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Verfahren : 2006/2036(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : A6-0069/2006

Eingereichte Texte :

A6-0069/2006

Aussprachen :

PV 04/04/2006 - 7
CRE 04/04/2006 - 7

Abstimmungen :

PV 05/04/2006 - 5.7
CRE 05/04/2006 - 5.7
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P6_TA(2006)0129

Ausführliche Sitzungsberichte
Dienstag, 4. April 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

7. Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den Arbeitsmärkten der Europäischen Union (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Aussprache über den Bericht von Csaba Őry im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten (2006/2036(INI)) (A6-0069/2006).

 
  
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  Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Meine Damen und Herren! Vielen Dank, aber eigentlich ich bin es ja gewohnt, dass zunächst der Berichterstatter spricht und erst danach das zuständige Kommissionsmitglied antwortet. Da Sie sich jedoch entschieden haben, vom üblichen Ablauf abzuweichen, bin ich selbstverständlich bereit, den Anfang zu machen.

Zuerst, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Herrn Őry für seinen ausgezeichneten Bericht zu einem Thema danken, das eine der Säulen der europäischen Integration bildet. Mit den im Beitrittsvertrag festgelegten Übergangsmaßnahmen sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, schrittweise und so schnell wie möglich das eine unumstößliche Ziel zu erreichen, allen Arbeitsnehmern aus den Ländern, die 2004 in die Europäische Union aufgenommen wurden, den ungehinderten Zugang zur Beschäftigung in allen Mitgliedstaaten zu gewähren. Dabei handelt es sich um eine der im Vertrag von Rom verankerten Grundfreiheiten. Die Kommission hat entsprechend den Festlegungen im Beitrittsvertrag die Anwendung dieser Übergangsmaßnahmen bewertet, um den Mitgliedstaaten Hilfestellung bei der Entscheidung über die Frage zu geben, ob sie die Übergangsregelungen beibehalten oder darauf verzichten sollen. Ausgehend von den statistischen Angaben für das Jahr 2004 und in einigen Fällen auch für 2005 und nach Konsultationen mit den jeweils Beteiligten hat die Kommission konkrete Schlussfolgerungen zur ersten Phase der Übergangsfrist erarbeitet.

Die Zahl der seit dem Beitritt registrierten Arbeitnehmer ist im Allgemeinen sehr gering und erreicht in seltenen Fällen 1 % der Erwerbsbevölkerung des Aufnahmelandes. Zudem hat sich der Zustrom von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten im Wesentlichen offenbar günstig ausgewirkt, was darauf zurückzuführen ist, dass Schwarzarbeiter aus acht der beigetretenen EU-Mitgliedstaaten aus der Grauzone der Illegalität herausgeholt wurden. Nach dem Beitritt hat sich in Europa auch der Arbeitskräftemangel verringert und die Wirtschaftsleistung verbessert. Die Länder, die nach dem Mai 2004 auf Einschränkungen verzichtet haben, verzeichnen ein stärkeres Wirtschaftswachstum, niedrigere Arbeitslosenquoten und höhere Beschäftigungsniveaus. Den Arbeitnehmern, die jetzt legalen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, bereitet der Markteintritt kaum Probleme. Selbstverständlich entscheiden ausschließlich die Mitgliedstaaten, ob sie die Übergangsregelungen anwenden oder nicht, aber die Kommission kann an die Mitgliedstaaten appellieren, die Vor- und Nachteile der Maßnahmen objektiv abzuwägen. In Wahrheit ist die zweite Phase die eigentliche Übergangsphase, die uns insgesamt oder zumindest teilweise dem Ziel der Arbeitnehmerfreizügigkeit näher bringen wird. Deswegen dürfen die Mitgliedstaaten, die Einschränkungen auf der Grundlage des Beitrittsvertrages anwenden, Staatsangehörige, die aus den acht EU-Mitgliedstaaten stammen und bereits legal auf ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, nicht schlechter behandeln als langfristig aufhältige Drittstaatsangehörige; entsprechende Hinweise gab es während der vorangegangenen Plenarsitzung. Ein Schreiben, in dem diese Vorgänge erläutert werden, ist an die Innenminister ergangen, um die Rechtslage zu klären. Vor wenigen Minuten erwähnte der Berichterstatter das Thema Drittstaatsangehörige; Sie werden mir jetzt hoffentlich gestatten, nochmals zu betonen, dass es nach Maßgabe der Richtlinien und Beitrittsverträge unzulässig ist, langfristig in einem EU-Mitgliedstaat aufhältige Drittstaatsangehörige besser zu behandeln als Bürger aus EU-Mitgliedstaaten, d. h., für EU-Bürger geltende Einschränkungen müssen logischerweise auch auf langfristig in dem betreffenden EU-Mitgliedstaat aufhältige Bürger aus Drittstaaten Anwendung finden.

Aus denselben Gründen überwacht die Kommission auch die Einhaltung der Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten untersagen, den Zugang von Arbeitnehmern aus den acht beigetretenen EU-Mitgliedstaaten zu ihren Arbeitsmärkten stärker einzuschränken als vor der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags am 16. April 2003. Gleichzeitig richtet die Kommission die Forderung an die Mitgliedstaaten, die rechtlichen Regelungen der Gemeinschaft kompromisslos anzuwenden, insbesondere im Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern. Ich weiß, dass wir die statistische Überwachung der Arbeitnehmerströme innerhalb der EU erheblich stärker kontrollieren müssen, denn es kursieren viele überlegenswerte Hypothesen, deren Wahrheitsgehalt mithilfe der vorhandenen statistischen Angaben und Analysemöglichkeiten nicht überprüft werden kann. Die Kommission befürwortet die Vorschläge des Parlaments zur Intensivierung des sozialen Dialogs auf europäischer und nationaler Ebene mit dem Ziel, die Rechte von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten zu wahren. Genauso positiv ist ihre Einstellung zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit und die diesbezüglichen Rechtsvorschriften. Ein Beitrag zur Erreichung dieses Ziels könnte die Ausrufung des Jahres 2006 zum Europäischen Jahr der Arbeitnehmermobilität sein.

Trotz der im Hinblick auf die schrittweise Erweiterung geäußerten Befürchtungen hat die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten nicht unterhöhlt. Der freie Personenverkehr ist ein für alle Bürger geltender Grundsatz, und jedwede Einschränkung kann nur befristeter Natur sein und muss strikt im Geiste der Verträge formuliert werden.

Meine Damen und Herren, in meinem Redebeitrag habe ich ein-, zweimal den Begriff „neue Mitgliedstaaten“ verwendet. Dazu ist zu sagen, dass die neuen Staaten in Mitteleuropa auf eine fast genauso lange Geschichte zurückblicken können wie die Staaten in anderen Teilen Europas, und nach der Erweiterung der Europäischen Union gehören sie jetzt zum Kreis der Mitgliedstaaten. Daher möchte ich hier feststellen, dass ich die Formulierung „neue Mitgliedstaaten“ nicht mehr benutzen werde.

 
  
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  Csaba Őry (PPE-DE), Berichterstatter. – (HU) Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung im Jahr 2004 gilt der Frage der Öffnung der Arbeitsmärkte und in Verbindung damit der Durchsetzung der von den zwölf alten Mitgliedstaaten für notwendig erachteten Übergangsbeschränkungen besondere Aufmerksamkeit.

Nach den Bestimmungen der Beitrittsverträge sollen die Mitgliedstaaten ausgehend von ihren jeweiligen Arbeitsmarkterfahrungen diese Beschränkungen schrittweise zwischen 2004 und 2011 aufheben. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament werden die Situation ebenfalls anhand der Erfahrungen der Mitgliedstaaten bewerten. Die Haltung der europäischen Institutionen vermittelt eine politische Botschaft und soll in erster Linie dazu dienen, den über 450 Millionen EU-Bürgern das gesamteuropäische Interesse an der entscheidenden Frage der Freizügigkeit der Arbeitnehmer näher zu bringen. Anders gesagt: Welches Interessen verfolgt die Europäische Union als wichtiger Akteur der Weltpolitik und der Weltwirtschaft? Die Logik der Berücksichtigung europäischer Interessen spielte bei der Erstellung des vorliegenden Berichts eine entscheidende Rolle. Den einzig möglichen Ausgangspunkt für die Bewertung der gegenwärtigen Situation bildete die Analyse der globalen Herausforderungen, denen die EU am Anfang des 21. Jahrhunderts gegenübersteht.

In dieser Hinsicht muss lediglich darauf verwiesen werden, dass unsere wirtschaftlichen Wettbewerber in Südostasien sowohl bei der Industrieproduktion als auch im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation deutlich zulegen. Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen wollen, um mit Amerika und Asien Schritt halten zu können, müssen wird eine Lösung für die strukturellen Spannungen innerhalb der europäischen Wirtschaften finden.

Der Weg ist klar: Wir müssen die Mobilität innerhalb der EU erhöhen und die Schaffung eines möglichst flexiblen europäischen Binnenarbeitsmarktes mit allen verfügbaren Mitteln vorantreiben. Selbstverständlich gibt es alternative Möglichkeiten zur Förderung der Mobilität (so könnte man auch über eine Beschleunigung der Zuwanderung und andere ähnliche Maßnahmen reden), aber solchen Alternativen ist die Tatsache gemein, dass die damit verbundenen Sozialkosten wesentlich höher sind, ihre Effektivität jedoch deutlich niedriger. Der Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung im Einklang mit der Lissabon-Strategie ist in erster Linie gekennzeichnet durch die Förderung der Mobilität und die Nutzung von Arbeitsmarktreserven in Gestalt der nicht erwerbstätigen Bevölkerung. Dies ist die einzige Möglichkeit zur Wahrung der sozialen Errungenschaften, die den Bürgern Europas so am Herzen liegen und von denen wir so oft reden.

Ein wichtiger Schritt zu größerer Mobilität besteht in der schnellstmöglichen Aufhebung der im Rahmen der Übergangsregelung verhängten Beschränkungen für die neuen Mitgliedstaaten. Einige Mitgliedstaaten haben bereits für Mai 2006 ihre diesbezügliche Bereitschaft erklärt. Wir können nur hoffen, dass in den kommenden Jahren – vielleicht sogar vor Mai 2009 – andere Mitgliedstaaten diesem Beispiel folgen, denn dabei ist unbedingt hervorzuheben, dass die anderen Mitglieder jederzeit rechtlich die Möglichkeit haben, eine ähnliche Entscheidung zu treffen.

Ängste vor massiver Zuwanderung haben sich als unbegründet erwiesen. Die Erfahrungen haben eindeutig gezeigt, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten in den alten Mitgliedstaaten, die sich für die vollständige Öffnung ihrer Märkte im Jahr 2004 entschieden haben, nicht zu Spannungen auf dem Arbeitsmarkt oder wirtschaftlichen Problemen geführt hat. Im Gegenteil! Die Prüfung durch die Europäische Kommission und eine der betroffenen Regierungen – der Regierung Großbritanniens – hat gezeigt, dass die in beschränktem Maße erfolgte Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern den Aufnahmestaaten wirtschaftliche Vorteile beschert hat. Die Schlussfolgerung liegt daher klar auf der Hand: Die schnellstmögliche Aufhebung der Übergangsmaßnahmen zur Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der EU durch die betroffenen Regierungen bringt die größten Vorteile für die EU und ihre Mitgliedstaaten.

Des Weiteren haben wir im Rahmen dieses Berichtes auch Kompromissvorschläge vorgelegt, in denen die besonderen Befindlichkeiten einiger Mitgliedstaaten in dieser Frage berücksichtigt wurden, denn unserer Erfahrung nach wird die zügige Umsetzung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht nur durch wirtschaftliche Schwierigkeiten behindert, sondern oftmals aufgrund politischer und soziopsychologischer Hindernisse oder Kommunikationshürden. Die Kompromissvorschläge gehen der Frage auch aus Sicht des paneuropäischen Interesses nach, wobei versucht wird, die Bestrebungen und Empfindsamkeiten sowohl der alten als auch der neuen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Daher hoffen wir, dass der Bericht in seiner vorliegenden Form bei der Abstimmung im Parlament breiteste Unterstützung findet.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen, den politischen Fraktionen und der Europäischen Kommission für ihre Kooperation bedanken. Es ist kein Zufall, dass der Inhalt der Einleitung von Herrn Špidla mich in großem Maße von der Aufgabe befreit hat, den Bericht ausführlich vorzustellen. Wir denken im Großen und Ganzen sehr ähnlich, und unsere Erfahrungen sind vergleichbar. Ich gehe davon aus, dass dies auch künftig so bleiben wird.

 
  
  

VORSITZ: PIERRE MOSCOVICI
Vizepräsident

 
  
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  Ria Oomen-Ruijten, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Zunächst darf ich Herrn Őry, der seine Aufgaben recht gewissenhaft erledigt und einen konstruktiven Bericht verfasst hat, herzlich beglückwünschen.

Wir in Europa verdanken den Wohlstand, den wir genießen, den vier Grundfreiheiten, die wir in der Europäischen Union verankert haben. Fester Bestandteil davon ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Wie mir nunmehr scheint, hat in dem Erweiterungsprozess in den alten Mitgliedstaaten die Angst regiert. Und die Angst vor Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt, der bereits unter Druck steht oder stand, hat zu Einschränkungen der Freizügigkeit geführt. Ich habe immer die Meinung vertreten, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist und dass unseren Interessen eher gedient gewesen wäre, wenn wir diesen Arbeitsmarkt von Anfang an vollkommen geöffnet hätten. Dies geht auch aus den Ergebnissen von Studien hervor, die im Vereinigten Königreich und in Schweden durchgeführt wurden, obgleich zum Vereinigten Königreich noch anzumerken ist, dass soziale Sicherheit dort nicht so umgesetzt wird, wie wir es gern hätten.

Woher rührt diese Angst? Die Menschen befürchten, aus dem Arbeitsmarkt gedrängt zu werden, und um dies zu verhindern, werden die Grenzen geschlossen. Nichts könnte jedoch weiter von der Wahrheit entfernt sein. Menschen kommen in großer Zahl in unsere Mitgliedstaaten und schuften dort viele Stunden für wenig Geld. Sie sind schlecht untergebracht, gründen ihre Ein-Mann-Betriebe und konkurrieren dann mit unseren kleinen und mittleren Unternehmen.

Wie sollte die Antwort darauf lauten? Anstatt in Angst zu verfallen, sollte die Antwort darin bestehen, die Grenzen zu öffnen und sicherzustellen, dass ordnungsgemäße Kontrollen stattfinden, und zwar nicht, um zu überwachen, ob Mindestlöhne gezahlt werden, sondern ob man sich an die in den Tarifverträgen festgeschriebenen Löhne und Arbeitsbedingungen hält, und wie es um die Bedingungen für die Sicherheit am Arbeitsplatz bestellt ist. Eine solche Entwicklung wird sowohl in den neuen als auch in den alten Mitgliedstaaten begrüßt.

 
  
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  Richard Falbr, im Namen der PSE-Fraktion. – (CS) Herr Präsident! Das Jahr 2006 wurde, wie bereits gesagt, zum Europäischen Jahr der Arbeitnehmermobilität ausgerufen. Auf Initiative des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten wurde ein Entschließungsentwurf erarbeitet, der am 21. März im Ausschuss mit überwältigender Mehrheit gebilligt wurde. Für die Erstellung des Berichts gebührt insbesondere dem Kollegen Őry Dank. Das Kernanliegen der Entschließung ist in der Forderung zu sehen, die geltenden Übergangsmaßnahmen aufzuheben. Unverzüglich nach der Annahme gingen Änderungsanträge ein, die darauf abzielten, dieses viel versprechende Signal des Parlaments zu verhindern. Bemerkenswert ist, dass der erste Satz in jedem dieser Vorschläge lautet: „Ich befürworte die Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber ...“. Meiner Meinung nach sollte das Parlament daher die vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten gebilligte Fassung annehmen.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass sowohl Arbeitgebergruppen als auch der Europäische Gewerkschaftsbund die sofortige Abschaffung der Übergangsmaßnahmen fordern. Mir ist natürlich bekannt, dass einige Regierungen diese Abschaffung nicht vorgenommen haben, doch den Staaten, die es getan haben, gilt unser Dank. Was das Wehklagen über den Zustand der Europäischen Union anbelangt, das heute hier im Saal zu vernehmen war, möchte ich sagen, dass weder der amerikanische noch der chinesische Weg als Modelle für uns taugen und dass nach der schweren Krise in Asien vor einigen Jahren vielen Staaten auf diesem Kontinent erwägen, genau die Strukturen zu entwickeln, die einige der heute hier Versammelten zerstören möchten. Es wäre sehr gut, wenn wir erkennen würden, dass der Weg zum Wohlstand weder über Löhne auf chinesischem Niveau noch über Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen à la USA führt.

 
  
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  Jan Jerzy Kułakowski, im Namen der ALDE-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Bei der Erörterung des Berichts des Kollegen Őry über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten sollten nach meiner Auffassung vier Kriterien eine Rolle spielen.

Erstens ist der freie Personenverkehr eine der vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts und ein Recht jedes Bürgers der Europäischen Union. Die Anerkennung dieses Rechts erfordert die Aufhebung der Übergangsfristen zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Damit soll keineswegs Massenbewegungen innerhalb der Europäischen Union das Wort geredet werden. Es sollte unterschieden werden zwischen Personenströmen, die durch die Suche nach einer Beschäftigung ausgelöst werden, und dem freien Personenverkehr, der ein Bürgerrecht ist.

Zweitens werden im Bericht zu Recht die Vorteile der Länder herausgestellt, die keine Übergangsfristen erlassen und ihre Arbeitsmärkte sofort geöffnet haben. Dies entspricht der Auffassung der Europäischen Kommission. Es wäre jedoch auch angebracht zu prüfen, inwiefern der freie Personenverkehr für die Herkunftsländer der betreffenden Bürger eine Gefahr oder einen Nutzen bedeutet.

Drittens dürfen Bürger aus Mitgliedstaaten auf den Arbeitsmärkten der Europäischen Union nicht schlechter gestellt werden als Drittstaatsangehörige, d. h. sie dürfen nicht diskriminiert werden. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass uns die Interessen von Menschen aus Drittstaaten gleichgültig sind oder dass wir uns nicht solidarisch mit ihnen erweisen wollen.

Und eine letzte Bemerkung: Der freie Personenverkehr sollte als Schlüsselmerkmal des europäischen Sozialmodells betrachtet werden. Angesichts der Tatsache, dass sowohl der Bericht Őry als auch der Standpunkt des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten die genannten Kriterien erfüllt, wird die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa für den Bericht stimmen. Auch wir möchten uns bei Herrn Őry für die geleistete Arbeit bedanken.

 
  
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  Elisabeth Schroedter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar! Die Fraktion der Grünen spricht sich für die Herstellung der Freizügigkeit aus. Wir unterstützen den ausgewogenen Bericht des Kollegen Őry, denn Übergangsfristen sind für die eigene Bevölkerung zwar sehr populär, bringen aber nicht den Erfolg.

Die Zeitungen in Deutschland titeln, dass die Regierung beschlossen hätte, die Billigarbeiter nicht ins Land zu lassen, und der Regierungsbeschluss wird damit begründet, dass man die eigenen Arbeitsmärkte vor dem Zustrom von billigen Wanderarbeitern aus den Nachbarländern schützen möchte. Das ist jedoch Augenwischerei: Die Übergangsfristen halten die Wanderarbeiter nicht auf. Sie kommen trotzdem und arbeiten schwarz und als Scheinselbständige. Die Übergangsfristen treiben die Menschen in die Illegalität und machen sie damit zu noch billigeren Arbeitnehmern und zum Objekt brutaler Ausbeutung ohne Arbeitsschutz, ohne soziale Sicherheit und ohne Sicherheit, den Lohn ausgezahlt zu bekommen.

Menschen in Illegalität haben keine Rechte. Der Lohndruck in sensiblen Bereichen und auf den betroffenen Arbeitsmärkten ist noch viel größer. Tarifabschlüsse haben nämlich auf dem Schwarzmarkt keine Wirkung. Dieser hat seine eigenen Regeln und ist nicht kontrollierbar. Die Regierungen, die weiter an Übergangsfristen festhalten, fördern illegale und halblegale Arbeitsverhältnisse. Der soziale Zusammenhalt wird dadurch wesentlich mehr gefährdet.

Wir müssen Arbeitsverhältnisse legalisieren, um es den Arbeitnehmern zu ermöglichen, ihre Rechte wahrzunehmen. Mehr Transparenz heißt auch eine bessere Überwachung von Arbeitsmärkten. Wir müssen den de facto existierenden europäischen Markt nach dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Arbeitsbedingung am gleichen Ort“ gestalten. Das stärkt nationale und regionale Tarifverhandlungen und gewährt allen die gleichen sozialen Rechte. Das hieße zum Beispiel für die deutsche Regierung, dass sie die Entsenderichtlinie ohne weitere Vorbehalte auf alle sensiblen Branchen ausdehnen muss, denn wir wissen, dass in Deutschland und Österreich die Übergangsfristen für den Dienstleistungsbereich an den Übergangsfristen für die Freizügigkeit hängen. Nur proaktive Ordnungsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt sind wirklich ein wirksamer Schutz vor Fehlentwicklung.

(Beifall)

 
  
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  Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Die fehlende Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen aus – und ich sage jetzt noch aus den neuen – EU-Ländern bewirkt, dass zahlreiche Menschen in Schwarzarbeit und in unwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse und rechtlose Illegalität gedrängt werden. Sie bedeutet ferner Diskriminierung, denn die Freizügigkeit von Personen ist eine vom Gemeinschaftsrecht garantierte Grundfreiheit.

Für ArbeitnehmerInnen besteht diese Freiheit bekanntlich seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957. Dass sie 2006 für Millionen Menschen innerhalb der Europäischen Union nicht gilt, ist nicht hinnehmbar. Sozial engagierte Linke – und so auch die GUE/NGL-Fraktion – im Europäischen Parlament haben im Zuge des Erweiterungsprozesses immer wieder darauf gedrängt, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mit dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne soziale Verwerfungen zur Wirkung kommen kann.

Die Menschen in den alten und den neuen Mitgliedstaaten sollten von der Erweiterung profitieren, stattdessen geht es aber immer wieder nur um die Frage der globalen Konkurrenz. Während in skandinavischen Ländern der Nachweis erbracht wurde, dass die Freizügigkeit bestehende soziale Standards durchaus auch schützt, hat die Bundesregierung in Deutschland die Übergangsfristen verlängert, ohne auch nur erkennen zu lassen, was sie denn überhaupt tun will, um diese Übergangsfrist zu nutzen, um letztendlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit dann auch durchzusetzen.

Im Grunde genommen stimmt meine Fraktion mit Herrn Őry überein, dass wir eigentlich keine Übergangsfristen brauchen. Allerdings lässt der vorliegende Bericht kaum eine Sensibilisierung für eine stärkere soziale Verantwortung für den europäischen Arbeitsmarkt erkennen. Entsprechende Anträge unserer Fraktion fanden hier bisher kaum Wirkung.

Ich plädiere dafür, dass ab sofort die Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle in der EU Lebenden gilt und dass armutssichere Mindestlöhne, Sozialstandards, eingeführt werden. Armutsbekämpfung muss in der Europäischen Union zur absoluten politischen Priorität gemacht werden.

 
  
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  Roberts Zīle, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Herr Präsident! Wir erlebten unlängst eine bittere Enttäuschung mit dem freien Dienstleistungsmarkt, aber jetzt sehen wir, dass nur wenige Regierungen der alten Mitgliedstaaten bereit sind, ihre Märkte für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten zu öffnen. Mit der andauernden zahlenmäßigen Beschränkung der Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten will die Mehrzahl der Regierungen eigentlich dem viel gravierenderen Problem der Zuwanderung aus Drittländern beikommen.

Die teilweise Öffnung des Arbeitsmarktes – beispielsweise für Bauarbeiter, Portiers und Kellner, wie sie Frankreich vorgeschlagen hat, – zeugt nicht gerade von der Bereitschaft, die europäischen Grundfreiheiten zu gewährleisten. Vielmehr ist sie Ausdruck des geringen Ansehens dieser Berufe, hat doch Frankreich eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Die gezielte Öffnung des Arbeitsmarktes für minderqualifizierte Arbeitnehmer bedeutet, dass viele Fachkräfte einen Anreiz erhalten, die neuen Mitgliedstaaten zu verlassen, den Beruf zu wechseln und sofort ein höheres Einkommen zu erzielen. Auf lange Sicht wird dies aber die Wettbewerbsfähigkeit Europas schwächen.

Abschließend möchte ich die jungen Franzosen, die aus Enttäuschung über die diskriminierenden Gesetze ihrer Regierung auf die Straße gehen, einladen, in die neuen Mitgliedstaaten zu kommen und sich dort eine Existenz aufzubauen. Bei uns sind junge Leute kaum von Arbeitslosigkeit betroffen und müssen auch keine Diskriminierung befürchten.

 
  
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  Derek Roland Clark, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Mich erstaunt, dass es überhaupt einen solchen Bericht gibt. Ich dachte, Sinn und Zweck der EU sei der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Als die zehn neuen Mitgliedstaaten 2004 der EU beitraten, wurde ihnen die Gleichbehandlung vorenthalten. Lediglich drei der 15 alten EU-Mitgliedstaaten (Irland, Vereinigtes Königreich und Schweden) haben ihre Arbeitsmärkte für Angehörige der neuen Mitgliedstaaten uneingeschränkt geöffnet. Das ist sehr merkwürdig, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um die drei kritischsten Mitgliedstaaten der EU handelt. Irland lehnte den Vertrag von Nizza beim ersten Referendum ab und akzeptierte ihn beim zweiten nur dank einer bemerkenswerten Festlegung der Wahlbezirksgrenzen, dem so genannten Gerrymandering. Schweden hat seinen EU-Beitritt einer knappen Mehrheit von 1 % bei dem entsprechenden Referendum zu verdanken. Was das Vereinigte Königreich betrifft, gibt es ja wohl nicht viel zu erklären. Keiner von Ihnen hat Premierminister Blair nach einem britischen Ratsvorsitz, den Sie alle für recht mies hielten, im Dezember sonderlich herzlich begrüßt. Sie hatten Recht. Sie haben mit einer überwältigenden Abstimmung zum Bericht Böge sogar seinen als Rettungsversuch gedachten Sieben-Jahres-Haushalt deutlich abgelehnt. Ich bin daher jetzt in der glücklichen Lage, sagen zu können: Folgen Sie dem britischen, irischen und schwedischen Beispiel. Vergessen Sie die Übergangsregelungen. Befolgen Sie Ihre eigenen Regeln. Öffnen sie Ihre Grenzen und nehmen Sie Ihren Teil der beispielsweise polnischen Arbeitnehmer auf. Im Vereinigten Königreich haben wir 250 000 von ihnen, und nicht alle sind Klempner.

 
  
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  Marek Aleksander Czarnecki (NI). – (PL) Herr Präsident! Aus dem neuesten OECD-Bericht geht hervor, dass Schweden, Finnland und Großbritannien die Länder in der Europäischen Union sind, die sich am schnellsten entwickeln. Zwei der genannten Länder haben ihre Arbeitsmärkte geöffnet, und auch Irland hat diesen Schritt vollzogen, was sich günstig auf das BIP ausgewirkt hat.

Der Bericht räumt mit dem Mythos auf, dass ein Zustrom ausländischer Arbeitnehmer eine zerstörerische Wirkung auf die Wirtschaft des betreffenden Landes haben würde. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sollten auf diese Art von Beschäftigungspolitik zurückgreifen, um die Lissabon-Strategie zu retten. Alle Mitgliedstaaten müssen ihre Arbeitsmärkte öffnen.

Bedenken, dass eine Lawine billiger Arbeitskräfte anrollen könnte, haben sich als unbegründet erwiesen. Die Wirtschaftsmigration hält sich in Grenzen. Ich halte es daher für wichtig, alle Einschränkungen aufzuheben, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb Europas in irgendeiner Weise behindern könnten.

 
  
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  Thomas Mann (PPE-DE). – Herr Präsident! Wir haben die Erweiterung der EU um 10 Mitgliedstaaten gewollt – kulturell, ökonomisch und politisch. Als deutscher Europaabgeordneter habe ich jahrelang für das Projekt geworben und versucht, die Menschen mitzunehmen.

Eine der Voraussetzungen für die Akzeptanz der Bürger war das Recht der Mitgliedstaaten, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer entsprechend der Situation auf den nationalen Arbeitsmärkten einzuschränken. Im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten wurde behauptet, massive Migrationsströme seien ausgeblieben, so dass die vertraglich zugesicherten Übergangsmaßnahmen sofort abgeschafft werden müssten.

Ich stelle fest, dass dies in vielen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Österreich oder Frankreich völlig anders erlebt wird. Wo immer deutlich höhere Stundenlöhne gezahlt werden und soziale Sicherheit gewährleistet ist, da findet Zuwanderung statt. Sie muss kontrolliert werden, Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit müssen verhindert werden. In Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit kommt es bei einem weiteren Zustrom von Arbeitskräften weder zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen noch zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.

Auch wenn dieser Bericht rechtlich nicht bindend ist – er ist nur ein Appell –, könnte er missbraucht werden, um einzelne Länder auf die Anklagebank zu setzen, gegen sie Stimmung zu machen, Verbraucher aufzufordern, Produkte aus diesen Ländern zu boykottieren. Wir haben es ja erlebt. Wer versucht, zwischen die alten und die neuen Mitgliedstaaten einen Keil zu treiben, der gefährdet die Idee einer EU, die mehr ist als eine Freihandelszone.

Ich habe an Kompromissänderungsanträgen mitgearbeitet und danke unserem Berichterstatter Csaba Őry. So soll über eine Verkürzung von Übergangsvorschriften durchaus nachgedacht werden, allerdings auf der Grundlage von detaillierten Analysen der nationalen Arbeitsmärkte. Außerdem sollen Vorschriften erarbeitet werden, die gewährleisten, dass Arbeitnehmer aus den neuen Ländern gegenüber Drittstaaten nicht benachteiligt werden.

Was wir brauchen, sind wohlüberlegte Entscheidungen. Der globale Wettbewerb erfordert in allen EU-Mitgliedstaaten entsprechende Rahmenbedingen, wie die Reformen der Sozialsysteme. Durch Aktionismus droht eines auf der Strecke zu bleiben: unser gemeinsames europäisches Projekt.

 
  
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  Jean Louis Cottigny (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Bericht unseres Kollegen Öry, dem ich hier zu seiner Arbeit gratulieren möchte, kann sich als positiv für die europäischen Arbeitnehmer erweisen. Die Maßnahmen zur Einschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ziehen äußerst negative Folgen nach sich, so u. a. die Zunahme der Schwarzarbeit. Erst vor wenigen Monaten ist in Frankreich aufgedeckt worden, dass von einem deutschen Subunternehmer beschäftigte polnische Arbeitnehmer bei schlechter Verpflegung, ohne Lohn und Krankenversicherung in Elendsquartieren dahinvegetieren mussten. Der Gipfel der Ironie ist, dass diese Arbeiter beim Bau eines Gerichtsgebäudes eingesetzt waren. Wo ist hier Recht und Ordnung? Solche Erscheinungen sind nicht hinnehmbar.

Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer muss einen der Hebel für den sozialen Fortschritt darstellen, eine Barriere gegen Sozialdumping. Die Beendigung der Übergangsmaßnahmen wird die Unternehmer dazu zwingen, den Arbeitnehmern angemessene Lebensbedingungen unter Achtung des Sozialrechts des Aufnahmelandes zu gewähren. Sozialschutz, angemessene Unterkunft, angemessener Lohn, faire Arbeitszeiten – dies sind die Grundrechte, die die Freizügigkeit gewährleisten muss. Darauf werden wir achten. Es ist nicht hinnehmbar, dass bestimmte Leute mit den unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten der Arbeitnehmer spekulieren, wie andere an der Börse spekulieren, um die Arbeitskosten niedrig zu halten. Es sei daran erinnert, dass es Ziel des europäischen Gründungsprojekts ist, die Völker zu einigen und nicht, sie zu entzweien. Die weitere Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer kann nur die Befürchtungen der Bürger bestimmter Mitgliedsländer verstärken, die die Vorstellung erschreckt, als Europäer zweiter Klasse behandelt zu werden. Und Sie haben Recht, Herr Kommissar, wir müssen jetzt von europäischen Bürgern sprechen. Diese Beschränkungen müssen gänzlich aufgehoben werden. Dies ist möglich, doch gilt es die Kontrollen zu verstärken, damit die Hauptbegünstigten dieser Maßnahme nicht zu den Hauptopfern werden.

 
  
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  Šarūnas Birutis (ALDE). – (LT) Ich begrüße Ihre Ausführungen zu den Bürgern aus Drittstaaten und zu dieser Problematik im Allgemeinen. Ich gratuliere dem Berichterstatter zu seinem sehr ausgewogenen Bericht. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gehört nicht nur zu den Grundrechten der Europäischen Union, sondern ist auch ein Ausdruck der Solidarität zwischen den alten und den neuen Ländern. Daher nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass sich alle meine Kolleginnen und Kollegen für die Abschaffung der Einschränkungen aussprechen. Sich den Herausforderungen der heutigen Weltwirtschaft zu stellen, bedeutet nach meinem Verständnis, dass die Beseitigung von Hindernissen für die Freizügigkeit der Bürger und Arbeitnehmer in der Europäischen Union eines der wichtigsten Ziele der Lissabon-Strategie und zugleich auch einer der Faktoren ist, die das Wirtschaftswachstum fördern.

Mit ihrem reichlich vorhandenen Humankapital, den aktiven Arbeitnehmern, können die neuen Mitgliedstaaten Impulse für ein langfristiges Wirtschaftswachstum setzen. Zudem kann der Markt effizienter werden, denn ausländische Arbeitnehmer reagieren in der Regel aktiver auf regionale Unterschiede bei den wirtschaftlichen Möglichkeiten. Irland, das Vereinigte Königreich und Schweden haben nach der Öffnung von den Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten nur profitiert. Die genannten Mitgliedstaaten fallen dadurch auf, dass ihre Wirtschaft rascher wächst, die Arbeitslosigkeit deutlicher sinkt und die Beschäftigungsmöglichkeiten schneller zunehmen als in anderen Ländern. Des Weiteren kann konstatiert werden, dass die Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten das Angebot auf den Arbeitsmärkten der alten Mitgliedstaaten ergänzt und deren Bürger aber nicht verdrängt haben. Statistiken aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigen, dass das Volumen der Zuwanderung aus Drittländern die Wanderungsbewegung innerhalb der EU übertrifft. Wir sollten die Länder beglückwünschen, die beschlossen haben, ihre Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Ländern der Europäischen Union ab Mai dieses Jahres zu öffnen, und uns über ihre Entscheidung freuen. Ich würde sagen, die Regierungen Österreichs, das die EU-Präsidentschaft innehat, und Deutschlands sollten sich schämen für ihre krankhaften Ängste und ihr Unvermögen, über diese Dinge mit ihren eigenen Bürgern zu sprechen. Aber die Entscheidung über die Öffnung des Arbeitsmarktes ist natürlich das souveräne Recht eines jeden Staates.

 
  
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  Jean Lambert (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Auch ich möchte dem Kommissar und unserem Berichterstatter für ihre Arbeit zu dieser Thematik danken.

Wie viele meiner Vorredner bereits sagten, stellt die Gleichbehandlung ein Schlüsselprinzip für Europas Bürger dar, und dieser Grundsatz sollte auch für Beschäftigungsbedingungen und den Zugang zu Dienstleistungen innerhalb unserer Mitgliedstaaten in der gesamten Union gelten. Aber wenn wir über Drittstaatsangehörige sprechen, dann muss unbedingt – so wie im Bericht – ganz eindeutig festgestellt werden, dass es nicht darum gehen kann, die schwer errungenen Rechte dieser Bürger abzubauen, sondern die Rechte, auf die unsere neuen Mitgliedstaaten Anspruch haben, auszudehnen.

Wir haben in den letzten Monaten eine Reihe von Argumenten zugunsten der Aufrechterhaltung von Übergangsfristen gehört. Für viele der hier Anwesenden klingen sie nicht überzeugend. Wir glauben, wie bereits festgestellt wurde, dass es Hinweise auf irreguläre Beschäftigung und Scheinselbständigkeit gibt. Ich möchte wetten, dass es in jedem unserer Länder Unionsbürger gibt, deren Beschäftigungsverhältnisse unklar sind.

Als das Vereinigte Königreich sein Anmeldeprogramm für Arbeitnehmer aus den acht neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten einführte, stellte man fest, dass sich 40 % der polnischen Bürger, die sich anmeldeten, bereits im Vereinigten Königreich aufhielten. Das beweist meines Erachtens, dass die Bürger legal arbeiten wollen. Dabei müssen wir sie unterstützen. Wir brauchen bessere Informationen im Voraus, müssen verstärkt Inspektionen durchführen und Personen, die Missstände melden, unterstützen, und wir brauchen mehr Klarheit bezüglich der Rechte der Bürger, damit der Ausbeutung, von der Herr Cottigny sprach und die die Arbeitsbedingungen zu unterminieren droht, der Boden entzogen wird. Wenn man über klar definierte Rechte verfügt, ist es viel einfacher, Gleichbehandlung einzufordern.

Das Vereinigte Königreich hat – wie schon gesagt wurde – seine Arbeitsmärkte geöffnet, und dabei einige Veränderungen im Bereich der sozialen Sicherheit vorgenommen. Wir haben Arbeitskräfte aller Qualifikationsstufen aufgenommen. Wir haben keine spürbaren statistischen Hinweise auf eine erhöhte Inanspruchnahme von Sozialleistungen festgestellt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind mäßig, und der Zustrom hat sich gegen Jahresende etwas abgeschwächt.

 
  
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  Bairbre de Brún (GUE/NGL).(Die Rednerin sprach Irisch.)

(EN) Irlands positive Erfahrungen sollten andere Länder, in denen Übergangsregelungen gelten, zur Aufhebung dieser Beschränkungen ermutigen. Sinn Féin und die Gewerkschaftsbewegung unterstützen die Entscheidung, in Irland keine Übergangsregelungen einzuführen. Ich habe hier im Parlament die schriftliche Erklärung unterzeichnet, in der zur Aufhebung derartiger Beschränkungen aufgerufen wird. Ich möchte diesen Aufruf heute wiederholen und begrüße Herrn Őrys diesbezüglichen Bericht.

Dabei dürfen wir es aber nicht belassen. Wir können die Frage der Beschäftigungsbedingungen und der Ausbeutung der Arbeitnehmer nicht ignorieren. Selbst in Irland haben skrupellose Arbeitgeber den Mangel an Freizügigkeit in der EU ausgenutzt, um Arbeitnehmer in Bezug auf Gehälter und Arbeitsbedingungen aufgrund ihrer Nationalität zu diskriminieren. Dagegen müssen wir entschlossen vorgehen.

Frau Oomen-Ruijten erwähnte Beschränkungen im Bereich der sozialen Sicherheit. Wir müssen auch jegliche Diskriminierung von EU-Bürgern beim Zugang zu Sozialleistungen bekämpfen, wenn diese Bürger zur Arbeitsaufnahme oder zur Arbeitssuche in ein anderes Mitgliedsland reisen.

 
  
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  Jacek Protasiewicz (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Als Erstes möchte ich Herrn Őry, dem Initiator und Verfasser des Berichts über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten, danken. Schon in der ersten Fassung wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die in den meisten so genannten alten Mitgliedstaaten fehlenden Möglichkeiten zur Aufnahme einer legalen Beschäftigung irreguläre Beschäftigungsverhältnisse und die Ausbeutung der Arbeitnehmer begünstigen.

Der Kollege Őry stellt passenderweise auch die Tatsache heraus, dass in bestimmten Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten gegenwärtig stärkeren Einschränkungen unterliegt als zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags. Er verweist ferner auf Aspekte, die die Vorzugsbehandlung so genannter langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger gegenüber Unionsbürgern aus den zehn neuen Mitgliedstaaten betreffen.

Des Weiteren trifft der Verfasser des Berichts die eindeutige Aussage, dass in den Ländern, die ihre Arbeitsmärkte bereits geöffnet haben, keine negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen eingetreten sind. Ganz im Gegenteil – der Rückgang bei der irregulären Beschäftigung von Ausländern hat zu zusätzlichen Einnahmen für die Haushalte geführt.

Der erste Entwurf von Herrn Őry wurde auch dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zwecks Erörterung und Abstimmung vorgelegt, wobei der Berichtsentwurf im Verlaufe dieses Prozesses erheblich verbessert wurde. Dies gilt insbesondere für Ziffer 1. Aus der vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten übermittelten Fassung geht hervor, dass sich das Parlament ohne jedes Wenn und Aber für die Bürger und ihr Recht auf die in den Verträgen verankerten Grundfreiheiten einsetzt.

Nach meiner festen Überzeugung muss das Europäische Parlament diese Position billigen. Das Hohe Haus sollte sich klar und unmissverständlich zur Verteidigung der Grundrechte und -freiheiten bekennen. Es sollte sich dafür stark machen, dass die Interessen der Gemeinschaft und die Interessen aller Bürger der Europäischen Union Vorrang vor konkreten nationalen Belangen haben. Daher sollten wir meines Erachtens den Text befürworten, der jetzt im Ergebnis der Aussprache und der Abstimmung im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten vorliegt.

 
  
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  Karin Jöns (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin gegen eine EU-Mitgliedschaft zweiter Klasse. Natürlich muss die Freizügigkeit für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der EU so schnell wie möglich gelten. Aber nicht ohne Grund ist seinerzeit die Möglichkeit geschaffen worden, den Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt im Rahmen der 2+3+2-Regelung zu beschränken. Von den Erfahrungen dreier Mitgliedstaaten automatisch entsprechende Rückschlüsse auf alle anderen Staaten ziehen zu wollen, wie dies die Kommission tut, halte ich doch für ziemlich gewagt.

Dem von mir sehr geschätzten Kollegen Őry sage ich auch ganz offen, dass ich Verständnis dafür habe, dass er diese Position der Kommission teilt wie auch viele andere Kolleginnen und Kollegen. Erlauben Sie mir aber bitte in diesem Zusammenhang auch den Hinweis, dass es der tschechische Arbeitsminister war, der zum Beispiel bereits Ende letzten Jahres ankündigte, dass sogar sein Land überlege, eventuell Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber Rumänien und Bulgarien einzuführen.

Deutschland hat anders als das Vereinigte Königreich, Schweden und Irland nicht eine Arbeitslosenrate von nur rund 5 %, sondern von 12 %. Direkt vor unserer Haustür liegt ein Land mit einer Arbeitslosenrate von 18 %. Dass das unweigerlich bei vielen Beschäftigten Ängste um den eigenen Arbeitsplatz schürt, ist doch wohl verständlich. Und dass eine Regierung dem Rechnung zu tragen versucht, doch wohl auch – erst recht, wenn man weiß, dass Deutschland schon heute prozentual den höchsten Anteil an Arbeitserlaubnissen an Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten erteilt hat.

 
  
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  Karin Resetarits (ALDE). – Herr Präsident! Vor wenigen Wochen haben wir in diesem Haus über die Dienstleistungsrichtlinie abgestimmt. Eine Mehrheit unterstützte einen Kompromiss, der helfen soll, die hohen sozialen Standards aufrechtzuerhalten. „Kein Sozialdumping“ hieß die Parole.

Aber dieser Schutz vor Sozialdumping soll anscheinend nur einem exklusiven Zirkel in Europa zugute kommen. Wie anders sind die Einschränkungen für Arbeitnehmerfreizügigkeit zu verstehen? Wer Märkte für gewisse Menschen schließt, nimmt bewusst eine ganz natürliche Gegenentwicklung in Kauf: das Entstehen von illegalen Märkten. Gerade in grenznahen Gebieten wird man Menschen nicht daran hindern, ihre Arbeitskraft hüben und drüben anzubieten. Ein ganz neuer Straßenstrich ist so in den letzten Jahren entstanden: Handwerker, Bauarbeiter bieten ihre Dienste an. Und dieser Straßenstrich ist erfolgreich. Es gibt eine rege Nachfrage. Menschen arbeiten als Scheinselbständige oder überhaupt schwarz, ohne sozialen Schutz, unter den gesetzlich geregelten Mindestlöhnen.

Wie verlogen lesen sich dann Meldungen von Vertretern beispielsweise des deutschen Baugewerbes, die eine Verlängerung der Übergangsfristen begrüßen. Warum wohl wollen manche Arbeitgebervertreter die diskriminierenden Einschränkungen für Bürger anderer Mitgliedstaaten? Passiert das vielleicht deshalb, weil man eben profitiert von billigen Saisonkräften, Scheinselbständigen und Schwarzarbeitern? Und warum – so frage ich – kämpfen nationale Arbeitnehmervertreter nicht viel energischer gegen diese Form der Ausbeutung? Warum machen sie sozialen Schutz von der Staatsbürgerschaft abhängig? Vielleicht aus reinem Populismus, weil man ja nur von den Bürgern im eigenen Land gewählt wird, es also nicht um die Sache selbst, sondern um den persönlichen Gewinn am Wahltag geht?

Drei Länder haben bisher ihren Arbeitsmarkt auch für die neuen Mitglieder der Union geöffnet. Sie haben gute Erfahrungen damit gemacht. Im Jahr der Mobilität plädiere ich dafür, dass sich spätestens 2007 alle dazu entschließen. Eine Rüge an all jene, die es nicht tun, auch und gerade wenn es sich um mein eigenes Heimatland Österreich handelt!

 
  
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  Edit Bauer (PPE-DE). – (SK) Die Freizügigkeit und der freie Zugang zu den Arbeitsmärkten sind zweifellos zu einem politischen Reizthema geworden. Der Berichterstatter, Herr Őry, hat dieses Thema geschickt behandelt, ohne einen Keil zwischen die Mitgliedstaaten zu treiben. In seinem Bericht konzentriert er sich darauf, wie sich der Einstieg von Angehörigen der neuen Mitgliedstaaten in die Arbeitsmärkte der alten EU-15 tatsächlich auswirkt. Er stützt die Prämisse, dass nicht die Mitgliedstaaten und ihre Wechselbeziehungen als vielmehr Wettbewerber außerhalb der Gemeinschaft wie Indien und China das eigentliche Problem für die Wettbewerbsfähigkeit Europas darstellen.

Der Bericht geht auf die folgenden Fakten ein: Erstens, der Anteil der Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten überschreitet nirgends 2 % der Bevölkerung des Aufnahmelandes. Zweitens, die Wanderungsbewegung innerhalb der alten Mitgliedstaaten ist viermal höher als die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten. Drittens, die Zuwanderung aus Drittländern ist weitaus größer als die gesamte Wanderungsbewegung innerhalb der EU. Es steht außer Zweifel, dass abgesehen von der Haltung Deutschlands, Österreichs und Frankreichs zu dem Übergangszeitraum auch unter den neuen Mitgliedstaaten die Meinungen voneinander abweichen, weil sich die Übergangsfrist allmählich auch dort zu einem brisanten politischen Thema entwickelt hat.

Wir haben die Übergangsmaßnahmen während der Beitrittsgespräche als Teil der Abmachung akzeptiert. Mit der Zeit sind sie jedoch zu einem Reizthema in der Politik der alten Mitgliedstaaten geworden, das zunehmend als diskriminierend wahrgenommen wird. Die Diskussionen über die Dienstleistungsrichtlinie haben bereits absurde Situationen im Zusammenhang mit Übergangszeiträumen zutage gefördert, und jetzt hat sich in Hinsicht auf die Richtlinie 2003/109/EG offenbar ein Rechtskonflikt in um die Klausel zu den Vorrangsegeln angebahnt. Aus den durch Arbeitsplatzunsicherheit erzeugten Ängsten sowie aus Vorurteilen lässt sich mit Sicherheit mühelos politisches Kapital schlagen. Anstatt diesen Mythos zu verbreiten, was im Grunde in eine politische Sackgasse führt, sollten die Politiker ihrer Verantwortung gerecht werden und die Wahrheit sagen.

 
  
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  Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Ich beglückwünsche den Berichterstatter Herrn Csaba Őry zu seiner ausgezeichneten Arbeit und möchte Kommissar Špidla für die Zusammenfassung des Berichts danken, die oft aufgrund unterschiedlicher Interessen Kontroversen hervorruft. Einige Kolleginnen und Kollegen aus bestimmten Ländern kritisieren den Bericht, aber die Mehrheit findet diese objektive Darstellung ausgesprochen nützlich.

Wenn neue Mitgliedstaaten sich für gleiche Rechte einsetzen, geht es um mehr als nur den Kampf für Gleichbehandlung: Es geht um den Schutz der Interessen der gesamten Europäischen Union. Paradoxerweise setzen sich gerade die neuen Mitgliedsländer für die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ein, die – wie die Liberalisierung des Dienstleistungssektors – ohnehin von der EU im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit umgesetzt werden sollte. Wir möchten gern gleichberechtigte EU-Bürger sein. Die Öffnung des Arbeitsmarktes und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sind kein Geschenk oder Gefallen, sondern vielmehr die rationale Entscheidung der acht alten EU-Mitgliedstaaten, die günstige Auswirkungen für alle Bürger der Europäischen Union mit sich brächte.

Wir danken dem Vereinigten Königreich, der Republik Irland, Schweden, Finnland, Spanien, Portugal und den Niederlanden und hoffen, dass auch die restlichen acht Mitgliedstaaten ihre Haltung überdenken. Ich stimme Kommissar Špidla zu: Es geht nicht an, dass Drittstaatsangehörige, die sich fünf Jahre legal in der Union aufhalten, in Ländern, die ihren Arbeitsmarkt nicht geöffnet haben, besser gestellt sind als Arbeitnehmer aus den zehn neuen Mitgliedstaaten.

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE).(ES) Herr Präsident! Als Spanien und Portugal der Europäischen Union – der damaligen Europäischen Gemeinschaft – beitraten, gab es eine irrationale Angst vor dem Erscheinen der spanischen und portugiesischen Arbeitnehmer auf dem Markt. Das hat sich als absurd erwiesen. Aber trotzdem stellte sich die gleiche Furcht beim Beitritt der neuen Mitgliedstaaten erneut ein und, obwohl sich diesmal einige von uns im spanischen Parlament widersetzten, stimmte leider sogar die damalige spanische Regierung, zum Teil durch den von anderen Mitgliedstaaten ausgeübten Druck, diesen Übergangsfristen zu.

Wir haben nun gesehen, dass es keinen Sinn macht, dass diese Furcht völlig irrational ist und dass wir nicht zulassen dürfen, dass eine der grundlegenden Freiheiten in der Europäischen Union aus rein populistischen Gründen oder aus Angst vor der möglichen Reaktion bestimmter Gesellschaften zeitweilig ausgeklammert wird. Es darf keine Staaten erster Klasse und Staaten zweiter Klasse innerhalb der Europäischen Union geben, und deshalb müssen wir diesen Übergangsfristen ein Ende setzen und alle Grenzen des europäischen Arbeitsmarkts öffnen und ihn zu einem wirklichen Binnenarbeitsmarkt machen.

Deshalb unterstütze ich den Bericht Őry in jeder Hinsicht. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf diese Frage und auf die Situation, in der sich die Bürger dieser Staaten befinden, die in einigen Fällen sogar noch schlechter gestellt sind als die legal in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufhältigen Bürger von Drittstaaten.

Ich beglückwünsche die spanische Regierung dazu, dass sie sich endlich entschlossen hat, der Aufhebung dieser Übergangsfrist zuzustimmen, und ich hoffe, dass sich andere Staaten so bald wie möglich dieser Initiative anschließen, um gleiche Bedingungen für alle Bürger der Europäischen Union zu schaffen. Dieses Hohe Haus muss daher Druck in dieser Richtung ausüben.

(Beifall)

 
  
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  Mihael Brejc (PPE-DE). – (SL) Ich unterstütze Herrn Őrys Bericht und alle sonstigen Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, das Funktionieren des Binnenmarkts in der Europäischen Union durchzusetzen. Selbstverständlich gründet sich ein effizient funktionierender Binnenmarkt auf den freien Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der freie Kapital- und Warenverkehr ist relativ erfolgreich umgesetzt. Auf große Schwierigkeiten sind wir allerdings bei der Dienstleistungsfreiheit und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer gestoßen.

Unseren Plänen zufolge sollte die europäische Wirtschaft mit der Lissabon-Strategie florieren. Stets und ständig bekommen wir zu hören, wie wichtig Wettbewerb ist, und ergreifen Maßnahmen gegen Protektionismus aber wie gut funktioniert das in der Praxis? Was Kapital und Waren anbelangt, treten einige Länder besonders konsequent für Wettbewerb ein und öffnen sogar ihre Märkte für Billigwaren aus China. Aber jene, die uns ständig Vorträge über die Bedeutung von Wettbewerb und die Nachteile von Protektionismus bei Waren und Kapital halten, schotten gleichzeitig ihre Dienstleistungs- und Arbeitsmärkte ab. Ist das etwa kein Protektionismus?

2006 ist zum Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer erklärt worden, und doch planen in diesem Jahr einige Mitgliedstaaten, ihre Übergangsfristen zu verlängern. Ich frage Sie, wie wir das den Bürgern der Europäischen Union erklären sollen. Nur mit großer Mühe. Andererseits ist es offensichtlich, dass alle, die ihre Märkte geöffnet haben, Fortschritte erzielen, und ihre wirtschaftliche Entwicklung ist bemerkenswert.

Jedes Land, das entscheidet, seinen Arbeitsmarkt weiterhin geschlossen zu halten, muss dies meiner Ansicht nach auf rationaler Grundlage tun und dabei nicht als Teil eines Länderblocks, sondern individuell handeln. Wenn wir wollen, dass die Europäische Union erfolgreich mit anderen Staaten konkurrieren kann, muss sie in ihrem Binnenmarkt den freien Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr ebenso wie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer uneingeschränkt umsetzen.

 
  
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  Harald Ettl (PSE). – Herr Präsident! Der an sich berechtigte Wunsch, so rasch wie möglich die Übergangsfristen für den freien ArbeitnehmerInnenverkehr, die eine europäische Mobilitätsbarriere darstellen, zu beseitigen, wird durch eine oberflächliche, ungenaue Kommissionsstudie nicht gerade erleichtert.

Sicher könnte Schwarzarbeit am Arbeitsmarkt dadurch weiter eingeschränkt werden, aber der Regulierungsdruck bei den Löhnen und im Sozialbereich fällt dadurch sicher nicht weg. Gerade das würde zu einem größeren Problem werden. Wenn es also nicht gelingt, begleitende Maßnahmen zum Schutz der ArbeitnehmerInnen, wie z. B. eine in der Substanz verbesserte Entsenderichtlinie sowie Kontroll- und Umsetzungsmechanismen, zu erlassen, entsteht nur größerer Druck auf die Arbeitsmärkte in Deutschland und Österreich. Brauchbare Begleitmaßnahmen der Kommission vermisse ich noch immer. Sie können ruhig lachen, Herr Kommissar!

Die Mehrheit im Parlament mag nun dem Kommissionsbericht und dem Bericht Őry folgen und damit sagen, uns kümmern die Positionen und Interessen Deutschlands und Österreichs nicht – weg mit den Übergangsfristen! Als Parlamentarier muss ich die Mehrheit auch akzeptieren. Das ist völlig klar! Aber dass Sie damit in unseren Ländern die antieuropäische Stimmung noch zusätzlich anheizen, mag Ihnen als dem für soziale Angelegenheiten zuständigen Kommissar egal sein, mir ist es jedenfalls nicht egal!

 
  
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  Philip Bushill-Matthews (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Von den zahlreichen Themen, über die wir in dieser Woche abstimmen werden, halte ich diesen Bericht und dieses Thema für den bzw. das wichtigste. Die Tatsache, dass etwa 30 Redner von vielen verschiedenen Parteien einen Beitrag zu dieser Aussprache leisten wollen, bestätigt dies.

Von vielen meiner Vorredner wurde bereits auf die vier Grundfreiheiten der EU eingegangen. Von diesen Freiheiten ist die Freizügigkeit vielleicht die wichtigste. Vor einem halben Jahrhundert äußerte sich Jean Monnet wie folgt zu einer der Hauptaufgaben der EU: „Wir vereinigen keine Staaten, sondern Menschen.“ Das stimmte damals, und das stimmt noch immer. Genau das sollten wir tun: Menschen vereinigen.

Verschiedentlich wurden die Befürchtungen einiger Mitgliedstaaten erwähnt. Meiner Ansicht nach sollten wir keinen Mitgliedstaat wegen derartiger Befürchtungen kritisieren. Das ist doch verständlich. Doch neben diesen Befürchtungen gibt es Tatsachen, und die Tatsachen sollten die Befürchtungen relativieren. Tatsache ist, dass derartige Zuwanderer, die aus Mittel- und Osteuropa nach Schweden, Irland und ins Vereinigte Königreich kommen, keine Belastung für die Wirtschaft darstellen, sondern eine Bereicherung. Das Problem ist nicht die legale Zuwanderung in unsere Länder, sondern die illegale Zuwanderung in andere Länder, die die Schattenwirtschaft ankurbelt. Diejenigen, denen dieses Problem Sorge bereitet, mögen bedenken, dass dies ein weit größeres Problem darstellt als die Öffnung der Grenzen zum jetzigen Zeitpunkt.

Ich freue mich, dass drei weitere Länder, und zwar Spanien, Portugal und Finnland, erklärt haben, dass sie die Hindernisse abbauen werden. Ich möchte den Kommissar bitten, mit seiner großen persönlichen Autorität und der der Kommission darauf hinzuwirken, dass Finnland diesem Problem im Rahmen seiner bevorstehenden Präsidentschaft Vorrang einräumt und zum Ende seiner Präsidentschaft über die erzielten Fortschritte berichtet, um andere anzuspornen, dem finnischem Vorbild zu folgen.

Vorläufig jedoch hoffe ich, dass es uns in dieser Woche gelingen wird, mit einem klaren Abstimmungsergebnis andere anzuspornen. Ich hoffe, dass wir zu den neuen Mitgliedstaaten sagen können: „Es gibt keine Bürger zweiter Klasse in Europa.“ Und zu den alten Mitgliedstaaten sollten wir sagen: „Es ist an der Zeit, Eure Grenzen und Hirne zu öffnen.“

 
  
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  Ole Christensen (PSE).(DA) Die Freizügigkeit von Arbeitnehmern ist einer der Eckpfeiler der europäischen Zusammenarbeit. Die befristeten Übergangsregelungen, die einige Länder – darunter auch mein Heimatland Dänemark – für Arbeitnehmer aus Osteuropa beschlossen haben, müssen schnellstmöglich aufgehoben werden.

Die Übergangsmaßnahmen dürfen die Freizügigkeit nicht unnötig einschränken, und wir müssen uns solidarisch und offen gegenüber allen Europäern zeigen. Daher müssen die Vorschriften flexibel gestaltet werden, um alle unnötigen Hürden zu beseitigen. Allerdings dürfen die Übergangsregelungen erst dann wegfallen, wenn wir sichergestellt haben, dass aus Osteuropa einreisende Menschen nicht ausgebeutet werden. Die Übergangsregelungen in Dänemark bieten Schutz vor Ausbeutung und gewährleisten, dass Arbeitnehmer nach Tarif entlohnt werden. Arbeitskräfte aus Osteuropa werden nur allzu oft von Arbeitgebern ausgebeutet, die deutlich unter der Norm liegende Löhne und Gehälter zahlen und ihre Mitarbeiter unter unwürdigen Bedingungen arbeiten lassen.

Wir haben eine Verantwortung, uns für den Erhalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit einzusetzen, die zu den Grundrechten in der EU gehört. Zugleich müssen wir aber auch Verantwortung für den Schutz der Arbeitsbedingungen übernehmen und sicherstellen, dass alle korrekt entlohnt werden und unter vernünftigen Bedingungen arbeiten können. Die Übergangsbestimmungen waren und sind ein Versuch, beiden Anliegen gleichermaßen gerecht zu werden.

In Dänemark gibt es keinen Mindestlohn. Die Übergangsregelungen haben uns deshalb die Möglichkeit eröffnet, den Zustrom von Arbeitnehmern aus Osteuropa zu überwachen und diejenigen Arbeitgeber ins Visier zu nehmen, die versuchen, die für die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen geltenden Vorschriften zu umgehen.

Die Beschränkungen müssen jetzt endlich schrittweise zurückgenommen werden.

 
  
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  Roselyne Bachelot-Narquin (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Zeiten der Ungewissheit muss die Europäische Union sich auf ihre Grundprinzipien besinnen. Es ist heute erforderlich, die vier Freiheiten, die die Grundlage des Binnenmarktes bilden, vollständig zu verwirklichen. Doch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist noch nicht realisiert, und dazu müssen die beim Beitritt der neuen Mitgliedstaaten durchgesetzten Beschränkungen so rasch wie möglich aufgehoben werden.

Misstrauen ist nicht mehr angebracht, denn in den 15 Ländern, in denen die Beschränkungen aufgehoben wurden, ist kein massiver Zustrom von Arbeitskräften festzustellen. Es ist sogar erstaunlich, dass nur 2 % der Europäer außerhalb ihres Landes arbeiten, während ein Drittel der US-Amerikaner außerhalb des Staates leben, in dem sie geboren sind. Die Invasion ist nur eine Fantasievorstellung, die Mobilität der Arbeitnehmer eine Herausforderung. Im Bericht von Csaba Őry wird das Ziel gesetzt, die Beschränkungen bis 2009 aufzuheben, und dieses Ziel unterstütze ich. Der französische Premierminister hat im Übrigen angekündigt, dass Frankreich diese Entwicklung vorwegnehmen wird, indem es die Beschränkungen schrittweise gezielt aufheben wird.

Die im Dezember 2005 vom Europäischen Gewerkschaftsbund angenommene Entschließung eröffnet Wege, um die Öffnung der Grenzen und einen angemessenen Schutz miteinander zu vereinbaren. Die vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten angenommenen Änderungsanträge gehen in diese Richtung, um die Anwendung des Arbeitsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, um insbesondere die Einhaltung der Gemeinschaftsnormen zu sichern, vor allem die der Entsenderichtlinie, und um die Schaffung eines Europäischen Zentrums zu prüfen, das die Inspektionsbehörden der Mitgliedstaaten koordiniert. Mit der Erstellung standardisierter Statistiken über die innergemeinschaftlichen Wanderungsbewegungen könnten wir das Instrumentarium für ein soziales Europa in der Union schaffen, mit dem überprüft werden kann, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer weder Sozialdumping noch gegenseitige Unterbietung der Sozialstandards bedeuten muss, sondern im Gegenteil ein Faktor wirtschaftlicher Dynamik ist, mit dem Bereiche der Unterbeschäftigung beseitigt werden können.

 
  
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  Stephen Hughes (PSE).(EN) Herr Präsident! Ich beglückwünsche Herrn Őry zu einem ausgezeichneten Bericht. Ich möchte kurz drei Punkte ansprechen, von denen der erste Ziffer 1 betrifft. In der vom Ausschuss verabschiedeten Fassung werden darin die Mitgliedstaaten aufgerufen, die geltenden Übergangsmaßnahmen abzuschaffen. Viele sehen darin den Kern des Berichts. Ich weiß, dass sich der Berichterstatter gezwungen fühlte, einen Kompromiss vorzuschlagen, der die Mitgliedstaaten aufforderte, die Aufhebung dieser Maßnahmen zu prüfen, und in dem konkret auf die drei Mitgliedstaaten verwiesen wird, die diese erst gar nicht eingeführt haben. Viele Abgeordnete meiner Fraktion begrüßen den Text in seiner jetzigen Fassung und vertreten die Ansicht, dass wir die Aufrechterhaltung von Übergangsmaßnahmen ablehnen sollten. Sie tun dies jedoch mit Blick auf Ziffer 14, in der es heißt, dass Mitgliedstaaten, die an den Übergangsregelungen festhalten wollen, die Voraussetzungen schaffen sollten, damit die Übergangsregelungen nicht über das Jahr 2009 hinaus fortgesetzt werden.

Mein zweiter Punkt betrifft die Gleichbehandlung. Der Berichterstatter wie auch andere Abgeordnete haben energisch darauf verwiesen, dass es nicht nur darum geht, Arbeitnehmern in acht der neuen Mitgliedstaaten das Recht auf Freizügigkeit zu sichern, sondern dass wir mithilfe entsprechender Inspektions- und Durchsetzungsmaßnahmen für deren Gleichbehandlung sorgen und eine Ausbeutung in den 15 alten Mitgliedstaaten verhindern müssen. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Irland sind diesbezüglich ernsthafte Versäumnisse zu verzeichnen.

Mein letzter Punkt betrifft die vom Kommissar erwähnte Richtlinie 2003/109/EG. Sie gewährt langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen umfassenden Zugang zu den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten. Dem Juristischen Dienst des Parlaments zufolge besteht jedoch nicht die Gefahr, dass Drittstaatsangehörige besseren Zugang haben als Bürger aus den entsprechenden acht Mitgliedstaaten. Der Juristische Dienst verweist auf Artikel 11 der Richtlinie, der vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung für Drittstaatsangehörige in bestimmten Fällen beschränken „können“. Das ist nicht dasselbe wie „müssen“ oder „werden“. Die Gleichbehandlung kann nur durch Aufhebung der Übergangsmaßnahmen garantiert werden.

 
  
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  Rolf Berend (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der im Bericht Őry artikulierten Forderung bin ich der festen Überzeugung, dass in Mitgliedstaaten, die dies für notwendig erachten, die Übergangsfristen bei der Freizügigkeit beibehalten werden können. Wenn ein Land aus arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen der Ansicht ist, eine weitere Steuerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu erhalten, ist das legitim. Pacta sunt servanda gilt auch hier, und weder die Kommission noch dieses Parlament – vielleicht nicht einmal seine Mehrheit – sollte sich anmaßen, appellarischen Druck auf einige Länder auszuüben. In meinen Augen ist dies üble Stimmungsmacherei mit einem hochbrisanten Thema.

Ich kann in dieser Frage nicht einfach Deutschland und Österreich mit Spanien und Portugal vergleichen. Deutschland liegt diesbezüglich an einer Nahtstelle, und es herrschen hier völlig andere Bedingungen als in Ländern Südeuropas. Es wird in diesem Parlament so viel von Subsidiarität geredet, und plötzlich will man in puncto Arbeitnehmerfreizügigkeit in Brüssel und Straßburg besser Bescheid wissen als vor Ort, also in Deutschland oder Österreich. Wenn im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung vor einigen Monaten die Übergangsfristen bekräftigt wurden, dann doch nicht aus Jux und Tollerei; dann liegen dem Tatsachen und Fakten zugrunde, die es zu respektieren gilt. Zumindest für die nächsten drei Jahre muss für mein Land die Steuerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Was für die dann folgenden zwei Jahre Gültigkeit haben soll, muss dann aufgrund der neuen Situation erörtert und geschlussfolgert werden.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass ja in der Bevölkerung eben wegen dieser Problematik große Ängste vor der Osterweiterung bestanden haben und wir immer sagen konnten: Die Ängste sind unbegründet, diese Fragen sind auf fünf bzw. sieben Jahre vertraglich geregelt.

 
  
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  Anna Ibrisagic (PPE-DE).(SV) Herr Präsident! Der 1. Mai 2004 war ein Tag, den ich nie vergessen werde. Damals stand ich gemeinsam mit Dr. Otto von Habsburg an der Grenze zwischen Slowenien und Österreich, wo wir an einer feierlichen Zeremonie teilnahmen. Gefeiert wurde die Tatsache, dass mit dem Beitritt Sloweniens zur EU eine Stadt wiedervereinigt wurde, die nach dem Krieg in zwei Teile geteilt worden war, von denen einer zu Österreich und einer zu Slowenien gehörte.

Die Symbolik war sehr offensichtlich. Als ich da stand, spürte ich deutlich, dass die Menschen nicht das Gefühl hatten, etwas Neues zu erleben, sondern mit etwas wiedervereinigt zu werden, von dem sie immer schon ein Teil waren. Und so ist das auch. Die zehn neuen Mitgliedstaaten der EU sind zehn alte europäische Länder. Sie waren nur 50 Jahre lang vom Kommunismus entführt und sind nun endlich wieder zu uns zurückgekehrt.

Im Vorfeld dieser Wiedervereinigung hatten die schwedischen Sozialdemokraten Horrorszenarien von einer Invasion unseres Landes durch ausländische Arbeitnehmer ausgemalt, die nur unsere Löhne unterbieten und unsere sozialen Vorzüge ausnutzen würden. Meine Partei und ich haben im schwedischen Parlament gekämpft, um die Einführung der Übergangsregelungen in unserem Land zu verhindern. Wir wollten, dass die neuen Länder, die so lange unter dem Kommunismus gelitten haben, jetzt die Freiheiten der EU-Mitgliedschaft genießen sollten.

Wir haben uns geweigert, die sozialdemokratische Propaganda zu akzeptieren, und echte Solidarität gezeigt. Wir haben den Kampf gewonnen und Schweden hat keine Übergangsregelungen eingeführt. Jetzt durchgeführte Untersuchungen haben eindeutig gezeigt, dass es in Schweden keinesfalls zu dem von den Sozialdemokraten zur Panikmache heraufbeschworenen Sozialdumping gekommen ist, sondern dass die Freizügigkeit ausschließlich positive Effekte für die schwedische Wirtschaft hatte. Die gleichen Erfahrungen haben auch die anderen Länder gemacht, die ebenfalls keine Übergangsregelungen eingeführt haben.

Ich muss sagen, dass ich die Entscheidung mehrerer Länder zur Verlängerung ihrer Übergangsregelungen mit großer Enttäuschung aufgenommen habe. Eine solche Verlängerung zu beschließen, obwohl die ausgemalten Szenarien nicht eingetreten sind, ist einfach unvernünftig. Das einzig Richtige ist, keine Übergangsregelungen einzuführen, und ich hoffe, Europa wird sich in Zukunft mehr von Vernunft als von Ängsten leiten lassen.

(Beifall)

 
  
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  Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Wir wissen doch alle ganz genau, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer eine der vier Grundfreiheiten ist, auf denen die gesamte Idee von der Europäischen Gemeinschaft fußt. Wir wissen aber auch, dass diese Freiheit nur für die Bürger der fünfzehn alten Mitgliedstaaten gilt und uneingeschränkt gegeben ist, während bei den Bürgern der acht Staaten, die am 1. Mai 2004 der Europäische Union beigetreten sind, die Übergangsfrist greift, die nach Maßgabe der 2+3+2-Regelung bis zu sieben Jahre Bestand haben kann. Und als wäre das noch nicht genug – langfristig aufhältige Drittstaatsangehörige genießen aufgrund der Bestimmungen bestimmter EU-Richtlinien mehr Rechte und sind dadurch gegenüber den Bürgern aus den acht neuen Mitgliedstaaten privilegiert, wenn es um solche Fragen wie den Aufenthalt und die Aufnahme einer Beschäftigung in fünfzehn EU-Mitgliedstaaten geht. Das bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass wir Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten diskriminieren, indem wir uns gegenüber Arbeitnehmern aus Drittstaaten solidarisch erweisen.

Das Auslaufen der ersten Übergangsfrist am 30. April sollten wir unbedingt nutzen, um die Konsequenzen und Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der fünfzehn alten wie auch der acht neuen Mitgliedstaaten zu bewerten und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Was uns wirklich fehlt, sind statistische Daten zu den Wanderungsbewegungen innerhalb der Gemeinschaft. Objektive Schlussfolgerungen lassen sich so nur schwer ziehen; allerdings steht schon heute fest, dass das Volumen der Zuwanderung aus Drittländern die Wanderungsbewegung innerhalb der EU, d. h. in den fünfzehn alten Mitgliedstaaten und der erweiterten EU in ihrer Gesamtheit, bei weitem übertrifft. Genauso offensichtlich ist, dass die Länder, die ihre Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Ländern geöffnet haben, bisher von diesem Schritt nur profitiert haben, wohingegen die Übergangsfristen der illegalen Beschäftigung, unfairen Arbeitsbedingungen, der Diskriminierung und Ausbeutung von Wanderarbeitnehmern Vorschub leisten. Nach meiner Überzeugung muss das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten ermutigen, die derzeit geltenden Übergangsregelungen abzuschaffen, denn dafür sind genügend Gründe vorhanden.

 
  
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  Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die heutige Aussprache ist mit Sicherheit von entscheidender Bedeutung, betrifft sie doch solche Themen wie Beschäftigung, Wirtschaft und freier Personenverkehr. Daher ist es angebracht, eine Schlüsselfrage zu stellen, ob nämlich die Arbeitsmärkte geöffnet werden sollten, wenn freie Stellen vorhanden sind und ein Mangel an einheimischen Arbeitskräften besteht, d. h. wenn es nicht genügend Arbeitswillige gibt. Gestatten Sie mir zu wiederholen, dass ich von einem Mangel an Arbeitswilligen und nicht von Arbeitslosen gesprochen habe. Andersherum gefragt: Sollten Arbeitsmärkte geöffnet werden, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, was wiederum neue Arbeitsplätze schaffen wird? Ich bin überzeugt – und meine bisherigen Erfahrungen bestätigen dies auch –, dass durch die Öffnung des Arbeitsmarkts in einem bestimmten Land Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze entstehen.

Wir sollten bedenken, dass mehr Beschäftigung und Arbeitsplätze nur möglich sein werden, wenn wir echte Wirtschaftsreformen und nicht nur kosmetische Veränderungen vornehmen. Unternehmer müssen von der Notwendigkeit solcher Reformen überzeugt werden, vor allem müssen wir aber die Gewerkschaften auf unsere Seite ziehen. Obwohl derartige Veränderung in der Regel zunächst einmal schmerzhaft sind, wirken sie sich mittel- und langfristig positiv aus.

Ich komme jetzt zu einer ganz folgerichtigen Frage, die mit unserer Teilnahme an den WTO-Verhandlungen zusammenhängt. In welchem Umfang und Tempo sollte der Welthandel liberalisiert werden, um Wirtschaftswachstum innerhalb der EU zu erreichen und neue Arbeitsplätze zu schaffen? Damit würden wir unsere Entwicklung zu einem Wirtschaftsraum mit begrenzter Produktionskapazität verhindern, in dem nur noch importierte Waren konsumiert werden.

Nicht zuletzt müssen wir uns auf die Flexibilität und Mobilität der Erwerbsbevölkerung einstellen. Ich glaube, dass Mittel aus den nationalen Haushalten und den Haushalten der Union für die Umschulung und Ausbildung in neuen Berufen bereitgestellt werden müssen. Zur Zeit fehlt es uns trotz hoher Arbeitslosigkeit anscheinend an qualifizierten Arbeitnehmern ...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Mit Interesse habe ich die Aussprache über den Bericht Őry verfolgt, und ich muss sagen, dass sie außergewöhnlich umfassend war und ein Schlaglicht auf viele Sichtweisen und Meinungen zum Thema Arbeitsnehmerfreizügigkeit geworfen hat. Gestatten Sie mir, einen weiteren Aspekt in die Debatte einzubringen, der nicht erwähnt wurde. Übergangsfristen sind eine Begleiterscheinung jeder EU-Erweiterungsrunde, und jede Erweiterung war von großen Ängsten begleitet, die sich aber in keinem Fall bewahrheitet haben.

Meine Damen und Herren! Der Beitrittsvertrag sieht eine Regelung mit mehreren Phasen vor, wobei die letzte Phase im Jahr 2011 möglichst kurz sein wird. Ich freue mich daher Ihnen jetzt mitteilen zu können, dass Europa ab 1. Mai dieses Jahres auf dem Weg zur vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit erheblich vorankommen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen nochmals für die – diesem ernsten Thema angemessene – sehr ernsthaft geführte, weitreichende und im Ton häufig sehr scharfe Aussprache danken.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen, um 11.30 Uhr, statt.

(Die Sitzung wird bis zur Abstimmungsstunde kurzzeitig unterbrochen.)

Schriftliche Erklärung (Artikel 142)

 
  
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  Katalin Lévai (PSE). – (HU) Im Bericht von Csaba Őry über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten geht es um grundlegende Werte der Europäischen Union. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist eines der wichtigsten Grundprinzipien der EU, weshalb jede Form der Einschränkung abzulehnen ist – nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus politischer Sicht.

Ich stimme den Aussagen im Bericht zu, dass Arbeitnehmer aus Drittstaaten nicht besser gestellt sein sollten als Arbeitskräfte aus EU-Mitgliedstaaten.

Die gegenwärtig geltenden diskriminierenden Regelungen widersprechen der politischen Forderung nach Stärkung der europäischen Identität. Das Wissen um die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl können bei Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten nur gestärkt werden, wenn im Bereich der Beschäftigung und des Zugangs zu Sozialleistungen gleiche Rechte gelten.

Ich begrüße den Vorschlag, die Kommission, die Mitgliedstaaten, die Sozialpartner und zuständigen Gremien des privaten und öffentlichen Sektors aufzufordern, ein faires und transparentes Verfahren zu entwickeln, um zu gewährleisten, dass die Bürger der neuen Mitgliedstaaten in allen Mitgliedstaaten der EU zu angemessenen Löhnen und ohne Diskriminierung sowie im Rahmen akzeptabler Arbeitsschutzbedingungen arbeiten können.

Da statistische Angaben deutlich zeigen, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten für die alten EU-Staaten nicht nachteilig ist und – im Gegenteil – sogar zu deren wirtschaftlicher Entwicklung beiträgt, muss der von den Bürgern der 15 Mitgliedstaaten empfundene Antagonismus mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abgebaut werden, und es gilt, den europäischen Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit der Übergangsregelung in nationalen Rechtsvorschriften festzuschreiben.

 
  
  

VORSITZ: ANTONIOS TRAKATELLIS
Vizepräsident

 
  
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  Christopher Heaton-Harris (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Eine Bemerkung zur Anwendung der Geschäftsordnung. Letzte Woche wurden auf der Konferenz der Präsidenten die Termine für den Kalender 2007 bekannt gegeben. Der Termin für die Einreichung von Änderungsanträgen war gestern Abend um 19.00 Uhr. Wir haben in diesem Haus sehr strenge Vorschriften, die vorsehen, dass vorzulegende Änderungsanträge mit Originalunterschriften versehen sein müssen. Etliche meiner Kollegen wurden gestern aufgehalten und konnten nicht bis 19.00 Uhr hier sein. Es war ihnen daher nicht möglich, Änderungsanträge zu unterzeichnen, die u. a. von der Gruppe mit der Bezeichnung „Campaign for Parliamentary Reform“ in Umlauf gebracht worden waren.

Ich weiß, dass Sie die betreffende Vorschrift im Moment nicht ändern können, aber könnten Sie diese bitte prüfen, denn wir haben bei fast jedem Bericht einen angemessenen Zeitraum zur Vorlage von Änderungsanträgen, aber im Falle unseres Sitzungskalenders steht uns überhaupt keine Zeit zur Verfügung.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. – Wir werden das prüfen, Herr Heaton-Harris.

 
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