2. Änderung der Tagesordnung (Ereignisse in Palästina)
Der Präsident. Guten Morgen, meine Damen und Herren! Bevor wir uns den Tagesordnungspunkten zuwenden, muss ich Sie über etwas informieren, das Sie bereits wissen. Wir werden heute keine Gelegenheit haben, Präsident Mahmoud Abbas zu hören.
Einige Stunden nach seiner Ankunft gestern in Straßburg musste Präsident Mahmoud Abbas, der heute unser Gast sein sollte, nach Ramallah zurückkehren. Der Grund waren natürlich die furchtbaren und bedauerlichen Ereignisse in Jericho, die eine gewalttätige und gefährliche Situation geschaffen haben.
Gestern Abend teilte ich ihm mit, dass das Parlament volles Verständnis dafür hat, dass ihn die in Palästina entstandene Krise zwingt, in sein Land zurückzukehren, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Das Schicksal und die Vorsehung haben zu einer Situation von hohem Symbolwert geführt. Gerade angekommen, musste er Straßburg verlassen, ohne im Parlament erscheinen zu können – das hat etwas von der Symbolik einer griechischen Tragödie.
Herr Abbas repräsentiert die Mehrheit der Palästinenser, die trotz allen Leids und aller Enttäuschungen, die sie erfahren haben, noch immer für eine Verhandlungslösung im Konflikt mit Israel eintreten. Er vertritt jene Menschen, die trotz allem noch an die Möglichkeit einer friedlichen Lösung glauben.
Er ist ein Mann, der sich seit den Siebzigerjahren um Frieden durch Verhandlungen bemüht hat, und seine heutige Anwesenheit bei uns wäre daher eine goldene Gelegenheit gewesen, dieses Vorgehen zu unterstützen; eine weitere Chance, die durch eine unnötige und illegale Militäroperation und die dadurch hervorgerufene Gewalt verloren ging.
Die ganze Welt fragt sich heute, warum und wie solch eine Militäroperation helfen kann, die Sicherheit Israels zu stärken, warum und wie die beschämenden Bilder, die wir im Fernsehen sahen, oder die Zerstörung jenes Gefängnisses durch Bulldozer zur Sicherheit Israels beitragen können. Wir Europäer werden ein neues Gefängnis bezahlen müssen, wie so viele andere Dinge, die während dieser tragischen Konfrontationen verwüstet wurden.
Die Gewalt, die auf diese Militäraktion folgte, ist zutiefst beunruhigend. Wie Sie wissen, bestätigen die Nachrichten heute Morgen, dass drei westliche Geiseln genommen wurden, darunter zwei Unionsbürger – zwei Bürger Frankreichs. Es kursieren Gerüchte über weitere Entführungen, die sich jedoch nicht bestätigt haben.
Gestern Abend, bevor Herr Abbas zum Flughafen fuhr, besuchte ich ihn in seinem Hotel, und er berichtete mir von den Anstrengungen, die er am Tage unternommen hatte, um diese Militäroperation zu stoppen und die Spirale der Gewalt zu verhindern, ehe sie außer Kontrolle gerät.
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde bat mich, Ihnen seine Gründe für die notwendige Rückkehr in sein Land zu erläutern; er will versuchen, die Kontrolle über die Lage zu gewinnen und weitere Entführungen westlicher Bürger zu verhindern, was zurzeit große Besorgnis erregt. Auch das Personal der Europäischen Union, das die Grenze zwischen Gaza und Ägypten kontrolliert, hatte Sicherheitsprobleme.
Ferner muss ich Ihnen mitteilen, dass Präsident Abbas versprochen hat, so bald wie möglich nach Straßburg zurückzukehren und vor dem Europäischen Parlament zu sprechen, wahrscheinlich während der nächsten Tagung im April. In diesem Fall werden wir Gelegenheit haben zu hören, wie er die gravierende Krise in seinem Land zu bewältigen gedenkt.
Ich fragte ihn, ob er möchte, dass die Rede, die er heute halten wollte, schriftlich an die Mitglieder des Parlaments verteilt werden soll. Herr Abbas war der Meinung, dass sie nicht mehr aktuell sei und es besser wäre abzuwarten, wie sich die gegenwärtige Situation entwickelt, und dass er uns besuchen möchte, sobald es ihm die Lage erlaubt.
Ich glaube, dies ist ein guter Zeitpunkt für die Fraktionsvorsitzenden, das Wort zu ergreifen, wenn sie dies möchten. Wer zu sprechen wünscht, kann es also tun, für eine relativ kurze Zeitspanne von drei Minuten.
Hans-Gert Poettering, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind zutiefst betroffen über die Ereignisse, die sich im Nahen Osten abgespielt haben, und unsere Fraktion bedauert zutiefst, dass es dem Präsidenten der Palästinensischen Behörde, Mahmud Abbas, heute nicht möglich ist, hier vor dem Europäischen Parlament zu sprechen.
Die Fraktionsvorsitzenden haben ja auf Ihren Vorschlag, Herr Präsident, beschlossen, Herrn Mahmud Abbas hier einzuladen, weil er für uns eine Persönlichkeit der Mäßigung ist, eine Persönlichkeit des Ausgleichs und des Friedens. Deswegen sind wir zutiefst betroffen, dass er heute nicht hier sprechen kann. Herr Präsident, Sie haben die näheren Umstände dargestellt.
Man ist eigentlich in einer solchen Situation ziemlich ratlos. Ich warne davor, jetzt zu schnellen Schlussfolgerungen zu kommen. Wir müssen besonnen sein, und wir dürfen die Spirale der Gewalt nicht weiter verstärken. Aber wir müssen fordern, dass die Erstürmung des Polizeigefängnisses in Jericho untersucht wird. Wir müssen eine Antwort darauf bekommen, warum dies geschehen ist, und wir brauchen überzeugende Antworten, wenn es denn überhaupt eine Antwort darauf geben kann.
Weil ich vor schnellen Schlussfolgerungen warne, ist es in einer Stunde wie dieser gut, sich an die Grundsätze zu erinnern. Wir treten ein für einen Staat Israel in sicheren Grenzen, wir treten aber auch ein für einen Staat Palästina in sicheren Grenzen. Die Würde der Israelis ist die gleiche wie die der Palästinenser, und die Würde der Palästinenser ist die gleiche wie die der Israelis. Ich bin überzeugt, dass trotz der Bilder, die wir im Fernsehen gesehen haben, die Mehrheit der Menschen sowohl in Israel als auch in Palästina in Frieden leben will. Wir möchten alle ermutigen, diesen Weg der Verständigung zu gehen. Wir fordern alle auf, die Gewalt einzustellen, die Geiseln freizulassen – egal ob es sich um Europäer oder Nichteuropäer handelt –, denn die Würde des Menschen gilt für alle.
Ich hoffe, dass es der Europäischen Union gelingt, in einer objektiven, fairen, nicht-parteiischen Stellungnahme zum Frieden in dieser Region beizutragen. Alles was zum Frieden im Nahen Osten beiträgt, findet die Unterstützung unserer Fraktion. Wir hoffen sehr – Herr Präsident, was Sie gesagt haben –, dass die Stunde sehr schnell kommen möge, in der der Präsident der Palästinensischen Behörde, Herr Präsident Mahmud Abbas, seine Rede hier vor dem Europäischen Parlament nachholen kann. Dies ist unser aufrichtiger Wunsch.
(Beifall)
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schließe mich den Ausführungen von Kollege Poettering und insbesondere Ihren Ausführungen, Herr Präsident, an. Wir alle bedauern die Ereignisse der letzten Stunden. Wir bedauern vor allem, dass Mahmud Abbas jetzt nicht zu uns sprechen kann. Wir bedauern das nicht wegen uns, sondern deswegen, weil er hätte kommen können. Die Tatsache, dass er bereits hier war, dass er sich hier an dieses Parlament wenden konnte, dass er unserer Einladung Folge leisten konnte, war schon ein ermutigendes Zeichen, insbesondere auch dafür, dass wir in der Lage sind, den gewählten Präsidenten der Palästinenser hier zu empfangen. Damit bieten wir einen Rahmen, der dazu führt – wie Herr Poettering gerade gesagt hat –, dass wir die Eigenstaatlichkeit der Palästinenser auch Stück für Stück gemeinsam erarbeiten, indem wir Herrn Abbas zukommen lassen, was ihm zukommen muss, nämlich zukünftig das Staatsoberhaupt eines Staates zu sein, der in der Region als gleichberechtigter Partner sein Land auf der Grundlage voller Souveränität repräsentiert. Das muss das Ziel sein. Und jedes kleine Stückchen, das man friedlich dazu beitragen kann, ist ein gutes Werk.
Es wäre gut gewesen, wenn Mahmud Abbas diesen Rahmen hätte bekommen können. Das ist jetzt aufgeschoben. Wir sagen ausdrücklich aufgeschoben, denn wir hoffen, dass es zu einem baldestmöglichen Zeitpunkt möglich sein wird, Herrn Abbas hier zu empfangen.
Was aber die Ereignisse der letzten Stunden in Jericho angeht, gilt für uns als Fraktion – ich habe das mit den Kolleginnen und Kollegen, die als Wahlbeobachter in den letzten Wochen vor Ort waren, gestern Abend und heute Morgen erörtert – die Frage, die in der internationalen Politik bei solchen Aktionen immer gilt: Wem nützt was? Wem nützt das, was da abläuft? Darüber kann man natürlich nur spekulieren, und Spekulationen sind keine Antworten.
Aber drei Fragen will ich mir dennoch erlauben. Die erste Frage ist: Nutzt es eigentlich irgendjemandem, dieses Gefängnis zu erstürmen? Die Antworten, die wir zurzeit aus den israelischen Medien bekommen, reichen nicht. Ich finde, es passt nicht zusammen, dass ein Staat, dessen Dienste in der Lage sind, gezielt zu töten, die Erstürmung eines Gefängnisses nötig hat, wenn es um den potenziellen Freigang von dort inhaftierten Häftlingen geht. Da gibt es mit Sicherheit Möglichkeiten, das zu verhindern, ohne dass man das Gefängnis erstürmen musste.
Die zweite Frage: Warum dann doch diese Aktion, obwohl internationale Beobachter im Rahmen eines internationalen Abkommens dieses Gefängnis beobachteten? Warum wurde diese internationale Verbindung nicht aufrechterhalten? Warum wurde sie nicht genutzt?
Drittens: Ich hoffe, dass es keine innenpolitischen Gründe in Israel sind, die zu dieser Aktion geführt haben. Es wäre dann doch fatal, wenn innenpolitische Ereignisse, die noch im März stattfinden sollen, die eigentliche Ursache wären. Das würden wir zutiefst bedauern, denn das nutzt niemandem. Es bringt vielleicht einen kurzen Erfolg nach innen, aber langfristigen Schaden in der gesamten Region.
(Beifall)
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Im Namen der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa bedauere auch ich, dass Mahmud Abbas unter derartigen Umständen die Rückreise antreten musste, und meine Fraktion dankt Ihnen für die Stellungnahme, die Sie gestern Abend in dieser Angelegenheit abgegeben haben.
Unseres Erachtens müssen wir offenbar mit extremer Vorsicht agieren, wenn die tektonischen Platten der drei monotheistischen Weltreligionen – Christentum, Judentum und Islam – aufeinander treffen und Funken werfen. Unser Haus sollte die Gefahr größerer Unruhen im Nahen Osten nicht unterschätzen. Die tragischen Ereignisse des 11. September und die gleichermaßen tragische Reaktion darauf haben die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden auf unserem Planeten ernsthaft in Frage gestellt. So wie das diplomatische Vorgehen der Europäischen Union gegenüber dem Iran dadurch untergraben wird, dass sich George Bush in seinen Verhandlungen mit Indien einfach über den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen hinwegsetzt, geraten auch unsere diplomatischen Bemühungen im Nahen Osten durch das gestrige Vorgehen Israels ins Wanken. Ich hoffe, dass der Rat und die Kommission diese Maßnahmen gegenüber der israelischen Regierung im Namen der Europäischen Union aufs Schärfste verurteilen werden.
Die Frage ist, ob es eine Absprache zwischen den britischen und amerikanischen Beobachtern gegeben hat, die das Gefängnis bewacht und kurz vor dem Ansturm der Israelis verlassen haben, und ich hoffe, der Rat wird diesem Haus einen Bericht vorlegen, sobald uns alle Einzelheiten des Vorfalls bekannt sind.
Der Überfall auf das Gefängnis und auch die anschließende Geiselnahme sind durch nichts zu rechtfertigen. Meine Hoffnung ist es, dass wir schnell zu einer Beruhigung der Lage und zur Wiederherstellung von Vertrauen beitragen können und dass wir abermals einen gelasseneren Mahmud Abbas hier im Parlament begrüßen dürfen, damit wir mit allen Seiten ernsthaft darüber diskutieren können, wie wir in dieser krisengeschüttelten Region einen sicheren und dauerhaften Frieden herstellen können.
(Beifall)
Daniel Marc Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Mahmud Abbas hier nicht reden konnte, ist deswegen nicht dramatisch, aber politisch schwer zu ertragen, weil hier das Forum gewesen wäre, um eine Perspektive für die Situation aufzuzeigen, in der sich der Nahe Osten im Moment befindet.
Unilaterale Politik, wie sie im Moment dort betrieben wird, führt zur Katastrophe, und zwar unilaterale Politik der einen wie der anderen. Unilaterale gegenseitige Verachtung führt zur Entmenschlichung des Handelns. Das können wir dort beobachten. Im Grunde genommen müssen wir als Europäische Union, muss der Rat, muss die Kommission, muss Herr Solana auf eins bestehen: dass es keine unilaterale Politik mehr gibt. Israel kann nicht allein entscheiden, wie der palästinensische Staat aussehen kann. Das geht nicht, und das kann die internationale Gemeinschaft nicht dulden. Die Palästinenser und ihre Hamas-Regierung können nicht allein entscheiden, wie und wann gegen Israel Gewalt angewendet werden darf oder nicht. Das darf Europa, das darf die Welt nicht einfach durchgehen lassen.
Wenn beide Kräfte glauben, dass sie aus ihrer legitimen Position heraus eine allgemein gültige Handlungsmöglichkeit entwickeln können, die es ihnen erlaubt, mit den anderen nicht zu reden bzw. die anderen zu verachten, dann muss die internationale Gemeinschaft genau dies unterbinden. Das bedeutet auch, dass die Entscheidung, wann und wie Israel in den palästinensischen Gebieten etwas unternimmt, auch bei Sicherheitsproblemen nicht einfach unilateral in israelischer Hand liegen darf. Martin Schulz, es ist doch ganz klar: Es sind innenpolitische Wahlen. Olmert und die Kadima hatten gesagt, sie werden Siedlungen zurückgeben. Damit haben sie links gepunktet. Jetzt wollten sie rechts punkten, deswegen haben sie diese Aktion unternommen. Machen wir uns nichts vor: Das ist einfach ein wahltaktisches Manöver. Das Schlimme an der Sache ist, dass die Zukunft dieser Region für eine Wahl geopfert wird.
Deshalb sage ich allen hier: Lügen wir uns nicht in die Tasche. Das Handeln der Israelis war unmöglich. Das Gefängnis in Jericho war kein Gefängnis mehr. Das ist auch eine Wahrheit. Da konnte man eine Pressekonferenz mit 500 Journalisten abhalten. Ich möchte ein Gefängnis in der Welt sehen – ich saß ab und zu im Gefängnis –, wo man eine Pressekonferenz mit 500 Journalisten abhalten kann. Beides sind unilaterale, unannehmbare Handlungen. Das muss man einfach sehen. Wenn man jemanden aus dem Gefängnis herauslassen will – das kann man –, dann gibt es dazu rechtsstaatliche Mittel. Das hätten dann die Palästinenser, die Hamas tun sollen. Israel hat aber nicht das Recht, wenn etwas nicht richtig ist, eine Einrichtung zu stürmen. Deshalb seien wir aufrichtig: Was wir bekämpfen müssen, ist die unilaterale Eigenmächtigkeit der einen wie der anderen.
(Beifall)
Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, die Tatsache, dass Präsident Mahmoud Abbas Ihre Einladung so rasch angenommen hat, lässt erkennen, dass er seinem Besuch im Europäischen Parlament große Bedeutung beimisst, und das verdeutlicht umso mehr, wie schwerwiegend seine Entscheidung war, vorzeitig in sein Land zurückzukehren. Nach seiner Einschätzung könnte durch diese neue und zudem − wie Sie zu Recht feststellten − demütigende Eskalation der israelischen Gewalt und deren unausweichliche Folgen, die wie diese Entführungen zwar völlig inakzeptabel, zugleich aber unausweichlich und vorhersehbar sind, in seinem Land wieder eine äußerst ernste Situation entstehen.
Meiner Meinung nach ist die Europäische Union durch diese Angelegenheit in mehrerlei Hinsicht betroffen. Zunächst weil ein Mitgliedsland, Großbritannien, mit den USA und der Palästinensischen Behörde eine Vereinbarung geschlossen hat, wonach diese beiden westlichen Länder die Überwachung dieses Gefängnisses sichern sollten. Diese Vereinbarung wurde durch Israel in flagranter Weise verletzt, obwohl in diesem Gefängnis vier Jahre lang keine Probleme aufgetreten waren. Kein Gefangener ist entflohen, und es gab keinen einzigen Fluchtversuch. Und – hiermit wende ich mich an Daniel Cohn-Bendit – wenn aus der Sicht Israels trotzdem ein Problem bestand, so hätte man auf den Vorschlag von Präsident Abbas an die israelischen Regierung, die Gefangenen unter ordnungsgemäßer – auch internationaler – Bewachung in die Mukata zu überführen, zurückgreifen können. Es gab also keine Entschuldigung, keine Grundlage für die Entscheidung Israels. Können wir das akzeptieren?
Der zweite Grund, aus dem die Europäische Union betroffen ist, ist meiner Meinung nach, entschuldigen Sie meine Offenheit, die systematisch wohlwollende Haltung der Europäischen Union gegenüber der Regierung von Ariel Sharon in der Vergangenheit und der seines Nachfolgers heute. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass ein Anwärter auf das Amt des Premierministers es wagt, das unkalkulierbare Risiko auf sich zu nehmen, die bereits explosive Situation in Palästina und in der Region weiter anzuheizen, aus dem einzigen Grund − und da bin ich mit meinen Kollegen einer Meinung −, dem extremistischsten Flügel seiner Wählerschaft ein Zugeständnis zu machen. Das ist unvorstellbar! Wenn er sich dies erlaubt, dann nur, weil er weiß, dass einerseits die führenden USA-Politiker Israel in jedem Fall, was es auch immer tut, freie Hand lassen, und andererseits die europäischen Politiker diesem Regime gewohnheitsmäßig faktisch Straffreiheit gewähren. Wir müssen uns heute folgende Frage stellen: Werden wir angesichts des Ergebnisses dieser Politik weiterhin tatenlos zusehen, wie dieser neue Angriff auf den Frieden zunehmend diejenigen Palästinenser schwächt, die am meisten an friedlichen Lösungen interessiert sind, allen voran Präsident Mahmoud Abbas?
Diese Fragen müssen wir uns meiner Meinung nach stellen. Was mich betrifft, Herr Präsident, so möchte ich morgen Vormittag in der Konferenz der Präsidenten drei Vorschläge für eine unmittelbare Reaktion unseres Parlaments machen, um unser Festhalten an der Vorherrschaft des Rechts und einem gerechten Frieden im Nahen Osten nachdrücklich zu bekunden.
(Beifall)
Irena Belohorská (NI) . – (SK) Meine Damen und Herren! Dies ist nur ein weiteres Zeugnis der Intoleranz zwischen zwei Staaten, die wir zwar achten, aber die einander nicht achten. Ein Angriff auf ein Gefängnis und auf politische Häftlinge gilt nirgends als hinnehmbar, auch nicht in vergangenen Zeiten. Selbst politische Gefangene haben das Recht darauf, im Gefängnis zu sein, ohne die Bedrohung außergerichtlicher Urteile erdulden zu müssen. Der heutige Übergriff auf das Gefängnis erinnert mich irgendwie an die Vollstreckung eben eines solchen Urteils. Natürlich wird dieses Geschehnis weitere Reaktionen und Spannungen auf beiden Seiten hervorrufen, was zu einer ‚unendlichen Geschichte’ führen dürfte. Ich war wirklich gespannt auf die heutige Rede des palästinischen Präsidenten in diesem Hohen Haus, auf seine Rede in der Pressekonferenz und während des gemeinsamen Mittagessens, und ich hoffte etwas darüber zu erfahren, mit welchen Vorstellungen sich Palästina an den Verhandlungstisch begibt in der Hoffnung, den Bürgerinnen und Bürgern jenes Teils der Welt den Frieden zu sichern. Ich hoffte und erwartete vielleicht, das Europäische Parlament würde die Vermittlerrolle übernehmen. Es ist mein sehnlichster Wunsch, dass wir auf diese Weise Hilfe leisten könnten, da beide Seiten jetzt endlich Frieden brauchen.
Elmar Brok (PPE-DE), Vorsitzender AFET. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist einer der Augenblicke, wo man in hohem Umfang unsicher ist, nicht weiß, wie es weitergehen soll, und deshalb Sorge hat, dass dies vielleicht der Ausgangspunkt einer schlechten Entwicklung ist, nachdem wir über viele Jahre mit dem Beginn des Oslo-Prozesses die Hoffnung hatten, dass es an dieser Schlüsselstelle der Weltpolitik zu einer Einigung kommt. Präsident Abbas, der unmittelbar von seinen palästinensischen Mitbürgern gewählt worden ist und daher die Legitimation hat, schien in einer Mittlerrolle zu sein, um zwischen denjenigen, die für Gewaltverzicht und Anerkennung des Existenzrechts Israels sind, und der Hamas, die dieses bisher nicht anerkennt, aber eine Wahl gewonnen hat, so zu vermitteln, dass die Hamas herangeführt werden kann. Ich fürchte, heute wird offenkundig, dass diese Rolle verloren geht und man nicht weiß, wer sie sonst ausfüllen kann.
Die Aktion in Jericho ist ein erheblicher, emotionalisierender Vorgang, der zu Schwierigkeiten auf der palästinensischen Seite führt. Aber durch den Abzug der internationalen Beobachter aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien fürchte ich noch sehr viel mehr darum, dass das Quartett seine Glaubwürdigkeit als Stabilisator und Sicherheitsgarant verliert. Ich fürchte, dass das Ganze sehr viel tiefgehender ist.
Auf der anderen Seite hat man bei der Aktion der Fatah in Gaza gesehen, dass auch diejenigen, die bisher unter der Führung von Abbas für Gewaltverzicht waren, jetzt, nachdem sie die Wahlen verloren haben und von den Töpfen weg sind, eine neue Rolle annehmen. Und auf der anderen Seite ist die Hamas noch nicht da. Die einen, die für Gewaltverzicht waren, laufen weg vom Gewaltverzicht, und die anderen sind noch nicht beim Gewaltverzicht angekommen. Das scheint mir die gegenwärtige Situation zu sein. Präsident Abbas wie auch das Quartett haben an Glaubwürdigkeit verloren, um die Dinge wieder zurechtzurücken. So stellt sich mir heute das Bild dar. Ich hoffe, diese Beschreibung der Situation erweist sich in unserem Interesse als falsch.
(Beifall)
Véronique De Keyser (PSE), Vorsitzende der Beobachtergruppe der EU in den palästinensischen Gebieten. – (FR) Herr Präsident, zusammen mit meinem Kollegen McMillan-Scott hatte ich gestern Abend Gelegenheit, eine Dreiviertelstunde lang mit Präsident Abbas zu sprechen, und ich möchte Ihnen ganz offen sagen, wie sehr uns die jüngsten Ereignisse schockiert haben und welchen Zorn sie in uns ausgelöst haben.
Sie äußerten, Herr Präsident, hier sei das Schicksal oder der Zufall im Spiel gewesen. Doch die Ereignisse hatten weder mit Schicksal noch mit Zufall etwas zu tun. Dass das Gefängnis von Jericho gestürmt wurde, während der palästinensische Präsident in Europa weilte, um seine Sache zu vertreten, und mit ihm der starke Mann von Jericho, Saeb Erakat, ist in keiner Weise dem Zufall geschuldet. Die heutige Inszenierung von halbnackten Häftlingen mit verbundenen Augen und gefesselten Händen hat nichts mit Zufall zu tun in einem Land, dem bekanntlich übel mitgespielt wird. Ein Nichts kann die Gewalt auslösen, und die Karikaturenaffäre ist gar nicht so weit.
Wir sehen uns also heute einem äußerst schwerwiegenden Ereignis gegenüber, mit dem, wie Herr Brok gerade sagte, der Mann demontiert werden soll, der der Garant für die Stabilität zwischen Israel und Palästina ist, aber auch der Garant für den Widerstand gegen die Hamas, um diese auf den Weg des Friedens zu bringen. All dies hat man heute zunichte zu machen versucht.
Ich weiß nicht, wem dieses Verbrechen nutzen wird, aber ich weiß jedenfalls, dass wir hier, im Europäischen Parlament, uns nicht für dumm verkaufen lassen und auch nicht die Mitverantwortung für dieses Verbrechen übernehmen dürfen: Wir müssen es verurteilen.
Es stimmt, dass die Situation kompliziert ist, es stimmt, dass die Verhandlungen über den Häftling Saadat im Gange waren. Es stimmt, dass dieser Häftling in die Ermordung eines israelischen Ministers verwickelt war, die wiederum die Folge der Ermordung eines PFLP-Führers war. Wollen wir diesen Kreislauf der Gewalt neu in Gang setzen? Nein, das dürfen wir nicht, wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, aber wir müssen das, was gestern geschehen ist, entschieden verurteilen. Die Lage ist wirklich äußerst ernst, Herr Präsident.
(Beifall)
Edward McMillan-Scott (PPE-DE), Vorsitzender der Beobachterdelegation des Europäischen Parlaments für die Wahlen in Palästina. – (EN) Herr Präsident! Wie Sie bereits gesagt haben, war ich Vorsitzender der Beobachterdelegation unseres Parlaments bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2005, bei denen Präsident Mahmud Abbas in freien und fairen Wahlen von den Menschen in Palästina gewählt wurde, sowie erneut im Januar 2006, als die Parlamentswahlen unter derart fragwürdigen Umständen abgehalten wurden. Nichtsdestotrotz waren sie frei und fair.
Dieser Mann, Mahmud Abbas, dessen Biographie Sie soeben bis in die 1970er Jahre zurückverfolgt haben, ein Kämpfer für den Frieden, stattet uns heute hier im Parlament einen Besuch ab, in dem direkt gewählte Vertreter aus 25 Nationen sitzen und das für genau die Werte eintritt, die wir in anderen Teilen der Welt und insbesondere im Nahen Osten fördern wollen: Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit usw. Meines Erachtens war Präsident Mahmud Abbas bereit, diese Werte zu akzeptieren, und hat sie in seiner Rede zur Amtseinführung im Januar 2005 thematisiert.
Als Brite habe ich großes Interesse am Friedens- und Demokratisierungsprozess in der Arabischen Welt, und ich finde es paradox, merkwürdig und tragisch, dass die beiden Staaten, die ständig von Demokratie in der Arabischen Welt sprechen – die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich –, das Gefängnis verlassen und ihre internationalen Verpflichtungen vernachlässigt haben, anstatt das Gebäude besser zu sichern. Uns war bekannt, dass es ein Problem gibt; ihnen war dies ebenfalls bekannt. Es war ihre Aufgabe, etwas dagegen zu unternehmen. Doch sie haben sich einfach zurückgezogen.
Herr Präsident! Die Kommission und der Rat werden sich auf der Paritätischen Versammlung Euromed, die in wenigen Tagen in Brüssel zusammenkommt und der sie vorsitzen werden, hoffentlich dazu äußern, was genau warum und wann passiert ist und wer die Verantwortung dafür trägt. Wir benötigen eine Antwort, und möglicherweise auch die internationale Gemeinschaft, doch beginnen wir hier im Parlament.
(Beifall)
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident! Mahmud Abbas hätte heute vor Ihrem Parlament auftreten und eine Rede halten sollen. Aus den bekannten Gründen musste dieser Auftritt abgesagt werden. Es ist daher selbstverständlich, dass sich die Fraktionsführer und andere maßgebliche Abgeordnete hier zu Wort gemeldet haben.
Ich möchte aber doch die Gelegenheit nutzen, im Namen des Rates kurz unsere große Besorgnis über die anhaltende und eskalierende Gewalt im Nahen Osten zum Ausdruck zu bringen. Die Außenministerin und Ratsvorsitzende, Ursula Plassnik, hat die gewaltsamen Übergriffe radikaler Palästinenser auf EU-Einrichtungen verurteilt und sich im Übrigen auch den Appellen des Sicherheitsrates und des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in diesem Sinne angeschlossen.
Das prioritäre Ziel ist die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und der Schutz von Menschenleben. Wir müssen alle Verantwortlichen daran erinnern, dass sie die Verantwortung für den Schutz von Menschenleben und die Befreiung der noch in Haft befindlichen Geiseln haben.
Wie Herr Pöttering richtig gesagt hat, ist es nicht die Zeit für Schnellschüsse. Auch der Rat wird sich nunmehr beraten, welche Schritte konkret unternommen werden müssen. Ich stimme auch mit Herrn Schulz überein, der gesagt hat, dass alle Institutionen – das Parlament, aber auch der Rat und die Kommission – hier gefordert sind, in verantwortungsvoller Weise dafür zu sorgen, dass der Nahostfriedensprozess nicht endgültig unterbrochen wird, sondern weitergehen kann.
Wir fordern Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde zur Zurückhaltung auf, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Ich möchte in diesem Sinne auch Herrn Abgeordneten Cohn-Bendit zustimmen, dass wir unilaterale Maßnahmen verhindern und vermeiden müssen. Das ist nicht der Weg zu einer Lösung der Probleme im Nahen Osten. Die Außenminister haben sich gerade in den letzten Wochen und Monaten immer wieder sehr intensiv mit dem Problem des Nahen Ostens auseinandergesetzt, zuletzt am vergangenen Wochenende in Salzburg beim informellen Außenministertreffen, über das die Außenministerin heute berichten wird.
Angriffe auf Einrichtungen, Geiselnahmen, alle Arten von Gewalt stehen nicht nur im Widerspruch zu unseren eigenen Werte. Sie stören auch die Friedensbemühungen und laufen diesen zuwider. Wir hoffen, dass es uns allen gemeinsam gelingen wird, den Friedensprozess wieder auf die richtige Bahn zu bringen.
(Beifall)
José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Verehrte Damen und Herren! Ich teile die allgemeine Enttäuschung im Parlament, dass Präsident Mahmoud Abbas seine Rede hier nicht vortragen konnte. Ich persönlich hatte ein Treffen mit ihm auf dem Terminplan und finde es bedauerlich, dass es nicht stattgefunden hat. Kommissarin Ferrero-Waldner hatte jedenfalls gestern eine Zusammenkunft mit Präsident Abbas und hat im Namen der Kommission unsere Unterstützung für die Suche nach einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts zum Ausdruck gebracht.
Lassen Sie mich ganz klar sagen, dass wir eindeutig jede Form von Gewalt verurteilen, egal von welcher Seite sie verübt wird, und wir fordern alle Beteiligten auf, verantwortungsvoll zu handeln und größte Zurückhaltung zu üben. Wir teilen die Sorge, die einige Redner hinsichtlich der höchst gefährlichen Lage in der Region geäußert haben.
Selbstverständlich müssen wir hervorheben, dass einige Europäer als Geiseln genommen wurden und dass die Vertretungen der EU und einiger Mitgliedstaaten in den Gebieten angegriffen wurden.
Ich möchte darauf hinweisen, dass niemand dem palästinensischen Volk mehr geholfen hat als die Europäische Union. Die EU ist jetzt und künftig ein Geber für die Palästinenser, und darum rufen wir laut und deutlich dazu auf, dass Gewalt gegen EU-Vertretungen oder gegen unsere Staatsangehörigen unbedingt vermieden wird, und fordern alle Seiten auf, Zurückhaltung zu üben, damit sich die Situation nicht weiter verschlimmert. Wir werden zusammen darauf hin arbeiten, dass das Volk Israels und das palästinensische Volk in Frieden leben können.
(Beifall)
Der Präsident. Am Ende der Redebeiträge möchte ich darauf hinweisen, dass die Konferenz der Präsidenten die Vorschläge prüfen wird, die die Fraktionsvorsitzenden unterbreiten, und dass in zehn Tagen die Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer in Brüssel stattfinden wird, mit der die Präsidentschaft der Europäischen Union in dieser Institution ausläuft.
Ich möchte an alle appellieren, dieses Treffen zu nutzen, um zu gewährleisten, dass der Dialog, von dem wir heute Vormittag alle gesprochen haben, einen ordentlichen Verlauf nimmt. Insbesondere möchte ich die Kommission und den Rat aufrufen, dafür zu sorgen, dass ihre Anwesenheit in dieser Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer den Umständen Rechnung trägt, denn bei den vorangegangenen Treffen waren sie vielleicht nicht so präsent, wie wir es gewünscht hätten oder wie wir es erbeten hatten.
Ich hoffe, die Kommission und der Rat können auf dieser Versammlung Europa-Mittelmeer Berichte, Maßnahmen und Vorschläge unterbreiten, die dem euro-mediterranen Dialog und dem Beitrag Europas zur Lösung der durch die gestrigen Vorfälle sicherlich nicht einfacher gewordenen Probleme im Nahen Osten förderlich sind.
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Ich beziehe mich auf Artikel 142 in Kombination mit Artikel 132 und 137 der Geschäftsordnung. Demokratie kann nur funktionieren, wenn sich die Volksvertreter in ihrem persönlichen Verhalten nicht in krassem Widerspruch zu Wählerwünschen und Versprechen an die Wähler befinden. Wenn wir verlangen – und das müssen wir teilweise –, dass Verzicht geübt wird, wenn öffentliche Haushalte knapp werden, möchte ich Sie erneut auffordern, endlich pünktlich mit Ihren Sitzungen zu beginnen; heute geschah dies wieder fünf Minuten verspätet. Ihr persönliches Verhalten mit den angehäuften Verspätungen hat den Steuerzahler schon Hunderttausende Euros gekostet. Die Kolleginnen und Kollegen, die als zentrales Wahlversprechen gesagt haben, sie gehen ehrlich mit den Kosten um, möchte ich – basierend auf den weltweit führenden Tageszeitungen von heute, International Herald Tribune und New York Times – auffordern, das endlich auch einzuhalten.
(Der Präsident unterbricht den Redner.)
Es ist bitter, dass Sie jetzt auch noch versuchen, mir das Wort zu entziehen.
Der Präsident. Herr Martin, worin besteht Ihre Frage zur Geschäftsordnung?
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Ich habe die Anmerkung gemacht und die Aufforderung ausgesprochen, dass Sie sich bitte endlich pünktlich hier einfinden. Ihr Vorgänger Pat Cox hat so dem Steuerzahler Hunderttausende Euro erspart. Das gilt auch für die Ausschüsse. Der Schaden, der da entsteht, beträgt 12 Millionen Euro jedes Jahr. Dann kann man nicht sagen, wir haben kein Geld für wichtige soziale Projekte.
Der Präsident. Herr Martin, das ist keine Frage zur Geschäftsordnung. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Zeit, die Sie vergeuden, auch das Geld des Steuerzahlers kostet.
Robert Atkins (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung machen. Ich will das Haus nicht lange aufhalten, aber ich muss auf diese Frage eingehen, weil es sich um eine ernste Angelegenheit handelt. Gemäß Artikel 191 Absatz 8 der Geschäftsordnung zum Petitionsausschuss, dem ich angehöre, kann ein Petent vom Parlament die vertrauliche Behandlung seiner Petition verlangen. In einem Fall, mit dem der Petitionsausschuss derzeit befasst ist, wurde die Anonymität von Frau X, einer ehemaligen Mitarbeitern von Lloyd’s, nicht gewahrt, und die britische Regierung lässt sie daher die volle Wucht der strafrechtlichen Verfolgung spüren.
Dies hätte nicht passieren können, wenn ihre Angelegenheit vertraulich behandelt worden wäre. Unser Parlament muss sie daher unbedingt unterstützen, die Rechte der Petenten schützen und der britischen Regierung die Stirn bieten. Der Ausschussvorsitzende hat sich in aller Dringlichkeit an Sie gewandt, aber Sie haben nicht einmal die Höflichkeit besessen, ihm eine Antwort zu erteilen. Wann kann er mit Ihrer Antwort rechnen, Herr Präsident, und werden Sie die Rechte und Vorrechte dieses Parlaments und seiner Petenten schützen?
Der Präsident. Herr Atkins, Sie haben das Recht zu fragen, was Sie möchten, aber nicht als Geschäftsordnungsfrage. Wie Sie verfahren sind, ist auch nicht richtig. Ich möchte Sie alle bitten, bei Ihren Ausführungen so zu verfahren, wie es die Geschäftsordnung vorschreibt.
Dies ist keine Geschäftsordnungsfrage, die mit der heutigen Sitzung im Zusammenhang steht. Dennoch werde ich den Umständen des Schreibens, das Sie, wie Sie sagen, an mich gerichtet haben, und der Antwort, die sicherlich in Arbeit ist, nachgehen.
Bitte berufen Sie sich nicht auf Geschäftsordnungsverfahren, wenn Sie andere Fragen ansprechen wollen, die, so wichtig sie auch sein mögen, nicht Gegenstand Ihrer Wortmeldung sein dürfen, sondern sich einzig und allein auf die laufende Sitzung beziehen müssen.
3. Vorbereitung des Europäischen Rates – Lissabon-Strategie (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die Erklärungen des Rates und der Kommission zu den Vorbereitungen des Europäischen Rates und zur Lissabon-Strategie.
Da wir unsere Tagesordnung aufgrund des Wegfalls der feierlichen Sitzung geändert haben, wird diese Aussprache bis etwa 12 Uhr ausgedehnt. Die Abstimmung findet im Anschluss an die Aussprache statt.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Eine Woche vor der Frühjahrstagung des Europäischen Rates ist diese heutige Debatte eine ausgezeichnete Gelegenheit, um gemeinsam die Kernprioritäten zu diskutieren, mit denen sich dieser Gipfel beschäftigen wird. Wie Sie wissen, wird die Umsetzung der Lissabon-Strategie bei diesem Gipfel den zentralen Platz einnehmen. Es versteht sich von selbst, dass eine gründliche Vorbereitung die beste Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Vorhabens ist. Daher haben die Fachräte, die für die verschiedenen Themen zuständig sind, die Schwerpunkte des Europäischen Rates aus ihrer Sicht beleuchtet und ihre Beiträge vorgelegt. Der Entwurf der Schlussfolgerungen wird nunmehr im Zuge des festgelegten Verfahrens geprüft.
Am ersten Tag des Europäischen Rates, also am 23. März, wird auch – wie üblich – der dreigliedrige Sozialgipfel stattfinden. Dabei soll eine Konzertierung zwischen dem Rat, der Kommission und den Sozialpartnern insbesondere in den Bereichen Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik sowie Sozialschutz sichergestellt werden.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir ausdrücklich die Initiativen der Europäischen Institutionen für mehr Verantwortlichkeit, für mehr ownership auf Gemeinschaftsebene und die wertvollen Beiträge, die z. B. das zweite interparlamentarische Treffen des Europäischen Parlaments mit den nationalen Parlamenten geliefert hat. Auch die Öffentlichkeit ist in diesem Zusammenhang gefordert.
Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, ihren Bürgern die Dringlichkeit der Umsetzung dieser Partnerschaft für Arbeitsplätze und Wachstum besser verständlich zu machen. Dabei ist es wichtig, dass auch die regionalen und die lokalen Gebietskörperschaften – im Rahmen der jeweiligen Verfassungen – und die Zivilgesellschaft in die Ausgestaltung und Durchführung der nationalen Reformprogramme einbezogen werden.
In diesem konstruktiven Geiste wollen wir auch im Zuge der heutigen Debatte eine offene Diskussion über Lösungsmöglichkeiten für die gemeinsamen wirtschaftlichen und sozialen Probleme unserer Europäischen Union und über die wichtige Rolle, die Sie, die Volksvertreter, hier einnehmen.
Der Europäische Rat hat bekanntlich im März 2005 eine tief gehende Erneuerung der Lissabon-Strategie beschlossen und auch den Ablauf gestrafft. Der neue Governance-Zyklus basiert auf Partnerschaft und Verantwortlichkeit. Im Rahmen ihrer Tagung in Hampton Court haben die Staats- und Regierungschefs der neu belebten Lissabon-Strategie weitere politische Impulse gegeben und sich dabei auf die Frage konzentriert, wie europäische Werte die Modernisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft in einer globalisierten Welt untermauern können.
Nicht zuletzt hat der Europäische Rat auf seiner Tagung im Dezember des vergangenen Jahres eine politische Einigung über die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 erzielt. Das ist an sich ein wichtiges Signal dafür, dass die Europäische Union imstande ist, Lösungen zu finden, obwohl wir selbstverständlich wissen, dass wir uns mit Ihnen in einem intensiven und schwierigen Dialog befinden, den wir konstruktiv führen wollen, um diese Einigung zwischen den Regierungen nunmehr auch gemeinsam mit Ihnen umzusetzen.
Europa muss sich neuen Herausforderungen stellen. Dazu gehören die Verschärfung des Wettbewerbsdrucks von außen – wirtschaftlich und technologisch –, die Alterung der Bevölkerung, steigende Energiepreise sowie die Notwendigkeit, die Energiesicherheit zu gewährleisten.
Seit Ende 2005 ist eine zaghafte, aber doch allmähliche wirtschaftliche Erholung zu verzeichnen. In der Europäischen Union werden im Dreijahreszeitraum 2005 bis 2007 voraussichtlich sechs Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Arbeitslosigkeit würde sich dann um fast einen Prozentpunkt im Jahr 2007 reduzieren. Die weitere Verringerung der Arbeitslosigkeit von fast 19,5 Millionen Menschen, die Erhöhung der Produktivität und die Steigerung des Wachstumspotenzials bleiben jedoch die wichtigste Herausforderung der Europäischen Union.
Diese – wenngleich nur mäßige – Erholung der Wirtschaft ist eine hervorragende Gelegenheit, Strukturreformen im Einklang mit den nationalen Reformprogrammen entschieden voranzutreiben und eine intensivere Haushaltskonsolidierung im Einklang mit dem neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verfolgen. Konkrete Zielvorgaben und Zeitpläne sind ein nützliches Instrument, um die Durchführung der geplanten Reformen zu beschleunigen und bessere Ergebnisse bei Wachstum und Beschäftigung zu erzielen.
Auf Grundlage seiner Beschlüsse vom Frühjahr 2005 hat der Europäische Rat integrierte strategische Leitlinien angenommen. Auf deren Basis haben dann die Mitgliedstaaten nationale Reformprogramme erstellt, die den jeweiligen Bedürfnissen der Länder entsprechen. Die Kommission hat ein „Lissabon-Programm der Gemeinschaft“ vorgelegt, in dem Maßnahmen vorgeschlagen werden, die auf Gemeinschaftsebene getroffen werden sollen. Auch der jährliche Fortschrittsbericht der Kommission leistet einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren des Prozesses der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung.
Alle Mitgliedstaaten haben ihre nationalen Reformprogramme schnell und gründlich ausgearbeitet. Diese Programme, die auf den jeweiligen Bedarf und die konkrete Lage der Mitgliedstaaten zugeschnitten sind, dienen zur Umsetzung der Reformen. Die nationalen Reformprogramme sind ein entscheidender erster Schritt, um mit stärkerer Eigenverantwortung und größerem Bewusstsein für die Reformprioritäten voranzukommen. Diese nationalen Reformprogramme sind insgesamt eine gute Grundlage für die Weiterarbeit an der Reformagenda.
Nach Auffassung der Kommission – und ich möchte an dieser Stelle dem Präsidenten der Kommission, Herrn Barroso, ganz besonders herzlich für die Arbeit der Kommission danken, die für die Vorbereitung des Gipfels von ganz hervorragender Bedeutung ist, und vor allem auch dafür, dass hier sehr schnell und sehr gründlich gearbeitet wurde – sollten jedoch einige Programme spezifischere Zielvorgaben und Zeitpläne sowie weitere Einzelheiten über die Haushaltsaspekte der vorgesehenen Reformen enthalten und sich auch eingehender mit Fragen des Wettbewerbs und die Beseitigung von Marktzugangshindernissen befassen.
Die notwendigen Instrumente sind vorhanden. Oberste Priorität der Mitgliedstaaten wird 2006 daher die rechtzeitige und umfassende Umsetzung unserer Ziele sein. Dazu werden die Mitgliedstaaten erforderlichenfalls die Maßnahmen, die sie bereits vorgesehen haben, intensivieren.
Die Kommission hat keine Aktualisierung der Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung vorgeschlagen, d. h. diese Leitlinien werden auch weiter in vollem Umfang Gültigkeit haben. Der Fokus nach den großen Veränderungen im Vorjahr soll nunmehr auf mehr Handeln und mehr Kontinuität liegen.
Die Mitgliedstaaten haben im Einklang mit der neuen Lenkungspraxis für die Strategie konkrete Anstrengungen unternommen, um die nationalen Parlamente und Vertreter regionaler und lokaler Gebietskörperschaften sowie die Sozialpartner und andere Vertreter der Zivilgesellschaft in die Ausgestaltung ihrer nationalen Programme einzubeziehen.
Die Bürger Europas müssen nun noch aktiver in den Prozess einbezogen werden, um sie davon zu überzeugen, dass rechtzeitige und sinnvoll durchgeführte Reformen zu mehr und besser verteiltem Wohlstand beitragen werden.
Dazu zählt in ganz besonderem Maße auch die Mithilfe dieses Hohen Hauses. Das Europäische Parlament kann uns helfen, bei allen Akteuren mehr Verantwortlichkeit, mehr ownership für die Lissabon-Strategie zu erreichen und Beteiligung auch für die Zukunft sicherzustellen. Aussprachen wie die heutige bieten hier eine ganz besonders willkommene Gelegenheit.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen, dass die österreichische Präsidentschaft dem in erster Lesung im Europäischen Parlament gefundenen Kompromiss zur Dienstleistungs-Richtlinie ganz besonders große Bedeutung beimisst. Das Ergebnis ist durchaus ausgewogen und stellt eine gute Grundlage für die weitere Arbeit dar. Schon an der erheblichen Anzahl der eingebrachten Abänderungsanträge zeigt sich, wie umstritten dieses Dossier nach wie vor ist. Im Lichte dieses Ergebnisses und der bisherigen Debatte im Rat ist die Präsidentschaft bestrebt, dass der Europäische Rat die Kommission nun zur frühestmöglichen Vorlage des überarbeiteten Vorschlags auffordern und die Hoffnung zum Ausdruck bringen wird, dass die Institutionen in der Lage sein werden, den Gesetzgebungsprozess rasch abzuschließen.
Es ist die Absicht des Vorsitzes, dass der Europäische Rat im Rahmen der im vergangenen Jahr angenommenen Integrierten Leitlinien spezifische vorrangige Maßnahmen festlegt, die bis Ende 2007 durchzuführen sind. Der Frühjahrsgipfel widmet sich damit im Rahmen der erneuerten Lissabon-Strategie jenen Themen, die in den nationalen Reformprogrammen und im Bericht der Europäischen Kommission als vorrangig erachtet wurden, nämlich Forschung, Entwicklung und Innovation, Politik für kleine und mittlere Unternehmen, Beschäftigung und Energie. Selbstverständlich sollten Maßnahmen auch weiterhin im Allgemeinen im Rahmen aller drei Bereiche der Lissabon-Strategie (Wirtschaft, Soziales, Umwelt) getroffen werden. Damit wir in eine konkrete Phase der Realisation und zu sichtbaren Ergebnissen kommen, müssen wir eine gute Mischung aus überprüfbaren Selbstverpflichtungen der 25 Mitgliedstaaten und Empfehlungen der Kommission anstreben. Die Höhe des diesbezüglichen Ambitionsniveaus ist im Moment noch Gegenstand der Diskussionen zur Vorbereitung des Rates.
Eine Säule der Lissabon-Strategie ist Forschung und Innovation als Motor für Produktion und Wissensnutzung. Wir haben uns bereits vor nunmehr 4 Jahren das Ziel gesetzt, dass wir in Europa im Jahr 2010 eine Forschungsquote von 3 % erreichen wollen, wobei ein beträchtlicher Anteil dieser Ausgaben, nämlich zwei Drittel, vom Unternehmenssektor finanziert werden soll. Es wäre intelligent, die Mittel, die von Seiten der Europäischen Union zur Verfügung stehen, gemeinsam mit eigenen nationalen Anstrengungen zu erhöhen. Dazu muss auch die Kooperation von Hochschulen, Forschung und Wirtschaft als Beitrag zur Erhöhung der Forschungsquote forciert werden.
Wie wir alle wissen, sind wir aber gerade in diesem für unsere Zukunft so entscheidenden Bereich nicht wirklich gut unterwegs – die Forschungsausgaben in der Union erreichen derzeit nur etwa 1,9 %.
Durch unsere Anstrengungen gemeinsam mit der Europäischen Kommission konnten wir eine Dynamik in Gang setzen und das Bewusstsein bei den Mitgliedstaaten wecken, dass konkrete Zielvorgaben und Selbstverpflichtungen zur Steigerung der Ausgaben für Forschung wichtig sind. Hier haben auch bereits sämtliche Mitgliedstaaten das Ambitionsniveau erhöht und sich entsprechende nationale Ziele gesetzt.
Außerdem spielen in unserer schnelllebigen Informationsgesellschaft moderne Kommunikationsstrategien eine wesentliche Rolle bei der Förderung von Innovationen. Was die Hochschulbildung betrifft, wollen wir die Mitgliedstaaten dazu auffordern, bis 2007 – entsprechend ihren nationalen Gepflogenheiten – den Universitäten den Zugang zu zusätzlichen privaten Sponsorgeldern zu erleichtern und Barrieren für die Zusammenarbeit zwischen akademischen Einrichtungen und der Wirtschaft zu beseitigen.
Zweitens muss mehr getan werden, um die Rahmenbedingungen für Unternehmen, das Unternehmerpotenzial und insbesondere die Situation der Klein- und Mittelunternehmen, zu erschließen. Dies gilt es im Rahmen des Europäischen Rates ebenfalls zu thematisieren. Kleine und mittlere Unternehmen stellen einen großen Teil der europäischen Wirtschaft dar und können mit Recht als deren Motor bezeichnet werden. Es gibt in der Europäischen Union rund 23 Millionen kleine und mittlere Betriebe, die fast 75 Millionen Arbeitsplätze stellen. Maßnahmen zur Stärkung und Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen als Rückgrat der europäischen Wirtschaft können daher wesentlich zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Wir wollen auch die administrativen Hürden für KMUs verringern und die für Unternehmensgründungen benötigte Zeit und Kosten reduzieren.
(Der Präsident unterbricht den Redner.)
Der Präsident. Herr Winkler, entschuldigen Sie, in der Regel ist die Redezeit für den Rat und die Kommission nicht beschränkt, doch heute Vormittag haben wir Probleme mit unserem Zeitplan, da wir für die vorangegangene Debatte so lange gebraucht haben. Ich möchte Sie bitten, wenn es Ihnen möglich ist, Ihre Redezeit zu begrenzen, damit auch die Abgeordneten zu Wort kommen können. Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich zu lang spreche. Ich werde kürzen und abschließen. Es besteht dringender Handlungsbedarf in einer Reihe von Themen. Meine Intervention wäre unvollständig, wenn ich nicht auch den Arbeitsmarkt, insbesondere auch die Förderung der Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt nennen würde. Gerade beim Europäischen Rat wollen wir uns ganz besonders der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit widmen. Ein Anliegen ist es, bis 2010 die Rate der Schulabbrecher zu senken und dafür zu sorgen, dass mehr junge Leute eine höhere Schulausbildung haben. Auch die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit muss im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen.
Schließlich wird auch das Thema Energie eine besonders wichtige Rolle spielen; nicht nur aufgrund der Bedeutung, die dieser Sektor für die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum hat, sondern natürlich auch vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse. Ich hoffe, dass vom Europäischen Rat auch in dieser Hinsicht wie zu all den anderen Themen, die ich genannt habe, wichtige Impulse ausgehen werden, die die zukünftige Arbeit aller Institutionen der Europäischen Union entscheidend beeinflussen werden.
Der Präsident. Nein, Herr Präsident. Der Ratsvorsitz und die Kommission sind in ihrer Redezeit nicht eingeschränkt, doch heute müssen wir alle uns die zur Verfügung stehende Zeit, eine knappe und nicht erneuerbare Ressource, teilen.
José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Tagung des Europäischen Rates nächste Woche findet zu einem bedeutsamen Zeitpunkt statt. Wir beobachten derzeit die ersten ermutigenden Zeichen für eine Verstärkung des Vertrauens der europäischen Verbraucher: die Investitionen kommen wieder in Gang, die Zahlen des Wachstums in Europa werden allmählich besser. Das sind gute Nachrichten. Nutzen wir diese günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, um einen neuen Sprung vorwärts zu unserem Ziel des Wachstums und der Beschäftigung zu machen. Legen wir einen höheren Gang ein.
Im vergangenen Jahr haben wir eine gründliche Überarbeitung der Art der Steuerung der Wirtschaftspolitik in Europa vorgeschlagen. Wir haben uns geeinigt, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten, und die Verantwortlichkeiten unter uns aufgeteilt. Wir haben unsere Strategie und unsere Anliegen neu auf das Wesentliche ausgerichtet. Ihr Hohes Haus hat diesem neuen Ansatz umfassende Unterstützung gewährt, und ich möchte das Parlament zu der Rolle, die es dabei gespielt hat, beglückwünschen.
In ihrem Bericht an die Frühjahrstagung des Rates schlägt die Kommission mehrere vorrangige Aktionen für Wachstum und Beschäftigung vor. Ich möchte hier nicht im Detail auf alle von uns vorgeschlagenen spezifischen Maßnahmen eingehen, sondern nur einige Themen herausgreifen, die mir heute als besonders wichtig erscheinen.
Ich kann heute mit Freude feststellen, dass 25 nationale Reformprogramme verabschiedet wurden. Sie legen dar, wie jeder einzelne Mitgliedstaat die gemeinsam vereinbarten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung unter seinen spezifischen nationalen Bedingungen umzusetzen gedenkt. Gewiss sind nicht alle nationalen Reformpläne in gleicher Weise ambitioniert, gewiss haben sie nicht alle die gleiche Qualität, doch sie stellen eine gute Arbeitsgrundlage dar.
Verstehen wir uns recht. Es handelt sich nur um eine erste Etappe, denn jedermann weiß, dass durch Berichte keine Arbeitsplätze geschaffen werden. Jetzt geht es darum, den politischen Willen und die Entschlossenheit zur Umsetzung dieser Absichten an den Tag zu legen.
Es ist in diesem Jahr also an der Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen. In den nächsten Monaten wird die Kommission in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten tätig werden, um ihnen bei der Umsetzung ihrer nationalen Programme behilflich zu sein und diese zu überwachen. Ich bin dem Parlament sehr dankbar für die Rolle, die es dabei spielt. Die gemeinsamen Parlamentssitzungen zwischen dem Europäischen Parlament und den Vertretern der nationalen Parlamente zur Lissabonner Strategie haben entscheidend dazu beigetragen, die nationalen Parlamentarier für die anstehenden Fragen zu sensibilisieren, und sie ermutigt, sich aktiv in den Prozess einzubringen.
Dessen ungeachtet bleibt noch viel zu tun, damit die Mitgliedstaaten sich diese neue Strategie für Wachstum und Beschäftigung auf nationaler Ebene voll und ganz zu Eigen machen. Im Rahmen der Partnerschaft ziehen die Mitgliedstaaten Lehren aus den Erfahrungen der Anderen. Jeder hat etwas zu geben, und jeder hat etwas zu lernen, aber ich kann gar nicht genug unterstreichen, dass wir nicht nur auf der Ebene der Kommission, des Rates, des Europäischen Parlaments Aktivitäten brauchen, sondern dass es auch gilt, die nationalen Parlamente, die Sozialpartner, die einzelstaatlichen Parteien – und nicht nur die europäischen Parteien – sowie die europäische Öffentlichkeit aktiv einzubinden. Das ist eine Voraussetzung für den Erfolg unserer erneuerten Strategie für Wachstum und Beschäftigung.
Eine weitere wichtige Frage ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass es in der Entschließung, die das Parlament zum Abschluss der Aussprache vorgeschlagen hat, heißt, das Parlament, ich zitiere, „fordert die Mitgliedstaaten auf, so bald wie möglich zu einer vollständigen Freizügigkeit von Arbeitnehmern und anderen Bürgern innerhalb der Union, mit gleichzeitigen entschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsqualität in allen ihren Aspekten, zu gelangen“. Ich unterstütze diesen Vorschlag des Europäischen Parlaments uneingeschränkt. Und die Tatsachen geben Ihnen Recht. Eine neuere Analyse der Kommission zeigt eindeutig, dass der Zustrom der Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten in die 15 alten Mitgliedstaaten im Wesentlichen positive Auswirkungen hatte. Das ist nur einer der Gründe, weshalb die Kommission die Ankündigung begrüßt, die unlängst – nach der Veröffentlichung unserer Mitteilung – zunächst von Finnland, Portugal, Spanien und jetzt auch von den Niederlanden kam, dass sie sich Irland, dem Vereinigten Königreich und Schweden anschließen und die Beschränkungen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Europa aufheben werden. Ich warte ungeduldig darauf, dass andere Länder ihnen folgen werden.
(Beifall)
In einer globalisierten Wirtschaft kann sich kein Mitgliedstaat Alleingänge erlauben. Wirtschaftsnationalismus passt nicht in die jetzige Zeit. Mit nationalistischer Rhetorik werden wir das Europa von Morgen nicht aufbauen können.
(Beifall)
Die kurzfristige Verteidigung nationaler Champions führt im Allgemeinen dazu, dass diese längerfristig in die zweite Liga abgedrängt werden. Die leistungsfähigeren Unternehmen, die sich der ganzen Härte des Wettbewerbs stellen mussten, werden die nationalen Champions hinter sich lassen, wenn sie sich auf den internationalen Märkten präsentieren. Sagen wir es ganz klar, meine Damen und Herren Abgeordneten, was wir brauchen, sind nicht nationale Champions, sondern globale Champions mit Sitz in Europa, die unseren Binnenmarkt maximal nutzen.
(Beifall)
Doch eines soll auch ganz unmissverständlich gesagt werden. Die Kommission wird von ihren Rechten Gebrauch machen, wenn Unternehmen ihre beherrschende Position am Markt missbrauchen. Sie ist gesetzlich verpflichtet, über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln zu wachen und den Verbraucher zu schützen. Sie nimmt diese Aufgabe in vollem Maße wahr.
(EN) Die Herausforderung der Globalisierung erfordert eine Stärkung des Binnenmarkts. Der freie Dienstleistungsverkehr bildet einen wesentlichen Bestandteil des Binnenmarkts, und wir haben bereits darauf hingewiesen, dass der Dienstleistungssektor auf der einen und die kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite gegenwärtig ganz entscheidend zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa beitragen.
Ich möchte Ihnen für Ihr Ergebnis der ersten Lesung der Dienstleistungsrichtlinie danken. Sie haben Änderungsanträge vorgelegt, zu denen im Allgemeinen breites Einvernehmen herrschte, so dass wir nun fortfahren können. Die Reaktion der Kommission auf Ihren Konsens wird positiv ausfallen.
Zu Beginn des kommenden Monats werden wir einen geänderten Vorschlag vorlegen, der sich hauptsächlich auf diese erste Lesung sowie auf die Erörterungen im Rat stützen wird. Der österreichische Vorsitz wird bekanntlich kurz darauf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates ausarbeiten. Ich hoffe, dass die Rechtsvorschrift dann unverzüglich angenommen werden kann, denn wir müssen in diesem Bereich vorankommen, wenn wir wirklich zu mehr Wachstum und Beschäftigung beitragen wollen.
(Beifall)
Für die Energieprobleme des 21. Jahrhunderts muss eine überzeugende und wirksame Lösung gefunden werden. Nach einer langen Zeit der relativen Stabilität können wir nicht mehr davon ausgehen, dass die Energieversorgung auch in Zukunft sicher und erschwinglich sein wird. Eine größere Importabhängigkeit, höhere Energiepreise und der Klimawandel sind Probleme, mit denen sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union konfrontiert sehen. Bei Problemen dieser Größenordnung kann nur eine europäische Strategie helfen, die sich auf Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit stützt.
Im Grünbuch der Kommission haben wir sechs vorrangige Bereiche für Maßnahmen hervorgehoben. Wir müssen die europäischen Binnenmärkte für Strom und Gas tatsächlich vollenden. Es bedarf eines deutlicheren integrierten Ansatzes. Mehr Integration führt in Krisenzeiten zu mehr Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Der Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft muss mit Hilfe neuer und bestehender Energiequellen beschleunigt werden, damit die Nachhaltigkeit gewährleistet werden kann. Wir müssen nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die Energienachfrage verändern. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Energieeffizienz zum Vorteil des Klimas, der Verbraucher und unserer Sicherheit zu erhöhen.
Europa ist bei der Entwicklung von kohlendioxidarmen Technologien weltweit führend. Das muss auch weiterhin so bleiben. Wir benötigen in Europa mehr Innovation in den Bereichen erneuerbare Energien und umweltfreundliche Technologien. Und nicht zuletzt müssen wir in unseren Beziehungen zu Drittländern und in internationalen Foren einen einheitlicheren und besser integrierten Ansatz verfolgen.
Bisweilen wird gesagt, dass sich eine europäische Energiepolitik nicht verwirklichen ließe, weil sie Bereiche berühre, in denen Mitgliedstaaten nationale strategische Interessen verfolgen. Ich muss Sie nicht daran erinnern, dass der Ursprung der Europäischen Gemeinschaft eine gemeinsame europäische Kohle- und Stahlpolitik war, zwei Bereiche, die damals ganz besonders die nationalen strategischen Interessen der Mitgliedstaaten berührt haben. Gerade weil Energie eine strategische Bedeutung hat, benötigen wir eine gemeinsame und nicht 25 einzelstaatliche Strategien. Aus eben diesem Grund ist eine solche Strategie notwendig.
(Beifall)
Im Grünbuch werden alle dazu aufgefordert, sich an dieser wichtigen Debatte zu beteiligen. Die positiven Reaktionen auf unser Grünbuch und die nachdrückliche Unterstützung durch die österreichische Ratspräsidentschaft bestärken mich, und ich freue mich auf eine klare Zustimmung des Europäischen Parlaments zu dieser neuen Gemeinschaftsstrategie.
Zudem möchte ich hervorheben, dass der soziale Zusammenhalt ein integraler Bestandteil der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie sein muss. Die Kommission ist sich ohne Zweifel der Tatsache bewusst, dass eine bessere Qualität der Arbeitsplätze gewährleistet und unsichere Arbeitsverhältnisse verhindert werden müssen. Meines Erachtens bietet die Globalisierung ausgezeichnete Chancen, doch wir können und dürfen nicht außer Acht lassen, dass die Unternehmen und die Arbeitnehmer durch eine Verschärfung des weltweiten Wettbewerbs unter Druck geraten sind. Aus diesem Grund hat die Kommission einen Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung vorgeschlagen. Dieser Fonds wird als Stoßdämpfer für den kraftvollen Globalisierungsmotor dienen. Er ergänzt die Bemühungen der Mitgliedstaaten, die betroffenen Arbeitnehmer wieder auf die Beine zu bringen. Wichtig ist es, die Menschen weiterzubilden und dauerhaft wieder in Beschäftigung zu bringen. Die Sozialpartner müssen in die Diskussion über die Beschäftigungssituation und die Arbeitsmärkte eingebunden werden.
Die Zukunft der europäischen Wirtschaft hängt davon ab, ob wir über hervorragend ausgebildete Arbeitnehmer mit zahlreichen Fertigkeiten und der für eine wissensbasierte Wirtschaft erforderlichen Flexibilität verfügen. Daher müssen wir deutlich stärker in die Hochschulbildung investieren. Die Kommission schlägt eine Zielvorgabe von 2 % des BIP bis 2010 vor.
Gleichzeitig müssen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Gemeinschaft bis 2010 auf 3 % des BIP erhöht werden. Um dies zu erreichen, bedarf es anspruchsvollerer einzelstaatlicher Zielsetzungen und anspruchsvollerer Maßnahmen. Wir haben einige hervorragende Universitäten und Forschungszentren, die von einer größeren Mittelausstattung profitieren würden. Doch unsere Systeme sind nicht miteinander vernetzt. Zwischen Hochschulbildung und Forschung einerseits und Unternehmen und der Wirtschaft andererseits klafft eine Lücke. Es scheint keinerlei Verbindung zwischen ihnen zu bestehen.
Viel zu viele unserer Spitzenforscher verlassen Europa. In ihrem Bemühen um Spitzenqualität hat die Kommission daher die Gründung eines Europäischen Technologieinstituts vorgeschlagen. Ein solches Europäisches Technologieinstitut würde andere Initiativen ergänzen; es würde die von den beteiligten Partnern zur Verfügung gestellten Ressourcen zu ihrem eigenen und zum Vorteil der gesamten europäischen Wirtschaft wirksamer nutzen. Dies ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Ich werde die Staats- und Regierungschefs auffordern, sich für diese Idee einzusetzen, und ich bitte das Parlament um seine Unterstützung. Airbus and Galileo haben uns gezeigt, wie wichtig erfolgreiche europäische Markenzeichen sind. Das ETI sollte sich in diese Liste einreihen; es steht für eine europäische Aufgabe, doch es ist nicht nur ein Symbol: Es bringt auch einen Mehrwert für unsere gemeinsamen Bemühungen in den Bereichen Forschung, Bildung und Innovation mit sich.
Mir ist ebenfalls bewusst, dass auf diesem Gebiet mehr getan werden muss, und eine mögliche Maßnahme wäre nun ein eindeutiges Engagement zugunsten dieses Wissensdreiecks. Kurzum, mehr Engagement für Europa wird unseren Bürgerinnen und Bürgern zu mehr Wohlstand und Freiheit verhelfen.
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Unterstützung, die in Ihrem Entschließungsantrag so deutlich zum Ausdruck gekommen ist. In der kommenden Woche muss der Europäische Rat ein ebensolches Engagement für Wachstum und Beschäftigung an den Tag legen. Es ist nun an der Zeit, etwas zu tun, nicht weitere Worte, sondern Taten sind gefragt.
(Beifall)
Hans-Gert Poettering, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lissabon steht für Wachstum, Beschäftigung und damit im Kern für Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Europäischen Union, und ich freue mich auch über das persönliche Engagement des Kommissionspräsidenten und darüber, dass er für seine Kommission hier einen Schwerpunkt setzt.
Ich danke Ihnen, Herr Kommissionspräsident, dafür, dass Sie sagen, dass ein Rückfall in den wirtschaftlichen Nationalismus oder – manche wollen es ja positiv beschreiben – den ökonomischen Patriotismus der Niedergang der europäischen Wirtschaft wäre und dazu führen würde, dass wir im Weltmaßstab bei der Globalisierung in keiner Weise wettbewerbsfähig sind.
(Beifall)
Deswegen bedanke ich mich für die kämpferische Haltung. Sagen Sie es auch im Rat bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs. Herr Staatssekretär Winkler, wir schätzen Sie sehr als Persönlichkeit und dass Sie hier sind, aber wenn der Kommissionspräsident hier ist, dann wäre es auch angemessen, dass auch die Ratspräsidentschaft entsprechend hochrangig mit einem Minister vertreten wäre. Auch darüber müssen wir einmal nachdenken. Ich möchte ausdrücklich meinen Respekt vor Ihrer Person zum Ausdruck bringen, aber die Institutionen müssen auch gleichwertig in solchen Debatten vertreten sein. Ich sage das unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit. Es geht um die Institutionen der Europäischen Union.
Das Europäische Parlament gibt dem Lissabon-Prozess – der ja ein ständiger Prozess ist und der nicht begrenzt ist auf das Jahr 2010 – eine große Priorität. Deswegen haben wir die Lenkungsgruppe unter Vorsitz unseres Kollegen Joseph Daul eingesetzt. Ich bin froh darüber, dass die drei größten Fraktionen – ja, vielleicht kommen die anderen noch eines Tages dazu, Francis Wurtz – dies zu einem Kern ihrer Arbeit machen, und natürlich auch die Grünen, die aber jetzt gar nicht da sind, und vielleicht noch einige andere ...
(Protestbekundungen)
.... ja, die Vorsitzenden sind nicht da, also freuen Sie sich doch darüber, wenn ich Ihren Vorsitzenden so viel Aufmerksamkeit schenke. Der gemeinsame Binnenmarkt, der freie Austausch von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital ist die Voraussetzung dafür, dass die Europäische Union auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig ist.
Ich fordere die Staats- und Regierungschef sowie die Regierungen auf, dass sie sich an dem Bemühen des Parlaments um die Dienstleistungsrichtlinie ein Beispiel nehmen. Ich sage den Regierungen: Wer jetzt meint, dass er etwas anderes erreichen will, der zerstört diesen Kompromiss der Dienstleistungsrichtlinie. Deswegen fordere ich die Regierungen auf, sich ein Beispiel am Europäischen Parlament zu nehmen.
Ich begrüße auch – das ist nicht meine Aufgabe, aber ich freue mich als Vorsitzender der EVP-ED-Fraktion –, dass einer der Vorsitzenden der Grünen jetzt auch da ist. Gemeinsam werden wir Europa schaffen, Herr Kollege Daniel Cohn-Bendit.
Wir brauchen Unternehmergeist in der Europäischen Union. Unternehmen sind ja nichts Abstraktes, sondern sich zu engagieren bedeutet die Verwirklichung von Freiheit. Unternehmergeist bedeutet Schaffung von Arbeitsplätzen. Hier brauchen wir eine positive Perspektive.
Wir begrüßen, Herr Kommissionspräsident, dass Sie den Vorschlag für ein Europäisches Institut für Technologie gemacht haben. Dies darf nicht bedeuten, dass eine neue große universitäre Behörde geschaffen wird, sondern ein Netzwerk zwischen den verschiedenen bestehenden europäischen technologischen Instituten, so dass wir einen Mehrwert bekommen und dass Europa in der Frage der Innovation, in der Frage der Forschung wirklich mit führend wird in der Welt. Sie haben GALILEO genannt, Sie haben Airbus genannt. Wir brauchen neue Projekte, und insofern unterstützen wir Ihre Überlegungen.
Abschließende Bemerkung: Ich habe keine 15 Minuten wie Rat und Kommission. Auch darüber müssen wir einmal nachdenken, Herr Präsident, wie wir mehr Ausgewogenheit herbeiführen können. Ich plädiere dafür, dass das Europäische Parlament auch in diesen Fragen eng mit den nationalen Parlamenten zusammenarbeitet, weil es unsere gemeinsame Aufgabe ist – die nationale, die europäische –, Europa wettbewerbfähig zu machen und die Europäische Union wirtschaftlich und insgesamt in eine gute Entwicklung zu bringen.
(Beifall)
Christopher Beazley (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Eine Anmerkung zur Geschäftsordnung gemäß Artikel 166 Absatz 1 und Artikel 121 Absatz 2. Ich möchte mich entschuldigen, dass ich die Aussprache unterbreche, doch bevor sie eröffnet wurde, hat Sir Robert Atkins eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung abgegeben, die Sie als unzulässig bezeichnet haben, da sie sich nicht auf die Tagesordnung bezogen hat. Allerdings hat er einen ausgesprochen wichtigen Sachverhalt angesprochen, der Gegenstand von Artikel 166 ist. Wenn ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Parlaments vorliegt, kann ein Abgeordneter Sie völlig zu Recht darauf hinweisen.
Sir Robert Atkins hat dargelegt, dass sich die britische Regierung im Zusammenhang mit einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht möglicherweise gesetzwidrig verhält und gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt. Der zuständige Ausschuss hat ein Schreiben an Sie gerichtet. Meine Frage lautet nun, ob es Ihnen möglich ist, Sir Robert Atkins vor der Abstimmung zu antworten.
Ich möchte Sie erneut daran erinnern, dass ich mich auf Artikel 166 Absatz 1 und Artikel 121 Absatz 2 der Geschäftsordnung beziehe.
Entschuldigen Sie die Unterbrechung.
Der Präsident. Ich bedauere diese Unterbrechung ebenfalls.
Meine Damen und Herren, von jetzt an wird das Präsidium strenger sein, wenn es um Fragen zur Geschäftsordnung geht, denn Sie missbrauchen dieses Verfahren immer wieder für Zwecke, für die es nicht vorgesehen ist.
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Lissabon-Prozess war, als er auf den Weg gebracht wurde, der erste richtige, meiner Meinung nach auch sehr durchdachte Versuch, eine europäische Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung zu geben. Der Ansatz, der in Lissabon gefunden wurde, war, dass wir auf Dauer im interkontinentalen Wettbewerb nur überleben und mit Konkurrenten in anderen Kontinenten wettbewerbsfähig bleiben können, wenn wir die stärkste wissensbasierte Gesellschaft und Volkswirtschaft der Welt werden – aber auf europäischer Ebene.
Das war ein richtiger Schritt. Was ist aber seither geschehen? Die, die diesen Schritt beschlossen haben, können sich nicht entscheiden, ob sie ihn auf europäischer Ebene gehen wollen oder auf nationaler Ebene. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der Botschaft „Wir können in diesem Wettbewerb nur noch europäisch überleben“, was richtig ist, oder der Botschaft im eigenen Land „Na ja, im Prinzip sind wir als Regierung stark genug, es auch selbst zu machen“, was beim Wähler natürlich besser ankommt. Das Ergebnis ist: Es wird weder auf europäischer Ebene noch auf nationaler Ebene ausreichend in den Lissabon-Prozess investiert. Das ist die Bilanz nach sechs Jahren!
(Beifall)
Herr Kommissionspräsident, ich bin dankbar für das, was Sie gesagt haben, aber ich bedauere auch, dass Sie etwas verschweigen. Zwischen dem, was Sie heute wieder beschrieben haben, was notwendig wäre an – auch finanzpolitischem – Engagement, und dem, was in Wirklichkeit passiert, klaffen große Lücken. Sie haben mit Ihrer Kommission beschrieben, was zur Finanzierung der EU in den nächsten sieben Jahren notwendig ist, und der Rat hat eine Finanzgrundlage beschlossen. Nur, zwischen Ihrer Forderung, und dem, was der Rat beschlossen hat, klafft eine Lücke von 40,82 %!
Der Rat hat 40,82 % weniger für die Finanzielle Vorausschau beschlossen, als Sie gefordert haben. Das, Herr Präsident, sind die unterschiedlichen Botschaften, die unterschiedlichen Bausteine. Wenn man ständig unterschiedliche Bausteine produziert, kann man kein schönes Haus bauen. Damit kann man nicht einmal eine Bruchbude bauen. Damit kann man nicht einmal eine Schihütte in Arlberg am Lech bauen – oder umgekehrt, Lech am Arlberg, in der man dann abends Seemannslieder singen kann. Willkommen im Tal, Herr Präsident! Der Abfahrtslauf ist ja jetzt beendet.
(Heiterkeit)
Der Trilog zur Finanziellen Vorausschau, den wir in den nächsten Tagen erleben, und der danach folgende Gipfel machen diesen Widerspruch wieder einmal deutlich: Beim Trilog regieren die Krämerseelen, die den letzten Euro zusammenkratzen, damit er nicht nach Europa gegeben werden kann.
(Beifall)
Und drei Tage später treffen sich die Staats- und Regierungschefs und verkünden wieder, wie wichtig der Lissabon-Gipfel ist, wie wichtig die Lissabon-Ziele sind. Genau das hemmt Europa, dass es nämlich keine kohärente, keine konsistente Vorgehensweise beim Lissabon-Prozess gibt!
Wir haben im Europäischen Parlament versucht, eine Kombination hinzubekommen zwischen dem, was an Flexibilisierung in Europa notwendig ist, und dem, was an sozialer Kohäsion unverzichtbar ist. Denn beides gehört zusammen. Wer die Bevölkerung mitnehmen will – jawohl, Herr Staatssekretär Winkler, da haben Sie Recht –, wer will, dass die Menschen mitgehen, der muss die Globalisierung als Chance beschreiben, der muss aber auch das Risiko mindern, dass Globalisierung immer zum Abbau sozialer Standards benutzt wird. Wir haben bei der Dienstleistungsrichtlinie versucht zu sagen, Flexibilität wo nötig und möglich, ja, aber unter Erhalt der sozialen Kohäsion. Und deshalb gehe ich davon aus, dass die Beschlussfassung des Europäischen Parlaments für Kommission und Rat die Grundlage bei der weiteren Beratung zur Dienstleistungsrichtlinie ist. Ich kann nur warnen, davon abzuweichen! Sie haben die Zusage gegeben, ich habe heute von Ihnen gehört, Herr Ratspräsident, dass Sie diese Zusage auch einhalten. Wir werden auch darauf achten, dass das eingehalten wird. Dessen können sie sicher sein!
Wenn wir über die Zukunft des Lissabon-Prozesses reden, dann ist jetzt tatsächlich genug Papier beschriftet worden. Was wir brauchen, sind Investitionen in Forschung und Qualifizierung, damit uns nicht die Besten in andere Kontinente weglaufen. Was wir brauchen, ist Investition in lebenslanges Lernen. Denn wenn eine gute Qualifikation Voraussetzung für den Zugang zum Arbeitsmarkt ist, dann ist lebenslanges Lernen ein Grundrecht, um diesen Zugang zum Arbeitsmarkt für jeden Mann und jede Frau zu garantieren.
Gestern hat uns der Präsident der Bundesrepublik Deutschland die Wünsche von jungen Männern und Frauen in Europa am Beispiel von Erasmus klar gemacht. Erasmus ist jedoch einer der Punkte, der bei der Finanziellen Vorausschau vom Rat am meisten gekürzt worden ist. Also, noch einmal: Es passt beim Lissabon-Prozess nichts zusammen.
(Beifall)
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Noch nie in der Geschichte der Union waren die Fronten derart verhärtet zwischen den Fortschrittswilligen und den Rückwärtsgewandten; zwischen den Anhängern des Binnenmarkts und der Lissabon-Agenda als bestem Mittel, um langfristige Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zu gewährleisten, und den Gegnern des Freihandels und Befürwortern eines Wirtschaftspatriotismus, der – wie Giulio Tremonti gesagt hat – dem aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg ähnelt.
Merkwürdig an diesem so genannten Patriotismus – einem nur leidlich kaschierten Wirtschaftsnationalismus – ist, dass er den Bürgerinnen und Bürgern in Frankreich, Spanien oder Polen genauso wenig Vorteile bringen wird wie dem Rest Europas, denn es handelt sich um einen fairen Wettbewerb, der die Weltwirtschaft ankurbelt und eine Qualitätssteigerung sowie einen Preisrückgang mit sich bringt, und dieser faire Wettbewerb wird durch Protektionismus behindert. Wenn es für ein Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll ist, sich mit einem anderen Unternehmen zusammenzuschließen, warum sollten wir dann das Recht haben, ihm Steine in den Weg zu legen? Wie Kommissionspräsident Barroso ausgeführt hat, besteht der große Erfolg des Euro darin, dass Zusammenschlüsse und Übernahmen zügig vonstatten gehen. Die europäische Industrie bereitet sich auf ihre Bewährungsprobe vor, im weltwirtschaftlichen Wettbewerb zu bestehen.
Diese Fragen sollten auf der Frühjahrstagung behandelt werden. Die Kommission sollte sich damit befassen, denn sie wird unter den derzeitigen Voraussetzungen geprüft, ob sie die Verträge verteidigen und hüten kann. Sie wird mit einem noch nie da gewesenen Angriff auf den Binnenmarkt konfrontiert und muss die Verträge und die Grundfreiheiten verfechten, ihre Meinung gegebenenfalls kundtun – wie Sie, Präsident Barroso, sowie Kommissar McCreevy und Kommissarin Kroes dies getan haben – und für die Union eintreten. Doch die Verteidigung des Binnenmarkts ist nicht nur Aufgabe der Kommission; auch dem Rat fällt eine Rolle zu, wie wir in dem heute erörterten Antrag betonen. Das bedeutet, dass die Umsetzung und Anwendung der Gemeinschaftsrichtlinien zur Verwirklichung des Binnenmarktes mit freiem Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rats beschleunigt werden muss. Wir wünschen uns, dass sich der Europäische Rat ernsthaft mit dem freien Dienstleistungsverkehr, der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und dem freien Kapitalverkehr befasst. Im Rahmen ihrer Gespräche über die künftige Finanzierung der Union sollen die Staats- und Regierungschef die erforderlichen Finanzmittel für die Ausbildung unserer Arbeitnehmer, für die transeuropäischen Netze und für die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit des Europäischen Technologieinstituts ausfindig machen, das die künftige Wirtschaftsdynamik sichern wird.
Es ist an der Zeit, dass unsere Staats- und Regierungschefs die Ratstagungen im März und Oktober zu einer ständigen Einrichtung machen. Sie brauchen nicht ausschließlich als wirtschaftspolitische Gipfel angekündigt zu werden; unsere Aufgaben im Zusammenhang mit der Energiesicherheit, dem Friedensprozess im Nahen Osten und der Bekämpfung der weltweiten organisierten Kriminalität sind genauso dringlich und sollten in der kommenden Woche auf der Tagesordnung stehen. Zudem sollte es öffentliche Debatten über die Verteidigungspolitik der Union geben, die langsam Formen annimmt und bisher nur hinter verschlossenen Türen entworfen wird. Vor kurzem hat der österreichische Vorsitz eine Tagung des Rates „Umwelt“ für die Bewertung durch die Öffentlichkeit geöffnet; warum sollte diese Offenheit für den Rat nicht zur Regel werden?
Meine Fraktion begrüßt den Vorschlag der Kommission, ein Strategiepapier vorzulegen, damit wir hier im Parlament die Verteidigungspolitik erörtern und unsere Bürgerinnen und Bürger in eine Diskussion über die Zukunft unseres Kontinents einbeziehen können.
Herr Ratspräsident, vor einem Jahrhundert hatte Ihr Land einen Außenminister, der in Straßburg studiert, das alte Regime wieder eingesetzt und die Politik auf dem Kontinent 30 Jahre lang dominiert hat. Wenn sich Frau Plassnik an Fürst Metternich messen kann, dann wird Europa blühen. Wenn ihr dies nicht gelingt, kann sie immer noch seinem Beispiel folgen und nach Großbritannien fliehen.
Rebecca Harms, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Winkler, Herr Barroso! Meine Fraktion hat im Laufe der Zeit festgestellt, dass die Lissabon-Strategie nicht mehr die Strategie ist, die zu Beginn dieses sehr interessanten Prozesses definiert wurde. Dies ist in der Rede von Herrn Winkler sehr deutlich geworden. Es geht hier sehr einseitig um eine Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Dass das Ziel der Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit, wie es in Göteborg formuliert worden ist, Teil dieser Strategie sein soll, ist völlig vernachlässigt worden. Ich befürchte – nach den Diskussionen, die ich in der Koordinierungsstruktur zu Lissabon erlebt habe, auch nach dem, was wir als Entschließungsantrag entwickelt haben, worüber wir heute abstimmen –, dass die Gefahr besteht, dass das Parlament nicht mehr bereit ist, dieser ehrgeizigen Strategie, Nachhaltigkeit und Wachstum tatsächlich miteinander zu verknüpfen, zu folgen.
Woran mache ich das fest? Es gibt überhaupt keine Bereitschaft, über wichtige Instrumente zu diskutieren, die den Erfolg garantieren würden. Wir haben in dieser Koordinierungsstruktur versucht, über Steuerpolitik zu diskutieren. Wenn man nicht bereit ist, innerhalb der Union eine vereinheitlichte Unternehmensbesteuerung anzugehen, wie sollen wir dann aus dem negativen Standortwettbewerb herauskommen? Wenn man nicht bereit ist, über ökologische Steuern zu reden, wie soll man dann von Seiten des Staates Nachhaltigkeit steuernd durchsetzen. Es gibt unter den Kollegen keine Bereitschaft, den Begriff Steuer überhaupt zu benutzen. Man hat Angst, die Bürger zu verschrecken. Man macht den Bürgern Versprechungen, sorgt aber nicht dafür, dass Instrumente geschaffen werden, mit denen man überhaupt in der Lage wäre, diese großen Versprechungen zu erfüllen.
Nehmen wir ein wichtiges aktuelles Beispiel: die Energiepolitik. Herr Verheugen, Herr Barroso, wenn Sie nicht bereit sind, die Verkehrspolitik in Ihre energiepolitischen Strategien einzubeziehen, wenn Sie nicht bereit sind, Ressourcenschonung und Effizienz tatsächlich in den Mittelpunkt der Strategien zu setzen, sondern wieder auf Laufzeitenverlängerung von Atomkraftwerken setzen, dann können Sie nur scheitern. Sie werden weder aus den Rohstoffabhängigkeiten herauskommen, noch werden Sie in der Lage sein, faire Preise auf dem Energiemarkt zu garantieren. Schauen Sie in die Länder mit hohem Atomstromanteil. Ist in Frankreich und Deutschland Elektrizität billig? Nein, sie ist teuer.
Zum Markt hätte ich einen Wunsch, Herr Barroso: Trauen Sie den Vorschlägen von Neelie Kroes von letzter Woche. Der Markt gilt derzeit nicht für die Energie. Wir brauchen Entflechtung von Produktion und Verteilung von Energie, Entflechtung von Produktion und Netz. Frau Kroes hat sehr richtig gesagt: Wir werden gegen die Energieriesen politisch nur eine Chance haben, wenn wir den Markt gegen die Energieriesen tatsächlich durchsetzen.
(Beifall)
Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Vertreter des Rates! Die Kommission versteht es im Allgemeinen, ihre Programme mit vielsagenden Namen zu bezeichnen: Erasmus, Socrates usw. So hätte sie ihre Lissabon-Strategie auch „Janus-Strategie“ nennen können, nach dem berühmten römischen Gott, der gewöhnlich mit zwei Gesichtern dargestellt wird, von denen eines der Zukunft, das andere der Vergangenheit zugewandt ist. Genau wie bei der Agenda von Lissabon!
Eines der Gesichter der Strategie von Lissabon für das Jahrzehnt 2000–2010 ist freundlich. Es verweist, und hier zitiere ich aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Frühjahr 2005, auf die Notwendigkeit, „die Investitionen in Humankapital als den wichtigsten Trumpf Europas zu steigern“; es kündigt mehr Arbeitsplätze, ja sogar Vollbeschäftigung sowie Arbeitsplätze von besserer Qualität an; es unterstreicht die Bedeutung von Forschung, Bildung, Innovation sowie solider Industriestrukturen auf dem gesamten Gebiet der Union; es verkündet sogar das Ziel, ich zitiere, „den Rückgang der biologischen Vielfalt bis 2010 zum Stillstand zu bringen“.
Dieses Gesicht des europäischen Janus ist der Zukunft zugewandt. Es scheint eine solche Ära von sozialem, wirtschaftlichem und ökologischem Fortschritt anzukündigen, dass man auf den ersten Blick nur schwer versteht, dass die Kommission der Meinung ist, ich zitiere: „Viel bleibt noch zu tun, um die Menschen davon zu überzeugen, dass Reformen zu größerem gemeinsamem Wohlstand beitragen werden, und um sie in den Prozess einzubeziehen“.
Wieso denn nur? Weil es noch das andere Gesicht der Strategie von Lissabon gibt, das dem Liberalisierungwahn der führenden Politiker der Union zugewandt ist. Lassen Sie mich die jüngste Mitteilung der Kommission anführen. Darin ist die Rede von der Notwendigkeit, die Attraktivität Europas für Unternehmen und Investitionen zu verbessern; von der Reform der Renten, des Gesundheitswesens, des Arbeitsmarktes; von der Haushaltssanierung; von der Anhebung des tatsächlichen Renteneintrittsalters; der Steigerung der Arbeitsproduktivität; der Gewährleistung eines echten Wettbewerbs im Dienstleistungssektor; der Förderung von mehr Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten usw.
Die Kommission erwartet sogar von den Gewerkschaften, dass sie einen Beitrag zur Popularisierung dieser liberalen Strategie leistet, und vom Parlament, dass es sich diesen Kommunikationsbemühungen anschließt.
Zählen Sie nicht auf uns, um den deutschen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die sich gegen die Verlängerung der Arbeitszeit und die Absenkung ihrer Vergütung wehren; um den italienischen Arbeitnehmern, die die Abschaffung des Gesetzes Nr. 30 fordern, jeder Maschine zur Erzeugung von Unsicherheit; um den jungen Franzosen, die gegen das Vorhaben eines auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrages demonstrieren, das es den Unternehmern ermöglicht, Entlassungen nach ihrem Gutdünken vorzunehmen; um den britischen Arbeitnehmerinnen, die gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 65 Jahre protestieren; um den Arbeitnehmern in den neuen Mitgliedsländern in Mitteleuropa, die nicht wollen, dass ihre Länder als Niedrigkostenzone gilt, und ihre Rechte auf sozialen Fortschritt einfordern; oder um all jenen, die gegen die Strategie der Kürzung der öffentlichen und sozialen Ausgaben im Rahmen des Stabilitätspakts kämpfen, zu erklären, dass sie sich täuschen, weil die Strategie von Lissabon entgegen allem Anschein nur zu ihrem Glück beitragen wird!
In Wahrheit sind die beiden Teile der Lissabonner Strategie unvereinbar. Der zweite Teil muss vereitelt werden, damit der erste leben kann. Dafür haben wir uns entschieden.
Jens-Peter Bonde, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (DA) Herr Präsident! Nach der Ablehnung der Verfassung durch die Franzosen und Holländer beschloss der EU-Gipfel eine Pause, um über Europas Zukunft nachzudenken. Es hat jetzt den Anschein, als sei das keine Denkpause gewesen, sondern als habe sich die Reihenfolge geändert, wer wann ratifizieren soll. Seit den beiden Nein-Voten ist die Verfassung in Luxemburg, Zypern, Malta, Lettland und jüngst in Belgien angenommen worden. In Estland läuft das Verfahren, und Finnland wird der Verfassung vor der Übernahme des Ratsvorsitzes am 1. Juli zustimmen. Eine Delegation unseres Ausschusses für konstitutionelle Fragen weilte neulich in Helsinki. Nur eine kleine Partei, die die wahren Finnen vertritt, wird die französischen und holländischen Nein-Stimmen respektieren. Die Verfassung sieht vor, dass so lange weiter ratifiziert werden kann, bis 80 % der Länder die Verfassung gebilligt haben, woraufhin ein Sondergipfel abgehalten würde. Die Bestimmungen der Verfassung können jedoch nicht die Grundlage für eine Änderung des Nizza-Vertrags sein, demzufolge Einstimmigkeit die Regel ist. Die Verfassung ist daher nach dem Nein-Votum der Franzosen und Holländer formell tot. In den Niederlanden hat die Regierung festgestellt, dass sie das abgelehnte Dokument nicht ratifizieren wird, und in Frankreich sagen die führenden Politiker dasselbe. Es ist daher ungesetzlich, ohne einen neuen Beschluss mit den Ratifizierungen fortzufahren, sofern Frankreich und die Niederlande nicht ein doppeltes Spiel treiben und zu Hause das eine und in Brüssel etwas anderes sagen.
Ich möchte die Präsidentschaft fragen, ob Frankreich und die Niederlande formell zugestimmt haben, dass die Ratifizierungen ohne Änderungen an dem abgelehnten Dokument weitergehen können. Wäre es nicht besser, die Atempause dafür zu nutzen, neue Ideen zu entwickeln und auf diese Weise ein Dokument auszuarbeiten, dem die Menschen in Referenden in allen Ländern und am selben Tag zustimmen können, einem Dokument, dessen Hauptüberschriften Transparenz, Demokratie und Volksnähe lauten könnten?
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte dem Ratspräsidenten, Hans Winkler, und Präsident Barroso für ihre heutigen Erklärungen danken.
Nachdem ich mich mit dieser Angelegenheit einige Jahre befasst und sie diskutiert habe, stellt sich mir eine Frage: Was erwarten wir wirklich von der Lissabon-Strategie? Die wesentlichen Elemente und Zielsetzungen sind heute immer noch so berechtigt wie damals, als wir uns auf die Strategie geeinigt haben: Europa soll bis zum Jahre 2010 zum dynamischsten und innovativsten Wirtschaftsraum der Welt werden. Leider werden heute alle möglichen Dinge genannt, die die Lissabon-Strategie bewirken soll. Möglicherweise wollen wir zu viele oder zu unterschiedliche Bereiche berücksichtigt wissen.
Eine der wichtigsten Fragen – die in allen Wortmeldungen heute hier im Parlament aufgeworfen wurde – ist die der Investitionen in das Humankapital: Es geht um Bildung und Ausbildung und wie dies zu weiterer Forschung sowie in der Zukunft zu Innovation und Entwicklung beitragen kann. Wir müssen uns genau vor Augen führen, was derzeit in der Europäischen Union geschieht. Ein Beispiel ist die demografische Situation, die von Überalterung und in den meisten Mitgliedstaaten von einem Geburtenrückgang geprägt ist, und es fehlt uns an Strategien, um etwas dagegen zu unternehmen. Wir benötigen Strategien, die die positiven Aspekte einer alternden Bevölkerung und ihre Erfahrungen in den Vordergrund rücken; aber auch Strategien, die realistisch damit umgehen, dass Menschen nicht die Chance erhalten, auf den neuen Arbeitsmärkten zu bestehen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, die erforderlichen Fertigkeiten und Qualifikationen zu erwerben, um in der so genannten digitalen Wirtschaft tätig zu sein.
Auch wenn wir hier große Reden schwingen, die Wirklichkeit sieht doch so aus, dass es nicht die Europäische Union, sondern die einzelnen Mitgliedstaaten am besten verstehen, solche Strategien umzusetzen und junge Arbeitnehmer, Studenten oder ältere Menschen, die sich weiterbilden oder die umschulen wollen, mit diesen Fertigkeiten auszustatten. Wir haben daher einzelstaatliche Pläne mit klaren Zielsetzungen gefordert, die sicherstellen, dass sich die Investitionen auch auszahlen.
Wenn wir von der Europäischen Beschäftigungsstrategie, von sozialem Zusammenhalt und von der Sozialpartnerschaft sprechen, dürfen wir auf keinen Fall die Menschen vergessen, doch ebenso wichtig ist es, dass die Menschen aufwachen und der Realität in die Augen schauen, die – wie gestern diskutiert wurde – aus Unternehmensverlagerungen und fehlenden Investitionen in Forschung und Entwicklung besteht. Schauen Sie sich die 20 weltweit führenden Biotechnologieunternehmen an. Neunzehn kommen aus den USA und eines aus der Schweiz – kein Einziges befindet sich in der Europäischen Union.
Wenn wir wirklich die Dynamischsten sein wollen, dann müssen wir harte Entscheidungen treffen, um diese Position zu bekräftigen.
(Beifall)
Leopold Józef Rutowicz (NI). – (PL) Herr Präsident! Der Bericht der hochrangigen Gruppe unter Vorsitz von Wim Kok liefert ein realistisches Bild vom Zustand der EU-Wirtschaft, die Gefahr läuft, vom asiatischen und amerikanischen Markt an den Rand gedrängt zu werden. Der globale Markt zeigt sich wohlwollend gegenüber leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Unternehmen, die preisgünstige Produkte und Dienstleistungen in guter Qualität anbieten. Die direkte Beteiligung der Mitgliedstaaten und der Parlamente an den Durchführungsprogrammen ist als ein Erfolg der Maßnahmen zur Umsetzung der Lissabon-Strategie zu werten. Auch die Arbeit an dem Programm zur Sicherheit der Energieversorgung kann zur Schaffung besserer und stabiler Bedingungen für die Wirtschaftsentwicklung beitragen. Die Tatsache, dass viele Menschen an der Umsetzung der Strategie mitwirken, gibt ebenfalls Anlass zu Optimismus. Das Problem sind die Wirksamkeit der Maßnahmen und der Widerstand, der ihnen entgegengesetzt wird. Diese Maßnahmen beinhalten die Schaffung eines Binnenmarktes, eines Arbeitsmarktes sowie günstiger Bedingungen für die Umstrukturierung und Neugründung von Unternehmen und einen Zuwachs an Innovationen bei gleichzeitiger Beseitigung der Arbeitslosigkeit und Steigerung der Löhne. Wir brauchen einen Konsens zwischen den politischen Gruppen, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Auf besonders große Hindernisse stoßen die Umstrukturierung und Organisation des Agrarmarktes sowie die Beschränkung der Kosten der landwirtschaftlichen Produktion. Die fehlende Rentabilität in einigen Produktionsbereichen führt dazu, dass zahlreiche Landwirtschaftsbetriebe vor der Liquidation stehen, dass die Arbeitslosigkeit wächst und immer mehr Boden nicht bewirtschaftet werden kann. Deshalb muss schnellstens etwas getan werden, damit ein Agrarproduktionssystem mit einem garantierten Markt beispielsweise für Biokraftstoff und Biomasse geschaffen werden kann. Wir brauchen ein Mehrjahresprogramm, um den Agrarsektor den neuen Marktbedingungen anzupassen. Die Abschaffung des Protektionismus, der keinen Mehrwert schafft, sondern ihn verringert, und der die Sozialkosten steigen lässt, stößt auf großen Widerstand. Abschließend möchte ich den deutschen Bundespräsidenten mit den optimistischen Worten zitieren „Verwandeln wir Herausforderungen in Chancen!“ Ich denke, das können wir schaffen.
Othmar Karas (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Ratspräsident, meine Damen und Herren! Ich wünsche allen Institutionen alles Gute für die in den nächsten Wochen oder beim Gipfel zu beschließenden Taten, die Weichenstellungen für die europäische Zukunft sein müssen. Über allen Sitzungen der nächsten Wochen muss das Motto stehen: Taten statt Worte, wie der Kommissionspräsident gesagt hat.
Wir fordern Taten ein, die keinen Zweifel an der klaren Absage an den Partikularismus, Protektionismus und die Mentalität des „Jeder ist sich selbst der Nächste“ verdeutlichen. Wir fordern mutige, konkrete, überprüfbare europäische Taten der Mitgliedstaaten für Wachstum und Beschäftigung sowie zur Energiepolitik ein. Wir fordern, dass die Mitgliedstaaten bei der Dienstleistungsrichtlinie und bei der Finanziellen Vorausschau endlich nachziehen und nicht weiter stehen bleiben.
Was wollen wir? Erstens: Wir wollen entschlossene Taten, damit sich die Europäische Union mutiger, glaubwürdiger und entschlossener zur politischen Union weiterentwickeln kann. Die politische Union ist unser primäres Ziel.
Zweitens: Wir müssen einen funktionierenden Binnenmarkt schaffen und Taten setzen, damit er endlich zum Heimatmarkt weiterentwickelt wird. Wann können wir vom Heimatmarkt für alle sprechen? Wenn wir die vier Freiheiten für alle Bürger der EU grenzenlos so schnell wie möglich umsetzen. Freiheit und Verantwortung statt Fesseln, Protektionismus, Nationalismus und abschottende Übergangsregeln sind unser Ziel und schaffen einen gemeinsamen Mehrwert für die Bürger Europas.
(Beifall)
Drittens: Wer nationalisiert statt europäisiert, streut den Menschen Sand in die Augen. Wo sind die Initiativen und die Projekte zur Umsetzung des Plan D und zur Beteiligung der Bürger am europäischen Projekt? Viertens: Ich fordere aber auch die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments bei allen binnenmarktrelevanten Fragen, bei den Fragen von Wachstum und Beschäftigung, bei der Finanziellen Vorausschau. Es zeigt sich, dass die Regel der Einstimmigkeit im Rat blockiert, europäische Lösungen verhindert erschwert und den Partikularismus stärkt. Das wollen wir nicht.
Fünftens: Wir benötigen konkrete europäische Projekte, nicht bloß nationale Aktionspläne: Die Schaffung eines europäischen Forschungsrahmensaums, die Schaffung einer europäischen Infrastruktur, die Schaffung eines europäischen Energiemarkts, die Schaffung eines europäischen Luftraums, die Schaffung einer europäischen Gründungs- und Innovationsoffensive, den Ausbau der europäischen Bildungsprogramme. Dafür wollen wir Projekte und Taten sehen und nicht nur Erklärungen. Sechstens: Wir haben keine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Daher müssen wir die Wirtschaftspolitiken viel stärker koordinieren. Die EU ist eine Chance. Der Partikularismus und der Protektionismus sind unser hausgemachtes Risiko.
(Beifall)
VORSITZ: EDWARD McMILLAN-SCOTT Vizepräsident
Robert Goebbels (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr amtierender Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Eine Strategie ohne Mittel ist wie Napoleon ohne Armee: ohnmächtig und letztlich unnütz. Diese Drohung schwebt über der Lissabon-Strategie. Ist die Union angesichts einer kümmerlichen Finanziellen Vorausschau, unausgeglichener nationaler Haushalte, eines Gemeinschaftshaushalts, der weniger als allein das Defizit des US-amerikanischen Haushalts beträgt, etwa nur noch zu leeren Gesten fähig?
Der Entschließungsentwurf, den ich zusammen mit meinem trefflichen Kollegen Klaus-Heiner Lehne vorgelegt habe, zeigt einige interessante Wege auf, selbst wenn unser Parlament zuweilen nicht bereit ist, der Wahrheit ins Auge zu sehen. So hat die Mehrheit die Tatsache ignoriert, dass ein Großteil des Wachstums der USA in den letzten Jahren das Ergebnis der Integration von mehr als zehn Millionen legaler Zuwanderer war. Wir brauchen eine großzügigere europäische Einwanderungspolitik. Würde eine solche Politik auf Kosten der Entwicklungsländer gehen? Nach Angaben der Vereinten Nationen belaufen sich die Geldtransfers der Zuwanderer an ihre Familien auf mehr als das Doppelte der internationalen Entwicklungshilfe. Die spektakuläre Wirtschaftsentwicklung Indiens, Chinas, Taiwans oder Hongkongs ist in hohem Maße der Gründung von Unternehmen durch zurückgekehrte ehemalige Emigranten zu verdanken.
Das Europa der Forschung bleibt noch zu errichten. Hier investieren vor allem die mittleren Unternehmen nicht genug. Eine der Ursachen liegt in der übermäßigen Bürokratie, die den Zugang zu europäischen Mitteln erschwert. Eine weitere Ursache ist die fehlende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschulen. Letztere müssten sich mehr Mittel beschaffen, indem sie ihre Forschungsaktivitäten über Patente und Lizenzen verwerten und in Start-ups investieren.
Im Energiebereich muss Europa sich mit den anderen großen Verbrauchern, den USA, Japan, China und Indien, verbünden, um ein Gegengewicht zu den Kartellen und Oligopolen zu schaffen, die den Öl- und Gassektor beherrschen. Angesichts eines Marktes, der durch eine Handvoll Erzeugerländer dominiert wird, bringt es nichts, sein Heil ausschließlich in der Liberalisierung des europäischen Marktes zu suchen, vor allem, wenn diese Liberalisierung in die Bildung einiger so genannter europäischer Champions mündet, die den Markt unter sich aufteilen werden. Die Liberalisierung des US-amerikanischen Energiemarktes war alles andere als ein Erfolg.
Die demografische Entwicklung, der sich Europa gegenübersieht, ist nicht nur für die Finanzierung der sozialen Sicherheit eine Herausforderung. Der Gewinn von zehn oder zwanzig Jahren Lebenserwartung für eine in Allgemeinen gut ausgebildete, gesunde Bevölkerung ist zugleich eine große Chance. Es gilt, Strategien für aktives Altern, einen gestaffelten Renteneintritt und die Integration der Senioren in das gesellschaftliche Leben auszuarbeiten. Europa muss aufhören, die Zukunft nur pessimistisch zu sehen, und im Gegenteil alle neuen Chancen ergreifen, um diese dynamische und inklusive Gesellschaft zu errichten, auf die die Strategie von Lissabon abzielt.
VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ Vizepräsident
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Ein Jahr nach der Halbzeitbilanz der Lissabon-Agenda ist es Zeit, erneut zu fragen, wo Europa steht. Die Antwort auf diese Frage fällt leider ernüchternd aus: Nach dem politischen Schock durch das Nein gegen die Verfassung droht jetzt ökonomische Lähmung. Lissabon droht zu einer Jahrmarktattraktion zu werden, der berühmten Dame ohne Unterleib. Denn es gibt ja einen Konsens, dass die Umsetzung der Strategie Sache der Mitgliedstaaten ist, aber gerade dort sehen wir unter dem Schlagwort des Wirtschaftspatriotismus protektionistische Fehltritte, die Anlass zu erheblicher Sorge geben.
Die Vorstellung, wir könnten mehr Lissabon, mehr Wettbewerbsfähigkeit mit weniger Binnenmarkt erreichen, zeugt entweder von Realitätsverlust oder von Unehrlichkeit. Europas wirtschaftlicher Erfolg beruhte in den letzten fünfzig Jahren auf den vier Freiheiten des Binnenmarktes. Von diesen sind drei akut gefährdet. Es begann vor zwei Jahren mit der Beschränkung der Mobilität für Arbeitskräfte aus den EU-Mitgliedsländern in Osteuropa durch Deutschland, Österreich und andere. Nun zeigt sich aber, dass Länder, die nicht in die Arbeitnehmermobilität eingegriffen haben, wie Großbritannien, von positiven Erfahrungen berichten.
Schauen wir auf den freien Kapitalverkehr: Italien verbietet den Erwerb von Beteiligungen an italienischen Kreditinstituten, Polen wendet sich gegen die Fusion von UniCredit und HBV, Franzosen und Spanier wehren sich gegen die Übernahme von heimischen Energieversorgern. Das ist besonders ironisch, denn gerade im Energiesektor ist ein europäisches Vorgehen angesagt. Glauben wir denn, wir könnten eine gemeinsame Energiepolitik ohne einen Energiebinnenmarkt erreichen? Die Klarheit der Kommission ist in dieser Frage sehr zu begrüßen. Es ist zu hoffen, dass der Rat ihren Empfehlungen folgt.
Die dritte Freiheit – die der Dienstleistungen – ist ebenfalls in Gefahr. Die von Deutschland, Belgien und Frankreich betriebene Verwässerung der Dienstleistungsrichtlinie bedeutet nichts anderes, als dass die Arbeitsteilung auf diesem Gebiet weiter aufgehoben bleibt. Übertragen auf den Warenverkehr würde dies bedeuten, dass z. B. Renault seine Autos nur dann nach Deutschland exportieren dürfte, wenn sie in Deutschland genau so viel kosten wie ein Volkswagen. Und was sollen wir von Škoda halten? Arbeiter in Mladá Boleslav verdienen weniger als ihre Kollegen, die Audis oder Citroëns montieren. Ist das auch Sozialdumping? In der Logik der gewerkschaftlichen Argumentation zur Dienstleistungsrichtlinie sind Forderungen nach Strafzöllen auf Industrieprodukte aus Mitgliedstaaten mit niedrigerem Lohnniveau nur eine Frage der Zeit. Nichts anderes sind übrigens, systematisch betrachtet, Forderungen an die neuen Mitgliedstaaten, ihre Unternehmenssteuern zu erhöhen.
Lissabon ist kein Selbstzweck, der Binnenmarkt ist kein Selbstzweck. Europa braucht gerade in seinem kontinentalen Kern neues Wachstum, mehr Wachstum, um den Millionen von Arbeitslosen eine neue Perspektive zu verschaffen. Das ist eine politische, soziale und letztendlich eine moralische Verpflichtung. Wer den Binnenmarkt in Gefahr bringt, versündigt sich an den Arbeitslosen Europas. Ihnen sind wir verpflichtet, für sie, die Schwächsten unserer Gesellschaft, müssen wir Lissabon zum Erfolg führen. Das gilt auch für die Älteren. Die Entschließung des Parlaments betont die Bedeutung der demographischen Entwicklung; auch die Alten von heute und morgen bedürfen unserer Aufmerksamkeit. Wir brauchen Wachstum, um unsere Sozialsysteme zu stabilisieren. Mit Umverteilung allein ist es eben nicht getan. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir diese Debatte in Brüssel führen sollten, und nicht in Straßburg.
Pierre Jonckheer (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Barroso, Herr Verheugen! Ich bin Umweltschützer, möchte aber nicht über Energie mit Ihnen reden. Ich habe sehr kompetente Kollegen auf diesem Gebiet, die Ihnen bekannt sind.
Lassen Sie mich vielmehr etwas zur Rolle der Kommission im Rahmen der Lissabon-Strategie sagen. Sie haben mehrfach zu Recht unterstrichen, dass für den Erfolg dieser Strategie eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung erforderlich ist und dass alle einschlägigen Akteure einschließlich der nationalen Parlamente konkret einbezogen werden müssen. Ich glaube, zu diesem Zwecke sollte die Kommission zwei klare Botschaften aussenden.
Als erstes muss gesagt werden, dass die Lissabon-Strategie nicht gleichbedeutend mit hemmungslosem Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten ist. Wir verteidigen im Gegenteil ein Modell der Kooperation und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Die zweite Botschaft lautet, dass es in einer Europäischen Union aus 25 Mitgliedstaaten nicht Bürger oder Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse geben kann.
Lassen Sie mich drei konkrete Beispiele nennen, zu denen ich von Ihrer Seite eine offensivere Aussage erwarte. Das erste Beispiel ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Sie haben darüber gesprochen, Sie haben dazu einen Bericht veröffentlicht – der sehr gut ist – und Sie verweisen voller Stolz darauf, dass einige Staaten der Auffassung der Kommission folgen. Ich würde vom Präsidenten der Kommission und vom Kollegium der Kommissare erwarten, dass sie im Interesse der Europäischen Union den Staaten, die ihr nicht folgen wollen oder zurückhaltend sind, sagen, dass sie auf dem falschen Weg sind.
Nun zu meinem zweiten Beispiel. Bei der Dienstleistungsrichtlinie hat das Parlament das Herkunftslandprinzip abgelehnt. Wo lag das Problem mit diesem Prinzip? Der Binnenmarkt sollte nicht realisiert werden, indem die nationalen Regeln ohne ausreichende Harmonisierung zueinander in Konkurrenz gesetzt werden. Sie müssten, um die Bedenken der Arbeitnehmer zu zerstreuen, nun folgendes klar und deutlich feststellen: Der Portugiese, der Deutsche und der Slowake, die auf einer Baustelle in Polen arbeiten, müssen den gleichen Lohn erhalten, und umgekehrt. Mit anderen Worten, die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern muss gestärkt werden, und Sie haben die Macht, dies zu tun.
Das dritte Beispiel betrifft die Frage der steuerlichen Entwicklung in Europa. Hier ist die Kommission hinsichtlich der Harmonisierung der Besteuerungsgrundlage im Rahmen der Unternehmensbesteuerung vorangekommen. Sie müssen in den Jahren 2007-2008 einen Bericht über den Haushalt und die künftigen Einnahmen der Europäischen Union vorlegen. Sie sollten den politischen Willen und den Mut aufbringen, um zu sagen: Es ist nicht hinnehmbar – andere Kollegen haben das erwähnt – dass der Haushalt so weit reduziert wird, dass die für Studenten und junge Arbeitnehmer vorgesehenen Mittel um ein Drittel gekürzt werden.
Mit anderen Worten, Herr Barroso, ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie nicht nur hinter den Mitgliedstaaten verstecken, wenngleich diesen eine wichtige Rolle zukommt, sondern dass Sie über Ihre Rolle als unparteiischer Vermittler hinausgehen und, da Sie allein die Gesetzesinitiative besitzen, wirklich die Kraft aufbringen, das europäische Interesse zu verteidigen, das durch die Zunahme der nationalen Alleingänge bedroht ist.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Es ist an der Zeit, auf die Proteste und den Kampf gegen die neoliberalen Maßnahmen zu hören, die in der gerade revidierten Lissabon-Strategie enthalten sind und deren Auswirkungen dem widersprechen, was 2000 auf dem Gipfel von Lissabon versprochen wurde.
Im Zuge der Beschleunigung der Liberalisierung der Märkte, der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und der Förderung der Flexibilität des Arbeitsmarktes bzw. der „Flexicurity“, wie die Kommission es jetzt nennt, erleben wir ein langsameres Wirtschaftwachstum, höhere Arbeitslosigkeit, mehr unsichere Arbeit, mehr Armut und größere Ungleichheit bei der Verteilung von Reichtum, und das im Namen von Wettbewerbsfähigkeit und freiem Wettbewerb.
Es ist jetzt klarer, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt und die so genannte Lissabon-Strategie die beiden Kernsäulen der neoliberalen Politik sind, ganz abgesehen von den gewaltigen Kürzungen der Gemeinschaftsmittel, die dazu dienten, die wirtschaftliche und soziale Kohäsion in ein reines Wunder zu verwandeln.
Wie wir in der von uns eingereichten Entschließung vorschlagen, muss die Lissabon-Strategie demnach unbedingt durch eine europäische Strategie für Solidarität und nachhaltige Entwicklung ersetzt werden, die Investitionen in Forschung und Innovation mit dem Ziel einer ausgewogenen und lang anhaltenden Entwicklung, in die Qualität von Arbeit in allen ihren Aspekten, in die Verbesserung von Qualifikationen, in Basisinfrastrukturen für die Industrie, in öffentliche Dienstleistungen, in den Umweltschutz und die Umwelttechnologie, vor allem in Energie und Transport, in die Verbesserung von arbeits-, sozial-, umwelt- und sicherheitsrechtlichen Vorschriften, um eine Harmonisierung auf höchstem Niveau zu erreichen, und in die Sozialwirtschaft fördert.
Wir brauchen auch eine neue sozialpolitische Agenda für die Entwicklung einer Gesellschaft ...
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
John Whittaker (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Herr Barroso wünscht sich, dass die Europäische Union in einen Dialog mit der Zivilgesellschaft tritt; Herr Winkler will die Unionsbürger motivieren. Doch es gibt nichts, was Beobachter der Europäischen Union mit größerer Sicherheit zum Gähnen oder Seufzen oder zu dem Ausruf: „Oh nein, nicht schon wieder!“ bringen würde, als ein Hinweis auf die Lissabon-Agenda. Warum können wir nicht akzeptieren, dass die Lissabon-Agenda wie auch der Stabilitätspakt untergegangen ist, was besonders bedauerlich ist, weil es sich um die Grundlage der Euro-Währung handelt. Wenn die Lissabon-Strategie nicht untergegangen ist, warum müssen wir ihr dann immer wieder zu neuem Schwung verhelfen?
Wir alle wünschen uns Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze; wir alle wollen, dass die europäischen Volkswirtschaften florieren. Doch wir müssen endlich erkennen, dass wir nicht über das richtige Rezept verfügen. Die Gemeinschaft ist nicht die treibende Kraft hinter den erforderlichen Reformen, sondern sie hemmt die wirtschaftliche Entwicklung in Europa durch endlose Vorschriften und Eingriffe. Der leichte wirtschaftliche Aufschwung, der gegenwärtig in einigen Mitgliedstaaten zu beobachten ist, wurde der Europäischen Union zum Trotz erzielt. Er ist wohl mehr ein Resultat der weltweiten Entwicklung.
Die Wirtschaften in der EU benötigen keine Lissabon-Strategie: Sie müssen sich selbst überlassen bleiben, damit die Märkte funktionieren und Unternehmer Arbeitsplätze schaffen können. Begreifen wir denn nicht, dass die Europäische Union durch das ständige Reden über die Lissabon-Strategie ihre eigene Hilflosigkeit betont? Ich schlage daher eine Ruhepause vor: Hören Sie auf, von einer Agenda zu sprechen, die Jahr für Jahr von allen als Misserfolg bewertet worden ist.
Guntars Krasts (UEN). – (LV) Herr Präsident! Nach der Überprüfung des Lissabon-Prozesses im vergangenen Jahr keimte Hoffnung auf, die Strategie hätte neue Kraft geschöpft, doch die Ereignisse der letzten sechs Monate haben gezeigt, dass die eigentlichen Bemühungen zur Erreichung der gesetzten strategischen Ziele weiterhin zu wünschen übrig lassen.
Bei der Bewertung der Programme der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Strategie von Lissabon spricht die Europäische Kommission von verstärkten Bemühungen zur Erreichung der Ziele von Lissabon. Ich denke, dass es gegenwärtig ein größerer Fortschritt wäre, jene Bemühungen, die zur Umgehung der Aufgaben von Lissabon aufgewendet werden, um mindestens die Hälfte zu reduzieren. Ein eklatantes Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Dienstleistungsrichtlinie, mit der der Liberalisierung des Binnenmarkts und der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit ein entscheidender Auftrieb verliehen werden sollte und die als ein Grundpfeiler der Strategie von Lissabon diente. Der Kompromisstext des Europäischen Parlaments wird wenig zur Stärkung des Gemeinsamen Marktes beitragen, zumindest nicht solange die Strategie von Lissabon noch Gültigkeit hat. Auch in anderen Bereichen stellen wir fest, dass jegliche Veränderungen und Reformen zunehmend auf soziale und politische Gegenreaktionen stoßen. Eine enorme Energie wird aufgewendet, um die bestehende Situation zu bewahren und Veränderungen und Reformen zu begrenzen, doch faktisch sind Reformen auf dem Binnenmarkt der Europäischen Union und die Intensivierung seiner Integration die wichtigsten Schritte, mit denen ein Umfeld geschaffen werden könnte, das der Umsetzung der Strategie von Lissabon förderlich ist.
Bislang wurde wenig erreicht, um für die Aufgaben von Lissabon koordinierte finanzielle Unterstützung bereitzustellen. Während des leidenschaftlichen Diskussionsprozesses um den Finanzrahmen hatten die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten keine strategischen Erwägungen im Sinn, und der Finanzrahmen weist nur eine sehr schwache Verbindung zu den Aufgaben von Lissabon auf. Auch wurde wenig unternommen, um den Strukturfonds mit den Prioritäten von Lissabon in Einklang zu bringen. Die Verwendung des Strukturfonds und eine bessere Koordinierung der Strategie von Lissabon sollten sowohl auf EU-Ebene als auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten durch die Harmonisierung der nationalen Entwicklungspläne mit den Programmen zur Durchsetzung der Strategie von Lissabon erreicht werden.
Jede Strategie beruht auf der Fähigkeit, kurzfristige Interessen den langfristigen Aufgaben unterzuordnen. Daher wird die Erreichung der Strategie von Lissabon auch davon abhängen, wie und wann es den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union als Ganzes gelingt, die Bürgerinnen und Bürger der EU davon zu überzeugen, dass es ohne die Erreichung der Strategie von Lissabon auf lange Sicht nicht möglich sein wird, die Wachstums- und Beschäftigungsziele zu erreichen.
Philip Claeys (NI). – (NL) Herr Präsident! Mit der Lissabon-Strategie wird bezweckt, die Union zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, und über eine solche Zielsetzung dürfte in diesem Hohen Hause wohl weitgehende Übereinstimmung bestehen, wenngleich die Vorgehensweise zur Erreichung dieses Ziels von mir angezweifelt wird. Ich kann nur zu der Feststellung gelangen, dass man sich im Europa von heute zu Lasten von Investitionen und Innovation noch viel zu sehr mit Subventionen befasst.
Nicht nur die einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch die Kommission tragen hierbei eine schwere Verantwortung. Während die Kommission vorgeschlagen hatte, die Ausgaben für Wissenschaft und Entwicklung ab 2007 auf jährlich 10 Milliarden Euro zu verdoppeln, wurde dieser Vorschlag vom Rat mit der Begründung abgelehnt, in diesem Fall seien wesentliche Kürzungen der Agrarsubventionen, der regionalen Beihilfen sowie der Strukturfondsmittel erforderlich gewesen.
Beim Thema Europäische Strukturfonds denke ich automatisch an das Fass ohne Boden beispielsweise Walloniens, in das jährlich Millionen Euros fließen, ohne dass damit ein Strukturwandel bewirkt würde, weil dieser durch eine omnipräsente und korrupte Parti Socialiste blockiert wird, was heute selbst verschiedenen wallonische Politikern und renommierte Wirtschaftswissenschaftler bestätigen.
Und nun kommt Frau Danuta Hübner, für die Regionalpolitik zuständiges Kommissionsmitglied, mit der Erklärung, in Wallonien würden die Strukturfondsmittel effizient zum Einsatz gebracht und die wallonischen Projekte seien kennzeichnend für die beachtlichen Strukturveränderungen, die sich in dieser Region angeblich vollziehen. Angesichts einer solchen Behauptung aus dem Munde einer Person, die eine Mitverantwortung für die Einhaltung der Lissabon-Strategie trägt, wird das Ganze dadurch jedoch in Frage gestellt.
Klaus-Heiner Lehne (PPE-DE). – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei meinem Ko-Berichterstatter Robert Goebbels ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit in der Lenkungsgruppe zu bedanken. Wir haben es geschafft, in der Lenkungsgruppe einen Entwurf für das Plenum und für die Konferenz der Präsidenten zustande zu bringen, der die logische Fortschreibung dessen ist, was wir im vergangenen Jahr, als es um die Halbzeitbilanz gegangen ist, hier auch zustande gebracht haben.
Nach wie vor unterstützt das Parlament vom Grundsatz her die Strategie der Kommission. Insbesondere haben wir wiederholt deutlich gemacht, dass Wachstum und Beschäftigung die Voraussetzungen dafür sind, dass wir die anderen Hauptziele der Lissabon-Strategie auch so verwirklichen können, wie wir dies wollen.
Das Parlament hat sich auch an der Schwerpunktsetzung beteiligt. Wir haben drei Schwerpunkte in unserer Entschließung: das Thema der Demographie, der Energiepolitik und der Innovation.
Ich will hier nur das beklagen, was viele Vorredner schon angesprochen haben. Das Hauptproblem, das wir haben, ist nicht der strategische Ansatz. Der strategische Ansatz stimmt. Unser Problem ist die Ausführung am Ende. Ganz praktisch und ganz deutlich: Das für mich negativste Beispiel erleben wir immer, wenn der Europäische Rat mit diesem Thema umgeht. Er beschließt dann eine gute Strategie, gute Inhalte, macht anschließend eine Pressekonferenz, trägt dies vor, und das Ergebnis ist, dass darüber berichtet wird. Am Tag darauf bzw. wenige Tage später im Ecofin-Rat kommen die Finanzminister und kassieren das wieder ein, was im Europäischen Rat beschlossen worden ist. Das ist ein strategisches Grundproblem und ich weiß auch nicht, wie wir damit fertig werden können. Das trägt wesentlich dazu bei, dass die europäische Politik bei den Bürgern zum Teil als unehrlich wahrgenommen wird und die Bürger zunehmend an Europa verzweifeln. Auf diesem Gipfel muss deutlich werden, dass man nicht mit zweierlei Maß messen kann, sondern dass man die strategischen Vorgaben auch in der konkreten Politik umsetzen muss.
Als letzten Punkt möchte ich die Frage der Gesetzesfolgenabschätzung ansprechen, die wir auch in der Entschließung haben. Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir erwarten, dass ein unabhängiger Faktor in die Gesetzesfolgenabschätzung mit aufgenommen wird, damit wir wirklich ein neutrales Ergebnis bekommen. Das gehört auch zum Thema bessere Rechtsetzung. Diese Aufforderung richtet sich an die Kommission.
Harlem Désir (PSE). – (FR) Herr Präsident, 2005 war das erste Jahr der Umsetzung der überarbeiteten Lissabon-Strategie. Die Strategie ist besser bekannt, sie wurde in den Mitgliedstaaten diskutiert, die nationalen Reformprogramme wurden verabschiedet. Das ist ein Fortschritt, aber es ist zugleich auch ziemlich der einzige.
Was den Rest betrifft, so hat der Ratspräsident vorhin kühn behauptet, die Lissabon-Strategie sei neu in Gang gekommen. In Wirklichkeit ist sie wohl eher versandet. Wie Martin Schulz sagte, wird sie behindert durch eine Finanzielle Vorausschau im Kleinstformat, durch ein schwindsüchtiges Wachstum innerhalb des Euro-Währungsgebiets sowie durch krasse Investitionsdefizite auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene in Forschung und Entwicklung, in Hochschulen und lebenslange Bildung. Ebenso sind die transeuropäischen Netze noch weit von ihrer Vollendung entfernt, die erneuerbaren Energien und die Biotechnologie werden in unseren Investitions- und Forschungsanstrengungen nach wie vor stiefmütterlich behandelt.
Wir sollten einen Gang zulegen, wie Sie sagten, Herr Barroso. Legen wir den ersten Gang ein, das wäre schon mal nicht schlecht, möchte ich Ihnen antworten! Damit die Lissabon-Strategie ein Erfolg wird, braucht sie die entsprechenden Mittel, eine schlüssige Finanzielle Vorausschau, klar definierte Prioritäten, Investitionen auf der Ebene jedes einzelnen Mitgliedstaats, einen makroökonomischen Rahmen, der wirklich das Wachstum fördert.
Aber sie braucht auch Akzeptanz bei den Bürgern, das haben Sie angesprochen, Herr Präsident. Die Akzeptanz der Wachstumsstrategie, die die Europäische Union beschlossen hat, ist eine Voraussetzung für ihren Erfolg. Deshalb wäre es ein doppelter Fehler, würde man auf die soziale Dimension dieser Strategie verzichten und sich in eine ungebremste Liberalisierung, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, die Demontage der sozialen Rechte und der öffentlichen Dienstleistungen hineinziehen lassen. Damit würde man die Grundlagen der künftigen Wettbewerbsfähigkeit der Union schwächen und sich von dem Europa der Spitzenleistungen sowie gleichzeitig von den Bürgern und der Politik der Europäischen Union abwenden.
Das Soziale ist nicht der Feind der Wettbewerbsfähigkeit! Den nordischen Ländern ist es, wie wir in dieser Debatte oft unterstrichen haben, gelungen, erfolgreiche Reformen durchzuführen, weil sie sie ausgehandelt und nicht nur mit einer neuen wirtschaftlichen Flexibilität und wichtigen Gegenleistungen für die Arbeitnehmer im sozialen Bereich, auf dem Gebiet der lebenslangen Bildung und des Schutzes der Rechte ergänzt haben, sondern auch mit gemeinsamen Investitionsanstrengungen im Bereich Forschung und Innovation. Das setzt allerdings die Beibehaltung eines hohen Niveaus der Umverteilung und der Abgaben, sowohl in steuerlicher als auch in sozialer Hinsicht voraus. Ebenso hat Deutschland seine Spitzenleistungen im Export wieder erreicht und wie auch andere Länder der Europäischen Union den Nachweis erbracht, dass man selbst mit hohen Lohnkosten und mit einem Sozialschutzsystem, das zu den leistungsfähigsten Europas und den besten der Welt gehört, seinen Platz im internationalen Wettbewerb behaupten kann.
Wir sollten uns also nicht länger auf den globalen Wettbewerb berufen, um das europäische Sozialmodell zu verteufeln. Berufen wir uns lieber darauf, um mehr in die Trümpfe Europas zu investieren, in das Humankapital, in Forschung und Innovation.
Wesentliche Voraussetzungen für die Ankurbelung des Wachstums sind heute die Stärkung der Binnennachfrage, das Vertrauen der Verbraucher, die Belebung der Kaufkraft sowie eine gerechtere Verteilung der Einkommen und des Mehrwertes zwischen Aktionären und Arbeitnehmern.
Lassen Sie mich abschließend sagen, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, dass man den Europäischen Rat an zwei Punkten messen wird: daran, welche Lehren er aus dem Parlamentsvotum zur Dienstleistungsrichtlinie ziehen wird – es darf keine Rückkehr zu Bolkestein geben! – und zweitens an der Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedsländern der Union. Es ist Zeit, ihnen diese grundlegende Freiheit zuzugestehen!
(Beifall)
Paolo Costa (ALDE). – (IT) Herr Präsident, Herr Barroso, Herr Winkler! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, dass die Europäische Union ihr Gewicht in die Waagschale wirft, damit das Ganze mehr Wert bekommt als die Summe der einzelnen Teile, und dass sie Forschung und Entwicklung fördern will, um das Potenzial der Unternehmen freizusetzen, die Entfaltung und die bestmögliche Nutzung der Qualität der Arbeitskraft zu fördern und Maßnahmen zur Sicherstellung der Energieversorgung zu ergreifen – doch all das ist von einer Grundvoraussetzung abhängig: Der europäische Mehrwert kann nur voll zum Tragen kommen, wenn er durch die Arbeit einer wirklich vereinigten europäischen Wirtschaft und Gesellschaft geschaffen wird und wenn die Ergebnisse durch die „Kerntätigkeit“ der Europäischen Union erzielt werden.
Die Schaffung eines Binnenmarkts und einer Gemeinschaft, die ihre vielfältigen kulturellen Identitäten gesellschaftlich und politisch geeint zur Geltung bringt, ist ein äußerst wichtiger Faktor: ohne die physische Integration Europas, ohne Verkehrsinfrastruktur und Dienstleistungen, die Mobilität und Erreichbarkeit von jedem Punkt „a“ in der Union zu jedem Punkt „b“ gewährleisten, gibt es keinen Binnenmarkt und keine europäische Gesellschaft, die ihr gesamtes Potenzial zu entfalten vermag.
Dieses Ziel darf angesichts der neuen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, nicht als gleichsam überholt betrachtet werden, denn es ist eine wesentliche Vorbedingung: Es gibt keine Forschung ohne die Möglichkeit direkter Kontakte; es gibt kein effektives Unternehmenspotenzial, wenn die Märkte nicht integriert sind. Dies ist eine Grundbedingung, die zu schaffen wir vor einem Jahr mit der in diesem Hohen Haus angenommenen Entscheidung Nr. 884/2004/EG feierlich versichert haben, indem wir uns verpflichteten, das transeuropäische Verkehrsnetz schnellstmöglich bis 2020 zu vollenden.
Leider ist – im Gegensatz zu dem ursprünglichen Vorschlag – in der Mitteilung der Kommission von diesem Ziel oder von dem, was im vergangenen Jahr geschah, als von ihr sachliche Überlegungen angestellt und wir in diese Richtung gewiesen wurden und auch die Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, das Gleiche zu tun, keine Rede mehr. Nimmt man die Vorschläge des Rates zur drastischen Haushaltskürzung für diesen Bereich hinzu, wodurch die Verwirklichung dieses Ziels quasi unmöglich wird oder zumindest in die weite Ferne rückt, so bedeutet das für uns Alarmstufe Rot.
Meinem Eindruck nach stellt die Intervention des Parlaments auf jeden Fall einen Versuch zur Bestärkung seiner Entschlossenheit sowie eine Aufforderung an alle Akteure dar, dafür zu sorgen, dass die Vollendung des transeuropäischen Verkehrsnetzes auch Wirklichkeit wird.
Ich richte heute den ernsten Appell an Sie, unbedingt einen schwerwiegenden politischen Fehler zu vermeiden: einen ganz und gar politischen Fehler, denn nach der Entscheidung 884/2004 wurden in Europa geistige, politische und finanzielle Kräfte freigesetzt und riesige Erwartungen im Hinblick auf die beabsichtigte Fortführung des TEN-Projekts ausgelöst. Es gibt keinen Flecken in Europa, wo nicht über die TEN gesprochen wird. Heute jedoch ist das eines der Ziele, die in jenem Plan D, mit dem die Kluft zwischen den Interessen der Europäischen Union und denen ihrer Bürger überwunden werden soll, nicht vorgesehenen sind – und demnach nicht entsprechend unterstützt werden.
Wenn wir unsere Versprechen nicht halten und diese Erwartungen nicht erfüllen, werden die Auswirkungen wesentlich schlimmer und gravierender sein, als wenn wir versuchen, das europäische Projekt gemeinsam voranzubringen. Ich hoffe, diese Idee setzt sich nicht durch und es gelingt uns, die verheerenden Folgen, die eine eventuelle Unterbrechung des Projekts für die Erwartungen vieler europäischer Bürger haben könnte, abzuwenden.
Bernat Joan i Marí (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Wenn wir wollen, dass Europa zur wettbewerbsfähigsten wissensgestützten Wirtschaft der Welt wird, müssen wir Investitionen in Bildung sowie in Forschung und Entwicklung fördern. Leider wandert ein Großteil unserer europäischen Forscher gegenwärtig in die USA aus. Im heutigen Europa hat ein Forscher die besten Erfolgsaussichten an einer der führenden amerikanischen Universitäten. Wir müssen mit den USA konkurrieren und uns um bessere Strategien bemühen, damit unsere Forscher in der Europäischen Union bleiben.
Ein Europäischer Forschungsraum muss geschaffen werden, um neue Möglichkeiten zu erproben, wie wir die Situation im Forschungsbereich unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Zielsetzungen unserer Forscher verbessern können. Meines Erachtens müssen wir eine Verbindung zwischen der Lissabon-Strategie und dem Bologna-Prozess herstellen, damit unsere Hochschulsysteme und unsere wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele sinnvoll miteinander verknüpft werden können.
Wenn wir die derzeitigen nationalen und überstaatlichen Instrumente für Bildung sowie Forschung und Entwicklung nicht optimieren, dann wird sich die so genannte Lissabon-Strategie als großer Misserfolg erweisen.
Helmuth Markov (GUE/NGL). – Herr Präsident! Selbstverständlich sind die Ziele der Lissabon-Strategie – 20 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, eine jährliche durchschnittliche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 3% und die Anhebung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3% – richtig, aber, Herr Lehne, das Problem ist nicht die Zielstellung, das Problem ist tatsächlich die Strategie, mit der man das erreichen will.
Schauen wir uns die heutigen Realitäten an: Wir liegen bei durchschnittlich 1,5% Wirtschaftswachstum, wir haben nur etwa ein Viertel der erhofften neuen Arbeitsplätze geschaffen – und das sind sehr schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Das ist das Grundproblem. Seit sechs Jahren wird dieser Kurs so weitergeführt. Auch die Leitlinien, die letzthin verabschiedet wurden und die jetzt auch in den nationalen Plänen umgesetzt werden, tragen genau diese Handschrift.
Schauen Sie doch einmal hin: Die Produktivitätsgewinne explodieren in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union! Und die Lohnzuwächse? Die bleiben auf demselben Niveau! Wie wollen Sie denn die Binnennachfrage stärken? Es wird immer so getan, als seien Sozialleistungen etwas Negatives für eine Volkswirtschaft. Sind sie nicht! Sie sind etwas Gutes! Hohe Löhne bringen letztendlich auch Wirtschaftswachstum! Das erfordert aber ein politisches Umdenken.
Was wir eben nicht brauchen, ist permanente Liberalisierung, Privatisierung. Wir brauchen den Wettbewerb. Aber wir brauchen den Wettbewerb um hohe Sozialstandards, um hohe Umweltstandards. Wir brauchen das Verständnis, dass die Güter, die wir produzieren, entsprechend den internationalen Arbeitsnormen zu produzieren sind. Das brauchen wir! Dann haben wir eine Chance, die Lissabon-Strategie tatsächlich zu dem Ziel zu führen, das wir erreichen wollen. Und nicht, indem man permanent die Sozialleistungen abbaut, um den Unternehmen noch mehr Freiheit zu geben. Das ist der falsche Weg!
(verhaltener Beifall)
Johannes Blokland (IND/DEM). – (NL) Herr Präsident! Jedes Jahr im März führen wir hier eine Aussprache zur Vorbereitung des Frühjahrsgipfels, und seit 2001 diskutieren wir dabei über die Frage, weshalb der Lissabon-Prozess den gesetzten Zielen nicht gerecht wird. In dem Bericht Kok aus dem Jahr 2004 wird diese Frage klar beantwortet: die Mitgliedstaaten müssen ihre Verantwortung übernehmen und sich an die Aufgabe machen, ihre Wirtschaft und ihren Sozialstaat gründlich zu reformieren, wodurch Spielraum für nachhaltiges Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze entsteht. Da sich jetzt wieder ein Wirtschaftswachstum abzeichnet, drohen die notwendigen Reformen auf die lange Bank geschoben zu werden, aber Wachstum alleine reicht nicht aus, um unser Sozialmodell aufrechterhalten zu können.
Kann die Frau Kommissarin Aufschluss darüber geben, was die Kommission unternimmt, um eine solche Gefahr zu bannen und die Schlussfolgerungen des Berichts Kok umzusetzen? Hoffentlich wird auch die Denkpause besprochen werden, denn dies ist dringend erforderlich. Offensichtlich ist Europas Elite nicht imstande, über die Zukunft der EU zu sprechen, ohne durch eine abgelehnte Verfassung unter Druck gesetzt zu sein. Neun Monate Denkpause sollten für erste Folgemaßnahmen eigentlich genügen.
Wojciech Roszkowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Es ist wirklich eine Schande, dass die hochtrabenden Worte von der Umsetzung der Lissabon-Strategie nichts als Worte sind.
Bei der Lissabon-Strategie geht es hauptsächlich um die Wettbewerbsfähigkeit der Union. Wir alle wissen, dass für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit vor allem eine höhere Produktivität erforderlich ist, die wiederum Arbeitsplätze gefährdet. Diese Gefahr besteht nicht, wenn die infolge höherer Produktivität steigenden Einnahmen hoch genug sind und dieser Anstieg nicht auf einzelne Länder beschränkt bleibt, sondern auch integrierte Volkswirtschaften wie die der EU betrifft.
Zur Erhöhung der Produktivität bedarf es jedoch nicht nur des technischen Fortschritts, sondern auch der Verlagerung der Produktion von Standorten mit höheren Produktionskosten an Standorte mit niedrigeren Kosten. Der daraus resultierende Anstieg bei den Einnahmen wird allen in der Union zugute kommen. Andernfalls drohen Stagnation und eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit, denn die Welt steht nicht still. Wir müssen uns deshalb entscheiden, ob wir Stagnation wollen oder ein Risiko, das sich bezahlt machen könnte.
Wir sollten die Lissabon-Strategie nicht fürchten, denn sie ist eine Chance für uns alle.
Alessandro Battilocchio (NI). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche im Namen der Neuen Sozialistischen Partei Italiens. Unserer Auffassung nach waren die Maßnahmen zur Erreichung der Lissabon-Ziele – Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit – dürftig und unklar.
Wir brauchen mehr Unterstützung für die kleinen und mittleren Unternehmen – das Rückgrat unserer Industrie – und demnach einen besseren Zugang zu Krediten, europäischen Finanzierungsmöglichkeiten und Forschungs- und Technologieprogrammen; wir brauchen einen wirksameren Schutz der hochwertigen europäischen Industrie vor unlauterem internationalen Wettbewerb, wobei ich vor allem an die Textil- und die Nahrungsmittelindustrie denke.
Es ist ein Energieprogramm vonnöten, das die Europäische Union aus ihrer Abhängigkeit von der gegenwärtigen geopolitischen Instabilität befreit, und es gilt, neuen Energieträgern größte Aufmerksamkeit zu widmen, um eine nachhaltige und ökologisch vertretbare Entwicklung zu gewährleisten.
Es muss konkret in Bildung und Ausbildung, Forschung und Innovation investiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Produktionsverfahren zu sichern. Und schließlich muss unsere wichtigste Ressource – die Arbeitnehmer und das Humankapital – bewahrt werden.
Wir dürfen nicht zulassen, dass den Arbeitsplätzen und dem Wohlstand unserer Bürger weniger Bedeutung beigemessen wird als den Marktgesetzen und dem Welthandel. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Industrie den Arbeitnehmern zu Diensten sein muss und nicht umgekehrt.
Marianne Thyssen (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident, meine Herren Präsidenten, werte Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise pflege ich keine Komplimente zu machen, bei dieser Aussprache fände ich es jedoch wirklich unangebracht, den Ko-Berichterstattern Lehne und Goebbels keine Anerkennung auszusprechen. Sie verdienen unsere Glückwünsche für den von ihnen ausgearbeiteten Entschließungsantrag, der mehr als zufriedenstellend ist und der unsere uneingeschränkte Zustimmung findet.
Als Koordinatorin meiner Fraktion in der Lissabon-Lenkungsgruppe möchte ich selbstverständlich auch die Fraktionskollegen, von denen die notwendigen Anstöße gekommen sind, in meine Dankesworte einbeziehen. Gegenüber dem Vorjahr ist unsere Debatte im Plenum wesentlich konstruktiver verlaufen, was hoffentlich für die erwartete Umsetzung der revidierten Strategie für Wachstum und Beschäftigung selbst ein gutes Omen bedeutet.
Die Halbzeitbilanz trägt offensichtlich Früchte, die Mitgliedstaaten scheinen mitzumachen, und den Mutigsten unter ihnen möchte ich Beharrlichkeit wünschen, während ich den anderen den Mut wünsche, sich überzeugen zu lassen, ebenfalls erste Schritte zu unternehmen bzw. schneller voranzugehen. Selbstverständlich tragen wir als europäische Institution jedoch auch eine Verantwortung, und in diesem Zusammenhang begrüße ich die Absicht sowohl der Kommission als auch der Ratspräsidentschaft, die Dienstleistungsrichtlinie unter Wahrung des schwierigen Gleichgewichts, das wir nach mühsamer Arbeit in diesem Hause erzielt haben, zügig umzusetzen.
Wir wissen, welcher Art und wie groß die Herausforderung ist, vor der Europa steht. Wir erfreuen uns einer guten Lebensqualität in Europa und wollen, dass dies auch so bleibt; damit jedoch unser Traum in Erfüllung geht und wir unseren Wohlstand und unser so genanntes Sozialmodell aufrechterhalten können, müssen wir zu einem wettbewerbsfähigen global player werden.
Ich könnte es nicht besser formulieren als gestern der deutsche Bundespräsident: wir müssen um so besser werden, je teurer wir sind. Wir müssen unsere Unruhe in Kreativität umsetzen, und wir müssen darauf vertrauen, dass wir das Potenzial zur Verwirklichung unserer ehrgeizigen Ziele nur durch Veränderungen bewahren können. Wir wissen, was es für uns zu tun gilt, und wir sollten uns in allen Bereichen dementsprechend verhalten, denn wir haben keine andere Wahl.
Poul Nyrup Rasmussen (PSE). – (EN) Herr Präsident! Der Vorsitzende meiner Fraktion, der PSE-Fraktion, hat gesagt, dass wir jetzt aktiv werden müssen. Es ist an der Zeit zu handeln. Darauf möchte ich näher eingehen. Bekanntlich ist das Wirtschaftswachstum leicht gestiegen, doch mit 2,2 % anstelle eines durchschnittlichen jährlichen Wachstums von 2,1 % werden nicht genügend Arbeitsplätze geschaffen, um unsere Arbeitslosenquote von 19,5 Millionen deutlich zu senken. Ich stimme daher grundsätzlich mit Präsident Barroso und dem Ratsvorsitzenden überein. Wir benötigen mehr Wachstum.
Zwei kurze Fragen möchte ich stellen. Nummer eins betrifft die Investitionen. Herr Kommissionspräsident, sehen Sie für die bevorstehende Tagung des Europäischen Rates eine Zusammenkunft der Regierungen vor – womöglich sind wir laut Vertrag nicht in der Lage und befugt, sie dazu zu zwingen –, um eine Art Regierungsvereinbarung zu schließen, damit in den kommenden zwei oder drei Jahren in die in Ihren Dokumenten und Empfehlungen vorgeschlagenen Zielsetzungen investiert wird? Wenn Sie dies in Betracht ziehen könnten, würde ich mich sehr freuen, denn es wäre ein weiterer Schritt in Richtung einer koordinierten Investitionsstrategie.
Zweitens habe ich es begrüßt, dass der Rat „Beschäftigung“ auf Grundlage der Kommissionsvorschläge eine Entscheidung zum Thema Sicherheit durch Flexibilität getroffen hat. Herr Ratspräsident, gehen Sie davon aus, dass mit den Schlussfolgerungen nicht nur Flexibilität, sondern auch zeitgemäße Sicherheit gewährleistet werden kann? Die französische Regierung konzentriert sich in meinen Augen nur auf Flexibilität, und ich habe gesehen, wie die jungen Menschen darauf reagiert haben. Es muss daher unbedingt beides sichergestellt werden. Über eine Antwort würde ich mich freuen, und wenn Sie uns diese Antwort heute erteilen könnten, wäre es rechtzeitig und sinnvoll.
Es ist an der Zeit zu handeln, und ich hoffe, dass wir mit geeinten Kräften vorgehen werden. Ich werde innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Europas mein Möglichstes tun, und ich weiß, dass mein Kollege, unser Fraktionsvorsitzender, alles in seiner Macht Stehende unternehmen wird, um Ergebnisse zu erzielen, denn die Zeit ist jetzt reif und die Menschen erwarten es von uns.
Nils Lundgren (IND/DEM). – (SV) Herr Präsident! Gestatten Sie mir einige Gedanken zur gesamten Lissabon-Agenda. Meines Erachtens basiert sie auf einem Missverständnis bezüglich der Entwicklung der Wirtschaft – und auch der menschlichen Kulturen – im Laufe der Geschichte.
Historisch gesehen gab es eine Zeit – Ende des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts –, in der Europa die dynamischste wissensbasierte Region der Welt war. Es begann mit Veränderungen in Großbritannien, darunter der Rechtsvorschriften zu wirtschaftlichen Fragen und der Abschaffung des Zunftwesens. Dabei wurden riesige und rasche Fortschritte erzielt, die sich mit unglaublicher Geschwindigkeit in großen Teilen der Welt verbreiteten. Auch andere Länder begannen mit der Verwendung von Dampfmaschinen und der Spinning Jenny. So vollzieht sich Entwicklung.
Die Vorstellung, es gäbe heutzutage ungewöhnlich kluge Menschen, die im Detail wüssten, welche Maßnahmen in den europäischen Ländern ergriffen werden müssen, um Europa in eine dynamische wissensbasierte Region zu verwandeln, ist völlig falsch. Die Länder versuchen selbst, voranzukommen, indem sie einander mit Argusaugen beobachten und konstruktive Lösungen nachahmen. So vollzieht sich Entwicklung. So weiterzumachen wie bisher, führt uns in die falsche Richtung. Wir sollten uns in der Europäischen Union mit wesentlichen Fragen befassen.
Françoise Grossetête (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident! Der bevorstehende Frühjahrsgipfel muss eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit finden, einschließlich der umwelt- und energiepolitischen Herausforderungen, den Erwartungen unserer Jugend nachkommen und die Bedürfnisse der ständig wachsenden Zahl älterer Menschen berücksichtigen. All das setzt entsprechende Infrastrukturen voraus. Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel, und das beunruhigt unsere Mitbürger. Wir müssen sie also begleiten und uns auf die Schwierigkeiten der nächsten Jahrzehnte einstellen.
Der Wohlfahrtstaat der 80er Jahre ist nicht mehr die Antwort. Wir müssen Flexibilität und Sicherheit miteinander in Einklang bringen und neue Wege finden, um der Beschäftigung Vorrang einzuräumen und unseren Mitbürgern das Vertrauen in ihre Politiker, in das sich organisierende Europa zurückzugeben. Dieses Vertrauen würde das Wachstum spontan ankurbeln und die Geburtenrate steigern. Die Geburtenrate ist ein gutes Barometer für den Zustand unserer Gesellschaft. Dieses Vertrauen würde dazu beitragen, die Zuwanderung als eine große Chance zu betrachten und würde die Privatinitiative freisetzen und fördern, anstatt sie zu hemmen. Dieses wiedergefundene Vertrauen würde es ermöglichen, unsere Wissenschaftler besser auszubilden und im Lande zu halten, was auch einer erfolgreicheren Wissensgesellschaft zugute kommen würde. Wenn man jedoch sieht, was mit Erasmus passiert, muss man sich wirklich Sorgen machen! Ein Europa schließlich, das keine Tabus kennt, das den Mut hat, über die Nuklearenergie und die energiepolitische Unabhängigkeit zu sprechen. Es gäbe noch zahlreiche Beispiele.
Was nützen aber alle Reden, wenn man nicht über entsprechende Haushaltsmittel verfügt? Man sagt uns heute, Herr Kommissionspräsident, es müsse zwischen den großen transeuropäischen Netzen und Galileo eine Wahl getroffen werden. Ist das denn möglich? Ich sage „nein“. Wir brauchen Galileo, und wir müssen den Binnenmarkt mit besseren Kommunikationsmitteln vollenden. Gestatten Sie mir, hier ein Wort zugunsten des Projekts der Eisenbahnverbindung Lyon-Turin zu sagen.
Ich möchte also nicht, dass heute Vormittag zum x-ten Mal über die Lissabon-Strategie geredet wird. Immer nur Worte! Es ist jetzt an der Zeit, zu Taten überzugehen! Nur Mut, meine Herren Regierungschefs! Die Strategie von Lissabon ist das einzige Mittel gegen alle Formen von nationalem Protektionismus.
Jan Andersson (PSE). – (SV) Herr Präsident! In dieser kurzen Minute werde ich mich auf einen von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament eingebrachten Änderungsantrag konzentrieren, in dem wir den von den Regierungschefs aus sechs Ländern vorgeschlagenen Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter begrüßen.
Wir schlagen Maßnahmen auf drei Gebieten vor. Erstens wollen wir das Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt verringern, zweitens die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern und drittens die Gleichstellungsproblematik in alle Politikbereiche einbeziehen.
Bei diesem Gleichstellungspakt geht es nicht um die Schaffung eines neuen Prozesses, sondern um die Verstärkung der bereits vorhandenen, beispielsweise des Lissabon-Prozesses, damit die Zielsetzungen nachhaltige Entwicklung, Vollbeschäftigung und soziale Gerechtigkeit erreicht werden können. Dabei sind die Ziele im Zusammenhang mit der Kinderbetreuung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie von besonderer Bedeutung.
Timothy Kirkhope (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Auf der bevorstehenden Ratstagung in diesem Monat werden die Regierungen der Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben zu bekräftigen, dass die dringend benötigten Reformen noch mehr als bisher beschleunigt werden müssen.
Meines Erachtens sollte sich der Rat in seinen Schlussfolgerungen zu zwei Themen klar und deutlich äußern. Angesichts des im Januar vorgelegten Kommissionsdokuments „Jetzt aufs Tempo drücken“ ist dies sicher nicht die Zeit, in der den Fahrern das Benzin ausgehen sollte. Es freut mich, dass Herr Barroso offensichtlich Super getankt hat, was hoffentlich auch noch lange so bleibt, doch es ist nicht hinzunehmen, dass uns die einzelstaatlichen Regierungen mit einer Welle von protektionistischer Rhetorik und protektionistischen Maßnahmen überschwemmen. Es ist erstaunlich, dass es in der Europäischen Union immer noch Regierungen gibt, die sich einem überholten protektionistischen Gedankengut sowie Wirtschafts- und Industriepatriotismus verschrieben haben.
Ich begrüße die Stellungnahme der Kommission, in der diese Tendenz verurteilt wird. Mit Freude nehme ich die jüngsten Anmerkungen des deutschen Wirtschaftsministers zur Kenntnis, der erklärte, dass wir keinen industriellen Patriotismus gebrauchen können und dass ausländische Investoren nicht nur toleriert, sondern mit offenen Armen empfangen werden sollten. Der Himmel stehe uns bei, wenn die von den Regierungen vorgelegten nationalen Reformpläne auch nur ansatzweise den Plänen der Regierung des Vereinigten Königreichs gleichen sollten.
Die Protektionismusdebatte trifft den Kern der Debatte über die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Die Strategien der jüngsten Zeit haben hier keinen Platz. Die Zeit diplomatischer Nettigkeiten ist vorüber. Wir müssen den kleinen und mittleren Unternehmen Gehör verschaffen.
Das vom Parlament verabschiedete Kompromisspaket zur Dienstleistungsrichtlinie muss von den Regierungen noch verbessert werden. Wir haben zwar Fortschritte erzielt, doch das reicht nicht aus. Der Rat muss sich im Zusammenhang mit der Doha-Runde zügeln und sich energischer um Welthandelsabkommen bemühen.
Ich befürchte, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Den Europäischen Rat bitte ich eindringlich, dieselbe Tatkraft und Entschlossenheit wie Präsident Barroso an den Tag zu legen. Ich fordere ihn auf, bei der bevorstehenden Tagung in diesem Monat die üblichen Ausweichmanöver zu vermeiden und wahre Führungsqualitäten unter Beweis zu stellen. Dann können wir ihn an seiner Entschlossenheit messen und unser Urteil sprechen.
Maria Berger (PSE). – Herr Präsident! Wenn selbst Herr Kollege Poettering in seinem Eingangsstatement heute die Vertretung der österreichischen Präsidentschaft – konkret die Abwesenheit von Bundeskanzler Schüssel – kritisieren musste, dann hat diese Abwesenheit vielleicht auch damit zu tun, dass die Botschaft, die uns die österreichische Präsidentschaft zu überbringen hatte, eine äußerst bescheidene und unzureichende ist. Diese undankbaren Aufgaben überlässt man dann gerne anderen.
Die Botschaft ist bescheiden und unzureichend im Hinblick auf die Ziele, insbesondere bei der Reduzierung der Arbeitslosigkeit, wenn wir uns das Ausmaß der Arbeitslosigkeit und unsere ursprüngliche Zielsetzung im Lissabonner Prozess vor Augen halten, sowie bescheiden, unzureichend und falsch bei den Mitteln – mit Strukturreformen alleine werden wir selbst diese bescheidenen Ziele nicht erreichen.
Die Union und die Mitgliedstaaten müssen zusätzliches Geld in die Hand nehmen. Ohne Geld keine Musik – auch das haben wir von Mozart gelernt.
Jacek Emil Saryusz-Wolski (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Eine unsichere Erdgas- und Erdölversorgung ist eine schlechte Voraussetzung für das in der Lissabon-Agenda festgelegte Ziel einer wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft. Dasselbe trifft auf einen unterschiedlichen Zugang zur Energie und auf eine ungleiche Energieversorgungssicherheit zu. Dies widerspricht den Gesetzen des Binnenmarktes und den Wettbewerbsgrundsätzen. Es ist daher zu begrüßen, dass die Energieversorgungssicherheit zu den Prioritäten des Vorsitzes und der Kommission gehört.
Es ist höchste Zeit, dass die Union in diesem Bereich konkrete Maßnahmen ergreift. Die Energieversorgungssicherheit ist für die Wirtschaftstätigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft insgesamt von entscheidender Bedeutung. Wie wir vor kurzem gesehen haben, wird Energie in einigen Fällen auch als Waffe der politischen Einflussnahme eingesetzt. Sie sollte daher auch im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik berücksichtigt werden.
Die jüngsten Energieversorgungsprobleme machen unsere Schwächen, unsere Verletzbarkeit und unsere Abhängigkeit von Dritten deutlich. Die Union muss daher dringend eine wirkliche Energiesicherheitspolitik ausarbeiten. Wenn wir den Binnenmarkt und die Lissabon-Agenda ernst nehmen, dann sollten wir den Wirtschaftsteilnehmern und den Bürgerinnen und Bürgern den gleichen Zugang zu Energie und die gleiche Versorgungssicherheit ermöglichen. Die Maßnahmen der Ratspräsidentschaft und vor allem das Grünbuch der Kommission sind ein – wenngleich zu zaghafter – Schritt in die richtige Richtung.
Solidarität bildet einen der Hauptpfeiler des europäischen Einigungswerks; sie verpflichtet zur Unterstützung aller Staaten, die sich in Schwierigkeiten befinden. Wir müssen diesen Solidaritätsgrundsatz auf Probleme im Zusammenhang mit Energieversorgungsengpässen ausweiten, die auf politische Maßnahmen zurückzuführen sind. Für die Sicherheit der externen Energieversorgung benötigen wir Zusammenarbeit und Solidarität und nicht Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten.
Die Energiesicherheit hat auch einen finanziellen Aspekt: Die stärksten Kürzungen in der vom Rat angenommenen Finanziellen Vorausschau wurden bei den transeuropäischen Energienetzen vorgenommen. Im Rahmen des Haushaltstrilogs muss diese Situation bereinigt werden, damit unsere Prioritäten nicht nur Theorie bleiben.
Zudem bildet die Energiesicherheit einen der Eckpfeiler der Nachbarschaftspolitik. Eine enge Zusammenarbeit im Bereich der Energiesicherheit ist unabdingbar und gehört zu den wirksamsten vertrauensbildenden Maßnahmen sowohl unionsintern als auch zwischen der Union und ihren Nachbarstaaten.
Gary Titley (PSE). – (EN) Herr Präsident! Für die Frühjahrstagung gibt es drei Prioritäten: Handeln, Handeln, Handeln: Wir müssen handeln, weil mehr als ein Drittel unserer Erwerbsbevölkerung keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, was eine Schande ist. Man kann sich nicht der Globalisierung öffnen und gleichzeitig unzählige Bürgerinnen und Bürger ihrem Schicksal überlassen. Wir benötigen vorwärtsgerichtete Arbeitsmärkte.
Außerdem müssen wir in Bezug auf die Umsetzung der Rechtsvorschriften durch die Mitgliedstaaten handeln: Viel zu viele Mitgliedstaaten setzen Rechtsvorschriften nicht um, obwohl sie sich dazu verpflichtet haben, und diese Situation ist ganz einfach unhaltbar.
Schließlich ist es 13 Jahre nach Einführung des Binnenmarktes endlich an der Zeit zu akzeptieren, dass es einen europäischen Binnenmarkt gibt, der europäische und nicht einzelstaatliche Spitzenleistungen erfordert.
Wir sollten also weniger über diese Tagung sprechen und mehr Pläne für konkrete Maßnahmen vonseiten der Mitgliedstaaten fordern. Lassen Sie uns handeln und nicht reden!
Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Gegenstand dieser Aussprache ist der Frühjahrsgipfel, wozu uns ein stattlicher Entschließungsantrag mit großartigen Empfehlungen vorliegt. Dem europäischen Bürger werden nämlich noch immer mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze verheißen, doch sollten wir uns nicht hinters Licht führen lassen, denn Papier ist geduldig. Wenn die Staats- und Regierungschefs nächste Woche nach dem Gipfel wieder in ihre Hauptstädte zurückkehren, müssen sie auch die in Lissabon festgelegte Eigenverantwortlichkeit berücksichtigen, denn die Entscheidung darüber, dass tatsächlich neue Arbeitsplätze geschaffen werden, liegt letzten Endes bei den Mitgliedstaaten zusammen mit den Sozialpartnern und den Politikern auf nationaler und regionaler Ebene.
Die Botschaft an die Mitgliedstaaten ist einfach und klar. Der Binnenmarkt muss Wirklichkeit werden, komme was wolle. In den Bereichen Forschung und Entwicklung muss mehr getan werden; die Innovation muss gefördert werden, und die allgemeine und berufliche Bildung muss effizienter gestaltet sowie stärker auf Qualität ausgerichtet sein. Die Lissabon-Strategie besitzt allerdings auch eine soziale Dimension. Wettbewerbsfähigkeit erreichen wir nicht, indem wir an unseren Werten und unseren Grundsätzen der Solidarität mit den Schwächsten, bei der Eigenverantwortlichkeit unserer Bürger, der sozialen Gerechtigkeit oder den Löhnen derartige Abstriche machen, dass wir allmählich auf das Niveau unserer asiatischen Konkurrenten absinken. Das ist nicht die europäische Lösung, die unseren Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen einflößt.
Reformen sind indes notwendig. Auf den demografischen Wandel in Form der Überalterung der Bevölkerung bzw. sinkender Geburtenraten muss eine Antwort gefunden werden. Wir müssen den Mut besitzen, die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme unter die Lupe zu nehmen, denn die demografische Realität wird uns immer schneller einholen. Theoretische Reflexionen über ein unternehmerfreundliches Umfeld oder über lebensbegleitendes Lernen sind sinnlos, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt werden. Es gibt noch eine Menge zu tun.
Die Europäischen Strukturprogramme haben wir so festgelegt, dass Dreiviertel, d. h. 55 Milliarden, auf die Lissabon-Ziele entfallen, und ich stelle fest, dass, sollte kein Geld für diese Programme verfügbar oder sollten die Mitgliedstaaten nicht zu einem Beitrag bereit sein, Wachstum und Arbeitsplätze gemäß der Lissabon-Strategie nicht zu verwirklichen sein werden.
Was die Überalterung bzw. den Bevölkerungsschwund betrifft, müssen bei der Sozialversicherung und der Beschäftigungspolitik entsprechende Anpassungen vorgenommen werden, damit aktive junge und rüstige ältere Menschen ihren Beitrag zu der Gesellschaft der nahen Zukunft, zu Wohlstand und Wohlergehen unserer Bürger leisten können.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Meine Damen und Herren! Heute möchte ich über zwei Probleme sprechen, die ich für die Erreichung der Ziele der Strategie von Lissabon, Wachstum und Beschäftigung, für äußerst wichtig halte. Das erste Problem ist die Vervollkommnung des einheitlichen Binnenmarkts. Es scheint, dass das Konzept der vier Freiheiten, auf denen die Europäische Union beruht, etwas ist, das leider oft nur auf dem Papier existiert. Mit der ersten Lesung der Dienstleistungsrichtlinie haben wir hier im vergangenen Monat einen ganz wichtigen Schritt getan. Ich bin fest davon überzeugt, dass das ein Schritt in die richtige Richtung war, doch möchte ich etwas über die Freizügigkeit von Personen sagen. In dem hier bereits erwähnten Bericht der Europäischen Kommission wird hervorgehoben, dass die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt, nicht nur zwischen den neuen und den alten Mitgliedstaaten, sondern auch innerhalb der ‚alten’ Mitgliedstaaten, noch immer unzureichend ist. Und doch ist es eben diese Mobilität, auf der wirtschaftliches Wachstum beruht. Das zweite Problem ist die Annahme der Finanziellen Vorausschau.
Meine Damen und Herren, sollten wir bis Mitte des Jahres nicht die Finanzielle Vorausschau haben, wird sich Europa einer Krise gegenüber sehen, einer Wirtschaftskrise, einer politischen Krise und auch, so fürchte ich, einer Vertrauenskrise. Ich möchte daher alle drei Institutionen aufrufen, hart an dieser Frage zu arbeiten, sodass die Finanzielle Vorausschau bis Ende Juni, mit anderen Worten, bis zum Ende der österreichischen Vorsitzperiode, wie man so sagt, ‚in Sack und Tüten’ ist
John Bowis (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Zuallererst möchte ich Präsident Mahmud Abbas dafür danken, dass er mir diese unerwartete Gelegenheit gibt, mich an dieser Aussprache zu beteiligen. Ich danke der Stadt Lissabon, dass sie uns die Agenda beschert hat, und ich danke dem Sohn dieser Stadt, der in der ersten Reihe auf der Kommissionsbank Platz genommen hat, dass er sich maßgeblich um die Umsetzung dieser Agenda bemüht. Nichts ist wichtiger für Europa, als sicherzustellen, dass die Lissabon-Agenda erfolgreich sein wird. Auf diese Weise können wir unseren Bürgern neue Hoffnung geben, dass Europa einen Beitrag zu ihrer Zukunft leisten wird und dass wir uns gemeinsam darum bemühen können, dass in anderen Teilen der Welt ebenfalls neue Hoffnung geschöpft werden kann.
Ich möchte auf zwei Aspekte der Agenda hinweisen, die in diesem Entschließungsantrag hervorgehoben werden. Der erste Aspekt ist die Gesundheit der Unionsbürger, denn meines Erachtens ist dies eine Grundvoraussetzung der Lissabon-Strategie. Ohne gesunde Menschen kann es auch keine gesunde Wirtschaft geben. Zunächst müssen wir uns unbedingt mit einigen der Gesundheitsgefährdungen befassen, mit denen wir konfrontiert sind – dazu gehört auch die Möglichkeit einer Grippepandemie – sowie mit Möglichkeiten im Bereich der Gesundheitsvorsorge, wie sie sich gegenwärtig beispielsweise aus der Patientenmobilität ergeben, und diese als Teil der Agenda betrachten.
Wie meine Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt haben, müssen wir uns der Überalterung stellen und dafür sorgen, dass das Alter als Chance und nicht nur als Last gesehen wird. Außerdem müssen wir eine gesunde Umwelt als weitere Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung betrachten. Auch dies ist keine Bedrohung. Den Unternehmen kommen die Möglichkeiten, innovativ zu sein und den Anforderungen aufgrund der für den Schutz unserer Umwelt erforderlichen höheren Standards gerecht zu werden, im internationalen Vergleich zugute. Wir haben die Chance, im Bereich der Nachhaltigkeit, der Innovation, der Umweltsiegel usw. international führend zu sein, und dieser Aufgabe muss sich die Kommission gemeinsam mit dem Parlament meines Erachtens stellen.
Abschließend möchte ich der österreichischen Ratspräsidentschaft meine große Anerkennung für ihre Bemühungen in diesen beiden Bereichen aussprechen, sowohl was die Gesundheit der Menschen als auch eine gesunde Umwelt anbelangt, denn dies wird uns der gesunden Wirtschaft näher bringen, die Lissabon uns allen in sehr naher Zukunft bescheren kann.
Edit Herczog (PSE). – (HU) Herr Präsident! Am 15. März gedenkt Ungarn des Freiheitskampfes und der Revolution von 1848. Rückblickend können wir sagen, dass zu den bleibenden Ergebnissen der Revolution die Veränderungen im Wirtschaftssystem, die Freiheit des Volkes und die weitere Wettbewerbsfähigkeit des Landes zählten.
Heute findet der Wettbewerb nicht mehr zwischen Nationalstaaten, sondern zwischen Kontinenten, auf globaler Ebene, statt. Daher muss auf dieser Ebene auch eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden. Die Europäische Union braucht einen ernsthaften Wandel in ihrer Wirtschaftsphilosophie. Wir müssen endlich von dem überkommenen, unproduktiven Wettbewerb zwischen Mitgliedstaaten zu einem europäischen Binnenmarkt übergehen, der seinen Bürgerinnen und Bürgern den höchsten Grad an Freiheit und Menschenwürde sichert.
Die Strategie von Lissabon ist nicht nur ein Fünf- bis Zehnjahresplan, sondern sie bildet die Grundlage unserer Wettbewerbsfähigkeit und unseres Überlebens für die nächsten 100-150 Jahre. Ich appelliere an den Rat, die Kommission, das Parlament und die Ministerpräsidenten, die sich auf den Frühjahrsgipfel vorbereiten, endlich die Botschaft des 21. Jahrhunderts zu verstehen und zu verwirklichen. Denn das erwarten wir, die europäischen Bürgerinnen und Bürger, von ihnen.
Vito Bonsignore (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im März 2000 entschieden die europäischen Spitzenpolitiker über die Gestalt Europas im Jahr 2010. Sie hatten begriffen, dass die Maßnahmen eines einzelnen Mitgliedstaats noch wirksamer sein würden, wenn sie durch das gemeinsame Handeln der anderen Mitglieder unterstützt würden.
Heute gebieten der zunehmende Wachstumsrückstand Europas gegenüber den USA und Asien sowie die alternde Bevölkerung die dringende Umsetzung der Lissabon-Strategie, um den Zeitverlust wiederaufzuholen. Darüber hinaus können durch den Erlass zusätzlicher Maßnahmen und durch Strukturveränderungen, die innerhalb der Europäischen Union aufeinander abgestimmt werden, bessere Ergebnisse erzielt werden.
Es ist ein rechtzeitiges Eingreifen in den seinerzeit festgelegten Bereichen erforderlich, um Europa für Forscher und Wissenschaftler attraktiver zu machen, den Binnenmarkt zu vollenden bzw. den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zu ermöglichen und einen wirklichen Dienstleistungsbinnenmarkt zu schaffen. Um ein unternehmerfreundlicheres Umfeld zu schaffen, müssen die Empfehlungen der europäischen Taskforce „Beschäftigung“ zügig umgesetzt werden.
Einzelne Mitgliedstaaten haben Fortschritte in einigen dieser Bereiche erzielt, doch keiner von ihnen hat dauerhafte positive Ergebnisse vorzuweisen. Europa muss sich deutlich mehr engagieren und auch Druck auf die einzelnen Mitgliedstaaten ausüben, wenn es seine Ziele erreichen will. Die Mitgliedstaaten wiederum müssen ihre alten nationalen Ansätze aufgeben und mehr Mittel für das europäische Einigungswerk bereitstellen. Wir müssen den Bürgern begreiflich machen, dass die Opfer, die sie heute bringen müssen, durch die Vorteile der Zukunft wettgemacht werden.
Das Europäische Parlament ist ein entscheidender Akteur in der Wachstumsstrategie und bei den Bemühungen um die Gestaltung des neuen Europas. Deshalb muss es bei der Neubelebung Europas zunehmend als Impulsgeber für alle Beteiligten wirken.
Reino Paasilinna (PSE) . – (FI) Herr Präsident! Jetzt haben wir uns mit der Union ganz offensichtlich in die Enge manövriert. Die Mehrzahl der Mitgliedstaaten bremst die Umsetzung der Lissabon-Strategie aus vollkommen egoistischen Gründen, und aus kurzsichtigen noch dazu. Jede Woche verlieren wir beispielsweise bei den Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnik weiter gewaltig an Boden gegenüber den Vereinigten Staaten und Japan. Gleichzeitig verschärfen China und Indien den Wettbewerb mit uns. Wir haben uns vollkommen festgefahren, und wir bewegen uns in keine Richtung.
Die nordischen Länder haben indes ihre hohe Wettbewerbsfähigkeit, ihren Wohlstandsstaat sowie eine umfassende Wissensbasis aufrechterhalten. Das ist jetzt passiert. Ich möchte den Kommissionspräsidenten, Herrn Barroso, fragen, ob er möglicherweise über jene Art von südlichem Temperament verfügt, um denjenigen, die immer noch die mutigen Lösungen fürchten, zu denen wir uns schon vor vielen Jahren entschlossen haben, von unserem Beispiel zu berichten. Es hat uns nicht umgeworfen, und auch der kalte Winter hat uns nicht dazu gebracht, von unserer Linie abzugehen. Mit anderen Worten, es ist möglich – warum denn auch nicht?
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (SV) Herr Präsident! Wenn wir den Lissabon-Prozess erörtern, können wir erkennen, wie die einzelnen Länder darin mehr oder weniger erfolgreich waren. Die Staaten, die Reformen und Veränderungen durchgeführt haben, kommen mit der Globalisierung weitaus besser zurecht und sichern sich eine bessere Wettbewerbsfähigkeit, während diejenigen ohne derartige Reformen weitaus schlechter abschneiden.
Bemerkenswert ist jedoch, wie wenig sich in dieser Hinsicht auf Gemeinschaftsebene getan hat und wie wenig Expansionsraum wir für neue Unternehmen und Märkte geschaffen haben und wie wenig Entwicklungsmöglichkeiten für neue Produkte und Dienstleistungen. Die vordringlichste und übergreifende Aufgabe der Kommission ist die Bekämpfung des neuen Protektionismus, wie er sich unter Regierungen und Politikern in Europa herausbildet. Dieser neue Protektionismus richtet sich gegen die neuen Mitgliedstaaten und die äußere Welt, wo sich die großen Zukunftsmärkte befinden, aber auch gegen die alten Mitgliedstaaten, in deren Beziehungen untereinander er ebenfalls immer mehr anzutreffen ist.
Die wichtigste Aufgabe für eine erfolgreiche Durchführung des Lissabon-Prozesses ist der Kampf gegen diesen Protektionismus, der dem Vertrag sowie all dem zuwiderläuft, wofür die europäische Integration steht. Europa verfügt über hervorragende Potenziale, und dort, wo wir Reformen durchgeführt haben, hatten wir auch Erfolg. Betrachten Sie doch nur den Telekommunikationsmarkt, wo wir am erfolgreichsten sind.
Die Kommission muss jetzt deutlich machen, wie wichtig die Bewahrung des freien Handels ist, der die Basis für den Wohlstand Europas darstellt. Sie sollte die Globalisierung begrüßen, aber vor allem dafür sorgen, dass Maßnahmen ergriffen werden, die mehr neue Unternehmen und neue Arbeitsplätze schaffen. Es müssen die Ergebnisse zählen, nicht die Ziele. Dann können wir Europa eine neue Zukunft geben.
Edite Estrela (PSE). – (PT) Herr Präsident, Herr Barroso! Ich möchte nur kurz auf zwei Punkte eingehen. Um die Ziele von Wachstum und Beschäftigung zu erreichen, muss das Gender Mainstreaming in der Lissabon-Strategie verstärkt werden, speziell in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und in den beschäftigungspolitischen Leitlinien. Wir müssen die Beschäftigungsquote bei Frauen erhöhen, eine aktive Strategie zur Alterung entwickeln und eine Gesellschaft aufbauen, die durch lebenslanges Lernen gekennzeichnet ist.
Der zweite Punkt betrifft die Finanzielle Vorausschau. Es besteht dringender Bedarf an einer interinstitutionellen Vereinbarung. Wir dürfen keine Zeit mehr verschwenden. Der Rat, die Kommission und das Parlament müssen schnell handeln, um zu einer Einigung zu kommen. Die Bürger Europas werden keinen weiteren Aufschub mehr dulden. Jetzt muss die EU „lissabonisiert“ werden und einen Haushalt beschließen, der Wachstum und mehr und bessere Arbeitsplätze für alle fördert, auch für Frauen. Ohne Frauen wird die Lissabon-Strategie kein Erfolg sein.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verspreche, mich möglichst kurz zu fassen. Es wurden sehr viele wichtige und interessante Ausführungen zum Thema gemacht, und ich kann Herrn Poettering und auch Frau Berger versichern, dass der Bundeskanzler trotz seiner Abwesenheit sehr genau verfolgt, was das Europäische Parlament zu sagen hat. Selbstverständlich wird dies auch in der Vorbereitung eine wichtige Rolle spielen. Ich möchte Frau Berger sagen, dass der Umstand, dass ich heute da bin, nicht als ein Mangel an Ambition interpretiert werden darf. Ganz im Gegenteil, die österreichische Präsidentschaft hat den Ehrgeiz, gemeinsam mit der Kommission zu wesentlichen Ergebnissen im Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu kommen.
Ich kann auch Herrn Schulz sagen, dass wir uns selbstverständlich dessen bewusst sind, dass die entsprechenden finanziellen Mittel eingesetzt werden müssen. Es geht nicht nur um europäische Mittel, es geht auch um nationale Mittel. Und es geht um die Qualität und die Effizienz der Mittel. Wir sollten nicht immer nur auf die Höhe der Mittel schauen, wir sollten auch darauf achten, dass die richtigen Mittel an der richtigen Stelle eingesetzt werden.
(EN) Herr Watson, natürlich stimme ich Ihnen zu, dass es viele Themen gibt, mit denen sich der Europäische Rat befassen müsste, doch wenn die Zeit begrenzt ist, kann nicht alles behandelt werden.
Was Ihren Verweis auf Fürst Metternich anbelangt, kann ich Ihnen versichern, dass er uns nicht als Vorbild dient. Wir sehen Europa anders als er es getan hat. Wir wollen nicht, dass fünf große Staaten die restlichen Staaten beherrschen. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass er an der Spitze eines Polizeistaats gestanden hat, und einen solchen wollen wir ebenso wenig.
Zu Frau Harms möchte ich sagen, dass die Nachhaltigkeit selbstverständlich eine ganz große Rolle in der Europäischen Union spielt, und ich darf daran erinnern, dass die Nachhaltigkeitsstrategie bis Mitte des Jahres 2006 überarbeitet werden soll. Ich kann Ihnen versichern, dass die Nachhaltigkeit auch in allen Bemühungen des Rates und der Kommission selbstverständlich eine wichtige Rolle spielt.
Ein Wort noch zu Herrn Bonde. Ich möchte doch mit allem Nachdruck die Ansicht zurückweisen, dass die Staaten, die in Ausübung ihrer souveränen Rechte das Ratifikationsverfahren für den Verfassungsvertrag fortsetzen wollen, illegal handeln.
(Beifall von rechts)
Ich verweise auf den Beschluss des Europäischen Rates vom Juni, mit dem die Reflexionsperiode verfügt worden ist, wo ausdrücklich gesagt wurde, dass nicht infrage gestellt wird, dass die Fortsetzung des Ratifikationsprozesses gerechtfertigt ist.
Ich glaube, dass auch der Rat mit vollem Tempo an der Umsetzung der uns gesetzten Ziele arbeitet.
(EN) Es ist schon möglich, Herr Kirkhope, dass der Rat im Unterschied zum Kommissionspräsidenten nicht mit Superbenzin fährt. Womöglich orientieren wir uns am Zeitgeist und fahren eher mit Biodiesel.
Es wurde in diesem Zusammenhang von mehreren Rednern auch die Initiative der Kommission für eine bessere Rechtsetzung erwähnt. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders dem hier anwesenden Kommissar Verheugen danken und ihn ermutigen, mit dieser Initiative fortzufahren, denn das ist eine Art von Initiative, die auch unsere Bürger verstehen und die auch die Europäische Union wieder näher an die Bürger heranbringt.
Herr Rasmussen und andere haben die Frage der „Flexicurity“ erwähnt. Ich kann hier bestätigen und betonen, dass es hier um Flexibilität durch Sicherheit als ein übergreifendes Paradigma für Reformen im arbeits- und sozialpolitischen Bereich geht. Selbstverständlich geht es hier um die Erreichung eines ausgewogenen Verhältnisses von Flexibilität und Sicherheit auf den europäischen Arbeitsmärkten.
(EN) Herr Titley, ich stimme mit Ihnen überein, dass wir handeln müssen, weil wir so unsere Bürgerinnen und Bürger überzeugen können. Wir sind gemeinsam mit der Kommission entschlossen, den richtigen Weg für diese Maßnahmen einzuschlagen.
Günther Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wachstum und Beschäftigung sind die Schlüsselworte der Lissabon-Strategie, aber es scheint mir, dass die Begriffe noch einmal geklärt werden müssen.
Wenn wir im 21. Jahrhundert in Europa von Wachstum sprechen, können wir von keinem anderen Wachstum reden als von einem nachhaltigen, einem sozial verträglichen und ökologisch verantwortbaren Wachstum. Alles andere bedeutet, dass wir aus den vergangenen Jahrzehnten nichts gelernt haben. Ich bitte, das endlich zur Kenntnis zu nehmen! Wenn die Kommission von Wachstum spricht, spricht sie von einem nachhaltigen Wachstum. Dazu gehört Ökoinnovation, dazu gehört Energieeffizienz, dazu gehört der Wettbewerb um bessere Qualität, jedenfalls nicht der Wettbewerb um niedrigere Sozialstandards, niedrigere Umweltstandards oder niedrigere Löhne. Damit das ein für allemal klar ist!
Wenn wir von Beschäftigung reden, dann reden wir nicht von irgendeiner Beschäftigung, sondern wir haben erkannt: Die große soziale Frage unserer Zeit ist die, ob wir es in den Stürmen der Globalisierung schaffen werden, genügend gut bezahlte und qualifizierte Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Das ist die große Frage, um die es geht. Es geht nicht um irgendwelche Arbeitsplätze, es geht um Arbeitsplätze, die in Zeiten steigenden Wettbewerbs Bestand haben.
Daraus ergeben sich in der heutigen Situation einige klare Forderungen an die Mitgliedstaaten. Ihnen muss ganz klar gesagt werden, dass die Zeit zum Umsteuern jetzt gekommen ist. Der Schritt in die Wissensgesellschaft muss jetzt mit aller Entschiedenheit getan werden. Wir können uns keine Gesellschaften in Europa leisten, die eine Bildungspolitik haben, die ausgrenzt statt fördert oder diskriminiert statt integriert. Wir brauchen eine Bildungspolitik, die die Bildungsreserven dieses Kontinents vollständig ausschöpft.
Wir können uns keine Gesellschaftspolitik leisten, die jungen Frauen zwar eine gute Ausbildung, ihnen hinterher aber nicht die Chance gibt, mit dieser Ausbildung auch etwas anzufangen, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht hergestellt ist. Und wir können uns keine Gesellschaftspolitik leisten, die ältere Arbeitnehmer aus dem Produktionsprozess einfach ausspuckt, weil man denkt, man braucht sie nicht mehr. Das alles ist heute nicht mehr möglich, und das sagen wir in unserer Strategie auch ganz klar.
Wir sagen auch: Der europäische Binnenmarkt, eine Politik, die sich dem internationalen Wettbewerb stellt, ist günstig für Wachstum und Beschäftigung, und darum glaubt diese Kommission nicht an ökonomischen Patriotismus welcher Art auch immer. Wir weisen noch einmal darauf hin: Wer den großen europäischen Binnenmarkt will, der muss auch damit einverstanden sein, dass sich Unternehmen bilden, die auf diesem großen europäischen Markt grenzüberschreitend tätig sind.
(Beifall)
Zum europäischen Markt gehören auch europäische Unternehmen. Die Kommission sieht die Renationalisierung des ökonomischen Denkens in einigen Teilen der Europäischen Union mit Sorge. Sie warnt vor dieser Renationalisierung. Der richtige Weg ist – wie hier von fast allen Rednern gesagt worden ist –, gemeinsam die Probleme Europas anzugehen.
Ich habe aber auch an die Adresse der europäischen Unternehmen etwas zu sagen. Seit Jahren betreiben wir eine Politik der Verbesserung der Rahmenbedingungen für europäische Unternehmen. Wir erwarten von den europäischen Unternehmen aber gerade jetzt, wo es den größten unter ihnen so gut geht wie noch niemals zuvor in ihrer Geschichte, dass sie sich auch ihrer Verantwortung für den Standort Europa bewusst sind. Unternehmen haben nicht nur eine Verantwortung für kurzfristige Gewinne, sie haben auch eine Verantwortung für den Standort, den sie innehaben.
(Beifall)
Und wenn ein Unternehmen im Strukturwandel zum Mittel der Entlassung greift, dann ist nicht an erster Stelle die Politik dafür verantwortlich, sondern wir haben es hier an erster Stelle mit einem Versagen von Unternehmen zu tun, denn Unternehmen können rechtzeitig erkennen, wann Strukturwandel notwendig wird und wann er gestaltet werden muss. Und wir verlangen von den europäischen Unternehmen, dass sie mehr tun zur positiven Gestaltung des Strukturwandels. Entlassungen sind immer das allerschlechteste Mittel, und das muss nicht angewandt werden.
(Beifall)
Aber wir müssen den europäischen Unternehmen noch eines sagen: Man kann auch wachsen, indem man hohe Unternehmensgewinne dafür verwendet, neue Produkte zu schaffen, neue Technologien zu entwickeln, neue Kapazitäten herzustellen, und nicht nur, indem man andere Unternehmen kauft.
Ich möchte in aller Freundschaft darauf hinweisen, dass alle Erfahrungen mit dem Zukauf von Unternehmungen aus den letzten zwanzig Jahren zeigen, dass ein positiver betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Effekt in den meisten Fällen überhaupt nicht erreicht worden ist. Es wäre mir lieber, die europäischen Unternehmen würden die großen Gewinne, die sie in letzter Zeit gemacht haben, dazu benutzen, in neue Kapazitäten – Forschungskapazitäten und Produktionskapazitäten – in Europa zu investieren, statt Feldzüge zu finanzieren, um andere Unternehmen zu übernehmen.
Es gibt auch eine Forderung an die Parlamentarier. Hier ist mit Recht beklagt worden, dass die Öffentlichkeit in die Entwicklung der Strategie für Wachstum und Beschäftigung nicht einbezogen ist. Das ist eine Aufgabe für die nationale Politik und für die nationalen Parlamente.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, in Ihren Heimatländern mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den nationalen Parlamenten darüber zu reden, dass dieses Thema auf die Tagesordnung der nationalen Politik kommt. Es ist doch nicht Aufgabe der Kommission, Oppositionspolitiker in den Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, ihre Arbeit zu tun, und dafür zu sorgen, dass dieses Thema auf die Tagesordnung kommt. Das ist die Aufgabe von Parlamentariern! Ich bitte Sie wirklich, hier Ihren Einfluss geltend zu machen. Nur wenn es uns gelingt, eine breite parlamentarische Debatte, eine breite politische Debatte auch in den Mitgliedstaaten in Gang zu setzen, werden wir das notwendige Bewusstsein schaffen, dass eine gemeinsame Anstrengung nicht nur der Politik, sondern der Bürgerinnen und Bürger notwendig ist, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren.
(Reger Beifall)
Martin Schulz (PSE). – Herr Präsident! Ich möchte dem Kommissar Verheugen herzlich für die Rede danken, die er gerade gehalten hat. Es war eine ausgezeichnete Rede. Ich habe mit dem Kopfhörer zuhören können. Wenn ich den Kopfhörer nicht benutzt hätte, Herr Präsident, hätte ich die Rede kaum verstehen können, obwohl es hier Lautsprecher gibt.
(Beifall)
Und es hat auch keinen Zweck, wenn Sie in der Ihnen eigenen Freundlichkeit in Ihrer Landessprache ins Mikrofon sagen, die Kolleginnen und Kollegen sollten sich hinsetzen. Das verstehen die nämlich nicht, wenn sie keine Übersetzung haben. Da müssten Sie schon den Hammer schwingen, damit die sich hinsetzen.
Ich will einmal an unser eigenes Haus als Kollege eine Bitte richten: Ich finde es nicht akzeptabel, dass wir nicht das Mindestmaß an Höflichkeit aufbringen, Rednern hier zuzuhören!
(Beifall)
Der Präsident. Ich hoffe, alle im Saal nehmen das ernst, was hier gesagt wurde. Ich nehme die Kritik an und werde daher die Mitglieder dieses Hauses entweder in einer der geläufigeren EU-Sprachen oder aber unter Benutzung des Hammers zur Ordnung rufen.
Gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung wurden zwei Entschließungsanträge1 eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Mittwoch um 12.00 Uhr statt.
VORSITZ: ANTONIOS TRAKATELLIS Vizepräsident
Sarah Ludford (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte lediglich eine kurze parlamentsinterne Anmerkung machen. Einige von uns haben seit heute Morgen 11 Uhr ihre E-Mails nur über Webmail empfangen können. Mir ist nicht bekannt, wie viele Abgeordnete dies betrifft, weil es mehr als einen Server gibt. Allerdings ist ein Server ausgefallen, und er hat bereits gestern Vormittag einige Zeit nicht funktioniert. Ich denke, dieses Problem tritt vor allem in Straßburg auf, was natürlich ein weiterer Grund ist, gerne hierher zu kommen.
(Beifall)
Könnten Sie bitte dafür Sorge tragen, dass sich die Verwaltung zuallererst mit diesem ausgesprochen ärgerlichen Problem befasst?
(Beifall)
Der Präsident. – Wir werden das berücksichtigen, Frau Ludford.
Carl Schlyter (Verts/ALE). – (SV) Herr Präsident! Ich wollte speziell auf Artikel 140 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments verweisen, in dem es heißt, dass wir das Recht auf unmittelbaren Zugang zum internen EDV-System des Parlaments zwecks Konsultation der Dokumente haben. Ich möchte Sie um eine Überprüfung des Vertrags mit der Privatfirma bitten, die diese Dienstleistung erbringen soll. Das liegt sowohl im Interesse unserer Demokratie als auch unserer Finanzen.
Der Präsident. – Vielen Dank. Wir werden das prüfen.
Richard Corbett (PSE). – (EN) Die Frühjahrstagung des Europäischen Rates, auf deren Tagesordnung die europäische Wirtschaft steht, findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem in einigen Mitgliedstaaten und insbesondere in Frankreich protektionistische Bestrebungen zum Vorschein kommen.
Präsident Chirac versucht immer wieder, Frankreich als Verfechter des europäischen Einigungswerks darzustellen, und beschuldigt andere Länder, sie würden nicht genügend Enthusiasmus zeigen. Doch Frankreich gehört zu den Ländern, die sich am allerwenigsten mit einer ordnungsgemäßen Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften rühmen können, es blockiert grenzüberschreitende Fusionen, hat bewusst gegen seine Verpflichtungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen und kontinuierlich die GAP-Reform gebremst.
Die anderen Mitgliedstaaten sollten den Europäischen Rat nutzen, Frankreich zu drängen, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
Dominique Vlasto (PPE-DE). – (FR) Die Themen im Zusammenhang mit Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum bildeten stets das Herzstück der Lissabon-Strategie.
Heute wird, und das halte ich für eine ausgezeichnete Sache, durch die uns vorliegende Entschließung die soziale Dimension eingeführt. Sie darf nicht als eine Bremse im Hinblick auf die Realisierung der Ziele der Lissabon-Strategie angesehen werden, denn sie ermöglicht unter anderem allen Bürgern der Europäischen Union den Zugang zu einer Bildung von hohem Niveau und zu lebenslangem Lernen. Deshalb möchte ich die Bedeutung eines europäischen Austauschprogramms für Auszubildende hervorheben.
Zugleich möchte ich unterstreichen, welche Rolle die KMU bei der Umsetzung der Ziele von Lissabon spielen: Sie gehören zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen von morgen. Wir müssen uns also mit den Mitteln ausstatten, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die diese Unternehmen behindern, insbesondere die kleinsten von ihnen, und ihnen darüber hinaus die Mittel zur Innovation zur Verfügung stellen. Darin liegt die Bedeutung eines ambitionierten Budgets für das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP).
Wie Sie sehen, bedauere ich, das wir nicht über ein Budget verfügen, das den Ambitionen der Lissabon-Strategie gerecht wird, und hoffe, dass es uns gelingt, die Finanzielle Vorausschau in diesem Sinne zu verbessern.
4. Abstimmungsstunde
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.
(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll)
4.1. Fischereiabkommen EG/Föderierte Staaten von Mikronesien (Abstimmung)
4.2. Mindestangaben in Fanglizenzen (Abstimmung)
4.3. Evaluierung des Europäischen Haftbefehls (Abstimmung)
4.4. Menschenrechtssituation im Tschad (Abstimmung)
4.5. Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan (Abstimmung)
- Zu Änderungsantrag 136, zweiter Teil:
Ingeborg Gräßle (PPE-DE), Berichterstatterin. – Herr Präsident! Ich bitte, im zweiten Teil den Änderungsantrag dergestalt zu ändern, dass die dort genannte Zahl herausgenommen und durch einen Platzhalter ersetzt wird.
(Das Parlament nimmt den mündlichen Änderungsantrag an.)
Ingeborg Gräßle (PPE-DE), Berichterstatterin. – Herr Präsident! Ich bitte, die Abstimmung über die legislative Entschließung gemäß Artikel 53 Absatz 1 der Geschäftsordnung zu vertagen.
(Das Parlament beschließt die Rücküberweisung an den Ausschuss.)
4.6. Zwangsprostitution im Rahmen internationaler Sportereignisse (Abstimmung)
4.7. Viertes Weltwasserforum in Mexiko City (16. bis 22. März 2006) (Abstimmung)
- Zu Änderungsantrag 1, Ziffer 12:
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Da die Union das Problem der globalen Erwärmung allein nicht lösen kann, will ich mit meinem mündlichen Änderungsantrag das Zielpublikum erweitern, indem im Anschluss an „die EU und ihre Mitgliedstaaten“ „die internationale Gemeinschaft“ angefügt wird.
(Das Parlament nimmt den mündlichen Änderungsantrag an.)
4.8. Umstrukturierung und Beschäftigung (Abstimmung)
- Zu Ziffer 9:
Roselyne Bachelot-Narquin (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, ich möchte einen Änderungsvorschlag einbringen, der für mehr Präzision sorgen soll. Es soll ein Fonds gebildet werden, der die Arbeitnehmer unterstützt, die von den Umstrukturierungen betroffen sind. Im Bericht von Herrn Cottigny wird dieser Fonds Wachstumsanpassungsfonds genannt, doch ich schlage vor, die Bezeichnung der Europäischen Kommission wieder aufzunehmen, d. h. Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung, um Missverständnisse zu vermeiden.
(Das Parlament nimmt den mündlichen Änderungsantrag an.)
4.9. Sozialschutz und soziale Eingliederung (Abstimmung)
Anne E. Jensen (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Meine Fraktion möchte einen mündlichen Änderungsantrag zu dieser Ziffer vorlegen. Unsere getrennte Abstimmung betrifft die Streichung der Frist. Anstelle dessen möchten wir die Formulierung „die so schnell wie möglich in Kraft treten sollte“ aufnehmen. Dies entspricht der Wortwahl von Ziffer 55 des Entlastungsberichts für 2004.
(Das Parlament nimmt den mündlichen Änderungsantrag an.)
4.12. Vorbereitung des Europäischen Rates – Lissabon-Strategie (Abstimmung)
- Zum Änderungsantrag 24:
Robert Goebbels (PSE). – (FR) Herr Präsident, ursprünglich wollte ich um das Wort bitten, um vorzuschlagen, Änderungsantrag 1 zurückzuziehen, der dann letztlich abgelehnt wurde. Nun möchte ich unseren liberalen Kollegen zu Änderungsantrag 24 vorschlagen, mit Hilfe eines mündlichen Änderungsvorschlags ein Wort zu ändern. Es geht darum, den Begriff „education“ durch „higher education“ zu ersetzen, weil hier die Zusammenarbeit zwischen Forschung, dem Privatsektor und dem Hochschulwesen gemeint ist. Ich glaube sagen zu können, dass ich diesen mündlichen Änderungsantrag im Namen von Klaus-Heiner Lehne und von Herrn Lambsdorff einbringe, der ebenfalls einverstanden ist.
(Das Parlament nimmt den mündlichen Änderungsantrag an.)
Der Präsident. – Damit ist die Abstimmungsstunde beendet.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. (PT) Nach meiner Auffassung sollte die Partnerschaft zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Föderierten Staaten von Mikronesien (FSM) über die Fischerei in den FSM gemäß dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates geschlossen werden.
Der Westpazifik ist eines der thunfischreichsten Fischereigebiete der Welt, und wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der aktuelle Zustand der Bestände eine Ausdehnung dieses Gebiets auf Drittländer erlaubt.
Das Abkommen sieht Vorteile für beide Seiten vor und sichert eine Politik der nachhaltigen Fischerei in den FSM.
Ich gebe dem Fischereiabkommen meine Zustimmung, möchte aber auf die übermäßig hohen Lizenzgebühren für Langleinenfischer aufmerksam machen, die für einige Schiffseigner eine unbezahlbare Belastung darstellen.
Hélène Goudin, Nils Lundgren und Lars Wohlin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Wir stehen den destruktiven Fischereiabkommen der EU mit Drittländern in hohem Maße kritisch gegenüber und bedauern daher, dass die Union Fischereiabkommen mit neuen Ländern abschließt.
In zahlreichen Berichten wurde auf die negativen Folgen der Fischereiabkommen für die Küstenbevölkerung der vertragsschließenden Länder verwiesen. Die Abkommen führen zu einer Überfischung der Küstengewässer, was die ortsansässige Bevölkerung schwer trifft. Sowohl die Kommission als auch die überwältigende Mehrheit hier im Europäischen Parlament schließen jedoch konsequent die Augen vor dieser Kritik. Darüber hinaus kann das vorliegende Fischereiabkommen gemäß einer der Stellungnahmen des Europäischen Parlaments auch negative Folgen für die Umwelt haben.
Die EU empfiehlt verstärkte Anstrengungen im Bereich der Entwicklungshilfe, während sie gleichzeitig die Steuermittel der Bürger zur Finanzierung von Fischereiabkommen verwendet, die der Entwicklung zuwiderlaufen. Eine solche Politik ist weder konsequent noch glaubwürdig.
Unserer Ansicht nach sollten die Fischereiabkommen abgewickelt und langfristig völlig beendet werden. Die Mitgliedstaaten der Union, deren Schiffe in den Gewässern von Drittländern fischen, sollten die Kosten der Abkommen tragen. Diese Staaten sollten dann wiederum eigenständig entscheiden, ob sie diese Ausgaben durch die Erhebung von Gebühren von ihren jeweiligen Fischereifahrzeugen finanzieren.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. (PT) Angesichts der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik ist eine Änderung der Verordnung Nr. 3690/93 vom 20. Dezember 1993 unumgänglich. Informationen über Fischereifahrzeuge müssen in Einklang mit den neuen Vorschriften über die Bestandsbewirtschaftung gebracht werden, damit gewährleistet ist, dass der zentrale Grundsatz von der „Steuerung des Fischereiaufwands“ eingehalten wird.
Die jetzt vorgeschlagenen Änderungen, wie etwa die Einführung des Fischereiflottenregisters der Gemeinschaft und die Staffelung der vom Fahrzeug verwendeten Fangmethoden sind wichtige Elemente, die in der ursprünglichen Verordnung nicht enthalten sind.
Dem Vorschlag der Kommission und den vom Berichterstatter in seinem Bericht unterbreiteten Änderungen kann ich nur zustimmen.
Charlotte Cederschiöld, Christofer Fjellner, Gunnar Hökmark und Anna Ibrisagic (PPE-DE), schriftlich. (SV) Wir Mitglieder der Moderaten Sammlungspartei haben für den vorliegenden Bericht gestimmt, bedauern aber, dass der Schutz der Grundrechte auf europäischer Ebene nicht genügend hervorgehoben wurde. Unseres Erachtens sollte die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs in Fragen, die sich auf die innere Sicherheit beziehen, auch auf die Grundrechte des Einzelnen ausgeweitet werden.
Lena Ek (ALDE), schriftlich. (SV) Dank des Initiativberichts der Kollegin Hazan zur Bewertung des Europäischen Haftbefehls können wir die Rechtssicherheit unserer Bürger weiter erhöhen. Im Bericht wird auf die erreichten Verbesserungen verwiesen. Ich möchte jedoch die darin erwähnten Probleme hervorheben, die immer noch Hindernisse für die Rechtssicherheitsgarantien darstellen.
Es ist unbedingt sicherzustellen, dass Personen, die im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl verhaftet wurden, Rechtshilfe sowie Hilfe in Form von Übersetzungen und Dolmetschleistungen erhalten. Die Lösung dieses wichtigen Problems, das gegenwärtig zu Menschenrechtsverletzungen führt, ist Sache jedes einzelnen Mitgliedstaates.
Hélène Goudin, Nils Lundgren und Lars Wohlin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Dieser Bericht lässt deutliche Bemühungen um eine verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts erkennen. Der Rat ist aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten nicht wieder eine systematische Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit einführen, sowie den Europäischen Haftbefehl in die erste Säule zu integrieren.
Im Bericht werden erhebliche Probleme bei der Umsetzung des Haftbefehls sichtbar. Die Mitgliedstaaten haben deutlich gezeigt, dass sie Teile des bisher üblichen Auslieferungsverfahrens beibehalten wollen.
Einige Länder verweigern unter Verweis auf Diskriminierung oder Verletzung der Grundrechte die Vollziehung des Haftbefehls für ihre eigenen Staatsangehörigen, während andere die Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit beibehalten oder wieder eingeführt haben.
Nach Ansicht der Juniliste sind dies deutliche Zeichen dafür, dass die Mitgliedstaaten ihre Souveränität auf strafrechtlichem Gebiet schützen. Nur wenige gegen einen Bürger ergriffene Maßnahmen haben so weit reichende Folgen wie die Strafverfolgung oder die Verbüßung einer Haftstrafe. Darum muss die Rechtssicherheit den Vorrang vor einer Vereinfachung und Erhöhung der Effizienz haben, die der Europäische Haftbefehl laut diesem Bericht bringen soll.
Die Juniliste lehnt ein Mehr an Überstaatlichkeit ab und betrachtet dies als eine Angelegenheit der einzelnen Länder. Aus diesem Grund haben wir gegen den Bericht gestimmt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Wie wir 2001 dargelegt haben, hat die Kommission Vorschläge unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus unterbreitet, in denen für die Supranationalisierung maßgebender Aspekte der Justiz plädiert wurde, wodurch die notwendige Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und bestehende Rechtsinstrumente wie die Auslieferung umgangen würden. Dies kam einem Angriff auf die Souveränität der Mitgliedstaaten und ihrer Pflicht zum Schutz der Rechte ihrer Bürger gleich.
Wir haben seinerzeit erklärt, dass der Europäische Haftbefehl, der unter anderem darauf abstellt, den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit aufzuheben, wenn auch in begrenztem Umfang, ein Trojanisches Pferd wäre, das uns weiter auf den supranationalen Pfad führen würde.
Der vorliegende Bericht bestätigt unsere Kritik. Darin wird die gerichtliche Souveränität als Hindernis angesehen und auf die gegenwärtige „Einflussnahme“ politischer Behörden auf das Auslieferungsverfahren, auch wegen der Achtung der Grundrechte, verwiesen.
Eine wichtige Rolle spielt das Urteil des bundesdeutschen Verfassungsgerichts, das Gesetz zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls für nichtig zu erklären, und dass angesichts dieser Entscheidung einige Mitgliedstaaten wieder dazu übergegangen sind, die Auslieferungsinstrumente anzuwenden. Die Berichterstatterin kritisiert diese Entscheidungen und befürwortet die Aktivierung der in Artikel 42 des EU-Vertrags vorgesehenen Brückenklausel, wodurch der Europäische Haftbefehl in die „erste Säule“ integriert würde.
Marine Le Pen (NI), schriftlich. – (FR) Ebenso wie die europäische Zuwanderungspolitik ist auch der europäische Haftbefehl sehr gefährlich und für alle folgenreich. Er bezieht sich sowohl auf schwere wie auch auf leichte Vergehen (Terrorismus, Diebstahl, mutwillige Beschädigungen, Beamtenbeleidigung, rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen usw.), und in allen Fällen sind die Personenrechte weniger geschützt als mit dem zuvor existierenden Auslieferungsrecht, das es den politischen Stellen ermöglichte, einer Auslieferung zuzustimmen oder sie abzulehnen. Heute ist der Haftbefehl zu einem rein justiziellen Verfahren geworden, da die administrative und politische Phase sowie die Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit weggefallen sind.
Dieser Haftbefehl wurde als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September in aller Eile zusammengezimmert, und die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben – eher aus Sorge um ihr Medienimage denn aus Weisheit und Verantwortungsbewusstsein – nicht gezögert, die individuellen Freiheiten und die Verteidigungsrechte des Einzelnen preiszugeben.
Der europäische Haftbefehl, der von unseren Eurokraten theoretisch als Instrument zur Verteidigung der individuellen Grundrechte konzipiert wurde, zeigt sich heute in seinem wahren Licht: als ein totalitäres Repressionsinstrument, das potenziell für jeden von uns gefährlich werden kann.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich begrüße diesen Bericht, in dem versucht wird, den Europäischen Haftbefehl (EHB), seine Wirksamkeit sowie die Schwierigkeiten, die seit seiner Annahme aufgetreten sind, zu analysieren. Der EHB übernimmt eine ausgesprochen innovative Rolle bei der Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Vertrauens und trägt zu einer Steigerung der einzelstaatlichen Kapazitäten bei der Bekämpfung der organisiertem Kriminalität und des Terrorismus bei.
Ich schließe mich der Empfehlung an, das Parlament stärker in die Evaluierung des EHB einzubinden und im Zusammenhang mit dem EHB die Achtung der Grundrechte sicherzustellen, damit die Bürger der einzelnen Mitgliedstaaten nicht diskriminiert werden.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Der Europäische Haftbefehl ist noch ein weiteres Glied in der Kette der Maßnahmen zur Vollendung des institutionellen Netzwerks, der dazu dient, im Rahmen des europäischen Einheits-“Raumes der Sicherheit und des Rechts“ die Macht des Kapitals zu gewährleisten. Er gestattet, Staatsangehörige von Mitgliedstaaten auszuliefern, und schafft im Grunde das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit sowie die Möglichkeit der politischen Führung ab, über die Auslieferung einer Person zu entscheiden, wodurch die grundlegenden Grundsätze und Garantien des Schutzes der individuellen Rechte, die durch das bislang geltende Auslieferungsrecht gewährleistet waren, aufgehoben werden. Er schränkt die nationale Souveränität ein, da er das Recht eines jeden Mitgliedstaates, Strafgerichtsbarkeit über seine Bürger auszuüben, in Frage stellt, während er gleichzeitig elementare, durch die Verfassung gewährleistete Persönlichkeitsrechte und Garantien berührt.
Der Bericht fordert, am Europäischen Haftbefehl sogar noch weitere reaktionäre Änderungen vorzunehmen, indem er vorschlägt, die Abschaffung der beiderseitigen Strafbarkeit auszuweiten, der politischen Führung jegliche Rechte, aus Gründen der nationalen Politik und des nationalen Interesses Einfluss auf die Auslieferung von Personen zu nehmen, zu entziehen sowie jedwede gerichtliche Kontrolle der Vereinbarkeit des Haftbefehls mit den Grundrechten zu unterbinden.
Der „Terrorismus und die organisierte Kriminalität“ werden vom Europäischen Parlament erneut als notwendige Voraussetzung benutzt, um ein noch stabileres Fundament für ein weiteres Instrument zur Einschränkung von Rechten und Freiheiten zu schaffen, das gegen den Kampf des Volkes und gegen all jene eingesetzt werden kann, die den Imperialismus und das ausbeuterische kapitalistische System bekämpfen und in Frage stellen.
Tobias Pflüger (GUE/NGL), schriftlich. Der Enthusiasmus des heute mit großer Mehrheit im Europäischen Parlament verabschiedeten Berichts Hazan in Bezug auf den Europäischen Haftbefehl ist völlig unverständlich. Bedenklich ist vor allem auch, dass ausdrücklich empfohlen wird, dem Richter, der den Europäischen Haftbefehl vollstreckt, „nicht aufzuerlegen, die Übereinstimmung mit den Grundrechten systematisch zu überprüfen“. Auch sonst geht es vor allem darum, richterliche Kontrollen zu beseitigen. Diese Entscheidung setzt den grundrechtsfeindlichen Irrweg in Europa fort. Wenn nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidungen verfahren wird und es keine einheitlichen Standards gibt, bleiben die Grundrechte in der Europäischen Union auf der Strecke. Denn damit drohen Beschuldigte zwischen die Mühlen völlig unterschiedlicher Strafrechtssysteme in der Europäischen Union zu geraten.
Keine Spur findet sich im Bericht davon, dass einzelstaatliche Rechtsumsetzungen des Europäischen Haftbefehls, wie in Deutschland, von den Verfassungsgerichten zurückgewiesen wurden, weil sie schlicht grundrechtswidrig sind. Im Gegenteil werden die Mitgliedstaaten auch noch aufgefordert, „unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um verfassungsmäßige oder rechtliche Hindernisse für die Anwendung des Europäischen Haftbefehls auf ihre Staatsangehörigen zu beseitigen“. Das heißt nichts weiter, als den deutschen Gesetzgeber zum Verfassungsbruch aufzufordern, um den Europäischen Haftbefehl durchsetzen zu können.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Positiv an der Bewertung des Europäischen Haftbefehls ist, dass sie sich mit einem der wichtigsten Mechanismen der justiziellen Zusammenarbeit in der EU befasst, und das zu einem Zeitpunkt, da eine solche Zusammenarbeit nicht nur immer notwendiger, sondern auch immer schwieriger wird.
Die nationalen Behörden haben traditionell Schwierigkeiten damit, sicherheitsbezogene Informationen zu teilen und in justiziellen Angelegenheiten zusammenzuarbeiten. Der Europäische Haftbefehl bürstet hier sozusagen „gegen den Strich“, indem Zusammenarbeit erzwungen werden soll, was unerlässlich ist, und zwar unter dem Aspekt einer höheren Sicherheit – er ist der wirksamste Weg, um zu verhindern, dass Straftäter von den Vorteilen der Freizügigkeit profitieren – wie auch vom Standpunkt einer größeren Rechtssicherheit aus, ein ebenso grundlegendes Gut.
So gesehen ist es bedauerlich, dass Mitgliedstaaten daran erinnert werden müssen, dass sie „die geeigneten Maßnahmen ergreifen, um verfassungsmäßige oder rechtliche Hindernisse für die Anwendung des Europäischen Haftbefehls auf ihre Staatsangehörigkeit zu beseitigen.“ Außerdem möchten wir – mit einigem Stolz – darauf hinweisen, dass Portugal einer der ersten Mitgliedstaaten war, die den betreffenden Rahmenbeschluss umgesetzt haben.
Robert Goebbels (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe mich bei der Abstimmung über den Bericht Gräßle zur Reform der Haushaltsordnung der Stimme enthalten. Meiner Meinung nach setzt das Parlament, anstatt die Verantwortung der Haushaltsverwalter zu erhöhen, was mehr Flexibilität und klarere Regeln mit sich gebracht hätte, an Kompliziertheit und Bürokratie noch eins drauf. All das dient nicht der Effizienz des gemeinschaftlichen Handelns und führt nicht zu einer besseren Verwaltung der Mittel der Union.
Ich kenne kein politisches und erst recht kein privates Gremium, wo 40 % der Beschäftigten mit der Finanzverwaltung und Kontrolle befasst sind. Die Union wird bald über mehr Kontrolleure als Kontrollierte verfügen.
Jean-Claude Martinez (NI), schriftlich. – (FR) Eine Haushaltsordnung ist die Finanzverfassung. Sie ist daher wichtig. Diese Haushaltsordnung, die die europäische Verwaltungsmaschine blockiert, muss reformiert werden, denn sie ist das Sinnbild, die Widerspiegelung der pathologisch wuchernden europäischen Bürokratie.
Wenn es umfangreicher Lehrbücher bedarf, um diese Haushaltsordnung zu verstehen, wenn man „Hilfsbüros“ schaffen musste, um täglich den Beamten zu Hilfe zu kommen, die sich im Dschungel ihrer Verfahren verlieren, wenn Unternehmen, Institute, Organisationen, Landwirte, Bürger nicht in den Genuss aller Zuschüsse kommen oder sich nicht an allen Aufträgen beteiligen können, so liegt das ganz einfach daran, dass die Haushaltsordnung auf dem philosophischen Grundprinzip basiert, das sich durch das ganze europäische Aufbauwerk zieht: das Prinzip der Verschleierung, das der italienische Financier Puviani im Jahr 1905 als Prinzip der finanziellen Illusion bezeichnete, das darin besteht, die Wahrheit, hier die europäische Wahrheit, hinter Komplexität zu verbergen.
- Zwangsprostitution im Rahmen internationaler Sportereignisse (RC-B6-0160/2006)
Proinsias De Rossa (PSE), schriftlich. (EN) Ich unterstütze diesen Entschließungsantrag ausdrücklich und bitte den Fußballverband und die Fußballvereine eindringlich um ihre Unterstützung, um Menschenhandel und Zwangsprostitution zu beenden und zu verhindern, dass dieser grausame Handel im Zuge internationaler Sportveranstaltungen einen zusätzlichen Anstieg erfährt.
Sie müssen die „Rote Karte für Zwangsprostitution“ zeigen. Sie sollten mit den Vereinen zusammenarbeiten, um die breite Öffentlichkeit, vor allem die Fans und die Anhänger, über die Problematik der Zwangsprostitution und des Menschenhandels zu informieren bzw. entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten.
Alljährlich fallen bis zu 800 000 Frauen dem Menschenhandel zum Opfer, davon 100 000 in der Europäischen Union. Gegenwärtig stellt dieser Handel eine der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen dar. Das organisierte Verbrechen bereitet sich zurzeit darauf vor, Profit aus der Weltmeisterschaft zu schlagen. Tausende arme Frauen werden unter falschen Arbeitsversprechungen nach Deutschland gelockt, nur um dort zur Prostitution und zu einem Leben im Elend gezwungen zu werden.
Dagegen müssen wir europaweit vorgehen, und nicht nur Polizei und Politiker müssen sich daran beteiligen, sondern auch den Fußballverband, die Vereine und die Fans selbst. Ich fordere alle Fans, die zur Weltmeisterschaft gehen, eindringlich dazu auf, auf diese skandalösen Machenschaften zu achten und jeden eventuellen Verdacht auf Menschenhandel unverzüglich zu melden.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Wir haben für diese Entschließung zur Zwangsprostitution gestimmt, mit der die bestehende Sachlage in Deutschland und die Notwendigkeit anerkannt werden, die sich mit der Weltmeisterschaft bietende Gelegenheit zu nutzen, um Menschenhandel und Prostitution zu verurteilen. Allerdings haben wir stets die Meinung vertreten, dass Zwangsprostitution nicht der richtige Begriff ist, weil er nahe legt, dass es so etwas wie freiwillige Prostitution gibt.
Selbstverständlich ist der Kampf gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel sehr wichtig, aber man darf nicht vergessen, dass jede Prostitution Zwang ist, auch wenn kein Menschenhandel stattfindet. Sie ist das Ergebnis von Armut, sozialer Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, unsicherer und schlecht bezahlter Arbeit und auch des psychologischen Drucks der Konsumgesellschaft. Deshalb ist Prostitution immer ein Angriff gegen Menschenrechte, ein Angriff gegen die Würde von Frauen und kommt Sklaverei gleich. Es ist empörend, dass man versucht, alles zu vermarkten, auch den weiblichen Körper.
Darum kämpfen wir für die soziale Integration und für die Rechte aller Frauen auf Würde. Außerdem verurteilen wir jede Form von Menschenhandel und fordern wirksame Maßnahmen, um für alle Frauen und alle Menschen ein würdevolles Leben zu gewährleisten.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Unterscheidung zwischen legaler und Zwangsprostitution ist eine künstliche Unterscheidung. Außerdem ist es heuchlerisch, Zwangsprostitution zu verurteilen, weil damit die legale Prostitution konsolidiert und ausgedehnt wird.
Ob die Prostitution nun legal oder unter Zwang stattfindet – es wird der menschliche Körper verkauft, als eine Ware, die all den Regeln des Marktes unterliegt. Der Rechtsrahmen, der die Hygienevorschriften regelt, die von registrierten Prostituierten eingehalten werden müssen, erkennt die Prostitution im Grunde als einen Beruf an und verwaltet das Problem. Somit wird die Prostitution angesichts dieses sich explosionsartig ausbreitenden sozialen Phänomens als Beruf legalisiert; das heißt, sie wird von den sozialen Ursachen losgelöst, die Prostitution erzeugen und reproduzieren (Arbeitslosigkeit, Armut, Verarmung und fehlende soziale Leistungen). Mit anderen Worten, das, was in diesem Ausbeutungssystem faul ist, wird vertuscht und schön geredet, und es weist jegliche Verantwortung von sich und verlagert das Problem auf die individuelle Ebene.
Die Prostitution kann nicht als Beruf oder als frei gewählte Tätigkeit bezeichnet werden, da sie mit dem Wert und der Würde des Menschen unvereinbar ist, sie stellt die extremste Form des Angriffs auf die Menschenrechte dar. Die Prostitution als Beruf zu bezeichnen bedeutet, ihr damit einen Platz auf der Berufsorientierungsliste einzuräumen, dann gilt sie als eine Alternative zur Arbeitslosigkeit, von der junge Frauen mit solcher Unmenschlichkeit betroffen sind. Gleichzeitig werden dadurch Investitionen in Unternehmen legalisiert, die auf dem Prostitutionsmarkt tätig sind, wird die Pornokultur etabliert und die Prostitution junger Frauen gefördert. Wir sagen Nein zu allen Formen der Prostitution.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich begrüße diesen Entschließungsantrag, der mit Blick auf die bevorstehende Weltmeisterschaft darauf abzielt, dem dramatischen Anstieg der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen Einhalt zu gebieten, indem Frauen geschützt werden, die in die Netze der organisierten Kriminalität geraten und dem Menschenhandel zum Opfer gefallen sind.
Im Entschließungsantrag wird die Notwendigkeit einer integrierten Kampagne auf europäischer Ebene betont und die Mitgliedstaaten werden daher aufgefordert, die „Rote Karte“-Kampagne in enger Zusammenarbeit mit den NRO, der Polizei, den Strafverfolgungsbehörden, den Kirchen und den Gesundheitsdiensten einzuleiten und zu fördern.
Neben dem Ziel, die Öffentlichkeit zu informieren, werden das Internationale Olympische Komitee, die Sportverbände, d. h. die FIFA, die UEFA, der Deutsche Fußballbund und die sonstigen Organisationen sowie die Sportler und Sportlerinnen selbst im Entschließungsantrag aufgefordert, die „Rote Karte“-Kampagne zu unterstützen und Menschenhandel und Zwangsprostitution schärfstens zu verurteilen.
Claude Moraes (PSE), schriftlich. (EN) Ich stimme für diesen Entschließungsantrag, weil ich vor allem befürchte, dass die FIFA-Weltmeisterschaft zu einer deutlichen und nicht hinnehmbaren Zunahme des Frauenhandels führen wird. Die Kommission und andere müssen in diesem Zusammenhang sowie generell dafür Sorge tragen, dass zuallererst gegen die Banden vorgegangen wird, die Frauen unter Zwang in eine derartige Lage bringen, anstatt weniger energische Maßnahmen zugunsten von meist schutzbedürftigen Frauen zu wählen, die zur Sexsklaverei gezwungen werden.
Jonas Sjöstedt und Eva-Britt Svensson (GUE/NGL), schriftlich. (SV) Wir unterstützen den Entschließungsantrag, da wir Maßnahmen, die bewirken, dass sich die Zahl der Opfer von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung verringert, für wichtig halten. Allerdings sind wir der Ansicht, dass sich die Entschließung auf jede Art von Prostitution beziehen sollte. Der Begriff „Zwangsprostitution“ kann dahingehend gedeutet werden, dass es im Gegensatz dazu auch eine so genannte freiwillige Prostitution gibt. Unserer Auffassung nach ist jede Prostitution mit Zwang verbunden, denn keine Frau wählt diese freiwillig. Sie wird aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel Armut oder Arbeitslosigkeit, dazu gezwungen. Vor allem aber besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Prostitution und früherem körperlichen, psychischen bzw. sexuellen Missbrauch.
- Viertes Weltwasserforum in Mexiko-Stadt (16. bis 22. März 2006) (RC-B6-0149/2006)
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für die gemeinsame Entschließung über das vierte Weltwasserforum in Mexico City vom 16. bis 22. März 2006 gestimmt, denn ich betrachte das Wasser als einen der wichtigsten Faktoren für den Wohlstand unserer Mitbürger und den Frieden in der Welt. Die Europäische Union kann bei dieser globalen Herausforderung nicht abseits stehen, die darin besteht, den Menschen Zugang zu der wertvollen Naturressource Wasser zu verschaffen. Wir tragen eine kollektive Verantwortung für diese Frage, die die Grundrechte von Menschen, Tieren und Pflanzen betrifft. Gleichzeitig frage ich mich, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, zu prüfen, ob die Union nicht über eine umfassende europäische Wasserpolitik nachdenken sollte, um eine qualitativ und quantitativ angemessene Versorgung der Unionsbürger unabhängig von ihrem Aufenthaltsort auf dem Unionsgebiet nachhaltig und erneuerbar sicherzustellen. Meiner Meinung nach sollte die Kommission die Vorlage des in Artikel 18 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60/EG des Parlaments und des Europäischen Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik vorgesehenen Berichts vorziehen.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Natur liefert das Wasser kostenlos; Wasser gehört allen, und jeder muss Zugang zu ihm haben. Es darf keine Ware sein, die Gegenstand der Profitgier des Kapitals ist, da der Zugang zum Wasser ein Grundrecht darstellt, das eng verbunden ist mit der Gesundheit, dem Umweltschutz, der Entwicklung und der Lebensqualität.
Die Bewirtschaftung der Wasserressourcen muss in der alleinigen Verantwortung des Staates liegen, damit eine universelle Versorgung mit qualitativ hochwertigem Wasser zu bezahlbaren Preisen gewährleistet werden kann.
Das Vierte Weltwasserforum in Mexiko wird im Grunde genommen unter der Ägide der Weltbank und ihrer Klassenpolitik stattfinden; mit anderen Worten, ihrer Politik der Privatisierung von Wasserversorgungssystemen, was zu Trinkwassermangel bei den armen Volksschichten führen und dem Kapital neue Profite einbringen wird.
Die EU fördert die Politik der Liberalisierung von Dienstleistungen im Rahmen der Lissabon-Strategie. Sie hat während der WTO-Verhandlungen mit den anderen imperialistischen Zentren eine Einigung in der Frage der Dienstleistungen (GATS) erzielt.
Die Privatisierung und Zerstörung von Wäldern und Gebirgsmassiven, die wichtige Wasservorratsgebiete darstellen, stehen ganz im Zeichen der Philosophie des Profits, die elementare menschliche Bedürfnisse missachtet.
Wir, die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Griechenlands im Europäischen Parlament, bringen unseren Widerstand gegenüber dem Vierten Weltwasserforum zum Ausdruck, weil dort mit Blick auf den Profit grundlegende menschliche Bedürfnisse mit Füßen getreten werden. Wir rufen die Arbeiterklasse und die Volksmassen auf, dafür zu kämpfen, die barbarischen, volksfeindlichen Pläne ihrer Ausbeuter zu vereiteln.
Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident! In Zeiten steigender Dividenden und Gewinne sowie steigender Gagen der Manager sinkt konträr dazu die Zahl der Arbeitsplätze. Europaweit sind fünfmal so viele Stellen durch Umstrukturierungen betroffen wie durch Insolvenzen. Allein in Österreich gingen in den letzten Jahren geschätzte 15 000 bis 20 000 Arbeitsplätze an die neuen Mitgliedstaaten verloren. Umstrukturierung ist das Wundermittel, mit dem die Unternehmen von heute zumindest auf dem Papier schnelle Erfolge vorweisen wollen. Im öffentlichen Bereich wurde nicht zuletzt auf Grund der EU-Vorgaben deutlich mehr umstrukturiert als im privaten Eigentum.
Mittlerweile sickert die Erkenntnis durch, dass Kosteneinsparungen oft mit einem hohem Preis bezahlt wurden: mit Verlust an Qualität, Know-how, Kompetenz, Motivation der Belegschaften, strategischem Potential. Wenn Umstrukturierung als Ersatz für eine klare Strategie verwendet wird, ist das Risiko zu scheitern groß. Bis dato hat die EU diesen Trend durch Privatisierungsvorgaben und Begünstigung von Fördertourismus sogar unterstützt. Es wird Zeit, dass sie sich ihrer Verantwortung stellt, von weiteren Erweiterungen absieht, die ja Mitverursacher dieser Entwicklungen sind, und wieder für mehr soziale Gerechtigkeit Sorge trägt.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht über Umstrukturierung und Beschäftigung gestimmt, denn es kommt darauf an, unseren Mitbürgern immer wieder deutlich zu machen, dass die Europäische Union Lösungen im Rahmen der großen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der heutigen Zeit anbietet und nicht Verursacherin der Probleme ist.
Aufgrund des schwerwiegenden Charakters der wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Zusammenhang mit den Umstrukturierungen, vor allem in der Industrie, bedarf es einer starken europäischen Politik, um die notwendigen Veränderungen und die Wettbewerbsfähigkeit der Union miteinander in Einklang zu bringen. Ich begrüße den Vorschlag, einen europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung einzurichten. Es kommt darauf an, die unvermeidlichen industriellen Umstrukturierungen im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Veränderungen und den Schutz der Hauptopfer, also der entlassenen Arbeitnehmer und der wirtschaftlichen Bereiche, die von den umstrukturierten Sektoren abhängen, besonders die Subauftragnehmer, miteinander in Einklang zu bringen. Des Weiteren unterstütze ich voll und ganz die Idee, dass die Europäische Union zugunsten der Regionen interveniert, die sich nach Umstrukturierungen umstellen müssen.
Jean Louis Cottigny (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Vorschlag für eine Entschließung über Umstrukturierung und Beschäftigung gestimmt, der finanzielle Mittel, eine größere Rolle der Sozialpartner sowie Instrumente für die Analyse und die frühzeitige Erkennung der Umstrukturierungen vorschlägt.
Für Unternehmensumstrukturierungen gibt es verschiedene Ursachen, defensiver und offensiver Art, sie haben jedoch immer die gleichen Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, die die Variable für die Anpassung der Strategie der Industriekonzerne sind.
Dass die Europäische Union sich diesem Problem mit dem Ziel widmet, die Konsequenzen der Umstrukturierungen für die Arbeitnehmer zu antizipieren, ist lobenswert und notwendig, es ist jedoch die Aufgabe der EU, eine dynamische Wirtschafts- und Industriepolitik festzulegen, die auf die Bewahrung und Schaffung von Arbeitsplätzen für die europäischen Bürger sowie den sozialen und territorialen Zusammenhalt ausgerichtet ist.
Ich bedauere daher, dass die EU selbst den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten fördert, indem sie dem Sozial- und Steuerdumping freien Lauf lässt.
Brigitte Douay (PSE), schriftlich. – (FR) Industrielle Umstrukturierungen sind eine bereits lange bestehende, immer wiederkehrende Erscheinung, die durch den technischen Fortschritt und die Steigerung der Produktivität bedingt ist. Sie sind vielfach unvermeidbar, um die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und damit langfristig den Erhalt der Arbeitsplätze zu gewährleisten. Sie sind stets mit hohen Sozialkosten verbunden, vor allem in traditionellen Industrieregionen, wo gering qualifizierte und wenig mobile Arbeitnehmer Schwierigkeiten mit der Umstellung haben. Es gilt also ihre sozialen Konsequenzen abzumildern.
Deshalb habe ich voller Überzeugung für den Bericht Cottigny über Umstrukturierungen und Beschäftigung gestimmt. Ich wünsche mir sehr, dass seine Vorschläge vom Rat und der Kommission aufgegriffen und in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Die Europäische Union sollte Instrumente zur besseren Prognose von Umstrukturierungen entwickeln, entsprechende Antworten erarbeiten und die Rolle der Sozialpartner stärken.
Mehr Aufmerksamkeit für die KMU, die Schaffung eines Globalisierungsanpassungsfonds, das Recht auf lebenslange Ausbildung usw. sind Maßnahmen, die es ermöglichen dürften, den Bürgern zu zeigen, dass die Europäische Union sich ihren Anliegen verbunden fühlt und ihre Sorge um einen echten sozialen Zusammenhalt teilt.
Lena Ek und Cecilia Malmström (ALDE), schriftlich. (SV) Im Bericht über Umstrukturierung und Beschäftigung nimmt der Berichterstatter Kollege Cottigny die gleiche unrühmliche Haltung ein, wie sie auch im Bericht über Standortverlagerungen im Zusammenhang mit der regionalen Entwicklung zutage tritt, über den wir gestern abgestimmt haben. Gestern haben wir gegen diesen wirtschaftlichen Protektionismus gestimmt und tun dies auch heute. Wir sind erneut der unumstößlichen Meinung, dass weder der Staat noch die EU den Unternehmen vorschreiben darf, wie die Umstrukturierung zu erfolgen hat. Allerdings dürfen wir nicht den Kopf in den Sand stecken und so tun, als würden Umstrukturierungen und Standortverlagerungen von Unternehmen in einigen Fällen keine Auswirkungen auf die Menschen und die sozialen Bedingungen in den betroffenen Gebieten haben. Wir unterstützen die Forderung nach einem engeren Dialog der Sozialpartner in diesen Fragen, den negativen Folgen von Umstrukturierungen und Standortverlagerungen können wir aber auf andere Weise begegnen als durch die Behinderung der Entwicklung des privaten Sektors. Stattdessen sollten wir unsere Energie für eine Verbesserung der Bedingungen aufwenden, unter denen mehr Unternehmen mehr langfristige Arbeitsplätze schaffen können.
Anne Ferreira (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Vorschlag für eine Entschließung über Umstrukturierung und Beschäftigung gestimmt, der finanzielle Mittel, eine größere Rolle der Sozialpartner sowie Instrumente für die Analyse und Antizipation der Umstrukturierungen vorschlägt.
Für Unternehmensumstrukturierungen gibt es verschiedene Ursachen, defensiver und offensiver Art, sie haben jedoch immer die gleichen Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, die die Variable für die Anpassung der Strategie der Industriekonzerne sind.
Dass die Europäische Union sich diesem Problem mit dem Ziel widmet, die Folgen der Umstrukturierungen für die Arbeitnehmer zu antizipieren, ist lobenswert und notwendig, es ist jedoch die Aufgabe der EU, eine dynamische Wirtschafts- und Industriepolitik zu definieren, die die Bewahrung und Schaffung von Arbeitsplätzen für die europäischen Bürger sowie den sozialen und territorialen Zusammenhalt zum Inhalt hat.
Ich bedauere daher, dass die EU selbst den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten fördert, indem sie dem Sozial- und Steuerdumping freien Lauf lässt.
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. – (FR) Ich werde heute Nachmittag in der Gemeinde Le Syndicat in den Vogesen sein. Dort spielt sich etwas ab, was für die Folgen der in Brüssel betriebenen Politik symptomatisch ist.
Die SEB-Gruppe wird dort einen Produktionsstandort schließen, nachdem die Konkurrenz mit chinesischen Billigimporten unerträglich geworden ist. Mehr als 400 Arbeitnehmer sind davon betroffen, nicht gerechnet die Unterauftragnehmer, die einen ihrer wichtigsten Kunden verlieren und ebenfalls entlassen müssen. Eine ganze Arbeitsmarktregion wird schwer getroffen. Der SEB-Gruppe geht es jedoch gut. Ihre Gewinne steigen. Sie lässt sich im Ausland nieder und kauft Marken auf. Aber sie schließt Werke in Frankreich, weil sie aufgrund der direkten oder indirekten europäischen bürokratischen und finanziellen Belastungen und der durch die EU ausgehandelten weltweiten Konkurrenz keine andere Wahl hat. Die Spielregeln wurden nicht von SEB festgelegt, sondern von Brüssel.
Heute schlägt der Bericht Cottigny in dem Bemühen, die logischen Folgen der europäischen Wettbewerbspolitik (Umstrukturierungen, Standortverlagerungen usw.) zu stoppen, eine Liste von bürokratischen Maßnahmen vor, die das Problem nicht lösen, sondern es im Gegenteil noch ausweiten und beschleunigen werden. Was es zu ändern gilt, ist die ganze Logik, angefangen mit dem Kult des „uneingeschränkten“ Wettbewerbs, gepaart mit immer mehr ordnungspolitischen und steuerlichen Zwängen. Der Arbeitsmarkt würde davon nur gewinnen.
Hélène Goudin, Nils Lundgren und Lars Wohlin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Die EU ergreift seit langem politische Maßnahmen zur Bewältigung der Umstrukturierungen in verschiedenen Sektoren. Dieser Bericht enthält einige positive Vorschläge für Veränderungen dieser Maßnahmen, z. B. sollen die aus den gemeinschaftlichen Fonds ausgezahlten Mittel effizienter kontrolliert und nicht für Standortverlagerungen innerhalb der EU verwendet werden.
Die Juniliste vertritt grundsätzlich die Haltung, dass die Folgen von Standortverlagerungen und Umstrukturierungen nationale Angelegenheiten sind. Unseres Erachtens sollte die EU keine Maßnahmen ergreifen, die dafür sorgen, dass die Unternehmen die Haftung für die entsprechenden Folgen übernehmen. Wichtige Fragen dieser Art müssen in den Mitgliedstaaten entschieden werden.
Das Europäische Parlament möchte u. a. Folgendes erreichen:
– Festlegung der Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen Umstrukturierungen durchgeführt werden dürfen (zur Rettung von Arbeitsplätzen, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und nicht ausschließlich zur Gewinnerzielung usw.),
– Bildung eines speziellen „Wachstumsanpassungsfonds“,
– Übernahme der Verantwortung für „verborgene Auswirkungen“ der Umstrukturierungen durch die Union, z. B. auf die Gesundheit der Arbeitnehmer, psychologische Störungen bei den Arbeitnehmern und die hohe Sterblichkeitsquote bei Entlassenen,
– Beteiligung der Beschäftigten am Kapital ihres Unternehmens, um eine stärkere Mitwirkung bei Entscheidungen betreffend Umstrukturierungen zu erzielen,
– Verurteilung der Tatsache, dass in den Mitgliedstaaten Arbeitnehmer als Folge von Umstrukturierungen in den Vorruhestand geschickt werden.
Unabhängig von der politischen Einstellung gegenüber den vorstehend genannten Fragen sind diese von den einzelnen Ländern selbst zu entscheiden. Aus diesen Gründen haben wir gegen den Bericht gestimmt.
Carl Lang (NI), schriftlich. – (FR) Die „Strategie“ von Lissabon, die uns in eine leuchtende Zukunft führen soll, wird ein gewaltiger Misserfolg werden, und einige zusätzliche Fördermittel werden die Leidtragenden eines Industriesektors nicht retten, dessen Arbeitsplätze in meiner Region Nord-Pas-de-Calais für nichts und wieder nichts zerstört wurden. Dieses Opfer hat es noch nicht einmal ermöglicht, das wirtschaftliche und soziale Glück an andere Orte der Welt zu exportieren.
Wir brauchen keine Barmherzigkeit und auch keinen x-ten dirigistischen Bericht, der die Irrtümer der Europäischen Kommission korrigieren möchte. Die Zerstörung der Arbeitsplätze in Frankreich und im erweiterten Europa wird weiter gehen, trotz der Produktion von Tonnen von Papier, die nur unsere Ohnmacht und unsere Unterwerfung unter die Regeln der ungezügelten Globalisierung und des ultraliberalen Konzepts der Europafetischisten zum Ausdruck bringen. Europa leidet auch an einem Neo-Marxismus, der mehr staatlichen Interventionismus anstrebt und so unserer nationalen Bürokratie, die bereits durch administrative Schwerfälligkeit und einen erdrückenden Fiskalismus gekennzeichnet ist, noch die europäische Bürokratie hinzufügt.
Die treibenden Kräfte unserer Wirtschaft ergreifen die Flucht, an ihre Stelle tritt eine massive Zuwanderung, deren negative Auswirkungen in einer unerträglichen wirtschaftlichen und sozialen Belastung bestehen. Wir brauchen wirtschaftlichen Nationalismus, die Wiederherstellung der Zoll- und Tarifgrenzen, die Gemeinschaftspräferenz in Europa, Schutz und nationale Präferenz in Frankreich.
Thomas Mann (PPE-DE), schriftlich. – Dem Cottigny-Bericht habe ich zugestimmt, nachdem soeben EVP-Anträge eine ausreichende Mehrheit erhielten, in denen sich meine im Beschäftigungsausschuss eingebrachten Vorschläge wieder finden. Die Umstrukturierung von Unternehmen ist differenziert zu sehen.
Einerseits werden Unternehmen ins billige Ausland verlagert, wodurch verschiedene Unternehmenskulturen aufeinander prallen. Die oft angekündigten Synergieeffekte gehen verloren und die Beschäftigten, auch in der Management-Etage, bleiben auf der Strecke. Andererseits sind Umstrukturierungen notwendig, wann immer auf neue Märkte, Kundennähe und bessere Wettbewerbsfähigkeit reagiert werden muss.
Damit die Beschäftigten in der EU besser vorbereitet sind auf notwendige Mobilität, brauchen sie ausreichende Unterstützung zur Weiterbildung und Umschulung sowie die Integration in Live-Long-Learning-Programme. Von den Umstrukturierungshilfen, die mit den Zielen von Lissabon in Einklang stehen müssen, sollten vorrangig die KMU profitieren. Um die Rechtmäßigkeit von Fördergeldern zu beurteilen, muss die Rückverfolgung von Mitteln erleichtert werden, um zu Unrecht abgerufene Gelder wieder einzutreiben.
Da die derzeitigen Strukturfonds nicht ausreichen, begrüße ich den geplanten Sonderfonds von 500 Millionen Euro jährlich für Umschulungen und beruflichen Neuanfang, als Zeichen unserer Solidarität. Über seine Kriterien muss allerdings geredet werden, da er nur bei Verlagerungen in Nicht-EU-Staaten und Entlassungen ab 1.000 Mitarbeitern pro Unternehmen vorgesehen ist. Seine Verwaltung darf nicht zu neuer Bürokratie bei der EU-Kommission und nationalen Behörden führen.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich begrüße den Bericht, der als Reaktion auf die Mitteilung der Kommission über die Umstrukturierung und die Beschäftigung verfasst wurde. Im Bericht wird bestätigt, dass Umstrukturierungen nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit sozialen Rückschritten sind, vorausgesetzt, dass solche Maßnahmen korrekt vorbereitet werden und dass die betroffenen Unternehmen sie im Dialog mit den Gewerkschaften bewältigen können und für eine angemessene Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer sorgen.
Es wird gefordert, die KMU zu unterstützen, und vorgeschlagen, dass die Finanzielle Vorausschau, die für die Jahre 2007-2013 in der Diskussion ist, mehr auf die Antizipation und das Management der Umstrukturierung ausgerichtet werden sollte. Um einen Förderungstourismus zu vermeiden, sollen mit Fonds der Union geförderte Unternehmen, die ihren Standort innerhalb dieser verlagern oder teilverlagern, für einen gegebenen Zeitraum nicht erneut in den Genuss von Beihilfen kommen dürfen.
Claude Moraes (PSE), schriftlich. (EN) Der Bericht von Jean Louis Cottigny über die Umstrukturierung und die Beschäftigung hat meine Stimme erhalten. Ich habe für Ziffer 9 Teil 2 über die Finanzausstattung des Fonds für die Anpassung an die Globalisierung durch Unternehmen gestimmt, weil es sich um einen freiwilligen Beitrag handelt.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Die Globalisierung ist nicht nur ein Prozess des näher Zusammenrückens, Verringerns von Entfernungen und des Maximierens von Größe; sie ist auch ein Prozess des Beschleunigens. Heutzutage dreht sich alles um Bewegung, und alles bewegt sich schneller. So ist es verständlich, dass einige Leute Bedenken wegen der großen Geschwindigkeit in der modernen Zeit haben. Das Ende des Kreislaufs, die Demontage eines Modells, ein Bruch mit der Vergangenheit – das ist immer eine Zeit der Krise. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Opfer dieser Prozesse an die Tugenden der „schöpferischen Zerstörung“ glauben. Doch dies ist so wirklich wie die Zerstörung selbst.
Meine Bemerkungen gelten dem Bericht Cottigny zur Umstrukturierung und Beschäftigung, der scheitert, weil er eben die Wirklichkeit nicht trifft. Soziale Strukturen, vor allem öffentliche, müssen bereit sein für die Auswirkungen der Umgestaltungen, die diese Zeit der Wirtschaftsrevolution mit sich bringen wird. Wir können doch nicht denen den Rücken zukehren, die vom Fortschritt ausgeschlossen sind. Andererseits wäre es wohl auch nicht wünschenswert, den Prozess gänzlich umzukehren. Wir sollten alles daran setzen, diese Zeit so gut wie möglich für unsere Volkswirtschaften und für unsere Bürger zu nutzen, und auf dieses Unterfangen sollten sich unsere Bemühungen konzentrieren.
Carl Schlyter (Verts/ALE), schriftlich. (SV) Der Bericht ist im Großen und Ganzen konstruktiv und beleuchtet zahlreiche Probleme einer Wirtschaft, die sich an kurzfristigen Spekulationen orientiert. Darum stimme ich dafür. Er enthält jedoch eine positive Bewertung des von der Kommission vorgeschlagenen Fonds. Dieser würde direkte Zahlungen an Einzelpersonen bedeuten und wäre damit der Beginn eines Prozesses, bei dem die EU die Befugnis für die Sozialpolitik erhält, was eine bedauerliche Entwicklung darstellen würde.
Im Falle der Bildung dieses Fonds wäre es jedoch sinnvoll, wenn ein angemessener Anteil durch Privatkapital finanziert würde. Ich stimme gegen neue EU-Richtlinien zum Arbeitsrecht in Verbindung mit Umstrukturierungen, weil damit das schwedische Modell der Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern untergraben würde.
Carlo Fatuzzo (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe für den Bericht von Frau Bauer über Sozialschutz und soziale Eingliederung gestimmt und möchte in diesem Zusammenhang an den Europäischen Rat, d. h. an die Staats- und Regierungschefs, eine Frage richten, die sie mir hoffentlich beantworten werden: Warum bekommen die Rentner heutzutage immer niedrigere Renten, die kaum mehr zum Leben bzw. zum Überleben reichen?
Die von den 25 Staats- und Regierungschefs durchgesetzten Reformen zielen darauf ab, den Rentnern immer weniger Rente zu geben. In Italien werden die jungen Leute, die 2050 in den Ruhestand gehen, nur noch ein Drittel ihres letzten Arbeitsentgelts erhalten.
Ich möchte die DVD-Aufzeichnung dieser meiner Worte den 27 Staats- und Regierungschefs zukommen lassen und hoffe, dass sie deutlich sagen, was sie zu tun beabsichtigen. Wollen sie vielleicht den Rentnerstatus abschaffen oder wollen sie für das Überleben derjenigen, die gearbeitet haben und dies nun aus Altersgründen nicht mehr können, Sorge tragen?
Hélène Goudin, Nils Lundgren und Lars Wohlin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Dieser Bericht enthält eine lange Liste von Appellen an die Mitgliedstaaten, mit welchen Maßnahmen sie die Armut in den einzelnen Ländern bewältigen sollen. Natürlich gibt es gute Gründe für eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei dieser Art Fragen, z. B. durch den freiwilligen Austausch von Erfahrungen und bewährten Methoden.
Soziale Integration und Armut sind jedoch Fragen, die auf nationaler Ebene oder durch freiwillige Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten behandelt werden müssen. Es ist schwer zu erkennen, welchen Mehrwert oder welche spezifische Kompetenz das Europäische Parlament einbringt, wenn es zu diesem und ähnlichen Themen am laufenden Band Stellungnahmen abgibt.
Im Bericht wird u. a. Folgendes vorgeschlagen:
– Die Mitgliedstaaten sollen die Möglichkeiten für eine lebensbegleitende Fortbildung verbessern (Ziffer 11).
– Die Mitgliedstaaten sollen für den Zugang zu hochwertigen und erschwinglichen Betreuungsangeboten für Kinder sorgen (Ziffer 24).
– Die Rentensysteme der Mitgliedstaaten sollen reformiert werden und ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit gewährleisten (Ziffer 44).
– Bei Reformen der staatlichen Altersversorgungssysteme ist ein Anstieg der steuerlichen Gesamtbelastung des Faktors Arbeit zu vermeiden (Ziffer 45).
Die Juniliste empfiehlt, wichtige Fragen wie die oben genannten durch breit angelegte nationale Diskussionen zu lösen, woraufhin die Mitgliedstaaten entweder eigenständig oder in freiwilliger Zusammenarbeit mit anderen Akteuren unter Anwendung der üblichen demokratischen Kanäle über geeignete Rechtsvorschriften und andere angemessene Maßnahmen entscheiden. Aus diesem Grund haben wir gegen den Bericht gestimmt.
Sérgio Marques (PPE-DE), schriftlich. (PT) Der Bericht der Kommission zu Sozialschutz und sozialer Eingliederung bestätigt, dass die Mitgliedstaaten sich stärker bemühen, Armut zu bekämpfen und sicherzustellen, dass Rentensysteme den Rentnern weiter angemessene Einkommen bieten können. Allerdings wird im Bericht darauf hingewiesen, dass im Jahr 2002 mehr als 68 Millionen Menschen, also 15 % der EU-Bevölkerung, dem Armutsrisiko ausgesetzt waren.
Trotz erheblicher struktureller Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt in der EU sind Beschäftigungsniveau und Erwerbsbeteiligungsquote nach wie vor unzureichend. Die Arbeitslosigkeit ist in einer Reihe von Mitgliedstaaten nach wie vor hoch, vor allem bei jungen Menschen, älteren Arbeitskräften und Frauen. Dem Bericht zufolge besitzt die Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt eine nationale, aber auch eine lokale oder regionale Dimension.
Der Bericht Bauer hat meine uneingeschränkte Zustimmung. Darin werden die Maßnahmen der Kommission begrüßt, die den Mitgliedstaaten helfen sollen, den Schwierigkeiten für benachteiligte Menschen Rechnung zu tragen und die Integration dieser Menschen zu unterstützen, die Schaffung von Arbeitsplätzen voranzutreiben sowie Ausbildung und beruflichen Aufstieg, die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben und das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung und auf ein menschenwürdiges Wohnen zu fördern und die Nachhaltigkeit der Sozialschutzsysteme sicherzustellen.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich begrüße diesen Bericht, der sich auf eine Reihe wichtiger politischer Prioritäten konzentriert, darunter eine erhöhte Teilnahme am Arbeitsmarkt; die Modernisierung der Sozialschutzsysteme; die Bekämpfung von Nachteilen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung; die Beseitigung von Kinderarmut; die Bereitstellung einer angemessenen Unterkunft; die Verbesserung der Wohnbedingungen und Maßnahmen gegen den Mangel an Sozialwohnungen für gefährdete Gruppen; die Verbesserung des Zugangs zu Qualitätsdienstleistungen wie Dienstleistungen im Bereich der Gesundheit und der Langzeitpflege, Sozialschutz und Transport sowie die Bekämpfung der Diskriminierung und die Eingliederung von ethnischen Minderheiten und Migranten.
Charlotte Cederschiöld, Christofer Fjellner, Gunnar Hökmark und Anna Ibrisagic (PPE-DE), schriftlich. (SV) Wir haben in der Schlussabstimmung für die Leitlinien für das Haushaltsverfahren 2007 gestimmt, obwohl wir in zwei Punkten ernsthafte Einwände haben.
Zum einen lehnen wir die Aufstellung eines speziellen Statuts für die Assistenten der Abgeordneten ab. Damit würde die Gefahr bestehen, dass diese unter völlig anderen Bedingungen leben als die Bürger, mit denen sie in den Wahlkreisen eng zusammenarbeiten sollen, sowie außerdem, dass Abgeordnetenassistent zu einem speziellen lebenslangen Beruf wird.
Zum anderen sind wir gegen die Einrichtung eines Zentrums der Europa-Häuser in Brüssel zur Verbreitung von Informationen über die EU.
Gérard Deprez (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich habe den Bericht Grech, der politisch keineswegs unbedeutend ist, unterstützt.
Wenn man beispielsweise auf dem Gebiet der Informationspolitik den in den Ziffern 17, 28 und 62 benannten allgemeinen Grundsatz (Abbau von Tätigkeiten, die keinen Mehrwert erbringen) anwendet, lassen sich ernsthafte Veränderungen herbeiführen! Wir erhalten jeden Tag von „Fachleuten“ verfasste Informationsbroschüren. Nach meiner Überzeugung sollte man, um den europäischen Bürgern Vertrauen einzuflößen, diese lieber über die Medien informieren, die sie direkt vor Ort ansprechen, als kostspielige Broschüren zu verfassen, die sie gar nicht erst lesen oder nicht verstehen.
Ein anderer Bereich, in dem die Grundsätze des Berichts angewendet werden sollen, ist der der „Hilfskräfte für die Dauer von Tagungen“. Auf dem Gebiet der Beschäftigung plädiert unser Berichterstatter dafür, eher langfristig verpflichtetes Personal einzustellen als Vertragsbedienstete. Wenn man diesem Grundsatz zustimmt – und das tue ich –, welchen Status werden dann die 300 Hilfskräfte für Tagungen am Ende dieses Jahres erhalten, deren Verträge nicht in ihrer derzeitigen Form verlängert werden können, da die in Ziffer 78 der „Beschäftigungsbedingungen für sonstige Bedienstete“ vorgesehene Rechtsgrundlage entfällt?
Astrid Lulling (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe gegen den Bericht Grech gestimmt, weil ich nicht damit einverstanden bin, die Festlegung von Straßburg als Sitz des Europäischen Parlaments und die Festlegung von Luxemburg als Arbeitsort in Frage zu stellen.
Claude Moraes (PSE), schriftlich. (EN) Ich stimme für den Bericht von Louis Grech. Ich habe für beide Teile von Artikel 47 gestimmt, weil ich der Meinung bin, dass es bis 2009 ein Statut für die Assistenten der Mitglieder geben sollte.
Hélène Goudin, Nils Lundgren und Lars Wohlin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Wir begrüßen die Einführung umweltschonender Fangmethoden, lehnen aber den Vorschlag für eine Beihilfe- oder Ausgleichsregelung für Berufsfischer ab, die durch die negativen Auswirkungen umweltschonender Fangmethoden Einbußen erleiden. Im Bericht wird keine konkrete Höhe der Ausgleichszahlung genannt. Ebenso wenig geht aus dem Bericht hervor, aus welchem Haushaltsposten derartige Ausgleichsbeträge gezahlt werden sollen.
Wir sind dafür, dass die Fischer und ihre repräsentativen Verbände an der Festlegung der Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt und zur Wiederauffüllung der Bestände beteiligt werden (Änderungsantrag 1), lehnen aber die Finanzierung der vorgeschlagenen finanziellen Ausgleichszahlungen an die Fischer durch die Gemeinschaft ab (Änderungsantrag 2).
Da wir zusätzliche Haushaltsausgaben innerhalb der EU missbilligen, haben wir gegen den Bericht in seiner Gesamtheit gestimmt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Nach der vorherigen Aussprache begrüßen wir die Unterstützung des Kommissars für Fischerei, Herrn Borg, für den von uns eingereichten Änderungsantrag, in dem festgestellt wird, dass Dezentralisierung und Mitverwaltung zwei grundlegende Prinzipien sind, um die Beteiligung der Fischer und ihrer repräsentativen Verbände an der Festlegung der Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt und zur Wiederauffüllung der Bestände zu gewährleisten, aber auch, um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen sicherzustellen, wenn man berücksichtigt, dass schließlich die Fischer und ihre Verbände solche Maßnahmen anwenden werden, aus erster Hand den Zustand der Ressourcen kennen und am meisten daran interessiert sind, für deren Erhaltung zu sorgen.
Außerdem nehmen wir zur Kenntnis, dass man offen für unseren Änderungsvorschlag ist, in dem die Kommission aufgefordert wird, im Rahmen der Pläne zur Wiederauffüllung der Fischbestände sozioökonomische Ausgleichsmaßnahmen mit garantierter Gemeinschaftsfinanzierung vorzuschlagen.
Diese Vorschläge wurden unerklärlicherweise von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt, was wir bedauern.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Wenn wir eines unserer Hauptziele für die EU erreichen wollen, nämlich die Nutzung der lebenden Meeresressourcen unter nachhaltigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen, dann wird uns das nur mit einem nachhaltigen Fischereisektor auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen und technischen Forschung gelingen.
Diese Mitteilung der Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn sie rückt die ökologisch nachhaltige Bewirtschaftung der Fanggründe stärker in den Vordergrund.
Ich möchte die Bedeutung dieser Maßnahmen für die Fischer bekräftigen; eine Wirtschaftstätigkeit umweltschonend durchzuführen, liegt in ihrem Interesse, denn dies garantiert ihnen gesunde Fischbestände. Da diese Maßnahmen kurzfristig erhebliche sozioökonomische Folgen haben können, sollten die Beteiligten in die geplanten Reformen einbezogen werden, und wir sollten Ausgleichsmöglichkeiten für Fischer prüfen, die durch umweltschonende Fangmethoden kurz- und mittelfristig Nachteile erleiden.
Ausgehend von meinen Darlegungen bin ich der Auffassung, dass die vorliegende Mitteilung einen relevanten und bedeutenden Beitrag zum Aufbau einer positiven Zukunft für diejenigen, deren Lebensunterhalt von der Fischerei abhängt, und für den Umweltschutz leistet.
Frédérique Ries (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich habe natürlich für diesen Bericht gestimmt, der umweltschonendere Fischereimethoden fördert.
Heute gilt es, vorrangig die Intensität der Fischerei zu reduzieren, um die Wiederauffüllung der Bestände zu ermöglichen. Das ist bekanntlich ein sensibles Thema, aber es ist dringend. So sind 46 % der 28 000 in der Welt erfassten Fischarten bedroht. Darüber hinaus wird im UN-Programm für die Bewertung der Ökosysteme hervorgehoben, dass 25 % der handelsüblichen Arten überfischt sind.
Natürlich müssen wir den sozioökonomischen Erfordernissen Rechnung tragen und dürfen den Fischereisektor nicht benachteiligen, der bereits allzu vielen Zwängen ausgesetzt ist. Die Reduzierung der Fischereitätigkeit kann erwogen werden, wenn sie mit Ausgleichszahlungen verbunden ist. Jedoch können auch andere Maßnahmen signifikante Ergebnisse zeitigen, so die Verstärkung der Bekämpfung von Verschmutzungen durch Schiffe oder die Förderung nachhaltiger Fischereimethoden.
Die dauerhafte Erhaltung der Fischereiressourcen ist ein wesentliches Ziel, und diesen Grundsatz habe ich meiner Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission über eine Gemeinschaftsregelung für Fischerei-Umweltsiegel zugrunde gelegt.
- Vorbereitung des Europäischen Rates – Lissabon-Strategie (RC-B6-0161/2006)
Brian Crowley (UEN), schriftlich. (EN) Ich unterstütze das Ziel einer Modernisierung der europäischen Wirtschaft durch die Lissabon-Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung. Ich stimme zu, dass diese Strategie ebenfalls im größeren Zusammenhang der Erfordernisse der nachhaltigen Entwicklung zu sehen ist – unseren gegenwärtigen Bedürfnissen ist also dergestalt Rechnung zu tragen, dass die Fähigkeit künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, nicht gefährdet wird. Europa verfügt zweifellos über das Potenzial, unseren hohen Lebensstandard zu erhalten, doch wir müssen Maßnahmen ergreifen, um es freizusetzen.
Ich möchte zu Protokoll geben, dass ich zwar die allgemeine Zielsetzung des Entschließungsantrags des Parlaments zur Frühjahrstagung 2006 unterstütze, mich jedoch gegen die Änderungsanträge ausspreche, in denen festgestellt wird, dass Nuklearenergie eine mögliche Alternative zur gegenwärtigen Energieabhängigkeit der Union darstellt. Irland spricht sich in aller Deutlichkeit gegen die Nutzung von Nuklearenergie aus.
Emanuel Jardim Fernandes (PSE), schriftlich. (PT) Seit der Neubelebung der Lissabon-Strategie, die auf dem Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates im vergangenen März vereinbart wurde, ist fast ein Jahr vergangen.
In ihrem jährlichen Zwischenbericht über die Lissabon-Strategie, der am 25. Januar veröffentlicht wurde, stellt die Kommission fest, dass sie zwar die bisher erzielten deutlichen Fortschritte anerkennt, jetzt aber Ergebnisse im Vordergrund stehen müssten und die Zeit gekommen sei, die Reformen zu beschleunigen.
Dementsprechend hat sie vier vorrangige Aktionen ermittelt, wonach sich die EU-Staats- und Regierungschefs verpflichten müssen, auf nationaler und europäischer Ebene die folgenden spezifischen Zusatzmaßnahmen zu treffen: mehr Investitionen in Wissen und Innovation; Erschließung des Unternehmenspotenzials, insbesondere von KMU; Antwort auf Globalisierung und Bevölkerungsalterung; und Einschlagen des Weges zu einer effizienten, integrierten europäischen Energiepolitik.
Der vorliegende Entschließungsantrag enthält Anmerkungen und Vorschläge zu den vier vorrangigen Aktionen, die ich voll und ganz unterstütze. Deshalb habe ich dafür gestimmt.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Ich bin enttäuscht, dass die von uns eingereichte Entschließung abgelehnt wurde, aber man muss darauf hinweisen, dass etwa 100 Abgeordnete dafür gestimmt (79) oder sich enthalten (20) haben, also mehr als doppelt so viele wie Mitglieder unserer Fraktion und auch mehr als die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke und die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz zusammengenommen. Ebenso bedeutsam war, dass sogar eine noch größere Zahl sich geweigert hat, für eine Gemeinsame Entschließung zu stimmen, die dennoch von der Mehrheit angenommen wurde.
Aus Erfahrung wissen wir, dass mit der für die Lissabon-Strategie vorgesehenen offenen Koordinierungsmethode die Armut nicht verringert wurde. Im Ergebnis der Lissabon-Strategie sind die Liberalisierung und Privatisierung von öffentlichen Sektoren und Diensten Priorität.
Da Armut eine Menschenrechtsverletzung ist, muss man ihren Ursachen mehr Beachtung schenken. Dementsprechend sind die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die soziale Integration aus Sicht einer multidisziplinären Perspektive zu fördern.
Deshalb plädieren wir dafür, den Stabilitäts- und Wachstumspakt durch einen echten Entwicklungs- und Fortschrittspakt und die Lissabon-Strategie durch eine richtige Wirtschafts- und Kohäsionsstrategie zu ersetzen. Im Gegenzug sollte unseres Erachtens der Akzent nicht auf dem Vorschlag für eine Richtlinie über die Schaffung eines Binnenmarkts für Dienstleistungen liegen.
Glyn Ford (PSE), schriftlich. (EN) Ich werde gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratischen Fraktion und der Delegation der Labour-Partei für diesen Entschließungsantrag stimmen, muss jedoch darauf hinweisen, dass im Abschnitt über Energiepolitik der wichtige Bereich der Gezeitenenergie nicht genannt wird.
Die globale Erwärmung zwingt uns, nach Alternativen für die herkömmliche Energie zu suchen, während gleichzeitig die Nuklearenergie durch Sicherheitserwägungen in Frage gestellt wird. Diese Lücke lässt sich nicht ohne weiteres durch erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windenergie oder Biokraftstoffe füllen. Das Potenzial der Gezeitenenergie wird als Einziges außer Acht gelassen. Die Franzosen haben mit dem Bau des Kraftwerks an der Mündung der Rance bewiesen, dass diese Technologie funktioniert; im Vereinigten Königreich haben sich der kleinere Standort am Mersey und der größere am Severn als geeignet erwiesen. Allein mit dem Projekt am Severn könnten fast 10 % des britischen Energiebedarfs gedeckt werden. Warum vernachlässigen wir die „großen“ erneuerbaren Energieträger und bedecken unsere Hügel lieber mit Windrädern und unsere Dächer mit Solarpaneelen?
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. – (FR) Nach einem ungeschriebenen Gesetz bestehen die Entschließungen dieses Parlaments zu bevorstehenden Tagungen des Europäischen Rates in einer Litanei von Wünschen an die Regierungen und die Kommission. Sie haben gemeinsam, dass niemals dargelegt wird, dass die Schwierigkeiten, denen unsere Länder ausgesetzt sind, durch das europäische Einheitswerk verursacht sind, sondern stets noch mehr Eingriffe von Seiten Brüssels in die Politiken der Mitgliedstaaten gefordert werden. Doch das Heil kann nicht vom Brüsseler Europa kommen, denn die meisten der in diesem Text genannten Probleme haben genau dort ihren Ursprung.
So sind wir beispielsweise heute an einem Punkt angelangt, wo die Fehlfunktionen aufgrund der von Brüssel gewollten Liberalisierung des Energiebinnenmarktes, die sich ausschließlich auf das sakrosankte Prinzip des Wettbewerbs gründet, die Abgeordneten dazu veranlassen, eine gemeinsame, wenn nicht gar einheitliche Energiepolitik zu fordern, obwohl dieser Politikbereich in den Verträgen überhaupt nicht vorgesehen ist, und zwar aus gutem Grund, weil nämlich die Regierungen, die sich der strategischen Bedeutung dieses Sektors und ihrer unterschiedlichen Interessen bewusst sind, dies abgelehnt hatten.
Der allgemeine Eindruck ist, dass das europäische Aufbauwerk, wie es sich heute darstellt, ein Selbstzweck ist, dass es sich selbst aus den negativen Folgen seiner Fehler speist. Diesem Teufelskreis gilt es ein Ende zu setzen.
Hélène Goudin, Nils Lundgren und Lars Wohlin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Mit diesem Entschließungsantrag begibt sich das Europäische Parlament auf Gebiete, auf denen es den Parlamenten der Mitgliedstaaten vorbehalten ist, Maßnahmen zum Erreichen der vereinbarten europäischen Ziele in Bezug auf mehr Wachstum und Beschäftigung zu ergreifen. Die Lissabon-Strategie basiert darauf, dass die Mitgliedstaaten die getroffenen Vereinbarungen umsetzen.
Die Lissabon-Strategie darf nicht als Argument für die ständige Forderung nach einer Aufstockung der Haushaltsmittel der EU herangezogen werden. Stattdessen ist die Juniliste der Ansicht, dass sie in den Staatshaushalt der jeweiligen Mitgliedstaaten aufgenommen werden muss. In Ziffer 3 des Entschließungsentwurfs wird eine Aufstockung des EU-Haushalts für notwendig erklärt, wenn die Ziele der Lissabon-Strategie erreicht werden sollen. Aus diesem Grund haben wir gegen die Entschließung gestimmt.
Der Entschließungsentwurf enthält zahlreiche positive Vorschläge, geht aber von der Existenz einer Finanziellen Vorausschau aus, die wir nicht unterstützen. Die Verantwortung für die Umsetzung der Lissabon-Strategie liegt bei den Mitgliedstaaten, weshalb deren Beitragszahlungen für die EU nicht erhöht werden dürfen. Sie brauchen vielmehr einen Handlungsspielraum, um selbst die für die Lissabon-Strategie notwendigen Schritte zu unternehmen.
Aus diesen Gründen haben wir gegen den von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa eingebrachten Entschließungsentwurf gestimmt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Was am 16. und 17. März stattfinden wird, könnte man als Generalversammlung der Arbeitgeber bezeichnen, und es ist kein Zufall, dass es kurz vor dem Europäischen Rat angesetzt wurde. Der österreichische Bundeskanzler und amtierende Ratspräsident, der Präsident der Kommission und die Kommissionsmitglieder werden ebenso anwesend sein wie Größen aus Wirtschaft, Industrie, Umwelt, Forschung und Medien, ganz zu schweigen von Regierungsvertretern von den so genannten nationalen Reformprogrammen.
Die Industriekapitäne werden ihre Wunschliste vorlegen und darin die Durchführung der so genannten Strukturreformen fordern, ein Euphemismus für die Politik der Rechten, dessen wahre Bedeutung den Arbeitnehmern durchaus bekannt ist: mehr unsichere Arbeit, niedrigere Löhne, längeres Berufsleben und längere Arbeitszeiten, späteres Rentenalter, die Zerschlagung und anschließende Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen mit dem Schwerpunkt auf Energie und Kommunikation, sozialer Sicherheit, Gesundheit und Bildung mit den Konsequenzen Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Armut.
Die Mehrheit im Parlament hat sich zusammengetan, um diese Agenda anzunehmen, wir jedoch haben dagegen gestimmt.
Timothy Kirkhope (PPE-DE), schriftlich. (EN) Meine konservativen Kolleginnen und Kollegen aus Großbritannien und ich selbst unterstützen mit Nachdruck alle Maßnahmen im Rahmen der Lissabon-Strategie, die wirklich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken. Dafür sind grundlegende Wirtschaftsreformen erforderlich, die in der gesamten Union zu mehr Wachstum, flexiblen Arbeitsmärkten und höheren Erwerbsquoten führen.
Wir befürworten zwar die Bemühungen des Kommissionspräsidenten und einiger Mitgliedstaaten, die Belastungen der Unternehmen und die Hemmnisse für die Schaffung von Arbeitsplätzen abzubauen, befürchten jedoch, dass einige der im Entschließungsantrag dargelegten Maßnahmen zu höheren Kosten für Unternehmen führen und von der obersten Priorität ablenken könnten, nämlich Europas Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu steigern und damit zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosenzahlen beizutragen.
Die Vorschläge im Entschließungsantrag, die eine Erhöhung der Finanziellen Vorausschau im Vergleich zur Übereinkunft des Europäischen Rates vom Dezember 2005 vorsehen, können wir nicht unterstützen.
Aus diesen und anderen Gründen haben wir beschlossen, uns bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag zu enthalten.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Der gemeinsame, von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament sowie der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa unterzeichnete und im Europäischen Parlament propagierte Entschließungsantrag zur Lissabon-Strategie zielt darauf ab, durch die Ausarbeitung nationaler Programme die kapitalistischen Umstrukturierungen in noch stärkerem Maße zu beschleunigen. Der Angriff des europa-unionistischen Kapitals wird ausgeweitet und umfasst, mit dem Eindringen des Kapitals in die Bereiche Gesundheit, Bildung und Energie und der Kommerzialisierung dieser Bereiche sowie mit der Auflösung der Arbeitsbeziehungen und der Auslöschung jeglicher durch die Arbeiterklasse erworbenen Rechte und dem erneuten Angriff auf ihre Versicherungs- und Rentenansprüche, alle elementaren Glieder der Gesellschaft.
Die Lissabon-Strategie basiert zudem auf dem Maastricht-Vertrag und den vier Freiheiten (des Kapitals, des Handels, der Arbeitnehmer und der Dienstleistungen), die in unserem Land gemeinsam von der Nea Dimokratia, der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) und der Synaspismos angenommen wurden.
Die Kommunistische Partei Griechenlands hat die Arbeiterklasse und die Bürger rechtzeitig vor den Zielen der Lissabon-Strategie gewarnt. Sie ruft die Arbeiterklasse auf, ihren Kampf gegen den barbarischen Angriff des Kapitals zu verstärken, ihren Kampf zu einem antimonopolistischen, antiimperialistischen Kampf zu machen und eine eigene Allianz für die Macht des Volkes und für Prosperität zu errichten.
Tobias Pflüger (GUE/NGL), schriftlich. Es ist skandalös, dass ausgerechnet im 20. Jahr nach dem GAU von Tschernobyl zwei Drittel der Abgeordneten im Europäischen Parlament mit der Entschließung zur Lissabon-Strategie auch für die weitere Nutzung von Atomenergie gestimmt haben. Atomkraft bleibt eine Risikotechnologie mit unabsehbaren Folgen.
In der gesamten Spirale der Atomkraftnutzung werden Grundrechte verletzt und Lebensbedingungen zukünftiger Generationen unumkehrbar verschlechtert: Uranabbau ist mit massivem Raubbau an Natur sowie radioaktiver Belastung von Grundwasser verbunden. Mit Urananreicherung kann auch atomwaffenfähiges Material produziert werden. Eine absolute Trennung der „zivilen“ von der militärischen Nutzung der Atomenergie ist nicht wirklich möglich. Auch der Normalbetrieb von Atomreaktoren bedeutet permanente Gefahr (Niedrigstrahlung, Gefahr der Verseuchung von Flüssen, die zur Kühlung von Atomreaktoren genutzt werden usw.) .
Durch Wiederaufbereitungsanlagen werden immer wieder großflächig ganze Landstriche und Meere radioaktiv belastet. Bis heute ungelöst ist die Entsorgung und Endlagerung des täglich neu anfallenden hochradioaktiven Atommülls, der noch mindestens 10 000 Jahre radioaktiv strahlen wird. Die im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2007-2011) der Atomforschung zugute kommenden 3,1 Milliarden Euro bedeuten eine Verdopplung im Vergleich zum vorherigen Forschungsrahmenprogramm. Anstatt in Atomtechnologien zu investieren, sollten von der EU regenerative Energien noch mehr ausgebaut werden. Nur mit dezentraler Versorgung aus erneuerbaren Energieträgern kann eine Energieversorgungssicherheit langfristig gewährleistet werden.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich habe für die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Beitrag zur Frühjahrstagung 2006 des Europäischen Rates mit Blick auf die Lissabon-Strategie gestimmt, da ich die meisten der darin vorgebrachten Argumente und Vorschläge akzeptiere. Besonders begrüße ich die Vorschläge zu einem anspruchsvollen, wettbewerbsfähigen und innovativen Ansatz für die europäische Wirtschaft, mit dem ein Fahrplan für eine europäische Wirtschaftsreform vorgegeben wird, gekennzeichnet von der Vollendung des Binnenmarkts, Investitionen in Forschung und Entwicklung und der Solidarität zwischen Gemeinschaften und Generationen.
Einige Punkte bedürfen meiner Meinung nach der Klarstellung.
Ich halte es für bedauerlich, dass wir ein Jahr nach dem Frühjahrsgipfel 2005 in vielen Bereichen mehr oder weniger genau da verharren, wo wir waren, namentlich bei der freien Erbringung von Dienstleistungen, der Niederlassungsfreiheit für Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten, der Vertiefung des Binnenmarkts und der Reform der Haushaltsprioritäten. Diese Punkte haben mich sicher nicht dazu veranlasst, gegen die Entschließung zu stimmen, aber sie verstärken meine Enttäuschung über das fehlende Engagement für EU-Reformen.
6. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
(Die Sitzung wird um 13.20 Uhr unterbrochen und um 15.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS Vizepräsident
(Die Sitzung wird um 15.00 Uhr wieder aufgenommen.)
7. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
8. Ergebnisse des informellen Treffens der Außenminister vom 10. und 11. März 2006 (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission über die Ergebnisse des informellen Treffens der Außenminister vom 10. und 11. März 2006.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die Union kann einen entscheidenden Beitrag zum Fortschritt in den Westbalkanstaaten leisten. Dies war Thema des „Gymnich“-Treffens der Außenminister in Salzburg.
Die Region befindet sich am Scheideweg, und die EU wird ihr auf dem Pfad des Friedens und der Reformen beistehen. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche positive Entwicklungen, doch wir sollten uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen.
Die noch nicht geregelten Statusfragen bezüglich Kosovo und Montenegro müssen in diesem Jahr mit Bedacht und Entschlossenheit geklärt werden. Zudem muss die Region mit unserer Hilfe die Ära des Krieges hinter sich lassen. So müssen wir den Weg für Fortschritte in den Bereichen ebnen, die den Bürgern der Region wirklich am Herzen liegen: wirtschaftliche und soziale Entwicklung und eine Einbindung der Länder in die europäischen Strukturen.
Wie können wir die Länder am besten dazu bringen, eine ehrgeizige Reformagenda zu verfolgen? Vor allem müssen wir unsere Zusage einhalten, dass sich die Länder kontinuierlich auf die EU zu bewegen und ihr letztendlich beitreten können, sobald sie die strengen Beitrittskriterien erfüllen. Darüber hinaus müssen wir diese Perspektive konkret und greifbar machen, wie es die Kommission in ihrer jüngsten Mitteilung getan hat. Lassen Sie mich unsere Ziele und Vorschläge anhand einiger Beispiele veranschaulichen.
Erstens sind die Handels-, Produktions- und Investitionshemmnisse abzubauen. Die Kommission bemüht sich, wie auch die betreffenden Länder und wie es im Stabilitätspakt vorgesehen ist, um den Abschluss eines regionalen Freihandelsabkommens, mit dem das bisherige Flickwerk aus 31 bilateralen Freihandelsabkommen ersetzt würde. Ein möglicher Weg bestünde in der gleichzeitigen Erweiterung und Modernisierung des CEFTA. Zu diesem Thema wird im April in Bukarest ein CEFTA-Gipfel veranstaltet.
Zweitens sollten wir die künftige Generation – oder warum nicht die heutige Generation – europäisieren. Wir haben deshalb vorgeschlagen, die Mobilität von Forschern und Studenten durch eine größere Zahl von Stipendien zu erhöhen.
Drittens müssen wir die Kontakte der Menschen untereinander verbessern. Wir werden Maßnahmen zur Erleichterung des Visumverfahrens vorschlagen, und ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten diese schnell durch den Rat bringen werden, damit wir mit den Verhandlungen über eine Visaerleichterung und über Rückführungsabkommen beginnen können. Ich möchte Folgendes hervorheben: Je mehr die Länder in der Region zur Gewährleistung von Grenzkontrollen und Dokumentensicherheit unternehmen können, desto leichter wird es sein, die Mitgliedstaaten zu überzeugen, Schritte zur Visaerleichterung zu unternehmen.
Ich freue mich, dass die Außenminister der Union diesen praktischen Maßnahmen am vergangenen Wochenende in Salzburg zugestimmt haben, und auch wenn Frau Plassnik heute hier nicht anwesend ist, möchte ich ihr meine tiefe Anerkennung für ihr persönliches Engagement zugunsten von Fortschritten in den Westbalkanstaaten aussprechen.
Abschließend möchte ich mich kurz zum Tod von Slobodan Milosevic äußern. Als wir am Ende des Gymnich-Gipfels von seinem Tod erfahren haben, musste ich sofort an meinen Besuch in Srebrenica im vergangenen Juli anlässlich des zehnten Jahrestages des abscheulichsten Massakers in Nachkriegseuropa denken. Ich bedauere, dass Slobodan Milosevic gestorben ist, bevor den Hunderttausenden Opfern der Verbrechen, die ihm zur Last gelegt wurden, Gerechtigkeit widerfahren konnte.
Altbundeskanzler Kohl schreibt in seinen Memoiren, dass sich jede Generation um das nötige Geschichtsbewusstsein bemühen müsse, um unsere Fehler nicht zu wiederholen und sicherzustellen, dass die Stimmen der Opfer Gehör finden. Dies sind ausgesprochen weise Worte.
Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien protokolliert Beweise, damit die Serben heutiger und künftiger Generationen begreifen können, dass im Namen Serbiens zahlreiche Verbrechen begangen wurden, für die jedoch Einzelpersonen verantwortlich waren.
Aufgrund des Todes von Slobodan Milosevic ist es noch wichtiger geworden, dass das Haager Tribunal seine Arbeit zum Abschluss bringt und die übrigen Angeklagten dort vor Gericht gestellt werden. Auf diese Weise kann Serbien das tragische Kapitel der Milosevic-Herrschaft schließen und das Erbe der Vergangenheit bewältigen.
Serbien befindet sich heute in der Tat an einem Scheideweg, und ich hoffe inständig, dass die Entscheidungsträger und die Bürger in diesem Land den Willen und die Weitsicht besitzen, sich für eine europäische Zukunft und nicht für eine nationalistische Vergangenheit zu entscheiden. Die Zukunft dieses Landes liegt nun tatsächlich in seinen eigenen Händen. Wir können den Serben helfen, die richtige Entscheidung zu treffen, indem wir ihnen die Möglichkeit eines Beitritts offen halten.
Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Präsident! Es ist eine Aussprache mit dem Rat angekündigt. Sie haben gerade gesagt, dass der Rat noch nicht da ist. Aber ich finde, wir sollten schon auf den Rat warten, denn wir wollen ja einen Bericht über den Gipfel von Salzburg hören und dann darüber diskutieren. Es hat doch keinen Sinn, wenn wir diskutieren und nachher den Bericht hören. Das sind doch sinnlose Rituale.
Der Präsident. Ich stimme Herrn Posselts Äußerungen zu, obwohl ich erfahren habe, dass die Ministerin in Kürze eintreffen wird.
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Ich möchte mich dem Protest von Herrn Posselt anschließen, denn ich meine, in diesem Parlament dürfen wir nicht auf das wirklich Wesentliche verzichten, nur weil die Form nicht gewahrt wurde, und wenn eine Aussprache mit der Kommission und dem Rat angesetzt wurde, sollte der Rat auch anwesend sein.
Herr Präsident, als wäre die Lage im Nahen Osten und in Palästina nach dem Sieg der Hamas nicht schon kompliziert genug, spitzt sich die Situation mit dem Angriff auf das Gefängnis von Jericho durch israelische Truppen – den wir meiner Ansicht nach verurteilen müssen – noch mehr zu und hat eine Welle unüberlegter Gewalt ausgelöst, von der europäische Bürger und Interessen betroffen sind und die wir auf das Schärfste verurteilen müssen.
Herr Präsident, da ich weiß, dass darüber im informellen Rat der Außenminister diskutiert wurde, möchte ich die Kommission fragen, wie die Europäische Kommission und der Rat, der leider immer noch abwesend ist, in Bezug auf die Hilfe der Europäischen Union für Palästina vorgehen will und ob sie, was logisch wäre, auf der Forderung bestehen wird, dass die Hamas der Gewalt abschwört und den Staat Israel und die vorangegangenen Abkommen anerkennt.
Zweitens, Herr Präsident, was das Thema Iran angeht, das vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebracht wurde, so möchte ich die Kommission fragen, ob sie einem schrittweisen Vorgehen den Vorzug gibt, das heißt, dass der Sicherheitsrat eine Erklärung abgibt, oder ob sie hofft, dass Sanktionen zur Anwendung kommen.
Im Zusammenhang mit der Erweiterung, Herr Präsident, und angesichts der Kommentare des französischen Innenministers, Herrn Sarkozy, dahingehend, dass eine gewisse Ermüdung in Bezug auf die Erweiterung eingetreten ist, und seiner Forderung nach einer Debatte im Rat im Juni zur Festlegung der Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union – der Bericht von Herrn Brok ist der nächste auf der Tagesordnung – hätte ich gern gewusst, ob die Kommission Herrn Sarkozys Forderung an den Rat teilt und ob sie glaubt, dass der österreichische Unionsvorsitz eine endgültige Antwort auf die Frage der geografischen Grenzen unseres politischen Projekts geben sollte.
Der Präsident. Einige Punkte, die Sie angesprochen haben, werden sicher von Frau Ferrero-Waldner behandelt werden, die im Moment nicht hier ist, und viele Ihrer Fragen werden im Rahmen der Aussprache zur Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer beantwortet werden, die zu gegebener Zeit stattfinden wird.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Angesichts der Tatsache, dass die Kommission in dieser Aussprache nur über wenig Redezeit verfügt und es daher unmöglich wäre, auf so viele unterschiedliche Themenbereiche, zu denen alle auswärtigen und internationalen Angelegenheiten gehören, einzugehen, haben wir uns darauf geeinigt, dass sich Frau Ferrero-Waldner später am heutigen Abend zum Iran und zu Palästina sowie zum Karikaturenstreit äußert. Ich habe mich daher auf unsere Strategien für den Westbalkan beschränkt.
Der Beitrag der Kommission verteilt sich wie folgt: nach dieser Aussprache werde ich auf Fragen zum Westlichen Balkan eingehen und Frau Ferrero-Waldner wird etwas später heute Abend Antwort auf die weiteren Fragen geben.
Doris Pack (PPE-DE). – Herr Präsident! Herr Rehn hat geschildert, wie die Situation ist. Lassen Sie uns doch jetzt den Bericht von Elmar Brok diskutieren, in dem es um die Erweiterung geht, und machen wir alles andere anschließend, wenn Frau Plassnik da ist! Ich bitte Sie herzlich, so zu verfahren. Ansonsten sind wir dem Herrn Kommissar gegenüber ungerecht und auch in der Diskussion gar nicht richtig aufgestellt.
Der Präsident. Ich verstehe die ungewöhnliche Situation, in der wir uns befinden, aber leider wird die Aussprache zum Bericht Brok entsprechend der Tagesordnung nach den Erklärungen des Rates und der Kommission stattfinden.
Elmar Brok (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich habe auch einen Vorschlag zu machen. Wir können natürlich unterbrechen, wenn die fehlende Ratspräsidentschaft uns in der Zwischenzeit zum Kaffee einlädt.
(Heiterkeit)
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Ich bin mir voll und ganz des Drucks bewusst, den die Erarbeitung der Tagesordnung unseres Parlaments mit sich bringt, aber Sie sagten, wir haben einen bestimmten Arbeitsplan, und es kann nicht sein, dass ein Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wird, in dem es heißt, wir würden über den informellen Rat der Außenminister diskutieren, und sich dann herausstellt, dass das für die meisten Punkte dieses Rates zuständige Kommissionsmitglied entschieden hat, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt unserer Debatte behandelt werden.
Meiner Meinung nach sind die Vorschläge von Herrn Posselt und Frau Pack völlig gerechtfertigt. Wenn die zuständige Kommissarin nicht hier ist, um über die Hauptthemen des informellen Rates der Außenminister zu sprechen, sollten wir den Bericht von Herrn Brok diskutieren und können dann diesen Punkt behandeln, wenn die verantwortliche Kommissarin kommt, denn es ist nicht akzeptabel, eine Aufteilung der Themen vorzunehmen, ohne die Meinung der Abgeordneten einzuholen.
Der Präsident. Ich verstehe Ihre Bedenken, aber ich muss sagen, dass ich nicht wüsste, dass irgendetwas in der Geschäftsordnung uns helfen könnte, dieses Problem zu lösen.
Hannes Swoboda (PSE). – Herr Präsident! Das Problem ist natürlich, dass einige Kolleginnen und Kollegen, die für den Bericht Brok vorbereitet sind, jetzt nicht da sind und erst zu einem späteren Zeitpunkt kommen. Wir können natürlich etwas umstellen. Frau Napoletano war bereit, später zu sprechen, und ich spreche jetzt, weil ich vornehmlich zum Thema Balkan spreche. Man kann das natürlich jetzt einfach miteinander mischen. Aber manche Kolleginnen und Kollegen werden auch böse sein, dass sie nicht zum Bericht Brok reden konnten, weil sie nicht da waren. Das ist das Problem!
Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich darf höflich die Frage stellen, ob Sie Informationen haben, wann der Rat hier eintreffen wird. Denn wenn das stimmt, was ich höre, dass es nur noch eine Viertelstunde dauert, dann könnten wir doch eine Viertelstunde warten, denn eine Viertelstunde Verspätung hatten wir hier schon oft. Ich würde also vorschlagen, dass, wenn der Rat in 15 Minuten kommt, wir so lange unterbrechen. Kommt er in einer Stunde, müssen wir uns etwas anderes überlegen. Wir haben ja überhaupt keine Informationen, vielleicht haben Sie welche.
Der Präsident. Ich schlage vor, wir unterbrechen die Sitzung für ein paar Minuten, während wir auf die Ankunft des Ratsvertreters warten.
(Die Sitzung wird um 15.20 Uhr unterbrochen und um 15.35 Uhr wieder aufgenommen.)
Da der Vertreter des Rates jetzt eingetroffen ist, können wir unsere Arbeit fortsetzen.
Ursula Plassnik, amtierende Ratspräsidentin. Herr Präsident! Ich bitte um Vergebung für unsere Verspätung. Wir hatten gleich mit zwei Verkehrsunfällen zu kämpfen, einem auf dem Weg zum Flughafen in Wien und einem auf dem Weg von Entzheim hierher zu Ihnen.
Ich danke für die Gelegenheit, Ihnen über unser informelles Außenminister-Treffen, das Gymnich-Format-Treffen, das wir an diesem Wochenende in Salzburg abgehalten haben, berichten zu dürfen. Dabei ging es im Wesentlichen um zwei Themenbereiche, und zwar zuerst um die aktuellen außenpolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, insbesondere die Thematik der Entwicklungen im Mittleren und Nahen Osten und die Vorschau auf die bevorstehenden Wahlgänge in Belarus und in der Ukraine. Der zweite Tag war dann dem Thema Balkan gewidmet, der Agenda von Thessaloniki sowie ihrer Umsetzung und ihrer Zukunft.
Wenn Sie gestatten, möchte ich zunächst auf die Thematik Naher Osten eingehen und dann auf das Thema Balkan.
Zum Nahen Osten: Wir befinden uns nach den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat und vor den Wahlen in Israel in einer Übergangsphase. Und in dieser Übergangsphase richten wir eine sehr klare und konsistente Botschaft an die zukünftige palästinensische Regierung. Denn es geht darum, unsere eigenen Grundsätze und unsere Prinzipien klarzumachen, auf deren Grundlage wir zu einer weiteren Zusammenarbeit bereit sind. Diese Prinzipien sind sehr klar. Sie bestehen aus drei Teilen: einer Aufforderung zum Gewaltverzicht, einer Aufforderung, den Verhandlungsweg zu befürworten, d. h. Anerkennung der bestehenden Vereinbarungen, sowie der Anerkennung des Existenzrechts Israels.
Auf dieser klaren und konsistenten Grundlage entwickeln wir unsere Politik. Auf dieser Basis haben wir auch einen Aufruf an unsere Partner im Nahen Osten gerichtet. Es wird notwendig sein, dass die Hamas jetzt insbesondere diese Wegkreuzung wahrnimmt und Entscheidungen über den künftigen Weg trifft. Sie muss klarstellen, welchen Kurs sie einschlagen wird. Von unserer Seite sind die Bedingungen klargemacht, und an diesen Bedingungen hat sich auch nichts geändert. Wir unterstützen weiterhin die palästinensische Bevölkerung, wir haben auch in Gymnich darüber beraten, wie eine finanzielle Unterstützung in Zukunft aussehen kann. Es ist klar: Eine derartige Unterstützung muss dem palästinensischen Volk zugute kommen, sie darf nicht für Terror und nicht für Gewalt verwendet werden.
Wir verfolgen daher mit großer Aufmerksamkeit die Entwicklungen sowie die Arbeit an der Zusammensetzung und am Programm der zukünftigen palästinensischen Regierung. Gestern war Präsident Mahmud Abbas mit seiner Delegation in Wien. Wir hatten die Gelegenheit, diese Thematik auch mit ihm zu erörtern. Wir unterstützen ihn und die Interimsregierung in dieser schwierigen Phase, und wenn ich dann später noch Gelegenheit habe, näher auf die aktuellen Ereignisse einzugehen, werde ich das sehr gerne tun.
Zum Balkan: Dieses Thema war und ist dem österreichischen Vorsitz, wie Sie wissen, ein besonderes Anliegen. Ich sehe daher das Gymnich-Treffen und die Beschäftigung mit diesem Thema als ein Signal der Ermutigung, sogar als ein doppeltes Signal der Ermutigung, das an die Bevölkerung der Westbalkanstaaten gerichtet ist: Der für sie oft beschwerliche Weg nach Europa zur Erfüllung der europäischen Standards lohnt sich. Es ist ein Weg, den wir mit wohlwollender Unterstützung begleiten.
Es ist aber auch ein Signal der Ermutigung an unsere eigenen Bevölkerungen, dass es sehr wohl möglich ist, Lösungen für schwierige, ja für schwierigste Fragen zu erzielen. Es ist für mich daher ein Signal der Hoffnung und der Zuversicht gewesen, dass es uns gelungen ist, mit der Salzburger Erklärung eine Bekräftigung der europäischen Perspektive der Staaten des Balkans zu geben und sichtbar zu machen.
Denn gerade in Zeiten, in denen von Erweiterungsmüdigkeit die Rede ist, war es wichtig, dieses Signal auszusenden und unseren Partnern ein vorhersehbares Umfeld zu bieten. Denn 2006 ist das Jahr, in dem schwierigste Entscheidungen vor uns liegen. Alleine die Gästeliste bei unserem Salzburger Treffen hat uns sehr deutlich gemacht, wie anspruchsvoll der Weg ist, der in diesem Jahr vor uns liegt. Wir hatten Gelegenheit, mit Präsident Martti Ahtisaari, dem UNO-Beauftragten für die Zukunft des Kosovo, und seinem Stellvertreter, Albert Rohan, ein Gespräch zu führen Wir hatten auch Christian Schwarz-Schilling, den Hohen Beauftragten für Bosnien und Herzegowina, eingeladen. Søren Jensen-Petersen war mit uns, der UNMIK-Chef in seiner Delegation, und der Nachfolger von Ibrahim Rugova, der kosovarische Präsident Fatmir Sejdiu. Ich habe mich auch gefreut, dass uns in diesem Segment unseres Salzburger Treffens insofern eine Premiere gelungen ist, als der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Herr Elmar Brok, bei uns war und an unseren Diskussionen teilgenommen hat.
Der Balkan liegt mitten in Europa, und ohne Balkan bleibt die europäische Einigung Stückwerk. Wir wissen, dass der Weg, der vor uns liegt, ein sehr anspruchsvoller ist, aber wir sind entschlossen, ihn zu gehen. Wir sind entschlossen, von der Arbeitsmethode her Schritt für Schritt voranzugehen, Thema für Thema zu bearbeiten, Lösung für Lösung zu finden.
Die Arbeit an den europäischen Standards ist eigentlich das zentrale Thema für jedes einzelne dieser Länder. Ich hatte gestern den bosnischen Premierminister in Wien zu Besuch, und er sagte mir, entscheidend sei nicht ein Datum, ein bestimmter Zeitpunkt einer Entwicklung, sondern entscheidend sei die gemeinsame Arbeit an den europäischen Standards. Javier Solana, der die Entwicklungen ja seit langem verfolgt, hat das seit Thessaloniki 2003 Erreichte als eine Erfolgsgeschichte bezeichnet, die an der Tagesordnung ablesbar ist, und zwar an der Salzburger Tagesordnung. Denn die Themen, um die es gegangen ist, waren die Themen Handelserleichterungen und -verbesserungen, Kampf gegen die organisierte Kriminalität, Jugend und Reiseerleichterungen. Das Thema Visa hat uns beschäftigt, denn es gilt, sich mit den Erwartungen zu befassen, die die Bevölkerung dieser Länder in uns setzten. Andererseits müssen wir klarmachen, wo unsere Möglichkeiten liegen, und gemeinsam Schritt für Schritt Lösungen für die offenen Probleme suchen, auch in diesem heiklen Bereich.
Europa macht in dieser Region einen Unterschied, das ist überhaupt keine Frage. Wir haben aber auch die Eigenverantwortung der betreffenden Länder betont. Denn in einigen der Länder sind wir jetzt an einem Punkt, wo es darum geht, nach der Stabilisierung in eine dynamische europäische Entwicklung einzutreten. Hier ist gefordert, dass dieser Weg auch klargemacht wird, die Bereitschaft, die notwendigen Schritte vorzunehmen und das zu demonstrieren, was wir mit dem englischen Wort ownership ganz gut umschreiben.
Die Notwendigkeit regionaler Zusammenarbeit haben wir betont, insbesondere im Hinblick auf die Arbeiten an einer regionalen Freihandelszone – 31 Einzelabkommen sollen durch ein gemeinsames Freihandelsabkommen ersetzt werden, das auf der Basis von CEFTA gestaltet werden soll. Ich bin der Kommission und insbesondere auch Olli Rehn persönlich sehr dankbar für das Engagement. Rat und Kommission arbeiten hier wirklich im besten Sinne des Wortes Hand in Hand und Seite an Seite. Ich danke für die Mitteilung der Kommission Ende Januar, und ich danke auch für die Bereitschaft, jetzt an der Umsetzung der in der Salzburger Erklärung gesetzten Ziele gemeinsam weiterzuarbeiten.
Weiterarbeiten müssen auch die Fachminister, die einzelnen Minister in den nationalen Regierungen, denn an ihnen wird es unter anderem liegen, im Netzwerk mit den Partnern aus den Balkanstaaten konkrete Probleme zu bewältigen. Insbesondere die Innenminister sind hier sehr engagiert und tragen eine große Verantwortung. Sie und ihre Zusammenarbeit bestimmen ja in wichtigen Fragen die Fortschritte, die ganz praktisch erzielt werden können.
Wir haben auch das Thema Aufnahmefähigkeit diskutiert und in unsere Überlegungen einbezogen. Diese Forderung habe ich ja selbst im Herbst des letzten Jahres stärker in unser aller Bewusstsein gerückt, und ich glaube, es war nicht zu Unrecht. Es geht nicht darum, ein zusätzliches Hindernis aufzubauen, sondern im Grunde etwas völlig Selbstverständliches verstärkt in unser Bewusstsein zu rücken, nämlich dass die Hausaufgaben nicht immer nur vom Kandidaten verlangt werden sollen, sondern natürlich auch für die Europäische Union gelten.
Wir hatten in dieser gemeinsamen Sitzung, in diesem Moment, in dem in Salzburg alle um einen großen Tisch vereint waren, gemeinsam ein beklemmendes Erlebnis, das uns jedoch auch zur Zuversicht angespornt hat. Der Tod von Slobodan Milošević ist als Nachricht mitten in unsere Beratungen gekommen, und es war von europäischer Symbolik, in diesem Moment gemeinsam an unserer gemeinsamen Zukunft in diesem Europa arbeiten zu dürfen.
(Beifall)
Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Ich möchte nur zwei kurze Bemerkungen betreffend den Nahen Osten machen. Erstens fordern wir mit Recht, dass die Hamas die Realitäten anerkennen und der Gewalt abschwören muss. Aber das darf kein Freibrief für Israel sein, seine einseitige Gewaltpolitik fortzusetzen, wie wir dies soeben erlebt haben. Zweitens: Die Nuklearpolitik Europas und der USA muss auf eine kohärente Basis gebracht werden, vor allem angesichts unterschiedlicher Behandlung Indiens und Irans. Zweitens muss der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien eine größere Rolle in einem multilateralen System der Urananreicherung und der Entsorgung des Atommülls gegeben werden. Wenn wir uns an diese Grundsätze halten, werden sich Fortschritte einstellen.
Was den Balkan betrifft, handeln wir, wie mir scheint, nach dem Motto „Was kein Rückschritt ist, ist schon ein Fortschritt“. Es ist die Schuld einiger Mitgliedstaaten – ich und auch meine Fraktion sind sehr betroffen davon –, dass man die Frage der Ertüchtigung Europas zur Aufnahme gegen eine Beitrittsperspektive für die Länder des Balkans ausspielt. Aber Europa wird nicht stark, indem wir den Ländern des Balkans die Beitrittsperspektive rauben oder in weite Ferne rücken. Die Vision der EU-Mitgliedschaft, die dieses Parlament so oft und auch meine Fraktion einstimmig beschlossen hat, muss die Richtschnur bleiben. Die selbstverständliche Forderung nach Erhöhung der Aufnahmefähigkeit der EU – ich denke an die Verfassung, an die finanzielle Basis – kann und darf nicht gegen die Beitrittsbestrebungen der Länder Südosteuropas gewandt und ausgespielt werden. Wir müssen die Vorbereitungen auf unserer Seite und die Vorbereitungen auf dem Balkan parallel führen. Während diese konsequente Vorbereitung beider Seiten auf die Erweiterung geschieht, müssen konkrete Schritte gesetzt werden, um die Länder des Balkans an die Europäische Union heranzuführen, nicht zuletzt auch durch deutliche Erleichterungen im Visa-Regime. Ihre Worte über die Innenminister in Gottes oder auch der Innenminister Ohr – ich hoffe, dass sie etwas Konkretes tun, um vor allem den jungen Menschen in dieser Region eine Chance zu geben, endlich auch Europa kennen zu lernen. Trotz des in mehrfacher Hinsicht vorzeitigen Todes von Slobodan Milošević bleibt im Interesse der Opfer und der gemeinsamen Zukunft Europas die Aufgabe, alle Täter nach Den Haag zu bringen. Darauf müssen wir sicherlich beharren.
Die Länder des Balkans, die so oft in der Geschichte unseres Kontinents Spielbälle der europäischen Großmächte waren, müssen Schritt für Schritt in die Europäische Union integriert werden. Wir jedenfalls werden keine Rückstufung der Balkanländer in ein früheres Stadium ihrer Nähe zur Europäischen Union akzeptieren. Wenn wir morgen dem Bericht Brok zustimmen, dann nur mit dieser eindeutigen Aussage, die im Text steht, und nicht mit Interpretationen, wie sie leider in den letzten Stunden immer wieder gegeben werden, die den eigentlichen Text des Berichts Brok jedoch verfälschen. Wir stehen zur europäischen Perspektive der Länder des Balkans.
(Beifall)
Annemie Neyts-Uyttebroeck, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Von der Balkan-Konferenz hatte ich mir eine eindeutige und positive Botschaft erhofft. Ich denke, diese Hoffnung hatten auch der Ratsvorsitz und die Kommission. Doch Sie können es sich beide wohl kaum leisten, ihre Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen, also werde ich es für Sie tun.
Wir sind uns alle einig, dass die Lage in der gesamten Balkanregion nach wie vor explosiv und potenziell instabil ist, also dürfen wir kein Blatt vor den Mund nehmen. In der gemeinsamen Presseerklärung, die deutlich zurückhaltender ausgefallen ist als vorherige, wird festgestellt, dass die Zukunft der Länder des westlichen Balkans in der Europäischen Union liegt. Es fällt auf, dass eine Mitgliedschaft mit keinem Wort erwähnt wird. Zudem wird darauf hingewiesen, dass 2006 eine Debatte über die Erweiterungsstrategie zu führen ist und die Aufnahmefähigkeit der EU berücksichtigt werden müsse. Dies ist enttäuschend. Ich werde im Verlauf der Aussprache über den Bericht Brok darauf zurückkommen.
Erlauben Sie mir, dass ich mich kurz zum Nahen Osten äußere. Der Reaktion meines Fraktionsvorsitzenden auf das bedauerliche und inakzeptable Vorgehen Israels gestern in Jericho kann ich mich nur anschließen, ganz zu schweigen von dem – und das ist noch freundlich ausgedrückt – merkwürdigen Verhalten der US-amerikanischen und britischen Truppen. Angesichts eines solchen Vorgehens wird es für die EU natürlich schwierig, an ihrer Position festzuhalten. Meine Fraktion fordert zwar ausdrücklich, dass die Hamas auf Gewalt verzichtet und die bestehenden internationalen Verträge achtet, doch wir müssen voller Bedauern feststellen, dass es uns Israel immer schwieriger macht, diese Linie beizubehalten. Wir werden dies dennoch tun, müssen allerdings unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass ein Vorgehen wie das gestrige dem Streben nach einer friedlichen Lösung völlig zuwiderläuft.
Angelika Beer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, verehrte Frau Plassnik! Wir haben die Sitzung gern unterbrochen, um auf Sie zu warten, weil wir ausgesprochen besorgt sind und das mit Ihnen diskutieren wollen.
Die österreichische Präsidentschaft ist angetreten mit dem Vorhaben Thessaloniki II. In der Salzburger Erklärung ist davon nichts mehr zu hören. Es ist auch nichts mehr von einer Mitgliedschaftsperspektive für den westlichen Balkan zu hören. Diese Erklärung ist ein Formelkompromiss – ein Formelkompromiss, der auf dem Balkan kritisch gehört wird und der kein Signal der Ermutigung war, höchstens ein Signal zur Missinterpretation. So werte ich jedenfalls die Äußerung von Herrn Brok, der auch in Salzburg teilgenommen hat und der seit Montag in den deutschen Medien von einem Ende der EU-Perspektive für den Balkan spricht, einem so genannten dritten Weg, einer privilegierten Partnerschaft.
Wenn Europa glaubwürdig sein will, dann müssen wir die Perspektive Europa für den Balkan nicht nur im Wort, sondern auch in der Tat aufrechterhalten, und ich unterstütze Kommissar Olli Rehn in seinen Aussagen.
Lassen Sie mich zum Schluss eins sagen, Herr Kollege Brok: Einen dritten Weg hat in den 80er Jahren schon der libysche Staatschef Gaddafi versucht. Er hat eine erbärmliche Niederlage erlitten, zum Glück, und Ihnen wird es genauso gehen.
Elmar Brok (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar, Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen zu den Bereichen machen, die nicht mit Erweiterungsländern zu tun haben, weil ich darauf gleich während meines Berichts eingehen werde. Ich möchte nur kurz etwas zum Nahen und Mittleren Osten sagen.
Nicht nur die Ereignisse der letzten zwei Tage, sondern die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate führen zu immer größeren Schwierigkeiten. Zum einen die Situation, wie sie sich im Heiligen Land selbst auf beiden Seiten in diesen Stunden darstellt, zum anderen die Frage, die mit den Chancen verbunden ist, den Iran von einem Nuklearprogramm militärischer Art abzuhalten. Und wenn sich hier möglicherweise ein Kreis schließt – Iran, Syrien, eine Einigung im Libanon mit der Hisbollah von allen Seiten sowie die Kontakte zur Hamas –, dann entsteht die große Gefahr einer Verbindung, die außerordentlich problematisch ist und auf die wir eine Antwort finden müssen, und zwar nicht nur, um den Frieden zu sichern und den Terror zu bekämpfen, sondern auch um Energiesicherheit zu gewährleisten.
Ich bedanke mich, Frau Ratspräsidentin, dass ich in Teilen der Diskussion dabei sein konnte. Neben den harten politischen Fakten, die hier zu verhandeln sind, müssen wir auch eindeutig durchsetzen, dass der Dialog der Kulturen wirklich zustande kommt, damit es den Fundamentalisten nicht gelingt, eine Mehrheit der Moderaten, die es in allen Regionen noch gibt, zu verhindern.
Frau Ratspräsidentin, gestatten Sie mir, noch einen anderen Punkt anzusprechen, der in manchen Bereichen von großer Bedeutung ist, nämlich die Frage der Mission der Europäischen Union im Kongo. Mich würde sehr interessieren, ob es dafür schon ein festgelegtes Mandat inhaltlicher, zeitlicher und räumlicher Art gibt und ob eine formale Einladung der kongolesischen Behörden für eine solche Aktion vorliegt, an der die Europäische Union beteiligt ist. Für die Entscheidungsfindung hier und andernorts ist es von außerordentlich großer Bedeutung, Klarheit darüber zu schaffen, in welcher Weise die Ratspräsidentschaft und der Hohe Beauftragte tätig sind, um dieses Mandat zu organisieren.
Cecilia Malmström (ALDE). – (SV) Herr Präsident! Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Es ist ausgesprochen erfreulich, dass Sie dem Balkan große Aufmerksamkeit widmen. Wir haben ja alle ein Interesse an der Stabilisierung und Demokratisierung dieser Region, und die EU hat wirklich die Möglichkeit, hier eine wichtige Rolle zu spielen. Ich wünsche Ihnen beiden viel Erfolg bei der Aufgabe, die Ambitionen Ihrer Kolleginnen und Kollegen in den anderen Mitgliedstaaten auf das gleiche hohe Niveau zu bringen. Seien Sie versichert, dass die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa dabei hinter Ihnen steht.
Die verschiedenen Initiativen, die die Länder zur Zusammenarbeit miteinander und mit uns bewegen sollen, sind ausgezeichnet. Ebenfalls positiv ist, dass letztendlich entschieden wurde, das bereits vorhandene und tatsächlich funktionierende Mitteleuropäische Freihandelsabkommen CEFTA als Ausgangpunkt zu nutzen, anstatt etwas völlig Neues zu schaffen, wie es seinerzeit angedacht war. Ich halte das für eine außerordentlich kluge Entscheidung. Gleichzeitig handelt es sich hier aber auch um unterschiedliche Länder mit verschiedenartigen Traditionen, einer heterogenen Geschichte und unterschiedlichem Entwicklungsstand. Darum ist es wichtig, dass wir signalisieren, dass alle diese Länder in der Europäischen Gemeinschaft willkommen sind, wenn sie es wünschen, und dabei ausgehend von ihren eigenen Leistungen behandelt werden. In bestimmten Lagern herrscht zur Zeit Unruhe darüber, dass wir wieder Länder in einen Topf werfen und sie als Einheit betrachten. Diese Sorge halte ich für übertrieben, aber wir müssen uns über diesen Punkt vollkommen im Klaren sein, nämlich dass jedes Land nach seinen eigenen Voraussetzungen behandelt wird.
Was den Tod von Slobodan Milošević betrifft, so sprechen wir hier von einem widerlichen Diktator, der für den Tod Hunderttausender Menschen und für einen Großteil der Tragödie verantwortlich ist, die sich abgespielt hat. Auch ich bedauere, dass das Verfahren gegen ihn nicht abgeschlossen werden konnte und meine, es ist offensichtlich, dass hier das Leben eines recht erbärmlichen Menschen ein Ende genommen hat. Wir dürfen auch weiterhin keinerlei Zweifel daran lassen, dass Radovan Karadzic und Ratko Mladić ausgeliefert werden müssen, und zwar unverzüglich. Hier gibt es keinen Raum für Kompromisse.
Margie Sudre (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Frau Minister, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Außenminister der Union haben am Samstag die europäische Perspektive der westlichen Balkanstaaten neu festgelegt und deutlich gemacht, dass das Endziel des mit diesen Ländern in Gang gekommenen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses schlichtweg im Beitritt zur Europäischen Union besteht. Damit sind sie über die Erklärung von Thessaloniki aus dem Jahr 2003 hinausgegangen, in der davon die Rede war, dass die Integration der fünf Balkanländer und ihr längerfristiger Beitritt zur Union eine große Herausforderung darstelle. Die europäischen Abgeordneten der UMP befürworten diese Auffassung und diese Perspektive und sind überzeugt, dass der europäische Einigungsprozess ohne die Balkanstaaten nicht vollständig wäre. Sie teilen auch den Standpunkt, dass der Weg lang und schwierig sein wird, fordern jedoch vor allem, dass im Falle der Balkanländer wie bei jeder anderen möglichen künftigen Erweiterung die wirklichen Fragen klar angesprochen werden. Welches sind nun diese Fragen? Besitzt zunächst einmal die Europäische Union die Kapazität, diese Länder aufzunehmen? Ich erinnere daran, dass es sich hier um eines der Kopenhagen-Kriterien handelt, das allzu oft vergessen wird, nämlich um die finanzielle, institutionelle, aber auch politische Kapazität. Sind unsere Mitgliedstaaten und ihre Völker bereit, weitere Mitgliedstaaten in die Union aufzunehmen und wenn ja, wann und wie?
Eine weitere Frage: Ein anderes Mitglied der Union, Frankreich, hat seine Verfassung geändert und für jede neue Erweiterung nach der um Rumänien, Bulgarien und Kroatien eine Volksbefragung festgelegt. Unsere Partner mögen sich darüber freuen oder es bedauern, aber die institutionelle Realität sieht künftig so aus.
Schließlich fordern die Europaabgeordneten der UMP seit Jahren eine eingehende Debatte zum Thema der Grenzen Europas. Es ist höchste Zeit, dass diese Debatte stattfindet! Wir müssen der Realität ins Auge sehen und eine wohl überlegte Entscheidung über die Zukunft der Europäischen Union hinsichtlich des politischen Inhalts und der geografischen Grenzen treffen. Das ist eine Pflicht uns selbst gegenüber, aber auch gegenüber den Ländern, die an unsere Tür klopfen. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen!
Silvana Koch-Mehrin (ALDE). – Herr Präsident, Frau Ratsvorsitzende! Ich möchte mich dem anschließen, was Annemie Neyts-Uyttebroeck zur Haltung meiner Fraktion zur Politik Israels in den letzten Tagen gesagt hat. Ich möchte aber auch auf das eingehen, was Sie zu dieser wichtigen Übergangsphase gesagt haben. In dieser Phase sollte die EU eine klare Botschaft aussenden und auf die Prinzipien der Zusammenarbeit hinweisen, nämlich Gewaltverzicht, Anerkennung der bestehenden Vereinbarungen und Anerkennung des Existenzrechts Israels. Das ist unglaublich wichtig, und davon darf die EU auch nicht abweichen. Deswegen halte ich es für einen großen Fehler, dass die EU fortfährt, die Übergangsregierung finanziell zu unterstützen.
Die EU sollte humanitäre Hilfe an die palästinensischen Gebiete leisten, sie sollte den Menschen dort helfen, aber nicht die Behörden dort unterstützen. Denn weder hat die Hamas das Existenzrecht Israels anerkannt, noch hat sie der Gewalt abgeschworen, und das Signal ist fatal. Die Hamas hat noch einmal bekräftigt, dass sie die Entscheidung der EU, die Zahlungen fortzusetzen, als ein Zeichen der Akzeptanz ihrer Politik sieht. Nach wie vor weigert sie sich, mit Israel zu verhandeln, weil sie das Existenzrecht Israels nicht anerkennt.
Die Unterstützung der EU hat den Zweck, den Friedensprozess zu fördern. Wenn man aber diejenigen finanziell unterstützt, die dem Friedensprozess den Krieg erklärt haben, dann ist das falsch. Die EU muss ihren bisherigen Kurs fortsetzen, und sie darf nicht ihr wichtigstes Verhandlungsargument, nämlich die finanziellen Hilfen, aus der Hand geben. Deswegen bitte ich Sie, das noch einmal zu revidieren!
VORSITZ: JACEK EMIL SARYUSZ-WOLSKI Vizepräsident
Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Präsident! Frau Ratspräsidentin! Erstens gratuliere ich Ihnen zu der historischen Leistung in Luxemburg, mit der Sie Kroatien, dem einzigen mitteleuropäischen Flächenstaat außer der Schweiz, der noch nicht der EU angehört, den Weg zum Beitritt geebnet haben. Dasselbe gilt für die überfällige Debatte um die Grenzen Europas, die Sie dort mit großem Mut angestoßen haben.
Zweitens danke ich Ihnen dafür, dass Sie in Salzburg eindeutig für eine Beitrittsperspektive für die übrigen Staaten Südosteuropas eingetreten sind. Ich glaube in der Tat, dass wir hier nicht wanken dürfen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Staaten Südosteuropas eindeutig europäische Staaten sind, die ein Recht darauf haben, sobald alle Kriterien erfüllt sind – einschließlich des Erweiterungskriteriums für uns selbst –, Vollmitglied der Europäischen Union zu werden.
Drittens möchte ich Ihnen sagen, dass wir in Palästina – ich widerspreche damit Kollegin Koch-Mehrin – nicht nur humanitäre Hilfe leisten müssen, sondern auch, was zugegebenermaßen schwierig ist, Hilfe für Pluralismus. Der Fatah-Staat war korrupt und zweifelhaft. Aber ein Hamas-Staat wäre noch zweifelhafter! Wir müssen den Friedensprozess und den Pluralismus mit allen Mitteln unterstützen, damit nicht eine iranische Einflusszone vom Golf bis ans Mittelmeer entsteht.
Viertens: Der Iran, neben China die älteste Großmacht der Welt, ist kein monolithischer Block. Deshalb müssen wir Härte mit einer gewissen diplomatischen Intensität kombinieren. Wir dürfen nicht aufhören, auch hier auf Gespräche zu setzen, so inakzeptabel der derzeitige Präsident des Landes auch sein mag. Der Iran ist mehr als nur sein Präsident. Er ist einer der ältesten Staaten der Welt, und wir als Europäer müssen alles tun, um auch hier die pluralen Kräfte zu stärken und zu verhindern, dass es zu einer monolithischen aggressiven Entwicklung kommt.
Ursula Plassnik, amtierende Ratspräsidentin. Herr Präsident! Zum Thema Balkan: Ich glaube, es war der richtige Zeitpunkt, und ich fühle mich bestärkt in der Entscheidung, den Balkan zu einem Schwerpunkt der österreichischen Ratspräsidentschaft zu machen. Es war der richtige Zeitpunkt für eine Erweiterungsdebatte. Wir haben sie in Salzburg gut geführt. Das war aus meiner Sicht ein Fortschritt, denn das Schlimmste ist zu schweigen und die anstehenden Themen nicht anzusprechen, sie der Bevölkerung nicht nahe zu bringen, nicht zu erklären, worum es geht, was man tut und warum man es tut. Ich begrüße daher die Debatte, die wir miteinander hatten, auch die Debatte über die Frustrationen, die es auf Seiten der Westbalkanstaaten gibt.
Ich weise zurück, dass es sich bei der Salzburger Erklärung um einen Formelkompromiss oder gar einen Rückschritt handelt, und ich bitte Sie, doch den Wortlaut genau zu studieren. Ich möchte darauf verweisen, dass wir in Absatz 3 ausdrücklich von EU-Mitgliedschaft als Fernziel, als „ultimate goal in conformity with the Thessaloniki Declaration“ sprechen. Es geht also darum, und es ist uns in unseren Diskussionen darum gegangen, die Beitrittsperspektive insbesondere für die Bevölkerung der Westbalkanstaaten glaubwürdiger und greifbarer zu machen. Daher die Themen, die wir diskutiert haben, daher auch die Art und Weise, wie wir darüber in einem sehr konstruktiven Geist gesprochen haben.
Zum Thema Kongo: Die zeitliche, räumliche und inhaltliche Klärung der Bedingungen ist in Arbeit. Wir tun das im Rat gemeinsam mit Javier Solana, auch in Kontakt mit den kongolesischen Stellen. Wir alle haben ein großes Interesse daran, hier so bald wie möglich Klarheit zu schaffen.
Zum Thema Iran: Es herrscht jetzt die Zeit des diplomatischen Ringens in den Vereinten Nationen. Es geht in der Tat darum – das wurde von einem Redner angesprochen –, die Autorität der Internationalen Atomenergiebehörde zu stärken sowie die Umsetzung der vielen beschlossenen einschlägigen Entschließungen zu diesem Thema voranzutreiben.
Lassen Sie mich abschließend kurz etwas zu den aktuellen Entwicklungen in Jericho, aber auch in Gaza sagen. Wir sind als Präsidentschaft über die gestrigen Entwicklungen sehr besorgt. Wir haben die Notwendigkeit angemessener Maßnahmen, mit denen wieder Ruhe und Ordnung hergestellt wird, betont. Wir haben gesagt, dass das gewaltsame Vorgehen Israels in Jericho und die hierauf erfolgten Aktivitäten palästinensischer Extremisten dazu führen können, die ohnehin angespannte Situation im Nahen Osten weiter zu destabilisieren.
Wir haben Israel und die Palästinensische Behörde zur Zurückhaltung aufgerufen. Beide Seiten sind jetzt aufgefordert, die Auswirkungen ihrer Handlungen sehr sorgfältig abzuwägen. Wir haben die Geiselnahmen nachdrücklich verurteilt und – wie Staatssekretär Winkler Ihnen heute erklärt hat – die Palästinensische Behörde sofort aufgefordert, das Notwendige zu unternehmen, um die Sicherheit und den Schutz der europäischen Bürger und Gebäude jetzt und in Zukunft sicherzustellen. Auch die Hilfe, die wir bereit sind zu geben – und zwar die humanitäre Hilfe –, kann sich nur in einem friedlichen Umfeld entfalten. Zu diesem friedlichen Umfeld müssen jetzt alle Seiten beitragen.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Wie ich vor der Pause gesagt habe, wird Kommissarin Ferrero-Waldner den Standpunkt der Kommission zum Nahen Osten, zu Palästina und zum Iran später erläutern.
Ich werde nun auf den nächsten Tagesordnungspunkt eingehen und mich zu Fragen im Zusammenhang mit der Erweiterung und der Aufnahmekapazität äußern. Außerdem möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um Frau Plassnik zu ihrem persönlichen Engagement für die Strategie für den westlichen Balkan zu gratulieren. Sie hat damit einen wichtigen Beitrag geleistet, und der österreichische Ratsvorsitz hat neue Maßnahmen ergriffen, um diese Region in die europäischen Strukturen einzubinden. Dies ist eine der Grundvoraussetzungen für die Sicherheit und Stabilität ganz Europas und der Gemeinschaft.
Alle an der Debatte Beteiligten sind sich einig, dass der weitere Weg für die Balkanregion steinig ist und es zahlreicher Reformen bedarf, bevor die Länder die erforderlichen Kriterien erfüllen.
Darüber hinaus stimmt dieses Haus zweifellos darin überein, dass die Europäische Union im westlichen Balkan eine zentrale Rolle spielt und spielen wird, indem sie der Region eine zwar mittel- bis langfristige, aber dennoch glaubwürdige Beitrittsperspektive in Aussicht stellt. Dies ist die treibende Kraft hinter den Reformen und die Grundlage unserer Bemühungen um Sicherheit und Stabilität.
Vor allem bei der Regelung des Kosovostatus müssen wir uns alle unserer Verantwortung für den Westbalkan und seine Stabilität bewusst sein. Wir dürfen die Hoffnungen auf eine künftige EU-Mitgliedschaft nicht zunichte machen, denn sie bilden das Fundament für Sicherheit und Stabilität in der Region. Um also nicht unsere eigene Glaubwürdigkeit zu untergraben, können wir nicht mit der linken Hand das nehmen, was wir mit der rechten gegeben haben. Unsere wichtigsten strategischen Ziele sind Sicherheit, Stabilität und Fortschritt in den Westbalkanstaaten.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
9. Strategiepapier 2005 zur Erweiterung (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Elmar Brok im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über das Strategiepapier 2005 der Kommission zur Erweiterung (2005/2206(INI)) (A6-0025/2006).
Elmar Brok (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Die Erweiterung der Europäischen Union war bis zum jetzigen Zeitpunkt der erfolgreichste Teil ihrer Außenpolitik. Denn dies war ein Instrument, die Zone der Stabilität und des Friedens in Europa und auch der Bereiche von Frieden, Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit weiter voranzubringen. Dies ist ein wichtiger Punkt, den wir uns heute und künftig vor Augen halten müssen.
Dabei müssen wir allerdings auch sehen, dass das Ziel der Stabilität nur erreichbar ist, wenn die Europäische Union in sich die Stärke hat, sich so zu entwickeln, dass sie den Aufgaben, die damit verbunden sind, gerecht werden kann. Deswegen wurde ja beispielsweise mit dem Verfassungsvertrag im Nachhinein versucht, die Erweiterung um zehn Mitgliedsländer institutionell und von den Zielsetzungen her wirklich möglich zu machen. Und hier sind wir in einer schwierigen Situation, weil der Ratifikationsprozess nicht vorankommt.
Wir müssen auch sehen, dass in den Kopenhagener Kriterien die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union einer der wesentlichen Punkte ist, bisher aus guten Gründen aber nur deklamatorischen Charakter gehabt hat. An einer solchen Schnittstelle – nach Bulgarien und Rumänien – müssen wir diesen Punkt allerdings operationell machen und neu definieren. Deswegen bitten wir die Kommission, bis Ende des Jahres die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union in einem solchen Zusammenhang zu definieren, damit wir dies als Instrument einsetzen können. Das ist außerordentlich wichtig, da es nicht nur um eine Verfassungsfrage geht, sondern auch um Fragen, die mit den finanziellen Fähigkeiten der Europäischen Union und manchem mehr zu tun haben.
Darüber hinaus meine ich, dass wir die Aufnahmekapazität der Europäischen Union so deutlich machen müssen, dass dies auch ein Punkt des Ja oder Nein am Ende des Tages bedeuten kann. Die europäische Perspektive ist nicht nur für Länder, die bereits Beitrittsverhandlungen haben, die einen Kandidatenstatus haben oder denen nach Thessaloniki eine Beitrittsperspektive versprochen worden ist – ein Versprechen, das übrigens nicht zurückgenommen werden soll, um das hier noch einmal ganz deutlich zu machen und vorherige Missverständnisse zu beseitigen –, als Anreiz für innere Reformen von großer Bedeutung, sondern auch für andere Staaten wie die Ukraine, Staaten, die heute in Europa noch unter Diktaturen stehen und auch eine solche Perspektive haben müssen, damit der Blick nach Westen gesichert ist.
Dafür ist die Nachbarschaftspolitik allein nicht ausreichend. In manchen Fällen sind die Länder oder die Europäische Union zum heutigen Zeitpunkt überfordert, dies allein mit der Perspektive der Vollmitgliedschaft in Zusammenhang zu bringen, weil die in vielen Fällen erst in fünfzehn Jahren realisiert werden kann. Wir brauchen zur Glaubwürdigkeit dieses Projekts etwas, das dazwischen liegt, mit dem wir diesen Ländern eine Perspektive geben können, ohne uns unter den nicht erfüllbaren Druck der sofortigen Vollmitgliedschaft zu setzen.
Dies sollte allen Staaten, die heute nicht Mitglied der Europäischen Union sind, offen stehen. Ich möchte ausdrücklich noch einmal wiederholen: Das kann das Endstadium sein, wenn Länder wie beispielsweise Norwegen, das auch Mitglied von Schengen ist, im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraumes es so entscheiden. Man kann in den Bereichen Binnenmarkt, innere und äußere Sicherheit, Umweltschutzpolitik und mehr in einem solchen multilateralen Projekt – wenn ich den Arbeitstitel „Europäischer Wirtschaftsraum plus“ einmal benutzen darf – vieles machen.
Es kann aber auch eine Zwischenstation sein. Wenn Staaten, die heute nach Thessaloniki eine Beitrittsperspektive haben – wie beispielsweise die Länder des Westbalkans mit unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven, was die zeitlichen Erwartungen betrifft –, sich entscheiden sollten, zu sagen, wir benutzen das als Zwischenschritt zu einer Vollmitgliedschaft, wird das Versprechen von Thessaloniki nicht außer Kraft gesetzt. Auf dieser Grundlage können wir ein neues Maß an Flexibilität zustande bringen, indem wir diese Perspektive mit Glaubwürdigkeit erfüllen, weil unmittelbar etwas geschehen kann und nicht fünfzehn Jahre verhandelt wird und dann ein Ja oder Nein im Raum steht.
Ich sehe doch, dass in manchen Ländern mit der Erweiterung auch Volksabstimmungen verbunden sind und wir gar nicht wissen, ob die Ratifikation am Ende gelingt. Das heißt, es ist auch ein Versuch, nicht nur eine Alles-oder-Nichts-Strategie zu betreiben, sondern Möglichkeiten zu schaffen, diesen Ländern glaubwürdige Perspektiven zu geben und gleichzeitig die Europäische Union als politisches Projekt zu retten und voranzubringen.
(Beifall)
Ursula Plassnik, amtierende Ratsvorsitzende. Herr Präsident, meine Damen und Herren ! Ich möchte mich beim Europäischen Parlament, beim Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses für den ausführlichen Bericht über das von der Kommission vorgelegte Strategiepapier 2005 bedanken. Der Rat berät laufend dieses Thema, auch anhand der ganz konkreten Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Wir haben, wie berichtet, in Gymnich in diesem Zusammenhang eine sehr gute und sehr gründliche Debatte geführt und wir werden diese Debatte laufend weiterführen. Das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt, denn Diskussionsverweigerung schafft Misstrauen in der Bevölkerung, und wir müssen darauf achten, dass wir das Vertrauen der europäischen Bürger in das europäische Projekt insgesamt wieder stärken, dass wir mehr Vertrauen und mehr Klarheit schaffen. Das ist eines meiner zentralen Anliegen als Ratspräsidentin, und in diesem Sinne begrüße ich die jetzt anlaufende Debatte.
Unterstützung der Bürger für den Erweiterungsprozess bedeutet, dass wir die laufende Information verbessern müssen, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit verbessern müssen, dass wir die einzelnen Schritte besser erklären müssen. Dass wir ganz einfach zum Ausdruck bringen: Wir werden gründlich sein, wir werden umsichtig sein, wir werden nichts überstürzen, wir werden aber auch nicht willkürlich auf die Bremse steigen. Das ist mir ein wichtiges Anliegen.
Die Aufnahmefähigkeit ist bei Gott kein willkürliches, zusätzliches Hindernis, das hier eingeführt wurde, sondern ein Bewusstsein, ein Bewusstwerden, ein Bewusstmachen ganz zentraler und selbstverständlicher Grundgegebenheiten. Jeder Erweiterungsschritt, jeder neue Beitritt braucht zwei Partner – auf der einen Seite die Europäische Union, auf der anderen Seite das beitretende Land.
Wir wollen die nächsten Beitritte optimal vorbereiten. Auch in diesem Sinn war mir Salzburg wichtig, denn der Rückblick auf die letzten drei Jahre und der Vorausblick auf die nächsten konkreten Schritte sind wichtig gewesen, um für uns alle mehr Klarheit darüber zu schaffen, wo wir stehen, wie unsere inneren und äußeren Bereitschaften eigentlich sind. Wir können auch auf das vertrauen, was wir an Fachwissen im Zuge der letzten Erweiterung erworben haben, und wir sollten entschlossen sein, dieses bestehende Transformationswissen auch entsprechend partnerschaftlich einzusetzen.
Auch die Eigenverantwortung, wie schon in der vorigen Debatte gesagt, unterstreicht die europäischen Standards. Sie werden fair und streng zu erfüllen sein, Punkt für Punkt, und der Bericht der Europäischen Kommission im November 2005 hat das unmissverständlich klar gestellt.
Wir sollten aber auch in dieser Debatte ehrlich auf die Erwartungshaltungen, die an die Europäische Union herangetragen werden, und auf die Erwartungshaltungen der eigenen Bevölkerung eingehen. Wir schulden einander Klarheit, und nur wir können sie einander geben. Wir dürfen keine ungedeckten Schecks ausstellen.
Ich plädiere überdies für ein differenziertes Herangehen an jedes einzelne Land, denn wir müssen jedem einzelnen Land und seinen Bürgern ein fairer Partner sein. Diese Gewissheit müssen wir schaffen. Die Präsidentschaft wird daher auch in diesem Sinne in der weiteren Debatte den vom Europäischen Parlament eingebrachten Beiträgen besondere Beachtung schenken.
Lassen Sie mich in einigen Worten die konkreten Entscheidungen skizzieren, an denen wir derzeit arbeiten. Als erstes das Thema Rumänien und Bulgarien, wo es ermutigende Berichte gibt und das Ziel ja feststeht: Beitritt 1.1.2007 mit einer allfälligen Verschiebungsmöglichkeit um ein Jahr. Türkei und Kroatien: Beginn der Beitrittsverhandlungen, der formelle Startschuss war am 3. Oktober des letzten Jahres. Wir sind jetzt im Prozess des Acquis Screening, der Durchsicht des Rechtsbestandes. Wir haben als Vorsitz einen Brief an Kroatien und die Türkei geschrieben und sie eingeladen, uns ihre Verhandlungsposition zum ersten Kapitel „Forschung und Entwicklung“ darzulegen.
Wir teilen die Ansicht des Europäischen Parlaments, dass kontinuierliche Fortschritte bei der Erfüllung aller politischen und wirtschaftlichen Kriterien und bei der wirksamen Umsetzung der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie erforderlich sind. Im Zusammenhang mit der Türkei haben wir als Präsidentschaft die Einstellung des Verfahrens gegen Orhan Pamuk begrüßt und bei der kürzlich stattgefundenen Sitzung der Troika in Wien klargemacht, dass wir erwarten, dass die noch anhängigen Verfahren im Zusammenhang mit Artikel 301 des Türkischen Strafgesetzbuches auch entsprechend behandelt werden, bzw. dass man hier überhaupt zu einer Änderung kommt.
Die Umsetzung des Ankara-Protokolls verfolgen wir genau mit, und wir werden dafür sorgen, dass in diesem Jahr diese Überprüfung auf der Basis der Erklärung des Rates vom 21. September 2005 in den relevanten Gremien stattfindet.
Die Annahme der Beitrittspartnerschaft mit Kroatien ist für uns ebenfalls von großer Bedeutung. Wir haben die Zusage des kroatischen Premierministers begrüßt, für die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und deren Fortsetzung zu sorgen. Wir teilen die Meinung des Europäischen Parlaments, dass Kroatien verstärkt zur regionalen Zusammenarbeit beiträgt und dass noch zusätzliche Anstrengungen erforderlich sind.
Zum Thema Westbalkan habe ich das Notwendige gesagt. Klar ist auch die Strategie des Rates für die vollständige Zusammenarbeit Serbiens und Montenegros mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal. Wir haben hier gerade bei unserer letzten Sitzung ein sehr klares Signal ausgesandt. Wir unterstützen die Arbeit des Sonderbotschafters der Vereinten Nationen, Martti Ahtisaari, im Kosovo, und ich glaube, dass die Europäische Union mit dem Beitrag des Sonderbeauftragten von Javier Solana, hier zu einer Einigung über die Bedingungen für das Referendum vom 21. Mai zu kommen, einen außerordentlich positiven Beitrag diplomatischer Natur leisten konnte.
(Beifall)
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Da Herr Brok noch anwesend ist, möchte ich ihm zu seinem wichtigen Bericht gratulieren. Wie er ganz richtig gesagt hat, ist die Erweiterung in der Tat eines der wirksamsten politischen Instrumente der Gemeinschaft, um Frieden und Wohlstand, Freiheit und Demokratie herzustellen. Mit der Osterweiterung im Jahre 2004 wurde die friedliche Wiedervereinigung zwischen West- und Osteuropa besiegelt. Jetzt konzentrieren wir unsere Bemühungen auf eine friedliche Einigung in Südosteuropa. Unser schrittweiser und sorgfältig vorbereiteter und gesteuerter Erweiterungsprozess beruht auf drei zentralen Grundsätzen.
Erstens haben wir unsere Erweiterungsagenda konsolidiert. Das bedeutet, dass wir neue Verpflichtungen nur wohl überlegt eingehen, uns aber gleichzeitig an unsere bestehenden Verpflichtungen gegenüber Bewerberländern oder potenziellen Bewerberländern halten müssen, die sich bereits im Erweiterungsprozess befinden. Unsere konsolidierte Erweiterungsagenda konzentriert sich in Südosteuropa auf Bulgarien, Rumänien sowie die Türkei und Kroatien und die übrigen Länder des westlichen Balkan.
Zweitens legen wir strenge Bedingungen zugrunde. In Verbindung mit einer glaubhaften Beitrittsperspektive können Beitrittskriterien funktionieren. Sie haben zur Transformation der mittel- und osteuropäischen Staaten in moderne Demokratien beigetragen. In jüngster Zeit haben sie beherzte und grundlegende Reformen in der Türkei und zunehmend auch in den Westbalkanstaaten bewirkt. Ein zusätzlicher Beweis sind einige wichtige Ereignisse der jüngsten Zeit, so z. B. die Inhaftierung von General Ante Gotovina in Den Haag und die Achtung der Meinungsfreiheit des Schriftstellers Orhan Pamuk.
Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik ergänzen sich gegenseitig. Darüber hinaus ist die Kommission bereit, die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in den Nachbarländern weiter zu vertiefen und zu stärken, sobald den Schlüsselprioritäten in den aktuellen Aktionsplänen angemessen Rechnung getragen wurde.
Gleichzeitig sollten wir nicht den Fehler begehen, dass die Debatte über die endgültigen Grenzen Europas zu theoretisch gerät. Da wir nun über eine konsolidierte Erweiterungsagenda verfügen, würde eine theoretische Diskussion darüber, ob z. B. die Ukraine überhaupt der Europäischen Union beitreten sollte, weder uns noch den Ukrainern zum Vorteil geraten, zumal die weitere Zukunft und die demokratische Entwicklung der Ukraine nun auf dem Spiel stehen.
Gewiss müssen wir bei der Geschwindigkeit der Erweiterung die Aufnahmekapazität der EU in Betracht ziehen. Die Kommission hat schon immer diese Auffassung vertreten. Bei der Erweiterung geht es um ein gemeinsames Projekt auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien, Strategien und Institutionen. Die Gemeinschaft muss sicherstellen, dass sie die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit ihrer Institutionen auf der Grundlage eines fairen Gleichgewichts aufrechterhalten, Haushaltsgrenzen einhalten und gemeinsame Strategien umsetzen kann, die gut funktionieren und zielgerichtet sind.
Seit mehr als dreißig Jahren hat die EU mit Erfolg die unterschiedlichsten Länder aufgenommen. Die Zusammensetzung dieses Hauses sowie der dieser Aussprache vorsitzende Präsident und der beteiligte Kommissar sind hierfür ein gutes Beispiel. Bei der Entwicklung ihrer Strategien und Institutionen hat sich die Gemeinschaft auf neue Situationen eingestellt, wie sie sich beispielsweise aus dem Sturz von Diktaturen, dem Zusammenbruch des Kommunismus und der zunehmenden wirtschaftlichen Globalisierung ergeben haben. Die Erweiterung hat sich für Europa als wirksamer Stoßdämpfer erwiesen.
Drittens benötigen wir eine bessere Kommunikation. Im Bericht wird zu Recht eine Kommunikationsstrategie gefordert, und natürlich ist es ganz entscheidend, dass alle Gemeinschaftsmaßnahmen und natürlich auch die Erweiterung von der Öffentlichkeit getragen werden. Ich vertraue auf die politische und finanzielle Unterstützung des Parlaments, damit wir eine fundierte Aussprache über die Erweiterung führen können.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass eine Konsolidierung erforderlich war, um nicht den Überblick über unsere Erweiterungszusagen zu verlieren. Doch wir dürfen unsere eigenen strategischen Interessen nicht außer Acht lassen: Es wäre völlig verantwortungslos, einen nützlichen Prozess zum Erliegen zu bringen, der zur Entwicklung stabiler und wirksamer Partner in den besonders instabilen Regionen Europas beiträgt. Sollten wir jetzt gegenüber den Westbalkanstaaten keine eindeutigen Beitrittszusagen mehr machen, dann würden unser positiver Einfluss sowie unsere politische und sonstige Einflussnahme gerade dann deutlich abnehmen, wenn die Region im Zusammenhang mit den Gesprächen über den künftigen Status des Kosovo in eine schwierige Phase eintritt.
Die europäische Perspektive ist der Schlüssel zu einer dauerhaften Lösung der Kosovofrage und zu einer demokratischen Entwicklung in Serbien und im Rest der Region. Auf dieser Grundlage kann die Region einen friedlichen Weg der Reformen einschlagen. Wir sollten also sicherstellen, dass dieses Fundament zum Wohle Europas nicht ins Wanken gerät und dass das nach wie vor fragile Gefüge auf dem Balkan nicht vor unseren Augen und in unserer direkten Nachbarschaft in sich zusammenbricht!
(Beifall)
Giorgos Dimitrakopoulos, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter und Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Herrn Brok, zu seinem außerordentlich wichtigen Bericht beglückwünschen und zugleich auch Ihnen, Frau Ratspräsidentin, zu Ihrem Interesse und ihrer Entschlossenheit gratulieren, die Sie als Außenministerin Österreichs sowie als Ratspräsidentin in der Balkan-Frage demonstriert haben. Glückwünsche auch an den Kommissar zu der umfassenden und integrierten Mitteilung der Kommission, die Sie uns präsentiert haben.
Ich möchte ganz rasch folgende Bemerkungen machen:
Erstens, die zentrale Sichtweise des Berichts Brok in Bezug auf die Bedeutung der europäischen Perspektiven einer Reihe von Ländern, vor allem des Balkans, ist korrekt. Zugleich ergeben die Ziffern 5, 9 und 10 des Berichts, wenn man sie zusammennimmt, den Bezugspunkt, von dem ausgehend die Europäische Union nun die zukünftigen Erweiterungen betrachtet.
Was die Türkei betrifft, so möchte ich sagen, dass ich die europäischen Perspektiven der Türkei befürworte, doch meiner Ansicht nach müssen wir uns zunächst, wie Sie ganz richtig gesagt haben, mit der Frage des Ankara-Protokolls befassen. Das Protokoll allein – ich wiederhole, dass Protokoll allein – muss ratifiziert werden, nicht aber die einseitige Erklärung, und dies gilt natürlich auch für die Frage der Modernisierung des Rechtsrahmens, innerhalb dessen dieses Land agiert.
Was den Kosovo betrifft, so stimme ich zu, dass bei den Verhandlungen das Augenmerk auf seinen endgültigen Status gelegt werden sollte, doch wir müssen uns auch darauf vorbereiten, wie der Beschluss über den endgültigen Status des Kosovo, wenn er gefasst worden ist, umgesetzt werden soll.
Was die EJRM angeht, so besitzt sie jetzt den Status eines Kandidatenlandes, das stimmt, doch gerade weil sie den Status eines Kandidatenlandes besitzt, hat sie auch Rechte und Pflichten. Eine davon besteht darin, im Dialog mit Griechenland eine konstruktive Haltung an den Tag zu legen, damit die letzte ungeklärte Frage, die Namensfrage, gelöst werden kann.
Was schließlich Serbien betrifft, so stimme ich der Notwendigkeit und der Tatsache zu, dass Serbien verpflichtet ist, mit dem Gerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten, doch dies ist ein Teil eines Bündels von Kriterien, die Serbien einzuhalten hat, und ich möchte darum bitten, darauf zu achten, dass wir den Fall Serbiens nicht „kroatisieren“. In dieser Frage vertreten Sie, Frau Ministerin, eine subjektive Ansicht.
Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion.– (NL) Herr Präsident! In ihrem Strategiepapier nimmt die Kommission kein Blatt vor den Mund: zwar wird es keine neue Erweiterungsrunde mit einer großen Gruppe gleichzeitig beitretender Länder geben, andererseits aber – so die meines Erachtens richtige Schlussfolgerung der Kommission – ist und bleibt die Europäische Union eine Organisation, die neuen Mitgliedstaaten offen steht, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Die Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten im Jahr 2004 war ein Erfolg, was jedoch nicht von allen Bürgern so gesehen wird. Deshalb müssen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um über diese Erfolgsstory zu berichten.
Im Namen der Fraktion kann ich mitteilen, dass wir dem Bericht Brok im Großen und Ganzen zustimmen, und für die interessanten Vorbereitungsrunden, die wir in den letzten Monaten abgehalten haben, möchte ich mich bei dem Berichterstatter bedanken. Die besondere Bedeutung, die dem Kriterium der Aufnahmekapazität beigemessen wird, findet die nachhaltige Unterstützung der Sozialdemokraten. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Sackgasse, in der sich die Ratifizierung des Verfassungsvertrags derzeit befindet. Ohne innere Reformen wird es schwierig sein, den Beitritt neuer Mitgliedstaaten in die richtige Bahn zu lenken.
Wie wir in früheren Entschließungen zum Ausdruck gebracht haben, bildet der Vertrag von Nizza unserer Ansicht nach keine geeignete Grundlage für neue Entscheidungen über eine Erweiterung. Das Konzept der Aufnahmekapazität, wie es in den Kopenhagener Kriterien verankert ist, muss jedoch näher erläutert werden, und auch auf diesen Punkt wird in dem Bericht zu Recht eingegangen.
Lassen Sie mich diese Gelegenheit für eine kurze Darstellung des Standpunkts der Sozialdemokraten zu dem eventuellen Beitritt diverser Länder nutzen. Hinsichtlich unserer östlichen Nachbarländer Ukraine und Republik Moldau halten wir es jetzt nicht für den richtigen Zeitpunkt, über ihren Beitritt zu diskutieren. Vielmehr sollten wir in die praktische Zusammenarbeit investieren. Mit diesen Ländern haben wir Aktionspläne festgelegt, die wir auch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen sollten.
In Bezug auf den Balkan unterstützen wir den Standpunkt des Rates. Für die Länder des westlichen Balkans besteht grundsätzlich eine Beitrittsperspektive, wenngleich sie zu unterschiedlichen Zeiten beitreten werden. Bezüglich der Türkei sollte nach unserem Dafürhalten der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden. Wir stehen am Anfang eines Prozesses, der noch viele Jahre dauern wird, und wir müssen uns unbedingt an unsere Zusage halten, aber ebenso müssen wir an den Bedingungen festhalten, die wir in diesem Zusammenhang gestellt haben.
Zum Thema Balkan möchte ich noch hinzufügen, dass wir die Kopenhagener Kriterien selbstverständlich nach wie vor für eminent wichtig halten, doch legt die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament weiterhin großen Wert auf das Kriterium der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Einen wesentlichen Beitrag zur Annäherung dieser Länder an die Europäische Union kann meines Erachtens auch die regionale Zusammenarbeit leisten, worüber vor kurzem viel diskutiert worden ist.
Schließlich – und dies ist wohl der wichtigste Punkt der ganzen Diskussion – wird in dem Bericht von der Möglichkeit gesprochen, für die europäischen Länder, die noch nicht der Europäischen Union beigetreten sind, einen neuen multilateralen Rahmen zu schaffen. Für manche Länder könnte dies eine Alternative zur Mitgliedschaft darstellen, während es sich für andere um einen Zwischenschritt auf dem Weg dorthin handeln könnte. Für die Ukraine und die Republik Moldau beispielsweise könnte eine solche Struktur ein vernünftiger Folgeschritt sein, aber für Länder mit einer anerkannten Aussicht auf Mitgliedschaft wäre dies, wie ich unterstreichen möchte, eine Option und keine Verpflichtung.
So steht es auch klar und deutlich im Bericht Brok. Es ist eine Möglichkeit, für die sich diese Länder entscheiden können, sollten sie der Ansicht sind, dass es für sie zweckmäßig ist. Es handelt sich nicht um eine Alternative zur Aussicht auf Mitgliedschaft, und das gilt für die Türkei und die Balkanländer gleichermaßen. Ich möchte unterstreichen, dass dies unsere Interpretation von Ziffer 10 des Entschließungsantrags ist. Auf diese Weise und nicht anders sind wir im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten zu einer Übereinstimmung mit dem Berichterstatter gelangt.
Cecilia Malmström, im Namen der ALDE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Die Erweiterung ist der größte Erfolg der EU in Sachen europäische Zusammenarbeit. Die Vereinigung von Ost und West im Mai 2004 markierte das Ende der Teilung Europas und machte deutlich, welche Kraft in dem Traum von einem geeinten Europa auf der Grundlage von Demokratie, freiem Handel und Rechtsstaatlichkeit liegt. Der EU-Beitritt war der Ansporn, der die starken Reformkräfte in den ehemaligen kommunistischen Diktaturen unterstützt hat. Die Aussicht auf eine Mitgliedschaft hat auch enorme Bedeutung für die Verhandlungen und Reformen in der Türkei und auf dem Balkan. In diesen Regionen hat die EU unglaubliche Reserven an so genannter „Soft Power“, was zu einem stabileren und demokratischeren Europa beiträgt. Meine Fraktion ist der Meinung, dass es wichtig ist, wie im Vertrag verankert, die Tür für eine fortgesetzte Erweiterung offen zu halten. Natürlich gilt es, die Kriterien anzuwenden und die Aufnahmefähigkeit der EU zu beachten, aber wir müssen uns auch von innen heraus verändern und eine Debatte über die Erweiterung führen, ohne ihr die Schuld zuzuschieben.
Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass es in vielen Ländern eine Diskussion und große Besorgnis über das hohe Tempo der EU-Erweiterung und ihre mögliche Entwicklungsrichtung gibt. Diese Aussprache muss respektvoll und ehrlich geführt werden, aber wir müssen auch wagen, die Vorteile der Erweiterung zu verteidigen und sie zu betonen. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion über den Wirtschaftsprotektionismus außerordentlich beunruhigend. Wir haben eine Verantwortung für unsere Nachbarländer und müssen unsere gegenüber dem Balkan und der Türkei abgegebenen Versprechen halten. Diese bestimmen das Tempo, und wir tun, was wirk können, um die Dinge zu beschleunigen. Außerdem müssen wir die Türen auch für andere Länder offen halten, beispielsweise für die Ukraine und vielleicht eines Tages auch für Belarus, selbst wenn die Lage dort gegenwärtig ziemlich bedrängt ist. Die Hoffnung auf einen EU-Beitritt hält die Opposition und die Kräfte der Demokratie in diesem Lande aufrecht.
Aus diesem Grund sind wir dagegen, die geografischen Grenzen Europas festzulegen. Dieses Parlament hat die Erweiterung vorangetrieben, und vor einem Jahr standen wir im Plenum in Brüssel, trugen orange Tücher und applaudierten Präsident Juschtschenko. Wir nahmen eine Entschließung an, in der wir über die Aussichten der Ukraine auf einen Beitritt sprachen. Das ist eine Zielsetzung, wenn sie vielleicht auch noch in weiter Ferne liegt. Wie der Kollege Brok ganz richtig sagte, steht das ukrainische Volk zwischen Demokratie und Diktatur. Wenn wir für Europa Grenzen festlegen, gewinnen die Menschen dort den Eindruck, wir würden ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen. Das wäre ein historischer Fehler.
Anstatt neue Konzepte wie multilaterale Abkommen einzuführen, sollten wir – wie auch Kommissar Rehn erklärt hat – die Möglichkeit zur individuellen Anpassung der Nachbarschaftsstrategie für potenzielle Beitrittskandidaten nutzen. Die Vorlage neuer Konzepte, die noch nicht umfassend diskutiert worden sind und deren Auswirkungen wir noch nicht kennen, erscheint in der gegenwärtigen Situation nicht besonders produktiv.
(Beifall von verschiedenen Seiten)
Joost Lagendijk, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Meine Fraktion hat im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten aus zwei Gründen für den Bericht Brok gestimmt. Unseres Erachtens muss das Konzept der Aufnahmekapazität, bei dem es sich um einen modischen Sammelbegriff handelt, in den jeder das hineininterpretieren kann, was ihm beliebt, näher erläutert werden, und dies bedeutet, dass die Frage nach den geografischen Grenzen, der nicht länger ausgewichen werden kann, endlich beantwortet werden muss.
Wir teilen die Ansicht, dass die EU über eine Zwischenform zwischen Vollmitgliedschaft und Nachbarschaft für die Länder, die derzeit keine Aussicht auf Mitgliedschaft haben, nachdenken muss. Ich spreche hier also nicht von der Türkei oder vom westlichen Balkan, sondern von der Ukraine, der Republik Moldau oder Belarus. Meine Fraktion und ich waren allerdings zutiefst enttäuscht und offen gestanden höchst irritiert, feststellen zu müssen, dass die Medien im Vorfeld dieser Aussprache die Worte im Bericht so verdreht haben, dass das Ergebnis im Widerspruch zu einigen zentralen Punkten steht.
Aus der Lektüre der Medien vor dieser Debatte ergibt sich nämlich letztendlich die Schlussfolgerung, dass auch für die Türkei und den westlichen Balkan anstelle einer Mitgliedschaft eine Zwischenform gefunden werden müsse. Das ist kein Zufall, sondern – um es ganz ehrlich zu sagen – der von dem Berichterstatter stets vertretene Standpunkt, aus dem er nie einen Hehl gemacht hat; Herr Brok war schon immer gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei und hegt seit der Ablehnung der Verfassung zunehmende Bedenken gegen eine Beitrittsperspektive für den westlichen Balkan. Eine solche Position ist zwar das gute Recht des Berichterstatters, entspricht aber nicht der Auffassung der Mehrheit des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Überdies entspricht sie auch nicht dem, was in seinem eigenen Bericht steht.
Für den Berichterstatter würde es sich ziemen, außerhalb dieses Hohen Hauses exakt darzulegen, was in seinem Bericht steht, und dessen Inhalt nicht mit seinen eigenen Vorstellungen zu verwechseln. In diesem Bericht bringt das Parlament zum Ausdruck, dass wir an der Beitrittsperspektive für die Türkei und den westlichen Balkan nicht rütteln wollen und dass Zwischenformen für diese Länder nur eine Option wären, sofern sie sich selber dafür entscheiden. Jeder weiß genauso gut wie ich, dass alle diese Länder des westlichen Balkans sowie die Türkei nicht in diese Richtung gehen wollen, sondern die Vollmitgliedschaft anstreben. Lasst uns Schluss damit machen, innerhalb, aber vor allem auch außerhalb dieses Saales Unklarheit zu schaffen.
Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Bis vor kurzem wurde eine rasche und umfassende Erweiterung der Europäischen Union als ein enormer Fortschritt präsentiert, der jedermanns Unterstützung verdient. Man sah darin die Wiedervereinigung Europas und den Sieg des Westens im Kalten Krieg. Nach der großen Erweiterung von 2004 hat sich dieses Klima wesentlich geändert. Die öffentliche Meinung in den alten Mitgliedstaaten empfindet diese Erweiterung nicht als einen Erfolg, insbesondere infolge der vermehrten Ausnutzung des zwischen Hoch- und Niedriglohnländern bestehenden Gefälles.
Auch bei den Politikern zeigt sich zunehmende Zurückhaltung. Diese Veränderung ist in dem heute zur Debatte stehenden Bericht über die Erweiterungsstrategie augenfällig. Darin wird auf die Aufnahmekapazitäten der Europäischen Union, die Außengrenzen, die Erweiterungskosten sowie die politischen Probleme, die auf das Fehlen einer Europäischen Verfassung zurückgeführt werden, hingewiesen. Rumänien und Bulgarien sind infolgedessen offensichtlich die letzten Länder, die in absehbarer Zukunft noch beitreten dürfen. Andere europäische Länder werden auf die Nachbarschaftspolitik verwiesen. Selbst den drei bereits zu Kandidatenländern erklärten Staaten wird kein Beitrittsdatum in Aussicht gestellt.
Überall im westlichen Balkan, sowohl in den anerkannten Staaten als auch in den nach Autonomie strebenden Teilstaaten oder Protektoraten, in denen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher Sprache und unterschiedlicher Religion in den 90er-Jahren auf Kriegsfuß miteinander standen, erwartet die öffentliche Meinung heute Wunder von einem raschen EU-Beitritt. Die Europäische Union nutzt diese Erwartungen, um Reformen zu verlangen, womit sie tief in die politischen Entscheidungen eingreift, die dort getroffen werden.
Die EU möchte vorläufig keine Erweiterung, wohl aber Einfluss außerhalb ihrer Grenzen. So gibt es in Bosnien und Herzegowina heute ein Steuersystem, das von niemandem dort gewollt war, und wird die im Dayton-Vertrag garantierte Regionalautonomie zurückgedrängt. Auf den Propaganda-Plakaten steht, dank der Militärpräsenz der Europäischen Union befinde sich dieses Land auf dem Weg zum EU-Beitritt. In Montenegro und im Kosovo – Gebiete, in denen vor vier Jahren gleichzeitig mit 12 Mitgliedstaaten der Euro als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt worden ist – geht die öffentliche Meinung heute schon davon aus, bald als selbstständige Staaten der EU beitreten zu können, während die ungarischsprechende Bevölkerung in der Vojvodina Schutz gegen die slawische Dominanz erwartet.
Alle diese Menschen sind durch das bisherige Vorgehen der Union enttäuscht worden. Haben wir diesen Ländern des westlichen Balkans nicht mehr zu bieten als die Aufforderung, auf dem Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien einen gemeinsamen Markt zu bilden und ihre Verwaltung und ihre Wirtschaft unseren Wünschen anzupassen, ohne dass sie vor 2020 beitreten können? Meine Fraktion vermag für diesen Vorschlag wenig Begeisterung aufzubringen.
Andererseits anerkennen wir die dank dieses Textes gebotene Möglichkeit, zu betonen, dass die bevorstehende Volksabstimmung in Montenegro ernst genommen werden muss und dass in einem konstruktiven Dialog zwischen Griechenland und seinem nördlichen Nachbarstaat nach einer schnellen Lösung des Konflikts über den Gebrauch des Landesnamens Mazedonien zu suchen ist. Positiv ist ferner, dass im Kosovo rasch eine Lösung gefunden werden muss, die sowohl den Bedürfnissen der großen albanischen Mehrheit als auch denen der Minderheiten der Serben und Roma gerecht wird.
Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Übersteigerter Nationalismus, auch als Chauvinismus bekannt, ist mit der EU-Mitgliedschaft schwer zu vereinbaren, und das gilt selbstverständlich gleichermaßen für die Kandidatenländer. Bedauerlicherweise gibt es ein Kandidatenland, in dem sich Chauvinismus breit macht, nämlich die Türkei, deren Kandidatenstatus ohnehin ziemlich umstritten ist.
Vor diesem aktuellen Hintergrund möchte ich Kommissar Rehn zwei Fragen stellen. Inwieweit ist die mir gestern Abend von einem Experten zugegangene Information zutreffend, wonach sich die Stellung der christlichen Kirchen in der Türkei in letzter Zeit zusehends verschlechtert hat?
Angesichts dieser Information handelt es sich bei dem Mord an dem italienischen Priester Andrea Santoro am 5. Februar in dem Hafenort Trabzon nicht um einen Einzelfall. Ein Mordanschlag gleicher Art wurde jüngst in der Stadt Mersin verübt, und per Telefon oder sogar in den Zeitungen werden direkte Drohungen gegen Kirchen ausgesprochen. Dem in Istanbul tätigen anglikanischen Kaplan Ian Sherwood zufolge gilt übrigens in den Augen der türkischen Elite die Verbreitung christlicher Lektüre in Türkisch als intellektuell inakzeptabel, wenn nicht gar als ein potenzielles Verbrechen. Wie ist dies, Herr Kommissar, mit der Religionsfreiheit in der Türkei in Einklang zu bringen? Soweit ich daraus schließen kann, gibt es in diesem wichtigen Punkt der politischen Kriterien von Kopenhagen keinerlei Fortschritte.
Wie ich gestern Abend vernommen habe, liegt Trabzon im so genannten Tal der Wölfe. „Tal der Wölfe“ ist auch der Titel einer originaltürkischen Filmproduktion, in der es von Chauvinismus buchstäblich trieft und die als radikal antichristlich, antisemitisch, antiamerikanisch und antikurdisch bekannt ist. Der Film ist bereits ein echter Kassenschlager in der Türkei und fand den jubelnden Beifall der unmittelbaren Entourage von Ministerpräsident Erdogan sowie des Präsidenten des türkischen Parlaments.
Den Herrn Kommissar möchte ich fragen, ob er Ministerpräsident Erdogan und Minister Gül auf diesen mit den europäischen Werten völlig unvereinbaren türkischen Chauvinismus angesprochen hat.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Es ist sehr wichtig, dass uns der von Herrn Brok vorgelegte Bericht heute die Möglichkeit gibt, über die Erweiterung zu sprechen.
Wir müssen die Nachbarschaftspolitik unbedingt stärken, und wir brauchen neue, ernsthaftere Beziehungen zwischen der Union und den angrenzenden Ländern. Bisher war die Nachbarschaftspolitik als Instrument nicht ausreichend. Davon zeugt die Tatsache, dass die betreffenden Länder während der Umsetzung dieser Politik Krisen und eine weitgehende Destabilisierung erlebt haben.
Neue Formen der Zusammenarbeit, wie sie im Bericht vorgeschlagen werden, dürfen jedoch nicht den Weg zu einer Mitgliedschaft versperren. Wir müssen uns heute darüber im Klaren sein, dass wir den Ländern an unseren Ostgrenzen entweder eine Mitgliedschaft in Aussicht stellen müssen oder unsere Appelle für Demokratie, Marktwirtschaft und Achtung der Menschenrechte bleiben leere Worte. Ohne zumindest die Aussicht auf eine Mitgliedschaft in fernerer Zukunft werden diese Länder in den Einflussbereich Russlands zurückkehren – mit all den Konsequenzen, die das für die Demokratie und die Menschenrechte hat.
In dem Bericht selbst werden jedoch die Auffassungen über die Erweiterung in Bezug auf die Aufnahmekapazität weiterentwickelt und bekräftigt. Dieser Terminus ist nie exakt definiert worden, und heute ist er nichts weiter als eine geschickte Ausrede, eine billige Erklärung für den Ausstieg aus dem Erweiterungsprozess. Wenn die Aufnahmekapazität an die Annahme des Verfassungsvertrags geknüpft werden soll, dann könnte der Eindruck entstehen, die Verfasser dieses Textes wollten die Tür für jeden endgültig zuschlagen. In der heutigen Fassung, wie wir sie kennen, wird es den Vertrag nie wieder geben.
Zu fordern, dass die Europäische Kommission die Grenzen der Union bestimmen solle, ist ein Fehler. Das führt nur zu peinlichen politischen Diskussionen über geografische Fragen und wird den Einfluss der Union auf den Prozess der Demokratisierung, Stabilisierung und Stärkung einer prowestlichen Politik in den Nachbarländern entscheidend schwächen. Dieses Parlament hat im Integrationsprozess oft eine Vorreiterrolle gespielt und weit reichende Ziele gesetzt. Heute erweist sich dasselbe Parlament als das konservativste und passivste Organ der Union. Da erhebt sich doch die Frage, weshalb das so ist.
Philip Claeys (NI). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte auf einige in dem Bericht enthaltene Unvollkommenheiten und Widersprüche in Bezug auf die Türkei hinweisen. In dem Bericht wird eine solch lange Liste grundlegender Probleme aufgeführt, dass es rätselhaft ist, weshalb daraus nicht die einzig logische Schlussfolgerung gezogen wird, nämlich dass es ein fataler Fehler war, EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei überhaupt aufzunehmen.
Wie Herr Belder soeben ausführlich dargelegt hat, werden die Rechte nationaler und religiöser Minderheiten verletzt. Folter ist nach wie vor weit verbreitet, und unter anderem aufgrund von Artikel 301 des Strafgesetzes können die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit nicht garantiert werden. Ferner erfüllt die Türkei in flagranter Weise nicht ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Zollunion. Zyprische Schiffe und Flugzeuge werden noch immer nicht auf türkischem Hoheitsgebiet zugelassen.
In den vergangenen Wochen konnten wir außerdem eine Eskalation der Spannungen zwischen den türkischen Behörden und bestimmten kurdischen Gruppierungen feststellen. Kein Geringerer als die Nummer Zwei der türkischen Armee wird beschuldigt, einen Bombenanschlag inszeniert zu haben, um den Kurden die Schuld in die Schuhe zu schieben. Manche Militärs sehen in dieser Beschuldigung einen Schachzug der Regierung, die den betreffenden General wegen seiner Haltung gegenüber dem Moslemfundamentalismus angeblich destabilisieren möchte.
In manchen Kreisen wird sogar von der Möglichkeit eines erneuten militärischen Staatsstreichs gesprochen, sollte die Situation weiter eskalieren.
Sie müssen zugeben, bei diesen Perspektiven besteht wenig Interesse daran, dass ein solches Land in einigen Jahren der Europäischen Union beitritt. Im Grunde genommen müssten wir eingestehen, dass ein Beitritt völlig absurd wäre. In dem Bericht wird ganz zu Recht daran erinnert, dass zu den Kopenhagener Kriterien auch unsere eigene Aufnahmekapazität gehört. Allein schon aufgrund dieses Kriteriums sollte der Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei aufgehoben werden.
Doris Pack (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Als Delegationsvorsitzende für Südosteuropa unterstütze ich voll die Aussagen und Forderungen des Berichts Brok bezüglich jedes einzelnen Landes. Jedes hat seine eigenen Probleme und soll auch nach seinen eigenen Erfolgen beurteilt werden. Daher wäre es sehr wünschenswert, dass eine baldige Aufnahme Kroatiens ins Auge gefasst wird. Das wäre ein wichtiges stabilisierendes Signal für die ganze Region, zumal Kroatien den beiden nächsten Beitrittsländern heute schon in nichts nachsteht, weder politisch noch ökonomisch.
Ich will mich aber jetzt am Ende nur noch mit einem Gedanken näher befassen, einem versteckten Gedanken im Bericht Brok, der in der Medienöffentlichkeit eine prominentere Rolle spielt, nämlich mit den angedeuteten Änderungen der Erweiterungsstrategie. Auf die Frage „Wo sind die Grenzen der EU?“ gibt niemand eine Antwort. Herr Rehn hat vorhin selbst gesagt, darauf müsste man eine Antwort geben. Und genau das ängstigt die Bürger. Für mich persönlich sind die Grenzen der Europäischen Union mit der Aufnahme Bulgariens, Rumäniens und des Westbalkans erreicht. Für alle anderen Länder haben wir uns das neue Instrumentarium der Nachbarschaftspolitik ausgedacht und müssen es angehen. Die überhasteten Verhandlungen mit der Türkei haben ihr Übriges zur Verunsicherung und Orientierungslosigkeit unserer Bürger getan.
Seit zehn Jahren sagen wir: Keine Erweiterung ohne institutionelle Reformen der EU! Dem aber wurde der Rat erst nach der letzten Erweiterung wirklich gerecht. Und dafür wurden wir alle durch die Referenden in Frankreich und in den Niederlanden abgestraft. Just daraus aber den Schluss zu ziehen, keine Aufnahmen mehr zuzulassen, wäre fatal. Wir müssen uns schleunigst die notwendigen Instrumente, die uns ja im Verfassungsvertrag gegeben waren, beschaffen und damit unsere Aufnahmefähigkeit wiederherstellen. Wenn wir nicht unser großes bisheriges Engagement auf dem Balkan aufs Spiel setzen wollen, müssen wir konsequent und zielgerichtet auf dem Weg der Annäherung dieser Länder an die EU weitergehen.
Ich begrüße ausdrücklich, was die beiden Redner, Kommissar Rehn und Ratspräsidentin Plassnik, dazu gesagt haben. Allen diesen Staaten wurde zu Recht die Aufnahme in die EU versprochen, wenn sie die Kriterien erfüllen. Das war und ist nach den schrecklichen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien und unter der Diktatur Enver Hoxhas in Albanien ein wichtiger Motor für die Veränderungen. Ein einfacher Blick auf die Landkarte zeigt jedem Vernünftigen: Diese Region liegt mitten in der EU. Stabilität dort sichert Stabilität bei uns. Das Gegenteil davon haben wir alle in den 90er Jahren leidvoll erfahren. Ich fürchte aber, einige Europäer – und das belegen leider, Frau Ratspräsidentin, auch die vagen und unscharfen Aussagen in Salzburg – sind dabei, die Staaten Südosteuropas ein zweites Mal im Stich zu lassen. Genau das dürfen wir nicht zulassen!
Helmut Kuhne (PSE). – Herr Präsident! Ich begrüße den Perspektivenwechsel, der im Bericht Brok angelegt ist. Es kann in unseren Debatten nicht länger darum gehen, welches Land wir lieber als ein anderes dabei hätten, sondern wir müssen uns endlich der Frage stellen, was für ein politisches System sich die Europäische Union eigentlich zugunsten ihrer eigenen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit leisten kann. Das ist die Leitfrage, von der man ausgehen muss.
Deshalb müssen wir in der Tat in einem nächsten Schritt Begriffe klären, die bislang nicht definiert wurden. Der Begriff der Aufnahmefähigkeit ist in den Kopenhagener Kriterien enthalten, aber er ist nicht definiert. Nach meiner Ansicht gehören dazu mindestens die politisch institutionellen Regelungen, wie sie im Verfassungsvertrag enthalten sind.
Herr Kommissar, ich habe aufmerksam zugehört. Korrigieren Sie mich, aber ich habe diesbezüglich nichts von Ihnen gehört. In der Entscheidung, was ein wichtiges Kriterium von Aufnahmefähigkeit ist, liegt die mögliche Quelle eines Dissenses zwischen uns und der Kommission. Zu den wichtigen Kriterien gehört eine zukunftsfähige Finanzierung der Europäischen Union ebenso wie die Akzeptanz durch die Bevölkerungen in der Europäischen Union. Wenn der Punkt Glaubwürdigkeit angesprochen wird, dann entspricht es ebendieser Glaubwürdigkeit und den Kriterien, die man sinnvollerweise für Aufnahmefähigkeit anlegen kann, dass für eine vorhersehbare Zukunft nach Bulgarien und Rumänien kein weiteres Land aufgenommen werden kann. Glaubwürdigkeit ist nicht nur das Versprechen, irgendwann Leute aufzunehmen, Glaubwürdigkeit ist auch, die Bedingungen zu nennen, unter denen das überhaupt möglich ist. Das bedeutet auch, dass wir Begrifflichkeiten wie Erweiterungs- oder Beitrittsperspektive präzisieren müssen.
Wir müssen uns sehr klar machen, dass der Glaube, ein Beitritt löse Spannungen und interne Sicherheitsprobleme, ein Irrglaube ist. Diese Spannungen und Probleme müssen gelöst werden, bevor Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden.
VORSITZ: Gérard ONESTA Vizepräsident
Annemie Neyts-Uyttebroeck (ALDE). – (NL) Herr Präsident, Frau Ratsvorsitzende, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Im Bericht Brok werden treffende Fragen gestellt und auch beantwortet, wenngleich ich mich nicht mit allen Antworten einverstanden erklären kann. Ebenso werden darin die Bedenken zum Ausdruck gebracht, die viele gegen eine neue Erweiterung hegen. Deshalb wird der Aufnahmekapazität so große Bedeutung beigemessen, die, sollte der Bericht ohne Änderungen angenommen werden, sogar eine geografische Dimension erlangen würde.
Wie eine breite Mehrheit meiner Fraktion bin ich der Meinung, dass es keiner vorhergehenden Festlegung der geografischen Grenzen der Union bedarf, um ihre Aufnahmekapazität effektiv bestimmen zu können. Die Union muss nämlich in erster Linie politisch definiert werden, was übrigens ebenfalls nicht leicht sein wird. Am allerwichtigsten ist, dass sich die EU an ihre Erweiterungszusagen hält, jedenfalls nicht zuletzt gegenüber den Ländern des westlichen Balkans. Die fraglichen Länder sind zwar noch um Jahre von einer möglichen Mitgliedschaft entfernt, doch ist die Zeit gekommen, um ganz präzise Vereinbarungen zu treffen und sogar einen Zeitplan aufzustellen. Selbstverständlich müssen alle Kriterien, an erster Stelle die politischen, erfüllt werden.
Ich meine verstanden zu haben, dass die Ratsvorsitzende genau dies in ihrer Antwort gesagt hat. Unklare Aussichten auf eine spätere Mitgliedschaft und eine weitere Verschärfung der Kriterien werden den Prozess nur verzögern, da diese Unklarheit zum Vorwand genommen würde, womit niemandem gedient wäre.
Cem Özdemir (Verts/ALE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Bericht fordert eine Festlegung der geographischen Grenzen der Europäischen Union und eine Definition der Natur der Europäischen Union. Einige Christdemokraten, aber auch manche Sozialdemokraten, haben sich auf die Suche nach Alternativen zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union gemacht. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, dass sich vor einigen Jahren Politikwissenschaftler und Analysten nicht vorstellen konnten, dass der Eiserne Vorhang eines Tages fallen würde. Aber er ist gefallen, und wir sind froh darüber! Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen, sich mit Festlegungen darüber, wie die Europäische Union in zwanzig, in dreißig, in vierzig Jahren – also nach der aktiven Phase der Politik der meisten von uns – aussehen wird, zurückzuhalten. Ich glaube, es steht uns allen gut zu Gesicht, angesichts dessen, dass die meisten von uns sich darüber getäuscht haben, was 1989 passieren wird.
Noch ein Zweites möchte ich sagen: Alle haben darauf hingewiesen, dass das Ankara-Protokoll umgesetzt werden soll. Sie haben Recht! Nur, dann sollte man auch dazu sagen, dass die Türkei und der Norden der Insel Zypern für eine Lösung sind. Wir haben auch Versprechen gegeben. Es gilt das alte Sprichwort „pacta sunt servanda“, das bedeutet, die Isolation des Nordens der Insel muss, wie von der Europäischen Union versprochen, beendet werden.
Herr Kollege Brok, ich würde mir wünschen, dass Helmut Kohl nicht nur in den Geschichtsbüchern vorkommt, sondern auch gelegentlich in der Europapolitik bei der CDU wieder eine Rolle spielt.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Meine Fraktion wird nicht für den Bericht Brok stimmen, und zwar hauptsächlich aus folgenden Gründen:
Der Bericht, insbesondere Ziffer 10, die absichtlich unklar gehalten ist, formuliert eine Doppelstrategie. Er lässt die Hintertür weit offen, Beitrittsperspektiven in ein Konzept der privilegierten Partnerschaft umzuwandeln, das Steckenpferd der deutschen Christdemokraten. Der Abschnitt zum Kosovo, mit seiner verschwommenen Formulierung, ist Ausdruck der Doppelzüngigkeit innerhalb der Union sowie der Tendenz, sich schrittweise den klaren Bestimmungen der UN-Resolution 1244 zu entziehen.
Meine Fraktion unterstreicht die Forderung, dass die Türkei die an einen konkreten Zeitplan gekoppelten notwendigen Voraussetzungen erfüllen muss, angefangen mit der gewissenhaften Umsetzung des Ankara-Protokolls, ohne Verstöße gegen diese Vereinbarung.
Schließlich unterstützt meine Fraktion unter anderem Änderungsantrag 19 betreffend die gegenseitig akzeptable Lösung des Namenproblems der EJRM sowie den überarbeiteten Änderungsantrag 4 zu Zypern.
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Die erste Frage, die wir klären müssen, ist, wo hört Europa auf? Wir wissen nicht mehr, wo Europa ist: Wir haben Diabakir erreicht und, wenn uns morgen die Amerikaner sagen, dass der Irak sich aus Gründen des Gleichgewichts Europa anschließen solle, werden wir dann den Indischen Ozean erreichen? Das ist die Frage. Wer entscheidet darüber, wer Europa beitritt? Bis vor kurzem haben wir Kroatien gegenüber „Nein“ gesagt. Die Chefanklägerin, Frau Carla del Ponte, sagte „Nein“, Österreich übte Druck aus und Kroatien ist drin. Ist das der politische Wille Europas? Natürlich ist es nicht sehr nett, unseren Freunden, den Türken, sagen zu müssen, dass sie nicht den Präsidenten des Europäischen Parlaments beleidigen dürfen. Es ist nicht sehr nett, dass sie, wenn wir ihnen 139 Millionen Euro für die besetzten Gebiete geben, Mitglieder des Europäischen Parlaments mit Eiern und Steinen bewerfen. Sie müssen ihre Haltung ändern, nicht nur einen Artikel ihrer Verfassung. Eine solche Sonderbehandlung dürfen sie nicht bekommen. Sie können nicht einem europäischen Staat mit Krieg, mit einem casus belli drohen, während wir darüber reden, sie hereinzulassen. Sind sie nicht imstande, eine Regierung zu akzeptieren, die von den anderen 24 anerkannt worden ist? Das entbehrt jeder Logik.
Das bringt mich zur EJRM, die natürlich einen Namen beansprucht. Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie, als Sie den Antrag stellten, der UNO als Deutsche Republik Österreich beizutreten, Deutschland – das damals unterlegene Deutschland – sein Veto einlegte und Sie als Österreich beitraten? Darf ich Sie daran erinnern, dass die Bretonen es nicht zuließen, dass Großbritannien beitritt, weil sie Britannien im Namen hatten, und dass sie als Vereinigtes Königreich beitraten? Warum also sollten Sie uns nicht unterstützen, wenn uns mit Makedonien eine 3000jährige Geschichte verbindet?
Warum nennen Sie die Sache nicht beim Namen? Warum verfolgen wir nicht endlich eine unabhängige Politik, warum müssen wir das Spiel der Amerikaner mitspielen, Russland zu verärgern, ihnen ihre Satelliten zu nehmen, eine Front gegen den Iran zu eröffnen und so weiter? Wann wird Europa endlich – und das ist die Frage – beschließen, nicht der Erfüllungsgehilfe der Amerikaner zu sein? Wir brauchen keine Aufseher, um unsere eigenen Initiativen zu entwickeln.
Inese Vaidere (UEN). – (LV) Meine Damen und Herren! Die bisherige Erweiterung der Europäischen Union war zweifellos ein erfolgreiches Unterfangen, da sie durch die Ausweitung des Raums des Friedens, der Stabilität und der Rechtsstaatlichkeit in Europa in vielen Staaten Reformen begünstigt hat.
Eine weitere Ausdehnung der Europäischen Union ist erforderlich, aber wir werden neue Mechanismen und Wege finden müssen, die die Europäische Union aus der Sackgasse ihrer gegenwärtigen Aufnahmefähigkeit, was neue Staaten betrifft, herausführen. Die Europäische Kommission muss dieses Konzept der Aufnahmefähigkeit weiterentwickeln und konkrete Kriterien festlegen. Neben der Möglichkeit der vollen Mitgliedschaft müssen wir auch verschiedene Formen multilateraler Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Ländern anbieten, die zumindest kurzfristig nicht in der Lage sein werden, der Europäischen Union beizutreten. Hier möchte ich den Worten von Herrn Brok uneingeschränkt zustimmen. Das wäre eine Möglichkeit, beispielsweise die Türkei, die Ukraine und die Balkanländer und später weitere Länder auf den Weg der Reform und der europäischen Werte zu holen.
Ryszard Czarnecki (NI). – (PL) Herr Präsident! Es ist ein Märchen, dass die Union stark und wettbewerbsfähig sein wird, wenn sie keine weiteren Länder aufnimmt. Es ist ebenso ein Märchen, dass die Union ihre Grenzen endlos, beispielsweise durch die Aufnahme Russlands, ausdehnen kann.
Wir sollten uns bei der Erweiterung auf Prioritäten konzentrieren. Nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union, der 2007 und nicht 2008 erfolgen sollte, müssten die südosteuropäischen Länder folgen. Nach Kroatien und Mazedonien sollten wir weiteren Ländern die Tür öffnen, und zwar Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, dem Kosovo und Albanien. Das ist der folgerichtige Weg, den wir einschlagen sollten. Dabei geht es sowohl um strategische Überlegungen als auch um die Frage einer größeren Sicherheit auf dem alten Kontinent. Alles in allem wird das wirtschaftlich gesehen von Vorteil sein, da es uns weniger kostet, die Union um die nächsten Balkanländer zu erweitern als Geld in ein Fass ohne Boden zu stecken, das die Balkanländer vor ihrem Beitritt zur EU sind. Es kostet mehr, die ständigen Konflikte in diesem Teil Europas zu lösen als diese Staaten in der Union zu haben, wo sie dann die politischen und wirtschaftlichen Spielregeln der EU befolgen müssen.
Wir sollten uns nicht davor fürchten, weitere Staaten in die Union aufzunehmen. Ich weiß, dass diese Furcht inzwischen gewissermaßen „trendy“ ist. Als besonders nützlich erweist sie sich in Wahlkämpfen, wie sie in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ständig stattfinden. Wenn unsere Union wirtschaftlich effizienter sein und nicht hinter Amerika und Asien zurückfallen will, muss sie die Trennung Europas in zwei Teile schrittweise überwinden, nämlich in das Europa A, das heißt die Europäische Union, und das Europa B, also alle Länder, die nicht der Union angehören. Die Geschichte hat auch gezeigt, dass eine erweiterte Union eine sicherere Union ist. Eine Einladung zu Beitrittsverhandlungen ist, selbst wenn keine Aussicht besteht, der Union in naher Zukunft beizutreten, wie eine Startflagge, die am Start eines Autorennens gehoben wird. Die Fahrer müssen ein Ziel haben, das sie ansteuern können, und wissen, wo der Zielpunkt ist. Dann können sie einen langen Weg zurücklegen, zahlreiche Kurven bewältigen und sogar einen Motorschaden überstehen. Wichtig ist jedoch, dass die Räder des Beitritts in Bewegung gesetzt werden.
In dem Entschließungsantrag des Parlaments wird ganz richtig die Tatsache hervorgehoben, dass eben dieser Anreiz dazu beigetragen hat, dass in der Türkei, in Kroatien und in allen Ländern des westlichen Balkans Reformen eingeleitet wurden. Ja, die Erweiterung ist – kurzfristig betrachtet – teuer, langfristig jedoch eine lohnende Investition.
Jacek Emil Saryusz-Wolski (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße diesen grundsätzlich positiven Bericht von Herrn Brok. Es wird darin glücklicherweise ohne Umschweife anerkannt, dass der westliche Balkan künftig ein integraler Bestandteil der Europäischen Union sein sollte. Ich vertrete die Überzeugung, dass wir uns an unsere Zusagen halten müssen; wir können nicht unsere Türen vor Ländern verschließen, denen eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde, oder vor Ländern, die gemäß den Bestimmungen des Vertrags künftig eine solche Perspektive verdienen.
Allerdings dürfen wir unsere Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Wir müssen uns auf die Erweiterung vorbereiten. In erster Linie müssen wir die erforderlichen Finanzmittel bereitstellen. Darüber hinaus sollten wir unseren Bürgerinnen und Bürgern die zahlreichen Vorteile der Erweiterung erläutern und sie so auf die Erweiterung vorbereiten. Wir dürfen nicht mehr so tun, als ob die Erweiterungsrunden der Vergangenheit und der Zukunft Schuld an unseren internen, überwiegend nationalen, Problemen und unserer Untätigkeit sind.
Bei der Vorbereitung auf die Erweiterung müssen wir strengen Regeln folgen, uns an den Beitrittskriterien orientieren und aufrichtig gegenüber unseren Partnern sein. Dennoch sollten wir nicht allzu dogmatisch vorgehen. Es ist durchaus möglich, Kroatien den Weg zum Beitritt ohne den Verfassungsvertrag zu ebnen. Dafür bedarf es lediglich der erforderlichen Anpassungen im Beitrittsvertrag. Das Land sollte nicht dafür büßen oder darunter leiden, dass wir Probleme mit dem Verfassungsvertrag haben.
Ich begrüße, dass der Bericht so fortschrittlich und kämpferisch ist. Die Möglichkeit eines schrittweisen Ansatzes für den Beitritt ließe sich diskutieren, vorausgesetzt dass dieses Vorgehen nicht unbegrenzt ist – ja, ein schrittweiser Ansatz, aber nicht, wenn er ein Ersatz für die Mitgliedschaft sein soll. Meinungsverschiedenheiten sollten nicht als Vorwand für Tatenlosigkeit oder dafür dienen, dass wir Ländern den Weg zur Mitgliedschaft verschließen, die wie beispielsweise die Ukraine eines Tages beitrittswürdig sein werden. Die Grenzen der Gemeinschaft werden bereits im Vertrag über die Europäische Union definiert, wo es unter anderem heißt: „Jeder europäische Staat, der die ... Grundsätze achtet“.
Abschließend möchte ich erneut hervorheben, dass die Erweiterung eine der wirksamsten Strategien der Union ist und wir daher dieses Potenzial vollständig nutzen sollten, um eine starke, sichere und einflussreiche Gemeinschaft zu errichten, die ihren Werten der Solidarität, Demokratie und Offenheit treu bleibt.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte die besondere Verantwortung der Europäischen Union für die Errichtung einer Gemeinschaft von Ländern, Völkern und Bürgern auf dem europäischen Kontinent unterstreichen, die auf Frieden, liberaler Demokratie, Menschenrechten, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit basiert.
Wir stehen heute jedoch vor der Frage, ob die Europäische Union für die Aufnahme weiterer Staaten und eine tatsächliche Öffnung gerüstet ist und wie der Charakter der Europäischen Union einschließlich ihrer geografischen Grenzen zu definieren ist.
Die Frage der Aufnahmekapazität wird gegenwärtig dadurch erschwert, dass der Prozess der Ratifizierung des Vertrages über eine europäische Verfassung ins Stocken geraten ist und die stärkere politische und strategische Integration der 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Hindernisse stößt. Gleichzeitig müssen jedoch die Institutionen der Europäischen Union in den nächsten fünf Jahren Erweiterungsstrategien umsetzen, die auf genau definierten Bedingungen basieren, die den Verpflichtungen der Europäischen Union gegenüber der Türkei, Kroatien und den westlichen Balkanstaaten Rechnung tragen. Auch sollte die Europäische Union eine langfristige europäische Perspektive in Bezug auf die osteuropäischen Länder – insbesondere die Ukraine – entwickeln.
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir die Erweiterung diskutieren, diskutieren wir im Kern unser Verständnis von der Europäischen Union. Ist es ein instrumentelles Verständnis oder ein originär politisches Verständnis, das wir von ihr haben? Wollen wir eine OSZE mit Freihandel zur Stabilisierung einer schwierigen Nachbarschaft, oder wollen wir eine politische Union, die aus eigenem Recht handlungsfähig ist? Der Bericht Brok ist insofern positiv, als er hier wirklich einen Perspektivwechsel zugunsten der zweiten Option herbeiführt.
Man sagt uns Politikern im Allgemeinen nach, dass wir nicht loben könnten. Aber Helmut Kuhne von der SPD hat hier eben gesprochen, auf der Grundlage eines hervorragenden Papiers, das die deutschen Sozialdemokraten verabschiedet haben. Das absolut Hervorragende ist, dass es die Position der SPD zur Erweiterung definiert.
Bulgarien und Rumänien sind entschieden – ja! Aber man muss in Betracht ziehen, die Länder zu entkoppeln, wenn dies die Leistungen erfordern. Nicht Instrumente sind entscheidend, sondern Ergebnisse. Es kann in den Verhandlungen mit der Türkei ein Ergebnis geben, das nicht die Vollmitgliedschaft ist. Und jetzt kommt ein Schlüsselsatz: „Die schleichende Aufweichung der Beitrittskriterien werden wir nicht länger mittragen“, sagen die deutschen Sozialdemokraten. Wir deutschen Freien Demokraten stimmen dem zu hundert Prozent zu.
Auch die Aufnahmefähigkeit wird definiert. Das Kardinalproblem hierbei ist, dass die grundsätzliche Zustimmung der Menschen in den Mitgliedstaaten Bestandteil der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union ist. Ich glaube, das ist ganz entscheidend, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen. Wenn wir sie als treue Unionsbürger erhalten wollen, dann müssen wir ihre Wünsche berücksichtigen!
Tatjana Ždanoka (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße ausdrücklich die Hinweise im Bericht von Herrn Brok, dass die Grundrechte und -freiheiten und insbesondere die Rechte von Minderheiten in der Türkei, in Kroatien und in den Ländern des westlichen Balkan geachtet werden müssen.
In unserer Aussprache über das Beitrittsgesuch der Türkei habe ich die Kommission dringend darum ersucht, nicht die Fehler zu wiederholen, die im Zusammenhang mit dem Beitritt meines Heimatlandes Lettland gemacht wurden, als nämlich der Prozess nicht dazu genutzt wurde, die Rechte von Minderheiten zu stärken. Die Fraktion der Freien Europäischen Allianz hat die europäischen Institutionen aufgefordert, die türkische Regierung zu drängen, ihr Vorgehen gegenüber ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten zu verbessern. Leider können wir in diesem Bereich keine Fortschritte vermelden, und besonders beunruhigend ist, dass in Kurdistan nach wie vor unschuldige Bürger getötet werden. Vor zwei Wochen wurden die Eltern des bekannten Menschenrechtsaktivisten und Präsidenten des in Brüssel ansässigen Kurdischen Instituts, Derwich Ferho, ermordet. Es gibt Hinweise darauf, dass türkische Spezialeinheiten in diesen Vorfall verwickelt sind. Ich befürworte eine weitere Erweiterung, doch diese muss sich streng an den Kopenhagener Kriterien orientieren.
Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Was Ziffer 29 des Berichts betrifft, so war die Entscheidung des Rates, die finanzielle Hilfe für die türkischen Zyprioten zu blockieren, ein Schritt in die richtige Richtung, und dafür möchte ich der Ministerin danken.
Was die Frage des Handels angeht, so kann sie immer noch im Rahmen der jüngsten Übereinkunft, Gespräche über ein Paket von vertrauensbildenden Maßnahmen zu führen, geklärt werden. In ihrer gemeinsamen Erklärung im Anschluss an ihr Treffen in Paris haben der UN-Generalsekretär und Präsident Papadopoulos unter anderem festgestellt, dass es für alle Beteiligten nützlich wäre und die Atmosphäre für weitere Gespräche erheblich verbessern würde, wenn beim weiteren Truppenabzug und der vollständigen Entmilitarisierung der Insel sowie bei der Entminung Zyperns und der Frage von Famagusta Fortschritte erzielt werden würden.
Insbesondere könnten Fortschritte bei der Frage von Famagusta ebenfalls zu Fortschritten bezüglich der Frage des Handels führen. Wir sind uns alle des entsprechenden Vorschlags der zypriotischen Regierung bewusst, wonach durch die Rückgabe von Famagusta an seine rechtmäßigen Bewohner und die Wiedereröffnung des Hafens von Famagusta die Frage des Handels aus und in die besetzten Gebiete geklärt werden könnte. Leider haben die Türkei und die türkisch-zypriotische Führung zu dieser konkreten Frage noch keine Stellung bezogen.
Roger Knapman (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Zunächst begrüßt es unser irregeführter Berichterstatter, dass das Strategiepapier der Kommission „eine nach außen gerichtete Union befürwortet“. Er meint nicht wirklich eine nach außen gerichtete Union, sondern eine Union auf Expansionskurs, und es geht ganz offensichtlich nicht um eine Reflexionsphase im Anschluss an die Referenden in den Niederlanden und in Frankreich! Die Menschen haben vor allem einen Beitritt der Türkei abgelehnt. Was uns hier geboten wird, ist nur noch mehr Zentralisierung bei gleichzeitiger Expansion mit einem unkontrollierbaren Ganzen als Folge, und dies zu allem Überfluss genau in der Woche, in der Deutschland dazu aufgefordert wird, seine Wirtschaft in den Griff zu bekommen! Anstatt Schiffsladungen mit Geld nach Osteuropa zu schicken, täten sie besser daran sicherzustellen, dass nicht der Wohlstand der gesamten Union aufs Spiel gesetzt wird.
Gegenwärtig ist es schick, so zu tun, als ob zahlreiche Länder Schlange stünden, um unserer Union beizutreten. Tatsache ist, dass die Balkanstaaten gerade erst eine herrschsüchtige, bürokratische und korrupte Organisation mit Namen Jugoslawien hinter sich gelassen und daher nicht den Wunsch haben, nur aus gesundheitlichen Gründen einer Organisation mit ähnlichen Eigenschaften beizutreten. Wahrheit ist, dass sie Geld wollen. Und sie wollen noch mehr Geld. Die Balkanstaaten sollten ihre Souveränität nicht als Ware betrachten, denn dann werden sie eine herbe Enttäuschung erleben. Ich fürchte, dass in Zukunft noch große Enttäuschungen auf sie warten werden.
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident, werte Sozialdemokraten, insbesondere Deutsche und Österreicher! Hurra, ihr habt euch die Populismuskeule, die ihr sonst immer gegen frühere Parteichefs oder auch Spitzenkandidaten schwingt, jetzt selbst über den Kopf gezogen – das, was ihr Populismuskeule nennt. Da ist ein Aufweckprozess im Gange und ein Aufwachen, getragen von Wählern, getragen von realistischen ökonomischen Zahlen, hoffentlich auch getragen von Einsicht. Die Debatten, die wir über Jahre hinweg in Ihrer Fraktion geführt haben, haben jetzt zu einem Papier geführt, mit dem man etwas anfangen kann.
Wunderbar, Kollege Kuhne! Perspektivenwechsel, Beitrittsperspektive definieren, Aufnahmefähigkeit. Genau darum geht es. Da kann man Hoffnung haben, denn das, was ihr vertretet, ist ja nicht nur bei euren Wählern mehrheitsfähig, sondern insgesamt in Europa. Mit einer vernünftigen Perspektive kann es vorangehen. Mit dem Sich-schön-Reden von bisher ganz sicher nicht.
Camiel Eurlings (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Die Erweiterungen haben der Europäischen Union Vorteile gebracht; nicht nur die Einwohner der neu beigetretenen Länder, sondern sicherlich auch die der anderen Länder haben davon profitiert.
Bei dem Referendum in meinem Land war das vorherrschende Gefühl die Sorge, von polnischen Klempnern überschwemmt zu werden. Die Realität sieht ganz anders aus: die Erweiterung um die zuletzt beigetretenen Länder brachte den Niederlanden einen Gewinn von 2 Milliarden Euro jährlich. Gerade die stetigen Befürworter dieser Erweiterung sollten nicht mit solchen Informationen über die Erweiterung hinter dem Berg halten, gleichzeitig aber das Gleichgewicht zwischen Erweiterung und Vertiefung nicht aus dem Auge verlieren, denn dieses Verhältnis befindet sich derzeit in einer Schieflage. Der Vertrag von Nizza war im Grunde bereits für 25 Länder unzulänglich, und er wird mit Sicherheit unzulänglich sein, wenn in Kürze zwei weitere Länder, Rumänien und Bulgarien, beitreten werden. Wir sollten uns nach meinem Dafürhalten dazu verpflichten, mit einem neuen Vertrag zunächst einmal unser eigenes Haus in Ordnung zu bringen, bevor wir über die 27 hinaus erweitern. Diese Verpflichtung sollten wir uns selbst auferlegen.
Zweitens halte ich es für wichtig, dass Länder an unserer Peripherie nicht warten müssen sollten, bis die Europäische Union ihre Hausaufgabe erledigt hat, um mit einer Art Partnerschaft den Prozess der Vertiefung beginnen zu können. Wenn sie echte Mitglieder werden wollen und Europa als aufnahmefähig erscheint, könnte ein Heranrücken an die Mitgliedschaft der nächste Schritt für sie sein.
Mit dem vorliegenden Bericht werden die Rechte der Kandidatenländer, die jetzt diesen Status besitzen, keineswegs geschmälert, und ich möchte dies absolut klarstellen. Diese Glaubwürdigkeit impliziert jedoch, dass wir auch die Kriterien glaubwürdig handhaben. Dies bedeutet, wie Frau Plassnik treffend bemerkte, dass die Türkei die Meinungsfreiheit respektieren muss, nicht nur im Falle dieses einen Schriftstellers, sondern auch der anderen, dass die Religionsfreiheit gewährleistet werden muss und dass ferner in der Zypernfrage Fortschritte erzielt werden.
Wir begrüßen den Age Package Deal, doch wäre es – und hoffentlich nimmt der Herr Kommissar dies zur Kenntnis – hervorragend, wenn die Türkei dazu überredet werden könnte, das Protokoll zu ratifizieren und umzusetzen. Wie wollen Sie erreichen, dass hier entsprechende Klarheit geschaffen wird, Herr Kommissar? Sobald dies der Fall ist, werden wir auch in Bezug auf Zypern selbst ein Stück weiter kommen. Der dazu eingereichte Änderungsantrag 4, in dem das Parlament nochmals unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass wir unseren Verpflichtungen gegenüber den Menschen im südlichen, aber selbstverständlich auch denen im nördlichen Teil der Insel nachkommen werden, findet meine uneingeschränkte Zustimmung.
Richard Howitt (PSE). – (EN) Herr Präsident! Die Erweiterung ist die größte Erfolgsgeschichte der Union, die unserem gesamten Kontinent Stabilität, Sicherheit, Wohlstand und Demokratie beschert hat und bescheren wird. Wenn sich jedoch eine Mehrheit in sieben Mitgliedstaaten, darunter auch in meiner Heimat, gegen eine künftige Erweiterungsrunde ausspricht, ist es an der Zeit, uns der Öffentlichkeit zu stellen und an die Fortschrittsgegner heranzutreten; diejenigen zurückzuweisen, die sogar in diesem Entschließungsantrag Formulierungen wie „operationelle Möglichkeiten“ oder „Festlegung ... der Grenzen“ benutzen, um die bestehenden Verpflichtungen der Union zu untergraben; denjenigen entgegenzutreten, die wie die britischen Konservativen sagen, dass sich Europa zwischen einer Ausdehnung und einer Vertiefung entscheiden muss, was einfach nicht stimmt; uns mit den Rechtsaußen-Politikern auseinander zu setzen, die bewusst Ängste schüren, dass eine neue Migrationswelle die Arbeitsplätze und den Lebensunterhalt der Menschen gefährden würde, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist; diejenigen bloßzustellen, die auch in diesem Entschließungsantrag erneut die Fortschritte in Kroatien, nicht jedoch dieselben Fortschritte in der Türkei begrüßen; zu erkennen, dass die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung in Mazedonien, Bosnien und Albanien ebenfalls unser europäisches Schicksal teilt; und hervorzuheben, dass eine Reflexionsphase zum Verfassungsvertrag nicht als Entschuldigung dafür herhalten kann, eine neue Erweiterungsrunde völlig zum Erliegen zu bringen.
István Szent-Iványi (ALDE). – (HU) Herr Präsident! Die regionale Integration auf dem westlichen Balkan stellt ein entscheidendes Element in der Erweiterungsstrategie der Kommission dar. Dieses Vorgehen ist richtig, denn es befördert die Zusammenarbeit und die Übernahme von Verantwortung, und es bringt auch wirtschaftliche Vorteile.
Es ist jedoch nicht richtig, eine wirtschaftliche oder politische Einheit aufzuzwingen, wenn sie von den Betroffenen nicht gewollt ist oder wenn sie von vornherein nicht lebensfähig ist. Es wäre viel effektiver, die bereits bestehende CEFTA zu erweitern, wie es die kroatische Regierung vorschlägt, denn diese hat sich bereits als Möglichkeit einer erfolgreichen und guten Zusammenarbeit erwiesen, und ihr sollten sich die Balkanstaaten anschließen.
Die wahre Garantie der Stabilität im westlichen Balkan besteht in der ehrlichen Zusage europäischer Integration. In dieser Hinsicht ist es äußerst beunruhigend, dass die betroffenen Länder nach dem Vorschlag des Rates zukünftig keine angemessene finanzielle Unterstützung erhalten werden, und sie werden im nächsten Jahr und in den Folgejahren weniger unterstützt als bisher. Das lässt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des gesamten Beitrittsprozesses aufkommen. Daher sind wir für eine erhebliche Aufstockung der verfügbaren Mittel.
Drittens: Bei der Bewertung eines jeden Landes müssen wir seine individuellen Erfolge in Betracht ziehen; En-bloc- oder Kollektivbewertungen jedweder Art kann man nicht akzeptieren, denn diese Länder müssen jedes für sich ihre Reife beweisen.
Kroatien hat sehr viel unternommen, um möglichst bald ein Mitgliedstaat der Europäischen Union werden zu können. Wir müssen diese Bemühungen anerkennen, denn Kroatien verdient es, dass die Verhandlungen so bald wie möglich erfolgreich abgeschlossen werden.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Zunächst möchte ich Herrn Brok für seinen sehr konstruktiven und logischen Bericht danken. Wenn die Europäische Union ihre Position zu allen Dingen so erläutern würde, dann träfe sie ganz gewiss auf bessere Unterstützung und mehr Verständnis bei ihren Bürgerinnen und Bürgern. Ich möchte über den Teil des Berichts sprechen, in dem von der Türkei die Rede ist. Auch ich bin uneingeschränkt der Meinung, dass die Erweiterungsstrategie zweifellos demokratische, politische und andere Reformen in der Türkei und in anderen in der Entschließung genannten Staaten begünstigt hat. Man muss jedoch gleichzeitig feststellen, und ich zitiere, dass „wiewohl es in der Türkei noch immer einen politischen Übergangsprozess gibt, das Tempo der Reformen im Jahr 2005 abgenommen hat und es mit der Umsetzung von Reformen noch immer hapert.“ Dies ist genau die Antwort, die ich gestern vom Kommissionsmitglied Rehn auf meine mündliche Anfrage zur Umsetzung der Entschließung des Europäischen Parlaments bei der Aufnahme der Verhandlungen mit der Türkei erhielt. Ein Hinweis darauf findet sich auch in dem heute diskutierten Entschließungsentwurf, nämlich dass das Reformtempo in der Türkei im Jahr 2005 nicht nur ungenügend war, sondern sich sogar verlangsamt hat. Das kann man so interpretieren, dass die Türkei nicht willens ist, Reformen durchzuführen, die das Land näher an die Europäische Union rücken, oder vielleicht sogar als mangelnde Bereitschaft, sich auf die mit einer möglichen Mitgliedschaft verbundenen elementaren Verpflichtungen festzulegen.
Auch teile ich das Bedauern in Herrn Broks Bericht und in der Entschließung über die einseitige Erklärung der Türkei anlässlich der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Ankara-Abkommen. Ich halte es für notwendig, die Türkei daran zu erinnern, dass die Anerkennung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen unerlässlichen Bestandteil des Beitrittsprozesses bildet.
Ja, was ich jetzt sagen will, steht nicht im Bericht, aber ich bin sicher, dass die Türkei den Völkermord an der armenischen Nation vor neunzig Jahren auf höchster Ebene eingestehen muss, denn mehr als alles andere würde das die Tatsache belegen, dass sich die Position der Türkei, selbst was diese schrecklichen Geschehnisse in der Vergangenheit betrifft, im Einklang mit dem Geist der Kriterien von Kopenhagen befindet.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident! Im Bericht Brok wird nichts Konkretes zu ethnischen Minderheiten ausgesagt. Die Europäische Union legt oft zwei oder drei verschiedene Maßstäbe an, wenn sie etwas völlig anderes von zwei Kandidatenländern fordert oder erwartet, während sie von ihren eigenen Mitgliedstaaten in Fragen der ethnischen Minderheit selten Rechenschaft verlangt.
In der Folge eines bewaffneten Aufstands wurde den in Mazedonien lebenden Albanern weitestgehende administrative und sogar territoriale Autonomie verliehen, während die Europäische Union im Fall von Rumänien nicht auf territoriale Autonomie für die fast eine Million in Székelyland lebenden Ungarn dringt. Die Europäische Union verspricht dem Kosovo Unabhängigkeit, aber für die Vojvodina empfiehlt sie nicht einmal die von Milosevic geraubte Autonomie.
Bitte unterstützen Sie die ungarischen Änderungsvorschläge zur Bewahrung des multiethnischen Charakters der Vojvodina, zum Schutz von Minderheiten und zur Ausweitung der Provinzautonomie. Das Kommissionsmitglied Olli Rehn weiß sehr wohl, dass es ohne Autonomie für die Schwedisch sprechenden Finnen in Finnland keine Lösung gibt, genauso wenig wie es auf dem Balkan oder für die in der Türkei lebenden Kurden eine Lösung geben kann.
Panagiotis Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Wir sollten ganz ehrlich sein und akzeptieren, dass die Erweiterungsstrategie nicht die Ursache der derzeitigen institutionellen Krise in der Europäischen Union ist. Als strategisches Ziel kann die Erweiterung jedoch der Sündenbock für die kollektiven europäischen Sackgassen sein, und das sollte meiner Ansicht nach vermieden werden. Deshalb ist die Botschaft, die vom österreichischen Ratsvorsitz und dem Treffen der Außenminister in Salzburg im Hinblick auf das endgültige Ziel der Integration der westlichen Balkanländer in die Europäische Union ausgesandt wurde, tatsächlich von besonderer Bedeutung. Wir sagen Ja zur Integration der Länder und Nein zur privilegierten Partnerschaft.
Von daher gesehen sollte die Kommission sich bemühen, die Vorlage ihrer Vorschläge für die Erteilung von Einreisevisa für Staatsangehörige von Balkanländern zu beschleunigen. Die Frage ist von erheblicher politischer Bedeutung, es ist keine Frage der Bürokratie. Die Doppelzüngigkeit der Europäischen Union betreffend den Kosovo gibt Anlass zur Sorge. Das Fehlen einer gemeinsamen EU-Politik wird negative Folgen haben.
Was schließlich Zypern betrifft, so ist es meines Erachtens an der Zeit, politische Initiativen zu ergreifen, um auf Ebene der Zivilgesellschaft zwischen den griechischen und den türkischen Zyprioten die notwendige politische und soziale Osmose zu schaffen. Der Europäischen Union kommt hierbei die Rolle des Katalysators zu.
Marianne Mikko (PSE). – (ET) Meine Damen und Herren, der Berichterstatter, Herr Brok, hat eine sorgfältige Arbeit geleistet und den Ländern auf dem westlichen Balkan den Weg in die Europäische Union gezeigt.
Als Leiterin der Delegation für die Beziehungen zu Moldau ist es jedoch meine Pflicht, uns alle daran zu erinnern, dass es zwei Länder gibt, die Europa noch näher stehen und die der Zusage einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union ebenso sehr bedürfen wie die Balkanstaaten und die Türkei.
Das Europäische Parlament hat seine Unterstützung gegenüber den Bestrebungen der Ukraine und Moldaus, Kandidaten für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu werden, klar zum Ausdruck gebracht. Moldau unternimmt seit zwei Jahren gewaltige Anstrengungen.
Auch die Ukraine hat jüngst ihren Wunsch bekundet, ein europäisches Land zu werden. Ich habe das bei meinem Besuch der Ukraine vergangene Woche ganz deutlich gespürt.
Enttäuscht bin ich jedoch über die übermäßige Betonung des vierten Kopenhagener Kriteriums in dem Bericht. Gleichzeitig pflichte ich Elmar Brok bei, dass die Europäische Kommission so bald wie möglich festlegen sollte, wie es mit der Beitrittsfähigkeit aussieht. Diese sollte keine vage Ausrede dafür sein, Länder, die der Europäischen Union beitreten wollen, abzuweisen.
Seit dem Gipfel von Thessaloniki im Jahr 2003 hat sich unsere Union reformiert. Dies ist die Erfolgsgeschichte der Länder, die die Kriterien von Kopenhagen erfüllt haben. Potenzielle Kandidatenländer müssen in Zukunft ebenfalls auf der Grundlage transparenter Kriterien bewertet werden.
Es muss weitergehen mit der Erweiterung, denn Europa braucht Stabilität wie die Luft zum Atmen.
Ursula Plassnik, amtierende Ratspräsidentin. Herr Präsident! Ich danke für diese spannende und durchaus auch spannungsvolle Debatte, die auch für den Rat von Wichtigkeit sein wird.
Meine Damen und Herren! Ich komme aus einem Land, das nach allen verfügbaren Zahlen und Ziffern von der letzten Erweiterung sehr stark profitiert hat. Trotzdem ist die Haltung der Bevölkerung zur Europäischen Union wie auch zum Thema Erweiterung sehr kritisch. Daher lassen Sie mich einige persönliche Bemerkungen in diesem Zusammenhang machen.
Ein grenzenloses Europa wird es nicht geben. L’Europe sans frontières n’existera pas. Aber Europa war immer ein politisches Projekt. Daher werden uns weder die Geographen noch die Historiker noch die Lineale bei den Festlegungen helfen, die wir politisch zu treffen haben. Maßgeblich wird der gemeinsame Wille der Teilhaber dieser Werte- und Rechtsgemeinschaft sein. Das sind wir und – wie in Demokratien selbstverständlich – die Bevölkerungen. Wo stehen wir also jetzt? Nüchtern betrachtet sind am 3. Oktober des letzten Jahres weitreichende politische Entscheidungen getroffen worden. Jetzt stehen wir vor einer Phase der ruhigen Sacharbeit – Rat und Kommission mit unseren Partnern in der Welt.
Drei Bemerkungen noch zu geographischen Themen, zum Balkan: Worum geht es im Kern? Woran arbeiten wir? Aus meiner Sicht am Friedensprojekt Europa, an der Wiedervereinigung Europas, an der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes, an der Überwindung der Trennung durch den Kommunismus. Es kann nicht sein, dass der Balkan ins europäische Abseits gerät. Wir müssen wieder klarmachen, wo der Mehrwert für uns, für unsere Bevölkerung, aber auch für die Bevölkerungen auf dem Balkan liegt, ein Mehrwert an Rechtsstaatlichkeit, an Sicherheit, an wirtschaftlichen Möglichkeiten.
Zum Thema Türkei, das mehrfach angesprochen wurde: Die Kommission und der Rat sprechen im jetzt laufenden Verfahren nicht nur die Fortschritte im Reformprozess der Türkei an, sondern ganz konkret auch die Defizite, ganz direkt auch die Defizite etwa im Bereich Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit. Wir haben das bei unserem Troika-Treffen getan.
Ein Wort zur Ukraine: Ich war mit Kommissarin Benita Ferrero-Waldner vor kurzem auf einer Troika-Mission in der Ukraine. Dieselbe Botschaft hier, die ich dort gegeben habe: Europa, die Europäische Union wünscht sich eine stabile, eine selbstbewusste, eine erfolgreiche Ukraine. Vor allem aber auch eine Ukraine, die die anstehenden Transformationsaufgaben entschlossen in Angriff nimmt. Wir haben mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik, mit dem Aktionsplan, dessen erste Überprüfung bevorsteht und während der österreichischen Präsidentschaft erfolgen wird, ein gutes und zweckmäßiges Instrumentarium. Wir haben auch noch ein großes Potenzial, etwa durch ein vertieftes Abkommen, das ein breites Freihandelsabkommen umfassen könnte.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Eingangs möchte ich Ihnen die neuesten Nachrichten übermitteln: Mit den Entscheidungen, die wir Ende des Jahres 2005 getroffen haben, wurde ein solider politischer Rahmen für unsere Erweiterungsstrategie im Zeitraum 2006 bis 2010 und in einigen Fällen sogar darüber hinaus geschaffen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei können beispielsweise gut und gerne 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen. Ich gehe nicht davon aus, dass irgendjemand unsere bestehenden Verpflichtungen gegenüber den südosteuropäischen Staaten ernsthaft anzweifeln wird, denn es ist vor allem eine Frage unserer eigenen Sicherheit und Stabilität, ob wir in dieser krisenanfälligen Region Frieden und Demokratie stärken und zu mehr Wohlstand beitragen können.
Wir verfügen nun über eine konsolidierte und höchst anspruchsvolle Erweiterungsagenda. Der Erweiterungszug ist kein Höchstgeschwindigkeitszug, kein TGV, kein Eurostar; es handelt sich um einen ganz normalen Zug und in einigen Fällen sogar nur um einen Nahverkehrszug, doch viel wichtiger ist, dass dieser Zug fährt, dass er vorankommt und Veränderungen in den Ländern bewirkt, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Europäischen Union befinden.
Was die Grenzen Europas anbelangt, orientiert sich die Kommission an Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union, demzufolge jeder europäische Staat, der die europäischen Werte der Demokratie, der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundfreiheiten achtet und anwendet, beantragen kann, Mitglied der Union zu werden. Dies bedeutet nicht, dass jedes europäische Land diesen Antrag stellen oder die EU jedes Land akzeptieren muss, doch es heißt gleichzeitig, dass es nicht sinnvoll ist, durch eine endgültige Grenzziehung auf der europäischen Landkarte die Türen für immer zu schließen, denn damit würden wir uns völlig unserer Möglichkeiten berauben, auf unsere unmittelbaren Nachbarn einen positiven und strategischen Einfluss auszuüben.
Obwohl die Union noch keine endgültigen Grenzen hat, entwickelt die Gemeinschaft inzwischen andere Formen der Partnerschaft und der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn, so beispielsweise die Europäische Nachbarschaftspolitik, die weiter ausgebaut und verstärkt werden kann.
Es wurden einige Anmerkungen zur Aufnahmekapazität gemacht. Ich möchte einen kurzen geschichtlichen Überblick geben. Dieses Konzept wurde zum ersten Mal 1993 in Kopenhagen ausdrücklich erwähnt, als der Europäische Rat feststellte: „Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten und ihren inneren Zusammenhalt und ihre grundlegenden Prinzipien zu wahren, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.“ Dieses Konzept und seine Auswirkungen werden von der Kommission regelmäßig geprüft.
Die Kommission hat in ihrer Agenda 2000 – und ich freue mich, darauf hinweisen zu können, denn ich selbst war Mitglied der Lenkungsgruppe für die Agenda 2000, die 1997 verabschiedet wurde – die Auswirkungen des Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten unter zwei Gesichtspunkten beurteilt: Erstens ging es um die Folgen für die Gemeinschaftsstrategien unter anderem in den Bereichen Landwirtschaft und Regionalpolitik und zweitens um die budgetären Folgen. Dies führte dazu, dass bei den anschließenden Verhandlungen, in den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates im März 1999 in Berlin sowie im Zuge des Beitritts der ost- und mitteleuropäischen Staaten zur Gemeinschaft im Jahre 2003 kritische Parameter festgelegt wurden. Auf diese Weise wurde der Beitritt der EU-10 ermöglicht, und wir konnten eine erfolgreiche Verbindung zwischen unserer historischen Aufgabe einer Wiedervereinigung des europäischen Kontinents und praktischen Erwägungen herstellen, die unseren Bürgern gegenwärtig ebenfalls am Herzen liegen.
Im weiteren Verlauf der Beitrittsverhandlungen haben wir dieses Konzept vor allem in Bezug auf bestimmte Kapitel wie die Freizügigkeit von Personen und das Kapitel Finanzen geprüft, und die Kommission hat dieses Konzept darüber hinaus unlängst in unserem Themenpapier 2004 zu Fragen im Zusammenhang mit der Beitrittsperspektive der Türkei untersucht.
Ich möchte dieses Papier vom Oktober 2004 allen Abgeordneten des Europäischen Parlaments ans Herz legen. Es ist nach wie vor lesenswert und gibt einen guten Überblick über die Folgen einer eventuellen Mitgliedschaft der Türkei, sollte die Türkei eines Tages alle Beitrittskriterien erfüllen.
Die Steigerung der Kapazität ist daher ein wichtiges Konzept, das auch in den Verhandlungsrahmen für die Türkei und für Kroatien Erwähnung findet. Ich kann Ihnen versichern, dass wir dies im Verlauf der Verhandlungen nicht außer Acht lassen werden, und es ist zudem ein zentrales Konzept unseres Strategiepapiers vom vergangenen November. Bei unserer Arbeit stützen wir uns auf dieses grundlegende Konzept.
Abschließend möchte ich mich auf die Äußerungen von Herrn Eurlings zur Vertiefung und Erweiterung eingehen. Ich gehöre zu denen, die der Ansicht sind, dass eine Vertiefung der politischen Integration unabdingbar ist, um die Europäische Union wirksamer und demokratischer zu machen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Union besser funktioniert, und das war und ist der Zweck des Verfassungsvertrags. Daher benötigen wir eine Verfassungsdebatte, und wir müssen uns rechtzeitig – besser früher als später – entscheiden, wie wir unsere Strukturen reformieren wollen, damit sie wirksamer und demokratischer sind und die Europäische Union auf internationaler Ebene, in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Gewährleistung des Schutzes ihrer eigenen Bürger vor internationaler Kriminalität und Terrorismus über mehr Einfluss verfügt.
Dies muss zum Wohle Europas in naher und nicht in ferner Zukunft geschehen – also beispielsweise nicht erst in 10 bis 15 Jahren, wenn die Türkei eventuell bereit für einen Beitritt ist –, und es ist bereits für die Europäische Union der 25 oder 27 Mitgliedstaaten von Belang. Ich würde es daher vorziehen, nicht über die Aufnahmekapazität, sondern über die Funktionskapazität der heutigen Gemeinschaft zu sprechen, um sicherzustellen, dass wir den Bedürfnissen unserer Bürger sowohl in politischer als auch in institutioneller Hinsicht besser gerecht werden.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, am Donnerstag, um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Cristiana Muscardini (UEN). – (IT) Der Bericht von Herrn Brok gibt einen ausführlichen und vollständigen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Erweiterung und geht auf Länder ein, die zweifellos beachtliche Anstrengungen unternehmen, um die politischen und wirtschaftlichen Kriterien für den Beitritt zur Europäischen Union zu erfüllen.
Vor allem schließen wir uns der an Kroatien gerichteten Aufforderung zur „Lösung bestehender bilateraler Fragen“, insbesondere von [...] Eigentumsregelungen“ an, doch stellen wir mit Bedauern fest, dass die Probleme bei der Angleichung der Rechtsvorschriften dieses Landes bezüglich des Zugangs von Unionsbürgern, speziell von italienischen Staatsangehörigen und julischen sowie dalmatinischen Emigranten, zum Immobilienmarkt überhaupt nicht erwähnt werden. Die Niederlassung in einem Mitgliedstaat und der Zugang zum Wohnungsmarkt dürfen keinem EU-Bürger verwehrt werden.
Das Verbot unter Berufung auf den Gegenseitigkeitsgrundsatz zu rechtfertigen reicht nicht aus, um heute aufzuzeigen, dass Kroatien sämtliche Bedingungen für einen zukünftigen EU-Beitritt erfüllt. Eingedenk der Nichtachtung eines inzwischen in allen Mitgliedstaaten anerkannten Freiheitsprinzips verlangen wir – ungeachtet unserer Zustimmung zu dem Bericht –, Kroatien aufzufordern, diesen gravierenden Mangel zu beheben, der, sollte er fortbestehen, uns daran hindern würde, seinem Beitritt zuzustimmen.
10. Änderung der Tagesordnung (Debatten über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit): siehe Protokoll
11. Fusionen im Binnenmarkt (Aussprache)
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zu Fusionen im Binnenmarkt.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist dies eine Debatte, die naturgemäß sehr von den Ausführungen der Kommission dominiert werden wird. Ich könnte mir vorstellen, dass die anwesenden Abgeordneten besonders daran interessiert sind, der Kommission zuzuhören. Ich will mich daher im Namen des Rates auf einige wenige Bemerkungen beschränken, denn wir sind davon überzeugt, dass die Kommission bei der Anwendung der neuen Regelungen und bei der Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln eine große Verantwortung an den Tag legt, um die Ziele der Wettbewerbspolitik im Sinne der Lissabon-Ziele zu erreichen.
Die Sektorstudien, die die Kommission bereits in Bearbeitung hat und noch vertiefen will, sind eine wesentliche Grundlage dafür, wobei auch die Frage der Marktabgrenzung nicht unbedeutend ist. Es darf nicht übersehen werden, dass bei Entscheidungen über Fusionen auch die mittel- und langfristigen Aspekte zu berücksichtigen sind.
Wirtschaft ist dynamisch und nicht statisch. Die Unternehmen sind daher täglich gefordert, sich für die Zukunft zu wappnen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt in der Europäischen Union insgesamt mehr als 23 Millionen Unternehmen. Täglich werden neue Unternehmen gegründet, andere stellen ihre Aktivität ein.
Anknüpfend an die Debatte, die wir heute Vormittag geführt haben, soll noch einmal daran erinnert werden, dass 99 % der Unternehmen Klein- und Mittelbetriebe sind, die insgesamt 80 % der Beschäftigung ausmachen. Die Wettbewerbsfähigkeit hat daher auch erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und setzt funktionierenden Wettbewerb voraus. Der Wettbewerb im Binnenmarkt darf nicht verzerrt werden. Das ist eine der wesentlichen Grundlagen für den Erfolg der europäischen Wirtschaft.
Die Vollendung des Binnenmarkts und der Wirtschafts- und Währungsunion, die Erweiterung der Europäischen Union und die Reduzierung der Barrieren im internationalen Handel und bei Investitionen werden weiterhin zu größeren Unternehmensreorganisationen führen, auch in Form von Konzentrationen. Solche Umorganisationen sind insofern zu begrüßen, als diese mit den Anforderungen des dynamischen Wettbewerbs konform gehen und dazu geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhöhen, indem sie die Wachstumsbedingungen verbessern und den Lebensstandard in der Gemeinschaft steigern. Das ist durchaus im Sinne der Ziele von Lissabon, die wir heute erörtert haben.
Das Thema, um das es jetzt geht, wird derzeit aufgrund der aktuellen Beispiele von Konzentrationen vor allem im Energiebereich diskutiert. Für die Bürger und Konsumenten geht es dabei insbesondere um die Entwicklung der Preise, die durch mangelnden Wettbewerb negativ beeinflusst werden, aber auch um Überlegungen hinsichtlich der Sicherung von Arbeitsplätzen.
Klar vorstellbar ist für die Konsumenten, dass ungerechtfertigte Preiserhöhungen nur bei ausreichendem Wettbewerb unterbunden werden können. Es steht aber auch fest, dass eine dauernde Sicherung von Arbeitsplätzen nur bei wettbewerbsfähigen Unternehmen gegeben sein kann. In diesem Zusammenhang ist eine gesamteuropäische Wettbewerbspolitik vor dem Hintergrund der vier Grundfreiheiten intensiv zu verfolgen.
Bei der Wettbewerbspolitik geht es auch darum, dass eine Reorganisationsmaßnahme bzw. Konzentration nicht zur Folge haben darf, dass dauernder Schaden für den Wettbewerb entsteht. Das Gemeinschaftsrecht umfasst daher, wie Sie wissen, Bestimmungen zu diesen Konzentrationen, die effektiven Wettbewerb im gemeinsamen Markt oder einen wesentlichen Teil davon behindern können.
Um es noch einmal zu sagen: Wir sind davon überzeugt davon, dass die Kommission die richtigen Schritte setzen und verantwortungsvoll vorgehen wird. Wesentlich für den Wirtschaftsstandort Europa ist insbesondere auch die Rechtsstaatlichkeit und damit die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen. Dazu werden noch tiefergehende Arbeiten über den so genannten more economic-based approach erforderlich sein. Sollte sich nach einer Evaluierungsphase ergeben, dass diesbezüglich der Rechtsrahmen im Fusionsrecht ergänzt werden muss, wird dies der Rat auch aufgreifen.
Klar ist zudem, dass nicht jede Fallkonstruktion in Regelungen gegossen werden kann, sondern ein gewisses Abstraktionsniveau erforderlich ist. Auch angesichts der aktuell bevorstehenden Entscheidungen der Kommission geht die Ratspräsidentschaft davon aus, dass die Kommission das Ermessen, wie zum Beispiel bei der Marktabgrenzung und der Feststellung von Effizienzen, mit großer und größter Sorgfalt ausüben wird.
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Europa setzt alles daran, Schranken zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, nicht sie zu errichten. Offene und wettbewerbsorientierte Märkte sind die treibenden Kräfte für Wachstum und Beschäftigung in Europa. Unternehmen, die auf dem europäischen Markt erfolgreich agieren, sind auch für den internationalen Wettbewerb gut gerüstet.
Die Kommission wird jeden Versuch einzelstaatlicher Regierungen, sich auf unangemessene Weise direkt oder indirekt in grenzüberschreitende Unternehmensumstrukturierungen in Europa einzumischen, mit Sorge betrachten. Im Vertrag ist der Grundsatz verankert, dass alle Beschränkungen der darin genannten Grundfreiheiten – insbesondere des freien Kapitalverkehrs – oder der Niederlassungsfreiheit verboten sind. Zur Ausübung dieser Rechte ist es unabdingbar, dass Unternehmen Umstrukturierungen vornehmen und Eigentumsverhältnisse ändern können.
Wenn wir Unternehmen diese Möglichkeit grundsätzlich verwehren oder die Bestimmungen der sektorbezogenen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft zur Einführung des Wettbewerbs auf den Märkten für Energie, Telekommunikation und Finanzdienstleistungen usw. nicht ordnungsgemäß anwenden, würden wir damit ernsthaft ihre Fähigkeit einschränken, sich an die durch die Integration der Märkte in der EU einhergehenden Herausforderungen, den rasanten technologischen Fortschritt in zahlreichen Branchen und generell an die steigende wirtschaftliche Dynamik im heutigen Europa anzupassen.
Die europäische Industrie wird diesen Aufgaben unter anderem dadurch gerecht, dass immer mehr grenzüberschreitende europäische Unternehmen gegründet werden. Während die Folgen einzelner Zusammenschlüsse von Fall zu Fall in Übereinstimmung mit den entsprechenden Wettbewerbsvorschriften bewertet werden müssen, führen Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, möglicherweise zu einer Zunahme des Wettbewerbs in den betroffenen Mitgliedstaaten und bringen den europäischen Verbrauchern konkrete Vorteile in Form von niedrigeren Preisen und einer größeren Auswahl. Ein Beispiel ist der Energiesektor. Die Kommission hat dies in ihrem in der vergangenen Woche veröffentlichen Grünbuch eindeutig formuliert. Es wird keine dauerhafte, wettbewerbsfähige und sichere Energieversorgung ohne offene und wettbewerbsorientierte Energiemärkte geben, die auf einem Wettbewerb zwischen Unternehmen beruhen, die eher im europaweiten Wettbewerb bestehen als den nationalen Markt beherrschen wollen. Europa wird durch offene Märkte gestärkt, so dass es seine Probleme besser in den Griff bekommen kann. Gleichzeitig wird durch den Prozess der grenzüberschreitenden Unternehmensumstrukturierung die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gestärkt, weil sie sich auf den internationalen Märkten besser behaupten können.
Jede Einmischung nationaler Regierungen in diesen Prozess, die nicht auf ein berechtigtes Interesse im Sinne der Verträge, des abgeleiteten Rechts oder der Rechtsprechung zurückzuführen ist, birgt die Gefahr, die Aussichten Europas, von den Vorteilen der marktpolitischen Integration und der Globalisierung zu profitieren, zunichte zu machen.
Die Kommission verfügt bekannterweise über zwei grundlegende Rechtsinstrumente – die binnenmarktrechtlichen Vorschriften des EG-Vertrags und Artikel 21 der EG-Fusionskontrollverordnung –, um gegen eine unberechtigte Einmischung der nationalen Behörden in Unternehmensumstrukturierungen vorzugehen. Es ist folglich ihre Pflicht, diese Vorschriften gegebenenfalls geltend zu machen.
Als Hüterin des EG-Vertrags und als die für die wettbewerbsrechtliche Kontrolle von Zusammenschlüssen auf europäischer Ebene zuständige Institution wird sich die Kommission mit Nachdruck dafür einsetzen, dass Unternehmen tatsächlich in den Genuss der Vorteile des EU-Binnenmarkts kommen können. Daher ist und wird die Umsetzung dieser Vorschriften eine der zentralen Prioritäten der Kommission sein.
Klaus-Heiner Lehne, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Binnenmarkt steht auf dem Prüfstand. Insbesondere im Bereich Energie kann man ihn wohl als gefährdet bezeichnen. Die Förderung nationaler Champions hat zum Ergebnis, dass nationale Monopole entstehen. Nationale Monopole bedeuten keinen Wettbewerb. Das bedeutet aber auch, dass es dann im europäischen Binnenmarkt keinen Wettbewerb mehr gibt. Das alles ist schlecht für den Verbraucher.
Europäische Energieunternehmen haben zudem das Problem, dass sie, wenn sie nicht im Wettbewerb in Europa stehen, in der Folge auch international nicht mehr konkurrenzfähig sind. Auch das verschlechtert die Situation in Europa. Ganz nebenbei verschlechtert sich die Situation auch noch für alle anderen Unternehmen, weil sie nämlich die teuren Energiepreise bezahlen müssen und damit ebenfalls an internationaler Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.
Ich glaube – obwohl ich die Bemühungen der Kommission und insbesondere der Kommissarin in dieser Frage nachdrücklich unterstütze –, dass die Möglichkeiten der Kommission naturgemäß einfach begrenzt sind. In dem Augenblick, in dem die Kommission mit wettbewerbsrechtlichen Instrumenten kommen möchte, gilt gerade im Energiebereich fast regelmäßig die berühmte Zweidrittelregelung des Fusionsrechts – mit dem Ergebnis, dass die Kommission kaum Eingriffsmöglichkeiten hat.
Ich weiß, dass Frau Kroes darüber nachdenkt, das zu ändern, aber dazu bedarf es der Einstimmigkeit im Rat, und ich glaube nicht, dass es in der jetzigen Situation möglich ist, eine solche Einstimmigkeit zustande zu bringen. Darum ist es entscheidend, dass sich auch der Rat um dieses Problem kümmert. Man kann von den Regierungen erwarten, dass sie auch dem Geist der Verträge und des europäischen Rechts folgen. Es ist nun mal in der Konsequenz so, dass wir gerade im Bereich der Energieunternehmen einen Binnenmarkt haben wollen. Darum erwarte ich, dass der Rat sich mit diesem Thema befasst.
Eine Anmerkung möchte ich zum Übernahmerecht machen: Man konnte in den letzten Tagen in Zeitungen lesen, dass das europäische Übernahmerecht angeblich diese Entwicklung fördert. Ich halte das für unzutreffend. Wir können erwarten, dass die Mitgliedstaaten das Übernahmerecht umsetzen. Hier handelt es sich um Beziehungen zwischen Unternehmen. Es hat nichts mit politischer Einflussnahme zu tun. Politische Einflussnahme ist nicht durch Entscheidungen des Übernahmerechts auf europäischer Ebene gedeckt. Es geht darum, dass man dies unterlässt und unterbindet. Es ist entscheidend, dass diese Frage im Rat offen auf den Tisch kommt und ein Appell an alle Verantwortlichen im Rat gerichtet wird.
Ieke van den Burg, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Stellen Sie sich einmal vor, Präsident Barroso würde am kommenden Wochenende eine Pressekonferenz einberufen, um den Zusammenschluss von Euronet, Deutscher Börse und Londoner Börse zu verkünden. Wäre das eher ein Traumszenario oder ein Alptraum? Keins von beiden, denke ich, denn dies ist wohl eher unwahrscheinlich.
Die Botschaft meiner Fraktion lautet nichtsdestotrotz, dass Präsident Barroso, die Kommissarin und ihr Kollegium in unserer derzeitigen Situation besser nicht schlafen sollten angesichts der Zusammenschlüsse, Übernahmen und Entwicklungen auf den Finanzmärkten, im Energie- und in anderen Sektoren – Sektoren, die für die europäische Wirtschaft allesamt von großer Bedeutung sind.
Wir Sozialdemokraten halten an unserer Auffassung fest, dass der Staat im wirtschaftlichen Bereich vermitteln, regulieren und das öffentliche Interesse verteidigen muss. Das bedeutet nicht, dass wir Politiker eine führende Rolle übernehmen und uns auf Pressekonferenzen in den Vordergrund drängen müssen, doch wir sollten als unauffällige Diplomaten agieren und im Dialog mit den Unternehmen die erforderlichen Voraussetzungen schaffen; wir müssen uns nicht nur mit dem befassen, was bereits passiert ist, sondern dem Geschehen vorgreifen.
Aus diesem Grund gefällt mir Ihr Ansatz nicht, Frau Kommissarin, der nur negativ ist und Behörden daran hindern will, in das Geschick von Unternehmen einzugreifen. Meines Erachtens bedarf es eines aktiven Ansatzes, und ich möchte drei Punkte nennen, über die wir in Europa ausführlich diskutieren sollten.
Erstens die Industriepolitik. Einige der Anmerkungen von Kommissar Verheugen heute Morgen, in denen er eher auf die industriepolitische Perspektive eingegangen ist, waren ausgesprochen erfreulich.
Zweitens – und darauf hat auch Herr Lehne hingewiesen – geht es darum, wie Übernahmen vor sich gehen und wie wir sie organisieren. Hier bedarf es einer Debatte nicht nur zu Fragen der Aktionärsdemokratie, die von der Financial Times und dem Economist propagiert wird, sondern auch zu anderen Aspekten.
Drittens stehen sich der europäische und der einzelstaatliche Ansatz gegenüber.
Vittorio Prodi, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Situation, die entscheidend für Europa ist: Während aus der Sicht der Mitgliedstaaten die nationale Dimension auf jeden Fall immer noch als vorrangig betrachtet wird, vergessen wir, dass sich die Dimensionen gewandelt haben und dass wir uns bewusst zu einer europäischen Dimension hinentwickeln müssen. Dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir in diese Richtung gehen, und auch imstande sein, sie in den Griff zu bekommen.
Daher kann ich auch die Probleme nicht verstehen, die beispielsweise im Zusammenhang mit der Bankenfusion in Polen angesprochen wurden; in Italien haben wir aus ebendiesem Grund einer mehrheitlichen Übernahme der Banca Nazionale del Lavoro zugestimmt. Ich sehe hinter diesen Problemen einen Interessenkonflikt, denn sehr oft geht es um Unternehmen, die vollständig oder zumindest mehrheitlich dem Staat gehören.
Es geht um einen Interessenkonflikt zwischen dem unmittelbaren politischen Interesse und dem langfristigen Interesse, nicht nur der Verbraucher, sondern auch der Gesamteffizienz des Systems Europa. So war es auch im Fall von Enel und Suez, wo ein wesentlicher Interessengegensatz erkennbar wurde zwischen der Notwendigkeit, unsere Unternehmen zu rationalisieren, damit sie wirklich im weltweiten Wettbewerb mithalten können, und der Notwendigkeit zu vermeiden, dass sie innerhalb kürzester Zeit in Schwierigkeiten geraten.
Ich fordere des Weiteren, dass die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb geregelt werden; auch darüber haben wir heute Vormittag mit Frau Kroes gesprochen, der ich für ihre Bereitschaft zu Maßnahmen in der Frage des Wettbewerbs im Energiesektor danke. Wir müssen komplette europäische Strom- und Gasnetze schaffen. Das ist unser Auftrag, und ich fordere, umgehend etwas in dieser Richtung zu unternehmen.
Claude Turmes, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich kann die Wut der Italiener und Spanier angesichts eines, wie ich es nennen würde, deutsch-französischen Energieimperialismus in Europa nachvollziehen. Die deutsche und die französische Wirtschaft zahlen dafür den höchsten Preis. In Österreich liegen die Strom- und Gaspreise 20 % unter den deutschen Preisen, weil die Netzkosten niedriger sind und auf dem dortigen Markt mehr Wettbewerb als in Deutschland herrscht.
Die Antwort auf die Ereignisse der vergangenen Wochen, Frau Kroes und Herr Barroso, lautet nicht, dass wir europäische „Champions“ benötigen. Europäische Energiechampions würden unseren großen Industrien, den Verbrauchern und uns als Bürgerinnen und Bürgern noch mehr Geld aus der Tasche ziehen und es an die Aktionäre weitergeben. Die Antwort können also nur wettbewerbsorientierte Märkte sein, die durch starke und unabhängige Regulierer, einflussreiche Wettbewerbsbehörden und eine vollständige Entflechtung der Eigentumsverhältnisse bestimmt sein müssen.
Roberto Musacchio, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben immer gesagt, der Energiesektor und Europa brauchen keinen Wirtschaftsliberalismus, sondern eine wirksame und gemeinsam getragene Politik. Das aktuelle Geschehen bestätigt es: Europa tut sich enorm schwer mit einer innovativen Energiepolitik, die den Herausforderungen des Kyoto-Protokolls und der Notwendigkeit einer neuen, andersartigen Entwicklung gerecht wird.
In der Welt werden schreckliche Kriege um die Kontrolle über die Erdölvorräte ausgetragen, und nun verlagert sich dieser Konflikt auch in das Innere Europas: Selbstverständlich liegt die Lösung nicht im Protektionismus, sondern in einer gerechteren Nutzung der verfügbaren Energie sowie in der Förderung von Energieeinsparungen und erneuerbaren Energieträgern. Wir sprechen uns entschieden gegen gefährliche Energiequellen wie Kernenergie aus.
Es gilt, energiesparende wirtschaftliche und gesellschaftliche Modelle zu entwickeln und auf die Zusammenarbeit mit anderen Kontinenten zu setzen. Das ist, wie man sieht, etwas ganz anderes als sich an Handelskriegen zu beteiligen, die nichts mit unserer Zukunft zu tun haben. Alles als bloße Ware und nur unter dem Gesichtspunkt des Handels zu sehen ist ein schwerer Fehler. Weder Liberalismus noch Protektionismus, sondern eine alternative, gemeinsame und solidarische Energiepolitik in Europa und in der Welt – das ist es, wofür wir uns einsetzen müssen.
Adam Jerzy Bielan, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Ich möchte mich zum Zusammenschluss der beiden Bankengruppen UniCredito Italiano und HVB äußern, der in Polen zu zahlreichen Kontroversen geführt hat.
Im Jahr 1999 erwarb die UniCredito die Aktienmehrheit an der Pekao S.A., einer der größten Banken Polens. Das war, wie sich herausstellte, ein überaus profitables Geschäft. Innerhalb von sieben Jahren hat sich der Wert der Aktien vervierfacht. Als sie die polnische Bank erwarben, mussten sich die Italiener jedoch verpflichten, nicht in Konkurrenzunternehmen dieser Bank in Polen zu investieren. Der Erwerb der HVB und damit indirekt auch einer weiteren polnischen Bank, nämlich der BPH, ist deshalb ein klarer Verstoß gegen das Privatisierungsabkommen. Die polnischen Behörden sind daher verpflichtet, diese Fusion zu verhindern und die Festlegungen des Abkommens durchzusetzen.
Es sollte darauf hingewiesen werden, dass es der polnischen Regierung in diesem Streit keineswegs darum geht zu verhindern, dass ein ausländisches Unternehmen die Kontrolle über ein nationales Unternehmen übernimmt, wie das unlängst in Frankreich, Spanien oder Italien geschehen ist. Der an die polnische Regierung gerichtete Vorwurf des Protektionismus entbehrt daher in diesem Fall jeder Grundlage. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Europäische Kommission Zusammenschlüsse auf Gemeinschaftsebene überwacht, während vertragliche Verpflichtungen und die Kontrolle über die Banken nach wie vor in die Zuständigkeit der nationalen Regierungen fallen.
Ich hoffe, die Europäische Kommission wird dieser Argumentation folgen und aufhören, Polen in dieser Frage massiv zu bedrohen.
Antonio Tajani (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Zusammenschluss der Märkte ist ein Hauptziel der Union, doch er ist noch mehr: Der Markt ist eine der Säulen, auf die sich der gesamte europäische Integrationsprozess stützt und auch weiterhin stützen wird.
Ein richtiger Markt setzt erstens voraus, dass ein freier Kapitalverkehr stattfinden kann und Geldanlagen dort platziert werden, wo sie am ertragreichsten sind; zweitens müssen die Unternehmen grenzüberschreitende Dimensionen erlangen und sich durch Fusionen oder sogar feindliche Übernahmen dort niederlassen, wo es die Interessen ihrer Wettbewerbsfähigkeit gebieten. Der Markt toleriert keine Missbräuche marktbeherrschender Stellungen, die den freien Wettbewerb behindern. Ein offener und gut funktionierender Markt ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf den internationalen Märkten.
Protektionismus bewirkt das genaue Gegenteil. Das haben wir in den letzten Monaten mit den Staaten erlebt, die öffentliche Übernahmeangebote, Fusionen oder Übernahmen mit grenzüberschreitendem Bezug blockieren, um ihre nationalen strategischen Interessen zu schützen. In Wirklichkeit dient der Protektionismus dem Schutz schwacher und ineffizienter Unternehmen oder dem künstlichen Aufbau nationaler Champions. Dadurch entsteht ein enormer Schaden sowohl für die Verbraucher, die nicht über preisgünstigere Waren und Dienstleistungen verfügen können, als auch für die Allgemeinheit, der die Kosten nicht wettbewerbsfähiger Unternehmen aufgebürdet werden. Hinzu kommt, dass der Protektionismus von Natur aus nicht in der Lage ist, den Arbeitnehmern sichere und dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten. Durch den Protektionismus wird Europa zurückgeworfen.
Damit der Markt richtig funktionieren kann, muss er effizient sein und Verzerrungen vermeiden. Alle müssen sich an die Regeln halten: Der unlautere Wettbewerb jener Staaten und Unternehmen, die sich zum einen abschotten und zum anderen die verantwortungsbewusste Öffnung der anderen ausnutzen, kann nicht hingenommen werden.
Deshalb ersuchen wir die Europäische Kommission um ein entschlossenes Eingreifen, um den freien Kapitalverkehr und den freien Wettbewerb zu gewährleisten. Aus diesem Grunde begrüßen wir die Erklärungen, die Frau Kroes in diesem Parlament abgegeben hat. Den Mut zu diesen Weichenstellungen zu haben zeugt von einer ernsthaften europäischen Gesinnung: Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Wohlstand der Bürger, die aus einem integrierten Markt resultieren, sind unerlässlich, um den Boden für die Geburt der Europäischen Verfassung vorzubereiten.
Pervenche Berès (PSE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Sie wollen, dass der Markt gut funktioniert. In diesem Falle sollten Sie auf diesen frenetischen Liberalismus verzichten, den Sie vorschlagen und der eindeutig seine Ziele verfehlt. Was wir brauchen, ist eine Fusionsstrategie, die funktioniert, die sich aber auch auf eine Strategie einer gut regulierten Industriepolitik stützt sowie auf Unternehmensstrategien, welche Umweltziele und Sozialnormen einhalten.
Nach meinem Dafürhalten hat der Ratspräsident Recht, wenn er sagt, dass auch mittel- und langfristige Ziele einbezogen werden müssen, die ein hemmungsloser Liberalismus nicht erfüllen kann. Wenn die Richtlinie zu Übernahmeangeboten richtig funktionieren soll, hängt viel von den Mitgliedstaaten ab. Vielleicht müssen wir möglicherweise auch ihre Überarbeitung ins Auge fassen – die im Text vorgesehen ist –, damit die Aktionäre nicht über jene blinde Macht verfügen, die ohne Rücksicht auf irgendein Interesse, weder des Staates, in dem sie zur Anwendung kommt, noch der geltenden Industriestrategie oder das Interesse der Arbeitnehmer Unternehmen schließen kann, die im Laufe der Jahre ein Know-how und eine Unternehmensstrategie entwickelt haben, die auch in den Dienst einer europäischen Industriepolitik gestellt werden könnten.
(Beifall von links)
Umberto Pirilli (UEN). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben zwei mögliche Fusionen vor uns. Die erste Fusion zwischen Gaz de France und Suez ist unerwünscht, weil sie in Belgien ein Energiemonopol im Gas- und Elektrizitätssektor schafft und den französischen Markt noch weiter gegen Mitbewerber abschottet. Die zweite Fusion zwischen Enel und Suez könnte hingegen eine Diversifizierung des französischen und des belgischen Energiemarktes bewirken.
Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Beziehungen zwischen europäischen Ländern im Energiebereich ist offensichtlich entscheidend für einen europäischen Energiemarkt, der im Dienste des Verbrauchers steht, sowie für eine gemeinsame europäische Energiepolitik.
In Italien wurden den Energieunternehmen anderer Länder durch Privatisierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen große Möglichkeiten eröffnet. Dies geschah auch in anderen europäischen Staaten. Frankreichs Verstoß gegen den Gegenseitigkeitsgrundsatz ist in diesem Fall nicht damit zu rechtfertigen, durch nationale Champions seine Energieunabhängigkeit sichern zu müssen, sondern er ist vielmehr Ausdruck einer übertriebenen nationalistischen Politik: Frankreich hat bereits seine nationalen Energiechampions, es muss keine weiteren schaffen.
Die Verschmelzung von Gaz de France mit Suez, das die belgische Electrabel kontrolliert, würde die ernste Gefahr mit sich bringen, die protektionistischen Tendenzen nicht nur im Energiesektor, sondern auch in anderen Industrie-, Finanz- und Dienstleistungsbereichen zu verschärfen.
Die Europäische Kommission hat in anderen Fällen rigoros ihre Kartellverbotsinstrumente eingesetzt, um die Entstehung marktbeherrschender Stellungen und internationaler Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Dies geschah vor kurzem in dem Fall ABN-AMRO/Banca Antonveneta und dem Fall BBVA/Banca Nazionale del Lavoro, der dem jetzigen Anschein nach der französischen Bank BNP Paribas zum Vorteil gereichte.
Es bleibt zu wünschen, dass die Kommission dieselbe Strenge walten lässt, um den freien Kapitalverkehr zu gewährleisten, denn auch unter diesen Umständen muss der Grundsatz für alle gelten. Wir können es nicht zulassen, dass es in Europa Länder gibt, die gleicher als die anderen sind.
Cristóbal Montoro Romero (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Wir führen diese Debatte heute Nachmittag im Kontext sehr ernster Entwicklungen auf den Energiemärkten, vor allem bei Elektrizität und Gas. Wir sehen Übernahmeangebote, die – wie in Spanien – von Regierungen betrieben oder – wie in Frankreich – von Regierungen verhindert werden. Das ist der verkehrte Weg, er widerspricht dem Geist der Europäischen Union.
Wir hören politische Argumente von hochrangigen Politikern wichtiger europäischer Länder, die nicht zögern, die Grundprinzipien der Europäischen Union in Frage zu stellen: den freien Kapitalverkehr und den uneingeschränkten Wettbewerb der Märkte. Dazu gehören solche Argumente, wie wir sie in den vergangenen Tagen von Ministern vernommen haben, die anscheinend über Planung sprechen: die antiquierteste und verfehlteste Form der Wirtschaftsplanung. Sie sprechen recht unbekümmert über Protektionsmus, über Wirtschaftspatriotismus, über Nationalismus; kurz, sie verwenden populistische Argumente der schlimmsten Art.
Angesichts dessen müssen wir uns voll in den europäischen Aufbau einbringen, der freie Marktintegration bedeutet, wobei wir zugeben, dass es Asymmetrien in diesen Märkten gibt. Natürlich gibt es Asymmetrien! Wir kennen kaum ein Beispiel wirtschaftlicher Integration, in der keine Asymmetrien aufgetreten sind. Aber dennoch stehen wir hier, sind wir so weit gekommen, und diese politischen Positionen bringen nur zusätzliche Schwierigkeiten zu den Problemen, die wir schon hatten.
Wir sprechen über strategische Sektoren, doch Kommunikation, Verkehr und Finanzen sind von ebensolcher strategischen Bedeutung. Angesichts dieser nationalistischen Bestrebungen möchten wir die Kommission auffordern, das Ziel und das Ideal der europäischen Integration in den Vordergrund zu stellen und sich gegenüber dieser populistischen und isolationistischen Haltung für das Ziel der Errichtung eines Binnenmarktes einzusetzen. Kurz gesagt, wir rufen die Kommission auf, ihrer Pflicht als Hüterin der Verträge nachzukommen und eine echte Entwicklungs- und Beschäftigungspolitik für alle europäischen Bürgerinnen und Bürger zu fördern.
(Beifall von rechts)
Pier Luigi Bersani (PSE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Konzentrationsprozess in Industrie und Finanzwirtschaft kann die Europäische Union international stärken.
In manchen Fällen und in einigen Phasen ist es durchaus zweckmäßig, bei diesem Prozess nationale Wege zu beschreiten, doch sind diese allzu oft defensiv angelegt und drohen, eine gefährliche Spirale des Protektionismus auszulösen, der unbedingt Einhalt geboten werden muss: Es gilt, den Rechtsrahmen weiter auszubauen und die einzelstaatlichen Übernahme- und Fusionsvorschriften stärker aneinander anzugleichen, weil sonst der Wettlauf um Gegenseitigkeitsklauseln alle Länder mit Vorschriften überfluten wird, die eine größere Abschottung und größeren Schutz bieten.
Schließlich werden wir in einigen Bereichen wie zum Beispiel im Energiesektor unweigerlich oligopolistische Strukturen bekommen. Diese Strukturen dürfen keine abgestimmten Verhaltensweisen oder Nachteile für die Verbraucher bewirken, und die staatliche Kontrolle einiger Unternehmen darf nicht zu leichten Marktmissbräuchen führen. Alles in allem brauchen wir mehr Macht und mehr Integration für die Regulierungsbehörde, mehr Macht für die Kartellbehörde, und jetzt sofort ein aktiveres und wirksameres Vorgehen der Kommission.
Ivo Belet (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Frau Kommissarin, Sie wissen, dass in Belgien gegenwärtig viele Augen auf Sie gerichtet sind. Die allgemeine Erwartung ist, dass Sie den nunmehr fusionierten französischen Konzernen Suez und Gaz de France unmissverständlich klarmachen, wie unhaltbar ihre Monopolstellung auf einem so kleinen Markt wie dem belgischen ist. Zwar wurde die Fusion bei Ihren Dienststellen noch nicht offiziell angemeldet, aber gleichwohl können Sie unserer Ansicht nach schon jetzt ein klares Zeichen setzen in dem Sinne, dass solche Situationen gegen EU-Rechtsvorschriften verstoßen, denn der fusionierte Konzern wird nicht weniger als 90 % des in Belgien vertriebenen Gases liefern. Ich hoffe, Sie können bestätigen, dass ein Unternehmen mit einer solchen Marktkonzentration verpflichtet sein wird, einen wesentlichen Teil seiner Aktivitäten abzutreten.
Frau Kommissarin Kroes, Sie sind für die Verbraucher, womit ich sowohl Privat- als auch Industriekunden meine, die einzige Garantie, dass sie in Zukunft keine inakzeptabel hohen Preise für ihr Gas und ihre Elektrizität zu zahlen haben werden. Ferner besitzen Sie die Macht, um das Vertrauen der öffentlichen Meinung in die Europäische Union zumindest bis zu einem gewissen Grad wiederherzustellen. Die Möglichkeit dazu haben Sie, indem Sie diesem Mammutkonzernen deutlich zu verstehen geben, dass die Liberalisierung von ihnen ausgenutzt wird, dass ihr Vorgehen illegal ist und im Widerspruch zu den Wettbewerbsregeln steht.
Sie haben außerdem angekündigt, dass Sie demnächst neue Vorschläge zur Beendigung der Machtkonzentration beim Energievertrieb vorlegen werden. Ich möchte wissen, ob Sie bestätigen können, dass Sie damit meinen, Großerzeuger würden verpflichtet werden, auf ihre Sperrminorität in Vertriebsunternehmen zu verzichten.
Lassen Sie mich abschließend sagen, Frau Kommissarin, dass Sie Geschichte schreiben können, indem Sie Ihren Einfluss geltend und deutlich machen, dass die europäischen Behörden solchen Megafusionen gegenüber gewachsen sind. Sie stehen in dem Ruf, eine Eiserne Lady zu sein, und wir würden es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie uns in den kommenden Wochen Anlass zu der Annahme geben würden, dass diese Reputation berechtigt ist.
Antolín Sánchez Presedo (PSE). – (ES) Herr Präsident! Ich stimme mit der Ansicht der Kommissarin überein, dass es keinen Sinn macht, über nationale Champions und kontinentale Giganten zu sprechen, und dass der Ansatz im Wettbewerbsrecht lautet, Fall für Fall zu entscheiden.
Die Wettbewerbspolitik ist grundlegend, doch sie löst nicht alle Fragen im Energiebereich, ebenso wenig die Binnenmarktpolitik. Über Energie zu sprechen bedeutet, über Sicherheit und allgemeine Interessen zu sprechen. Energie ist lebenswichtig, und sie fällt derzeit im Wesentlichen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
Im Moment existieren 25 Energiemärkte mit großen Ungleichheiten, Asymmetrien bei der Regulierung und mit Betreibern, die nach unterschiedlichen strategischen Optionen und außenpolitischen Verpflichtungen arbeiten.
Wir brauchen ein homogenes System mit harmonisierten Spielregeln. Die großen Betreiber dürfen diese Bedingungen nicht auferlegen oder vorbestimmen. Ein europäischer Energiemarkt mit europäischen Energieleistungen entsteht nicht von selbst, sondern im Ergebnis der europäischen Methode, gemeinsamer Auflagen und Aktionen. Europa braucht eine Agenda und eine Führung, um das möglich zu machen.
Wir Sozialisten treten für eine europäische Energiepolitik ein, wie sie zum ersten Mal in der europäischen Verfassung festgeschrieben ist. Mehr als Worte des Grolls gegen den Patriotismus benötigen wir intelligente Maßnahmen für die europäische Integration.
Iles Braghetto (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die italienische UDC-SVP-Delegation hat vor einigen Wochen eine schriftliche Anfrage an die Kommission eingereicht, um auf die Widersprüche der europäischen Energiepolitik aufmerksam zu machen, die offensichtlich in einer Krise steckt.
Der Beschluss der französischen Regierung, einen weiteren Energieriesen zu schaffen, indem sie gegen die Grundsätze des europäischen Marktes verstößt, wird negative Folgen haben. Die Verschmelzung der Unternehmen Suez und Gaz de France droht gerade zu einem Zeitpunkt, da sich Europa anschickt, den Energiemarkt vollständig zu liberalisieren, einen Bruderkrieg zwischen Mitgliedstaaten zu entfachen. Diese politische Maßnahme steht im Widerspruch zu sämtlichen Plänen für Transparenz und freien Wettbewerb und ersetzt faktisch das Recht des finanziellen Wettbewerbs, das eigentlich Teil des Binnenmarkts sein sollte.
Außerdem erfüllt uns die Umsetzung der Übernahmerichtlinie in Frankreich mit Sorge, deren Erörterung morgen, nach einer langen Zeit des Schweigens, in der Nationalversammlung wieder aufgenommen wird. Dieser Gesetzesentwurf könnte die möglichen Kapitaltransaktionen von Suez behindern, weil er den Gesellschaften, die Gegenstand des Angebots sind, außerordentliche Befugnisse einräumt. Angesichts einer solchen Anomalie konnten wir nicht umhin, verantwortungsbewusst auf dieses Problem aufmerksam zu machen und uns zu fragen, was für eine Energiepolitik unser Europa anstreben will.
Herr Präsident! Wir wollen in diesem Hohen Haus bekräftigen, dass wir ein gefährliches Abdriften in Richtung auf ein Europa der Nationen befürchten, das im Widerspruch zu den Idealen und zum Geist der Verträge steht, zu jenem Geist und jenen Werten, die Alcide De Gasperi, Konrad Adenauer, Robert Schumann und Jean Monnet an uns weitergegeben haben.
Europa, das sich eine gemeinsame Währung gibt, das Gesetze, Vorschriften, Statuten und Institutionen zu harmonisieren versucht, das eine Zentralbank errichtet und den Schengen-Raum schafft, kann nicht auf ein Spiel reduziert werden, bei dem die nationalen Interessen Vorrang haben vor den Gemeinschaftsinteressen und wo die Politik schnell den Platz des Marktes einnimmt.
Die Perspektive eines paneuropäischen Industriesystems, die Kommissionspräsident Barroso mit der Annahme des Grünbuchs über die Energiepolitik neubelebt hat, lässt uns schließlich hoffen. Die Schaffung offener Märkte zum Nutzen der Verbraucher und die zentrale Rolle der gesamteuropäischen Politik, die gefeit ist gegen nationale Selbstsüchte, das müssen die prioritären Ziele der Kommission in den kommenden Monaten sein.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Herr Präsident! Wenn ich höre, dass Mitglieder dieses Parlaments das Prinzip des freien Kapitalverkehrs als sakrosankt behandeln und dabei die im Vertrag verankerten sozialen Ziele wie Beschäftigung, Entwicklung einer ausgewogenen Wirtschaft oder Aufrechterhaltung von Solidarität und Kohäsion vergessen, habe ich den Eindruck, dass einige Abgeordnete die Verträge der Europäischen Union nicht gelesen haben.
Was die Übernahmeangebote ganz allgemein betrifft, so müssen wir beispielsweise die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen, die in der Richtlinie betreffend Übernahmeangebote anerkannt werden, und zweitens müssen wir die Pflichten des öffentlichen Dienstes beachten.
Wie Herr Turmes zuvor sagte, fordern die großen multinationalen Unternehmen zurzeit in einigen Ländern höhere Beträge von ihren Abnehmern als in Ländern ohne diesen freien Verkehr. Wir, die wir von den Inselregionen in äußerster Randlage kommen, fragen uns, wer die zusätzlichen Kosten zahlen wird, die für diese defizitären Regionen entstehen.
Abschließend möchte ich bemerken, dass es nicht stimmt, dass die Richtlinie betreffend Übernahmeangebote keine politischen Interventionen ermöglicht: Artikel 4(5) sieht die Festlegung von Ausnahmeregelungen in Abhängigkeit von der nationalen Situation vor. Die Regulierer der Europäischen Union werden dies in Betracht ziehen müssen.
José Manuel García-Margallo y Marfil (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Ich werde mich auf die Ausführungen meines Landsmanns Sánchez Presedo beziehen und auf die Übernahmeangebote – Plural – für das Unternehmen Endesa eingehen.
Was hat die sozialistische Regierung Spaniens in diesem Fall getan? Erstens, sie hat alle Regulierungsbehörden und das Wettbewerbsgericht systematisch besetzt. Zum ersten Mal in der Geschichte der spanischen Demokratie werden die drei Einrichtungen von Personen mit bekannter politischer Zugehörigkeit geleitet.
Zweitens, sie hat unverhohlen ein besonderes Übernahmeangebot für Endesa unterstützt; das ging so weit, dass der Ministerrat es gegen die Stellungnahme des Wettbewerbsgerichts angenommen hat.
Drittens, sie hat eine Mauer errichtet – die heute vom Wirtschafts- und vom Industrieminister bekräftigt wurde –, um die Übernahme durch ein anderes Gemeinschaftsunternehmen zu verhindern.
Auf den Ruf des Präsidenten: „Sie werden nicht durchkommen“ hin fuhr der Industrieminister alle seine „Massenblockadewaffen“ auf, bis zu dem Punkt, dass mitten im Spiel die Spielregeln geändert wurden – was im Übrigen in der Phase zwischen dem Kabinett und dem amtlichen spanischen Gesetzblatt korrigiert werden musste, womit Spanien zu einer Art Bananenrepublik wurde, in der die Rechtssicherheit mit Füßen getreten wird.
Wenn wir über Wirtschaftspatriotismus sprechen, so benötigt Spanien, um weiter zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen, mehr Wettbewerb und nicht mehr Protektionismus, mehr Liberalismus und nicht mehr politische Einmischung oder Schacherei, mehr Energiesicherheit, was Einbindung in Europa bedeutet, und nicht Fortbestehen als eine Insel, was die Energiefrage betrifft.
Ich möchte die Kommission auffordern, erstens die politischen Zweifel im Umfeld dieser Operationen zu klären. Gleich als das Übernahmeangebot erfolgt war, bat ich die Kommissarin, eine Lösung für das Problem zu suchen, denn ich warnte sie vor den politischen Risiken, die dieses Übernahmeangebot in sich barg. Sie wollte es nicht tun, und so sind wir dahin gelangt, wo wir heute stehen.
Zweitens bitte ich darum, die Anwendung der Wettbewerbsregeln zu garantieren, so wie sie sind. Drittens, wie sie sagte, ersuche ich um die Einbindung in einen gemeinsamen Markt als einzigem Weg zur Gewährleistung der Energiesicherheit und billiger Energie in einem Binnenmarkt, den wir anstreben. Das ist spanischer Patriotismus, und das ist auch europäischer Patriotismus.
Andrzej Jan Szejna (PSE). – (PL) Herr Präsident! Das Gemeinschaftsrecht regelt Zusammenschlüsse und Übernahmen auf dem Binnenmarkt mittels einer Wettbewerbspolitik, die zu den wichtigsten und auch am frühesten entwickelten Gemeinschaftspolitiken gehört. Sie soll die Beseitigung von Hindernissen für den innergemeinschaftlichen Handel auf dem Binnenmarkt gewährleisten und sicherstellen, dass Unternehmen und Regierungen an deren Stelle keine anderen Maßnahmen ergreifen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen.
Bedauerlicherweise haben die jüngsten Ereignisse jedoch gezeigt, dass einige Mitgliedstaaten zu protektionistischen und kurzsichtigen Maßnahmen greifen. Das gilt für den deutschen Energiekonzern E.ON, der das spanische Unternehmen Endesa erwerben will, für die Fusion des französischen Gasgiganten Gaz de France mit dem in Italien angesiedelten internationalen Energieversorger Suez sowie die jüngsten Blockademaßnahmen der polnischen Regierung gegen den Zusammenschluss der Pekao S.A. mit der BPH, die aus der Fusion der deutschen HVB-Gruppe mit der italienischen UniCredito hervorgegangen ist.
Der Widerstand der polnischen Regierung stützt sich im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht auf eine zweifelhafte Rechtsgrundlage und setzt Polen gegenüber ausländischen Investoren in ein unvorteilhaftes Licht. Bedauerlicherweise benutzt die rechtsgerichtete Regierung diesen Fall auch als Waffe in ihrem Kampf gegen die Unabhängigkeit der Polnischen Nationalbank, bei der es sich gleichzeitig um die Zentralbank handelt.
Alexander Radwan (PPE-DE). – Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wussten Sie schon, dass Joghurt eine Angelegenheit von nationalem Interesse ist? Das war das Argument eines großen Gründerstaates, als es um die Frage ging, ob man Danone übernehmen darf, obwohl Danone seinen Umsatz und seinen Gewinn überwiegend im Ausland macht.
Wir erleben eine erstaunliche Diskussion. Jeder ist dafür, dass seine Unternehmen in Europa und in der Welt auf Einkaufstour gehen. Aber nicht im eigenen Lande! Wer hat sich in Spanien darüber beklagt, als die spanische Telefónica das deutsch-britische Unternehmen O2 übernommen hat oder die Banco de Santander einen großen britischen Finanzdienstleister? Wer hat sich darüber aufgeregt, dass Frankreich eine italienische Bank aufkaufen will oder Electricité de France in EnBW einsteigt oder dass in Italien UniCredito die Hypo-Vereinsbank einkauft, obwohl im Gegenzug ABN-AMRO, wenn sie nach Italien möchte, entsprechende Probleme bekommen hat?
Wir erleben hier auf Seiten der Mitgliedstaaten und des Rates sehr viel Scheinheiligkeit: Man schottet sich zu Hause ab und woanders will man Geschäfte machen. Und damit schwächen wir die europäische Wirtschaft. Zu glauben, durch nationalen Protektionismus würden wir die Lissabon-Ziele erreichen und stärker, wenn wir noch nicht einmal im eigenen Bereich den Wettbewerb entsprechend bestehen können, ist ein Trugschluss. Wir brauchen starke Unternehmen, und auch Unternehmen, die in andere Länder gehen und dort den Wettbewerb forcieren.
Die Kommission ist auf zweierlei Ebenen gefordert. Sie muss klar prüfen: Dienen Fusionen dem Verbraucher? Wird der Wettbewerb dadurch gestärkt? Das ist die eigentliche Prüfungsaufgabe der Kommission, das ist oft zu bejahen und hin und wieder zu verneinen. Die Kommission muss rigide gegen den Rat vorgehen, denn das Vertrauen in die Mitgliedstaaten und den Rat, europäisch zu denken, im Binnenmarkt zu denken, hat in den letzten Jahren sehr gelitten.
Elisa Ferreira (PSE). – (PT) Die Initiative der Kommission zur Revision der Fusionskontrollverordnung ist begrüßenswert. Die Rechtsvorschrift ist wirkungslos geworden, wie unausgewogene und wirtschaftlich untragbare rechtliche Entscheidungen zum Energiemarkt in Portugal und Spanien belegen.
Durch den raschen Anstieg bei Großunternehmen in Europa in letzter Zeit verschärfen sich die ordnungspolitischen Probleme, vor allem in kleineren Ländern mit schwächeren Ressourcen. Wesentliche Güter und Dienstleistungen, die zu möglichst geringen Kosten universell verfügbar sein sollten, werden jetzt von privaten Firmen angeboten, die Monopole oder Oligopole betreiben. Wenn die Schwachstellen des Marktes nicht mehr die Ausnahme sind, sondern zur Regel werden, dann werden die Ziele, die der Wettbewerb hervorbringen sollte, unerreichbar, und gerade in diesem Bereich spielt die Regulierung eine zentrale Rolle.
Frau Kommissarin, wird die laufende legislative Überprüfung Antworten auf einige dieser Fragen liefern? Wie stellt sich die Kommission die Regulierung der Macht der europäischen Oligopole vor? Kann Europa leben, ohne sich intensiv mit der Industriepolitik und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu befassen?
Ich danke Ihnen im Voraus für die Beantwortung dieser Fragen.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe dem, was ich eingangs gesagt habe, nicht mehr sehr viel hinzuzufügen. Ich habe mich im Namen des Rates deutlich zum Wettbewerb im Interesse der Konsumenten bekannt. Herr Lehne hat zu Beginn der Debatte den Rat aufgefordert, er solle sich mit diesem Thema beschäftigen. Auch Herr Radwan hat sich in diesem Sinne an den Rat gewandt. Ich kann nur sagen, dass der Rat dort, wo er gefordert ist, wo ihm die Kompetenz, die Befugnis zusteht, selbstverständlich tätig werden wird und zwar im Einklang mit den geltenden Bestimmungen der Verträge.
Ich darf diese Gelegenheit benutzen, um, wenn Sie mir gestatten, ein wenig Eigenpropaganda zu machen. Ich möchte auf eine Veranstaltung hinweisen, die die österreichische Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der finnischen Präsidentschaft veranstaltet und die vielleicht auf das Interesse der hier Anwesenden stoßen könnte. Anlässlich des mittlerweile traditionell gewordenen European Competition Day werden Österreich und Finnland, die beiden Ratspräsidentschaften des Jahres 2006, am 19. Juni 2006 in Wien eine Veranstaltung unter dem Titel „Wettbewerbsrecht und sein Umfeld – Schnittstellen und neue Tendenzen“ abhalten.
Ein Schwerpunkt dieser Veranstaltung wird auf aktuellen Trends bei Fusionen und Fusionskontrolle liegen. Unter dem Thema „Do mergers keep what they promise“ soll anhand von Beispielen eines Zusammenschlusses und der Situation in einer Wirtschaft im Übergang die Frage diskutiert werden, inwieweit die Zusammenschlussverordnung einen neuen Ansatz gebracht hat. Wir werden die Freude haben, Frau Kommissarin Neelie Kroes und Minister Bartenstein bei dieser Veranstaltung zu begrüßen. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auf das eine oder andere Interesse stößt.
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich danke der österreichischen Ratspräsidentschaft, dass sie die Initiative ergriffen hat, gemeinsam mit dem bevorstehenden finnischen Ratsvorsitz im Juni einen ausgesprochen wichtigen Tag zu veranstalten: den Wettbewerbstag. Darüber hinaus bin ich beeindruckt, welch hoher Stellenwert den KMU beigemessen wurde. Diese Frage wurde so angegangen, dass wirklich Fortschritte gemacht wurden. Der Ratsvorsitz hat sich nicht nur an seine Agenda gehalten, sondern sich auch äußerst pragmatisch um Lösungen bemüht. Uns ist bewusst, dass nicht nur die Parlamentsabgeordneten, sondern auch andere, insbesondere die KMU selbst, an dieser Frage interessiert sind.
Ich bin allen Abgeordneten sehr dankbar, die in ihren Anmerkungen die Kommissionsstrategie ausdrücklich unterstützt haben. Außerdem nehme ich zur Kenntnis, dass nicht alle mit der Strategie einverstanden sind. Uns ist jedoch hoffentlich allen bewusst, dass offene und wettbewerbsorientierte Märkte die wichtigsten Triebkräfte für Wachstum und Beschäftigung in Europa sind. Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass wir versprochen haben, im Rahmen der Lissabon-Agenda für mehr und bessere Arbeitsplätze sowie Wirtschaftswachstum zu sorgen.
Wie viele von Ihnen angemerkt haben, verfügt der Binnenmarkt über ein enormes Potenzial. Wir müssen gewährleisten, dass unsere Unternehmen und Branchen dies voll ausschöpfen können. Genau das wurde beschlossen. Dazu gehört übrigens auch der Prozess der Unternehmensumstrukturierung. Dies sieht viel versprechend aus, und es geht dabei nicht nur um den Binnenmarkt an sich, sondern auch um den Stellenwert des Binnenmarktes außerhalb Europas. Wir dürfen den internationalen Wettbewerb nicht vergessen, und wenn wir uns wirklich an diesem Spiel beteiligen wollen, dann müssen wir auch begreifen, dass Umstrukturierungen unter gewissen Umständen notwendig sind.
Zwar müssen die Auswirkungen einzelner Zusammenschlüsse von Fall zu Fall und in Übereinstimmung – darüber besteht kein Zweifel – mit den entsprechenden Wettbewerbsvorschriften bewertet werden, doch Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind, dürften zum Wettbewerb beitragen. Dies bringt für die europäischen Verbraucher wiederum konkrete Vorteile in Form von niedrigeren Preisen und einer größeren Auswahl mit sich, und aus diesem Grund würde die Kommission bei jeder ungerechtfertigten Einmischung in diesen Prozess durch nationale Regierungen ihre Bedenken anmelden.
Was den freien Kapitalverkehr anbelangt, auf den einige Abgeordnete zu Recht hingewiesen haben, wird sich die Kommission, wie von Ihnen erwartet, an die Binnenmarktvorschriften halten. Wir werden mit aller Härte gegen Mitgliedstaaten vorgehen, die die sektorbezogenen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft nicht richtig umsetzen, mit denen der Wettbewerb auf den Märkten für Energie, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen oder Banken eingeführt wird. Im Zusammenhang mit einzelnen Zusammenschlüssen werden wir die Fusionskontrollverordnung fair, objektiv und einheitlich durchsetzen. Die Kommission verfügt im Rahmen der Fusionskontrollverordnung bekanntermaßen über die ausschließliche Zuständigkeit, die Auswirkungen von Zusammenschlüssen mit gemeinschaftsweiter Bedeutung aus Wettbewerbsgründen zu prüfen.
Die Bedenken, die hier mit Blick auf Einzelfälle im Energiesektor zum Ausdruck gebracht wurden, habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen. Mir liegen zu diesem Zeitpunkt keine Informationen dazu vor, so dass ich mich dazu nicht äußern kann. Ich möchte erneut darauf hinweisen, dass wir Zusammenschlüsse ausschließlich aus wettbewerbsrechtlichen Gründen kontrollieren, und auf dieser Grundlage prüft der Gerichtshof unsere Entscheidungen. Bekanntlich verfügen wir gemäß Artikel 21 der Fusionskontrollverordnung zudem über die Möglichkeit, gegen jede unberechtigte Einmischung nationaler Behörden in Unternehmensumstrukturierungen vorzugehen. Ich möchte hinzufügen, dass ich nicht zögern werde, von dieser Möglichkeit gegebenenfalls Gebrauch zu machen.
Wird nun die Zwei-Drittel-Regel für Zusammenschlüsse, die von einigen Abgeordneten angesprochen wurde, geändert? Entscheidend ist, dass die Verteilung der Zuständigkeiten aufgrund der Zwei-Drittel-Regel zu einem uneinheitlichem Vorgehen im Falle sehr ähnlicher Zusammenschlüsse führen könnte. Dies halte ich gerade im Energiesektor für ausgesprochen unangebracht, in dem gegenwärtig eine gemeinschaftsweite Liberalisierungsstrategie durchgeführt wird – die allerdings noch nicht abgeschlossen ist – und in dem unterschiedliche Akteure in allen Mitgliedstaaten eine vergleichbare Behandlung erfahren sollten. Es muss also in allen Mitgliedstaaten Gleichbehandlung gewährleistet sein.
Die Kommission hat jedoch gerade erst mit ihren Überlegungen begonnen. Der erste Schritt ist eine Konsultation mit den Betroffenen in den Mitgliedstaaten darüber, ob es ratsam wäre, die Zwei-Drittel-Regel zu ändern. Mir ist bewusst, dass wir dazu die Unterstützung des Rates benötigen, und ich weiß, wie schwierig dies sein wird. Das wäre ein mögliches Instrument, und ich bin dafür, es in Angriff zu nehmen, allerdings ist es nicht mein erklärtes Ziel. Mein Ziel besteht darin, eine faire und gleichberechtigte Behandlung zu gewährleisten und nicht eine, bei der einer gleicher als der andere ist. Wenn wir uns also dieser Strategie, ganz gleich aus welcher Richtung, nähern könnten, dann wären wir an einem wichtigen Punkt für diesen Teil meiner Strategie angelangt.
Die Kommission ist dazu verpflichtet, Vorschriften erforderlichenfalls durchzusetzen. Als Hüterin der Verträge werden wir unsere Aufgaben fair, aber entschlossen erledigen, wie die österreichische Ratspräsidentschaft zu Recht angemerkt hat.
Ich möchte Ihnen erneut für Ihre Unterstützung danken; ich bin Ihnen dafür ausgesprochen dankbar. Wir müssen unserer Verantwortung schnellstmöglich gerecht werden, denn im Fusionsland herrscht in der Tat Hochbetrieb.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES Präsident
12. Europa-Mittelmeer-Politik / Vorbereitung der nächsten Sitzung der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Europa-Mittelmeer-Politik und zur Vorbereitung der nächsten Sitzung der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer in Brüssel.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Zuge der heute aus aktuellem Anlass abgehaltenen kurzen Debatte über den Nahen Osten zu Recht auch die euromediterrane Zusammenarbeit angesprochen. Dieser Zusammenarbeit kommt im Zusammenhang mit der Nahostproblematik, aber auch in anderen Zusammenhängen, eine große Bedeutung zu. Ich möchte an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholen, was ich heute schon im Namen des Rates zu den Ereignissen im Nahen Osten gesagt habe. In der Zwischenzeit hat auch die Präsidentschaft eine Erklärung dazu abgegeben. Ich möchte mich jetzt dem Euromed-Prozess selbst zuwenden.
Der österreichische Vorsitz folgt auf den Gipfel in Barcelona im November des Vorjahres zum zehnten Jahrestag des ersten Gipfels von Barcelona, auf dem eine auf politische und wirtschaftliche Reformen ausgerichtete Fünfjahresagenda für die Partnerschaft sowie ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung des Terrorismus angenommen wurden. Ich glaube, dass diese Dokumente und Übereinkünfte von größter Bedeutung sind.
Zudem haben wir auch mit unseren Partnern im Mittelmeerraum vereinbart, verstärkt in Bildung zu investieren und gemeinsam alle Aspekte der legalen und illegalen Einwanderung anzugehen. Das ist ein weiteres sehr wichtiges Thema.
Es ist nun an der österreichischen Präsidentschaft, sich für die Umsetzung all dieser Vorhaben einzusetzen. Wir werden das gerne und mit Nachdruck und Überzeugung tun. Ich möchte an dieser Stelle auch ankündigen, dass am 24. März in Marrakesch ein Treffen der für Handel zuständigen Minister sowie am 25. und 26. Juni in Tunis ein Treffen der Euromed-Finanzminister stattfinden werden.
Wir werden insbesondere auch die Kommission in ihrem Medienschwerpunkt unterstützen, weil wir davon überzeugt sind, dass gerade Medien eine bedeutende Rolle bei der Verständigung der Kulturen spielen. In diesem Zusammenhang werden wir das seit langem geplante Euromed-Seminar über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in den Medien nunmehr während der österreichischen Präsidentschaft im Mai abhalten.
Das Thema der Karikaturen, zu dem ich an dieser Stelle auch schon Gelegenheit hatte, zu Ihnen zu sprechen, hat den Rat in den letzten Wochen – auch beim informellen Außenministertreffen in Salzburg – sehr intensiv beschäftigt. Sie haben das von der Vorsitzenden, der österreichischen Außenministerin gehört. Gerade dieses Problem hat uns deutlich gemacht, dass wir gezielt den Weg eines zukunftsorientierten Dialogs der Europäischen Union mit der islamischen Welt und mit muslimischen Gemeinden in Europa gehen müssen. Gerade die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft bietet hier ein wichtiges, ideales Forum für den Dialog der Länder im Mittelmeerraum. Ich halte diesen Dialog auf allen Ebenen, insbesondere auch den direkten Kontakt zwischen den jungen Menschen, für besonders wichtig, und ich glaube, dass die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft in der Tat eine sehr wesentliche Rolle spielen kann und muss. Im vergangenen Jahr wurde zu diesem Zweck die Anna-Lindh-Stiftung für den Dialog zwischen den Kulturen gegründet. Diese Stiftung spielt gerade jetzt eine wesentliche Rolle.
In den Schlussfolgerungen des Rats der Außenminister vom 27. Februar 2006 wurden der Barcelona-Prozess und die Anna-Lindh-Stiftung neben anderen multilateralen Organisationen, die in diesem Bereich eine Rolle spielen, ausdrücklich erwähnt. Wir begrüßen das sehr.
Es ist nun wichtig, dass wir alle vorhandenen Instrumente der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft einsetzen und zur Überwindung von Spannungen – wie in der jüngsten Vergangenheit – heranziehen. Am 22. Februar hat bereits ein Treffen der leitenden Euromed-Beamten stattgefunden, das einen sehr offenen Gedankenaustausch über die Geschehnisse ermöglicht und allen Teilnehmern die Gelegenheit geboten hat, konkrete Maßnahmen vorzuschlagen.
Grundsätzlich besteht Einvernehmen darüber, dass die für die Bewältigung dieses Problems erforderlichen Strukturen bereits bestehen. Ich glaube nicht, dass wir neue Strukturen schaffen sollten. Jetzt sind wir gefordert, alle sinnvollen Möglichkeiten für den Dialog zu nutzen, um die langjährigen Bemühungen um eine Annäherung der Völker auf beiden Seiten des Mittelmeers erfolgreich weiterzuführen.
Die Parlamentarische Versammlung der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft vereinigt die Vertreter der Völker auf beiden Seiten des Mittelmeers. Von ihnen erwarten wir in dieser Situation einen besonders wichtigen Beitrag zur weiteren Beruhigung der Lage und zum besseren Verständnis.
Die Parlamentarische Versammlung der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft hat dem Barcelona-Prozess eine dringend erforderliche neue Dimension verliehen und insbesondere seine Legitimität erhöht. Schon bei der Vorbereitung des Gipfels von Barcelona im November 2005 wurden entsprechende Arbeitsausschüsse eingesetzt.
Das politische Komitee der Parlamentarischen Versammlung hat in der Sitzung am sechsten des Monats das Karikaturenproblem in sachlicher Atmosphäre ausführlich debattiert und ebenfalls auf die Notwendigkeit eines verstärkten Dialogs hingewiesen. Ich bin überzeugt, dass auch die Vollversammlung am 26. und 27. März eine adäquate Antwort auf die aufgeworfenen Fragen geben können wird. Die österreichische Präsidentschaft verfolgt und unterstützt die vielfältigen Initiativen, die in dieser Hinsicht gesetzt werden.
Gerade heute hat das höchste Gremium auf Beamtenebene des Barcelona-Prozesses, das Euromed-Komitee, in seiner Sitzung den Titel eines Seminars, das in Wien stattfinden wird, auf Wunsch der mediterranen Partner geändert, um deren Anliegen, religiöse Gefühle zu respektieren, Rechnung zu tragen.
Ich bin der Überzeugung, dass die Kommunikation zwischen den traditionellen Euromed-Gremien und der Parlamentarischen Versammlung der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft noch verbessert werden kann. Ich hoffe, dass wir unter österreichischem Vorsitz mit etwas Phantasie zum Nutzen aller Euromed-Gremien und der Partnerschaft insgesamt weitere Fortschritte in dieser Frage erzielen können.
Außerdem könnte gerade vor dem aktuellen Hintergrund eine verstärkte Zusammenarbeit, etwa mit der OSZE oder auch mit der Allianz der Zivilisationen, bekanntlich eine spanisch-türkische Initiative unter UNO-Schirmherrschaft, angeregt werden. Österreich möchte sich weiterhin in diesem weiter gefassten Kontext engagieren und hat bereits zur Abhaltung des 3. Treffens der High Level Group der Allianz Ende Mai nach Wien eingeladen.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident! Wir sind heute hier zusammengekommen, um über den Barcelona-Prozess und die Vorbereitung der nächsten Sitzung der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer zu sprechen.
Ich möchte zuvor noch kurz auf die jüngsten Ereignisse in den palästinensischen Gebieten eingehen, da während der Aussprache über das Außenministertreffen in Gymnich keine Zeit dafür war und nur zwei Mitglieder der Kommission anwesend waren. Ich habe meine Zeit an Kommissar Rehn abgegeben, der über die Lage in den westlichen Balkanländern berichtet hat, und nun möchte ich, wenn Sie gestatten, kurz auf die gestrigen Ereignisse eingehen. Dies ist nicht nur ein aktuelles Thema, sondern auch ein Thema, das den Kern der Partnerschaft Europa-Mittelmeer betrifft, das unser gemeinsames Ziel – eine Region des Friedens, der Stabilität, des Wohlstands und der Chancen – betrifft. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie die gestrigen Aktionen in irgendeiner Weise zu diesen Zielen beigetragen haben könnten.
Der israelische Angriff auf das Gefängnis in Jericho und das öffentliche Vorgehen der Israelis gegen das Gefängnispersonal und die Häftlinge sind nicht hinnehmbar und sollten verurteilt werden. Ich missbillige außerdem die Gewalt, die Entführungen und die Angriffe auf die Vertretung der Kommission und andere Vertretungen der Mitgliedstaaten in Gaza und im Westjordanland.
Das erste Opfer dieses Zusammenbruchs der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist das palästinensische Volk selbst. Unter den gegenwärtigen Umständen und vor dem Hintergrund der wichtigen politischen Ereignisse, die sowohl in Israel als auch in den palästinensischen Gebieten anstehen, ist es wichtiger denn je, dass beide Parteien zurückhaltend und verantwortlich handeln. Angriffe wie der Gestrige und provokative Erklärungen tragen nicht zur Beruhigung der Lage bei, und die Palästinensische Autonomiebehörde muss für ein Ende der Gewalt und der Unsicherheit sorgen. Gestern Abend habe ich ein gutes Gespräch mit Präsident Abbas geführt – wie Sie, Herr Präsident, zweifelsohne auch –, bevor dieser in sein Land zurückkehrte, um gegen die Eskalation der Gewalt und der Konfrontation vorzugehen. Es gibt in der Welt kaum jemanden, der zurzeit eine schwierigere Aufgabe zu bewältigen hätte als er, und seine Arbeit ist durch die gestrigen Ereignisse nicht leichter geworden. Wie ihm die Bildung einer neuen palästinensischen Autonomieregierung gelingt, wird nicht nur Auswirkungen auf die Friedensaussichten im Nahen Osten, sondern auf uns alle haben.
Die Europäische Union ist ein verlässlicher Partner des palästinensischen Volkes. Kein Geber hat das palästinensische Volk stärker unterstützt. Ich habe Präsident Abbas erneut versichert, dass wir unsere Unterstützung für eine bessere, friedliche und wohlhabende Zukunft fortsetzen wollen, dass wir aber nicht von unseren Grundsätzen abweichen werden. Gleichzeitig wollen wir die Tür für positive Entwicklungen offen lassen. Wir werden künftig die Unterstützung einer neuen palästinensischen Autonomieregierung anhand der Haltung überprüfen, die diese Regierung zu den wichtigsten Grundsätzen der Beendigung der Gewalt, der Anerkennung Israels und der Einhaltung der bestehenden Vereinbarungen, einschließlich der Roadmap, einnimmt. Diejenigen, mit denen Präsident Abbas verhandelt, müssen wissen und sich darüber im Klaren sein, dass ihre Entscheidungen über ihre Belange weitreichende Auswirkungen haben werden.
Ich komme nun zur Partnerschaft Europa-Mittelmeer. Auf dem Gipfeltreffen in Barcelona im November des vergangenen Jahres sind bemerkenswerte Ergebnisse für die Zukunft erreicht worden. Das auf dem Gipfel verabschiedete Fünfjahresprogramm und der Verhaltenskodex zur Bekämpfung des Terrorismus sind sehr ehrgeizige Ziele, die die Partnerschaft greifbarer, politisch relevanter und funktionsfähiger machen werden.
Wir müssen jetzt nach dem Gipfeltreffen dafür sorgen, dass alle Partner einen konstruktiven, wirksamen Beitrag dazu leisten, dass die gemeinsam festgelegten Ziele der politischen und wirtschaftlichen Reformen, des Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Menschenrechte und der Chancengleichheit, der Bildung und der Steuerung der Migration, der regionalen Stabilität und der Bekämpfung des Terrorismus erreicht werden.
Die Kommission hat bereits erste Schritte zur Umsetzung dieses Fünfjahresprogramms eingeleitet. Gemeinsam mit dem derzeitigen Ratsvorsitz und den Ländern, die anschließend den Vorsitz übernehmen werden, sowie mit den Mittelmeerpartnern wurden Initiativen entwickelt, um den Erfolg dieses gemeinsamen Vorhabens sicherzustellen. Wir haben die erforderlichen Mittel für die Unterstützung und Förderung zurückgestellt, die über MEDA und das künftige Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument erfolgen sollen. Dazu gehört eine umfangreiche Fazilität zur Förderung der Reform der verantwortungsvollen Staatsführung, die so genannte „Governance-Fazilität“.
Von diesem Jahr an sollen einige neue, innovative Aktivitäten auf den Weg gebracht werden. Die Vorbereitungen für das erste Euromed-Ministertreffen zu Gleichstellungsfragen Ende dieses Jahres verlaufen planmäßig.
Auf zwei unterregionalen Konferenzen, einer im Maghreb und einer im Maschrik, sollen erste Grundlagen erarbeitet werden, auf denen Vertreter von Regierungen und Zivilgesellschaft die Bedeutung der Gleichstellung von Frauen und Männern für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung untersuchen und praktische Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs von Frauen zur Beschäftigung und zum öffentlichen Leben vorschlagen können.
Auf dem Gipfeltreffen in Barcelona wurde von den Euromed-Partnern darauf hingewiesen, wie wichtig Migration, soziale Integration, Justiz und Sicherheit als Bereiche von gemeinsamem Interesse in der Partnerschaft sind, die in einem ausgewogenen, umfassenden Konzept geregelt werden sollten. Die Vorbereitungen für ein Ministertreffen haben bereits begonnen, bei dem alle Fragen von der illegalen Einwanderung bis hin zum Menschenhandel und Menschenschmuggel erörtert werden sollen.
Diese regionale Initiative wird durch unsere bilateralen Programme zur Stärkung der institutionellen Kapazitäten, zur Steuerung der legalen Einwanderung, zur Verbesserung der Grenzkontrollen, zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels ergänzt.
Herr Winkler hat das Treffen der für Handel zuständigen Minister bereits erwähnt, an dem Kommissar Mandelson teilnehmen wird und bei dem das Ziel einer europäischen Freihandelszone vorangetrieben werden soll.
Wir hoffen, dass im „Agadir-Prozess“ ähnliche Fortschritte im Hinblick auf den Süd-Süd-Handel erreicht werden können. Der so genannte Karikaturenstreit hat uns vor Augen geführt, wie gefährlich es ist, Vorurteile, falsche Informationen und Missverständnisse schwelen zu lassen. Wir bedauern die durch diese Karikaturen ausgelöste Beleidigung von Muslimen in der ganzen Welt, aber wir verurteilen ebenso entschieden alle gewaltsamen Handlungen und Drohungen, die sich gegen Bürger und das Eigentum der Europäischen Union und anderer Länder richten. Die Unterstützung des interkulturellen Dialogs auf allen Ebenen ist wichtig. Ich freue mich, dass sich in Salzburg alle Anwesenden entschieden für einen solchen Dialog ausgesprochen haben. Wir sind überzeugt, dass der Barcelona-Prozess einen Rahmen dafür bietet und die Architektur bereits vorhanden ist: Es gibt die Anna-Lindh-Stiftung und 35 andere Einrichtungen innerhalb eines ganzen Netzwerks.
Wir müssen auf die Zivilgesellschaft und die Medien zugehen, und alle vom österreichischen Ratsvorsitz geplanten Medienseminare sind sehr begrüßenswert.
In diesem Zusammenhang freue ich mich sehr über die Initiative zu einem Gedankenaustausch über dieses Thema bei der nächsten Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer. Ich werde von dort aus zum Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Khartum weiterreisen, weil es äußerst wichtig ist, dass wir jetzt jede Gelegenheit zum offenen Gespräch mit unseren arabischen Freunden und Kollegen nutzen.
In dieser kritischen Phase muss unsere Botschaft klar und unmissverständlich sein: Nur durch einen lebendigen, aber friedlichen Dialog und Meinungsaustausch, bei dem die Meinungsfreiheit uneingeschränkt respektiert wird, kann das Verständnis vertieft und der gegenseitige Respekt entwickelt werden. Im Grunde geht es im Barcelona-Prozess genau darum. Deshalb wollen wir die Hoffnung auf Fortschritte stärken. Gemeinsam wollen wir die Ziele der Sicherheit, der Stabilität und des Wohlstands verwirklichen.
(Beifall)
Edward McMillan-Scott, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Es ist eine große Freude, dass Sie zu Beginn dieser Aussprache über die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer den Vorsitz führen, für die Sie sich so engagiert einsetzen. Die Pioniere der Europa-Mittelmeerpolitik unter den Kollegen hier in diesem Haus sind auf der linken Seite sehr viel zahlreicher vertreten als bei den Christdemokraten, von Herrn Busuttil, Herrn Kasoulides und Frau Saïfi einmal abgesehen, aber das kann sich ja noch ändern.
Wie heute bereits erwähnt wurde, hatten Veronique De Keyser und ich gestern Abend die Ehre, mit dem palästinensischen Präsidenten ein Gespräch zu führen. Wir bedauern die Umstände zutiefst, die ihn zur Rückkehr in sein Land veranlasst haben. Ich halte es für ironisch und tragisch zugleich, dass die beiden Länder, die am häufigsten über die Förderung der Demokratie im Nahen Osten sprechen – das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten –, gerade die Länder sind, die gestern ihre Posten in Jericho geräumt haben. Die Regierungen dieser beiden Länder hätten ihre Einsatzkräfte verstärken sollen, statt sie zurückzuziehen.
Auf der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer sollte dieses Thema zur Sprache kommen. Insbesondere der Rat sollte Auskunft darüber geben, wer diese Entscheidungen zu verantworten hat, wer sie getroffen hat, wann und warum sie getroffen wurden. Ich hoffe, dass wir, wenn dies möglich ist, eine Stellungnahme des Rates bei dieser Sitzung erhalten werden und dass die Kommission ergänzende Informationen liefern kann.
Die Arbeit der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft basiert weitgehend auf der Tätigkeit ihrer Ausschüsse. Wir sind sehr dankbar für die Arbeit, die dort geleistet wird, und für die weltweit einmalige Möglichkeit, die diese Versammlung Palästina und Israel zur Zusammenarbeit bietet. Diese Sitzung unterscheidet sich von anderen Sitzungen, denn sie findet kurz vor den Wahlen in Israel und nach den Wahlen vom 25. Januar in Palästina statt. Es könnte sein, dass die Vertreter dieser beiden Länder nicht teilnehmen werden, aber das bedeutet nicht, dass wir sie vergessen haben. Sie spielen eine wichtige Rolle bei all unseren Überlegungen. Ich glaube, dass diese Sitzung – die letzte, in der Sie als Präsident des Europäischen Parlaments den Vorsitz führen – eine gute Gelegenheit für die Kommission, den Rat und das Parlament bieten wird, unsere Entschlossenheit zu bekräftigen, die parlamentarische Dimension des Mittelmeerraums zu verwirklichen.
Ich hoffe, dass meine Arbeit in meinem Unterausschuss dazu beitragen wird, dass das Europäische Parlament zukünftig das operationelle und organisatorische Kernstück der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer sein wird. Das ist mein Wunsch.
(Beifall)
Pasqualina Napoletano, im Namen der PSE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Minister! Meine Damen und Herren! Die dramatischen Geschehnisse der letzten Stunden in Palästina verpflichten uns zu einer Einschätzung und treffen Ihren Worten nach, Frau Kommissarin, die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft mitten ins Herz.
Den israelischen Behörden möchte ich sagen, dass eine Wahlkampagne, so wichtig sie auch sein mag, nicht die Verletzung bestehender Rechtsrahmen erlauben darf. Einer davon, der wichtigste, betrifft die Rolle von Präsident Abu Mazen, der durch die verantwortungslose Erstürmung des Gefängnisses von Jericho und die Verhaftung von Insassen, für deren Freiheitsentzug die Palästinensische Behörde zuständig war, einen schweren Schlag erlitten hat und um sein Ansehen gebracht wurde. Außerdem würde ich gern vom Rat erfahren, wie er das Verhalten der vor Ort anwesenden britischen und US-amerikanischen Streitkräfte beurteilt.
Dem Präsidenten der Palästinensischen Behörde, der heute hier unter uns weilen sollte, gilt unsere uneingeschränkte politische und moralische Unterstützung. Wir sind uns seiner äußerst schwierigen Position, insbesondere nach dem Ausgang der Parlamentswahlen in Palästina durchaus bewusst. Europa muss, wie Sie, Frau Kommissarin, hervorgehoben haben, die israelischen Behörden ermahnen, das Recht und die legitimen Gesprächspartner zu achten, was wir auch von der Hamas verlangen. Den Rahmen der Legalität zu sprengen bedeutet, Vergeltungsmaßnahmen und Gewaltakten, die bereits stattfinden und die wir einzudämmen versuchen müssen, Tür und Tor zu öffnen. Deshalb haben wir die Nachricht von der Freilassung der Geiseln mit Erleichterung aufgenommen.
Was die Iran-Krise – ein weiteres schmerzliches Kapitel – anbelangt, so habe ich die Erklärungen von Herrn Straw begrüßt und hoffe, dass er ihnen im vollen Umfang nachkommen möge. Er hat bekräftigt, dass es keine militärische Option gebe. Der Minister hat ausdrücklich eine Position dargelegt, die ganz Europa übernehmen sollte und die von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament voll unterstützt wird, da dies auch unsere Position ist. Von den Verhandlungen abzurücken würde zu einer verheerenden Situation führen, wie wir sie bereits vom Irak kennen.
Das macht uns nicht schwächer: im Gegenteil, es eröffnet die Möglichkeit für einen intensiven Dialog und gibt der sich bedroht fühlenden iranischen und syrischen Bevölkerung Sicherheit. Entschärfen wir die Spannungen, verhindern wir, dass im Namen des Kampfes gegen den Westen unerwünschte Allianzen geschmiedet werden. Halten wir die internationale Gemeinschaft zusammen und üben wir gemeinsam Druck auf den Iran aus, damit er seine mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen eingegangenen Verpflichtungen im Hinblick auf die Abrüstung im Nahen Osten und im gesamten Mittelmeerraum erfüllt.
Es bleibt zu hoffen, dass Europa in dieser äußerst heiklen Phase fähig ist, mit einer Stimme, eigenständig und wirksam seinen Standpunkt zu vertreten, und dass die nächste Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer eine hervorragende Gelegenheit bietet, diese Themen zu behandeln.
Hélène Flautre, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, auch ich möchte den Überfall verurteilen, den die israelische Armee gestern auf das Gefängnis von Jericho verübt hat. Derartige Aktionen können nur eine Radikalisierung der Politik der Hamas bewirken und damit die ohnehin recht gespannten Beziehungen in dieser Region noch weiter verkomplizieren.
Angesichts der Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte sowie der demokratischen Herausforderungen in dieser Region ist zu bedauern, dass die Erklärungen und Verpflichtungen des Gipfels von Barcelona nicht mit einem stärkeren und konkreteren Engagement für die Förderung der Menschenrechte und der Demokratie einhergegangen sind.
Die Meinungsfreiheit ist ein universelles Recht, das lebenswichtig und wesentlich für die Entwicklung jeglicher Demokratie ist, und deshalb sollte die Europäische Union keine Anstrengung scheuen, um sie zu verteidigen und zu fördern.
Es geht nicht nur um die Folgen der Veröffentlichung der Karikaturen. In Algerien werden Menschen, die den Präsidenten angreifen, wegen Diffamierung vor Gericht gestellt und zu Gefängnis- oder Geldstrafen verurteilt. Das ist der Fall bei Ali Dilem, dem Korrespondenten von Sud-Ouest d'Alger, bei Bachir El Arabi und bei Hakim Laâlam, dem Berichterstatter von Soir d'Algérie.
Mohamed Benchicou, Direktor von Le Matin, sitzt seit dem 14. Juni 2004 im Gefängnis von El-Harrach. Trotz seines sich ständig verschlechternden Gesundheitszustandes verweigern ihm die Behörden jede gesundheitliche Betreuung. Gegen ihn wurden mehr als 50 Klagen wegen Pressedelikten angestrengt, die teils abgeschlossen sind, teils noch laufen. Bei ihm handelt es sich um einen Häftling wegen Meinungsvergehen, und nicht um einen Kriminellen, wie manche behaupten!
In Tunesien, dessen Delegation demnächst den Vorsitz der APEM übernimmt, ist der Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Mohammed Abbou seit mehr als einem Jahr in Haft, nachdem er zwei kritische Artikel veröffentlicht hatte. Er hat sich bereits den Mund zugenäht, um gegen seine Inhaftierung und seine Haftbedingungen zu protestieren. Nunmehr plant er einen Hungerstreik.
In Marokko wurden Aboubakr Jamai und Fahd Iraki von der Zeitschrift L'Hebdomadaire zur Zahlung von 143 Jahressätzen des marokkanischen Mindestlohns verurteilt. Die Ausgabe der spanischen Tageszeitung El Mundo vom 2. Februar 2006 wurde aufgrund eines Artikels von Ali Lmrabet verboten. Die Journalisten der Wochenzeitung TelQuel wurden ebenfalls wegen Diffamierung verurteilt.
Ich möchte abschließend dazu aufrufen, dass die Menschenrechte und die Demokratie in den Diskussionen innerhalb der APEM stärker thematisiert werden, wie dies der Sacharow-Preisträger des Jahres 2005, Reporter ohne Grenzen, forderte.
Luisa Morgantini, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Zum Teufel mit Euch und Eurem Geld“, sagte ein Mann namens Ayman am Grenzkontrollpunkt Karni-Kreuzung in Gaza zu mir, nicht etwa, weil er unsere Hilfe nicht annehmen würde oder undankbar wäre, sondern um zu verdeutlichen, dass er und sein Volk genug haben, dass sie Freiheit und Würde und nicht nur humanitäre Hilfe brauchen. Zugleich können wir selbst kein ruhiges Gewissen haben, nur weil wir weiterhin Hilfe leisten, sondern wir müssen die Palästinenser unbedingt weiterhin unterstützen.
Die gestrige Aktion war wie viele andere illegal, zynisch und unmenschlich. Illegal, weil sie gegen das Gesetz verstößt, aber auch zynisch, weil sie aus wahltaktischen Erwägungen heraus erfolgte. Sie war in Wirklichkeit ein Beispiel von Blutrache und brutaler Kolonialherrschaft. Meines Erachtens muss Israel endlich begreifen, dass seine Existenz und seine Liebe zur Demokratie nur Bestand haben können, wenn es die anderen Völker achtet. Leider tut Israel das nicht, und wir dürfen uns ganz sicher nicht zu seinen Komplizen machen, was auch nicht der Fall ist.
Die Kommission und der Rat haben es heute Vormittag offen zum Ausdruck gebracht. Unsere Parlamentarische Versammlung ist äußerst wichtig, doch sollten wir uns mit einem Problem befassen: mit der Beteiligung einer palästinensischen Vertretung an der Parlamentarischen Versammlung. Wir müssen die Teilnahme derjenigen, die vom Palästinensischen Legislativrat empfohlen werden, unbedingt akzeptieren.
Es ist bedauerlich, dass dies einen Tag vor den israelischen Wahlen geschieht, weil es bedeutet, dass ein wichtiges Mitglied der Versammlung nicht anwesend sein wird. Wir müssen jedoch dafür Sorge tragen, dass die Versammlung arbeitsfähig ist und tätig wird, denn wenn wir das palästinensische Problem nicht lösen, wird das Thema Palästina und Israel immer im Mittelpunkt unserer Versammlung stehen und die Diskussion bestimmen. Und wir werden zudem die von der Frau Kommissarin und vom Rat offen dargelegten Probleme nicht behandeln können, nämlich die Frage, wie wir einen Mittelmeerraum schaffen können, der wirklich zusammenarbeitet.
Paul Marie Coûteaux, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Lassen Sie mich diese Debatte nutzen, um dem Präsidium der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer für das Kommuniqué zu danken, das es zu den berühmt-berüchtigten Karikaturen veröffentlicht hat. Die Gestalt Mohameds ist so etwas wie das verbindende Element eines Islam, der zerbrechlicher und vielfältiger, ja gespaltener ist als allgemein angenommen. Wer auf diese Person zielt, zielt auf das Herz. Das durfte man auf keinen Fall vergessen, ebenso wie man auf keinen Fall die Konsequenzen des eigenen Tuns unberücksichtigt lassen durfte, die darin bestanden, den Konflikt zwischen den Zivilisationen zu schüren. Zu welchem Zweck, ist nicht genau bekannt, denn wer hat ein Interesse daran, diese Konflikte zu schüren? Diese Frage möchte ich stellen. Gewiss nicht wir Europäer, ganz gewiss nicht Frankreich, das der größte Mittelmeeranliegerstaat ist und dessen Einfluss von einem ausgewogenen Gleichgewicht zwischen seiner kontinentaleuropäischen Politik einerseits und seiner Mittelmeer- und Afrikapolitik andererseits abhängt.
Gewiss weckt diese Feststellung Beunruhigungen zweierlei Art. Einerseits sind die APEM und Euromed noch recht schwache Boote, die ins Meer gestoßen wurden. Schwach nicht nur in ihrer Ausstattung, sondern vor allem hinsichtlich ihrer geistigen Inspiration, denn sie scheinen mir noch in einer sehr eurozentristischen Auffassung von Demokratie und Menschenrechten befangen zu sein − wie gerade eben wieder deutlich wurde −, die nicht nur einen kolonialen Beigeschmack hat, sondern auch verhindert − wie in Barcelona im Dezember ersichtlich war −, dass das Wesentliche zur Sprache kommt, das heißt die wirtschaftliche, finanzielle, kommerzielle Zusammenarbeit und die Steuerung der Migrationsströme. Ich meinerseits möchte im Gegensatz zu dem, was die Kommission vorhin sagte, eher von Zusammenarbeit sprechen als von einer Freihandelszone, die mir eine gefährliche Formel zu sein scheint.
Die zweite Beunruhigung rührt daher, dass das Thema der Zivilisationen eine weit in die Geschichte zurückreichende Erscheinung ist, die wir seit Karl Martel kennen: Wir mussten nicht auf die amerikanische Denker warten, um uns dies zu vergegenwärtigen. Man muss schon völlig von den Illusionen des Mondialismus verblendet sein, um plötzlich mit Erstaunen festzustellen, dass Zivilisationen nicht austauschbar sind und Menschen erst recht nicht und dass das Zusammenleben unterschiedlicher Zivilisationen keine Selbstverständlichkeit ist. Diese Erkenntnis à la Huntington dient natürlich dem Ziel, eine andere Botschaft zu vermitteln, nämlich, dass wir alle zwangsläufig zu einem „Westen“ − ausdrücklich in Gänsefüßchen gesetzt – gehören, dessen Hauptstadt notwendigerweise Washington ist, wobei die Europäer nur noch den kriegerischen Irrungen der USA zu folgen haben. Dieses Thema des Westens ist allein schon, wie wir wissen, eine ideologische Hochstapelei. Eben weil die Zivilisationen unaufhörlich aufeinander prallen, braucht man eine politische Leitschnur, braucht man Politik, braucht man einen Willen zum gemeinsamen Zusammenleben, wofür die APEM und Euromed einen Rahmen bieten. Beginnen wir also damit, sie zu stärken, denn sie scheinen mir immer zerbrechlicher zu werden, je notwendiger sie von Jahr zu Jahr werden.
Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Es ist schade, dass unmittelbar nachdem wir im Barcelona-Prozess einen Schritt nach vorn gemacht haben, im Nahen Osten etwas geschieht, was die Entwicklung, die wir genommen hätten, zurückwirft. Ich möchte jedoch bei unserem Thema bleiben und als Mitglied des Wirtschaftsausschusses der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer sprechen. Ich wünsche mir, dass sowohl die Kommission als auch der Rat eine von der Universität Manchester ausgearbeitete Studie mit dem Titel ‚Sustainable Impact Assessment Study of the Euromed Free-Trade Area’ analysieren. Wir im Wirtschaftsausschuss der Versammlung haben mit der Diskussion dieser Studie begonnen, die ein beunruhigendes Bild von der Auswirkung der Politik der Europäischen Union auf die Errichtung einer Freihandelszone im Mittelmeerraum zeichnet. Sie sagt einen eher negativen Effekt für unsere Partnerländer im Mittelmeerraum voraus, die am Barcelona-Prozess gewinnen und nicht verlieren sollen. Unter den negativen Auswirkungen werden die Möglichkeit, dass in diesen Ländern die Arbeitslosigkeit zunehmen und das Lohnniveau sinken könnte, sowie eine starke Auswirkung auf Ressourcen wie Wasser und biologische Vielfalt und weitere Umwelteinflüsse genannt. Natürlich legt uns der Bericht nicht nahe, den Plan zur Errichtung einer Freihandelszone zu stoppen oder aufzugeben, aber er sagt uns, dass wir diese negativen Auswirkungen ernst nehmen und schon jetzt, bevor es zu spät ist, vorbeugende Maßnahmen ergreifen sollten. Daher möchte ich sowohl die Kommission als auch den Rat auffordern, uns ihre Meinung zu dieser Studie mitzuteilen und uns zu sagen, welche Maßnahmen sie gegen jedwede negative Auswirkung zu ergreifen beabsichtigen, die durch die Errichtung einer Freihandelszone im Mittelmeerraum eintreten könnte. Beispielsweise besteht zweifellos die Notwendigkeit, dass die Europäische Union in ihrer Politik den kommerziellen Aspekt mit einer intensiveren Zusammenarbeit im Finanz-, Sozial- und Bildungsbereich sowie im Umweltsektor in Einklang bringt. Abschließend möchte ich an die Kommission und den Rat appellieren, aktiveren Anteil an der Arbeit der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer zu nehmen und auch die von den Mitgliedern des Parlaments gestellten Fragen zu beantworten.
Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Ihnen allen für Ihre Anwesenheit danken und Ihnen vor allem meinen Glückwunsch zur Arbeit der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer aussprechen, die Sie in den letzten sechs Monaten, in denen dieses Haus die Arbeit dieses Gremiums leitete, so erfolgreich geführt haben.
Wir müssen in der Lage sein anzuerkennen, was wir gut machen, und auch, was wir schlecht machen. In diesem Fall lassen Sie uns anerkennen, was wir gut machen. Der Europa-Mittelmeer-Prozess war ebenso ein Erfolg wie der Gipfel von Barcelona im November letzten Jahres. Dies ist ein lebendiger und sich entwickelnder Prozess.
Betrachten wir die Situation, ohne dass der Europa-Mittelmeer-Prozess existieren würde, im Lichte der Ereignisse wie beispielsweise der Karikaturenkrise und der gestrigen Vorfälle in Jericho. Es wäre ein gewaltiges Problem: Wie kann der Dialog hergestellt werden, wie können Methoden der Zusammenarbeit zur Lösung der Probleme gesucht werden?
Der in Barcelona verabschiedete Aktionsplan enthält mehrere sehr wichtige Punkte – einige davon wurden schon genannt. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der mir als wesentlich erscheint: Ja zur Freihandelszone, aber auch mit wirtschaftlicher und sozialer Kohäsion. Wir wissen viel darüber in Europa, und dies wird der Schlüssel zum Erfolg des ersten Ziels sein.
Ein weiteres Thema, das behandelt wurde, war der Verhaltenskodex gegen den Terrorismus. In einem Bereich wie diesem war ein solcher Verhaltenskodex vor ein paar Jahren noch unvorstellbar. Heute haben wir ihn.
Ferner akzeptierte der Gipfel von Barcelona die gemeinsame spanisch-türkische Initiative zur Allianz der Zivilisationen, die nicht bedeutet, den kulturellen Relativismus zu akzeptieren, sondern die Kulturen in die gleiche Richtung zu lenken: der Verteidigung der Demokratie, der Freiheit, der Menschenrechte und der Gleichheit zwischen den Menschen.
In diesem Kontext bietet uns die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer ein sehr wichtiges Forum für die politische Debatte. Ich glaube, dass wir mit Blick auf das Treffen am 26. und 27. vier Dinge tun müssen: die Beschlussfassung beschleunigen, die Debatten wieder um Berichterstatter von Ausschüssen konzentrieren, sicherstellen, dass die Kommission und der Rat anwesend sind und, je nach dem, wie es die Ereignisse erfordern, mitwirken, wie Präsident Borrell heute Vormittag zu Beginn unserer Sitzung gefordert hat, und schließlich die Zivilgesellschaft einbeziehen.
So werden wir uns in die richtige Richtung bewegen.
David Hammerstein Mintz (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident! In der einen kurzen Minute, die mir zur Verfügung steht, möchte ich einen ganz konkreten Vorschlag unterbreiten.
Ich stimme natürlich voll und ganz mit den über die Ereignisse in Jericho geäußerten Auffassungen überein.
Angesichts dieser Spirale der Gewalt und nach dem Konflikt im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen müssen wir aus politischer Sicht heute mehr denn je nach einem friedlichen Miteinander im Mittelmeerraum streben.
Im Kontext des Ausschusses für Kultur der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer haben wir die Einrichtung eines kulturellen Kontaktausschusses vorgeschlagen, der sich aus angesehenen Experten zusammensetzen soll, die dialogfähig sind, um auf kulturelle und religiöse Konflikte zu reagieren, bei kulturellen und religiösen Spannungen zwischen den beiden Flanken des Mittelmeers zu vermitteln, sie zu erklären und darüber zu informieren.
Die in Alexandria ansässige Anna-Lindh-Stiftung ist bestens in der Lage, diesen Expertenausschuss zu organisieren, der bei ähnlichen Konflikten präventiv tätig werden könnte, um Missverständnisse in Bezug auf die Kulturen anderer und die Zweifel darüber, was wirklich geschehen ist, zu klären.
Ich glaube, dass wir damit auf der Versammlung am 26. einen kleinen Schritt zur Toleranz machen könnten, die wir uns für den Mittelmeerraum wünschen.
Tokia Saïfi (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Minister, Frau Kommissarin! Man muss feststellen, dass der Gipfel von Barcelona den Erwartungen angesichts der enormen Herausforderungen nicht gerecht geworden ist. Wir müssen also entschlossener in die Zukunft blicken und jetzt Ergebnisse erzielen.
Angesichts der jüngsten Ereignisse ist die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer der ideale Ort für die Stärkung unserer Partnerschaft, die auf Dialog, Austausch und gegenseitigem Verständnis basiert. Mehr denn je muss die APEM gestärkt und in ihrem Handeln unterstützt werden. Die Herstellung des Friedens und die Gewährleistung der Sicherheit sind Ziele, die mehr denn je im Mittelpunkt unserer Entscheidungen stehen und mit konkreten Taten einhergehen müssen.
Angesichts einer schwierigen lokalen Situation und immer ungewisserer regionaler Rahmenbedingungen ist Dringlichkeit geboten. Heute trägt die Europäische Union aus meiner Sicht eine schwere Verantwortung, und ich sage dies als Vorsitzende des politischen Ausschusses der APEM, die mit einem palästinensischen und einem israelischen Stellvertreter an ihrer Seite die Lösung des Nahostkonflikts in den Mittelpunkt unserer Arbeiten stellen will. Die Union muss mit einer Stimme sprechen und die empörenden Akte verurteilen, die zu einer Eskalation der Gewalt führen und einen bereits anfälligen Friedensprozess unterminieren.
Es ist bedauerlich, dass der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas aufgrund der Ereignisse in Jericho nicht vor unserem Hause sprechen konnte, und ich möchte hier meine Besorgnis angesichts dieser Situation zum Ausdruck bringen.
Wir haben Ihnen zugehört, Frau Kommissarin. Wir haben Ihre Überzeugungen und Ihren Willen zur Kenntnis genommen. In der APEM und gemeinsam mit Präsident Borrell sind wir entschlossen, weiter voranzuschreiten. Ich glaube, es ist an der Zeit, die Völker nicht länger zu enttäuschen.
Véronique De Keyser (PSE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Die Ereignisse von Jericho, aufgrund derer unsere Begegnung mit Mahmoud Abbas abgesagt wurde, haben nicht Zufälliges an sich, sondern haben eine politische Bedeutung. Die erste Zielperson ist zweifellos Mahmoud Abbas, denn kaum war er aus seinem Land abgereist, da setzten die israelischen Streitkräfte zum Sturm auf das Gefängnis an.
Aber er ist nicht der Einzige. Es wurde nicht gesagt, dass Ahmed Saadat ein Mitglied des neu gewählten palästinensischen Legislativrates ist. Niemand hat herausgestellt, dass die Hamas, die einige zaghafte Schritte in Richtung auf die Anerkennung des Staates Israel in den Grenzen von 1967 unternommen hatte, nach den demütigenden Bildern halbnackter Häftlinge, die gefesselt und mit verbundenen Augen gezeigt wurden, in der Anerkennung Israels nicht noch weiter gehen konnte.
Die Beleidigung galt auch uns Europäern. Wir erwarteten Mahmoud Abbas, und er ist nicht gekommen. Unsere gesamte Politik gegenüber Palästina steht auf dem Spiel. Und heute sagen mir einige Abgeordneten dieses Hauses angesichts unserer verwüsteten Büros und der Entführung unserer Bürger: Wir, die Hauptgeldgeber, können doch angesichts dieser Undankbarkeit Palästina nicht weiter finanzieren! Das ist der Jerichoeffekt.
Den Abgeordneten, die zögern, Palästina zu unterstützen, möchte ich sagen, dass es heute keinen einzigen Palästinenser gibt, der das Geld, das wir Palästina geben, nicht gegen eine klare Position der Europäischen Union zu den aktuellen Ereignissen eintauschen würde. Können wir heute die Augen davor verschließen, dass Israel einen einseitigen, ausschließlich sicherheitsorientierten Weg beschritten hat, der nichts mehr mit der Roadmap zu tun hat. Der Plan Olmert ist einseitig, wie es der – im Übrigen bejubelte – Rückzug aus Gaza war, wie es die Annektierung der West Bank und die Besetzung von Ostjerusalem ist. So sieht die Realität in Palästina aus: eine nicht endende Besatzung, eine Mauer, die von Den Haag verurteilt wurde, aber immer noch steht. Und alles Geld, das wir Palästina geben, um ihm beim Überleben behilflich zu sein, reicht nicht aus, um etwas an dieser Realität zu ändern. Mit anderen Worten, der Friedensprozess entwickelt sich gegenwärtig zurück.
Lassen Sie mich abschließend sagen, Frau Kommissarin, wenn wir einen Plan B brauchen, um Palästina zu helfen, so brauchen wir auch und vor allem eine mutige und klare politische Position Europas. Wie sollen die Palästinenser sonst noch Hoffnung haben und uns Glauben schenken, wenn wir von der Roadmap sprechen?
Ioannis Kasoulides (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Die Ereignisse in Jericho sind heute Morgen und im Laufe des Tages bereits ausführlich von den Kollegen erörtert worden, aber im Ausschuss zur Verbesserung der Lebensbedingungen und zum Austausch zwischen den Zivilgesellschaften und Kulturen wird das Thema der Karikaturen sicher zur Sprache kommen.
Wir müssen den Inhalt der Karikaturen klar und unmissverständlich verurteilen. Die Achtung der religiösen Werte und Identität anderer, wie der europäischen Bürger muslimischen Glaubens, ist ein europäischer Wert, und nur Dummheit kann verhindern, dass das verstanden wird. Doch wir in Europa sind verpflichtet, auch das Recht der Dummheit, sich frei zu äußern, zu schützen und dies ist etwas, was unsere arabischen Partner verstehen müssen.
Was das Thema Migration betrifft, sind die neuen Initiativen der Kommission und die jüngsten Beschlüsse des Rates zur Steuerung von Migrationsströmen begrüßenswert. Damit werden konkrete Schritte unternommen, statt nur über die illegale Einwanderung zu sprechen. Politiken, die eine voraussehbare und organisierte legale Aufnahme von Einwanderern ermöglichen, die in den heimischen Arbeitsmärkten gebraucht werden, die den Strom von Wissen, nicht die Abwanderung von Wissen fördern, die Überweisungen der Migranten nach Hause erleichtern, die die Integration von Migranten in die Gesellschaft unterstützen und Initiativen wie die einheitliche Asylpolitik und so weiter, werden auf ein positiveres Echo bei unseren Mittelmeer-Partnern stoßen.
Es stimmt, dass einige dieser Länder von Herkunfts- oder Transitländern zu Endstationen geworden sind. Aus diesem Grund müssen wir zusammenarbeiten, indem wir technische Instrumente und Fachkompetenz gemeinsam nutzen und gemeinsam Verantwortung tragen, um den Menschenhandel und die illegale Einwanderung zu bekämpfen.
VORSITZ: Edward MCMILLAN-SCOTT Vizepräsident
Béatrice Patrie (PSE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Minister, werte Kolleginnen und Kollegen! Als Vorsitzende der europäischen parlamentarischen Delegation für die Beziehungen zu den Mashrek-Ländern schließe ich mich natürlich dem an, was soeben über die Ereignisse in Palästina gesagt wurde, insbesondere der Verurteilung der Aktion gegen das Gefängnis in Jericho, die ganz gewiss nicht zu Frieden und Demokratie beiträgt.
Lassen Sie mich die Problematik der Anna-Lindh-Stiftung ansprechen, die zum Dialog zwischen den Zivilisationen beiträgt und Gegenstand einer Arbeitsgruppe der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer war. Diese Institution stößt bereits auf eine Reihe struktureller Schwierigkeiten. Zahlreiche Partnerstaaten haben ihr nationales Netz noch nicht aufgebaut, und bei den Beitragszahlungen kommt es zu Verzögerungen. Größte Ungewissheit herrscht hinsichtlich der Fortdauer ihrer Finanzierung nach 2008.
Deshalb gilt es die genannten Schwierigkeiten dringend zu beheben. Dazu ist es erforderlich, die Finanzierung der Anna-Lindh-Stiftung dauerhaft zu gewährleisten, den Aktionen und Prioritäten dieser Stiftung größere Breitenwirkung zu verleihen, die europäischen Regeln für die Projektfinanzierung zu vereinfachen, einen europäischer Fernsehsender in arabischer Sprache zu errichten sowie die drei Arbeitssprachen der Struktur in der Kommunikationstätigkeit gleichberechtigt zu behandeln.
Abschließend sei gesagt, dass die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer, aber auch der Rat und die Europäische Kommission sich dieser Frage ernsthaft widmen müssen.
Jamila Madeira (PSE). – (PT) Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Nach den kürzlichen tragischen Ereignissen haben die mehr als deutlichen Schlussfolgerungen unserer letzten Sitzung im November einen besonderen Stellenwert erlangt. Wirtschaftlicher Wohlstand und sozialer Fortschritt sind nicht für jeden erreichbar, was bedeutet, dass Gewaltprobleme deutlich wahrnehmbar sind.
Wir wissen ja schon, dass in der Regel diejenigen unsere Partner im südlichen Mittelmeerraum und besonders in den am stärksten benachteiligten Gesellschaftsschichten, also Frauen und Arme, sind, denen Gesundheitsfürsorge und das Recht auf den Erwerb von qualitativem und quantitativem Wissen vorenthalten sind.
Das Zukunftsszenarium bereitet uns Sorge. Vor allem, wenn wir an die Auswirkungen der Freihandelszone Europa-Mittelmeer, die bis 2010 eingerichtet sein soll, wie die Kommissarin sagte, auf die Nachhaltigkeit denken. In diesem Fall zeigen die Daten, dass in Bezug auf die Verringerung der Armut die unmittelbaren Erfolge geringer sind, auch wenn die weitreichenden Veränderungen andere Vorzüge mit sich bringen können, und zwar in den Volkswirtschaften unserer Mittelmeerpartner. In den Bereichen Gesundheit und Bildung besteht kaum die Chance auf kurzfristige Erfolge. Da dieser Wirkung nichts entgegensteht, ist anzunehmen, dass es zu nachteiligen Auswirkungen auf Gesundheit und Bildung kommen wird.
Bei den Menschenrechten müssen wir auf jeden Fall das beinahe vollständige Fehlen eines Leitkonzepts zum Problem der wirtschaftlichen und sozialen Rechte in der EU und den Europa-Mittelmeer-Institutionen sowie die Rolle, die das im Barcelona-Prozess spielt, prüfen.
Meiner Meinung nach ist dies besonders in der aktuellen Situation – wenn auch in Wahrheit überall – eine ganz wichtige Frage, die im Programm MEDA gebührende Beachtung finden sollte.
Unsere drängendsten Prioritäten in dieser Partnerschaft sollten sein, den sozialen Dialog, den Kampf gegen Kinderarbeit, die Zusammenarbeit im Kampf gegen Diskriminierung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, den Dialog zu sozialen Reformen und die Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen anzukurbeln.
In Rahmen der derzeitigen Bedingungen sollte diese Frage im Barcelona-Prozess in den Vordergrund gerückt werden.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Ihnen allen sehr dankbar, dass Sie in Ihren Beiträgen doch auf die positiven Auswirkungen der Euromed-Partnerschaft hingewiesen haben. Natürlich kann man – wie es gerade die Frau Abgeordnete Madeira getan hat – sehr viele Themen erwähnen, wo wir noch ein größeres Defizit haben. Wir können uns daher keineswegs – und wir tun das auch nicht – auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern wir müssen uns vornehmen, in all diesen Bereichen, die Sie genannt haben – Gesundheitsvorsorge, sozialer Dialog, Nachhaltigkeit, Gender-Fragen, Chancen auf Bildung und viele andere Fragen –, weiterzuarbeiten. Das wird nicht von einem Tag auf den anderen gehen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass wir nur durch diese Partnerschaft alleine in kurzer Zeit Änderungen herbeiführen können. Aber wir müssen daran arbeiten, und die Instrumente sind – wie auch die Frau Kommissarin gesagt hat –vorhanden.
Das Thema Menschenrechte ist mehrfach erwähnt worden. Es liegt nicht nur mir persönlich, sondern dem Rat insgesamt besonders am Herzen. Ich glaube auch nicht, dass man dem Rat oder der Europäischen Union insgesamt vorwerfen kann, dass wir keine kohärente, methodische Menschenrechtspolitik haben. Ich glaube, wir haben eine solche. Im Übrigen glaube ich, dass die Menschenrechtsagentur, die hoffentlich bald und mit Ihrer Hilfe errichtet werden kann, einen Beitrag zur methodischen Behandlung der Menschenrechte leisten wird können.
Herr Präsident! Ich möchte allen Abgeordneten danken, die ebenso engagierte Arbeit leisten wie Sie, Ihr Unterausschuss, Frau De Keyser und andere, und die sich kontinuierlich und unermüdlich für ein besseres Verständnis zwischen den Völkern der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft einsetzen. Wir sollten ihnen dankbar sein, und wir sollten unser Möglichstes tun, um sie zu unterstützen und ihnen zu helfen, auch wenn sie mit der einen oder anderen Maßnahme des Rates nicht ganz einverstanden sind.
Es wurde auch der Iran in diesem Zusammenhang erwähnt. Ich möchte das nur benutzen, um zu sagen, dass es selbstverständlich die Politik des Rates ist, hier mit friedlichen Mitteln, durch Verhandlungen zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Abgeordnete Carnero González hat etwas sehr Wichtiges gesagt, nämlich, dass bei dem Gipfel im November etwas passiert ist, was vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen wäre. Wenn man sich diese Erklärung gegen den Terrorismus, diesen code of conduct gegen den Terrorismus genau anschaut, so findet sich darin ein guter Ansatz auch für die schwierigen, sensiblen Fragen – und selbstverständlich ist der Kampf gegen den Terrorismus mit all den politischen Problemen, die wir kennen, ein solches schwieriges Problem –, ein Ansatz, der es ermöglicht fortzufahren, um zu weiteren Ergebnissen zu kommen, und auch wir vom Rat wollen das tun.
Ich danke insgesamt allen Abgeordneten für die guten Ideen und Vorschläge, die wir selbstverständlich auch gerne aufgreifen und prüfen werden.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident! Ich teile die Auffassung, dass die nächste Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer sehr wichtig ist. Ich kann bereits heute meine Teilnahme an dieser Veranstaltung zusichern, die von größter Bedeutung ist. Diesmal habe ich die Möglichkeit teilzunehmen, und ich werde diese Möglichkeit nutzen.
Sie haben einen ausgezeichneten Entschließungsantrag vorgelegt. Darin sind alle wichtigen Punkte berücksichtigt: die Meinungsfreiheit und der Respekt vor religiösen Anschauungen, die Perspektive einer echten Partnerschaft. Das ist es, was wir wollen. Das bedeutet, dass nicht nur wir etwas tun müssen, sondern dass auch unsere Partner ihren Beitrag leisten müssen. Gemeinsam müssen wir die richtige Mischung finden, damit ihre Entwicklung vorankommen kann. Es gibt einige spezielle Themen, denen wir ebenfalls besondere Aufmerksamkeit widmen sollten. Eines davon liegt mir persönlich sehr am Herzen und ist auch in unserer Mitteilung enthalten: die Bildung Ich war schon immer der Ansicht, dass wir die nächste Generation mit Bildung fördern können. Wir können unser Möglichstes tun, um konkrete Ziele zu erreichen.
Außerdem teile ich die Auffassung von Herrn Carnero González uneingeschränkt. Ich glaube, dass Barcelona ein Erfolg war. Es ist aber nicht richtig zu sagen, Barcelona sei kein voller Erfolg gewesen, weil nur die Staats- und Regierungschefs vertreten waren. Der Inhalt war gut. Nun müssen wir dafür sorgen, dass das alles in unserem Fünfjahresprogramm umgesetzt werden kann. Ich befürworte die Liberalisierung, stimme aber auch zu, dass dabei der soziale Zusammenhalt und die soziale Stabilität, soziale Rechte, Energiefragen und natürlich die Bildung berücksichtigt werden müssen.
Zu den durchgeführten Studien möchte ich noch kurz sagen, dass die Manchester-Studie eher negativ ist, es aber andere Studien gibt, die zu einem sehr viel positiveren Ergebnis gelangt sind. Wie ich schon sagte, wollten wir mit der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft eine echte Partnerschaft schaffen und das bedeutet, dass beide Seiten ihr Bestes geben müssen, damit Fortschritte erreicht werden können. Viele Reformen müssen noch in Angriff genommen werden.
Das Ziel, das wir mit der Stärkung des Handels erreichen wollen, ist auch die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen – das heißt, mehr Arbeitsplätze für jüngere Menschen –, und natürlich wollen wir darüber hinaus versuchen, die richtigen Perspektiven für den Arbeitsmarkt und eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen, die soziale und ökologische Erfordernisse berücksichtigt. Die Nachbarschaftspolitik ist die Politik, die diese Euro-Mittelmeer-Partnerschaft ergänzen soll. Zwar stehen dabei die Menschenrechte eindeutig im Vordergrund, doch diese Politik versucht auch alle anderen Faktoren zu fördern, die diesen Ländern zukünftig ein besseres Leben garantieren.
Leider wird all das durch den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern überschattet und leider ist das im Moment nicht der günstigste Zeitpunkt. Wir befinden uns an einem sehr kritischen, entscheidenden Punkt. Ich hoffe, dass wir, obwohl dies eine kritische Phase ist, eine bessere Zukunft schaffen können.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
(Die Sitzung wird um 19.50 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Der Präsident der Palästinensischen Behörde, Mahmoud Abbas, musste wegen der äußerst ernsten Entwicklung der Lage dringend in sein Land zurückkehren und seine Ansprache vor diesem Parlament absagen.
Die EU muss eine entschiedene Haltung zu Israels fortdauernden Angriffen gegen Palästina vertreten, von denen die Zerstörung des Gefängnisses von Jericho einer der schwersten und demütigendsten Vorfälle ist. Israel hat dieses Verbrechen nach einer kürzlichen Vereinbarung zwischen der Palästinensischen Behörde und den USA und dem Vereinigten Königreich zur Sicherheit von Häftlingen verübt, und dennoch wurde nichts getan, um es aufzuhalten.
Die Einstellung der Kommission und des Rates gegenüber der israelischen Regierung und die Eskalation der kriminellen Gewalt gegen Palästina darf so nicht weitergehen. Es muss etwas getan werden, um Israel daran zu hindern, dieses empörende Verhalten an den Tag zu legen, mit dem es die grundlegenden Rechte Palästinas untergräbt.
Auf der nächsten Sitzung der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer muss das Parlament sich eindeutig solidarisch mit Palästina zeigen und die von Israel verübte Gewalt verurteilen, die den Frieden im Nahen Osten gefährdet. UNO-Resolutionen müssen eingehalten werden, und der freie Wille des Volkes von Palästina muss respektiert werden.
VORSITZ: Pierre MOSCOVICI Vizepräsident
13. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf (Aussprache)
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zur 62. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission in Genf.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, das wir jetzt zu relativ später Stunde abhandeln, ist ein Thema, das mir auch ganz persönlich sehr am Herzen liegt, weshalb es mir ein Anliegen war, jetzt noch zu dieser Debatte hier anwesend zu sein. Es freut mich, dass ich die Gelegenheit habe, hier mit Ihnen diese Aussprache zu führen.
Im vergangenen Jahr hat, wie Sie wissen, in New York ein Gipfeltreffen zur Reform der Vereinten Nationen stattgefunden, und naturgemäß wurden die Teilnehmer – Staats- und Regierungschefs – danach gefragt, ob dieses Treffen aus ihrer Sicht ein Erfolg war oder nicht. Der österreichische Bundespräsident hat zum Ausdruck gebracht, dass dieses Treffen seiner Meinung nach ein Erfolg war. Natürlich – wie immer im multilateralen Bereich – gibt es Dinge, die man durchgesetzt hat, und solche, die man nicht durchgesetzt hat. Aber letztlich konnte man unter dem Strich sagen, dass der Gipfel der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr in New York ein Erfolg war. Er war deswegen ein Erfolg, weil man sich im Wesentlichen auf einige Dinge geeinigt hat, die vor allem für uns, die Länder der Europäischen Union, für den Westen insgesamt, von großer Bedeutung waren. Wir alle treten für Menschenrechte und Grundfreiheiten ein. Der Grundsatzbeschluss, der im vergangenen September in New York gefasst wurde, einen Menschenrechtsrat zu gründen und ihn an die Stelle der Menschenrechtskommission zu setzen, war ein solcher Beschluss, der eine positive Einschätzung des Gipfels gerechtfertigt hat.
Natürlich handelte es sich im vergangenen September nur um einen Grundsatzbeschluss, und erst in mühsamen, zähen Verhandlungen gelang es, diesen Menschenrechtsrat mit Leben zu erfüllen. Ich glaube, wir sollten in dieser Stunde besonders dem Präsidenten der Generalversammlung der Vereinten Nationen, Jan Eliasson, dankbar sein, dass er unermüdlich daran gearbeitet hat, dass vor wenigen Stunden in New York eine Entscheidung über den Menschenrechtsrat herbeigeführt werden konnte. Das Ergebnis, mit dem dieser Menschenrechtsrat angenommen wurde, kann sich sehen lassen. Das Ergebnis war nämlich 170 Stimmen dafür, 4 Stimmen dagegen, und 3 Länder haben sich der Stimme enthalten. Die Länder, die dagegen gestimmt haben, waren die Vereinigten Staaten, Israel, Palau und die Marshall Islands. Venezuela, Iran und Belarus haben sich der Stimme enthalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, 170 Stimmen in den Vereinten Nationen sind ein großer Erfolg! Wir sind als Europäische Union in der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einer gemeinsamen Position geeint aufgetreten. Darauf können wir stolz sein, und wir können uns und die Staatengemeinschaft zu diesem Erfolg beglückwünschen.
Diese Errichtung des Menschenrechtsrats stellt einen wichtigen, ich würde sagen, einen geradezu historischen Schritt zur weiteren Stärkung des Menschenrechtssystems innerhalb der Vereinten Nationen und des weltweiten Menschenrechtsschutzes dar.
Natürlich gibt es eine Reihe von Punkten, bei denen auch wir, die Europäische Union, enttäuscht waren. Wir hätten das eine oder andere lieber anders gehabt, aber im Multilateralismus muss man letztlich Kompromisse schließen, und man muss sich darüber im Klaren sein, ob das, was letztlich möglich war, in der Essenz immer noch dem entspricht, was man eigentlich wollte. Was den Menschenrechtsrat in seiner derzeitigen Form betrifft, war die Antwort eine eindeutig positive. Ich möchte allen, die an diesem Beschluss mitgewirkt haben, sehr herzlich danken. Ich bin froh, dass es dem Rat gelungen ist, alle Mitgliedstaaten hier an Bord zu haben.
Ich möchte mich jetzt nicht so sehr auf jene Dinge konzentrieren, die nicht gelungen sind, sondern auf einige Punkte, die – so glaube ich – im neuen System des Menschenrechtsrates besonders positiv zu beurteilen sind.
Erstens: Anders als die Menschenrechtskommission, die ja ein Organ des ECOSOC war, der einmal im Jahr sechs Wochen in Genf getagt hat, wird der Menschenrechtsrat ein ständig tagendes Organ sein, und er wird ein direktes Organ der Generalversammlung sein. Es wurde die Option offen gehalten, dass der Menschenrechtsrat eines Tages vielleicht ein Hauptorgan der Vereinten Nationen wird. Dazu bedarf es natürlich einer Änderung der Satzung der Vereinten Nationen. Sie alle wissen, wie schwierig das ist, aber die Option ist offen. Immerhin handelt es sich jetzt jedoch um ein permanentes Organ der Generalversammlung der Vereinten Nationen.
Auch die direkte und individuelle Wahl der Mitglieder mit dem Erfordernis der absoluten Mehrheit unter allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ist ein Fortschritt. Alle die, die wie ich in den letzten Jahren immer wieder beteiligt waren, werden sich freuen, dass der oft unwürdige Prozess einer Schacherei von Stimmen – wer stimmt für wen, wenn du für diese Sache stimmst, stimme ich im Gegenzug für jene andere – hoffentlich jetzt, wenn nicht ein Ende haben, so doch wesentlich eingeschränkt sein wird. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit besteht nunmehr die Möglichkeit – auch das ist neu – einer Suspendierung von Mitgliedern des Menschenrechtsrates bei schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Dieser Punkt gab übrigens letztlich den Ausschlag dafür, dass die Vereinigten Staaten dem Menschenrechtsrat nicht zugestimmt haben. Die Vereinigten Staaten haben bis zuletzt versucht, eine Aufnahme durch Zweidrittel-Mehrheit und einen automatischen Ausschluss jener Mitglieder, gegen die der Sicherheitsrat Sanktionen erhoben hat, zu erreichen. Die Europäische Union hat angeboten – und hat das auch getan –, anlässlich der Annahme in der Generalversammlung eine Erklärung abzugeben, in der wir uns selbst politisch verpflichten, bei keinem Land, dem der Sicherheitsrat Menschenrechtsverletzungen vorwirft und gegen das er Sanktionen verhängt hat, für die Aufnahme in den Menschenrechtsrat zu stimmen. Auch das ist ein wichtiges politisches Signal, das die Europäische Union hier gesetzt hat.
Drittens wird es eine regelmäßige Überprüfung aller Staaten im Menschenrechtsbereich durch die Schaffung einer universal review procedure geben, womit auch in Zukunft der Vorwurf von Doppelstandards und von Selektivität entkräftet werden kann.
Viertens hat der Menschenrechtsrat die Kompetenz, direkte Empfehlungen an alle Organe im System der Vereinten Nationen zu geben, einschließlich an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Wir glauben, dass damit eine wesentliche Stärkung des Systems des Menschenrechtsschutzes innerhalb der Vereinten Nationen insgesamt erreicht werden konnte.
Und fünftens werden schließlich die wichtigen Errungenschaften der Menschenrechtskommission beibehalten, nämlich das System von Sonderberichterstattern und die aktive Teilnahme von Nichtregierungsorganisationen an den Sitzungen.
Auch wenn nicht alles erreicht werden konnte, ist dieser neue Menschenrechtsrat eine eindeutige Verbesserung gegenüber der steril gewordenen Menschenrechtskommission. Die Menschenrechtskommission wird jetzt noch einmal – vermutlich kurz – tagen, um die Geschäfte abzuwickeln und sie dann dem Menschenrechtsrat zu übergeben. Bereits im Mai dieses Jahres, also in Kürze, werden die ersten Mitglieder des Menschenrechtsrates gewählt werden, und im Juni dieses Jahres soll bereits seine erste Sitzung stattfinden. Wir werden uns als Europäische Union und als Rat mit Nachdruck dafür einsetzen, dass der Menschenrechtsrat seine Arbeit erfolgreich und von Anfang an mit Durchschlagskraft tun kann.
Die Vereinigten Staaten haben diesem Vorschlag nicht zugestimmt, und dennoch glaube ich, dass in den letzten Tagen und Wochen gerade auch in den atlantischen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ein gewisses Vertrauen hergestellt werden konnte, denn die Vereinigten Staaten haben anlässlich der Annahme erklärt, dass sie nicht die Konstituierung und die Finanzierung des Menschenrechtsrates behindern wollen, dass sie grundsätzlich mit den Zielsetzungen des Menschenrechtsrates einverstanden sind, dass aber die beiden Probleme, die ich genannt habe – die Frage der Wahl der Mitglieder und die Frage des Ausschlusses der Mitglieder –, zu schwerwiegend waren, um eine positive Stimme abgeben zu können.
Ich hoffe, dass die Arbeit des Menschenrechtsrates in den kommenden Jahren alle davon überzeugen wird, dass hier eine gute Wahl getroffen worden ist, dass hier ein Fortschritt erzielt worden ist und dass wir letztlich auch etwas für den Schutz der Menschenrechte in aller Welt geleistet haben. Ich glaube, wir können als Europäische Union insgesamt stolz darauf sein, dass wir dazu einen Beitrag geleistet haben.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident! Heureka, wir haben einen Menschenrechtsrat! Das ist wunderbar, und ich bin sehr glücklich, dass ich heute Abend hier sein kann, um dieses Ereignis mit dem Rat und dem Europäischen Parlament zu feiern.
Wie Sie wissen, haben die Europäische Union und die Europäische Kommission einen entscheidenden Anteil an diesem Resultat. Die EU hat mit ihrer Entscheidung der vergangenen Woche, den von Präsident Eliasson eingebrachten Resolutionsentwurf zu unterstützen, eine Reihe von Ländern ermutigt, ihrem Beispiel zu folgen. Wir hatten gehofft, dass einige unserer Vorschläge in die Resolution aufgenommen würden. Ich teile jedoch die Auffassung des Ratsvorsitzes, dass der Kompromisstext eine eindeutige Verbesserung gegenüber der Menschenrechtskommission darstellt, und das ist das Entscheidende.
Lassen Sie mich kurz auf die Menschenrechtskommission eingehen. In den letzten Monaten hat es viel Kritik an dieser Kommission gegeben. Einige der typischen Vorwürfe sind, dass sie doppelte Standards anwendet, dass sie eine Überpolitisierung betreibt oder manchmal zu zurückhaltend auf offenkundige Menschenrechtsverletzungen reagiert. Zweifelsohne ist an diesen Vorwürfen etwas dran, und es kommt nicht von ungefähr, dass im Bericht über den UN-Gipfel ihre Ablösung vorgeschlagen wird.
Doch wahr ist auch, dass das, was möglich war, getan worden ist. Es war diese Kommission, unter deren Leitung 1948 die wichtigste Grundsatzerklärung zu den Menschenrechten ausgearbeitet wurde: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Ich wollte dies erwähnen, weil wir jetzt natürlich nach vorne schauen, dabei aber auch den Blick zurück nicht vergessen sollten.
Ich möchte das Parlament außerdem auf ein Element des Menschenrechtsrates aufmerksam machen: die allgemeine regelmäßige Überprüfung. Wenn diese Überprüfung richtig angewandt wird, kann sie dazu beitragen, die Probleme der doppelten Standards und der Selektivität zu überwinden, unter denen die Menschenrechtskommission zu leiden hatte. Schließlich funktioniert die gegenseitige Überprüfung auch auf anderen Gebieten sehr gut. So gibt es beispielsweise im Handelsbereich den Mechanismus zur Überwachung von Handelsaktivitäten oder auch im Handel mit Konfliktdiamanten den Kimberley-Prozess.
Bemerkenswert ist, dass es der Europäischen Union während der gesamten komplexen und langwierigen Verhandlungen über den Menschenrechtsrat gelungen ist, eine gemeinsame Position zu vertreten. Dies hat sich ohne Zweifel positiv auf den Verlauf der Verhandlungen ausgewirkt. Deshalb war die Kommission sehr erleichtert, dass die Europäische Union nach den jüngsten Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten über den endgültigen Resolutionsentwurf schließlich doch noch einen gemeinsamen Standpunkt angenommen und damit gezeigt hat, dass sie für diesen wichtigen Teil des UN-Reformprozesses eintritt.
Die Kommission ist ebenso wie die Mitgliedstaaten besorgt darüber, dass die USA gegen den Text gestimmt haben. Andererseits beruhigt uns aber die Zusicherung Amerikas, mit dem Menschenrechtsrat zusammenarbeiten zu wollen. Kofi Annan sagte heute, er gehe davon aus, dass die Vereinigten Staaten mit dem Rat zusammenarbeiten werden, auch wenn sie nicht für den Rat in der jetzt vorgeschlagenen Form stimmen können. Ich bin sicher, dass die USA, die so viel für die Menschenrechte getan haben, einen Weg zur Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern des Menschenrechtsrates finden werden, damit dieser Rat zu dem wird, was er sein soll. Alles in allem glaube ich, dass das gar keine so schlechten Vorzeichen sind.
Wir sollten die Arbeit der Menschenrechtskommission anerkennen, doch nun freuen wir uns auf eine neue Entwicklung, die wir hoffentlich gemeinsam erreichen können.
Simon Coveney, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Die Einrichtung einer effizienten, funktionierenden und weithin unterstützten Menschenrechtskommission ist ein wichtiger Teil des Reformpakets der UNO, das Kofi Annan im vergangenen Jahr vorgestellt hat. Anders als auf dem politisch äußerst schwierigen Terrain einer Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hat die UNO gezeigt, dass sie fähig ist, eine neue Struktur zu schaffen, die für Menschenrechtsfragen zuständig ist.
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die derzeitige sechswöchige Sitzungsperiode der UN-Menschenrechtskommission, die einmal jährlich mit allen Mitgliedern in Genf stattfindet, nicht mehr zeitgemäß ist und durch eine neue Regelung ersetzt werden muss. Wir brauchen einen ständigen Mechanismus, der das ganze Jahr über auf die Vielzahl der Menschenrechtskrisen reagieren kann, die immer wieder auftreten. Es gibt zahlreiche Punkte, über die im Zusammenhang mit der Gestaltung der neuen Struktur für Menschenrechtsfragen noch diskutiert wird:
1. Die Notwendigkeit einer ständigen Struktur/eines ständigen Rates.
2. Die Mitglieder dieses Rates müssen im Bereich der Menschenrechte glaubwürdig sein.
3. Der Rat sollte nicht zu groß sein.
4. Die Zusammensetzung des Rates sollte die weltweiten geografischen Gegebenheiten widerspiegeln.
5. Der Rat sollte nicht als elitäres Gremium gesehen werden, als kleine Gruppe von Mitgliedern, die andere belehrt.
6. Die Frage, wie die Mitglieder dieses Rates bestimmt oder gewählt werden sollten.
7. Die Notwendigkeit, den NRO weiterhin einen festen Platz einzuräumen.
8. Die Schaffung eines Mechanismus zum Ausschluss von Mitgliedern, die sich wiederholt Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen lassen.
Es wird nicht einfach sein, eine Einigung, und wenn nötig einen Kompromiss, über alle diese Punkte zu erreichen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass der Resolutionsentwurf des Präsidenten der Generalversammlung ein vernünftiger Ansatz dazu ist, ein Versuch, eine gemeinsame Basis zu finden. Ich begrüße es, dass die UNO diese Resolution heute Abend mit großer Mehrheit gebilligt hat. Es ist bedauerlich, dass die USA die Resolution nicht unterstützen konnten.
Ich halte das Dokument jedoch keineswegs für perfekt und sehe insbesondere zwei Punkte sehr kritisch. Erstens glaube ich, dass der Rat zu groß ist: 47 Mitglieder sind zu viel. Zweitens ist das Wahlverfahren, in dem die Mitglieder mit absoluter Mehrheit bestimmt werden, nicht ideal. Ich hätte hier die von den USA befürwortete Zweidrittelmehrheit für sinnvoller gehalten.
Abschließend möchte ich sagen, dass die UNO heute gute Arbeit geleistet hat, und glaube, dass dieser Schritt die Glaubwürdigkeit ihrer Haltung in Menschenrechtsfragen stärken wird.
Panagiotis Beglitis, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Heute hat es, was das in New York erzielte Übereinkommen betrifft, in der Tat eine sehr positive Entwicklung gegeben. Dieses Übereinkommen, das mit einer gewaltigen Mehrheit von 170 Ländern zustande kam, stellt einen dynamischen und progressiven Kompromiss im Hinblick auf die Verbesserung und die Stärkung der Effizienz des internationalen Systems zur Schutz der Menschenrechte dar.
Von den außerordentlich beachtlichen Reformen und Änderungen möchte ich insbesondere auf die Bestimmung eingehen, internationale Nichtregierungsorganisationen und –verbände, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, an den Verfahren des neuen Rates zu beteiligen. Ich vertraue darauf, dass die Kommission und die Kommissarin mit den Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten werden, um die Rolle und die Effektivität des Rates zu stärken.
Diese klaren Reformen können der Institution des Rates einen neuen Impuls im Hinblick auf die Menschenrechte geben und dazu beitragen, den Mangel an Glaubwürdigkeit und Effizienz der UNO abzubauen. Zudem kann sich die Europäische Union gemeinsam mit der UNO und den anderen Ländern im Rahmen des Rates dafür einsetzen, die neue Institution zu konsolidieren. Leider untergräbt das ostentative Streben der Vereinigten Staaten nach einem besseren Ergebnis diesen positiven Kompromiss, der heute erzielt worden ist. Es ist höchste Zeit, die fundamentalen humanistischen Werte über politische Ziele zu stellen.
Cecilia Malmström, im Namen der ALDE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Dieser Tag, an dem wir einen Menschenrechtsrat eingerichtet haben, ist in mehrfacher Hinsicht ein historischer Tag. Das Europäische Parlament hat ja diese Frage bereits früher vorangetrieben, und wir wissen, dass es durchaus möglich ist, die Menschenrechtssituation durch harte und gemeinsame Arbeit zu verändern. Bei dieser Arbeit unterstützen wir die UNO.
Der Beschluss über die Einrichtung des Menschenrechtsrates war einer der wenigen praktischen Beschlüsse, die im September gefasst wurden. Daher ist es sehr erfreulich, dass ein solcher Rat heute tatsächlich existiert und wir mit ihm ein ständiges Organ erhalten haben, das die sechs Wochen intensiver Lobbyarbeit in Genf nun überflüssig macht, während derer, wie Sie ganz richtig sagten, ein ständiger Kuhhandel darüber erfolgte, wer welche Entschließung unterstützen soll. Mit einem ständigen Organ, das die Führung in diesen Fragen übernehmen kann, wird es hoffentlich auch nicht mehr geschehen, dass einige der schlimmsten Schurkenstaaten zeitweise den Vorsitz bei den Sitzungen in Genf innehaben, wie in der Vergangenheit geschehen.
Ich teile auch die Einschätzung, dass dieser Rat etwas schwächer ist als erhofft, und stimme Herrn Coveney darin zu, dass eine Zweidrittelmehrheit besser gewesen wäre. Das derzeit geltende regionale Quotensystem zur Ernennung der Vertreter des Rates wird leider dazu führen, dass auch Staaten, die die Menschenrechte verletzen, vertreten sind. Geheime Abstimmungen und die Möglichkeit, Länder auszuschließen, sind dennoch ein großer Schritt nach vorn.
Ich hoffe, dass die EU in Zukunft einhellig und konsequent sein wird und sich nicht scheut, ein Land, das im Rat sitzt und die Menschenrechte gravierend verletzt, auch beim Namen zu nennen. Denn wenn die EU einig ist, kann sie eine unglaublich entscheidende Rolle in der UNO spielen. Meine Fraktion würde im Laufe der Zeit auch gern einen gemeinsamen europäischen Sitz im UNO-Sicherheitsrat sehen.
Dies ist ein großer Schritt nach vorn. Nun müssen wir uns beweisen, wobei es nicht nur darauf ankommt, in Krisensituationen schnell zu reagieren, sondern auch an weniger medienträchtige Ereignisse wie die permanente Verletzung der Menschenrechte an abgelegenen und etwas in Vergessenheit geratenen Orten zu erinnern. Wenn der Menschenrechtsrat die Rechte dieser Menschen verteidigen kann, sind wir weit vorangekommen.
Hélène Flautre, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Ich freue mich über den Weitblick des Europäischen Parlaments, das diese Aussprache einige Stunden nach der Verabschiedung der Resolution organisiert hat und morgen selbst eine Entschließung verabschieden wird. Wir können gemeinsam unsere große Zufriedenheit und Erleichterung darüber bekunden, dass diese Resolution angenommen wurde. Natürlich ist nicht alles vollkommen: Die Mitglieder des Rates werden nicht mit Zweidrittelmehrheit gewählt; einige Gruppen haben mehr Sitze erhalten; es wurden noch Punkte hinzugefügt. Doch darauf möchte ich nicht näher eingehen.
Nichtsdestoweniger wird mit der angenommenen Resolution ein ständiger Menschenrechtsrat eingesetzt, der einige höchst willkommene Aspekte aufweist. Die Mitglieder werden in geheimer Abstimmung durch die Generalversammlung gewählt. Dieser Rat kann das ganze Jahr über zusammentreten, und zwar mindestens zu drei Tagungen; er kann auf Krisen im Menschenrechtsbereich rasch reagieren; er behält die „Sonderverfahren“ der Vereinten Nationen bei; er gewährleistet die besondere Rolle der NRO, wenngleich in diesem Bereich – das möchte ich hervorheben –, eine Reform der Vereinten Nationen erforderlich ist, um eine bessere Vertretung der unabhängigen NRO zu garantieren, einschließlich derer, die nicht anerkannt sind; dieser Rat führt eine System der obligatorischen Prüfung der Menschenrechtssituation in den Mitgliedstaaten des Rates ein. All dies sind positive Punkte. Mit diesem Rat wird zugleich die Möglichkeit eingeführt, einen Staat, der sich Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat, mittels einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Vollversammlung auszuschließen. Diese Punkte standen im Mittelpunkt der Forderungen des Parlaments und der Europäischen Union und wurden von uns allen entschieden vertreten.
Was die verbleibende 62. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission betrifft, so wird sie wahrscheinlich den Charakter einer Übergangstagung erhalten, die im Wesentlichen die Aufgabe hat, die Dossiers an den Menschenrechtsrat zu übergeben. Ich möchte jedoch die Staaten aufrufen, wachsam zu bleiben und die Abstimmung über wichtige Fragen zu gewährleisten, wie die Verabschiedung des Entwurfs für eine internationale Konvention zum Schutz aller Opfer von Zwangsverschleppungen, die Erklärung über die indigenen Völker und die Erneuerung der Mandate, wie das der Sonderbeauftragten für Menschenrechtsverteidiger.
Vittorio Agnoletto, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Resolution, die heute von der Organisation der Vereinten Nationen angenommen wurde, stellt einen enormen Fortschritt dar. Bisher galt ein System doppelter Standards. Es geht nicht an, dass Russland nie für das unmenschliche Vorgehen seiner Sondereinheiten in Tschetschenien verurteilt wurde; es kann nicht hingenommen werden, dass China niemals für die erbarmungslose Unterdrückung der Grundrechte des tibetanischen Volkes verurteilt wurde; es ist unannehmbar, dass die USA sich nicht für ihr Vorgehen im Irak verantworten müssen, dessen völkerrechtswidrige Okkupation über 100 000 Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert hat. Was soll man des Weiteren zu Israel sagen, das ungesetzliche Kollektivstrafen gegen die palästinensische Bevölkerung verhängt, obwohl diese nach Maßgabe internationaler Übereinkommen ausdrücklich verboten sind? Die Staatsraison kann keine Rechtfertigung dafür sein, dass Millionen von Männern, Frauen und Kindern in der ganzen Welt ihre Rechte vorenthalten werden.
Die Europäische Union muss mehr Entschlossenheit in dieser Sache zeigen: schließlich stehen unsere Glaubwürdigkeit und unsere Politik zur Förderung der Menschenrechte auf dem Spiel. Es genügt nicht, gegen die Länder zu protestieren, die nicht durch – oftmals fragwürdige – internationale Bündnisse geschützt sind. Die Menschenrechte sind in den Kodizes verankert: die rechtlichen Verträge gelten für alle, besonders für die Starken.
Der Todesstoß wurde der Glaubwürdigkeit der inzwischen zu Grabe getragenen Genfer Menschenrechtskommission dadurch versetzt, dass in dieser Institution Regierungen vertreten waren, die Diktaturen repräsentieren und ihre institutionelle Position in der UNO genutzt haben, um Kritik an ihrer Politik und ihrem Verhalten zu vereiteln. Mit welchem Recht kann beispielsweise die sudanesische Regierung heutzutage Mitglied der UN-Menschenrechtskommission sein? Daher befürworte ich all die angekündigten Reformen, in deren Rahmen die Genfer Kommission in einen kleineren Menschenrechtsrat umgestaltet werden soll.
Ich begrüße die soeben eingetroffene Meldung, dass die UNO trotz des Widerstands der USA die Resolution über radikale Reformen dieses Organs verabschiedet hat. Ich pflichte den Anregungen der Entschließung, die wir morgen annehmen werden, insbesondere insofern bei, als darin bekräftigt wird, dass nur solche Länder im zukünftigen Menschenrechtsrat Mitglied werden können, die nachweisen, dass sie die Grundrechte achten. Darüber hinaus müssen wir den internationalen NRO, die wirklich demokratisch und unabhängig sind, durch die Schaffung eines UN-Komitees für NRO eine wichtigere Rolle zuerkennen, in deren Rahmen sie als Impulsgeber und Kritiker des UN-Menschenrechtssystems wirken sollten.
Inese Vaidere, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Meine Damen und Herren! Das Ziel der UN-Reformen und insbesondere der Änderungen an der Menschenrechtskommission bestand in der Schaffung von Institutionen, die besser sind, nicht genau so und nicht schlechter. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden, und gerade wurde der Menschenrechtsrat gebildet, der an sich etwas Gutes darstellt. Die gegenwärtige Lösung jedoch, nach der in der Generalversammlung nur eine einfache Mehrheit erforderlich ist, damit ein Staat in den Rat gewählt wird, drei Viertel der Anwesenden aber für einen Ausschluss aus dem Rat stimmen müssen, ist ein sehr fauler Kompromiss. Nach dieser Methode besteht keine Sicherheit, dass Staaten, in denen offenkundig gegen die Menschenrechte verstoßen wird, keinen Zutritt zum Rat haben. Es wird sogar schwerer sein, solche Staaten aus dem Rat zu entfernen. Es besteht also die Möglichkeit, dass Staaten, die die Menschenrechte nicht achten, weiterhin im Rat tätig sind und ihn in Misskredit bringen. Die Vereinbarung, dass der Rat jetzt nicht sechs, sondern zehn Wochen im Jahr tagt, gibt auch noch keinen Anlass zu Optimismus. Diese Kompromisse lassen daran zweifeln, dass die Position Europas in der Frage der UN-Reform mit ausreichendem Nachdruck vertreten worden ist. Wenn wir in der Europäischen Union die Prozesse auf dem Gebiet der Menschenrechte nicht lenken, wird es kein anderer tun. Die Europäische Kommission sollte daher die größtmögliche Unterstützung für weitere geeignete Reformen in der Menschenrechtsinstitution der Vereinten Nationen sowie für die Wahl von solchen Staaten in den Rat mobilisieren, die ihn nicht in Misskredit bringen, sondern ein solides Fundament für eine wirksame Arbeit in der Zukunft legen.
Francisco José Millán Mon (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Das Schlussdokument des Gipfels der Vereinten Nationen vom September legte die Grundlagen, in einigen Fällen die Mindestgrundlagen, auf denen sich die institutionellen Reformen gründen würden.
So war es beim Rat für Menschenrechte: Man einigte sich lediglich über seine Einrichtung, der Rest blieb offen. Es war schwierig, in wenigen Monaten eine Vereinbarung über die Bildung des Gremiums zustande zu bringen, das die diskreditierte Kommission für Menschenrechte ablösen sollte.
Der endgültige Vorschlag von Präsident Eliasson, der bei der Abstimmung in New York eine breite Mehrheit fand, ist das Ergebnis schwieriger Verhandlungen. Der Vorschlag war nicht ideal – Europa hätte sich mehr gewünscht –, aber es wird ein neues Gremium geschaffen, das besser ist als das, was wir zurzeit haben.
Die Mitglieder des neuen Rates werden von der Versammlung mit absoluter Mehrheit gewählt, das heißt, es sind mindestens 96 Ja-Stimmen erforderlich. Darüber hinaus werden alle Mitglieder des Rates während ihres Mandats einer Überprüfung unterzogen, und wie gesagt wurde, ist es auch möglich, sie zu suspendieren. Weiterhin werden die Sitzungen, wie wir gefordert haben, viel häufiger stattfinden und eine wesentlich längere Dauer haben als die der jetzigen Kommission für Menschenrechte.
Der neue Rat stellt somit einen klaren Fortschritt im Vergleich zum UNHCHR dar. Dennoch bedauere ich es, dass die Quote der Länder, die der Westeuropa-Gruppe zugeteilt wurden, geringer ausfällt als das Kontingent, das wir in der Kommission hatten.
Herr Präsident, ich hätte mir gewünscht, dass dieser Vorschlag von Herrn Eliasson durch Konsens angenommen worden wäre, doch letztendlich ist er zur Abstimmung gestellt worden. Ich bedauere sehr, dass die USA dagegen gestimmt haben. Sie sind ein entscheidendes Land in den Vereinten Nationen, und ich hatte gehofft, dass die Initiativen, um ihre Unterstützung für den Vorschlag von Herrn Eliasson zu gewinnen, Erfolg gehabt hätten und der neue Rat schließlich mit dem Rückhalt Washingtons gebildet worden wäre. Doch ich freue mich, dass ihre konstruktive Zusammenarbeit mit dem neuen Rat auf jeden Fall gesichert ist.
Des Weiteren werden die Arbeit und das Wirken des Rates nach fünf Jahren überprüft, was uns in die Lage versetzen wird, die Mängel des neuen Mechanismus zu überwinden: Dies ist eines der ehrgeizigsten Ziele des Schlussdokuments des September-Gipfels.
Herr Präsident, die Bekämpfung der Armut wird in diesem Dokument als Priorität behandelt, und ich möchte darauf hinweisen, dass die Armut, wie dieses Parlament schon festgestellt hat, als Verstoß gegen die Menschenrechte betrachtet werden sollte, da sie die Menschenwürde verletzt und den Menschen andere Grundrechte versagt.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Herr Präsident! Die UN-Vollversammlung hat heute die Bildung eines Rates für Menschenrechte beschlossen, der an die Stelle der kompromittierten UN-Menschenrechtskommission treten soll.
Der neue Rat der UNO wird vielen Kriterien im Hinblick auf die wirksame Überwachung der Menschenrechte und eine entsprechende Reaktion auf eine Verletzung dieser Rechte in der ganzen Welt nicht gerecht. Dennoch bedeutet er einen Schritt vorwärts auf dem Weg zur Schaffung einer neuen internationalen Struktur, die auf der Achtung der Grundrechte und politischen Freiheiten fußt. Die Bildung des Rates wurde von Friedensnobelpreisträgern wie auch von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch oder Open Society Institute und Soros Foundation Network unterstützt.
Die Europäische Union sollte nun in dem Menschenrechtsrat der UNO eine wichtige Rolle übernehmen. Das Europäische Parlament hat die Chance, den Rat in seinen Bemühungen um die Errichtung eines neuen weltweiten Systems zum Schutz der Menschenrechte zu unterstützen und hierbei eine führende Rolle zu spielen. Als Partner im transatlantischen Dialog sollte die Europäische Union die Vereinigten Staaten davon überzeugen, enger mit dem Menschenrechtsrat zusammenzuarbeiten und weitere Maßnahmen zur Reform der UNO zu unterstützen. Die USA gehören zu den vier Staaten, die gegen die Bildung des Rates gestimmt haben.
Frithjof Schmidt (Verts/ALE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir Ende September letzten Jahres über den Reformgipfel der Vereinten Nationen gesprochen haben, war einer der wenigen wirklichen Erfolge, die wir bilanzieren konnten, dass die diskreditierte Menschenrechtskommission durch einen neuen Menschenrechtsrat ersetzt werden sollte. Nur stand noch nicht fest, wie er zusammengesetzt sein soll und wie die Verfahren sind. Es wäre für die Sache der Menschenrechte, aber auch für die Vereinten Nationen wirklich eine schwere Niederlage gewesen, wenn wir bei dem Versuch gescheitert wären, diese diskreditierte Kommission rechtzeitig durch einen neuen Menschenrechtsrat zu ersetzen.
Deswegen ist das heute ein wichtiger Erfolg der langen Verhandlungen, auch von Präsident Eliasson. Wir gratulieren ihm dazu, denn es gibt wirklich Verbesserungen. Es ist immerhin so, dass jetzt die Mitglieder dieses neuen Menschenrechtsrates geheim gewählt werden müssen, d. h. durch mindestens 96 Staaten. Es können Mitglieder aus dem Menschenrechtsrat per Zweidrittelmehrheit wieder ausgeschlossen werden, wenn sie gravierende Menschenrechtsverletzungen begehen. Es muss mindestens dreimal jährlich getagt werden. Es gibt jetzt mehr Kontinuität in der Arbeit, und es gibt eine regelmäßige Überprüfung der Menschenrechtslage in allen UN-Mitgliedstaaten. Das sind fünf wichtige Erfolge. Deswegen war es aus meiner Sicht ganz unverständlich, dass die Vereinigten Staaten versucht haben, dies zu blockieren.
Herr Winkler, es waren ja nicht nur positive Forderungen der Vereinigten Staaten, sondern es war auch die Forderung, dass die fünf Sicherheitsratsmitglieder privilegiert bleiben sollten, dass sie sozusagen ohne Wahl im Menschenrechtsrat bleiben sollten. Das wäre, wenn man an die Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China denkt, ein schwerer Fehler gewesen. Es ist gut, dass das heute per Abstimmung so durchgesetzt wurde.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Die Abschaffung der UN-Menschenrechtskommission und die Einrichtung eines Rates mit weit weniger Mitgliedern dient dazu, Länder, die sich den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union bzw. anderen imperialistischen Mächten nicht unterordnen, auszuschließen und die Möglichkeit zu haben, sie auszustoßen. Das Ziel besteht darin, einen willfährigen Rat zu haben, der zu einer Institution umgewandelt werden kann, die parteiisch und mit Rücksicht auf die imperialistischen Ambitionen über Menschenrechtsverletzungen richtet. Im Namen der Verteidigung der Menschenrechte werden somit also Entscheidungen auf Bestellung den Vorwand für verschiedene Interventionen, ja sogar für Krieg bieten.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in der Tat viel für die Menschenrechte getan: Sie haben, von Hiroshima und Nagasaki über Vietnam bis hin zum Irak heute, zig Millionen Menschen ermordet. Darin besteht ihr Beitrag. Um mit Brecht zu sprechen – denn die Zeit ist kurz –, der in etwa schrieb, wenn die Imperialisten vom Frieden reden, dann rüsten sie zum Krieg, würde ich sagen, wenn Sie heute vom Schutz der Menschenrechte reden, dann planen Sie, Ihnen den Garaus zu machen, wie Sie es tagtäglich tun.
Es gibt jedoch keinen Menschenrechtsrat, keine Kommission bzw. keine UNO, die den Kampf der Völker gegen ihre Unterjochung verhindern können.
Jana Hybášková (PPE-DE). – (CS) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Ich hätte diese Aussprache, die heute vielleicht etwas überfällig ist, gern schon früher gesehen, aber wir alle teilen eine große und endgültige neue Hoffnung und begrüßen natürlich alle die Bildung des neuen Rates. Vor allem gratulieren wir dem schwedischen Präsidenten der Generalversammlung, nicht nur für seine Bemühungen bei den Verhandlungen zwischen den Mitgliedsländer der Vereinten Nationen, sondern vor allem dafür, wie er die freiwilligen Organisationen des Nichtregierungssektors, die ihm jetzt so große Unterstützung gewähren, erfolgreich zusammengeführt hat. Natürlich begrüßen wir die längeren Lobbyzeiten in Genf. Wir hoffen, dass die in den letzten Wochen beobachteten Verbesserungen in den transatlantischen Beziehungen nicht getrübt werden und es sich als möglich erweisen wird, das gegenwärtige Abstimmungsverhalten zu überwinden. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, dass die EU mit einem klaren, einheitlichen Standpunkt aufgetreten ist, den die gesamte entwickelte Welt teilt. Allerdings hat die Welt der Entwicklungsländer die Mehrheit inne.
Trotz allen Geredes über den Verlust der Zivilisation ist es klar, dass sich der neue Rat uneingeschränkt an den Grundsatz der Universalität der Menschenrechte halten muss, nach dem für jede einzelne Frau und jeden einzelnen Mann dieselben Regeln gelten. Es kommt immer ans Licht, ob die Menschenrechte eingehalten oder verletzt worden sind, und bei dieser Vorprüfung wird der Rat eine ganz wichtige Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist auch das Instrument des Ausschlusses von großer Bedeutung, selbst wenn es eine Zweidrittelmehrheit erfordert, und meiner Ansicht nach ergibt sich daraus eine neue Möglichkeit für die europäische Außenpolitik, eine neue Möglichkeit, die Verletzung von Menschenrechten als ein Problem, das von einem mangelhaften Funktionieren einiger Staaten herrührt, auch wirklich zur Sprache zu bringen. Frau Kommissarin, ich hoffe, wir und vor allem Sie haben den Mut, deutliche Schritte zur Einhaltung der universellen Menschenrechte in der ganzen Welt zu unternehmen.
Richard Howitt (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich war letztes Jahr als Mitglied der Delegation des Parlaments in der Menschenrechtskommission in Genf und habe selbst erlebt, wie sehr diese Kommission in Verruf geraten war und wie sie in ihren Verfahren von Ländern unter Druck gesetzt wurde, die selbst die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Deshalb begrüße ich wie alle Mitglieder dieses Hauses heute Abend die Einrichtung des neuen Menschenrechtsrates. Ich glaube, dass dieser Rat ein Schritt in die richtige Richtung ist, weil er das ganze Jahr über zusammentreten wird, weil seine Mitglieder mit absoluter Mehrheit von der UN-Generalversammlung gewählt werden, weil es einen Mechanismus zum Ausschluss von Mitgliedern geben wird, die gegen die Menschenrechte verstoßen, und weil die bisherige Regelung des Zugangs von Nichtregierungsorganisationen beibehalten wird.
Ich bin sehr stolz auf die Rolle, die wir als Mitglieder des Europäischen Parlaments am Rande des Prozesses gespielt haben. Bei unserem Treffen mit der Menschenrechtskommissarin, Louise Arbour, in Genf und bei ihrem Gegenbesuch bei uns in Brüssel haben wir ihre Vorschläge für das jetzt beschlossene allgemeine regelmäßige Überprüfungsverfahren ausführlich erörtert, das, wie es heißt, eine sehr viel genauere und objektivere Überprüfung der Menschenrechtspraxis in allen Ländern ermöglichen wird.
Wir haben in unseren Entschließungsanträgen immer wieder eingefordert, dass nur Länder als Mitglieder in den Menschenrechtsrat aufgenommen werden dürfen, die Besuche von Sonderberichterstattern auf ihrem Staatsgebiet jederzeit zulassen, ohne dass es hierfür einer gesonderten Billigung bedarf. Dieser Punkt ist Bestandteil der heutigen Regelung. Der Sudan, Saudi Arabien, Nepal und Simbabwe werden und sollten diesem neuen Rat nicht angehören.
Diese UN-Reform wurde auf dem Millenniumsnachfolgegipfel auf den Weg gebracht und erfolgt zu einem Zeitpunkt, der für die Verteidigung des Grundsatzes des Multilateralismus in unserer Welt von historischer Bedeutung ist. Wir im Europäischen Parlament sollten eine Botschaft an die USA – nicht nur an die Regierung, sondern an das amerikanische Volk – senden. Diese Botschaft lautet, dass die USA ganz gleich, ob es nun den Menschenrechtsrat, Kyoto, den Internationalen Strafgerichtshof oder den Grundsatz des Multilateralismus selbst betrifft, weltweit in eine tiefe und gefährliche Isolation geraten sind und dass diese Rolle der letzten verbliebenen Supermacht nicht ansteht. Wenn die Vereinigten Staaten Mitglied in diesem neuen Rat werden wollen, müssen sie ungehinderten Zugang zum Gefangenenlager Guantánamo Bay gewähren. Ich bin gespannt, ob die USA ihren Kurs beibehalten werden.
Milan Horáček (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich möchte mich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern anschließen. Es ist wichtig, dass entschieden wurde, dass dieser Menschenrechtsrat kein ungeborenes Kind bleibt. Die Wahrung der Menschenrechte im klassischen Sinn ist einer der Grundpfeiler unseres europäischen Werteverständnisses, das durch die Neuschaffung dieses Gremiums gestärkt wird.
Der angenommene Vorschlag ist zwar nicht optimal, aber er ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der Menschenrechtskommission, auf die immer noch Staaten Einfluss hatten, die selbst schlimmste Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Es ist ein wichtiger Schritt für die Menschenrechte in der Welt.
Ein arbeitsfähiges Gremium wird in dringenden Fällen schneller eingreifen können und muss Staaten dazu verpflichten, für Menschenrechte einzutreten, für sie zu kämpfen und sie zu fördern. Mit einer Blockade hätte die Weltgemeinschaft im Kampf gegen Menschenrechtsverbrechen an Glaubwürdigkeit verloren.
Deshalb ist es sehr gut, dass dieses Projekt nicht gescheitert ist. Dies auch mit Blick auf die wichtige Arbeit der vielen NGOs.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Arbeit der gegenwärtigen UN-Menschenrechtskommission ist von nahezu allen Seiten heftig kritisiert worden. Ihr wurden eine zu starke politische Ausrichtung, Aktionismus und Korruption vorgeworfen. Wir sollten deshalb die ehrgeizigen Versuche, die Kommission zu reformieren und in den Menschenrechtsrat umzugestalten, der in seiner Tätigkeit unabhängiger sein wird, begrüßen.
Obwohl das Ausmaß dieser Veränderungen gut durchdacht zu sein scheint, besteht doch die Gefahr, dass sie in den internationalen Gesprächen über die Vorschläge teilweise wieder eingeschränkt werden. Das Europäische Parlament muss seinen Standpunkt in dieser Frage deutlich machen und die Notwendigkeit dieser Veränderungen für die Förderung und Entwicklung einer Kultur der Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Staatsführung in der ganzen Welt unterstreichen.
Das Wichtigste bei dieser Reform ist, wie das hier bereits gesagt wurde, die Unabhängigkeit des vorgeschlagenen Menschenrechtsrates der UNO. Die Forderung, ihn zu einem der wichtigsten UN-Gremien zu machen, ist ein wesentliches Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.
Was sich wirklich ändern muss, ist das Verfahren zur Wahl der Kandidaten. Sie sollten von der Vollversammlung mit einer Stimmenmehrheit gewählt werden. Das würde die Mitgliedschaft eines Landes, dessen Regierung durch ihr Verhalten Zweifel an ihrer Einstellung zu den Menschenrechten aufkommen lässt, ausschließen. Wichtig ist auch, dass über die Kandidatur jedes Landes abgestimmt wird, selbst wenn es weniger Kandidaten aus einer Region als Sitze gibt, die dieser Region zugeteilt sind. Zu verhindern, dass Länder wie Libyen dort vertreten sind, wie das vor einiger Zeit – bzw. im Falle von Kuba jetzt – gelungen ist, trägt ganz entscheidend dazu bei, dass die UNO ihre Glaubwürdigkeit im Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte in der Welt wiedererlangt. Auch muss die Größe dieser Institution verringert werden, damit sie wirksamere Maßnahmen und Entscheidungen treffen kann.
Die Reform der Menschenrechtskommission ist eine große Chance, um die Menschenrechtssituation in der Welt wesentlich zu verbessern. Wir dürfen darin jedoch keine einmalige Aktion sehen, sondern müssen das als Chance begreifen, einen Prozess stetiger Verbesserung des Systems zum Schutz der Menschenrechte in Gang zu setzen. Das muss in einer Weise geschehen, die gewährleistet, dass dieses System zu einem Mechanismus wird, zu dem die Weltöffentlichkeit Vertrauen hat, der auf die gravierendsten Fälle von Menschenrechtsverletzungen weltweit aufmerksam macht und keinen politischen Zwängen unterworfen ist.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Die Nachrichten aus New York stimmen uns erleichtert und zufrieden. Der vom Präsidenten der Generalversammlung, Herrn Eliasson, vorgeschlagene Kompromiss ist nicht perfekt, aber gut. Die Gründe dafür haben zahlreiche Rednern sowie – in einem Artikel – mehrere Nobel-Preisträger, darunter auch der ehemalige Präsident Jimmy Carter, dargelegt.
Wir sind enttäuscht, dass die Vereinigten Staaten dagegen gestimmt haben, aber nicht überrascht, sind doch die USA – ein Land, das seit jeher so viel für Menschenrechte und für das Völkerrecht bei Menschenrechten und die UNO geleistet hat – derzeit einer Regierung ausgeliefert, der es in dieser Hinsicht an jeglicher Glaubwürdigkeit und Kontinuität mangelt. Diese Regierung wird in die Geschichte als die der Schande der Irak-Invasion, von Guantánamo, von Abu Ghraib und der „Außerordentlichen Überstellungen“ eingehen.
Eleanor Roosevelt und die noblen Verfechter der Menschenrechte müssen sich im Grabe umdrehen. Die Bush-Administration beging einen Fehler, als sie versuchte, die Einrichtung des neuen Rates in Verhandlungen in letzter Minute als Faustpfand zu benutzen. Wir müssen sicherstellen, dass Versuche, die Arbeit des neuen Rates zu boykottieren, keinen Erfolg haben. Es ist Sache der EU, weiterhin eine solide und geradlinige Arbeitsbeziehung mit Herrn Eliasson zu pflegen, und zwar über die österreichische Ratspräsidentschaft sowie über Herrn Solana und Herrn Barroso, deren Stimmen wir zu diesem Thema gern lauter und deutlicher hören würden. Europa muss all seinen erheblichen Einfluss geltend machen, um zu gewährleisten, dass der Menschenrechtsrat so schnell wie möglich arbeitsfähig ist.
Lidia Joanna Geringer de Oedenberg (PSE). – (PL) Herr Präsident! Es ist nicht hinnehmbar, dass es angesichts der alltäglichen Menschenrechtsverletzungen weltweit keine Organisation gibt, die diese Vorfälle verurteilt.
Bedauerlicherweise hat sich die Menschenrechtskommission der UNO in den letzten Jahren zu einem Symbol der Trägheit dieser Organisation entwickelt. Sie war eine Art Klub, in dem Länder wie China, der Sudan, Simbabwe oder Russland vertreten waren, die für ihre Menschenrechtsverletzungen berüchtigt sind. Ihr Hauptziel jedoch bestand darin, jegliche Diskussion über ihre eigenen Aktivitäten zu verhindern.
Der Vorschlag zur Bildung eines Menschenrechtsrates zielt auf die Schaffung einer Institution ab, die rascher auf Krisen in der ganzen Welt reagieren kann und mehr tut, als nur eine symbolische UN-Mission in das in die Kritik geratene Land zu entsenden. Der Plan ist nicht perfekt, aber die Tatsache, dass der Menschenrechtsrat verpflichtet ist, die Lage in jedem seiner Mitgliedstaaten zu bewerten, dürfte zumindest die Menschenrechtsverletzungen verhindern, die bisher von den eigenen Mitgliedern begangen wurden.
Die Bildung eines Menschenrechtsrates ist zweifellos die beste Lösung für das Problem der UN-Kommission, deren Integrität Schaden genommen hat. Die Europäische Union sollte die neue Institution uneingeschränkt unterstützen, damit sie die globalen Aufgaben im Bereich des Schutzes der Menschenrechte erfolgreich erfüllen kann.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich sehr herzlich für die hier zum Ausdruck gebrachten Meinungen. Sie bestätigen im Wesentlichen, dass die Haltung der Europäischen Union richtig war. Die Erwartungen an den neuen Rat sind hoch. Damit dieser Rat diese Erwartungen auch erfüllen kann, bedarf es einer konsequenten Haltung bei der Einsetzung. Nur so kann dieser Rat auch wirklich funktionieren.
Natürlich können wir nicht von heute auf morgen die Gesetze der politischen Realität außer Kraft setzen. Aber ich glaube, wir haben eine Chance. Die Europäische Union muss hierbei eine wesentliche Rolle spielen. Ich danke für die Unterstützung, die Sie hier zum Ausdruck gebracht haben.
Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Wahl der Mitglieder des Menschenrechtsrats von größter Bedeutung ist. Wir alle bedauern es wohl, dass der ursprüngliche Vorschlag der Zweidrittelmehrheit nicht durchsetzbar war. Ich möchte allerdings noch einmal betonen, dass die Selbstverpflichtung der Europäischen Union, von der ich gesprochen habe, nur für Länder zu stimmen, die einen sauberen record haben, was Menschenrechte anbelangt, doch von großer Bedeutung ist. Wir reden hier nicht nur von 25 oder 27 Stimmen, wir reden hier, wenn man die assoziierten Länder, ja, die gesamte Gemeinschaft der demokratischen Staaten einrechnet, doch von einer Größenordnung, die im Stande ist, die Aufnahme von Mitgliedern zu blockieren, die tatsächlich flagrante Menschenrechtsverletzer sind.
Herr Coveney hat gesagt, 47 Mitglieder des neuen Menschenrechtsrates seien zu viele, das Instrument sei zu groß. Darüber kann man diskutieren. Es ist zu bedenken, dass der Menschenrechtsrat immerhin doch einige Mitglieder weniger hat als die Menschenrechtskommission. Angesichts von 191 Mitgliedern der Vereinten Nationen erscheint mir persönlich die Anzahl von 47 durchaus angemessen. Das hat im Übrigen tatsächlich bewirkt, dass die westliche Gruppe einige Sitze weniger hat, was wiederum damit zusammenhängt, dass die Wahl jetzt nicht im ECOSOC, sondern direkt in der Generalversammlung erfolgt. Auch das ist bedauerlich, aber wer A sagt, der muss auch B sagen. Wenn wir ein schlagkräftiges, relativ kleines Instrument haben wollen, müssen wir auch in Kauf nehmen, dass wir einige Stimmen weniger haben.
Mit Herrn Schmidt bin ich eigentlich einverstanden in allem, was er gesagt hat. Die Forderung der Vereinigten Staaten, dass die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates automatisch Aufnahme in den Menschenrechtsrat finden sollten, war ein relativ früher Vorschlag, der in der letzten Phase auch nicht mehr vertreten wurde. Er wäre sicherlich auch nicht von der Europäischen Union unterstützt worden, er war daher von Hause aus nie wirklich mehrheitsfähig.
Frau Flautre hat darauf hingewiesen, dass die wichtigen Dossiers im Zuge der Abwicklung der Arbeit der Menschenrechtskommission noch beendet werden müssen. Selbstverständlich wird die Europäische Union darauf achten, dass die noch offenen Themen abgeschlossen werden, und zwar in einer Art und Weise, die den Menschenrechten nützt, und so, dass diese Dossiers dann auch sofort vom Menschenrechtsrat übernommen werden können.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. (FR) Herr Präsident, verehrte Mitglieder des Parlaments! Die Tatsache, dass der Resolutionsentwurf zur Schaffung des Menschenrechtsrates mit einer solchen Mehrheit angenommen wurde – 70 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen – ist wirklich Grund zu der Annahme, dass dieser Rat eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzen wird.
Es steht außer Zweifel, dass der 9. Mai, der Tag, an dem die Mitglieder des Rates gewählt werden, eine wichtige Etappe in der Entstehungsgeschichte des Rates sein wird. Ich hoffe, dass die Kandidatenländer ihre Bewerbung einen Monat vor der Abstimmung einreichen, wie die Union dies gefordert hat.
Der Menschenrechtsrat soll erstmals am 16. Juni in Genf zusammentreten. Ich hoffe, dass eine Vielzahl von uns an dieser Sitzung teilnehmen wird. Der Menschenrechtsrat ist zwar unbestreitbar ein positives Ergebnis des letzten Gipfels der Vereinten Nationen, doch ist festzustellen, dass vor allem die multilaterale Architektur erfolgreich gefestigt wurde, indem ebenfalls im Dezember 2005 die Kommission für Friedenskonsolidierung gebildet wurde, die gleichfalls bald zusammentreten wird.
Das Jahr 2006 wird sicher ein gutes Jahr für den Multilateralismus werden. In beiden Fällen hat die Union ihr Engagement für effektiven Multilateralismus, ihre Führungsstärke sowie ihre Fähigkeit, auch Einfluss auf die Reform der Vereinten Nationen auszuüben, unter Beweis gestellt. Ich glaube, wir können diesen Weg gemeinsam fortsetzen.
Der Präsident. – Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung vier Entschließungsanträge eingereicht.(1)
14. Garantiert traditionelle Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Aussprache)
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:
– Bericht von Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln (KOM(2005)0694 – C6-0026/2006 – 2005/0270(CNS) (A60033/2006), und
– Bericht von Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (KOM(2005)0698 – C6-0027/2006 – 2005/0275(CNS)) (A6-0034/2006).
Lassen Sie mich an die Adresse der Redner in dieser Aussprache wiederholen, was ich bei der vorigen Aussprache bereits sagte, nämlich dass wir eine sehr lange Nachtsitzung vor uns haben und dass ich daher unnachgiebig hinsichtlich der Einhaltung der Redezeit sein werde. Ersparen Sie mir bitte, disziplinarische Maßnahmen ergreifen zu müssen, indem Sie sich an die Ihnen offiziell eingeräumte Redezeit halten. Diese Bemerkung gilt natürlich nicht für Frau Kroes, der ich jetzt das Wort erteile.
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte zunächst Herrn Graefe zu Baringdorf und den Mitgliedern des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung für ihre Arbeit an den beiden Berichten danken, wobei der erste den Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen und der zweite die garantiert traditionellen Spezialitäten betrifft.
Die Kommission weiß die effiziente Organisation Ihrer Arbeit zu schätzen, die eine Annahme der Berichte innerhalb kurzer Zeit ermöglicht hat. In meiner einleitenden Erklärung werde ich auf beide Berichte eingehen und mich dabei auf den allgemeinen Hintergrund, der zu diesen Kommissionsvorschlägen geführt hat, konzentrieren.
Was den Bericht über den Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen betrifft, so hat die Europäische Gemeinschaft vor fast 14 Jahren eine freiwillige Regelung für geografische Angaben für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel außer Weinen und Spirituosen verabschiedet. Seit 1993 sind über 700 Bezeichnungen eingetragen worden. Weitere 300 Anträge liegen derzeit zur Registrierung vor, was uns eine Vorstellung vom Erfolg dieser Regelung vermittelt.
Angesichts dieses Erfolgs ist das Interesse unserer Handelspartner an dieser Verordnung durchaus nachvollziehbar. Die Schlussfolgerungen des letzten WTO-Panels zu aus den USA und Australien vorgebrachten Fällen verpflichten uns dazu, das EU-System für direkte Anträge und Einsprüche von Staatsbürgern aus Drittländern zu öffnen.
Das zentrale Anliegen des Ihnen vorliegenden Vorschlags besteht darin, die Erfüllung der Schlussfolgerungen des Panels sicherzustellen. Unsere Erfahrungen mit der Abwicklung des Anmeldeverfahrens haben gezeigt, dass das derzeitige System für die Zusatzbelastung direkter Anträge von Unternehmern aus Drittländern nicht ausgelegt ist. Aus diesem Grund mussten wir das System rationalisieren und es effizienter machen.
Wenn wir die WTO-Vorschriften einfach erfüllen, ohne die Effizienz unseres Systems zu erhöhen, könnte das gesamte Zulassungsverfahren zum Erliegen kommen. Hinzugefügt sei, dass die Verfahren für Bezeichnungen aus Drittländern und der EU so ähnlich wie möglich gestaltet werden sollten, um das Risiko einer erneuten Beschwerde bei der WTO zu vermeiden.
Der Umfang der laut WTO-Schiedsspruch geforderten Änderungen hat uns alle überrascht. Die Gemeinschaft ist in der entscheidenden Frage der Marken zwar als Siegerin aus dem Panel hervorgegangen, hat jedoch in den Verfahrensfragen verloren. Ferner haben wir eine klare Strategieänderung aufgenommen, und zwar die Förderung der Verwendung von Gemeinschaftslogos zur Verbesserung der Glaubwürdigkeit des Systems. Abgesehen davon liegen jedoch keine strategischen Initiativen vor, da der Vorschlag vor allem darauf abzielt, den WTO-Schiedsspruch fristgerecht umzusetzen.
Bei den zahlreichen Forderungen und Vorschlägen zu politischen Maßnahmen, die in den im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung angenommenen Änderungsanträgen aufgeführt werden, handelt es sich um Fragen, für deren angemessene Behandlung mehr Zeit angesetzt werden muss.
Ich darf mich nun dem zweiten Vorschlag zuwenden, in dem es um garantiert traditionelle Spezialitäten geht. Trotz der geringen Anzahl registrierter Erzeugnisse haben einige Erzeuger ihr Interesse an dieser Verordnung bekundet. Es sind lediglich 50 Bezeichnungen als garantiert traditionelle Spezialitäten registriert, wobei 19 Anträge auf Gemeinschaftsebene anhängig sind und einige weitere noch in den Mitgliedstaaten geprüft werden. Diese Verordnung ist seit ihrer Verabschiedung im Jahre 1992 nicht geändert worden. Das Verfahren ist weder für 25 noch für 27 Mitgliedstaaten ausgelegt und auch nicht für eine große Anzahl von Anträgen geeignet.
Nicht weniger wichtig ist es, den Inhalt der Anträge zu rationalisieren und zu standardisieren, um die Verfahren effizienter zu gestalten und dafür zu sorgen, dass Erzeuger, die sich an Qualitätssicherungsprogrammen beteiligen möchten, nicht enttäuscht werden, weil Genehmigungsverfahren mehrere Jahre dauern.
Außerdem halte ich es für wichtig, eine Reihe von Unstimmigkeiten zu korrigieren und seit 1992 erzielte wesentliche Fortschritte bei der legislativen Qualitätssicherung zu berücksichtigen. Gleichzeitig schlagen wir Vereinfachungen und Klarstellungen sowie weitere Verbesserungen vor, die mit den Vorschlägen für geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen identisch sind.
Wir möchten mit dieser Verordnung absolut klarstellen, dass die WTO-Vorschriften eingehalten werden, um gegen jedwede Kritik gefeit zu sein.
Zum Schluss möchte ich bemerken, dass diese Vorschläge mit der WTO konform gehen und ein beschränktes, jedoch notwendiges Haushalten einführen, das der Straffung und Vereinfachung der Verfahren dient. Damit können wir das System stärken und den Interessen der Erzeuger und Verbraucher besser dienen, die sich auf Bezeichnungen verlassen. Wir haben jedoch auch angesichts der WTO-Frist zum 3. April 2006 keine weiterreichenden Strategieänderungen vorgeschlagen. Diese werden wir im Rahmen einer umfassenden Erörterung der Politik der landwirtschaftlichen Qualität angehen.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Verts/ALE), Berichterstatter. – Herr Präsident! Frau Kommissarin, ich freue mich, dass Sie heute bei der Aussprache über diesen Bericht die Kommission vertreten. Ihre Kollegin, Frau Fischer Boel, kann nicht anwesend sein. Das soll uns aber nicht daran hindern, zu einer guten Diskussion zu kommen.
Sie haben davon gesprochen, dass dies nicht der Beginn einer legislativen Auseinandersetzung ist, sondern dass wir auf eine Anforderung der WTO reagieren. Bereits vor 14 Jahren, 1992, ist diese legislative Qualitätssicherung auf den Weg gebracht worden. Aber natürlich war das, Frau Kommissarin, nicht der Beginn der Qualitätserzeugung in den Bereichen, die dann geschützt wurden, sondern die Frage der Produkte, die hier zur Debatte stehen, ist ähnlich wie beim biologischen Landbau längst und über Jahrzehnte von den Erzeugern auf den Markt gebracht und von den Verbrauchern und Verbraucherinnen aufgenommen worden. Dann ist harmonisiert worden, es ist gestrafft worden, es hat eine Klärung und eine Absicherung gegeben.
Wir haben, wenn es um Qualitätspolitik geht, in der Agrarwirtschaft nur zwei Bereiche, die sich als Qualität ausweisen. Das sind ebendieser Bereich, den wir heute besprechen, und der biologische Landbau. Alles andere fällt unter den Begriff Lebensmittelsicherheit. Hier aber drücken wir ausdrücklich die Qualität aus und setzen darauf den Fokus.
Sie haben schon erwähnt, das ist keine Lappalie, sondern ein Milliardengeschäft. Hier kann in den Regionen und in den Betrieben durch einen Schutz, der ihnen für diese geografischen oder Ursprungsbezeichnungen oder Spezialitäten gewährt wird, ein echter Mehrwert geschaffen werden. Dass diese höhere Wertschöpfung, die sich daraus ergibt, aber auch Begehrlichkeiten weckt, ist verständlich.
Wir haben zum einen die Auseinandersetzung insbesondere mit den USA – und wenn ich USA sage, meine ich die großen Multis –, die sehr aufmerksam darauf schauen, ob sie das, was hier jetzt als Ursprungsbezeichnungen geschützt wird, nicht als Marken in ihr Imperium übernehmen können. Genau wie Coca Cola möchten sie Feta-Käse, Parmesan, Spreewaldgurken, Karlsbader Oblaten, Thüringer Rostbratwurst, aber auch den Tiroler Speck – sowohl den österreichischen als auch den Südtiroler Speck – in ihre Marken aufnehmen, nicht, weil sie das besonders schön finden, sondern weil daran zu verdienen ist. Deswegen sind sie auch in die Auseinandersetzung in der WTO gegangen, und jetzt reagieren wir darauf.
Das Gute an der Auseinandersetzung ist, dass die WTO zunächst einmal vom Grundsatz her gesagt hat, dass ihre und unsere Regeln konform sind. Was nicht konform ist oder wo nachgebessert werden muss, ist die Frage des Zugangs der Drittländer zu diesen geschützten Qualitätsbezeichnungen. Das holen wir hier nach, und ich finde das auch vernünftig.
Lassen Sie mich aber auch noch darauf hinweisen, dass es eine andere Begehrlichkeit in dieser Frage gibt. Wenn man zum Beispiel Parmaschinken oder Tiroler Speck herstellt, dann könnte man ja meinen: Wenn man jetzt die Schweine auf dem allgemeinen Markt kauft, dann sind sie billiger, als wenn wir sie in der Region erzeugen müssen oder eine spezielle Ausrichtung in den Regionen, aus denen wir sie beziehen, vorschreiben, weil das natürlich eine Verteuerung der Produktion bringt.
Wenn wir das aber nicht tun, laufen wir Gefahr, dass wir in der internationalen Auseinandersetzung, in den WTO-Diskussionen – die Multis werden damit noch lange nicht Ruhe geben – in eine Beliebigkeit kommen, dass wir unsere eigenen Qualitätsbezeichnungen aushöhlen und damit irgendwann den Schutz verlieren. Dann war es ein verdammt zweifelhaftes Geschäft, wenn man meint, man könnte die Rohstoffe billiger kaufen. Deswegen haben wir festgelegt und wollen es festlegen, dass hier eine besondere Beziehung zwischen den Regionen bestehen muss.
Ich möchte zum Schluss noch etwas zum Verfahren sagen. Sie wissen auch, Frau Kommissarin, dass der Rat bereits beschlossen hat. Wir diskutieren hier wieder einmal, obwohl schon alles entschieden ist, und das ist nicht zulässig. Sie haben die Diskussion abzuwarten. Ich hoffe, dass wir das in der Verfassung auch deutlich machen können, wenn sie denn einmal durch ist.
Wir haben uns überlegt, ob wir hier nicht aus reinem Ärger eine Rückverweisung in den Ausschuss vornehmen sollten, weil wir wieder einmal hintangestellt worden sind und Sie auf unsere inhaltlich qualifizierte Arbeit überhaupt keine Rücksicht nehmen. Wir sind aber der Ansicht, dass wir dann in dem WTO-Verfahren nach außen hin Uneinigkeit demonstrieren würden und andere sagen könnten: Aha, die sind sich nicht einmal selbst einig. Wir sind dafür, dass wir die EU-Position stärken und absichern. Deswegen lassen wir es durchgehen, möchten aber in einigen Punkten doch einmal deutlich machen, wo der Rat Schwächen zeigt, und bitten Sie als Kommissarin dann, das auch zu vermitteln, damit Sie bei Ihren Entscheidungen noch einmal überlegen.
(Beifall)
Giuseppe Castiglione, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, Frau Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Geografische Angaben und traditionelle Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln sind ein wichtiges Instrument für die Entwicklung von Qualitätserzeugnissen und deren Nachhaltigkeit.
Insgesamt bewerte ich die Arbeit der Kommission als überaus positiv: Da die Überprüfung der Anträge auf zwei Ebenen erfolgen soll – auf nationaler und auf Gemeinschaftsebene –, musste auf jeden Fall deren Koordinierung gewährleistet werden.
Meiner Überzeugung nach wird durch die den Mitgliedstaaten übertragene größere Verantwortung, die für das Verfahren vorgesehenen konkreten Fristen und die neue Einspruchsregelung dem Erfordernis einer schnelleren und effizienteren Anerkennung bzw. einer zügigen, aber zugleich auch vollständigen Prüfung als wichtigstem Kriterium Genüge getan.
Angesichts der Möglichkeit des Zugangs von Drittstaaten zum europäischen Schutzsystem für Agrarerzeugnisse muss der Verbraucher davor bewahrt werden, eine falsche Verbindung zwischen den Gemeinschaftszeichen und der tatsächlichen Herkunft des Erzeugnisses herzustellen. Die Angabe der Ursprungsbezeichnung auf dem Etikett zusammen mit dem unterschiedlichen Farbcode der Gemeinschaftslogos sowie die erforderliche Genehmigung der Verwendung der entsprechenden Angaben für Verarbeitungserzeugnisse sind durchweg Neuerungen, die eine besseren Verbraucherschutz gewährleisten. Zudem bin ich der Auffassung, dass die Erzeuger durch diese Maßnahmen angespornt werden, die Zeichen exzellenter Produkte besser und stärker zu nutzen und dabei weiterhin die von der Europäischen Union geförderte Strategie der Lebensmittelqualität zu verfolgen.
Schließlich unterstütze ich die Änderungsanträge 48 und 50, die die Mitwirkung der regionalen Behörden bei der Prüfung auf nationaler Ebene sowie einen höheren Schutz der geschützten Ursprungsbezeichnung (g.U.) und der geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) im Vergleich zu anderen Schutzarten wie den Marken ermöglichen sollen. Ich hoffe, die Damen und Herren Abgeordneten werden sich morgen meinem Standpunkt anschließen und diese beiden Änderungsanträge annehmen.
Abschließend möchte ich der Kommission danken – und hier schließe ich mich den Worten meines Vorredners an –, dass sie diese Verfahren und die Anerkennung der Qualitätserzeugnisse vom Parlament prüfen lassen wollte, womit sie einem allgemeinen Erfordernis zügigen Handelns, aber auch und vor allem dem Schutz der Erstklassigkeit der ländlichen Gebiete Europas gerecht wird.
María Isabel Salinas García, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Wie der Berichterstatter ganz richtig sagte, glaube auch ich, dass die Qualität das große Plus der europäischen Landwirtschaft ist.
Angesichts des globalen Marktes, der uns durch die sehr niedrigen Arbeitskosten, die ungenügenden Anforderungen an Umwelt und Hygiene – mit anderen Worten, durch niedrigere Kosten – zu immer mehr Wettbewerb zwingt, müssen wir uns, wie ich meine, durch Qualität hervorheben. Wir benötigen daher eine garantierte und zertifizierte Qualität durch ein einfacheres und leicht erkennbares System, in das die Verbraucher innerhalb und außerhalb Europas Vertrauen haben – und daran arbeiten wir.
Des Weiteren ist es wichtig, dass diese Bezeichnungen außerhalb der Union, in der WTO, anerkannt werden, sodass wir einen Markt mit qualitativ hochwertigen landwirtschaftlichen Produkten errichten können. Daran arbeiten wir, und nach meiner Auffassung stützt die Arbeit, die im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung geleistet wurde, diese Position.
Die erste große Aufgabe, vor der wir stehen, ist die weitere Stärkung des Systems unserer Verbraucher und Erzeuger. Wir benötigen ein agileres System, mit klar definierten Fristen und Verfahren, in dem die Zuständigkeiten entsprechend zugewiesen sind. Ich glaube, dass die Art und Weise, in der der Sektor dies selbst versteht, genauso wichtig ist wie die Art und Weise, in der die Verbraucher es wahrnehmen, und es müssen die wirtschaftlichen Vorzüge eines qualitativ hochwertigen Marktes aufgezeigt werden: die Sicherheit eines Bezeichnungssystems, das die Produkte entsprechend kontrolliert, die die festgelegten Bedingungen nicht erfüllen, und ein zügiges und nicht zu stark belastendes Verfahren.
Meiner Ansicht nach ist das Thema, das wir gerade behandeln, sehr wichtig, vor allem für Länder wie meins, die Pioniere der ökologischen Landwirtschaft sind. Wie ich sagte, verdient dieses Thema meiner Meinung nach gründlichere Überlegungen, und wir müssen sie anstellen, sobald die Forderungen der WTO – und das muss so schnell wie möglich geschehen – erfüllt sind, indem der Zugang von Produkten aus Drittländern zum System vereinfacht wird.
Während der nachfolgenden Prüfung und Reflexion, die in diesem Haus stattfinden werden, halte ich es für unumgänglich, den Sektor zu hören und und seinen Belangen Aufmerksamkeit zu schenken, wobei wir stets daran denken müssen, dass unsere Produkte und unsere Qualität für den globalen Markt bestimmt sind, denn dies sind die Werte einer wirklich wettbewerbsfähigen europäischen Agrar- und Ernährungswirtschaft.
Jan Mulder, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Herr Graefe zu Baringdorf hat seine Aufgabe als Berichterstatter wieder mit dem üblichen Enthusiasmus erfüllt, wozu ich ihn beglückwünschen möchte. Seinen Schlussfolgerungen pflichte ich im Wesentlichen bei. Angesichts der zunehmenden Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten bedarf es in verstärktem Maße der internationalen Anerkennung von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel. Seine Schlussfolgerungen sind mithin vollkommen begründet.
Wichtig in meinen Augen ist außerdem die exakte Definition dessen, was eine geografische Angabe in Europa selbst beinhaltet. Herr Graefe zu Baringdorf führte als Beispiel den Parmaschinken an, der auch aus dieser Region stammen müsse. Ich habe mich stets darüber gewundert, dass der größte Hersteller vom Edamer Käse nicht die Niederlande sind, sondern Deutschland, und dieser Zustand sollte meiner Ansicht nach geändert werden.
Wenn wir dies in der WTO regeln – und erfreulicherweise stimmt der Berichterstatter mit mir darin überein – und von den andern verlangen, dass sie unsere Produkte anerkennen, erscheint es mir eine Selbstverständlichkeit, dass wir ihre Erzeugnisse ebenfalls anerkennen. Nicht ganz konform gehe ich mit Herrn Graefe zu Baringdorf, wenn er sagt, im Augenblick gebe es nur zwei Qualitätskategorien landwirtschaftlicher Erzeugnisse in der Europäischen Union, nämlich Produkte mit geografischen Angaben und diejenigen aus biologischem Landbau. Möglicherweise ist dies momentan der Fall, doch muss wesentlich weiter gegangen werden.
Notwendig ist die Einführung eines europäischen Qualitätskennzeichens für Agrarerzeugnisse. Wenn wir von unseren Landwirten die Einhaltung von Tierschutznormen, Umweltzielen und dergleichen fordern, wäre es ausgesprochen unfair, von diesen Landwirten zu verlangen, mit der übrigen Welt zu konkurrieren, d. h. mit Bauern, die sich nicht an die gleichen Standards zu halten brauchen. Da es auf die Erkennbarkeit für den Verbraucher in den Geschäften ankommt, müssen wir ein Qualitätskennzeichen nicht nur für geografische und biologische, sondern auch für andere Produkte entwickeln.
Daniel Strož, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (CS) Herr Präsident, Frau Kommissarin! In der Frage eines Vorschlags für eine Verordnung des Rates zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Stelle im Bericht Graefe zu Baringdorf lenken, nämlich darauf, dass geistiges Eigentum der letzte den Europäern verbleibende Rohstoff ist. Genau aus diesem Grund können wir uns über die Tatsache, dass wir bislang keinen gezielten Plan zur Entwicklung eines Systems speziell zum Schutz des geistigen Eigentums hatten, wundern oder sie bedauern. Das neue Instrument sollte endlich die ständigen Streitigkeiten in der WTO zwischen der EU und einigen ihrer Handelspartner beenden. Sobald diese Angelegenheit geklärt ist, können wir nur hoffen, dass sich die Kommission dann wieder der Frage der geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen mit klaren konzeptionellen Zielen zuwendet.
Ich möchte hinzufügen, dass Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben der Weltorganisation für geistiges Eigentum zufolge ein fester Bestandteil geistigen Eigentums sind. Nach der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments gehört die Frage des geistigen Eigentums eindeutig und ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich des Rechtsausschusses. Es ist daher sowohl vom Verfahren her als auch aus praktischer Sicht seltsam, dass die Ausarbeitung des Berichts dem Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung übertragen wurde, ohne überhaupt eine Stellungnahme des Rechtsausschusses einzuholen.
Witold Tomczak, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Ziele der beiden Vorschläge für eine Verordnung scheinen wohlbegründet. Es ist schwierig, einer Erhöhung des Einkommens der Landwirte, fairen Wettbewerbsbedingungen und dem Schutz vor Fälschungen von Originalerzeugnissen nicht zuzustimmen. Ob diese Ziele realistisch sind, ist jedoch zu bezweifeln.
Schauen wir uns an, was bei den bisherigen Regelungen herausgekommen ist. Im Rahmen der garantiert traditionellen Spezialitäten wurden in der Union bislang nur 15 Agrarerzeugnisse und Lebensmittel eingetragen. Ist es wirklich notwendig, für ein oder mehrere Dutzend Produkte komplizierte Verfahren zu entwickeln und den bürokratischen Aufwand zu erhöhen? Werden die Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte tatsächlich davon profitieren? Im Rahmen des Systems zum Schutz von geografischen Angaben und Herkunftsbezeichnungen wurden in der EU über 700 Bezeichnungen eingetragen, darunter 150 Käsesorten, 160 Sorten Fleisch und Fleischprodukte, 150 Obst- und Gemüsesorten und 80 Sorten Olivenöl. Es gibt 300 neue Anträge, die geprüft werden müssen. Werden wir uns mit der Schaffung solcher Vorschriften nicht alsbald in eine Situation hineinmanövrieren, die ans Lächerliche grenzt? In einigen Jahren werden wir Tausende von Ursprungsbezeichnungen für Erzeugnisse haben, die die Supermärkte in der ganzen EU erobern wollen. Wir als Verbraucher werden uns damit abquälen, und das teure bürokratische System wird sich hinsichtlich der Bearbeitung der Anträge als ineffizient erweisen.
Wäre es nicht besser, die Idee von der Regelung der regionalen Delikatessen aufzugeben? Wenn wir aus Delikatessen Massenprodukte machen, sind es keine Delikatessen mehr. Sie sollten eine natürliche Attraktion bestimmter Orte oder Regionen bleiben, aber ohne die Hilfe der Europäischen Union.
Janusz Wojciechowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Graefe zu Baringdorf im Namen der UEN-Fraktion zu seinem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen. Ich begrüße es, dass wir die notwendigen Vereinfachungen in den Verfahren zur Eintragung regionaler Lebensmittel erreichen und mehr von diesen Erzeugnissen zur Verfügung haben werden, sie uns also vertrauter werden, denn wir sprechen schließlich von traditionellen Erzeugnissen, die schon seit langem auf dem Markt sind.
Die wahre Zukunft Europas liegt in der Förderung der traditionellen regionalen Erzeugnisse, die die Leistungen der örtlichen Gemeinschaften repräsentieren. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern, mit dem wir andere übertreffen können und mit dem wir einen europäischen, einen gemeinsamen Markt schaffen können, der dank der Vielzahl regionaler Spezialitäten dennoch vielfältig ist. Das ist eine große Chance für die regionalen Erzeuger. Vor allem aber ist das eine gute Nachricht für die Verbraucher, da diese Produkte seit Generationen nach traditionellen Rezepturen und Verfahren hergestellt werden und gesünder und besser sind als Massenprodukte. Das ist auch die beste Antwort auf die Herausforderung, vor die uns die Biotechnologieunternehmen stellen. Sie wollen uns ihre Massenprodukte aufzwingen, die das Ergebnis von Gentechnik sind.
Wir sollten das hier klar sagen. Wir wollen gesunde, vielfältige Produkte, die nach den traditionellen Verfahren der jeweiligen Region hergestellt werden, und keine Lebensmittel, die man uns aufzwingt und die unter Anwendung von Methoden produziert werden, die einem Betrug an der Natur gleichkommen.
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! In den letzten Jahrzehnten wurden die Bauern durch die Gemeinsame Agrarpolitik ermutigt, mehr zu produzieren, und zwar ungeachtet der Qualität. Das hat dazu geführt, dass sie zwei Mercedes auf dem Hof zu stehen haben und die Läden voll von Produkten sind, die weder schmackhaft noch preiswert sind. Wir müssen für so genannte Bioprodukte mehr bezahlen, um das zu kaufen, was eigentlich normale Lebensmittel sein sollten.
Es ist zynisch zu sagen, Verbraucher hielten heute Qualität für wichtiger als Quantität. Sie wollen ganz einfach wieder das essen, was sie lange nicht gesehen haben und worauf sie ein Recht haben. Wir geben indessen den größten Teil der Haushaltsmittel für die Gemeinsame Agrarpolitik aus – vor allem in den alten Mitgliedstaaten.
Hoffen wir, dass durch die Vereinfachung der derzeitigen Verfahren die Landwirte, die gesunde und schmackhafte Erzeugnisse produzieren, von den Verordnungen zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen bzw. über traditionelle Spezialitäten profitieren.
Ich möchte der Kommission und dem Berichterstatter dafür danken, dass sie sich dieses wichtigen Themas angenommen haben. Ich hoffe, dass vor allem die Bauern in den neuen Mitgliedstaaten, die bislang weder die Zeit noch das Geld hatten, um eine industrielle landwirtschaftliche Produktion aufzuziehen, für ihre traditionellen Produktionsmethoden belohnt werden. Wir haben zwar nicht diese großartigen Verarbeitungsmethoden, für die die französische Küche berühmt ist, aber wir haben gesunde und schmackhafte Agrarerzeugnisse und Lebensmittel.
Astrid Lulling (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie viel Wert wir auf unser System der geschützten geografischen Angaben (g. g. A.) und der geschützten Ursprungsbezeichnungen (g. U.) sowie auf ihre Verteidigung und Einhaltung in der Europäischen Union und außerhalb derselben legen.
Wie die Dinge liegen, können nach den zahlreichen und aus meiner Sicht allzu häufigen Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik die Erzeuger in zahlreichen Regionen nur dank der Qualität ihrer Erzeugnisse und ihres Know-hows überleben, was die Verbraucher glücklicherweise zunehmend zu schätzen wissen und bereit sind durch faire Preise zu honorieren und so zur Bewahrung der Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Bereichen und damit zur ländlichen Entwicklung beizutragen.
Es ist wohlbekannt, dass die USA und Australien sich erdreistet haben, in der Welthandelsorganisation unsere einschlägigen Vorschriften, die ein großer Erfolg sind, anzufechten. Seit 1993 wurden mehr als 700 Bezeichnungen für Lebensmittel registriert. Ihr Handelswert wird auf mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt. Erwähnen möchte ich, dass unter anderem „Tiroler Speck“ registriert wurde, der meinem Kollegen Ebner, der mir seine zwei Minuten Redezeit in dieser Aussprache überlassen hat, besonders am Herzen liegt.
Das zuständige Gremium der Welthandelsorganisation ist glücklicherweise zu der Schlussfolgerung gelangt, dass unsere Verordnung den Vorschriften der WTO nicht zuwiderlief. Wir müssen sie nur noch anpassen – bis zum 20. April dieses Jahres, die Zeit drängt also –, um die Bürger von Drittländern in Bezug auf die Antragstellung und die Einspruchsrechte den EU-Bürgern gleichzustellen.
Ich möchte unseren Berichterstatter Graefe zu Baringdorf beglückwünschen und ihm für die ausgezeichnete Zusammenarbeit danken: Das ist zwischen den Grünen und den Schwarzen dieses Parlaments nicht immer der Fall! Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, uns mit ihm als unserem Berichterstatter und anderen Vertretern unseres Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, darunter unserem Vorsitzenden Joseph Daul, auf Änderungsvorschläge zu einigen, die der Klarstellung, Präzisierung und Vereinfachung dienen und zugleich die Achtung dieses geistigen Eigentums unserer Landwirte als eines der letzten Rohstoffe der Europäer verbessern.
Vor allem wollen wir durch präzise Fristen – sechs Monate für die Prüfung der Registrierungsanträge durch die Kommission, vier Monate für Einsprüche –, Verzögerungen vermeiden, die für die betroffenen Akteure nachteilig wären. Wir wollen, dass die gemeinschaftlichen Symbole, unsere Logos, durch spezielle Farben gekennzeichnet sind und vermeiden, dass diese durch Drittländer verwendet werden. Schließlich wollen wir, dass im Falle der Streichung der Registrierung einer g. U. oder g. g. A. diese für die Dauer von fünf Jahren nicht wieder als Marke registriert werden kann, um jeden wirtschaftlichen Druck auf die Erzeuger zu vermeiden.
Ich weiß, dass viele Kollegen zahlreiche Ideen und Anregungen vorgebracht haben, um die Rechtsvorschriften zu verbessern, aber wir fordern den Rat auf – da die Zeit drängt – zunächst nur die Änderungen umzusetzen, die durch den Schiedsspruch der WTO erforderlich geworden sind. Wie ...
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
Bogdan Golik (PSE). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte den Berichterstatter zu diesen beiden großartigen Berichten beglückwünschen. Meiner Überzeugung nach werden gerade diese neuen, vom Parlament verabschiedeten Verordnungen dazu beitragen, die Agrarproduktion weiter voranzubringen und den ländlichen Gebieten Aufschwung zu verleihen, indem ihre Traditionen und kulturellen Werte gefördert und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des Agrarsektors geschaffen werden. Ein transparentes und vereinfachtes Eintragungsverfahren und eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission werden meines Erachtens zu einem wirksameren Schutz der Verbraucher und Erzeuger, der Bürger der Union und vor allem jener führen, die diese Erzeugnisse produzieren, zu einem besseren Schutz vor Fälschungen, dem Missbrauch von Ursprungsbezeichnungen, dem Kopieren von Zutatenlisten und sonstigen betrügerischen Praktiken jener, die schnellen Profit machen wollen.
Die vorgeschlagenen Verordnungen tragen wesentlich dazu bei, ein glaubwürdiges System zum Schutz der Qualität eingetragener Erzeugnisse zu schaffen, die Vertrauen genießen und in der Union und der ganzen Welt an Popularität gewinnen. Diese Produkte werden jetzt nicht nur unter der Marke der Erzeuger, sondern auch unter der Marke der Europäischen Union auf den Markt kommen.
Giusto Catania (GUE/NGL). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Europa muss in der Lage sein, die Qualität seiner Agrar- und Lebensmittelproduktion zu gewährleisten und zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die traditionellen Spezialitäten und die geografischen Angaben gegen die innerhalb der Welthandelsorganisation von den USA und Australien gestarteten Angriffe verteidigt werden.
Der Berichterstatter hat eine hervorragende Arbeit geleistet, um die beiden Verordnungen zu verbessern. Die Erzeugnisse müssen geschützt werden, um wirklichen Einfluss auf die Lebensmittelsicherheit zu nehmen und gegen die sich weltweit vollziehende Gleichmacherei des Geschmacks anzugehen. Leider erleben wir nur allzu oft, dass Erzeugnisse gefälscht werden: auf dem größten Markt Süditaliens, in Vittoria auf Sizilien, werden jeden Tag nachgeahmte Erzeugnisse als g.g.A.-Produkte feilgeboten, wie zum Beispiel Pachino-Cherrytomaten.
Aus diesem Grund halten wir eine Etikettierung für notwendig, die Angaben zum Herkunfts- und zum Verarbeitungsgebiet des Erzeugnisses enthalten muss. Allerdings müssen wir uns selbst eines fragen, und zwar ob die Förderung der g.U. und der g.g.A. nicht allzu oft mehr mit der Vermarktung als mit der Erzeugung zu tun hat.
Kathy Sinnott (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte dem Berichterstatter für seine Unterstützung bei der Verteidigung der regionalen Individualität und ländlichen Selbstversorgung danken.
Europa hat eine so reiche Vielfalt an Erzeugnissen und Lebensmitteln zu bieten, und wir sollten diese auf jeden Fall vor den Verfechtern der absoluten Liberalisierung des Handels beschützen. Das Familienrezept, der lokale Geschmack, das handgefertigte Produkt, die Qualität und der einzigartige Charakter, das alles ist auf unseren Schutz angewiesen, um den jetzigen Reichtum unserer Regionen zu bewahren.
Was wird uns all diese wertvolle Arbeit jedoch nutzen, wenn wir gleichzeitig zulassen, dass genetisch veränderte Pflanzen unser Kulturen und somit unsere Lebensmittel und Produkte unterwandern? Wir versuchen hier die Individualität der Erzeugnisse und die Einzigartigkeit regionaler Zutaten zu schützen. Wie können wir behaupten, unsere Zutaten seien aus der Region, wenn sie alle in einem Labor verändert werden? Das fragliche Saatgut stammt sicherlich nicht aus Beständen der Familie, sondern das sind Phantomsamen von Monsanto mit einer bestimmten Losnummer, also genau der gleiche Samen wie Millionen anderer Samen weltweit.
Wie können wir dann behaupten, dass unsere Erzeugnisse einzigartig wären, dass sie Ausdruck unseres reichen regionalen Geschmacks sind bzw. überhaupt aus unserer Region kommen? Müssten wir der Ehrlichkeit halber unsere Erzeugnisse nicht als „Hergestellt in St. Louis, Missouri, von der Monsanto Corporation“ deklarieren? Wir müssen den Regionen die Wahl lassen, ob sie genetisch veränderte Produkte haben möchten, und diejenigen beschützen, die das nicht wünschen.
Wir müssen nicht nur die lokalen Spezialitäten hochschätzen und bewahren, sondern auch die regionalen Bauernmärkte, auf denen sie zuweilen noch direkt verkauft werden. Wir müssen bei der Regulierung der Lebensmittelvermarktung sicherstellen, dass wir die verbliebenen traditionellen lokalen Bauernmärkte nicht ausrotten.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Es ist gut, dass wir eine gemeinsame Aussprache zu den Berichten von Herrn Graefe zu Baringdorf führen. Wie es in einem der Berichte in Punkt 5 der Begründung heißt, bestehe das Ziel der Vorschläge darin, das Verfahren zu vereinfachen und die Zuständigkeit der einzelnen Organe in Bezug auf die Prüfung des Antrags genau zu bestimmen. Dies und weitere Anmerkungen wie in Punkt 9 lassen hoffen, dass es uns gelingen wird, in der endgültigen Fassung der Verordnungen des Rates bürokratische Verfahren und juristische Widersprüche zu vermeiden. Das ist vor allem im Hinblick auf die Verordnung zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel wichtig. Wir dürfen nicht vergessen, dass geografische Angaben zum Erbe bestimmter örtlicher Gemeinschaften und einzelner Völker gehören, die verpflichtet sind, diese Angaben zu schützen.
Der Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Lebensmittel auf Gemeinschaftsebene sollte nur unterstützend wirken und unlautere Praktiken verhindern. Wie es jedoch in Artikel 11 Absatz 3 heißt, sind nur staatliche Stellen zu Sanktionen auf nationaler Ebene berechtigt.
Regionale Agrarerzeugnisse und Lebensmittel sollen die regionale Entwicklung befördern und das Angebot an touristischen Attraktionen einschließlich des Agrartourismus bereichern. Niemand will eine Union, wo alle gleich angezogen sind, das Gleiche essen und in der gleichen Weise sprechen.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße diese Berichte, ist doch der Schutz regionaler Spezialitäten richtig und notwendig. Die Regionen haben ein Recht darauf, dass solche Spezialitäten zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil genutzt und geschützt werden.
Ich stelle fest, dass in jenen Mitgliedstaaten, in denen dies geschieht, schätzungsweise jährlich ein Mehrwert in Höhe von etwa 5 Milliarden Euro durch die Förderung dieser regionalen Bezeichnungen erzielt wird. Natürlich hat das nebenbei auch andere Auswirkungen auf den ländlichen Raum, schafft Arbeitsplätze und hält die Bevölkerung auf dem Lande.
Zu meinem großen Bedauern hat jedoch meine Heimatregion, Nordirland, bis jetzt von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht, obwohl ich als Lokalpatriot behaupten möchte, dass wir mit solchen Erzeugnissen reich gesegnet sind.
Rindfleisch aus Ulster, das alle Europäer bald wieder genießen dürfen, sobald das Rindfleischexportverbot aufgehoben wird, ist wegen seines Geschmacks und seiner Qualität berühmt und hat das Greenfield-Etikett zu einer Marke höchster Qualität gemacht. Unser Weizen- und Sodabrot ist eine absolute Delikatesse, und Äpfel der Sorte Armagh Bramley genießen einen ausgezeichneten Ruf.
Daher möchte ich die britische Regierung in dieser Debatte aufrufen, unverzüglich Gebrauch von den Möglichkeiten zu machen, die sich im Rahmen dieser Bestimmungen bieten.
Was die Bestimmungen angeht, so ist mir eine Beschwerde darüber zu Ohren gekommen, dass das Antragsverfahren übermäßig mühselig und bürokratisch ist. Daher appelliere ich an Sie, alles daran zu setzen, das Verfahren zu vereinfachen, damit regionale Produkte schneller geschützt und gefördert werden, und ich begrüße die Ausführungen der Frau Kommissarin in dieser Sache.
Vor dem WTO-Hintergrund ist es wichtig, dass Europa die aus diesen Bestimmungen erwachsenden Rechte verteidigt und dem Druck der Drittländer nicht nachgibt. Ich kann unserem Berichterstatter nur zustimmen, dass die EU all ihren Einfluss und diplomatisches Geschick einsetzen muss, um geografische Angaben zu schützen. Zwar sollte uns die Zurückweisung jüngster Angriffe vonseiten der USA und Australiens durch das WTO-Streitbeilegungsgremium Mut machen, doch dürfen wir uns nicht tatenlos darauf ausruhen.
Agnes Schierhuber (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich darf mich dem Dank an den Berichterstatter für seine wirklich ausgezeichneten Berichte und auch an die Schattenberichterstatter, die hier sehr effizient mitgearbeitet haben, anschließen.
Für mich sind beide Berichte sehr wichtige Dossiers in dieser Legislaturperiode, besonders der Bericht betreffend die geschützten geografischen Angaben und die geschützten Ursprungsbezeichnungen. Die Frau Kommissarin hat erwähnt, dass schon über 700 Produkte registriert und 300 Verfahren eingeleitet wurden. Das ist für die europäische Landwirtschaft und den ländlichen Raum ein wesentlicher Aspekt.
Ich bin der Meinung, dass es bei diesen Produkten auch um geistiges Eigentum geht und diese Produkte sozusagen zur Identität einer Region beitragen. Wenn wir unsere Märkte für die Produkte aus Drittländern öffnen, dann müssen wir auch voraussetzen können, dass in diesen Ländern dieselben Qualitäts- und Sozialstandards herrschen wie innerhalb der Europäischen Union. Wir leben nun einmal in einer globalen Welt. Trotzdem ist, Frau Kommissarin, fairer Wettbewerb nur dann gegeben, wenn auch innerhalb der WTO die gleichen Bedingungen und Regeln gelten und danach gehandelt wird.
Generell muss aber darauf geachtet werden, dass im Verfahren genau geprüft wird und keine Nivellierung nach unten stattfindet. Qualität hat ihren Preis. Wie Bundespräsident Köhler gestern gesagt hat: Wir müssen in der Europäischen Union um so vieles besser sein, wie wir auch teurer sind. Ein Beispiel: Wir haben in Österreich 180 000 Bauern, die produzieren. Diese sichern nachweislich ca. 600 000 Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich. Hieraus ist auch zu ersehen, wie wichtig aktive und produzierende bäuerliche Familienbetriebe und Unternehmen für den ländlichen Raum sind.
Robert Navarro (PSE). – (FR) Herr Präsident, zunächst möchte ich den Berichterstatter und meine Kolleginnen und Kollegen vom Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zu diesem Bericht beglückwünschen, dem das Verdienst zukommt, dass er nachdrücklich auf eine grundlegende Tatsache verweist, dass nämlich die europäische Landwirtschaft nur durch Qualität überleben wird. Folglich muss die Verteidigung der Labels und anderer geschützter Bezeichnungen, ohne die längerfristig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Erzeugnisse auf einem globalisierten Markt nicht gewährleistet werden kann, im Mittelpunkt jedes politischen Handelns der Europäischen Union stehen, vor allem in internationalen Gremien wie der WTO.
Ich komme aus einer Region, in der es mehr als 30 Erzeugnisse gibt, die durch die Regelungen für geschützte Ursprungsbezeichnungen (g. U.), geschützte geografische Angaben (g. g. A.) und garantiert traditionelle Spezialitäten (g. t. S.) geschützt werden. Diese Bezeichnungen sind unbestreitbar von großem Vorteil für die Erzeuger, denen sie zugute kommen. Die gleiche Logik verfolgen wir schon immer in einem anderen Sektor, der durch diesen Text nicht unmittelbar betroffen ist, der aber ebenfalls den Schutz und die Unterstützung Europas braucht. Ich spreche selbstverständlich vom Weinbau, von dem Zehntausende Arbeitsplätze in meiner Region, in Südfrankreich, und Hunderttausende Arbeitsplätze in Europa abhängen und der heute eine schwere Krise durchmacht. Wenn nichts getan wird, auch auf europäischer Ebene, besteht die Gefahr, dass Europa seine Seele verliert.
Andrzej Tomasz Zapałowski (IND/DEM). – (PL) Herr Präsident! Wir sprechen heute darüber, wie traditionelle Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen zu schützen sind.
Wie es in der Verordnung heißt, muss ein Erzeugnis, um als traditionell eingestuft zu werden, seit einem Zeitraum produziert worden sein, der der Lebensdauer einer Generation entspricht. Bedenken wurden gegenüber dem Änderungsantrag geäußert, in dem die Definition auf die Erzeugnisse beschränkt wird, die vor dem Zweiten Weltkrieg auf dem Markt waren. Damit werden die osteuropäischen Länder diskriminiert.
Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges hat Polen die Hälfte seines Territoriums verloren, und mehrere Millionen Menschen wurden in die wiedergewonnenen Gebiete umgesiedelt. Die Kontinuität der Tradition war deshalb unterbrochen. Unter kommunistischer Herrschaft war die Produktion traditioneller Erzeugnisse für den Handel ebenfalls verboten. Erst seit etwa einem Jahrzehnt nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit werden in bestimmten Regionen wieder Lebensmittel wie die traditionelle polnische Wurst und der polnische Schinken nach traditionellen, gesunden Produktionsmethoden hergestellt. Vorher war das unmöglich.
Ein weiterer überaus wichtiger Punkt ist die Frage der Sicherheit, ob also die Qualität der Lebensmittel hinreichend überwacht wird und eine Verunreinigung der traditionellen Erzeugnisse durch genmanipulierte Pflanzen, die zunehmend in ganz Europa angeboten werden, verhindert werden kann. Schließlich gibt es in Europa Länder, wo sich genmanipulierte Pflanzen unkontrolliert ausgebreitet haben und wegen ihrer veränderten Zusammensetzung mit Sicherheit bald eine Gefahr für die traditionellen Erzeugnisse darstellen werden. Das beigefügte Verzeichnis der traditionellen Erzeugnisse sollte um Delikatessen ergänzt werden.
María Esther Herranz García (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! In dem Bericht über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben, den uns die Kommission vorgelegt hat, heißt es, dass sie mit seiner Erarbeitung beabsichtigte, die Verfahren klarzustellen und die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften mit einer Entscheidung der Welthandelsorganisation in Übereinstimmung zu bringen.
Der Schutz der geografischen Angaben ist natürlich von größter Bedeutung. Er ist wichtig, um den Verbrauchern eine präzise Information über Qualität, Ursprung und Produktionsmethoden der von ihnen konsumierten Erzeugnisse zu geben. Deshalb müssen wir es logischerweise vermeiden, die Verbraucher zu verwirren, und die Verwendung des Gemeinschaftslogos auf Produkten aus Drittländern dürfte daher nicht genehmigt werden.
Weiterhin sind die Mitglieder dieses Hauses der Vielfalt und dem Reichtum der europäischen Gastronomie verpflichtet, die sich bisher einer internationalen Reputation erfreut hat.
Wir müssen uns an die Entscheidung des Gerichts der Welthandelsorganisation anpassen – darüber besteht kein Zweifel; dafür ist es da –, und wir müssen die Verordnung ändern, um sicherzustellen, dass sie diesen Anforderungen nachkommt.
Doch solange die WTO das internationale System geografischer Bezeichnungen nicht in ihre Debatte einbezieht und wir daher kein internationales Register geografischer Angaben haben, hat es nicht viel Sinn, dass die Änderungen unserer Gemeinschaftsverordnung über das unbedingt Notwendige hinausgehen.
Ferner müssen wir gewährleisten, dass die Änderungen der Verordnung nicht zu Verzögerungen im Register oder zur Diskriminierung zwischen der Europäischen Union und Drittländern führen, weil das gemeinschaftliche Genehmigungsverfahren die Erfüllung sehr hoher Anforderungen an die Qualität und Lebensmittelsicherheit voraussetzt. Könnte die Kommission sicherstellen, dass Produkte aus Drittländern die gleichen Standards erreichen? Ganz ehrlich, ich glaube es nicht.
Deshalb sollte meines Erachtens der Änderungsantrag der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten unterstützt werden, und ich bin auch der Meinung, dass die unterschiedlichen Konzepte der Gesundheitssysteme in den Mitgliedstaaten gewährleisten müssen, dass es nicht nur die Bauern und Erzeuger sind, die für die Erweiterung der Rechtsvorschriften zur Lebensmittelhygiene um die Ursprungsbezeichnungen bezahlen müssen.
Luis Manuel Capoulas Santos (PSE). – (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte unserem Berichterstatter gratulieren. Die Einführung der geschützten Ursprungsbezeichnung (g.U.), der geschützten geografischen Angabe (g.g.A.) und der garantiert traditionellen Spezialität (g.t.S.) ist ein Schritt in die richtige Richtung für die Entwicklung des ländlichen Raums. Das wird uns helfen, das natürliche und kulturelle Erbe zu wahren und die Palette hochwertiger Erzeugnisse für eine wachsende Zahl anspruchsvoller und gut informierter Verbraucher zu erweitern.
Ich kann dies aus der Erfahrung in meinem Land bezeugen, in dem mehr als 100 Erzeugnisse diese Regelungen in Anspruch nehmen, und die meisten konnten einen recht guten kommerziellen Erfolg verzeichnen. In einigen Fällen bedeutet der Markterfolg eine Wiederbelebung sowohl von einheimischen Züchtungen, die kurz vor dem Aussterben standen, als auch von Betriebsmethoden, die ansonsten ernsthaft gefährdet oder verschwunden wären.
Im Großen und Ganzen werden uns die vorliegenden Vorschläge helfen, den bestehenden Rechtsrahmen zu verbessern und in Einklang mit WTO-Regeln zu bringen, die wir einhalten wollen. Ich möchte unterstreichen, dass durch die eindeutigere Identifizierung von Gemeinschaftssymbolen durch Farbgebung, Angabe der Herkunft und des Verarbeitungsorts von Produkten aus Drittländern und die Beibehaltung der Kommissionsentscheidung der Prozess an Glaubwürdigkeit gewonnen hat und zu niedrigeren Preisen und weniger Bürokratie führen wird.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Bevor ich mich dem Thema der heutigen Aussprache widme, muss ich vor diesem Plenum unbedingt feststellen, dass die Zuckerindustrie Irlands ihre Produktion vollständig einstellen wird. Das wurde heute in Irland bekannt gegeben. Wenn wir über die WTO reden, dann ist Irland in Bezug auf die Zuckerrübenerzeugung ihr erstes Opfer. Dreihundert Beschäftigte werden ihre Arbeitsplätze verlieren und 3 500 Landwirte werden unter gravierenden Folgen zu leiden haben. Ist dies ein Warnsignal für das, was auf uns zukommt, da der Einfluss der WTO auf unsere Landwirtschaft in Europa zunimmt? Wenn heute – wie in Irland – die Zuckerrübe geopfert wird, wie wird es dann morgen um die Rinderhaltung in Europa stehen?
Was den Bericht betrifft, so möchte ich dem Berichterstatter für seine gute Arbeit danken. Allerdings befürchte ich, dass wir zuweilen über der intensiven Erörterung dieses Themas – und das sollten wir auch tun – den größeren Rahmen der Rohstofferzeugung in der Europäischen Union aus den Augen verlieren, welche ebenfalls des Schutzes bedarf.
Ich finde es schade, dass bislang für lediglich drei Erzeugnisse aus Irland geschützte geografische Angaben registriert sind, denn es gibt Hunderte von kleinen Lebensmittelerzeugern, die vom Schutz dieser Bestimmungen profitieren könnten. Dazu würde ich ihnen dringend raten. Wir werden viel mehr Spezialprodukte benötigen, um den Herausforderungen im Zusammenhang mit der Agrarreform und dem Druck vonseiten der WTO zu begegnen. Wir müssen erkennen, dass die Fortsetzung der Lebensmittelerzeugung in Europa von einem Engagement in diesem Sektor abhängt, können aber nicht erwarten, dass wir dem Ansturm eines unbeschränkten Marktzugangs für Billigerzeugnisse standhalten können, die außerhalb der Union zu anderen und niedrigeren Standards produziert werden.
Lassen Sie uns auf jeden Fall diejenigen schützen und ermutigen, die Lebensmittelspezialitäten herstellen wollen, doch lassen Sie uns auch anerkennen, dass die EU-Landwirtschaft hoch spezialisierte Erzeugnisse hervorbringt, die ebenfalls eines Schutzes bedürfen.
Marc Tarabella (PSE). – (FR) Herr Präsident! Auch ich möchte zunächst den Berichterstatter, Herrn Graefe zu Baringdorf, zu der beachtenswerten Arbeit für bessere Information und besseren Schutz der Erzeuger und Verarbeiter wie auch der Verbraucher beglückwünschen. Er hat es vermocht, nicht in konservativen Protektionismus zu verfallen und trotzdem Achtung und Anerkennung für unser Know-how zu zeigen. Das gefällt allerdings nicht jedem, wofür die geharnischten Proteste aus den USA und aus Australien der beste Beweis sind. Diese Staaten wollen, dass die geografischen Angaben nur in Ausnahmefällen zugelassen werden, und versuchen sie auf einige Weine und Spirituosen zu beschränken.
Die Europäische Union muss die geografischen Angaben mit allen Kräften verteidigen und vor allem im Rahmen der nächsten Verhandlungen über die Umsetzung der Beschlüsse von Hongkong viel diplomatisches Geschick beweisen. Die geografischen Angaben sind ein ausgezeichnetes Mittel, um zu einem qualitativen Ansatz im internationalen Handel zu gelangen. Leider kann man keine Anzeichen für eine nachhaltige Verankerung der geografischen Angaben im Rahmen der WTO entdecken. Der Europäischen Kommission kommt in dieser Frage eine wichtige Rolle zu. Seien wir uns also bewusst, dass Qualität und Anerkennung Hoffnungsfaktoren für die Zukunft der europäischen Landwirtschaft sind.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen und gebe von diesem vielen Lob gerne etwas an meine Mitarbeiter weiter. Herr Mulder, ich habe mich auch über Ihren Beitrag gefreut. Einmal gehen wir inhaltlich konform, aber es freut mich auch, dass Sie mein Engagement loben. Wir sind ja inzwischen beide ziemlich alte Knochen und lange hier im Geschäft und trotzdem geht es uns noch an. Wir sind nicht müde geworden, für das zu streiten, was wir für richtig halten. Wenn Sie beanstanden, dass es nur zwei Qualitätsbezeichnungen gibt, so bemängle ich das genau wie Sie. Das müssen wir ausweiten. Wir müssen nicht nur Sicherheit in dem Sinne geben, das jemand nicht umfällt, wenn er etwas isst, sondern auch den Genuss, die Qualität, den Ursprung und die Anstrengungen der Generationen würdigen.
Diese Verbindung von freier Marktwirtschaft und Qualitätssicherung ist genau das, was wir brauchen. Marktorientierung ja, aber bitte auch mit Anerkennung dessen, was hier geleistet wird. Wenn vorhin gefragt wurde, ob das nicht nur eine administrative Angelegenheit sei, muss ich darauf antworten: Nein, es ist keine administrative Angelegenheit, sondern es ist über Generationen geschaffen und wird jetzt legislativ und administrativ abgesichert. Das ist etwas anderes, als wenn uns etwas aufoktroyiert würde.
Wenn hier kein Nutzen vorhanden wäre, hätten wir in der WTO auch keine Auseinandersetzung. Natürlich schauen die Multis mit Argusaugen auf das, was hier an Mehrwert geschaffen wird, und das ist erheblich. Beispiel Irland, von dem ich jetzt zweimal gehört habe – leider bei uns noch nicht: Ja, unterstützen Sie doch diejenigen Regionen in Ihrem Land, die Produkte in dieser Weise herstellen, dass sie dies einreichen. Hier darf kein Versäumnis stattfinden. Das ist ein Teil der Aufklärung, die wir auch vom Europäischen Parlament aus leisten können.
Ich komme auch noch auf die Zusammenarbeit mit Frau Lulling zu sprechen. Zwar nicht an Alter, aber an Dienstzeit übertrifft sie uns alle. Wer mit ihr gearbeitet hat, weiß, dass das nicht immer ganz einfach ist. Das hat nicht nur mit Rot, Schwarz und Grün zu tun, sondern es hat auch mit der Person Lulling zu tun. Aber immerhin haben wir es doch in einigen Bereichen geschafft, gemeinsame Änderungsanträge einzureichen. Einen ganz besonders wichtigen will ich hier nennen.
Es ist vom Rat aus unerfindlichen Gründen hereingenommen worden, dass jede natürliche und juristische Person, die ein berechtigtes Interesse hat, die Löschung solcher Eintragungen von Ursprungsbezeichnungen und besonderen Qualitätsbezeichnungen vornehmen kann. Denn, wenn es hier um einen Mehrwert geht, wird natürlich die Begehrlichkeit auftreten, dies in Marken umzuwandeln. Um zu zeigen, dass wir hier keinen Handel treiben, haben wir einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Ich bitte die Kommission, doch wirklich dafür zu sorgen, dass der Rat ihn übernimmt.
Wenn eine solche geschützte Bezeichnung gelöscht wird, darf diese in einem Zeitraum von fünf Jahren nicht in eine Marke überführt werden, damit wir hier einen Spielraum bekommen, damit es ein bisschen teurer wird für diejenigen, die das in Marken überführen wollen und die den Leuten oder den Regionen etwas dafür bieten. Da müssen wir sehr vorsichtig sein. Ich hoffe, Frau Kommissarin, dass Sie das weitertragen. Schönen Dank, dass wir hier heute so eine gute Diskussion hatten.
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Der Berichterstatter ist von zahlreichen Abgeordneten mit Blumen bedacht worden, und im Namen der Kommission möchte ich dem Strauß noch einige Blumen hinzufügen. Nochmals vielen Dank für den interessanten Gedankenaustausch. Ich möchte auf einige während der Aussprache angesprochene Aspekte eingehen.
Ganz allgemein – Herr Graefe zu Baringdorf und Herr Castiglione haben diesen Punkt erwähnt – möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass die Vorschläge der Kommission darauf abzielen, unsere Rechtsvorschriften mit den Ergebnissen des WTO-Panels in Einklang zu bringen. Hierzu zählen verschiedene Aspekte des Verfahrens und Vereinfachungsmöglichkeiten, damit die WTO-Entscheidungen erfolgreich im System umgesetzt werden können. Darauf wurde von Herrn Allister hingewiesen, und meiner Meinung nach erfüllt das System seine Anforderungen.
In Bezug auf den Beitrag von Herrn Mulder verweise ich nochmals auf die Absicht der Kommission, sich mit den verschiedenen Strategiefragen, die mit den WTO-Ergebnissen nichts zu tun haben, sowie der weiterreichenden Frage der Qualität von Agrarerzeugnissen in der EU im kommenden Jahr intensiver zu befassen. Ich habe heute Abend eine Menge gelernt, dazu gehört auch das, was Herr Mulder über den Edamer-Käse sagte. Ich möchte Ihnen mitteilen, Herr Mulder, dass Edamer eine Käsesorte ist, die überall produziert werden kann. Es ist ein Codexstandard. Der Edamer aus Nordholland hingegen ist geschützt und ein holländisches Qualitätsprodukt. Essen Sie also mehr Edamer aus Nordholland!
Ich darf nun etwas ausführlicher auf die Debatte eingehen und einige hier erwähnte Punkte herausgreifen. Was die Logos betrifft, so unterscheiden sich die drei aufgrund der Kommissionsvorschriften geschaffenen Logos bereits voneinander. Ich möchte auch klarstellen, dass alle EU-Erzeugern gewährten Vorteile – und ich denke, die Verwendung eines Gemeinschaftslogos ist ein solcher Vorteil – auch Erzeugern aus Drittländern offen stehen, um die Frage von Herrn Castiglione und Frau Herranz García zu beantworten. Die Kommission stimmt jedoch zu, dass dem weiter nachgegangen werden sollte. Wir werden dies im Rahmen unserer weiteren Überprüfung der Politik gleich im Anschluss an die Umsetzung dieses Vorschlags tun.
Mehrere Änderungsanträge haben die von Herrn Podkański erwähnten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und der Kommission zum Gegenstand. Die Kommission beabsichtigt nicht, die derzeitige Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zu ändern.
In den Änderungsanträgen 23 und 24 wird jeweils eine Frist gefordert, innerhalb derer die Kommission Anträge prüfen und veröffentlichen muss. Ich stimme zu, dass die Kommission ihren Aufgaben innerhalb einer vertretbaren Frist nachkommen muss. Frau Lulling und Frau Salinas García sind darauf eingegangen. Ich sehe ein, dass wir uns um die Definition einer vertretbaren Frist kümmern müssen, was angesichts der Komplexität der Anträge nicht einfach ist. Es ist auf keinen Fall machbar, alle Anträge innerhalb von sechs Monaten prüfen und veröffentlichen zu wollen – zwölf Monate wären realistischer.
In Ihren Änderungsanträgen zu Kontrollen geht es um das Ziel des Kommissionsvorschlags, eindeutig sicherzustellen, dass innerhalb der Gemeinschaft Behörden für die Durchsetzung der Kommissionsvorschriften über geografische Angaben und traditionelle Spezialitäten zuständig sind. Ferner besteht kein Zweifel daran, dass diese Kontrollen im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts durchgeführt werden.
Ich möchte auf einige Punkte eingehen, die nur die geografischen Angaben betreffen, und zwar auf die Verwendung von Zutaten in Verarbeitungserzeugnissen und die Herkunft von Rohstoffen. Ich stimme zu, dass Ihre Vorschläge in Bezug auf die Verwendung geschützter Bezeichnungen für Zutaten von Verarbeitungserzeugnissen auch einige Bedenken der Kommission betreffen. Allerdings wird in den allgemeinen Etikettierungsvorschriften bereits auf Fälle irreführender Angaben eingegangen. Weitere Beschränkungen zur Verwendung registrierter Bezeichnungen für Verarbeitungserzeugnisse würden einen größeren Politikwechsel bedeuten, der angemessen und genau zu überprüfen wäre.
Ich habe verschiedene Änderungsanträge in Bezug auf Ursprungsbezeichnungen oder andere Bedingungen für Rohstoffe zur Kenntnis genommen. Die Kommission teilt die Ansicht von Herrn Graefe zu Baringdorf, dass die Bevölkerung in dieser Hinsicht nicht irregeführt werden darf. Allerdings müssen wir sehr umsichtig vorgehen. Eventuelle Politikwechsel in diesem Bereich könnten sich auf Rechte auswirken, die Nutzern bestimmter Bezeichnungen bereits gewährt worden sind.
Abschließend möchte ich auf den Bericht über die garantiert traditionellen Spezialitäten eingehen. Die derzeitigen Vorschriften über garantiert traditionelle Spezialitäten enthalten keine Definition des Begriffs „traditionell“. Wir schlagen vor, eine Verpflichtung einzuführen, den Gebrauch über einen Mindestzeitraum von 25 Jahren nachzuweisen. Dies halten wir für einen vertretbaren Kompromiss.
Somit kann die Kommission folgenden Änderungsanträgen im Bericht über geografische Angaben grundsätzlich zustimmen: Nr. 1, 10, 11, 15, 25, 29 und 31. Von den in letzter Minute für diese Sitzung eingereichten Änderungsanträgen kann die Kommission grundsätzlich die Änderungsanträge 41, 43, 49 und 54 annehmen. In Bezug auf den Bericht über traditionelle Spezialitäten können wir den Änderungsanträgen 6, 10, 13 und 16 zustimmen. Allen übrigen Änderungsanträgen zu diesen Berichten können wir keine Zustimmung geben.
Der Präsident. – Die gemeinsame Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
15. Rechtsberufe und allgemeines Interesse am Funktionieren von Rechtssystemen (Aussprache)
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission zum Thema Rechtsberufe und allgemeines Interesse am Funktionieren von Rechtssystemen von Giuseppe Gargani im Namen des Rechtsausschusses (O–0003/2006 – B6-005/2006).
Klaus-Heiner Lehne (PPE-DE), stellvertr. Verfasser. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich vertrete hier eigentlich nur den Kollegen Gargani, der als Vorsitzender des Rechtsausschusses der eigentliche Verfasser dieser Anfrage ist. Aber es ist mir eine Ehre, dies zu tun.
Lassen Sie mich – bevor ich die Anfrage im Einzelnen begründe – etwas zur Vorgeschichte sagen. Dieses Thema, nämlich freie Berufe und insbesondere freie Rechtsberufe, um die es bei dieser Anfrage geht, hat eine mehrjährige Vorgeschichte. In der zurückliegenden Legislaturperiode hat sich das Europäische Parlament aufgrund zweier mündlicher Anfragen in den entsprechenden Entschließungen mit diesem Thema befasst, und zwar vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Aktivitäten der Generaldirektion Binnenmarkt des damals für Wettbewerbsrecht zuständigen Kommissars Monti und auch vor dem Hintergrund des den Ausgang dieser ganzen Debatte darstellenden so genannten Wiener Gutachtens.
Ich will nicht verhehlen, dass wir im Rechtsausschuss eigentlich weitestgehend, sogar parteiübergreifend, immer überzeugt waren, dass dieses so genannte Wiener Gutachten von seinem Ansatz her sehr einseitig war, einen einseitig ökonomischen Ansatz verfolgt hat und die spezifische Rolle der freien Berufe, insbesondere der Rechtsberufe, als Organe der Rechtspflege nicht in einem ausreichenden Maße beachtet hat. Wir haben auch die große Befürchtung gehabt – teilweise wurde das durch die Dokumente bestätigt –, dass die Kommission nicht immer die richtigen Schlussfolgerungen aus diesen Unterlagen des Wiener Gutachtens gezogen hat und ganz bewusst auch eine Politik betrieb, bei der wir in Einzelfragen Zweifel hatten, ob das der richtige Weg ist. Denn man kann nun mal ganz einfach freie Berufe in ihrer besonderen Bedeutung wettbewerbspolitisch und wettbewerbsrechtlich nicht mit dem Supermarkt um die Ecke vergleichen. Sie haben eine andere Herkunft, sie haben eine andere Bedeutung für das Funktionieren der Gesellschaft.
Wenn wir heute, nach dem letzten von Kommissarin Kroes vorgelegten Zwischenbericht der Kommission, eine erneute mündliche Anfrage vorlegen – es wird in der nächsten Woche auch eine Begleitentschließung geben –, so ist dies praktisch eine Fortsetzung dieser Tradition aus der vergangenen Legislaturperiode.
Ich will hier ganz deutlich machen, dass es auch aus unserer Sicht natürlich völlig klar ist, dass alte Zöpfe abgeschnitten gehören. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, und mit dem Zunftwesen ist es vorbei. Nichtsdestotrotz müssen die Besonderheiten, die die freien Berufe – insbesondere die Rechtsberufe, um die es dem Rechtsausschuss geht – ausmachen, natürlich in einem besonderen Maße beachtet werden. Sie sind Bestandteil des Justizsystems und sie müssen funktionieren. Wenn dies nicht funktioniert, ist das schlecht für den Bürger. Dann bekommt der Bürger keinen ausreichenden Rechtsschutz, und damit ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie, nämlich der Rechtsstaat, in Frage gestellt. Darum ist es erforderlich, sehr genau und sehr detailliert die Regelungen der freien Berufe zu prüfen und sich genau zu überlegen, was man braucht und was erforderlich ist, um einen möglichst effektiven und sicheren Rechtsschutz und den Zugang zum Recht für alle Bürger auch tatsächlich zu ermöglichen, dies natürlich auch unter ganz besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.
Lassen Sie mich nun auf ein spezifisches Problem kommen, das mit dieser Anfrage natürlich auch angesprochen wurde und das im Rechtsausschuss mit Ursache dafür war, dass wir dieses Thema heute erneut im Plenum behandelt haben möchten. Das ist die spezifische Rolle der Gebührenordnung bei den freien Rechtsberufen. Diese haben nun einmal einen ganz besonderen und bedeutenden Charakter in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere wenn es um die Frage der Erstattungsregeln bei Gerichtsverfahren geht, als auch, wenn es darum geht, dass Rechtsschutzversicherungen von sich aus Erstattungen für ihre Klienten vornehmen wollen. So etwas ist praktisch ohne Gebührenordnungen nicht möglich und in der Rechtstradition vieler Mitgliedstaaten fest und tief verankert, so dass man nicht ohne Not daran rütteln sollte, weil dies auch einen wesentlichen Aspekt des Verbraucherschutzes darstellt. Dies sei an dieser Stelle ganz deutlich gesagt.
Der Europäische Gerichtshof ist in seiner Rechtsprechung in der Vergangenheit sehr sorgfältig mit diesen Fragen umgegangen. Gerade jetzt hat auch der Generalanwalt in einem konkreten Fall vor wenigen Wochen versucht, in diesen Fragen eine entsprechende Sorgfalt an den Tag zu legen. Für uns ist es ganz wichtig, dass dieser entscheidende Punkt, der für die Funktionsfähigkeit der Rechtsberufe in vielen Mitgliedstaaten von großer Bedeutung ist, nicht von der Kommission weiter in dieser Art und Weise – wie man aufgrund der Dokumente der Kommission den Eindruck haben konnte – behandelt wird. Die Kommission kann nun einmal die freien Berufe nicht so behandeln wie die Supermärkte. Sie haben eine ganz besondere Bedeutung und Rolle.
Wir haben inzwischen Mitgliedstaaten in der Europäischen Union, die Gebührenordnungen abgeschafft haben. Das Interessante ist, dass die Preise z. B. für Anwälte und für den normalen Verbraucher gestiegen sind und teilweise im Durchschnitt erheblich höher als in den Mitgliedstaaten sind, die nach wie vor über ein solches System verfügen, obwohl dieses System insbesondere auch bei der Preisentwicklung dafür gesorgt hat, dass Rechtsschutz für den Verbraucher weiter finanzierbar und erreichbar war.
Wir würden uns nun freuen, wenn Frau Kommissarin Kroes, die schon die Gelegenheit hatte, im Ausschuss mit uns über diese Frage zu sprechen, von Seiten der Kommission unsere mündliche Anfrage beantworten würde. Wir haben dann die Möglichkeit, im Rahmen der Debatte und in der nächsten Woche im Rahmen der Entschließung darauf reagieren zu können.
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die Kommission dankt dem Rechtsausschuss für seine Anfrage und Herrn Lehne für seine hervorragende Arbeit am heutigen Abend. Er hat seine Auffassungen recht klar dargelegt.
Die Kommission anerkennt die besondere Rolle des Rechtssektors in der guten Justizverwaltung und bei der Förderung des Zugangs zu Recht – die Kommission anerkennt übrigens als Entgegnung auf das von Herrn Lehne erwähnte Beispiel auch, dass Supermärkte sehr wichtige und wertvolle Glieder unserer Gemeinschaft sind – wir stellen das keinesfalls in Frage. Aber wir sagen, dass wir uns die gegenwärtige Regulierung des Sektors noch einmal darauf hin ansehen müssen, was modernisiert werden kann, um neue Dienstleistungsarten und neue Herangehensweisen zu fördern. Das liegt im Interesse der Nutzer dieser entscheidenden Dienstleistungen.
Wir schlagen also vor, dass die Mitgliedstaaten eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen, um zu ermitteln, inwieweit die gegenwärtigen Vorschriften alle wirklich dem öffentlichen Interesse dienen. Mit diesem Herangehen wird das Subsidiaritätsprinzip voll und ganz gewahrt. Es ermöglicht die umfassende Berücksichtigung nationaler Gegebenheiten sowie der besonderen Charakteristika des Rechtswesens.
Die Kommission ist natürlich auch der Meinung, dass es einer gewissen Regulierung bedarf. Ich wiederhole: Bei unserer Initiative geht es um bessere Regulierung, nicht um Deregulierung. Wir anerkennen auch das Recht der Mitgliedstaaten, über das Gleichgewicht zwischen staatlichen Vorschriften und der Selbstregulierung durch die beruflichen Gremien zu entscheiden.
Zur Frage des Rechts von Mitgliedstaaten, Gebühren festzulegen, möchte ich die Position der Kommission in ihrem Bericht vom Februar 2004 hervorheben. Unserer Auffassung nach geht aus dem Arduino-Urteil hervor, dass staatliche Maßnahmen, denen zufolge regulierende Zuständigkeiten zur Festlegung von Gebühren an berufliche Gremien delegiert werden, nach den Regeln des Wettbewerbs anfechtbar sind – beispielsweise Artikel 3(1)(g), 10(2) und 81 EG –, sofern der Staat nicht das letzte Wort hat und eine wirksame Kontrolle über die Erhebung dieser Gebühren ausübt. Wir erwarten eine weitere Klärung hierzu, wenn der Gerichtshof seine vorläufige Entscheidung im Fall Macrino verkündet (Aktenzeichen C-202/04).
Schließlich gibt es die Vorschriften des Binnenmarkts. Um diese geht es in einem weiteren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Fall, dem Fall Cipolla (Aktenzeichen C-04/04), der ebenfalls die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für das Festsetzen von Preisen betrifft. Die Kommission ist der Ansicht, dass Mindestpreise für anwaltliche Dienstleistungen eine Einschränkung der Freiheit der Dienstleistungserbringung darstellen, weil sie den Wettbewerbsvorteil von Dienstleistern aus anderen Mitgliedstaaten zunichte machen. Außerdem sehen wir keine Rechtfertigung für Mindestpreise im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, da mit ihnen nicht per se die Qualität, der Zugang zum Recht oder gutes ethisches Verhalten gewährleistet sind.
Antonio Masip Hidalgo, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Die Anfrage des Rechtsausschusses ist angebracht, denn den Beziehungen der Rechtsanwälte und Notare und der Rechtsberufe im Allgemeinen – wie Herr Lehne sagte – zu ihren Klienten muss besondere Beachtung geschenkt werden.
Die Europäische Kommission darf diese Fälle nicht so behandeln, als ob es reine Geschäftsbeziehungen zwischen einem Kunden und einem Diensteanbieter wären. Die Beziehung zwischen einem Anwalt oder Notar und seinem Klienten berührt die Rechtsprechung, eine für die Demokratie sensible Frage, wie Herr Lehne ebenfalls dargelegt hat.
Die Tätigkeit der Berufsverbände der Rechtsberufe in den verschiedenen Ländern ist sehr vorteilhaft für die Beziehungen, nicht nur für die korporativen Beziehungen, sondern auch für die Beziehungen auf dem Gebiet der Verteidigung des öffentlichen Interesses. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, an der Frau Kroes so sehr interessiert ist, hat bisher anerkannt, dass Systeme wie das spanische mit dem europäischen Recht in Einklang stehen, dessen Honorargebühren lediglich Leitlinien sind und keine Mindestbeträge, die der Justizverwaltung helfen, Kosten festzusetzen, die letztendlich immer gerichtlich überwacht werden.
Auch der Widerstand zahlreicher Anwälte aus vielen Ländern gegen die quota litis-Vereinbarung sollte nicht in Frage gestellt werden. Diese Vereinbarung verletzt die Arbeitswürde und zeigt einen Mangel an Wertschätzung und Respekt für den Beruf. Das Verbot der quota litis-Vereinbarung ist ebenfalls von den nationalen Gerichten akzeptiert worden, Frau Kroes.
Ich ersuche die Europäische Kommission, die Arbeit von Institutionen zu respektieren, die wie die Kollegs von Rechtsanwälten und Notaren im Allgemeinen seit mehr als zwei Jahrhunderten trotz Höhen und Tiefen und historischen Unterbrechungen gut funktioniert haben. Vergessen Sie nicht, dass Verfassungen, wie die spanische, die unverzichtbare Rolle der Berufsverbände und die von ihnen geleistete grundlegende Arbeit anerkennen.
Die Europäische Kommission sollte der europäischen Tradition gegenüber treu sein und nicht die neuere Tradition der USA übernehmen. Wir müssen kleine Anwaltskanzleien unterstützen. Begehen Sie keine Fehler.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Diana Wallis, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Verständlicherweise schlagen bei den Mitgliedern des Rechtsausschusses die Wogen hoch, wenn es um den Rechtsberuf geht. Es war für viele von uns, auch für mich, der Beruf, ehe wir hierher kamen, und insofern haben wir ein Interesse. Wie sehr ich mich auch für meinen früheren Beruf und seine Unabhängigkeit stark gemacht haben mag, geht es mir mehr noch um den Zugang zum Recht und zu Rechtsdienstleistungen im Allgemeinen und darum, wie wir diese Leistungen im Dienste der Öffentlichkeit verfügbar machen können.
Das öffentliche Interesse am Zugang zum Recht muss nach meiner Überzeugung unser erstrangiges Ziel sein, nicht der Schutz oder die Annehmlichkeit von Anwälten, die es bequemer finden, ihre Dienste so anzubieten, wie sie es seit jeher tun. Der Beruf muss unabhängig sein, aber sein Protektionismus sollte ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienen.
Mir scheint, wir haben in Europa eine wunderbare Gelegenheit, uns umzuschauen und zu sehen, was genau dem öffentlichen Interesse am besten dient. Ich habe zum Beispiel immer gedacht, dass die Gebühren im unteren Bereich in Deutschland eine gute Sache sind, um sicherzustellen, dass auch Kläger mit geringen Streitwerten ihr Recht suchen können. In meinem Land ist das oft ein Problem, denn die Kosten sind so hoch und die Gebühren dort, wo wir eine Art feste Gebühr haben, so niedrig, dass Anwälte die Arbeit ablehnen. Hier ein Gleichgewicht zu finden, ist schwierig, aber Europa bietet uns die Chance, sich viele Antworten anzusehen, die es auf diese Probleme geben mag, und die beste für die Gesellschaft, der wir zu dienen trachten, herauszufinden, und wir sollten auf der Suche nach dem Besten nicht ängstlich oder zu sehr um uns besorgt sein. Ich meine, solange die Kommission dasselbe Ziel hat, sollten wir imstande sein zusammenzuarbeiten.
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich stimme mit Frau Wallis’ Schlussfolgerung völlig überein. Lassen Sie uns nach dem Besten suchen und es uns gemeinsam tun. Nur so können wir allen Klienten und potenziellen Klienten dieser Berufsgruppe in die Augen sehen.
Ich möchte noch einmal einige Kernbotschaften im Hinblick auf unsere Absichten auf diesem Gebiet hervorheben. Mit unserer Initiative geht es uns um eine bessere Verordnung. Was bedeutet das? Es bedeutet eine Verordnung, die ausgewogen und nicht restriktiver als unbedingt nötig ist. Wir wollen den Zugang zum Recht fördern, nicht behindern. Nur das macht Sinn. Mit der Öffnung zu mehr Wettbewerb in diesem Sektor wird genau das erreicht, es führt zur Entstehung neuer, innovativer Dienstleistungsarten. Das ist mit Sicherheit ein großer Vorteil. Alle werden einen Nutzen davon haben, dass das Potenzial des Sektors im Hinblick auf Wachstum, im Hinblick auf Arbeitsplätze und auch im Hinblick auf die Bereitstellung von qualitativ besseren Dienstleistungen und größeren Auswahlmöglichkeiten für Verbraucher freigesetzt wird.
Ich möchte auf die entscheidende Frage der Gebührenfestsetzung näher eingehen, die heute Abend als Hauptproblem vorgebracht worden ist. Im Allgemeinen kann ich nicht einsehen, wie eine Preisfestsetzung im großen Rahmen, selbst für die Arbeit auf dem Gericht, für alle Verbraucher und Geschäftskunden objektiv zu rechtfertigen ist. Es mag in begrenztem Maße gewisse Umstände geben, unter denen eine Preisregulierung gerechtfertigt ist: beispielsweise, wenn es nötig ist, bestimmten benachteiligten Gruppen, darunter den unteren Einkommensschichten, einen besonderen Schutz zu gewähren. Hier kann eine sehr begrenzte und ganz zielgerichtete Preisregulierung erforderlich sein. Doch im Großen und Ganzen sind Verbraucher und Geschäftsleute mit mehreren Angeboten verschiedener Dienstleister, die sie vergleichen und unter denen sie auswählen können, wahrscheinlich besser bedient.
In Systemen, in denen die Kosten des Rechtsstreits von der unterlegenen Partei getragen werden, kann ich allerdings einen gewissen Nutzen darin sehen, wenn Richter bei ihrer Kostenentscheidung einen Orientierungsrahmen haben. Ich sage nicht, dass die Beseitigung der Preisregulierung oder ein geringerer Grad der Regulierung automatisch zu niedrigeren Preisen, einer größeren Auswahl für den Verbraucher oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führt.
Was die Beseitigung der Preisregelung im Vereinigten Königreich mit der Folge höherer Rechtskosten angeht, so kenne ich keinen Fall, in dem eine Preisderegulierung im Vereinigten Königreich zu Problemen für britische Bürger beim Zugang zu Rechtsberatung und –vertretung geführt hätte oder in dem die Gebühren im Rechtswesen als Folge unverhältnismäßig eskaliert wären. Im Gegenteil, die Law Society im Vereinigten Königreich stellte 1999 fest, dass die Einführung eines stärkeren Wettbewerbs auf dem Gebiet der Eigentumsübertragung in den neunziger Jahren zu Gebührensenkungen von bis zu 24 % geführt und den Verbrauchern die Möglichkeit eröffnet hätte, sich nach dem besten Geschäft umzusehen. In dem Land, das ich am besten kenne, hat man im Jahr 2002 ermittelt, dass die Einführung des Wettbewerbs bei der Eigentumsübertragung zu sinkenden Gebühren geführt hat.
Abschließend ein Wort zur Qualität. Wir alle wollen, dass die europäischen Verbraucher Zugang zu qualitativ hoch stehenden Dienstleistungen im Rechtswesen haben. Das ist unerlässlich, wenn der Zugang zum Recht für alle Wirklichkeit werden soll. Allerdings denke ich, dass dafür nicht immer feste Gebühren erforderlich sind. Mir ist nicht bekannt, dass die Beseitigung von festen Gebühren irgendwann in den Mitgliedstaaten, in denen diese Maßnahme durchgeführt wurde, zu einer Verschlechterung der Qualität rechtlicher Dienstleistungen geführt hätte, wiewohl Qualität ihren Preis hat. Eine feste Gebühr an sich garantiert noch keine Qualität. Ich übernehme hier Frau Wallis’ Motto: ‚Streben wir nach dem Besten, und tun wir es gemeinsam’.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 23. März, in Brüssel statt.
16. Vorbereitungen für die COP-MOP-Tagung über die biologische Vielfalt und die biologische Sicherheit (Curitiba, Brasilien) (Aussprache)
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Erklärung der Kommission zu den Vorbereitungen für die COP-MOP-Tagung über die biologische Vielfalt und die biologische Sicherheit (Curitiba, Brasilien).
Neelie Kroes, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Es ist die Absicht der Europäischen Kommission, den internationalen Verpflichtungen auf dem Gebiet der biologischen Vielfalt nachzukommen und sie weiter zu stärken. Das Millennium Ecosystem Assessment hat verdeutlicht, dass drastische Schritte erforderlich sind, wenn wir einen irreparablen Verlust an Leistungen des Ökosystems, von denen das menschliche Wohlergehen abhängt, vermeiden wollen. Wenn wir den Beziehungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und biologischer Vielfalt keine Beachtung schenken, werden wir auch die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele gefährden.
Die Studie Millennium Ecosystem Assessment schlussfolgert, dass ‚beispiellose Anstrengungen erforderlich sind, um das für 2010 gesetzte Ziel einer signifikanten Verringerung der Geschwindigkeit des Verlusts an biologischer Vielfalt auf allen Ebenen zu erreichen’. Dieses für 2010 gesetzte globale Ziel auf dem Gebiet der biologischen Vielfalt wurde mit der Konvention über Biologische Vielfalt angenommen und auf dem Johannesburger Weltgipfel über Nachhaltige Entwicklung ratifiziert. Es ist daher das politische Engagement auf höchster Ebene erforderlich, um die Konvention über Biologische Vielfalt umzusetzen und das für 2010 gesetzte Ziel zu erreichen. Die 8. Konferenz der Vertragsparteien der UN-Konvention über Biologische Vielfalt wird in den kommenden beiden Wochen im brasilianischen Curitiba stattfinden. Der COP8 geht die dritte Tagung der Vertragsparteien des Protokolls von Cartagena über biologische Sicherheit voraus. Das sind wichtige internationale umweltpolitische Ereignisse, und Kommissar Dimas wird vom 26. bis 30. März an der Ministertagung innerhalb der Konferenz der Vertragsparteien teilnehmen.
Der Rat „Umwelt“ nahm am vergangenen Mittwoch Schlussfolgerungen an, in denen die EU-Prioritäten für die 8. Konferenz der Vertragsparteien dargelegt sind. Die Schlussfolgerungen sind: erstens, Stärkung der Umsetzung der Konvention über Biologische Vielfalt und Überwachung der Fortschritte bei der Erreichung des für 2010 festgesetzten Ziels auf dem Gebiet der biologischen Vielfalt; zweitens, Erzielung von Fortschritten bei der Umsetzung des Arbeitsprogramms zu Schutzgebieten der Konvention über Biologische Vielfalt und insbesondere in Verbindung mit ihrer Zielsetzung, ein weltweites Netz umfassender, ökologisch repräsentativer und effizient verwalteter nationaler und regionaler Schutzgebietsysteme zu errichten. Dieses ist bis 2010 für Schutzgebiete auf dem Lande und bis 2012 für Meeresschutzgebiete zu erreichen. Das erfordert auch Fortschritte in Bezug auf Meeresschutzgebiete, die außerhalb der nationalen Zuständigkeit liegen. Die Konvention über Biologische Vielfalt sollte auch wissenschaftliche Kriterien festlegen, wie Meeresgebiete und Meeresarten zu ermitteln sind, die am dringlichsten des Schutzes bedürfen. Die dritte Schlussfolgerung betrifft die Erzielung von Fortschritten bei den Verhandlungen über ein internationales Regime über den Zugang und über die gemeinsame Nutzung von Vorteilen.
Was die laufende 3. Tagung der Vertragsparteien des Protokolls von Cartagena über biologische Sicherheit angeht, liegen unsere Prioritäten in der abschließenden Verabschiedung der dokumentarischen Erfordernisse für grenzüberschreitenden Bewegungen von GVO, in der weiteren Entwicklung von Richtlinien zur Risikobewertung und in der Diskussion weiterer Maßnahmen zur Umsetzung. Auch Fragen des Aufbaus von Kapazitäten werden im Mittelpunkt der dritten Tagung der Vertragsparteien stehen.
Die Kommission ist sehr an der Einbindung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments als Beobachter in den Delegationen der Gemeinschaft bei der Aushandlung multilateraler Vereinbarungen interessiert, was auch bei zahlreichen Gelegenheiten geschehen ist.
Die Kommission begrüßt daher die Teilnahme von Mitgliedern des Europäischen Parlaments an der COP8 und ist davon überzeugt, dass sie einen wichtigen Beitrag leisten können. Im Rahmen ihrer begrenzten personellen Möglichkeiten der COP wird die Kommission die Parlamentsmitglieder gemäß der interinstitutionellen Vereinbarung regelmäßig über die Entwicklung bei den Verhandlungen informieren.
Eija-Riitta Korhola, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Seit der Unterzeichnung des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt sind jetzt dreizehn Jahre vergangen, aber die biologische Vielfalt auf der Erde nimmt immer weiter ab. Wenn nächste Woche die achte Tagung der Vertragsstaaten des Übereinkommens beginnt, dann wird es weltweit so sein, dass etwa 16 000 Tier- und 60 000 Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Wir beuten unsere Ökosysteme auf eine nicht-nachhaltige Art und Weise aus. Global betrachtet, ist die Landnutzung, die die natürliche Umwelt zum Zwecke der Gewinnerzielung verändert, die wichtigste Ursache für die Verarmung der Artenvielfalt. Etwa 2 % der ursprünglich natürlichen Umwelt werden jährlich zu Flächen für die Land- und Forstwirtschaft umgestaltet oder werden Teil der bebauten Umwelt.
Da sich die Probleme der Lebensräume, der darin lebenden Arten und der Verarmung der genetischen Vielfalt gewöhnlich erst nach einiger Zeit zeigen, ist dem Charakter der Obergrenze der Biodiversität als Teil der globalen Veränderungen nicht hinreichend Aufmerksamkeit geschenkt worden. Als Folge der Verschlechterung des Zustands der Ökosysteme können deren Funktion und die kostenlosen Leistungen, die sie für den Menschen erbringen, wie die Bereitstellung von sauberem Wasser und die Aufrechterhaltung des hydrologischen Kreislaufs, die Kohlenstoffbindung, die Bestäubung von Nahrungsmittelpflanzen und der Nährstoffkreislauf stark beeinträchtigt werden. Ökologen und Ökonomen haben errechnet, dass die kostenlosen Leistungen der Natur in Geld ausgedrückt die unglaubliche Summe von etwa 23 Milliarden Euro jährlich ausmachen, was mehr ist als das zusammengenommene Sozialprodukt der ganzen Welt. Die Leistungen eines Ökosystems lassen sich teilweise dadurch zurückgewinnen, dass beispielsweise von der Erosion bedrohte Rodungsgebiete wieder aufgeforstet werden, aber Forstkulturen können die Vielfalt natürlicher Wälder nicht ersetzen. Wir haben daher einen gemeinsamen Wunsch: Wir wollen die Verarmung der Natur stoppen. Wo aber findet sich die Weisheit, die uns die wirksamen Wege und Mittel dazu aufzeigt?
Die Entschließung enthält eine Reihe unterstützenswerter Hinweise, aber betrachtet man einmal die Natur selbst, dann kann man nur staunen angesichts ihrer Weisheit. Die Natur selbst ist unendlich produktiv, schöpferisch, ja sogar verschwenderisch, gleichzeitig aber auch effizient und praktisch. Die Natur ist ein Beispiel dafür, wie ein natürliches Wirtschafts- und Produktionssystem tatsächlich aussieht und was das Ziel einer ökologischen Produktplanung sein sollte. Die Natur schert sich nicht um eine integrierte Produktpolitik von Anfang bis Ende, für die Natur ist alles immer wieder der Anfang für etwas Neues. Wir brauchen diese Art von Weisheit – aber auch ein unvoreingenommenes Herangehen –, wenn wir die vor uns liegenden Schwierigkeiten meistern wollen.
Riitta Myller, im Namen der PSE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Über die Notwendigkeit, das internationale Umweltmanagement zu stärken, herrscht weitgehende Übereinstimmung. Der Klimawandel ist das größte globale Umweltproblem, wenngleich bedauerlicherweise nicht das einzige. Der Rückgang der Zahl der Arten auf der Welt bedroht bereits heute die Lebensfähigkeit unserer Gesellschaft. Wir brauchen daher bei der bevorstehenden UNO-Konferenz der Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt greifbare Ergebnisse in Bezug auf die biologische Vielfalt in der EU.
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt ist der am weitesten geltende internationale Vertrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Er wurde von 188 Staaten unterzeichnet, darunter alle 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Damit der Vertrag eine möglichst breite Wirkung entfalten kann, ist es wichtig, dass das Übereinkommen auf den verschiedenen Politikfeldern wirksam umgesetzt wird und dass der Vertrag mit anderen internationalen Umweltverträgen in Einklang gebracht und mit diesen koordiniert werden kann.
Das größte Problem für eine wirksame Umsetzung ist jedoch die ungenügende Zahl von Indikatoren für die biologische Vielfalt. Wir wissen weder, was in unserer Umwelt vor sich geht, noch wie wir auf diese Herausforderung reagieren können. Es bedarf harter Arbeit seitens der Kommission, um diese Indikatoren herauszuarbeiten. Es ist an der Europäischen Union, den Weg zur Stärkung der globalen Dimension einer nachhaltigen Entwicklung aufzuzeigen. Wir sollten bereit sein, uns auf allgemein verbindliche Ziele zu verständigen, mit dem Ziel, die Verarmung der Natur zu stoppen und ihren natürlichen Reichtum zu sichern, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder.
Jolanta Dičkutė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Warum müssen wir die biologische Vielfalt erhalten? Die Antwort ist einfach – weil sie unmittelbaren Bezug zu uns, den Menschen, hat. Der Mensch ist Teil der biologischen Vielfalt; der Mensch nimmt Einfluss auf die ihn umgebenden Lebewesen, die wiederum Einfluss auf ihn selbst ausüben. Tag für Tag jedoch vernichtet ebendieser Mensch eine unbekannte Zahl lebender Arten, indem sein Wirken einen Klimawandel herbeiführt, die Umweltverschmutzung erhöht und die natürlichen Habitate von Pflanzen und Tieren zerstört. Die menschliche Tätigkeit, für die es in der Natur kein Analogon gibt, wirkt sich normalerweise aus der Sicht der biologischen Vielfalt verheerend aus. Eine Bewertung verfügbarer Daten mehrerer europäischer Staaten über den Zustand der Vogel- und Säugetierpopulationen und die Veränderungen in ihrem Vorkommen zeigt, dass man die langfristige Erhaltung vieler dieser Arten ohne eine dringliche und entschlossene Änderung in der Strategie und Politik auf dem Gebiet des biologischen Schutzes nicht garantieren kann. Die so genannte vereinfachte Umweltschutzstrategie, die zuvor angewendet worden war, versucht lediglich, die Bedürfnisse der vom Aussterben am stärksten bedrohten Arten zu berücksichtigen. Eine solche Strategie ist nicht länger angemessen. Ich sehe das ehrgeizige Ziel der Europäischen Union, bis 2010 den Niedergang der biologischen Vielfalt aufzuhalten, sehr positiv. Um dieses Ziel zu verwirklichen, ist es notwendig, ein System biologischer Indikatoren zu schaffen, das dazu beiträgt, die Fortschritte bei der Umsetzung der im Rahmen der Konvention über Biologische Vielfalt eingegangenen Verpflichtungen zu bewerten. Wir müssen nationale Aktionspläne ausarbeiten und die Erfassung, Analyse und Veröffentlichung von Daten auf internationaler Ebene koordinieren. Dazu sind natürlich auch finanzielle Investitionen erforderlich. Heute begehen wir den Welttag der Rechte der Verbraucher. Es ist symbolisch, dass wir gerade heute die Erhaltung der biologischen Vielfalt diskutieren. Die ständig zunehmende Werbung für den Konsumismus, der nachweislich das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand des Einzelnen erhöht, schädigt mit jedem Tag zunehmend die Umwelt.
Caroline Lucas, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Diese Entschließung stellt eine ganz wichtige Gelegenheit für das Parlament dar, die Tagung der Unterzeichnerstaaten in Brasilien wissen zu lassen, welchen Wert die Bürgerinnen und Bürger Europas den natürlichen Ressourcen und der biologischen Vielfalt beimessen. Ich möchte nur auf zwei dieser Ressourcen eingehen.
Wir gehen der ältesten Wälder der Welt mit einer Geschwindigkeit von jährlich über 13 Millionen Hektar verlustig, was verheerende Auswirkungen hat. Es muss ein weltweites Netz geschützter Waldgebiete errichtet und finanziert werden, und den Ländern müssen messbare zeitliche Verbotsziele gesetzt werden, um sicherzustellen, dass der Verbrauch von und der Handel mit Ressourcen, die der Erhaltung der biologischen Vielfalt dienen, ausschließlich aus nachhaltigen Ressourcen stammt.
Auch müssen wir dringend zur Frage von Kulturen Stellung beziehen, die mithilfe von Terminatortechnologien manipuliert wurden. Diese Kulturen bringen sterile Samen hervor, sodass Landwirte aus der Ernte eines Jahres keine Samen für die nächste Aussaat gewinnen können, wodurch sie gezwungen sind, Jahr für Jahr Saatgut von den Biotechnologieunternehmen zu kaufen, die schon jetzt einen enormen Saatgutmarkt kontrollieren: Nur zehn Firmen kontrollieren mehr als 50 % des weltweiten Absatzes von Saatgut. Die Folgen für die Lebensmittelsicherheit, insbesondere in den Entwicklungsländern und für den Lebensunterhalt armer Landwirte, wären enorm. Alle Vorschläge, die auf ein Unterlaufen des Moratoriums zur Feldprüfung und Vermarktung dieser Suizidsamen abzielen, müssen entschlossen zurückgewiesen werden, und deshalb hat unsere Fraktion für morgen einen Änderungsantrag eingereicht, um diesem Punkt Nachdruck zu verleihen.
Karin Scheele (PSE). – Herr Präsident! In den letzten beiden Jahrhunderten führten das Bevölkerungswachstum, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Umweltverschmutzung zu einem rasant zunehmenden Verlust von Wachstum. Der Mensch ist von biologischer Vielfalt abhängig, das wurde oft genug heute gesagt. Wälder z. B. liefern uns nicht nur den Rohstoff Holz und reichern die Luft mit Sauerstoff an, sondern reinigen unser Wasser und verhindern Erosion und Überschwemmungen, eine Funktion, die in allen Teilen der Welt mit den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels immer bewusster wird.
Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung wurde 2002 – und das hat die Kommissarin gesagt – beschlossen, dass man die Geschwindigkeit des Verlustes an Artenvielfalt reduziert. Damals hat die Delegation des Europäischen Parlaments diese nicht ausreichend ehrgeizige Forderung sehr kritisiert. Innerhalb der Europäischen Union sind wir über diese Forderung hinausgegangen und haben gesagt, bis 2010 muss eine Trendwende beim Rückgang der biologischen Vielfalt erreicht werden.
Ich glaube, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten weiterhin eine Führungsrolle haben müssen und schauen müssen, dass man sich bei der 8. Konferenz der Vertragsstaaten auf messbare Ziele einigt, die innerhalb einer bestimmten Zeit erreicht werden müssen.
Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten sollen auch besonderes Augenmerk auf die biologische Vielfalt der Meere legen, und die hier muss sich die Europäische Union selbst bei der Nase fassen. Ich nenne nur als Stichwort die europäische Fischereipolitik, ein Thema, das aufgrund der alarmierenden Rückgänge der Bestände bei verschiedenen Fischarten gerade mit den Kollegen und Kolleginnen aus den AKP-Staaten diskutiert wird.
Der Präsident. – Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung vier Entschließungsanträge eingereicht.(1)