro verlieren.
Avril Doyle (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße dieses Vorschlagspaket der Kommission, vor allem die Bemühungen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands speziell für kleinere und mittlere Unternehmen, die Waren und Leistungen in andere Mitgliedstaaten liefern. Eine Vereinheitlichung der Mehrwertsteuersysteme für diese Unternehmen wird die Effizienz verbessern und zu verstärkten Aktivitäten im Binnenmarkt anregen, was der Lissabonner Agenda dient, die zur Zeit für uns alle im Mittelpunkt stehen und das Ziel sein sollte.
Die Pläne zur Errichtung einer einzigen Anlaufstelle, der wichtigste Bestandteil des Pakets, werden letzten Endes die Einführung neuer Vorschriften für grenzüberschreitende Geschäfte und die Erbringung von Leistungen durch Unternehmen an Verbraucher ermöglichen. In meinem Heimatland wird dies besondere Vorteile für irische Unternehmen haben, die für Verbraucher in anderen Mitgliedstaaten Leistungen in elektronischer Form über das Internet erbringen.
Der gegenwärtig auf 15 % festgelegte Mindestnormalsatz der Mehrwertsteuer läuft Ende dieses Jahres aus. Die Kommission schlägt eine Verlängerung bis 2010 vor. Ich unterstütze dies grundsätzlich, und insbesondere unterstütze ich die Entscheidung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, eine Wirkungsanalyse der impliziten und normalen Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten durchführen zu lassen, die auch erwägen sollte, allen Mitgliedstaaten gleiche Chancen auf die Anwendung reduzierter Sätze für bestimmte Waren und Leistungen zu gewähren. Wir müssen uns noch einmal mit dem Thema besonders ermäßigter Sätze beschäftigen. Mein Heimatland hat niemals ermäßigte Sätze beantragt. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es, glaube ich, nur neun Mitgliedstaaten, die das nutzen.
Hier müssen wir etwas tun. Restaurants, Gastronomie- und Bewirtungsleistungen ist in allen Mitgliedstaaten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn es um Arbeitsplätze und Dienstleistungen geht, dann könnten gerade diese Bereiche im Moment Volkswirtschaften überall in Europa wirklich in Schwung bringen, gehört doch der Fremdenverkehr zu den Wachstumsbereichen. Gegenwärtig sind die auf Lebensmittel erhobenen Mehrwertsteuersätze in einigen Mitgliedstaaten unerhört hoch und bedürfen einer dringenden Überprüfung.
Ich stelle fest, dass der Bericht über die einheitlichen Anlaufstellen und die Erstattung der Mehrwertsteuer allgemein nur wegen einer Veränderung der Rechtsgrundlage an das Parlament verwiesen wurde. Ich finde es nach wie vor Besorgnis erregend, wie oft dieses Parlament Fragen im Zusammenhang mit einer Rechtsgrundlage behandelt. Hier hat das Parlament nur beratende Funktion. Aber was geschieht mit Rechtsgrundlagen? Was geschieht mit Vorschlägen der Kommission zu verschiedenen Rechtsgrundlagen, die der Rat später verändert oder ergänzt oder für die er oft eine zweifache Rechtsgrundlage einführt? Wir brauchen Rechtssicherheit. Unsichere Gesetze sind schlechte Gesetze. Wir müssen in diesem Hohen Haus dringend eine offene Aussprache über das Thema Rechtsgrundlagen führen.
László Kovács, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich danke dem Parlament noch einmal für die schnelle Prüfung des Vorschlags für einen Mindestnormalsatz – schließlich laufen die geltenden Vorschriften am 31. Dezember 2005 aus – und für den positiven Beitrag des Berichterstatters. Ich habe Verständnis für die Sorge der Abgeordneten, dass uns die Zeit davonläuft, möchte Sie jedoch daran erinnern, dass die Kommission ihren Vorschlag bereits 2003 vorgelegt hat und es vielmehr der Rat war, der nicht zu einer einmütigen Entscheidung gelangen konnte.
Ich möchte kurz auf einige Änderungsanträge eingehen. Der erste Änderungsantrag betrifft eine Beschränkung des Normalsatzes durch Einführung einer Obergrenze von 25 %, um ein weiteres Auseinanderdriften der von den Mitgliedstaaten angewandeten Normalsätze der Mehrwertsteuer zu verhindern. Dies würde einen neuen Vorschlag der Kommission erforderlich machen und damit die Annahme eines ab 1. Januar 2006 geltenden Mindestsatzes verhindern. Zudem besteht nach den bisherigen Erfahrungen keine Aussicht auf einmütige Annahme durch den Rat.
Der zweite Änderungsantrag zielt darauf ab, mehr Flexibilität in der Mehrwertsteuergesetzgebung zuzulassen, damit die Mitgliedstaaten auf die sich verändernde wirtschaftliche Situation reagieren können. Dies steht im Gegensatz zum ersten Änderungsantrag, der eine solche Flexibilität in Bezug auf den Normalsatz ja gerade zu verhindern sucht. Generell ist dieser Vorschlag noch nicht das geeignete Instrument für eine allgemeine Einschätzung der makroökonomischen Folgen von Mehrwertsteuersätzen und der damit zusammenhängenden Auswirkungen für die Einnahmen und Haushalte der EU-Mitgliedstaaten.
Ich freue mich, dass ein Teil des Pakets zur Errichtung einer einzigen Anlaufstelle zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer die Zustimmung der Abgeordneten findet. Leider kann die Kommission die vorgeschlagenen Änderungen aus folgenden Gründen nicht akzeptieren:
Die Änderungsanträge 1 und 2 betreffen die Bestimmungen für die Regelung und Zusammenarbeit im Erstattungsverfahren, das einen weiteren Bestandteil des Vorschlags zur Errichtung einer einzigen Anlaufstelle darstellt. Änderungsantrag 3 stellt auf eine Verlängerung der Frist ab, was meines Erachtens nicht notwendig ist. Änderungsantrag 4 ist nicht umsetzbar, da einerseits den Mitgliedstaaten für Erstattungen eine feste Frist von vier Monaten auferlegt würde, es andererseits aber für einen Steuerpflichtigen keine Frist für die Einreichung angeforderter zusätzlicher Informationen gäbe. Zudem steht der Änderungsantrag im Widerspruch zum zweiten Unterabsatz desselben Artikels, demzufolge mit Erhalt der zusätzlichen Informationen vom Steuerpflichtigen abermals eine dreimonatige Frist beginnt.
Ich bin überzeugt, dass die positive Stellungnahme des Parlaments zu einer rechtzeitigen Entscheidung im Rat über den Vorschlag für einen Mindestnormalsatz beitragen und die Diskussion der Vorschläge für eine einheitliche Anlaufstelle sowie deren Annahme unter der österreichischen Präsidentschaft erleichtern wird.
Im Hinblick auf die arbeitsintensiven Dienstleistungen habe ich alle Ausführungen aufmerksam verfolgt und kann Sie nur daran erinnern, dass die Kommission bereits die notwendigen Schritte eingeleitet hat, um ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich von ermäßigten Sätzen entsprechend Anhang H zu unterstützen. Allerdings sind die gegenwärtigen Beratungen im Rat nicht einfach.
Ich habe in meinen einleitenden Worten ausführlich erläutert, weshalb ich eine Verlängerung der versuchsweisen Regelung nicht unbedingt für einen gangbaren Weg nach vorn halte. Außerdem müssen wir sehr vorsichtig sein, da Einmütigkeit im Rat zu einer solchen Verlängerung ebenso schwierig zu erzielen sein dürfte wie eine wirkliche Einigung zum Anwendungsbereich des ermäßigten Satzes.
Ich unterstütze den in der Entschließung des Parlaments zum Ausdruck kommenden Konsens. Er ist ein sehr wichtiges Signal an den Rat, dass eine Einigung erzielt werden muss, die sowohl die Interessen der Europäischen Union insgesamt als auch die aller Mitgliedstaaten berücksichtigt.
Präsident. Zum Abschluss der Aussprache wurde gemäß Artikel 108 Absatz 5 der Geschäftsordnung ein Entschließungsantrag eingereicht.(1)
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute um 11.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Art. 142)
Bruno Gollnisch (NI). – (FR) Jacques Chirac hat die Beschäftigten im französischen Gastronomiesektor bewusst belogen, indem er sie glauben machte, er könne die Mehrwertsteuer für ihren Sektor senken, ohne dafür die Erlaubnis aus Brüssel einzuholen.
Es ist nicht sicher, ob der Rat vor Jahresende eine Einigung zur Neufassung der Mehrwertsteuer-Richtlinie und insbesondere zur Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen erzielt. Falls die Genehmigung dieser ermäßigten Steuersätze nicht auf die eine oder andere Weise verlängert wird, werden ganze Sektoren, insbesondere der Bausektor, am 1. Januar 2006 die Auswirkungen voll zu spüren bekommen.
Warum stehen wir heute hier? Bei den arbeitsintensiven Dienstleistungen ist es der Versuch, den Rat dazu zu drängen, eine umfassende Reform der Mehrwertsteuer-Richtlinie anzunehmen. Für den Gastronomiesektor müssen die Anhänge der Richtlinie geändert werden. Deutschland ist dagegen. Es möchte nicht, dass auf seinem Boden ähnliche Forderungen aufkeimen, da es ja jetzt seine indirekten Steuern um 20 % erhöhen möchte. Hat Deutschland Unrecht? Nein.
Diese Probleme würden nicht existieren, wenn die Mitgliedstaaten an ihrer Steuerhoheit festgehalten hätten und diese benutzen könnten, um die Beschäftigung anzukurbeln. Der eigentliche Fehler, die eigentliche Schuld liegt bei denjenigen, die die Staaten ihrer Hoheitsrechte berauben wollten.
Dominique Vlasto (PPE-DE). – (FR) Die Europäische Union hat die Beschäftigung zu ihrer Priorität erklärt, und trotzdem ist sie nicht fähig, eine Entscheidung zur Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf arbeitsintensive Sektoren zu treffen.
Aufgrund der anhaltenden Blockade im Rat ist es momentan nicht möglich, in den Mitgliedstaaten die Liste der Sektoren, die vom ermäßigten Mehrwertsteuersatz profitieren können, zu verändern. Jahr um Jahr eine Entscheidung des Rates auf die Schnelle zu verlängern, ist kein verantwortungsbewusstes Vorgehen. Die rechtliche und wirtschaftliche Ungewissheit für diese Sektoren kann nicht länger geduldet werden.
Im öffentlichen Bausektor hat der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Renovierungsarbeiten dazu geführt, dass Tausende von kleinen Unternehmen, die von dieser Maßnahme am stärksten betroffen sind, ihre Aktivität steigern und Arbeitskräfte einstellen konnten.
Bei den häuslichen Pflegediensten hat dieser ermäßigte Steuersatz dazu geführt, dass die Schwarzarbeit verringert und die Arbeitsbedingungen verbessert werden konnten.
Für den Gastronomiesektor, eine wichtige Quelle für Beschäftigung in Europa, wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz in den Mitgliedstaaten, die diesen gerne anwenden würden, ohne Zweifel dieselben positiven Auswirkungen haben.
Daher fordere ich den Rat auf, sich seiner Verantwortung zu stellen und eine Einigung zu erzielen, die es ermöglicht, das Beschäftigungspotenzial der arbeitsintensiven Sektoren freizusetzen.