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Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : O-0013/2006

Eingereichte Texte :

O-0013/2006 (B6-0012/2006)

Aussprachen :

PV 13/03/2006 - 22
CRE 13/03/2006 - 22

Abstimmungen :

Angenommene Texte :


Ausführliche Sitzungsberichte
Montag, 13. März 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

22. Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Übergangsfristen (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. – Als nächster und letzter Punkt für heute folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Übergangsfristen von István Szent-Iványi, Graham Watson und Ignasi Guardans Cambó im Namen der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (O-0013/2006 – B6-0012/2006).

 
  
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  István Szent-Iványi (ALDE), Verfasser. – (HU) Herr Präsident! Dieses Jahr wurde als Europäisches Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer ausgerufen. Bis zum 30. April muss jeder Mitgliedstaat entscheiden, ob er seinen Arbeitsmarkt öffnet oder nicht. Diese Entscheidung wird letztlich bestimmen, ob dieses Jahr wirklich das Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer ist oder eine Farce. Dass Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten auf dem Arbeitsmarkt Bürger zweiter und in mancher Hinsicht sogar dritter Klasse sind, ist unannehmbar. Der freie Personenverkehr stellt eine der vier Grundfreiheiten, eine Grundfeste der Europäischen Union, dar. Im Laufe des März-Gipfels erörtern die europäischen Staats- und Regierungschefs den Lissabon-Prozess, der zum Scheitern verurteilt ist, wenn wir nicht einen einheitlichen und flexiblen Arbeitsmarkt schaffen. Dazu bedarf es der Liberalisierung und Freiheit des Arbeitsmarktes.

Die Kommission hat kürzlich eine Einschätzung vorgelegt, aus der klar hervorgeht, dass die Ängste und Befürchtungen der alten Mitgliedstaaten unbegründet sind. Für geraume Zeit wurde ein massiver Zustrom von Arbeitnehmern nach Großbritannien, Irland und Schweden befürchtet, drei Länder, die ihren Arbeitsmarkt geöffnet haben. Dieser blieb jedoch aus. Die Arbeitslosenzahl ist in diesen Ländern entgegen allen Erwartungen nicht gestiegen.

Andererseits ging die Schwarzarbeit zurück, die öffentlichen Einnahmen stiegen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbesserte sich. Die Zahl der illegal Beschäftigten ist in Ländern, die ihren Arbeitsmarkt weiterhin beschränken, erheblich. Das hat die Kommission zu der eindeutigen Schlussfolgerung veranlasst, die Gewinner dieses Prozesses seien die Länder, die den freien Personenverkehr für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten liberalisiert haben.

Bislang habe ich darüber geredet, dass es die Bürger der neuen Mitgliedstaaten sind, die auf dem Arbeitsmarkt als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Seit dem 23. Januar sind sie sogar in mancher Hinsicht Bürger dritter Klasse, denn an diesem Tag trat die Richtlinie in Kraft, nach der die EU jenen Drittstaatsangehörigen das Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit und die Aufenthaltsberechtigung gewährt, die sich mindestens fünf Jahre legal in der Europäischen Union aufhalten. Damit haben wir an sich kein Problem, allerdings bedeutet dies, dass selbst Menschen aus Drittstaaten besser dran sind als Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten.

Aus diesem Grund frage ich den Herrn Kommissar: Welche Vorstellungen hat er zur Lösung dieses Problems; wie kann sichergestellt werden, dass sich Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten auf dem Arbeitsmarkt nicht wie Bürger dritter Klasse fühlen? An dieser Stelle möchte ich die Entscheidung Finnlands, Spaniens und Portugals zugunsten der Freizügigkeit der Arbeitnehmer würdigen. Jetzt warten wir auf die Liberalisierung des Arbeitsmarktes in Frankreich, den Niederlanden und Belgien, da dies im Interesse aller Beteiligten liegt.

 
  
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  Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Herr Präsident! Zunächst einmal sind im Beitrittsvertrag ein differenzierter Ansatz und eindeutige Lösungen vorgesehen, so dass sowohl die Richtlinie über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige als auch die Übergangsregelungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit rechtlich völlig vereinbar zur Anwendung kommen können. Das möchte ich Ihnen genauer erläutern.

Zum einen wäre da die Problematik des erstmaligen Zugangs zum Arbeitsmarkt. In einem solchen Fall ist im Beitrittsvertrag für den Zeitraum, in dem ein alter Mitgliedstaat Übergangsregelungen anwendet, vorgeschrieben, dass dieser Staat beim Zugang zum Arbeitsmarkt den Staatsangehörigen der neuen Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaatsangehörigen Vorrang einräumen muss.

Zum anderen stellt sich die Frage, was für Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedstaaten gilt, die bereits in einem alten Mitgliedstaat wohnhaft sind. Auch in diesem Fall schreibt der Beitrittsvertrag vor, dass Staatsangehörige aus den neuen Mitgliedstaaten, die bereits in einem Mitgliedstaat mit Übergangsregelungen ansässig und beschäftigt sind, nicht restriktiver behandelt werden dürfen als Drittstaatsangehörige, die ebenfalls in diesem Mitgliedstaat wohnen und arbeiten. Das heißt, wenn einem Drittstaatsangehörigen gemäß dieser Richtlinie ein langfristiges Aufenthaltsrecht eingeräumt wird, dann sind die alten Mitgliedstaaten laut dem Beitrittsvertrag verpflichtet, die Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten, die auf ihrem Hoheitsgebiet bereits legal ansässig und beschäftigt sind, zumindest im Einklang mit den in der Richtlinie gewährleisteten Rechten zu behandeln. Dazu gehört auch das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt.

Die gleiche Schlussfolgerung gilt auch für den dritten Sachverhalt, der von der Richtlinie abgedeckt wird: die Mobilität von langfristig Aufenthaltsberechtigten zwischen Mitgliedstaaten. Hier gilt Folgendes: Arbeitnehmern aus Drittstaaten, die langfristig Aufenthaltsberechtigte in einem neuen Mitgliedstaat sind, sollte keine bessere Behandlung zuteil werden als den Bürgern dieses Staates. Das heißt, im Falle eines Umzugs in einen zweiten Mitgliedstaat darf ein alter Mitgliedstaat einem langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen keinen freien Zugang zu seinem Arbeitsmarkt gewähren, wenn ein Bürger aus einem neuen Mitgliedstaat nicht das gleiche Recht auf freien Zugang genießt. Gleiches gilt für den Wohnsitzwechsel zwischen zwei alten Mitgliedstaaten. In beiden Mobilitätsfällen zwischen Mitgliedstaaten kommt – sofern der Bürger eines neuen Mitgliedstaates und der langfristig Aufenthaltsberechtigte nationalen Maßnahmen, wie einer Arbeitserlaubnis, unterliegen – der Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz zum Tragen, wonach dem Bürger des neuen Mitgliedstaats, der schließlich EU-Bürger ist, Vorrang eingeräumt werden muss.

Aus meinen Ausführungen geht hervor, dass die in der Richtlinie gewährten Rechte mit den Bestimmungen des Beitrittsvertrags vereinbar sind. Somit sind auch keine Vorschläge zur Abänderung der Vorschriften notwendig, da Bürger aus den neuen EU-Mitgliedstaaten schon jetzt nicht benachteiligt werden dürfen.

Die Kommission teilt jedoch die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten über diese Frage besser aufgeklärt werden müssen. Daher werde ich allen Mitgliedstaaten ein Schreiben zusenden, in dem die geltenden Regelungen klar erläutert werden.

 
  
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  Csaba Őry, im Namen der PPE-DE Fraktion. – (HU) Herr Präsident! Der Kommission wurde eine mündliche Anfrage vorgelegt, in der es um das Problem der Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten geht. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob im Rahmen der bestehenden Regelungen bestimmte Gruppen von Angehörigen aus Nicht-EU-Staaten im Hinblick auf die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten deutlich besser gestellt sind als Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten. Wenn dem so wäre, liefe offensichtlich etwas schief. Wir müssten hier korrigierend eingreifen, um Einschränkungen des Präferenzprinzips gemäß der Stillhalteklausel des Beitrittsvertrages zu vermeiden.

Nach Artikel 21 der Richtlinie 2003/109/EG haben langfristig Aufenthaltsberechtigte aus Drittstaaten, die in einem zweiten Mitgliedstaat den Aufenthaltstitel erhalten haben, Zugang zum Arbeitsmarkt. Die juristische Wendung ist so zu verstehen, dass der betreffenden Person eine Arbeitserlaubnis nicht verweigert werden kann, wenn sie einen langfristigen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Die Ausstellung eines langfristigen Aufenthaltstitels in einem zweiten Mitgliedstaat beinhaltet praktisch eine Arbeitsgenehmigung. Das heißt, wenn Unternehmen im Zielland bereit sind, Drittstaatsangehörige einzustellen, haben diese, wenn sie aus anderen Mitgliedstaaten kommen, de facto automatisch unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, während der Zugang für Bürger der neuen Mitgliedstaaten eindeutig beschränkt ist und restringiert werden kann.

Das Ziel der Erreichung größerer Mobilität und eines flexibleren und einheitlicheren Arbeitsmarktes ist fraglos begrüßenswert. In diese Richtung zielt offenbar auch die Richtlinie 2003/109/EG, dabei ist jedoch die richtige Reihenfolge zu beachten. Persönlich begrüße ich die Argumentation des Herrn Kommissars und möchte auf die Tatsache aufmerksam machen, dass wir mehr als nur ein Schreiben brauchen – wir brauchen eine Art Verfahrensordnung, in der dargelegt wird, was genau zu tun ist, wenn ein Drittstaatsangehöriger und ein Bürger der EU miteinander in Wettbewerb treten. Nach meinem Dafürhalten brauchen wir eine klarere und detailliertere Orientierung, die ich eigentlich von der Europäischen Kommission erwarte.

 
  
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  Alejandro Cercas, im Namen der PSE-Fraktion.(ES) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich glaube, dass trotz der Antworten auf die Ereignisse und die verschiedenen Auslegungen der Richtlinie dies auch eine gute Gelegenheit bietet, um unseren Standpunkt zu äußern, und ich möchte mich denen anschließen, die der Ansicht sind, dass dieses Problem erst gelöst wird, wenn wir dieser Übergangsfrist endlich ein Ende setzen. Lassen Sie uns hoffen, dass sie so bald wie möglich abgeschafft wird, damit alle Europäer gleich sind und wir die Mobilität der Arbeitnehmer zu einem wichtigen Instrument für unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Beschäftigung und die Ausgestaltung der Europäischen Union machen können.

Deshalb stimme ich mit jenen überein, die eine Politik der offenen Tür fordern, je eher desto besser, und in dieser Hinsicht glaube ich – und als Spanier freue ich mich darüber –, dass die Ankündigung der Regierung meines Landes, die während dieser Übergangsfrist geltenden Einschränkungen aufzuheben, sehr wichtig ist.

Wir haben dies getan, Herr Kommissar, weil wir ein Land mit einer gewissen Erfahrung in Fragen der Einwanderung und Auswanderung sind. Darüber hinaus haben wir im Laufe dieser zwei Jahre wieder deutlich gesehen, dass diese Beschränkungen, die den Ländern Mittel- und Osteuropas vom Europa der 15 auferlegt wurden, aus Gründen der Gerechtigkeit und Solidarität, aber auch aufgrund der Rationalität und des Gemeinsinns aufgehoben werden müssen, heute mehr denn je, in diesem Jahr der Mobilität.

Wir müssen diese Frage in erster Linie aus dem Blickwinkel der Gerechtigkeit und Solidarität betrachten. Wir Spanier hatten ebenfalls eine siebenjährige Übergangszeit, und wir fühlten uns gedemütigt und unfair behandelt angesichts einer Situation, die nicht gerechtfertigt war, denn es wurde deutlich, dass viele dieser fremdenfeindlichen und rassistischen Argumente falsch waren. Der Ansturm auf den Arbeitsmarkt blieb aus. Die spanischen Arbeitnehmer haben niemals Probleme in ihren Gastländern verursacht, im Gegenteil.

Wir haben in den letzten zwei Jahren festgestellt, dass mit den Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten das Gleiche geschieht: Sie haben nicht nur keine Probleme geschaffen, sondern sie lösen Beschäftigungsengpässe, sie verbessern ihre Qualifikation und tragen zur globalen Sichtweise Europas bei.

Deshalb bin ich dafür, dass die Studie der Europäischen Kommission dazu dienen sollte, mehr Länder zu überzeugen, die Beschränkungen aufzuheben, und dass der Tag kommen sollte, da Europa wirklich ein Europa ist, in dem alle europäischen Bürger und alle europäischen Arbeitnehmer die gleichen Rechte haben, denn das wäre nur konsequent, es wäre sehr vorteilhaft für die Mobilität, und Europa braucht Mobilität, wenn es den Wettstreit um Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit mit den USA gewinnen will.

Wir müssen diesen großen Markt freier Bürger errichten, der reibungslos funktioniert und uns zudem in die Lage versetzen wird, unsere Wettbewerbskraft, unser Qualifikationsprofil und das Leben unserer Bürger zu verbessern, damit wir nicht nur konkrete Schwierigkeiten aus dem Wege räumen, sondern durch die Beseitigung dieser Hemmnisse auch ein größeres Maß an Zukunftsgewissheit schaffen können.

 
  
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  Sophia in 't Veld, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ich gehe voll und ganz mit dem konform, was mein Vorredner ausgeführt hat, und Kommissar Frattini möchte ich heute zum dritten Mal guten Abend sagen. Es bedarf keiner Erläuterung, weshalb die Bürger aus den neuen Ländern Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten sollten. Ganz im Gegenteil, die Länder, die ihre Märkte weiterhin schützen, müssen erklären, weshalb sie vollwertigen EU-Mitbürgern nach wie vor ihre elementaren Rechte verwehren. Selbstverständlich ist es auch aus wirtschaftlicher Sicht gesehen sehr vernünftig, die Beschränkungen aufzuheben.

Die europäische Wirtschaft und der Arbeitsmarkt brauchen die Menschen. Wenn wir, die Europäische Union und ihr Binnenmarkt, mit großen Märkten außerhalb Europas in Wettbewerb treten wollen, dann benötigen wir dynamische, junge, gut ausgebildete Menschen, die auch mobil sind. Eben das haben wir in der europäischen Wirtschaft stets angestrebt, und deshalb ist das weitere Abschotten der Arbeitsmärkte völlig unverständlich. Außerdem ist es illusorisch anzunehmen, diese Beschränkungen würden osteuropäische Arbeiter von hier fernhalten, denn sie sind bereits seit langem da, selbst wenn sie von betrügerischen Arbeitgebern ausgebeutet werden und unter menschenunwürdigen Bedingungen in unseren Ländern leben, und das halte ich für eine Schande.

Aus Gründen der Bürgerrechte, der Wirtschaft und Solidarität sollten die Beschränkungen daher fallen. Deshalb stimmt es mich froh, dass mein Land, die Niederlande, die Beschränkungen wahrscheinlich aufheben wird – auf jeden Fall zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab –, und ich möchte an alle Mitgliedstaaten appellieren, im Jahr der Mobilität das Gleiche zu tun.

 
  
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  Elisabeth Schroedter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! In den Ländern, die die Übergangsregeln fortsetzen wollen, wird eine Scheindiskussion geführt. Dazu gehört ja auch Deutschland. Denn es ist sehr populär, den Menschen etwas vorzumachen, und ihnen vor allen Dingen vorzumachen, dass die Übergangsregeln den Arbeitsmarkt schützen können. Das Gegenteil ist der Fall. Die Übergangsregeln halten die WanderarbeiterInnen nicht auf. Da sie kein legales Beschäftigungsverhältnis aufnehmen können, bleibt ihnen nur ein illegales.

Gerade in den Grenzregionen von Ostdeutschland, wo ich herkomme, ist der Schwarzmarkt und die Scheinselbständigkeit massiv angestiegen, und zwar weil die Übergangsregeln das fördern. Der Druck auf höhere Löhne wird dadurch viel größer. Im Gegensatz zu legalen Arbeitsverhältnissen ist bei illegalen Arbeitsverhältnissen eine Kontrolle nicht möglich. Das bedeutet Ausbeutung und Diskriminierung für die Arbeitnehmer.

Was wir in Europa brauchen, ist einen geordneter Arbeitsmarkt mit Mindestnormen und einem klaren Grundprinzip: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Durch Übergangsregeln werden diese dringenden Reformen und Anstrengungen nur aufgeschoben und bereiten vor allen Dingen verbal den Rechtspopulisten den Boden, und das ist vor allen Dingen schädlich für die europäische Idee. Deswegen appelliere ich als Deutsche dafür, dass die Übergangsregeln nicht fortgesetzt werden, sondern dass auch in Deutschland der Markt geöffnet wird und geordnete Verhältnisse geschaffen werden.

 
  
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  John Whittaker, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Der wesentliche Schwachpunkt des europäischen Modells besteht darin, dass die Mitgliedstaaten immer zuerst an sich selbst denken, wenn sie ihre nationalen Interessen gefährdet sehen. So funktioniert die Politik, und da sind Solidaritätsversprechen und Vertragsverpflichtungen schnell vergessen.

In dieser Beschwerde geht es darum, dass weder eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern aus Drittstaaten unionsweit gewährleistet wird, noch ein freier Dienstleistungsmarkt vorhanden ist oder eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts erfolgt. Das wohl krasseste Beispiel für den Verstoß gegen Rechtsvorschriften stellt der Stabilitätspakt dar. Ohne Haushaltsdisziplin wird sich der Euro nicht lange halten können.

Jedes Mal, wenn Mitgliedstaaten gegen die Regeln verstoßen, fordern wir die Kommission zur Ergreifung von Maßnahmen auf. Aber die Kommission kann nicht viel ausrichten, und deshalb bin ich auch nicht davon überzeugt, dass die Informationskampagne von Herrn Frattini etwas bewirken wird. Auch wenn die Kommission die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern fordert, werden einige Staaten einfach bei ihrem „Nein“ bleiben, und wenn Ihnen denn ein „Ja“ entlockt werden kann, dann werden sie schnell Möglichkeiten für einen Rückzieher finden.

 
  
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  Adam Jerzy Bielan, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Wir sind seit dem 1. Januar dieses Jahres mit einer paradoxen Situation konfrontiert. Einerseits müssen die Mitgliedstaaten der so genannten alten Union der Fünfzehn sicherstellen, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte beim Zugang zum Arbeitsmarkt wie eigene Staatsangehörige behandelt werden. Andererseits nutzen viele dieser Staaten die Bestimmungen des Beitrittsvertrags aus und behalten das Verbot der Freizügigkeit für Arbeitnehmer bei, wenn es um die zehn neuen Mitgliedstaaten geht. Diese Situation widerspricht den Bestimmungen des genannten Beitrittsvertrags, wonach Bürgern der Europäischen Union beim Zugang zum Arbeitsmarkt Vorrang vor Arbeitnehmern aus Drittländern einzuräumen ist. Das Problem hätte durch die Aufhebung der Übergangsfristen für die Beschäftigung von Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten auf den Arbeitsmärkten der alten Union gelöst werden können. Bedauerlicherweise haben lediglich drei Mitgliedstaaten, nämlich Irland, Schweden und das Vereinigte Königreich, ihre Arbeitsmärkte zum 1. Mai 2004 geöffnet. Zwei weitere Mitgliedstaaten, Spanien und Portugal, haben erklärt, sie würden dies zum 1. Mai dieses Jahres tun. Leider hat in den meisten Mitgliedstaaten die Furcht vor einem erwarteten Zustrom billiger ausländischer Arbeitskräfte und einem damit verbundenen Verlust von Arbeitsplätzen die Oberhand gewonnen. Frau Schroedter erwähnte dies in Bezug auf Deutschland. Solche Ängste sind völlig unbegründet. Die Statistiken der Europäischen Kommission zeigen, dass die Anzahl der beschäftigten Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten in den meisten Ländern vor und nach der Erweiterung recht stabil geblieben ist. Mit Ausnahme Österreichs beträgt die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer aus den zehn neuen Mitgliedstaaten nicht mehr als 1 % der Erwerbsbevölkerung. In keinem EU-Mitgliedstaat sind durch den Zustrom von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten einheimische Beschäftigte von ihren Arbeitsplätzen verdrängt worden. Die neuen Arbeitnehmer haben gänzlich neu geschaffene oder bisher unbesetzte Arbeitsplätze übernommen.

Herr Präsident! Wir müssen uns bewusst werden, dass die US-amerikanische Wirtschaft der unsrigen im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin überlegen sein wird, wenn wir nicht die Mobilität der Arbeitskräfte in Europa erhöhen. Die Arbeitslosenrate in der EU liegt derzeit bei über 8 %, dennoch herrscht in einigen Bereichen ein Arbeitskräftemangel. Unterdessen können sich nicht alle Europäer bei der Arbeitssuche frei bewegen. Bedauerlicherweise scheint der größte Teil des Arbeitsmarktes der Union den Bürgern der neuen Mitgliedstaaten für die nächsten fünf Jahre verschlossen zu bleiben. Daher muss die Europäische Kommission dringend Maßnahmen ergreifen, um die Widersprüche bei den Rechtsvorschriften der Union zu beseitigen und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auszuweiten.

 
  
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  Jacek Protasiewicz (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Ich erinnere mich daran, wie ich vor nun fast zwei Jahren, einige Tage nach der historischen Erweiterung der Europäischen Union, das Wort in diesem Hohen Haus ergriff und die Regierungen der so genannten alten Union aufrief, mutig zu sein und die Übergangsfristen aufzuheben. Ich forderte sie dazu auf, ihre Arbeitsmärkte für Bürger der neuen Mitgliedstaaten zu öffnen. Bedauerlicherweise waren damals nur drei Mitgliedstaaten mutig genug, dem Folge zu leisten. Ich spreche vom Vereinigten Königreich sowie von Irland und Schweden. Die übrigen zwölf Mitgliedstaaten haben den Befürchtungen oder vielleicht sogar dem Druck ihrer eigenen Öffentlichkeit und ihrer Bürger nachgegeben und sich gegen den Zustrom an Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten, vor allem aus Mittel- und Osteuropa, verbarrikadiert. Welche Schlussfolgerungen können nach diesen zwei Jahren gezogen werden? Ganz offensichtlich haben die drei Mitgliedstaaten, die es wagten, ihre Arbeitsmärkte zu öffnen, am stärksten profitiert.

Die Mitteilung der Europäischen Kommission, die vor etwa einem Monat veröffentlicht wurde, im Februar, wenn ich mich nicht täusche, zeigt ganz deutlich, dass die Arbeitslosigkeit in den Ländern, die sich für eine Öffnung ihrer Arbeitsmärkte entschieden haben, nicht gestiegen ist. Auch die sozialen Probleme haben nicht zugenommen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wirtschaft hat an Fahrt gewonnen, das Steueraufkommen ist gestiegen. Das sind die Vorteile der praktischen Umsetzung eines der wichtigsten Grundsätze des Vertrags, der sogar als der wichtigste von allen bezeichnet werden könnte. Er ist Teil des Fundaments, auf dem die Union errichtet wurde, und wir sollten bestrebt sein, ihn in allen 25 derzeitigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union umzusetzen.

Ich freue mich, dass kurz vor Ablauf der ersten Übergangsfrist einige weitere Regierungen erwägen, ihre Arbeitsmärkte zu öffnen. Es muss jedoch betont werden, dass sie, so wie die Dinge stehen, weiterhin eine Minderheit unter den fünfzehn alten Mitgliedstaaten darstellen. Dies ist ein ernstes Problem, und ich möchte folgenden Appell an meine Kolleginnen und Kollegen richten. Wenn wir in der nächsten Zeit Entschließungen des Parlaments erörtern, sollte jeder von uns die Regierungen der Mitgliedstaaten gezielt dazu aufrufen, die Öffnung ihrer Arbeitsmärkte nicht lediglich in Betracht zu ziehen. Wir sollten an sie appellieren, weiter zu gehen und die Arbeitsmärkte voll und ganz zu öffnen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu ermöglichen.

 
  
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  Csaba Sándor Tabajdi (PSE).(HU) Herr Präsident! Ich möchte meinem Kollegen István Szent-Iványi dafür danken, dass er dieses Thema erneut auf die Tagesordnung gebracht hat. Diese Frage ist nicht nur für die EU-Mitgliedstaaten von Wichtigkeit, sondern für ganz Europa. Ich möchte dem Kommissar, Herrn Vladimir Špidla, danken, der einen hervorragenden zusammenfassenden Bericht vorgelegt hat, in dem die jüngsten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt präzise und authentisch dargestellt werden.

Das Ziel Ungarns und der anderen neuen Mitgliedstaaten besteht darin, dass sämtliche rechtlichen und verwaltungstechnischen Hürden, die gegenwärtig die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU behindern, abgeschafft werden. Wir möchten gleichwertige Bürger der Europäischen Union sein. Die Öffnung des Arbeitsmarktes und die Gewährleistung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer wäre kein Geschenk oder Gefallen, sondern eine vernünftige Entscheidung der neun alten Mitgliedstaaten, die positive Auswirkungen für alle Bürger der EU hätte.

Ich hoffe, die neun alten Mitgliedstaaten sind sich der Tatsache bewusst, dass die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Spiel steht. Sie werden hoffentlich im April 2006, am Ende des zweijährigen Übergangszeitraums, ebenfalls eine positive Entscheidung treffen und sich Finnland, Spanien und Portugal anschließen, die bereits jetzt ihre Märkte öffnen.

Wir sind Großbritannien, Irland und Schweden zu Dank verpflichtet, die als Erste ihre Arbeitsmärkte geöffnet haben. Dieser Schritt hat den genannten Ländern spürbare Vorteile gebracht. In der Republik Irland ist die Arbeitslosenzahl in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen, was zum Teil auf die positiven Effekte zurückzuführen ist, die von den Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten ausgingen. Im Vereinigten Königreich hat der Zustrom von Arbeitskräften zum Wirtschaftswachstum und zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit beigetragen. Folglich sind die Vorwürfe und Befürchtungen im Zusammenhang mit massenhafter Zuwanderung und Sozialdumping einfach ungerechtfertigt.

Ein herzlicher Dank geht auch an Finnland, Spanien und Portugal, die erklärt haben, auch ihren Arbeitsmarkt zu öffnen.

Dass die neun alten Mitgliedstaaten, die ihre Einschränkungen nicht aufheben, Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren, diesen Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten jedoch verweigern, ist Ausdruck großer Scheinheiligkeit. Zu dieser späten Stunde muss ich Herrn Kommissar Frattini widersprechen. Seine Feststellungen gelten nur für die Länder, die ihre Arbeitsmärkte geöffnet haben. In diesen Ländern ist es in der Tat möglich, Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten gegenüber Arbeitskräften aus Drittstaaten zu bevorzugen. In Ländern, die ihren Arbeitsmarkt nicht liberalisiert haben, stellt sich diese Frage erst gar nicht. Daher ist die Öffnung der Arbeitsmärkte eine Frage des Prinzips, der Wettbewerbsfähigkeit und des Abbaus von Diskriminierung sowie der Gleichberechtigung zwischen den 15 alten und den 10 neuen Mitgliedstaaten.

 
  
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  Šarūnas Birutis (ALDE). – (LT) Was kann ich den Ausführungen aller meiner Vorrednerinnen und Vorredner noch hinzufügen? Die Freizügigkeit von Personen ist eine garantierte Grundfreiheit, die jedoch bislang nur im Gemeinschaftsrecht festgeschrieben ist. Die neuen Mitgliedstaaten erwarten von den Altmitgliedern der EU die schnellstmögliche Öffnung ihrer Arbeitsmärkte für die Neulinge, wobei davon ausgegangen wird, dass die Altmitglieder von diesem Schritt nur profitieren können und jedes von ihnen das unumschränkte Recht hat, die Liberalisierung zu vollziehen, bevor diese verpflichtend greift. Nach den Statistiken der Europäischen Kommission war der Zustrom von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten nicht so stark wie befürchtet. Aus der Zulassung von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten haben England, Irland und Schweden nur Vorteile gezogen. Wir müssen einer Reihe von Mitgliedstaaten zu ihrer Entscheidung gratulieren, ihren Arbeitsmarkt ab Mai für die neuen Mitglieder der EU zu öffnen. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes und andere Maßnahmen würden zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der EU beitragen. Außerdem würde so das Vertrauen der Bürger in die EU-Mitgliedschaft gestärkt werden. Durch die Widersprüchlichkeit einer komplizierten Situation nimmt das Vertrauen in die Europäische Union ab. Meiner Ansicht nach müssen EU-Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um die diskriminierenden Einschränkungen für legale Erwerbstätigkeit unverzüglich abzuschaffen, mit denen sich Bürger Litauens und anderer neuer Mitgliedstaaten konfrontiert sehen. Auf diese Weise könnten die Menschen wirklich Nutzen aus ihren Rechten ziehen und hätten so die Möglichkeit, offiziell Steuern zu zahlen. Es ist Zeit, sich von überholten Klischeevorstellungen zu trennen und zu begreifen, dass Freiheit und gesunder Wettbewerb der Motor des Fortschritts in Europa sind.

 
  
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  Konrad Szymański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die einfache und unbequeme Wahrheit lautet, dass die alten Mitgliedstaaten ihre Märkte dort nur zu gern geöffnet haben, wo sie einen Wettbewerbsvorteil hatten, nämlich beim freien Kapitalfluss. Dort aber, wo die neuen Mitgliedstaaten einen Wettbewerbsvorteil hatten, blieben die Märkte geschlossen. Ein Beispiel ist der Dienstleistungsmarkt, der Arbeitsmarkt wäre ein weiteres.

Ab dem 23. Januar, nach der abschließenden Umsetzung der Richtlinie über Aufenthaltsberechtigte, könnten Drittstaatsangehörige beim Zugang zum Arbeitsmarkt besser gestellt sein als Bürger aus den Ländern, die kürzlich der Union beigetreten sind. Ich finde Ihre Ausführungen recht interessant, Herr Kommissar, sie haben mich jedoch nicht überzeugt. Meiner Ansicht nach sollte das Hohe Haus mehr zu diesem Thema hören. All dies steht eindeutig im Widerspruch zu den Bestimmungen des Beitrittsvertrags. Das Hohe Haus sollte noch einmal darauf aufmerksam gemacht werden, dass in keinem der Länder, die ihre Arbeitsmärkte geöffnet haben, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit oder anderer sozialer Probleme wie Leistungsmissbrauch zu verzeichnen ist. Im Gegenteil, die billigere Arbeitskraft aus den neuen Mitgliedstaaten hat die Wirtschaft neu belebt. Nach zwei Jahren können wir mit Bestimmtheit feststellen, dass es für diese Beschränkungen keine wirtschaftliche Rechtfertigung gibt.

Die Kommission hat dieses Jahr zum Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer bestimmt. Ich möchte darauf hinweisen, dass eine geringe Mobilität der Arbeitnehmer auch etwas mit den geschlossenen Arbeitsmärkten in den meisten Mitgliedstaaten zu tun hat. Dringen die Mitgliedstaaten darauf, die unbegründete Schließung der Arbeitsmärkte beizubehalten, könnte das Jahr 2006 eher das europäische Jahr der Heuchelei als das Europäische Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer werden.

 
  
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  Othmar Karas (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh über die Diskussion, weil ich nicht zu jenen gehöre, die diese Frage beurteilen wollen, indem sie Gewinner und Verlierer schaffen, die Alten gegen die Neuen ausspielen. Wir leben in einer Gemeinschaft.

Es ist ganz wichtig, dass wir heute hier sehr transparent feststellen, dass die vier Freiheiten zu den Grundrechten der Europäischen Union gehören. Zu den Prinzipien der Europäischen Union gehört das Diskriminierungsverbot. Die vier Freiheiten sind das Herzstück des Binnenmarktes. Die Umsetzung der vier Freiheiten macht den Binnenmarkt zum Heimatmarkt. Diese EU-Grundsätze – die politischen Ziele – sind klar und sie vereinen uns. Wir müssen sie so rasch wie möglich umsetzen. Wir haben sie noch nicht umgesetzt, weil wir auch unterschiedliche Rahmenbedingungen in der Politik haben. Wir haben unterschiedliche Sozialgesetzgebungen, Löhne, Steuergesetzgebungen, unterschiedliches Arbeitsrecht. Wir haben 19 Millionen Arbeitslose, wir haben unterschiedliche Wachstumszahlen, die in den neuen Mitgliedstaaten höher sind – Gott sei Dank – als in den alten Mitgliedstaaten. Daraus resultieren Ängste und Sorgen der Bürger. Auch in meinem Land, das die längste Außengrenze zu den neuen Mitgliedstaaten hat, wächst die Beschäftigtenzahl von Bürgern aus diesen neuen Mitgliedstaaten.

Aber wir haben im Rahmen der Möglichkeiten, der Verträge, des Gemeinschaftsrechts auf die Sorgen und Ängste der Bürger einzugehen. Wir blockieren nicht, sondern wir schaffen akzeptable Übergänge. Übergänge sind nicht unser Ziel; unser Ziel ist es, die vier Freiheiten umzusetzen, Ängste zu nehmen und miteinander nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Wir haben aufeinander zuzugehen und nicht Schuld zuzuweisen.

 
  
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  Harald Ettl (PSE). – Herr Präsident! Wenn das Aufeinanderzugehen manchmal nicht sprachlich schon so schwierig wäre – es hat schon seinen Sinn im Europäischen Parlament, dass wir Kommissionsberichte in den zuständigen Ausschüssen bearbeiten, darüber befinden und darüber diskutieren. In diesem Fall, wo der Beschäftigungsausschuss dafür zuständig ist, haben wir heute eine vorgezogene Diskussion und eine vorgezogene Anfrage zu diesem Punkt. Das halte ich im wahrsten Sinne des Wortes für entbehrlich. Es mag Gründe dafür geben, aber ich halte es für entbehrlich.

Vorweg. Die Mitteilung der Kommission, die helfen soll, die Übergangsfrist für den freien Arbeitnehmerverkehr rasch zu beseitigen, halte ich für inhaltlich noch mangelhaft und ökonomisch – wie präsentiert – noch nicht für schlüssig. Die heutigen Anfragesteller, die von einer Benachteiligung der Bürger der 10 neuen Mitgliedstaaten (EU-10) gegenüber Angehörigen aus Drittstaaten sprechen, haben sich die Faktenlage ebenfalls nicht richtig angesehen. Faktum ist, dass in Deutschland Personen aus der EU-10 eine um 3 % höhere Beschäftigungsquote aufweisen als Drittstaatangehörige. In Österreich liegt diese Differenz sogar bei 6 %. Noch extremer verhält es sich in Großbritannien und in Irland zu Gunsten der EU-10. Darüber hinaus kann mit Daten von nur einem Jahr seit dem Beitritt noch keine mittel- und langfristige Entwicklung am Arbeitsmarkt, wie von der Kommission dargestellt, seriös prognostiziert werden.

Die Schlussfolgerung in der Mitteilung, dass die Öffnung des Arbeitsmarktes positiv auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung wirkt, ist bezogen auf den Bewertungszeitraum einfach falsch. Das Wirtschaftswachstum in der EU-25 ist im Jahr 2005 gegenüber 2004 deutlich zurückgegangen. Insbesondere in Großbritannien, wo der Rückgang 1,4 % betrug und wo es zu einer zehnmal so hohen Zuwanderung gekommen ist, wie von der britischen Regierung prognostiziert. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren ist es auch zu beinahe keinem Rückgang der Arbeitslosigkeit mehr gekommen. Ich fordere daher die Kommission auf, rasch eine Studie in Auftrag zu geben, die die Wanderungsbewegungen der Arbeitnehmer und alle damit verbundenen Auswirkungen wertfrei analysiert.

Das ist nicht nur gut für die Kommission, das ist gut für einen weiteren sinnvollen Dialog. Im Übrigen benötigt die rasche Reduktion der Übergangsfristen – und das wünsche ich mir auch – ein gutes Begleitkonzept und gute Begleitmaßnahmen wie z. B. die Revision der Entsenderichtlinie. Damit wäre allen gedient, um Ängste und Sorgen auf der einen Seite abzubauen und uns dialogfähiger für beide Seiten zu machen. So eine Diskussion, wie wir sie heute führen, halte ich schlichtweg für falsch.

 
  
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  Danutė Budreikaitė (ALDE).(LT) Zwei Jahre sind seit dem Beginn der letzten Erweiterungsphase vergangen. Der erste Teil des siebenjährigen Übergangszeitraums geht seinem Ende entgegen. Die alten Mitgliedstaaten müssen entscheiden, ob die Übergangsfrist verlängert oder aufgehoben werden soll. Das Vereinigte Königreich, Irland und Schweden haben ihre Märkte unverzüglich geöffnet und davon profitiert. Gleichzeitig haben sie die neuen Mitgliedstaaten ermutigt, ihre eigenen Arbeitskräfte in einem etwas anderen Licht zu sehen und besser zu beurteilen. Der Arbeitsmarkt der EU-15 ist nicht von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedstaaten überschwemmt worden. Die Erweiterung hat die Umwandlung von Schwarzarbeit in legale Arbeitsverhältnisse vorangetrieben. Die Festlegung von Übergangsfristen wird niemanden davon abhalten, sein Heimatland zu verlassen. Der freie Personenverkehr ist ein grundlegender Wert der Europäischen Gemeinschaft. Am 26. Januar trat eine Richtlinie des Rates in Kraft, die es Drittstaatsangehörigen, die sich fünf Jahre in der EU aufgehalten haben, erlaubt, sich in einem beliebigen Land der EU frei zu bewegen, zu studieren, zu arbeiten oder dort zu leben. Warum hat der Rat eine Richtlinie verabschiedet, die die neuen Länder diskriminiert? Warum gibt es so große Widerstände, die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Auf Veranlassung Österreichs und Deutschlands wurden die Übergangszeiträume eingeführt. Die Ergebnisse der letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass von den neuen Mitgliedern keine Gefahr ausgeht. Ich fordere Österreich und die übrigen Staaten auf, den diskriminierenden Übergangszeitraum abzuschaffen und mit der Benachteiligung der neuen Mitglieder Schluss zu machen.

 
  
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  Toomas Hendrik Ilves (PSE).(ET) Ich formuliere die Frage allgemeiner: Weshalb sind die neuen Mitgliedstaaten der Ansicht, dass eine zunehmende Kluft zwischen ihnen und den alten Mitgliedstaaten besteht?

Hier möchte ich zunächst die Dienstleistungsrichtlinie erwähnen. Es wurde befürchtet, die neuen Mitgliedstaaten könnten dazu übergehen, Dienstleistungen von besserer Qualität als in den alten Mitgliedstaaten anzubieten, und dies führte zur Blockade der Umsetzung eines der europäischen Grundrechte, das fünfzig Jahre lang nur auf dem Papier existiert hatte. Es wurde beleidigend davon gesprochen, die Dienstleistungen würden zu „Sozialdumping“ führen, und man malte das Schreckgespenst des polnischen Klempners an die Wand, um die Bürger der alten Mitgliedstaaten zu ängstigen. Diese Tiraden waren für die neuen Mitgliedstaaten erniedrigend und hinterließen bei ihren Bürgern den Eindruck, sie seien keine Menschen. Der Konflikt spielte sich jedoch nicht zwischen der Rechten und der Linken ab, und die alten Mitgliedstaaten fanden untereinander rasch zu einem Kompromiss: Manche verteidigten ihre Großunternehmen, während andere ihre Gewerkschaften schützten. Die Länder Osteuropas öffneten ihren Markt jedoch lange bevor sie Mitglied der Union wurden und die Folge war, dass große Konzerne aus den alten Mitgliedstaaten jahrelang Unternehmen in Osteuropa ohne die Zwänge einer Dienstleistungsrichtlinie einfach aufkauften. Sie kamen auf unseren Markt und bedienten sich, aber als wir an der Reihe waren, fanden wir die Tür verschlossen. Die kleinen Unternehmen und die Bürger der neuen Mitgliedstaaten ebenso wie die Verbraucher in den alten Mitgliedstaaten sind die Leid Tragenden.

Zweitens macht die eingeschränkte Freizügigkeit für Arbeitnehmer die Neu-Europäer zu Bürgern zweiter Klasse. Manche Bürger der EU haben das Recht, sich frei zu bewegen, andere hingegen nicht – je nach ihrer Staatsangehörigkeit. Der Neoprotektionismus in der EU beschränkt die Bürgerrechte der Bürger der neuen Mitgliedstaaten, oft mit fremdenfeindlicher Polemik als Begleitmusik, wie wir bei der Diskussion über die Dienstleistungsrichtlinie festgestellt haben. Obgleich der Arbeitsmarkt abgeschottet ist, suchen sich die alten Mitgliedstaaten seit Jahren munter diejenigen Arbeitnehmer heraus, die ihnen fehlen – beispielsweise Ärzte, Krankenschwestern und IT-Fachleute. Es würde ihnen nicht in den Sinn kommen, diese Arbeitnehmer zu beleidigen, indem ihnen der Stempel Dumping aufgedrückt wird, da ihre Anwerbung häufig sogar staatlich subventioniert wird.

Drittens haben wir jetzt die Umsetzung einer Richtlinie erlebt, wonach Nichtstaatsangehörige, die für die Dauer von fünf Jahren in einem EU-Mitgliedstaat gelebt haben, das Recht auf Freizügigkeit haben, Bürger der neuen Mitgliedstaaten der EU jedoch nicht. Was können wir daraus schließen? Bürger der neuen Mitgliedstaaten sind nicht nur Bürger zweiter, sondern sogar dritter Klasse.

Meine Frage lautet: Welche Maßnahmen beabsichtigt die Union zu ergreifen um zu gewährleisten, dass das neu vereinte Europa durch diesen untragbaren Protektionismus und die offensichtliche Diskriminierung nicht gespalten wird?

 
  
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  Vladimír Maňka (PSE).(SK) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Damen und Herren! Ich habe mit Interesse den Bericht der Kommission vom 8. Februar gelesen, der deutlich macht, dass die Mobilität der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union positive Auswirkungen hatte. Mit Hilfe dieser mobilen Arbeitnehmer wurden Mängel auf dem Arbeitsmarkt aufgefangen, die Zahl der Fachkräfte in der EU erhöht, das Potenzial für illegale Beschäftigung verringert und allgemein ein Beitrag zu höherer Effizienz in Europa geleistet.

Vor einem Monat haben wir einen Bericht über die Öffnung des Dienstleistungsmarkts in der Europäischen Union erörtert und ihn in erster Lesung angenommen. Ich erwähne die Dienstleistungsrichtlinie, da der Punkt kommen könnte, an dem sie der Freizügigkeit von Arbeitnehmern sehr nahe kommt. Ein kritischer Moment könnte erreicht werden, wenn einerseits die Dienstleistungsrichtlinie in Kraft tritt und andererseits ein Land die Freizügigkeit der Arbeitnehmer noch immer einschränken will. Dies würde Arbeitnehmern bei ihrem Wunsch, den Arbeitgeber zu wechseln, Beschränkungen auferlegen, auch wenn diese Arbeitsplatzwechsel nicht nur ihnen selbst, sondern auch dem Bestimmungsland Nutzen bringen würden. Ein Land könnte dieses Risiko durch Abschaffung der Übergangsfrist ausschließen.

Meine Damen und Herren, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist für sich genommen natürlich noch keine Lösung zur Erhaltung des Sozialmodells eines bestimmten Staates. Ineffiziente Modelle können aufgrund wachsender öffentlicher Defizite infolge der Globalisierung, des technologischen Wandels und der Überalterung der Gesellschaft nicht aufrecht erhalten werden. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist jedoch ganz sicherlich nicht die Ursache dieser Probleme und kann es auch nicht sein. Europäische Rechtsvorschriften können den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, ob sie Übergangszeiten abschaffen oder nicht. Diese Staaten sollten jedoch alles daran setzen, um die wahren Ursachen für ihre wirtschaftlichen Probleme anzugehen. Sie werden dann die Freizügigkeit der Arbeitnehmer als Bereicherung und nicht als Bedrohung begreifen.

 
  
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  Der Präsident. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt geschlossen.

Schriftliche Erklärung (Artikel 142)

 
  
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  Jules Maaten (ALDE). – (NL) Die VVD-Fraktion im Europäischen Parlament ist dafür, dass die „alten“ Mitgliedstaaten die Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den neuen Ländern aufheben. Alle europäischen Länder ziehen wirtschaftlichen Nutzen aus der Öffnung ihrer Grenzen. In den Niederlanden beispielsweise besteht ein Arbeitskräftemangel in den Branchen Metall, Gartenbau, Landwirtschaft und Gesundheitsversorgung. In Großbritannien, Irland und Schweden hat sich die Politik der offenen Grenzen als Erfolg herausgestellt. Wenn wir die Vordertür aufsperren, haben wir es zumindest selbst in der Hand, wen wir hineinlassen, anstatt verzweifelt zu versuchen, die illegalen Kräfte von den Hintertüren fernzuhalten. Das hat sich als unmöglich erwiesen, denn Jahr für Jahr erleben wir, dass speziell die Saisonarbeiten von illegalen Arbeitnehmern verrichtet werden.

 
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