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Verfahren : 2005/2206(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : A6-0025/2006

Eingereichte Texte :

A6-0025/2006

Aussprachen :

PV 15/03/2006 - 9
CRE 15/03/2006 - 9

Abstimmungen :

PV 16/03/2006 - 9.4
CRE 16/03/2006 - 9.4
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P6_TA(2006)0096

Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 15. März 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

9. Strategiepapier 2005 zur Erweiterung (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Elmar Brok im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über das Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung (2005/2206(INI)) (A6-0025/2006).

 
  
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  Elmar Brok (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Die Erweiterung der Europäischen Union war bis zum jetzigen Zeitpunkt der erfolgreichste Teil ihrer Außenpolitik. Denn dies war ein Instrument, die Zone der Stabilität und des Friedens in Europa und auch der Bereiche von Frieden, Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit weiter voranzubringen. Dies ist ein wichtiger Punkt, den wir uns heute und künftig vor Augen halten müssen.

Dabei müssen wir allerdings auch sehen, dass das Ziel der Stabilität nur erreichbar ist, wenn die Europäische Union in sich die Stärke hat, sich so zu entwickeln, dass sie den Aufgaben, die damit verbunden sind, gerecht werden kann. Deswegen wurde ja beispielsweise mit dem Verfassungsvertrag im Nachhinein versucht, die Erweiterung um zehn Mitgliedsländer institutionell und von den Zielsetzungen her wirklich möglich zu machen. Und hier sind wir in einer schwierigen Situation, weil der Ratifikationsprozess nicht vorankommt.

Wir müssen auch sehen, dass in den Kopenhagener Kriterien die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union einer der wesentlichen Punkte ist, bisher aus guten Gründen aber nur deklamatorischen Charakter gehabt hat. An einer solchen Schnittstelle – nach Bulgarien und Rumänien – müssen wir diesen Punkt allerdings operationell machen und neu definieren. Deswegen bitten wir die Kommission, bis Ende des Jahres die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union in einem solchen Zusammenhang zu definieren, damit wir dies als Instrument einsetzen können. Das ist außerordentlich wichtig, da es nicht nur um eine Verfassungsfrage geht, sondern auch um Fragen, die mit den finanziellen Fähigkeiten der Europäischen Union und manchem mehr zu tun haben.

Darüber hinaus meine ich, dass wir die Aufnahmekapazität der Europäischen Union so deutlich machen müssen, dass dies auch ein Punkt des Ja oder Nein am Ende des Tages bedeuten kann. Die europäische Perspektive ist nicht nur für Länder, die bereits Beitrittsverhandlungen haben, die einen Kandidatenstatus haben oder denen nach Thessaloniki eine Beitrittsperspektive versprochen worden ist – ein Versprechen, das übrigens nicht zurückgenommen werden soll, um das hier noch einmal ganz deutlich zu machen und vorherige Missverständnisse zu beseitigen –, als Anreiz für innere Reformen von großer Bedeutung, sondern auch für andere Staaten wie die Ukraine, Staaten, die heute in Europa noch unter Diktaturen stehen und auch eine solche Perspektive haben müssen, damit der Blick nach Westen gesichert ist.

Dafür ist die Nachbarschaftspolitik allein nicht ausreichend. In manchen Fällen sind die Länder oder die Europäische Union zum heutigen Zeitpunkt überfordert, dies allein mit der Perspektive der Vollmitgliedschaft in Zusammenhang zu bringen, weil die in vielen Fällen erst in fünfzehn Jahren realisiert werden kann. Wir brauchen zur Glaubwürdigkeit dieses Projekts etwas, das dazwischen liegt, mit dem wir diesen Ländern eine Perspektive geben können, ohne uns unter den nicht erfüllbaren Druck der sofortigen Vollmitgliedschaft zu setzen.

Dies sollte allen Staaten, die heute nicht Mitglied der Europäischen Union sind, offen stehen. Ich möchte ausdrücklich noch einmal wiederholen: Das kann das Endstadium sein, wenn Länder wie beispielsweise Norwegen, das auch Mitglied von Schengen ist, im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraumes es so entscheiden. Man kann in den Bereichen Binnenmarkt, innere und äußere Sicherheit, Umweltschutzpolitik und mehr in einem solchen multilateralen Projekt – wenn ich den Arbeitstitel „Europäischer Wirtschaftsraum plus“ einmal benutzen darf – vieles machen.

Es kann aber auch eine Zwischenstation sein. Wenn Staaten, die heute nach Thessaloniki eine Beitrittsperspektive haben – wie beispielsweise die Länder des Westbalkans mit unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven, was die zeitlichen Erwartungen betrifft –, sich entscheiden sollten, zu sagen, wir benutzen das als Zwischenschritt zu einer Vollmitgliedschaft, wird das Versprechen von Thessaloniki nicht außer Kraft gesetzt. Auf dieser Grundlage können wir ein neues Maß an Flexibilität zustande bringen, indem wir diese Perspektive mit Glaubwürdigkeit erfüllen, weil unmittelbar etwas geschehen kann und nicht fünfzehn Jahre verhandelt wird und dann ein Ja oder Nein im Raum steht.

Ich sehe doch, dass in manchen Ländern mit der Erweiterung auch Volksabstimmungen verbunden sind und wir gar nicht wissen, ob die Ratifikation am Ende gelingt. Das heißt, es ist auch ein Versuch, nicht nur eine Alles-oder-Nichts-Strategie zu betreiben, sondern Möglichkeiten zu schaffen, diesen Ländern glaubwürdige Perspektiven zu geben und gleichzeitig die Europäische Union als politisches Projekt zu retten und voranzubringen.

(Beifall)

 
  
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  Ursula Plassnik, amtierende Ratsvorsitzende. Herr Präsident, meine Damen und Herren ! Ich möchte mich beim Europäischen Parlament, beim Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses für den ausführlichen Bericht über das von der Kommission vorgelegte Strategiepapier 2005 bedanken. Der Rat berät laufend dieses Thema, auch anhand der ganz konkreten Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Wir haben, wie berichtet, in Gymnich in diesem Zusammenhang eine sehr gute und sehr gründliche Debatte geführt und wir werden diese Debatte laufend weiterführen. Das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt, denn Diskussionsverweigerung schafft Misstrauen in der Bevölkerung, und wir müssen darauf achten, dass wir das Vertrauen der europäischen Bürger in das europäische Projekt insgesamt wieder stärken, dass wir mehr Vertrauen und mehr Klarheit schaffen. Das ist eines meiner zentralen Anliegen als Ratspräsidentin, und in diesem Sinne begrüße ich die jetzt anlaufende Debatte.

Unterstützung der Bürger für den Erweiterungsprozess bedeutet, dass wir die laufende Information verbessern müssen, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit verbessern müssen, dass wir die einzelnen Schritte besser erklären müssen. Dass wir ganz einfach zum Ausdruck bringen: Wir werden gründlich sein, wir werden umsichtig sein, wir werden nichts überstürzen, wir werden aber auch nicht willkürlich auf die Bremse steigen. Das ist mir ein wichtiges Anliegen.

Die Aufnahmefähigkeit ist bei Gott kein willkürliches, zusätzliches Hindernis, das hier eingeführt wurde, sondern ein Bewusstsein, ein Bewusstwerden, ein Bewusstmachen ganz zentraler und selbstverständlicher Grundgegebenheiten. Jeder Erweiterungsschritt, jeder neue Beitritt braucht zwei Partner – auf der einen Seite die Europäische Union, auf der anderen Seite das beitretende Land.

Wir wollen die nächsten Beitritte optimal vorbereiten. Auch in diesem Sinn war mir Salzburg wichtig, denn der Rückblick auf die letzten drei Jahre und der Vorausblick auf die nächsten konkreten Schritte sind wichtig gewesen, um für uns alle mehr Klarheit darüber zu schaffen, wo wir stehen, wie unsere inneren und äußeren Bereitschaften eigentlich sind. Wir können auch auf das vertrauen, was wir an Fachwissen im Zuge der letzten Erweiterung erworben haben, und wir sollten entschlossen sein, dieses bestehende Transformationswissen auch entsprechend partnerschaftlich einzusetzen.

Auch die Eigenverantwortung, wie schon in der vorigen Debatte gesagt, unterstreicht die europäischen Standards. Sie werden fair und streng zu erfüllen sein, Punkt für Punkt, und der Bericht der Europäischen Kommission im November 2005 hat das unmissverständlich klar gestellt.

Wir sollten aber auch in dieser Debatte ehrlich auf die Erwartungshaltungen, die an die Europäische Union herangetragen werden, und auf die Erwartungshaltungen der eigenen Bevölkerung eingehen. Wir schulden einander Klarheit, und nur wir können sie einander geben. Wir dürfen keine ungedeckten Schecks ausstellen.

Ich plädiere überdies für ein differenziertes Herangehen an jedes einzelne Land, denn wir müssen jedem einzelnen Land und seinen Bürgern ein fairer Partner sein. Diese Gewissheit müssen wir schaffen. Die Präsidentschaft wird daher auch in diesem Sinne in der weiteren Debatte den vom Europäischen Parlament eingebrachten Beiträgen besondere Beachtung schenken.

Lassen Sie mich in einigen Worten die konkreten Entscheidungen skizzieren, an denen wir derzeit arbeiten. Als erstes das Thema Rumänien und Bulgarien, wo es ermutigende Berichte gibt und das Ziel ja feststeht: Beitritt 1.1.2007 mit einer allfälligen Verschiebungsmöglichkeit um ein Jahr. Türkei und Kroatien: Beginn der Beitrittsverhandlungen, der formelle Startschuss war am 3. Oktober des letzten Jahres. Wir sind jetzt im Prozess des Acquis Screening, der Durchsicht des Rechtsbestandes. Wir haben als Vorsitz einen Brief an Kroatien und die Türkei geschrieben und sie eingeladen, uns ihre Verhandlungsposition zum ersten Kapitel „Forschung und Entwicklung“ darzulegen.

Wir teilen die Ansicht des Europäischen Parlaments, dass kontinuierliche Fortschritte bei der Erfüllung aller politischen und wirtschaftlichen Kriterien und bei der wirksamen Umsetzung der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie erforderlich sind. Im Zusammenhang mit der Türkei haben wir als Präsidentschaft die Einstellung des Verfahrens gegen Orhan Pamuk begrüßt und bei der kürzlich stattgefundenen Sitzung der Troika in Wien klargemacht, dass wir erwarten, dass die noch anhängigen Verfahren im Zusammenhang mit Artikel 301 des Türkischen Strafgesetzbuches auch entsprechend behandelt werden, bzw. dass man hier überhaupt zu einer Änderung kommt.

Die Umsetzung des Ankara-Protokolls verfolgen wir genau mit, und wir werden dafür sorgen, dass in diesem Jahr diese Überprüfung auf der Basis der Erklärung des Rates vom 21. September 2005 in den relevanten Gremien stattfindet.

Die Annahme der Beitrittspartnerschaft mit Kroatien ist für uns ebenfalls von großer Bedeutung. Wir haben die Zusage des kroatischen Premierministers begrüßt, für die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und deren Fortsetzung zu sorgen. Wir teilen die Meinung des Europäischen Parlaments, dass Kroatien verstärkt zur regionalen Zusammenarbeit beiträgt und dass noch zusätzliche Anstrengungen erforderlich sind.

Zum Thema Westbalkan habe ich das Notwendige gesagt. Klar ist auch die Strategie des Rates für die vollständige Zusammenarbeit Serbiens und Montenegros mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal. Wir haben hier gerade bei unserer letzten Sitzung ein sehr klares Signal ausgesandt. Wir unterstützen die Arbeit des Sonderbotschafters der Vereinten Nationen, Martti Ahtisaari, im Kosovo, und ich glaube, dass die Europäische Union mit dem Beitrag des Sonderbeauftragten von Javier Solana, hier zu einer Einigung über die Bedingungen für das Referendum vom 21. Mai zu kommen, einen außerordentlich positiven Beitrag diplomatischer Natur leisten konnte.

(Beifall)

 
  
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  Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Da Herr Brok noch anwesend ist, möchte ich ihm zu seinem wichtigen Bericht gratulieren. Wie er ganz richtig gesagt hat, ist die Erweiterung in der Tat eines der wirksamsten politischen Instrumente der Gemeinschaft, um Frieden und Wohlstand, Freiheit und Demokratie herzustellen. Mit der Osterweiterung im Jahre 2004 wurde die friedliche Wiedervereinigung zwischen West- und Osteuropa besiegelt. Jetzt konzentrieren wir unsere Bemühungen auf eine friedliche Einigung in Südosteuropa. Unser schrittweiser und sorgfältig vorbereiteter und gesteuerter Erweiterungsprozess beruht auf drei zentralen Grundsätzen.

Erstens haben wir unsere Erweiterungsagenda konsolidiert. Das bedeutet, dass wir neue Verpflichtungen nur wohl überlegt eingehen, uns aber gleichzeitig an unsere bestehenden Verpflichtungen gegenüber Bewerberländern oder potenziellen Bewerberländern halten müssen, die sich bereits im Erweiterungsprozess befinden. Unsere konsolidierte Erweiterungsagenda konzentriert sich in Südosteuropa auf Bulgarien, Rumänien sowie die Türkei und Kroatien und die übrigen Länder des westlichen Balkan.

Zweitens legen wir strenge Bedingungen zugrunde. In Verbindung mit einer glaubhaften Beitrittsperspektive können Beitrittskriterien funktionieren. Sie haben zur Transformation der mittel- und osteuropäischen Staaten in moderne Demokratien beigetragen. In jüngster Zeit haben sie beherzte und grundlegende Reformen in der Türkei und zunehmend auch in den Westbalkanstaaten bewirkt. Ein zusätzlicher Beweis sind einige wichtige Ereignisse der jüngsten Zeit, so z. B. die Inhaftierung von General Ante Gotovina in Den Haag und die Achtung der Meinungsfreiheit des Schriftstellers Orhan Pamuk.

Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik ergänzen sich gegenseitig. Darüber hinaus ist die Kommission bereit, die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in den Nachbarländern weiter zu vertiefen und zu stärken, sobald den Schlüsselprioritäten in den aktuellen Aktionsplänen angemessen Rechnung getragen wurde.

Gleichzeitig sollten wir nicht den Fehler begehen, dass die Debatte über die endgültigen Grenzen Europas zu theoretisch gerät. Da wir nun über eine konsolidierte Erweiterungsagenda verfügen, würde eine theoretische Diskussion darüber, ob z. B. die Ukraine überhaupt der Europäischen Union beitreten sollte, weder uns noch den Ukrainern zum Vorteil geraten, zumal die weitere Zukunft und die demokratische Entwicklung der Ukraine nun auf dem Spiel stehen.

Gewiss müssen wir bei der Geschwindigkeit der Erweiterung die Aufnahmekapazität der EU in Betracht ziehen. Die Kommission hat schon immer diese Auffassung vertreten. Bei der Erweiterung geht es um ein gemeinsames Projekt auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien, Strategien und Institutionen. Die Gemeinschaft muss sicherstellen, dass sie die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit ihrer Institutionen auf der Grundlage eines fairen Gleichgewichts aufrechterhalten, Haushaltsgrenzen einhalten und gemeinsame Strategien umsetzen kann, die gut funktionieren und zielgerichtet sind.

Seit mehr als dreißig Jahren hat die EU mit Erfolg die unterschiedlichsten Länder aufgenommen. Die Zusammensetzung dieses Hauses sowie der dieser Aussprache vorsitzende Präsident und der beteiligte Kommissar sind hierfür ein gutes Beispiel. Bei der Entwicklung ihrer Strategien und Institutionen hat sich die Gemeinschaft auf neue Situationen eingestellt, wie sie sich beispielsweise aus dem Sturz von Diktaturen, dem Zusammenbruch des Kommunismus und der zunehmenden wirtschaftlichen Globalisierung ergeben haben. Die Erweiterung hat sich für Europa als wirksamer Stoßdämpfer erwiesen.

Drittens benötigen wir eine bessere Kommunikation. Im Bericht wird zu Recht eine Kommunikationsstrategie gefordert, und natürlich ist es ganz entscheidend, dass alle Gemeinschaftsmaßnahmen und natürlich auch die Erweiterung von der Öffentlichkeit getragen werden. Ich vertraue auf die politische und finanzielle Unterstützung des Parlaments, damit wir eine fundierte Aussprache über die Erweiterung führen können.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass eine Konsolidierung erforderlich war, um nicht den Überblick über unsere Erweiterungszusagen zu verlieren. Doch wir dürfen unsere eigenen strategischen Interessen nicht außer Acht lassen: Es wäre völlig verantwortungslos, einen nützlichen Prozess zum Erliegen zu bringen, der zur Entwicklung stabiler und wirksamer Partner in den besonders instabilen Regionen Europas beiträgt. Sollten wir jetzt gegenüber den Westbalkanstaaten keine eindeutigen Beitrittszusagen mehr machen, dann würden unser positiver Einfluss sowie unsere politische und sonstige Einflussnahme gerade dann deutlich abnehmen, wenn die Region im Zusammenhang mit den Gesprächen über den künftigen Status des Kosovo in eine schwierige Phase eintritt.

Die europäische Perspektive ist der Schlüssel zu einer dauerhaften Lösung der Kosovofrage und zu einer demokratischen Entwicklung in Serbien und im Rest der Region. Auf dieser Grundlage kann die Region einen friedlichen Weg der Reformen einschlagen. Wir sollten also sicherstellen, dass dieses Fundament zum Wohle Europas nicht ins Wanken gerät und dass das nach wie vor fragile Gefüge auf dem Balkan nicht vor unseren Augen und in unserer direkten Nachbarschaft in sich zusammenbricht!

(Beifall)

 
  
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  Giorgos Dimitrakopoulos, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter und Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Herrn Brok, zu seinem außerordentlich wichtigen Bericht beglückwünschen und zugleich auch Ihnen, Frau Ratspräsidentin, zu Ihrem Interesse und ihrer Entschlossenheit gratulieren, die Sie als Außenministerin Österreichs sowie als Ratspräsidentin in der Balkan-Frage demonstriert haben. Glückwünsche auch an den Kommissar zu der umfassenden und integrierten Mitteilung der Kommission, die Sie uns präsentiert haben.

Ich möchte ganz rasch folgende Bemerkungen machen:

Erstens, die zentrale Sichtweise des Berichts Brok in Bezug auf die Bedeutung der europäischen Perspektiven einer Reihe von Ländern, vor allem des Balkans, ist korrekt. Zugleich ergeben die Ziffern 5, 9 und 10 des Berichts, wenn man sie zusammennimmt, den Bezugspunkt, von dem ausgehend die Europäische Union nun die zukünftigen Erweiterungen betrachtet.

Was die Türkei betrifft, so möchte ich sagen, dass ich die europäischen Perspektiven der Türkei befürworte, doch meiner Ansicht nach müssen wir uns zunächst, wie Sie ganz richtig gesagt haben, mit der Frage des Ankara-Protokolls befassen. Das Protokoll allein – ich wiederhole, dass Protokoll allein – muss ratifiziert werden, nicht aber die einseitige Erklärung, und dies gilt natürlich auch für die Frage der Modernisierung des Rechtsrahmens, innerhalb dessen dieses Land agiert.

Was den Kosovo betrifft, so stimme ich zu, dass bei den Verhandlungen das Augenmerk auf seinen endgültigen Status gelegt werden sollte, doch wir müssen uns auch darauf vorbereiten, wie der Beschluss über den endgültigen Status des Kosovo, wenn er gefasst worden ist, umgesetzt werden soll.

Was die EJRM angeht, so besitzt sie jetzt den Status eines Kandidatenlandes, das stimmt, doch gerade weil sie den Status eines Kandidatenlandes besitzt, hat sie auch Rechte und Pflichten. Eine davon besteht darin, im Dialog mit Griechenland eine konstruktive Haltung an den Tag zu legen, damit die letzte ungeklärte Frage, die Namensfrage, gelöst werden kann.

Was schließlich Serbien betrifft, so stimme ich der Notwendigkeit und der Tatsache zu, dass Serbien verpflichtet ist, mit dem Gerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten, doch dies ist ein Teil eines Bündels von Kriterien, die Serbien einzuhalten hat, und ich möchte darum bitten, darauf zu achten, dass wir den Fall Serbiens nicht „kroatisieren“. In dieser Frage vertreten Sie, Frau Ministerin, eine subjektive Ansicht.

 
  
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  Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion.(NL) Herr Präsident! In ihrem Strategiepapier nimmt die Kommission kein Blatt vor den Mund: zwar wird es keine neue Erweiterungsrunde mit einer großen Gruppe gleichzeitig beitretender Länder geben, andererseits aber – so die meines Erachtens richtige Schlussfolgerung der Kommission – ist und bleibt die Europäische Union eine Organisation, die neuen Mitgliedstaaten offen steht, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Die Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten im Jahr 2004 war ein Erfolg, was jedoch nicht von allen Bürgern so gesehen wird. Deshalb müssen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um über diese Erfolgsstory zu berichten.

Im Namen der Fraktion kann ich mitteilen, dass wir dem Bericht Brok im Großen und Ganzen zustimmen, und für die interessanten Vorbereitungsrunden, die wir in den letzten Monaten abgehalten haben, möchte ich mich bei dem Berichterstatter bedanken. Die besondere Bedeutung, die dem Kriterium der Aufnahmekapazität beigemessen wird, findet die nachhaltige Unterstützung der Sozialdemokraten. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Sackgasse, in der sich die Ratifizierung des Verfassungsvertrags derzeit befindet. Ohne innere Reformen wird es schwierig sein, den Beitritt neuer Mitgliedstaaten in die richtige Bahn zu lenken.

Wie wir in früheren Entschließungen zum Ausdruck gebracht haben, bildet der Vertrag von Nizza unserer Ansicht nach keine geeignete Grundlage für neue Entscheidungen über eine Erweiterung. Das Konzept der Aufnahmekapazität, wie es in den Kopenhagener Kriterien verankert ist, muss jedoch näher erläutert werden, und auch auf diesen Punkt wird in dem Bericht zu Recht eingegangen.

Lassen Sie mich diese Gelegenheit für eine kurze Darstellung des Standpunkts der Sozialdemokraten zu dem eventuellen Beitritt diverser Länder nutzen. Hinsichtlich unserer östlichen Nachbarländer Ukraine und Republik Moldau halten wir es jetzt nicht für den richtigen Zeitpunkt, über ihren Beitritt zu diskutieren. Vielmehr sollten wir in die praktische Zusammenarbeit investieren. Mit diesen Ländern haben wir Aktionspläne festgelegt, die wir auch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen sollten.

In Bezug auf den Balkan unterstützen wir den Standpunkt des Rates. Für die Länder des westlichen Balkans besteht grundsätzlich eine Beitrittsperspektive, wenngleich sie zu unterschiedlichen Zeiten beitreten werden. Bezüglich der Türkei sollte nach unserem Dafürhalten der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, der noch viele Jahre dauern wird, und wir müssen uns unbedingt an unsere Zusage halten, aber ebenso müssen wir an den Bedingungen festhalten, die wir in diesem Zusammenhang gestellt haben.

Zum Thema Balkan möchte ich noch hinzufügen, dass wir die Kopenhagener Kriterien selbstverständlich nach wie vor für eminent wichtig halten, doch legt die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament weiterhin großen Wert auf das Kriterium der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Einen wesentlichen Beitrag zur Annäherung dieser Länder an die Europäische Union kann meines Erachtens auch die regionale Zusammenarbeit leisten, worüber vor kurzem viel diskutiert worden ist.

Schließlich – und dies ist wohl der wichtigste Punkt der ganzen Diskussion – wird in dem Bericht von der Möglichkeit gesprochen, für die europäischen Länder, die noch nicht der Europäischen Union beigetreten sind, einen neuen multilateralen Rahmen zu schaffen. Für manche Länder könnte dies eine Alternative zur Mitgliedschaft darstellen, während es sich für andere um einen Zwischenschritt auf dem Weg dorthin handeln könnte. Für die Ukraine und die Republik Moldau beispielsweise könnte eine solche Struktur ein vernünftiger Folgeschritt sein, aber für Länder mit einer anerkannten Aussicht auf Mitgliedschaft wäre dies, wie ich unterstreichen möchte, eine Option und keine Verpflichtung.

So steht es auch klar und deutlich im Bericht Brok. Es ist eine Möglichkeit, für die sich diese Länder entscheiden können, sollten sie der Ansicht sind, dass es für sie zweckmäßig ist. Es handelt sich nicht um eine Alternative zur Aussicht auf Mitgliedschaft, und das gilt für die Türkei und die Balkanländer gleichermaßen. Ich möchte unterstreichen, dass dies unsere Interpretation von Ziffer 10 des Entschließungsantrags ist. Auf diese Weise und nicht anders sind wir im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten zu einer Übereinstimmung mit dem Berichterstatter gelangt.

 
  
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  Cecilia Malmström, im Namen der ALDE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Die Erweiterung ist der größte Erfolg der EU in Sachen europäische Zusammenarbeit. Die Vereinigung von Ost und West im Mai 2004 markierte das Ende der Teilung Europas und machte deutlich, welche Kraft in dem Traum von einem geeinten Europa auf der Grundlage von Demokratie, freiem Handel und Rechtsstaatlichkeit liegt. Der EU-Beitritt war der Ansporn, der die starken Reformkräfte in den ehemaligen kommunistischen Diktaturen unterstützt hat. Die Aussicht auf eine Mitgliedschaft hat auch enorme Bedeutung für die Verhandlungen und Reformen in der Türkei und auf dem Balkan. In diesen Regionen hat die EU unglaubliche Reserven an so genannter „Soft Power“, was zu einem stabileren und demokratischeren Europa beiträgt. Meine Fraktion ist der Meinung, dass es wichtig ist, wie im Vertrag verankert, die Tür für eine fortgesetzte Erweiterung offen zu halten. Natürlich gilt es, die Kriterien anzuwenden und die Aufnahmefähigkeit der EU zu beachten, aber wir müssen uns auch von innen heraus verändern und eine Debatte über die Erweiterung führen, ohne ihr die Schuld zuzuschieben.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass es in vielen Ländern eine Diskussion und große Besorgnis über das hohe Tempo der EU-Erweiterung und ihre mögliche Entwicklungsrichtung gibt. Diese Aussprache muss respektvoll und ehrlich geführt werden, aber wir müssen auch wagen, die Vorteile der Erweiterung zu verteidigen und sie zu betonen. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion über den Wirtschaftsprotektionismus außerordentlich beunruhigend. Wir haben eine Verantwortung für unsere Nachbarländer und müssen unsere gegenüber dem Balkan und der Türkei abgegebenen Versprechen halten. Diese bestimmen das Tempo, und wir tun, was wirk können, um die Dinge zu beschleunigen. Außerdem müssen wir die Türen auch für andere Länder offen halten, beispielsweise für die Ukraine und vielleicht eines Tages auch für Belarus, selbst wenn die Lage dort gegenwärtig ziemlich bedrängt ist. Die Hoffnung auf einen EU-Beitritt hält die Opposition und die Kräfte der Demokratie in diesem Lande aufrecht.

Aus diesem Grund sind wir dagegen, die geografischen Grenzen Europas festzulegen. Dieses Parlament hat die Erweiterung vorangetrieben, und vor einem Jahr standen wir im Plenum in Brüssel, trugen orange Tücher und applaudierten Präsident Juschtschenko. Wir nahmen eine Entschließung an, in der wir über die Aussichten der Ukraine auf einen Beitritt sprachen. Das ist eine Zielsetzung, wenn sie vielleicht auch noch in weiter Ferne liegt. Wie der Kollege Brok ganz richtig sagte, steht das ukrainische Volk zwischen Demokratie und Diktatur. Wenn wir für Europa Grenzen festlegen, gewinnen die Menschen dort den Eindruck, wir würden ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen. Das wäre ein historischer Fehler.

Anstatt neue Konzepte wie multilaterale Abkommen einzuführen, sollten wir – wie auch Kommissar Rehn erklärt hat – die Möglichkeit zur individuellen Anpassung der Nachbarschaftsstrategie für potenzielle Beitrittskandidaten nutzen. Die Vorlage neuer Konzepte, die noch nicht umfassend diskutiert worden sind und deren Auswirkungen wir noch nicht kennen, erscheint in der gegenwärtigen Situation nicht besonders produktiv.

(Beifall von verschiedenen Seiten)

 
  
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  Joost Lagendijk, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Meine Fraktion hat im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten aus zwei Gründen für den Bericht Brok gestimmt. Unseres Erachtens muss das Konzept der Aufnahmekapazität, bei dem es sich um einen modischen Sammelbegriff handelt, in den jeder das hineininterpretieren kann, was ihm beliebt, näher erläutert werden, und dies bedeutet, dass die Frage nach den geografischen Grenzen, der nicht länger ausgewichen werden kann, endlich beantwortet werden muss.

Wir teilen die Ansicht, dass die EU über eine Zwischenform zwischen Vollmitgliedschaft und Nachbarschaft für die Länder, die derzeit keine Aussicht auf Mitgliedschaft haben, nachdenken muss. Ich spreche hier also nicht von der Türkei oder vom westlichen Balkan, sondern von der Ukraine, der Republik Moldau oder Belarus. Meine Fraktion und ich waren allerdings zutiefst enttäuscht und offen gestanden höchst irritiert, feststellen zu müssen, dass die Medien im Vorfeld dieser Aussprache die Worte im Bericht so verdreht haben, dass das Ergebnis im Widerspruch zu einigen zentralen Punkten steht.

Aus der Lektüre der Medien vor dieser Debatte ergibt sich nämlich letztendlich die Schlussfolgerung, dass auch für die Türkei und den westlichen Balkan anstelle einer Mitgliedschaft eine Zwischenform gefunden werden müsse. Das ist kein Zufall, sondern – um es ganz ehrlich zu sagen – der von dem Berichterstatter stets vertretene Standpunkt, aus dem er nie einen Hehl gemacht hat; Herr Brok war schon immer gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei und hegt seit der Ablehnung der Verfassung zunehmende Bedenken gegen eine Beitrittsperspektive für den westlichen Balkan. Eine solche Position ist zwar das gute Recht des Berichterstatters, entspricht aber nicht der Auffassung der Mehrheit des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Überdies entspricht sie auch nicht dem, was in seinem eigenen Bericht steht.

Für den Berichterstatter würde es sich ziemen, außerhalb dieses Hohen Hauses exakt darzulegen, was in seinem Bericht steht, und dessen Inhalt nicht mit seinen eigenen Vorstellungen zu verwechseln. In diesem Bericht bringt das Parlament zum Ausdruck, dass wir an der Beitrittsperspektive für die Türkei und den westlichen Balkan nicht rütteln wollen und dass Zwischenformen für diese Länder nur eine Option wären, sofern sie sich selber dafür entscheiden. Jeder weiß genauso gut wie ich, dass alle diese Länder des westlichen Balkans sowie die Türkei nicht in diese Richtung gehen wollen, sondern die Vollmitgliedschaft anstreben. Lasst uns Schluss damit machen, innerhalb, aber vor allem auch außerhalb dieses Saales Unklarheit zu schaffen.

 
  
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  Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Bis vor kurzem wurde eine rasche und umfassende Erweiterung der Europäischen Union als ein enormer Fortschritt präsentiert, der jedermanns Unterstützung verdient. Man sah darin die Wiedervereinigung Europas und den Sieg des Westens im Kalten Krieg. Nach der großen Erweiterung von 2004 hat sich dieses Klima wesentlich geändert. Die öffentliche Meinung in den alten Mitgliedstaaten empfindet diese Erweiterung nicht als einen Erfolg, insbesondere infolge der vermehrten Ausnutzung des zwischen Hoch- und Niedriglohnländern bestehenden Gefälles.

Auch bei den Politikern zeigt sich zunehmende Zurückhaltung. Diese Veränderung ist in dem heute zur Debatte stehenden Bericht über die Erweiterungsstrategie augenfällig. Darin wird auf die Aufnahmekapazitäten der Europäischen Union, die Außengrenzen, die Erweiterungskosten sowie die politischen Probleme, die auf das Fehlen einer Europäischen Verfassung zurückgeführt werden, hingewiesen. Rumänien und Bulgarien sind infolgedessen offensichtlich die letzten Länder, die in absehbarer Zukunft noch beitreten dürfen. Andere europäische Länder werden auf die Nachbarschaftspolitik verwiesen. Selbst den drei bereits zu Kandidatenländern erklärten Staaten wird kein Beitrittsdatum in Aussicht gestellt.

Überall im westlichen Balkan, sowohl in den anerkannten Staaten als auch in den nach Autonomie strebenden Teilstaaten oder Protektoraten, in denen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Sprache und unterschiedlicher Religion in den 90er-Jahren auf Kriegsfuß miteinander standen, erwartet die öffentliche Meinung heute Wunder von einem raschen EU-Beitritt. Die Europäische Union nutzt diese Erwartungen, um Reformen zu verlangen, womit sie tief in die politischen Entscheidungen eingreift, die dort getroffen werden.

Die EU möchte vorläufig keine Erweiterung, wohl aber Einfluss außerhalb ihrer Grenzen. So gibt es in Bosnien und Herzegowina heute ein Steuersystem, das von niemandem dort gewollt war, und wird die im Dayton-Vertrag garantierte Regionalautonomie zurückgedrängt. Auf den Propaganda-Plakaten steht, dank der Militärpräsenz der Europäischen Union befinde sich dieses Land auf dem Weg zum EU-Beitritt. In Montenegro und im Kosovo – Gebiete, in denen vor vier Jahren gleichzeitig mit 12 Mitgliedstaaten der Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt worden ist – geht die öffentliche Meinung heute schon davon aus, bald als selbstständige Staaten der EU beitreten zu können, während die ungarischsprechende Bevölkerung in der Vojvodina Schutz gegen die slawische Dominanz erwartet.

Alle diese Menschen sind durch das bisherige Vorgehen der Union enttäuscht worden. Haben wir diesen Ländern des westlichen Balkans nicht mehr zu bieten als die Aufforderung, auf dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien einen gemeinsamen Markt zu bilden und ihre Verwaltung und ihre Wirtschaft unseren Wünschen anzupassen, ohne dass sie vor 2020 beitreten können? Meine Fraktion vermag für diesen Vorschlag wenig Begeisterung aufzubringen.

Andererseits anerkennen wir die dank dieses Textes gebotene Möglichkeit, zu betonen, dass die bevorstehende Volksabstimmung in Montenegro ernst genommen werden muss und dass in einem konstruktiven Dialog zwischen Griechenland und seinem nördlichen Nachbarstaat nach einer schnellen Lösung des Konflikts über den Gebrauch des Landesnamens Mazedonien zu suchen ist. Positiv ist ferner, dass im Kosovo rasch eine Lösung gefunden werden muss, die sowohl den Bedürfnissen der großen albanischen Mehrheit als auch denen der Minderheiten der Serben und Roma gerecht wird.

 
  
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  Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Übersteigerter Nationalismus, auch als Chauvinismus bekannt, ist mit der EU-Mitgliedschaft schwer zu vereinbaren, und das gilt selbstverständlich gleichermaßen für die Kandidatenländer. Bedauerlicherweise gibt es ein Kandidatenland, in dem sich Chauvinismus breit macht, nämlich die Türkei, deren Kandidatenstatus ohnehin ziemlich umstritten ist.

Vor diesem aktuellen Hintergrund möchte ich Kommissar Rehn zwei Fragen stellen. Inwieweit ist die mir gestern Abend von einem Experten zugegangene Information zutreffend, wonach sich die Stellung der christlichen Kirchen in der Türkei in letzter Zeit zusehends verschlechtert hat?

Angesichts dieser Information handelt es sich bei dem Mord an dem italienischen Priester Andrea Santoro am 5. Februar in dem Hafenort Trabzon nicht um einen Einzelfall. Ein Mordanschlag gleicher Art wurde jüngst in der Stadt Mersin verübt, und per Telefon oder sogar in den Zeitungen werden direkte Drohungen gegen Kirchen ausgesprochen. Dem in Istanbul tätigen anglikanischen Kaplan Ian Sherwood zufolge gilt übrigens in den Augen der türkischen Elite die Verbreitung christlicher Lektüre in Türkisch als intellektuell inakzeptabel, wenn nicht gar als ein potenzielles Verbrechen. Wie ist dies, Herr Kommissar, mit der Religionsfreiheit in der Türkei in Einklang zu bringen? Soweit ich daraus schließen kann, gibt es in diesem wichtigen Punkt der politischen Kriterien von Kopenhagen keinerlei Fortschritte.

Wie ich gestern Abend vernommen habe, liegt Trabzon im so genannten Tal der Wölfe. „Tal der Wölfe“ ist auch der Titel einer originaltürkischen Filmproduktion, in der es von Chauvinismus buchstäblich trieft und die als radikal antichristlich, antisemitisch, antiamerikanisch und antikurdisch bekannt ist. Der Film ist bereits ein echter Kassenschlager in der Türkei und fand den jubelnden Beifall der unmittelbaren Entourage von Ministerpräsident Erdogan sowie des Präsidenten des türkischen Parlaments.

Den Herrn Kommissar möchte ich fragen, ob er Ministerpräsident Erdogan und Minister Gül auf diesen mit den europäischen Werten völlig unvereinbaren türkischen Chauvinismus angesprochen hat.

 
  
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  Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Es ist sehr wichtig, dass uns der von Herrn Brok vorgelegte Bericht heute die Möglichkeit gibt, über die Erweiterung zu sprechen.

Wir müssen die Nachbarschaftspolitik unbedingt stärken, und wir brauchen neue, ernsthaftere Beziehungen zwischen der Union und den angrenzenden Ländern. Bisher war die Nachbarschaftspolitik als Instrument nicht ausreichend. Davon zeugt die Tatsache, dass die betreffenden Länder während der Umsetzung dieser Politik Krisen und eine weitgehende Destabilisierung erlebt haben.

Neue Formen der Zusammenarbeit, wie sie im Bericht vorgeschlagen werden, dürfen jedoch nicht den Weg zu einer Mitgliedschaft versperren. Wir müssen uns heute darüber im Klaren sein, dass wir den Ländern an unseren Ostgrenzen entweder eine Mitgliedschaft in Aussicht stellen müssen oder unsere Appelle für Demokratie, Marktwirtschaft und Achtung der Menschenrechte bleiben leere Worte. Ohne zumindest die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in fernerer Zukunft werden diese Länder in den Einflussbereich Russlands zurückkehren – mit all den Konsequenzen, die das für die Demokratie und die Menschenrechte hat.

In dem Bericht selbst werden jedoch die Auffassungen über die Erweiterung in Bezug auf die Aufnahmekapazität weiterentwickelt und bekräftigt. Dieser Terminus ist nie exakt definiert worden, und heute ist er nichts weiter als eine geschickte Ausrede, eine billige Erklärung für den Ausstieg aus dem Erweiterungsprozess. Wenn die Aufnahmekapazität an die Annahme des Verfassungsvertrags geknüpft werden soll, dann könnte der Eindruck entstehen, die Verfasser dieses Textes wollten die Tür für jeden endgültig zuschlagen. In der heutigen Fassung, wie wir sie kennen, wird es den Vertrag nie wieder geben.

Zu fordern, dass die Europäische Kommission die Grenzen der Union bestimmen solle, ist ein Fehler. Das führt nur zu peinlichen politischen Diskussionen über geografische Fragen und wird den Einfluss der Union auf den Prozess der Demokratisierung, Stabilisierung und Stärkung einer prowestlichen Politik in den Nachbarländern entscheidend schwächen. Dieses Parlament hat im Integrationsprozess oft eine Vorreiterrolle gespielt und weit reichende Ziele gesetzt. Heute erweist sich dasselbe Parlament als das konservativste und passivste Organ der Union. Da erhebt sich doch die Frage, weshalb das so ist.

 
  
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  Philip Claeys (NI). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte auf einige in dem Bericht enthaltene Unvollkommenheiten und Widersprüche in Bezug auf die Türkei hinweisen. In dem Bericht wird eine solch lange Liste grundlegender Probleme aufgeführt, dass es rätselhaft ist, weshalb daraus nicht die einzig logische Schlussfolgerung gezogen wird, nämlich dass es ein fataler Fehler war, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei überhaupt aufzunehmen.

Wie Herr Belder soeben ausführlich dargelegt hat, werden die Rechte nationaler und religiöser Minderheiten verletzt. Folter ist nach wie vor weit verbreitet, und unter anderem aufgrund von Artikel 301 des Strafgesetzes können die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit nicht garantiert werden. Ferner erfüllt die Türkei in flagranter Weise nicht ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Zollunion. Zyprische Schiffe und Flugzeuge werden noch immer nicht auf türkischem Hoheitsgebiet zugelassen.

In den vergangenen Wochen konnten wir außerdem eine Eskalation der Spannungen zwischen den türkischen Behörden und bestimmten kurdischen Gruppierungen feststellen. Kein Geringerer als die Nummer Zwei der türkischen Armee wird beschuldigt, einen Bombenanschlag inszeniert zu haben, um den Kurden die Schuld in die Schuhe zu schieben. Manche Militärs sehen in dieser Beschuldigung einen Schachzug der Regierung, die den betreffenden General wegen seiner Haltung gegenüber dem Moslemfundamentalismus angeblich destabilisieren möchte.

In manchen Kreisen wird sogar von der Möglichkeit eines erneuten militärischen Staatsstreichs gesprochen, sollte die Situation weiter eskalieren.

Sie müssen zugeben, bei diesen Perspektiven besteht wenig Interesse daran, dass ein solches Land in einigen Jahren der Europäischen Union beitritt. Im Grunde genommen müssten wir eingestehen, dass ein Beitritt völlig absurd wäre. In dem Bericht wird ganz zu Recht daran erinnert, dass zu den Kopenhagener Kriterien auch unsere eigene Aufnahmekapazität gehört. Allein schon aufgrund dieses Kriteriums sollte der Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei aufgehoben werden.

 
  
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  Doris Pack (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Als Delegationsvorsitzende für Südosteuropa unterstütze ich voll die Aussagen und Forderungen des Berichts Brok bezüglich jedes einzelnen Landes. Jedes hat seine eigenen Probleme und soll auch nach seinen eigenen Erfolgen beurteilt werden. Daher wäre es sehr wünschenswert, dass eine baldige Aufnahme Kroatiens ins Auge gefasst wird. Das wäre ein wichtiges stabilisierendes Signal für die ganze Region, zumal Kroatien den beiden nächsten Beitrittsländern heute schon in nichts nachsteht, weder politisch noch ökonomisch.

Ich will mich aber jetzt am Ende nur noch mit einem Gedanken näher befassen, einem versteckten Gedanken im Bericht Brok, der in der Medienöffentlichkeit eine prominentere Rolle spielt, nämlich mit den angedeuteten Änderungen der Erweiterungsstrategie. Auf die Frage „Wo sind die Grenzen der EU?“ gibt niemand eine Antwort. Herr Rehn hat vorhin selbst gesagt, darauf müsste man eine Antwort geben. Und genau das ängstigt die Bürger. Für mich persönlich sind die Grenzen der Europäischen Union mit der Aufnahme Bulgariens, Rumäniens und des Westbalkans erreicht. Für alle anderen Länder haben wir uns das neue Instrumentarium der Nachbarschaftspolitik ausgedacht und müssen es angehen. Die überhasteten Verhandlungen mit der Türkei haben ihr Übriges zur Verunsicherung und Orientierungslosigkeit unserer Bürger getan.

Seit zehn Jahren sagen wir: Keine Erweiterung ohne institutionelle Reformen der EU! Dem aber wurde der Rat erst nach der letzten Erweiterung wirklich gerecht. Und dafür wurden wir alle durch die Referenden in Frankreich und in den Niederlanden abgestraft. Just daraus aber den Schluss zu ziehen, keine Aufnahmen mehr zuzulassen, wäre fatal. Wir müssen uns schleunigst die notwendigen Instrumente, die uns ja im Verfassungsvertrag gegeben waren, beschaffen und damit unsere Aufnahmefähigkeit wiederherstellen. Wenn wir nicht unser großes bisheriges Engagement auf dem Balkan aufs Spiel setzen wollen, müssen wir konsequent und zielgerichtet auf dem Weg der Annäherung dieser Länder an die EU weitergehen.

Ich begrüße ausdrücklich, was die beiden Redner, Kommissar Rehn und Ratspräsidentin Plassnik, dazu gesagt haben. Allen diesen Staaten wurde zu Recht die Aufnahme in die EU versprochen, wenn sie die Kriterien erfüllen. Das war und ist nach den schrecklichen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien und unter der Diktatur Enver Hoxhas in Albanien ein wichtiger Motor für die Veränderungen. Ein einfacher Blick auf die Landkarte zeigt jedem Vernünftigen: Diese Region liegt mitten in der EU. Stabilität dort sichert Stabilität bei uns. Das Gegenteil davon haben wir alle in den 90er Jahren leidvoll erfahren. Ich fürchte aber, einige Europäer – und das belegen leider, Frau Ratspräsidentin, auch die vagen und unscharfen Aussagen in Salzburg – sind dabei, die Staaten Südosteuropas ein zweites Mal im Stich zu lassen. Genau das dürfen wir nicht zulassen!

 
  
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  Helmut Kuhne (PSE). – Herr Präsident! Ich begrüße den Perspektivenwechsel, der im Bericht Brok angelegt ist. Es kann in unseren Debatten nicht länger darum gehen, welches Land wir lieber als ein anderes dabei hätten, sondern wir müssen uns endlich der Frage stellen, was für ein politisches System sich die Europäische Union eigentlich zugunsten ihrer eigenen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit leisten kann. Das ist die Leitfrage, von der man ausgehen muss.

Deshalb müssen wir in der Tat in einem nächsten Schritt Begriffe klären, die bislang nicht definiert wurden. Der Begriff der Aufnahmefähigkeit ist in den Kopenhagener Kriterien enthalten, aber er ist nicht definiert. Nach meiner Ansicht gehören dazu mindestens die politisch institutionellen Regelungen, wie sie im Verfassungsvertrag enthalten sind.

Herr Kommissar, ich habe aufmerksam zugehört. Korrigieren Sie mich, aber ich habe diesbezüglich nichts von Ihnen gehört. In der Entscheidung, was ein wichtiges Kriterium von Aufnahmefähigkeit ist, liegt die mögliche Quelle eines Dissenses zwischen uns und der Kommission. Zu den wichtigen Kriterien gehört eine zukunftsfähige Finanzierung der Europäischen Union ebenso wie die Akzeptanz durch die Bevölkerungen in der Europäischen Union. Wenn der Punkt Glaubwürdigkeit angesprochen wird, dann entspricht es ebendieser Glaubwürdigkeit und den Kriterien, die man sinnvollerweise für Aufnahmefähigkeit anlegen kann, dass für eine vorhersehbare Zukunft nach Bulgarien und Rumänien kein weiteres Land aufgenommen werden kann. Glaubwürdigkeit ist nicht nur das Versprechen, irgendwann Leute aufzunehmen, Glaubwürdigkeit ist auch, die Bedingungen zu nennen, unter denen das überhaupt möglich ist. Das bedeutet auch, dass wir Begrifflichkeiten wie Erweiterungs- oder Beitrittsperspektive präzisieren müssen.

Wir müssen uns sehr klar machen, dass der Glaube, ein Beitritt löse Spannungen und interne Sicherheitsprobleme, ein Irrglaube ist. Diese Spannungen und Probleme müssen gelöst werden, bevor Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden.

 
  
  

VORSITZ: Gérard ONESTA
Vizepräsident

 
  
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  Annemie Neyts-Uyttebroeck (ALDE). – (NL) Herr Präsident, Frau Ratsvorsitzende, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Im Bericht Brok werden treffende Fragen gestellt und auch beantwortet, wenngleich ich mich nicht mit allen Antworten einverstanden erklären kann. Ebenso werden darin die Bedenken zum Ausdruck gebracht, die viele gegen eine neue Erweiterung hegen. Deshalb wird der Aufnahmekapazität so große Bedeutung beigemessen, die, sollte der Bericht ohne Änderungen angenommen werden, sogar eine geografische Dimension erlangen würde.

Wie eine breite Mehrheit meiner Fraktion bin ich der Meinung, dass es keiner vorhergehenden Festlegung der geografischen Grenzen der Union bedarf, um ihre Aufnahmekapazität effektiv bestimmen zu können. Die Union muss nämlich in erster Linie politisch definiert werden, was übrigens ebenfalls nicht leicht sein wird. Am allerwichtigsten ist, dass sich die EU an ihre Erweiterungszusagen hält, jedenfalls nicht zuletzt gegenüber den Ländern des westlichen Balkans. Die fraglichen Länder sind zwar noch um Jahre von einer möglichen Mitgliedschaft entfernt, doch ist die Zeit gekommen, um ganz präzise Vereinbarungen zu treffen und sogar einen Zeitplan aufzustellen. Selbstverständlich müssen alle Kriterien, an erster Stelle die politischen, erfüllt werden.

Ich meine verstanden zu haben, dass die Ratsvorsitzende genau dies in ihrer Antwort gesagt hat. Unklare Aussichten auf eine spätere Mitgliedschaft und eine weitere Verschärfung der Kriterien werden den Prozess nur verzögern, da diese Unklarheit zum Vorwand genommen würde, womit niemandem gedient wäre.

 
  
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  Cem Özdemir (Verts/ALE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Bericht fordert eine Festlegung der geographischen Grenzen der Europäischen Union und eine Definition der Natur der Europäischen Union. Einige Christdemokraten, aber auch manche Sozialdemokraten, haben sich auf die Suche nach Alternativen zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union gemacht. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, dass sich vor einigen Jahren Politikwissenschaftler und Analysten nicht vorstellen konnten, dass der Eiserne Vorhang eines Tages fallen würde. Aber er ist gefallen, und wir sind froh darüber! Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen, sich mit Festlegungen darüber, wie die Europäische Union in zwanzig, in dreißig, in vierzig Jahren – also nach der aktiven Phase der Politik der meisten von uns – aussehen wird, zurückzuhalten. Ich glaube, es steht uns allen gut zu Gesicht, angesichts dessen, dass die meisten von uns sich darüber getäuscht haben, was 1989 passieren wird.

Noch ein Zweites möchte ich sagen: Alle haben darauf hingewiesen, dass das Ankara-Protokoll umgesetzt werden soll. Sie haben Recht! Nur, dann sollte man auch dazu sagen, dass die Türkei und der Norden der Insel Zypern für eine Lösung sind. Wir haben auch Versprechen gegeben. Es gilt das alte Sprichwort „pacta sunt servanda“, das bedeutet, die Isolation des Nordens der Insel muss, wie von der Europäischen Union versprochen, beendet werden.

Herr Kollege Brok, ich würde mir wünschen, dass Helmut Kohl nicht nur in den Geschichtsbüchern vorkommt, sondern auch gelegentlich in der Europapolitik bei der CDU wieder eine Rolle spielt.

 
  
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  Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Meine Fraktion wird nicht für den Bericht Brok stimmen, und zwar hauptsächlich aus folgenden Gründen:

Der Bericht, insbesondere Ziffer 10, die absichtlich unklar gehalten ist, formuliert eine Doppelstrategie. Er lässt die Hintertür weit offen, Beitrittsperspektiven in ein Konzept der privilegierten Partnerschaft umzuwandeln, das Steckenpferd der deutschen Christdemokraten. Der Abschnitt zum Kosovo, mit seiner verschwommenen Formulierung, ist Ausdruck der Doppelzüngigkeit innerhalb der Union sowie der Tendenz, sich schrittweise den klaren Bestimmungen der UN-Resolution 1244 zu entziehen.

Meine Fraktion unterstreicht die Forderung, dass die Türkei die an einen konkreten Zeitplan gekoppelten notwendigen Voraussetzungen erfüllen muss, angefangen mit der gewissenhaften Umsetzung des Ankara-Protokolls, ohne Verstöße gegen diese Vereinbarung.

Schließlich unterstützt meine Fraktion unter anderem Änderungsantrag 19 betreffend die gegenseitig akzeptable Lösung des Namenproblems der EJRM sowie den überarbeiteten Änderungsantrag 4 zu Zypern.

 
  
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  Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Die erste Frage, die wir klären müssen, ist, wo hört Europa auf? Wir wissen nicht mehr, wo Europa ist: Wir haben Diabakir erreicht und, wenn uns morgen die Amerikaner sagen, dass der Irak sich aus Gründen des Gleichgewichts Europa anschließen solle, werden wir dann den Indischen Ozean erreichen? Das ist die Frage. Wer entscheidet darüber, wer Europa beitritt? Bis vor kurzem haben wir Kroatien gegenüber „Nein“ gesagt. Die Chefanklägerin, Frau Carla del Ponte, sagte „Nein“, Österreich übte Druck aus und Kroatien ist drin. Ist das der politische Wille Europas? Natürlich ist es nicht sehr nett, unseren Freunden, den Türken, sagen zu müssen, dass sie nicht den Präsidenten des Europäischen Parlaments beleidigen dürfen. Es ist nicht sehr nett, dass sie, wenn wir ihnen 139 Millionen Euro für die besetzten Gebiete geben, Mitglieder des Europäischen Parlaments mit Eiern und Steinen bewerfen. Sie müssen ihre Haltung ändern, nicht nur einen Artikel ihrer Verfassung. Eine solche Sonderbehandlung dürfen sie nicht bekommen. Sie können nicht einem europäischen Staat mit Krieg, mit einem casus belli drohen, während wir darüber reden, sie hereinzulassen. Sind sie nicht imstande, eine Regierung zu akzeptieren, die von den anderen 24 anerkannt worden ist? Das entbehrt jeder Logik.

Das bringt mich zur EJRM, die natürlich einen Namen beansprucht. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie, als Sie den Antrag stellten, der UNO als Deutsche Republik Österreich beizutreten, Deutschland – das damals unterlegene Deutschland – sein Veto einlegte und Sie als Österreich beitraten? Darf ich Sie daran erinnern, dass die Bretonen es nicht zuließen, dass Großbritannien beitritt, weil sie Britannien im Namen hatten, und dass sie als Vereinigtes Königreich beitraten? Warum also sollten Sie uns nicht unterstützen, wenn uns mit Makedonien eine 3000jährige Geschichte verbindet?

Warum nennen Sie die Sache nicht beim Namen? Warum verfolgen wir nicht endlich eine unabhängige Politik, warum müssen wir das Spiel der Amerikaner mitspielen, Russland zu verärgern, ihnen ihre Satelliten zu nehmen, eine Front gegen den Iran zu eröffnen und so weiter? Wann wird Europa endlich – und das ist die Frage – beschließen, nicht der Erfüllungsgehilfe der Amerikaner zu sein? Wir brauchen keine Aufseher, um unsere eigenen Initiativen zu entwickeln.

 
  
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  Inese Vaidere (UEN). – (LV) Meine Damen und Herren! Die bisherige Erweiterung der Europäischen Union war zweifellos ein erfolgreiches Unterfangen, da sie durch die Ausweitung des Raums des Friedens, der Stabilität und der Rechtsstaatlichkeit in Europa in vielen Staaten Reformen begünstigt hat.

Eine weitere Ausdehnung der Europäischen Union ist erforderlich, aber wir werden neue Mechanismen und Wege finden müssen, die die Europäische Union aus der Sackgasse ihrer gegenwärtigen Aufnahmefähigkeit, was neue Staaten betrifft, herausführen. Die Europäische Kommission muss dieses Konzept der Aufnahmefähigkeit weiterentwickeln und konkrete Kriterien festlegen. Neben der Möglichkeit der vollen Mitgliedschaft müssen wir auch verschiedene Formen multilateraler Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Ländern anbieten, die zumindest kurzfristig nicht in der Lage sein werden, der Europäischen Union beizutreten. Hier möchte ich den Worten von Herrn Brok uneingeschränkt zustimmen. Das wäre eine Möglichkeit, beispielsweise die Türkei, die Ukraine und die Balkanländer und später weitere Länder auf den Weg der Reform und der europäischen Werte zu holen.

 
  
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  Ryszard Czarnecki (NI). – (PL) Herr Präsident! Es ist ein Märchen, dass die Union stark und wettbewerbsfähig sein wird, wenn sie keine weiteren Länder aufnimmt. Es ist ebenso ein Märchen, dass die Union ihre Grenzen endlos, beispielsweise durch die Aufnahme Russlands, ausdehnen kann.

Wir sollten uns bei der Erweiterung auf Prioritäten konzentrieren. Nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union, der 2007 und nicht 2008 erfolgen sollte, müssten die südosteuropäischen Länder folgen. Nach Kroatien und Mazedonien sollten wir weiteren Ländern die Tür öffnen, und zwar Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, dem Kosovo und Albanien. Das ist der folgerichtige Weg, den wir einschlagen sollten. Dabei geht es sowohl um strategische Überlegungen als auch um die Frage einer größeren Sicherheit auf dem alten Kontinent. Alles in allem wird das wirtschaftlich gesehen von Vorteil sein, da es uns weniger kostet, die Union um die nächsten Balkanländer zu erweitern als Geld in ein Fass ohne Boden zu stecken, das die Balkanländer vor ihrem Beitritt zur EU sind. Es kostet mehr, die ständigen Konflikte in diesem Teil Europas zu lösen als diese Staaten in der Union zu haben, wo sie dann die politischen und wirtschaftlichen Spielregeln der EU befolgen müssen.

Wir sollten uns nicht davor fürchten, weitere Staaten in die Union aufzunehmen. Ich weiß, dass diese Furcht inzwischen gewissermaßen „trendy“ ist. Als besonders nützlich erweist sie sich in Wahlkämpfen, wie sie in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ständig stattfinden. Wenn unsere Union wirtschaftlich effizienter sein und nicht hinter Amerika und Asien zurückfallen will, muss sie die Trennung Europas in zwei Teile schrittweise überwinden, nämlich in das Europa A, das heißt die Europäische Union, und das Europa B, also alle Länder, die nicht der Union angehören. Die Geschichte hat auch gezeigt, dass eine erweiterte Union eine sicherere Union ist. Eine Einladung zu Beitrittsverhandlungen ist, selbst wenn keine Aussicht besteht, der Union in naher Zukunft beizutreten, wie eine Startflagge, die am Start eines Autorennens gehoben wird. Die Fahrer müssen ein Ziel haben, das sie ansteuern können, und wissen, wo der Zielpunkt ist. Dann können sie einen langen Weg zurücklegen, zahlreiche Kurven bewältigen und sogar einen Motorschaden überstehen. Wichtig ist jedoch, dass die Räder des Beitritts in Bewegung gesetzt werden.

In dem Entschließungsantrag des Parlaments wird ganz richtig die Tatsache hervorgehoben, dass eben dieser Anreiz dazu beigetragen hat, dass in der Türkei, in Kroatien und in allen Ländern des westlichen Balkans Reformen eingeleitet wurden. Ja, die Erweiterung ist – kurzfristig betrachtet – teuer, langfristig jedoch eine lohnende Investition.

 
  
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  Jacek Emil Saryusz-Wolski (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Ich begrüße diesen grundsätzlich positiven Bericht von Herrn Brok. Es wird darin glücklicherweise ohne Umschweife anerkannt, dass der westliche Balkan künftig ein integraler Bestandteil der Europäischen Union sein sollte. Ich vertrete die Überzeugung, dass wir uns an unsere Zusagen halten müssen; wir können nicht unsere Türen vor Ländern verschließen, denen eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde, oder vor Ländern, die gemäß den Bestimmungen des Vertrags künftig eine solche Perspektive verdienen.

Allerdings dürfen wir unsere Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Wir müssen uns auf die Erweiterung vorbereiten. In erster Linie müssen wir die erforderlichen Finanzmittel bereitstellen. Darüber hinaus sollten wir unseren Bürgerinnen und Bürgern die zahlreichen Vorteile der Erweiterung erläutern und sie so auf die Erweiterung vorbereiten. Wir dürfen nicht mehr so tun, als ob die Erweiterungsrunden der Vergangenheit und der Zukunft Schuld an unseren internen, überwiegend nationalen, Problemen und unserer Untätigkeit sind.

Bei der Vorbereitung auf die Erweiterung müssen wir strengen Regeln folgen, uns an den Beitrittskriterien orientieren und aufrichtig gegenüber unseren Partnern sein. Dennoch sollten wir nicht allzu dogmatisch vorgehen. Es ist durchaus möglich, Kroatien den Weg zum Beitritt ohne den Verfassungsvertrag zu ebnen. Dafür bedarf es lediglich der erforderlichen Anpassungen im Beitrittsvertrag. Das Land sollte nicht dafür büßen oder darunter leiden, dass wir Probleme mit dem Verfassungsvertrag haben.

Ich begrüße, dass der Bericht so fortschrittlich und kämpferisch ist. Die Möglichkeit eines schrittweisen Ansatzes für den Beitritt ließe sich diskutieren, vorausgesetzt dass dieses Vorgehen nicht unbegrenzt ist – ja, ein schrittweiser Ansatz, aber nicht, wenn er ein Ersatz für die Mitgliedschaft sein soll. Meinungsverschiedenheiten sollten nicht als Vorwand für Tatenlosigkeit oder dafür dienen, dass wir Ländern den Weg zur Mitgliedschaft verschließen, die wie beispielsweise die Ukraine eines Tages beitrittswürdig sein werden. Die Grenzen der Gemeinschaft werden bereits im Vertrag über die Europäische Union definiert, wo es unter anderem heißt: „Jeder europäische Staat, der die ... Grundsätze achtet“.

Abschließend möchte ich erneut hervorheben, dass die Erweiterung eine der wirksamsten Strategien der Union ist und wir daher dieses Potenzial vollständig nutzen sollten, um eine starke, sichere und einflussreiche Gemeinschaft zu errichten, die ihren Werten der Solidarität, Demokratie und Offenheit treu bleibt.

 
  
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  Józef Pinior (PSE). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte die besondere Verantwortung der Europäischen Union für die Errichtung einer Gemeinschaft von Ländern, Völkern und Bürgern auf dem europäischen Kontinent unterstreichen, die auf Frieden, liberaler Demokratie, Menschenrechten, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit basiert.

Wir stehen heute jedoch vor der Frage, ob die Europäische Union für die Aufnahme weiterer Staaten und eine tatsächliche Öffnung gerüstet ist und wie der Charakter der Europäischen Union einschließlich ihrer geografischen Grenzen zu definieren ist.

Die Frage der Aufnahmekapazität wird gegenwärtig dadurch erschwert, dass der Prozess der Ratifizierung des Vertrages über eine europäische Verfassung ins Stocken geraten ist und die stärkere politische und strategische Integration der 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Hindernisse stößt. Gleichzeitig müssen jedoch die Institutionen der Europäischen Union in den nächsten fünf Jahren Erweiterungsstrategien umsetzen, die auf genau definierten Bedingungen basieren, die den Verpflichtungen der Europäischen Union gegenüber der Türkei, Kroatien und den westlichen Balkanstaaten Rechnung tragen. Auch sollte die Europäische Union eine langfristige europäische Perspektive in Bezug auf die osteuropäischen Länder – insbesondere die Ukraine – entwickeln.

 
  
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  Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir die Erweiterung diskutieren, diskutieren wir im Kern unser Verständnis von der Europäischen Union. Ist es ein instrumentelles Verständnis oder ein originär politisches Verständnis, das wir von ihr haben? Wollen wir eine OSZE mit Freihandel zur Stabilisierung einer schwierigen Nachbarschaft, oder wollen wir eine politische Union, die aus eigenem Recht handlungsfähig ist? Der Bericht Brok ist insofern positiv, als er hier wirklich einen Perspektivwechsel zugunsten der zweiten Option herbeiführt.

Man sagt uns Politikern im Allgemeinen nach, dass wir nicht loben könnten. Aber Helmut Kuhne von der SPD hat hier eben gesprochen, auf der Grundlage eines hervorragenden Papiers, das die deutschen Sozialdemokraten verabschiedet haben. Das absolut Hervorragende ist, dass es die Position der SPD zur Erweiterung definiert.

Bulgarien und Rumänien sind entschieden – ja! Aber man muss in Betracht ziehen, die Länder zu entkoppeln, wenn dies die Leistungen erfordern. Nicht Instrumente sind entscheidend, sondern Ergebnisse. Es kann in den Verhandlungen mit der Türkei ein Ergebnis geben, das nicht die Vollmitgliedschaft ist. Und jetzt kommt ein Schlüsselsatz: „Die schleichende Aufweichung der Beitrittskriterien werden wir nicht länger mittragen“, sagen die deutschen Sozialdemokraten. Wir deutschen Freien Demokraten stimmen dem zu hundert Prozent zu.

Auch die Aufnahmefähigkeit wird definiert. Das Kardinalproblem hierbei ist, dass die grundsätzliche Zustimmung der Menschen in den Mitgliedstaaten Bestandteil der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union ist. Ich glaube, das ist ganz entscheidend, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen. Wenn wir sie als treue Unionsbürger erhalten wollen, dann müssen wir ihre Wünsche berücksichtigen!

 
  
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  Tatjana Ždanoka (Verts/ALE).(EN) Herr Präsident! Ich begrüße ausdrücklich die Hinweise im Bericht von Herrn Brok, dass die Grundrechte und -freiheiten und insbesondere die Rechte von Minderheiten in der Türkei, in Kroatien und in den Ländern des westlichen Balkan geachtet werden müssen.

In unserer Aussprache über das Beitrittsgesuch der Türkei habe ich die Kommission dringend darum ersucht, nicht die Fehler zu wiederholen, die im Zusammenhang mit dem Beitritt meines Heimatlandes Lettland gemacht wurden, als nämlich der Prozess nicht dazu genutzt wurde, die Rechte von Minderheiten zu stärken. Die Fraktion der Freien Europäischen Allianz hat die europäischen Institutionen aufgefordert, die türkische Regierung zu drängen, ihr Vorgehen gegenüber ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten zu verbessern. Leider können wir in diesem Bereich keine Fortschritte vermelden, und besonders beunruhigend ist, dass in Kurdistan nach wie vor unschuldige Bürger getötet werden. Vor zwei Wochen wurden die Eltern des bekannten Menschenrechtsaktivisten und Präsidenten des in Brüssel ansässigen Kurdischen Instituts, Derwich Ferho, ermordet. Es gibt Hinweise darauf, dass türkische Spezialeinheiten in diesen Vorfall verwickelt sind. Ich befürworte eine weitere Erweiterung, doch diese muss sich streng an den Kopenhagener Kriterien orientieren.

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Was Ziffer 29 des Berichts betrifft, so war die Entscheidung des Rates, die finanzielle Hilfe für die türkischen Zyprioten zu blockieren, ein Schritt in die richtige Richtung, und dafür möchte ich der Ministerin danken.

Was die Frage des Handels angeht, so kann sie immer noch im Rahmen der jüngsten Übereinkunft, Gespräche über ein Paket von vertrauensbildenden Maßnahmen zu führen, geklärt werden. In ihrer gemeinsamen Erklärung im Anschluss an ihr Treffen in Paris haben der UN-Generalsekretär und Präsident Papadopoulos unter anderem festgestellt, dass es für alle Beteiligten nützlich wäre und die Atmosphäre für weitere Gespräche erheblich verbessern würde, wenn beim weiteren Truppenabzug und der vollständigen Entmilitarisierung der Insel sowie bei der Entminung Zyperns und der Frage von Famagusta Fortschritte erzielt werden würden.

Insbesondere könnten Fortschritte bei der Frage von Famagusta ebenfalls zu Fortschritten bezüglich der Frage des Handels führen. Wir sind uns alle des entsprechenden Vorschlags der zypriotischen Regierung bewusst, wonach durch die Rückgabe von Famagusta an seine rechtmäßigen Bewohner und die Wiedereröffnung des Hafens von Famagusta die Frage des Handels aus und in die besetzten Gebiete geklärt werden könnte. Leider haben die Türkei und die türkisch-zypriotische Führung zu dieser konkreten Frage noch keine Stellung bezogen.

 
  
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  Roger Knapman (IND/DEM).(EN) Herr Präsident! Zunächst begrüßt es unser irregeführter Berichterstatter, dass das Strategiepapier der Kommission „eine nach außen gerichtete Union befürwortet“. Er meint nicht wirklich eine nach außen gerichtete Union, sondern eine Union auf Expansionskurs, und es geht ganz offensichtlich nicht um eine Reflexionsphase im Anschluss an die Referenden in den Niederlanden und in Frankreich! Die Menschen haben vor allem einen Beitritt der Türkei abgelehnt. Was uns hier geboten wird, ist nur noch mehr Zentralisierung bei gleichzeitiger Expansion mit einem unkontrollierbaren Ganzen als Folge, und dies zu allem Überfluss genau in der Woche, in der Deutschland dazu aufgefordert wird, seine Wirtschaft in den Griff zu bekommen! Anstatt Schiffsladungen mit Geld nach Osteuropa zu schicken, täten sie besser daran sicherzustellen, dass nicht der Wohlstand der gesamten Union aufs Spiel gesetzt wird.

Gegenwärtig ist es schick, so zu tun, als ob zahlreiche Länder Schlange stünden, um unserer Union beizutreten. Tatsache ist, dass die Balkanstaaten gerade erst eine herrschsüchtige, bürokratische und korrupte Organisation mit Namen Jugoslawien hinter sich gelassen und daher nicht den Wunsch haben, nur aus gesundheitlichen Gründen einer Organisation mit ähnlichen Eigenschaften beizutreten. Wahrheit ist, dass sie Geld wollen. Und sie wollen noch mehr Geld. Die Balkanstaaten sollten ihre Souveränität nicht als Ware betrachten, denn dann werden sie eine herbe Enttäuschung erleben. Ich fürchte, dass in Zukunft noch große Enttäuschungen auf sie warten werden.

 
  
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  Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident, werte Sozialdemokraten, insbesondere Deutsche und Österreicher! Hurra, ihr habt euch die Populismuskeule, die ihr sonst immer gegen frühere Parteichefs oder auch Spitzenkandidaten schwingt, jetzt selbst über den Kopf gezogen – das, was ihr Populismuskeule nennt. Da ist ein Aufweckprozess im Gange und ein Aufwachen, getragen von Wählern, getragen von realistischen ökonomischen Zahlen, hoffentlich auch getragen von Einsicht. Die Debatten, die wir über Jahre hinweg in Ihrer Fraktion geführt haben, haben jetzt zu einem Papier geführt, mit dem man etwas anfangen kann.

Wunderbar, Kollege Kuhne! Perspektivenwechsel, Beitrittsperspektive definieren, Aufnahmefähigkeit. Genau darum geht es. Da kann man Hoffnung haben, denn das, was ihr vertretet, ist ja nicht nur bei euren Wählern mehrheitsfähig, sondern insgesamt in Europa. Mit einer vernünftigen Perspektive kann es vorangehen. Mit dem Sich-schön-Reden von bisher ganz sicher nicht.

 
  
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  Camiel Eurlings (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Die Erweiterungen haben der Europäischen Union Vorteile gebracht; nicht nur die Einwohner der neu beigetretenen Länder, sondern sicherlich auch die der anderen Länder haben davon profitiert.

Bei dem Referendum in meinem Land war das vorherrschende Gefühl die Sorge, von polnischen Klempnern überschwemmt zu werden. Die Realität sieht ganz anders aus: die Erweiterung um die zuletzt beigetretenen Länder brachte den Niederlanden einen Gewinn von 2 Milliarden Euro jährlich. Gerade die stetigen Befürworter dieser Erweiterung sollten nicht mit solchen Informationen über die Erweiterung hinter dem Berg halten, gleichzeitig aber das Gleichgewicht zwischen Erweiterung und Vertiefung nicht aus dem Auge verlieren, denn dieses Verhältnis befindet sich derzeit in einer Schieflage. Der Vertrag von Nizza war im Grunde bereits für 25 Länder unzulänglich, und er wird mit Sicherheit unzulänglich sein, wenn in Kürze zwei weitere Länder, Rumänien und Bulgarien, beitreten werden. Wir sollten uns nach meinem Dafürhalten dazu verpflichten, mit einem neuen Vertrag zunächst einmal unser eigenes Haus in Ordnung zu bringen, bevor wir über die 27 hinaus erweitern. Diese Verpflichtung sollten wir uns selbst auferlegen.

Zweitens halte ich es für wichtig, dass Länder an unserer Peripherie nicht warten müssen sollten, bis die Europäische Union ihre Hausaufgabe erledigt hat, um mit einer Art Partnerschaft den Prozess der Vertiefung beginnen zu können. Wenn sie echte Mitglieder werden wollen und Europa als aufnahmefähig erscheint, könnte ein Heranrücken an die Mitgliedschaft der nächste Schritt für sie sein.

Mit dem vorliegenden Bericht werden die Rechte der Kandidatenländer, die jetzt diesen Status besitzen, keineswegs geschmälert, und ich möchte dies absolut klarstellen. Diese Glaubwürdigkeit impliziert jedoch, dass wir auch die Kriterien glaubwürdig handhaben. Dies bedeutet, wie Frau Plassnik treffend bemerkte, dass die Türkei die Meinungsfreiheit respektieren muss, nicht nur im Falle dieses einen Schriftstellers, sondern auch der anderen, dass die Religionsfreiheit gewährleistet werden muss und dass ferner in der Zypernfrage Fortschritte erzielt werden.

Wir begrüßen den Age Package Deal, doch wäre es – und hoffentlich nimmt der Herr Kommissar dies zur Kenntnis – hervorragend, wenn die Türkei dazu überredet werden könnte, das Protokoll zu ratifizieren und umzusetzen. Wie wollen Sie erreichen, dass hier entsprechende Klarheit geschaffen wird, Herr Kommissar? Sobald dies der Fall ist, werden wir auch in Bezug auf Zypern selbst ein Stück weiter kommen. Der dazu eingereichte Änderungsantrag 4, in dem das Parlament nochmals unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass wir unseren Verpflichtungen gegenüber den Menschen im südlichen, aber selbstverständlich auch denen im nördlichen Teil der Insel nachkommen werden, findet meine uneingeschränkte Zustimmung.

 
  
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  Richard Howitt (PSE).(EN) Herr Präsident! Die Erweiterung ist die größte Erfolgsgeschichte der Union, die unserem gesamten Kontinent Stabilität, Sicherheit, Wohlstand und Demokratie beschert hat und bescheren wird. Wenn sich jedoch eine Mehrheit in sieben Mitgliedstaaten, darunter auch in meiner Heimat, gegen eine künftige Erweiterungsrunde ausspricht, ist es an der Zeit, uns der Öffentlichkeit zu stellen und an die Fortschrittsgegner heranzutreten; diejenigen zurückzuweisen, die sogar in diesem Entschließungsantrag Formulierungen wie „operationelle Möglichkeiten“ oder „Festlegung ... der Grenzen“ benutzen, um die bestehenden Verpflichtungen der Union zu untergraben; denjenigen entgegenzutreten, die wie die britischen Konservativen sagen, dass sich Europa zwischen einer Ausdehnung und einer Vertiefung entscheiden muss, was einfach nicht stimmt; uns mit den Rechtsaußen-Politikern auseinander zu setzen, die bewusst Ängste schüren, dass eine neue Migrationswelle die Arbeitsplätze und den Lebensunterhalt der Menschen gefährden würde, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist; diejenigen bloßzustellen, die auch in diesem Entschließungsantrag erneut die Fortschritte in Kroatien, nicht jedoch dieselben Fortschritte in der Türkei begrüßen; zu erkennen, dass die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung in Mazedonien, Bosnien und Albanien ebenfalls unser europäisches Schicksal teilt; und hervorzuheben, dass eine Reflexionsphase zum Verfassungsvertrag nicht als Entschuldigung dafür herhalten kann, eine neue Erweiterungsrunde völlig zum Erliegen zu bringen.

 
  
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  István Szent-Iványi (ALDE).(HU) Herr Präsident! Die regionale Integration auf dem westlichen Balkan stellt ein entscheidendes Element in der Erweiterungsstrategie der Kommission dar. Dieses Vorgehen ist richtig, denn es befördert die Zusammenarbeit und die Übernahme von Verantwortung, und es bringt auch wirtschaftliche Vorteile.

Es ist jedoch nicht richtig, eine wirtschaftliche oder politische Einheit aufzuzwingen, wenn sie von den Betroffenen nicht gewollt ist oder wenn sie von vornherein nicht lebensfähig ist. Es wäre viel effektiver, die bereits bestehende CEFTA zu erweitern, wie es die kroatische Regierung vorschlägt, denn diese hat sich bereits als Möglichkeit einer erfolgreichen und guten Zusammenarbeit erwiesen, und ihr sollten sich die Balkanstaaten anschließen.

Die wahre Garantie der Stabilität im westlichen Balkan besteht in der ehrlichen Zusage europäischer Integration. In dieser Hinsicht ist es äußerst beunruhigend, dass die betroffenen Länder nach dem Vorschlag des Rates zukünftig keine angemessene finanzielle Unterstützung erhalten werden, und sie werden im nächsten Jahr und in den Folgejahren weniger unterstützt als bisher. Das lässt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des gesamten Beitrittsprozesses aufkommen. Daher sind wir für eine erhebliche Aufstockung der verfügbaren Mittel.

Drittens: Bei der Bewertung eines jeden Landes müssen wir seine individuellen Erfolge in Betracht ziehen; En-bloc- oder Kollektivbewertungen jedweder Art kann man nicht akzeptieren, denn diese Länder müssen jedes für sich ihre Reife beweisen.

Kroatien hat sehr viel unternommen, um möglichst bald ein Mitgliedstaat der Europäischen Union werden zu können. Wir müssen diese Bemühungen anerkennen, denn Kroatien verdient es, dass die Verhandlungen so bald wie möglich erfolgreich abgeschlossen werden.

 
  
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  Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE).(LT) Zunächst möchte ich Herrn Brok für seinen sehr konstruktiven und logischen Bericht danken. Wenn die Europäische Union ihre Position zu allen Dingen so erläutern würde, dann träfe sie ganz gewiss auf bessere Unterstützung und mehr Verständnis bei ihren Bürgerinnen und Bürgern. Ich möchte über den Teil des Berichts sprechen, in dem von der Türkei die Rede ist. Auch ich bin uneingeschränkt der Meinung, dass die Erweiterungsstrategie zweifellos demokratische, politische und andere Reformen in der Türkei und in anderen in der Entschließung genannten Staaten begünstigt hat. Man muss jedoch gleichzeitig feststellen, und ich zitiere, dass „wiewohl es in der Türkei noch immer einen politischen Übergangsprozess gibt, das Tempo der Reformen im Jahr 2005 abgenommen hat und es mit der Umsetzung von Reformen noch immer hapert.“ Dies ist genau die Antwort, die ich gestern vom Kommissionsmitglied Rehn auf meine mündliche Anfrage zur Umsetzung der Entschließung des Europäischen Parlaments bei der Aufnahme der Verhandlungen mit der Türkei erhielt. Ein Hinweis darauf findet sich auch in dem heute diskutierten Entschließungsentwurf, nämlich dass das Reformtempo in der Türkei im Jahr 2005 nicht nur ungenügend war, sondern sich sogar verlangsamt hat. Das kann man so interpretieren, dass die Türkei nicht willens ist, Reformen durchzuführen, die das Land näher an die Europäische Union rücken, oder vielleicht sogar als mangelnde Bereitschaft, sich auf die mit einer möglichen Mitgliedschaft verbundenen elementaren Verpflichtungen festzulegen.

Auch teile ich das Bedauern in Herrn Broks Bericht und in der Entschließung über die einseitige Erklärung der Türkei anlässlich der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Ankara-Abkommen. Ich halte es für notwendig, die Türkei daran zu erinnern, dass die Anerkennung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen unerlässlichen Bestandteil des Beitrittsprozesses bildet.

Ja, was ich jetzt sagen will, steht nicht im Bericht, aber ich bin sicher, dass die Türkei den Völkermord an der armenischen Nation vor neunzig Jahren auf höchster Ebene eingestehen muss, denn mehr als alles andere würde das die Tatsache belegen, dass sich die Position der Türkei, selbst was diese schrecklichen Geschehnisse in der Vergangenheit betrifft, im Einklang mit dem Geist der Kriterien von Kopenhagen befindet.

 
  
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  Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident! Im Bericht Brok wird nichts Konkretes zu ethnischen Minderheiten ausgesagt. Die Europäische Union legt oft zwei oder drei verschiedene Maßstäbe an, wenn sie etwas völlig anderes von zwei Kandidatenländern fordert oder erwartet, während sie von ihren eigenen Mitgliedstaaten in Fragen der ethnischen Minderheit selten Rechenschaft verlangt.

In der Folge eines bewaffneten Aufstands wurde den in Mazedonien lebenden Albanern weitestgehende administrative und sogar territoriale Autonomie verliehen, während die Europäische Union im Fall von Rumänien nicht auf territoriale Autonomie für die fast eine Million in Székelyland lebenden Ungarn dringt. Die Europäische Union verspricht dem Kosovo Unabhängigkeit, aber für die Vojvodina empfiehlt sie nicht einmal die von Milosevic geraubte Autonomie.

Bitte unterstützen Sie die ungarischen Änderungsvorschläge zur Bewahrung des multiethnischen Charakters der Vojvodina, zum Schutz von Minderheiten und zur Ausweitung der Provinzautonomie. Das Kommissionsmitglied Olli Rehn weiß sehr wohl, dass es ohne Autonomie für die Schwedisch sprechenden Finnen in Finnland keine Lösung gibt, genauso wenig wie es auf dem Balkan oder für die in der Türkei lebenden Kurden eine Lösung geben kann.

 
  
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  Panagiotis Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Wir sollten ganz ehrlich sein und akzeptieren, dass die Erweiterungsstrategie nicht die Ursache der derzeitigen institutionellen Krise in der Europäischen Union ist. Als strategisches Ziel kann die Erweiterung jedoch der Sündenbock für die kollektiven europäischen Sackgassen sein, und das sollte meiner Ansicht nach vermieden werden. Deshalb ist die Botschaft, die vom österreichischen Ratsvorsitz und dem Treffen der Außenminister in Salzburg im Hinblick auf das endgültige Ziel der Integration der westlichen Balkanländer in die Europäische Union ausgesandt wurde, tatsächlich von besonderer Bedeutung. Wir sagen Ja zur Integration der Länder und Nein zur privilegierten Partnerschaft.

Von daher gesehen sollte die Kommission sich bemühen, die Vorlage ihrer Vorschläge für die Erteilung von Einreisevisa für Staatsangehörige von Balkanländern zu beschleunigen. Die Frage ist von erheblicher politischer Bedeutung, es ist keine Frage der Bürokratie. Die Doppelzüngigkeit der Europäischen Union betreffend den Kosovo gibt Anlass zur Sorge. Das Fehlen einer gemeinsamen EU-Politik wird negative Folgen haben.

Was schließlich Zypern betrifft, so ist es meines Erachtens an der Zeit, politische Initiativen zu ergreifen, um auf Ebene der Zivilgesellschaft zwischen den griechischen und den türkischen Zyprioten die notwendige politische und soziale Osmose zu schaffen. Der Europäischen Union kommt hierbei die Rolle des Katalysators zu.

 
  
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  Marianne Mikko (PSE). – (ET) Meine Damen und Herren, der Berichterstatter, Herr Brok, hat eine sorgfältige Arbeit geleistet und den Ländern auf dem westlichen Balkan den Weg in die Europäische Union gezeigt.

Als Leiterin der Delegation für die Beziehungen zu Moldau ist es jedoch meine Pflicht, uns alle daran zu erinnern, dass es zwei Länder gibt, die Europa noch näher stehen und die der Zusage einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union ebenso sehr bedürfen wie die Balkanstaaten und die Türkei.

Das Europäische Parlament hat seine Unterstützung gegenüber den Bestrebungen der Ukraine und Moldaus, Kandidaten für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu werden, klar zum Ausdruck gebracht. Moldau unternimmt seit zwei Jahren gewaltige Anstrengungen.

Auch die Ukraine hat jüngst ihren Wunsch bekundet, ein europäisches Land zu werden. Ich habe das bei meinem Besuch der Ukraine vergangene Woche ganz deutlich gespürt.

Enttäuscht bin ich jedoch über die übermäßige Betonung des vierten Kopenhagener Kriteriums in dem Bericht. Gleichzeitig pflichte ich Elmar Brok bei, dass die Europäische Kommission so bald wie möglich festlegen sollte, wie es mit der Beitrittsfähigkeit aussieht. Diese sollte keine vage Ausrede dafür sein, Länder, die der Europäischen Union beitreten wollen, abzuweisen.

Seit dem Gipfel von Thessaloniki im Jahr 2003 hat sich unsere Union reformiert. Dies ist die Erfolgsgeschichte der Länder, die die Kriterien von Kopenhagen erfüllt haben. Potenzielle Kandidatenländer müssen in Zukunft ebenfalls auf der Grundlage transparenter Kriterien bewertet werden.

Es muss weitergehen mit der Erweiterung, denn Europa braucht Stabilität wie die Luft zum Atmen.

 
  
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  Ursula Plassnik, amtierende Ratspräsidentin. Herr Präsident! Ich danke für diese spannende und durchaus auch spannungsvolle Debatte, die auch für den Rat von Wichtigkeit sein wird.

Meine Damen und Herren! Ich komme aus einem Land, das nach allen verfügbaren Zahlen und Ziffern von der letzten Erweiterung sehr stark profitiert hat. Trotzdem ist die Haltung der Bevölkerung zur Europäischen Union wie auch zum Thema Erweiterung sehr kritisch. Daher lassen Sie mich einige persönliche Bemerkungen in diesem Zusammenhang machen.

Ein grenzenloses Europa wird es nicht geben. L’Europe sans frontières n’existera pas. Aber Europa war immer ein politisches Projekt. Daher werden uns weder die Geographen noch die Historiker noch die Lineale bei den Festlegungen helfen, die wir politisch zu treffen haben. Maßgeblich wird der gemeinsame Wille der Teilhaber dieser Werte- und Rechtsgemeinschaft sein. Das sind wir und – wie in Demokratien selbstverständlich – die Bevölkerungen. Wo stehen wir also jetzt? Nüchtern betrachtet sind am 3. Oktober des letzten Jahres weitreichende politische Entscheidungen getroffen worden. Jetzt stehen wir vor einer Phase der ruhigen Sacharbeit – Rat und Kommission mit unseren Partnern in der Welt.

Drei Bemerkungen noch zu geographischen Themen, zum Balkan: Worum geht es im Kern? Woran arbeiten wir? Aus meiner Sicht am Friedensprojekt Europa, an der Wiedervereinigung Europas, an der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes, an der Überwindung der Trennung durch den Kommunismus. Es kann nicht sein, dass der Balkan ins europäische Abseits gerät. Wir müssen wieder klarmachen, wo der Mehrwert für uns, für unsere Bevölkerung, aber auch für die Bevölkerungen auf dem Balkan liegt, ein Mehrwert an Rechtsstaatlichkeit, an Sicherheit, an wirtschaftlichen Möglichkeiten.

Zum Thema Türkei, das mehrfach angesprochen wurde: Die Kommission und der Rat sprechen im jetzt laufenden Verfahren nicht nur die Fortschritte im Reformprozess der Türkei an, sondern ganz konkret auch die Defizite, ganz direkt auch die Defizite etwa im Bereich Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit. Wir haben das bei unserem Troika-Treffen getan.

Ein Wort zur Ukraine: Ich war mit Kommissarin Benita Ferrero-Waldner vor kurzem auf einer Troika-Mission in der Ukraine. Dieselbe Botschaft hier, die ich dort gegeben habe: Europa, die Europäische Union wünscht sich eine stabile, eine selbstbewusste, eine erfolgreiche Ukraine. Vor allem aber auch eine Ukraine, die die anstehenden Transformationsaufgaben entschlossen in Angriff nimmt. Wir haben mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik, mit dem Aktionsplan, dessen erste Überprüfung bevorsteht und während der österreichischen Präsidentschaft erfolgen wird, ein gutes und zweckmäßiges Instrumentarium. Wir haben auch noch ein großes Potenzial, etwa durch ein vertieftes Abkommen, das ein breites Freihandelsabkommen umfassen könnte.

 
  
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  Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Eingangs möchte ich Ihnen die neuesten Nachrichten übermitteln: Mit den Entscheidungen, die wir Ende des Jahres 2005 getroffen haben, wurde ein solider politischer Rahmen für unsere Erweiterungsstrategie im Zeitraum 2006 bis 2010 und in einigen Fällen sogar darüber hinaus geschaffen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei können beispielsweise gut und gerne 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen. Ich gehe nicht davon aus, dass irgendjemand unsere bestehenden Verpflichtungen gegenüber den südosteuropäischen Staaten ernsthaft anzweifeln wird, denn es ist vor allem eine Frage unserer eigenen Sicherheit und Stabilität, ob wir in dieser krisenanfälligen Region Frieden und Demokratie stärken und zu mehr Wohlstand beitragen können.

Wir verfügen nun über eine konsolidierte und höchst anspruchsvolle Erweiterungsagenda. Der Erweiterungszug ist kein Höchstgeschwindigkeitszug, kein TGV, kein Eurostar; es handelt sich um einen ganz normalen Zug und in einigen Fällen sogar nur um einen Nahverkehrszug, doch viel wichtiger ist, dass dieser Zug fährt, dass er vorankommt und Veränderungen in den Ländern bewirkt, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Europäischen Union befinden.

Was die Grenzen Europas anbelangt, orientiert sich die Kommission an Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union, demzufolge jeder europäische Staat, der die europäischen Werte der Demokratie, der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundfreiheiten achtet und anwendet, beantragen kann, Mitglied der Union zu werden. Dies bedeutet nicht, dass jedes europäische Land diesen Antrag stellen oder die EU jedes Land akzeptieren muss, doch es heißt gleichzeitig, dass es nicht sinnvoll ist, durch eine endgültige Grenzziehung auf der europäischen Landkarte die Türen für immer zu schließen, denn damit würden wir uns völlig unserer Möglichkeiten berauben, auf unsere unmittelbaren Nachbarn einen positiven und strategischen Einfluss auszuüben.

Obwohl die Union noch keine endgültigen Grenzen hat, entwickelt die Gemeinschaft inzwischen andere Formen der Partnerschaft und der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn, so beispielsweise die Europäische Nachbarschaftspolitik, die weiter ausgebaut und verstärkt werden kann.

Es wurden einige Anmerkungen zur Aufnahmekapazität gemacht. Ich möchte einen kurzen geschichtlichen Überblick geben. Dieses Konzept wurde zum ersten Mal 1993 in Kopenhagen ausdrücklich erwähnt, als der Europäische Rat feststellte: „Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten und ihren inneren Zusammenhalt und ihre grundlegenden Prinzipien zu wahren, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.“ Dieses Konzept und seine Auswirkungen werden von der Kommission regelmäßig geprüft.

Die Kommission hat in ihrer Agenda 2000 – und ich freue mich, darauf hinweisen zu können, denn ich selbst war Mitglied der Lenkungsgruppe für die Agenda 2000, die 1997 verabschiedet wurde – die Auswirkungen des Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten unter zwei Gesichtspunkten beurteilt: Erstens ging es um die Folgen für die Gemeinschaftsstrategien unter anderem in den Bereichen Landwirtschaft und Regionalpolitik und zweitens um die budgetären Folgen. Dies führte dazu, dass bei den anschließenden Verhandlungen, in den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates im März 1999 in Berlin sowie im Zuge des Beitritts der ost- und mitteleuropäischen Staaten zur Gemeinschaft im Jahre 2003 kritische Parameter festgelegt wurden. Auf diese Weise wurde der Beitritt der EU-10 ermöglicht, und wir konnten eine erfolgreiche Verbindung zwischen unserer historischen Aufgabe einer Wiedervereinigung des europäischen Kontinents und praktischen Erwägungen herstellen, die unseren Bürgern gegenwärtig ebenfalls am Herzen liegen.

Im weiteren Verlauf der Beitrittsverhandlungen haben wir dieses Konzept vor allem in Bezug auf bestimmte Kapitel wie die Freizügigkeit von Personen und das Kapitel Finanzen geprüft, und die Kommission hat dieses Konzept darüber hinaus unlängst in unserem Themenpapier 2004 zu Fragen im Zusammenhang mit der Beitrittsperspektive der Türkei untersucht.

Ich möchte dieses Papier vom Oktober 2004 allen Abgeordneten des Europäischen Parlaments ans Herz legen. Es ist nach wie vor lesenswert und gibt einen guten Überblick über die Folgen einer eventuellen Mitgliedschaft der Türkei, sollte die Türkei eines Tages alle Beitrittskriterien erfüllen.

Die Steigerung der Kapazität ist daher ein wichtiges Konzept, das auch in den Verhandlungsrahmen für die Türkei und für Kroatien Erwähnung findet. Ich kann Ihnen versichern, dass wir dies im Verlauf der Verhandlungen nicht außer Acht lassen werden, und es ist zudem ein zentrales Konzept unseres Strategiepapiers vom vergangenen November. Bei unserer Arbeit stützen wir uns auf dieses grundlegende Konzept.

Abschließend möchte ich mich auf die Äußerungen von Herrn Eurlings zur Vertiefung und Erweiterung eingehen. Ich gehöre zu denen, die der Ansicht sind, dass eine Vertiefung der politischen Integration unabdingbar ist, um die Europäische Union wirksamer und demokratischer zu machen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Union besser funktioniert, und das war und ist der Zweck des Verfassungsvertrags. Daher benötigen wir eine Verfassungsdebatte, und wir müssen uns rechtzeitig – besser früher als später – entscheiden, wie wir unsere Strukturen reformieren wollen, damit sie wirksamer und demokratischer sind und die Europäische Union auf internationaler Ebene, in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Gewährleistung des Schutzes ihrer eigenen Bürger vor internationaler Kriminalität und Terrorismus über mehr Einfluss verfügt.

Dies muss zum Wohle Europas in naher und nicht in ferner Zukunft geschehen – also beispielsweise nicht erst in 10 bis 15 Jahren, wenn die Türkei eventuell bereit für einen Beitritt ist –, und es ist bereits für die Europäische Union der 25 oder 27 Mitgliedstaaten von Belang. Ich würde es daher vorziehen, nicht über die Aufnahmekapazität, sondern über die Funktionskapazität der heutigen Gemeinschaft zu sprechen, um sicherzustellen, dass wir den Bedürfnissen unserer Bürger sowohl in politischer als auch in institutioneller Hinsicht besser gerecht werden.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen, am Donnerstag, um 12.00 Uhr statt.

Schriftliche Erklärung (Artikel 142)

 
  
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  Cristiana Muscardini (UEN). – (IT) Der Bericht von Herrn Brok gibt einen ausführlichen und vollständigen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Erweiterung und geht auf Länder ein, die zweifellos beachtliche Anstrengungen unternehmen, um die politischen und wirtschaftlichen Kriterien für den Beitritt zur Europäischen Union zu erfüllen.

Vor allem schließen wir uns der an Kroatien gerichteten Aufforderung zur „Lösung bestehender bilateraler Fragen“, insbesondere von [...] Eigentumsregelungen“ an, doch stellen wir mit Bedauern fest, dass die Probleme bei der Angleichung der Rechtsvorschriften dieses Landes bezüglich des Zugangs von Unionsbürgern, speziell von italienischen Staatsangehörigen und julischen sowie dalmatinischen Emigranten, zum Immobilienmarkt überhaupt nicht erwähnt werden. Die Niederlassung in einem Mitgliedstaat und der Zugang zum Wohnungsmarkt dürfen keinem EU-Bürger verwehrt werden.

Das Verbot unter Berufung auf den Gegenseitigkeitsgrundsatz zu rechtfertigen reicht nicht aus, um heute aufzuzeigen, dass Kroatien sämtliche Bedingungen für einen zukünftigen EU-Beitritt erfüllt. Eingedenk der Nichtachtung eines inzwischen in allen Mitgliedstaaten anerkannten Freiheitsprinzips verlangen wir – ungeachtet unserer Zustimmung zu dem Bericht –, Kroatien aufzufordern, diesen gravierenden Mangel zu beheben, der, sollte er fortbestehen, uns daran hindern würde, seinem Beitritt zuzustimmen.

 
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