Der Präsident. Während der gestrigen Ausführungen von einer Minute sprachen einige Abgeordnete die Situation einer Fraktion an, und ich sagte, dass ich heute auf Ihr Anliegen eingehen könnte.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass ich ein Schreiben von Herrn Bonde und Herrn Farage, Ko-Vorsitzende der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie, erhalten habe, in dem sie mich auffordern, die Ankündigung der Präsidentschaft vom 15. März über die Umstrukturierung dieser Fraktion zurückzuziehen.
Entsprechend dem Ersuchen der Ko-Vorsitzenden dieser Fraktion wird diese Erklärung der Präsidentschaft zurückgezogen und für nichtig erklärt, und die Zusammensetzung der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie bleibt so, wie sie vor dem 15. März 2006 war.
Auf der Grundlage dieser Zusammensetzung, die so bleibt wie vor der Erklärung der Präsidentschaft, wird der Vorsitz der Fraktion die Beratungen ansetzen, die er für zweckmäßig hält, um die Arbeit innerhalb der Fraktion fortzusetzen.
3. Aussprache über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit (Bekanntgabe der eingereichten Entschließungsanträge): siehe Protokoll
4. Lage in den Flüchtlingslagern auf Malta (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll
5. Beschluss über die Dringlichkeit
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den Abschluss des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko (KOM(2005)0692 – C6-0040/2006 – 2005/0280(CNS))
Philippe Morillon (ALDE), Vorsitzender des Fischereiausschusses. – (FR) Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Ich spreche hier im Namen des Fischereiausschusses, dessen Vorsitz ich innehabe, um Ihnen mitzuteilen, dass dieser Ausschuss sich gestern Abend mit einer großen Mehrheit von 14 gegen neun Stimmen gegen den Antrag des Rates auf vordringliche Behandlung des Berichts unseres Kollegen Varela Suanzes-Carpegna über eine Verordnung des Rates über den Abschluss des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko ausgesprochen hat.
Die Annahme dieses Antrags würde nämlich darauf hinauslaufen, eine Blankovollmacht für dieses Abkommen auszustellen, obwohl die Beratungen in unserem Ausschuss noch lange nicht abgeschlossen sind, wie die Lebhaftigkeit der gestrigen Aussprache gezeigt hat, und der an dieser Art von Abkommen besonders interessierte Entwicklungsausschuss seine Stellungnahme noch nicht abgegeben hat. Wir sind uns natürlich der Bedeutung dieses Abkommens sowohl für die marokkanische Regierung wie auch für die europäischen Fischer selbst vollauf bewusst. Daher schlagen wir vor, bei diesem Vorgang ein beschleunigtes Verfahren anzuwenden, das es nach einem weiteren Meinungsaustausch während der nächsten Ausschusssitzung am 18. und 19. April ermöglichen würde, am 2. Mai im Ausschuss über den Bericht abzustimmen und ihn dann im darauf folgenden Maiplenum dem Hohen Haus vorzulegen.
Unseres Wissens müssen die ersten Zahlungen erst Ende Juni erfolgen. Daher sind wir der Meinung, dass diese nach Auffassung unseres Parlaments erforderliche letzte Überlegungszeit keine größeren Probleme bereiten wird.
Heinz Kindermann (PSE). – Herr Präsident! Ich plädiere dafür, dass wir der Dringlichkeit stattgeben. Im Interesse der spanischen Fischer ist es wirklich notwendig, dass zum 1. Mai mit Beginn der Saison auch gefischt werden kann. Sie haben jetzt jahrelang keine Möglichkeit gehabt, überhaupt ihren Fischereitätigkeiten nachzugehen, und eine Verzögerung ändert im Grunde genommen gar nichts an dem jetzigen Ratifizierungsverfahren oder am Inhalt der Verträge.
Carmen Fraga Estévez, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Meine Fraktion ist gegen den Antrag des Rates, das Dringlichkeitsverfahren anzuwenden, solange dem Parlament nicht die Informationen zur Verfügung gestellt werden, die unbedingt erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass dieses Fischereiabkommen den angemessenen Rechtsrahmen für die normale Ausführung der Fischereitätigkeit der Gemeinschaftsflotte bildet.
Daniel Varela Suanzes-Carpegna (PPE-DE), Berichterstatter. – (ES) Herr Präsident! Ich spreche gemäß Artikel 134 Absatz 3 der Geschäftsordnung als Berichterstatter für diesen Bericht, um das Hohe Haus davon in Kenntnis zu setzen, dass der Berichterstatter gegen das Dringlichkeitsverfahren ist. Ich bin dagegen, weil wir – da es sich um eine so sensible Angelegenheit handelt, die noch nicht völlig abgeschlossen ist, und um ein Abkommen, das noch Gegenstand substanzieller Änderungen durch beiden Seiten ist – dem zuständigen Ausschuss, dem Fischereiausschuss, nicht den Bericht, die Aussprache und die Abstimmung, die ihm rechtmäßig zustehen, verweigern dürfen.
Meine Damen und Herren, wir wollen keine ärgerlichen Überraschungen bei der künftigen Anwendung dieses Abkommens, wie sie in der Vergangenheit vorgekommen sind. Wir wollen dem Fischereisektor Garantien für Rechtssicherheit geben, wonach die Vereinbarungen uneingeschränkt umgesetzt werden und dieses Abkommen lebensfähig ist. Der Entwicklungsausschuss hat bereits seine Stellungnahme abgegeben, und wir werden seinen Bericht berücksichtigen. Die Stellungnahme des Fischereiausschusses steht noch aus.
Mit dem Kompromiss, den ich gestern dem Vorsitzenden des Fischereiausschusses vorgeschlagen habe und den dieser Ausschuss angenommen hat, beabsichtige ich nicht, den Bericht hinauszuzögern, sondern ihn zu beschleunigen, damit er im Mai in diesem Haus vorliegen kann und wir diese Frage unter idealen Bedingungen zum Abschluss bringen können, da die erste Frist für die erste finanzielle Ausgleichszahlung am 30. Juni endet. Wir werden in der Zeit liegen, und in Anbetracht der Ausführungen von Herr Kindermann möchte ich darauf hinweisen, dass für viele der im Abkommen erfassten Arten in diesem und im kommenden Monat eine Schonzeit beginnt und sie daher nicht betroffen sein werden.
Aus diesen Gründen bitten wir darum, dass unser Ausschuss in der verbleibenden Zeit arbeiten kann, sodass wir dem Haus einen Bericht des zuständigen Ausschusses vorlegen können. Deshalb lehnen wir die Dringlichkeit heute ab.
Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2771/75 und (EWG) Nr. 2777/75 in Bezug auf die Anwendung von Sondermaßnahmen zur Marktstützung (KOM(2006)0153 – C6-0111/2006 – 2006/0055(CNS))
Joseph Daul (PPE-DE), Vorsitzender des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. – (FR) Herr Präsident! Der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung hat gestern einstimmig beschlossen, dem von der Europäischen Union gestellten Dringlichkeitsantrag für Sondermaßnahmen zur Stützung des Eier- und Geflügelmarktes zuzustimmen.
Angesichts der ernsten Krise, von der der Geflügelsektor gegenwärtig in zahlreichen Mitgliedstaaten betroffen ist, halten wir es für unbedingt erforderlich, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Mit der Annahme des Dringlichkeitsantrags wird das Europäische Parlament in die Lage versetzt, über den Vorschlag der Kommission zu befinden. Es würde damit seine Fähigkeit unter Beweis stellen, rasch auf die Forderungen der Bürger einzugehen. Die Kommission hat den Dringlichkeitsantrag Ende letzter Woche gestellt, und wir werden am Donnerstag darüber entscheiden. Meiner Meinung nach ist dies für unsere Mitbürger ein gutes Beispiel für rasches Reagieren auf eine schwere Krise.
6. Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten – Grundzüge der Wirtschaftspolitik für 2006 (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über
– den Bericht von Magda Kósáné Kovács im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (KOM(2006)0032 – C6-0047/2006 – 2006/0010(CNS)) (A6-0086/2006) und
– den Bericht von José Manuel García-Margallo y Marfil im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über die Lage der europäischen Wirtschaft: Vorbereitender Bericht über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik für 2006 (2006/2047(INI)) (A6-0077/2006).
Günther Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die integrierten ökonomischen Leitlinien sind das Herzstück der neuen Wachstums- und Beschäftigungspolitik, mit der wir die Lissabon-Agenda vorantreiben wollen. Sie sind integriert, weil sie die Erkenntnis widerspiegeln, dass wir die Aufgabe, mehr Wachstum und mehr Beschäftigung für Europa zu erreichen, nicht lösen können, wenn wir makroökonomische, mikroökonomische und beschäftigungspolitische Ziele nicht eng miteinander verbinden.
Die ökonomischen Leitlinien bilden den Rahmen, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsinstitutionen ihre jeweiligen Pläne zur Umsetzung der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie erarbeiten. Sie sind im vergangenen Jahr von der Kommission zum ersten Mal vorgelegt worden, und ich bin dankbar, dass das Europäische Parlament sich intensiv mit diesen Leitlinien beschäftigt, weil sie in der Tat über das Jahr hinaus einen Kompass dafür darstellen, was wir zu tun gedenken und was die Grundlage unseres Handelns sein soll.
Die Strategie für Wachstum und Beschäftigung, die wir seit etwa einem Jahr umzusetzen versuchen, ist ja ein völlig neuer Prozess. Es ist noch nicht ganz einfach, die Elemente dieses neuen Prozesses abschließend zu beurteilen, aber eines kann man – mit aller Vorsicht – schon heute sagen: Die Mitgliedstaaten haben sich in ihren nationalen Reformprogrammen im Wesentlichen an den Prioritäten orientiert, die in den integrierten ökonomischen Leitlinien vorgegeben waren, und die Kommission hat mit ihrem Vorschlag für ein Gemeinschaftsaktionsprogramm dasselbe getan.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Wachstums- und Beschäftigungsstrategie von einem dreijährigen Zyklus ausgeht. Das heißt, es besteht nicht die Absicht, die Leitlinien jedes Jahr zu ändern. Anpassungen an veränderte Realitäten und Konsequenzen aus den Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind natürlich möglich und notwendig. Wir sehen im Augenblick aber keine Veranlassung, für das Jahr 2006 die vorliegenden Leitlinien zu ändern. Sie sind und bleiben eine solide Grundlage für die Gespräche, die die Kommission jetzt mit den Mitgliedstaaten führt, und in diesen Gesprächen geht es darum, die nationalen Reformprogramme auch tatsächlich umzusetzen.
Was die einzelnen Säulen dieser Strategie angeht, so werden mein Kollege Almunia und mein Kollege Špidla noch etwas zum makroökonomischen und zum beschäftigungspolitischen Teil sagen. Ich möchte kurz auf den mikroökonomischen Teil eingehen und darauf hinweisen, dass hier in einigen Bereichen doch wichtige Fortschritte zu verzeichnen sind. Das gilt insbesondere für die Schlüsselfrage für die ökonomische Zukunft Europas, nämlich den Übergang zur Wissensgesellschaft, den Übergang zu einer Wirtschaft, die gegründet ist auf Innovation, auf Forschung und auf Entwicklung. Das war der Grund, warum wir so sehr darauf bestanden haben, bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung quantitative Ziele durchzusetzen.
Sie wissen, dass das Ergebnis der nationalen Reformprogramme in diesem Bereich etwas enttäuschend war. Es hätte uns im Durchschnitt auf 2,2 % im Jahr 2010 gebracht; gewünscht sind aber 3 %. In den wenigen Wochen, die wir uns in diesem Jahr mit der Frage beschäftigen konnten, ist es aber gelungen, die Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten abgegeben haben, deutlich zu erhöhen. Wenn es bei diesen Verpflichtungen bleibt, würden wir im Jahr 2010 2,6 % erreichen. Das ist besser, aber – ich sage deutlich – nicht gut genug. Die Kommission wird deshalb an dieser Stelle ihren Druck fortsetzen.
Der Europäische Rat von vorvergangener Woche, über den ja hier morgen zu diskutieren sein wird, hat ebenfalls wichtige Teile der Umsetzung der Strategie erörtert und beschlossen. Ich weise insbesondere hin auf die Beschlüsse des Rates zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen, zur Verbesserung der Gesetzgebung und zur Energiepolitik.
Es gibt eine Frage, die gelegentlich im Zusammenhang mit den Leitlinien diskutiert worden ist und bei der es darum geht, ob die Kommission bei ihrer Bewertung der nationalen Reformpläne in Zukunft länderspezifische Empfehlungen aussprechen soll oder nicht. Wir haben das in der ersten Runde aus einem ganz nahe liegenden Grund nicht getan, weil wir ja nicht wussten, wie die nationalen Reformprogramme aussehen würden. Ich will aber deutlich darauf hinweisen, dass die Möglichkeit, in künftigen Fortschrittsberichten auch länderspezifische Empfehlungen abzugeben, ganz selbstverständlich zum Instrumentarium der Kommission gehört und dass wir uns dieses Instruments im Bedarfsfall auch bedienen werden.
Das Wichtigste im Augenblick scheint mir aber zu sein, dass wir alle gemeinsam daran arbeiten, einer breiteren europäischen Öffentlichkeit sichtbar zu machen, dass wir eine gemeinsame Strategie für Wachstum und Beschäftigung haben, dass wir gemeinsame Prioritäten haben und dass wir gemeinsam daran arbeiten, diese Prioritäten auch zu realisieren.
(Beifall)
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Herr Präsident! Ich schließe mich der gerade von Vizepräsident Verheugen abgegebenen Einschätzung der Art und Weise an, in der wir die überarbeitete Lissabon-Strategie implementieren werden, die wir im vergangenen Jahr in Gang gesetzt haben.
Bei der Lektüre des Berichts von Herrn García-Margallo über die europäische Wirtschaft und die Grundzüge der Wirtschaftspolitik stelle ich einen beträchtlichen Grad an Übereinstimmung fest, und wir haben diese Übereinstimmung innerhalb der Kommission, mit den gleichen Zielen und mit dem gleichen Prozess zu ihrer Erreichung, auch auf dem letzten Europäischen Rat festgestellt. Diese grundsätzliche Einigkeit zwischen den drei europäischen Institutionen ist meines Erachtens entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Prozesses, für die Akzeptanz der Ziele dieser Strategie durch alle Wirtschafts- und Sozialakteure und nicht nur die europäischen und nationalen Institutionen, und diese Einigkeit ist eine der – meiner Meinung nach unverzichtbaren – Bedingungen für die Erzielung eines stärkeren Wachstums und für die Schaffung von mehr Beschäftigung in der Europäischen Union.
Hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Fragen möchte ich drei Punkte ansprechen. Erstens ist klar, dass es – wie wir bei vielen Gelegenheiten erklärt haben, und ich denke, dass wir mit der Position des Parlaments übereinstimmen – wichtig war, eine bessere Abstimmung zwischen den Zielen der Lissabon-Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung und der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erreichen. Im letzten Jahr ist das gelungen. Es gibt eine bessere Koordinierung und ein besseres Verhältnis zwischen ihnen, und meines Erachtens erzielen wir in der Praxis sehr positive Ergebnisse. Die europäische Wirtschaft macht heute größere Fortschritte in Richtung auf eine steuerliche Konsolidierung als vor einem Jahr. Dies ist eine der notwendigen Voraussetzungen für ein solideres Wachstum, das in der Lage ist, Arbeitsplätze zu schaffen. Das Vertrauen der Wirtschaftsakteure wird stärker, die Ergebnisse der Tätigkeit weisen darauf hin, dass 2006 bessere Ergebnisse bringen wird als 2005, und die sich für die Zukunft eröffnenden Perspektiven sind ebenfalls positiv.
Zweitens stimme ich voll und ganz der Aussage des Berichts von Herrn García-Margallo zu, dass es wichtig ist, ein stärkeres Augenmerk auf die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu richten, und insbesondere darauf, wie mit den Folgen der alternden Bevölkerung umgegangen wird. Vor wenigen Wochen haben die Kommission und der Ausschuss für Wirtschaftspolitik, der aus allen Mitgliedstaaten besteht, einen Bericht über die wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Folgen der Überalterung veröffentlicht. Diese Auswirkungen sind erheblich, aber in dem Bericht wird auch festgestellt, dass durch rechtzeitiges Handeln und die Durchführung von Reformen, wie sie in vielen nationalen Programmen zur Lissabon-Strategie enthalten sind und von den verschiedenen Mitgliedstaaten durch ihre Initiativen – vor allem die Initiativen von Kommissar Špidla auf demografischem Gebiet – gefördert werden, Ergebnisse sichtbar sind, und dass einige europäische Länder heute besser als vor fünf Jahren in der Lage sind, die Auswirkungen der Alterung der Bevölkerung zu bewältigen. Im Oktober wird die Kommission einen Bericht zu dieser Frage veröffentlichen, den das Parlament hoffentlich ebenfalls debattieren und verfolgen wird.
Ein letzter Punkt: Ich möchte meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, dass der Bericht von Herrn García-Margallo neben einer allgemeinen Analyse der europäischen Wirtschaft und der Rolle der Lissabon-Strategie sowie der verschiedenen Instrumente, die in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik für die 25 Länder enthalten sind, besonders auf die Herausforderungen und die Erfordernisse des Euro-Währungsgebiets eingeht, in dem die 12 Länder mit der gemeinsamen Währung, dem Euro, Mechanismen für die Koordinierung und besondere Aufmerksamkeit benötigen, um die bestmöglichen Ergebnisse aus der Wirtschafts- und Währungsunion zu ziehen. Wir möchten Herrn García-Margallo danken, dass er in seinem Bericht darauf hingewiesen hat.
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte der Berichterstatterin, Frau Kósáné Kovács, in Namen der Kommission für den hervorragenden Bericht danken, den der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten vorgelegt hat. Dieser Bericht leistet aus zwei Gründen einen konstruktiven Beitrag: Er ergänzt den vorhandenen Grundstock an Wissen und dürfte die Annahme im Rat – anders als in den Vorjahren – beschleunigen.
Auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates hieß es, dass die Union in der Lage sein würde, zwei Millionen Arbeitsplätze pro Jahr zu schaffen. Aber Arbeitsplätze entstehen nur und die Arbeitslosigkeit wird nur sinken, wenn wir das derzeitige Wirtschaftswachstum nutzen, um die notwendigen Reformen fortzusetzen. Auf der Tagung wurde bekräftigt, dass die integrierten Leitlinien ihre Gültigkeit behalten; zugleich wurde dargelegt, welche Prioritäten stärker ins Blickfeld zu rücken sind. Zu meiner Freude vertritt der Parlamentsausschuss eine ähnliche Sichtweise und lehnt übermäßige Änderungen an den Grundsätzen der Beschäftigungspolitik ab. Wir stehen zwar Änderungen in der Begründung aufgeschlossen gegenüber, möchten aber aus demselben Grund am ursprünglichen Wortlaut des eigentlichen Textes festhalten.
Im vergangenen Jahr wurde die Strategie von Lissabon hinsichtlich der integrierten beschäftigungspolitische Leitlinien und der Grundzüge der Wirtschaftspolitik neu definiert. Die Strategie beruht im Interesse der Schaffung eines klar umrissenen und stabilen politischen Rahmens für die mit ihrer Umsetzung betrauten Gremien auf einem Dreijahreszyklus. Eine von der Kommission durchgeführte Studie zu den nationalen Reformprogrammen hat konkrete Mängel bei der Umsetzung in den Mitgliedstaaten aufgezeigt, die jedoch nicht an der Gültigkeit der Grundprinzipien rütteln. Es wäre also unangebracht, den Eindruck zu vermitteln, dass wir dem Inhalt der Maßnahmen jetzt eine neue Richtung geben wollen. Im von der Kommission vorgeschlagenen Text wird bewusst die Möglichkeit offen gehalten, bestimmte politische Prioritäten zusätzlich in die Begründung aufzunehmen. Damit liegen wir auf einer Linie mit dem Wunsch des Parlaments, einige Elemente wirtschaftlicher und sozialer Art in die Begründung einzubeziehen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen; dies gilt vor allem für die Punkte, die mit den Schlussfolgerungen der letzten Frühjahrstagung des Europäischen Rates im Einklang stehen.
Die Ratstagung legte besonderes Gewicht auf die Verbesserung der Beschäftigungssituation, insbesondere für Jugendliche, Frauen, ältere Menschen und Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, rechtmäßige Migranten und Angehörige von Minderheiten. Im Falle der jungen Menschen wurde das in den Grundsätzen festgelegte Ziel bekräftigt, den Anteil der Schulabbrecher um 10 % zu senken und jedem Jugendlichen ab 2007 innerhalb von sechs Monaten und ab 2010 innerhalb von vier Monaten nach dem Verlassen der Schule eine Arbeitsstelle, eine ein Praktikum oder eine Weiterbildung anzubieten. Bei den älteren Arbeitnehmern lag der Schwerpunkt auf der Einführung einer integrierten Strategie auf der Grundlage hochwertiger Arbeitsplätze und der Fachausbildung. Was die Chancengleichheit anbelangt, so wurde während der Frühjahrstagung des Europäischen Rates der Europäische Pakt für Gleichstellung angenommen; des Weiteren billigte der Rat den Vorschlag der Kommission, eine umfassende Debatte einzuleiten, die zur Annahme gemeinsamen Grundsätze im Bereich Flexibilität und Beschäftigungssicherheit („Flexicurity“) Ende 2007 führen soll. Das Ziel dieser Debatte mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern besteht darin, die Segmentierung des Arbeitsmarktes einzudämmen und das richtige Verhältnis zwischen Flexibilität und Beschäftigungssicherheit zu erreichen.
Ich möchte auch meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass die von der Kommission vorgeschlagene Einrichtung eines Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung auf dem Frühjahrsgipfel so positiv aufgenommen wurde. Dies zeigt, dass der Wunsch besteht, für die Förderung der europäischen Beschäftigungsstrategie vorhandene Gemeinschaftsmittel effektiver einzusetzen. Dieser Wunsch deckt sich auch mit den Vorstellungen des Europäischen Parlaments.
VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ Vizepräsident
Magda Kósáné Kovács (PSE), Berichterstatterin. – (HU) Die europäischen Bürgerinnen und Bürger lehnen die von Fachleuten verwendeten politischen Codewörter ab. Bedauerlicherweise wird der „Lissabon-Prozess“ auch allmählich zu einem solchen Wort, obgleich er unsere gemeinsame Zukunft darstellt. Wenn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union wettbewerbsfähig sind, wird es mehr und bessere Arbeitsplätze geben. Wenn mehr Menschen Arbeit finden, nimmt die Armut ab. Außerdem würden so umfangreichere Mittel für die Reform der Sozialsysteme zur Verfügung stehen, und wir wären in der Lage, die Umwelt für unsere Enkel zu bewahren.
Ich möchte nachdrücklich darauf hinweisen, dass Arbeit, die nicht mit sozialer Sicherheit einhergeht und auf dieser fußt, keine nennenswerten wirtschaftlichen Ergebnisse hervorbringen kann. Wenn dies stimmt, wovon auszugehen ist, können wir die Entscheidung von Rat und Kommission begrüßen, dass die EU-Mitgliedstaaten die beschäftigungspolitischen Leitlinien und die Grundzüge der Wirtschaftspolitik insgesamt prüfen und die beiden Fragen im Zusammenhang miteinander bewerten sollten.
Das Bild ist nachweislich komplexer geworden, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Europäische Kommission jetzt die Aktionspläne der 25 Mitgliedstaaten geprüft hat. Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten hat zur Kenntnis genommen und akzeptiert, dass das Parlament die Leitlinien auf der Grundlage der Interinstitutionellen Vereinbarungen nicht jedes Jahr ändern – was meines Erachtens auch im Interesse der Mitgliedstaaten liegt –, sondern nur bei etwaigen Problemen auf dem EU-Arbeitsmarkt anpassen wird. Gleichzeitig haben wir bei der Darstellung der politischen Ziele in der Präambel Wert darauf gelegt, in diesem Parlamentsdokument die Lehren aus dem ersten Bericht zu berücksichtigen, der nach dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten zur EU verfasst wurde. Der Ausschuss war sich fast einstimmig darüber einig, dass das Parlament eine aktivere Rolle bei der Überprüfung der Umsetzung der Leitlinien spielen sollte. In diesem Zusammenhang werden wir mit dem zuständigen Kommissionsbeamten Kontakt aufnehmen.
In meinem Bericht wollte ich die Ausführungen der Kommission im Hinblick auf drei wichtige Grundsatzfragen ergänzen. Meine Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss haben wesentlich dazu beigetragen, dass diese klar und verständlich dargestellt werden. Vor allem machen wir nachdrücklich auf die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen für verschiedene benachteiligte soziale Gruppen aufmerksam. Wie die Kommissionsmitglieder bereits betont haben, ist dies auch eine Voraussetzung für weiteres Wirtschaftswachstum. Ein riesige Reserve für das Erwerbstätigenpotenzial steckt erstens in der Förderung der Frauenerwerbstätigkeit; zweitens müssen ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt verbleiben bzw. dazu angehalten werden, in den Erwerbsprozess zurückzukehren, und drittens geht es darum, jungen Menschen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz und beim Eintritt in den Arbeitsmarkt zu helfen. Gleichzeitig sind wir jedoch der Überzeugung, dass der Abbau von Hindernissen, die eine Reihe von Menschen heute vom Arbeitsmarkt ausschließen, mindestens genauso wichtig ist.
Wir machen auch auf die Anomalie aufmerksam, dass sich Arbeitnehmer aus Drittstaaten unter Umständen in einer günstigeren Position auf dem europäischen Arbeitsmarkt befinden als Bürger neuer Mitgliedstaaten. Wir werden Gelegenheit haben, dieses Problem im Zusammenhang mit dem Bericht Őry zu erörtern, doch möchte ich schon jetzt anmerken, dass wir auf der Grundlage jüngster Meldungen die Niederlande im „Club der Sechs“ (als siebtes Land ab 2007) willkommen heißen.
Drittens schließlich sind wir der Auffassung, dass es ohne langfristige Finanzielle Vorausschau auch nicht möglich ist, den Mitgliedstaaten angemessene Ressourcen für die als grundlegende Ziele in den integrierten Leitlinien formulierten Aufgaben zur Verfügung zu stellen.
Höflichkeit ist hier zwar in Mode, aber in diesem Falle geht es weder um Höflichkeit noch um eine alte Gewohnheit: Ich möchte mich ganz herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit – und den Vertretern der verschiedenen Fraktionen für ihre Hilfe und Unterstützung sowie bei Ana Mato Adrover, der Ko-Berichterstatterin, bedanken. Es besteht Hoffnung, dass das Motto „Einheit durch Vielfalt“ keine Worthülse bleibt, sondern auch eine Chance darstellt.
José Manuel García-Margallo y Marfil (PPE-DE), Berichterstatter. – (ES) Herr Präsident, meine Herren Kommissare! Die Diskussion über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik hat uns in den vergangen Jahren viel Kopfschmerzen bereitet.
Damit sie uns in diesem Jahr nicht so stark plagen, werde ich mich auf drei Fragen beschränken: Warum hat das Parlament beschlossen, einen Bericht zu erstellen, obwohl sich die Kommission dafür entschieden hat, die vorangegangenen Berichte zu bestätigen? Was können wir tun, damit unsere Berichte Gehör finden? Und drittens, worauf soll die Kommission nach unserem Willen hören?
Erstens, warum ein Bericht? Weil die vorangegangenen Berichte massenweise Empfehlungen enthielten, die von der Kommission nicht berücksichtigt wurden. Zweitens, weil seit unserer Diskussion des vorherigen Berichts neue Faktoren aufgetreten sind: das relative Scheitern der europäischen Verfassung, eine neue Finanzielle Vorausschau, einige erste Zinsanhebungen, drei Kandidaten für das Euro-Währungsgebiet sowie die Doha-Runde, die ihre Handelsgespräche in Hongkong fortsetzt.
Zweitens, weil es gewisse Faktoren gibt, die zwar in anderen Berichten aufgegriffen wurden, die aber im Laufe der Zeit eine größere Bedeutung erlangt haben. Kommissar Almunia hat die Alterung der Bevölkerung angesprochen, und wir müssten auch über die Konsequenzen der Einwanderung sprechen, über die Folgen der Importe aus China nach dem Wegfall der Mengenbeschränkungen, über die Ungleichgewichte in der Welt, vor allem im Hinblick auf die USA, und schließlich über die Energiekrise.
Was können wir tun, um gehört zu werden? Dieser Bericht wurde konsensgetragen erstellt, was viele von uns gezwungen hat, in ihren persönlichen Ansichten nachzugeben, und dafür möchte ich insbesondere den Vertretern der anderen Parlamentsfraktionen danken.
Wenn wir uns Gehör verschaffen wollen, so muss ich hier zunächst darauf hinweisen, dass wir bisher nicht zur Kenntnis genommen wurden. Dieser Bericht beginnt mit einer Art Katalog von Missständen, einer Liste von Empfehlungen, die wir gegeben haben und die von der Kommission nicht aufgegriffen wurden.
Wir haben die Umsetzung von Richtlinien gefordert, was nicht geschehen ist, eine Reduzierung der Defizite – Kommissar Almunia hat darauf hingewiesen, dass derzeit 12 der 25 Mitgliedstaaten ein übermäßiges Defizit aufweisen –, eine Mitteilung zur Globalisierung, um die Öffentlichkeit über ihre Chancen und Herausforderungen aufzuklären – und wenn diese Mitteilung erfolgt wäre, hätten wir uns einiges an Kopfschmerzen erspart –, und wir haben auch die Anwendung der Charta der kleinen und mittleren Unternehmen verlangt, was nicht geschehen ist.
Zweitens behandelt dieser Bericht das, was wir als institutionelle Fragen bezeichnen könnten, unabhängig davon, ob sie konstitutioneller Art sind oder nicht. In dieser Zeit der aktiven Reflexion – die weder durch Reflexion noch durch Aktivität gekennzeichnet ist – befassen wir uns mit jenen Fragen, die vom Konvent übrig gelassen wurden und die nicht beantwortet worden sind: Welches sind die Zielsetzungen und Kompetenzen der Union? Was sind die Aufgaben der Europäischen Zentralbank, unter ständiger Wahrung ihrer Unabhängigkeit? Was müssen wir tun, um den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu stärken? Welches sind die rechtlichen Grundlagen zur Änderung der Besteuerung in der Union und in den Mitgliedstaaten?
Auf eine ausdrückliche Empfehlung möchte ich die Kommission besonders hinweisen: Dieses Parlament wird keine Richtlinie nach dem Lamfalussy-Verfahren verabschieden, wenn bis 2008 nicht das Problem des Rückrufrechts, letztendlich der internationalen Vertretung des Euro-Währungsgebiets, gelöst wird.
Der Vizepräsident der Kommission hat die Koordinierung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und der Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen in einem einheitlichen Dokument erwähnt: Das ist wahr, aber sie unterliegen weiterhin unterschiedlichen Informations- und Konsultationsverfahren, die ihr Verständnis erschweren. Darüber hinaus müssen weitere Dokumente einbezogen werden, um zu sichern, dass keine Lücken vorhanden sind.
In Bezug auf die Besteuerung im institutionellen Sinne fordern wir die Kommission auf, der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu folgen: einheitliche Bestimmung des steuerlichen Wohnsitzes als Erweiterung der Staatsbürgerschaft, Grundsatz der Nichtdiskriminierung und Doppelbesteuerungsabkommen. Was die Koordinierung anbelangt, so freue ich mich über die freundlichen Worte von Kommissar Almunia: Es stimmt, dass wir mehr koordinieren müssen, dass wir eine präzise Diagnose erstellen, die richtige Behandlung festlegen, eine Analyse der Ereignisse vornehmen und die Rolle der Eurogruppe definieren müssen.
Im Bereich der makroökonomischen Politik gehen wir nicht auf die Frage der Zinssätze ein und bringen unsere Meinung nicht zum Ausdruck. Wir sagen jedoch, dass wir alles in unseren Kräften Stehende tun müssen, um zu sichern, dass die Preise nicht steigen und die Zinsen niedrig bleiben. Wir nehmen Bezug auf die Staatsverschuldung mit den vom Kommissar verwendeten Begriffen: weniger Zinszahlungen, weniger Tilgungen, das heißt, mehr Ausgaben im Zusammenhang mit der Alterung, mehr Lissabon.
Im Hinblick auf das Geschäftsklima fordern wir eine ernsthafte Reflexion. Die USA sind uns voraus. 144 der weltweit führenden Unternehmen kommen aus der Europäischen Union, während es bei den USA 206 sind. Die kleinen und mittleren Unternehmen verdoppeln ihre Beschäftigungszahlen in den ersten beiden Jahren, in Europa geschieht das nicht. Wir fordern Fördermaßnahmen zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen unter besonderer Bezugnahme auf die Bereitstellung von Risikokapital.
Auf dem Gebiet der Besteuerung verlangen wir, einfach gesagt, die Besteuerung der Unternehmen im Heimatstaat unter Anwendung des Grundsatzes des Herkunftsortes bei der MwSt.
In Bezug auf das Humankapital habe ich nichts weiter zu sagen. Mein Kollege hat das sehr gut zum Ausdruck gebracht.
Bereich Investitionen: transeuropäische Netze. Es würde 20 Jahre dauern, sie fertig zu stellen.
Energie, F+E+I, mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr Wettbewerbsfähigkeit.
(Beifall)
Ana Mato Adrover, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die gute Arbeit und ausgezeichnete Mitarbeit der Berichterstatterin, Frau Kósáné Kovács, hervorheben, die ich zu ihrer Leistung und zu dem Bericht, den sie präsentiert hat, beglückwünschen möchte.
Wie wir wissen, wurden vor knapp einem Jahr die beschäftigungspolitischen Leitlinien beschlossen, wobei ich die Ehre hatte, Berichterstatterin zu sein. In diesen Leitlinien wurde das allgemeine Konzept für die Beschäftigung und die Prioritäten für die kommenden drei Jahre festgelegt, und sie sollten einen wirksamen Beitrag zum Beschäftigungswachstum, zur Produktivität der Wirtschaft und natürlich zur Stärkung der sozialen Eingliederung und des Zusammenhalts leisten.
Diese Leitlinien, die zusammen mit den wirtschaftspolitischen Leitlinien diskutiert wurden, die Herr García-Margallo y Marfil in diesem Jahr hervorragend vorgestellt hat, sind in die vor kaum sechs Monaten von den Mitgliedstaaten beschlossenen nationalen Reformprogramme aufgenommen und in konkrete Zielsetzungen umgesetzt worden. Geleitet vom gesunden Menschenverstand – sie wurden vor knapp einem Jahr verabschiedet und gelten für drei Jahre – und auch in Anbetracht des Inhalts dieser Leitlinien haben wir sie einfach aktualisiert.
Worin bestand diese Aktualisierung? Drei große Bereiche:
Zum einen haben wir die vorrangigen Themen einbezogen, die auf den großen europäischen Gipfeltreffen dieses Jahres hervorgehoben wurden: erstens, die Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation und die Ausweitung der Informationstechnologien, ein Aspekt, bei dem die Erreichung der Lissabon-Ziele am weitesten entfernt ist; zweitens, die wirkliche und wirksame Chancengleichheit, für die sich unsere Fraktion immer eingesetzt hat und zu der die Einbeziehung der Frauen, dauerhafte Arbeitsplätze für sie und ihre Förderung am Arbeitsplatz und natürlich die gleiche Bezahlung gehören; und drittens, unser tatkräftiger Einsatz für eine stabile Beschäftigung, und ich sage das, weil die meisten der geschaffenen Arbeitsplätze unsicher sind. In meinem Land waren zum Beispiel 52 % der insgesamt im Laufe der letzten zwei Jahre entstandenen Arbeitsplätze befristete Beschäftigungsverhältnisse, und das ist unakzeptabel.
Zum Zweiten haben wir bestimmte grundlegende Themen wiederholt, die von der Kommission nicht angemessen behandelt worden sind. Im Kampf gegen Arbeitsunfälle hatten wir uns für ein breites Übereinkommen auf europäischer Ebene eingesetzt, das wir für unverzichtbar halten, da zum Beispiel im Jahr 2005 in Spanien 990 Menschen ihr Leben verloren haben, und es geht uns auch um die Unterstützung der Opfer häuslicher Gewalt bei ihrer Suche nach einem Arbeitsplatz.
Außerdem wollen wir bei der gegenwärtigen Aktualisierung der beschäftigungspolitischen Leitlinien erreichen, dass dieses Parlament die Möglichkeit hat, sie zu begleiten und ihre Einhaltung durch die Mitgliedstaaten zu überwachen.
(Beifall)
Udo Bullmann, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine Herren Kommissare, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig darin, dass der Europäische Binnenmarkt unsere große Chance ist: unsere große Chance, mit rund 450 Millionen Menschen in der Globalisierung einen eigenständigen Weg zu finden, der gekennzeichnet sein muss von wirtschaftlichem Wohlergehen und gesunden Finanzen, aber auch von einem Ertrag, der bei den Menschen ankommt.
Was wir diskutieren müssen – und da steht diese Debatte im Mittelpunkt –, ist folgende Frage: Haben wir alle Instrumente an Bord, die wir für diesen Weg brauchen, und setzen wir die Instrumente, die vorrätig sind, richtig ein, um diesem Binnenmarkt den richtigen Rahmen zu geben und um auch die Prozesse der wirtschaftlichen Entwicklung nachhaltig zu beeinflussen?
Lassen Sie mich zwei Bemerkungen machen, die über die heutige Diskussion und die Berichte hinausgehen: Wenn es uns nicht bald gelingt, die Finanzen der Europäischen Union auf eigenständige und berechenbare Füße zu stellen, werden wir dieser Aufgabe nicht gerecht werden. Und wenn es uns nicht bald gelingt, auch über Tabus zu reden, auch darüber zu reden, dass man in dieser Europäischen Union eine gemeinsame Steuerpolitik machen muss, werden wir unserer Aufgabe nicht gerecht werden.
Ich sage das deswegen, weil die wirtschaftliche Situation, in der wir uns befinden, keine Tabus mehr rechtfertigt. Ich unterstütze jeden, der frischen Wind in diese Diskussion bringt, weil wir, wenn wir uns die wirtschaftliche Lage vergegenwärtigen, es uns überhaupt nicht leisten können, weiterhin Diskussionen zu ritualisieren und frischen Wind aus unserem Haus oder aus unseren Diskussionen herauszuhalten. Wir hatten im Jahr 2005 eine wirtschaftliche Wachstumsentwicklung, die hinter das zurückgefallen ist, was wir 2004 hatten. Wir haben weiterhin bedrohlich hohe Arbeitslosenquoten – um die neun Prozent. Und insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit ist wieder im Ansteigen begriffen. Ich unterstütze es sehr, und ich freue mich sehr, wenn Kommissar Almunia sagt, es gibt Anzeichen für eine gute wirtschaftliche Entwicklung. Aber, Herr Kommissar Almunia, es gibt keine Garantie dafür, dass dies zu einem selbsttragenden Aufschwung in der Europäischen Union führen wird.
Deswegen müssen wir darüber reden, was auf die Tagesordnung gehört. Wann endlich fangen wir an, in der Europäischen Union eine gemeinsame Investitionspolitik zu machen? Dies ist das dringendste Erfordernis, dem wir uns stellen müssen. Wann fangen wir an, in Forschung und Entwicklung gemeinschaftlich zu investieren? Wir haben es in den letzten zehn Jahren von 1,8 % gerade mal auf 1,9 % geschafft. Wann fangen wir an, besser und nachhaltiger in die Bildung zu investieren, mit einer koordinierten Strategie in den Mitgliedstaaten? Wann machen wir das große Potenzial flott, das bei der Energieeffizienz liegt? Hier liegt der Schlüssel zur nächsten technologischen Revolution. Machen wir uns an die Arbeit!
Wo sind die Investitionen der Mitgliedstaaten, wo ist die Führung der europäischen Diskussion in diesem Feld? Wenn wir an das Transportwesen denken, dann müssen wir uns manchmal fragen, ob wir eigentlich Delors’ Weißbuch neu schreiben müssen. Jedenfalls gibt es viele Umsetzungsdefizite in diesem Bereich, die uns voranbringen könnten, wenn wir uns ihnen stellen und mehr investieren.
Kinderbetreuung – eines der zentralen Themen! Wer mehr in Kinderbetreuung investiert, hat höhere Geburtenraten und auch mehr Menschen – insbesondere Frauen – im Arbeitsleben; das zeigen unsere Statistiken. Wir unterstützen all diejenigen, die hier voranschreiten wollen.
Stellen Sie die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament endlich auf ein vernünftiges institutionelles Fundament! Dann brauchen wir – danke an den Kollegen García-Margallo – nicht nur Initiativberichte zu schreiben, sondern können uns hier auf einer anderen, stabilen Grundlage unterhalten.
Margarita Starkevičiūtė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Es ist schon etwas länger her, da haben Wissenschaftler festgestellt, dass es kein Wundermittel gibt, mit dem sich Arbeitsplätze schaffen und sämtliche Beschäftigungsprobleme lösen lassen und mit dem die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden kann. Vielmehr spielt eine Fülle von Faktoren eine Rolle, und wir müssen ganz einfach eine gute Mischung aus all diesen Einzelbestandteilen finden. Die Schwierigkeit besteht nun aber darin, dass dieses Faktorengemisch von Land zu Land unterschiedlich ist und dass den Besonderheiten der einzelnen Volkswirtschaften Rechnung getragen werden muss. In Anbetracht der nachweislich gescheiterten Bemühungen des Internationalen Währungsfonds um die Schaffung eines Universalmodells ist es fraglich, ob wir versuchen sollten, ein europaweit geltendes wirtschaftsstrategisches Modell zu konzipieren. Nach meiner Überzeugung müssen wir drei grundlegende Aspekte in den Vordergrund stellen. Erstens sollten wir uns der Ansicht von Herrn García-Margallo anschließen, der sagt, dass sämtliche Dokumente zur Wirtschaftspolitik zusammengefasst werden müssen, denn davon gibt es einfach zu viele und darin finden sich die immer gleichen Aussagen. Zweitens müssen wir einen Mechanismus für das Zusammenwirken von Wirtschaftsstrategien auf nationaler und europäischer Ebene erarbeiten, und drittens kann dies durch Festlegung eindeutiger und konkreter Prioritäten, die sich gegenseitig ergänzen, erreicht werden.
Elisabeth Schroedter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrte Kommissare, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommissar Verheugen sprach davon, dass die beschäftigungspolitischen Leitlinien zum Herzstück der Lissabon-Strategie gehören. Das stimmt. Inzwischen stellen die beschäftigungspolitischen Leitlinien nicht nur formal die Grundlage der nationalen Beschäftigungspläne dar, sondern entfalten ihre Wirkung in der Ausgestaltung und Förderung des nationalen Arbeitsmarktes. Da ist es nicht egal, dass der Rat die vierte Säule der europäischen Beschäftigungspolitik, die Förderung der Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, einfach einkassiert. Frauen sind von Arbeitslosigkeit viel stärker betroffen als Männer. Sie sind es immer noch, die die meisten Teilzeitjobs haben. Sie bekommen immer noch 15 % weniger Lohn als Männer für vergleichbare Arbeit. Ihre Aufstiegschancen sind geringer. Sie haben es immer noch wesentlich schwerer, wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, besonders dort, wo es keine flächendeckende, frei zugängliche Kinderbetreuung für den ganzen Tag gibt.
Es bleibt weiter notwendig, gender mainstreaming mit aktiven Frauenförderungsmaßnahmen zu flankieren. Insofern bin ich Magda Kósáné Kovács wirklich dankbar, dass wir wenigstens in den Erwägungen einen gemeinsamen Kompromiss finden konnten, um messbare Indikatoren für die Förderung der Chancengleichheit in die Leitlinien einzubringen.
Ich möchte Sie auch noch auf einen zweiten Änderungsantrag aufmerksam machen. Wir wollen die Leitlinie Nr. 22 streichen. Wir sind der Meinung, dass Lohnkostengestaltung allein Sache der Tarifpartner ist und nicht Bestandteil politischer Beschlüsse sein darf. Es ist für mich sehr befremdlich, feststellen zu müssen, dass hier scheinbar eine stille Übereinkunft zwischen den beiden großen Fraktionen im Parlament besteht, dass in Zukunft politische Regierungsbeschlüsse in Form von nationalen Beschäftigungsplänen dafür zu sorgen haben, dass die allgemeine Lohnentwicklung mit dem Produktivitätszuwachs im Konjunkturzyklus in Einklang zu bringen ist. Ich dachte, wir hätten die Planwirtschaft, die ich aus der DDR kenne, in Europa endlich überwunden, zumal daran gedacht werden muss, dass die Leitlinien die Vorgaben für das Förderkonzept des Europäischen Sozialfonds sind. Es wäre inkonsequent, wenn der ESF Lohngestaltung betreiben sollte. Das sollten wir den Sozialpartnern und ihrer Handlungsfähigkeit überlassen.
Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Die integrierten Leitlinien für Beschäftigungswachstum enthalten die wichtigsten Hindernisse für eine wirksame Beschäftigungspolitik, in deren Mittelpunkt die Schaffung hochwertiger und mit Rechten verbundener Arbeitsplätze, der soziale und territoriale Zusammenhalt sowie das Wohl der Menschen stehen.
Das liegt in erster Linie daran, dass der Sicherstellung der wirtschaftlichen Stabilität, der Erweiterung und Vertiefung des Binnenmarktes, der Gewährleistung der Öffnung der Märkte und ihrer Wettbewerbsfähigkeit sowie der Schaffung eines attraktiveren Unternehmensumfelds Vorrang eingeräumt, das heißt allem, was für die Wirtschafts- und Finanzkonzerne, die Herren des internationalen Handels, die aus der Ausbeutung von billigen Arbeitskräften in Drittländern Profit schlagen und lieber auf riesige Gewinne aus Produktionsverlagerungen setzen als auf den Erhalt und die Schaffung von mit Rechten verbundenen Arbeitsplätzen in den EU-Ländern, wie Musik in den Ohren klingt.
Hinzu kommt, dass die beschäftigungspolitischen Leitlinien viel zu vage formuliert sind und Kernbereiche unberücksichtigt bleiben, vor allem die Notwendigkeit einer breiteren Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt und der Sicherstellung hochwertiger und mit Rechten verbundener Arbeitsplätze. Das würde den Kampf gegen die Diskriminierung bei der Entlohnung und bei Aufstiegschancen, der Frauen nach wie vor ausgesetzt sind, unterstützen und nicht zu prekären und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen führen, wie es heute an der Tagesordnung ist.
Gleichermaßen müssen in den Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit zwingend die regionalen Unternehmen, die Mikrounternehmen, die kleinen und mittleren Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen gefördert werden.
Von grundlegender Bedeutung ist es auch, die Familien sowohl bei der Neugestaltung und Verkürzung der Arbeitszeit zu unterstützen, ohne dass sie ihre Rechte einbüßen, als auch im Hinblick auf Investitionen in zur Unterstützung der Familien angelegte öffentliche Dienstleistungen, was dazu beitragen würde, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die den lokalen und regionalen Erfordernissen angepasst sind. Dringend notwendig sind mehr öffentliche Investitionen in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Wohnen, Gewährleistung des Zugangs zu unentgeltlicher und hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der darauf abzielt, diese Leitlinien auf die unterbreiteten Vorschläge auszudehnen, da wir es für unerlässlich halten, die Vorschläge in die beschäftigungspolitischen Leitlinien einzubeziehen.
Eoin Ryan, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ohne die Grundzüge der Wirtschaftspolitik gibt es keinen abgestimmten Rahmen, der den Mitgliedstaaten den Weg zur Erfüllung der Ziele von Lissabon weisen würde. Für Irland und Europa besteht die Aufgabe darin, mithilfe der nationalen Reformprogramme die vereinbarten Leitlinien umzusetzen. Es ist dringend geboten, dass Europa wirtschaftliche Stabilität erlangt.
Ich lehne jedoch sämtliche Teile des Berichts vehement ab, in denen zur Unterstützung für die von der Kommission vorgeschlagene einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer aufgerufen wird. Die Festsetzung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage ist untrennbar verbunden mit einem harmonisierten Steuersatz. Die Mitgliedstaaten müssen realistisch sein und erkennen, dass die Einführung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage lediglich der erste Schritt auf dem Weg zur Steuerharmonisierung ist.
Weder Irland noch irgendein anderer Mitgliedstaat hat ein Mitspracherecht bei der Festsetzung des Steuersatzes in einem anderen Mitgliedstaat. Die Vielfalt der Steuerpolitik tut der europäischen Einheit keinen Abbruch, wohl aber würden die falschen steuerpolitischen Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der EU unterminieren. Der Wettbewerb kann sogar harmonisierend wirken. Meines Erachtens trägt der Steuerwettbewerb zu einer Harmonisierung der Chancen in der EU bei und gibt kleinen Ländern an der Peripherie der Union die Möglichkeit, sich im Wettbewerb zu behaupten.
Insgesamt begrüße ich die Rolle, die staatliche Beihilfen bei der Unterstützung der Ziele von Lissabon spielen. Ich möchte aber betonen, dass Vorschriften über staatliche Beihilfen nicht benutzt werden sollten, um Irland oder ein anderes EU-Land daran zu hindern, den Wettbewerb um wichtige ausländische Direktinvestitionen gegen Drittstaaten zu führen. Europa braucht die Flexibilität, um sich weiterzuentwickeln und die mit der Globalisierung verbundenen Herausforderungen bewältigen zu können. Europa muss seine Wirtschaft reformieren, und dieser Aufgabe sollten sich alle Länder stellen.
Derek Roland Clark, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Der Bericht über die beschäftigungspolitischen Maßnahmen strotzt nur so vor Schlagwörtern, die auch gleich von Anfang an die Richtung vorgeben: Rechtsvorschriften, Beobachtung durch die Kommission und Umsetzung. Dann geht es um die spezielle Bedeutung junger und älterer Arbeitnehmer; die EU ohne Grenzen – der Bericht fordert ihren Abbau – mit klaren und messbaren Prioritäten; Überarbeitung der Leitlinien alle drei Jahre, aber das Parlament muss in den dazwischen liegenden Jahren eine aktivere Rolle spielen; Bewertung der Reformprogramme der Mitgliedstaaten. Na dann, frisch ans Werk! Die Franzosen haben eine Wochenarbeitszeit von 35 und nicht von 48 Stunden. Als es im letzten Jahr darum ging, die Arbeitszeitrichtlinie auszugestalten, protestierten viele von ihnen gegen die Einmischung durch die EU.
Vor einigen Wochen protestierten Hafenarbeiter gegen eine weitere Einmischung durch die EU. In französischen Städten herrscht der Belagerungszustand, weil neue arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Jugendliche eingeführt werden sollten. Wer wird Herrn Chirac oder Herrn de Villepin sagen, dass sie Unrecht haben, dass sie sich nicht an die Leitlinien halten? Natürlich keiner. Die Franzosen werden sich selbst regieren, und das sollten wir alle tun – als mündige Demokratien. Aber am unheilvollsten ist Leitlinie 19, die die laufende Überprüfung von aus den Steuer- und Sozialleistungssystemen resultierenden positiven und negativen Anreizen vorsieht. Ein Kollege hat heute Morgen bereits von einer einheitlichen Steuerpolitik gesprochen. Ist das der Beginn einer EU-weiten Harmonisierung der Steuerpolitik – zu der es angeblich ja nie kommen würde? Meine Damen und Herren, Ihre Steuersysteme sind in Gefahr. Sagen Sie nicht, man hätte Sie nicht gewarnt!
Jana Bobošíková (NI). – (CS) Die Berichte, über die wir heute debattieren, zeigen endlich einmal, in welch beklagenswertem Zustand sich die EU-Wirtschaft befindet, und benennen in klaren Worten die Ursachen: schlechte Regulierung, ausbleibende Struktur- und Sozialreformen und mangelnde Flexibilität in der Wirtschaft. Weitere Gründe sind eine ungenügende unternehmerische Dynamik, schwache Arbeitsmärkte, ein geringes Produktivitätswachstum, mangelnde Investitionen, unzureichende Innovation und mangelhafte Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung. Wir fordern die Förderung des Unternehmergeistes, die Senkung der Arbeitskosten und eine bessere Wissensvermittlung in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften. Die Zustandsbeschreibung ist einerseits ausgesprochen prägnant, andererseits aber auch sehr heuchlerisch. Dieses Parlament könnte konkrete Schritte für mehr Produktivität und Flexibilität sowie zur Förderung des Unternehmergeistes unternehmen und den Dienstleistungsmarkt tatsächlich – und nicht nur formal – liberalisieren, anstatt sich feige dem Druck der Demonstranten vor der Haustür zu beugen. Ich fürchte, die Berichte werden nichts bewirken, solange sich die nationalen Regierungen genauso populistisch und heuchlerisch verhalten wie dieses Parlament und sich eben nicht unbequemen Wahrheiten stellen und unangenehme Maßnahmen ergreifen, die das Überleben sichern.
José Albino Silva Peneda (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident! In einer Zeit, in der das Phänomen der Globalisierung zahlreiche Aspekte der Wirtschafts- und Sozialsysteme all unserer Länder bestimmt, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass jede Behinderung des freien Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehrs das größte Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen darstellt. Es ist vollkommen illusorisch zu glauben, dass durch die Einschränkung der Freizügigkeit im Raum der EU die Interessen eines bestimmten Landes geschützt werden können. Diese Einstellung kann kurzfristig als Allheilmittel wirken, sie wird jedoch niemals eine Lösung für die Herausforderungen sein, vor denen die EU steht.
Damit Europa in einer immer stärker globalisierten Welt Fuß fassen kann, muss vor allem die Liberalisierung der Märkte vorangetrieben werden. Wir wissen, dass es aufgrund der demografischen Situation auf dem europäischen Kontinent und des Phänomens der Globalisierung unumgänglich ist, dass die Wirtschafts- und Sozialmodelle zahlreicher EU-Mitgliedstaaten reformiert werden. Je höher das europäische Wirtschaftswachstum, desto leichter lassen sich die Reformen durchführen. Damit es aber zu diesem Wirtschaftswachstum kommt, muss der Binnenmarkt uneingeschränkt funktionieren. Solange Europa Wachstumsraten von 1 %, 2 %, ja selbst 3 % aufweist, wird es äußerst schwierig sein, diese für den Frieden und die soziale Stabilität der Europäischen Union notwendigen Reformen umzusetzen.
Deshalb fordere ich, dass die integrale Errichtung des Binnenmarktes neben der unbestreitbaren wirtschaftlichen Komponente ein sehr wichtiges und entscheidendes Element umfassen muss: die Sozialpolitik. Das ist ein Grund mehr für mich, die von der Europäischen Kommission in diesem Bereich eingeleiteten Anstrengungen zu unterstützen.
Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer machen. Indem einige Mitgliedstaaten der Freizügigkeit der Arbeitnehmer bestimmte Hindernisse in den Weg stellen, geraten sie selbst in die groteske Lage, Arbeitnehmern aus Drittstaaten den Zugang zu Beschäftigung zu erleichtern, anstatt dies für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten zu tun.
Jan Andersson (PSE). – (SV) Herr Präsident! Ich möchte zunächst der Berichterstatterin Frau Kovács für eine sehr konstruktive Arbeit danken. Seitens des Parlaments haben wir uns natürlich für langfristige, integrierte Leitlinien in 3-Jahres-Zyklen ausgesprochen. Sobald ausreichend langfristige, integrierte Leitlinien gelten, müssen wir unbedingt die nationalen Reformprogramme überprüfen. Es ist wichtig, dass dies durch die Kommission erfolgt, aber auch, dass das Parlament in die Überprüfung und Kontrolle der nationalen Reformprogramme einbezogen wird.
Kommissar Almunia hat erklärt, dass die wirtschaftlichen Aussichten jetzt besser sind. Das stimmt, aber die Beschäftigungssituation in Europa ist alles andere als ermutigend. Hier sind sicherlich Verbesserungen möglich, aber ich möchte drei Bereiche aufgreifen, die äußerst besorgniserregend sind.
Das ist erstens die Jugendarbeitslosigkeit. Diese ist besonders kritisch, denn wenn junge Menschen direkt von der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit – und noch dazu in die Langzeitarbeitslosigkeit – gehen, ist es für sie außerordentlich schwer, später wieder in den Arbeitsmarkt hinein zu kommen. Ich glaube nicht an das französische Modell, oder daran, dass – wie andere Parteien meinen – Beschäftigung durch die Verringerung der Sicherheit für diese oder andere Gruppen gefördert wird. Beschäftigung wird durch eine aktive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gefördert.
Bei den älteren Arbeitnehmern stehen wir vor dem Dilemma, dass die Bürger den EU-Arbeitsmarkt heutzutage viel zu früh verlassen. Ältere Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit erhalten, ihre berufliche Qualifikation zu erhöhen, aber gleichzeitig müssen wir auch die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verbessern.
Schließlich möchte ich noch die Gleichstellung erwähnen, die in alle Bereiche eingebunden werden muss. Ich begrüße den Europäischen Pakt für Gleichstellung, der jetzt Teil des Lissabon-Prozesses ist oder bald sein wird. Besonders wichtig ist der Ausbau der Kinderbetreuung und anderer Bereiche, damit es für Frauen und Männer gleichermaßen möglich ist, Arbeit und ein funktionierendes Familienleben zu vereinen. Ich möchte Sie bitten, diese Aspekte mit aufzunehmen.
Wolf Klinz (ALDE). – Herr Präsident! Das Hauptproblem der Europäischen Union ist die hohe Arbeitslosigkeit. Um 20 Millionen Arbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen, brauchen wir einen Politikwechsel in der Praxis, nicht auf dem Papier. Die Leitlinien stellen das Hauptinstrument für die wirksame und notwendige Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten dar. Bisher sind die konkreten Fortschritte leider unbefriedigend.
Die liberale Fraktion mahnt deshalb erneut Anstrengungen an. Von den Mitgliedstaaten erwarten wir eine solidere Haushaltspolitik, echte Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheits- und Rentenbereich und deutlich mehr Investitionen in Ausbildung und Forschung. Auf europäischer Ebene verlangen wir die Schaffung einer einheitlichen konsolidierten Steuerbemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung, eine Verbesserung der Mehrwertsteuersysteme, eine Erleichterung der Internationalisierung von Unternehmen durch die Verabschiedung der 14. Gesellschaftsrichtlinie, Fortschritte beim Subventionsabbau, die Einführung eines Gemeinschaftspatents und die konsequente Öffnung der Märkte. Erst dann, wenn wir diese Hausaufgaben gemacht haben, können wir über das nachdenken, was Kollege Bullmann gefordert hat, nämlich die Einführung von Steuern auf EU-Ebene. Nur mit einem wirklichen Politikwechsel kann sich Europa den großen Herausforderungen wirksam stellen.
Jiří Maštálka (GUE/NGL). – (CS) Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Frau Kovács aufrichtig für ihren Bericht danken. Die Berichterstatterin hat sich mit einigen grundsätzlichen Fragen im Bereich der Beschäftigung auseinandergesetzt, die in der heutigen Zeit – in der so mancher vom Wirtschaftswachstum regelrecht besessen ist – häufig übersehen werden; dazu gehören beispielsweise die Chancengleichheit, der Zugang zur Beschäftigung für junge und alte Menschen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der gesamten Union. Aus Erfahrungen in der Tschechischen Republik und Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, aber auch aus der Betrachtung der aktuellen Lage in Frankreich weiß ich, dass die Erstanstellung – zum Beispiel für Hochschulabsolventen – oftmals eine der größten Herausforderungen darstellt.
Obwohl sich die Europäische Kommission um eine Lösung bemüht hat, entfalten ihre Empfehlungen und Instrumente bislang keine nennenswerte Wirkung. Das ist, wie die Berichterstatterin festgestellt hat, zum Teil durch die unvollständige Umsetzung bzw. Anwendung in den Mitgliedstaaten bedingt. Gerade dieser Bereich verdient aber größte Aufmerksamkeit, was übrigens auch für die Altersdiskriminierung am Arbeitsmarkt gilt. Gleiche Chancen für Männer und Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind zweifellos ein wichtiges Thema. Aus Statistiken wissen wir, dass Frauen zwar ein wachsendes Segment der Gesellschaft sind, sich dies aber nicht in ihrem Anteil an der Beschäftigung widerspiegelt. Noch deutlicher zeigt sich dies beim Frauenanteil in Führungspositionen. Wir müssen alle Mitgliedstaaten auffordern, Antidiskriminierungsgesetze kompromisslos und unverzüglich anzuwenden, um diese Entwicklung umzukehren.
Guntars Krasts (UEN). – (LV) Vielen Dank, Herr Präsident. Zunächst einmal möchte ich dem Berichterstatter dafür danken, dass er im Bericht die Aufmerksamkeit auf die Einschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Binnenmarkt der Europäischen Union gelenkt hat.
Leider wurde die jüngste Erweiterung der Europäischen Union im Binnenmarkt nicht als neue Chance begriffen, sondern als Bedrohung empfunden. Der viel zitierte polnische Klempner, der im realen Leben sicher willkommen wäre, aber Seltenheitswert hat, ist ein deutlicher Beleg für die Ängste, die seit der Erweiterung auf dem EU-Binnenmarkt herrschen. Es ist eine negative Einstellung zu allen vier Freiheiten des Marktes festzustellen, nicht nur zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Es ist daher schade, dass im Bericht keine Bewertung des Entwurfs der von diesem Parlament verwässerten Dienstleistungsrichtlinie vorgenommen wird, die in der Fassung der Kommission dem Arbeitsmarkt der Europäischen Union in den nächsten Jahren entscheidende Impulse vermitteln sollte.
Auch findet man im Bericht keine Aussagen zu den negativen Folgen, die Einschränkungen des freien Kapitalverkehrs für die Beschäftigung haben. Dazu zählen die Beschränkungen, die das Parlament im letzten Monat auf der Tagung in Straßburg beschloss. Ich denke da an den Bericht „Umstrukturierung und Beschäftigung“ und insbesondere an den Bericht „Standortverlagerungen im Zusammenhang mit der regionalen Entwicklung“. Leitmotiv beider Berichte ist die Erteilung von Auflagen, durch die Unternehmen an der freien Standortwahl im Binnenmarkt der Europäischen Union gehindert werden.
Dies ist eine Zeit verpasster Gelegenheiten, was die Ankurbelung des Arbeitsmarktes der Europäischen Union anbelangt. Die Entwicklung und Stärkung des EU-Binnenmarktes ist das wirksamste Instrument, um den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten für den sich verschärfenden globalen Wettbewerb zu wappnen. Deshalb müssen wir uns die beschäftigungspolitische Grundkonzeption der Mitgliedstaaten anschauen, und zwar in enger Verbindung mit dem Ziel, das Potenzial des EU-Binnenmarktes besser auszuschöpfen.
Johannes Blokland (IND/DEM). – (NL) 2003 verfasste Herr García-Margallo y Marfil seinen vorherigen Bericht über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik, und jetzt, drei Jahre später, zeigt sich, dass die Zusammenarbeit nach der offenen Methode der Koordinierung nicht den erforderlichen Effekt gezeitigt hat, wenn man nach dem Platz urteilt, den die Umwelt in der Wirtschaftspolitik einnimmt.
Auf dem Gipfel von Stockholm wurde damals beschlossen, die Aufnahme der Umweltpolitik und der Sozialpolitik in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik mit dem Ziel anzustreben, einer nachhaltigen und sozialen Marktwirtschaft in der Europäischen Union Gestalt zu verleihen. Da meiner Ansicht nach die Umweltaspekte in der Wirtschaftspolitik nur unzureichende Beachtung finden, trete ich dafür ein, dass in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik neben Hinweisen auf die Bedeutung der Umwelt auch klare und konkrete Umweltziele aufgenommen werden. Ich denke hierbei an Ziele in Bezug auf den Energieverbrauch und die Senkung der CO2-Emissionen. Wirtschaftswachstum muss mit einem verantwortungsbewussten Einsatz der natürlichen Ressourcen einhergehen, und deshalb unterstütze ich die Änderungsanträge von Herrn Lipietz.
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Die Aufgabe von Abgeordneten-Autoren wie mir in diesem Hause muss es doch sein, durch aufrüttelnde Kritik avantgardistisch konstruktiv zu sein, und die Großen – auf diese Art aufgeweckt – müssen das dann umsetzen. Achtung Othmar Karas – du sprichst nach mir –: Das ist eine Steilvorlage. Was jetzt gerade passiert, ist so, dass sich in der EU der Mainstream die Augen reibt und sagt: Ja, wir haben da wirklich ein Problem. Aber bitte, denken Sie den Schritt weiter. Die Prognos-Studie zeigt eindrucksvoll, dass wir natürlich in den nächsten Jahrzehnten keine Vollbeschäftigung bekommen werden. Wir werden im Gegenteil auf das hinsteuern, was ein Reporter der New York Times „the disposable American“ nennt, also auf europäisch übersetzt den „Wegwerf-Europäer“. Da werden wir Lösungen finden müssen. Wir haben ein riesiges Problem bei den Dienstleistungen, die uns wegbrechen und die bisher ja Ersatzarbeitsarbeitsplätze für die weggebrochenen Industriearbeitsplätze gebracht haben. Da müssen wir weiterkommen, da brauchen wir Ansätze, die weit über den heutigen Tag hinausgehen. Ja: Ein Kernpunkt, ein Ansatzpunkt, bei dem man anfangen kann, ist die Umschichtung dieser so vielen Millionen und Milliarden, die jetzt noch im Budget der EU versteckt sind und in sinnlose Bereiche gehen. Ich denke beispielsweise daran, dass es in Frankreich die Reisproduktion ist, die im Agrarbereich am stärksten gefördert wird. Es besteht auch die Chance, da wir derzeit keine Finanzielle Vorausschau abgeschlossen haben, hier nochmals nachzubessern und jetzt schon das auf den Weg zu bringen, was Sie sonst erst wieder in fünf oder zehn Jahren tun werden, wenn es wieder fast zu spät ist.
Othmar Karas (PPE-DE). – Herr Präsident, meine Herren Kommissare, meine Damen und Herren! Warum brauchen wir Grundzüge der Wirtschaftspolitik? Weil wir keine gemeinsame Wirtschaftspolitik haben. Und wir haben deshalb keine gemeinsame Wirtschaftspolitik, weil die Instrumente für eine aktive Wirtschaftspolitik in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen: die Forschungspolitik, die Steuerpolitik, die Bildungspolitik, um nur drei Bereiche zu nennen.
Seit unserem letzten Bericht hat sich in den Rahmenbedingungen manches verschärft. Wir sehen immer deutlicher, dass das Wachstumspotenzial in der Europäischen Union nicht ausgeschöpft wird, dass wir nicht ausreichend auf die demographische Entwicklung vorbereitet sind und dass wir die Chancen der Globalisierung noch nicht voll für unseren Kontinent genützt haben. Die Energiekrise und die hohe Arbeitslosigkeit zeigen, dass wir auf der einen Seite hausgemachte, auf der anderen Seite strukturpolitische und globale Probleme haben, die wir aktiv angehen müssen.
Wir wollen in allen binnenmarktrelevanten Fragen die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments, weil wir bei all diesen Fragen mehr Europa in der Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten benötigen, als es zur Stunde Realität ist. Wir verlangen daher mit diesem Bericht auch die Umsetzung aller Binnenmarktrichtlinien. Die unterschiedliche Umsetzung schafft Wettbewerbsverzerrung und kostet Wachstum und Beschäftigung.
Wir verlangen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung der Staaten mit übermäßigem Defizit, denn wenn wir die Sozial- und die Pensionssysteme nicht sanieren, können wir am globalen Wettbewerb nicht teilnehmen. Ich möchte auch die vollständige Umsetzung der KMU-Charta einmahnen.
Pervenche Berès (PSE). – (FR) Herr Präsident, meine Herren Kommissare, meine Damen und Herren! Diese Angelegenheit ist zweifellos wichtig, denn die Aussprache über die Leitlinien bietet die Möglichkeit, die Lissabonner Strategie umzusetzen. Sie ermöglicht ebenfalls die Ex-Ante-Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten.
Wir hatten in diesem Haus die Einbeziehung der beschäftigungspolitischen Leitlinien in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik befürwortet. Meiner Meinung nach war dies im Interesse der geistigen Kohärenz der richtige Ansatz, vorausgesetzt, dass dabei keine Substanzverluste auftreten, und insbesondere unter der Voraussetzung, dass die Befugnisse des Parlaments ebenfalls harmonisiert werden. Die diesbezüglichen Vorschläge des Berichterstatters unterstütze ich.
Hinsichtlich der Grundzüge der Wirtschaftspolitik ist folgendes Paradoxon festzustellen: Obgleich die Zentralbank die Zinsen in schneller Abfolge um einen Prozentpunkt erhöht hat, obgleich der Anstieg des Erdölpreises die Bedingungen für die wirtschaftliche Wiederbelebung in der Europäischen Union ernsthaft beeinträchtigt, obgleich die Möglichkeiten des Ansteigens der Binnennachfrage von diesem oder jenem Akteur in der Europäischen Union deutlich unterschätzt werden, bleiben diese Grundzüge der Wirtschaftspolitik unverändert.
Unserer Meinung nach müssen wir diesbezüglich zumindest in einem Punkt größere gemeinsame Anstrengungen unternehmen: nämlich im Bereich der Investitionen. Meine Fraktion hat einen Änderungsantrag in diesem Sinne eingebracht, der hoffentlich vom Plenum angenommen wird. Es geht darum, mit Nachdruck darauf zu verweisen, dass für eine wirkliche Umsetzung der Lissabon-Strategie im Unionsmaßstab die erforderlichen Investitionspläne aufgestellt werden müssen, um die Politiken zu unterstützen, die es uns ermöglichen werden, die vor uns stehenden Herausforderungen in Bezug auf Wissen, Ausbildung und Beschäftigung zu bewältigen.
Abschließend möchte ich eindrücklich auf die Frage der Besteuerung verweisen, die die Grundlage für unser gesamtes Wirtschaftssystem bildet. Ich hoffe, dass die ganze Kommission, aber auch der Rat sich anschließen und die Anstrengungen von Kommissar Kovács in dieser Hinsicht unterstützen.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Veränderungen in der Weltwirtschaft, Globalisierungsprozesse und ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaftsblöcke und Unternehmen in Branchen der Staatswirtschaften – all dies sind neue Herausforderungen für die Europäische Union, deren Wettbewerbsfähigkeit zusehends sinkt und die für die aus der Globalisierung erwachsenden Aufgaben nicht gewappnet ist. Im Konkurrenzkampf hat die EU das Nachsehen gegenüber den USA, China und Indien.
Die EU sollte sich den Herausforderungen der Globalisierung stellen, indem sie sich von innen heraus reformiert. Mit der Verfassung sind wir gescheitert, die Finanzielle Vorausschau liegt auf Eis, und die Mittelzuweisungen für die transeuropäischen Netze werden gekürzt. Ohne eine gemeinsame Energiepolitik ist die Energieversorgung, die das Rückgrat der Wettbewerbsfähigkeit jeder Wirtschaft bildet, genauso gefährdet wie die Sicherheit.
Die Erweiterung des Euro-Währungsgebiets durch die Aufnahme neuer Kandidaten, d. h. Slowenien und Litauen, wäre eine der Maßnahmen und Entscheidungen, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln würden.
Ich möchte zwei wichtige Faktoren nennen, die zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Union beitragen können: Investitionen in Informationen und Innovationen und die schnellere Erarbeitung einer gemeinsamen Energiepolitik. Diese Faktoren sind miteinander verknüpft. So geben Innovationen den Anstoß für die Entstehung von Branchenführern, während im Energiesektor, der die Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich beeinflusst, Innovationen die Erschließung neuer Energiequellen und die rationelle und sparsame Verwendung vorhandener Energieressourcen ermöglichen. Da die Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau für den Zeitraum 2007–2013 noch nicht abgeschlossen sind, sollten wir die Prioritäten der Finanzierung überdenken und die Mittelzuweisungen für Wissenschaft, Forschung und die transeuropäischen Netze aufstocken.
Was die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft anbelangt, möchte ich auf eines der erfolgreichsten Vorhaben der Union verweisen – die Einführung der gemeinsamen Währung, des Euro, in 12 Mitgliedstaten. Mit dem Näherrücken der Erweiterung der Eurozone werden auch einige Schwachstellen sichtbar: Die Bedingungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts werden nicht eingehalten; die Staatsverschuldung hat ein bedenkliches Ausmaß erreicht, und fast alle Mitglieder des Euro-Währungsgebiets haben den Preisstabilitätsindex in unterschiedlichem Maße verfehlt. Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre zeigen, dass die Maastricht-Kriterien selbst verbessert werden müssen. Dennoch war und ist das Euro-Währungsgebiet im Grunde ein politisches Projekt, das seinen Nutzen unter Beweis gestellt hat und bei dem jetzt eine neue Phase der Erweiterung erfolgen muss.
Konrad Szymański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Wenn wir aufgefordert würden, einen Schlüsselbegriff der europäischen Beschäftigungspolitik zu nennen, wäre es „Flexibilität“.
Ein sowohl in Bezug auf den Arbeitsort als auch die Arbeitszeit flexibles Beschäftigungsrecht würde Frauen Anreize bieten, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Für berufstätige Frauen bedeutet die Mutterschaft eine enorme Herausforderung. Flexibilität ermöglicht auch den jüngsten und den ältesten Arbeitnehmern den Einstieg in die Erwerbstätigkeit und eröffnet ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten; in diesem Bereich haben wir momentan mit großen Problemen zu kämpfen. Nicht jeder in Europa ist für eine solche Flexibilität. Dies zeigen zum Beispiel die Szenen, die sich jetzt auf den Straßen von Paris abspielen. Das Einzige, was wir daher auf europäischer Ebene tun können, ist, die Harmonisierung in diesem Bereich einzuschränken, um zumindest in einigen Ländern und Regionen der Europäischen Union mehr Flexibilität zu erreichen.
Würde man uns bitten, einen Schlüsselbegriff der Wirtschaftspolitik zu nennen, wäre es neben „Wettbewerb“ das Wort „Steuerwettbewerb“. Anders als in dem Bericht dargestellt, wirkt sich Wettbewerb eben nicht negativ auf die Finanzierung öffentlicher Aufgaben aus. Genau das Gegenteil trifft zu, denn höhere Haushaltseinnahmen verzeichnen ja gerade die Länder, die vor kurzem ihre Steuersysteme radikal reformiert haben, wobei hier insbesondere die Senkung der Körperschaftssteuern zu nennen ist. Der Steuerwettbewerb in Ländern wir Irland oder der Slowakei trägt auch zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von ganz Europa bei; dadurch steigen unsere Chancen im Wettbewerb auf globaler Ebene.
Der Steuerwettbewerb gefährdet also Europa in keiner Weise, sondern stellt im Gegenteil eine enorme Chance dar. Ich befürchte, dass er eine der wenigen, wenn nicht gar die einzige machbare Alternative sein könnte, die uns offen steht.
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Wir brauchen in Europa 40 Millionen Arbeitsplätze, davon eine Million allein in Griechenland. Können wir sie den Bürgern versprechen? Nein, das können wir nicht. Europa ist nicht in der Lage, diese Arbeitsplätze sicherzustellen. 10 % der aktiven Bevölkerung wird unterhalb der Armutsgrenze leben. Sie werden auf die Arbeitslosenunterstützung angewiesen sein. Wir verfügen über keine eigenen Energieressourcen. Das Gas kommt aus Russland, das Öl aus dem Nahen Osten; Energie, die aufgrund der exzessiven Nachfrage vonseiten Chinas und Indiens im Preis kontinuierlich steigen wird. Wir haben eine außerordentlich starke Währung, die Exporte verbietet; sehen Sie sich an, welche Exporte der billige Dollar den Vereinigten Staaten von Amerika ermöglicht. Bei den äußerst engen Maastricht-Indikatoren gedeihen die Indikatoren und leiden die Menschen. Das ist die Realität.
Chinesische Produkte überschwemmen stetig und in zunehmendem Maße den Markt. Man kann nicht einmal mehr eine Puppe finden, die in einer europäischen Fabrik hergestellt wird. Sogar die kommen aus China. Die europäischen Betriebe wandern in Drittländer ab und die Löhne natürlich mit ihnen. Die Landwirte leiden. In Griechenland werden Baumwolle und Tabak in Speichern eingelagert. Wir müssen den Kreislauf ändern; sonst werden die europäischen Bürger nicht überleben können.
Sergej Kozlík (NI). – (SK) In meinem Beitrag möchte ich einige Gedanken aus der Entschließung zum Bericht über den Energiesektor herausgreifen, und zwar im Kontext der Grundzüge der Wirtschaftspolitik für 2006.
Diese Gedanken treffen den Kern des Themas, ohne sich einem eitlen Wehklagen über die Konjunkturabschwächung in Europa hinzugeben. Wunder geschehen nun einmal nicht, und deshalb schließe ich mich der Meinung an, dass eine tiefer gehende Analyse der innerhalb des letzten Jahrzehnts durchgeführten Strukturreformen erforderlich ist. Damit sollten die Gründe für das anhaltend langsame Wachstum und die unzureichende Produktivität geklärt werden. Nicht minder wichtig ist die Forderung nach einer „intelligenten Wachstumsstrategie“, mit der die einzelnen Ansätze für die Wirtschaftspolitik der EU zu einer in sich schlüssigen Strategie zusammengeführt werden sollten.
Das Ziel besteht darin, das Potenzial der Europäischen Union mit Blick auf eine neue Generation von Produkten und Produktionsmethoden zu stärken, indem Informations- und Kommunikationstechnologien nutzbar gemacht werden. Die Forderung an die Mitgliedstaaten, private Investitionen zu fördern, befürworte ich ebenfalls. Von Bedeutung ist zudem eine Verlagerung der öffentlichen und privaten Investitionsausgaben auf Investitionen, die generell die Wirtschaftsleistung und die Produktivität fördern. Gleichwohl gilt es, diesen Ansatz auch im Zusammenhang mit der EU-Mittelverwendung zu verfolgen und anzuwenden, denn wie es so schön heißt, liegen die Gebiete, die die Aufmerksamkeit am nötigsten brauchen, der Heimat oft am nächsten.
Ján Hudacký (PPE-DE). – (SK) Zunächst möchte ich dem Berichterstatter, Herrn García-Margallo, für einen ausgewogenen Bericht danken, der genau das Thema trifft. Wie in dem Bericht mehrfach anklingt, zählt die Tatsache, dass die meisten Mitgliedstaaten die Notwendigkeit einer weit reichenden Strukturreform unterschätzen, zu den gravierenden Problemen, mit denen sich die Europäische Union gegenwärtig konfrontiert sieht. Paradoxerweise versuchen einige Mitgliedstaaten, dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, der eine natürliche Folge der Ablehnung einer solchen Reform ist, zu begegnen, indem sie neue Maßnahmen zum Schutz ihrer Märkte treffen, was das Problem nur noch verschlimmert. Wir müssen wieder einmal einräumen, dass der Binnenmarkt nicht voll funktionsfähig ist und weder die Freizügigkeit der Arbeitnehmer noch die Dienstleistungsfreiheit ermöglicht. Die Folgen dieses Ansatzes sind ausgesprochen negativ. Unternehmen verlagern ihren Standort in Gebiete, in denen Arbeit billiger ist, oder lagern Arbeiten aus, was ebenfalls mit einem Arbeitsplatzabbau einhergeht.
Makroökonomisch führt eine solche Politik zu langsamem Wachstum und – in Anbetracht der unveränderten Struktur der öffentlichen Finanzen – zu einem größer werdenden allgemeinen Staatsdefizit, das häufig die Obergrenzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts überschreitet. Wenn wir die geringen Investitionen in Forschung, technologische Entwicklung und Innovation und noch dazu die hohe Energieabhängigkeit der meisten Mitgliedstaaten berücksichtigen, können wir kaum von einer signifikanten Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber den großen Global Players wie den USA und China ausgehen. Auf diese Herausforderungen müssen wir rasch reagieren, indem wir für einen voll funktionsfähigen Binnenmarkt Sorge tragen, der ohne Diskriminierung und ohne hemmende, unnötige Regulierung auskommt.
Die Harmonisierung europäischer Rechtsvorschriften sollte der Wettbewerbssituation eher förderlich sein, als sie zu beeinträchtigen. Anstrengungen zur Harmonisierung der Körperschaftsteuer sind ein unglückliches Beispiel für solche Hemmnisse. Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten und damit der gesamten EU muss das Subsidiaritätsprinzip wichtiger Bestandteil sämtlicher Initiativen der Kommission werden. Diesbezüglich begrüße ich auch den Aktionsplan zur Reform staatlicher Beihilfen, der die Voraussetzungen für vermehrte Investitionen in Forschung, technologische Entwicklung und Innovation schafft und den kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommen soll. Ebenso loben sollten wir das Grünbuch „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“.
Zita Gurmai (PSE). – (EN) Herr Präsident! Bei ordnungsgemäßer und pragmatischer Umsetzung durch die Mitgliedstaaten können mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie die im Rahmen der Lissabon-Strategie gesetzten Beschäftigungsziele erreicht werden. Sie sollte in der Tat Ausdruck einer breit angelegten Antidiskriminierungspolitik sein und die Gleichstellung der Geschlechter fördern, die ein Instrument zur Überwindung geschlechtsbedingter Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt darstellt.
Die Europäische Beschäftigungsstrategie darf nicht nur als Mittel zur Erhöhung der Zahl der Beschäftigten gesehen werden, sondern als ein Instrument, das all jenen, deren Zugang zum Arbeitsmarkt besonders begrenzt ist, wie ältere Frauen, alleinerziehende Eltern und ethnische Minderheiten, günstige und offene Möglichkeiten zur Aufnahme einer Beschäftigung bietet. Dabei muss eingeräumt werden, dass, wie Kommissar Špidla sagte, die mit Europas alternder Gesellschaft verbundene Herausforderung nur durch Einbeziehung jener speziellen Gruppen in den Arbeitsmarkt bewältigt werden kann.
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen. Wir haben das Jahr 2006 zum Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer erklärt und streben damit mehr und bessere Arbeitsplätze an. Für die europäischen Arbeitnehmer bedeutet die Mobilität den Erwerb neuer Fähigkeiten, neuer Erfahrungen sowie Flexibilität. Sie lehrt die Arbeitnehmer, sich an unterschiedliche Arbeitsbedingungen und die sich ständig verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen. Die Mobilität ist ein Wert, der der gesamten europäischen Wirtschaft zugute kommt. Das ist ein dringendes Erfordernis, dessen sich einige Mitgliedstaaten bewusst werden sollten, die ihre Arbeitsmärkte noch immer gegenüber Arbeitnehmern aus den neuen EU-Mitgliedstaaten abschotten.
Meines Erachtens sollte es mithilfe der Europäischen Beschäftigungsstrategie möglich sein, die Grundlagen für Vollbeschäftigung zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Arbeit eine echte Option für alle Bürger darstellt. Sie sollte zur Steigerung der Qualität und Produktivität der Arbeit beitragen, vorausschauend und gezielt auf Veränderungen reagieren, sich für mehr Zusammenhalt in einer Gesellschaft der Chancengleichheit für alle einsetzen, denen die Vielfalt und die Beseitigung jeglicher Diskriminierung am Herzen liegen.
Meine ungarische Kollegin Frau Kovács hat einen hervorragenden und wertvollen Bericht erarbeitet, und ich schlage vor, ihre Empfehlungen anzunehmen.
Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk (UEN). – (PL) Herr Präsident! Ich erlaube mir den Hinweis, dass sich einige der an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlungen in den Berichten nicht günstig auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in der Europäischen Union auswirken werden. Ich möchte hier nur einige wenige Punkte ansprechen.
Erstens: Maßnahmen gegen den Steuerwettbewerb und der Vorschlag, eine konsolidierte Körperschaftsteuergrundlage in einer Situation einzuführen, in der die Senkung der Einkommensteuersätze das Tempo des Wirtschaftswachstums klar erkennbar beeinflusst. Zweitens: Eindämmung von Verlagerungen, die ein objektiver wirtschaftlicher Prozess sind, der dazu dient, die Fertigungskosten zu senken und die Wettbewerbfähigkeit von Unternehmen in der Weltwirtschaft zu verbessern. Drittens: die Einführung zusätzlicher Regelungen in Bezug auf wirtschaftliche und soziale Prozesse, obwohl derartige Maßnahmen doch eigentlich drastisch zurückgefahren werden müssen. Und viertens: Trotz der guten Erfahrungen, die Länder wie Großbritannien und Irland nach der Öffnung ihrer Arbeitsmärkte gemacht haben, bleiben die Türen zu den Arbeitsmärkten in den größten Ländern der Europäischen Union für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten verschlossen.
Dies ist im Übrigen einer der Gründe, warum sich die Europäische Union deutlich langsamer entwickelt als die Vereinigten Staaten und warum die Entwicklung in den neuen Mitgliedstaaten der Union dynamischer verläuft als in den alten.
Leopold Józef Rutowicz (NI). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte den Berichterstattern für ihre ausgezeichnete Arbeit danken. Allerdings wird meines Erachtens der schwierigste Bereich der Wirtschaft, der den überwiegenden Teil der Ressourcen der Union bindet, der geschützt werden muss und aus wirtschaftlicher Sicht ungenügend genutzt wird, nicht angemessen in den Mittelpunkt gestellt. Ich meine den Landwirtschaftssektor im weitesten Sinne.
Den Löwenanteil der Zahlungen erhalten große Agrarbetriebe, während kleine Landwirte aufgeben und der Anteil nicht bestellter Flächen ebenso wächst wie die Zahl derjenigen, die ihre Arbeitsplätze und jegliche Hoffnung auf eine Zukunft verloren haben. Das gewaltige Potenzial des Sektors bleibt ungenutzt, obwohl vernünftige Maßnahmen bewirken könnten, dass die Landwirtschaft ihren Teil zur Entwicklung der Wirtschaft insgesamt beiträgt.
Das Maßnahmenprogramm zum Ausbau des Sektors nachwachsender Rohstoffe ist nicht ehrgeizig genug, und das Forschungs- und Anwendungsprogramm reicht für rasche Fortschritte nicht aus. Wir geraten in Rückstand gegenüber Ländern, deren Wirtschaft in dieser Hinsicht leistungsfähig ist. Über dieses Thema muss umfassend diskutiert werden; es erfordert ein rasches und wirksames Handeln im Laufe des Jahres 2006.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (SV) Herr Präsident! Zu Beginn möchte ich zwei Punkte näher beleuchten. Der erste ist, dass die europäischen Wirtschaften, die sich der Globalisierung am meisten geöffnet haben, jetzt die beste Wirtschaftsentwicklung aufweisen. Der zweite ist, dass die Länder mit den flexibelsten Arbeitsmärkten auch die beste Entwicklung in Bezug auf neue Arbeitsplätze verzeichnen. Vor diesem Hintergrund möchte ich dem Berichterstatter, Herrn García-Margallo y Marfil, für die geleistete Arbeit danken, denn genau die Veränderungen und die Politikrichtung, die im Bericht vorgeschlagen werden, machen die Herangehensweise aus, die mehr Arbeitsplätze und größeren Wohlstand bringen können.
Die entscheidende Frage ist, ob dies zu Veränderungen führen wird und ob die Politik auf europäischer und nationaler Ebene eine neue Richtung erhält. Ein schwedischer Politiker hat einmal gesagt: „Wenn man es zulässt, dass alles weiterläuft wie gehabt, dann wird sich nichts ändern.“ Wir haben inzwischen mehr als 20 Millionen Arbeitslose. Das ist ein wirtschaftliches Problem, aber auch in höchstem Grade ein soziales Problem. Nichts ist für die soziale Sicherheit so wichtig wie die Entstehung neuer Arbeitsplätze. Auf diesem Gebiet hat die Kommission viele Aufgaben, die sie in Angriff nehmen muss.
Erstens muss sie die Richtlinien umsetzen, die den Weg zu mehr Wettbewerb freimachen. Zweitens muss sie Maßnahmen ergreifen, die neuen Unternehmen die Türen öffnen, und das rückt die gesamte Wettbewerbspolitik in den Mittelpunkt. Neue Unternehmen bedeuten nicht nur Zuwachs bei kleinen Firmen, sondern auch die Möglichkeit, neue transnationale Unternehmen in Europa zu gründen, die „globale Champions“ sein können. Die Kommission muss hierbei Verantwortung übernehmen, aber auch die Mitgliedstaaten tragen Verantwortung dafür, dass die Reformen durchgeführt werden, die neue Unternehmen entstehen lassen. Schließlich müssen wir auch für flexiblere Arbeitsmärkte in Europa sorgen. Tun wir das nicht, schließen wir Millionen von Menschen vom Arbeitsmarkt und von der sozialen Sicherheit aus. Wer für soziale Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung ist, ist auch für flexiblere Arbeitsmärkte. Ich sage das besonders gern an die Adresse der sozialdemokratischen Seite, denn Sicherheit wird durch Reformen geschaffen.
Dariusz Rosati (PSE). – (PL) Herr Präsident! In der heutigen Aussprache geht es um die Zukunft der Europäischen Union. Die europäischen Volkswirtschaften entwickeln sich im Schneckentempo, wir verzeichnen eine hohe Arbeitslosigkeit und unsere öffentlichen Finanzen befinden sich in der Krise. Dieser Zustand hält schon etliche Jahre an und könnte dazu führen, dass Europa seine führende Rolle in der Welt verliert. Es sind umfassende Strukturreformen erforderlich, und in der Wirtschaftspolitik muss ein Kurswechsel vollzogen werden.
In den von der Kommission vorgelegten Grundzügen der Wirtschaftspolitik werden die wichtigsten Maßnahmen richtig benannt. Dazu gehören neben der Schaffung flexibler Arbeitsmärkte und eines unternehmensfreundlichen Umfelds flankierende Maßnahmen in der Bereichen Bildung, Ausbildung und Forschung. Der jahrelange diesbezügliche Einsatz der Kommission hat sich jedoch bislang kaum bezahlt gemacht. Ich möchte das Hohe Haus daran erinnern, dass die Gründe für die Schwäche der europäischen Volkswirtschaften hinlänglich bekannt sind. Dasselbe gilt für die Art von Maßnahmen, die zur Stimulierung des Wirtschaftswachstums und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze erforderlich sind. Leider ergreifen die Politiker in den Mitgliedstaaten nur zögerlich die notwendigen Schritte, weil sie Popularitätsverluste fürchten oder weil nur kurzfristige politische Überlegungen eine Rolle spielen, gelegentlich aber auch blanke Ignoranz. Im Grunde krankt Europa an einer Krise der politischen Führung.
Im Wesentlichen sollte die heutige Debatte an die Regierungen der Mitgliedstaaten und die sie unterstützenden politischen Kreise gerichtet sein. Es sollten Warnsignale ausgesandt werden, dass Europa Gefahr läuft, in die Stagnation zu geraten und zurückzufallen, wenn nicht endlich zentrale Reformvorhaben auf den Weg gebracht werden. Auch die erreichten wirtschaftlichen und sozialen Fortschritte werden andernfalls gefährdet sein. Politiker müssen konkrete Probleme lösen; sie dürfen sich nicht von Popularitätsumfragen und von den Launen der Wähler abhängig machen. Wir vertrauen darauf, dass die Politiker in den Mitgliedstaaten die erforderlichen Reformen durchführen und ihre Bürger von deren Unerlässlichkeit überzeugen.
Ich fordere die Kommission zu nachdrücklichem und entschlossenem Handeln in dieser Sache auf.
Andreas Schwab (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich freue mich natürlich, dass ich doch annähernd in dem Zeitraum sprechen darf, der mir ursprünglich zugewiesen wurde. Sehr geehrte Kommissare, meine lieben Kollegen! Zunächst möchte ich auch dem Berichterstatter herzlich für seine intensive Arbeit zu diesem Thema danken. Der Bericht stellt nochmals eindeutig klar, dass die Europäische Union die Chance für die Bürgerinnen und Bürger in Europa ist, innerhalb der Globalisierung einen fairen Kompromiss zwischen den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einerseits und den sozialen Rahmenbedingungen andererseits zu erreichen. Aber das Problem ist, dass die Bürgerinnen und Bürger in Europa davon nichts mitbekommen. Die 20 Millionen, die arbeitslos sind, und die ca. 100 Millionen Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, schieben dies auf die Europäische Union und weniger auf die Globalisierung. Die anderen, deren Arbeitsplätze durch die Europäische Union und die Arbeit der Kommission und des Parlaments gesichert wurden, wissen davon nichts und schreiben es den nationalen Regierungen zu.
Ich möchte dem Kollegen Rosati ausdrücklich beipflichten: Es wäre durchaus wünschenswert, wenn bei diesen wichtigen Themen der Rat, der in diesem Bereich innerhalb der Lissabon-Strategie in vielen Fragen allein zuständig ist, sich dieses Themas ernsthafter annehmen würde und die Debatten im Europäischen Parlament nicht zwischen Kommission und Parlament alleine geführt würden. Es stimmt zwar, dass auch die Kommission eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen hat, dass die Maßnahmen, die bereits im Rat beschlossen wurden, von den Mitgliedstaaten de facto auch umgesetzt werden. Aber wir müssen auch ehrlich sein – wir werden das wahrscheinlich später beim Bericht Őry sehen –: Letztlich kommt es darauf an, dass die Mitgliedstaaten sich an das halten, was sie einmal selbst beschlossen haben.
Deswegen ist es sehr gut, dass die Kommission – Herr Špidla hat sich auch in den deutschen Medien dazu geäußert – darauf hinweist, dass die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte das Einzige ist, was wir in Europa dafür tun können, um unseren Bürgerinnen und Bürgern mehr Arbeit zu geben, und dass das keine Angst mit sich bringen muss, sondern dass dadurch im Gegenteil mehr Arbeit geschaffen wird. Das ist eigentlich das, was alle wollen.
Deshalb ermuntere ich Sie ausdrücklich, auch in den Mitgliedstaaten stärker darauf hinzuweisen, dass die Beschlüsse, die der Rat in dieser Beziehung gefasst hat, endlich umgesetzt werden.
Alejandro Cercas (PSE). – (ES) Herr Präsident, meine Herren Kommissare, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst bemerken, dass ich optimistischer bin als einige meiner Vorredner, weil ich glaube, dass die heutigen Berichte und diese Aussprache nützlich sein und eine weitere Gelegenheit bieten werden, um die europäische Beschäftigungsstrategie und den Lissabon-Prozess zu fördern.
Schließlich ist dies unsere einzige Hoffnung: die einzige Hoffnung für Europa, in abgestimmter Form in der im vergangenen Jahr eingeschlagenen Richtung zu arbeiten, um die wirtschaftliche und soziale Vision mit neuen Leitlinien im Rahmen dieser Integration zu bereichern.
Kommissar Verheugen sagte, dass wir diese Strategie sichtbar machen müssen. Dies ist eines unserer Defizite, genauso wie unsere mangelnde Glaubwürdigkeit, wie Kommissar Almunia erklärte. Wir brauchen Arbeitsplätze, wie Kommissar Špidla darlegte.
In der sehr kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, möchte ich Sie daher auffordern, diese beiden Berichte des Parlaments zu lesen. Es sind horizontale Berichte, mit denen sich die übergroße Mehrheit der Abgeordneten identifiziert und die meines Erachtens ein starkes Vorausdenken und große Anstrengungen zur Erzielung von Einheit widerspiegeln.
Lesen Sie, was in diesen Berichten steht, und beweisen Sie Führungskraft, die Europa heute braucht. Die Kommission muss aktiv sein, um die Regierungen zu zwingen, diese europäische Beschäftigungsstrategie umzusetzen.
Bitte seien Sie konsequent, schauen Sie sich unsere Änderungsanträge an, zum Beispiel den Änderungsantrag 2. Die bereits vorhandenen europäischen Rechtsvorschriften müssen angewendet werden, da sie die Arbeit zwischen den Mitgliedstaaten viel kohärenter machen.
Lesen Sie auch unseren Änderungsantrag 5. Unternehmen Sie in diesem Europäischen Jahr der Mobilität Schritte, um die Hindernisse für die Mobilität der europäischen Arbeitnehmer zu beseitigen.
Manuel António dos Santos (PSE). – (PT) Herr Präsident, meine Herren Kommissare, meine Damen und Herren! Die Empfehlungen von Herrn García-Margallo, den ich beglückwünschen möchte, kommen gerade zum richtigen Zeitpunkt, damit in der wirtschaftlichen Situation der EU noch eine Wende erzielt werden kann. Nun bleibt nur noch, sich auch danach zu richten.
So wie die Dinge im Moment stehen, sollten wir weniger von der Überprüfung als vielmehr von der Vertiefung der Lissabon-Strategie sprechen, denn wie es heute aussieht, und im Grunde genommen von Anfang gewesen ist, stehen die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und mehr Beschäftigung – die beide langfristig zur Nachhaltigkeit der Sozialmodelle und kurzfristig zu einem angemessenen sozialen Zusammenhalt führen – auf dem Spiel.
Ungeachtet der jüngsten Fortschritte bleiben die wesentlichen Fragen unangetastet. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem unannehmbar hohen Niveau und das Wirtschaftswachstum reicht insgesamt nicht aus, um diesen Trend umzukehren. Deshalb sind mehr Integration, eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und eine Entwicklung in Bezug auf die Aufgaben der Institutionen, die die aufkeimende Wirtschaftsmacht der Union bilden, notwendig.
Der Europäische Rat hat beschlossen, die Kommission bei der Erarbeitung einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik zu unterstützen. Dieser Beschluss bleibt, obwohl er interessant ist, alles in allem weit hinter dem Notwendigen zurück. Die Abhängigkeit der Union im Energiebereich ist unhaltbar. Die Erdölimporte belaufen sich gegenwärtig auf 2,3 % des BIP der Union und entsprechen damit dem Zweieinhalbfachen der für alle europäischen Politiken vorgesehenen Mittel. Bis 2030 wird die Abhängigkeit erdrückend sein, vor allem im Erdölsektor (zu 94 % vom Ausland abhängig). Die einfachen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten, auf die der Rat setzt, sind daher unzureichend.
Um eine gemeinsame Energiepolitik zu entwickeln, ist wachsender Wettbewerb notwendig. Eine gemeinsame Regulierung erfordert vor allem umfangreiche Investitionen, um die bestehenden Netze zu verbessern und im Bereich der alternativen Energien und der Energieeinsparung echte Fortschritte zu erzielen. All das ist für die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und die Nachhaltigkeit der Entwicklung von grundlegender Bedeutung.
Günther Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass wir noch ein gutes Stück gemeinsam zurückzulegen haben. Sie hat aber auch gezeigt, dass die neue Wachstums- und Beschäftigungsstrategie zunehmend verstanden wird und dass zunehmend der Druck wächst, die von uns gesetzten Prioritäten ernst zu nehmen und zu realisieren. Die Kommission hat sehr sorgfältig zugehört. Wir werden sehr sorgfältig beachten, was die Fraktionen und die Redner uns mitgeteilt haben, und wir werden uns in weiteren Debatten bemühen, die Wünsche und Anregungen des Parlaments aufzunehmen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal ganz klar und deutlich sagen: Wachstum und Beschäftigung sind deshalb die Priorität für die vor uns liegenden Jahre, weil wir ohne mehr Wachstum und ohne mehr Beschäftigung unsere großen weiterreichenden politischen Ziele nicht realisieren können. Wir werden keinen hohen Umweltstandard behalten können, wir werden keine hohen sozialen Standards behalten können und wir werden keinen hohen Lebensstandard behalten können, wenn wir nicht ein starkes und tragfähiges wirtschaftliches Fundament dafür haben. Das ist der Grund, warum wir sagen, Wachstum und Beschäftigung sind die Aufgabe Nummer 1.
Die Leitlinien, über die wir heute gesprochen haben, sind eines der wesentlichen Instrumente, um dafür zu sorgen, dass wir vielleicht doch in Europa aus einem Mangel eine Tugend machen können. Natürlich ist es ein Mangel, dass wir keine gemeinsame Wirtschaftspolitik haben können. Dies kann aber eine Tugend werden, wenn wir uns auf eine neuartige Art von Kooperation verständigen, wie wir sie mit der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung entwickelt haben.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Gábor Harangozó (PSE). – (EN) In den letzten Jahren hatte die EU mit ernsten Wirtschaftsproblemen zu kämpfen. Das Wachstum der Union blieb im Vergleich zu den USA oder einigen aufstrebenden Ländern wie China oder Indien hinter seinen Möglichkeiten zurück. Probleme bereiten der europäischen Wirtschaft ein niedrigeres Bevölkerungswachstum, eine geringere Beschäftigungsrate und Produktivität. Europa muss langfristige Strategien planen und ausreichend Mittel für Investitionen in seine Zukunft vorsehen. Die Strategien wurden erarbeitet, um diese Probleme in Angriff zu nehmen, aber die Lage verschlechtert sich zusehends. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Es fehlt an einer geeigneten Infrastruktur sowie an ausreichenden privaten und staatlichen Investitionen. Die Entwicklung innovativer Technologien verläuft schleppend, und die allgemeine und berufliche Bildung weist Mängel auf.
Europa braucht eine klare Zielvorstellung im Hinblick auf eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft. Es sind strukturelle Veränderungen notwendig, die sich im Einklang mit den Beschäftigungs- und Wachstumszielen der Lissabon-Strategie befinden. Dazu zählen die Förderung von Forschung und Entwicklung, Maßnahmen zur Ankurbelung der privaten und staatlichen Investitionstätigkeit, innovative Maßnahmen für Sektoren wie Biotechnologie, nachhaltige Energien und die Informations- und Kommunikationstechnik. Neben den strukturellen Veränderungen und der Entwicklung innovativer Sektoren müssen Umweltschutz und Qualitätsarbeit im Rahmen der Weltwirtschaft eine echte europäische Spezialität bleiben. Vor allem aber müssen wir der dafür erforderlichen allgemeinen und beruflichen Bildung oberste Priorität einräumen, damit wir die zahlreichen Anforderungen und Aufgaben der wirtschaftlichen Entwicklung bewältigen können.
7. Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den Arbeitsmärkten der Europäischen Union (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Aussprache über den Bericht von Csaba Őry im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten (2006/2036(INI)) (A6-0069/2006).
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Meine Damen und Herren! Vielen Dank, aber eigentlich ich bin es ja gewohnt, dass zunächst der Berichterstatter spricht und erst danach das zuständige Kommissionsmitglied antwortet. Da Sie sich jedoch entschieden haben, vom üblichen Ablauf abzuweichen, bin ich selbstverständlich bereit, den Anfang zu machen.
Zuerst, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Herrn Őry für seinen ausgezeichneten Bericht zu einem Thema danken, das eine der Säulen der europäischen Integration bildet. Mit den im Beitrittsvertrag festgelegten Übergangsmaßnahmen sollen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, schrittweise und so schnell wie möglich das eine unumstößliche Ziel zu erreichen, allen Arbeitsnehmern aus den Ländern, die 2004 in die Europäische Union aufgenommen wurden, den ungehinderten Zugang zur Beschäftigung in allen Mitgliedstaaten zu gewähren. Dabei handelt es sich um eine der im Vertrag von Rom verankerten Grundfreiheiten. Die Kommission hat entsprechend den Festlegungen im Beitrittsvertrag die Anwendung dieser Übergangsmaßnahmen bewertet, um den Mitgliedstaaten Hilfestellung bei der Entscheidung über die Frage zu geben, ob sie die Übergangsregelungen beibehalten oder darauf verzichten sollen. Ausgehend von den statistischen Angaben für das Jahr 2004 und in einigen Fällen auch für 2005 und nach Konsultationen mit den jeweils Beteiligten hat die Kommission konkrete Schlussfolgerungen zur ersten Phase der Übergangsfrist erarbeitet.
Die Zahl der seit dem Beitritt registrierten Arbeitnehmer ist im Allgemeinen sehr gering und erreicht in seltenen Fällen 1 % der Erwerbsbevölkerung des Aufnahmelandes. Zudem hat sich der Zustrom von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten im Wesentlichen offenbar günstig ausgewirkt, was darauf zurückzuführen ist, dass Schwarzarbeiter aus acht der beigetretenen EU-Mitgliedstaaten aus der Grauzone der Illegalität herausgeholt wurden. Nach dem Beitritt hat sich in Europa auch der Arbeitskräftemangel verringert und die Wirtschaftsleistung verbessert. Die Länder, die nach dem Mai 2004 auf Einschränkungen verzichtet haben, verzeichnen ein stärkeres Wirtschaftswachstum, niedrigere Arbeitslosenquoten und höhere Beschäftigungsniveaus. Den Arbeitnehmern, die jetzt legalen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, bereitet der Markteintritt kaum Probleme. Selbstverständlich entscheiden ausschließlich die Mitgliedstaaten, ob sie die Übergangsregelungen anwenden oder nicht, aber die Kommission kann an die Mitgliedstaaten appellieren, die Vor- und Nachteile der Maßnahmen objektiv abzuwägen. In Wahrheit ist die zweite Phase die eigentliche Übergangsphase, die uns insgesamt oder zumindest teilweise dem Ziel der Arbeitnehmerfreizügigkeit näher bringen wird. Deswegen dürfen die Mitgliedstaaten, die Einschränkungen auf der Grundlage des Beitrittsvertrages anwenden, Staatsangehörige, die aus den acht EU-Mitgliedstaaten stammen und bereits legal auf ihrem Hoheitsgebiet ansässig sind, nicht schlechter behandeln als langfristig aufhältige Drittstaatsangehörige; entsprechende Hinweise gab es während der vorangegangenen Plenarsitzung. Ein Schreiben, in dem diese Vorgänge erläutert werden, ist an die Innenminister ergangen, um die Rechtslage zu klären. Vor wenigen Minuten erwähnte der Berichterstatter das Thema Drittstaatsangehörige; Sie werden mir jetzt hoffentlich gestatten, nochmals zu betonen, dass es nach Maßgabe der Richtlinien und Beitrittsverträge unzulässig ist, langfristig in einem EU-Mitgliedstaat aufhältige Drittstaatsangehörige besser zu behandeln als Bürger aus EU-Mitgliedstaaten, d. h., für EU-Bürger geltende Einschränkungen müssen logischerweise auch auf langfristig in dem betreffenden EU-Mitgliedstaat aufhältige Bürger aus Drittstaaten Anwendung finden.
Aus denselben Gründen überwacht die Kommission auch die Einhaltung der Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten untersagen, den Zugang von Arbeitnehmern aus den acht beigetretenen EU-Mitgliedstaaten zu ihren Arbeitsmärkten stärker einzuschränken als vor der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags am 16. April 2003. Gleichzeitig richtet die Kommission die Forderung an die Mitgliedstaaten, die rechtlichen Regelungen der Gemeinschaft kompromisslos anzuwenden, insbesondere im Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern. Ich weiß, dass wir die statistische Überwachung der Arbeitnehmerströme innerhalb der EU erheblich stärker kontrollieren müssen, denn es kursieren viele überlegenswerte Hypothesen, deren Wahrheitsgehalt mithilfe der vorhandenen statistischen Angaben und Analysemöglichkeiten nicht überprüft werden kann. Die Kommission befürwortet die Vorschläge des Parlaments zur Intensivierung des sozialen Dialogs auf europäischer und nationaler Ebene mit dem Ziel, die Rechte von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten zu wahren. Genauso positiv ist ihre Einstellung zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit und die diesbezüglichen Rechtsvorschriften. Ein Beitrag zur Erreichung dieses Ziels könnte die Ausrufung des Jahres 2006 zum Europäischen Jahr der Arbeitnehmermobilität sein.
Trotz der im Hinblick auf die schrittweise Erweiterung geäußerten Befürchtungen hat die Freizügigkeit der Arbeitnehmer die Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten nicht unterhöhlt. Der freie Personenverkehr ist ein für alle Bürger geltender Grundsatz, und jedwede Einschränkung kann nur befristeter Natur sein und muss strikt im Geiste der Verträge formuliert werden.
Meine Damen und Herren, in meinem Redebeitrag habe ich ein-, zweimal den Begriff „neue Mitgliedstaaten“ verwendet. Dazu ist zu sagen, dass die neuen Staaten in Mitteleuropa auf eine fast genauso lange Geschichte zurückblicken können wie die Staaten in anderen Teilen Europas, und nach der Erweiterung der Europäischen Union gehören sie jetzt zum Kreis der Mitgliedstaaten. Daher möchte ich hier feststellen, dass ich die Formulierung „neue Mitgliedstaaten“ nicht mehr benutzen werde.
Csaba Őry (PPE-DE), Berichterstatter. – (HU) Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung im Jahr 2004 gilt der Frage der Öffnung der Arbeitsmärkte und in Verbindung damit der Durchsetzung der von den zwölf alten Mitgliedstaaten für notwendig erachteten Übergangsbeschränkungen besondere Aufmerksamkeit.
Nach den Bestimmungen der Beitrittsverträge sollen die Mitgliedstaaten ausgehend von ihren jeweiligen Arbeitsmarkterfahrungen diese Beschränkungen schrittweise zwischen 2004 und 2011 aufheben. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament werden die Situation ebenfalls anhand der Erfahrungen der Mitgliedstaaten bewerten. Die Haltung der europäischen Institutionen vermittelt eine politische Botschaft und soll in erster Linie dazu dienen, den über 450 Millionen EU-Bürgern das gesamteuropäische Interesse an der entscheidenden Frage der Freizügigkeit der Arbeitnehmer näher zu bringen. Anders gesagt: Welches Interessen verfolgt die Europäische Union als wichtiger Akteur der Weltpolitik und der Weltwirtschaft? Die Logik der Berücksichtigung europäischer Interessen spielte bei der Erstellung des vorliegenden Berichts eine entscheidende Rolle. Den einzig möglichen Ausgangspunkt für die Bewertung der gegenwärtigen Situation bildete die Analyse der globalen Herausforderungen, denen die EU am Anfang des 21. Jahrhunderts gegenübersteht.
In dieser Hinsicht muss lediglich darauf verwiesen werden, dass unsere wirtschaftlichen Wettbewerber in Südostasien sowohl bei der Industrieproduktion als auch im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation deutlich zulegen. Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen wollen, um mit Amerika und Asien Schritt halten zu können, müssen wird eine Lösung für die strukturellen Spannungen innerhalb der europäischen Wirtschaften finden.
Der Weg ist klar: Wir müssen die Mobilität innerhalb der EU erhöhen und die Schaffung eines möglichst flexiblen europäischen Binnenarbeitsmarktes mit allen verfügbaren Mitteln vorantreiben. Selbstverständlich gibt es alternative Möglichkeiten zur Förderung der Mobilität (so könnte man auch über eine Beschleunigung der Zuwanderung und andere ähnliche Maßnahmen reden), aber solchen Alternativen ist die Tatsache gemein, dass die damit verbundenen Sozialkosten wesentlich höher sind, ihre Effektivität jedoch deutlich niedriger. Der Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung im Einklang mit der Lissabon-Strategie ist in erster Linie gekennzeichnet durch die Förderung der Mobilität und die Nutzung von Arbeitsmarktreserven in Gestalt der nicht erwerbstätigen Bevölkerung. Dies ist die einzige Möglichkeit zur Wahrung der sozialen Errungenschaften, die den Bürgern Europas so am Herzen liegen und von denen wir so oft reden.
Ein wichtiger Schritt zu größerer Mobilität besteht in der schnellstmöglichen Aufhebung der im Rahmen der Übergangsregelung verhängten Beschränkungen für die neuen Mitgliedstaaten. Einige Mitgliedstaaten haben bereits für Mai 2006 ihre diesbezügliche Bereitschaft erklärt. Wir können nur hoffen, dass in den kommenden Jahren – vielleicht sogar vor Mai 2009 – andere Mitgliedstaaten diesem Beispiel folgen, denn dabei ist unbedingt hervorzuheben, dass die anderen Mitglieder jederzeit rechtlich die Möglichkeit haben, eine ähnliche Entscheidung zu treffen.
Ängste vor massiver Zuwanderung haben sich als unbegründet erwiesen. Die Erfahrungen haben eindeutig gezeigt, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten in den alten Mitgliedstaaten, die sich für die vollständige Öffnung ihrer Märkte im Jahr 2004 entschieden haben, nicht zu Spannungen auf dem Arbeitsmarkt oder wirtschaftlichen Problemen geführt hat. Im Gegenteil! Die Prüfung durch die Europäische Kommission und eine der betroffenen Regierungen – der Regierung Großbritanniens – hat gezeigt, dass die in beschränktem Maße erfolgte Zuwanderung aus den neuen EU-Ländern den Aufnahmestaaten wirtschaftliche Vorteile beschert hat. Die Schlussfolgerung liegt daher klar auf der Hand: Die schnellstmögliche Aufhebung der Übergangsmaßnahmen zur Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der EU durch die betroffenen Regierungen bringt die größten Vorteile für die EU und ihre Mitgliedstaaten.
Des Weiteren haben wir im Rahmen dieses Berichtes auch Kompromissvorschläge vorgelegt, in denen die besonderen Befindlichkeiten einiger Mitgliedstaaten in dieser Frage berücksichtigt wurden, denn unserer Erfahrung nach wird die zügige Umsetzung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht nur durch wirtschaftliche Schwierigkeiten behindert, sondern oftmals aufgrund politischer und soziopsychologischer Hindernisse oder Kommunikationshürden. Die Kompromissvorschläge gehen der Frage auch aus Sicht des paneuropäischen Interesses nach, wobei versucht wird, die Bestrebungen und Empfindsamkeiten sowohl der alten als auch der neuen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Daher hoffen wir, dass der Bericht in seiner vorliegenden Form bei der Abstimmung im Parlament breiteste Unterstützung findet.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen, den politischen Fraktionen und der Europäischen Kommission für ihre Kooperation bedanken. Es ist kein Zufall, dass der Inhalt der Einleitung von Herrn Špidla mich in großem Maße von der Aufgabe befreit hat, den Bericht ausführlich vorzustellen. Wir denken im Großen und Ganzen sehr ähnlich, und unsere Erfahrungen sind vergleichbar. Ich gehe davon aus, dass dies auch künftig so bleiben wird.
VORSITZ: PIERRE MOSCOVICI Vizepräsident
Ria Oomen-Ruijten, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Zunächst darf ich Herrn Őry, der seine Aufgaben recht gewissenhaft erledigt und einen konstruktiven Bericht verfasst hat, herzlich beglückwünschen.
Wir in Europa verdanken den Wohlstand, den wir genießen, den vier Grundfreiheiten, die wir in der Europäischen Union verankert haben. Fester Bestandteil davon ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Wie mir nunmehr scheint, hat in dem Erweiterungsprozess in den alten Mitgliedstaaten die Angst regiert. Und die Angst vor Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt, der bereits unter Druck steht oder stand, hat zu Einschränkungen der Freizügigkeit geführt. Ich habe immer die Meinung vertreten, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist und dass unseren Interessen eher gedient gewesen wäre, wenn wir diesen Arbeitsmarkt von Anfang an vollkommen geöffnet hätten. Dies geht auch aus den Ergebnissen von Studien hervor, die im Vereinigten Königreich und in Schweden durchgeführt wurden, obgleich zum Vereinigten Königreich noch anzumerken ist, dass soziale Sicherheit dort nicht so umgesetzt wird, wie wir es gern hätten.
Woher rührt diese Angst? Die Menschen befürchten, aus dem Arbeitsmarkt gedrängt zu werden, und um dies zu verhindern, werden die Grenzen geschlossen. Nichts könnte jedoch weiter von der Wahrheit entfernt sein. Menschen kommen in großer Zahl in unsere Mitgliedstaaten und schuften dort viele Stunden für wenig Geld. Sie sind schlecht untergebracht, gründen ihre Ein-Mann-Betriebe und konkurrieren dann mit unseren kleinen und mittleren Unternehmen.
Wie sollte die Antwort darauf lauten? Anstatt in Angst zu verfallen, sollte die Antwort darin bestehen, die Grenzen zu öffnen und sicherzustellen, dass ordnungsgemäße Kontrollen stattfinden, und zwar nicht, um zu überwachen, ob Mindestlöhne gezahlt werden, sondern ob man sich an die in den Tarifverträgen festgeschriebenen Löhne und Arbeitsbedingungen hält, und wie es um die Bedingungen für die Sicherheit am Arbeitsplatz bestellt ist. Eine solche Entwicklung wird sowohl in den neuen als auch in den alten Mitgliedstaaten begrüßt.
Richard Falbr, im Namen der PSE-Fraktion. – (CS) Herr Präsident! Das Jahr 2006 wurde, wie bereits gesagt, zum Europäischen Jahr der Arbeitnehmermobilität ausgerufen. Auf Initiative des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten wurde ein Entschließungsentwurf erarbeitet, der am 21. März im Ausschuss mit überwältigender Mehrheit gebilligt wurde. Für die Erstellung des Berichts gebührt insbesondere dem Kollegen Őry Dank. Das Kernanliegen der Entschließung ist in der Forderung zu sehen, die geltenden Übergangsmaßnahmen aufzuheben. Unverzüglich nach der Annahme gingen Änderungsanträge ein, die darauf abzielten, dieses viel versprechende Signal des Parlaments zu verhindern. Bemerkenswert ist, dass der erste Satz in jedem dieser Vorschläge lautet: „Ich befürworte die Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber ...“. Meiner Meinung nach sollte das Parlament daher die vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten gebilligte Fassung annehmen.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass sowohl Arbeitgebergruppen als auch der Europäische Gewerkschaftsbund die sofortige Abschaffung der Übergangsmaßnahmen fordern. Mir ist natürlich bekannt, dass einige Regierungen diese Abschaffung nicht vorgenommen haben, doch den Staaten, die es getan haben, gilt unser Dank. Was das Wehklagen über den Zustand der Europäischen Union anbelangt, das heute hier im Saal zu vernehmen war, möchte ich sagen, dass weder der amerikanische noch der chinesische Weg als Modelle für uns taugen und dass nach der schweren Krise in Asien vor einigen Jahren vielen Staaten auf diesem Kontinent erwägen, genau die Strukturen zu entwickeln, die einige der heute hier Versammelten zerstören möchten. Es wäre sehr gut, wenn wir erkennen würden, dass der Weg zum Wohlstand weder über Löhne auf chinesischem Niveau noch über Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen à la USA führt.
Jan Jerzy Kułakowski, im Namen der ALDE-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Bei der Erörterung des Berichts des Kollegen Őry über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten sollten nach meiner Auffassung vier Kriterien eine Rolle spielen.
Erstens ist der freie Personenverkehr eine der vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts und ein Recht jedes Bürgers der Europäischen Union. Die Anerkennung dieses Rechts erfordert die Aufhebung der Übergangsfristen zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Damit soll keineswegs Massenbewegungen innerhalb der Europäischen Union das Wort geredet werden. Es sollte unterschieden werden zwischen Personenströmen, die durch die Suche nach einer Beschäftigung ausgelöst werden, und dem freien Personenverkehr, der ein Bürgerrecht ist.
Zweitens werden im Bericht zu Recht die Vorteile der Länder herausgestellt, die keine Übergangsfristen erlassen und ihre Arbeitsmärkte sofort geöffnet haben. Dies entspricht der Auffassung der Europäischen Kommission. Es wäre jedoch auch angebracht zu prüfen, inwiefern der freie Personenverkehr für die Herkunftsländer der betreffenden Bürger eine Gefahr oder einen Nutzen bedeutet.
Drittens dürfen Bürger aus Mitgliedstaaten auf den Arbeitsmärkten der Europäischen Union nicht schlechter gestellt werden als Drittstaatsangehörige, d. h. sie dürfen nicht diskriminiert werden. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass uns die Interessen von Menschen aus Drittstaaten gleichgültig sind oder dass wir uns nicht solidarisch mit ihnen erweisen wollen.
Und eine letzte Bemerkung: Der freie Personenverkehr sollte als Schlüsselmerkmal des europäischen Sozialmodells betrachtet werden. Angesichts der Tatsache, dass sowohl der Bericht Őry als auch der Standpunkt des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten die genannten Kriterien erfüllt, wird die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa für den Bericht stimmen. Auch wir möchten uns bei Herrn Őry für die geleistete Arbeit bedanken.
Elisabeth Schroedter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar! Die Fraktion der Grünen spricht sich für die Herstellung der Freizügigkeit aus. Wir unterstützen den ausgewogenen Bericht des Kollegen Őry, denn Übergangsfristen sind für die eigene Bevölkerung zwar sehr populär, bringen aber nicht den Erfolg.
Die Zeitungen in Deutschland titeln, dass die Regierung beschlossen hätte, die Billigarbeiter nicht ins Land zu lassen, und der Regierungsbeschluss wird damit begründet, dass man die eigenen Arbeitsmärkte vor dem Zustrom von billigen Wanderarbeitern aus den Nachbarländern schützen möchte. Das ist jedoch Augenwischerei: Die Übergangsfristen halten die Wanderarbeiter nicht auf. Sie kommen trotzdem und arbeiten schwarz und als Scheinselbständige. Die Übergangsfristen treiben die Menschen in die Illegalität und machen sie damit zu noch billigeren Arbeitnehmern und zum Objekt brutaler Ausbeutung ohne Arbeitsschutz, ohne soziale Sicherheit und ohne Sicherheit, den Lohn ausgezahlt zu bekommen.
Menschen in Illegalität haben keine Rechte. Der Lohndruck in sensiblen Bereichen und auf den betroffenen Arbeitsmärkten ist noch viel größer. Tarifabschlüsse haben nämlich auf dem Schwarzmarkt keine Wirkung. Dieser hat seine eigenen Regeln und ist nicht kontrollierbar. Die Regierungen, die weiter an Übergangsfristen festhalten, fördern illegale und halblegale Arbeitsverhältnisse. Der soziale Zusammenhalt wird dadurch wesentlich mehr gefährdet.
Wir müssen Arbeitsverhältnisse legalisieren, um es den Arbeitnehmern zu ermöglichen, ihre Rechte wahrzunehmen. Mehr Transparenz heißt auch eine bessere Überwachung von Arbeitsmärkten. Wir müssen den de facto existierenden europäischen Markt nach dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Arbeitsbedingung am gleichen Ort“ gestalten. Das stärkt nationale und regionale Tarifverhandlungen und gewährt allen die gleichen sozialen Rechte. Das hieße zum Beispiel für die deutsche Regierung, dass sie die Entsenderichtlinie ohne weitere Vorbehalte auf alle sensiblen Branchen ausdehnen muss, denn wir wissen, dass in Deutschland und Österreich die Übergangsfristen für den Dienstleistungsbereich an den Übergangsfristen für die Freizügigkeit hängen. Nur proaktive Ordnungsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt sind wirklich ein wirksamer Schutz vor Fehlentwicklung.
(Beifall)
Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Die fehlende Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen aus – und ich sage jetzt noch aus den neuen – EU-Ländern bewirkt, dass zahlreiche Menschen in Schwarzarbeit und in unwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse und rechtlose Illegalität gedrängt werden. Sie bedeutet ferner Diskriminierung, denn die Freizügigkeit von Personen ist eine vom Gemeinschaftsrecht garantierte Grundfreiheit.
Für ArbeitnehmerInnen besteht diese Freiheit bekanntlich seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Jahre 1957. Dass sie 2006 für Millionen Menschen innerhalb der Europäischen Union nicht gilt, ist nicht hinnehmbar. Sozial engagierte Linke – und so auch die GUE/NGL-Fraktion – im Europäischen Parlament haben im Zuge des Erweiterungsprozesses immer wieder darauf gedrängt, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass mit dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne soziale Verwerfungen zur Wirkung kommen kann.
Die Menschen in den alten und den neuen Mitgliedstaaten sollten von der Erweiterung profitieren, stattdessen geht es aber immer wieder nur um die Frage der globalen Konkurrenz. Während in skandinavischen Ländern der Nachweis erbracht wurde, dass die Freizügigkeit bestehende soziale Standards durchaus auch schützt, hat die Bundesregierung in Deutschland die Übergangsfristen verlängert, ohne auch nur erkennen zu lassen, was sie denn überhaupt tun will, um diese Übergangsfrist zu nutzen, um letztendlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit dann auch durchzusetzen.
Im Grunde genommen stimmt meine Fraktion mit Herrn Őry überein, dass wir eigentlich keine Übergangsfristen brauchen. Allerdings lässt der vorliegende Bericht kaum eine Sensibilisierung für eine stärkere soziale Verantwortung für den europäischen Arbeitsmarkt erkennen. Entsprechende Anträge unserer Fraktion fanden hier bisher kaum Wirkung.
Ich plädiere dafür, dass ab sofort die Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle in der EU Lebenden gilt und dass armutssichere Mindestlöhne, Sozialstandards, eingeführt werden. Armutsbekämpfung muss in der Europäischen Union zur absoluten politischen Priorität gemacht werden.
Roberts Zīle, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Herr Präsident! Wir erlebten unlängst eine bittere Enttäuschung mit dem freien Dienstleistungsmarkt, aber jetzt sehen wir, dass nur wenige Regierungen der alten Mitgliedstaaten bereit sind, ihre Märkte für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten zu öffnen. Mit der andauernden zahlenmäßigen Beschränkung der Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten will die Mehrzahl der Regierungen eigentlich dem viel gravierenderen Problem der Zuwanderung aus Drittländern beikommen.
Die teilweise Öffnung des Arbeitsmarktes – beispielsweise für Bauarbeiter, Portiers und Kellner, wie sie Frankreich vorgeschlagen hat, – zeugt nicht gerade von der Bereitschaft, die europäischen Grundfreiheiten zu gewährleisten. Vielmehr ist sie Ausdruck des geringen Ansehens dieser Berufe, hat doch Frankreich eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Die gezielte Öffnung des Arbeitsmarktes für minderqualifizierte Arbeitnehmer bedeutet, dass viele Fachkräfte einen Anreiz erhalten, die neuen Mitgliedstaaten zu verlassen, den Beruf zu wechseln und sofort ein höheres Einkommen zu erzielen. Auf lange Sicht wird dies aber die Wettbewerbsfähigkeit Europas schwächen.
Abschließend möchte ich die jungen Franzosen, die aus Enttäuschung über die diskriminierenden Gesetze ihrer Regierung auf die Straße gehen, einladen, in die neuen Mitgliedstaaten zu kommen und sich dort eine Existenz aufzubauen. Bei uns sind junge Leute kaum von Arbeitslosigkeit betroffen und müssen auch keine Diskriminierung befürchten.
Derek Roland Clark, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Mich erstaunt, dass es überhaupt einen solchen Bericht gibt. Ich dachte, Sinn und Zweck der EU sei der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Als die zehn neuen Mitgliedstaaten 2004 der EU beitraten, wurde ihnen die Gleichbehandlung vorenthalten. Lediglich drei der 15 alten EU-Mitgliedstaaten (Irland, Vereinigtes Königreich und Schweden) haben ihre Arbeitsmärkte für Angehörige der neuen Mitgliedstaaten uneingeschränkt geöffnet. Das ist sehr merkwürdig, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um die drei kritischsten Mitgliedstaaten der EU handelt. Irland lehnte den Vertrag von Nizza beim ersten Referendum ab und akzeptierte ihn beim zweiten nur dank einer bemerkenswerten Festlegung der Wahlbezirksgrenzen, dem so genannten Gerrymandering. Schweden hat seinen EU-Beitritt einer knappen Mehrheit von 1 % bei dem entsprechenden Referendum zu verdanken. Was das Vereinigte Königreich betrifft, gibt es ja wohl nicht viel zu erklären. Keiner von Ihnen hat Premierminister Blair nach einem britischen Ratsvorsitz, den Sie alle für recht mies hielten, im Dezember sonderlich herzlich begrüßt. Sie hatten Recht. Sie haben mit einer überwältigenden Abstimmung zum Bericht Böge sogar seinen als Rettungsversuch gedachten Sieben-Jahres-Haushalt deutlich abgelehnt. Ich bin daher jetzt in der glücklichen Lage, sagen zu können: Folgen Sie dem britischen, irischen und schwedischen Beispiel. Vergessen Sie die Übergangsregelungen. Befolgen Sie Ihre eigenen Regeln. Öffnen sie Ihre Grenzen und nehmen Sie Ihren Teil der beispielsweise polnischen Arbeitnehmer auf. Im Vereinigten Königreich haben wir 250 000 von ihnen, und nicht alle sind Klempner.
Marek Aleksander Czarnecki (NI). – (PL) Herr Präsident! Aus dem neuesten OECD-Bericht geht hervor, dass Schweden, Finnland und Großbritannien die Länder in der Europäischen Union sind, die sich am schnellsten entwickeln. Zwei der genannten Länder haben ihre Arbeitsmärkte geöffnet, und auch Irland hat diesen Schritt vollzogen, was sich günstig auf das BIP ausgewirkt hat.
Der Bericht räumt mit dem Mythos auf, dass ein Zustrom ausländischer Arbeitnehmer eine zerstörerische Wirkung auf die Wirtschaft des betreffenden Landes haben würde. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sollten auf diese Art von Beschäftigungspolitik zurückgreifen, um die Lissabon-Strategie zu retten. Alle Mitgliedstaaten müssen ihre Arbeitsmärkte öffnen.
Bedenken, dass eine Lawine billiger Arbeitskräfte anrollen könnte, haben sich als unbegründet erwiesen. Die Wirtschaftsmigration hält sich in Grenzen. Ich halte es daher für wichtig, alle Einschränkungen aufzuheben, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb Europas in irgendeiner Weise behindern könnten.
Thomas Mann (PPE-DE). – Herr Präsident! Wir haben die Erweiterung der EU um 10 Mitgliedstaaten gewollt – kulturell, ökonomisch und politisch. Als deutscher Europaabgeordneter habe ich jahrelang für das Projekt geworben und versucht, die Menschen mitzunehmen.
Eine der Voraussetzungen für die Akzeptanz der Bürger war das Recht der Mitgliedstaaten, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer entsprechend der Situation auf den nationalen Arbeitsmärkten einzuschränken. Im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten wurde behauptet, massive Migrationsströme seien ausgeblieben, so dass die vertraglich zugesicherten Übergangsmaßnahmen sofort abgeschafft werden müssten.
Ich stelle fest, dass dies in vielen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Österreich oder Frankreich völlig anders erlebt wird. Wo immer deutlich höhere Stundenlöhne gezahlt werden und soziale Sicherheit gewährleistet ist, da findet Zuwanderung statt. Sie muss kontrolliert werden, Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit müssen verhindert werden. In Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit kommt es bei einem weiteren Zustrom von Arbeitskräften weder zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen noch zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.
Auch wenn dieser Bericht rechtlich nicht bindend ist – er ist nur ein Appell –, könnte er missbraucht werden, um einzelne Länder auf die Anklagebank zu setzen, gegen sie Stimmung zu machen, Verbraucher aufzufordern, Produkte aus diesen Ländern zu boykottieren. Wir haben es ja erlebt. Wer versucht, zwischen die alten und die neuen Mitgliedstaaten einen Keil zu treiben, der gefährdet die Idee einer EU, die mehr ist als eine Freihandelszone.
Ich habe an Kompromissänderungsanträgen mitgearbeitet und danke unserem Berichterstatter Csaba Őry. So soll über eine Verkürzung von Übergangsvorschriften durchaus nachgedacht werden, allerdings auf der Grundlage von detaillierten Analysen der nationalen Arbeitsmärkte. Außerdem sollen Vorschriften erarbeitet werden, die gewährleisten, dass Arbeitnehmer aus den neuen Ländern gegenüber Drittstaaten nicht benachteiligt werden.
Was wir brauchen, sind wohlüberlegte Entscheidungen. Der globale Wettbewerb erfordert in allen EU-Mitgliedstaaten entsprechende Rahmenbedingen, wie die Reformen der Sozialsysteme. Durch Aktionismus droht eines auf der Strecke zu bleiben: unser gemeinsames europäisches Projekt.
Jean Louis Cottigny (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Bericht unseres Kollegen Öry, dem ich hier zu seiner Arbeit gratulieren möchte, kann sich als positiv für die europäischen Arbeitnehmer erweisen. Die Maßnahmen zur Einschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ziehen äußerst negative Folgen nach sich, so u. a. die Zunahme der Schwarzarbeit. Erst vor wenigen Monaten ist in Frankreich aufgedeckt worden, dass von einem deutschen Subunternehmer beschäftigte polnische Arbeitnehmer bei schlechter Verpflegung, ohne Lohn und Krankenversicherung in Elendsquartieren dahinvegetieren mussten. Der Gipfel der Ironie ist, dass diese Arbeiter beim Bau eines Gerichtsgebäudes eingesetzt waren. Wo ist hier Recht und Ordnung? Solche Erscheinungen sind nicht hinnehmbar.
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer muss einen der Hebel für den sozialen Fortschritt darstellen, eine Barriere gegen Sozialdumping. Die Beendigung der Übergangsmaßnahmen wird die Unternehmer dazu zwingen, den Arbeitnehmern angemessene Lebensbedingungen unter Achtung des Sozialrechts des Aufnahmelandes zu gewähren. Sozialschutz, angemessene Unterkunft, angemessener Lohn, faire Arbeitszeiten – dies sind die Grundrechte, die die Freizügigkeit gewährleisten muss. Darauf werden wir achten. Es ist nicht hinnehmbar, dass bestimmte Leute mit den unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten der Arbeitnehmer spekulieren, wie andere an der Börse spekulieren, um die Arbeitskosten niedrig zu halten. Es sei daran erinnert, dass es Ziel des europäischen Gründungsprojekts ist, die Völker zu einigen und nicht, sie zu entzweien. Die weitere Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer kann nur die Befürchtungen der Bürger bestimmter Mitgliedsländer verstärken, die die Vorstellung erschreckt, als Europäer zweiter Klasse behandelt zu werden. Und Sie haben Recht, Herr Kommissar, wir müssen jetzt von europäischen Bürgern sprechen. Diese Beschränkungen müssen gänzlich aufgehoben werden. Dies ist möglich, doch gilt es die Kontrollen zu verstärken, damit die Hauptbegünstigten dieser Maßnahme nicht zu den Hauptopfern werden.
Šarūnas Birutis (ALDE). – (LT) Ich begrüße Ihre Ausführungen zu den Bürgern aus Drittstaaten und zu dieser Problematik im Allgemeinen. Ich gratuliere dem Berichterstatter zu seinem sehr ausgewogenen Bericht. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gehört nicht nur zu den Grundrechten der Europäischen Union, sondern ist auch ein Ausdruck der Solidarität zwischen den alten und den neuen Ländern. Daher nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass sich alle meine Kolleginnen und Kollegen für die Abschaffung der Einschränkungen aussprechen. Sich den Herausforderungen der heutigen Weltwirtschaft zu stellen, bedeutet nach meinem Verständnis, dass die Beseitigung von Hindernissen für die Freizügigkeit der Bürger und Arbeitnehmer in der Europäischen Union eines der wichtigsten Ziele der Lissabon-Strategie und zugleich auch einer der Faktoren ist, die das Wirtschaftswachstum fördern.
Mit ihrem reichlich vorhandenen Humankapital, den aktiven Arbeitnehmern, können die neuen Mitgliedstaaten Impulse für ein langfristiges Wirtschaftswachstum setzen. Zudem kann der Markt effizienter werden, denn ausländische Arbeitnehmer reagieren in der Regel aktiver auf regionale Unterschiede bei den wirtschaftlichen Möglichkeiten. Irland, das Vereinigte Königreich und Schweden haben nach der Öffnung von den Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten nur profitiert. Die genannten Mitgliedstaaten fallen dadurch auf, dass ihre Wirtschaft rascher wächst, die Arbeitslosigkeit deutlicher sinkt und die Beschäftigungsmöglichkeiten schneller zunehmen als in anderen Ländern. Des Weiteren kann konstatiert werden, dass die Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten das Angebot auf den Arbeitsmärkten der alten Mitgliedstaaten ergänzt und deren Bürger aber nicht verdrängt haben. Statistiken aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigen, dass das Volumen der Zuwanderung aus Drittländern die Wanderungsbewegung innerhalb der EU übertrifft. Wir sollten die Länder beglückwünschen, die beschlossen haben, ihre Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Ländern der Europäischen Union ab Mai dieses Jahres zu öffnen, und uns über ihre Entscheidung freuen. Ich würde sagen, die Regierungen Österreichs, das die EU-Präsidentschaft innehat, und Deutschlands sollten sich schämen für ihre krankhaften Ängste und ihr Unvermögen, über diese Dinge mit ihren eigenen Bürgern zu sprechen. Aber die Entscheidung über die Öffnung des Arbeitsmarktes ist natürlich das souveräne Recht eines jeden Staates.
Jean Lambert (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Auch ich möchte dem Kommissar und unserem Berichterstatter für ihre Arbeit zu dieser Thematik danken.
Wie viele meiner Vorredner bereits sagten, stellt die Gleichbehandlung ein Schlüsselprinzip für Europas Bürger dar, und dieser Grundsatz sollte auch für Beschäftigungsbedingungen und den Zugang zu Dienstleistungen innerhalb unserer Mitgliedstaaten in der gesamten Union gelten. Aber wenn wir über Drittstaatsangehörige sprechen, dann muss unbedingt – so wie im Bericht – ganz eindeutig festgestellt werden, dass es nicht darum gehen kann, die schwer errungenen Rechte dieser Bürger abzubauen, sondern die Rechte, auf die unsere neuen Mitgliedstaaten Anspruch haben, auszudehnen.
Wir haben in den letzten Monaten eine Reihe von Argumenten zugunsten der Aufrechterhaltung von Übergangsfristen gehört. Für viele der hier Anwesenden klingen sie nicht überzeugend. Wir glauben, wie bereits festgestellt wurde, dass es Hinweise auf irreguläre Beschäftigung und Scheinselbständigkeit gibt. Ich möchte wetten, dass es in jedem unserer Länder Unionsbürger gibt, deren Beschäftigungsverhältnisse unklar sind.
Als das Vereinigte Königreich sein Anmeldeprogramm für Arbeitnehmer aus den acht neuen osteuropäischen Mitgliedstaaten einführte, stellte man fest, dass sich 40 % der polnischen Bürger, die sich anmeldeten, bereits im Vereinigten Königreich aufhielten. Das beweist meines Erachtens, dass die Bürger legal arbeiten wollen. Dabei müssen wir sie unterstützen. Wir brauchen bessere Informationen im Voraus, müssen verstärkt Inspektionen durchführen und Personen, die Missstände melden, unterstützen, und wir brauchen mehr Klarheit bezüglich der Rechte der Bürger, damit der Ausbeutung, von der Herr Cottigny sprach und die die Arbeitsbedingungen zu unterminieren droht, der Boden entzogen wird. Wenn man über klar definierte Rechte verfügt, ist es viel einfacher, Gleichbehandlung einzufordern.
Das Vereinigte Königreich hat – wie schon gesagt wurde – seine Arbeitsmärkte geöffnet, und dabei einige Veränderungen im Bereich der sozialen Sicherheit vorgenommen. Wir haben Arbeitskräfte aller Qualifikationsstufen aufgenommen. Wir haben keine spürbaren statistischen Hinweise auf eine erhöhte Inanspruchnahme von Sozialleistungen festgestellt. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind mäßig, und der Zustrom hat sich gegen Jahresende etwas abgeschwächt.
Bairbre de Brún (GUE/NGL). – (Die Rednerin sprach Irisch.)
(EN) Irlands positive Erfahrungen sollten andere Länder, in denen Übergangsregelungen gelten, zur Aufhebung dieser Beschränkungen ermutigen. Sinn Féin und die Gewerkschaftsbewegung unterstützen die Entscheidung, in Irland keine Übergangsregelungen einzuführen. Ich habe hier im Parlament die schriftliche Erklärung unterzeichnet, in der zur Aufhebung derartiger Beschränkungen aufgerufen wird. Ich möchte diesen Aufruf heute wiederholen und begrüße Herrn Őrys diesbezüglichen Bericht.
Dabei dürfen wir es aber nicht belassen. Wir können die Frage der Beschäftigungsbedingungen und der Ausbeutung der Arbeitnehmer nicht ignorieren. Selbst in Irland haben skrupellose Arbeitgeber den Mangel an Freizügigkeit in der EU ausgenutzt, um Arbeitnehmer in Bezug auf Gehälter und Arbeitsbedingungen aufgrund ihrer Nationalität zu diskriminieren. Dagegen müssen wir entschlossen vorgehen.
Frau Oomen-Ruijten erwähnte Beschränkungen im Bereich der sozialen Sicherheit. Wir müssen auch jegliche Diskriminierung von EU-Bürgern beim Zugang zu Sozialleistungen bekämpfen, wenn diese Bürger zur Arbeitsaufnahme oder zur Arbeitssuche in ein anderes Mitgliedsland reisen.
Jacek Protasiewicz (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Als Erstes möchte ich Herrn Őry, dem Initiator und Verfasser des Berichts über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten, danken. Schon in der ersten Fassung wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die in den meisten so genannten alten Mitgliedstaaten fehlenden Möglichkeiten zur Aufnahme einer legalen Beschäftigung irreguläre Beschäftigungsverhältnisse und die Ausbeutung der Arbeitnehmer begünstigen.
Der Kollege Őry stellt passenderweise auch die Tatsache heraus, dass in bestimmten Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten gegenwärtig stärkeren Einschränkungen unterliegt als zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags. Er verweist ferner auf Aspekte, die die Vorzugsbehandlung so genannter langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger gegenüber Unionsbürgern aus den zehn neuen Mitgliedstaaten betreffen.
Des Weiteren trifft der Verfasser des Berichts die eindeutige Aussage, dass in den Ländern, die ihre Arbeitsmärkte bereits geöffnet haben, keine negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen eingetreten sind. Ganz im Gegenteil – der Rückgang bei der irregulären Beschäftigung von Ausländern hat zu zusätzlichen Einnahmen für die Haushalte geführt.
Der erste Entwurf von Herrn Őry wurde auch dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zwecks Erörterung und Abstimmung vorgelegt, wobei der Berichtsentwurf im Verlaufe dieses Prozesses erheblich verbessert wurde. Dies gilt insbesondere für Ziffer 1. Aus der vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten übermittelten Fassung geht hervor, dass sich das Parlament ohne jedes Wenn und Aber für die Bürger und ihr Recht auf die in den Verträgen verankerten Grundfreiheiten einsetzt.
Nach meiner festen Überzeugung muss das Europäische Parlament diese Position billigen. Das Hohe Haus sollte sich klar und unmissverständlich zur Verteidigung der Grundrechte und -freiheiten bekennen. Es sollte sich dafür stark machen, dass die Interessen der Gemeinschaft und die Interessen aller Bürger der Europäischen Union Vorrang vor konkreten nationalen Belangen haben. Daher sollten wir meines Erachtens den Text befürworten, der jetzt im Ergebnis der Aussprache und der Abstimmung im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten vorliegt.
Karin Jöns (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin gegen eine EU-Mitgliedschaft zweiter Klasse. Natürlich muss die Freizügigkeit für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der EU so schnell wie möglich gelten. Aber nicht ohne Grund ist seinerzeit die Möglichkeit geschaffen worden, den Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt im Rahmen der 2+3+2-Regelung zu beschränken. Von den Erfahrungen dreier Mitgliedstaaten automatisch entsprechende Rückschlüsse auf alle anderen Staaten ziehen zu wollen, wie dies die Kommission tut, halte ich doch für ziemlich gewagt.
Dem von mir sehr geschätzten Kollegen Őry sage ich auch ganz offen, dass ich Verständnis dafür habe, dass er diese Position der Kommission teilt wie auch viele andere Kolleginnen und Kollegen. Erlauben Sie mir aber bitte in diesem Zusammenhang auch den Hinweis, dass es der tschechische Arbeitsminister war, der zum Beispiel bereits Ende letzten Jahres ankündigte, dass sogar sein Land überlege, eventuell Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber Rumänien und Bulgarien einzuführen.
Deutschland hat anders als das Vereinigte Königreich, Schweden und Irland nicht eine Arbeitslosenrate von nur rund 5 %, sondern von 12 %. Direkt vor unserer Haustür liegt ein Land mit einer Arbeitslosenrate von 18 %. Dass das unweigerlich bei vielen Beschäftigten Ängste um den eigenen Arbeitsplatz schürt, ist doch wohl verständlich. Und dass eine Regierung dem Rechnung zu tragen versucht, doch wohl auch – erst recht, wenn man weiß, dass Deutschland schon heute prozentual den höchsten Anteil an Arbeitserlaubnissen an Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten erteilt hat.
Karin Resetarits (ALDE). – Herr Präsident! Vor wenigen Wochen haben wir in diesem Haus über die Dienstleistungsrichtlinie abgestimmt. Eine Mehrheit unterstützte einen Kompromiss, der helfen soll, die hohen sozialen Standards aufrechtzuerhalten. „Kein Sozialdumping“ hieß die Parole.
Aber dieser Schutz vor Sozialdumping soll anscheinend nur einem exklusiven Zirkel in Europa zugute kommen. Wie anders sind die Einschränkungen für Arbeitnehmerfreizügigkeit zu verstehen? Wer Märkte für gewisse Menschen schließt, nimmt bewusst eine ganz natürliche Gegenentwicklung in Kauf: das Entstehen von illegalen Märkten. Gerade in grenznahen Gebieten wird man Menschen nicht daran hindern, ihre Arbeitskraft hüben und drüben anzubieten. Ein ganz neuer Straßenstrich ist so in den letzten Jahren entstanden: Handwerker, Bauarbeiter bieten ihre Dienste an. Und dieser Straßenstrich ist erfolgreich. Es gibt eine rege Nachfrage. Menschen arbeiten als Scheinselbständige oder überhaupt schwarz, ohne sozialen Schutz, unter den gesetzlich geregelten Mindestlöhnen.
Wie verlogen lesen sich dann Meldungen von Vertretern beispielsweise des deutschen Baugewerbes, die eine Verlängerung der Übergangsfristen begrüßen. Warum wohl wollen manche Arbeitgebervertreter die diskriminierenden Einschränkungen für Bürger anderer Mitgliedstaaten? Passiert das vielleicht deshalb, weil man eben profitiert von billigen Saisonkräften, Scheinselbständigen und Schwarzarbeitern? Und warum – so frage ich – kämpfen nationale Arbeitnehmervertreter nicht viel energischer gegen diese Form der Ausbeutung? Warum machen sie sozialen Schutz von der Staatsbürgerschaft abhängig? Vielleicht aus reinem Populismus, weil man ja nur von den Bürgern im eigenen Land gewählt wird, es also nicht um die Sache selbst, sondern um den persönlichen Gewinn am Wahltag geht?
Drei Länder haben bisher ihren Arbeitsmarkt auch für die neuen Mitglieder der Union geöffnet. Sie haben gute Erfahrungen damit gemacht. Im Jahr der Mobilität plädiere ich dafür, dass sich spätestens 2007 alle dazu entschließen. Eine Rüge an all jene, die es nicht tun, auch und gerade wenn es sich um mein eigenes Heimatland Österreich handelt!
Edit Bauer (PPE-DE). – (SK) Die Freizügigkeit und der freie Zugang zu den Arbeitsmärkten sind zweifellos zu einem politischen Reizthema geworden. Der Berichterstatter, Herr Őry, hat dieses Thema geschickt behandelt, ohne einen Keil zwischen die Mitgliedstaaten zu treiben. In seinem Bericht konzentriert er sich darauf, wie sich der Einstieg von Angehörigen der neuen Mitgliedstaaten in die Arbeitsmärkte der alten EU-15 tatsächlich auswirkt. Er stützt die Prämisse, dass nicht die Mitgliedstaaten und ihre Wechselbeziehungen als vielmehr Wettbewerber außerhalb der Gemeinschaft wie Indien und China das eigentliche Problem für die Wettbewerbsfähigkeit Europas darstellen.
Der Bericht geht auf die folgenden Fakten ein: Erstens, der Anteil der Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten überschreitet nirgends 2 % der Bevölkerung des Aufnahmelandes. Zweitens, die Wanderungsbewegung innerhalb der alten Mitgliedstaaten ist viermal höher als die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten. Drittens, die Zuwanderung aus Drittländern ist weitaus größer als die gesamte Wanderungsbewegung innerhalb der EU. Es steht außer Zweifel, dass abgesehen von der Haltung Deutschlands, Österreichs und Frankreichs zu dem Übergangszeitraum auch unter den neuen Mitgliedstaaten die Meinungen voneinander abweichen, weil sich die Übergangsfrist allmählich auch dort zu einem brisanten politischen Thema entwickelt hat.
Wir haben die Übergangsmaßnahmen während der Beitrittsgespräche als Teil der Abmachung akzeptiert. Mit der Zeit sind sie jedoch zu einem Reizthema in der Politik der alten Mitgliedstaaten geworden, das zunehmend als diskriminierend wahrgenommen wird. Die Diskussionen über die Dienstleistungsrichtlinie haben bereits absurde Situationen im Zusammenhang mit Übergangszeiträumen zutage gefördert, und jetzt hat sich in Hinsicht auf die Richtlinie 2003/109/EG offenbar ein Rechtskonflikt in um die Klausel zu den Vorrangsegeln angebahnt. Aus den durch Arbeitsplatzunsicherheit erzeugten Ängsten sowie aus Vorurteilen lässt sich mit Sicherheit mühelos politisches Kapital schlagen. Anstatt diesen Mythos zu verbreiten, was im Grunde in eine politische Sackgasse führt, sollten die Politiker ihrer Verantwortung gerecht werden und die Wahrheit sagen.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Ich beglückwünsche den Berichterstatter Herrn Csaba Őry zu seiner ausgezeichneten Arbeit und möchte Kommissar Špidla für die Zusammenfassung des Berichts danken, die oft aufgrund unterschiedlicher Interessen Kontroversen hervorruft. Einige Kolleginnen und Kollegen aus bestimmten Ländern kritisieren den Bericht, aber die Mehrheit findet diese objektive Darstellung ausgesprochen nützlich.
Wenn neue Mitgliedstaaten sich für gleiche Rechte einsetzen, geht es um mehr als nur den Kampf für Gleichbehandlung: Es geht um den Schutz der Interessen der gesamten Europäischen Union. Paradoxerweise setzen sich gerade die neuen Mitgliedsländer für die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ein, die – wie die Liberalisierung des Dienstleistungssektors – ohnehin von der EU im Interesse ihrer Wettbewerbsfähigkeit umgesetzt werden sollte. Wir möchten gern gleichberechtigte EU-Bürger sein. Die Öffnung des Arbeitsmarktes und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sind kein Geschenk oder Gefallen, sondern vielmehr die rationale Entscheidung der acht alten EU-Mitgliedstaaten, die günstige Auswirkungen für alle Bürger der Europäischen Union mit sich brächte.
Wir danken dem Vereinigten Königreich, der Republik Irland, Schweden, Finnland, Spanien, Portugal und den Niederlanden und hoffen, dass auch die restlichen acht Mitgliedstaaten ihre Haltung überdenken. Ich stimme Kommissar Špidla zu: Es geht nicht an, dass Drittstaatsangehörige, die sich fünf Jahre legal in der Union aufhalten, in Ländern, die ihren Arbeitsmarkt nicht geöffnet haben, besser gestellt sind als Arbeitnehmer aus den zehn neuen Mitgliedstaaten.
Ignasi Guardans Cambó (ALDE). – (ES) Herr Präsident! Als Spanien und Portugal der Europäischen Union – der damaligen Europäischen Gemeinschaft – beitraten, gab es eine irrationale Angst vor dem Erscheinen der spanischen und portugiesischen Arbeitnehmer auf dem Markt. Das hat sich als absurd erwiesen. Aber trotzdem stellte sich die gleiche Furcht beim Beitritt der neuen Mitgliedstaaten erneut ein und, obwohl sich diesmal einige von uns im spanischen Parlament widersetzten, stimmte leider sogar die damalige spanische Regierung, zum Teil durch den von anderen Mitgliedstaaten ausgeübten Druck, diesen Übergangsfristen zu.
Wir haben nun gesehen, dass es keinen Sinn macht, dass diese Furcht völlig irrational ist und dass wir nicht zulassen dürfen, dass eine der grundlegenden Freiheiten in der Europäischen Union aus rein populistischen Gründen oder aus Angst vor der möglichen Reaktion bestimmter Gesellschaften zeitweilig ausgeklammert wird. Es darf keine Staaten erster Klasse und Staaten zweiter Klasse innerhalb der Europäischen Union geben, und deshalb müssen wir diesen Übergangsfristen ein Ende setzen und alle Grenzen des europäischen Arbeitsmarkts öffnen und ihn zu einem wirklichen Binnenarbeitsmarkt machen.
Deshalb unterstütze ich den Bericht Őry in jeder Hinsicht. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf diese Frage und auf die Situation, in der sich die Bürger dieser Staaten befinden, die in einigen Fällen sogar noch schlechter gestellt sind als die legal in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufhältigen Bürger von Drittstaaten.
Ich beglückwünsche die spanische Regierung dazu, dass sie sich endlich entschlossen hat, der Aufhebung dieser Übergangsfrist zuzustimmen, und ich hoffe, dass sich andere Staaten so bald wie möglich dieser Initiative anschließen, um gleiche Bedingungen für alle Bürger der Europäischen Union zu schaffen. Dieses Hohe Haus muss daher Druck in dieser Richtung ausüben.
(Beifall)
Mihael Brejc (PPE-DE). – (SL) Ich unterstütze Herrn Őrys Bericht und alle sonstigen Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, das Funktionieren des Binnenmarkts in der Europäischen Union durchzusetzen. Selbstverständlich gründet sich ein effizient funktionierender Binnenmarkt auf den freien Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der freie Kapital- und Warenverkehr ist relativ erfolgreich umgesetzt. Auf große Schwierigkeiten sind wir allerdings bei der Dienstleistungsfreiheit und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer gestoßen.
Unseren Plänen zufolge sollte die europäische Wirtschaft mit der Lissabon-Strategie florieren. Stets und ständig bekommen wir zu hören, wie wichtig Wettbewerb ist, und ergreifen Maßnahmen gegen Protektionismus – aber wie gut funktioniert das in der Praxis? Was Kapital und Waren anbelangt, treten einige Länder besonders konsequent für Wettbewerb ein und öffnen sogar ihre Märkte für Billigwaren aus China. Aber jene, die uns ständig Vorträge über die Bedeutung von Wettbewerb und die Nachteile von Protektionismus bei Waren und Kapital halten, schotten gleichzeitig ihre Dienstleistungs- und Arbeitsmärkte ab. Ist das etwa kein Protektionismus?
2006 ist zum Europäischen Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer erklärt worden, und doch planen in diesem Jahr einige Mitgliedstaaten, ihre Übergangsfristen zu verlängern. Ich frage Sie, wie wir das den Bürgern der Europäischen Union erklären sollen. Nur mit großer Mühe. Andererseits ist es offensichtlich, dass alle, die ihre Märkte geöffnet haben, Fortschritte erzielen, und ihre wirtschaftliche Entwicklung ist bemerkenswert.
Jedes Land, das entscheidet, seinen Arbeitsmarkt weiterhin geschlossen zu halten, muss dies meiner Ansicht nach auf rationaler Grundlage tun und dabei nicht als Teil eines Länderblocks, sondern individuell handeln. Wenn wir wollen, dass die Europäische Union erfolgreich mit anderen Staaten konkurrieren kann, muss sie in ihrem Binnenmarkt den freien Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr ebenso wie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer uneingeschränkt umsetzen.
Harald Ettl (PSE). – Herr Präsident! Der an sich berechtigte Wunsch, so rasch wie möglich die Übergangsfristen für den freien ArbeitnehmerInnenverkehr, die eine europäische Mobilitätsbarriere darstellen, zu beseitigen, wird durch eine oberflächliche, ungenaue Kommissionsstudie nicht gerade erleichtert.
Sicher könnte Schwarzarbeit am Arbeitsmarkt dadurch weiter eingeschränkt werden, aber der Regulierungsdruck bei den Löhnen und im Sozialbereich fällt dadurch sicher nicht weg. Gerade das würde zu einem größeren Problem werden. Wenn es also nicht gelingt, begleitende Maßnahmen zum Schutz der ArbeitnehmerInnen, wie z. B. eine in der Substanz verbesserte Entsenderichtlinie sowie Kontroll- und Umsetzungsmechanismen, zu erlassen, entsteht nur größerer Druck auf die Arbeitsmärkte in Deutschland und Österreich. Brauchbare Begleitmaßnahmen der Kommission vermisse ich noch immer. Sie können ruhig lachen, Herr Kommissar!
Die Mehrheit im Parlament mag nun dem Kommissionsbericht und dem Bericht Őry folgen und damit sagen, uns kümmern die Positionen und Interessen Deutschlands und Österreichs nicht – weg mit den Übergangsfristen! Als Parlamentarier muss ich die Mehrheit auch akzeptieren. Das ist völlig klar! Aber dass Sie damit in unseren Ländern die antieuropäische Stimmung noch zusätzlich anheizen, mag Ihnen als dem für soziale Angelegenheiten zuständigen Kommissar egal sein, mir ist es jedenfalls nicht egal!
Philip Bushill-Matthews (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Von den zahlreichen Themen, über die wir in dieser Woche abstimmen werden, halte ich diesen Bericht und dieses Thema für den bzw. das wichtigste. Die Tatsache, dass etwa 30 Redner von vielen verschiedenen Parteien einen Beitrag zu dieser Aussprache leisten wollen, bestätigt dies.
Von vielen meiner Vorredner wurde bereits auf die vier Grundfreiheiten der EU eingegangen. Von diesen Freiheiten ist die Freizügigkeit vielleicht die wichtigste. Vor einem halben Jahrhundert äußerte sich Jean Monnet wie folgt zu einer der Hauptaufgaben der EU: „Wir vereinigen keine Staaten, sondern Menschen.“ Das stimmte damals, und das stimmt noch immer. Genau das sollten wir tun: Menschen vereinigen.
Verschiedentlich wurden die Befürchtungen einiger Mitgliedstaaten erwähnt. Meiner Ansicht nach sollten wir keinen Mitgliedstaat wegen derartiger Befürchtungen kritisieren. Das ist doch verständlich. Doch neben diesen Befürchtungen gibt es Tatsachen, und die Tatsachen sollten die Befürchtungen relativieren. Tatsache ist, dass derartige Zuwanderer, die aus Mittel- und Osteuropa nach Schweden, Irland und ins Vereinigte Königreich kommen, keine Belastung für die Wirtschaft darstellen, sondern eine Bereicherung. Das Problem ist nicht die legale Zuwanderung in unsere Länder, sondern die illegale Zuwanderung in andere Länder, die die Schattenwirtschaft ankurbelt. Diejenigen, denen dieses Problem Sorge bereitet, mögen bedenken, dass dies ein weit größeres Problem darstellt als die Öffnung der Grenzen zum jetzigen Zeitpunkt.
Ich freue mich, dass drei weitere Länder, und zwar Spanien, Portugal und Finnland, erklärt haben, dass sie die Hindernisse abbauen werden. Ich möchte den Kommissar bitten, mit seiner großen persönlichen Autorität und der der Kommission darauf hinzuwirken, dass Finnland diesem Problem im Rahmen seiner bevorstehenden Präsidentschaft Vorrang einräumt und zum Ende seiner Präsidentschaft über die erzielten Fortschritte berichtet, um andere anzuspornen, dem finnischem Vorbild zu folgen.
Vorläufig jedoch hoffe ich, dass es uns in dieser Woche gelingen wird, mit einem klaren Abstimmungsergebnis andere anzuspornen. Ich hoffe, dass wir zu den neuen Mitgliedstaaten sagen können: „Es gibt keine Bürger zweiter Klasse in Europa.“ Und zu den alten Mitgliedstaaten sollten wir sagen: „Es ist an der Zeit, Eure Grenzen und Hirne zu öffnen.“
Ole Christensen (PSE). – (DA) Die Freizügigkeit von Arbeitnehmern ist einer der Eckpfeiler der europäischen Zusammenarbeit. Die befristeten Übergangsregelungen, die einige Länder – darunter auch mein Heimatland Dänemark – für Arbeitnehmer aus Osteuropa beschlossen haben, müssen schnellstmöglich aufgehoben werden.
Die Übergangsmaßnahmen dürfen die Freizügigkeit nicht unnötig einschränken, und wir müssen uns solidarisch und offen gegenüber allen Europäern zeigen. Daher müssen die Vorschriften flexibel gestaltet werden, um alle unnötigen Hürden zu beseitigen. Allerdings dürfen die Übergangsregelungen erst dann wegfallen, wenn wir sichergestellt haben, dass aus Osteuropa einreisende Menschen nicht ausgebeutet werden. Die Übergangsregelungen in Dänemark bieten Schutz vor Ausbeutung und gewährleisten, dass Arbeitnehmer nach Tarif entlohnt werden. Arbeitskräfte aus Osteuropa werden nur allzu oft von Arbeitgebern ausgebeutet, die deutlich unter der Norm liegende Löhne und Gehälter zahlen und ihre Mitarbeiter unter unwürdigen Bedingungen arbeiten lassen.
Wir haben eine Verantwortung, uns für den Erhalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit einzusetzen, die zu den Grundrechten in der EU gehört. Zugleich müssen wir aber auch Verantwortung für den Schutz der Arbeitsbedingungen übernehmen und sicherstellen, dass alle korrekt entlohnt werden und unter vernünftigen Bedingungen arbeiten können. Die Übergangsbestimmungen waren und sind ein Versuch, beiden Anliegen gleichermaßen gerecht zu werden.
In Dänemark gibt es keinen Mindestlohn. Die Übergangsregelungen haben uns deshalb die Möglichkeit eröffnet, den Zustrom von Arbeitnehmern aus Osteuropa zu überwachen und diejenigen Arbeitgeber ins Visier zu nehmen, die versuchen, die für die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen geltenden Vorschriften zu umgehen.
Die Beschränkungen müssen jetzt endlich schrittweise zurückgenommen werden.
Roselyne Bachelot-Narquin (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! In Zeiten der Ungewissheit muss die Europäische Union sich auf ihre Grundprinzipien besinnen. Es ist heute erforderlich, die vier Freiheiten, die die Grundlage des Binnenmarktes bilden, vollständig zu verwirklichen. Doch die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist noch nicht realisiert, und dazu müssen die beim Beitritt der neuen Mitgliedstaaten durchgesetzten Beschränkungen so rasch wie möglich aufgehoben werden.
Misstrauen ist nicht mehr angebracht, denn in den 15 Ländern, in denen die Beschränkungen aufgehoben wurden, ist kein massiver Zustrom von Arbeitskräften festzustellen. Es ist sogar erstaunlich, dass nur 2 % der Europäer außerhalb ihres Landes arbeiten, während ein Drittel der US-Amerikaner außerhalb des Staates leben, in dem sie geboren sind. Die Invasion ist nur eine Fantasievorstellung, die Mobilität der Arbeitnehmer eine Herausforderung. Im Bericht von Csaba Őry wird das Ziel gesetzt, die Beschränkungen bis 2009 aufzuheben, und dieses Ziel unterstütze ich. Der französische Premierminister hat im Übrigen angekündigt, dass Frankreich diese Entwicklung vorwegnehmen wird, indem es die Beschränkungen schrittweise gezielt aufheben wird.
Die im Dezember 2005 vom Europäischen Gewerkschaftsbund angenommene Entschließung eröffnet Wege, um die Öffnung der Grenzen und einen angemessenen Schutz miteinander zu vereinbaren. Die vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten angenommenen Änderungsanträge gehen in diese Richtung, um die Anwendung des Arbeitsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, um insbesondere die Einhaltung der Gemeinschaftsnormen zu sichern, vor allem die der Entsenderichtlinie, und um die Schaffung eines Europäischen Zentrums zu prüfen, das die Inspektionsbehörden der Mitgliedstaaten koordiniert. Mit der Erstellung standardisierter Statistiken über die innergemeinschaftlichen Wanderungsbewegungen könnten wir das Instrumentarium für ein soziales Europa in der Union schaffen, mit dem überprüft werden kann, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer weder Sozialdumping noch gegenseitige Unterbietung der Sozialstandards bedeuten muss, sondern im Gegenteil ein Faktor wirtschaftlicher Dynamik ist, mit dem Bereiche der Unterbeschäftigung beseitigt werden können.
Stephen Hughes (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich beglückwünsche Herrn Őry zu einem ausgezeichneten Bericht. Ich möchte kurz drei Punkte ansprechen, von denen der erste Ziffer 1 betrifft. In der vom Ausschuss verabschiedeten Fassung werden darin die Mitgliedstaaten aufgerufen, die geltenden Übergangsmaßnahmen abzuschaffen. Viele sehen darin den Kern des Berichts. Ich weiß, dass sich der Berichterstatter gezwungen fühlte, einen Kompromiss vorzuschlagen, der die Mitgliedstaaten aufforderte, die Aufhebung dieser Maßnahmen zu prüfen, und in dem konkret auf die drei Mitgliedstaaten verwiesen wird, die diese erst gar nicht eingeführt haben. Viele Abgeordnete meiner Fraktion begrüßen den Text in seiner jetzigen Fassung und vertreten die Ansicht, dass wir die Aufrechterhaltung von Übergangsmaßnahmen ablehnen sollten. Sie tun dies jedoch mit Blick auf Ziffer 14, in der es heißt, dass Mitgliedstaaten, die an den Übergangsregelungen festhalten wollen, die Voraussetzungen schaffen sollten, damit die Übergangsregelungen nicht über das Jahr 2009 hinaus fortgesetzt werden.
Mein zweiter Punkt betrifft die Gleichbehandlung. Der Berichterstatter wie auch andere Abgeordnete haben energisch darauf verwiesen, dass es nicht nur darum geht, Arbeitnehmern in acht der neuen Mitgliedstaaten das Recht auf Freizügigkeit zu sichern, sondern dass wir mithilfe entsprechender Inspektions- und Durchsetzungsmaßnahmen für deren Gleichbehandlung sorgen und eine Ausbeutung in den 15 alten Mitgliedstaaten verhindern müssen. Sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Irland sind diesbezüglich ernsthafte Versäumnisse zu verzeichnen.
Mein letzter Punkt betrifft die vom Kommissar erwähnte Richtlinie 2003/109/EG. Sie gewährt langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen umfassenden Zugang zu den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten. Dem Juristischen Dienst des Parlaments zufolge besteht jedoch nicht die Gefahr, dass Drittstaatsangehörige besseren Zugang haben als Bürger aus den entsprechenden acht Mitgliedstaaten. Der Juristische Dienst verweist auf Artikel 11 der Richtlinie, der vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung für Drittstaatsangehörige in bestimmten Fällen beschränken „können“. Das ist nicht dasselbe wie „müssen“ oder „werden“. Die Gleichbehandlung kann nur durch Aufhebung der Übergangsmaßnahmen garantiert werden.
Rolf Berend (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der im Bericht Őry artikulierten Forderung bin ich der festen Überzeugung, dass in Mitgliedstaaten, die dies für notwendig erachten, die Übergangsfristen bei der Freizügigkeit beibehalten werden können. Wenn ein Land aus arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen der Ansicht ist, eine weitere Steuerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu erhalten, ist das legitim. Pacta sunt servanda gilt auch hier, und weder die Kommission noch dieses Parlament – vielleicht nicht einmal seine Mehrheit – sollte sich anmaßen, appellarischen Druck auf einige Länder auszuüben. In meinen Augen ist dies üble Stimmungsmacherei mit einem hochbrisanten Thema.
Ich kann in dieser Frage nicht einfach Deutschland und Österreich mit Spanien und Portugal vergleichen. Deutschland liegt diesbezüglich an einer Nahtstelle, und es herrschen hier völlig andere Bedingungen als in Ländern Südeuropas. Es wird in diesem Parlament so viel von Subsidiarität geredet, und plötzlich will man in puncto Arbeitnehmerfreizügigkeit in Brüssel und Straßburg besser Bescheid wissen als vor Ort, also in Deutschland oder Österreich. Wenn im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung vor einigen Monaten die Übergangsfristen bekräftigt wurden, dann doch nicht aus Jux und Tollerei; dann liegen dem Tatsachen und Fakten zugrunde, die es zu respektieren gilt. Zumindest für die nächsten drei Jahre muss für mein Land die Steuerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Was für die dann folgenden zwei Jahre Gültigkeit haben soll, muss dann aufgrund der neuen Situation erörtert und geschlussfolgert werden.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass ja in der Bevölkerung eben wegen dieser Problematik große Ängste vor der Osterweiterung bestanden haben und wir immer sagen konnten: Die Ängste sind unbegründet, diese Fragen sind auf fünf bzw. sieben Jahre vertraglich geregelt.
Anna Ibrisagic (PPE-DE). – (SV) Herr Präsident! Der 1. Mai 2004 war ein Tag, den ich nie vergessen werde. Damals stand ich gemeinsam mit Dr. Otto von Habsburg an der Grenze zwischen Slowenien und Österreich, wo wir an einer feierlichen Zeremonie teilnahmen. Gefeiert wurde die Tatsache, dass mit dem Beitritt Sloweniens zur EU eine Stadt wiedervereinigt wurde, die nach dem Krieg in zwei Teile geteilt worden war, von denen einer zu Österreich und einer zu Slowenien gehörte.
Die Symbolik war sehr offensichtlich. Als ich da stand, spürte ich deutlich, dass die Menschen nicht das Gefühl hatten, etwas Neues zu erleben, sondern mit etwas wiedervereinigt zu werden, von dem sie immer schon ein Teil waren. Und so ist das auch. Die zehn neuen Mitgliedstaaten der EU sind zehn alte europäische Länder. Sie waren nur 50 Jahre lang vom Kommunismus entführt und sind nun endlich wieder zu uns zurückgekehrt.
Im Vorfeld dieser Wiedervereinigung hatten die schwedischen Sozialdemokraten Horrorszenarien von einer Invasion unseres Landes durch ausländische Arbeitnehmer ausgemalt, die nur unsere Löhne unterbieten und unsere sozialen Vorzüge ausnutzen würden. Meine Partei und ich haben im schwedischen Parlament gekämpft, um die Einführung der Übergangsregelungen in unserem Land zu verhindern. Wir wollten, dass die neuen Länder, die so lange unter dem Kommunismus gelitten haben, jetzt die Freiheiten der EU-Mitgliedschaft genießen sollten.
Wir haben uns geweigert, die sozialdemokratische Propaganda zu akzeptieren, und echte Solidarität gezeigt. Wir haben den Kampf gewonnen und Schweden hat keine Übergangsregelungen eingeführt. Jetzt durchgeführte Untersuchungen haben eindeutig gezeigt, dass es in Schweden keinesfalls zu dem von den Sozialdemokraten zur Panikmache heraufbeschworenen Sozialdumping gekommen ist, sondern dass die Freizügigkeit ausschließlich positive Effekte für die schwedische Wirtschaft hatte. Die gleichen Erfahrungen haben auch die anderen Länder gemacht, die ebenfalls keine Übergangsregelungen eingeführt haben.
Ich muss sagen, dass ich die Entscheidung mehrerer Länder zur Verlängerung ihrer Übergangsregelungen mit großer Enttäuschung aufgenommen habe. Eine solche Verlängerung zu beschließen, obwohl die ausgemalten Szenarien nicht eingetreten sind, ist einfach unvernünftig. Das einzig Richtige ist, keine Übergangsregelungen einzuführen, und ich hoffe, Europa wird sich in Zukunft mehr von Vernunft als von Ängsten leiten lassen.
(Beifall)
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Wir wissen doch alle ganz genau, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer eine der vier Grundfreiheiten ist, auf denen die gesamte Idee von der Europäischen Gemeinschaft fußt. Wir wissen aber auch, dass diese Freiheit nur für die Bürger der fünfzehn alten Mitgliedstaaten gilt und uneingeschränkt gegeben ist, während bei den Bürgern der acht Staaten, die am 1. Mai 2004 der Europäische Union beigetreten sind, die Übergangsfrist greift, die nach Maßgabe der 2+3+2-Regelung bis zu sieben Jahre Bestand haben kann. Und als wäre das noch nicht genug – langfristig aufhältige Drittstaatsangehörige genießen aufgrund der Bestimmungen bestimmter EU-Richtlinien mehr Rechte und sind dadurch gegenüber den Bürgern aus den acht neuen Mitgliedstaaten privilegiert, wenn es um solche Fragen wie den Aufenthalt und die Aufnahme einer Beschäftigung in fünfzehn EU-Mitgliedstaaten geht. Das bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass wir Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten diskriminieren, indem wir uns gegenüber Arbeitnehmern aus Drittstaaten solidarisch erweisen.
Das Auslaufen der ersten Übergangsfrist am 30. April sollten wir unbedingt nutzen, um die Konsequenzen und Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der fünfzehn alten wie auch der acht neuen Mitgliedstaaten zu bewerten und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Was uns wirklich fehlt, sind statistische Daten zu den Wanderungsbewegungen innerhalb der Gemeinschaft. Objektive Schlussfolgerungen lassen sich so nur schwer ziehen; allerdings steht schon heute fest, dass das Volumen der Zuwanderung aus Drittländern die Wanderungsbewegung innerhalb der EU, d. h. in den fünfzehn alten Mitgliedstaaten und der erweiterten EU in ihrer Gesamtheit, bei weitem übertrifft. Genauso offensichtlich ist, dass die Länder, die ihre Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Ländern geöffnet haben, bisher von diesem Schritt nur profitiert haben, wohingegen die Übergangsfristen der illegalen Beschäftigung, unfairen Arbeitsbedingungen, der Diskriminierung und Ausbeutung von Wanderarbeitnehmern Vorschub leisten. Nach meiner Überzeugung muss das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten ermutigen, die derzeit geltenden Übergangsregelungen abzuschaffen, denn dafür sind genügend Gründe vorhanden.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die heutige Aussprache ist mit Sicherheit von entscheidender Bedeutung, betrifft sie doch solche Themen wie Beschäftigung, Wirtschaft und freier Personenverkehr. Daher ist es angebracht, eine Schlüsselfrage zu stellen, ob nämlich die Arbeitsmärkte geöffnet werden sollten, wenn freie Stellen vorhanden sind und ein Mangel an einheimischen Arbeitskräften besteht, d. h. wenn es nicht genügend Arbeitswillige gibt. Gestatten Sie mir zu wiederholen, dass ich von einem Mangel an Arbeitswilligen und nicht von Arbeitslosen gesprochen habe. Andersherum gefragt: Sollten Arbeitsmärkte geöffnet werden, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, was wiederum neue Arbeitsplätze schaffen wird? Ich bin überzeugt – und meine bisherigen Erfahrungen bestätigen dies auch –, dass durch die Öffnung des Arbeitsmarkts in einem bestimmten Land Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze entstehen.
Wir sollten bedenken, dass mehr Beschäftigung und Arbeitsplätze nur möglich sein werden, wenn wir echte Wirtschaftsreformen und nicht nur kosmetische Veränderungen vornehmen. Unternehmer müssen von der Notwendigkeit solcher Reformen überzeugt werden, vor allem müssen wir aber die Gewerkschaften auf unsere Seite ziehen. Obwohl derartige Veränderung in der Regel zunächst einmal schmerzhaft sind, wirken sie sich mittel- und langfristig positiv aus.
Ich komme jetzt zu einer ganz folgerichtigen Frage, die mit unserer Teilnahme an den WTO-Verhandlungen zusammenhängt. In welchem Umfang und Tempo sollte der Welthandel liberalisiert werden, um Wirtschaftswachstum innerhalb der EU zu erreichen und neue Arbeitsplätze zu schaffen? Damit würden wir unsere Entwicklung zu einem Wirtschaftsraum mit begrenzter Produktionskapazität verhindern, in dem nur noch importierte Waren konsumiert werden.
Nicht zuletzt müssen wir uns auf die Flexibilität und Mobilität der Erwerbsbevölkerung einstellen. Ich glaube, dass Mittel aus den nationalen Haushalten und den Haushalten der Union für die Umschulung und Ausbildung in neuen Berufen bereitgestellt werden müssen. Zur Zeit fehlt es uns trotz hoher Arbeitslosigkeit anscheinend an qualifizierten Arbeitnehmern ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Mit Interesse habe ich die Aussprache über den Bericht Őry verfolgt, und ich muss sagen, dass sie außergewöhnlich umfassend war und ein Schlaglicht auf viele Sichtweisen und Meinungen zum Thema Arbeitsnehmerfreizügigkeit geworfen hat. Gestatten Sie mir, einen weiteren Aspekt in die Debatte einzubringen, der nicht erwähnt wurde. Übergangsfristen sind eine Begleiterscheinung jeder EU-Erweiterungsrunde, und jede Erweiterung war von großen Ängsten begleitet, die sich aber in keinem Fall bewahrheitet haben.
Meine Damen und Herren! Der Beitrittsvertrag sieht eine Regelung mit mehreren Phasen vor, wobei die letzte Phase im Jahr 2011 möglichst kurz sein wird. Ich freue mich daher Ihnen jetzt mitteilen zu können, dass Europa ab 1. Mai dieses Jahres auf dem Weg zur vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit erheblich vorankommen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen nochmals für die – diesem ernsten Thema angemessene – sehr ernsthaft geführte, weitreichende und im Ton häufig sehr scharfe Aussprache danken.
(Beifall)
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, um 11.30 Uhr, statt.
(Die Sitzung wird bis zur Abstimmungsstunde kurzzeitig unterbrochen.)
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Katalin Lévai (PSE). – (HU) Im Bericht von Csaba Őry über die Übergangsregelung zur Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern auf den EU-Arbeitsmärkten geht es um grundlegende Werte der Europäischen Union. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist eines der wichtigsten Grundprinzipien der EU, weshalb jede Form der Einschränkung abzulehnen ist – nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus politischer Sicht.
Ich stimme den Aussagen im Bericht zu, dass Arbeitnehmer aus Drittstaaten nicht besser gestellt sein sollten als Arbeitskräfte aus EU-Mitgliedstaaten.
Die gegenwärtig geltenden diskriminierenden Regelungen widersprechen der politischen Forderung nach Stärkung der europäischen Identität. Das Wissen um die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl können bei Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten nur gestärkt werden, wenn im Bereich der Beschäftigung und des Zugangs zu Sozialleistungen gleiche Rechte gelten.
Ich begrüße den Vorschlag, die Kommission, die Mitgliedstaaten, die Sozialpartner und zuständigen Gremien des privaten und öffentlichen Sektors aufzufordern, ein faires und transparentes Verfahren zu entwickeln, um zu gewährleisten, dass die Bürger der neuen Mitgliedstaaten in allen Mitgliedstaaten der EU zu angemessenen Löhnen und ohne Diskriminierung sowie im Rahmen akzeptabler Arbeitsschutzbedingungen arbeiten können.
Da statistische Angaben deutlich zeigen, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten für die alten EU-Staaten nicht nachteilig ist und – im Gegenteil – sogar zu deren wirtschaftlicher Entwicklung beiträgt, muss der von den Bürgern der 15 Mitgliedstaaten empfundene Antagonismus mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abgebaut werden, und es gilt, den europäischen Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit der Übergangsregelung in nationalen Rechtsvorschriften festzuschreiben.
VORSITZ: ANTONIOS TRAKATELLIS Vizepräsident
Christopher Heaton-Harris (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Eine Bemerkung zur Anwendung der Geschäftsordnung. Letzte Woche wurden auf der Konferenz der Präsidenten die Termine für den Kalender 2007 bekannt gegeben. Der Termin für die Einreichung von Änderungsanträgen war gestern Abend um 19.00 Uhr. Wir haben in diesem Haus sehr strenge Vorschriften, die vorsehen, dass vorzulegende Änderungsanträge mit Originalunterschriften versehen sein müssen. Etliche meiner Kollegen wurden gestern aufgehalten und konnten nicht bis 19.00 Uhr hier sein. Es war ihnen daher nicht möglich, Änderungsanträge zu unterzeichnen, die u. a. von der Gruppe mit der Bezeichnung „Campaign for Parliamentary Reform“ in Umlauf gebracht worden waren.
Ich weiß, dass Sie die betreffende Vorschrift im Moment nicht ändern können, aber könnten Sie diese bitte prüfen, denn wir haben bei fast jedem Bericht einen angemessenen Zeitraum zur Vorlage von Änderungsanträgen, aber im Falle unseres Sitzungskalenders steht uns überhaupt keine Zeit zur Verfügung.
(Beifall)
Der Präsident. – Wir werden das prüfen, Herr Heaton-Harris.
8. Abstimmungsstunde
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.
(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll)
8.1. Naturkatastrophen (Brände, Dürre und Überschwemmungen) – Aspekte der regionalen Entwicklung (Abstimmung)
8.2. Antrag auf Schutz der Immunität und der Vorrechte von Witold Tomczak (Abstimmung)
8.3. Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze (Abstimmung)
8.4. Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (Abstimmung)
8.5. Wettbewerbspolitik 2004 (Abstimmung)
- Vor der Abstimmung über den Entschließungsantrag:
Alain Lipietz (Verts/ALE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident! Da der Text praktisch seiner Substanz entleert worden ist, ziehe ich meinen Namen unter diesem Bericht zurück und fordere das Parlament auf, ihn abzulehnen.
(Beifall)
8.6. Öffentlichkeit der Tagungen des als Gesetzgeber zusammentretenden Rates (Abstimmung)
8.7. Zugang zu den Dokumenten der Organe (Abstimmung)
8.8. WTO-Ministerkonferenz in Hongkong (Abstimmung)
- Vor der Abstimmung über Ziffer 18:
Georgios Papastamkos (PPE-DE), Berichterstatter. – (EL) Herr Präsident! Es wird vorgeschlagen, in dem Satz, der mit der Wendung „betont daher die notwendige“ beginnt und mit dem Ausdruck „Stützung“ endet, ein Wort hinzuzufügen. Dieser Satz würde somit folgende Formulierung erhalten: „betont daher die notwendige Verringerung und Beseitigung ihrer internen Stützung“. Um Verwirrung zu vermeiden sowie aus Gründen der Grammatik und der semantischen Folgerichtigkeit wird vorgeschlagen, diesen Satz unmittelbar hinter den Satz zu stellen, der mit den Worten „Baumwollproduzenten betreffen“ endet.
(Das Parlament erhebt keine Einwände gegen den mündlichen Änderungsantrag.)
8.9. Grundzüge der Wirtschaftspolitik für 2006 (Abstimmung)
Der Präsident. – Damit ist die Abstimmungsstunde beendet.
Jan Andersson, Ewa Hedkvist Petersen, Inger Segelström und Åsa Westlund (PSE), schriftlich. (SV) Wir haben für den Änderungsantrag in Bezug auf die europäischen Koordinatoren gestimmt, da unserer Ansicht nach eine freiwillige und zeitweilige Koordinierungsfunktion einen Zweck erfüllen kann, insbesondere bei grenzübergreifenden Vorhaben.
Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Nach Ansicht der Juniliste sollten die EU-Mitgliedstaaten in grenzüberschreitenden Fragen zusammenarbeiten, wenn durch eine solche Zusammenarbeit ein Mehrwert entsteht. Da transeuropäische Energienetze einen solchen Fall darstellen, haben wir für den Bericht in seiner Gesamtheit gestimmt, als er hier im Parlament behandelt wurde. Mehrere Änderungsanträge, über die wir heute abgestimmt haben, sind jedoch unnötig bürokratisch. Außerdem stehen die damit verbundenen zusätzlichen Kosten und Verwaltungslasten in keinem Verhältnis zu ihrem möglichen Nutzen. Daher haben wir gegen diese Änderungsträge gestimmt.
Sérgio Marques (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich möchte Frau Laperrouze zu der entschiedenen und zum richtigen Zeitpunkt vorgelegten Empfehlung betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze beglückwünschen.
Ich stimme der Ansicht der Berichterstatterin zu, dass es notwendig ist, in den vor uns liegenden Vorschlag die Festlegungen wieder aufzunehmen, die die Erklärung über das Bestehen eines europäischen Interesses und die Möglichkeit vorsehen, einen für diese Fragen zuständigen europäischen Koordinator zu benennen.
Diese Maßnahmen sind für die Errichtung eines echten Gas- und Elektrizitätsbinnenmarktes unerlässlich und ermöglichen die Gewährleistung der Versorgungssicherheit.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die Positionen erinnern, die auf den letzten Tagungen des Europäischen Rates zu dieser Frage zum Ausdruck gebracht wurden.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Uns bietet sich die einzigartige Gelegenheit, den Bürgern zu beweisen, dass wir bereit sind, eine echte europäische Energiepolitik zu entwickeln. Deshalb müssen wir uns mit den für die Erreichung dieses Ziels erforderlichen Instrumenten und Mitteln ausstatten.
Die transeuropäischen Energienetze werden die Vernetzung, die Interoperabilität und die Entwicklung der Energienetze im erweiterten Europa fördern und dadurch einen Anreiz für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes geben.
Die Errichtung des Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarktes für die Zukunft ist vermutlich das wichtigste Ziel des vorliegenden Entschließungsantrags.
Darüber hinaus besteht das Ziel darin, die Leitlinien der neuen Realität einer Europäischen Union mit 25 Mitgliedstaaten anzupassen, die Finanzierung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse zu ermöglichen, den Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarkt zu verwirklichen und vor allem die Versorgungssicherheit durch Vernetzungen zwischen den Mitgliedstaaten und mit den Nachbarländern (Südosteuropa, Mittelmeeranrainer, Ukraine, Weißrussland) zu gewährleisten. Der Ansatz für die transeuropäischen Netze im Energiebereich entspricht im Wesentlichen dem Ansatz für die terrestrischen transeuropäischen Verkehrsnetze..
Deshalb habe ich für den Bericht Laperrouze gestimmt.
Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident! Der Kampf gegen Schwarzarbeit ist sicherlich wichtig, um negativen Arbeitsmarkttrends entgegenzuwirken. Mit Arbeitnehmerfreizügigkeit wird man jedoch nicht – wie erhofft – dieses Problems Herr werden. Arbeitgeber, die sich Sozialbeiträge sparen wollen, werden dies auch künftig tun. Bedenklich ist allerdings auch, dass immer mehr Unternehmen ihre Angestellten in Scheinselbstständigkeitsverhältnisse drängen, um auf andere Weise zu versuchen, Tarife und Mindestsozialstandards zu umgehen. Dieser Entwicklung müssen wir einen Riegel vorschieben.
Immer wieder betonen wir, dass eine Verbesserung der Beschäftigungslage essenziell ist. Gleichzeitig tritt die EU aber für Mobilität und Flexibilisierung der Arbeitnehmer ein. Studien belegen allerdings, dass in der Realität stagnierendes Arbeitsvolumen durch neue Arbeitsformen wie Teilzeitarbeit einfach nur auf mehr Köpfe verteilt wird. Diesen Entwicklungen treten wir nicht genügend energisch entgegen, weshalb ich gegen diesen Bericht gestimmt habe.
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Die Abgeordneten der Freien Demokratischen Partei haben sich an der Abstimmung über die beschäftigungspolitischen Leitlinien der Mitgliedstaaten, Bericht Nr. A6-0086/2006, beteiligt. Wir haben dies getan, weil wir solidarisch mit unseren Kollegen die Anliegen unserer Fraktion unterstützen wollen. Dennoch halten wir fest, dass Beschäftigungspolitik nicht Zuständigkeit der EU ist. Deshalb sollte dieses Thema von den Mitgliedstaaten behandelt werden und nicht von uns hier in Straßburg oder Brüssel. Wenn die Europäische Union erfolgreich sein will, muss sie sich auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren. Das besagt der Grundsatz der Subsidiarität; ihn gilt es künftig ernst zu nehmen und zu beachten.
Lena Ek (ALDE), schriftlich. (SV) Ich bin prinzipiell gegen diese Art von Berichten, in denen das Parlament in ständig wiederkehrenden Angelegenheiten eines bestimmten Politikbereichs bereits bekannte Standpunkte wiederholt und sein allgemeines Wohlwollen bekräftigt. Das trägt nicht zu einem größeren Vertrauen in das Parlament bei, und es legitimiert die Positionen derjenigen, die ein immer stärkeres Eingreifen der EU auch in solchen Politikbereichen, wie in diesem Fall der Beschäftigungspolitik, befürworten, die in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten liegen und dem Wettbewerb ausgesetzt sein sollten.
Ich habe jedoch für den Bericht gestimmt, und zwar aus einem wichtigen Grund: wegen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Die Beschlüsse, die für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten diskriminierende Übergangsregelungen ermöglichen, sind ein schamloser Verstoß gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ein absolut schändliches Verhalten gegenüber den neuen Mitgliedstaaten der EU, die mit großer Begeisterung der Union beigetreten sind.
Erfahrungen aus den Ländern, die begrenzte oder gar keine Übergangsregelungen hatten, haben gezeigt, dass derartige Regeln nicht erforderlich sind und dass sich die „Invasion“, vor der einige führende Politiker gewarnt hatten, in keiner Weise bewahrheitet hat. Es besteht eher der Bedarf, mehr Arbeitskräfte anzulocken als Arbeitswillige zu behindern.
Die Notwendigkeit, all dies ausdrücklich zu betonen und die Ablehnung des Parlaments von jeder Art Verlängerung solcher Behinderungen deutlich zum Ausdruck zu bringen, ist für mich Grund genug, dem Bericht zuzustimmen.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Im Bericht Kovács über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten, über den wir heute abstimmen, wird zwar die Frage der Gleichstellung der Geschlechter und der Bekämpfung von Diskriminierungen aufgeworfen , jedoch findet die für uns entscheidende Frage, nämlich der Schutz der Arbeitnehmerrechte, keine Erwähnung.
Daher haben wir unter Berücksichtigung der von den Mitgliedstaaten vorgelegten nationalen Reformprogramme und der zur Erfüllung dieser Richtlinien genannten Maßnahmen Änderungsanträge zum Bericht mit dem Ziel eingereicht, die Leitlinien konkreter zu gestalten und mit genaueren Fristen zu versehen und damit eine wirksame Umsetzung der Rechte der Frauen, den Zugang zu einer hochwertigen staatlichen allgemeinen und beruflichen Ausbildung, die Schaffung stabiler und mit Rechten verbundener Arbeitsplätze sowie eine Erhöhung der staatlichen Investitionen in den Bereichen Gesundheit und Wohnen zu bewirken.
Leider hat die Mehrheit des Parlaments unsere Vorschläge abgelehnt, weshalb wir nicht für den Bericht stimmen können, auch wenn wir einige vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten eingereichte Änderungsanträge unterstützen. Wir haben uns somit zum Bericht der Stimme enthalten und gegen die legislative Entschließung über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen gestimmt, die ganz offenkundig den Weg zu eindeutig liberalen Wirtschaftsleitlinien ebnen.
Carl Lang (NI), schriftlich. – (FR) Die Berichte unseres Europäischen Parlaments zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik bestehen aus der Wiederholung eines ermüdenden proeuropäischen Geschwätzes, das neben einer Flut von bedrucktem Papier kein weiteres Ergebnis erbringt.
Angesichts des täglich feststellbaren Misserfolgs des Lissabon-Prozesses reicht ein wenig Flickschusterei an den Leitlinien eines entschieden „unschlüssigen“ Ratsbeschlusses ganz bestimmt nicht aus, um die Beschäftigung und die Wirtschaft in Frankreich zu retten.
Mit dem vorgeschlagenen Mischmasch will man es allen Recht machen. So wird der Liberalismus der Kommission beibehalten, doch gleichzeitig die Meinung vertreten, dass die europäischen Organe sich mehr Kontrollen gegenüber selbstregierten Nationen gestatten müssen.
Um es aufzuhübschen, ist das Ganze mit guten Absichten gespickt worden, wenn es darum geht, im Rahmen dieses verabscheuungswürdigen Modells die Schwächsten zu schützen, die man gern mit den Einwanderern vermischt, um jeglicher Polemik in dieser Frage aus dem Weg zu gehen.
Doch genau in diesem Punkt ist die Lösung unserer Probleme zu finden. Damit sich unsere Wirtschaft und die Beschäftigung wieder wie ein Phönix aus der Asche erheben, ist es erforderlich, die Immigration zur Erhöhung der Bevölkerungszahl zu stoppen, geburtenfördernde Maßnahmen einzuführen, die Gemeinschaftspräferenz und den Gemeinschaftsschutz in Europa sowie den nationalen Schutz in Frankreich anzuwenden.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten stellen meiner Ansicht nach zu Recht eine Herausforderung für die Europäische Union dar, um auf wesentliche beschäftigungspolitische Fragen eine Antwort zu geben. Ihre Aufmerksamkeit konzentriert sich ganz richtig auf den Personenkreis, darunter Jugendliche, ältere Menschen und andere ausgegrenzte Personen, die vom Arbeitsmarkt im eigenen Land oder in anderen Mitgliedstaaten ausgeschlossen sind.
Nach meinem Dafürhalten muss jedoch ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen dem, was von den Organen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten verlangt wird, und dem, was an konkreten und wirksamen Lösungen möglich ist. Die beschäftigungspolitische Debatte hat eine europäische Dimension, die nicht außer Acht gelassen werden darf. Im Übrigen ist dies für mich als MdEP schon immer ein Anliegen gewesen, eben weil meiner Auffassung nach im europäischen Raum reformorientierte Synergien entwickelt werden müssen und das Parlament eine der für dieses Ziel geeignetsten Institutionen ist.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Die Vorrangstellung des Wettbewerbs ist einer der Grundpfeiler des Binnenmarktes und dient als Grundlage für den Liberalisierungs- und Privatisierungsprozess in Schlüsselsektoren wie Energie, Verkehr und Kommunikation. Dieser Prozess erfuhr seit 2000 mit der Annahme der Lissabon-Strategie eine Beschleunigung.
Es ist klar und deutlich sichtbar, dass das, was bisher getan wurde, nicht nur nicht die versprochenen Preissenkungen, die Verbesserung des Zugangs und der Qualität der Dienstleistungen oder sogar das Ende der Monopole nach sich gezogen hat, sondern im Gegenteil die aus Umstrukturierungen und Zusammenschlüssen dieser Sektoren resultierende Arbeitslosigkeit noch verschärft und zum Verlust der Souveränität beigetragen hat, die die Staaten über diese strategischen Bereiche hatten.
Auch wenn im Bericht bekräftigt wird, dass marktbeherrschende Positionen und die Monopole bekämpft werden sollen, werden die Leitlinien des Berichts der Kommission für 2004, die hauptsächlich auf die Sektoren Energie und Telekommunikation gerichtet sind, akzeptiert und erneut die völlige Liberalisierung des Gas- und des Stromsektors – eine Priorität der Ratstagung im Frühjahr 2006 – befürwortet.
Zudem wird für den in weiten Teilen bereits liberalisierten Kommunikationssektor der Schwerpunkt vor allem auf den Wettbewerb im Breitbandsektor und auf die Internationalisierung der Produktion gelegt. Auf diese Weise wird es noch leichter werden, Produktionsstandorte bzw. Teile der Produktionskette zu verlagern.
Deshalb haben wir dagegen gestimmt.
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. – (FR) Die Begründung des Berichts von Herrn Lipietz ist viel aufschlussreicher als der Text des Berichts selbst, der sich darauf beschränkt, die „bemerkenswerte“ Arbeit der Kommission bei der Verfolgung der kleinsten Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs zu beweihräuchern.
In der Begründung hingegen wird das Fehlen von Untersuchungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Entscheidungen der Kommission oder über die dogmatische Anwendung der Bestimmungen zu staatlichen Beihilfen beklagt. Weiterhin wird festgestellt, dass der Markt, dem ansonsten wahre Wunderkräfte zugeschrieben werden, allein nicht in der Lage ist, bestimmte politische oder auch wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Es wird angemerkt, dass die Liberalisierung bestimmter Märkte dazu geführt hat, die guten alten öffentlichen Monopole durch private Oligopole zu ersetzen, wobei deren Vorteile weggefallen sind, ohne dass ein „Mehrwert“ für die Verbraucher geschaffen worden wäre. Des Weiteren wird das völlige Fehlen von Selbstkritik der Kommission beklagt, wenn deren verfehlte Entscheidungen zu wirtschaftlichen Katastrophen wie beispielsweise im Fall Rhodia führen.
Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass die Brüsseler Wettbewerbspolitik der Ausdruck einer ultraliberalen Doktrin ist, die die Kommission in ihrem Kampf gegen den „Wirtschaftspatriotismus“ verfolgt und die paradoxerweise von einer spitzfindigen Bürokratie angewendet wird, die sich ständig in die Unternehmensstrategien und die einzelstaatlichen Politiken einmischt. Vor dem Hintergrund eines ungezügelten weltweiten Wettbewerbs kann dies nur zu Arbeitslosigkeit führen.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die europäische Wettbewerbspolitik hat Regeln und Zielsetzungen, die die kleinen und mittleren Unternehmen zerstören und die es den europäischen Monopolen durch deren finanzielle Unterstützung und durch Privatisierungen ermöglichen werden, diese Unternehmen zu übernehmen, wodurch nicht gerade die Verbraucherinteressen geschützt werden, wie im Bericht heuchlerischer Weise behauptet wird.
Außerdem ist der Ausdruck „Wettbewerbsfähigkeit“ gleichbedeutend mit der zunehmenden Ausbeutung der Arbeitnehmer, der Abschaffung ihrer Rechte und der Kürzung des Arbeitsentgelts, und dies in einer Zeit, da die Bedürfnisse steigen.
Die wettbewerbspolitischen Rechtsvorschriften stehen im Dienst der volksfeindlichen Lissabon-Strategie und sind darauf ausgerichtet, jegliche Subventionen oder staatlichen Beihilfen zur Abdeckung der Bedürfnisse des Volkes, die die Arbeitnehmer durch ihre Kämpfe errungen haben, zu kontrollieren, zu stoppen und einzuschränken.
Es ist eine Lüge, dass der Wettbewerb dazu beiträgt, die Verbraucherpreise zu senken. Die bisherige Erfahrung hat das Gegenteil gezeigt: Die Märkte wurden aufgeteilt, die Profite der Unternehmen sind gestiegen und für die Arbeitnehmer haben sich die Preise erhöht.
Geschieht es nicht auch im Namen des Wettbewerbs, dass jungen Menschen Arbeitsbedingungen auferlegt werden, die der Sträflingsarbeit gleichen und die auf alle Arbeitnehmer ausgedehnt werden sollen? Die jungen Menschen in Frankreich tun Recht daran zu protestieren. Wir sind auf ihrer Seite. Sie stellen die Hoffnung für radikale Veränderungen gegenüber den ausbeuterischen Politiken der EU und der Regierungen dar, und aus diesem Grunde haben sie unsere Unterstützung.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident! Gestatten Sie mir einige Worte zum Bericht und zum Abstimmungsverhalten von Herrn Hammerstein Mintz. Ich bin ganz sicher für Offenheit, aber ich bin auch für ein bestimmtes Maß an Realismus. Es ist absolut selbstverständlich, dass die Sitzungen des Rates öffentlich sein sollten, aber mit den Ziffern 14 und 15 hat dieses Parlament dafür gestimmt, dass auch die Sitzungen des COREPER, des Ausschusses der Ständigen Vertreter, also der Botschafter der EU, öffentlich sein sollen, ebenso wie die des Vermittlungsausschusses. Sicherlich können wir darauf bestehen, aber man kann davon ausgehen, dass dann auch der Rat das Recht hat, darauf zu bestehen, dass alle unsere Fraktionssitzungen, die vorbereitenden Sitzungen und alle Sitzungen der Konferenz der Präsidenten öffentlich sein sollen. Ich bin also für Offenheit, aber ich denke nicht, dass es realistisch ist, auf der Öffentlichkeit, was den COREPER angeht, zu bestehen.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht meines Kollegen David Hammerstein Mintz gestimmt, der sich mit der Öffentlichkeit der Tagungen des Rates befasst, wenn dieser als Gesetzgeber zusammentritt. Zu einem Zeitpunkt, da es notwendig wird, ein politisches Europa zu errichten, wird es immer unverständlicher, dass der Europäische Rat immer noch hinter verschlossenen Türen tagt, wenn er als Gesetzgeber handelt. Diese Position läuft nicht nur Artikel 1 Absatz 2 des Unionsvertrags (Maastrichter Vertrag vom 7. Februar 1992) zuwider, der vorsieht, dass die europäischen Entscheidungen möglichst offen zu treffen sind, sondern entspricht auch nicht der Transparenz, die unsere Mitbürger von der Funktionsweise der europäischen Organe erwarten. Auf diese Weise wird es uns niemals gelingen, die Kluft zu überwinden, die sich zwischen dem europäischen Einigungswerk und den Völkern aufgetan hat. Es ist dringend erforderlich, dass der Europäische Rat bis zur Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa seine Geschäftsordnung selbst reformiert, um diese Entwicklung zu mehr Transparenz bei den Tagungen, wenn er als Gesetzgeber zusammentritt, zu beschleunigen, wobei natürlich nichtöffentliche Möglichkeiten des Meinungsaustauschs zwischen den Staatschefs erhalten bleiben müssen.
Robert Goebbels (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe mich bei der Abstimmung über die Öffentlichkeit der Ratstagungen enthalten, weil es sich meiner Meinung nach um eine falsche Problemstellung handelt. Wenn der Rat gezwungen wird, unter den Augen der Kameras zu arbeiten, dann wird das zur Abgabe von formalen Statements und zu Hinterzimmerverhandlungen führen. Jede Verhandlung erfordert ein gewisses Maß an Vertraulichkeit.
Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Unserer Ansicht nach müssen die Tagungen des Rates und des Ausschusses der Ständigen Vertreter, die sie in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber abhalten, öffentlich sein. Das ist ein wichtiges demokratisches Prinzip, damit die Rechenschaftspflicht der gewählten Volksvertreter gegenüber den Wählern funktioniert.
Leider enthält der Berichtsentwurf mehrere Punkte, die die Annahme des Entwurfs des Verfassungsvertrags befürworten, der in Frankreich und den Niederlanden in Volksabstimmungen abgelehnt worden ist. Wir haben uns darum bemüht, dass diese Teile aus dem Bericht gestrichen werden, indem wir zu eben diesen Punkten getrennte Abstimmungen gefordert haben.
Unabhängig vom Ausgang dieser Abstimmungen wollen wir jedoch für den Bericht in seiner Gesamtheit stimmen, da Reformen der Arbeit des Rates und des Ausschusses der Ständigen Vertreter im Hinblick auf die Transparenz höchste Priorität haben und wir den Rat durch Druck zu einer Änderung seiner Geschäftsordnung bewegen wollen. Wir sind jedoch vollkommen gegen die Art und Weise, in der die Mehrheit des Europäischen Parlaments sich im Kontext dieser wichtige Transparenzfrage in die Debatte über die Zukunft des Verfassungsvertrags einmischt.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Dieser Bericht ist das Ergebnis der Untersuchung der Öffentlichkeit des Rates durch den Bürgerbeauftragten des Europäischen Parlaments. Der Bürgerbeauftragte des Europäischen Parlaments ist der Ansicht, dass die Tagungen des Rates, wenn er in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber zusammentritt, nicht öffentlich sind und die Weigerung des Rates, diese Tagungen öffentlich abzuhalten, einen Missstand darstellen.
Dieser aktuelle Bericht baut auf der Forderung des britischen Ratsvorsitzes nach mehr Transparenz auf. Ferner untermauern öffentliche Umfragen und Erklärungen von NRO, der Zivilgesellschaft und der akademischen Welt den Wunsch der Bürger nach mehr Rechenschaftspflicht ihrer Regierungen im Hinblick auf EU-Themen.
Auch ich halte es für unvertretbar, dass ein bedeutsames Gesetzgebungsorgan der EU nach wie vor hinter verschlossenen Türen tagt, wenn es als Gesetzgeber handelt, insbesondere in einer Zeit, da die EU sich selbst als Förderin der Demokratisierung und Rechenschaftspflicht sieht. Deshalb befürworte ich die Forderung, dass öffentliche Tagungen des Rates über Rundfunk, Fernsehen und Internet übertragen werden und dass offizielle Niederschriften der Legislativtagungen herausgegeben werden sollten.
Die erbetenen Änderungen der Geschäftsordnung des Rates sollten als längst überfällige Anpassung an die europäische Realität und institutionelle Gleichstellung in der Rechtsetzung betrachtet werden.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Ich beglückwünsche meinen Fraktionskollegen Herrn Hammerstein Mintz von ganzem Herzen zu diesem überaus bedeutsamen Bericht, der zum Kern zahlreicher Probleme vordringt, mit denen sich die EU in der Gegenwart konfrontiert sieht. In Schottland, woher ich komme, sind wie in so vielen anderen Ländern der Mangel an Transparenz und das Gefühl, die EU sei irgendwie nicht rechenschaftspflichtig, die Ursache für einen Großteil der Unklarheiten im Zusammenhang mit der EU. Meines Erachtens ist all dies darauf zurückzuführen, dass der Ministerrat seine Tagungen hinter verschlossenen Türen abhält, noch dazu oftmals zu nachtschlafender Zeit.
Für eine Organisation, die sich das Prinzip der Offenheit auf die Fahnen geschrieben hat, ist davon in der Praxis – mit Ausnahme dieses Hauses – recht wenig zu spüren, und durch Öffnen seiner Türen könnte der Rat einen maßgeblichen Beitrag zur Information der europäischen Bürger darüber leisten, was in ihrem Namen getan wird. Dieser Bericht ist erst der Anfang dieses Prozesses, und wir dürfen in unserem Bemühen in dieser entscheidenden Frage nicht nachlassen.
Sérgio Marques (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich möchte Herrn Cashman zu seinem wichtigen Bericht mit Empfehlungen an die Kommission über den Zugang zu den Dokumenten der Organe beglückwünschen. Der Bericht findet meine Unterstützung. Ich begrüße insbesondere die Notwendigkeit, dass die Kommission dem Parlament 2006 einen Legislativvorschlag über „über das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission sowie die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen des Zugangsrechts“ unterbreiten soll. Dieser Vorschlag muss in interinstitutionellen Gesprächen erarbeitet werden und detaillierte Empfehlungen enthalten.
Darüber hinaus teilen wir die Auffassung, dass die neuen Regelungen über den Zugang zu Dokumenten ab dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der geänderten Verordnung gelten sollten, ohne rückwirkend gültig zu werden.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Mit der Ratifizierung des Vertrags von Amsterdam und dem In-Kraft-Treten von Artikel 255 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist die Transparenz zu einem grundlegenden Prinzip der Europäischen Union geworden, das vor allem dazu dienen soll, die demokratische Natur der europäischen Organe zu stärken.
Dieser Bericht fordert die Kommission auf, einen Legislativvorschlag über das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission zu unterbreiten. Mit dieser Aufforderung soll dem Grundsatz der Subsidiarität, den Grundrechten der Bürger, der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, insbesondere derjenigen zu Artikel 8, und den Artikeln 7 und 8 der Charta der Grundrechte Rechnung getragen werden.
Dieser Bericht hat meine uneingeschränkte Unterstützung, da ich die Ansicht vertrete, dass die EU ihren Bürgern gegenüber nicht nur zu größtmöglicher Offenheit und Transparenz verpflichtet ist, sondern sie sollte den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Beitrittsstaaten und Kandidatenländer Vorbild sein und mit gutem Beispiel vorangehen.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Ich beglückwünsche Herrn Cashman zu diesem Bericht, den ich heute gern befürwortet habe. Dieses Haus hat sich oft mit den Problemen beschäftigt, die viele Abgeordnete in Bezug auf Zugang zu Dokumenten haben, und es ist an der Zeit, dass wir dieses Problem hier thematisieren. Ich kann nur hoffen, dass die Ziele dieses Berichts bald in die Tat umgesetzt werden.
Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident! Die EU steht auf WTO-Ebene in mehreren Bereichen unter Druck. Einerseits werden wir, um das Ziel der Bekämpfung der Armut in den ärmsten Ländern zu verwirklichen, gewisse Änderungen hinnehmen müssen, andererseits dürfen wir keine zu hohen einseitigen Konzessionen machen. Gerade die AKP-Länder laufen Gefahr, sich in der Forderung nach Tarifsenkungen ins eigene Fleisch zu schneiden. Dies kann jedoch nicht Sinn und Zweck der Verhandlungen sein, weshalb ich auch gegen diesen Bericht gestimmt habe.
Gleichzeitig müssen wir die drohende Aufhebung des Einfuhrverbots gentechnisch veränderten Materials verhindern. Hier bietet sich der Europäischen Union die Gelegenheit, auf internationalem Parkett als starke Gemeinschaft aufzutreten. Schlussendlich benötigen wir auch eine rasche Lösung des chinesischen Zolltarifproblems für Kfz-Bauteile und -Komponenten. Ansonsten werden wohl auch die letzten Autoproduzenten endgültig aus Europa in Richtung China abwandern.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den ausgezeichneten Bericht meines Kollegen und Freundes Georgios Papastamkos zur Bewertung der Doha-Runde im Anschluss an die WTO-Ministerkonferenz von Hongkong im Dezember 2005 gestimmt, denn ich denke, insbesondere die westlichen Volkswirtschaften müssen das Entwicklungsprogramm von Doha unterstützen, das einen offenen und fairen Handel vorsieht, der zur Verminderung der Armut in der Welt führen soll, weil er Fortschritte sowohl in den Entwicklungsländern wie auch den entwickelten Ländern fördert. Würden wir dies nicht tun, hätten wir einen hohen politischen Preis zu zahlen, insbesondere durch das Anwachsen des Extremismus. Ich begrüße, dass in diesen Verhandlungen anerkannt wurde, dass der Multilateralismus sowie der internationale Handel die Fähigkeit besitzen, die Wertschöpfung und somit den sozialen Fortschritt zu befördern. Jeder wird feststellen können, welch nutzbringende Rolle eine starke und geschlossene politische Europäische Union in diesem weltweiten Kampf spielen kann zu einer Zeit, da das nationale Selbstinteresse angesichts geschwächter internationaler Institutionen immer größer wird.
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. – (FR) Die WHO versucht heute, Lösungen für Probleme zu finden, die es ohne sie niemals gegeben hätte oder die aus ihrem Bestreben resultieren, den weltweiten Freihandel mit aller Gewalt und ohne Rücksicht auf die Nachteile für die Bevölkerung durchzusetzen, wie z. B. Dumping aller Art, Produktfälschungen, Behinderung des Marktzugangs in den meisten Ländern außer denen der Europäischen Union, transparente (in Europa) und verschleierte Beihilfen (in allen anderen Ländern, insbesondere den USA), die den Wettbewerb verzerren, usw. Der Weltmarkt ist ein Dschungel, in dem die Schwächsten und die Ärmsten die ersten Opfer sind, während die einzige Region, die die Spielregeln einhält, nämlich Europa, ein Kollateralopfer ist. Um die Entwicklung der am wenigsten fortgeschrittenen Länder zu sichern, dürfen sie nicht in das WTO-System einbezogen werden, sondern müssen vor diesem geschützt werden.
Wie einige Nobelpreisträger in Ökonomie sind wir der Meinung, dass es Freihandel zum Nutzen aller nur zwischen Ländern mit gleichem Entwicklungsniveau geben kann, während der Handel mit den anderen reglementiert sein muss, was im Übrigen günstige Handelsbestimmungen für Entwicklungsländer nicht ausschließt. Auf diese Weise wäre es auch nicht erforderlich, in jeder so gebildeten „Zone“ eine in den Händen einer supranationalen Bürokratie konzentrierte gemeinsame Handelspolitik zu betreiben. Kurz gesagt, Freihandel ist kein Selbstzweck.
Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Dieser Initiativbericht beleuchtet die Doppelmoral der EU in der internationalen Handelspolitik. Mit begeisterten Worten wird darüber geredet, dass die Schwellenländer ihre Märkte gegenüber europäischen Unternehmen öffnen müssen. Gleichzeitig spricht der Berichterstatter vom „multifunktionalen Charakter“ der europäischen Landwirtschaft, der nicht „in Frage gestellt werden“ dürfe.
Wir glauben daran, dass der freie Handel langfristig zu einer besseren Welt führt. Allerdings muss dem Entwicklungsstand der einzelnen Länder Rechnung getragen werden. Wenn der Handel zu Beginn des Entwicklungsprozesses zur Armutsminderung beitragen soll, dann muss die EU ihre Handelspolitik ändern, indem sie die Agrarbeihilfen abschafft und armen Ländern einen Wettbewerb zu vernünftigen Bedingungen gestattet.
Da der Bericht größtenteils negative Formulierungen enthält, haben wir ihn bei der heutigen Abstimmung abgelehnt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Mit dieser Entschließung versucht die Mehrheit im Parlament, den Weg für die Liberalisierung des internationalen Handels – im Agrarsektor, für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse und Dienstleistungen – in den laufenden WTO-Verhandlungen, die bis Ende 2006 abgeschlossen werden sollen, zu ebnen.
Die Folgen der zunehmenden Liberalisierung des Handelsverkehrs wären – sobald die gegenwärtigen Widersprüche gelöst bzw. die von einigen der so genannten Entwicklungsländer bis jetzt verteidigten Positionen aufgeweicht sind – für die Arbeitnehmer und die Völker im Allgemeinen extrem negativ.
Nehmen wir beispielsweise die Dienstleistungen: Bis zum 28. Februar mussten die EU bzw. die USA Liberalisierungsanträge in den folgenden Bereichen stellen: Verkehr (Luft- und Seeverkehr), audiovisueller Bereich und Kultur, Informatik, Baugewerbe, Bildung, Energie, Umwelt, Telekommunikation, Vertrieb, Architektur sowie Post-, Finanz- und juristische Dienstleistungen.
Das bedeutet, dass in diesen Sektoren versucht wird, Beschränkungen für ausländische Investitionen, grenzüberschreitende Niederlassungen und Dienstleistungen, Auflagen in Bezug auf die Staatsangehörigkeit und Wettbewerbsbeschränkungen abzuschaffen.
Mit anderen Worten, es wird versucht, Mechanismen abzuschaffen, die für die wirtschaftlich weniger (oder mehr) entwickelten Länder von grundlegender Bedeutung sind, da sie ihnen ermöglichen, ihre Entwicklung zu sichern und die Bedürfnisse ihrer Menschen zu befriedigen. Das wird den großen Wirtschafts- und Finanzkonzernen in der EU und den USA in ihrer ausbeutungssüchtigen und unmenschlichen Gier gefallen.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Dieser Bericht über das Ergebnis der WTO-Tagung in Hongkong ist hochaktuell, da sich die Verhandlungen derzeit in der Schwebe befinden. Mit unserer heutigen Abstimmung senden wir ein deutliches politisches Signal an die Verhandlungspartner einschließlich der EU, um sie zu veranlassen, ihrer Verpflichtung in Bezug auf einen erfolgreichen Abschluss dieser auf die ärmsten Länder ausgerichteten Runde gemäß der Vereinbarung von Doha nachzukommen.
Als Sprecher der Labour Party für internationalen Handel habe ich im Ausschuss eine Reihe von Änderungsanträgen zu diesem Bericht eingebracht. Ich habe damals wie auch jetzt dazu aufgerufen, grundlegende öffentliche Dienste (einschließlich Wasser) von der Liberalisierung auszunehmen. Im Abschnitt über den Marktzugang für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse (NAMA) habe ich zu Flexibilität in Bezug auf die Anzahl und den Umfang von Koeffizienten aufgefordert, die für die Festsetzung von Zollsenkungen benutzt werden, um den Entwicklungsländern bei der Wahl ihres Liberalisierungstempos genügend politischen Spielraum zu lassen. Ich habe heute für einen ähnlichen Änderungsantrag gestimmt.
Ich teile zwar die Einschätzung der Kommission, dass die Verhandlungen im Sektor Landwirtschaft parallel zu den Verhandlungen in anderen Sektoren durchgeführt werden sollten, aber ich war nicht in der Lage, für die Forderung einiger Kollegen zu stimmen, das derzeitige Angebot an bestimmte Bedingungen zu knüpfen oder gegebenenfalls sogar zurückzuziehen. Meines Erachtens sollte das derzeitige Angebot zumindest aufrechterhalten werden.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Der Bericht Papastamkos über die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong gibt Anlass zu zwei Anmerkungen. Erstens dürfte es nicht schwierig sein zu begreifen, dass der internationale Handel ein riesiges Potenzial darstellt, um Entwicklung und Wohlstand zu fördern. Einerseits ist das Niveau der Abhängigkeit und der Zusammenarbeit zwischen den Staaten umso höher, je mehr Handelsvorgänge es gibt. Andererseits ist der Wirtschaftsaufschwung der einzelnen Länder umso größer, je intensiver der internationale Handel ist, und damit wird nicht nur ein Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen geleistet, sondern auch zu einer sicheren Welt.
Zweitens muss zwangsläufig gefolgert werden, dass derjenige, der eine Welt mit mehr Handel und fairerem Handel sowie umfassenderer Achtung der Regeln anstrebt, enttäuscht vom Gipfel zurückkehren wird. Das Jahr 2006 geht ins Land, und wir entfernen uns immer weiter von dem Ziel, die im Jahr 2001 eingeleitete Runde Ende dieses Jahres erfolgreich abzuschließen. Soll das Ziel dennoch erreicht werden, müssen wir zu einer Einigung auf die Vorteile des freien Handels sowie über die Regeln, die dieser freie Handel unterliegen muss, gelangen.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Dieser Bericht wurde so stark abgeändert, dass ich ihn nicht befürworten konnte, obwohl ich einigen Punkten zustimme. Die Ziele der Kampagne „Make Poverty History“ und der Demonstration, die letzten Sommer in Edinburgh stattfand, wurden so eindeutig verfehlt, dass man hier leider von einer verpassten Gelegenheit sprechen muss. Wir hätten unseren Regierungen und der Europäischen Kommission heute eine lautere und deutlichere Botschaft übermitteln können. Stattdessen haben wir praktisch den Status quo bestätigt, an dessen Fortbestand mir absolut nichts liegt.
Marc Tarabella (PSE), schriftlich. – (FR) Ich möchte darlegen, warum ich bei der Schlussabstimmung letztendlich gegen den Bericht gestimmt habe.
Der Grund dafür ist, dass der Änderungsantrag 22, der eine Verurteilung der Forderung der Kommission nach Liberalisierung der Dienstleistungen in der EU und anderswo ohne entsprechende Flankierung durch eine angemessene Sozial- und Umweltgesetzgebung enthielt, abgelehnt wurde.
Ich bin voll und ganz damit einverstanden, dass kein Land gezwungen werden darf, irgendeinen Dienstleistungssektor zu liberalisieren, und dass Sektoren wie die Wasserversorgung, das Bildungswesen und insbesondere die audiovisuellen Dienste von der Liberalisierung ausgenommen werden müssen.
Dieser Teil des Änderungsantrags ist mit 291 Stimmen dafür, 299 Gegenstimmen und 20 Enthaltungen knapp abgelehnt worden. Aus diesem Grund wollte ich bei der Schlussabstimmung kein positives Votum abgeben.
Georgios Toussas (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Kommunistische Partei Griechenlands hat gegen den Bericht über die Bewertung der Doha-Runde gestimmt, da er sich in dem reaktionären und volksfeindlichen Rahmen der WTO-Ministerkonferenz von Hongkong bewegt und er die extravaganten Forderungen des Europa zwangsvereinigenden Kapitals, die in glänzender Zusammenarbeit mit den USA festgelegt und propagiert wurden, bekräftigt. Das Ziel, das die EU und die USA in den laufenden Verhandlungen verfolgen, besteht darin, die Völker und die nationalen Reichtümer der entwickelten kapitalistischen Länder und vor allem der Entwicklungs- und schwächer entwickelten Länder in noch stärkerem Maße auszubeuten.
Die EU und die USA treiben gemeinsam mit den anderen imperialistischen Mächten die selektive Öffnung der Märkte sowie die Abschaffung der Beihilfen für Agrarerzeugnisse zu Lasten der kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe voran, um dem Monopolkapital die Möglichkeit zu geben, in die Märkte der Entwicklungs- und der schwächer entwickelten Länder einzudringen und somit die volle Kontrolle über die Industrieprodukte zu erlangen sowie Dienstleistungen anzubieten und Wasser, Energie usw. in räuberischer Weise auszubeuten, mit dem Ziel, seine Profite zu maximieren.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den ausgezeichneten Bericht meines Kollegen José Manuel Garcia-Margallo y Marfil über die Lage der europäischen Wirtschaft: Vorbereitender Bericht über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik für 2006 gestimmt, in dem die notwendigen Bedingungen für ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum herausgestellt werden.
Dieser Bericht ist wesentlich, um richtig zu verstehen, warum Europa insbesondere zu den entwickelten Weltregionen gehört, in denen das Wachstum am schwächsten ist. Die gegenwärtige Lage geht zu einem großen Teil zurück auf das Regelungsübermaß, das unsere Wirtschaft weniger flexibel macht, auf die Tatsache, dass wir nicht genug Weltklasseunternehmen haben, dass unsere Klein- und Mittelbetriebe sich weniger rasch entwickeln als in den USA, auf die zu geringe Beschäftigungsrate und die zu kurze durchschnittliche Arbeitszeit sowie auf die Schwäche der Investitionen in den Bereichen berufliche Bildung, Forschung und Entwicklung.
Angesichts des weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Wettbewerbs, mit dem Europa konfrontiert ist, ist es dringend erforderlich, dass die Mitgliedstaaten auf der Grundlage nationaler Reformpläne gemeinsam mit der Europäischen Union die Bedingungen für die erfolgreiche Verwirklichung der Ziele von Lissabon schaffen, um Europa zum leistungsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Nun haben wir einen weiteren Bericht über die wirtschaftliche Situation, eine weitere Bekräftigung falscher Ansätze und altbekannte Lösungsvorschläge vor uns. Die wirtschaftliche und soziale Situation ist nach wie vor prekär, mit wachsenden Ungleichheiten, mit inakzeptablen Armuts- und Arbeitslosenquoten, während das Wirtschaftswachstum weiterhin schleppend und bescheiden ausfällt.
Wir sind Zeugen einer Entwicklung, in der der finanzielle Aspekt die Vorherrschaft über die reale Wirtschaft erlangt, so dass der Schwerpunkt darauf verlegt wird, Vertrauen durch eine strikte Anwendung der Geldpolitik seitens der EZB und durch den Stabilitätspakt zu schaffen, sowie darauf, die Steuern für die Unternehmen zu senken. Das sind Positionen des Liberalismus in Reinkultur, die wir nur ablehnen können.
Was ist im Namen der Globalisierung geschehen? Die Rechte der Arbeitnehmer und die soziale Sicherheit werden untergraben, die Arbeitsmärkte werden (mit dem magischen Begriff von der „Flexicurity“, von dem der CPE – der Arbeitsvertrag für Berufseinsteiger – in Frankreich das erste Beispiel ist) flexibler gestaltet, die Anhebung des tatsächlichen und des offiziellen Renteneintrittsalters wird propagiert, die Liberalisierung des Energiesektors gefördert, und es wird zur Liberalisierung der Dienstleistungen aufgerufen, was zur Deregulierung im Bereich des Arbeitsrechts und zum Sozial- und Umweltdumping beiträgt.
All das klingt wie Musik in den Ohren der Wirtschafts- und Finanzkonzerne. Wie gewöhnlich müssen die Arbeitnehmer und die Bedürftigsten der Gesellschaft die Lasten der Probleme tragen.
Deshalb stimmen wir dagegen.
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. – (FR) Der Bericht des Europäischen Parlaments über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik erweist sich jedes Jahr in dem der Lageeinschätzung gewidmeten Teil als eine Ansammlung von Binsenwahrheiten und in seinem Vorschlagsteil als eine Aufzählung von Empfehlungen, die die rechten und linken Abgeordneten dieses Parlaments enthusiastisch verabschieden, die die Parteien, denen sie angehören, sich jedoch hüten anzuwenden, wenn sie in ihren jeweiligen Ländern an der Macht sind.
Zusätzlich zu dieser Verlogenheit möchte ich noch drei Punkte herausstellen, die mir erstaunlich erscheinen: erstens das völlige Fehlen jeglicher Erwähnung der nicht begründeten Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank, die zur Stagnation im Eurowährungsgebiet beitragen. Zweitens betrachtet der Bericht die Europäische Union als eine völlig einheitliche Zone, deren Länder angeblich vor völlig gleichen Problemen stehen, obwohl doch die jeweiligen Situationen seit der letzten Erweiterung äußerst heterogen geworden sind. Drittens kann die Forderung nach europäischen Rechtsvorschriften, die mit denen „unserer Konkurrenten kompatibel sein sollten“, als ein nicht hinnehmbarer Aufruf zur gegenseitigen Unterbietung der Sozial- und Umweltstandards verstanden werden.
Wenn wir nicht schon der Auffassung wären, dass die gesamte Brüsseler Politik weitgehend für unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten verantwortlich ist, hätten diese drei Punkte ausgereicht, um unser ablehnendes Votum zu begründen.
Marie-Noëlle Lienemann (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe nicht für die Grundzüge der Wirtschaftspolitik gestimmt, die nur die seit mehreren Jahren von der EU verfolgten liberalen Tendenzen bekräftigen, die der Grund für die Wachstumsschwäche, die Arbeitslosigkeit, die Präkarisierung der Arbeitnehmer, den Abbau unseres Sozialschutzes sind.
Der Bericht enthält keine einzige Orientierung, die eine alternative Politik ermöglichen würde, wie die Stärkung der Kaufkraft; die Aufwertung der Löhne zur Wiederbelebung der Bevölkerungsnachfrage und des Wachstums; die Förderung ehrgeiziger öffentlicher Investitionen zur Modernisierung und Erhöhung der Beschäftigung; die Harmonisierung der Steuern und der Sozialstandards nach oben zur Bekämpfung des Sozialdumpings; die Schaffung einer wirklichen Wirtschaftsregierung, die der EZB Paroli bieten kann.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der EU für das Jahr 2006 umfassen sämtliche volksfeindliche Maßnahmen, die zu Preissteigerungen sowie zu größerer Ungleichheit, Armut, Unsicherheit und zu größerem Elend der Arbeiterklassen und der Volksschichten führen und dem Europa zwangsvereinigenden Kapital noch mehr Reichtum einbringen.
Dafür ist in den Nationalen Reformprogrammen gesorgt worden, und somit kann die Schlinge der in der Lissabon-Strategie verkündeten kapitalistischen Barbarei, die um den Hals des Volkes gelegt ist, schnell und präzise zugezogen werden.
Dafür werden zahlreiche Alibis herangezogen: Die Alterung der Bevölkerung dient als Alibi zur Anhebung des Rentenalters. Die Energiesicherheit muss dafür herhalten, dass der Energiesektor privatisiert und von einem gesellschaftlichen Gut in eine kommerzielle Ware verwandelt wird. Und der vom Stabilitätspakt geforderte Abbau der Defizite durch die „Einbehaltung“ öffentlicher Ausgaben zur Abdeckung der Bedürfnisse des Volkes sowie das Verhältnis zwischen Gehalt und Produktivität werden als Vorwand benutzt, um Lohn- und Rentenkürzungen vorzunehmen.
Auf der anderen Seite stehen Steuerbefreiungen und die Vereinfachung von Verfahren zur Förderung von Unternehmensgründungen, flexible Beschäftigungsformen, lebenslanges Lernen zur Anpassung an die Anforderungen des Marktes sowie staatliche Beihilfen und Forschung, die den Unternehmen und nicht der Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft dienen.
Dies ist der neuerliche Angriff der EU auf die Arbeiterklasse und die jungen Menschen, dem nur eine starke Massenbewegung begegnen kann; nur eine starke Massenbewegung kann neue Wege eröffnen, indem sie den gewaltigen Reichtum, der erzeugt wird und der seinen Schöpfern – den Arbeitnehmern – und nicht deren Ausbeutern zugute kommen muss, neu verteilt.
Claude Moraes (PSE), schriftlich. (EN) Ich habe diesen Bericht in seinem Anliegen unterstützt, die Kosten zu senken, die den ärmsten Ländern in Verbindung mit Gesundheitsfürsorge und Medikamenten entstehen. Obwohl ich die Absicht von Änderungsantrag 3, diese Kosten zu senken, unterstütze, ist dieser Änderungsantrag ungeeignet, da er eine Pauschalbegrenzung für den Patentschutz im Falle von Produkten dieses Bereichs vorsieht, die den Markt auf globaler Ebene verzerren und der weiteren Entwicklung schaden könnte.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich unterstütze die Hauptaussagen und Empfehlungen in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik für 2006. Wir leben in einer Zeit, in der im Zentrum der Debatte konkrete Beschlüsse stehen sollten, die ein für Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerb, Innovation und Wertschöpfung geeignetes wirtschaftliches Umfeld bewirken. Wir dürfen unsere Energie nicht mit zweitrangigen oder, was genauso gravierend ist, mit selbstverständlichen Fragen verschwenden.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und insbesondere ihre Spitzenpolitiker haben die Pflicht, ein für Wirtschaftsreformen günstiges politisches Klima zu fördern. Dringend erforderlich ist ein der Wahrheit verpflichteter, mutiger und ergebnisorientierter Diskurs. Haben wir den Mut, unsere Gesellschaften aufzufordern, in die Zukunft und in sich selbst zu investieren, zeigen wir uns fähig, ihnen die für diese Investition notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Vor der Zukunft muss man sich nicht unbedingt fürchten. Die meisten europäischen Regierungen fürchten sich aber offenbar. Da der vorliegende Bericht eine Herausforderung zum durchdachten Handeln mit konkreten Zielsetzungen und Vorschlägen – mit denen ich mehrheitlich übereinstimme – darstellt, unterstütze ich ihn.
Kathy Sinnott (IND/DEM), schriftlich. (EN) Ich habe gegen den Bericht García-Margallo y Marfil gestimmt, weil er in Ziffer 16 den Vorschlag der Kommission für eine einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer unterstützt. Dieser Vorschlag ebnet eindeutig den Weg zur Steuerharmonisierung, der großen, wenngleich meist unausgesprochenen Bedrohung für den irischen Wohlstand. Die Regelung zur Besteuerung von KMU im Heimatstaat lehne ich ebenfalls ab.
Diese Steuerharmonisierung befindet sich in direktem Widerspruch zu den Wünschen der irischen Bürger. Die Einführung einer einheitlichen europäischen Regelung für die Körperschaftssteuer hätte zur Folge, dass einer der wichtigsten Faktoren für die Wahrung unserer ökonomischen Unabhängigkeit und der Aufrechterhaltung unseres derzeitigen Wohlstandes verloren ginge. Meines Erachtens ist das der Anfang eines Prozesses, mit dem man Irland eine gemeinsame europäische Steuerpolitik aufzwingen will. Ich muss der irischen Regierung nahe legen, diese Entwicklung, die unsere Freiheit gefährdet, sorgfältig zu verfolgen und unsere Freiheit mit allen Kräften zu verteidigen. Aus irischen Regierungskreisen ist immer wieder zu vernehmen: Nein, es gibt keine Pläne für eine Steuerharmonisierung, und wenn es welche gäbe, würde die irische Regierung sie ablehnen.
Nun zeichnet sie sich aber bereits schemenhaft ab. Jetzt müssen Sie zeigen, was in Ihnen steckt.
Peter Skinner (PSE), schriftlich. (EN) Obwohl wir das Anliegen von Änderungsantrag 3, die Kosten zu senken, die den ärmsten Ländern in Verbindung mit Gesundheitsfürsorge und Arzneimitteln entstehen, unterstützen, ist dieser Änderungsantrag ungeeignet, da er eine Pauschalbegrenzung für den Patentschutz im Falle von Produkten dieses Bereichs vorsieht, die den Markt auf globaler Ebene verzerren und der weiteren Entwicklung potenziell schaden könnte. Diese Fragen sollten besser auf der Ebene der UNO und der WHO behandelt werden.
Die EPLP bleibt bei ihrem Standpunkt zur Frage der Körperschaftssteuer und lehnt folglich eine Neuberechnung der Bemessungsgrundlage ab. Obwohl uns zur Unterstützung von KMU, die grenzüberschreitend tätig sind, an einer besseren Koordinierung der Steuerbehörden liegt, räumen wir ein, dass diese Frage in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten verbleibt.
10. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
(Die Sitzung wird um 12.50 Uhr unterbrochen und um 15.05 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES Präsident
11. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
12. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt und Mitteilung zur Richtlinie 96/71/EG (Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen) (Aussprache)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Mitteilung der Kommission über den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt und Mitteilung zur Richtlinie 96/71/EG (Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen).
Wie alle wissen, handelt es sich hier um den geänderten Vorschlag für die so genannte „Bolkestein-Richtlinie“ nach ihrer ersten Lesung im Parlament.
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Als wir diesen Vorschlag während der Februartagung diskutierten, sagte ich, dass die Kommission ihrem abgeänderten Vorschlag den vom Parlament beschlossenen Text zugrunde legen werde. Sie werden, wie ich meine, feststellen, dass wir dieses Versprechen mit dem heute vom Kollegium verabschiedeten Text eingelöst haben. Wir haben uns bemüht, den von Ihnen zu einigen der Schlüsselartikel erzielten Konsens zu respektieren. Sie werden feststellen, dass sich die von Ihnen zu Artikel 16 – Freizügigkeit für Dienstleistungen – und Artikel 17 – Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit – beschlossenen Änderungen im abgeänderten Vorschlag wiederfinden. Wir haben sämtliche Gesundheitsdienstleistungen aus dem Geltungsbereich des Vorschlags ausgeklammert und werden in Übereinstimmung mit unserer Verpflichtung eine gesonderte Initiative zum Sektor Gesundheit starten. Der abgeänderte Vorschlag sieht außerdem die Ausklammerung der Bereiche Besteuerung, Zeitarbeitsagenturen, Sicherheitsdienstleistungen sowie des audiovisuellen Sektors vom Anwendungsbereich des Vorschlags vor.
Nicht folgen konnten wir Ihnen, was den Ausschluss von rechtsbesorgenden Dienstleistungen angeht. Nach Ansicht der Kommission ist dies nicht erforderlich, da Artikel 3 bereits vorsieht, dass bei Konfliktfällen zwischen einer speziellen Richtlinie und diesem Vorschlag die Bestimmungen der Richtlinie Vorrang haben. Außerdem haben wir den Wortlaut zur Ausübung öffentlicher Gewalt auf Artikel 45 EG-Vertrag abgestimmt.
Wir haben die Sozialdienste auf der Grundlage verschiedener diesbezüglich von Ihnen beschlossener Änderungen ausgeklammert. Ich bin sicher, Sie sind auch der Meinung, dass jede Ausnahme klar definiert werden muss, und darum haben wir uns bemüht.
Wenn wir abweichende Auslegungen in den Mitgliedstaaten vermeiden wollen, dann müssen wir für Rechtssicherheit sorgen. Im Text des geänderten Vorschlags heißt es konkret, dass der Ausschluss vom Anwendungsbereich der Richtlinie für soziale Dienstleistungen im Bereich von Sozialwohnungen, der Kinderbetreuung und der Unterstützung von bedürftigen Familien und Personen gilt, die entweder vom Staat selbst oder in seinem Auftrag erbracht werden. Die Kommission wird zudem in den nächsten Wochen eine Mitteilung über soziale Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vorlegen, die die Bedeutung widerspiegelt, welche diese Dienstleistungen für unsere Bürger haben.
Die Entscheidung, jegliche Berührung zwischen dem Vorschlag für die Dienstleistungsrichtlinie und dem Arbeitsrecht zu beseitigen, hat meines Erachtens maßgeblich zu einer positiveren Atmosphäre im Zusammenhang mit dem neuen Vorschlag beigetragen. Dadurch ist es uns gelungen, Behauptungen, die Richtlinie senke soziale Standards und bedrohe das europäische Sozialmodell, zu entkräften. Zwar war diese Wahrnehmung falsch, dennoch hielt sie sich hartnäckig und vergiftete die Debatte über diesen wichtigen Vorschlag. Der geänderte Vorschlag ist in diesem Punkt eindeutig: Das Arbeitsrecht wurde vollkommen ausgeschlossen. Das hatte unter anderem die Streichung der Artikel 24 und 25 aus dem geänderten Vorschlag zur Folge.
Wie ich aber bereits während der Aussprache im Februar sagte, wird die Kommission eine Mitteilung zu Fragen im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern vorlegen, um die es in Artikel 24 und 25 ging. Mein Kollege Vladimir Špidla wird Ihnen nachher den von der Kommission heute beschlossenen Ansatz erläutern. Ich möchte lediglich anmerken, dass diese Mitteilung ein bedeutendes Element unserer Bemühungen um eine Einigung über den Vorschlag für die Dienstleistungsrichtlinie im Rat darstellt.
Der abgeänderte Vorschlag enthält zwei weitere Punkte, auf die ich verweisen möchte. Wir haben in Artikel 3 klargestellt, dass alle spezifischen Regelungen Vorrang vor den Bestimmungen des Dienstleistungsrichtlinienvorschlags haben. Wir haben vor allem in Artikel 3 klargestellt, dass die Richtlinie nicht die Regeln des internationalen Privatrechts berührt und dass folglich der Verbraucher im Allgemeinen durch die Verbraucherschutzregeln geschützt ist, die im Verbraucherrecht seines Mitgliedstaates niedergelegt sind. Die Kommission akzeptiert ferner, dass die in Artikel 27 vorgesehene Berufshaftpflichtversicherung freiwillig und nicht obligatorisch sein sollte.
Seit der Abstimmung des Europäischen Parlaments im Februar setzt sich in der gesamten Europäischen Union die Erkenntnis durch, dass der von Ihnen erzielte Konsens den Weg für Fortschritte in der Debatte geebnet hat. Dies wurde auch von den Regierungschefs auf der Tagung des Europäischen Rates vor zwei Wochen bestätigt. Wir haben jetzt die Gelegenheit, auf diesem Konsens aufzubauen. Mir ist daran gelegen, dass die Wachstums- und Beschäftigungschancen, die aus diesem Vorschlag resultieren werden, baldmöglichst genutzt werden.
Ich werde diesen geänderten Vorschlag in wenigen Wochen dem informellen Rat „Wettbewerb“ in Graz vorlegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit aktiver Unterstützung des österreichischen Ratsvorsitzes und der Mitgliedstaaten eine reale Chance haben, im Verlaufe dieses Ratsvorsitzes signifikante Fortschritte zu erzielen.
(Beifall)
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gerade hat die Kommission eine Mitteilung angenommen, die an die Mitgliedstaaten gerichtete Hinweise und Erläuterungen zur Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen beinhaltet. Ferner enthält die Mitteilung Vorschläge, die darauf abzielen, die Mitgliedstaaten bei der praktischen Umsetzung der administrativen Zusammenarbeit, beim Zugang zu Informationen und bei der Überwachung der Einhaltung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern zu unterstützen.
Die Kommission kündigte diese Mitteilung im Februar dieses Jahres nach der Abstimmung über die Dienstleistungsrichtlinie im Europäischen Parlament an und erklärte seinerzeit, dass über eine mögliche Streichung der Artikel 24 und 25, die Bestimmungen über die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern beinhalten, im Wege der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit entschieden würde. Die Streichung dieser Artikel sollte von den Mitgliedstaaten jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie übermäßige bürokratische Hemmnisse für Unternehmen einführen oder beibehalten können, die Arbeitnehmer über nationale Grenzen hinweg entsenden. Die grenzüberschreitende Entsendung von Arbeitnehmern ist in der Richtlinie 96/71 EG geregelt, deren Zweck darin besteht, einen Ausgleich zwischen dem Recht von Unternehmen auf Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen und den Rechten von Arbeitnehmern, die vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, um dort Dienstleistungen zu erbringen, zu schaffen. Die Richtlinie ist das wichtigste Instrument zur Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs und gleichzeitig auch zur Verhinderung von Sozialdumping. In der heute von der Kommission gebilligten rechtlichen Begründung erfolgt die notwendige Klarstellung im Hinblick auf die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten anwenden können, um zu kontrollieren, ob die in der Richtlinie festgelegten Beschäftigungsbedingungen eingehalten werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs handeln und zugleich Sozialdumping verhindern.
Die Mitteilung umfasst insbesondere Erläuterungen und Hinweise zu vier Arten von Kontrollmaßnahmen: die Forderung nach Einholung von Genehmigungen; die Verpflichtung, über einen Vertreter im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu verfügen; die Pflicht, eine Erklärung abzugeben; und die Pflichten im Zusammenhang mit Unterlagen, aus denen die sozialen Bedingungen und die Beschäftigungsbedingungen ersichtlich sind. In der Mitteilung werden folgende Schlussfolgerungen gezogen: Die Forderung, über einen Vertreter im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu verfügen, wird als überzogen betrachtet, und es gilt als ausreichend, wenn einer der entsandten Arbeitnehmer – beispielsweise ein Manager – als Ansprechpartner für die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten benannt wird. Als unberechtigt wird die Forderung nach regelmäßiger vorheriger Abgabe einer Erklärung allein aufgrund der Tatsache zurückgewiesen, dass es sich um eine im Rahmen der Entsendung erbrachte Dienstleistung handelt. Die Forderung, Unterlagen aufzubewahren, wird natürlich anerkannt, sollte aber nur für absolut notwendige Dokumente gelten, die die Behörden in den Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, wirksame Unterstützungs- und Kontrollmaßnahmen durchzuführen. Sie erstreckt sich zum Beispiel nicht auf Sozialversicherungsunterlagen, denn dieser Aspekt ist in der Richtlinie 1408/71/EWG geregelt.
In den Schlussfolgerungen hieß es auch, dass die Forderung nach vorheriger Anmeldung von Tätigkeiten berechtigt ist, wobei die Anzeige spätestens am Tag der Aufnahme der Tätigkeit erfolgen muss.
Die Kommission plant einen leichteren Zugang zu Informationen über die Beschäftigungsbedingungen für Arbeitnehmer und Unternehmen und eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten. Entscheidende Bedeutung kommt auch Verbesserungen im Bereich der Ressourcen zu, die Arbeitnehmern und Unternehmen zur Verfügung stehen, um die wirksame Durchsetzung von beschäftigungsrechtlichen Regelungen zu gewährleisten. Aus einer Studie zur Anwendung der Richtlinie, die die Kommission durchgeführt hat und deren Ergebnisse dem Bericht des zuständigen Referats zu entnehmen sind, haben wir das Fazit gezogen, dass in allen Bereichen noch viel Raum für Verbesserungen bleibt; die Mitteilung enthält mehrere Vorschläge der Mitgliedstaaten zur Behebung der bestehenden Defizite. Dazu gehören die Verbesserung von Websites und sonstigen Informationsinstrumenten, die Aufstockung der Mittel für Verbindungsbüros und Aufsichtsbehörden, die Verwendung von elektronischer Systemen für den Informationsaustausch und die bessere Vernetzung der Arbeitsaufsichtsbehörden. Für ziemlich wichtig halte ich die Überlegung, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sein sollen, in die von ihnen bereitgestellten Informationen Einzelheiten zu den Pflichten aufzunehmen, die die entsendenden Unternehmen erfüllen müssen, und nicht nur allgemeine Empfehlungen zum Arbeitsrecht oder zur Rechtsordnung, die in den betreffenden Mitgliedstaat Anwendung findet.
Meine Damen und Herren! Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Entsenderichtlinie bei korrekter Anwendung als angemessenes und stabiles Instrument erweisen wird, mit dem einerseits Sozialdumping wirksam verhindert und andererseits der freie Dienstleistungsverkehr gewährleistet wird.
(Beifall)
Marianne Thyssen, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr gehrte Damen und Herren! Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten ist mit dem Gang der Dinge hinsichtlich der Dienstleistungsrichtlinie nicht ganz unzufrieden. Wir haben im November im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz den richtigen Ton getroffen, indem wir ein fundiertes und ausgewogenes Papier in Aussicht gestellt haben, und eben das wurde tatsächlich vorgelegt. Ermutigt durch die Kommission haben wir Vorschläge für tief greifende Änderungen präsentiert, die anschließend im Plenum eine breite Mehrheit fanden. Auf dem Europäischen Frühjahrsgipfel – wie wir ihn doch wohl jetzt bezeichnen dürfen – hat uns der Rat herzlich beglückwünscht, und wir vernahmen auch den Wunsch des Rates, die Arbeit an einer Dienstleistungsrichtlinie fortzuführen, die die Märkte öffnet und zugleich Raum für sozialen Schutz schafft.
Heute hat die Kommission einen detaillierten Standpunkt zu unseren Vorschlägen vorgetragen, und wir stellen fest, dass die Kommission ihr Versprechen gehalten hat und sich nach wie vor stark zu der Position des Parlaments bekennt. Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse werden darin belassen, jedoch, wie von uns vorgeschlagen, im Rahmen eines eigenen Systems. Der Anwendungsbereich ist zwar eingeschränkt, wie von uns gefordert, trotzdem möchte ich den Kommissar auffordern, noch einmal zu prüfen, wie wir diese sozialen Dienstleistungen genau definieren sollten. Die Richtlinie hat keinerlei Einfluss auf das Arbeitsrecht, und Kommissar Špidla hat soeben die zugesagten Leitlinien für die Anwendung der Entsenderichtlinie erläutert.
Erfreulicherweise bleibt der Verbraucher letztendlich ausreichend geschützt; der bürokratische Aufwand wird verringert; und die in den Artikeln 16 und 17 verankerte Dienstleistungsfreiheit ist gewährleistet. Obgleich ein anderes Verfahren der Zusammenarbeit für die Kontrolle erarbeitet wurde, zählen wir darauf, dass der Rat dafür Sorge trägt, dass dies ebenso gut funktioniert wie das von uns vorgeschlagene.
Wir wissen, dass ein ausgewogenes Ganzes möglich ist. Darauf wollen wir hinarbeiten, und wir hoffen, der österreichische Ratsvorsitz, mit dem wir stets zum Dialog bereit sind, wird uns zu einer Richtlinie führen, die den Selbstständigen, Angehörigen der freien Berufe, Dienstleistungsempfängern, Verbrauchern, Arbeitnehmern, dem Wirtschaftswachstum insgesamt zugute kommt und zahlreiche zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Wir wünschen dem Ratsvorsitz viel Erfolg und freuen uns über die letztlich positive Zusammenarbeit mit der Kommission.
(Beifall)
Evelyne Gebhardt, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kommission ist bei der Dienstleistungsrichtlinie über den Schatten gesprungen, der in der vergangenen Woche plötzlich wieder auf ihr lastete. Herr Kommissar McCreevy, lieber Charlie, als Berichterstatterin und im Namen meiner Fraktion freue ich mich, dass die Kommission ihr dem Europäischen Parlament gegebenes Wort gehalten hat und der überwältigenden Mehrheit im Plenum gefolgt ist.
Ich weiß, dass dies gestern noch eine stundenlange Arbeit der Kabinettchefs erfordert hat, aber jetzt ist das wichtigste Gesetz neben der Verfassung für Europa auf einem guten Weg. Wir können diesen Weg mitgehen, oder muss man eher sagen, die Kommission folgt dem Parlament? Festzustellen ist, dass ein entscheidender Schritt in Richtung soziales Europa gelungen ist. Und ich freue mich ganz besonders, Herr Kommissar, dass der wichtigste Zankapfel – das Herkunftslandprinzip – nun endlich vom Tisch ist. Das ist der größte Durchbruch für ein soziales Europa.
Auch freue ich mich sehr, dass Sie den Vorschlägen des Parlaments gefolgt sind, wichtige Bereiche aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie herauszunehmen, dazu gehören u. a. die Teilarbeitsfirmen, die Sicherheitsfirmen, das Glücksspiel und der gesamte Gesundheitsbereich. Ein Fragezeichen gibt es allerdings noch, was die Herausnahme der sozialen Dienste angeht. Da werden wir noch darüber diskutieren müssen, wie diese Vorstellung der Europäischen Kommission tatsächlich zu bewerten und zu interpretieren ist.
Auch freue ich mich, dass anders als zunächst befürchtet auch die sektoralen Richtlinien Vorrang vor der Dienstleistungsrichtlinie haben; das hat insbesondere bei der Entsenderichtlinie eine wichtige Rolle im Europäischen Parlament gespielt. Ich denke, wir haben insgesamt einen großen Erfolg für die Menschen, für das soziale Europa und nicht zuletzt für das Europäische Parlament erzielt. Damit haben wir bewiesen, dass wir als Europaabgeordnete unsere Rechte im Sinne der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Nun hat es der Ministerrat in der Hand. An ihm wird es liegen, wie schnell wir eine vernünftige Gesetzgebung haben werden.
(Beifall)
Toine Manders, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ich möchte dem Kommissar für seine dynamische und prompte Vorlage des Dokuments danken, an dem sehr zügig gearbeitet wurde. Die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa geht sogar so weit zu sagen, dass es einen Fortschritt gegenüber dem vom Europäischen Parlament verabschiedeten Standpunkt darstellt, und das ist positiv für die Beschäftigung in Europa. Nach Auffassung der ALDE-Fraktion ist die Schaffung von Arbeitsplätzen das beste Sozialsystem, das es gibt, besser noch als der Schutz unserer bisherigen Errungenschaften. Leider sind einige Faktoren und Branchen noch immer ausgenommen, was die Mitgliedstaaten zum Schutz ihrer eigenen Märkte ausnutzen könnten. Eben das bezeichnen wir als Protektionismus und wird möglicherweise eine Flut von Gerichtsverfahren bei dem Europäischen Gerichtshof nach sich ziehen.
Nach wie vor gibt es Containerbegriffe wie Glückspiel, audiovisueller Bereich, und die Liste ließe sich fortsetzen. Was darunter fällt, können die Mitgliedstaaten bestimmen. Wir hätten eine erheblich enger gefasste Definition und eine Abgrenzung dessen, was ausgenommen ist, bevorzugt. Bedauerlicherweise gibt es dafür im Augenblick keine Unterstützung, und es wird vielleicht noch einige Zeit dauern.
Wir hoffen, die Menschen werden zu dieser Erkenntnis gelangen. Gelegentlich kann es wie im Falle Frankreichs zu Problemen kommen, wenn man reformieren will, um unsere heutigen Errungenschaften und den Wohlstand zu sichern, nicht zuletzt für unsere Kinder. Nach wie vor versammeln sich jeden Dienstag Millionen von Menschen zu Protesten auf der Straße. Es ist ein Jammer! Politiker sind dazu da, langfristige Entscheidungen zu treffen und zuweilen ganz kurzfristig wiedergewählt zu werden. Manchmal entscheiden wir uns für Letzteres.
Auf jeden Fall sind wir der Meinung, einen Schritt in die richtige Richtung gesetzt zu haben. Wir haben den Vorschlag in der ersten Lesung unterstützt. Hoffentlich wird noch deutlich gemacht, weshalb einige Sektoren ausgenommen sind. Wie Sie beispielsweise selbst erwähnt haben, sollten die Definitionen präziser werden, damit es den Mitgliedstaaten schwerer fällt, ihren Markt vor eingehenden Dienstleistungen anderer zu schützen. Schließlich müssen die Mobilität und Dynamik der Wirtschaft im Binnenmarkt verbessert und gestärkt werden, wenn wir gegenüber anderen großen Wirtschaftsregionen in der Welt wettbewerbsfähig sein sollen. Meines Erachtens können wir auf diese Weise unseren Wohlstand halten. Ich danke Ihnen und hoffe, dass während des nächsten Rates recht zügig ein positives Ergebnis erzielt werden kann.
(Beifall)
Pierre Jonckheer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, meine Herren Kommissare! Ich denke, dass wir Grund zur Freude haben, weil die Kommission sich dem Druck des Europäischen Parlaments wie auch des Rates gebeugt hat. In der gegenwärtigen Lage der Europäischen Union halte ich dies für einen überzeugenden Beweis, dass die parlamentarische Demokratie in der Europäischen Union funktionsfähig ist und dass die Kommission durchaus den vom Europäischen Parlament verabschiedeten Änderungsvorschlägen nachkommen kann.
Das Europäische Parlament hat den ursprünglichen Vorschlag der Kommission substanziell verbessert. Trotzdem ist zu unterstreichen, dass die grundsätzlichen Einwände, die wir vorgebracht hatten und die das einstimmige negative Votum unserer Fraktion begründet hatten, nicht ausgeräumt sind. Sie betreffen im Wesentlichen zwei Punkte: den Geltungsbereich der Richtlinie sowie die ausdrückliche Einbeziehung der wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Unsere Fraktion strebt eine spezielle Richtlinie zu diesen Dienstleistungen an, denn wir befürchten, dass ihre Einbeziehung in diese Richtlinie jeglichen neuen Vorschlag der Kommission verhindert.
Der zweite Einwand betrifft den Kompromiss zu Artikel 16, der die Rechtssicherheit des Textes nicht erhöht, sondern uns in Wirklichkeit wieder von der Rechtsprechung des Gerichtshofes abhängig macht, wobei dieser – im Gegensatz zu dem Wunsch der Kommission und des Parlaments – fallweise entscheiden muss. Jetzt ist der Rat am Zug, der seinen Gemeinsamen Standpunkt erarbeiten muss. In diesem Zusammenhang appelliert die Grünenfraktion einhellig an den Rat, den Text abzuändern und zu verbessern, insbesondere in den beiden von mir soeben angesprochenen Punkten.
Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, meine Herren Kommissare! In jeder Auseinandersetzung ist es angebracht, jede Etappe richtig zu bewerten. Man darf die erzielten Pluspunkte weder unterschätzen, denn sonst verfällt man in Defätismus, noch darf man das, was man für erreicht hält, überschätzen, denn dann kann man herbe Enttäuschungen erleben.
Wie stehen wir diesbezüglich im Falle des Entwurfs der so genannten „Bolkestein-Richtlinie“? Die in erster Lesung des Parlaments von den Gegnern des ursprünglichen Textes erzielten Punkte sind unbestreitbar. Die Streichung des Herkunftslandsprinzips und die Anpassung der effektiven Anwendung der Richtlinie sind die symbolträchtigsten Niederlagen, die die Fanatiker eines liberalen Europas hinnehmen mussten. Die Herausnahme einer Reihe von Sektoren aus dem Geltungsbereich der Richtlinie und die Gewährung einer, wenn auch begrenzten, bedingten und schwer umsetzbaren Kontrollbefugnis an den Aufnahmemitgliedstaat sind ebenfalls nicht zu unterschätzende Faktoren. Des Weiteren bedeutet der Ausschluss des Arbeitsrechts, dass das gegenwärtig geltende Recht anwendbar bleibt.
Wir werden den neuen Text der Kommission mit der Lupe prüfen. Sollte sich herausstellen, dass sie versucht, einen Teil der Zugeständnisse, die sie machten musste, wieder rückgängig zu machen, indem sie sich insbesondere das Recht auf eine A-priori-Kontrolle selbst zugesteht, dann wäre das ein unserer Meinung nach inakzeptabler Anspruch. Wenn sich hingegen erweisen sollte, dass die Kommission die Forderungen des Parlaments in ihre Neufassung des Richtlinienentwurfs aufgenommen hat, wäre dies ein erneutes Anzeichen für den wachsenden Einfluss unseres Hohen Hauses in dem europäischen institutionellen Dreieck sowie ebenfalls und vielleicht vor allem die Bestätigung des strukturierenden Effektes des plötzlichen Eingreifens der Bürger in die europäische Debatte, insbesondere seit jenem 29. Mai 2005. Dies zeigt, dass unsere Fraktion keinerlei Neigung aufweist, diese Entwicklungen zu missbilligen.
Doch davon abgesehen, führt das bisher erreichte Ergebnis denn in jedem Fall dazu, die Eskalation der Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern zu stoppen, gegen die sich unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen in immer größerer Anzahl mobilisieren? Das ist die wahre Frage, auf die unsere Antwort nein lautet.
Denn abgesehen von den angeführten Ausnahmen verstärkt die abgeänderte Richtlinie die Bestimmungen, die ein Integrationsmodell einführen, das nicht mehr auf der Harmonisierung der Rechtsvorschriften, sondern auf der Freiheit des Marktes beruht. Die gegenwärtigen Umstände und die Haupttendenzen des gemeinschaftlichen Besitzstandes würden in dieser Hinsicht verstärkte Aufmerksamkeit verdienen, insbesondere zu einer Zeit der Erweiterung der Union um Länder mit verlockenden Sozialstandards für Wirtschafts- und politische Führer, die besessen von der Senkung der Kosten und der Beseitigung der „Hindernisse für die Wettbewerbsfähigkeit“ in der berühmt-berüchtigten offenen Marktwirtschaft mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb sind.
Zu welcher Art von Abkehr von dieser repressiven Logik sind wir bereit? Zum Zeitpunkt der großen Debatte über die Zukunft der Europäischen Union ist dies eine zentrale Frage. Ich schlage vor, mit der Diskussion darüber zu beginnen, insbesondere im linken Lager.
Adam Jerzy Bielan, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, meine Herren Kommissare! Ich muss einfach der enormen Enttäuschung Ausdruck verleihen, die ich heute nach der Vorstellung der Mitteilung der Kommission empfunden habe. Der geänderte Text der Dienstleistungsrichtlinie ist nicht präzise genug und enthält an vielen Stellen schwammige Formulierungen. Die Länder, die gegen einen freien Dienstleistungsmarkt sind, werden diese Schwachstellen mit Sicherheit ausnutzen.
Herr Kommissar McCreevy! Während der Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz vor zwei Wochen haben Sie sinngemäß gesagt, dass das Exzellente dem Guten nicht im Wege stehen darf. Das trifft den Nagel auf den Kopf, aber glauben Sie allen Ernstes, dass dieser Entwurf, in den die Ergebnisse von zwei Jahren Arbeit an der Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts in der Europäischen Union eingeflossen sind, wirklich gut ist? Meinen Sie, dass die Richtlinie in der jetzt vorliegenden Form die richtige Antwort auf die Erwartungen der europäischen Wirtschaft zu einem Zeitpunkt ist, da der globale Wettbewerb stetig intensiver wird?
Ich habe Probleme, die Haltung der Regierungen bestimmter Mitgliedstaaten der alten EU-15 zu begreifen. Sie verfolgen eine kurzsichtige und eigennützige Politik und verhindern den Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union. Was die von der Europäischen Kommission an den Tag gelegte Untätigkeit und merkwürdige Gleichgültigkeit anbelangt, kann ich mir einfach keinen Reim darauf machen. Von der Kommission wird erwartet, dass sie sich zuallererst von den Interessen der Europäischen Union in ihren Gesamtheit leiten lässt. Es wird erwartet, dass sie sich zumindest für die Erreichung der in der Lissabon-Strategie verankerten Ziele einsetzt.
Vor zwei Monaten hat das Europäische Parlament den Richtlinienentwurf vom Kopf auf die Füße gestellt, wie Frau Gebhardt seinerzeit treffend feststellte. Dies war das Resultat eines äußerst unglücklichen Kompromisses zwischen den beiden größten Fraktionen in diesem Haus. Gleichwohl versicherte die Kommission den Befürwortern eines freien Marktes für Dienstleistungen zum damaligen Zeitpunkt, dass andere Regelungen gefunden würden, um einen Ausgleich für die Streichung der liberalen Bestimmungen aus dem Entwurf zu schaffen. Mir geht es vor allem um die Artikel 24 und 25, die die Abschaffung von Hindernissen vorsahen, mit denen sich entsandte Arbeitnehmer konfrontiert sehen.
Jetzt steht fest, dass die Kommission diese Versprechen nicht gehalten hat. Wie man es auch dreht und wendet, das erarbeitete Dokument zur Entsendung von Arbeitnehmern ist einfach nur eine Bestandsaufnahme der bestehenden Hindernisse. Es enthält keinerlei Vorschläge zu Sanktionen gegen Länder, die entsandten Arbeitnehmern Steine in den Weg legen. Die Kommission ist aber verpflichtet, eine andere Gangart gegenüber Ländern einzulegen, die in eklatanter Weise gegen die Gemeinschaftsvorschriften zur Freiheit der Erbringung von Dienstleistungen verstoßen.
Zum Schluss möchte ich Ihnen, meine Herren Kommissare, durchschlagenden Erfolg bei der Schaffung eines freien Marktes innerhalb der Europäischen Union wünschen. Sie wie auch die gesamte Union sind darauf angewiesen, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen, aber das setzt mehr Mut und Entschlossenheit aufseiten der Kommission voraus.
Fernand Le Rachinel (NI). – (FR) Herr Präsident! Der Rat und die Kommission haben das Abstimmungsergebnis zum Bericht Gebhardt über die Dienstleistungsrichtlinie zur Kenntnis genommen, was wir nur begrüßen können. Da wir endlich einmal in der Mehrheit sind, werden wir unsere Freude darüber nicht verbergen. Wir haben weitgehend dazu beigetragen, die umstrittensten Elemente aus der Dienstleistungsrichtlinie zu entfernen, angefangen von dem berüchtigten Herkunftslandprinzip. Allerdings verbleiben noch einige Problembereiche, insbesondere was die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrifft. Es ist jetzt an dem Rat, sie in Übereinstimmung mit dem Parlament zu lösen.
Im Moment droht Gefahr von anderer Stelle. Denn die Kommission beabsichtigt, die Entsenderichtlinie in einem liberaleren Geist zu revidieren, was die legislative Arbeit des Europäischen Parlaments teilweise zunichte machen könnte.
Des Weiteren verurteilen wir mit äußerster Schärfe die Entscheidung der Kommission, Frankreich zu belangen, weil es für elf sensible und strategische Bereiche, insbesondere mit verteidigungspolitischem Bezug, ein Dekret zur Abwehr von Übernahmeangeboten erlassen hat. Die Kommission zieht es vor, gegen das eigene Lager zu spielen, anstatt die wohlverstandenen Interessen Europas in der WTO und auf den Weltmärkten zu verteidigen. Es obliegt daher den Staaten, diese institutionelle und politische Anomalie zu korrigieren.
Malcolm Harbour (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich Kommissar McCreevy dafür danken, dass er die uns gegebene Zusage in vollem Umfang eingelöst hat. Er sagte, dass die Kommission, wenn wir einen ausgewogenen Vorschlag vorlegen, der die große Mehrheit des Parlaments hat, diesen ausgreifen und als abgeänderten Text vorlegen werde. Das hat er im Wesentlichen getan, wie viele Kollegen feststellten. Das unterstütze ich voll und ganz. Es war ein Kompromiss. Ich gebe zu, dass mir eine liberalere Richtlinie lieber gewesen wäre, trotzdem ist es aber so, dass der vorliegende Vorschlag einen großen Fortschritt für den Binnenmarkt darstellt.
Herr Kommissar, ich möchte Sie nachdrücklich bitten, dass Sie sich ab jetzt an die Spitze derer stellen, die sich für diese Richtlinie einsetzen. Wir wollen, dass Sie Überzeugungsarbeit leisten und alle Beteiligten für dieses Paket gewinnen. Sie haben in Ihrem Beitrag nicht erwähnt, dass diese Richtlinie einhundert verschiedene an die Mitgliedstaaten gerichtete Maßnahmen enthält, damit diese Hindernisse für Dienstleistungsunternehmen abbauen, die Bürokratie verringern, die Verwaltung vereinfachen und mehr Informationen bereitstellen. Mein Kollege aus Polen hat das bei seinen Ausführungen eben wohl völlig außer Acht gelassen.
Als zentrale Klausel haben wir zudem die von dieser Seite des Hauses vorgeschlagene Dienstleistungsfreiheit. Ich bin felsenfest davon überzeugt, und Sie werden mir da sicher Recht geben, dass die Formulierung die Regeln, nach denen Dienstleistungserbringer in ihren Mitgliedstaaten tätig sind, uneingeschränkt respektiert – wie es in der Richtlinie heißt. Das ist ein großer Fortschritt, aber es ist wichtig, dass Sie sich in der Öffentlichkeit ganz konsequent für diese Richtlinie einsetzen. Bitte verstehen Sie das als die erste Botschaft, denn wir müssen die Herzen und Hirne der Menschen da draußen gewinnen, die meinen, wir hätten einen verwässerten und abgeschwächten Rechtsakt auf den Weg gebracht. Wer ihn liest, wird feststellen, dass davon keine Rede sein kann.
Ich möchte abschließend Kommissar Špidla herzlich danken, denn wir hatten um eine Erklärung zur Entsenderichtlinie als Teil des Kompromisses im Zusammenhang mit der Streichung von Artikel 24 und 25 gebeten, und die haben wir von ihm bekommen. Meines Erachtens könnte man weitergehen, aber ich freue mich, dass hier eine Verbindung gelungen ist, die eine der Schlüsselforderungen von dieser Seite des Hauses darstellte.
(Beifall)
Anne Van Lancker (PSE). – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Auch ich möchte der Kommission meinen Dank aussprechen, die dem Standpunkt des Parlaments so weit wie möglich treu geblieben ist. Ich muss sagen, Herr Kommissar, dass mir die ziemlich eng gefasste Definition für soziale Dienstleistungen einigermaßen Sorge bereitet, und ich wünsche mir, dass Parlament und Rat noch einmal über eine bessere Definition nachdenken.
Gleichwohl bin ich hocherfreut, dass die Kommission die Sozialklauseln des Parlaments hinsichtlich der Einhaltung der Arbeits- und Sozialgesetzgebung und der Tarifverträge übernommen hat und auch, Herr Kommissar, dass die Dienstleistungsrichtlinie der Entsenderichtlinie Vorrang einräumt und voll und ganz darauf Rücksicht nimmt. Ihnen, Kommissar Špidla, muss ich allerdings sagen, dass ich mit dem Inhalt der Mitteilung zur Entsendung nicht ganz glücklich bin, und daher möchte ich darauf drängen, dass diese Mitteilung den Sozialpartnern und dem Parlament zur Stellungnahme vorgelegt wird.
Obgleich ich es begrüße, dass die administrative Belastung und die Einschränkungen, die die Mitgliedstaaten auferlegen und die der Europäische Gerichtshof wiederholt verurteilt hat, beseitigt werden, drängt sich mir der Eindruck auf, dass die Verbotsbestimmungen in der Mitteilung weit über die Rechtsprechung hinausgehen. Beispielsweise die Ansicht, die Ernennung eines Vertreters unter den entsendeten Arbeitnehmern reiche aus, kommt einer Leugnung der Verhandlungspraxis in den skandinavischen Ländern gleich. Außerdem besteht mit dem Verbot vorheriger Zulassungen oder Registrierungen die Gefahr, dass das Genehmigungssystem beispielsweise im Kontext der Leiharbeit ausgehöhlt wird. Das bedarf daher einer genaueren Prüfung.
Trotzdem mein Kompliment zu dem gelungenen Start, der bei der Verbesserung der Kontrollen in der Praxis hingelegt wurde. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Unternehmen und Arbeitnehmer besser als bisher über die Beschäftigungsbedingungen im Rahmen der Entsendung informiert werden und dass die Verbindungsbüros effektiver arbeiten. Ich befürworte auch uneingeschränkt den Gedanken von einer besseren Ausstattung der Arbeitsaufsicht und ihrer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Das hat das Parlament wiederholt gefordert. Nur dann ist meiner Überzeugung nach hinreichend gewährleistet, dass ein gut funktionierender Binnenmarkt für Dienstleistungen geschaffen wird und zugleich die sozialen Spielregeln genau befolgt werden.
(Beifall)
Nathalie Griesbeck (ALDE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Unserer Meinung nach muss der endgültige Text, zu dem wir kommen müssen, unbedingt in allen Punkten die Ausgewogenheit aufweisen, die die Mitglieder unseres Parlaments erreicht haben. Wenn eine Richtlinie über den freien Dienstleistungsverkehr angenommen werden muss, dann weil dies einer tatsächlichen Notwendigkeit entspricht, aber nicht um jeden Preis. Der ursprüngliche Entwurf der Kommission war ein unpassender, schlecht durchdachter und unkluger Text. Diesen Text hat das Parlament nunmehr völlig überarbeitet, so dass es möglich wird, den Binnenmarkt unter Bewahrung unseres Sozialmodells zu vollenden. Wir wären Ihnen verbunden, Herr Kommissar, wenn Sie den Versuchungen nicht nachgeben würden, und schlagen Ihnen vor, mit dem Parlament bei der Suche nach einem Kompromiss zusammenzuarbeiten.
Jetzt ist der Rat am Zug, und wir erwarten, dass er seine Funktion als Mitgesetzgeber verantwortungsvoll wahrnimmt. Die Dienstleistungsrichtlinie gleicht jetzt einem Gebäude, dessen Stabilität auf Pfeilern beruht, die von gleicher Wichtigkeit für uns sind. Würde an einem von ihnen gerührt, dann brächte dies die Gefahr mit sich, dass das gesamte Gebäude zusammenstürzt. Der Rat kann daher nicht die politische Botschaft ignorieren, die wir an ihn gerichtet haben. Herr Kommissar, die Abstimmung des Parlaments über die Dienstleistungen hat den Weg vorgezeichnet. Unsere Mitbürger würden nicht verstehen, wenn wir uns wieder rückwärts bewegen würden.
Elisabeth Schroedter (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich begrüße, dass die Kommission erkannt hat, dass die Entsenderichtlinie ein unerlässliches Instrument für den Arbeitnehmerschutz auf dem europäischen Dienstleistungsmarkt ist. Durch die Dienstleistungsrichtlinie darf die Entsenderichtlinie eben nicht eingeschränkt werden.
Durch die Entsenderichtlinie wird das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ sichergestellt. Jedoch frage ich mich, Herr Špidla, wie angesichts der kriminellen Energie, die aufgewendet wird, um dieses Prinzip in der Praxis zu umgehen, ein Vorarbeiter vor Ort als Ansprechpartner oder eine Anmeldung am Tag des Arbeitsbeginns ausreichen sollen, um eine Kontrolle durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen. Die Kontrollmöglichkeiten der Mitgliedstaaten dürfen nicht eingeschränkt werden, wenn sie dem Schutz der Arbeitnehmer dienen sollen. Das muss das Leitprinzip des Handbuches sein und nicht die Behauptung, es sei eine rein bürokratische Last. Der Schutz der Arbeitnehmer muss nach wie vor im Mittelpunkt und das Ziel der Entsenderichtlinie bleiben.
Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte mich den Dankesworten an die Herren Kommissare McCreevy und Špidla anschließen. Ich bewundere zutiefst, wie Sie uns auf halbem Wege entgegengekommen sind. Was uns jetzt vorliegt, markiert einen großen Schritt nach vorn. Ich habe ein paar Fragen und Anmerkungen.
Ich beginne mit Ihnen, Kommissar McCreevy. Sie haben erklärt, Sie werden ein Papier zur Gesundheit vorlegen. Was meinen Sie damit? Ist es eine Richtlinie? Eine Situation, in der der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass wir die Lage genau überwachen sollten, und wo im Anschluss nichts geschieht, ist nämlich nicht hinnehmbar. Ich wäre sehr dankbar, wenn eine Richtlinie präsentiert werden würde, denn die Form des Dokuments haben Sie nicht erwähnt.
Nunmehr wende ich mich an Kommissar Špidla. Ich gehe mit Ihnen beiden insofern konform, als die Artikel 24 und 25 in ihrer ursprünglichen Fassung aufgenommen wurden, damit der Aufnahmemitgliedstaat keine administrativen Hindernisse aufbauen kann. Ich bin voll und ganz damit einverstanden, dass etwas dagegen unternommen wird. Nun, auch Löhne und Arbeitsbedingungen können umgangen werden, was auf dem Arbeitsmarkt unlauteren Wettbewerb zur Folge hat. Das bedeutet also, auch für den Arbeitnehmer, der entsendet wird, ist es nicht unwichtig, dass neue Leitlinien aufgestellt werden.
Allerdings stellt sich mir die Frage, weshalb Sie, Kommissar Špidla, eine Mitteilung veröffentlicht haben. Ich frage Sie, weil Frau Schröder an einem Bericht über die Entsenderichtlinie arbeitet und Ihnen selbst bereits eine Bewertung eben dieser Richtlinie vorliegt. Weshalb haben Sie ein Papier vorgelegt, das sich nur schwerlich durchführen lässt? Weshalb haben Sie sich nicht dafür entschieden, statt dessen die Rechtsvorschrift zu ändern?
Herr Präsident, gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung. Zu meiner Freude wird sich auch das Kontrollverfahren, mit dem überwacht wird, wie wir miteinander umgehen, dank der Zusammenarbeit der einzelnen Aufsichtsämter verbessern. Über eine eventuelle weitere Stärkung dieses Verfahrens müssen wir uns noch einmal unterhalten.
Robert Goebbels (PSE). – (FR) Herr Präsident, meine Herren Kommissare, meine Damen und Herren! Während der ersten Aussprache über die Dienstleistungsrichtlinie hatte ein britischer Abgeordneter gesagt: „Fritz Bolkestein geht es gut, er ist quicklebendig und verbringt seine Zeit größtenteils in Frankreich.“ Meine Fraktion wünscht dem ehemaligen Kommissar Bolkestein alles Gute für sein Pensionärsdasein. Wir hoffen wirklich, dass sein Pensionärsleben geruhsam verläuft, doch seine Richtlinie ist endgültig tot. Jetzt haben wir eine Gebhardt-McCreevy-Richtlinie.
Natürlich hinterlässt Bolkestein Waisen. Bei der extremen Linken und bei bestimmten wohlbekannten Europäern war die Bolkestein-Richtlinie zu einem kommoden Schreckgespenst geworden, zum Symbol eines antisozialen Europas. Diese werden nur schwer akzeptieren, dass die Bolkestein-Richtlinie endgültig tot ist. Andere haben dasselbe Problem, insbesondere einige Prediger des Ultraliberalismus, denn meiner Meinung nach hatten sie in dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission eine Art Freibrief für ein vollständig dereguliertes Europa gesehen. Dabei denke ich insbesondere an jenen französischen Baron, der, um seine Modernität unter Beweis zu stellen, amerikanisch spricht, wenn er sich im Namen der Großunternehmer äußert.
Doch glücklicherweise hat das Europäische Parlament seine Arbeit getan, und eine qualifizierte Mehrheit des Parlament hat den in erster Lesung von der Kommission eingebrachten ursprünglichen Vorschlag umformuliert, um daraus ein angemessenes Instrument im Dienste der Dienstleistungsfreiheit zu machen, doch dabei jede Form von Sozialdumping auszuschließen. Die Kommission war gut beraten, als sie sich der Position des Parlaments weitgehend anschloss, auch wenn es in der letzten Woche noch einiges Hin und Her gab. Präsident Barroso hat seine Leute zurückgepfiffen. Natürlich werden wir wachsam bleiben und einige zusätzliche Präzisierungen fordern müssen. Im Übrigen wäre der österreichische Vorsitz ebenfalls gut beraten, wenn er dafür sorgte, dass sich der Rat dem Parlament anschließt, damit wir rasch zu einer angemessenen Dienstleistungsrichtlinie kommen, die wir uns alle wünschen.
Anne E. Jensen (ALDE). – (DA) Herr Präsident! Meine Herren Kommissare! Im Parlament haben wir schon mehrfach Anhörungen zur Entsenderichtlinie durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Richtlinie zwar kompliziert, an sich aber nicht verkehrt ist. Enorme Probleme bereitet hingegen die praktische Anwendung der Richtlinienvorschriften. Die Menschen kennen ihre Rechte nicht, die Unternehmen wissen nicht, welche Vorschriften sie beachten müssen, und jede öffentliche Behörde legt die Richtlinie anders aus. Wir sollten also nicht die Richtlinie ändern, sondern uns viel mehr um ihre bessere Handhabung und eine bessere Vermittlung von Informationen kümmern. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass man sich zum Beispiel über das Internet und Quick Caches besser informieren kann. Auf diese Weise dürfte es uns gelingen, wirklich die Früchte eines Binnenmarkts für Dienstleistungen zu ernten. Ich erwarte von der Kommission, dass sie Initiativen in diesem Bereich ergreift und sicherstellt, dass die Umsetzung der Entsenderichtlinie künftig besser funktioniert.
Małgorzata Handzlik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Vielen Dank für die Ausführungen zu den Leitlinien für die Entsendung von Arbeitnehmern. Sie stellen mit Sicherheit einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zur Liberalisierung von Dienstleistungen dar.
Im Dokument der Kommission werden die administrativen Hürden benannt, die unter Umgehung gesetzlicher Regelungen Firmen auferlegt werden, die Arbeitnehmer zur Erbringung von Dienstleistungen entsenden. Darin werden auch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs angeführt, der derartige Praktiken als Vertragsverletzung erachtet. Bedauerlicherweise werden in dem Dokument keine wirksamen Maßnahmen zur Lösung der bestehenden Probleme vorgeschlagen.
Die Kommission hat recht deutlich unter Beweis gestellt, dass es ihr am Willen mangelt, die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Bloße Verweise auf Entscheidungen der Gerichtshofs reichen nicht aus. Die Hindernisse bleiben trotz der Entscheidungen, trotz Vertrag und Richtlinie unverrückbar bestehen. Daher wird ein entschiedeneres Handeln gefordert; denkbar wären beispielsweise Verfahren gegen jene, die gegen die Bestimmungen verstoßen. Ich befürchte, dass die vorgeschlagene Erarbeitung eines weiteren Berichts über Fortschritte beim Abbau von Hindernissen innerhalb eines Jahres lediglich auf eine weitere Verzögerung hinauslaufen wird.
Zum Schluss möchte ich Ihnen mitteilen, wie betroffen viele Mitglieder dieses Hohen Hauses waren, als sie feststellen mussten, dass die Gesundheitsdienste in der Stellungnahme der Kommission zur Dienstleistungsrichtlinie überhaupt nicht mehr vorkommen, obwohl die Abstimmung im Parlament eine Mehrheit für ihre Aufnahme ergeben hatte.
(Beifall)
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte eingangs den verehrten Abgeordneten für ihre Ausführungen danken. Ich werde auf einige der konkreten Fragen eingehen.
Zu den ausgeklammerten Sektoren ist festzustellen, dass wir nicht vergessen dürfen, dass die Bestimmungen des EG-Vertrags auch weiterhin für all jene Dienstleistungen gelten, die nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Das Kollegium der Kommissare wird sich in den nächsten Wochen mit dem Bereich Gesundheit befassen, und zu diesem Zeitpunkt wird über den Anwendungsbereich der Initiative entschieden werden. Herr Kyprianou wird dabei die Leitung übernehmen, und Herr Špidla und ich werden ihm unsere Vorstellungen unterbreiten. Zwar kann ich dazu heute nichts Konkreteres sagen, aber ich kann feststellen, dass auf jeden Fall die Frage der Patientenmobilität und die Erstattung von Behandlungskosten Eingang finden werden. Wir müssen abwarten, was Herr Kyprianou vorschlagen wird.
Herr Harbour ist bezüglich der auf den geänderten Vorschlag zu erwartenden Resonanz etwas pessimistisch. Es stimmt, dass in einigen Medien durchaus negative Kommentare zu lesen und zu hören waren, aber wenn die Bürger erst einmal die Möglichkeit haben, die vom Parlament beschlossenen Regelungen zu verdauen, wird sich das im Verlaufe der Zeit ändern.
Ich habe mich im Ministerrat intensiv für den geänderten Vorschlag eingesetzt. Auf der Tagung des Ministerrates am Sonntag, dem 12. März 2006, habe ich den geänderten Vorschlag energisch verteidigt. Ich habe den Ministern mitgeteilt, dass ich gedenke, dem zu folgen, was das Parlament in den wichtigsten Bereichen vereinbart hat. Zwar waren einige der Minister anfänglich etwas skeptisch, aber am Schluss waren die meisten mit dem zu erwartenden Ergebnis recht zufrieden. Die Tatsache, dass der Europäische Rat letzte Woche den Beschluss des Europäischen Parlaments eindeutig bestätigt hat, zeigt, dass die Debatte wesentlich vorangekommen ist.
Das ist ein guter Vorschlag. Herr Harbour hat auf viele der darin enthaltenen Initiativen und Stärken verwiesen, und wir sollten ihn als einen sehr wichtigen Schritt im Dienstleistungsbereich propagieren und deutlich machen, dass der Tag, an dem diese spezielle Richtlinie verabschiedet wird, ein guter Tag für Europa sein wird.
Wie ich in den Ausschusstagungen bereits sagte – und ich habe kürzlich an einer Tagung des Ausschusses Binnenmarkt und Verbraucherschutz teilgenommen –, muss uns klar sein, dass der von der alten Kommission vorgelegte Vorschlag in der damaligen Fassung keine Chance hatte. Diejenigen, die sich für den ursprünglichen Vorschlag einsetzten, müssten also der politischen Realität ins Auge sehen und erkennen, dass aus ihm nie geltendes Recht geworden wäre.
Ich als Kommissar und das Kollegium der Kommissare haben der politischen Realität ins Auge gesehen und erkannt, dass wir den Vorschlag nicht weiter über den grünen Klee loben durften, während uns eigentlich klar war, dass wir auf ihm sitzen bleiben würden. Wir haben einen pragmatischen Ansatz gewählt und gesagt, dass unsere Chancen, den Ministerrat von einem überarbeiteten Vorschlag zu überzeugen, besser stehen, wenn es uns gelingt, einen auf einer generellen Einigung der großen Fraktionen des Europäischen Parlaments basierenden Konsens zu erhalten.
Bei den Beratungen des Ministerrats, an denen ich teilgenommen habe, gingen die Meinungen ebenso stark auseinander wie im Europäischen Parlament. Deshalb denke ich, dass das Parlament klar den Weg gewiesen hat. Jetzt, da uns ein überarbeiteter Vorschlag vorliegt, sollten wir bereit sein, ihn zu propagieren und zu erkennen, dass er einen enormen Fortschritt darstellt. Einige mögen ihn als einen Schritt von vielen bezeichnen, aber er ist dennoch ein mächtiger Schritt vorwärts. Die europäische Wirtschaft wird von der neuen Regelung stark profitieren, denn es geht dabei darum, die europäische Wirtschaft anzukurbeln, damit sie auf Dauer die Wachstumsraten erzielt, die notwendig sind, um die dringend erforderlichen Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu ist der geänderte Vorschlag meines Erachtens in der Lage.
Ich bin in Anbetracht des breiten Konsenses, der zu den schwierigsten Punkten in diesem Vorschlag erzielt werden konnte, davon überzeugt, dass der Ministerrat daran interessiert sein wird, im Sinne einer baldigen Einigung eng mit dem Europäischen Parlament zusammenzuarbeiten. Die Kommission wird ihrerseits alles tun, um sich möglichst bald auf einen endgültigen Text zu einigen. Sofern alle Seiten an ihrem offenen und konstruktiven Vorgehen festhalten, sollte es uns gelingen, diesen bedeutenden Vorschlag zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
(Beifall)
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen für die soeben geführte Aussprache danken. Gestatten Sie mir, auf einige der angesprochenen Punkte einzugehen.
Im ständigen Dialog zwischen den Sozialpartnern und den Vertretern der Mitgliedstaaten, vor allem aber im Rahmen von Parlamentsdebatten, hat sich die Meinung herauskristallisiert, dass die Richtlinie für den vorgesehenen Zweck geeignet ist und es keinen zwingenden Grund gibt, sie einer grundlegenden rechtlichen Überarbeitung zu unterziehen, auch wenn bei der praktischen Anwendung die eine oder andere Schwierigkeit auftaucht. Im Verlaufe der Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie erhielt das Parlament die Zusicherung, dass die Kommission in ihre Mitteilung eine Zusammenfassung der bisherigen Praxis und der bisher vom Luxemburger Gericht gefällten Entscheidungen aufnehmen würde. Selbstverständlich – und ich denke, das gilt für die gesamte Rechtsordnung – sollten Gesetze nur innerhalb des vom Gesetzgeber abgesteckten Rahmens angewendet werden. Die Entsenderichtlinie soll die entsandten Arbeitnehmer schützen, ihre berechtigten Ansprüche sichern und zugleich Sozialdumping verhindern, ihnen Schutz vor Ausbeutung bieten und sie davor bewahren, unzulässige Sozialstandards akzeptieren zu müssen und damit in unfaire Konkurrenz zu Arbeitnehmern im Aufnahmeland zu treten. Darin besteht der Zweck der Richtlinie, und an dieser Sichtweise haben wir uns bei der Ausarbeitung der Strategie für die Mitteilung orientiert.
Die Richtlinie soll auf keinen Fall dazu dienen, künstliche Hürden zu errichten, und das bedeutet, dass jedes einzelne Hindernis und jedes Verwaltungsverfahren anhand folgender Fragestellung bewertet werden muss: Ist sie bzw. es zum besseren Schutz der Arbeitnehmer erforderlich und von ausschlaggebender Bedeutung? Lautet die Antwort „Ja“, ist eine Übereinstimmung mit der Richtlinie gegeben, wird die Frage mit „Nein“ beantwortet, trifft dies nicht zu. Ich kann Ihnen hierfür ein typisches Beispiel nennen: Der Schutz der Arbeitnehmer erfordert ohne jeden Zweifel die Verwendung amtlicher Unterlagen, doch kann sich jeder problemlos vorstellen, dass einige Dokumente in diesem Zusammenhang möglicherweise überflüssig sind. Dies ist einer der Punkte, die in der Mitteilung aufgegriffen werden.
In etlichen Redebeiträgen ging es auch um einen Aspekt, der nicht unmittelbar die Mitteilung betraf, aber mit der künftigen Entwicklung der Dienstleistungsrichtlinie und Themen zusammenhing, die sich auf Dienstleistungen gang allgemein beziehen. Ich meine die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse. Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Mitteilung zu den grundlegenden Aspekten dieses Themas bereits erarbeitet wurde und dass wir davon ausgehen, dass die Arbeiten an der Endfassung Ende April abgeschlossen sein werden. In der Mitteilung werden zum einen einige grundlegende Rechtsfragen geklärt, denn wir brauchen genaue und verlässliche Auslegungen von Gerichtsentscheidungen. Zum anderen wird eine Reihe anderer Verfahren vorgeschlagen, die im Zuge der Weiterentwicklung und Erarbeitung des politischen Konzepts für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse angenommen werden könnten.
Meine Damen und Herren! Meines Erachtens sind die Dienstleistungsrichtlinie und die diesbezügliche Mitteilung ebenso wir die zusätzlichen Gespräche und anschließenden Schritte ein Beleg für die außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem Parlament in einigen sehr anspruchsvollen Bereichen unserer Rechtsetzung.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte eine weitere Bemerkung zu einem Aspekt, den mein Kollege Charlie McCreevy bereits angesprochen hat, dass wir nämlich neue Legislativvorschläge zur Gesundheitsfürsorge und insbesondere zur Freizügigkeit der Patienten im Gesundheitssystem erwarten.
Robert Goebbels (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich bin erstaunt, dass die österreichische Präsidentschaft der Union sich nicht zu dieser äußerst wichtigen Mitteilung der Kommission äußert. Wenn man sich Bundeskanzler Schüssel anhört, dann lobt er die Vorteile des vom Europäischen Parlament erarbeiteten Kompromisses, doch würde ich gern wissen, ob die österreichische Präsidentschaft jetzt alles dafür tun wird, damit der Rat sich diesem neuen Standpunkt des Parlament und der Kommission anschließt.
Der Präsident. Herr Goebbels, ich würde zögern, Ihre Rede als Frage zur Geschäftsordnung zu bezeichnen, obwohl sie die Ordnung der Aussprachen betrifft. Es ist eine Frage über die Ordnung, aber meines Erachtens braucht der Rat keine Anreize von Abgeordneten, um das Wort zu ergreifen, wenn er dies wünscht. Er weiß, dass er sprechen kann, und wenn er nicht darum gebeten hat, wird es daran liegen, dass er es nicht als nötig erachtet. Schweigen ist gleichbedeutend mit Zustimmung.
Die Aussprache ist geschlossen.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Alessandro Battilocchio (NI). – (IT) Ich bin der Kommission dankbar dafür, dass sie den Standpunkt dieses Parlaments, der auf demokratische Weise die Anliegen der meisten Unionsbürger widerspiegelt, berücksichtigt hat.
Ich finde es bedauerlich, dass einige Sozialdienstleistungen weiterhin von der Richtlinie ausgenommen bleiben: Dienstleistungen wie die im Zusammenhang mit Sozialwohnungen und mit der Unterstützung für Kinder und Familien können nicht den Wettbewerbsvorschriften unterworfen werden, sondern müssen ausschließlich auf die Interessen der Begünstigten ausgerichtet sein. Ich hoffe deshalb, dass diese Erfordernisse in der von der Kommission für Ende April angekündigten Richtlinie über soziale Dienstleistungen angemessen berücksichtigt werden.
Darüber hinaus begrüße ich die Streichung des Herkunftslandprinzips sowie die Ausarbeitung des neuen Dokuments über die Entsendung von Arbeitnehmern. Meiner Ansicht nach ist es in der Tat erforderlich, durch eine genaue Prüfung der Marktvorschriften, insbesondere im Bereich der Löhne und Arbeitsbedingungen, Sozialdumping zu vermeiden. Es muss darauf hingearbeitet werden, dass der Wettbewerb die Qualität der Arbeit erhöht, was Arbeitnehmern wie Verbrauchern gleichermaßen zum Vorteil gereicht. Oberstes Ziel der Europäischen Union ist nämlich nicht die Umsatzsteigerung, sondern die Gestaltung einer wettbewerbsfähigen Gesellschaft, die ihren Bürgern zu Diensten ist, einer Gesellschaft, die in jeder Hinsicht zur Erhöhung des Lebensstandards all ihrer Mitglieder beiträgt.
13. Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2003 und 2004) – Bessere Rechtsetzung 2004: Anwendung des Subsidiaritätsprinzips – Durchführung Folgen und Auswirkungen der für den Binnenmarkt geltenden Rechtsvorschriften – Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache „Bessere Rechtsetzung“, die sich mit vier Berichten befasst:
– mit dem Bericht von Monica Frassoni im Namen des Rechtsausschusses über den 21. und 22. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2003 und 2004) (2005/2150(INI)) (A6-0089/2006),
– mit dem Bericht von Bert Doorn im Namen des Rechtsausschusses über bessere Rechtsetzung 2004: Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität – 12. Jahresbericht (2005/2055(INI)) (A6-0082/2006),
– mit dem Bericht von Arlene McCarthy im Namen des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz über die Umsetzung, die Folgen und die Auswirkungen der geltenden Rechtsvorschriften zum Binnenmarkt (2004/2224(INI)) (A6-0083/2006) und
– mit dem Bericht von Giuseppe Gargani im Namen des Rechtsausschusses über eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds (2006/2006(INI)) (A6-0080/2006).
Monica Frassoni (Verts/ALE), Berichterstatterin. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin besonders froh, heute nicht wie üblich als Vertreterin meiner Fraktion, sondern als Berichterstatterin des Rechstausschusses das Wort zu ergreifen, der eine viel breitere Mehrheit repräsentiert. Als Berichterstatterin möchte ich einige Botschaften über diesen Bericht vermitteln, dessen wichtigstes Ziel es ist hervorzuheben, dass die Umsetzung europäischer Rechtsvorschriften
ebenso wie die anderen Fragen, die wir heute Nachmittag noch erörtern werden, ein fester Bestandteil einer „besseren Rechtsetzung“ ist
.
Die Anwendung ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechts, vor allem, weil die Situation auf Ebene der Europäischen Union unbefriedigend ist, wie im Bericht der Kommission wirksam herausgestellt wird. Es gibt wirklich ernsthafte Probleme, insbesondere beim Umweltrecht sowie bei den Binnenmarktvorschriften, wobei die Verantwortung hierfür – es ist müßig, das zu leugnen – vor allem bei den Mitgliedstaaten liegt.
Schuld an der mangelhaften Umsetzung ist jedoch auch ein Verfahren, das aufgrund seiner Verankerung in den Verträgen nicht so leicht verbessert werden kann. Dies ist ein schwerfälliges Verfahren, das gleichsam unangemessene Sanktionen vorsieht: Im Hinblick auf die Herbeiführung einer positiven Lösung für die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten lässt das Verfahren oft zu wünschen übrig und dauert sehr lange.
Ich würde gern wissen, ob dieses Problem der Anwendung des Gemeinschaftsrechts Ihrer Meinung nach für die Kommission Priorität besitzt oder nicht. Der Mitteilung nach zu urteilen ist das meinem Eindruck nach nicht der Fall, denn wie wir wissen geht sie mehr auf den Aspekt der Rücknahme und Änderungen der Richtlinien als auf deren korrekte Umsetzung ein.
Ich glaube, in der Kommission herrschen im Wesentlichen zwei Denkweisen: eine, die besagt, „Das Beste ist, Ärger mit den Mitgliedstaaten zu vermeiden, also lasst uns versuchen, ihre Probleme mit ihnen gemeinsam zu lösen“, und eine andere, die besagt. „Lasst uns die Regeln anwenden wie sie sind, nicht unflexibel, aber auf jeden Fall positiv, und dabei die Verfahren in Betracht ziehen, die möglichst schnell und rechtmäßig sind“.
Hierzu möchte ich einige Beispiele nennen. Wir meinen, dass einige Beschlüsse, die die Kommission zur Einleitung bestimmter Verfahren wie jener zu den GVO in Österreich erlassen hat, besonders schnell und effizient ergangen sind. Andererseits mussten wir im Falle Frankreichs und seiner Unfähigkeit, die Richtlinie „Natura 2000“ zu implementieren, drei Jahre warten, ehe die Kommission, nach der Entscheidung des Gerichtshofs, im Sinne von Artikel 228 betreffend die finanziellen Sanktionen tätig wurde.
Analog dazu gibt es auch interessante Situationen in Bezug auf das Recht der Bürger auf Erstattung der Arztkosten. Das ist für die Bürger eine äußerst wichtige Frage, die jedoch, wie wir wissen, noch nicht gelöst worden ist, weil dabei ein kompliziertes politisches Problem zu berücksichtigen ist. Zugleich wurde nur in zwei Fällen auf Artikel 228 zurückgegriffen, nämlich bei dem Fall der Abfallentsorgung in Griechenland, der nach einer wahrhaft kurzen Zeit ausgesetzt wurde, und bei dem Fall der spanischen Badegewässer, der in letzter Minute aus einem Grund zurückgezogen wurde, den die Kommission selbst unter rechtlichen Gesichtspunkten als ziemlich fragwürdig betrachtet hat.
Was für eine Antwort haben wir und welche Vorschläge unterbreiten wir zur Überwindung einer Situation, bei der wir ein transparenteres Vorgehen der Kommission für notwendig erachten? Erstens glauben wir, dass die Modalitäten der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts besser überwacht und transparenter gestaltet werden müssen. Ich halte es für wichtig, dass uns die Kommission ihre Konformitätsstudien über die Rechtsanwendung übermittelt, was wir leider nicht durchsetzen konnten.
Zweitens ist es meines Erachtens von großer Bedeutung, Ressourcen von allen Stellen, die künftig keine Rechtsvorschriften mehr erarbeiten müssen, auf die mit der Anwendung befassten Einrichtungen zu verlagern. Wir sind zum Beispiel nicht damit einverstanden, dass diese Verlagerung zu jenen Bereichen erfolgt, die sich mit der Folgenabschätzung beschäftigen werden, wie dies gegenwärtig in der Kommission diskutiert wird. Drittens – und das betrifft uns – meinen wir, dass das Europäische Parlament stärker in die Frage der Anwendung des Gemeinschaftsrechts eingreifen sollte, nicht um die Zuständigkeiten der Kommission zu ändern – ich weiß, dass dies die große Sorge der Mitglieder dieses Organs ist –, sondern vielmehr, um sich eine klarere Vorstellung von den aktuellen Vorgängen zu verschaffen, wie dies der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit und andere Ausschüsse bereits tun.
Ich denke, dass der Grundsatz, die Sünder beim Namen zu nennen, auch bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sehr nützlich ist und dass uns die Kommission vielleicht dabei behilflich sein sollte, ihn konsequenter anzuwenden.
Bert Doorn (PPE-DE), Berichterstatter. – (NL) Herr Präsident! Ich zitiere einen Artikel, der im Mai vergangenen Jahres kurz vor dem Referendum in den Niederlanden in einer führenden niederländischen Zeitung erschien. Das Zitat beginnt wie folgt: „Nicht Barroso, nicht Blair, sondern Herr van Alphen aus den Niederlanden und Tausende andere nationale Bedienstete treffen in Europa die täglichen Entscheidungen“. Dieser Artikel hat in den Niederlanden keinesfalls zu einer positiven Grundhaltung gegenüber dem Referendum beigetragen. Wie Sie wissen, ging alles gründlich schief. Die Niederlande sagten „Nein“, was Besorgnis erregend ist. Eben diese Rechtsetzung ist ein Sorgenkind, und das sollten wir heute genauer erörtern.
Wir müssen uns anstrengen, um bei den Bürgern das negative Bild von der Rechtsetzung zu beseitigen. Wie können wir das erreichen? Indem wir für mehr Transparenz sorgen. Wir müssen auch die daraus resultierende administrative Belastung in unsere Überlegungen einbeziehen. Zahlreichen Unternehmen hängt der hohe Verwaltungsaufwand wie ein Mühlstein am Hals, und wenn, dann beeinträchtigt dies die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Wie erzielen wir mehr Transparenz und bauen die Bürokratie ab? Zunächst durch eine tatsächliche Folgenabschätzung, und daran hapert es im Augenblick nach wie vor. Wir haben zahlreiche Beispiele für Folgenabschätzungen gesehen, die sich in der Qualität alle voneinander unterscheiden. Manche sind gut, manche nicht. Wollen wir als Parlament von einer Folgenabschätzung profitieren, dann sollte sie neutrale und fundierte Informationen liefern, die leicht verständlich sind. Daran mangelt es.
Wir im Parlament haben selbst Erfahrungen mit einigen Folgenabschätzungen zu Änderungsanträgen gesammelt. Auch dort schwankt die Qualität, und daher rührt mein Vorschlag für eine unabhängige Kontrolle. Dazu bedarf es keiner gewichtigen Behörde. Es könnte eine Gruppe von vier Sachverständigen auf dem Gebiet der Folgenabschätzung sein, die einfach einmal einen Blick auf die Folgenabschätzungen der Kommission und des Parlaments werfen und im Anschluss auf dieser Grundlage Empfehlungen erteilen. Also keine Agentur oder gewichtige Behörde, wir brauchen einfach eine unabhängige Qualitätskontrolle, die effizient und extern ist.
Nunmehr komme ich zur Komitologie. Auch davon handelte der Artikel, den ich gerade erwähnt habe. Er enthielt eine weitere Passage, eine über die Ausschüsse, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: „Man sieht sie nicht, man hört sie nicht, etwa 450 Beratungsklubs in Brüssel, die ständig Entscheidungen treffen, die den Alltag der Bürger beeinflussen.“ Auch in diesem Bereich ist mehr Transparenz vonnöten. Wenn die Komitologie zu abgeleiteten Rechtsvorschriften führt, müssen auch diese Vorschriften einer Überprüfung unterzogen werden. Wir müssen die Auswirkungen derartiger Rechtsvorschriften mithilfe einer Folgenabschätzung aufzeigen. Dann erkennt der Bürger, dass es uns Ernst ist und wir diese Transparenz tatsächlich wollen.
Schließlich kommt, wie Frau Frassoni bereits vorgetragen hat, der Durchführung außerordentliche Bedeutung zu, und das Parlament sollte ihr weitaus mehr Beachtung schenken. Wenn im Plenum ein Bericht erörtert wurde, dann ist die Arbeit für den Berichterstatter beendet. Ich schlage vor, den betreffenden Berichterstatter aufzufordern, seinen Ausschuss drei Jahre nach der Verabschiedung im Parlament über den Gang der Dinge rund um die Durchführung zu informieren. Dies trägt signifikant zu einer ordnungsgemäßen Implementierung in den Mitgliedstaaten und auch zu guten Kontakten zu den einzelstaatlichen Parlamenten bei.
Die Vorschläge lauten: mehr Transparenz, eine objektive Kontrolle der Folgenabschätzung, Grenzen für die Komitologie, mehr Einblick in die Komitologie und eventuell ein Rückrufrecht für das Europäische Parlament, sofern dazu Anlass besteht. Das sind die Bestandteile einer interinstitutionellen Vereinbarung, die nach meinem Dafürhalten erforderlich sind, damit diese Rechtsetzung tatsächlich in Gang kommt.
Arlene McCarthy (PSE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident! Als Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz begrüße ich diese gemeinsame Aussprache zur besseren Rechtsetzung sowie die Möglichkeit, mit Rat und Kommission zu erörtern, wie wir die Erfahrungen der Verbraucher, Bürger und Unternehmen auf dem Gebiet der Regulierung verbessern können, denn schließlich sind sie direkt von der Umsetzung der EU-Gesetze betroffen und müssen damit klarkommen. Das Vertrauen der Bürger, Verbraucher und Unternehmen in die EU hängt von ihren Erfahrungen mit den EU-Rechtsvorschriften und ihrer diesbezüglichen Wahrnehmung sowie den Auswirkungen der Vorschriften auf ihren Alltag ab.
Ich möchte mich darauf konzentrieren, wie wir die Rechtsetzung für den Binnenmarkt verbessern und gewährleisten können, dass wir bei unserer Rechtsetzung die Belange der Verbraucher am Binnenmarkt im Auge haben. Der Binnenmarkt macht fast ein Drittel des gemeinsamen Besitzstandes aus. Gute, effektive und einfache Rechtsvorschriften für den Binnenmarkt sollten Möglichkeiten für den grenzüberschreitenden Handel eröffnen und Verbrauchern mehr Wahlmöglichkeiten bieten. Gleichzeitig sollten sie dem Schutz der Umwelt sowie sozialer Rechte und der Rechte der Verbraucher dienen. Der Erlass der für den Binnenmarkt am besten geeigneten Gesetze ist zudem für die Erfüllung der Beschäftigungs-, Wachstums- und Wettbewerbsziele von Lissabon von entscheidender Bedeutung.
Meines Erachtens wird der Binnenmarkt vor allem von einem gemeinsamen und koordinierten Ansatz aller drei Institutionen bei der Verbesserung des gesamten Rechtsetzungszyklus profitieren. Das bedeutet, dass wir uns auch der Konsequenzen unserer mitternächtlichen Deals und Kompromisse bewusst sein und bedenken müssen, ob die Vorschriften für den Nutzer dadurch einfacher oder verwirrender werden. Das beginnt meiner Ansicht nach bereits beim klaren und guten Entwurf von Gesetzen und umfasst Folgenabschätzungen in hoher Qualität sowie die effektive, umfassende und transparente Konsultation von Betroffenen. Auch die Mitgliedstaaten müssen ihre Verantwortung ernst nehmen und dafür sorgen, dass Binnenmarktvorschriften gut und korrekt umgesetzt werden. Sie sollten nicht der Versuchung erliegen, Rechtsvorschriften der EU durch zusätzliche nationale Anforderungen zu verschärfen. Obwohl sich die Umsetzungsquoten verbessern, wie aus dem Binnenmarktanzeiger hervorgeht, bleibt noch sehr viel zu tun. Deshalb bitten wir um die Einführung eines zügigen Vertragsverletzungsverfahrens für Testfälle im Bereich des Binnenmarktes. Wir müssen aus Versäumnissen und Fehlern in Bezug auf die EU-Rechtsetzung lernen. Deshalb sind wir auch sowohl an Ex-ante- als auch vor allem Ex-post-Bewertungen und -Evaluierungen unserer Fehler und Versäumnisse interessiert. Wir müssen wissen, ob eine Regelung ihr Ziel erreicht oder möglicherweise zu Verzerrungen oder einer Zersplitterung des Binnenmarktes geführt hat.
Einige Kollegen sind der Ansicht, dass die Folgenabschätzung durch ein externes Gremium durchgeführt werden sollte. Ich bin anderer Ansicht. Ich glaube, die Binnenmarktvorschriften sollten in die Zuständigkeit der Kommissionsbeamten fallen und Teil der effektiven politischen Entscheidungsfindung sein. Der Binnenmarktausschuss besteht jedoch darauf, dass sämtlichen Legislativvorschlägen eine Qualitäts-Folgenabschätzung, eine Zusammenfassung sowie eine Checkliste zur besseren Rechtsetzung für Binnenmarktvorschläge beizufügen ist.
Viele Kollegen stehen der alternativen Regulierung sehr skeptisch gegenüber. Obwohl die Interinstitutionelle Vereinbarung diese nicht legislative Möglichkeit vorsieht, bestehen wir im Falle von Binnenmarktvorschriften darauf, dass das Parlament über alternative Ansätze dieser Art informiert und dazu konsultiert wird. Ihnen liegen Folgenabschätzungen zugrunde. Gleichzeitig müssen wir Rechtshilfe und Sanktionen für den Verbraucher gewährleisten, falls der erwartete Nutzen für den Verbraucher auf dem Binnenmarkt ausbleibt.
Ich möchte nachdrücklich auf den Beitrag des Binnenmarktausschusses als aktiver Partner beim Prozess der besseren Rechtsetzung verweisen. Ich weiß, dass die Kommissionsmitglieder dem Parlament häufig vorwerfen, es nehme seine Aufgaben nicht ernst. Wir waren der erste Ausschuss, der – unter dem Vorsitz von Herrn Whitehead – eine eigene Folgenabschätzung zu den Änderungsanträgen zum Bericht Toubon über Nennfüllmengen für Erzeugnisse in Fertigpackungen in Auftrag gegeben hat. Zum Pyrotechnik-Vorschlag führen wir eine Folgenabschätzung zu den von unserem Berichterstatter vorgeschlagenen Änderungsanträgen durch. Wir werden eine Kosten/Nutzen-Analyse seiner Änderungsanträge zu diesem Vorschlag prüfen. Wir führen eine Anhörung zu den Auswirkungen der Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen auf den Binnenmarkt durch. Das öffentliche Auftragswesen der Union repräsentiert 16 % des BIP der EU, trotzdem hatte das Gesetzespaket aus dem Jahre 1992 nicht die erhoffte Öffnung des Marktes zur Folge, wie eine Reihe von Fällen des Europäischen Gerichtshofes zeigt.
Eines muss klipp und klar festgestellt werden. Die Zeche für wirkungslose Gesetze zahlen die Verbraucher, die Bürger und die Unternehmen. Mängel bei der Ausarbeitung führen zu Rechtsunsicherheit und zu Fehlern und Unklarheiten bei der Umsetzung und letztlich zu Verwirrung beim Geschäftsmann oder Verbraucher, der das Vertrauen in den Binnenmarkt verliert. Nach jahrelangen Diskussionen hat der Europäische Gerichtshof das letzte Wort in puncto bessere Rechtsetzung. Das ist nicht der richtige Weg.
Abschließend ein Wort zu SOLVIT. Dieses Online-Netzwerk zur Problemlösung stellt meines Erachtens eine ausgezeichnete Initiative der Kommission dar. Es gab da den Fall eines entsprechend qualifizierten Arztes, der jahrelang versuchte, sich als Arzt in Spanien registrieren zu lassen. Er hatte bereits sehr viel Geld für Anwälte ausgegeben und das Vertrauen in den Binnenmarkt verloren. Doch SOLVIT schaltete sich ein und half ihm innerhalb von zehn Wochen, sich in Spanien als Arzt anzumelden. Der Arzt sagte: „SOLVIT hat mein Vertrauen in den Binnenmarkt wiederhergestellt.“
Folglich ist es so, dass gute Gesetze, die gut ausgearbeitet wurden, leicht um- und durchzusetzen sowie zu überwachen sind, die Voraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens in den Binnenmarkt darstellen. Ich hoffe, dass die heutige Aussprache den Anfang einer engen Zusammenarbeit bilden wird, die gekennzeichnet ist vom Austausch vorbildlicher Verfahrensweisen der als gleichberechtigte Partner eng kooperierenden Institutionen, um das Vertrauen her- bzw. wiederherzustellen, um das uns der von mir erwähnte Arzt als Verbraucher auf dem Binnenmarkt gebeten hat.
(Beifall)
Klaus-Heiner Lehne (PPE-DE), stellvertretender Berichterstatter. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich etwas zu drei Aspekten sagen, erstens zum Thema Vereinfachung: Es gibt keinen Zweifel daran, dass das Europäische Parlament grundsätzlich hinter den Bestrebungen der Kommission steht, die Gesetzgebung zu vereinfachen. Aber ich will auch deutlich sagen, dass die Tücke hier wie in vielen anderen Fällen natürlich im Detail liegt und dass man aufpassen muss, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.
Ich will auf ein Beispiel verweisen: Wenn ich zum Beispiel dem Dokument der Kommission entnehme, dass man das gesamte Handels- und Gesellschaftsrecht vereinfachen will, dann weiß ich als einer der ständigen Berichterstatter im Rechtsausschuss für dieses Themenfeld, dass viele Richtlinien und Regelungen, die wir dort gefunden haben, das Ergebnis höchst komplexer Kompromissverhandlungen gewesen sind und dass ein Vereinfachungsvorschlag immer das Risiko beinhaltet, dass die Büchse der Pandora aufgemacht wird und am Ende nach vielen Mühen erreichte Kompromisse wieder in Frage gestellt werden. Vor diesem Hintergrund muss man mit dem Instrument der Vereinfachung sehr sorgsam umgehen.
Deshalb bin ich der Ansicht, dass es durchaus sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob man nicht ähnlich wie bei der Kodifikation auch bei der Vereinfachung eine interinstitutionelle Vereinbarung zwischen den drei Organen erlässt, mit der die klare Vorgehensweise bei Vereinfachungsgesetzen festgelegt wird.
Ein zweiter Punkt, über den ich die Kommission nachzudenken bitte, ist die Frage der Prioritätensetzung bei Vereinfachungsvorschlägen. Richtlinien richten sich üblicherweise nicht an die Bürger, sondern an die nationalen Gesetzgeber, und die Praktiker müssen am Ende mit den Gesetzen umgehen, die auf nationaler Ebene erlassen werden. Von daher sollten Richtlinien nur nachrangig vereinfacht werden. Die Kommission sollte die Priorität auf Verordnungen legen, weil Verordnungen nun einmal unmittelbar anwendbares Recht sind und beim rechtsuchenden Publikum unmittelbar ankommen.
Zweiter Themenkomplex: Gesetzesfolgenabschätzung. Ich will noch einmal nachdrücklich betonen, dass aus der Sicht der Parlamentsmehrheit ein unabhängiges Element in der Gesetzesfolgenabschätzung zwingend notwendig ist. Das Parlament hat im Dezember in einem Bericht eine unabhängige Agentur nach amerikanischem Vorbild verlangt. Ich will für mich deutlich sagen, dass das für mich keine conditio sine qua non ist. Über so etwas kann man reden. Unverzichtbar für mich ist jedoch, dass es einen unabhängigen externen Faktor gibt, der an der Gesetzesfolgenabschätzung teilnehmen muss. Es kann nicht sein, dass die Beamten, die die Vorschläge machen, auch gleichzeitig alleine für die Gesetzesfolgenabschätzung verantwortlich sind, weil die Konsequenz dann die ist, dass diese Folgenabschätzung nichts anderes ist als Bestandteil der Begründung. Das ist nicht das, was wir wollen. Meines Erachtens ist es deshalb erforderlich, in dieser Frage zu einem vernünftigen Ergebnis mit der Kommission zu kommen.
Wir haben eine interinstitutionelle Vereinbarung seit Dezember 2003. In dieser Vereinbarung ist festgelegt, dass die Kommission grundsätzlich für das impact assessment verantwortlich ist. Das bedeutet aber auch, dass sie im Wesentlichen damit eine Verantwortung für den Gesetzgeber mit ausübt, also für Parlament und Rat, und deshalb glauben wir, dass wir als Parlament auch ein Mitspracherecht hinsichtlich der Art der Durchführung des impact assessment haben und haben sollten.
Das ist übrigens auch der Grund, weshalb wir innerhalb der Konferenz der Präsidenten die Beschlussfassung über die follow-up-Verwaltungsvereinbarungen zunächst einmal ausgesetzt haben, weil dies natürlich noch einmal verhandelt werden muss, auch im Lichte der Beschlüsse, die wir zu diesen hier vorliegenden vier Berichten im Mai dieses Jahres fassen werden.
Lassen Sie mich noch auf einen ganz aktuellen Punkt Bezug nehmen. Es gibt seit dem 16. März einen Vortrag der Generalanwältin Sharpston in dem Verfahren Spanien gegen den Rat, in dem sie in ihren Schlussanträgen ausdrücklich auch auf das impact assessment Bezug nimmt. Sie hat gesagt, wenn kein ausreichendes impact assessment vorgenommen wird, dann ist das ein Indiz dafür, dass der Rechtsakt willkürlich erlassen worden ist. Das beweist und belegt, dass sich auch der Gerichtshof zunehmend dieser Thematik annimmt.
Ich halte es für entscheidend – der Kollege Doorn hat schon darauf hingewiesen –, dass auch Komitologieentscheidungen einer Gesetzesfolgenabschätzung bedürfen. Es gibt eine Vielzahl von Beispielsfällen, wo der eigentliche bürokratische Wahnsinn in den Komitologieentscheidungen lag und nicht in der Gesetzgebung. Also bedarf es auch hier einer vernünftigen Gesetzesfolgenkontrolle.
Lassen Sie mich auf einen allerletzten Punkt kommen; er betrifft das dritte Thema: stake holder consultation, also Anhörung der Beteiligten. Die Kommission stützt sich in ihrer bisherigen Art und Weise, wie sie die Gesetzgebung vorbereitet, sehr stark auf die europäischen Dachverbände. Nichts gegen die europäischen Lobby-Dachverbände. Aber die Entscheidungsprozesse in diesen Dachverbänden sind manchmal komplizierter als im Ministerrat. Und das, was dort herauskommt, ist oftmals die Verdichtung des Konsens zum Nonsens. Ich glaube, wir brauchen noch andere Konsultationsmechanismen, mit denen man die Information unmittelbar von den Betroffenen bekommt, die im Arbeitsleben stehen und die entsprechend mit diesen Themen befasst sind. So könnte etwa der Konsultationsmechanismus, der im Netzwerk gefunden wurde, mit dem im Augenblick das europäische Vertragsrecht entwickelt wird und mit dem man einen begrenzten Teil von Leuten definiert hat, die man konsultiert, ein gutes Beispiel dafür sein, wie man diese Mechanismen verbessern kann.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident! Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, heute mit Ihnen über ein Thema zu diskutieren, das für Europa sehr wichtig ist. Ich weiß aus meinen eigenen, sehr intensiven Kontakten mit den Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Monaten, dass das Thema Bessere Gesetzgebung und alles, was damit verbunden ist – vielleicht nicht als Schlagwort, viele Bürger wissen nicht, was sich dahinter verbirgt, aber als Prinzip –, eines der Themen ist, die die Bürger am allermeisten beschäftigen.
Das Programm der Kommission für dieses Jahr trägt ja bekanntlich zu Recht den Titel „Das ganze Potenzial Europas freisetzen“. Der Rat ist davon überzeugt, dass eine bessere Gesetzgebung entscheidend ist, um die Grundlage dafür zu schaffen. Unsere Gesetzgebung soll die Bürger unterstützen, nicht einengen. Dies gilt – wie bereits von Frau McCarthy gesagt wurde – für den Verbraucher; es gilt aber natürlich auch ganz besonders im Wirtschaftsleben, wo die Dynamik und Kreativität vor allem der kleineren und mittleren Unternehmen oft zu wenig gefördert wurde. Erst vor kurzem hat der Europäische Rat Signale und Impulse gesetzt, gerade die kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern. Wir wissen aus Studien, dass die Verwaltungsbelastung für Unternehmen und Bürger zwischen zwei und fünf Prozent des europäischen BIP ausmacht. Wir wollen daher durch Folgenabschätzung, Vereinfachung und Reduktion des Verwaltungsaufwandes eine deutliche Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erzielen.
Bessere Gesetzgebung ist ein Begriff, der in der letzten Zeit sehr oft verwendet wurde. Ich stimme hier durchaus mit Herrn Lehne überein, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten soll und dass dieser Begriff sehr oft auch etwas inflationär und etwas locker gebraucht wird, wobei auch nicht immer klar ist, was darunter zu verstehen ist. Ich begrüße es daher im Namen des Rates ganz besonders, dass sich das Parlament heute in nicht weniger als vier Berichten mit diesem Thema beschäftigt.
Der Ratsvorsitz sieht in der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung, die heute auch schon genannt wurde, weiterhin den Rahmen für unsere Zusammenarbeit. Wir beabsichtigen, in Zusammenarbeit mit dem künftigen finnischen Vorsitz, der Kommission und selbstverständlich mit Ihrem Haus die Agenda für die Reform des Regelungsrahmens weiter voranzubringen.
Ich möchte auf einige der Bereiche, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, etwas näher eingehen.
Zunächst zur Vereinfachung: Die Vereinfachung von EU-Vorschriften ist für Unternehmen und Bürger greifbar; daher ist es auch besonders effizient, wenn es uns gelingt, hier mehr Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Mit der Screening-Initiative von Kommissar Verheugen und den aktuellen Plänen für sektorale Vereinfachungen sowie weiteren horizontalen Vereinfachungsbemühungen sind wir auf dem richtigen Weg. Ich bin auch sehr beeindruckt, dass der Präsident und der Vizepräsident heute hier sind und an dieser Debatte teilnehmen, denn wir müssen – und das tun Rat und Kommission auch – dazu ermutigen, auf diesem Weg weiter voranzuschreiten. Denn hier tun wir etwas für größere Bürgernähe. Wie Sie wissen, steht die österreichische Präsidentschaft ein bisschen unter dem Motto „Europa wieder den Bürgern näher bringen“, und diese Initiativen, auch der Kommission, tragen sehr dazu bei. Sie tragen auch dazu bei, dass Europa bei der Erreichung der Lissabon-Ziele erfolgreich sein kann. Der Ratsvorsitz begrüßt, dass die Kommission im Bereich „Vereinfachung von bestehenden Rechtsvorschriften“ neben der generellen Durchforstung des Aquis auch plant, die Ergebnisse der Anstrengungen, die der Rat dazu unternommen hat, mit einzubeziehen.
Wir streben zusammen mit dem künftigen finnischen Vorsitz und der Kommission bessere Arbeitsmethoden für die Vereinfachung und eine möglichst effiziente Zusammenarbeit zwischen Rat, Kommission und Parlament an. Daher ist es auch nützlich, dass die Kommission den Rat jährlich über ihr Vereinfachungsprogramm unterrichtet. Wir schlagen auch vor, den Vereinfachungsdossiers in den Tagesordnungen Priorität einzuräumen und dass Rat und Parlament anstreben, Vereinfachungsdossiers wenn möglich in erster Lesung anzunehmen.
Die Verwaltungsbelastungen – die auch bereits angesprochen wurden – sind natürlich für die Betroffenen direkt messbar und haben unmittelbare Wirkungen. Wir benötigen dazu Instrumente im europäischen Bereich. Diese Instrumente gibt es, nun müssen wir sie aber auch benutzen. Die Ratspräsidentschaft arbeitet derzeit ein Papier zur Vorgabe von quantitativen Zielen in diesem Bereich aus.
Als drittes Thema möchte ich mich der Frage der Wahl des Rechtsinstruments widmen. Denn bei allen Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung dürfen wir einige wichtige Aspekte nicht aus den Augen verlieren: das Subsidiaritätsprinzip und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wir müssen aber gleichzeitig darauf achten, dass der gemeinschaftliche Besitzstand gewahrt bleibt. Wir wünschen uns ein besseres Europa, aber wir wünschen uns nicht weniger Europa.
Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sind zentrale „Handlungsanleitungen“ der Institutionen bei der Ausübung von Unionskompetenzen und daher integraler Bestandteil der besseren Rechtsetzung.
Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit spielen auch eine zentrale Rolle bei der Wahl des Rechtsinstruments. Bei der Durchführung von Folgenabschätzungen sind mehrere Handlungsalternativen zu prüfen; darunter eben auch die Option, nicht im Rahmen der Union, sondern auf untergeordneter Ebene tätig zu werden.
Umgekehrt können aber auch Verordnungen im Interesse der rechtlichen Klarheit und des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts angemessener sein als Richtlinien – auch das wurde heute schon angesprochen. Insgesamt ist es entscheidend, jeweils im Einzelfall das Handlungsinstrument auszuwählen, mit dem Europa das Ziel der Regelung am besten erreichen kann. Daher gibt es in der Praxis einen engen Zusammenhang zwischen qualitativ hochwertigen Folgenabschätzungen und der effektiven Anwendung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.
Auch Rat und Parlament sind bereits – auf der Grundlage der Interinstitutionellen Vereinbarung – verpflichtet, im politischen Entscheidungsfindungsprozess umfassend auf die Folgenabschätzungen der Kommission zurückzugreifen. Diese Folgenabschätzungen der Kommission bieten sich daher auch als Grundlage für eine aktive Diskussion des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an. Ich darf hier noch einmal erwähnen, dass wir zur Vertiefung dieser Diskussion am 18. und 19. April in Österreich eine Konferenz zur Subsidiarität veranstalten wollen, bei der wir auch auf wertvolle Beiträge aus Ihrem Haus hoffen.
Die Folgenabschätzungen müssen – wie auch allgemein heute unterstrichen wurde – in bestmöglicher Qualität erstellt und dann auch im Verhandlungsprozess genutzt werden. Die österreichische Ratspräsidentschaft wird eine Art Handbuch für Vorsitzende von Ratsarbeitsgruppen mit dem Titel „How to Handle Impact Assessments in Council“ vorlegen.
Wir wollen auch die interinstitutionelle Zusammenarbeit weiter fördern, insbesondere bei der Folgenabschätzung für bedeutende Abänderungsvorschläge durch den Rat und bei der konsistenten Anwendung der vereinbarten Vorgangsweise in allen drei Organen. In diesem Zusammenhang erwarten wir mit großem Interesse die Überprüfung der Folgenabschätzung der Kommission, die für dieses Frühjahr angekündigt wurde.
Der Ratsvorsitz teilt insgesamt die Ansicht des Europäischen Parlaments, dass qualitativ hochwertige Folgenabschätzungen wesentliche Voraussetzung für einen verbesserten Regelungsrahmen sind.
Die Einbindung – auch das wurde schon erwähnt – der so genannten stake holders im Rahmen von Konsultationsprozessen ist wichtig für mehr Transparenz. Die Betroffenen müssen über Konsultationsmöglichkeiten umfassend informiert werden, ihre Meinung muss in die Politikerstellung einfließen, und sie müssen darüber auch wirksames Feedback erhalten.
Schließlich noch ein Wort zur Transparenz: Wichtig für die Akzeptanz unserer Entscheidungen bei den Bürgerinnen und Bürgern ist nicht nur, dass wir verständliche und einfache Gesetze machen, sondern dazu gehört auch, dass wir besser erklären, wie Entscheidungen zustande kommen. Der Weg zur Beschlussfassung soll für die Öffentlichkeit so transparent wie möglich sein. Unser Bundeskanzler hat es in seiner Vorstellung des österreichischen Ratsprogramms gesagt, und auch ich habe es bereits bei mehreren Gelegenheiten betont: Der österreichischen Ratspräsidentschaft sind weitere Fortschritte in der Frage der Transparenz wichtig. Erste Schritte sind gesetzt durch Beschlüsse, die im vergangenen Dezember gefasst wurden. Auf dieser Basis versuchen wir nun, dies in die Praxis umzusetzen und, wenn möglich, auch noch weitere Schritte aufzuzeigen, wie wir zu mehr Transparenz kommen sollen.
Wie ich zu Beginn gesagt habe: Die Bessere Gesetzgebung ist ein Projekt, das die Bürgerinnen und Bürger, das uns alle direkt angeht. Wenn wir hier erfolgreich sind, können wir gemeinsam einen konkreten Mehrwert schaffen und den Bürgerinnen und Bürgern den Nutzen der Europäischen Union wieder deutlicher machen.
VORSITZ: SYLVIA-YVONNE KAUFMANN Vizepräsidentin
José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die europäischen Rechtsvorschriften stehen im Mittelpunkt all dessen, was die Einzigartigkeit der Europäischen Union ausmacht, denn wir sind eine Rechtsgemeinschaft. Ohne das Recht wären wir abhängig von ständigen Verhandlungen, von den Kräfteverhältnissen zwischen den Mitgliedstaaten oder ansonsten vom guten Willen – rein theoretisch –, von der Zusammenarbeit und der Bereitwilligkeit. Wir wollen keine Gemeinschaft, die auf Willkür oder freiem Ermessen beruht. Wir wollen eine Rechtsgemeinschaft. Nur das Recht kann die Freiheiten garantieren, über die die Europäer und Europäerinnen heute verfügen.
Ich halte dies für ein Grundprinzip und möchte hier eine persönliche Bemerkung einfügen. Vor drei Tagen habe ich am Europäischen Hochschulinstitut Florenz einen Vortrag, den Jean-Monnet-Vortrag, gehalten, in dem es gerade um meine Auffassung vom Recht in der Europäischen Union ging. Ich glaube, diese Grundsätze einer Rechtsgemeinschaft, wie sie unsere Gemeinschaft ist, müssen mehr denn je bekräftigt werden. Sie machen den Unterschied zu anderen Vorhaben auf internationaler Ebene aus.
Wir erlassen Rechtsvorschriften aus zahlreichen Gründen, so z. B. zum Schutz der Gesundheit durch Überwachung der Nahrungsmittelsicherheit, zum Schutz der Umwelt durch Festlegung von Normen für die Luft- und die Wassergüte, zur Festlegung von Regeln für die auf dem Binnenmarkt agierenden Unternehmen, damit sie mit gleichen Waffen gegeneinander antreten und jede Diskriminierung ausgeschlossen ist.
Wir erlassen Rechtsvorschriften auf der Ebene der Europäischen Union, weil die Mitgliedstaaten sich darauf geeinigt haben, dass bestimmte Maßnahmen im Gemeinschaftsmaßstab getroffen werden sollen. Konkret handelt es sich darum, eine einzige unionsweit geltende Regel an die Stelle von 25 einzelstaatlichen Regeln zu setzen. Allerdings müssen wir darauf achten, dass die europäischen Rechts- und Verwaltungsvorschriften einen Mehrwert erbringen, d. h. sie müssen zielführend sein, dem Subsidiaritätsgrundsatz entsprechen, ordnungsgemäß angewendet werden und in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen. Die angenommenen Bestimmungen dürfen weder unverhältnismäßig sein, noch über das unbedingt Erforderliche hinausgehen. Zu vermeiden sind Regeln, mit denen zu viel vorgeschrieben wird, die unbegründete Ausgaben verursachen oder sich als kontraproduktiv erweisen können.
Beseitigt werden muss auch die Überschneidung von Regeln, die sich mit der Zeit überlagern, was für die Unternehmen, die Vereine, die öffentlichen Behörden und die Bürger nachteilig ist.
Ich möchte das Europäische Parlament beglückwünschen, dass es die ausgezeichnete Initiative zu dieser Aussprache zum Thema „Bessere Rechtsetzung“ ergriffen hat. Sie gibt uns Gelegenheit, diese Frage in kohärenter Weise zu prüfen. Lassen Sie mich Frau Frassoni, Herrn Doorn, Frau McCarthy und Herrn Gargani, der heute von Herrn Lehne vertreten wird, für ihre ausgezeichnete Arbeit und für ihre Berichte danken.
Um die Qualität unserer legislativen Initiativen wirklich zu beeinflussen, brauchen wir ein Maßnahmepaket und ein überzeugendes Leitprinzip. Dies geht eindeutig aus den einzelnen Berichten hervor, die, wie ich meine, eine solide Grundlage für unseren Meinungsaustausch darstellen. Diese Berichte sowie unsere Reaktion darauf beweisen, dass unsere beiden Institutionen in den letzen Jahren ein gutes Stück vorwärts gekommen sind. Zu der Notwendigkeit einer besseren Rechtsetzung und der Formulierung besserer Regeln besteht ein wirklicher Konsens. Unsere Rechtssetzungsaktivität ist ein fortlaufender Prozess. Wir müssen zusammenarbeiten, damit alle unsere politischen Entscheidungen in Rechtsvorschriften von hoher Qualität umgesetzt werden. Und in diesem Zusammenhang möchte ich sämtliche Initiativen begrüßen, die die österreichische Präsidentschaft in dieser Beziehung ergriffen hat.
Wie wollen wir diese Herausforderung bewältigen? Zugegebenermaßen müssen noch alle Stadien des Prozesses verbessert werden, angefangen von den bereits verabschiedeten Rechtsakten über die noch in Beratung befindlichen Vorschläge bis hin zu den neuen Initiativen. Aus diesem Grund hat die Kommission ein umfassendes Konzept zur besseren Rechtsetzung eingeführt, das mehrere Maßnahmen umfasst: ein System zur Folgenbewertung für die wichtigsten Vorschläge der Kommission; ein Programm zur Vereinfachung der geltenden Gesetzgebung und zur Rücknahme einer Reihe von dem Parlament und dem Rat zur Beratung vorliegenden Kommissionsvorschlägen; der häufigere Einsatz von anderen Mitteln zur Problemlösung als die übliche Gesetzgebung, wie beispielsweise die Selbstregulierung durch die Betroffenen oder die Koregulierung zusammen mit dem Gesetzgeber. Alle diese Maßnahmen erbringen heute greifbare Ergebnisse.
(EN) Werfen wir einen Blick auf die Folgenabschätzung. Die Kommission hat 2003 ein System eingeführt, mit dem sie die ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer wichtigsten Vorschläge prüfen kann. Seit Einführung eines integrierten Ansatzes wurden 120 Folgenabschätzungen veröffentlicht. Wir haben zudem unsere Leitlinien aktualisiert, um den Mitarbeitern die Prüfung von Optionen und Auswirkungen – beispielsweise auf die Wettbewerbsfähigkeit – zu erleichtern und die Aufmerksamkeit auf Fragen wie die Kosten für einen zu hohen Verwaltungsaufwand zu lenken. Das ist Ausdruck eines grundlegenden Strategie- und Sinneswandels. Meines Erachtens ist das ein echter Fortschritt. Wir wissen, dass die Folgenabschätzungen noch nicht alle den gleichen Anforderungen genügen. Wir wissen, dass es noch Reserven gibt. Uns ist klar, dass die Qualität verbessert werden kann und die Qualitätskontrollmechanismen gestärkt werden müssen, wie in Herrn Doorns Bericht im Namen des Rechtsausschusses festgestellt wird.
Ich unterstütze die Forderung nach einer gesonderten Kontrolle der Folgenabschätzungen; sozusagen nach dem „Vieraugen-Prinzip“. Wir arbeiten an einem umfassenden Ansatz. Zunächst müssen wir dafür sorgen, dass wir unsere Folgenabschätzungen ordnungsgemäß anlegen. Wie im März 2005 versprochen, richten wir ein Netz von technischen und wissenschaftlichen Experten ein, das uns helfen soll, Verfahren zu erarbeiten, mit den wir gewährleisten wollen, dass Folgenabschätzungen umfassend und in hoher Qualität vorgenommen werden. Das System wird derzeit extern evaluiert, um unsere Stärken und Schwächen zu ermitteln. Außerdem sind die Verfasser von Folgenabschätzungen auf Feedback angewiesen, um zu wissen, ob sie gute Arbeit geleistet haben. Deshalb bildet die Konsultation einen festen Bestandteil des Folgenabschätzungsprozesses. Das ist auch einer der Gründe dafür, weshalb alle Folgenabschätzungen der Kommission auf der Europa-Webseite veröffentlicht werden.
Was die Qualitätskontrolle der einzelnen Folgenabschätzungen betrifft, so teile ich die Ansicht, dass die Dienste, die Rechtsakte vorschlagen, einer unabhängigen Kontrolle unterzogen werden sollten. Die beste Garantie für ein unparteiisches Vorgehen wäre meines Erachtens die Durchführung derartiger Kontrollen unter der Aufsicht des Kommissionspräsidenten. Ich habe den Generalsekretär der Kommission gebeten zu prüfen, wie Qualitätssicherung und -kontrolle weiter verbessert werden können.
Aber ich möchte unterstreichen, dass wir in Bezug auf Folgenabschätzungen wesentlich enger mit Ihnen zusammenarbeiten müssen. Ich begrüße die jüngste Vereinbarung über einen gemeinsamen Ansatz bei Folgenabschätzungen. Dieses Paket von Vorschriften für Folgenabschätzungen in allen drei Institutionen ist ein wichtiger Schritt nach vorn: es wird unsere Zusammenarbeit erleichtern und zur Vermeidung von Überschneidungen beitragen.
Ich komme jetzt zur Vereinfachung. Dabei haben wir gute Fortschritte erzielt. Das von uns im vergangenen Jahr angenommene Aktionsprogramm sieht die Aufhebung, Kodifizierung, Neufassung oder Modifizierung von etwa 220 Rechtsakten vor, die sich auf eine Vielfalt von Politiken erstrecken. Das Programm, das in der Automobilbranche, der Abfallwirtschaft und im Bauwesen bereits angelaufen ist, wird in Konsultation mit den Betroffenen überprüft und aktualisiert. Weitere Sektoren wie Lebensmittel, Kosmetik, Pharmaka und Dienstleistungen werden folgen. Wir sind auf Ihre Zuarbeit angewiesen, damit wir die richtigen Ziele festlegen und die besten Ergebnisse sichern können.
Wichtig ist, dass Rat und Parlament bei der Annahme von Vereinfachungsvorschlägen an Tempo zulegen. Wenn ich Ihre Berichte recht verstehe, dann sind wir uns im Wesentlichen darüber einig, was wir erreichen wollen. Jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln, uns einen Überblick zu verschaffen und ergebnisorientierte Arbeit zu leisten.
Den Verwaltungsaufwand haben wir ebenfalls ins Visier genommen. Er stellt gerade für den Mittelstand eine große Belastung dar. Hier gilt es, Formulare zu vereinfachen und den Zollkodex zu modernisieren, um den elektronischen Informationsaustausch zu erleichtern. Wir nehmen die Messung von Verwaltungskosten in unsere Folgenabschätzungen auf. Rat und Parlament müssen bei der Vorlage von Änderungsanträgen stets den Verwaltungsaufwand im Auge behalten.
Wir müssen ferner neue Ansätze bei der Regulierungstätigkeit erproben und die Möglichkeit der Ko-Regulierung und der Selbstverwaltung in Betracht ziehen. Wir können beispielsweise enger mit der Wirtschaft zusammenarbeiten und darauf hinwirken, dass bestimmte Ergebnisse auf freiwilliger Grundlage erzielt werden.
Ich verstehe Ihre Bedenken in Bezug darauf, dass Sie nicht genug in die Erarbeitung von nichtlegislativen Ansätzen einbezogen sind, sehr gut. Ich akzeptiere voll und ganz, dass in Fällen, in denen derartige Ansätze die beste Lösung zu sein scheinen, Wege gefunden werden sollten, um das Parlament in deren Erarbeitung und Umsetzung zu integrieren.
Abschließend möchte ich auf die Anwendung des Gemeinschaftsrechts eingehen, die für die Kommission eine wichtige Priorität darstellt. Ich möchte Sie bitten, einen Blick auf die Schlussfolgerungen unserer heutigen Kollegiumstagung zu werfen. Wir haben 2055 Fälle von Vertragsverletzungen analysiert. So hat die Kommission heute entschieden. Manchmal sind die Entscheidungen sehr schwierig, und wir erwarten, dass einige Mitgliedstaaten reagieren. Ich hoffe, Sie unterstützen das Engagement dieser Kommission für Anwendung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts.
Unsere Gesetze müssen ordnungsgemäß angewendet und umgesetzt werden, andernfalls sind unsere Anstrengungen als Gesetzgeber und Politiker vergeblich. In dem Maße, in dem sich immer mehr Politikbereiche etablieren, sollten wir eine Verlagerung des politischen Interesses und der Ressourcen in Richtung Umsetzung feststellen. Auch darin sieht diese Kommission ein vorrangige Aufgabe. Dieses gesamte Programm der besseren Rechtsetzung einschließlich der Umsetzung hat sich für diese Kommission zu einem Flaggschiff entwickelt, das mir wie auch Vizepräsident Verheugen sowie dem gesamten Kollegium stark am Herzen liegt. In unserer Eigenschaft als Kommission müssen wir für eine effiziente Durchführung von Vertragsverletzungsverfahren sorgen. Ich bin mir bewusst, dass die Durchführung einzelner Vertragsverletzungsverfahren beschleunigt werden muss. Wir müssen Wege finden, um rascher auf die Probleme zu reagieren, denen sich unsere Bürger im Geschäftsleben gegenübersehen. Wir sollten uns gemeinsam mit diesen allgemeinen Fragen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts befassen und nach konstruktiven Antworten suchen. Ich gehe davon aus, dass die Kommission Ihnen noch in diesem Jahr konkrete Vorschläge unterbreiten wird.
Meines Erachtens kommen die heute zur Diskussion stehenden Berichte bezüglich dessen, was getan werden muss, zum gleichen Ergebnis. Wir haben den Grundstein gelegt, und jetzt geht es darum, unsere Verpflichtung einzulösen. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer partnerschaftlichen Zusammenarbeit den Beweis dafür antreten können, dass Europa kein Synonym ist für Bürokratie und unnötige Belastungen, sondern für die Vertretung der Interessen unserer Bürger. Ich glaube, dass es uns durch unsere Zusammenarbeit gelingen kann, eine auf den Grundsätzen des Rechts basierende Gemeinschaft zu stärken.
(Beifall)
Ieke van den Burg (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft und Währung. – (NL) Ich kann mich Herrn Barrosos Ausführungen im letzten Teil seiner Rede voll und ganz anschließen. Im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung habe ich eine Stellungnahme zu Herrn Doorns Bericht verfasst. Ich möchte ihn zu seinem Bericht beglückwünschen und ihm auch dafür danken, dass er die einzelnen Passagen, die wir im Ausschuss für Wirtschaft und Währung aufgrund unserer Erfahrungen in die Stellungnahme hatten einfließen lassen, fast zur Gänze übernommen hat.
Zugleich möchte ich Herrn Winkler beipflichten und leicht abgewandelt darauf antworten: bessere Rechtsetzung bedeutet nicht immer weniger Rechtsetzung oder Deregulierung, sondern eine effektivere Rechtsetzung, die speziell auf das Ergebnis und Endergebnis ausgerichtet ist. Dieser Zyklus der Vorbereitung, Beratung, Formulierung von Rechtsvorschriften, Folgenabschätzung und anschließenden Durchführung und Umsetzung wurde mehrfach erwähnt. In unserer Stellungnahme habe ich den Standpunkt vertreten, wir sollten im Grunde hinten beginnen und den Prozess aus dieser Perspektive betrachten. Wie können wir dem Prozess zu mehr Effektivität verhelfen, und welche Vorschriften müssen wir darauf aufbauend festlegen?
Als schlechtes Beispiel dafür, wie dies versäumt wurde, wie nicht darüber nachgedacht wurde und wie die Beteiligten nicht in die Vorbereitungsphase einbezogen wurden, gilt die Dienstleistungsrichtlinie, die wir gerade eben in ihrer ursprünglichen Fassung diskutiert haben. Erfreulicherweise wurde diese Richtlinie jetzt durch das Parlament geändert.
Ich möchte auch positive Beispiele aus eben dieser Generaldirektion Binnenmarkt anführen. Insbesondere auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen wurde dort von dem Ausschuss der Weisen, der Lamfalussy-Gruppe, eine Praxis entwickelt und vorgeschlagen, die wir als Lamfalussy-Verfahren bezeichnen. In diesem Rahmen sollte tatsächlich denjenigen, die die Rechtsetzung in der Praxis anwenden, nämlich den Aufsichtsbehörden, den Marktteilnehmern, den Verbrauchern und den Anwendern, die an diesem Verfahren beteiligt sind, ein weitaus größeres Mitspracherecht in Bezug auf den Inhalt der Rechtsvorschriften eingeräumt werden. Dieses Beispiel haben wir auch dazu genutzt, es anderen zu demonstrieren, und eben das möchten wir in dieser Diskussion noch einmal klar und deutlich sagen. Probleme bereiten uns zwar das Rückrufrecht und die Verantwortlichkeit des Parlaments als Mitgesetzgeber, das überwachen zu können, was letztendlich herauskommt, aber das Verfahren an sich befürworten wir uneingeschränkt.
Pervenche Berès (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft und Währung. – (FR) Frau Präsidentin, Herr amtierender Ratsvorsitzender, meine Herren Kommissare! Diese Aussprache ist von grundlegender Bedeutung. Letztlich geht es darin um das Monopol der Kommission für legislative Initiativen. Denn ob es sich um better regulation oder law making handelt, ausschlaggebend ist die Art und Weise, in der die Gesetzesinitiative ergriffen wird. Und wenn der Kommission durch die Verträge das Initiativmonopol übertragen worden ist, dann weil sie das Allgemeininteresse vertreten soll. Sie muss jene Fähigkeit aufweisen, nicht nur einfach das Sprachrohr der einzelnen betroffenen Wirtschaftszweige zu sein, sondern alle diejenigen zu vertreten, die sich nicht unbedingt selbst organisieren können. In diesem Sinne sind wir meiner Meinung nach alle überzeugt, dass eine bessere Rechtsetzung zwar wichtig für die Wirtschaft ist, doch dass sie sich zuweilen auch in mehr Rechtsvorschriften äußern muss. Und dies hat Ihnen das Parlament ganz klar zu verstehen gegeben, Herr Barroso, als Ihre Kommission vorschlug, 68 Textvorlagen zurückzuziehen, und wir, beispielsweise im Falle der Gegenseitigkeitsgesellschaften, ganz eindeutig unterstrichen haben, wie notwendig eine gesetzgeberische Maßnahme ist.
Im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung habe ich eine Stellungnahme zum Bericht von Herrn Gargani verfasst, der sich mit der Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds befasst, und in diesem Zusammenhang möchte ich drei Anmerkungen machen.
Erstens müssen wir darauf achten, dass sich in diesem Bereich hinter jeder technischen Frage natürlich eine politische Frage des Inhalts verbirgt: Was vereinfacht man? Welcher gemeinschaftliche Besitzstand wird hinter der Vereinfachung geschaffen?
Zweitens, einige sind zuweilen der Auffassung, dass bessere Rechtsetzung gleichbedeutend mit Selbstregulierung ist. Im Rahmen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung haben wir mit den Rechnungslegungsstandards das Musterbeispiel einer Situation, in der aufgrund des Fehlens einer genauen demokratischen Kontrolle zuweilen gefährliche Fehlentwicklungen auftreten können.
Drittens und letztens muss das Streben nach Vereinfachung auch zur Einführung einer besser konzipierten Rechtsetzung führen, bei der das Parlament die Grundsätze festlegt und der Rest der Komitologie überlassen bleibt. Wie Sie wissen, befürworten wir ein solches Konzept voll und ganz, wenn es auf einer Komitologievereinbarung beruht, in der die diesbezüglichen Rechte des Mitgesetzgebers, d. h. des Europäischen Parlaments, umfassend anerkannt werden.
Eoin Ryan (UEN), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft und Währung. – (EN) Frau Präsidentin! Mitgliedstaaten, die den Protektionismus als positive politische Option anpreisen, geben den Protektionismus als Patriotismus aus oder fürchten sich nicht etwa davor, was einmal aus Europa werden könnte, sondern was es bereits ist: eine Wirtschaft auf der Grundlage des freien Handels und des Wettbewerbs. Als Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Währung und als Verfasser einer Stellungnahme zur besseren Rechtsetzung bin ich der festen Überzeugung, dass die Ankurbelung des Wettbewerbs durch eine Reform der Rechtsvorschriften jenen Anreiz darstellt, den Europa zur Steigerung seiner Produktivität braucht.
Meiner Ansicht nach ist es dringend erforderlich, dass bei künftigen Prüfungen der Auswirkungen von Rechtsvorschriften der sich ständig verschärfende globale Wettbewerb in Betracht gezogen werden muss. Ich schlage der Kommission vor, in sämtliche neuen Rechtsvorschriften eine Revisionsklausel aufzunehmen, um zu gewährleisten, dass die Europäische Union flexibler auf den globalen Trend der sich wandelnden Märkte reagieren kann. Außerdem sollten nach Maßgabe der Vereinbarung über bessere Rechtsetzung Alternativen für die Einführung von Rechtsvorschriften geprüft werden. Zudem sollten Maßnahmen wie etwa eine stärkere Konsultation und Verfahren zur beschleunigten Beilegung von Rechtsstreitigkeiten in Betracht gezogen werden.
Das Hauptziel sämtlicher Rechtsvorschriften sollte darin bestehen, dass der Binnenmarkt ohne grenzüberschreitende Behinderungen funktionieren und zum Wachstum der Industrie beitragen kann. Deshalb müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die aus umfangreichen Einsparungen im Zuge von Zusammenschlüssen und Übernahmen resultieren. Meines Erachtens sollte die Kommission dringend konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Kosten zu senken, die den Unternehmen dadurch entstehen, dass sie die Anforderungen von 25 verschiedenen nationalen Systemen erfüllen müssen. Ich begrüße die Einführung eines Aktionsplans für Finanzdienstleistungen. Wir dürfen jedoch nicht zulassen, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser 42 Richtlinien nachlassen. Mangelt es am erforderlichen Engagement, so sind Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen zu beschließen.
Nur wenn die Kohärenz und die Umsetzungsquote verbessert werden, besteht die realistische Chance, dass die Ziele von Lissabon erreicht und die mit der Globalisierung verbundenen Herausforderungen bewältigt werden können. Jeder muss erkennen, dass die Globalisierung eine feste Größe ist, vor der keiner davonlaufen kann. Es ist politisch und wirtschaftlich völlig inakzeptabel, dass einige Mitgliedstaaten versuchen, zu protektionistischen Maßnahmen zu greifen. Irische wie auch andere europäische Unternehmen bemühen sich, den Binnenmarkt Realität werden zu lassen und sich den mit der Globalisierung verbundenen Herausforderungen zu stellen. Sie sollten dabei nicht von Regierungen behindert werden, die sich den Protektionismus auf die Fahnen geschrieben haben.
Mihael Brejc (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. – (SL) Ich unterstütze die Bemühungen der Kommission und aller anderen für eine bessere Rechtsetzung und für eine bessere Formulierung europäischer Rechtstexte, und trotzdem bedauere ich zugleich, dass der Verfassungsvertrag nicht angenommen worden ist. Ich bedauere dies besonders deshalb, weil wir mit dem Verfassungsvertrag einen sehr guten transparenten Rechtsrahmen erarbeitet hatten, der uns eine weitere Möglichkeit zur Beschleunigung des Prozesses der Ratifizierung des Verfassungsvertrags eröffnet.
Heute erwähnte Herr Barroso die Bereiche, die einer weiteren Überprüfung bedürfen. Er sollte auf diese Liste auch den Terrorismus setzen. Auf dem Gebiet des Terrorismus haben wir bereits 58 Verordnungen, Richtlinien und so weiter verabschiedet – davon befinden sich 27 in der Phase des Entwurfs, und etwa 15 sollen noch folgen. Kurz gesagt, unser Rechtsrahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ist überaus intransparent. Ich finde mich dort nicht zurecht, und ich hoffe, Terroristen können sich bei diesem Durcheinander ebenso wenig orientieren.
Europa leidet unter mindestens zwei Formen des Idealismus. Der erste ist normativer Idealismus: wenn ein bestimmter Bereich nicht reguliert ist, meinen wir, mehr Regulierung werde das Problem lösen. In der Folge darf diese Regulierung über jedes Maß hinaus ausgedehnt werden. Der zweite ist organisatorischer Idealismus: wenn wir denken, ein Gebiet müsse besser reguliert werden, schaffen wir eine Institution. Letztens wurde eine Institution für Chancengleichheit eingerichtet, zuvor war es eine für die Menschenrechte. Als böten sie eine Garantie für mehr und bessere Regulierung.
Das sind Illusionen, die niemals Realität werden. Die Kommission täte also besser daran zu prüfen, wie diese Bereiche reguliert sind, und selbstverständlich, wie sie sich auf die Menschen auswirken. Die Leute fragen sich, ob wir wirklich diese Fülle von Rechtsvorschriften, Institutionen usw. haben müssen. Außerdem bin ich nicht der Ansicht, dass die Kommission neue Einrichtungen zur Überwachung von Rechtsakten und zur Revision ihrer Entwürfe braucht, denn wir haben ein Parlament, das diese Rolle wirklich gut ausfüllen kann.
Zum Schluss möchte ich anmerken, dass die Organe der EU im Ansehen der Bevölkerung nicht durch eine Vielzahl von Verordnungen, Richtlinien usw. steigen, sondern durch transparentes Handeln zugunsten der Menschen und zur Stärkung des europäischen Gedankens.
Marie-Line Reynaud (PSE), Berichterstatterin des mitberatenden Ausschusses für konstitutionelle Fragen. – (FR) Frau Präsidentin, ich möchte Herrn Gargani für die Eindeutigkeit und die Bestimmtheit seines Berichts danken. Ich bin erfreut darüber, dass ein großer Teil meiner Stellungnahme aufgenommen worden ist und sein Bericht die beiden Ziele enthält, die ich befürwortet hatte, d. h. erstens die Betonung der Tatsache, dass die Vereinfachung zwar notwendig ist, doch nicht auf beliebige Art und Weise durchgeführt werden darf, und zweitens die Bekräftigung des Willens des Parlaments, sich voll an der Vereinfachungsstrategie zu beteiligen. Wir können jede Initiative, die das ordnungspolitische Umfeld verständlicher und kohärenter macht, nur begrüßen.
Es ist in der Tat unmöglich, weiterhin mit einem Besitzstand von über 80 000 Seiten zu arbeiten. Wie will man unter diesen Bedingungen zu den Bürgern noch glaubwürdig von Zugänglichkeit und Transparenz sprechen? Daher ist die Vereinfachungsstrategie prinzipiell zu unterstützen. Sie muss dazu führen, dass wir künftig über leichter anzuwendende und weniger kostenaufwändige gemeinschaftliche wie einzelstaatliche Normen verfügen. Allerdings weist diese Vereinfachung auch eine Reihe von Grenzen und sogar Gefahren auf, weswegen Wachsamkeit geboten ist. In diesem Bericht wird insbesondere darauf verwiesen, dass die Vereinfachung nicht zu einer Absenkung der Standards führen darf, dass es Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung der Interinstitutionellen Vereinbarung über die Neufassung gibt und daher die geltenden Regeln klarer gefasst werden müssen, um Kompetenzstreitigkeiten und verfahrenstechnische Blockaden zu vermeiden. In dem Bericht wird ebenfalls der Willen des Parlaments klar bekräftigt, sich voll und ganz an der Vereinfachungsstrategie zu beteiligen, und die Notwendigkeit der Wahrung der Rechte des Parlaments ebenso wie die Frage der Anpassung seiner Geschäftsordnung hervorgehoben, denn die Vereinfachung kann nicht ohne jegliche demokratische Kontrolle, insbesondere nicht ohne die Kontrolle durch das Parlament, stattfinden.
Weiterhin muss das Parlament im Rahmen der Vereinfachung über die Verbesserung seiner internen und legislativen Verfahren nachdenken. Diese Frage wird Gegenstand eines besonderen Berichts sein, dessen Erarbeitung mir übertragen wurde. Was schließlich die alternativen Regulierungsverfahren betrifft, bin ich sehr erfreut darüber, dass in diesem Bericht eine genaue Festlegung ihrer Grenzen und Bedingungen gefordert wird, denn es ist von großer Wichtigkeit, in diesem Bereich Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.
Diana Wallis (ALDE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Petitionsausschusses. – (EN) Frau Präsidentin! Die Rechtsvorschriften bestehen aus Richtlinien und Verordnungen, und vor allem sie sind es, die unsere Bürger als das Ergebnis unserer Tätigkeit wahrnehmen. Die Rechtsvorschriften sind sozusagen unser wichtigstes Produkt. Doch die Rechtsetzung, vor allem auf europäischer Ebene, ist ein Prozess – ein langwieriger Prozesse – und kein Endpunkt. Die verschiedenen Berichte, über die wir heute diskutieren sind Ausdruck dieses Kontinuums. Da sind der Bericht Doorn und der Bericht Frassoni, wobei sich der erstgenannte Bericht auf die Rechtsetzung und die Subsidiarität konzentriert und der zweite auf die Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Doch unsere Bürger sollten von Anfang bis Ende in diesen Prozess einbezogen werden. Sie sollten uns helfen, den Themenkatalog auszuwählen, ihre Interessen bekunden und uns im Verlaufe des Entscheidungsprozesses informieren, und sie sollten das Endprodukt auf Herz und Nieren prüfen.
Im Mittelpunkt des Berichts Doorn steht der Einsatz von Folgenabschätzungen. Das ist wirklich zu begrüßen. Aber dabei müssen wir vorsichtig vorgehen. Folgenabschätzungen können nicht die politische Entscheidungsfindung ersetzen. Wir brauchen natürlich umfassende Informationen von allen Seiten und zu allen Aspekten, nicht nur zu den Auswirkungen auf die Privatwirtschaft. Dann können wir als Mitgesetzgeber entscheiden, aber es muss unsere Entscheidung sein und nicht die von Experten, Technokraten, Betroffenen oder Lobbyisten. Gebt uns alle Informationen in möglichst ausgewogener Form, dann können wir in völlig transparenter Weise eine politische Entscheidung treffen, für die wir die Verantwortung übernehmen. Keine noch so vielen Folgenabschätzungen und erneuten Folgenabschätzungen sollten die Demokratie ersetzen.
Ich komme jetzt zu einem der Hauptanliegen des Petitionsausschusses. Das ist vielleicht der Ausschuss in diesem Haus, der den Bürgern am nächsten ist. Sie wenden sich an uns, wenn das Gemeinschaftsrecht nicht funktioniert. Es ist die Aufgabe des Petitionsausschusses, den Bürgern zu helfen, auf Probleme bei der Umsetzung und Kontrolle des Gemeinschaftsrechts hinzuweisen. Dieser Tätigkeit sollte vor allem im Jahresbericht der Kommission wesentlich mehr Bedeutung beigemessen werden, und sie sollte mehr Anerkennung finden. Zum x-ten Mal sei festgestellt, dass der Petitionsausschuss die Kommission aufgefordert hat, im Falle von Vertragsverletzungsverfahren energischer vorzugehen, und wir begrüßen daher die diesbezüglichen Vorschläge von Frau Frassoni. Ich habe mich über Präsident Barrosos Ausführungen bezüglich der Umsetzung gefreut.
Wir haben auch auf die Rolle unserer Bürger im Rechtsetzungsprozess verwiesen. Viele von uns sähen es gern, wenn sie einen Beitrag zur Initiierung von Rechtsvorschriften leisten würden, wie dies von der EU-Bürgerinitiative im Rahmen des Verfassungsvertragsentwurfs vorgesehen ist, aber das muss wohl leider auf später vertagt werden. Doch wir könnten zumindest dafür sorgen, dass unsere Bürger verstehen, was wir in ihrem Namen tun. Der Vorschlag, jeder Richtlinie oder Verordnung eine rechtlich nicht verbindliche Zusammenfassung für die Bürger voranzustellen, scheint allgemeine Unterstützung zu finden. Kurz gesagt, wir sollten Gesetze erlassen, die in ihrer Form und in der Weise, in der wir sie erarbeiten und durchsetzen, zugänglich sind.
Malcolm Harbour, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte betonen, dass ich alle Berichte begrüße. Als Koordinator des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz möchte ich vor allem Frau McCarthy meine Anerkennung für die ausgezeichnete Arbeit aussprechen, die sie geleistet hat. Meine Anerkennung gilt auch unserem Ausschuss, der eine Anhörung in dieser Angelegenheit durchgeführt hat.
Eine der Lehren, die wir aus diesem Prozess ziehen sollten – und ich sage das vor diesem erlesenen Kreis von hier anwesenden Kollegen –, ist die, dass bessere Rechtsetzung eine Aufgabe ist, die jeden einzelnen Abgeordneten dieses Parlaments etwas angeht, ganz gleich welchem Ausschuss er angehört. Gut ist, dass wir die Diskussion ausweiten, aber die Beteiligung lässt zu wünschen übrig.
Der wichtigste Punkt, auf den ich heute Abend verweisen möchte und der auch in den Änderungsanträgen zum Ausdruck kommt, die ich zu Frau McCarthys Bericht unterbreitet habe und die vom Ausschuss angenommen wurden, ist die Tatsache, dass die bessere Rechtsetzung ein Prozess ist. Ich stimme Frau Wallis in vielem zu. Das Problem besteht darin, dass dieser Prozess schwierig und komplex ist und nur von wenigen Personen verstanden wird. Wir müssen versuchen, ihn zu erläutern und zu vereinfachen, aber wir müssen ihn sowohl unseren Wählern als auch allen Außenstehenden erläutern. Wie viele Personen in diesem Parlament können von sich behaupten, dass sie die Verfahren, die von der Kommission zur Verbesserung der Qualität der Gesetzgebung eingeführt wurden, wirklich verstehen? Wie viele von Ihnen wissen, welche Pflichten sie im Rahmen der berühmten Interinstitutionellen Vereinbarung haben, die vor zwei Jahren von Pat Cox, unserem damaligen Präsidenten, in diesem Saal unterzeichnet wurde? Ich vermute, dass die meisten von Ihnen keine Ahnung hätten, worin diese Pflichten bestehen, wenn wir dazu einen Fragebogen ausfüllen müssten.
Als Erstes, liebe Kollegen, sollten wir doch wohl unser eigenes Haus in Ordnung bringen; jeder von uns sollte diese vereinfachte Checkliste haben. Wir sollten darauf bestehen, dass allen Vorschlägen – und auch das ist eine Empfehlung – eine Checkliste beigegeben wird, auf der die Verfahren vermerkt sind, die die Kommission bereits durchgeführt hat und die sie künftig noch durchführen wird. Sofern einschlägige andere Dokumente oder Folgenabschätzungen vorliegen, sind diese beizufügen.
Das ist die Art von praktischer Definition und Präzisierung des Prozesses, die wir brauchen. Wenn wir das nicht tun, dann werden die Menschen da draußen ihren Glauben an den Prozess verlieren. Der Prozess der besseren Rechtsetzung ist für die Zukunft unserer gesamten Tätigkeit hier von grundlegender Bedeutung.
Maria Berger, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, sehr geehrte österreichische Ratspräsidentschaft! Ich darf mich bei allen Berichterstatterinnen und Berichterstattern und bei den Verfasserinnen und Verfassern der Stellungnahmen sehr herzlich bedanken, auch dafür, dass Sie alle einverstanden waren, heute eine gemeinsame Debatte dazu zu führen.
Diese gemeinsame Debatte erlaubt es uns, alle Aspekte zu sehen, die wir heute unter dem Stichwort better regulation bzw. better lawmaking zu debattieren haben. Ich muss eingestehen, dass diese Debatte für mich immer unübersichtlicher wird. Hinter den gut gemeinten Formeln, die wir hier hören und schon oft gehört haben, ist häufig kein konkretes Substrat mehr erkennbar. Manchmal habe ich auch den Verdacht, dass uns diese Debatte über die bessere Rechtsetzung von den tatsächlichen Aufgaben als Gesetzgeber ablenken soll und als Vorwand für ein Nichthandeln des Gemeinschaftsgesetzgebers dient bzw. dafür, dass bessere Regulierung zur Deregulierung wird.
Die Lage ist mittlerweile so unübersichtlich, dass man versucht ist, nach einem Prozess zu rufen, der die better regulation of the better regulation process vorsieht bzw. eine Folgenabschätzung der Folgenabschätzung. Ich bin den Berichterstattern dankbar, dass sie – allerdings innerhalb all dieses Nebels – einige sehr konkrete Maßnahmen herausgearbeitet haben. Das gilt insbesondere für den Bericht der Kollegin Frassoni und die konkreten Vorschläge für eine verbesserte Kontrolle der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, schnellere Vertragsverletzungsverfahren und eine größere Transparenz für den beschwerdeführenden Bürger.
Es kann ja nicht sein, dass Bürger eine Beschwerde einleiten, die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet, das Verfahren dann plötzlich gestoppt wird und die Bürger nicht wirklich darüber informiert werden, warum das Verfahren gestoppt wurde. Das verschlechtert oft ihre Rechtsposition bei anhängigen nationalen Verfahren. Hier ist einiges im Sinne der Transparenz notwendig.
Ich begrüße vor allem die Vorschläge, die der Herr Kollege Doorn ausgearbeitet hat, insbesondere zur Folgenabschätzung. Wir teilen seine Meinung, dass auch Akte der Komitologie der Folgenabschätzung unterliegen sollten. Wir teilen auch die Idee, dass die Folgenabschätzung einer unabhängigen Prüfung unterzogen werden sollte, die zwar unabhängig von der jeweils federführenden Generaldirektion sein sollte, aber nicht notwendigerweise außerhalb der Kommission erfolgen muss. Die Kommission hat ihre politische Verantwortung. Sie soll sie hier nicht abgeben, und im konkreten Fall will sie sie ja auch nicht wirklich abgeben.
Wo wir mit dem Herrn Kollegen Doorn nicht übereinstimmen, ist in der Frage der verpflichtenden Folgenabschätzung für Änderungsanträge im Parlament und im Rat. Ich denke, wir dürfen uns als Gesetzgeber hier nicht selbst Fesseln anlegen und uns entmündigen. Eine gute Folgenabschätzung durch die Kommission wird es auch erlauben, Auswirkungen von Änderungen abschätzen zu können. Es gibt zudem das Instrument der freiwilligen Anwendung der Folgenabschätzung, das – wie wir gehört haben – schon vom Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz eingesetzt wird. Das ist eine Sache, über die wir auch in anderen Ausschüssen reden sollten.
Für die bessere Rechtsetzung gilt das gleiche wie für alle anderen guten Vorsätze und schönen Dinge im Leben: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es – und redet nicht nur darüber.
Elizabeth Lynne, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich setze mich seit vielen Jahren für eine bessere Rechtsetzung ein, und zwar vor allem in meinem Ausschuss, dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Wir brauchen bessere und umfassendere Folgenabschätzungen, und wir müssen überlegen, ob die jeweiligen Regelungen überhaupt auf EU-Ebene gebraucht werden oder in vielen Fällen nicht besser den Mitgliedstaaten überlassen werden sollten. Wird eine solche Regelung gebraucht, dann sollte eine ordnungsgemäße Kosten-Nutzen-Analyse im Hinblick auf Unternehmen einschließlich von Kleinbetrieben und die Arbeitnehmer durchgeführt werden. Meines Erachtens sollten Folgenabschätzungen von wirklich unabhängiger Seite durchgeführt werden und nicht, wie es derzeit so häufig der Fall ist, eine Rechtfertigung für die Existenz der Vorschriften darstellen.
Wurde eine Regelung verabschiedet, dann muss sie auch, wie wir alle sagen, in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen umgesetzt werden. Wird sie nicht umgesetzt, dann ist sie möglicherweise nicht durchführbar. Ist sie nicht durchführbar, dann sollte sie, wie die Kommission sagt, aufgehoben werden.
Ich möchte abschließend feststellen, dass wir für die Einhaltung der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung sorgen müssen. In einer Antwort räumte die Kommission unlängst ein, dass kaum Fortschritte erzielt wurden.
Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich Herrn Barroso sagen, dass die heutigen Beschlüsse zur Energiepolitik beweisen, dass dort, wo ein Wille ist, auch ein Weg ist, und demzufolge ist es unser „Wille“, dass Sie öfter einen „Weg“ finden mögen, insbesondere in den Bereichen Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitspolitik. Das ist jedoch eine offenkundige Botschaft.
Herr Winkler, ich habe mit Bedauern festgestellt, dass Sie nichts zur Rechtsumsetzung gesagt haben, obwohl dieses Thema vor allem die Mitgliedstaaten betrifft. Außerdem wäre es meines Erachtens interessant, die Meinung des Rates zur möglichen Wiederaufnahme der – damals kläglich gescheiterten – Gespräche über jenen Teil der Vereinbarung über bessere Rechtsetzung zu erfahren, der sich auf die Anwendung des Rechts bezieht.
Was ferner die Frage der Folgenabschätzung anbelangt, so verhehle ich nicht meine Sorge, denn dieses Thema scheint zu einer Art Mythos zu werden, einem Zauberwort, das an sich schon die Rechtsetzung besser machen soll, weil sie auf wissenschaftliche und neutrale Grundlagen gestützt wird. Ich persönlich bin da skeptisch. Ja ich bin sogar besorgt, dass dieses Thema zu große Bedeutung erlangt, vor allem, weil einige der Vorschläge, die in den Berichten enthalten sind – insbesondere in dem von Frau McCarthy, aber nicht nur dort –, bürokratische Aufgaben einführen, die wirklich schwer zu bewältigen sein werden, vor allem für die Kommission. Das lässt Bedenken aufkommen, weshalb meine Fraktion wirklich froh darüber ist, dass wir die Abstimmung vertagt haben, denn somit haben wir die Möglichkeit, die Situation noch einmal zu prüfen, um zu einer Einigung zu gelangen.
Darüber hinaus stellen jene Elemente, von denen alle gesprochen haben und die als entscheidend für eine Folgenabschätzung betrachtet wurden, darunter die Verwaltungskosten, der übermäßige bürokratische Aufwand, die überhöhten tatsächlichen und vermeintlichen Kosten für die Unternehmen, an sich eine politische Weichenstellung dar. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, Herr Barroso und Herr Verheugen: ein Schreiben der UNICE hat genügt, um die Strategie zur Luftqualität drastisch einzuschränken, und zwar trotz einer Folgenabschätzung, die zwei Millionen Euro gekostet hat und in der es hieß, dass als Kosten nicht nur die für die Unternehmen, sondern auch die für die menschliche Gesundheit berücksichtigt werden müssen. Daher sind letztendlich auch Folgenabschätzungen politische Entscheidungen, weshalb ich Sie auffordern möchte, sie nicht so in den Vordergrund zu rücken und im Vergleich zu den anderen Aspekten des Gemeinschaftsrechts so überzubewerten.
Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zur Frage der Koregulierung und Selbstregulierung. Ich würde mir wünschen, dass die Kommission eine Überprüfung vornimmt, um festzustellen, wie diese Verfahren funktioniert haben, denn unseren Untersuchungen nach haben sie nicht funktioniert. Die Fähigkeiten der Unternehmen und Gesellschaften, diesen Selbstregulierungsvereinbarungen nachzukommen, wurden von den Unternehmen selbst als unzureichend eingeschätzt.
Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin! Es ist überaus beklagenswert, dass es in dieser Diskussion über Subsidiarität und bessere Rechtsetzung offensichtlich nur ein Leitmotiv gibt, nämlich mehr Wirtschaftwachstum und Wettbewerb durch weniger Regulierung. Dadurch wird die Illusion geweckt, dass insbesondere bei der Rechtsetzung auf Gebieten wie dem sozialen Schutz, der Umwelt und dem Verbraucherschutz der Subsidiarität mehr Beachtung geschenkt werden sollte. All das passt zu der neoliberalen Denkweise, weniger Rechtsetzung sei per definitionem gut.
Die Realität zeigt uns jedoch, dass gerade diese europäischen Rechtsvorschriften über den als heilig verehrten Binnenmarkt das Leben der Bürger Europas erschweren. Diese Rechtsvorschriften verlangen beispielsweise, dass eine kleine Gemeinde im Norden der Niederlande die Europäische Kommission um Erlaubnis fragen muss, bevor sie für ihre eigenen Bürger ein Glasfaserkabelnetz anlegen kann, oder dass staatliche Beihilfen der Stadt Amsterdam für den örtlichen Zoo als Wettbewerbsverzerrung angesehen werden. Kein Wunder, dass die niederländischen Bürger jegliches Vertrauen in eine weitere Ausdehnung der Brüsseler Befugnisse und in die vorgeschlagene Verfassung, die dieses Prozedere billigte und unterstützte, verloren haben. Sie haben dieses Dokument mit überwältigender Mehrheit in den Papierkorb verwiesen.
Die Realität sieht so aus, dass Subsidiarität seit langem zu einem nichtssagenden Begriff verkommen ist. Die europäischen Organe, allen voran dieses Parlament, stellen sich selten, wenn überhaupt, die Frage, ob ein Eingreifen vonseiten Europas in einem bestimmten Bereich dem Wohl von Mensch und Umwelt tatsächlich förderlich ist. Im Gegenteil, eine nicht versiegen wollende Flut europäischer Rechtsetzung untergräbt nach wie vor das Weisungsrecht nationaler und regionaler Stellen. Als Beispiel dafür möchte ich die Europäische Dienstleistungsrichtlinie anführen, die selbst in geänderter Fassung die Autonomie von Kommunalbehörden auf dem Gebiet der Genehmigungen oder lokalen Dienstleistungen stark aushöhlen wird.
Kurz gesagt, eine Diskussion über die Qualität und Subsidiarität der europäischen Rechtsetzung ist zwar begrüßenswert, jedoch ist es völlig naiv anzunehmen, mit dem Streichen einer Hand voll Rechtsvorschriften oder der Durchführung von Folgenabschätzungen ließen sich die grundlegenden Probleme des Eingreifens von Brüssel lösen. Hierzu müssten zunächst die Binnenmarktvorschriften komplett revidiert werden.
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte dem Kommissionspräsidenten und dem amtierenden Ratspräsidenten sowie unseren Berichterstattern dafür danken, dass sie in Bezug auf die heutige Aussprache für die richtige Atmosphäre gesorgt haben.
Unser Rechtsetzungsverfahren weist ganz offensichtlich Probleme auf; wir alle stoßen bei unserer täglichen Arbeit auf klar erkennbare Schwierigkeiten. Klar ist vor allem, dass das bestehende Regelwerk – der gemeinsame Besitzstand – dringend kodifiziert und vereinfacht werden muss, und zwar nicht nur damit Unternehmen ungehinderter und problemloser auf dem Binnenmarkt agieren können, sondern auch, um sicherzustellen, dass die Bürger erkennen, wo ihre Rechte geschützt sind. Es muss klar definierte Vorschriften geben, um zu verhindern, dass große Unternehmen die Rechte der Arbeitnehmer ignorieren, dass Finanzinstitutionen und andere Einrichtungen mit ihren Entscheidungen die Rechte von Verbrauchern mit Füßen treten. Deshalb bemühen wir uns im Parlament seit vielen Jahren um die Einführung von Folgenabschätzungen für alle Regelungen, um sie zu testen, bevor sie Gesetzeskraft erlangen, um festzustellen, ob sie erforderlich sind, und um wirklich zu verstehen, welche Auswirkungen sie haben werden, wenn sie schließlich in das jeweilige Recht umgesetzt werden.
Wenn man sich aber die ganze Problematik der Rechtsetzung genauer anschaut, so stellt man fest, dass die größten Schwierigkeiten und Versäumnisse bei der Umsetzung der vereinbarten europäischen Rechtsvorschriften auf der Ebene der Mitgliedstaaten zu finden sind. Nachdem die Regierungen bereits an der Entscheidungsfindung beteiligt waren und Parlament und Kommission ihren jeweiligen Beitrag geleistet haben, kommt es dann bei der Umsetzung zu Schwierigkeiten, weil vielleicht auf lokaler Ebene ein innerstaatlicher Disput ausgetragen wird oder man eine Gegenreaktion im politischen Bereich befürchtet.
Meines Erachtens wäre es falsch, wenn sich die Kommission lediglich als der schreckliche Durchpeitscher gegenüber den Mitgliedstaaten darstellen würde, denn bisweilen weist die Gesetzgebung Fehler und Irrtümer auf, die korrigiert werden müssen, und dazu ist Flexibilität erforderlich.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass bei der Bildung von Arbeits- oder Expertengruppen unbedingt an mit der Praxis vertraute Politiker gedacht werden sollte. Es sollten nicht nur Technokraten oder Verfasser parlamentarischer Dokumente einbezogen werden, sondern die Politiker selbst, die verstehen, wie man öffentliche Überzeugungsarbeit leistet und die Regelungen auf lokaler Ebene durchgesetzt werden.
Jens-Peter Bonde, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (DA) Frau Präsidentin! Heute sind doch nur einige wenige Spezialisten in der Lage, EU-Gesetze zu lesen und den Stand der Rechtsetzung in einem bestimmten Bereich zu beurteilen. Jeder Schafhirte muss alle Schafe im Blick behalten, aber kein EU-Organ kennt die genaue Anzahl unserer Gesetze. Wir haben ungefähr 20 000 Rechtsvorschriften erarbeitet, die mehr als 100 000 Seiten füllen. So wird beispielsweise das Recht im Bereich der Fischerei in über 70 verschiedenen Verordnungen geregelt. Warum können denn nicht alle ein und dasselbe Thema betreffenden Vorschriften in einem einfachen Rechtsakt zusammengefasst werden? Dieses Gesetz ist dann für die Bürger greifbar und lesbar, die erste Voraussetzung dafür, dass sie Einfluss nehmen können.
Geplante Änderungen können in Fettdruck kenntlich gemacht werden, und Wörter, die gestrichen werden sollen, können kursiv gesetzt werden. Auf diese Weise kann jeder erkennen, worauf der Vorschlag abzielt. Wir müssen auch das demokratische Prinzip aus unseren eigenen Verfassungen übernehmen, dem zufolge künftig kein EU-Gesetz mehr verabschiedet werden kann, über das nicht hier im Europäischen Parlament entschieden wurde. Unter diesen Voraussetzungen könnte in EU-Gesetzen das Thema Mitteilungen geregelt werden, wobei allerdings alle derartigen Instrumente auf der Grundlage nach einfacher Mehrheit im Rat und im Parlament überprüft werden könnten.
Zudem sollten sämtliche Ausschussverfahren, bei denen sich eine Minderheit mit der Kommission zusammentut, um Gesetze gegen den Willen der Mehrheit in den nationalen Parlamenten und im Europäischen Parlament durchzusetzen, abgeschafft werden. Es spottet doch jeder Beschreibung, dass die Kommission genetisch veränderte Cornflakes genehmigen konnte, obwohl 14 von 15 Ländern, deren Bürger mitbekommen hatten, was tatsächlich hinter verschlossenen Türen beschlossen wurde, gegen eine solche Genehmigung waren und das fünfzehnte Land sich letztlich auch dagegen aussprach. Wenn die Gesetzgebung in ihrer Gesamtheit gegenüber den Bürgern offen gelegt wird, werden wir auch bessere Gesetze haben.
Marek Aleksander Czarnecki (NI). – (PL) Frau Präsidentin! Einmal im Jahr kontrolliert die Europäische Kommission die Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Jetzt erörtern wir den 21. und 22. Jahresbericht der Kommission zu diesem Thema. Um das Ausmaß des Problems zu verdeutlichen, muss darauf hingewiesen werden, dass es um über viertausend Vertragsverletzungsverfahren geht. Eine so genannte mit Gründen versehene Stellungnahme ist in fast eintausend dieser Fälle ergangen, und mehr als 400 Fälle wurden an den Gerichtshof verwiesen.
Leider hat die Kommission den 22. Jahresbericht verspätet vorgelegt. Erst im Januar 2006 war er fertig gestellt, so dass das Parlament in seiner Entschließung nur einen Teil der Informationen für 2004 berücksichtigen konnte. Paradoxerweise könnte man sagen: Je mehr Beschwerden umso besser, denn dies zeigt, dass die Bürger der Mitgliedstaaten im Überwachungsprozess und damit auch im Rechtsetzungsverfahren der Union eine wichtige Rolle spielen. Die Beschwerden der Bürger haben keineswegs nur Symbolcharakter. Sie sind ein Bestandteil des Prozesses der Schaffung eines Europas der Bürger und im weiteren Sinne ein wirksames Instrument, mit dem die Anwendung des Gemeinschaftsrechts kontrolliert werden kann.
Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments sollten die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts engmaschig überwachen, insbesondere dann, wenn sich der jeweilige Berichterstatter aktiv an der Kontrolle der Anwendung einer bestimmten Rechtsvorschrift in einem einzelnen Mitgliedstaat beteiligen muss, und selbstverständlich auch dann, wenn im Falle von festgestellten Verstößen sofortiges Handeln angezeigt ist.
Die Effizienz des Prozesses sollte durch Abkürzung des internen Verfahrens verbessert werden; diese Forderung wurde zu Recht in den Entschließungsentwurf des Europäischen Parlaments aufgenommen. Es wäre auch angebracht, einzelne Kommissionsmitglieder zu ermächtigen, die fristgerechte Umsetzung von Gemeinschaftsvorschriften in nationales Recht direkt zu kontrollieren. Erreicht werden könnte dies, indem den Kommissaren die Befugnis erteilt wird, Auskunftsersuchen im Zusammenhang mit Vertragsverletzungen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich direkt an die Mitgliedstaaten zu richten.
Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Frau Präsidentin! Dass Sie mir helfen, ganz praktisch zur besseren Rechtsetzung beizutragen, indem ich das Privileg habe, mich mit der Konferenz der Ausschussvorsitzenden zu treffen und dort sehr intensiv über Rechtsakte zu sprechen, hat durchaus mit dieser Debatte zu tun. Ich danke jedenfalls für Ihr Verständnis.
Ich möchte ganz kurz zu ein oder zwei Themen, die hier in der Debatte angeklungen sind, Stellung nehmen. Es wurde von sehr vielen Rednern über die Frage der Komitologie gesprochen. Im Österreichischen sagt man: „Man soll nicht über Eier, die noch nicht gelegt sind, gackern.“ Aber wir haben gerade unter dem österreichischen Vorsitz das Thema Komitologie mit großem Engagement wieder aufgenommen. Wir haben mit den dazu befugten Vertretern des Europäischen Parlaments bereits zwei sehr intensive Verhandlungsrunden geführt, die letzte erst vor ungefähr zwei Stunden. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, nach einigen Jahren jetzt doch noch zu einer Lösung zu kommen, die für das Parlament und für den Rat befriedigend ist.
In jedem Fall wird es zu einer Verbesserung der derzeitigen Situation kommen, weil selbstverständlich auch das Parlament in jene Rechtsetzungsakte eingebunden werden soll, die im Einvernehmen von Rat und Parlament im Mitentscheidungsverfahren erlassen werden. Wir sind hier relativ nahe an einer Lösung, und ich hoffe, dass wir noch in diesem Halbjahr zu einer endgültigen Lösung kommen können. Damit tragen wir auch zu einer besseren Gesetzgebung bei.
Frau Frassoni hat selbstverständlich völlig zu Recht auf die Bedeutung der Rechtsdurchsetzung hingewiesen. Das betrifft die Mitgliedstaaten, also nicht den Rat als solchen – und ich spreche hier natürlich im Namen des Rates –, aber die einzelnen Mitgliedstaaten sind in der Diskussion mit der Kommission selbstverständlich bemüht, bessere Methoden zu finden, um der Rechtsanwendung zum Durchbruch zu verhelfen. Auch wir – das sage ich jetzt als Österreicher – sind natürlich davon betroffen, so wie alle anderen Mitgliedstaaten, auch wir sind so wie viele Mitgliedstaaten von den Vertragsverletzungsverfahren betroffen. Als Jurist sage ich, dass jedes Recht selbstverständlich auch einen Durchsetzungsmechanismus braucht; das ist wichtig, und wir bemühen uns auch, besser auf die Kommission zu hören und bessere Methoden der Rechtsdurchsetzung und der Rechtsanwendung zu finden.
Ich wollte damit, dass ich darüber nicht im Namen des Rates gesprochen habe, selbstverständlich nicht sagen, dass die Rechtsanwendung und die Rechtsdurchsetzung nicht von ebenso großer Bedeutung ist wie die Rechtsetzung.
Was den Rat betrifft, steht natürlich die Frage der Rechtsetzung und die Überprüfung bereits beschlossener Rechtsakte im Vordergrund der Überlegungen.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin, ich kann mir nicht helfen, aber immer wenn ich den Namen Winkler da oben sehe, muss ich an Henry Winkler denken. Können Sie sich noch an Fonzie in „Happy Days“ erinnern? Es ist gut, einen österreichischen Minister als Fonzie zu haben, der grünes Licht für bessere Rechtsetzung gibt.
Wir beschäftigen uns während dieser Plenartagung mit drei Fragen, zwischen denen ein Zusammenhang besteht. Bei der ersten Frage mit der wir uns gestern befassten, ging es um Transparenz und Offenheit des Rates; die zweite betrifft diese Debatte über bessere Rechtsetzung, und bei der letzten, mit der wir uns heute Abend beschäftigen werden, wird es um die Bürgerschaft gehen. Ich unterstütze alle diese Initiativen; sie sind meines Erachtens ganz großartig; ich denke, dass der Generalsekretär in der Kommission unter Leitung von Herrn Ponzano ausgezeichnete Arbeit leistet, und ich möchte alle vier Berichte, die heute vorgelegt wurden, dem Haus empfehlen.
Trotzdem muss ich gerade in Anbetracht der Tatsache, dass wir über bessere Rechtsetzung sprechen, feststellen, dass mir etwas mulmig wurde, als ich begann, die Berichte zu studieren. Ich lese Ihnen einfach mal daraus vor; achten Sie auf die Sprache. Ich glaube, wir haben hier ein Kommunikationsproblem. Frau Frassoni hat einen hervorragenden Bericht erarbeitet, aber Ziffer 18 „stellt fest, dass das SOLVIT-Netz im Binnenmarkt seinen Nutzen als ergänzender außergerichtlicher Mechanismus unter Beweis gestellt und die freiwillige Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gefördert hat…“. Das stimmt alles, aber wenn Sie da oben sitzen und versuchen zuzuhören, dann werden Sie nicht notwendigerweise verstehen, was das bedeutet. Herr Doorn ist in seinem Bericht über bessere Rechtsetzung in Ziffer 5 „der Auffassung, dass das Lamfalussy-Verfahren ein nützlicher Mechanismus ist; erachtet die Konvergenz der Beraterpraktiken als von entscheidender Bedeutung; begrüßt in diesem Zusammenhang die Arbeit der Ausschüsse der Ebene 3 und unterstützt die Forderung nach angemessenen Instrumenten“ – prima. Im Bericht McCarthy– den ich für den verständlichsten halte – heißt es in Ziffer 6: „fordert, dass die Kommission sowohl Ex-ante- als auch Ex-post-Folgenabschätzungen zu Rechtsvorschriften vornimmt, um Hilfestellung bei der Prüfung der Frage zu geben, ob politische Schlüsselziele verwirklicht worden sind“, und der Bericht Gargani enthält dieselben Formulierungen. Damit versuche ich zu sagen, dass wir bessere Rechtsetzung brauchen, aber das hat etwas mit Vereinfachung zu tun, damit, dass wir verstehen, worüber wir entscheiden, und die Bürger, worüber wir versuchen zu entscheiden. Genau darum geht es bei der besseren Rechtsetzung; deshalb müssen wir uns klarer ausdrücken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ins Finnische gedolmetscht klang.
(Heiterkeit und Beifall)
Béatrice Patrie (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Hinter einer scheinbar technischen Debatte verbirgt sich hier eine Auseinandersetzung von großer politischer Bedeutung. Natürlich brauchen wir eine bessere Rechtsetzung, doch ohne Deregulierung und ohne den Gesetzgeber selbst ins Abseits zu drängen. Daher möchte ich meine größten Vorbehalte gegenüber bestimmten alternativen Regelungsverfahren wie der Regulierung und der Selbstregulierung zum Ausdruck bringen. Sie haben zwar ihren Platz, doch im Interesse der Bürger und der Verbraucher dürfen sie auf keinen Fall an die Stelle von Gesetzen treten, die Rechte, aber auch Pflichten beinhalten und daher das legitimste demokratische Instrument bleiben müssen.
Was die Konsultationen vor dem legislativen Prozess betrifft, so fordere ich die drei Organe auf, neben den Wirtschaftsteilnehmern die effektive Teilnahme der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft in all ihrer Unterschiedlichkeit zu ermöglichen. Es gehört in der Tat zu den Verantwortlichkeiten der öffentlichen Behörden, die Organisation dieser Akteure – d. h. von Verbraucherverbänden, Nutzern öffentlicher Dienstleistungen, Verbänden zur Bekämpfung der Ausgrenzung oder Volksbildungsvereinen – europaweit zu unterstützen.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung zu dem fortlaufenden Vereinfachungsprogramm machen, das die Lissabon-Strategie fördern soll. Ich bin erstaunt darüber, dass es an vorderster Stelle die Neuformulierung der Verordnung über den ökologischen Landbau enthält, obwohl die Erzeuger dieses Sektors dies gar nicht fordern, und gleichzeitig so wichtige Vorschläge wie die zur Rechtsstellung der Gegenseitigkeitsgesellschaften und des Europäischen Vereins aus dem Gesetzgebungsprogramm gestrichen wurden.
Frédérique Ries (ALDE). – (FR) Frau Präsidentin! Ich stimme hier mit denen voll überein, die der Meinung sind, dass eine Schlankheitskur dem Europa der Regulierung gut tun würde, einem Europa, das äußerst pedantisch ist, wenn es um die Prinzipien geht, aber leider viel laxer bei der Kontrolle der Umsetzung und der ordnungsgemäßen Anwendung unserer Gesetzgebung.
Eines steht fest: Zehn Jahre nach dem Beginn des Programms SLIM und trotz des Abschlusses der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ vor zwei Jahren sind wir heute noch weit vom Ziel entfernt. Wir haben den Gesetzgebungsdrang der Union noch immer nicht gestoppt. Daher bin ich höchst erfreut darüber, dass die Kommission uns heute diese ausgewogene Diät vorschlägt: drei Voraussetzungen, damit diese Agenda funktioniert, die Union stärkt und sie bürgernäher macht. Es ist gesagt worden, dass Europa nur dann gesetzgeberisch tätig werden darf, wenn es bessere Ergebnisse erbringt als die anderen Machtebenen. Von den Kanarischen Inseln über Brüssel bis nach Skandinavien – wir haben soeben Herrn Stubb gehört – müssen wir ein für alle Mal Schluss machen mit dem europäischen Jargon und in der Sprache sprechen und Gesetze schreiben, die von denen am besten verstanden wird, für die sie bestimmt sind. Es gäbe viele Beispiele anzuführen.
Drittens, die Schlankheitskur, die wir wollen und die insbesondere auch die KMU wollen, ist nicht gleichbedeutend mit Laissez-faire, mit Nichtintervention. Es ist zu unterstreichen – und damit komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin –, dass bessere Rechtsetzung nicht mit fehlender Ambition gleichzusetzen ist. Ich stimme mit Frau Frassoni überein, denn wenn ich diesen letzten Punkt hervorhebe, denke ich beispielsweise an REACH.
Alyn Smith (Verts/ALE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich beglückwünsche alle Berichterstatter zu dieser enormen Anstrengung, die sie heute unternehmen, und möchte kurz auf zwei Punkte eingehen: die Transparenz des Rates und Herrn Doorns Bericht zur Subsidiarität.
Wie wir gestern hörten, stellt der Mangel an Transparenz im Rat das größte unausgesprochene Problem dar; er ist nach wie vor die Hauptursache eines Großteils der Unzufriedenheit mit der EU-Rechtsetzung generell. Es muss dem Rat doch möglich sein, mehr zu tun, um seine Beratungen in angemessener Weise öffentlich durchzuführen. Derzeit regiert man nur in Havanna und Pjöngjang auf derart undurchsichtige Art und Weise. Das sollten wir im 21. Jahrhundert wirklich besser können.
Ich komme jetzt zur Subsidiarität und konkret zu den Ziffern 25 bis 29 des Berichts Doorn, und ich möchte mein Heimatland Schottland als Beispiel für die verpasste Gelegenheit anführen, die die Subsidiarität gegenwärtig darstellt. Schottland ist derzeit Teil eines Mitgliedstaates, der nicht für sein begeistertes Engagement für die EU bekannt ist. Dabei würde unser Parlament in Edinburgh einen enthusiastischen Beitrag zur besseren Rechtsetzung in der EU leisten. Unser Parlament ist voll verantwortlich für die Bereiche Gesundheit, Umwelt, Justiz, Bildung, Fischerei, Landwirtschaft und viele andere Bereiche. Dennoch endet die Subsidiarität nach Ansicht der EU nur zu oft auf der Ebene der Mitgliedstaaten, obwohl der geeignetere Partner möglicherweise auf lokaler Ebene zu finden ist.
Ich unterstütze sämtliche Empfehlungen, die Herr Doorn zu den Folgenabschätzungen gibt, wobei ich mich den Bemerkungen von Frau Wallis über das politische Engagement anschließe und betone, dass dieses Engagement so lokal wie möglich erfolgen sollte. Vielleicht kann die Subsidiarität dann einen Beitrag zur besseren Rechtsetzung in der EU leisten.
Jonas Sjöstedt (GUE/NGL). – (SV) Frau Präsidentin! Meines Erachtens kann diese Aussprache nicht auf eine Diskussion über die Qualität der Gesetzgebung reduziert werden. Wir müssen auch über die Menge der EU-Rechtsvorschriften reden. Fakt ist, dass sich die Anzahl der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in den letzten Jahren dramatisch erhöht hat und die EU jetzt Gesetzgebungsfunktionen in einer Vielzahl neuer Bereiche wahrnimmt. Gleichzeitig ist es äußerst selten, dass die EU ihre Entscheidungsbefugnis wieder an die Mitgliedstaaten zurück überträgt oder Rechtsvorschriften aufhebt. Die Kombination von einer großen Menge an Rechtsvorschriften und deren mangelhafter Qualität macht das Ganze unübersichtlich und erschwert die Umsetzung der Vorschriften in die Praxis.
Was die Qualität betrifft, kann bereits jetzt viel getan werden. In den Berichten werden dazu auch Vorschläge unterbreitet. Veraltete Vorschriften können aufgehoben, andere können vereinfacht oder zusammengefasst und konsolidiert werden. Das ist alles schön und gut, aber wir brauchen auch eine andere Herangehensweise an die legislative Arbeit. In der Festlegung der Ausrichtung der Rechtvorschriften müssen wir uns mehr auf die Ziele statt auf die Details konzentrieren und den Mitgliedstaaten größere Freiheit beim Erreichen der gesteckten Ziele geben.
Folgeabschätzungen sind eine gute Sache, aber es ist nicht immer so einfach, das zu messen, was man messen will. Oftmals lassen sich offensichtliche Wirtschaftsfaktoren leichter messen als beispielsweise Umweltfaktoren. Diese Diskussion hatten wir ja schon einmal im Zusammenhang mit der Aussprache zur Chemikalienpolitik REACH. Es war einfach, die Kosten der Unternehmen zu messen, aber schwer, die enormen positiven Auswirkungen auf die Volksgesundheit oder die Verringerung des menschlichen Leidens durch weniger Krankheiten zu erfassen. Deshalb sollte man auf diesem Gebiet etwas vorsichtig sein.
Um eine wirkliche Vereinfachung zu erreichen, muss die Anzahl der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften verringert werden, und der Bereich, der am meisten überreguliert ist, ist die Agrarpolitik. Hier könnten die meisten Angelegenheiten auf die Ebene der Mitgliedstaaten zurück übertragen werden und Tausende Vorschriften verschwinden. Einige Redner haben auf die Europäische Verfassung verwiesen, die aber das Problem vergrößern würde, indem sie die Macht der EU erhöht und es der Union erleichtert, sich neue legislative Befugnisse anzueignen, und zwar auf Gebieten, auf denen sie eigentlich nichts zu suchen hat. Daher sollten wir heute auch den niederländischen und französischen Wählern danken.
Konrad Szymański (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Ob ein Gesetzgeber wirklich etwas von seinem Fach versteht, merkt man nicht nur daran, dass er in der Lage ist, vernünftige Gesetze zu machen, sondern auch daran, dass er dort, wo keine Regulierung erforderlich ist, darauf verzichtet. Daher verdienen die Aussagen in dem Bericht über die Erweiterung und Straffung der Grundsätze für die Abschätzung der Kosten und der Folgen von Gesetzen jedwede Unterstützung.
Im Bericht ist von der negativen Wirkung politischer Kompromisse auf die Entwicklung des europäischen Rechts die Rede. Ein gutes Beispiel dafür ist die Dienstleistungsrichtlinie. Jede der beiden an der Debatte beteiligten Seiten nimmt für sich in Anspruch, einen Sieg errungen zu haben. Für die Sozialisten erklärt Frau Gebhardt, dass sie die Richtlinie vollkommen umgekrempelt habe, und Herr Harbour stellt im Namen der Konservativen erfreut fest, dass ein ausgezeichneter Kompromiss erzielt wurde.
Wer liegt nun falsch? Möglicherweise keiner von beiden? Es ist durchaus vorstellbar, dass wir jetzt ein Dokument mit dutzenden von widersprüchlichen Bestimmungen haben, das hoffentlich für jeden etwas enthält. Das Ganze läuft auf eine dem allgemeinen Wohlbefinden der Mitgliedstaaten, der Union insgesamt und auch dieses Hohen Hauses dienende Therapie hinaus. Wir beruhigen jedoch unser Gewissen auf Kosten der Bürger, der Unternehmer und der Qualität unserer Gesetze.
Johannes Blokland (IND/DEM). – (NL) Frau Präsidentin! Gestatten Sie mir anlässlich der Berichte über bessere Rechtsetzung, die heute erörtert werden, einige Bemerkungen zu der Rolle von Folgenabschätzungen. Dem Vernehmen nach strebt Herr Doorn eine stichprobenartige Kontrolle durch eine Gruppe führender Sachverständiger an. Den Gedanken, der dahinter steckt, unterstütze ich uneingeschränkt. Ebenso wie er plädiere ich für einen wirklich unabhängigen Ausschuss, der sich also nicht aus Vertretern der drei Organe zusammensetzt.
Beispiele dafür kennen wir in den Niederlanden in Form des Ausschusses, der Umweltverträglichkeitsstudien überwacht. Wenn man sich bei einer solchen Gruppe mehrmals eine blaue Nase geholt hat, dann ist man das nächste Mal bestimmt bestrebt, seinen Rechtsakt in Ordnung zu bringen. Ich möchte hinzufügen, dass Rechtsetzung zwar stets ein Lernprozess ist, aber die explizite Beschreibung in Erwägung J des Berichts Doorn erscheint mir doch viel zu negativ. Wir tun unser Möglichstes, um wirksame Rechtsvorschriften zu verabschieden. Das geht bestimmt einmal schief, aber meines Erachtens führt es zu weit, dies von Beginn an als Ziel anzusehen.
Bruno Gollnisch (NI). – (FR) Frau Präsidentin! Sie sind eine eminente Spezialistin des Altjapanischen der Tokugawa-Epoche, in der man das Volk bewusst in Unkenntnis der als Staatsgeheimnis geltenden Gesetze hielt, deren Kenntnis nur einer Handvoll hoher Herren vorbehalten war, denn man dachte, dass das Volk Gesetzesnormen, die es überhaupt nicht kannte, viel größere Achtung entgegenbringen würde. Manchmal frage ich mich, ob wir uns nicht in der Tat von dieser altjapanischen Gesetzgebung leiten lassen.
In Wirklichkeit, so denke ich, meine Damen und Herren, ist die Komplexität des Europarechts die widersinnige Auswirkung einer Gruppendynamik, an der wir voll und ganz beteiligt sind. Worum handelt es sich? Erstens, das Initiativrecht liegt bei der Kommission, doch hinter jedem Kommissar steht natürlich die entsprechende Generaldirektion mit den dazugehörigen Beamten. Dann kommt die Vorlage zum Rat. Theoretisch besteht der Rat aus Ministern. Diese einigen sich auf einen Text unter der Voraussetzung, dass jede der entsprechenden Bürokratien darin sämtliche Vorschriften findet, die in dem gemeinsamen Entwurf enthalten sein sollen. Dann wird der Text dem Parlament übermittelt, und dieses ernennt einen Berichterstatter. Und natürlich will der Berichterstatter – das ist ganz verständlich –, dass sein Name in die Geschichte eingeht. Das wird allerdings eher der Fall sein, wenn er Vorschriften hinzufügt, als wenn er welche streicht, ganz zu schweigen von den Abgeordneten, die Änderungsanträge einbringen, von der bedeutenden Rolle der Lobbygruppen usw. Und so, meine Damen und Herren, kommen wir zu einem wahrhaften Regelwust.
Ich bin seit 17 Jahren in diesem Parlament, und bereits im ersten Jahr, in dem ich hier saß, fand schon eine Aussprache über die Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts statt. Ich habe den Eindruck, dass wir in diesen 17 Jahren keinen Schritt vorwärts gekommen sind, sondern dass sich die Lage im Gegenteil noch verschlimmert hat.
Was ist angesichts dessen zu tun? Es ist erforderlich, sich über die Bedeutung der verwendeten Begriffe zu einigen. Wir brauchten ein wirkliches Lexikon des Gemeinschaftsrechts, ein Gesetzbuch wie das Zivilgesetzbuch, das Handelsgesetzbuch oder das Strafgesetzbuch, das rationell aufgebaut ist, in Teile, Unterteile, Kapitel, Abschnitte und Artikel unterteilt ist, so dass wir, wenn wir an einem Text arbeiten, im Voraus wissen, dass wir den und den Artikel ändern. Kurz, wir brauchen umfassende Vereinfachungsbestrebungen. Ich befürchte jedoch, dass wir trotz aller von den Berichterstattern zum Ausdruck gebrachten guten Vorsätze noch weit davon entfernt sind. Ich danke Ihnen.
Andreas Schwab (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Herr Kommissar Verheugen! Ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, allen vier Berichterstattern für ihre wertvolle Arbeit zu diesem Thema, das nicht nur die Stammtische bewegt, sondern immer mehr auch die Politik, zu danken.
Erfrischend an dieser Debatte fand ich vor allem den Beitrag des Kollegen Gollnisch, der ein wirklich lebhaftes Plädoyer für die Einführung der Europäischen Verfassung gehalten hat, was uns offenbar – was ich bisher nicht wusste – verbindet. Ich glaube in der Tat auch, dass wir mit der Europäischen Verfassung im Bereich der normativen Rechtsetzung sehr viel besser dastünden, als dies heutzutage der Fall ist. Ich freue mich, dass wir da an einem Strang ziehen.
Diese ganzen Berichte zur besseren Rechtsetzung – und ich finde, das muss man sich immer klar machen, wenn es um die Sache geht – zielen ja nicht darauf ab, den einzelnen Bürger mit den Rechtstexten besser vertraut zu machen, sondern darauf, den Mitgliedstaaten einen einfachen Text für die Umsetzung an die Hand zu geben. Deswegen müssen wir uns bei den Herausforderungen, mit denen wir hier konfrontiert sind, das Ziel klar vor Augen führen.
Natürlich beklagen wir gerade in diesem Zusammenhang – und ich meine es gar nicht ironisch, dass ich gerade in diesem Punkt meinem Vorredner ausnahmsweise einmal ausdrücklich zustimmen muss –, dass wir im Bereich der Komitologie einen sehr intransparenten Rechtsetzungsprozess haben, der hier gelegentlich kritisiert wurde.
Deswegen bin ich davon überzeugt, dass wir eine externe Prüfung europäischer Rechtsetzung brauchen und diese externe Prüfung nicht nur durch die Kommission selbst erfolgen kann. Es stellt sich die Frage, ob dies durch eine Agentur – Sie kennen alle unsere Vorbehalte gegen die Schaffung weiterer Agenturen, frei nach dem Motto: kein Bürokratieaufbau zum Bürokratieabbau – oder durch andere externe Stellen geschehen kann. In jedem Fall sollten wir als Parlament bei der Auswahl dieser externen Stellen beteiligt sein.
Deswegen bieten diese vier Berichte, über die wir heute diskutieren, eine hervorragende Ausgangsgrundlage auch dafür, in dieser Frage zwischen Parlament und Kommission und möglicherweise auch dem Rat zu einer gemeinsamen Position zu kommen.
Andrzej Jan Szejna (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Bessere Rechtsetzung in der Europäischen Union erfordert transparenter formulierte, vernünftige Regelungen, aber auch eine schnellere und wirksamere Umsetzung und Anwendung dieser Regelungen. Noch viel zu oft wird das Gemeinschaftsrecht falsch angewendet. Teilweise liegt das an der schlechten Qualität der Vorschriften, teilweise aber auch daran, dass die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen aus politischen, wirtschaftlichen oder verwaltungstechnischen Gründen absichtlich unterlaufen.
Hinzu kommt, dass die Gerichte in vielen Mitgliedstaaten den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nach wie vor nur zögerlich durchsetzen. Wenn die EU-Rechtsvorschriften nicht für allgemein verbindlich erachtet werden, wenn ihre Umsetzung und Durchführung vom guten Willen einer Regierung abhängen, haben wir es bald mit einer objektiven Renationalisierung von Politikfeldern der EU zu tun, wie Frau Frassoni in ihrem Bericht zutreffend feststellt. Dies hätte sehr nachteilige Folgen für den Binnenmarkt und den gesamten „acquis communautaire“.
Die uneinheitliche Umsetzung kann auch dazu führen, dass gemeinschaftsrechtliche Vorschriften aufgrund der Anwendung unterschiedlicher Bestimmungen in verschiedenen Ländern falsch angewendet werden; wodurch die Glaubwürdigkeit der Union untergraben wird. Wenn es uns nicht gelingt, unsere Forderung nach korrekter Umsetzung des EU-Rechts gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten durchzusetzen, können wir doch von den Menschen nicht den Glauben erwarten, dass Organe der Union wie die Kommission, der Rat oder das Europäische Parlament die aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte der Bürger wirksam verteidigen werden.
Karin Riis-Jørgensen (ALDE). – (DA) Frau Präsidentin! Das Europäische Parlament muss sich an die Spitze derjenigen setzen, die eine bessere Rechtsetzung wollen. Die Tätigkeit des Europäischen Parlaments muss transparent und verständlich formuliert sein, und wir müssen insbesondere die verwaltungstechnischen Hürden in der europäischen Gesetzgebung beseitigen. Daher fordere ich die Parlamentsführung auf, für eine bessere Koordinierung unserer gesetzgeberischen Tätigkeit Sorge zu tragen, damit wir nicht noch einmal in die Lage geraten, dass Ausschüsse einander widersprechende Änderungen vorschlagen. Gleichzeitig müssen wir der Rechtssicherheit und Berechenbarkeit für unsere Bürger Vorrang einräumen und den Behörden bzw. dem Europäischen Gerichtshof nicht zuviel Spielraum für Ermessensentscheidungen lassen.
Der Präsident des Europäischen Rates, der österreichische Bundeskanzler, hat dem Europäischen Gerichtshof vorgeworfen, dass er zu viele Befugnisse an sich zieht. Eigentlich macht der Gerichtshof aber nur seine Arbeit, weil wir als Gesetzgeber unsere nicht gut genug tun.
Leider befürchte ich, dass uns bei der Dienstleistungsrichtlinie die gleichen Fehler unterlaufen werden wie in der Vergangenheit und dass wir dem Europäischen Gerichtshof zu viel Ermessensspielraum für die Auslegung lassen. In diesem Bereich müssen wir alle in der zweiten Lesung wirklich besser sein.
Zita Pleštinská (PPE-DE). – (SK) Bei meinen Gesprächen mit Interessengruppen des Binnenmarkts wurde ich oft mit Kritik an den geltenden EU-Rechtsvorschriften konfrontiert. Schlecht abgefasste Rechtsakte erschweren häufig die Umsetzung der Entwürfe in die Rechtssysteme der betreffenden Staaten. Teilnehmer der öffentlichen Anhörung zu diesem Thema, unter ihnen auch Kommissar Verheugen, bestätigten, dass mehrdeutige Formulierungen nicht selten für Rechtsunsicherheit sorgen oder den Wettbewerb verzerren und den Binnenmarkt fragmentieren, wodurch die Fähigkeit der Verbraucher und Unternehmen, von seinen Vorzügen uneingeschränkt Gebrauch zu machen, geschwächt wird.
Deshalb begrüße ich die Empfehlungen der Berichterstatterin, Frau McCarthy, an die Kommission zur weiteren Konsolidierung, Vereinfachung und Kodifizierung des Gemeinschaftsrechts, damit es verständlicher wird. Selbstverständlich sollten wir es uns zur Regel machen, dass eine bessere Rechtsetzung die Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards nicht aushöhlen darf. Aufgrund meiner Erfahrungen, die ich beim Verfassen des Berichts über die Finanzierung der europäischen Normung gesammelt habe, teile ich uneingeschränkt die Meinung der Berichterstatterin, dass nur gute, klare und vor allem einfache Binnenmarktvorschriften den Bürgern, Verbrauchern und Unternehmen zugute kommen und mithelfen, die Position der Europäischen Union gegenüber den Wettbewerbern in der Weltwirtschaft zu stärken.
Meine Damen und Herren, meiner Überzeugung nach liefert bessere Rechtsetzung eine Grundlage für Bemühungen der europäischen Institutionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Generierung von Wachstum in der Europäischen Union unter der geänderten Lissabon-Strategie. Zum Schluss möchte ich den vier Berichterstattern dafür danken, dass sie eine neue Architektur für bessere Rechtsetzung in einem Europa mit größerer Bürgernähe errichtet haben.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Es gab eine Zeit, als die Gesetze von den Göttern gemacht wurden; sie schufen vollkommene Gesetze. Dann ermüdeten die Götter, und die Menschen begannen, die Gesetze zu erarbeiten, und nun sind die Gesetze unvollkommen. Deshalb entscheiden nunmehr nur wir selbst, ob ein Gesetz gut oder schlecht ist. Das einzige Kriterium, um zu beurteilen, ob ein Gesetz etwas taugt oder nicht, ist die Demokratie, das Kriterium der Mehrheit, denn, wie Rousseau sagte, ist es vernünftig, dass die Mehrheit entscheidet, und nicht die Minderheit.
Nach Einführung dieses Grundsatzes in den modernen Demokratien ist die Demokratie repräsentativ, und es sind die Parlamentarier, die Rechtsvorschriften erlassen; sie können Fehler begehen, aber das einzige Kriterium für die Legitimität ist die parlamentarische Mehrheit. Davon ausgehend glaube ich, dass die größte Gefahr für die Demokratie zurzeit die Technokratie in Verbindung mit wirtschaftlichen Interessen ist – bekannt als Selbstregulierung oder Koregulierung –, die einen Weg darstellt, um allgemeine Interessen in die Hände individueller Interessen einiger weniger zu legen, und daran sollten wir denken.
Ich persönlich wurde für viele Wahlperioden gewählt, aber ich wäre nicht bereit, auf meine legislative Verantwortung zugunsten von Nebenabreden und zugunsten technokratischer Interessen zu verzichten.
Zuzana Roithová (PPE-DE). – (CS) Meine Damen und Herren! Mir ist klar, dass der neue Ansatz in der europäischen Gesetzgebung ein Umdenken und möglicherweise sogar Vertragsänderungen erfordert. Wenn wir aber erreichen wollen, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen in den Binnenmarkt nicht verliert, müssen wir gegen das Abfließen von Investitionen und den Verlust von Arbeitsplätzen vorgehen. Es geht also nicht nur um eine geringere Anzahl von Gesetzen und die Vereinfachung der Gesetzgebung. Meiner Meinung nach müssen wir auch die ursprünglichen Ziele europäischer und nationaler Rechtsvorschriften auf den Prüfstand stellen. Damit stehen wir vor einer schweren politischen Aufgabe. Wir, meine Damen und Herren, sind diejenigen, die fordern müssen, dass jede einzelne Maßnahme unabhängig davon, ob sie zum Beispiel den Gesundheits- oder Umweltschutz oder andere Bereiche betrifft, einer Folgenabschätzung unterzogen wird. Dies legt Frau McCarthy im Bericht des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz dar. Ich möchte hinzufügen, dass klar sein muss, welche Kosten auf europäische Erzeuger zukommen, in welchem Umfang die öffentlichen Finanzen aufgestockt oder gekürzt werden und welche Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit in unseren Regionen zu erwarten sind. Insbesondere sollten wir im Voraus wissen, wie sich auf eine Verbesserung der Standards abzielende Rechtsvorschriften auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Erzeugnisse gegenüber Produkten aus Drittstaaten auswirken, um sicherzustellen, dass am Ende nicht noch mehr Fertigungskapazitäten aus Europa verlagert werden und weiteres Kapital abfließt.
Bessere Rechtsetzung bedeutet aus Kostensicht auch, dass wir genau prüfen werden, ob die neuen Maßnahmen tatsächlich Verbesserungen im Hinblick auf die gesundheitlichen oder sozialen Bedingungen für unsere Bürger bewirken werden oder ob dies nur eine unbegründete Annahme ist. Mir als Ärztin und Politikerin gefällt es gar nicht, dass so viele europäische und nationale Rechtsvorschriften schlichtweg nur populistische Gesten sind. Dennoch habe ich keine klaren Vorstellungen, wie der Verbraucher vor gesundheitsschädlichen oder gefälschten Erzeugnissen aus Drittländern geschützt werden kann, die europäische Qualitätsprodukte verdrängen. Als Beispiel kann ich Kinderschuhe aus Asien anführen, die aus orthopädischer Sicht Mängel aufweisen. Als einzige Lösung wäre hier eine neue obligatorische Bescheinigung über die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Kinderschuhwerk denkbar, wobei im Übrigen auch die Allgemeinheit mit einer solchen Regelung besser zurechtkommen würde.
Zu meinem Bedauern kommt die Kommission beim Verbraucherschutzrecht und bei den rechtlichen Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums viel zu langsam voran. Noch nie war die Qualität der europäischen Gesetzgebung so wichtig wie heute, da die Union sich mit ernst zu nehmender Konkurrenz aus Drittstaaten konfrontiert sieht. Das politische Ziel der heutigen Rechtsetzung besteht darin, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten und den europäischen Verbraucher zu schützen – und zwar gleichermaßen innerhalb wie außerhalb Europas. Zugleich wird damit das Anliegen verfolgt, die Kreativität unserer Bürger zu fördern, sie aber auch mit unwirksamen rechtlichen Regelungen zu verschonen.
Maria Matsouka (PSE). – (EL) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eine bessere Rechtsetzung in der Gemeinschaft bedeutet, das jeweilige Projekt in technischer Hinsicht zu beurteilen und zu definieren.
Dazu kommt, dass die Komplexität der nationalen Verwaltungen, die begrenzten Umsetzungskapazitäten und die häufig mangelnde Bereitschaft das Ganze noch zusätzlich erschweren. Sanktionen, die von der Union selbst verhängt werden, scheinen hier das effektivste Mittel zu sein. Der Einsatz, der für die ordnungsgemäße Umsetzung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geleistet werden muss, besteht darin, einen politischen und vor allem einen gesellschaftlichen Willen auszubilden. Die ordnungsgemäße Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften ist ein Prozess, durch den Europa mittelfristig seine Trägheit abbauen und im internationalen globalisierten Umfeld wettbewerbsfähiger werden könnte, was wiederum den Bürgern, den Verbrauchern und den Unternehmen zugute käme.
Wir benötigen Vorschriften, die eindeutig, umfassend und verständlich sind. Solche Texte setzen selbstverständlich voraus, dass ihre Verfasser sich besser abstimmen. Die Vereinfachung und Rationalisierung des legislativen Corpus sind von großer Bedeutung. Noch besser wäre es, wenn die Gesetze unter Achtung der Grundsätze der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit und der Folgerichtigkeit die grundlegenden Elemente eines Sektors regulieren und Umsetzungsmaßnahmen festlegen würden, die sich auch auf technische Einzelheiten beziehen.
Was die Effektivität der Regelungen betrifft, so ist es unbedingt erforderlich, eine Einschätzung der Kosten und des Nutzens der Umsetzung vorzunehmen. Die beteiligten Akteure, die sich somit in der Position gemeinsamer Gesetzgeber befinden, sind daher aufgerufen, einen sozialen Dialog zu führen.
Denn nur auf diese Weise können wir, was insbesondere die grundlegenden politischen Vorschläge angeht, das Vertrauen der Bürger gewinnen. Ein gutes Gesetz ist kein verschlungenes Gesetz mit strengen Verfahren, sondern es ist ein Gesetz, mit dem die Bürger leicht umgehen können und das ihnen gleichzeitig die gemeinsame Verantwortung für seine Umsetzung überträgt.
Klaus-Heiner Lehne (PPE-DE). – Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass in dieser Debatte doch klar geworden ist, dass das zentrale Problem, über das wir hier diskutieren, das der Gesetzesfolgenabschätzung ist. Meines Erachtens hat das überhaupt nichts damit zu tun, dass Technokratie Demokratie ersetzt. Darum geht es nicht. Selbstverständlich sind die demokratischen Institutionen weiter verantwortlich. Die Kommission entscheidet über Vorschläge in eigener Verantwortlichkeit, das Parlament und der Rat natürlich ebenso.
Es geht um einen entscheidenden Punkt, nämlich dass wir die Verfahren im Hinblick auf unsere Unterstützung verändern. Zurzeit machen wir in der Europäischen Union Gesetzgebung durch learning by doing. Wir beschließen etwas, und am Ende kommt dann irgendetwas raus, das irgendeine Wirkung hat. Wenn wir dann feststellen, dass es eine Wirkung hat, die wir nicht wünschen, haben wir das Problem, dass aufgrund der komplexen Verfahren, die wir in der Europäischen Union haben, wir nicht, wie in nationalen Parlamenten, die Gesetze mal eben schnell ändern können, sondern dass wir dann ein komplexes Verfahren brauchen, das sich über viele Jahre erstreckt, um Richtlinien zu bearbeiten und Verordnungen zu ändern. Deswegen brauchen wir ein anderes Instrumentarium, als es oftmals auf nationaler Ebene existiert.
Wir müssen wissen, was wir tun. Es geht bei der Gesetzesfolgenabschätzung darum, dass wir Hilfestellung bekommen, dass uns auch Leute, die unabhängig sind, sagen, welche Konsequenzen unser Tun hat. Die politische Entscheidung bleibt letztendlich unsere. Aber wir brauchen diese Hilfestellung. Das ist ganz entscheidend bei einem so großen Wirtschaftsraum von 470 Millionen Menschen, für die die Kommission, der Rat und das Parlament Entscheidungen zu treffen haben. Von daher ist es auch entscheidend, dass es das unabhängige Element gibt.
Ich appelliere noch einmal ganz deutlich an die Kommission, sich auch innerhalb ihrer eigenen Strukturen dafür einzusetzen, dass dieses unabhängige Element eingeführt wird. Geschieht dies nicht, hätte das zur Konsequenz, dass das Parlament gezwungen wäre – wenn wir uns selbst ernst nehmen –, selbst überall ein unabhängiges impact assessment durchzuführen. Das ist nicht der Sinn der interinstitutionellen Vereinbarung von 2003. Wir möchten, dass die Kommission dies von sich aus veranlasst, damit wir vernünftige Entscheidungsgrundlagen bekommen.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte noch einmal versuchen zu erklären, worum es geht und worum es nicht geht. Es geht nicht um weniger Gesetzgebung. Es geht nicht um schlechtere Gesetzgebung, es geht nicht um Deregulierung, es geht nicht um neoliberalen Marktradikalismus. Es geht schlicht und einfach darum, das europäische Rechtssystem so zu gestalten, dass die Bürgerinnen und Bürger es verstehen können, und es so zu gestalten, dass die europäische Wirtschaft es benutzen kann, um zu wachsen, zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist wirklich das Einfachste von der Welt, und ich bin immer wieder erstaunt, was für Motive hinter einem so eindeutigen und klaren Konzept auch vermutet werden können.
Ob wir glauben oder nicht, dass wir zu viele europäische Gesetze haben und dass sie vielleicht auch nicht immer gut genug sind, spielt überhaupt keine Rolle. Es ist keine Glaubensfrage, über die wir hier sprechen, sondern wir sprechen darüber, dass ein erschreckend hoher Anteil der Bürgerinnen und Bürger Europas davon überzeugt ist, dass es so ist. Wir sprechen davon, dass die europäischen Unternehmerinnen und Unternehmer und die europäischen Gewerkschaften übereinstimmend davon sprechen, dass es so ist. Zu viel Bürokratie, zu viele Gesetze, zu komplizierte Gesetze, zu viele unnötige Einschränkungen. Es kommt nicht darauf an, ob es wirklich so ist, es kommt darauf an, dass diejenigen, für die wir die Gesetze machen, davon überzeugt sind, dass es so ist. Deshalb war es notwendig, etwas zu tun.
Das von der Kommission vorgeschlagene Projekt „Bessere Rechtsetzung“ arbeitet mit all den Instrumenten, die hier genannt worden sind – verschiedene Formen, in denen man das Recht vereinfachen und modernisieren kann, ohne es in seinem Gehalt zu verändern. Ich muss es noch einmal sagen: Es geht nicht darum, die Substanz von Regelungen zu verändern, sondern es geht darum, sie benutzerfreundlich und transparent zu machen.
Ich werbe noch einmal um die Unterstützung des Europäischen Parlaments. Es sind in Wahrheit ja zwei große, zwei verschiedene Projekte. Das eine Projekt ist die rückwirkende Überprüfung des gesamten Rechtsbestandes.
Machen wir uns doch nichts vor! Als die europäische Integration noch jung war, wurden Gesetze unter anderen Gesichtspunkten gemacht als heute, und wenn wir etwas weiter zurückgehen, finden wir in den Annalen unserer Gesetzesbücher schon sehr erstaunliche Dinge. Kein Mensch bestreitet, dass das modernisiert werden muss. Die Überprüfung des gesamten Bestandes ist keine einfache Sache, und ich wäre sehr dafür, dass wir uns auch hier auf gemeinsame Verfahren einigen und nicht nur bei der Kodifizierung, wo wir das bereits getan haben.
Davon zu unterscheiden ist die Frage: Wie wollen wir in Zukunft Regelungen treffen? Wie wollen wir in Zukunft Gesetze machen? In diesem Zusammenhang spielt die Frage der Folgenabschätzung eine ganz zentrale Rolle. Ich unterstütze all diejenigen hier, die sagen: Es ist in einer Demokratie zwingend, dass der Gesetzgeber weiß, welche Folgen sein Handeln für die Betroffenen hat. Das bedeutet ja nicht, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet, etwas zu tun, wenn er das weiß. Es wird immer eine Frage der Abwägung sein.
Wenn die Kommission Ihnen sagt, eine Gesetzgebung verursacht für die Wirtschaft Kosten von x Milliarden Euro, Ihnen auf der anderen Seite aber sagt, dass es notwendig sei, diese Gesetzgebung vorzulegen, um den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger nach Schutz ihrer Gesundheit nachzukommen, fällt die Abwägung nicht schwer. Die Kommission wird dann sagen: Der Schutz der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger geht vor, auch wenn es etwas kostet.
Ich möchte hier klar machen, dass Folgenabschätzung nicht automatisch bedeutet, dass wir dann, wenn sich herausstellt, dass wir etwas tun, was auch Kosten verursacht, einfach sagen: Wir tun es nicht. Es geht darum, dass wir ganz genau wissen, was wir tun.
Hier sind wichtige Gedanken zu der Frage geäußert worden, wie eine solche Folgenabschätzung am besten organisiert wird, und ich sage Ihnen in aller Offenheit: Wir sind, was diese Frage betrifft, in der Kommission mitten in einem Diskussionsprozess, und sowohl Präsident Barroso als auch ich sind wirklich der Meinung, dass wir das jetzige System verändern müssen.
Ich teile voll und ganz die Auffassung derjenigen, die hier gesagt haben: Es kann die endgültige Entscheidung über die Gültigkeit einer Folgenabschätzung nicht bei denjenigen liegen, die sie gemacht haben, und es können nicht ausschließlich diejenigen mit einer Folgenabschätzung befasst sein, die das dazugehörige Gesetz machen. Das sehen Präsident Barroso und ich ganz genau so. Wir diskutieren über die bestmögliche Lösung. Der Präsident hat in seinem einführenden Statement ja gesagt, dass er daran denkt, eine unabhängige Stelle unter seiner eigenen Verantwortung einzurichten, die die Folgenabschätzung überprüft. Wir sind also gerne bereit, mit dem Parlament weiter zu reden. Dasselbe gilt für das Komitologieverfahren, wo wir ja die Anliegen des Parlaments weitgehend unterstützen, und auch für alle anderen Anregungen, die hier eingebracht worden sind.
Ich möchte Ihnen nur noch einmal nahe bringen, dass es sich hier um ein Projekt handelt, das wir nicht technisch oder bürokratisch oder formalistisch behandeln dürfen. Es ist ein hochpolitisches Projekt, hochpolitisch! Es soll dazu beitragen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Gesamtsystem der europäischen Integration zu stärken, und es soll dazu beitragen, unserer Wirtschaft stabile und verlässliche Rahmenbedingungen zu geben, damit die große soziale Frage unserer Zeit gelöst wird, nämlich die Frage nach der Zukunft unserer Arbeitsplätze.
VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS Vizepräsident
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Dienstag, dem 16. Mai, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Edit Herczog (PSE). – (HU) Der Berichterstatter hat in ausgezeichneter Weise die Hindernisse in den Gesetzen der EU und der Mitgliedstaaten aufgezeigt, die das Funktionieren des Binnenmarktes erschweren. Die Lösung besteht in der Überprüfung der bestehenden Rechtsvorschriften und einer umsichtigeren Erarbeitung neuer Rechtsakte. Das ist die Aufgabe des Rechtsetzungsprozesses selbst. Weder die Kommission, die die Gesetze macht und verabschiedet, noch der mit legislativen Aufgaben betraute Rat und das Parlament übertragen diese Verantwortung Dritten, vor allem nicht externen Gremien.
Das Parlament ist im Rahmen seiner legislativen Zuständigkeiten auch für die Prüfung geltender Rechtsvorschriften verantwortlich. Ich möchte die Kommission im Geiste der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung höflich auffordern, eng mit dem Parlament zusammenzuarbeiten.
Bei der Erarbeitung künftiger Verordnungen macht es keinen Sinn, die langen, bürokratischen Verfahren weiter zu verkomplizieren. Würden wir heute ein unabhängiges externes Prüforgan einrichten, um die Qualität von Folgenabschätzungen zu untersuchen, warum sollten wir dann nicht morgen eine unabhängige, externe Inspektionsstelle ins Leben rufen, um die Unabhängigkeit des Prüforgans zu prüfen? Statt die Zahl der Organe zu vervielfachen, die Verfahren prüfen, die sich als falsch erwiesen haben, sollten wir neue, effizientere Arbeitsmethoden entwickeln, um die Regulierung des Binnenmarktes zu verbessern. Neben der Prüfung der Rechtsakte müssen Kommission, Rat und Parlament auch ihre eigenen Verfahren kritisch unter die Lupe nehmen und diese gegebenenfalls in verantwortungsbewusster Weise anpassen.
Abschließend möchte ich alle drei Organe darauf aufmerksam machen, dass die Gesellschaft dem europäischen Recht nur dann vertraut und es respektiert, wenn wir volle Öffentlichkeit und gesellschaftliche Kontrolle gewährleisten.
Véronique Mathieu (PPE-DE). – (FR) Die europäische Gesetzgebung ist zu kompliziert und teilweise überflüssig. Daher muss es eine intelligente Überarbeitung uns ermöglichen, gegen diesen ungesunden und schädlichen Mangel an Klarheit zu kämpfen!
Einerseits müssen wir die bestehende Gesetzgebung durch Reduzierung und Vereinfachung verbessern. Bei diesem Vereinfachungsvorhaben müssen wie bei jeder anzunehmenden neuen Maßnahme die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität beachtet werden: die Europäische Union, wo dies notwendig ist, wenn dies effektiver ist als das getrennte Handeln der Mitgliedstaaten, so viel wie erforderlich, aber nicht mehr als erforderlich.
Die Anwendung dieser als technisch erscheinenden Grundsätze beinhaltet die Beurteilung der sozialen, kulturellen und sonstigen Angemessenheit, obwohl kein Instrument zur effektiven Kontrolle ihrer Anwendung vorhanden ist! Diese Lücke war durch die Verfassung geschlossen worden. Bis zu ihrer Ratifizierung müssen wir uns Fragen zur ordnungsgemäßen Anwendung dieser Grundsätze stellen.
Andererseits muss die Kontrolle der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts verbessert werden, denn Rechtsunsicherheit beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Die Einführung von nationalen Korrespondenzstellen ist eine positive Maßnahme, wenn die Kontrollen eine quantitative und eine qualitative Analyse sowie eine Abschätzung der Folgen auf das soziale, wirtschaftliche und ökologische Umfeld einschließen. Diese Folgenabschätzungen müssen vergleichbar sein und daher vereinheitlicht werden. Damit dieses Ziel erreicht wird, muss das Europäische Parlament seine Rechte auf diesem Gebiet stärken.
14. Fragestunde (Anfragen an die Kommission)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0017/2006).
Wir behandeln die folgenden Fragen an die Kommission.
Erster Teil
Der Präsident.
Anfrage Nr. 40 von Sarah Ludford (H-0208/06)
Betrifft: Geldwäsche-Richtlinie
Plant die Kommission eine EU-weite Informationskampagne um sicherzustellen, dass Organisationen, die die Bestimmungen der neuen Richtlinie 2005/60/EG(1) zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung einhalten müssen (z. B. Banken und Anwaltskanzleien), über ausreichende Informationen über die neuen Verfahren verfügen?
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Die Kommission ist sich darüber im Klaren, dass über die neue, umfassendere Regelung der EU zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung informiert werden muss. Aus diesem Grund hat die Kommission bereits eine Reihe von Informationsinitiativen eingeleitet. In diesem Zusammenhang möchte ich folgende Maßnahmen erwähnen: Erstens die Teilnahme der Kommission an der Kontakt- und Aufklärungsarbeit gegenüber europäischen Berufsverbänden, die von der Arbeitsgruppe der OECD zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (Financial Action Task Force on Money Laundering and Terrorist Financing) angeregt wurde; zweitens die laufende Konsultation zu den Auswirkungen der zweiten Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche auf Anwaltskanzleien, die im Sommer, wahrscheinlich im Juli, in die Veröffentlichung eines Berichts münden wird; drittens die umfassende Konsultation aller Akteure im Rahmen der Erarbeitung potenzieller Durchführungsmaßnahmen gemäß der dritten Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche; viertens die Teilnahme an Konferenzen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verantwortung für die Umsetzung der EU-Richtlinien gegen die Geldwäsche durchführen.
Angesichts dieser noch andauernden Initiativen hat die Kommission derzeit nicht vor, eine weitere EU-weite Informationskampagne durchzuführen. Die Kommission wird jedoch die Umsetzung der Richtlinie auch künftig sehr genau überwachen, und sie schließt weitere Maßnahmen nicht aus, falls sich Probleme in bestimmten Sektoren abzeichnen und Maßnahmen auf EU-Ebene einen zusätzlichen Nutzen bewirken würden.
Sarah Ludford (ALDE), Verfasserin. – (EN) Herr Kommissar! Das klingt ja alles ganz gut, aber mir fiel im neuen Geldwäsche-Newsletter der Law Society of England and Wales eine Sache auf, und zwar ging es da um einen umfangreichen Industriezweig, der im Zusammenhang mit Dienstleistungen zur Unterstützung von Anwälten bei der Gewährleistung der Einhaltung der Vorschriften entstanden ist. Dabei fiel mir ein, dass wir in Anbetracht dessen, dass durch die dritte Geldwäscherichtlinie der Begriff angemessener Kontrollen der Risikosensitivität eingeführt wird, dafür sorgen müssen, dass die Einhaltung bei den wirklich schwer wiegenden Risiken gesichert wird. Oftmals wenden sich Wähler an mich, weil sie als Bürger Schwierigkeiten haben, ein Konto zu eröffnen. Ich hoffe, dass Sie diese Botschaft weiterleiten. Es geht wirklich um die risikoorientierte Einhaltung.
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) In dieser speziellen Richtlinie wird das Problem der Risikosensitivität sehr gut dargelegt. Es gibt verschiedene Risikokategorien, und die Behörden sollten ihre Verfahren auf der Grundlage dieser Risikobewertungen erarbeiten. Das geht eindeutig aus der dritten Richtlinie hervor, und das hat die Frau Abgeordnete sehr gut erkannt.
Ich fände es sehr bedauerlich, wenn eine ganze Industrie entstünde, die enorme Gebühren für etwas berechnet, das eigentlich ein relativ unaufwendiges Verfahren darstellt. Der jeweilige Risikograd sollte abgeschätzt werden. Bei niedrigem Risiko ist sehr wenig zu tun, und es gibt höhere Kategorien. Das wird in der Richtlinie ganz klar dargelegt. Ich danke der verehrten Abgeordneten für diese Frage, denn sie gibt mir die Möglichkeit, den von ihr in ihrer Zusatzfrage angesprochenen Punkt zu unterstreichen.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Kommissar! Es wird angenommen, dass die IRA nach dem Überfall auf die Northern Bank Geldwäschemöglichkeiten in Bulgarien genutzt hat. Welche Schritte werden in Anbetracht dessen eingeleitet, um sicherzustellen, dass die dortigen wie auch die rumänischen Behörden und Organisationen bereit und in der Lage sind, die gesetzlichen Auflagen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung zu erfüllen?
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Der Herr Abgeordnete weiß sicher, dass Bewerberländer im Rahmen ihrer Vorbereitung auf den Beitritt u. a. für die Umsetzung der Richtlinien der Gemeinschaft zu sorgen haben. Das gilt auch für Bulgarien und Rumänien. Der Herr Abgeordnete weiß möglicherweise auch, dass diese Empfehlungen von der Financial Action Task Force – die unter ihrer Abkürzung FATF bekannt ist – stammen und die meisten Länder der Welt verpflichtet sind, die Empfehlungen dieses speziellen Gremiums umzusetzen. In der EU haben wir uns in Form einer Richtlinie – und zwar der dritten Geldwäscherichtlinie – zur Umsetzung dieser Empfehlungen verpflichtet.
Sie können versichert sein, dass Bulgarien diese Maßnahmen in seiner Gesetzgebung berücksichtigen wird, da dies Voraussetzung für eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union ist.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 41 von Philip Bushill-Matthews (H-0241/06)
Betrifft: Protektionismus unter Mitgliedstaaten der EU
Besitzt die Kommission ausreichende konkrete und rechtliche Befugnisse, um rechtzeitig rigorose Maßnahmen durchzusetzen, mit denen verhindert wird, dass die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften erlassen, mit denen beispielsweise Strategien von Unternehmen zur Abwehr feindlicher Übernahmen aus dem Ausland zulässig werden? Verfügt die Kommission über ausreichende Befugnisse, um wirksam gegen Länder vorzugehen, die einseitig beschließen, bestimmte Industriezwiege wegen eines selbst definierten nationalen Interesses für unantastbar zu erklären? Sollten der EU weitere Befugnisse zuerkannt werden, damit sie diese Situation unter Kontrolle bringen kann, und falls ja, wie sollten diese Befugnisse aussehen und wie sollten sie angewandt werden?
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass ich diese Frage im Namen meiner Kollegin Frau Kroes beantworten werde.
Die Kommission verfügt über beträchtliche Befugnisse, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die Binnenmarktvorschriften umfassend respektieren und grenzüberschreitende Zusammenschlüsse nicht in rechtswidriger Weise behindern. Verstößt ein Mitgliedstaat gegen die Binnenmarktvorschriften, so kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 226 EG-Vertrag einleiten. Das Verfahren kann etwas Zeit in Anspruch nehmen, da die Kommission dem Mitgliedstaat an zwei Punkten die Möglichkeit geben muss, seinen Standpunkt darzulegen, bevor sie den Gerichtshof anruft, der dann eine endgültige Entscheidung über die angebliche Vertragsverletzung trifft. In Fällen, in denen die Umstände dies rechtfertigen, kann die Kommission das Verfahren beschleunigen, indem sie dem jeweiligen Mitgliedstaat in der vorprozessualen Phase eine sehr kurze Frist setzt und den Gerichtshof um die Verhängung von vorläufigen Maßnahmen ersucht. Selbst in solchen Fällen ist die Kommission verpflichtet, die Stellungnahme des Mitgliedstaates einschließlich verspäteter Antworten zu berücksichtigen, denn laut ständiger Rechtsprechung stellt der ordnungsgemäße Ablauf dieses Verfahrens eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür dar, dass das eventuelle gerichtliche Verfahren einen klar definierten Rechtsstreit betrifft.
Hinzu kommt, dass die Kommission in Fällen, in denen ein Mitgliedstaat gegen Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung interveniert, über spezielle Befugnisse verfügt und gemäß Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004, die als Fusionskontrollverordnung bezeichnet wird, eine Entscheidung treffen kann. Nach dieser Bestimmung ist die Kommission allein für die Beurteilung von Zusammenschlüssen mit gemeinschaftsweiter Bedeutung zuständig. Mitgliedstaaten können Maßnahmen, die solche Zusammenschlüsse de jure oder de facto verbieten oder gefährden würden, nur dann ergreifen, wenn erstens durch diese Maßnahmen andere als in dieser Verordnung berücksichtigte Interessen geschützt werden und zweitens diese Maßnahmen notwendig und verhältnismäßig sind, um Interessen zu schützen, die mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
Öffentliche Sicherheit, Medienvielfalt und Aufsichtsregeln gelten als Interessen, die mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Zum Schutz dieser Interessen ergriffene Maßnahmen müssen in jedem Falle notwendig und verhältnismäßig sein, und die Kommission kann von den nationalen Behörden Informationen über die geplanten Maßnahmen anfordern, um sich davon zu überzeugen. Die anderen Interessen sind der Kommission vor Umsetzung der entsprechenden Maßnahmen mitzuteilen. Die Kommission entscheidet dann innerhalb von 25 Arbeitstagen ob die innerstaatlichen Maßnahmen zum Schutz eines mit dem Gemeinschaftsrecht verträglichen Interesses gerechtfertigt sind.
Die Kommission ist der Ansicht, dass sie aufgrund der vorstehenden Bestimmungen in der Lage ist, rechtzeitig gegen unrechtmäßige protektionistische Maßnahmen von Mitgliedstaaten vorzugehen. Die Kommission ist zudem fest entschlossen, alles in ihren Kräften stehende zu tun, um die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.
Philip Bushill-Matthews (PPE-DE), Verfasser. – (EN) Das war eine recht ausführliche Antwort, aber das war – bei allem Respekt – nicht wirklich eine Antwort auf meine Frage, denn ich weiß um die bestehenden Befugnisse. Ich möchte wissen, ob Sie eigentlich weitere Befugnisse brauchen. Sie erwähnten konkret, dass die vorprozessuale Phase beschleunigt werden könnte. Ich hätte gern eine konkrete Antwort. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass die nachprozessuale Phase bisweilen Jahre dauert, und dann kann es noch einmal mehrere Jahre dauern, bis eine Strafe verhängt wird? Wäre es nicht praktisch, wenn man Befugnisse hätte, um dieses Verfahren zu beschleunigen und zu verschärfen?
Charlie McCreevy, Mitglied der Kommission. (EN) Ich kann verstehen, worauf der Herr Abgeordnete hinaus will. Ja, es ist bisweilen frustrierend, wenn man ziemlich lange warten muss, bevor etwas geschieht. Wir sind jedoch eine Rechtsgemeinschaft und müssen uns an die ständige Rechtsprechung halten. Die vorgesehenen Verfahren müssen eingehalten werden.
Selbst in den Mitgliedstaaten sind derartige Maßnahmen zeitaufwändig. Allerdings gibt es in den Mitgliedstaaten zuweilen Mechanismen zur Beschleunigung des Verfahrens, und selbst in der Gemeinschaft gibt es entsprechende Rechte. Dennoch ist das Verfahren ziemlich zeitaufwändig. Ich fürchte also, dass wir in dieser Gemeinschaft nicht per Anordnung oder Diktat bestimmen können. Das wäre ein Missbrauch eines Vorrechts, den wohl kaum jemand gutheißen würde.
Andererseits ist es bisweilen frustrierend, dass so lange Wartezeiten auftreten, aber ich weiß nicht, wie man die umgehen könnte. Ich kann mir zudem nicht vorstellen, dass sich die Mitgliedstaaten überstürzt für direkte neue Befugnisse für die Kommission oder für Befugnisse zur Beschleunigung des Verfahrens einsetzen würden. Wir müssen uns mit den geltenden Bestimmungen begnügen.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 42 von Harlem Désir (H-0268/06)
Betrifft: „Ersteinstellungsvertrag“ – Entsprechung mit der Richtlinie 2000/78/EG
Der in Frankreich eingeführte so genannte „Ersteinstellungsvertrag“ erlaubt es Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten, einen jungen Menschen unter 26 Jahren mit einer zweijährigen Probezeit einzustellen, in deren Verlauf er ohne Begründung entlassen werden kann. Diese Beschäftigten hätten keinen Anspruch auf die Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts, dem zufolge der Arbeitgeber gehalten ist, die Gründe für die Entlassung anzuführen. Nach Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2000/78/EG(2) liegt eine Diskriminierung vor, „wenn eine Person (…) eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt“, insbesondere aus Gründen des Alters. Vertritt die Kommission die Auffassung, dass der so genannte „Ersteinstellungsvertrag“ den Grundsätzen dieser Richtlinie entspricht? Welche Maßnahmen gedenkt sie andernfalls gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu ergreifen?
Zweiter Teil
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren, Herr Désir! Der Kommission liegen noch keine Informationen zu dem französischen Gesetz vor, auf das der Abgeordnete in seiner Anfrage Bezug genommen hat. Daher ist die Kommission noch nicht in der Lage, sich eingehend zu dem Gesetz zu äußern.
Der Zweck der Richtlinie 2000/78/EG besteht, wie bereits gesagt, darin, Diskriminierung im Bereich der Beschäftigung, namentlich die Diskriminierung wegen des Alters, zu verhindern. In der Richtlinie werden auch einige Ausnahmen von der allgemeinen Regel aufgeführt. Gestatten Sie mir, direkt aus der Richtlinie zu zitieren.
“Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist.“ Und ein weiteres Zitat: „Die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen“.
(CS) Aus der Sicht der Richtlinie ist die Situation – wie Sie sehen – unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten. In der Richtlinie wird eingeräumt, dass Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein können und unterschiedliche Maßnahmen dann angezeigt sind, wenn ihr Charakter in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht. Zur derzeitigen Lage habe ich nichts weiter zu sagen. Die definitive Entscheidung über jedes angezeigte Gesetz liegt verständlicherweise beim Gerichtshof in Luxemburg.
Harlem Désir (PSE), Verfasser. – (FR) Herr Kommissar! Ich denke, wenn der Kommission der Ersteinstellungsvertrag notifiziert wird, ist es in der Tat wichtig, dass sie eine genaue Analyse der Bedingungen vornimmt, unter denen dieses Gesetz die Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Jugendlichen unter 26 Jahren während der ersten zwei Beschäftigungsjahre ermöglicht.
Wenn, wie Sie gesagt haben, die Richtlinie 2000/78 eine Ungleichbehandlung auch aufgrund des Alters zulässt, dann im Rahmen von positiven Maßnahmen, von Maßnahmen, die dem angestrebten Ziel angemessen sind. Der Gerichtshof hat kürzlich ein Urteil – das Urteil Mangold vom 22. November 2005 – zu einem anderen Gesetz, dem deutschen „Hartz-IV-Gesetz“, erlassen. In diesem Urteil ist festgestellt worden, dass der Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen ausschließlich bei älteren Arbeitnehmern dem angestrebten Ziel nicht angemessen ist.
Ich denke, dass im Falle des Ersteinstellungsvertrags niemand behaupten kann, dass die in Frage stehende Maßnahme für Jugendliche unter 26 Jahren förderlich ist. Es handelt sich daher sehr wohl um eine Diskriminierung gegen sie, mit der ihnen die Inanspruchnahme einer Reihe von Elementen des Arbeitsrechts verweigert wird. Ich hoffe, die Kommission wird von der Rechtsprechung des Gerichtshofes ausgehen und den Ersteinstellungsvertrag verurteilen.
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Herr Désir, Sie haben einen konkreten Fall zitiert, dem besondere Bedeutung für die Beurteilung ähnlicher Sachverhalte zukommt, denn die Richtlinie geht davon aus, dass jede Maßnahme bezogen auf ihre Ziel einerseits angemessen und andererseits gerechtfertigt ist. In der von Ihnen genannten Rechtssache, die ältere Arbeitnehmer betrifft, entschied der Gerichtshof in Luxemburg, dass zwar das Ziel gerechtfertigt, die Maßnahme aber nicht angemessen war, woraufhin die Maßnahme für rechtswidrig wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir, wie ich bereits sagte, in Anbetracht der Tatsache, dass das Gesetz noch nicht angezeigt wurde, nicht, welche Form es haben wird. Im Übrigen habe ich Berichten in den Medien entnommen, dass die endgültige Ausgestaltung noch gar nicht feststeht, so dass es mir als Vertreter der Kommission überhaupt nicht möglich ist, weiter ins Detail zu gehen.
Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident! In den EU-Staaten wie Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien hat sich ein regelrechter Arbeitsmarkt für Praktikanten gebildet. Immer mehr reguläre Arbeitskräfte werden durch nicht oder nur schlecht bezahlte Praktikanten ersetzt oder beispielsweise in Deutschland auch durch staatlich finanzierte 1-Euro-Jobs, für die keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen. Inwiefern ist sich die Kommission dieses Problems bewusst?
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Natürlich überwacht die Kommission den Arbeitsmarkt in den einzelnen Mitgliedstaaten und die Entwicklungen im Bereich des Arbeitsrechts. Demnächst wird übrigens ein Grünbuch zu arbeitsrechtlichen Entwicklungen in Europa veröffentlicht, das hoffentlich den Anstoß zu umfassenden Diskussionen über Gepflogenheiten, Methoden und Entwicklungen im Beschäftigungsrecht sowie über die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen in den EU-Mitgliedstaaten geben wird. Ansonsten kann die Kommission natürlich nur innerhalb der im Vertrag festgelegten Grenzen kontrollieren und Entscheidungen treffen, wobei zu sagen ist, dass sich im Vertrag keine direkten Bezüge auf die Arbeitsgesetzgebung finden.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 43 von Bart Staes (H-0204/06)
Betrifft: Evaluierung der Verordnung (EG) Nr. 485/2005 – Überführung europäischer Schiffe in den Indischen Ozean
In Erwägung 3 der Verordnung (EG) Nr. 485/2005(3) heißt es: „Es empfiehlt sich, die Möglichkeit vorzusehen, dass öffentliche Zuschüsse für die Stilllegung von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft auch für jene Fischereifahrzeuge gewährt werden können, die an die durch den Tsunami geschädigten Länder zugunsten der betroffenen vom Fischfang lebenden Gemeinden abgegeben werden.“
Kann die Kommission in Anbetracht der Tatsache, dass diese Verordnung den Mitgliedstaaten vorschreibt, die Kommission regelmäßig zu informieren, mitteilen, wie viele Anträge auf Überführung dieser Schiffe aus welchen durch den Tsunami geschädigten Ländern eingegangen sind, wie viele Schiffe von den Mitgliedstaaten angeboten und wie viele Schiffe tatsächlich an welche Länder im Indischen Ozean abgegeben wurden?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Die Verordnung (EG) Nr. 485/2005 des Rates, auf die sich der Herr Abgeordnete bezieht, empfiehlt, die Möglichkeit vorzusehen, dass öffentliche Zuschüsse für die Stilllegung von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft auch für jene Fischereifahrzeuge gewährt werden können, die an die durch den Tsunami geschädigten Länder zugunsten der betroffenen vom Fischfang lebenden Gemeinden abgegeben werden. Diese Möglichkeit wird auf der Grundlage außergewöhnlicher, genau definierter Umstände und nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt.
Während sich einige Länder im Indischen Ozean, deren Fischereisektor durch den Tsunami in Mitleidenschaft gezogen wurde, über die Möglichkeit der Überführung von Schiffen erkundigt haben, hat lediglich Sri Lanka einen entsprechenden Antrag gestellt. Dieser betraf 120 Schiffe mit einer Länge über alles von 9 bis 12 m. Die Kommission setzte die Mitgliedstaaten von diesem Antrag in Kenntnis und erinnerte sie mehrfach an ihre Pflicht zur Meldung der zu überführenden Schiffe.
Trotz einstimmiger Annahme der Verordnung durch den Rat, haben alle 20 Mitgliedstaaten, die Meeresfischerei betreiben, der Kommission inzwischen mitgeteilt, dass sie keine Möglichkeit sehen, dem srilankischen Ersuchen nachzukommen und entsprechende Schiffe zu überführen. Da die Verordnung als Termin den 30. Juni 2006 angibt, besteht derzeit keine weitere Aussicht auf die Überführung von Schiffen im Rahmen dieser Verordnung.
Bart Staes (Verts/ALE), Verfasser. – (NL) Herr Präsident! Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu dem Schluss zu kommen, dass die von uns verabschiedete Verordnung im Grunde eine sinnlose Übung war, was wir eigentlich auch prophezeit hatten. Meines Erachtens handelte es sich bei der Verordnung, wie sie vorgeschlagen wurde, lediglich um eine PR-Aktion, und wie aus der Antwort des Kommissars hervorgeht, war es ein schlechter Rechtsakt. Ich möchte an den Kommissar eine ergänzende Frage richten: Wenn diese Verordnung den vom Tsunami betroffenen Ländern beim Wiederaufbau ihrer Fischereiflotte nicht hilft, kann er dann mitteilen, ob die Kommission andere Maßnahmen getroffen hat, um diese Länder beim Bau ihrer eigenen Schiffe und bei der Organisation einer geeigneteren Form des Fischfangs in den Regionen, die im vergangenen Jahr durch den Tsunami geschädigt wurden, tatsächlich zu unterstützen?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Als dieses Gesetz mittels Ausnahmeregelung in Kraft gesetzt wurde, der zufolge es nicht mehr möglich war, Schiffe in Drittländer zu überführen, wurden natürlich bestimmte Beschränkungen eingeführt, die u. a. die Länge derartiger Schiffe betreffen. Ich kann mich noch gut an die Diskussion hier im Parlament erinnern, bei der gefordert wurde, wir sollten keine Überführung von Schiffen in vom Tsunami betroffene Drittländer zulassen, ohne diese an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, denn dies könnte zu einer Erhöhung des Fischereiaufwands beitragen und damit die Probleme bei bestimmten Fischereitätigkeiten in den Gewässern der Drittländer verstärken. Stattdessen sollten die Fischereifahrzeuge seetüchtig und für die traditionell in jenen Ländern ausgeführte Fischereitätigkeit geeignet sein. Folglich mussten wir Beschränkungen in Bezug auf Größe und Alter der Schiffe, das Vorhandensein von Schleppgeräten sowie andere Bedingungen in Bezug auf die Bewirtschaftung der Meeresressourcen und die Seetüchtigkeit vorsehen.
Dabei muss ich jedoch betonen, dass als Begründung dafür, weshalb keine Schiffe für die Überführung nach Sri Lanka ermittelt werden konnten, von den Mitgliedstaaten angeführt wurde, dass sich entweder unter den in bestimmten Mitgliedstaaten stillzulegenden Schiffen keine geeigneten Schiffe befanden oder dass in bestimmten anderen Mitgliedstaaten keine Stilllegungen vorgesehen waren oder dass die Anreize für die Überführung von Schiffen nicht ausreichend attraktiv waren.
Ich möchte ferner unterstreichen, dass die Kommission mit dieser Initiative den vom Tsunami betroffenen Ländern helfen wollte, und zwar nach Möglichkeit im Bereich der Fischereitätigkeit. Diese Initiative wies ein Element der Additionalität auf, die den Kern der Hilfe bildete, die allerdings in den großen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und nicht den der Fischerei einzuordnen war. Es handelte sich um eine zusätzliche Möglichkeit, die nicht in Anspruch genommen wurde.
Ich muss betonen, dass letztlich einzelne Mitgliedstaaten die vom Tsunami betroffenen Länder dadurch unterstützten, dass sie Mittel für den Erwerb von Fischereifahrzeugen bereitstellten, die ohne jegliche Kontrollmaßnahmen gekauft wurden. Das hatte schließlich zur Folge, dass in den vom Tsunami betroffenen Gebieten heute eine wesentliche größere Flotte existiert, die den Druck auf den Fischereiaufwand verstärkt und zu weiteren Problemen führt. Die uns vorliegenden Informationen deuten darauf hin, dass die Fischerei, anstatt sich nachhaltig zu entwickeln, heute wesentlich mehr Probleme als vorher aufweist.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident! Herr Kommissar, ist nicht gerade das Beispiel, das Sie jetzt zuletzt angesprochen haben, ein typischer Hinweis darauf, dass die Union lieber versuchen sollte, Katastrophenhilfe als selbständigen Tatbestand zu sehen und dafür schnell und rasch Mittel zur Verfügung zu stellen, so wie das ja auch bei den Flutkatastrophen schon der Fall war, als den Versuch zu unternehmen, im Rahmen traditioneller Sachpolitik – in der Fischereipolitik, in der Verkehrspolitik oder sonst wo – mit Ausnahmeregelungen dafür zu sorgen, dass irgendetwas weitergeht? Die Erfahrung hat doch gezeigt, dass das viel zu lange dauert und nicht funktioniert.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Ja, natürlich muss man das richtige Maß finden zwischen dem Bedarf der Länder, die von derartigen Katastrophen heimgesucht werden, und der langfristigen Hilfe, deren Ziel es sein sollte, durch Unterstützung eines nachhaltigen Wiederaufbaus der Wirtschaft weitere Probleme und Schwierigkeiten für diese Länder zu vermeiden. Wir versuchen, gerade im Bereich der Fischerei dieses Ziel zu erreichen. Doch solange Kommission und Mitgliedstaaten ihre Initiativen nicht besser aufeinander abstimmen, sind die Aussichten auf Erfolg begrenzt.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 44 von Rosa Miguélez Ramos (H-0205/06)
Betrifft: Verbot des Fischfangs mit Stellnetzen
Die Kommission gesteht zu, dass das Verbot des Einsatzes von Stellnetzen, das der Rat auf seiner Tagung vom Dezember 2005 beschlossen hat, nicht von eigenen wissenschaftlichen Berichten untermauert wird. Auch gibt es keine sozioökonomischen Folgenabschätzungen. In der Sitzung der Bürgerinitiative der Betroffenen vom 25. Januar 2006 gab die Kommission ihre Absicht bekannt, das Problem möglichst bald durch eine Änderung der TAC-Verordnung zu lösen, und bestätigte, dass das Verbot vorübergehend gelte, bis man eine Regelung dieser Fischnetze erreicht habe. Sie knüpfte den Beginn des Zeitplans für die Maßnahmen an den Beschluss, der in der Sitzung des regionalen Beirats für die nordöstlichen Gewässer am 31. Januar 2006 gefasst wurde. In dieser Sitzung wurde einstimmig beschlossen, sich an das Kommissionsmitglied Borg zu wenden, um deutlich zu machen, dass man mit dem Verfahren, das zu dem Verbot führte, nicht einverstanden sei. Außerdem wurde die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Regelung des Einsatzes dieser Art von Fischnetzen bekannt gegeben.
Wegen der schädlichen sozioökonomischen Folgen ist eine rasche Entscheidung notwendig ist. Wann gedenkt die Kommission ihren Legislativvorschlag vorzulegen? Hat die Kommission irgendeine Übergangsmaßnahme vorgesehen, durch die das Verbot bis zur Vorlage besagten Vorschlags abgemildert wird?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Die von Frau Miguélez Ramos gestellte Frage zum Verbot des Einsatzes von Stellnetzen in den Gewässern nördlich und westlich von Großbritannien und Irland schließt sich einer Reihe von schriftlichen Fragen an, die sie, Frau Fraga Estévez und Herr Varela Suanzes-Carpegna zum gleichen Thema gestellt haben.
Das Verbot, das am 1. Februar 2006 in Kraft trat, wurde durch die auf der Ratstagung im Dezember 2005 beschlossene Verordnung über zulässige Gesamtfangmengen (TAC) und Quoten eingeführt. Es wurde als Reaktion auf den Bericht zur DEEPNET-Untersuchung vorgeschlagen, die auf die potenziellen Schäden verwies, welche diese Form der Fischereitätigkeit Tiefseehaien und anderen Arten zufügen kann. Der DEEPNET-Bericht war von seriösen Organisationen in Irland, dem Vereinigten Königreich und Norwegen erarbeitet worden, und die Kommission nahm ihn daher ernst.
Parallel zum Verbot in Gemeinschaftsgewässern beschloss die Kommission für Fischerei im Nordostatlantik auf ihrer Jahrestagung im November 2005 mit Wirkung vom 1. Februar 2006 ein identisches Verbot für verankerte Stellnetze in ihrem Regelungsbereich.
Ich möchte Ihnen erstens versichern, dass das Verbot als Übergangsmaßnahme gedacht ist und wir damit auf ernste Bedenken bezüglich der Praktiken einiger Anwender derartiger Methoden und insbesondere bezüglich der Auswirkungen derartiger Praktiken auf gefährdete Arten wie Tiefseehaie reagiert haben. Diese Arten befinden sich in einem derart schlechten Zustand, und ihre Erholung wird, haben die Bestände erst einmal drastisch abgenommen, so lange dauern, dass die Kommission sehr schnell reagieren musste und nicht die endgültigen wissenschaftlichen Empfehlungen des wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Fischereiausschusses (STECF) abwarten konnte.
Das Verbot war ursprünglich als Sofortmaßnahme im September geplant, wurde aber auf die Ratstagung im Dezember verschoben, um Zeit für Konsultationen zu haben. Leider wurden nicht rechtzeitig Vorschläge für Alternativmaßnahmen unterbreitet, die in den auf der Ratstagung im Dezember diskutierten Vorschläge hätten aufgenommen werden können.
Mir ist klar, dass die meisten Fischer, die derartige Geräte benutzen, verantwortungsbewusst damit umgehen und dass das Verhalten einer Minderheit Anlass zur Sorge ist. Aus diesem Grunde möchte ich zum frühestmöglichen Zeitpunkt Maßnahmen zur Regelung der Fischerei mit Stellnetzen einführen. Der Kommission liegen bereits erste Reaktionen auf ein mögliches Vorgehen vor, und zwar vor allem vom regionalen Beirat für die nordwestlichen Gewässer, der vorschlägt, die Seehechtfischerei vorzeitig wieder zuzulassen und den Fang von Seeteufel und die Tiefseefischerei in begrenztem Umfang und unter Kontrolle durch Beobachter zu gestatten.
Die Dienststellen der Kommission werden am Freitag, dem 7. April 2006, mit Vertretern des regionalen Beirats für die nordwestlichen Gewässer und Wissenschaftlern zusammenkommen, um diese Möglichkeiten zu erörtern. Je nach Ergebnis könnte im Mai 2006 ein Vorschlag vorgelegt werden, um eine begrenzte Fischerei unter Aufsicht von Beobachtern zu gestatten. Die im Rahmen des Beobachterprogramms gesammelten Daten könnten dem STECF zur Verfügung gestellt werden, der sich Ende Juni oder Anfang Juli mit dieser Frage beschäftigen wird.
Die geografischen Grenzen für das Verbot richten sich nach dem in der DEEPNET-Studie untersuchten Bereich. Mir ist klar, dass es möglicherweise auch in anderen Gebieten ähnliche Probleme gibt, aber uns liegen derzeit keine Informationen vor, die eine Ausweitung des Verbots auf andere Gebiete rechtfertigen würden. Das ist ein weiterer Grund dafür, baldmöglichst effektive Regelungen, die für alle Gebiete gelten, einzuführen. Leider ist das Verbot zwangsläufig mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die betroffenen Flotten verbunden.
Es sind keine Übergangsmaßnahmen zur Linderung der Auswirkungen des Verbots geplant, aber ich möchte den Mitgliedstaaten nahe legen, die Möglichkeiten voll auszuschöpfen, die das Finanzinstrument zur Ausrichtung der Fischerei für die zeitweilige Einstellung von Aktivitäten bereits vorsieht, um den am stärksten Betroffenen zu helfen.
Rosa Miguélez Ramos (PSE), Verfasserin. – (ES) Herr Kommissar! Die Wahrheit ist, dass ich das alles schon früher gehört habe; ich dachte, Sie würden mir etwas Neues sagen. Zum Beispiel, dass Sie ein wenig mehr auf den von Ihnen genannten Terminen bestehen würden; Mai und Juni.
Was ich wirklich fragen möchte, ist, welche Möglichkeiten es gibt, um diesen Beschluss unverzüglich zu ändern, welche Chancen bestehen, um die Verordnung über die TAC und die Quoten zu ändern, damit die Langleinenfischerei auf pelagische Arten – bei der Seehecht mit Netzen gefischt wird, die wenig Schaden verursachen, wie Sie selbst in Schreiben einräumten, die ich gesehen habe –, in diese Gewässer zurückkehren kann, und welche Zeitpläne die Kommission für die endgültige Regelung für Stellnetze vorsieht, um den Sektor nicht weiterhin in Ungewissheit zu lassen.
Ich frage das, Herr Kommissar, weil dieser Beschluss sehr negative Auswirkungen hatte, insbesondere sozioökonomischer Art, und sie noch immer hat.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Ja, hier gibt es zwei Aspekte. Der eine betrifft Maßnahmen, die kurzfristig ergriffen werden können, um zu versuchen, die Auswirkungen des zeitweilig verhängten Verbots des Einsatzes von Stellnetzen abzufedern. Wir führen dazu Gespräche mit dem regionalen Beirat für die nordwestlichen Gewässer. Eine entsprechende Beratung ist für den 7. April anberaumt, und wir hoffen, dass wir an diesem Tag Gelegenheit haben werden, diese Angelegenheit mit dem regionalen Beirat für die nordwestlichen Gewässer zu diskutieren. Unmittelbar danach werden wir hoffentlich in der Lage sein, bestimmte Entscheidungen über die Einführung einer begrenzten Fischereitätigkeit bei Seehecht zu treffen oder entsprechende Möglichkeiten in Bezug auf Seeteufel zu prüfen, wobei ein System der Überwachung an Bord der Fischereifahrzeuge einzurichten ist.
Wir prüfen zudem die Einführung permanenter Maßnahmen für die gesamte Gemeinschaft, durch die das Treibnetzverbot ersetzt werden könnte. Dann könnten wir noch in diesem Jahr einen Vorschlag zur Aufhebung des Treibnetzverbots und zur Einführung permanenter Maßnahmen vorlegen und uns davon überzeugen, dass die Gefahr, dass die Bestände von Tiefseehaien irreparable Schäden erleiden, weil Fischer die Netze jeweils sehr lange im Meer belassen, auf eigene Rechnung fischen und den natürlichen Lebensräumen beträchtlichen Schaden zufügen, gebannt ist.
John Purvis (PPE-DE). – (EN) Der Kommissar wird möglicherweise feststellen, dass er sich in dieser Auseinandersetzung zwischen Szylla und Charybdis befindet, aber ich bin sicher, er wird die immensen Schäden in Betracht ziehen, die Treibnetze und Stellnetze in der Vergangenheit beispielsweise den Wildlachsbeständen im Nordatlantik zugefügt haben, und er wird sich energisch dafür einsetzen, dass die Bestände künftig von diesen Fischfangmethoden verschont bleiben.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Ja, man muss hier unterscheiden, denn wir sprechen hier von auf dem Meeresboden verankerten Stellnetzen, die normalerweise sehr selektiv eingesetzt werden, und deshalb wollen wir nicht vom Einsatz dieses Fanggeräts abraten. Wenn jedoch nichts unternommen wird, dann verursacht diese Fangmethode, wenn sie über einen längeren Zeitraum eingesetzt wird, beträchtlichen Schaden. Deshalb geht es uns darum, den Missbrauch von Stellnetzen einzudämmen und nicht ihren ordnungsgemäßen Einsatz. Wir wollen also angesichts der Tatsache, dass Stellnetze nur recht selektiv eingesetzt werden, einerseits niemanden von deren Verwendung abhalten, andererseits wollen wir natürlich den Missbrauch von Stellnetzen unterbinden, weil er für die so genannten „Geisternetze‘„ verantwortlich ist, mit denen mitunter wochenlang weitergefischt wird, was beträchtliche Schäden für die betroffenen Arten zur Folge hat.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 45 von Pedro Guerreiro (H-0273/06)
Betrifft: Fischereiabkommen mit Marokko und Wahrung der legitimen Rechte des saharauischen Volkes
Es wird auf die aktuellen Verhandlungen über das den Sektor Fischerei betreffende Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko und darauf verwiesen, dass die legitimen Rechte und Interessen des saharauischen Volkes gewahrt und verteidigt werden müssen.
Hat die Kommission Kontakte zu der Bewegung Frente Polisário, der legitimen Vertreterin des saharauischen Volkes, aufgenommen, um deren Haltung zu dem genannten Abkommen zu erfahren? Wenn ja: Was haben diese Kontakte ergeben?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Ich möchte den Herrn Abgeordneten daran erinnern, dass die Verhandlungen über das neue partnerschaftliche Fischereiabkommen zwischen der EG und Marokko abgeschlossen sind und die marokkanische Regierung den Entwurf des Abkommens im Juli 2005 paraphiert hat. Bezüglich der territorialen Anwendung unterscheidet sich der Text des neuen Abkommens nicht von seinem Vorgänger, der 2000 ausgelaufen ist.
Was die konkrete Frage des Herrn Abgeordneten angeht, so möchte ich darauf hinweisen, dass die Frente Polisário bei der Europäischen Gemeinschaft nicht offiziell akkreditiert ist. Es existiert kein offizieller Dialog zwischen der Kommission und der Frente Polisário. Was die Fischereiverhandlungen betrifft, so wurde die Kommission vom Rat beauftragt, die Verhandlungen mit dem Königreich Marokko zu führen. Sie verfügt über kein Mandat zur Ausweitung der Verhandlungen auf Dritte.
Im Rahmen der Vorbereitungen zu den Verhandlungen über das partnerschaftliche Fischereiabkommen zwischen der EG und Marokko hat die Kommission die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen eines etwaigen Abkommens evaluiert. Die Kommission ist in diesem Fall wie in anderen Fällen bemüht zu verhindern, dass sich der Abschluss neuer Vereinbarungen im Bereich Fischerei zu einem Faktor in internationalen Streitigkeiten oder Konflikten entwickelt.
Was das partnerschaftliche Fischereiabkommen EG-Marokko und das Problem der Westsahara angeht, so hat sich die Kommission besonders sorgfältig um die Einhaltung der entsprechenden völkerrechtlichen Grundsätze und die Unterstützung der UNO bei der Suche nach einer angemessenen Lösung für die Westsahara bemüht. So wie das vorherige Fischereiabkommen beeinträchtigt der ursprüngliche Wortlaut in keiner Weise das Problem des internationalen Status der Westsahara.
Die Kommission ist davon überzeugt, dass sich das neue partnerschaftliche Fischereiabkommen zwischen der EG und Marokko im Einklang mit dem Völkerrecht und dem Standpunkt des Rechtsberaters der UNO vom 29. Januar 2002 befindet. Die Ansicht der Kommission in Bezug auf den geografischen Anwendungsbereich des Abkommens wurde durch die Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates sowie den Juristischen Dienst des Europäischen Parlaments bestätigt und gebilligt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), Verfasser. – (PT) Im Rahmen ihrer Entwicklungspolitik stellt die EU Mittel für Flüchtlingslager bereit, die von der Frente Polisario in der Westsahara für Angehörige des saharauischen Volkes unterhalten werden. Deshalb möchte ich erneut fragen, ob die Kommission im Rahmen ihres Ansatzes hinsichtlich der Problematik der Westsahara beabsichtigt, die Polisario zu fragen, was sie von diesem Abkommen, das für die Westsahara tief greifende Folgen haben wird, hält?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Wie ich bereits in meiner Antwort feststellte, wurden die Verhandlungen zwischen der Kommission und Vertretern der Regierung des Königreichs Marokko geführt. Wir waren durch den Rat befugt, mit Marokko zu verhandeln. Die Verhandlungen mündeten in ein Abkommen, das vorsieht, dass Fangtätigkeiten, die in Gewässern unter der Gerichtsbarkeit Marokkos erfolgen, den Gemeinschaften zugute kommen sollten, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Fischereistandort leben. Es ist deshalb Aufgabe des Königreichs Marokko, dafür zu sorgen, dass der Nutzen, der aus der Fischereitätigkeit in Gewässern resultiert, die an Gebiete der Frente Polisário angrenzen, den dort lebenden Menschen zugute kommt.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Herr Kommissar! Heute Vormittag hat das Parlament beschlossen, den Antrag des Rates auf die Anwendung des Dringlichkeitsverfahrens auf das Abkommen mit Marokko abzulehnen. Welche Konsequenzen wird die Entscheidung des Europäischen Parlaments von heute Vormittag für das Inkrafttreten dieses Abkommens haben?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. (EN) Ich habe gestern an einer Beratung des Fischereiausschusses des Europäischen Parlaments teilgenommen, und es heißt, der Berichterstatter werde seinen Bericht Anfang Mai dem Fischereiausschuss vorlegen. Es können dann Änderungsanträge eingebracht werden, über die der Fischereiausschuss Mitte Mai abstimmen wird. Während der Maitagung in Straßburg soll dann über den Bericht entschieden werden. Ich werde gemeinsam mit dem österreichischen Ratsvorsitz die Möglichkeit prüfen, den Rat auf der Ministerratstagung Ende Mai über dieses Abkommen abstimmen zu lassen, so dass, wenn alles gut geht, das Abkommen Anfang Juni bereits in Kraft treten kann. Das würde bedeuten, dass die Verzögerung in Bezug auf die zwischen der Kommission und dem Königreich Marokko getroffenen Vereinbarungen nur einen Monat beträgt.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 46 von Manuel Medina Ortega (H-0203/06)
Betrifft: Finanzielle Vorausschau und regionale Entwicklung der Gebiete in äußerster Randlage
Kann die Kommission angesichts der Einigung, die innerhalb des Europäischen Rates über die Finanzielle Vorausschau für den Zeitraum 2007-2013 erreicht wurde, Angaben über die Auswirkungen derselben auf die Politik der Entwicklung der Gebiete in äußerster Randlage machen?
Danuta Hübner, Mitglied der Kommission. (EN) Ausgehend von der Einigung, die der Europäische Rat am 16. und 17. Dezember 2005 erzielt hat, stellt sich die Situation der Gebiete in äußerster Randlage für den Zeitraum 2007-2013 wie folgt dar.
Für die betroffenen Teile in Europa sehen die Strukturfonds und der Kohäsionsfonds eine höhere Kofinanzierungsrate vor. Sie wird sowohl für Regionen, die unter das Konvergenzziel fallen, als auch für jene Regionen in äußerste Randlage, die unter das Ziel Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung fallen, 85 % betragen. Vorgesehen ist eine spezielle Sonderbeihilfe zur Finanzierung von Betriebsbeihilfen, mit denen die in diesen Regionen aufgrund ihrer geographischen Lage entstehenden Zusatzkosten ausgeglichen werden sollen. Die Kofinanzierungsrate für diese Sonderbeihilfe wird 50 % betragen; diese Sonderbeihilfe wird sich auf 35 Euro pro Kopf und Jahr in jeder dieser sieben Regionen in äußerster Randlage belaufen.
Die Lage in den einzelnen Regionen in äußerster Randlage ist recht unterschiedlich. Madeira beispielsweise wird seinen Status als Phasing-in-Region beibehalten, aber gleichzeitig wird die Insel von großzügigeren finanziellen Übergangsregelungen profitieren, die denen von statistischen Phasing-out-Regionen, also Regionen, die aus der Förderung herausfallen, ähneln. Für die Kanarischen Inseln ist ein zusätzlicher Rahmen von 100 Millionen Euro für den Zeitraum von 2007 bis 2013 vorgesehen.
Was die territoriale Zusammenarbeit – das Ziel dieser Politik – betrifft, so haben alle Regionen in äußerster Randlage Anspruch auf die transnationale Komponente des Ziels der europäischen territorialen Zusammenarbeit, und die französischen überseeischen Departements werden so wie die Kanarischen Inseln Anspruch auf die grenzüberschreitende Komponente haben. Ferner werden Madeira, die Azoren und die Kanarischen Inseln von für Portugal und Spanien geltenden Sonderregelungen profitieren. Wie Sie wissen, haben Madeira und die Azoren, die zu Portugal gehören, zudem Anspruch auf den Kohäsionsfonds sowie die zeitweilige Anwendung der n+3-Regel für den Zeitraum 2007-2010. Im Falle der zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln bedeutet das, dass sie ebenfalls Anspruch auf den Kohäsionsfonds sowie zusätzliche Mittel haben, die Spanien in Form eines technologischen Fonds erhält. Über die Teilnahme der Kanarischen Inseln entscheidet die Regierung.
Wie Sie wissen, kommen Regionen in äußerster Randlage auch in den Genuss von Sondermaßnahmen, die der Förderung traditioneller Sektoren in diesen Regionen dienen. So sind Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft in den Regionen der EU in äußerster Randlage sowie die Sonderbehandlung im Rahmen der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehen. Das betrifft vor allem die Interventionsraten des neuen Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums. Darüber hinaus gibt es natürlich noch die üblichen im Rahmen unserer Politiken vorgesehenen Instrumente. Außerdem haben alle Regionen Zugang zu sämtlichen Gemeinschaftsprogrammen, die in allen Titeln des europäischen Haushalts geplant sind.
Das sind in aller Kürze die im Rahmen der Finanziellen Vorausschau vorgesehenen Sondermaßnahmen für die Regionen in äußerster Randlage.
Manuel Medina Ortega (PSE), Verfasser. – (ES) Frau Kommissarin! Bisher hat die Kommission eine großartige Arbeit geleistet, was die Hilfe für die Regionen in äußerster Randlage angeht, doch es ist klar, dass die neue Finanzielle Vorausschau eine Reduzierung der globalen Mittel der Europäischen Union vorsieht.
Ich möchte Ihnen einfach eine ganz konkrete Frage stellen: Besteht angesichts der Krise in Regionen nahe der Europäischen Union, insbesondere Nordafrika, die Möglichkeit, dass die Europäische Union durch die Regionen in äußerster Randlage und den neuen Fonds für die Nachbarschaftspolitiken zur Lösung des Problems beitragen kann, das die gesamte Union betrifft – der Masseneinwanderung in die Europäische Union? Mit anderen Worten, welche Instrumente der Zusammenarbeit könnten zur Verfügung stehen, um die ungeheure Krise abzuwenden, die sich in den Regionen vollzieht, die sich in Nachbarschaft der Gebiete in äußerster Randlage der Europäischen Union befinden?
Danuta Hübner, Mitglied der Kommission. (EN) Wie Sie wissen, können die Regionen in Europa auch einen Teil der ihnen bereitgestellten Mittel nutzen, um sie in Regionen zu investieren, die nicht Mitgliedstaaten der EU sind, sondern zu Nachbarländern gehören. Demzufolge steht diese Möglichkeit, Teile der gewährten Mittel für Nachbarterritorien zu verwenden, den Regionen in äußerster Randlage offen.
Außerdem wird das neue Europäische Instrument für Nachbarschaft und Partnerschaft, an dessen rechtlicher Form die Kommission derzeit noch arbeitet, die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit Nachbarländern und Regionen zu den von Ihnen angesprochenen Fragen der Schaffung von Arbeitsplätzen und Beschäftigungsmöglichkeiten auf der anderen Seite der Grenze vorsehen.
Gerade auf den Kanarischen Inseln wird man in der Lage sein, einen Teil der Mittel im Rahmen des neuen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments auszugeben und so die externe Zusammenarbeit beispielsweise mit Grenzregionen in Marokko zu fördern. Das also vermag diese Politik über die Finanzinstrumente zu leisten. Doch dazu kommt noch eine politische Dimension. Vor etwa einer Woche haben wir in der Kommission die Lage in einigen der Regionen in äußerster Randlage im Zusammenhang mit der Zuwanderung und den damit verbundenen Schwierigkeiten erörtert. Die Kommission wird schon sehr bald im Rahmen anderer Instrumente und auf politischem Weg einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten.
Einige unserer Finanzinstrumente weisen Grenzen auf. Wie Sie selbst schon gesagt haben, ist das nicht der Haushalt, den wir erwarteten, als die Kommission ihren Vorschlag vorlegte. Trotzdem werden zusätzlich zu den beschränkten Mitteln Anstrengungen unternommen, um mit Nachbarländern oder Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft zu unseren Regionen in äußerster Randlage zusammenzuarbeiten, um für einige der Probleme eine politische Lösung zu finden.
Piia-Noora Kauppi (PPE-DE). – (EN) Die Regionen der EU in äußerster Randlage stehen vor ähnlich schwierigen Problemen wie die nördlichsten Regionen der EU. Würden Sie sagen, dass die Vorschläge für die Kohäsionspolitik nunmehr für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der EU-Förderung für die Regionen in äußerster Randlage und der EU-Förderung für die nördlichsten Regionen sorgen?
Könnten Sie außerdem kurz erläutern, welche Kofinanzierungsraten und gezielten Sondermaßnahmen für die nördlichsten Regionen der Europäischen Union und vor allem für die nördlichsten Teile von Finnland und Schweden vorgesehen sind?
Danuta Hübner, Mitglied der Kommission. (EN) Das ist eine sehr schwierige Frage. Es lässt sich nur sehr schwer entscheiden, was in diesem Falle ausgewogen ist, denn diese Regionen stehen vor ganz anderen Problemen. In einigen unserer Regionen rühren die Probleme daher, dass sie sehr dünn besiedelt sind, und das ist mit sehr hohen Infrastrukturkosten verbunden. Das stellt nicht nur für uns auf europäischer Ebene eine Herausforderung dar, sondern auch für die jeweiligen Regierungen. Andere Regionen weisen eine sehr hohe Bevölkerungsdichte und migrationsbedingte Probleme auf. Deshalb lässt sich nur sehr schwer messen, was ausgewogen ist und was nicht.
Wie Sie wissen, wurden im Rahmen dieses sehr begrenzten Haushalts während des Rates – und auch das ist Teil der europäischen Tradition – zusätzliche Anträge gestellt. Was ich vorgelegt habe – all diese zusätzlichen Maßnahmen für die Regionen – ist ein Ergebnis des Rates und war nicht Bestandteil des globalen ausgewogenen Vorschlags der Kommission.
Wir müssen uns die aktuelle Situation anschauen und versuchen, mit diesen Ressourcen auszukommen und die für die dünn besiedelten Regionen von Schweden und Finnland bereitgestellten Mittel möglichst effizient einzusetzen und das Beste daraus machen. Meines Erachtens müssen aber keine Vergleiche gezogen werden zwischen den 540 Millionen Euro, die Finnland und Schweden für diese Regionen erhalten haben, und den für die Regionen in äußerster Randlage bereitgestellten Mitteln. Die Lage in beiden Arten von Regionen ist eine ganz andere, und das Geld hat einen anderen Wert. Die Kommission wird sich der Probleme sowohl in den nördlichsten Regionen als auch den Regionen in äußerster Randlage annehmen, um mit Hilfe der uns zur Verfügung stehenden Mittel bestmögliche Resultate zu erzielen.
Richard Seeber (PPE-DE). – Frau Kommissarin! Die Kommission hat ja einen sehr anspruchsvollen finanziellen Rahmen vorgelegt. Der Rat hat ihn in seiner Dezember-Tagung massiv gekürzt. Im Trilog finden derzeit die Verhandlungen statt. Was mir dabei ein wenig abgeht, ist die Rolle der Kommission. Wenn Sie schon einen so ambitionierten Vorschlag vorlegen, warum hört man dann eigentlich nicht mehr von Kommissionsseite und warum besteht nicht mehr Kampfbereitschaft auf Seiten des Parlaments, damit wir die Budgetmittel erhalten, die wir zur Durchführung dieser Programme brauchen? Das betrifft insbesondere auch die ländliche Entwicklung, nicht nur in den Gebieten in äußerster Randlage, sondern im ländlichen Raum insgesamt, wo doch massiver Finanztransfer benötigt wird, um auf das erforderliche Niveau zu kommen.
Danuta Hübner, Mitglied der Kommission. (EN) Ich habe nicht das Gefühl, dass die Kommission in den Verhandlungen keine Stärke zeigt. Nach meinem Verständnis versuchen wir dazu beizutragen, dass ein für alle drei Institutionen akzeptabler Kompromiss erzielt werden kann. Zufällig ist es so, dass die beiden Institutionen – der Rat und das Parlament – was die Höhe des vorliegenden Haushalts betrifft, finanziell recht weit gegangen sind. Die Kommission sollte sich meines Erachtens bemühen, einen Kompromiss zu finden. Die Höhe des Haushalts ist von herausragender Bedeutung. Wir hoffen, dass wir auch Mittel für jene Bereiche haben werden, bei denen im Dezember drastische Kürzungen vorgenommen wurden. Wichtig ist aber auch, dass eine Einigung erzielt wird. Ich weiß nicht, wie der Trilog aussieht, weil ich nicht daran teilnehme, aber ich kann mir vorstellen, dass es Momente gibt, in denen die Aufgabe der Kommission darin besteht, den Weg für einen Kompromiss zu ebnen. Das mag Ihnen den Eindruck vermitteln, als sei Geld nicht wichtig für uns, aber dem ist nicht so. Es ist uns durchaus wichtig. Wir wissen, dass wir mit mehr Geld mehr für Europa, mit Europa und für alle Bürger in Europa tun könnten. Aber manchmal sind Realismus und ein Gefühl für den richtigen Zeitpunkt auch wichtig. So sehe ich das.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 47 von Dimitrios Papadimoulis (H-0217/06)
Betrifft: Ausschöpfung von Gemeinschaftsmitteln und N+2-Regel
Die N+2-Regel ist eines der Kriterien für die Umsetzung der Maßnahmen des GFK. Sie sieht vor, dass die Mittel, die für die Finanzierung eines Programms gebunden wurden, innerhalb von zwei Jahren ausgezahlt werden müssen. Für welche Mittel und welche Programme hat die griechische Regierung Anträge auf Freistellung von der N+2-Regel eingereicht? Inwieweit wurden diese Anträge bereits von den Dienststellen der Kommission geprüft?
Besteht die Möglichkeit, im Rahmen des 3. GFK den Zeitraum für die Unterzeichnung der rechtlichen Vereinbarungen über das Jahr 2006 hinaus zu verlängern? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Besteht die Möglichkeit, auch nach 2008 noch Gemeinschaftsmittel aus dem 3. GFK zu erhalten? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Danuta Hübner, Mitglied der Kommission. (EN) Sie werden vielleicht wissen, dass die griechischen Behörden der Kommission vor Ablauf des letzten Jahres eine Liste von Anträgen auf Freistellung von der n+2-Regel vorgelegt haben. Der Gesamtbetrag belief sich auf über 655 Millionen Euro. Es ging darum, einen Betrag von 342 Millionen Euro abzudecken, der potenziell unter die n+2-Regel gefallen wäre. Die Anträge betreffen zwölf operationelle Programme in Griechenland sowie die Intervention von drei Fonds, den EFRE, den ESF und den Agrarfonds.
Die Kommission hat das griechische Ersuchen in Bezug auf die Anwendung der n+2-Regel bearbeitet und ist zu dem Schluss gelangt, dass nach der potenziellen Kürzung aufgrund der Anwendung der n+2-Regel ein Betrag von 8 638 000 Euro übrig ist, der weit unter dem ursprünglich erwarteten Betrag liegt. Wir warten noch auf die Bestätigung durch die griechischen Behörden. Sollten sie dies bestätigen, dann wäre das der Betrag, den die Kommission als Mittelbindung erwartet.
Im zweiten Teil Ihrer Frage ging es darum, welche Zeiträume für Mittelbindungen und Auszahlungen zulässig sind. Wie Sie wissen, endet der Anspruchszeitraum für den Programmplanungszeitraum 2000 – 2006 am 31. Dezember 2008. Mittelbindungen sind theoretisch – und das möchte ich betonen – während des gesamten Anspruchszeitraums möglich, d. h. also auch 2008. Mittelbindungen sollten jedoch rechtzeitig vorgenommen werden, damit der endgültige Empfänger die Operationen und Vorhaben ausführen und die Zahlungen vor Ablauf der Frist für Ausgaben, d. h. Ende 2008, leisten kann. Die Bereitstellung von Mitteln endet für alle Mitgliedstaaten gemäß der aktuellen Finanziellen Vorausschau am 31. Dezember 2008. Eine Ausnahme bilden Programme und Maßnahmen, für die staatliche Beihilfen gezahlt werden. Dafür sehen die Vorschriften als Frist den 30. April 2009 vor.
Ich möchte Ihnen ferner mitteilen, dass es laut sämtlicher Analysen und Informationen, die der Kommission vorliegen, keine Ausnahmen in Bezug auf den Ablauf des Anspruchszeitraums geben kann, d. h. Ende 2008 bzw. April 2009. Folglich endet die Frist Ende 2008 bzw. im April 2009. Das ist der Stand.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL), Verfasser – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Gestatten Sie mir, Ihnen noch eine andere Frage zu stellen.
In Anbetracht der Tatsache, dass mit der Billigung von Freistellungsanträgen der Druck auf die Folgejahre verlagert wird, möchte ich die Kommission bitten, mir mitzuteilen, wie die Verpflichtungen Griechenlands für die Jahre 2006 und 2007 formuliert werden und welche Festlegung die Kommission, sofern es eine gibt, für diese beiden Jahre zur Anwendung der N+2-Regelung getroffen hat.
Danuta Hübner, Mitglied der Kommission. (EN) Bei dieser Art von Frage wäre eine Erwiderung ohne gründliche vorherige Prüfung zu riskant. Deshalb verspreche ich, dass wir versuchen werden, Ihnen in den nächsten Tagen eine Antwort zur aktuellen Lage in Bezug auf Zahlungen und Mittelbindungen für Griechenland zu geben.
Der Präsident. Die Anfragen Nr. 48 bis 59 werden schriftlich beantwortet.
Der Präsident. Da sie dasselbe Thema betreffen, werden die folgenden Anfragen gemeinsam behandelt:
Anfrage Nr. 60 von Bernd Posselt (H-0210/06)
Betrifft: Euro-Einführung in den zehn neuen Mitgliedstaaten
Wie beurteilt die Kommission den aktuellen Stand der Vorbereitungen und den Zeitplan für die Einführung des Euro in den zehn EU-Mitgliedstaaten, die am 1. Mai 2004 der EU beigetreten sind?
Anfrage Nr. 61 von Justas Vincas Paleckis (H-0222/06)
Betrifft: Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten zur Euro-Zone
Es gibt Presseberichte und offizielle Erklärungen, wonach bei der Beurteilung der Vorbereitungen der neuen EU-Mitgliedstaaten auf die Einführung des Euro neben den Maastricht-Kriterien auch das allgemeine wirtschaftliche Entwicklungsniveau des Landes berücksichtigt werden wird. Konkret hieß es, dass Slowenien aufgrund der Tatsache, dass sein Pro-Kopf-BIP höher ist als das Pro-Kopf-BIP Litauens und Estlands, zur Euro-Zone zugelassen werden kann, während den beiden letztgenannten Staaten der Beitritt selbst dann verwehrt werden wird, wenn sie die Maastricht-Kriterien einschließlich des Inflationsniveaus erfüllen würden.
Gibt es für diese Erklärungen eine Grundlage? Kann die Kommission klar zum Ausdruck bringen, dass bei der Entscheidung über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zur Euro-Zone nur die Maastricht-Kriterien und keine anderen Kriterien ausschlaggebend sein werden?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Ich möchte auf die erste Anfrage von Herrn Posselt antworten und sagen, dass sich Estland, Litauen und Slowenien den 1. Januar 2007 als Ziel für die Einführung des Euro gesetzt haben; Zypern, Lettland und Malta beantragen, den Euro am 1. Januar 2008 einzuführen; die Slowakei plant dies für den 1. Januar 2009; die Tschechische Republik und Ungarn hoffen, dem Euro-Währungsgebiet 2010 beizutreten, und Polen hat sich keinen Termin gesetzt.
Mindestens alle zwei Jahre oder auf Antrag eines Mitgliedstaats müssen die Kommission und die Europäische Zentralbank dem Rat über den Fortschritt der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung der ihnen gestellten Auflagen zur Erreichung der Vollmitgliedschaft in der Wirtschafts- und Währungsunion Bericht erstatten.
Im Februar 2006 gab die Kommission in Übereinstimmung mit der Europäischen Zentralbank bekannt, dass der nächste Konvergenzbericht zu allen nicht zum Euro-Währungsgebiet gehörenden Staaten, mit Ausnahme der beiden mit einer Opt-out-Klausel, dem Vereinigten Königreich und Dänemark, im Oktober 2006 veröffentlicht wird, das heißt, zwei Jahre nach der letzten Bewertung. Allerdings haben zwei Staaten, Slowenien und Litauen, die Kommission und die Europäische Zentralbank gemäß Artikel 122 des Vertrags um einen individuellen Bericht über die Fortschritte gebeten, die sie bei der Konvergenz erzielt haben; die Kommission und auch die Europäische Zentralbank beabsichtigen, diesen Bericht über diese beiden Mitgliedstaaten am 16. Mai 2006 anzunehmen.
Sollte die Erfüllung der wirtschaftlichen und rechtlichen Konvergenzkriterien positiv bewertet werden, würde die Kommission den entsprechenden Vorschlag unterbreiten, und nach Konsultation dieses Parlaments könnte der Europäische Rat Mitte Juni die Angelegenheit analysieren und gegebenenfalls einen Beschluss fassen, und die vorgeschlagene endgültige Ausnahmeregelung könnte somit am 11. Juli im Ecofin-Rat diskutiert werden.
Unabhängig von diesem Prozess halten wir in der Kommission natürlich regelmäßigen Kontakt zu allen Staaten, die dem Euro-Währungsgebiet beitreten wollen; wir überwachen sie sehr genau und arbeiten mit ihnen bei den praktischen Vorbereitungen auf diese wichtige Entscheidung zusammen.
(ES) Zur Anfrage von Herrn Paleckis muss ich ihm antworten, dass die Kommission natürlich das Prinzip der Gleichbehandlung anwenden wird, wenn sie die Fortschritte der zehn neuen Mitgliedstaaten in Bezug auf die wirtschaftliche und rechtliche Konvergenz bewertet. Wie ich gerade gesagt habe, werden die Länder nach den im Vertrag, insbesondere in Artikel 122, festgeschriebenen Verfahren und Kriterien beurteilt, und die Kommission hat natürlich nicht die Absicht, diese Verfahren zu ändern oder zusätzliche Kriterien einzuführen.
Was das Inflationskriterium angeht, so ist im Vertrag, wie Sie wissen, festgelegt, dass der jeweilige Mitgliedstaat verpflichtet ist, eine nachhaltige Preisentwicklung und eine durchschnittliche Inflationsrate einzuhalten, die nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der jener drei Mitgliedsstaaten liegt, die die beste Preisstabilität aufweisen. Die Kommission sieht vor, dieses Kriterium weiterhin streng anzuwenden, wie sie es auch in der Vergangenheit getan hat.
Bernd Posselt (PPE-DE), Verfasser. – Herr Präsident! Herr Kommissar, vielen Dank für die präzise Antwort. Sie haben allerdings am Anfang so schnell gesprochen, wenn ich das sagen darf, dass die deutsche Dolmetschung faktisch unverständlich war. Ich wollte deshalb noch einmal nachfragen: Habe ich das richtig verstanden, dass die letzten beiden dieser zehn Staaten im Jahr 2010 an der Reihe sein werden, nämlich die Tschechische Republik und Ungarn? Ich möchte Sie fragen, ob das wirklich der absolute Abschluss der Entwicklung ist oder ob es unter den zehn Mitgliedstaaten welche gibt, die um eine Verschiebung über das Jahr 2010 hinaus gebeten haben.
Justas Vincas Paleckis (PSE), Verfasser. – (EN) Vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Frage. Die Maastricht-Kriterien werden streng auf die Länder angewendet, die sich um den Beitritt zum Euro-Währungsgebiet bewerben. Litauen kann nicht in das Euro-Währungsgebiet aufgenommen werden, obwohl es derzeit die Inflationskriterien um gerade einmal 0,1 % überschreitet. Litauen hat so wie andere Länder diese Bedingung in den letzten sechs Jahren erfüllt. Im derzeitigen Währungsgebiet verstoßen etliche Mitglieder gegen einzelne Maastricht-Kriterien. So verstoßen einige der großen Mitgliedstaaten seit vielen Jahren gegen Auflagen in Bezug auf das Haushaltsdefizit, ohne dass ihnen die rote Karte gezeigt wird. Gleiches gilt für die Inflation und andere Kriterien. Stellt dieses Messen mit zweierlei Maß nicht eine Diskriminierung der neuen Mitgliedstaaten dar?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Ich werde mit der Antwort an Herrn Posselt beginnen und versuchen, nicht so schnell zu sprechen.
Die Ziele, die ich im Zusammenhang mit dem Datum genannt habe, an dem die Mitgliedstaaten dem Euro-Währungsgebiet beizutreten wünschen, sind Termine, die von ihnen selbst festgelegt wurden.
Die ersten drei Länder, Estland, Litauen und Slowenien, hatten ursprünglich erklärt, dass sie sich 2007 dem Euro-Währungsgebiet anschließen wollen. Ungarn seinerseits hat sich das Jahr 2010 zum Ziel gesetzt, wie Sie sagten.
Das einzige Land, das keinen Zeitpunkt bestimmt hat, ist Polen, wie ich vorhin bemerkte.
Dies ist eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung. Ausreichend ist es, wenn die Bewertung der Kommission und der Europäischen Zentralbank auf der Grundlage der Kriterien des Vertrags deutlich macht, dass die Mitgliedstaaten, die dem Euro-Währungsgebiet beitreten wollen, diese Kriterien wirklich erfüllt haben.
Beide Seiten müssen ihren Willen bekunden: die Mitgliedstaaten und schließlich der Rat, auf Vorschlag der Kommission, nachdem die Kommission und die Europäische Zentralbank geurteilt haben, dass die Kriterien erfüllt worden sind. So ist die Situation.
Zu Polen, dem einzigen Mitgliedstaat, der sich noch kein Ziel für den Beitritt zum Euro-Währungsgebiet gesetzt hat – Schweden ist nach dem Nein im Referendum von 2003 ebenfalls in dieser Lage –, möchte die Kommission darauf hinweisen, dass die Mitgliedstaaten selbst verpflichtet sind – ausgenommen jene mit einer Ausnahmeklausel, das sind nur das Vereinigte Königreich und Dänemark –, ihren Beitritt zum Euro-Währungsgebiet vorzuschlagen, und unsere Aufgabe und Pflicht ist es, zu bewerten, ob sie den Anforderungen entsprechen oder nicht.
Ich kann Herrn Paleckis nicht im Voraus sagen, welchen Inhalt der Bericht hat, den die Kommission am 16. Mai annehmen wird, und aus Gründen, die auf der Hand liegen, wäre es für mich noch schwieriger, den Inhalt des Berichts der Europäischen Zentralbank vorherzusehen. Aber ich kann dem Abgeordneten nochmals mitteilen – und ich habe es wiederholt getan –, dass die Kommission analysieren wird, ob die Kriterien nach Maßgabe des Vertrages erfüllt wurden oder nicht.
Die Kommission legt diese Kriterien nicht nach Lust und Laune fest. Sie sind im Vertrag festgeschrieben, und wir haben die Pflicht, den Vertrag einzuhalten, und ich möchte wiederholen, dass wir bei dieser Bewertung alle gleich behandeln, wir werden nicht bestimmte Maßstäbe an die einen Länder legen und andere Maßstäbe an die anderen.
Also noch einmal in Stichworten: Einhaltung des Vertrags, eine klare und strenge Bewertung, ob die Kriterien erfüllt wurden, und Gleichbehandlung für alle.
Ich werde Sie und alle Abgeordneten am 16. Mai über die Ergebnisse dieser Analyse informieren können.
Gábor Harangozó (PSE). – (HU) Die neuen Mitgliedstaaten müssen die Konvergenzkriterien erfüllen, um den Euro einzuführen. Um die Einhaltung der Konvergenzkriterien zu garantieren, formulieren Kommission und Rat verschiedene Vorschläge für die betreffenden EU-Länder. Meine Frage lautet daher: Darf ein Mitgliedstaat eine Wirtschaftspolitik betreiben, die die Vorschläge von Rat und Kommission ignoriert, und wenn er dies tut, welche Risiken sind mit einem solchen Vorgehen verbunden?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Noch einmal generell: Für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelungen, die nicht zum Euro-Währungsgebiet gehören, aber verpflichtet sind, ihm in Zukunft beizutreten, haben wir im Oktober 2004 eine Bewertung vorgenommen, und wir werden sie im Oktober 2006 wiederholen. Im Fall der beiden Mitgliedstaaten, die individuelle Anträge auf diese Bewertung gestellt haben – auf die sie nach dem Vertrag das Recht haben –, nämlich Slowenien und Litauen, werden wir unsere individuelle Bewertung für jedes dieser Länder am 16. Mai vorlegen. Ich kann Ihnen das Ergebnis eines Berichts, der am 16. Mai vom Kollegium der Kommissionsmitglieder angenommen wird, nicht vorhersagen.
Wenn Sie möchten, werde ich Ihnen am Nachmittag des 16. Mai hier im Parlament den Inhalt des Berichts erläutern, aber vorher kann ich dazu keine Aussage treffen.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident! Herr Kommissar, Sie haben eines der Probleme bereits angesprochen. Wir sind dabei zu diskutieren, wie ernst neue Staaten ihre Verpflichtungen nehmen. Wir diskutieren aber nicht wirklich darüber, wie im Besonderen ein Staat, der seit geraumer Zeit die Kriterien erfüllt, aber offenbar nicht den Wunsch hat, der Eurozone beizutreten, seine Zukunft gestalten wird, nämlich Schweden. Die Frage ist, ob nicht das schwedische Beispiel für andere, jetzt neue Mitgliedstaaten ein schlechtes Beispiel sein kann. Sie haben einen neuen Mitgliedstaat genannt, der noch kein Datum bekannt gegeben hat. Werden hier, wenn keine Sanktionen gesetzt werden, nicht negative Präzedenzwirkungen erzielt?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Ich stimme Herrn Rack zu, dass wir vor einem Problem stehen, denn es gibt einen Mitgliedstaat, der ein Referendum durchgeführt hat, das Ergebnis war negativ, und aufgrund dessen kann er nicht oder will er nicht oder beabsichtigt er nicht, einer Verpflichtung nachzukommen, die ihm als Mitgliedstaat obliegt.
Wir müssen uns damit befassen, wie wir diese Frage lösen. Die Kommission hielt es für klug, nicht sofort nach dem Referendum etwas zu unternehmen. Die Kommission muss ihrer Pflicht zur Einhaltung des Vertrags nachkommen und gleichzeitig die Meinung der Bürgerinnen und Bürger dieses Mitgliedstaats berücksichtigen, aber ich habe nicht vergessen, dass die Kommission Gespräche mit Schweden führen muss, um zu überlegen, wie dieses Land seine Aufgaben als Mitglied der Europäischen Union in Zukunft wahrnehmen kann.
Der gleiche Fall liegt bei Polen vor. Das Land hatte ursprünglich ein bestimmtes Jahr als Ziel für den Beitritt zum Euro genannt. Die neuen polnischen Behörden sagen, dass sie das Ziel ihrer Vorgänger nicht anerkennen und dass sie im Moment keinen künftigen Termin setzen. Und ich hatte Gelegenheit, die neue polnische Regierung daran zu erinnern, dass sie es tun muss.
Wir wollen keinen Druck ausüben, doch wir dürfen nicht vergessen, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind. Wie ich zuvor bemerkte, müssen wir die Erfüllung unserer Verantwortung mit politischer Umsicht verbinden, aber was ich sagen will – und ich habe das bei anderen Gelegenheiten öffentlich erklärt –, ist, dass über die Erfüllung einer Verpflichtung, die die 25 Staaten als Mitglieder der Europäischen Union haben, nicht in einem Referendum abgestimmt werden kann.
In diesem Fall besteht für zwei Länder eine Ausnahmeregelung, für das Vereinigte Königreich und Dänemark, aber die Pflicht eines Staates darf generell nicht Thema eines Referendums sein, und auch die 23 Staaten ohne Opt-out-Klausel sollten es nicht tun, denn die Frage, ob ein Vertrag erfüllt wird oder nicht, kann nicht zur Abstimmung gestellt werden.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Herr Kommissar! Ich habe eine Frage zur Inflation. Bekanntlich übersteigt die Inflationsrate in den elf Ländern, die als erste der Wirtschafts- und Währungsunion beitreten und den Euro einführen konnten, den Index seit geraumer Zeit. Nur zwei Länder haben den Index eingehalten, in allen anderen wurde er in der Zeit von Ende 1998 bis Ende 2005 für die Dauer von zehn Monaten bis zu knapp sechs Jahren überschritten. Hier nur meine Frage: Wenden wir bei den neuen Staaten zusätzliche Kriterien an, und handelt es sich bei der Wirtschafts- und Währungsunion um eine technische oder lediglich um eine politische Union?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Die Pflicht der Kommission besteht in der Gewährleistung der Erfüllung der Verträge, und es versteht sich von selbst, dass bei früheren Anlässen, als das Euro-Währungsgebiet geschaffen wurde oder als ihm das zwölfte Mitglied beitrat, die damalige Kommission und der damalige Rat, mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments, die Pflicht zur Gewährleistung der Respektierung der Verträge in die Überlegungen berücksichtigt haben.
Ich als Kommissionsmitglied und die Kommission unter der Leitung von Herrn Barroso werden natürlich nicht unsere Pflicht versäumen, was die Anwendung der Verträge und die Gewährleistung ihrer Erfüllung angeht. Die wirtschaftlichen Kriterien, einschließlich die der Inflation, sind in einem Protokoll im Anhang zum Vertrag aufgeführt und haben dieselbe Rechtswirkung wie die Bestimmungen und Artikel des Vertrags. Daher dürfen wir sie weder außer Acht lassen noch ändern.
Es ist wahr, dass derzeit eine akademische Diskussion über eine richtige Definition der Kriterien läuft, aber das Verfahren zur Änderung der Verträge wird in einer Regierungskonferenz und einem Ratifizierungsprozess bestehen, wenn die Zeit geeignet erscheint und wenn es dafür eine ausreichende Mehrheit gibt. Es ist nicht Aufgabe der Kommission, die Verträge zu ändern, ihr obliegt es, sie anzuwenden.
Es stimmt, dass eine Asymmetrie vorhanden ist, weil die Erfüllung der Kriterien erforderlich ist, um in das Euro-Währungsgebiet aufgenommen zu werden, aber wenn ein Land dann Mitglied ist, kann es die Kriterien verfehlen; gehört ein Land erst einmal zum Euro-Währungsgebiet, kann es mehr Inflation, eine höhere Verschuldung und ein größeres Defizit haben. Was das Defizit und die Verschuldung betrifft, so gibt es Vorschriften für die Haushaltsdisziplin – Artikel 104 des Vertrags – und den Stabilitäts- und Wachstumspakt, doch für die Inflation existieren solche Vorschriften nicht, aber es gibt einige Regeln, die wahrscheinlich härter sind als die Rechtsvorschriften zur Anwendung des Vertrags: die Marktregeln. Heute gibt es Länder im Euro-Währungsgebiet, die beträchtlich leiden, weil sie nicht in der Lage sind, die Entwicklung ihrer Inflation oder ihrer Lohnstückkosten zu zügeln.
Meiner Ansicht nach müssen wir auch die raue Wirklichkeit berücksichtigen, wie die Märkte jene bestrafen, die bestimmte Regeln nicht einhalten, ganz unabhängig von der Pflicht der Kommission, die Erfüllung der Festlegungen des Vertrags zu gewährleisten.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 62 von Brian Crowley (H-0226/06)
Betrifft: Stabilitäts- und Wachstumspakt
Ist die Kommission mit der praktischen Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zufrieden oder beabsichtigt sie, die Regeln für die künftige Anwendung des Pakts zu ändern?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Herr Crowley, der überarbeitete Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde vom Ecofin-Rat vor fast einem Jahr, im Juni 2005, nach vorheriger politischer Einigung im Europäischen Rat im März letzten Jahres beschlossen.
Unsere ersten Erfahrungen mit dem überarbeiteten Pakt sind positiv, ermutigend, und es deutet einiges darauf hin, dass die Mitgliedstaaten ein erneuertes Gefühl der Verpflichtung gegenüber diesem Rahmen haben.
In all den jüngsten Fällen, die behandelt wurden, als die Kommission und der Rat die Bestimmungen für ein Defizitverfahren nach Geist und Buchstaben des überarbeiteten Paktes angewendet haben, gab es einen allgemeinen Konsens, ohne dass politische Diskrepanzen und Schwierigkeiten aufgetreten sind, wie dies vorher der Fall war.
Was den präventiven Aspekt des Paktes betrifft, so hat die Prüfung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme für 2005, die wir in den ersten Monaten des Jahres 2006 durchführten, deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten ihre mittelfristigen Haushaltsziele gemäß den vereinbarten Grundsätzen festgelegt haben. Einige Länder haben sogar beschlossen, sich ehrgeizigere Ziele zu setzen, die eine nationale Strategie zur Gewährleistung einer größeren Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen widerspiegeln. Und was die Anpassung an das mittelfristige Ziel angeht, so erfüllen die Mitgliedstaaten, die noch kein Gleichgewicht auf mittlere Sicht erreichen, die Forderung, Haushaltsanstrengungen von zumindest 0,5 % ihres BIP in struktureller Hinsicht zu unternehmen.
Um einige Fälle anzuführen, möchte ich Sie daran erinnern, dass seit der Annahme des neuen Paktes im letzten Jahr das Defizitverfahren gegenüber Italien, Portugal, Ungarn, dem Vereinigten Königreich und Deutschland eröffnet wurde, und zwar mit Einstimmigkeit im Rat und ohne die Probleme politischer Akzeptanz, die in der vorangegangenen Phase aufgetreten waren.
Um daher auf Ihre Anfrage zu antworten, die Kommission ist zufrieden mit der Art und Weise, wie der neue Pakt funktioniert.
Brian Crowley (UEN), Verfasser. – (EN) Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Kommissar. Was Ihren letzten Punkt in Bezug auf die Regeln im Falle eines übermäßigen Haushaltsdefizits und die Tatsache angeht, dass Italien, Polen, Ungarn und dem Vereinigten Königreich Vorschläge unterbreitet wurden, möchte ich Sie fragen, was Sie im Falle von Frankreich und Deutschland zu tun gedenken. Beide Länder weisen ein Haushaltsdefizit auf, das die in den Kriterien vereinbarten Obergrenzen beträchtlich überschreitet. Vor allem stellt sich dabei die Frage nach dem Vertrauensverlust, den der Stabilitätspakt dadurch am Markt erleidet. Die Imagekrise, die der Euro und die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets in den USA und im Fernen Osten erlitten haben, und die ständigen Fragen nach der Durchsetzung der Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in diesen Regionen machen das besonders deutlich.
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Crowley, das Defizitverfahren gegen Frankreich ist eröffnet und wird nach den Bestimmungen des Artikels 104 Absatz 7 des Vertrags geführt. Gemäß der Pflicht, die Empfehlungen des Rates im Rahmen des Defizitverfahrens umzusetzen, mussten die französischen Behörden ihr öffentliches Defizit 2005 unter 3 % drücken. In den letzten Wochen teilten sie der Kommission mit, dass das öffentliche Defizit Ende 2005 unter 3 % lag.
In den kommenden drei Wochen, bis zum 24. April, muss Eurostat die von den französischen Stellen übermittelten Zahlen prüfen und erklären, ob diese Angaben, ein Defizit von 2,87 %, richtig sind. Sollten sie korrekt sein – ich hoffe es, obwohl ich der Entscheidung von Eurostat nicht vorgreifen kann –, hätte Frankreich 2005 die Empfehlungen erfüllt.
Die französische Regierung beabsichtigt, ihr Defizit auch 2006 unter 3 % zu senken; die Europäische Kommission nimmt dies zur Kenntnis und begrüßt die Absichten der französischen Regierung, doch wir werden unsere Frühjahrs-Wirtschaftsprognose am 8. Mai veröffentlichen. Bis dahin werde ich keine Vorhersage treffen können, wie unsere Wirtschaftsprognose für dieses Jahr sein wird, aber ohne den endgültigen Bewertungen vorzugreifen, verbessert sich meines Erachtens die Haushaltslage in Frankreich im Vergleich zu unseren Prognosen von vor einem Jahr, unter anderem, weil sich die französische Regierung, und insbesondere Finanzminister Thierry Breton – dem ich meinen Dank ausspreche, was ich neulich in Brüssel öffentlich getan habe –, das politische Ziel gesetzt haben, den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten.
Dies ist ein Zeichen dafür, wie der erneuerte Konsens zum neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt funktioniert. Vor einem Jahr, vor der Revision des Paktes, hätten wir wohl kaum gehört, dass die Minister aus Frankreich, Deutschland oder Italien wiederholt ihren politischen Willen bekunden, ihre Haushalte in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Kommission und des Rates zur Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu bringen.
Vor zwei Jahren wäre das unmöglich gewesen; vor einem Jahr war es schwierig. Heute ist es eine Realität, ein wirkliches politisches Bekenntnis. Doch vor uns liegen noch komplizierte Zeiten, denn wir dürfen uns nicht mit Defiziten von 2,8 % zufrieden geben. Europa, die Europäische Union und die größten Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebiets müssen die Haushaltskonsolidierung vorantreiben, bis sich die öffentlichen Finanzen mittelfristig strukturell in einem Gleichgewicht befinden, um uns den wichtigen Herausforderungen der Zukunft stellen zu können, wobei die erste die Auswirkung der Alterung der Bevölkerung ist.
Was den Euro betrifft, so wächst das Vertrauen in die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets Tag für Tag, und einige Vertrauensindikatoren, wie der deutsche IFO-Index, weisen ein Fünfzehnjahreshoch aus. Gestern wurden Zahlen der von der Kommission erarbeiteten Indikatoren, für die ich zuständig bin, veröffentlicht, und sie verdeutlichen, dass das Vertrauen den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht hat. Ein solches Vertrauen hatten wir seit der vorangegangenen Expansionsphase nicht erreicht.
Unsere Währung hält auf den Währungsmärkten ihre Stabilität aufrecht, eigentlich ist sie nach Meinung einiger Wirtschaftssektoren überbewertet. Der Euro findet auf den Finanzmärkten, Fremdkapitalmärkten und den Kapital- und Geldmärkten weltweit Anwendung, in einer Proportion, die über dem relativen Gewicht der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets in der Weltwirtschaft liegt. Daher glaube ich, dass wir wachsam sein müssen, aber wir können uns auch freuen über das, was wir in den ersten sieben Jahren der Wirtschafts- und Währungsunion erreicht haben.
Piia-Noora Kauppi (PPE-DE). – (EN) Hat die Einführung des längerfristigen Vorsitzes für das Euro-Währungsgebiet irgendwelche praktischen Auswirkungen auf Ihre Arbeit als Hüterin der Verträge und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes? Worin bestehen die praktischen Auswirkungen eines längerfristigen Vorsitzes des Euro-Währungsgebiets?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. – (ES) Als die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets beschlossen, einen ständigen Vorsitzenden der Eurogruppe zu ernennen, äußerte ich meine tiefe Genugtuung darüber. Ich war überzeugt, dass ein regelmäßiger, kontinuierlicher und dauerhafter Dialog mit dem Vorsitzenden dieser Institution, die kein Gremium des Rates ist, aber in der Praxis sehr wichtige Debatten führt und Aufgaben wahrnimmt, eine sehr wirksame Entscheidung sein würde.
Als ich erfuhr, dass der Vorsitzende Jean-Claude Juncker sein würde, wurde mein Vertrauen bestätigt.
Heute kann ich sagen, dass die Beziehungen zum Vorsitzenden der Eurogruppe hervorragend sind, dass wir kontinuierliche Kontakte haben und sich die Vorbereitung der Beratungen erheblich verbessert hat. Meines Erachtens wird die Rolle, die er nach außen einnimmt, indem er die Ansichten und Standpunkte der Länder des Euro-Währungsgebiets darlegt, hoch geschätzt. Ich habe eine äußerst positive Meinung zu dieser Einrichtung, ihrer Institutionalisierung, ihrem Vorsitzenden und der von dieser Einrichtung und von ihrem Vorsitzenden geleisteten Arbeit.
Die Erfordernisse des Euro-Währungsgebiets im Hinblick auf die Koordinierung der Wirtschaftspolitik liegen meines Erachtens klar auf der Hand. Ich erwähnte vorhin die Probleme einiger Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebiets zum Beispiel im Umgang mit Verlusten an Wettbewerbsfähigkeit durch eine überdurchschnittliche Entwicklung ihrer Lohnstückkosten. Einige Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebiets haben Probleme mit einer Vermögenspreisinflation, es besteht eine deutliche Notwendigkeit zur Verbesserung des Dialogs zwischen der Eurogruppe und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Alle diese Funktionen werden von der Eurogruppe wahrgenommen, und dies ist in hohem Maße der effektiven und klugen Leitung der Arbeit der Eurogruppe durch den Vorsitzenden Juncker zu verdanken.
Gay Mitchell (PPE-DE). – (EN) Ich möchte den Kommissar fragen, auf welcher Ebene er Gespräche mit den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bezüglich ihres aktuellen und potenziellen Leistungsniveaus geführt hat. In Irland beispielsweise ist die Inflation der Vermögenswerte, der Preisindex für Immobilien, im Februar um 1,5 % gestiegen. Der Immobilienmarkt weist seit geraumer Zeit eine zweistellige Inflation auf, und daran wird sich voraussichtlich in nächster Zeit auch nichts ändern. Wenn es im Baugewerbe zur Rezession kommt, dann hat das Auswirkungen auf die Einnahmen. Das hat Auswirkungen auf die Zahlung von Arbeitslosenunterstützung und damit auf die Einnahmen, und das wirkt sich auf das Verbraucherverhalten aus. Haben Sie Gespräche mit der irischen Regierung zu diesem Thema geführt, und inwiefern hat die Kommission geprüft, welche Auswirkungen eine potenzielle Rezession für ein Mitglied des Euro-Währungsgebiets hätte?
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. – (ES) Natürlich diskutiere ich über die Entwicklung der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets, und nicht nur des Euro-Währungsgebiets sondern der gesamten Europäischen Union. Aber insbesondere, da sich Ihre Anfrage auf das Euro-Währungsgebiet bezog, erörtere ich über die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets bilateral mit den verschiedenen Ministern des Gebiets und mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank und einmal monatlich gemeinsam in den Beratungen der Eurogruppe.
In den meisten Beratungen der Eurogruppe ist ein Punkt der Analyse der wirtschaftlichen Situation gewidmet. Manchmal wird die Wirtschaftslage allgemein diskutiert und dann wieder wird ein konkreter Aspekt dieser wirtschaftlichen Entwicklung geprüft.
Was die Inflation anbelangt, so ist die verantwortliche Institution für die Einhaltung der Inflation gemäß den von der Europäischen Zentralbank vorgegebenen Zielsetzungen die Europäische Zentralbank selbst. Sie ist eine unabhängige Institution, die nach dem Vertrag ein Mandat der anderen europäischen Institutionen zur Wahrung der Preisstabilität hat und ihre Entscheidungen völlig unabhängig trifft, aber auch einen Dialog mit den übrigen Institutionen führt.
Der Präsident der Europäischen Zentralbank nimmt jeden Monat an den Beratungen der Eurogruppe teil. Außerdem werden der Vorsitzende der Eurogruppe und der für Wirtschaft und Währung zuständige Kommissar zur Teilnahme mit Rede- aber ohne Stimmrecht an den Beratungen des EZB-Rates eingeladen, und wir kommen diesen Einladungen nach.
Was speziell das Thema der Wohnungen anbelangt, so haben wir in einem der Punkte auf dem letzten Treffen der Eurogruppe im März in Brüssel die Situation der Wohnungsmärkte diskutiert, die nicht in allen Ländern des Euro-Währungsgebiets gleich ist. Einige Länder des Euro-Währungsgebiets haben das Problem einer Immobilienpreisinflation, während andere Länder die entgegengesetzte Situation aufweisen, in einigen Fällen mit einer völligen Stabilität und in anderen mit einem Rückgang der Preise von Wohnungen und anderem Immobilienbesitz über mehrere Jahre.
Diese interne Divergenz im Euro-Währungsgebiet bei den Immobilienpreisen schafft Probleme, weil es per Definition nur eine Währungspolitik im Euro-Währungsgebiet geben kann, während ihre Auswirkung von Land zu Land unterschiedlich ist. Wir haben diese Frage diskutiert. Die Europäische Kommission hat zugesagt, der Eurogruppe in den kommenden Monaten neue Analysen und neue Erwägungen vorzulegen. Wenn Sie speziell daran interessiert sind, unsere Analyse der Immobilienpreise in bestimmten Ländern des Euro-Währungsgebiets kennen zu lernen, werde ich Ihnen den letzten Quartalsbericht zur Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets zusenden, der vor wenigen Tagen von den Diensten der Kommission in meiner Zuständigkeit veröffentlicht wurde.
Der Präsident. Da die für die Fragestunde vorgesehene Redezeit erschöpft ist, werden die nicht behandelten Anfragen schriftlich beantwortet (siehe Anlage).
Die Fragestunde ist geschlossen.
(Die Sitzung wird um 19.45 Uhr unterbrochen und um 21.05 Uhr wieder aufgenommen.)
15. Programm „Bürger und Bürgerinnen für Europa“ (2007-2013) (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Hannu Takkula im Namen des Ausschusses für Kultur und Bildung über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Programm „Bürger/innen für Europa“ für den Zeitraum 2007-2013 zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft (KOM(2005)0116 – C6-0101/2005 – 2005/0041(COD)) (A6-0076/2006).
Hannu Takkula (ALDE), Berichterstatter. – (FI) Herr Präsident! Ich möchte die Vorstellung meines Berichts damit beginnen, dass ich mich bei all denen bedanke, die daran mitgewirkt haben. Die Angelegenheit kam vor einem Jahr in unseren Ausschuss, der Vorschlag wurde dem Parlament am 6. April 2005 unterbreitet, und Anfang Mai begann unser Ausschuss, sich damit zu befassen. Seither ist eine Stellungnahme des Haushaltsausschusses, bei der Neena Gill eine wirklich gute Arbeit geleistet hat, und des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Recht und Inneres abgegeben worden, bei der Giusto Catania ebenfalls eine gute Arbeit abgeliefert hat. Es hat in dieser Sache außerdem eine Stellungnahme des Ausschusses für konstitutionelle Fragen gegeben, ausgearbeitet von Maria da Assunção Esteves. Ihnen allen möchte ich für die ausgezeichneten, qualifizierten Stellungnahmen danken.
Ich kann sagen, dass wir das ganze Jahr über sehr fleißig gewesen sind und ich möchte auch allen Schattenberichterstattern sowie den entschlossenen Mitgliedern des Ausschusses – Frauen wie Männern – danken, die mich in dieser Sache unterstützt haben, und auch allen anderen, die damit befasst waren. Wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, da morgen darüber abgestimmt werden soll, und daher möchte ich einige Worte mehr zu diesem Bericht äußern.
Er enthält vier Aktionen. Die erste ist „Aktive Bürgerinnen und Bürger für Europa“, die Städtepartnerschaften einschließt und die aktuell viel positive Aufmerksamkeit und positives Feedback durch das bereits laufende Programm erhalten hat. Bürgerprojekte fallen ebenfalls unter Aktion 1. Aktion 2 betrifft die „Aktive Zivilgesellschaft für Europa“. Sie dient zur Beschaffung von Strukturfördermitteln für EU-Think Tanks und zivilgesellschaftliche Organisationen auf europäischer Ebene sowie zur Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Projekten. Auch dabei handelt es sich um eine sehr wichtige Aktion. Aktion 3 lautet „Gemeinsam für Europa“ und beinhaltet öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, Studien sowie die Verbreitung von Informationen. Aktion 4 lautet „Aktive europäische Erinnerung in Europa“.
Anliegen dieses Programms war es, speziell jene Europäer zu erreichen, die es aus dem einen oder anderen Grund noch nicht geschafft haben, sich an der europäischen Agenda zu beteiligen. Wie wir wissen, gibt es zurzeit immer noch Menschen, die aus irgendeinem Grund das Gefühl haben, dass Europa ihnen fremd ist, und Europa erlebt sogar eine zunehmende Ausgrenzung. Mit diesem Programm versuchen wir, jene Menschen zu finden und ein für sie passendes Programm zu schaffen, damit auch sie erfahren können, was es heißt, gemeinsam zu handeln, was europäische Identität bedeutet und wie wir die gemeinsame europäische Identität stärken können.
Sowohl die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit den Wahlen zum Europäischen Parlament als auch die Ergebnisse der Referenden zeigen, dass viel zu wenige Menschen an den Dingen interessiert sind, die uns alle betreffen. Wie wir wissen, ist es wichtig, die europäische Identität zu stärken, und es ist wichtig, verstärkt Aktivitäten zu entwickeln, an denen alle Nationen Europas beteiligt sind, und dadurch Möglichkeiten der Mitwirkung für jedermann zu schaffen. Kurz gesagt, bei diesem Programm sind wir davon ausgegangen, dass wir kein elitäres Programm brauchen, sondern eines, das für alle Europäer geeignet ist. Einige könnten behaupten, dass es ein wenig den Eindruck einer Patchworkdecke erweckt, oder dass viele Dinge von sehr unterschiedlichem Gewicht in ein und demselben Programm untergebracht worden sind. Es ist jedoch genau dazu angelegt, dass es sich mit einigen bestehenden Programmen erfolgreich überlappt und wirklich allen Europäern die Gelegenheit gibt, sich an Europa zu beteiligen.
Jetzt scheint es, als wenn in der morgigen Sitzung, ungeachtet der Tatsache, dass der Ausschuss dem Bericht nahezu einmütig zugestimmt hat (gerade einmal zwei Mitglieder haben sich enthalten, und der Rest hat für das Programm gestimmt), einige Änderungsanträge eingebracht werden sollen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf Aktion 4, die aktive Erinnerung. Sie betreffen auch Organisationen, die bereits in dem Programm erwähnt werden. Was diese Organisationen angeht, möchte ich Folgendes sagen: Ich hoffe, dass dieser Teil des Programms, der sich mit der aktiven Erinnerung beschäftigt, uns hilft, an dessen ursprünglichem Zweck, der Förderung von Gedenkstätten für die Opfer von Nazismus und Stalinismus festzuhalten, weil die Auswirkungen dieser totalitären Regime europaweit wirksam und nicht auf ein einzelnes Land begrenzt waren. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere Frau Mikko danken, die sich sehr dafür stark gemacht hat, dass die Aspekte des Stalinismus hier aufgegriffen und in das Programm aufgenommen wurden.
In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass ich hoffe, dass wir zu unseren Auffassungen in dieser Sache stehen werden. Ich hoffe auch, dass die Ergänzungen, die von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, von der Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten und der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz im Hinblick auf diese neuen Organisationen, Maisons de l'Europe, das Berliner Institut für Europäische Politik und den Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen, eingebracht worden sind, in das Programm aufgenommen werden können. Leider ist die Redezeit so kurz und ich habe meine bereits überschritten, so dass ich hier nicht länger sprechen kann, aber ich möchte mich noch einmal für all die Unterstützung bedanken. Ich hoffe, dass die Abstimmung so ausgeht, wie wir im Ausschuss es uns wünschen.
(Beifall)
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Wir haben dieses wichtige Programm zur Förderung der europäischen Bürgerschaft vor nunmehr einem Jahr vorgeschlagen. Morgen werden Sie über den Bericht abstimmen, der deutlich macht, dass in der Zwischenzeit sehr viel Arbeit geleistet wurde und der einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Annahme der neuen Generation von Programmen darstellt.
Ich möchte allen aufgeführten Ausschüssen danken. Mein besonderer Dank gilt dem Ausschuss für Kultur und Bildung sowie dessen Berichterstatter, Herrn Takkula, für seine Mühe, mit der er für eine gelungene Kombination aus Entschlossenheit und Modernisierung gesorgt hat.
Diese Ausgewogenheit kommt im Bericht zum Ausdruck, der zeigt, dass der Ausschuss so wie die Kommission der Ansicht ist, dass es gilt, die aktive Teilnahme der Bürger am Aufbau eines gemeinsamen Europas zu fördern.
Der Vorschlag basiert auf der Überzeugung, dass eine enge Verbindung besteht zwischen der Stärkung einer aktiven Bürgerschaft und der Herausbildung eines Gefühls der Zugehörigkeit zur Europäischen Union und einer europäischen Identität, die die anderen Identitäten, also die nationale, regionale und lokale Identität, ergänzt. Gemeinsame Werte, eine gemeinsame Geschichte und Kultur mit all ihrer Vielfalt werden daher die Bausteine des Programms bilden.
Der Parlamentsausschuss nahm mehrere Änderungsanträge an, die unseren Vorschlag in Bezug auf europäische Werte bereichern. Ich stelle mit Freude fest, dass der Bericht dem Vorschlag der Kommission zu den verschiedenen Aktionen dieses Programms folgt, einschließlich der Fortsetzung von Aktivitäten, die sich bewährt haben, und der Einführung innovativer Vorhaben und Methoden für die Teilnahme der Bürger. Ich freue mich, dass der Bericht eine vierte Aktion zur Unterstützung von Projekten zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen und stalinistischen Diktaturen vorschlägt, wie vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission im November vereinbart.
Ich komme jetzt zur Frage der benannten Begünstigten. Die Kommission hat eine begrenzte Liste von sechs benannten Empfängern vorgeschlagen, die sich ausnahmslos durch ihre Einmaligkeit in Europa auszeichnen. Drei von ihnen dienen dem Gedenken an die Gründungsväter oder setzen deren Arbeit fort, während es sich bei den anderen drei Gremien um gesamteuropäische Dachverbände handelt. Sie alle genießen seit vielen Jahren die Unterstützung durch die europäischen Institutionen. Sie alle leisten einen Beitrag zu den Zielen dieses Programms. Ich freue mich, dass der Ausschuss unsere Philosophie teilt und unsere Wahl bestätigt hat. Er schlug zusätzlich eine weitere Organisation vor, und zwar das Maison de l'Europe. All die genannten Merkmale treffen auch auf diese Organisation zu. Ziel dieses gesamteuropäischen Netzwerks lokaler Organisationen ist es, die Bürger in den europäischen Aufbau einzubeziehen. Deshalb stelle ich mit Freude fest, dass die Kommission diesen Änderungsantrag bestätigen kann, sofern dies nicht bedeutet, dass andere Organisationen Anspruch auf Aufnahme in das Programm haben.
Zum Schluss möchte ich meinen Standpunkt zum freiwilligen Engagement darlegen. Es wurde im Vorschlag als Beispiel für ein Interessengebiet dieses Programms angeführt. Der Ausschuss beschloss einen Änderungsantrag zur Streichung dieses Verweises. Wir sind jedoch der Ansicht, dass das freiwillige Engagement ein leistungsfähiges Instrument für die Entwicklung des sozialen Zusammenhalts und des gesellschaftlichen Einsatzes darstellt und dass es deshalb besondere Aufmerksamkeit im Programm verdient.
Das waren in aller Kürze die Punkte, auf die ich Sie aufmerksam machen wollte. Sie werden festgestellt haben, dass unsere Ansichten in vielen Punkten fast übereinstimmen. Ich möchte betonen, dass es gilt, unsere konstruktive Zusammenarbeit trotz der aktuellen Unsicherheiten in Bezug auf finanzielle Fragen in Verbindung mit diesem Programm fortzusetzen. Wir sollten im Interesse der Bürger alles in unseren Kräften Stehende tun, um baldmöglichst eine Einigung zu erzielen, damit wir mit den Vorbereitungen für die Umsetzung des Programms ab Januar 2007 beginnen können. Mit Ihrer Abstimmung senden Sie ein wichtiges Signal an die Bürger Europas und machen deutlich, dass damit ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Weg zu einem Europa für die Bürger erfolgt.
Neena Gill (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – (EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter für seinen Bericht danken. Dies ist ein Schlüsselprogramm, ob es nun Bürger/innen für Europa oder Europa für Bürger/innen heißt. Als wir 1992 das letzte Mal diese Frage stellten, sagte die Hälfte aller befragten EU-Bürger, dass sie sich nie als Europäer fühle. Dieser Anteil hat sich möglicherweise im Verlaufe der Zeit verringert, aber nicht so stark, wie uns lieb wäre. Wir sind Europäer, ob wir uns nun als solche fühlen oder nicht, und wir alle genießen die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte und Privilegien. Dieses Programm sollten den Menschen ihre Unionsbürgerschaft bewusst machen und sie mit Stolz erfüllen.
Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass wir bereits in ähnliche Programme zur Einbeziehung der Bürger investiert haben. Das Problem bestand bisher darin, dass die Kommission in diesem Bereich keine umfassende und klare Strategie verfolgt hat. Deshalb meine Frage an die Kommission: Kann sie garantieren, dass wir es hier nicht mit einem weiteren Einzelprogramm zu tun haben? Wird es wirklich etwas bewirken? Wird es im Rahmen einer abgestimmten und umfassenden Strategie eine Verbindung zu anderen Aktionen herstellen? Das hoffe ich wirklich, aber ich möchte die Kommission bitten, uns zu erläutern, wie sie sich das vorstellt.
Als Vertreterin des Haushaltsausschusses bereitet mir natürlich Sorge, dass die Vorhaben nicht ausreichend materiell untersetzt sind. Wir wecken also wieder einmal Erwartungen, nur um sie dann zunichte zu machen. Ich verstehe, dass alle Abgeordneten ihre bevorzugten Ziele in diesem Programm unterbringen wollen, aber ich glaube, dass dafür einfach nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen. Wir müssen einige der vorgelegten Änderungsanträge also sehr sorgfältig prüfen.
Ich möchte den Berichterstatter dazu beglückwünschen, dass er der organisierten Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene einschließlich der Behinderten besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Ich bedauere jedoch, dass wir nicht mehr Druck auf die Kommission ausgeübt haben, damit sie sich stärker für die am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen einsetzt.
Abschließend wünsche ich diesem Programm viel Erfolg und hoffe, dass die vom Haushaltsausschuss angesprochenen Kontroll- und Evaluierungsprobleme aufgegriffen werden.
Giusto Catania (GUE/NGL), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Frage der Bürgerschaft ist entscheidend für die Wiedergeburt des politischen Projekts der Europäischen Union.
Es gibt keine Schleichwege für die Wiederbelebung der Rolle Europas im Allgemeinen. Es gilt, einen echten verfassungsgebenden Prozess in Gang zu setzen und dabei Versuche zur Wiedererweckung eines bereits toten und nicht dem Willen der Bevölkerung entsprechenden Verfassungsvertrags zu vermeiden. Wir müssen eine Gesellschaft der kulturellen Vielfalt aufbauen, indem wir die mannigfaltige Identität Europas zur Geltung bringen, vor allem aber müssen wir die Integration der Zuwanderer und die Erweiterung der Bürgerrechte fördern.
Deshalb meinen wir auch, dass der Begriff der Unionsbürgerschaft eng an den Wohnsitz gebunden sein sollte, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Integration zu unterstützen. Unter diesem Gesichtspunkt denken wir, dass das Programm „Bürger/innen für Europa“ ein nützliches und wertvolles Instrument zur Förderung der Rechte der Unionsbürgerschaft sein könnte, die zunehmend von nationalen Kriterien abgekoppelt werden sollten.
Die Programmaktionen sind unterstützenswert, wobei ich insbesondere an die Städtepartnerschaftsvorhaben und an die aktive europäische Erinnerung denke. In dieser Frage müssen wir jedoch Klartext reden. Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Kriege und autoritären Regime, in denen unzählige Menschen den nationalsozialistischen und stalinistischen Massendeportationen und Massenvernichtungen zum Opfer fielen. Der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts kann jedoch nicht gedacht werden, ohne an die Opfer faschistischer Regime zu erinnern: in Italien haben die Faschisten Männer und Frauen zwei Jahrzehnte lang ihrer Freiheit beraubt, und es gibt viele Verbindungen zwischen dem italienischen Regime und den Nationalsozialisten.
Spanien, Portugal und Griechenland haben erst vor kurzem Demokratie und Freiheit zurückgewonnen. Der Antifaschismus ist ein europäischer Wert und kann nicht nur auf ein einzelnes Land beschränkt werden, deshalb ist es unserer Meinung nach sachdienlich, heute an die Opfer des Faschismus zu erinnern, um eine Wiederholung derartiger Geschehnisse für die Zukunft zu verhindern. Heute noch gibt es neofaschistische Gruppen in Europa, die Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Islamophobie und Antisemitismus schüren.
Die Opfer dieser totalitären Regime von dem Programm auszunehmen wäre tragisch und würde die Förderung der Unionsbürgerschaft und der gemeinsamen europäischen Identität gefährden. Deshalb hoffen wir, dass die Änderungsanträge 62 und 63 angenommen werden.
Maria da Assunção Esteves (PPE-DE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für konstitutionelle Fragen. – (PT) Die europäische Identität wird definiert als die Verknüpfung der universellen Werte der Menschenwürde mit vielen einzelnen Traditionen. Diese Identität, die letztendlich eine weitere Form des Lebens ist, erhält in dem heute zur Diskussion stehenden Programm „Bürger/innen für Europa“ einen neuen Impuls.
Das Programm trägt zu einem ethischen Verständnis der Welt bei, und das ist tiefere Sinn der europäischen Bürgerschaft. Das Programm bereitet den Weg zu einem politischen Modell, bei dem die Bürger und die europäischen Institutionen zusammenarbeiten. Es ist ein Schritt, damit die Bürger den Status eines am europäischen politischen Prozesses Teilhabenden erlangen. Daraus schöpft das Programm seine große Bedeutung. Vor Europa liegt nun die Aufgabe, ein politisches Europa zu werden, das Stadium des Marktes zu überwinden und ein öffentlicher Raum der Diskussion zu werden.
Die Mobilisierung für eine europäische Bürgerschaft stellt gleichzeitig eine große Herausforderung für die Institutionen dar. Eine solche Bürgerschaftspolitik erfordert von den Organen der EU, dass auch sie politischer werden. Die Frage der europäischen Bürgerschaft ist in der Tat die Frage, wie die Institutionen das Interesse der Menschen an der europäischen Politik fördern.
Offenkundig ist die Notwendigkeit einer institutionellen Reform in Europa und neuer Regeln, die die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit wecken und ihr Handeln befördern. Offenkundig ist die Notwendigkeit eines politischen Kristallisationspunktes, um den herum sich ein europäischer politischer Raum entwickeln kann. Damit das aber geschieht, muss Europa in allen seinen Strukturen politischer werden, hinsichtlich der Bürger, der Parteien und der Beziehungen zwischen den Organen. Möglicherweise wartet die europäische öffentliche Debatte nur darauf, endlich angestoßen zu werden. Möglicherweise wartet die europäische politische Debatte nur auf den entscheidenden Moment und auf eine Verfassung.
Rolf Berend, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union befindet sich derzeit in der Tat in einer schwierigen Phase. Nach der Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden wächst die Skepsis der europäischen Bürger gegenüber EU-Institutionen und der rasanten Erweiterung der EU. Das Programm „Bürger für Europa“ soll eine aktive europäische Bürgerschaft fördern und die Unzufriedenheit und Entfremdung abbauen.
Das Hauptziel des Programms – die Förderung europäischer Werte und Errungenschaften sowie der Erhalt kultureller Vielfalt, um den Zusammenhalt zwischen den europäischen Bürgern zu fördern – wird von meiner Fraktion aktiv unterstützt. Das Programm ist eines der Instrumente, die der EU helfen könnten, mit Städtepartnerschaften, Bürgerprojekten, Ausbau europäischer Netzwerke im Bereich der Zivilgesellschaften und Erwachsenenbildungsstätten dieses Ziel zu erreichen.
Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat dabei, wie wir gehört haben, auch die aktive europäische Erinnerung, nämlich die Erhaltung von Gedenkstätten im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen und stalinistischen Deportationen und Massenvernichtungen. Gedenkstätten für die Verbrechen dieser totalitären Regime, deren Folgen europaweit spürbar waren, wurden in das Programm aufgenommen und sollen finanzielle Unterstützung erhalten. Beides wird von meiner Fraktion unterstützt.
Das vorgeschlagene Gesamtbudget soll sich im Rahmen der Finanziellen Vorausschau 2007-2013 auf 235 Millionen Euro belaufen. Diese finanzielle Ausstattung von „Bürger für Europa“ spiegelt natürlich angesichts der ehrgeizigen Programmziele nicht seine eigentliche Bedeutung wider, die ihm als Instrument der Sensibilisierung der Bürger für ihre europäische Identität und die gemeinsamen Werte einerseits und die Stärkung und die Unterstützung der europäischen Integration andererseits zukommt.
Emine Bozkurt, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Europa sollte an erster Stelle für seine Bürger da sein und nicht nur die Bürger für Europa. Deshalb freue ich mich über Herrn Takkulas Bericht, der das Programm „Bürger/innen für Europa“ in das Programm „Europa für Bürger/innen“ umgeändert hat.
Weniger beeindruckt bin ich vom Rat der Europäischen Union, der zwar viel davon redet, wie wichtig die Beteiligung der Bürger an der Europäischen Union ist, uns anschließend aber mit einem Trinkgeld abspeist, wenn es um die Finanzierung des Programms „Europa für Bürger/innen“ geht. Dieser Geiz gereicht dem Rat nicht gerade zur Ehre. Schlimmer noch, er hat die Diskussion über Herrn Takkulas Bericht besonders erschwert, denn wenn wir über die Beteiligung der Bürger an der Europäischen Union sprechen, dann meinen wir im Grunde alle Bürger. Dies schließt beispielsweise auch jene Bürger Europas ein, die Opfer diktatorischer Regime oder interner Auseinandersetzungen in Europa geworden sind, oder neue Bürger, Migranten, Bürger aus Drittstaaten, die seit langer Zeit in Europa leben, sowie Bürger aller Altersgruppen.
Stünden ausreichende Mittel zur Verfügung – dem ist jedoch nicht so –, könnten wir sicherlich eine breite Palette von Projekten finanzieren, die all diese Gruppen erreicht hätten. Zufälligerweise können wir nur eine sehr begrenzte Anzahl von Programmen finanzieren. Um Enttäuschungen bei den Menschen vorzubeugen, die begeistert ihre Anträge einreichen, die dann von der Kommission abgelehnt werden müssen, war Herr Takkula so tapfer, die Menschen in dieser Phase zu enttäuschen, damit von Anfang an ganz klar ist, wer für eine Finanzierung in Betracht kommt. Das ist nachvollziehbar, und im Allgemeinen unterstütze ich diesen Ansatz.
Wenn es um das Gedenken an die Opfer der europäischen Diktaturen geht, ist diese Vorgehensweise jedoch schmerzlich und beklagenswert. Sind die Opfer einer Diktatur wichtiger als die einer anderen? Selbstverständlich nicht. Wir sollten diesen Eindruck vermeiden, selbst auf die Gefahr hin, dass die Kommission Menschen in einem späteren Stadium enttäuschen muss. Deshalb hoffe ich, jedermann wird den Änderungsantrag der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament unterstützen, in dem wir dazu aufrufen, der Opfer aller europäischen Diktaturen zu gedenken. Die europäischen Bürger sollen nicht diejenigen sein, die den Spardrang des Rates abbekommen.
Noch ist es nicht zu spät. Die endgültige Entscheidung über die Finanzielle Vorausschau wird getroffen, bevor der Bericht dem Parlament zur zweiten Lesung wieder zugeleitet wird. Ich richte einen eindringlichen Appell an die beteiligten Parteien, mehr Mittel für Kultur im Allgemeinen und für das Programm „Europa für Bürger/innen“ im Besonderen bereitzustellen. Ohne Bürger ist die Europäische Union nichts, wie der Rat, die Kommission und das Parlament immer wieder bewiesen haben. Es müssen also Gelder auf den Tisch gelegt werden, denn das Programm bietet vielfältige Möglichkeiten wie Städtepartnerschaften, die Unterstützung von Denkfabriken und NRO sowie die Förderung von Kontakten zwischen den Bürgern Europas, beispielsweise in Sportklubs. All diese Ideen sind wunderbar, aber wunderbare Ideen ohne Geld sind lediglich leere Versprechen. Wenn Europa für seine Bürger da sein will, sollte es sie jetzt nicht im Stich lassen.
Karin Resetarits, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident! Ganz besonders herzlichen Dank dem Berichterstatter, Herrn Takkula, für sein Engagement, das einen Lebensnerv der Europäischen Union direkt trifft.
Eine Herzensangelegenheit soll dieses Europa seinen Bürgern werden. Das ist der Grundgedanke für das vorliegende Programm. Aktive europäische Bürgerschaft soll mehr gefördert werden. Es geht um eine bessere Integration der Bürgerinnen und Bürger, denn die meisten verweigern sich Europa, wissen viel zu wenig über die europäischen Ideale, Werte und Ziele. Die Europäische Union ist einem Großteil der Bürgerinnen und Bürger fremd, ist ihnen keine Heimat. Die europäische Integrationspolitik versagt. Europa ist vielen zu kopflastig, zu kompliziert, zu undurchschaubar, zu kalt. Deshalb ist der Ansatz des Berichterstatters, das Interesse für Europa dort zu wecken, wo die Bürger mit Leidenschaft dabei sind, etwa bei Sportvereinen, Kulturinitiativen und Freizeitbeschäftigungen, sehr praktikabel.
Ich möchte heute hier ein Plädoyer halten für die Förderung von mehr Eurovisions-Veranstaltungen im Medium Fernsehen. Ein Song Contest pro Jahr reicht nicht aus, um den Bürgern nachhaltig die Vielfalt dieses Kontinents näher zu bringen. Warum gibt es etwa keinen europäischen Kino-Contest, keine Eurovisions-Tanzwettbewerbe, kein „Europa sucht den Superstar“, keine europäischen Samstagabend-Shows, in denen die einzelnen Nationalstaaten in spielerischer Form gegeneinander antreten? Nur so kann es gelingen, auch politisch nicht interessierte Bürger für ihr – für unser – Europa zu interessieren und sie vielleicht auch dafür zu begeistern.
Zurzeit gibt es rege Kontakte mit den Vertretern der europäischen Fernsehanstalten bezüglich der neuen Fernsehrichtlinie. Fordern und fördern wir auch mehr Engagement für Europa in den nationalen Unterhaltungsprogrammen im Fernsehen!
Helga Trüpel, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar Figeľ, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich begrüße dieses Programm sehr – ist es doch ein Versuch, auf die Vertrauenskrise Europa gegenüber, die viele Bürgerinnen und Bürger als solche empfinden, zu antworten.
Es geht darum, breite Debatten vor Ort über das politische und kulturelle Selbstverständnis Europas führen zu können, aber auch über seine soziale Verantwortung und über die Zukunft Europas, darüber, welche Rolle wir in der Welt spielen wollen. Denn nur wenn man die Möglichkeit hat, mit vielen Bürgern vor Ort, mit Jugendlichen, mit Alten, mit Leuten in kulturellen Organisationen und in politischen Verbänden, über alle diese politischen Fragen Europas zu sprechen, werden wir die Menschen und ihre Herzen eher erreichen, als das in den letzten Monaten der Fall gewesen ist.
Darum ist die Frage der europäischen Zukunft so zentral für dieses Programm, aber genauso die Frage der europäischen Vergangenheit. Europa ist nun einmal leider der Kontinent, der mit seinem Totalitarismus, dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus ungeheures Leid und Mord und Verbrechen nicht nur über Europa gebracht hat, sondern auch über andere Teile der Welt. Darum finde ich es richtig, dass dieses Programm gerade daran erinnert, welche totalitäre Vergangenheit Europa hat, dass man sie aufarbeiten muss, dass man sensibel sein und alles dafür tun muss, dass so etwas nicht wieder passieren kann.
Darum möchte ich explizit sagen: Für mich geht es nicht darum, eine Konkurrenz zu anderen diktatorischen Regimen, die es in Europa gegeben hat, zu konstruieren. Natürlich ist es richtig, dass diese national aufgearbeitet werden – darum kümmern wir uns auch alle –, aber es ist genauso richtig, dass sich dieses europäische Programm auf den europäischen Totalitarismus bezieht. Deswegen stimme ich auch dem Antrag des Berichterstatters zu.
Miguel Portas, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Beginnen wir mit dem Titel des Programms: „Bürger/innen für Europa“ oder „Europa für die Bürger/innen“? Der Unterschied ist nicht das Ergebnis eines Lapsus der Kommission. Er ist die Folge der Kultur, die die europäischen Institutionen beherrscht. Es wird keine neuen Bürger/innen für Europa geben, solange das Europa der Institutionen die sozialen Risse und die Identitätsprobleme mit seiner Politik weiter vertieft. Kein Programm für die Bürgerschaft kann diese Gegensätze überwinden. Wenn das Programm jedoch schon vom Titel her diese Grundtendenz widerspiegelt, dann kann es sich um nichts Gutes handeln.
Deshalb begrüße ich die Änderung des Titels, obgleich ich mir Kohärenz gewünscht hätte, an der es noch mangelt. Ich möchte daher drei Aspekte hervorheben: Angesichts der knappen Mittel gibt es zwei mögliche Optionen, entweder das Geld wird auf wenige Aktionen großer Sichtbarkeit konzentriert oder es wird auf Projekte aufgeteilt, die die europäische Bürgerschaft fördern. Der Berichterstatter wählte den Kompromiss und versuchte damit, die zweite Option zu verbessern. Ich wäre viel weiter gegangen. Ich habe nichts gegen große Events, aber Lügen kann ich überhaupt nicht leiden.
Das Beste an diesem Programm ist, dass es von Netzwerken umgesetzt werden kann, die vor Ort die Bürgerschaft stärken. Jedwede Abweichung von dieser Option würde die eigentliche Idee der Bürgerschaft entstellen. Deshalb ist auch die Absicht unhaltbar, einen substanziellen Betrag der Beihilfen völlig ohne Ausschreibung an sechs Einrichtungen, aus denen inzwischen acht geworden sind, zu vergeben. Das normale Verfahren in jeder zivilisierten Gesellschaft ist die Auswahl der Projekte durch transparente Ausschreibungen, denn am anderen Ende der Skala herrscht das Gesetz der Lobbys, der Absprachen und der Gefälligkeiten. In diesem konkreten Fall wurden in letzter Minute Vereinbarungen geschlossen, um zwei weitere Organisationen aufzunehmen. Ich möchte kein Urteil über ihre Verdienste fällen, spreche aber sehr wohl dieser Art der Zuschussgewährung jegliches Verdienst ab. Das genaue Gegenteil wäre eine Lektion in europäischer Bürgerschaft gewesen, dass nämlich Ausschreibungen durchgeführt würden und Wettbewerber, so ist jedenfalls zu hoffen, unparteiisch nach ihren Leistungen beurteilt werden.
Meine letzte Frage betrifft das Problem des Gedenkens. Mit dem Beitritt der neuen Länder aus dem Osten ist es nur verständlich, dass die Idee geboren wurde, das Gedenken der Opfer des Stalinismus mit dem der Opfer des Holocaust zusammenzubringen. Das ist schon richtig, aber damit ist nicht alles abgedeckt. Es fehlt das ehrende Gedenken an die Opfer des Faschismus in den Ländern Südeuropas. Unsere Sicht der Bürgerschaft kann nur die des Respekts vor dem Schmerz der Opfer, ihrer Angehörigen und Nachkommen sein. Ein anderes Kriterium kann es nicht geben. In Portugal kämpft eine Bürgerbewegung dagegen, dass der Sitz der Polizei des alten Regimes in Luxuswohnungen umgewandelt wird, anstatt in ein Museum. Jeder bringt in Europa ein eigenes Gedenken ein. Legt man dieses vielfältige Gedenken, alle Spielarten des Gedenkens, zugrunde, so kann das Gedenken selbst zu einem Teil der Bürgerschaft werden. Der Faschismus war ein Beispiel des Totalitarismus, und er war auch europäisch.
Ģirts Valdis Kristovskis, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Meine Damen und Herren, ich möchte hier zum Ausdruck bringen, dass wir nicht nur über die Grundwerte sprechen sollten, die den Völkern der Europäischen Union gemeinsam sind, sondern auch den Inhalt des Berichts von Herrn Takkula mit Leben erfüllen müssen. Dies gilt umso mehr, als das Verständnis für Europa und seine Identität in der globalisierten Welt immer mehr dahinschwindet.
Es geht nämlich darum, ein facettenreiches, demokratisches, aufrichtiges und weltoffenes Europa zu gestalten. Insbesondere müssen wir historische und kulturelle Gesichtspunkte berücksichtigen. Wir müssen Maßnahmen fördern, mit denen wir die Erinnerung an die Massendeportationen und die Opfer des Nationalsozialismus wie auch Stalinismus – ich wiederhole: Stalinismus – wachhalten. Wir sollten die Zeugnisse dieser Untaten bewahren. Derartige Aufgabenstellungen sind Beleg für die Fortschritte, die sich in der Geisteshaltung des Europäischen Parlaments und seiner Mitglieder vollziehen. Leider kann man dies nicht über die vom Rat verwendeten Formulierungen sagen. So unglaublich dies auch klingen mag: Dort akzeptiert man wie in der Zeit des Kalten Krieges stillschweigend die Halbwahrheiten über die europäische Geschichte, wie sie das totalitäre kommunistische Regime verbreitete. Man muss den Rat daran erinnern, dass auch der Stalinismus totalitär war und dass er für all jene Menschen in Europa, die ihm zum Opfer fielen, nicht minder verheerende Folgen hatte.
Der Bericht Takkula ist gut. Er steht für die nunmehr regelmäßige Bekräftigung der Tatsache, dass die geschichtliche Wahrheit nicht zwischen nationalsozialistischen und kommunistischen Verbrechen unterscheidet. Verbrechen sind und bleiben Verbrechen.
Es überrascht mich, dass man in dieser Bastion der Demokratie, Gerechtigkeit und Wahrheit noch auf Anträge stößt, die auf eine unterschiedliche Gewichtung des Andenkens an die Opfer des Holocaust und der Gulags hinauslaufen.
Ich möchte dem Berichterstatter und allen Abgeordneten, deren Einstellung auf der Höhe der Zeit ist, dafür danken, dass sie hier über ein Europa gesprochen haben, das aufrichtig ist und sich auf gemeinsame Wertvorstellungen und ein wirklichkeitsgetreues Geschichtsbild gründet.
Thomas Wise, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte ein kleines Experiment durchführen. Ich möchte die Abgeordneten bitten, für drei Sekunden ihre Kopfhörer abzunehmen. Eins, zwei, drei. Was haben Sie gehört? Absolut nichts! Eben diese Stille ging dem Geschrei nach diesem Rechtsakt voraus. Gab es irgendwelche Forderungen, dass etwas getan werden sollte? Nein! Thematisiert der Rechtsakt die elementaren Sorgen von 450 Millionen Bürgern, die sich abmühen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder bietet er Lösungen für die Probleme des Alltags? Auch nicht.
Es ist allgemein bekannt, dass eine Sache, die man jemandem gibt und der sich der Empfänger nicht wieder entledigen kann, für ihn wenig Wert hat, da er sich dafür nicht anstrengen musste. Wie wertlos also ist die Unionsbürgerschaft, die den Bürgern aufgezwungen und von ihnen nicht gewollt wird und die sie nicht ablehnen oder aufgeben können?
Das kennen wir doch! Ein weiteres riesiges Propagandaprojekt, um die Wahrheit zu verzerren und zu verbergen. Man scheint zu hoffen und zu glauben, dass man damit die europaweit zunehmende Skepsis kurieren kann. Man meint, wenn man 235 Millionen Euro in Projekte steckt, mit denen den Leute weisgemacht werden soll, dass die EU tatsächlich etwas für sie tut, dann hat man ein Mittel gegen die geringe Beteiligung an den Europawahlen, die lautstarke Opposition gegen die Erweiterung und die Ablehnung der Verfassung gefunden.
Wir haben es hier mit einer „Pay-as-you-go-Bürgerschaft“ zu tun. Der Preis steigt analog zur Abschaffung der Rechte. Die EU wird den Bürgern, die sie angeblich vertritt, nicht zuhören. Stattdessen versucht sie, sich mittels Bestechung beliebt zu machen. Dabei ist die europäische Integration genau das, was immer mehr Menschen ablehnen. Warum? Weil ein Land nach dem anderen erkennt, dass in der Eurozone eben nicht alle über einen Kamm geschoren werden können, und das gilt auch für die Unionsbürgerschaft.
Ich habe schon einmal gesagt, dass es eine dumme Frage gewesen sein muss, wenn die Antwort darauf EU lautet. Es ist beruhigend zu wissen, dass Millionen von Menschen in der ganzen Welt meine Meinung teilen.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Bürgerschaft und Eigenstaatlichkeit gehören zusammen. Das erklärt auch das Streben der Befürworter des europäischen Projekts nach einer europäischen Bürgerschaft.
Wahre Bürgerschaft braucht keine Unsummen, um real und wünschenswert zu sein. Diese Art der Loyalität kommt von Herzen und lässt sich nicht kaufen. Ich bin sicher, dass wir für die 230 Millionen Euro bzw. die von einigen geforderten 290 Millionen Euro einen besseren Verwendungszweck als die Förderung einer künstlichen europäischen Bürgerschaft finden können.
Die Franzosen werden trotz aller Geldverschwendung Franzosen bleiben wollen und die Briten eben Briten, und niemand außer der politischen Euro-Elite wird die europäische Bürgerschaft über die des eigenen Landes stellen. Warum versuchen wir mit aller Macht, die natürliche Ordnung zu bezwingen und einen synthetischen Ersatz zu schaffen, wenn wir in unseren Mitgliedstaaten schon eine echte Staatsbürgerschaft haben. Die künstliche Bürgerschaft mag für einige ja das Richtige sein; für mich jedenfalls nicht.
Christopher Beazley (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Wesentliches Element einer effektiven und engagierten Bürgerschaft ist das Verstehen des gemeinsamen Erbes einer Gesellschaft. Verneint, ignoriert oder entstellt man das Erbe einer Gesellschaft, so nimmt man ihr den Bezug zur Realität, und ihr wahres Wesen und ihr Charakter können sich nicht entfalten. Man verwehrt der Gesellschaft ihr Geburtsrecht.
Folglich ist Änderungsantrag 29 des Berichterstatters für jene Hunderttausende von Mittel- und Osteuropäern, deren Familien oder Verwandte nur deshalb umgebracht, in Stalins Gulags deportiert wurden oder dort starben, weil ihr Überleben gemäß dem zwischen Hitler und Stalin geschlossenen Molotow-Ribbentrop-Pakt als eine Bedrohung für die illegale Okkupation ihrer Länder galt, von immenser Bedeutung.
In diesem Zusammenhang wurden auch andere, im Namen von Herrn Sifunakis eingereichte Änderungsanträge diskutiert, und zwar die Änderungsanträge 62 und 63, in denen es um Konflikte in Spanien, Portugal und Griechenland geht. Das sind meines Erachtens wichtige Probleme, die aber an anderer Stelle behandelt werden sollten. Ich hoffe, das gesamte Parlament wird Änderungsantrag 29 befürworten. Wir dürfen, die Botschaft, dass Hitler und Stalin Verbrecher waren, die ihren Zorn an den Völkern Europas ausließen, auf keinen Fall verwässern.
Der am 11. Oktober 1939 ergangene Befehl Nr. 001223 des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten NKWD zur Durchführung der Deportation von antisowjetischen und gesellschaftsfeindlichen Elementen bildete den Auftakt zu den von Merkulow, dem damaligen Volkskommissar für Staatssicherheit der UdSSR, angeordneten Massendeportationen, die dann von seinem Stellvertreter Serow in die Tat umgesetzt wurden. In der Nacht vom 13. zum 14. Juni 1941 wurden 34 260 Menschen aus Litauen, 15 081 aus Lettland und 10 205 aus Estland deportiert. Das war lediglich die berüchtigtste von zahlreichen Deportationen, die bis 1951 stattfanden. Die Tatsache, dass die EU jetzt das Gedenken der Opfer beider Diktaturen unterstützt, ist von außerordentlicher Bedeutung.
Ohne Wahrheit kann es keine Versöhnung geben. Das russische Volk der Gegenwart trägt keine größere Verantwortung für Stalins Verbrechen als das deutsche Volk für die Verbrechen Hitlers. Aber eine europäische Bürgerschaft und gute Nachbarschaft können nur auf der Grundlage von Achtung …
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
(Beifall)
Der Präsident. Erlauben Sie bitte noch eine Korrektur: In der Übersetzung wurde gesagt, das wäre der Pakt von Malta gewesen. Malta ist eine wunderschöne Insel. Gemeint war der Pakt von Jalta. Das ist ein ganz kleiner Unterschied.
Nikolaos Sifunakis (PSE). – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die niedrige Beteiligung der europäischen Bürger an den Europa-Wahlen und die Ablehnung des Verfassungsvertrags durch zwei Länder sind vielleicht nur die Spitze des Eisbergs eines mitunter schwierigen Verhältnisses zwischen den europäischen Bürgern und der Europäischen Union.
Deshalb benötigen wir ein Programm, das in der Lage sein wird, die europäischen Bürger dort zu motivieren, wo die Schwachpunkte sind; das heißt, sie dazu zu bringen, sich aktiver an den gemeinsamen Vorhaben zu beteiligen, wobei das Ziel gleichzeitig darin besteht, das gegenseitige Verständnis zwischen den Bürgern und zwischen den unterschiedlichen kulturellen und historischen Formen der europäischen Identität zu fördern.
Was das Programm „Bürger/innen für Europa“ betrifft, so hat unser Kollege, Herr Takkula, in dem Bericht über seinen Vorschlag, an dem er mit großem Eifer gearbeitet hat, dessen ursprüngliche Bezeichnung „Bürger/innen für Europa“ in „Europa für die Bürger/innen“ umgeändert. Damit schließt er eine Lücke im Programm, das zu den bestehenden Gemeinschaftsprogrammen – wie die Programme „Lebenslanges Lernen“ und „Jugend in Aktion“, die sich hauptsächlich an junge Menschen richten – hinzukommen soll.
Untrennbar verbunden mit der europäischen Geschichte sind jedoch auch zwei schwierige Zeitabschnitte im 20. Jahrhundert, die ebenfalls einen Teil unserer gemeinsamen Erinnerung und Geschichte bilden. Die Erinnerung an die Opfer, die durch autokratische Regime ermordet, deportiert oder inhaftiert wurden, muss lebendig bleiben. Wir können und dürfen die tragischen Augenblicke, die unser Kontinent vor 60 Jahren in den Konzentrations- und Vernichtungslagern des Nationalsozialismus erlebt hat, nicht vergessen, und wir können und dürfen auch nicht die Verbrechen vergessen, die vom Stalinismus begangen wurden. Allerdings dürfen wir keine selektiven Erinnerungen lebendig halten. Es geht nicht, dass wir das Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus wach halten und gleichzeitig den Faschismus und die Diktaturen im Süden Europas vergessen.
In diesem Jahr begehen wir den 20. Jahrestag des Beitritts Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft, zwei Länder, in denen der Faschismus in den 40 Jahren seines Bestehens tragische Hinterlassenschaften zurückgelassen hat. Außerdem begehen wir in diesem Jahr den 25. Jahrestag des Beitritts Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft. Von 1946 bis 1974 gab es in Griechenland Konzentrationslager, in denen Tausende von Bürgern wegen ihrer politischen Ansichten ermordet wurden. Die Insel Yiaros, die auch die Römer als Verbannungsort genutzt haben, und die Insel Makronissos sind zu einem Grab für zahlreiche Menschen geworden, die dort ihr Leben infolge von Misshandlungen und Folter verloren, die sie zusammen mit Tausenden anderer Bürger, die damals auf diese Inseln verbannt worden waren, erlitten haben.
Den Staaten Südeuropas ist gemein, dass die Stabilisierung der Demokratie in diesen Ländern zu einem großen Teil durch ihren Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft erreicht wurde.
Das Programm „Bürger/innen für Europa“, über das wir heute diskutieren, wird daher von substanzieller und universeller Bedeutung sein. Deshalb müssen die Änderungsanträge, auf die vorhin mein Kollege, Herr Catania, sowie andere Kollegen hingewiesen haben, ebenfalls angenommen werden, da sie den außerordentlich umfassenden und bedeutenden Bericht von Herrn Takkula ergänzen.
Šarūnas Birutis (ALDE). – (LT) Ich begrüße und unterstütze die neue Initiative der Europäischen Kommission „Bürger und Bürgerinnen für Europa“. Außerdem möchte ich dem Berichterstatter zu seinem gründlich ausgearbeiteten Bericht gratulieren.
Die Förderung der europäischen Bürgerschaft ist eine wesentliche Bedingung für das Funktionieren der erfolgreich erweiterten Europäischen Union. Diese braucht – vor allem nach der Erweiterungsrunde 2004 – ein Programm, das sich insbesondere mit den Unionsbürgern befasst. Die Defizite im Bereich der aktiven Demokratie stellen eines der drängendsten Probleme der Europäischen Union dar; daher begrüßen wir die Bemühungen um die Stiftung einer europäischen Identität, die Förderung der Staatsbürgerschaft und die Unterstützung der aktiven Beteiligung am Prozess der europäischen Integration.
In Litauen durchgeführte Meinungsumfragen deuten auf ein großes Misstrauen der Bürger gegenüber wichtigen staatlichen Einrichtungen und auf eine sinkende Wählerbeteiligung hin. Vergleichbare Erkenntnisse liegen für die Europäische Union vor. Der Durchschnittseuropäer setzt wenig Vertrauen in politische Parteien, die Regierung und das Parlament seines Landes. Durch die Initiative „Bürgerinnen und Bürger für Europa“ wird die Einbindung europäischer Werte in den Gesellschaften der einzelnen Länder spürbar, und die aktiv gestiftete europäische Identität wird sich ebenfalls positiv auf gemeinsame Beschlüsse der Europäischen Union auswirken.
Die Organe der Europäischen Union müssen nicht nur den Regierungen der Mitgliedstaaten und ihren Delegationen gegenüber rechenschaftspflichtig sein, sondern auch gegenüber den Bürgern Europas. Im Zuge der Umsetzung der geplanten Programmmaßnahmen werden mehr Transparenz und ein höheres Maß an Verantwortung in die politischen Abläufe in der Europäischen Union Einzug halten. Die europäische Kultur und ihre Vielfalt werden gefördert, und die Zusammenarbeit zwischen den Bürgern und Organisationen der verschiedenen Länder wird verstärkt. Eine einheitliche Bewertung der Vergangenheit, der Stalinschen Gulags und des faschistischen Holocaust, würde die europäische Bürgerschaft stärken. Dieses Programm muss unbedingt für alle Beteiligten zugänglich sein, d. h. Nichtregierungsorganisationen und Bildungseinrichtungen. Diese Initiative ist der Schlüssel für eine bewusste Einflussnahme der Bürger auf ihre eigene Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder in Europa.
Bernat Joan i Marí (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Als Europäer und Katalane unterstütze ich die Forderung nach Stärkung der historischen Erinnerung, um künftige Katastrophen zu vermeiden, während wir gleichzeitig aus unserer Vergangenheit lernen.
Herrn Takkulas Bericht enthält einen Vorschlag zur Finanzierung historischer Stätten, die mit den schlimmsten totalitären Regimes, unter denen Europa im 20. Jahrhundert zu leiden hatte, – mit dem Nazismus und Stalinismus – in Verbindung stehen. Ich teile seine Ansicht, aber wir sollten diesen Vorschlag auch auf andere Aspekte ausdehnen, die direkt mit dieser Art der autoritären Herrschaft zu tun haben.
Das trifft beispielsweise auf Katalonien zu. Unser Land litt unter der Franco-Diktatur, die ihrem Ursprung nach mit dem Nazismus und dem italienischen Faschismus verwandt ist. Der einzige Präsident einer demokratischen Nation war Lluís Companys. Er war Präsident der autonomen katalanischen Regierung und wurde während des Zweiten Weltkriegs getötet. Die erste zivile Stadt, die von feindlichen Flugzeugen wahllos bombardiert wurde, war Guernica, die Stadt mit Symbolcharakter im Baskenland.
Wenn wir das Franco-Regime und andere Diktaturen in Südeuropa vernachlässigen und uns nicht für die Bewahrung des historischen Gedenkens an diesen dunklen Abschnitt in unserer Geschichte einsetzen, dann gehen wir der Diskussion der Folgen von Diktaturen, von denen einige für die Europäische Union äußerst beunruhigend sind, aus dem Weg.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Maßnahmen im Programm „Bürger und Bürgerinnen für Europa“ werden zur Erarbeitung vernünftiger Grundsätze für die Koexistenz und das Zusammenwirken von Nationen beitragen. Sie werden das Bewusstsein für die Besonderheiten der einzelnen Völker schärfen und das Wissen über das jeweilige kulturelle Erbe fördern. Des Weiteren werden sie einen Beitrag zum Verschwinden von Stereotypen leisten und bei unseren Bürgern mehr Aufgeschlossenheit für die Vielfalt bewirken.
Erfreut habe ich festgestellt, dass in dem Abschnitt über Gedenkstätten für Opfer totalitärer Regime Zuschüsse nicht nur für das Erinnern an die Opfer des Nazismus, sondern auch für Aktivitäten vorgesehen sind, die den Stalinismus betreffen.
Immer wieder hat Europa im Verlaufe seiner Geschichte unter sehr vielen grausamen und unmenschlichen Diktatoren gelitten, und es sollte keine einzige Facette vergessen werden. Eingedenk des für diesen speziellen Zweck eingeplanten schmalen Budgets sollten wir uns aber auf die beiden abscheulichsten und schrecklichsten Regime konzentrieren, deren Folgen sich massiv und weltweit bemerkbar machten. Das stalinistische Regime und das Hitler-Regime müssen zu Symbolen des Bösen werden und sich als mörderische Systeme in das Bewusstsein unserer Kinder einprägen. Damit wird verhindert, dass solche Regime jemals wieder an die Macht gelangen. Daher müssen wir auch sicherstellen, dass in der Finanziellen Vorausschau 2007-2013 für die Durchführung entsprechender Kulturprogramme angemessene Summen ausgewiesen werden.
Alessandro Battilocchio (NI). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich spreche im Namen der Neuen Sozialistischen Partei Italiens, und diesmal spreche ich auch als Bürgermeister einer hübschen Kleinstadt nördlich von Rom.
Als Bürgermeister habe ich viele Maßnahmen zur Förderung der europäischen Identität in die Wege geleitet, wobei ich die Beteiligung und die Zusammenarbeit der Bürger vor allem durch Partnerschaften und kulturellen Austausch vorangebracht habe, bei denen junge Leute und Studenten zusammen mit anderen die Hauptakteure waren.
Ich bin wirklich der Auffassung, dass den Bürgern, die sich tagtäglich mit Problemen auseinander setzen, die oft weit von den in diesem Hohen Haus behandelten entfernt sind, greifbar demonstriert werden muss, dass eine Basis gemeinsamer Werte für alle 450 Millionen Europäer existiert. Nur wenn sie das wirklich stark empfinden, kann die Kluft zwischen Bürgern und Institutionen überwunden werden. Aus diesem Grunde begrüße ich den Vorschlag der Kommission sowie alle empfohlenen Maßnahmen, vor allem jene zur Förderung der europäischen Werte der Demokratie, Freiheit und Achtung der Menschenrechte: Ich denke, sie sind tragfähig und gutzuheißen. Ich hoffe daher, dass dieses Vorhaben mit der größtmöglichen institutionellen und finanziellen Unterstützung vorangebracht wird.
Allerdings sind weitere flankierende Maßnahmen erforderlich: Vor allem ist es notwendig, die Kommunikation und die Information über die Tätigkeiten unserer Organe auf lokaler Ebene zu verbessern, weshalb Informationskampagnen, Debatten und Konferenzen über die wichtigsten europäischen Themen gefördert werden müssen. Ferner glaube ich, dass jede Maßnahme zur Förderung der so genannten europäischen Bürgerschaft erfolglos bleiben wird, wenn wir bei den bevorstehenden Diskussionen die Forderungen, Anliegen und Erwartungen der Zivilgesellschaft nicht angemessen berücksichtigen.
Den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl zu vermitteln, dass sie wirklich an den vielen großen Herausforderungen teilhaben, die es noch zu bewältigen gibt, ist wahrscheinlich der realistischste Weg, um ein solides, gemeinsames Fundament zu schaffen, auf das wir unsere Zukunft gründen können.
Doris Pack (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte dem Kollegen Takkula herzlich für die Arbeit danken, die er geleistet hat, und ich bin auch froh, dass wir das im Ausschuss wirklich alle mitgetragen haben. Dieses Programm stellt für die meisten Bürger die einzige Möglichkeit dar, überhaupt als aktives Mitglied in unserer Zivilgesellschaft am europäischen Gedankengut teilzunehmen und sich einzubringen.
Eigentlich ergibt sich aus den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden die Notwendigkeit, dass wir Dinge besser erklären, dass wir die Erweiterung erklären, dass wir den Verfassungsvertrag erklären, dass wir den Menschen die Angst vor der Globalisierung nehmen. All das ist möglich im Rahmen dieses Programms, mit Hilfe von Vermittlern, die aus diesem Programm Geld bekommen. Deswegen bin ich froh, dass die Kommission einige genannt hat. Wir brauchen das Rad nämlich nicht neu zu erfinden; es gibt Institutionen, die schon lange für eine europäische Bürgerschaft arbeiten.
Wenn der Kollege Allister – er ist leider nicht mehr da – vorhin gesagt hat, er will kein Europäer sein, dann kann ich nur sagen: Ich bin Saarländerin – das ist ein kleines Land in Deutschland –, ich bin Deutsche, und ich bin Europäerin. Das ist wie bei einer russischen Puppe. Das kann man alles sein, man schließt nichts aus. Aber wir sind alle gemeinsam den europäischen Werten verpflichtet.
Ich bedaure sehr, dass wir uns zu sehr auf diese Frage der Nazi- und stalinistischen Gedenkstätten geworfen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich dem Herrn Kollegen Sifunakis – der leider auch schon nicht mehr da ist – sagen, dass er eigentlich seine Kompetenzen überschritten hat. Er ist im Ausschuss mit seinem Antrag bezüglich dieser Gedenkstätten unterlegen. Der Ausschuss hat anders entschieden. Herr Sifunakis geht hin und schreibt als Vorsitzender des Ausschusses an alle Kolleginnen und Kollegen, man möge ihm jetzt folgen. Das ist eine Sache, die in diesem Hause meines Erachtens in den 16 Jahren, in denen ich hier bin, noch nie passiert ist. Ich hoffe, die Kollegen werden ihm nicht folgen.
Ein Letztes möchte ich noch sagen – es ist von dem Kollegen aus Rom bereits angeschnitten worden: Wir brauchen die Städtepartnerschaften, die wunderbare Arbeit leisten. Auch dort kann man mit ein wenig mehr Geld mehr erreichen als in vielen anderen Dingen, die vielleicht noch erdacht werden können. Ich bitte den Herrn Kommissar, die drei Organisationen, die wir noch zusätzlich hineinbringen wollen, mit aufzunehmen. Sie haben wunderbare Arbeit geleistet, und Sie können sich auf sie verlassen.
Christa Prets (PSE). – Herr Präsident! „Bürger für Europa“ heißt, die Bürger für Europa zu interessieren, über Europa zu informieren, sie in Entscheidungen einzubinden, ihnen Kommunikationsmöglichkeiten anzubieten und sie letztlich für Europa zu begeistern. Von letzterem entfernen wir uns leider immer mehr. Ich bin aber überzeugt, dass das vorliegende Programm sehr viel dazu beitragen kann, EU-Skepsis abzubauen.
Ein wesentlicher Punkt – Kollegin Pack hat dies gerade gesagt – sind die Städtepartnerschaften, die durch gemeinsame punktuelle, aber auch strukturierte mehrjährige Vereinbarungen gegenseitiges Kennenlernen und Verstehen fördern. Dies ist ein sehr kostengünstiges Kommunikationsprojekt. Es wird aber leider nicht als solches erkannt, denn würde man verstärkt in dieses Projekt investieren, könnte man sich so manche Broschüre ersparen.
Bürgerprojekte zielen darauf ab, interessierte Menschen zusammenzubringen, um europäische Themen zu bearbeiten, wodurch eine breite Öffentlichkeit erreicht werden kann. Vereine und Organisationen können – wenn sie in Netzwerke eingebunden werden – ein wirksames Instrument sein, um die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und Ausgrenzungen oder Diskriminierungen zwischen den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen zu vermeiden – ein wichtiges Grundelement für eine aktive Bürgerschaft und den europäischen Dialog.
Die Aktion „aktive europäische Erinnerung“ ist erstmals in dieses Programm übernommen worden, weil wir im Ausschuss der Meinung sind, dass europäische Geschichte mit einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden muss. Die Diskussion zeigt auch – und das gibt uns recht –, dass dieses wichtige Thema nicht als kleiner Beitrag – praktisch als Randerscheinung zu diesem Programm – behandelt werden soll, sondern ein eigenes Programm erfordert, um alle Formen der Diktatur und ihre Opfer zu beleuchten und vor allem den Jugendlichen und nachkommenden Generationen die Gräuel vergangener Regime bewusst zu machen und daran zu arbeiten, dass unsere Demokratien stark genug werden und bleiben, um solche menschenunwürdigen Regime unmöglich zu machen.
Alfonso Andria (ALDE). – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich Herrn Takkula zu seiner ausgezeichneten Arbeit und seinem hervorragenden Bericht beglückwünschen. Was ich vor allem daran begrüße, ist der Vorschlag zur Änderung des Programmtitels „Bürger/innen für Europa” in „Europa für Bürger/innen”. Dieser Umkehrung der Wörter wohnt das gesamte Verständnis von Kultur inne, das von nun an das Handeln der Gemeinschaft bestimmen sollte: nicht Zweck, sondern Mittel der europäischen Völker zur Verwirklichung ihrer Ziele zu sein.
Ich freue mich darüber, dass den Bürgern mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird und die Fragen der Kultur und der europäischen Identität wieder ins Bewusstsein gerückt sind. Dies beweist der Umstand, dass die Tagesordnung dieser Plenarsitzung auch die Berichte von Herrn Hammerstein über den Öffentlichkeitsgrad von Tagungen des Rates, von Herrn Cashman über den Zugang zu den Dokumenten der Organe und von Frau Prets über die Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ umfasst.
Wir in diesem Hohen Haus haben daher die Möglichkeit – ich würde sogar sagen, die Pflicht –, dieses Europa transparenter, demokratischer, leichter verständlich und somit akzeptabler zu gestalten. In so schwierigen Zeiten für den europäischen Integrationsprozess, wie wir sie gegenwärtig erleben, da nationalistische und separatistische Tendenzen neue Legitimität zu erlangen scheinen, ist die Förderung des gegenseitigen Kennenlernens unserer unterschiedlichen Kulturen gewiss ein wichtiges Mittel für die soziale Integration und die Hervorhebung der Werte, die uns einen, und sie ist ein Schlüsselelement bei der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich es deshalb für wichtig halte, dieses Programm mit umfangreicheren und angemesseneren finanziellen Mitteln auszustatten. Herr Präsident, das Gefühl der Zugehörigkeit bzw. das Gefühl, Europäer zu sein, muss auch bei den Bürgern Europas entwickelt werden, die nicht länger Europa untertan sein, sondern es selbst gestalten wollen.
Aldis Kušķis (PPE-DE). – (LV) Herr Präsident, Herr Figel’, Herr Takkula, meine Damen und Herren! Die angesehene Historikerin Hannah Arendt zog im letzten Jahrhundert das frappierend einfache, aber zutreffende Fazit, dass im Prinzip nichts typischer für totalitäre Regime und Diktatoren ist als die erstaunlich kurze Zeitspanne, in der ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Vergessenheit geraten, und die ebenso erstaunliche Tatsache, dass neue Tyrannen seelenruhig an ihre Stelle treten können.
Leider besteht selbst heute noch die Möglichkeit, dass ein neuer Stalin oder Hitler auf den Plan tritt. Aus eben diesem Grunde ist es unsere gemeinsame Pflicht, nicht zuzulassen, dass die von den Nazis und dem totalitären Sowjetkommunismus begangenen Verbrechen in Vergessenheit geraten. Wir müssen uns an die Schrecknisse jener Zeit erinnern, in der zwei von wahnwitzigen Ideen besessene Tyrannen die Völker Europas mit Massenmord überzogen, Menschen in Todeslagern hinschlachten ließen, die Geschicke in eine verhängnisvolle Richtung lenkten und der europäischen Geschichte ihr schwärzestes Kapitel hinzufügten.
Trotz der ideologischen Unterschiede im Einzelnen können beide totalitäre Regime gleichgesetzt werden. Hitler wie Stalin organisierten Massendeportationen, ließen Vernichtungslager errichten, gaben den Befehl zum Massenmord und sind für den Tod von Millionen von Menschen, darunter wehrlosen Kindern, verantwortlich. Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass nahezu jede Familie in Europa über das traurige Schicksal von Vätern oder Geschwistern berichten könnte. Die Verbrechen des Hitlerregimes und des Stalinismus können und dürfen nicht in Vergessenheit geraten, schon gar nicht in diesem Jahr, denn am 14. Juni jährt sich zum 65. Male der Tag, an dem in den baltischen Staaten die brutalen Massendeportationen nach Sibirien begannen. Vielen Dank, Christopher Beazley, dass Sie uns daran erinnert haben.
Wir müssen heute unter den Völkern Europas das Bewusstsein für die Wahrung der Demokratie, der Freiheit und der Menschenrechte fördern. Dies ist notwendig, damit sich kein neuer Stalin jemals der Illusion hingeben kann, er würde ungeschoren davonkommen.
Es gilt, aktiv Projekte zu unterstützen, mit denen wir die Erinnerung an den Nationalsozialismus und Stalinismus, an die Massendeportationen und an die Todesopfer wachhalten. Wir müssen unseren Kindern die Schauplätze der Massendeportationen und die Standorte der Konzentrationslager zeigen, und wir müssen das Andenken der Opfer in Ehren halten.
Ich fordere Sie auf, für die Wiedervereinigung der europäischen Geschichte zu stimmen.
Maria Badia I Cutchet (PSE). – (ES) Herr Präsident! Morgen werden wir über diesen Bericht über das Programm „Bürgerinnen und Bürger für Europa” abstimmen, das, wie andere Redner sagten, dafür vorgesehen ist, eine aktive europäische Bürgerschaft zu fördern, und das sich einfügt in den Kontext der Sorge der Union angesichts der Kluft zwischen Bürgerinnen und Bürger und den europäischen Institutionen und ihren Schwierigkeiten, sich mit dem Integrationsprozess zu identifizieren. Ich möchte meine volle Unterstützung für dieses Programm zum Ausdruck bringen und Herrn Takkula zu der von ihm geleisteten Arbeit beglückwünschen.
Lassen Sie uns über die Aktion 4 dieses Programms sprechen, das auf die Erhaltung der Gedenkstätten im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen und stalinistischen Massendeportationen und Massenvernichtungen gerichtet ist; auch ich unterstütze vorbehaltlos das Gedenken an die Opfer dieser abscheulichen Regime, die für die Geschichte Europas und der Welt des 20. Jahrhunderts kennzeichnend waren.
Ich möchte aber hinzufügen, dass wir unter keinen Umständen andere Opfer ausschließen dürfen, die ebenfalls unschuldig waren und von der Geschichte ungerecht behandelt wurden, wie die Opfer des Faschismus und anderer europäischer Diktaturen. In der Tat, Herr Präsident, hat der Europarat vor knapp einem Monat eine Entschließung zur internationalen Verurteilung des Franco-Regimes angenommen.
Wenn eines der Ziele dieses Programms darin besteht, eine auf gemeinsamen Werten sowie einer gemeinsamen Geschichte und Kultur basierende europäische Identität zu schmieden und die europäische Integration auf der Grundlage des Respekts, der gegenseitigen Verständigung und der Anerkennung der kulturellen Vielfalt zu verstärken, dann muss das Europäische Parlament die Geschichte vieler europäischer Länder anerkennen, die in ihrem Freiheitskampf lange Zeit unter Repression und Mord gelitten haben.
Der Übergang Spaniens zur Demokratie ist untrennbar mit unserem Beitritt zur Europäischen Union vor 20 Jahren verbunden. Und im Rahmen dieses Programms ist es gerecht, die Opfer dieser schwarzen Periode unserer Geschichte anzuerkennen, weil dies völlig zu Recht dazu beitragen würde, die Bindungen der Bürger zur Union zu verstärken.
Meine Damen und Herren, die Knappheit der Mittel – die eine Realität ist – darf nicht den Ausschluss einiger Opfer auf Kosten anderer rechtfertigen. Wir sollten nicht verschiedene Kriege miteinander vergleichen oder ein Massaker nach der Zahl der damit verbundenen Toten quantifizieren, sondern aller Opfer gedenken, damit wir durch die Bewahrung ihres Andenkens verhindern, dass sich solche Ereignisse jemals wiederholen.
Ich möchte Sie deshalb bitten, die von mehr als 60 Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen dieses Parlaments befürworteten Änderungsanträge zu unterstützen, weil sie das Programm auf der Grundlage der vollen Anerkennung des europäischen historischen Gedenkens und mit dem Ziel der Stärkung des Bürgerschaftsgefühls bereichern werden.
Tomáš Zatloukal (PPE-DE). – (CS) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die reservierte Haltung der Allgemeinheit gegenüber den Organen und Einrichtungen der Europäischen Union, die fehlende Identifikation mit dem Prozess der europäischen Integration und auch die Tatsache, dass es nicht gelingt, die Bürgerinnen und Bürger in Debatten über das Ausmaß der künftigen Erweiterung einzubeziehen – all dies stellt die EU insgesamt vor ein erhebliches Problem. Besonders deutlich hat sich das bei den Referenden über die Ratifizierung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden gezeigt.
Auch in anderen Ländern, darunter denjenigen, die im Mai 2004 der EU beigetreten sind, macht sich das Informationsdefizit negativ bemerkbar. Ein positiver Aspekt ist der bei den Bürgerinnen und Bürgern vorhandene Wunsch nach mehr Informationen und ihr Interesse an vernünftigen und sinnvollen Maßnahmen. Das heute zur Debatte stehende Programm „Bürger/innen für Europa“ ist ein Instrument, das seinem Anspruch durchaus gerecht werden könnte. Einige der im Programm festgelegten Maßnahmen erweisen sich schon jetzt als hilfreich und werden mit vollem Engagement umgesetzt. Als Beispiel seien an dieser Stelle die Städtepartnerschaften genannt. An dem entsprechenden Programm kann sich jede Stadt und jede Gemeinde unabhängig von ihrer Größe beteiligen; es ist besonders für kleine Gemeinden geeignet, denn man muss wenig Aufwand betreiben, um Zuschüsse zu erhalten, und es gibt keine unnötigen bürokratischen Hürden. Der Mindestbetrag, der beispielsweise als Zuschuss zur Finanzierung von Begegnungen zwischen Bewohnern von Partnergemeinden aufgebracht werden muss, ist sehr niedrig, so dass es bei Bedarf nicht schwierig ist, die erforderliche finanzielle Unterstützung zu erhalten.
Die Städtepartnerschaften und die Art und Weise, in der die Bürger zusammenarbeiten, tragen zur Lösung europäischer Probleme und zur Förderung von freiwilligen Organisationen bei; sie können die gemeinsamen europäischen Werte unter Wahrung der nationalen und regionalen Vielfalt stärken. Die Mitgliedstaaten müssen diese Maßnahmen durch Aktivitäten in den Bereichen Kultur und Bildung ergänzen. Der Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sowie die Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt sollten ein Schwerpunkt des Programms und ein gemeinsames Anliegen sein. Zum Schluss möchte ich dem Berichterstatter für die geleistete Arbeit und dem Ausschuss für Kultur und Bildung für die bereitwillige Zusammenarbeit danken.
Marianne Mikko (PSE). – (ET) Meine Damen und Herren! Der Bericht von Herrn Takkula beschäftigt sich mit einem äußerst wichtigen Thema. Die von ihm geleistete Arbeit verdient Anerkennung.
Die Europäische Union wird immer mehr zu einem Jahrmarkt, auf dem die Politiker der Mitgliedstaaten nur ihre eigenen Interessen verfolgen und sich bemühen, ihre Wähler zufrieden zu stellen. Es besteht unter den Bürgern der Mitgliedstaaten kein ausgeprägtes Gefühl dafür, dass sie eigentlich alle Bürger Europas sind. Damit sich ein derartiges Gefühl herausbildet, ist die gegenseitige Kenntnis der Geschichte erforderlich.
Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg schmachteten zahlreiche Völker Europas unter dem Joch totalitärer Regime. Meine estnische Heimat wurde von Stalin, einem der grausamsten Diktatoren in der Geschichte der Menschheit, von der Landkarte getilgt. Wir hatten keine eigene Flagge oder Nationalhymne mehr, und unsere Hauptstadt war nun Moskau.
Der Zwillingsbruder des Stalinismus war der Nationalsozialismus. Diese beiden Ideologien, die zur gleichen Zeit entstanden, teilten Europa durch den Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts unter sich auf. Stalin hielt den östlichen Teil Europas ein halbes Jahrhundert lang unter seiner Knute. Hitlers Kriegsmaschinerie unterwarf gewaltsam jenen Teil Westeuropas, in dem nicht bereits einheimische Diktatoren an die Macht gelangt waren.
Indem ich mich gleichermaßen für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und des Stalinismus einsetze, wende ich mich gegen eine bloß symbolische Aufnahme der neuen Mitgliedstaaten in die Europäische Union. Ich verurteile sämtliche Formen des Totalitarismus, möchte aber betonen, dass der Nationalsozialismus und der Stalinismus die tragenden Säulen aller totalitären Ideologien sind.
Machthaber wie Franco, Mussolini und Salazar ließen ihre Opfer foltern, wie Hitler und Stalin es ihnen vorgemacht hatten. Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union sollte die Verantwortung für die objektive Beurteilung der von Diktatoren auf seinem Boden begangenen Taten übernehmen. Gegenwärtig sprechen wir aber über den Stalinismus und den Nationalsozialismus, die an Staatsgrenzen nicht Halt machten, sondern sich einfach darüber hinwegsetzten.
Es ist die Pflicht der Mitgliedstaaten, kollektiv die Untaten Hitlers und Stalins zu verurteilen, die zur Spaltung Europas und zum Eisernen Vorhang führten. Lassen Sie uns deshalb im Rahmen des Programms „Bürger für Europa“ zusammenarbeiten, um gemeinsam der Opfer des Stalinismus und des Nationalsozialismus zu gedenken.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte zwei Anmerkungen machen. Die eine betrifft den Bericht und die andere ist allgemeiner Natur.
Erstens möchte ich Herrn Takkula zu seinem Bericht beglückwünschen. Das ist sein erster Bericht, und das ist ein umfangreicher Bericht. Er hat ausgezeichnete Arbeit geleistet und alle Schlüsselfragen angesprochen. Ich unterstütze ihn ohne jede Einschränkung. Ich befürworte auch den Wortlaut zu Stalin und Hitler. Ich muss zugeben, dass ich Frau Packs Ausführungen voll und ganz unterstütze, obwohl ich kein Ausschussmitglied bin. Es ist schon erstaunlich, dass Herr Sifunakis, der Ausschussvorsitzende, einen Standpunkt vertritt, der den Beschlüssen des Ausschusses vollkommen zuwiderläuft, aber nun gut.
Wenn ich Herrn Takkula nicht so gut kennen würde, dann würde ich ihn nach dem Lesen seines Berichts möglicherweise sogar für einen Föderalisten halten, aber dieses Mal vielleicht doch nicht.
Meine allgemeine Bemerkung betrifft die europäische Bürgerschaft und die nationale Staatsangehörigkeit. Einige scheinen zu denken, dass wir versuchen, eine Art europäischen Prototypen zu schaffen, aber da bin ich anderer Meinung. Ich bin selbst Föderalist, aber ich denke, dass unsere Identität zuerst lokaler, dann nationaler und erst dann europäischer Natur ist.
Ich lebe seit sieben Jahren in Brüssel. Um ganz ehrlich zu sein, ich hatte, was Nationalitäten betraf, einige Vorurteile, als ich nach Brüssel kam, wie zum Beispiel: Finnen reden nicht; jeder Deutsche hat denselben Sinn für Humor wie unser Präsident heute; die Franzosen sprechen immer in drei Auslassungspunkten; kein Italiener hat je eine praktikable Schlussfolgerung gezogen. Das waren meine Vorstellungen, als ich nach Brüssel kam. Das sind die nationalen Klischees, die wir so haben. Um ganz ehrlich zu sein, ich denke, dass sich meine Vorurteile nach sieben Jahren nur noch verstärkt haben, zwar in einem sehr positiven Sinne, trotzdem haben sie sich verstärkt. Wir schaffen also definitiv keinen prototypischen Europäer. Ich habe den Eindruck, dass wir uns eigentlich nur im Sport wirklich als Europäer fühlen können: der Ryder Cup beim Golf ist ein gutes Beispiel, und auch die Eurovision bringt uns zusammen.
Insgesamt denke ich, dass uns ein großartiger Bericht vorliegt, der vier Aktionen vorsieht, von der jede einzelne meine Unterstützung hat. Er ist frei von jeglicher Propaganda, daher hoffe ich, dass die Kommission ihn ernst nimmt und sämtliche von Herrn Takkula vorgeschlagenen Änderungen aufgreift.
Lissy Gröner (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Programm „Aktive europäische Bürgerschaft“, richtig angewendet, kann zu einem sehr wertvollen Instrument werden, um die Kluft zu den Bürgerinnen und Bürgern und die Europaskepsis zu überwinden.
Bei einem Budget von weniger als 300 Millionen Euro für 7 Jahre und 36 Programmländer weckt es hohe Erwartungen. In vier verschiedenen Aktionsbereichen wird es allerdings schwierig sein, es umzusetzen. Dank deshalb an Herrn Takkula, der sich wirklich um Ausgleich bemüht hat sowie darum, unter dem kleinen Budget keine Einschnitte, z. B. bei den Städtepartnerschaften, vorzunehmen. Das sind Bürgerprojekte, die aus der Basis heraus das europäische Bewusstsein und die Identität stärken. Wir wollen die aktiven, zivilgesellschaftlichen Projekte in der Europäischen Union fördern, in denen so viel Idealismus steckt: sie brauchen unsere Aufmerksamkeit und Hilfe. Wir wollen die Öffentlichkeitsarbeit der Europahäuser und der europaweit agierenden Institute unterstützen. Bitte nehmen Sie unsere Vorschläge auf, Herr Kommissar!
Als deutsche Sozialdemokratin liegt mir aber auch sehr viel an der vierten Aktionslinie. Ich komme aus Nürnberg, der Stadt der Nazi-Reichsparteitage. Heute bemüht sich die Stadt, sich ein neues Image zu geben und sich als Stadt der Menschenrechte neu zu positionieren.
Wer die Zukunft aktiv gestalten will, muss sich seiner Vergangenheit bewusst werden, deshalb ist die Aktion 4 im Rahmen der aktiven europäischen Erinnerung so wichtig. Wir brauchen das Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen und stalinistischen Gewaltregimes sowie auch die entsprechenden Orte und Gedenkstätten. Wir müssen aber auch aller Opfer der Diktaturen gedenken. Deshalb bitte ich Sie, die Änderungsanträge 54 und 55 meiner Fraktion zu unterstützen. Wir sollten sehr behutsam sein und Opfer nicht gegeneinander ausspielen, deshalb bitte ich um Unterstützung dieser Änderungsanträge.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Ich begrüße den Bericht des Kollegen Takkuli und den Vorschlag, eine zusätzliche vierte Aktion mit dem Titel „Aktives europäisches Erinnern“ zu konzipieren. In diesem Hohen Hause wurde vieles über die wirtschaftliche und soziale Integration gesagt, wobei jedoch tendenziell die Bedeutung der historischen Integration als Schlüsselelement der Integration übersehen wurde. Europa hat sich stets mit seiner Vergangenheit auseinander gesetzt und befasst sich weiterhin mit diesem Erbe. Der Kommunismus und der Nationalsozialismus waren zwei totalitäre Regime, denen zu gleichen Teilen die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts anzulasten ist. Die Verwendung des Begriffs „Stalinismus“ wird dem nicht gerecht. Der Kommunismus allgemein war ein Fluch, der auf dem 20. Jahrhundert lastete.
Die Beziehungen zwischen europäischen Ländern und Völkern sind durch historische Erfahrungen geprägt, doch selbst die schwierigsten und schmerzlichsten Erfahrungen können in starke, auf Sympathie beruhende Bindungen münden. Papst Johannes Paul II. sagte, dass für das 20. Jahrhundert das Mysterium des Bösen trotz enormer Erfolge in einigen Bereichen kennzeichnend war. Wir haben dieses Erbe des Guten wie des Bösen mit ins 21. Jahrhundert genommen.
Hier im Parlament wurden mehrfach Debatten über Fragen im Zusammenhang mit der Geschichtspolitik geführt. Ich könnte an dieser Stelle die Aussprachen über den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, den Jahrestag des Endes des 2. Weltkriegs und den 25. Jahrestag der Solidarnośc nennen. Diese Debatten haben gezeigt, wie tief die Missverständnisse über historische Tatsachen und unser historisches Erbe gehen.
Die Vorstellung von einer europäischen Identität muss auf der Akzeptanz der Wahrheit über unsere Vergangenheit beruhen. Durch die Erinnerung an die Opfer von Massendeportationen und Vernichtungsaktionen der Kommunisten und der Nazis wird kein Misstrauen zwischen den Völkern geschürt. Vielmehr werden wir alle dadurch an die Grundrechte, d. h. Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung vor anderen, erinnert. Nur so kann die Europäische Union die von ihren Gründungsvätern verkündete Botschaft von der Einigkeit in Vielfalt mit Leben erfüllen.
(Beifall von rechts)
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte allen Teilnehmern an dieser Aussprache für ihre sehr interessanten Hinweise und Beiträge danken. Wir sind uns sicher darin einig, dass es bei allem Konsens bisweilen Fragen zu Programmen oder der europäischen Identität gibt, dennoch bildet sich diese Identität heraus. Vielleicht sehen wir das mehr von außen als von innen, aber sie ergänzt unsere elementare persönliche, nationale, lokale und regionale Dimension; sie stellt eine Bereicherung dar.
Wir dürfen die Tragödien in Europa nicht vergessen, zumal zu einer Zeit, da wir noch immer nach Kriegsverbrechern auf unserem Kontinent suchen. Es ist noch nicht so lange her, da war Europa voller Grenzen, Massengräber und anderer Orte, an denen Blut vergossen wurde, und diese Erinnerung müssen wir wach halten. Ich brauche auf keine konkreten Punkte einzugehen, weil ich mich bereits eingangs damit befasst habe.
Was die Finanzen betrifft, so verhandeln wir noch. Ich hoffe, dass wir bei den abschließenden Treffen der Troika oder den laufenden Verhandlungen zur Finanziellen Vorausschau auf eine ebenso kräftige Unterstützung durch das Parlament zählen können wie unlängst im Zusammenhang mit den Programmen zu Bürgerschaft, Jugend und Bildung. Wir werden Bürgerschaftsfragen über unterschiedliche Aktionen und verschiedene Programme in alle Tätigkeiten einbeziehen, denn das ist wichtig.
Der letzte Punkt betrifft den Titel. Meines Erachtens haben sowohl die Kommission als auch das Parlament partiell Recht. Die Feststellung, dass es entweder heißen muss Europa für die Bürger oder Bürger für Europa, ist nur zum Teil richtig. Denken Sie an John F. Kennedys Botschaft an die Menschen. Er sagte, dass Europa nur mit mündigen Bürgern aufgebaut werden kann und dass ein mündiges Europa unseren Bürgern viele Antworten geben kann. Wir brauchen also beides: ein Europa für die Bürger und Bürger für Europa. Meines Erachtens kann dieses Programm einen Beitrag zu solch einer mündigen Gesellschaft leisten(1).
(Beifall)
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, Mittwoch, statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Iles Braghetto (PPE-DE). – (IT) Die Herausbildung einer europäischen Identität, die Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses und der Integration, die Würdigung der Vielfalt durch den Dialog sind grundlegende Ziele, um die Europäische Union zu festigen.
Die Einheit Europas kann nicht von oben verordnet, sondern muss durch das verantwortungsbewusste Handeln jedes Einzelnen geschaffen werden. Hier sind Familien, gesellschaftliche Organisationen, der umfassende Freiwilligensektor und Vereinigungen an der Basis gefragt.
Die Menschen einander näher zu bringen und die Begegnung zwischen den lokalen Gemeinschaften zu fördern, damit sie ihre Erfahrungen, Meinungen und Wertvorstellungen austauschen können: all das ist notwendig, um die Unionsbürgerschaft reifen zu lassen. Bürger Europas zu sein heißt, einer Kultur anzugehören, in deren Zentrum die Mannigfaltigkeit eines verantwortungsbewusst gelebten und schöpferisch geliebten Lebens steht, ein Leben, von dem wir bei allen Begegnungen mutig Zeugnis ablegen.
Lassen Sie uns eine aktive Erinnerung lebendig halten, in der die Schrecken, deren Zeugen wir Europäer waren, als Warnung für eine andere Zukunft dienen. Eine solche Erinnerung wird in meiner Stadt, Padua, und in meiner Region, Venetien, bewirken, dass ein Gedenkmuseum in Villa Venier, in der Gemeinde Vo' Euganeo, eingerichtet wird. Deshalb ist das Programm „Bürger/innen für Europa“ eine ausgezeichnete Idee, die in allen Ländern, Städten und Gemeinden Europas umgesetzt und verbreitet werden muss und unsere nachdrückliche Unterstützung findet.
Die Kommission kann den Änderungsanträgen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 10, 15, 17, 18, 19, 21, 22, 24, 25, 28, 29, 31, 34, 39, 43, 46, 50(2), 51 und 61 zustimmen.
Die Änderungsanträge 12, 14, 16, 20, 27, 30, 32, 37, 41, 42, 44, 48 und 52 können nach redaktioneller Bearbeitung dem Grundsatz nach akzeptiert werden.
Die Kommission behält sich bis zur Einigung über die Finanzielle Vorausschau eine Entscheidung zu den Änderungsanträgen 36, 45, 49 und 50 vor(3).
Die Kommission kann den Änderungsanträgen 8, 9, 11, 13, 23, 26, 33, 35, 38, 40, 47, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62 und 63 nicht zustimmen.
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Christa Prets im Namen des Ausschusses für Kultur und Bildung über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ für die Jahre 2007 bis 2019 (KOM(2005)0209 – C6-0157/2005 – 2005/0102(COD)) (A6-0061/2006).
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ ist vielleicht die populärste europäische Initiative. Seit sie vor 20 Jahren, also 1985, dank Melina Mercouri aus der Taufe gehoben wurde, erfreut sie sich bei den Mitgliedstaaten und der Öffentlichkeit großer Beliebtheit. Das Hauptanliegen besteht nach wie vor darin, den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen herauszustellen und das gegenseitige Kennenlernen der europäischen Bürger zu fördern. Dieses Thema ähnelt in vielem dem vorangegangenen.
Unsere Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass einige Aspekte des laufenden Programms der Zusammenarbeit vor allem in den folgenden vier Bereichen der Verbesserung bedürfen: Wettbewerb zwischen den Städten, die Rolle der Auswahljury, die europäische Dimension der Aktion und der Überprüfungsprozess. Das ist der Grund, weshalb die Kommission im letzten Jahr den Vorschlag angenommen hat, der den Beschluss von 1999 ablösen soll. Wir kommen damit einer von Frau Prets geäußerten Bitte des Parlaments nach, und ich habe damals persönlich versprochen, einen neuen Vorschlag vorzulegen.
Das neue System dürfte die Mitgliedstaaten anregen, auf nationaler Ebene den Wettbewerb zwischen interessierten Städten zu organisieren. Eine gemischte Jury sollte die Bewerbungen im Rahmen des nationalen Wettbewerbs evaluieren. Die gemischte Jury wird aus sieben von den Institutionen zu benennenden Experten sowie sechs Experten, die von dem betreffenden Mitgliedstaat benannt werden, bestehen. Der Mitgliedstaat schlägt dann den europäischen Institutionen eine Stadt vor. Wie schon in der Vergangenheit wird der Rat die endgültige Entscheidung über die Ernennung der Stadt treffen.
Im Vergleich zum geltenden Beschluss legt die Vorschlag zudem vereinfachte und klarere Kriterien fest. Nach der Ernennung der Kulturhauptstädte läuft ein Überprüfungsprozess an, um die Städte bei den abschließenden Vorbereitungen für das Programm zu unterstützen und anzuleiten und um insbesondere sicherzustellen, dass der europäische Mehrwert effektiv zum Ausdruck kommt.
An die europäischen Kulturhauptstädte, die die Kriterien und Ziele dieser Initiative erfüllen, wird eine Auszeichnung vergeben. Gleichzeitig werde ich eine beträchtliche Aufstockung des Gemeinschaftsbeitrags für Städte vorschlagen, die sich im Rahmen des Programms „Kultur 2007“ an diesem Programm beteiligen.
Ich freue mich sehr, dass das Parlament, der Rat und die Kommission eng zusammengearbeitet haben, um sich auf für alle Seiten akzeptable Kompromissänderungsanträge zu einigen. Dieser Bericht folgt dem Ansatz der Kommission und stellt eine deutliche Verbesserung unseres Vorschlags dar. Deshalb meine ich, dass das neue Programm das richtige Maß zwischen lokalen und nationalen Interessen findet und die europäische Dimension verstärkt. Ich bin sicher, dass dies der Transparenz des Auswahlverfahrens und der Breitenwirksamkeit der Aktion zugute kommen wird.
Ich möchte bestätigen, dass die Kommission diesen Bericht begrüßt und sämtliche Kompromissänderungsanträge akzeptiert. Ich gehe folglich davon aus, dass unser abgeänderter Vorschlag in erster Lesung angenommen wird. Ich möchte dem Ausschuss für Kultur und Bildung und insbesondere der Berichterstatterin, Frau Prets, für ihre Effizienz und Mühe recht herzlich danken.
Christa Prets (PSE), Berichterstatterin. – Herr Präsident, Herr Kommissar! Wie Sie schon erwähnt haben, war es notwendig, dass wir einige Neuerungen in einem zwanzig Jahre alten Übereinkommen durchführen. Es gab ja schon einen neuen Beschluss, der 1999 vorgelegt worden war. Dabei hatte man aber vergessen, dass wir einige Jahre später zehn neue Mitgliedstaaten – vielleicht auch noch weitere – haben werden, und so ging es darum, diese neuen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Wir haben somit jetzt ein Partnerschaftssystem.
Der Vorschlag, der uns damals vorgelegt wurde, war nicht zufriedenstellend. Wir hatten 2004 noch einmal einen neuen Vorschlag unterbreitet, aber in der Eile verkürzt, weil wir den Prozess für die Städte 2009 und 2010 nicht blockieren wollten und daher die Mängel in Kauf nahmen. Aber Sie haben Ihr Versprechen eingehalten und uns wirklich ein halbes Jahr später einen neuen Entwurf vorgelegt.
Unser Schwerpunkt liegt darauf, die Rolle der Jury neu zu definieren. Wir hatten die Probleme in der Vergangenheit, und es geht darum, dass wir in Zukunft über eine bessere Jury verfügen. Wir haben sie jetzt in dem neuen Entwurf demokratischer ausgestattet, das heißt in der Auswahljury, bei der Vorauswahl, sind die Mitgliedstaaten und die Kandidatenländer vertreten und können so ihre Beiträge leisten. Es sind nicht nur die von Brüssel, die mitentscheiden. Das ist ganz wichtig.
Im zweiten Teil der Phase gibt es eine Monitoring- und Betreuungsjury, die diesen Prozess kritisch mitverfolgt, aber dabei nicht nur Mängel feststellt, sondern unterstützend wirkt. Das ist ganz wichtig, weil sich die Städte sehr oft bei ihren Vorbereitungen alleine gelassen fühlen und nicht genau wissen, wie sie mit all diesen Regeln umgehen müssen und sollen.
Der Wettbewerb war auch ein ganz wesentlicher Punkt; wir wollten mehr Wettbewerbe. Man sollte innerhalb der Mitgliedstaaten in der Vorbereitungszeit merken, dass es sich um eine neue Kulturaktivität handelt, dass die Bürgerinnen und Bürger und auch die einzelnen Regionen mit eingebunden sind. Ich unterstreiche den Punkt Wettbewerb, möchte aber auch gleichzeitig darauf hinweisen, dass es sicher kleinere Länder gibt, die gar nicht in der Lage sind, große Wettbewerbe durchzuführen. Hier wäre auch eine einzige Kandidatenstadt möglich, die aber alle Herausforderungen und Anforderungen erfüllen muss, um den Anspruch erheben zu können, Kulturhauptstadt zu werden.
Ein wesentliches Kriterium und ein Diskussionspunkt ist die europäische Dimension. Die Städte sind gehalten, einen europäischen Mehrwert zu schaffen, und die Frage ist: Was ist der europäische Mehrwert? Wie stellt er sich in den Städten dar? Wie kann man den Städten genau erklären, welche Aufgabe sie zu erfüllen haben? Hier haben Sie es nun nicht ganz genau definieren können. Ich kann das schon nachvollziehen, weil es sehr schwierig ist. Sie haben uns zugesagt, in einem Internetportal die best practice-Modelle anzubieten. Dieses Internetportal ist ganz wichtig, um Anleitungen zu geben, um einen Leitfaden zu haben, um Nachfragen und Erfahrungen austauschen zu können, was für die Kandidatenstädte von großer Bedeutung ist. Ich würde Sie bitten, dass wir wirklich mit Inkrafttreten dieses Projekts auch die so genannten Leitfäden und das Internetportal haben.
Ein erfreulicher Aspekt ist die finanzielle Ausstattung – nicht von der Höhe her, denn da werden wir noch ein Problem bekommen. Mit der neuen Finanziellen Vorausschau wird sich wahrscheinlich auch der vorgesehene Betrag für die Kulturhauptstädte reduzieren, was uns sehr Leid tut. Wenn ich zum Beispiel die Stadt Linz hernehme, die jetzt ein Investitionsvolumen von 60 Millionen Euro hat und gerade einmal 0,86 % von der EU bekommt, dann frage ich mich schon, warum die Auflagen so hoch sind. Jetzt kann man natürlich sagen, es ist eine Imagesache, es hilft der Region, es hilft der Stadt, man investiert in die Zukunft, auch in die Nachhaltigkeit, was ebenfalls ein wichtiger Punkt ist.
Wenn wir schon bei den Finanzen sind: Erfreulich ist, dass dieser Preis jetzt drei Monate im Voraus ausbezahlt wird. Das hilft den Städten sicher, denn bis jetzt war das große Problem, dass man immer im Nachhinein, wenn alles schon abgeschlossen war, um sein Geld bangen musste. Ich hoffe und wünsche, dass das wirklich so umgesetzt wird und wir dann in eine doch sehr demokratische Zukunft der europäischen Kulturhauptstädte gehen.
Ich hoffe, dass die Nachhaltigkeit, die gute Nachrede und die guten Impulse für die Kunst, für die Kultur Europas, hier in diesen Bericht und dann in den Aktivitäten und in der Umsetzung ihren Niederschlag finden.
Doris Pack, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Eigentlich ist schon alles gesagt, aber ich möchte doch noch etwas hinzufügen, weil es mir ein Herzensanliegen ist, dass diese Kulturhauptstadt wirklich zu dem wird, was sie von uns aus immer hätte sein sollen, nämlich ein Werbeträger für die europäische Kultur. Inzwischen ist aus dieser ehemals gouvernementalen Zusammenarbeit – es handelte sich ja eigentlich um eine Regierungsaktion – eine interinstitutionelle Sache geworden. Das heißt, wir haben eine wunderbare Zusammenarbeit, und es wurde ja auch, wie Christa schon gesagt hat, auf uns gehört.
Seit Jahren bitten wir darum, dass die Jury wirklich etwas zum Auswählen hat, dass sie wirklich etwas bewerten kann, dass die Städte sich anstrengen, einen europäischen Mehrwert zu zeigen und nicht nur das, was sie sowieso schon haben. Gerade diese Aktion ist etwas, was uns eigentlich die Bedeutung der europäischen Kultur vor Augen führt. Die Städte sind der Kulturträger und der Kulturvermittler der Europäischen Union. Sie haben die Chance, in diesem Wettbewerb wirklich sehr vieles zusammenzuführen; regionale Kulturen können grenzüberschreitend zusammenarbeiten.
Ich kann nur unterstützen, dass es wichtig ist, dazu auch einen Wettbewerb zu veranstalten. Ich kann aus Deutschland sagen, der Wettbewerb für die Kulturhauptstadt 2010 war bei uns eine wunderbare Veranstaltung. Da haben sich 10 Städte bemüht, die besten zu sein. Sie haben Initiativen ergriffen, und diese sind nicht irgendwo versandet, sondern sie werden weitergetragen. Sie haben ein Netzwerk mit den ungarischen Städten gebildet, und ich glaube, darauf sollte die Kommission Wert legen. Das Internetportal kann dazu dienen, auch diese Dinge weiterzutragen.
Ich bin froh, dass die Kommission jetzt ihre administrativen Hürden überwindet und wir einen Preis konstruiert haben. Es ist ja eigentlich kein Preis, sondern es handelt sich um das Geld, was dieser Stadt zukommt, damit sie endlich bereits zu Beginn ihrer Arbeit über dieses Geld verfügen kann. Alles in allem haben wir hier eine sehr gute Sache, die auch im Rahmen dessen, was wir in der letzen Debatte in Sachen Bürgerschaft besprochen haben, den Bürgern hilft, Europa als die große kulturelle Vielfalt zu verstehen.
Nikolaos Sifunakis, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte meiner Kollegin, Frau Pack, eine Erklärung zu dem Brief geben. Alle Mitglieder des Parlaments – das sage ich für Sie, Frau Pack – haben Briefe erhalten, in denen wir gebeten wurden, die von unseren Kollegen eingereichten Änderungsanträge zu unterstützen. Das geschah aus dem einfachen Grunde, dass wir nicht alle den Inhalt Hunderter von Änderungsanträgen kennen können. Ich habe, ebenso wie jeder andere, auch solche Briefe erhalten.
Was nun die Bemerkung eines anderen Kollegen angeht, so machen die Vorsitzenden der Ausschüsse, wie alle Parlamentsabgeordneten, von ihrem Recht zur Einreichung von Änderungsanträgen Gebrauch. Und selbst wenn sie der Meinung sind, dass diese möglicherweise im Ausschuss nicht angenommen werden, so haben sie dennoch das Recht – und das verstößt nicht gegen die Geschäftsordnung –, sie im Plenum zu unterbreiten. Ich denke, das ist etwas, was wir alle tun.
Nun möchte ich auf das eigentliche Thema zurückkommen und sagen, dass die Kulturhauptstädte nach wie vor die größte und am besten organisierte politische Institution in Europa sind. Keine andere kulturelle Aktivität in der Europäischen Union hat heutzutage die gleiche Tragweite und vor allem eine ähnliche Ausstrahlung, und keine andere erfährt eine gleichermaßen hohe Beteiligung vonseiten der Bürger.
Zudem fallen einem schwerlich viele andere moderne europäische Initiativen im Kultursektor ein, die zu einer festen Institution geworden sind. Allerdings hat – wie dies auch andere Abgeordnete sagten – die Erfahrung gezeigt, dass bestimmte spezifische Aspekte dieser Initiative nicht weiter ausgebaut werden können.
Die Hauptaufgabe besteht darin, die Auswahlmethode der Kulturhauptstädte zu verbessern. Das ist bereits geschehen, und die Abgeordneten, die in dem früheren Ausschuss unter Vorsitz von Michel Rocard mitgewirkt haben, leisteten hier beträchtliche Arbeit. Mit dem gegenwärtigen Verfahren wird, wie wir gehört haben, in der Tat kein Wettbewerb gewährleistet.
Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass bei diesem Programm häufig die europäische Dimension fehlt; ich habe das bei kulturellen Veranstaltungen, die ich im Rahmen von drei, vier Kulturhauptstädten besucht habe, bestätigt gefunden.
Mit dem neuen Vorschlag, bei dem unsere Berichterstatterin, Frau Prets, hervorragende Arbeit geleistet hat, wird versucht, die unterschiedlichen Ansichten im Parlament und im Rat in Einklang zu bringen.
Abschließend möchte ich ein paar Worte zu der Auszeichnung sagen. Ich finde es großartig, dass diese Auszeichnung, wie von der Kommission vorgeschlagen, zu Ehren von Melina Mercouri vergeben werden soll. Der Vorschlag, dass diese Auszeichnung ihren Namen tragen soll, ist von der Kommission und natürlich von den 25 Vertretern des Rates, die ihn angenommen haben, nicht zufällig unterbreitet worden. Denn Melina Mercouri war die geistige Urheberin, die Künstlerin, die sich während ihrer gesamten Amtszeit als Kulturministerin für die Etablierung dieser Auszeichnung eingesetzt hat. Es war also ihre Idee, und deshalb halte ich es für durchaus angebracht, dass sie künftig ihren Namen trägt. Natürlich wurde im Hinblick auf den ursprünglichen Vorschlag ein Kompromiss eingegangen.
Zum Abschluss möchte ich noch hinzufügen, dass die Kulturhauptstädte eine Initiative darstellen, die von der Europäischen Union voll und ganz unterstützt wird. Neben unabhängigen Auswahlverfahren brauchen die Mitgliedstaaten aber auch zugleich eine Orientierungshilfe, um ihre Vorgehensweise vor allem bei Infrastrukturmaßnahmen, wenn nicht gar bei der Erarbeitung der Programme selbst zu verbessern.
Alfonso Andria, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich begrüße den Vorschlag der Kommission, dessen Ziel es ist, die europäische Dimension zu stärken und die Transparenz des Auswahlverfahrens für die Europäische Kulturhauptstadt zu verbessern.
Der Bericht Prets ist hervorragend aufgebaut, und hierzu beglückwünsche ich die Berichterstatterin. Zwei Vorschläge, die ich sehr überzeugend und interessant finde, sind der, die Auszeichnung, die die Kommission an die ausgewählte Stadt vergeben will, nach Melina Mercouri zu benennen, und zwar aus den soeben von Herrn Sifunakis angeführten Gründen, sowie der Vorschlag, ein Internet-Portal einzurichten, das die nominierten Städte miteinander vernetzt, den Know-how- und den Best-Practice-Austausch fördert und Informationen über die Bewerberstädte bereithält.
Ich persönlich halte es für sehr wichtig, das Programm „Europäische Kulturhauptstadt“ stärker mit dem Tourismus als wichtigem Industriezweig zu verbinden, um das enorme wirtschaftliche gesellschaftliche Potenzial, das ein Ereignis dieser Größenordnung zu aktivieren vermag, in vollem Umfang zu nutzen und auch, um dafür Sorge zu tragen, dass es zum Motor einer dauerhaften Entwicklung der Stadt und ihrer Umgebung wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal den Vorschlag unterbreiten, den ich bereits in diesem Haus während der Aussprache über den Queiró-Bericht gemacht habe: eine Europäische Tourismushauptstadt ins Leben zu rufen. Dieser Vorschlag wird auch durch den Ausbau der städtischen Dimension gestützt. Die neue Agenda 2007-2013 wird nämlich entschieden auf die Rolle der Städte ausgerichtet sein.
Wie Sie feststellen können, sind die Italiener praktisch veranlagt. Wäre Herr Stubb noch hier, der meine Landsleute scherzhaft als unfähig bezeichnet hat, praktische Schlussfolgerungen zu ziehen, würde ich ihm, ebenfalls humorvoll, entgegenhalten, dass er vielleicht durch einige schlechte Beispiele und seine politischen Freundschaften beeinflusst wurde.
Kurz und gut, Herr Präsident, ich hoffe, dass das Parlament morgen den Bericht Prets annehmen wird, denn das ist ein solider, ergiebiger Text, der ein bedeutendes Gemeinschaftsprojekt beleuchtet, das darauf abzielt, Europa den Bürgern durch die Kultur näher zu bringen sowie die Entwicklung und Wiederbelebung der Städte zu fördern.
Helga Trüpel, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Zuerst möchte ich mich bei Christa Prets für ihre engagierte und kompetente Arbeit an diesem Bericht bedanken. Auch wenn jetzt einige Vorredner und Vorrednerinnen schon gesagt haben, welche Probleme es im Einzelfall gegeben hat, möchte ich doch betonen, dass die Geschichte der europäischen Kulturhauptstädte bisher doch im Großen und Ganzen eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. Es haben die einzelnen Städte davon profitiert, die sich als Kulturhauptstadt neu finden mussten, aber es hat auch ganz Europa davon profitiert, weil man durch diese europäischen Kulturhauptstädte immer wieder deutlich machen konnte, wie vielfältig, reich und abwechslungsreich die europäische Kultur ist.
Trotzdem möchte ich mich auf zwei Aspekte konzentrieren, die mir bei der Neufassung dieses Berichts besonders wichtig sind. Einerseits gebietet die Idee der Nachhaltigkeit, dass diese Kulturhauptstadt-Veranstaltung nicht nur Event-Charakter besitzen, sondern wirklich dazu beitragen soll, mehr sozialen Austausch, mehr Förderung von Kunst und Kultur, aber auch neue architektonische Angebote zu ermöglichen. Dazu gehört auch die Frage des Strukturwandels, und welchen Stellenwert Kulturangebote für ganz Europa haben. Andererseits ist das Ziel, einen wirklich europäischen Horizont und Austausch zu haben und den europäischen Mehrwert zu betonen, ein ganz entscheidender Punkt in der Neukonzeptionierung dieses Programms. Denn hier kann noch mehr unternommen werden. Man kann Leute vor allem dadurch begeistern und gewinnen, dass man deutlich macht, was der europäische Austausch wirklich ist, und man sich nicht nur auf das bezieht, was man ohnedies schon hatte, sondern sich mit vielen europäischen Akteuren trifft und zu neuen Angeboten gelangt. Das wird diese Idee der europäischen Kulturhauptstadt in den nächsten Jahren noch attraktiver machen.
Zdzisław Zbigniew Podkański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Aus der Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ wurden viele Erfahrungen gewonnen. Die Feierlichkeiten hatten positive wie negative Konsequenzen.
Positiv schlägt zu Buche, dass bei den kreativen Tätigkeiten, beim Kulturaustausch und der Übernahme von Schirmherrschaften für Kulturveranstaltungen ein Aufschwung zu verzeichnen ist. Die Städte wurden gefördert und die kulturellen Bedürfnisse ihrer Bürger geweckt. Zu den negativen Folgen gehört beispielsweise die Fokussierung von Anstrengungen und Ressourcen auf bestimmte Kulturveranstaltungen zulasten sozialer und kultureller Bewegungen in der betroffenen Stadt und Region. Erwähnen könnte ich auch das Fehlen einer detaillierten Folgenabschätzung des durchgeführten Programms und die Tatsache, dass Mitgliedstaaten und Stadtverwaltungen Kriterien aufgezwungen werden, die für die Bedürfnisse und Traditionen der Städte und Regionen oftmals ungeeignet sind. Ich könnte auch auf den Mangel an Klarheit und Transparenz im Hinblick auf die Finanzierung von Aktivitäten aus europäischen Fonds eingehen.
In der letzten Zeit zeichnet sich eine Tendenz ab, die Rolle der Mitgliedstaaten zu beschneiden und die Auswahl europäischer Kulturhauptstädte einzuschränken. Dies halte ich für eine beunruhigende Entwicklung, und wir wären gut beraten zu überlegen, was wünschenswerter ist: dass die Zusammenarbeit funktioniert oder dass eine Seite der anderen ihrer Willen aufzwingt. Ich persönlich bin für den Dialog und die Schaffung von Voraussetzungen für eine aktive Teilhabe am kulturellen Geschehen, um die Schönheit und Vielfalt der Kultur zu fördern.
Dank gebührt Frau Prets für ihren Bericht und all die damit verbundene Mühe. Ich vertraue darauf, dass wir künftig bestrebt sein werden, positive Erfahrungen zu nutzen. Außerdem hoffe ich, dass wir Elemente streichen werden, die der weiteren Entwicklung nicht dienlich sind, sondern vielmehr die kulturelle Vielfalt einschränken, die maßgeblichen Einfluss auf das Gelingen der Integration und des nationalen Dialogs hat.
Erna Hennicot-Schoepges (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich habe eine Minderheitenansicht gemäß Artikel 48 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben und werde nicht für diesen Vorschlag stimmen. Dennoch möchte ich Frau Prets für ihre Arbeit danken. Lassen Sie mich nun die Gründe für meinen Standpunkt darlegen
Das Vorhaben, jedes Jahr eine Kulturhauptstadt Europas zu bestimmen, hat, als es noch neu war, Begeisterung geweckt, den Willen hervorgebracht, sich von anderen zu unterscheiden, das Bewusstsein zu fördern, dass Kultur ein wertvolles Gut ist. Seit einem Jahrzehnt versuchen die Kommission und das Parlament, dem Vorhaben neue Impulse zu verleihen, doch tun sie das mit denselben Mitteln, die das europäische Projekt insgesamt ersticken. Anstatt die Begeisterung der Anfangszeit gemeinsam mit den Bürgern, die sich mit dem Vorhaben identifizieren müssten, wieder zu beleben, erheben sich die Kommission und das Parlament zum Richter.
Mit meinen Änderungsanträgen hatte ich vorgeschlagen, es den Mitgliedstaaten zu übertragen, die europäische Kulturhauptstadt nach ihren eigenen Kriterien zu bestimmen. Dies hätte sie ermuntert, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Anstatt die Subsidiarität zu stärken, um die europäische Identität zu entwickeln, die auf unserer Verschiedenheit beruht, handeln die Institutionen heute als Auftraggeber: Sie diktieren, wählen aus, beurteilen, ohne jedoch für die Kosten ihrer Entscheidungen aufzukommen, denn der finanzielle Beitrag der Union bleibt gering.
Die Bürokratie erhebt sich wie ein Bollwerk gegen die Initiativen der Basis, und, Herr Kommissar, ich kann nur hoffen, dass die künftigen Jurymitglieder gewissenhafter sein werden als, diejenigen, die das Projekt Luxemburg 2007 beurteilt haben, ohne dass alle anwesend waren, ohne dass sie den Plan zur Ausdehnung auf die Großregion zur Kenntnis genommen und ohne begriffen zu haben, dass der Vorschlag Luxemburgs, Sibiu in Rumänien als Partnerstadt zu wählen, so innovativ sein würde. Kultur beschränkt sich eben nicht auf die Organisation von Events.
Das Projekt der Kulturhauptstadt müsste mehr sein als ein ausgedehntes Feuerwerk von Veranstaltungen, und zur Wahrung der Kontinuität hatte ich vorgeschlagen, in die Konsultationen ein Netz von Kulturhauptstädten einzubeziehen, das mit Unterstützung der Kommission geschaffen werden sollte. Doch statt dessen sind wir jetzt mit der Parodie eines Netzwerkes konfrontiert, das in buntem Durcheinander einige der ordnungsgemäß ernannten Kulturhauptstädte sowie diejenigen umfasst, die sich diesen Titel nur angemaßt haben. Es wäre an der Zeit, die Bezeichnung europäische Kulturhauptstadt schützen zu lassen.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Es versteht sich von selbst, dass ich – bei allem Respekt – ganz anderer Meinung bin als meine Vorrednerin. Ich möchte Frau Prets zu einem gründlich und sorgfältig erarbeiteten Bericht beglückwünschen. Es wird wohl kaum jemand bestreiten, dass sich das Programm Kulturstadt Europas, das später in Kulturhauptstadt Europas umbenannt wurde, bewährt und als sehr sinnvoll erwiesen hat und wir all jenen Anerkennung zollen müssen, die es Mitte der achtziger Jahres ins Leben riefen, und zwar ganz besonders der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri. Sie war eine wirklich talentierte Frau, die andere für ihre Ideen begeistern konnte und in ihrem stürmischen Leben mutig für Demokratie und die Förderung der europäischen Einheit mithilfe der Kultur gekämpft hat.
Programme wie das von uns heute Abend diskutierte tragen dazu bei, die europäischen Bürger einander näher zu bringen und die Bande zwischen ihnen zu festigen. Sie tragen zur Förderung der Verständigung zwischen unseren Menschen bei und stärken das Verständnis und die Achtung für die Vielfalt der kulturellen Geschichte unserer Völker, die uns gleichzeitig eint.
Im Verlaufe der Jahre stellten sich einige Bereiche als problematisch heraus, und dieser Kommissionsvorschlag, den das Parlament schließlich abändern wird, wird zweifellos zur weiteren Verbesserung und Aufwertung des Programms beitragen. Ich hoffe, dass ich durch meinen Beitrag in einer für mich fremden Sprache, nämlich Englisch, zur Einigung in Bezug auf unser europäisches Streben nach einer gemeinsamen Kommunikationssprache beitragen kann.
Auf der Grundlage der Erfahrungen, die in den 20 Jahren der Existenz des Programms gesammelt wurden, und der Veränderungen, die sich aufgrund der jüngsten Erweiterung erforderlich machen, sollte das Programm nunmehr dringend einer Überprüfung unterzogen werden. Zwei der wichtigsten Änderungen, die erforderlich sind, betreffen Verbesserungen beim Auswahlverfahren und die Tatsache, dass nach erfolgter Auswahl sicherzustellen ist, dass ein gut geplantes Programm erfolgreich durchgeführt wird.
Ich möchte auf zwei Neuerungen des Vorschlag hinweisen, die ich für sehr klug halte, und zwar betrifft das die Paar-Regelung und die Auszeichnung. Mir fehlt die Zeit, um näher darauf einzugehen. Ich möchte die Berichterstatterin nochmals zu ihrem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen.
Ljudmila Novak (PPE-DE). – (SL) In einem kulturell und ethnisch vielfältigen Europa kommt es darauf an, dass wir Brücken zwischen den Nationen bauen. Wir müssen und sollten uns weiterhin davon leiten lassen, unsere eigene Kultur zu erhalten und die kulturellen Reichtümer der anderen Nationen kennen zu lernen. Kultur ist das unauffälligste und wirksamste Glied, das Nationen miteinander verbindet, die in Frieden und gegenseitiger Zusammenarbeit leben wollen.
Die Kulturhauptstadt Europas macht eine solche Verbindung möglich. Parallel dazu bietet sie zahlreichen gastgebenden Städten die Möglichkeit zu vermehrten Investitionen in kulturelle Einrichtungen und Projekte, die sich langfristig positiv auf die Wirtschaft auswirken. Dieses Projekt spornt auch die Bürger an, kulturell aktiv zu werden und sich selbst mit der Kultur in all ihren Facetten vertraut zu machen.
Begrüßenswert finde ich auch den Vorschlag, einen Preis an eine Stadt zu vergeben, die die Kriterien einer Kulturhauptstadt Europas erfüllt, denn vorherige Organisatoren beschwerten sich nicht selten wegen mangelnder Mittel, da die Europäische Union diese erst nach der Übermittlung des Berichts zugewiesen hat.
Was wir insgesamt beisteuern, stellt im Vergleich zu den Beträgen, die von den Gemeinden, den betreffenden Mitgliedstaaten oder der Privatwirtschaft in die Kulturhauptstädte Europas investiert werden, nur einen Bruchteil des Beitrags dar. Aus diesem Grund dürfen wir die Mittelbeschaffung nicht durch komplizierte Verwaltungsverfahren erschweren. Stattdessen müssen wir die Arbeit der Organisatoren erleichtern, da sich schon allein dadurch die Beziehungen zwischen den Bürgern und den EU-Institutionen verbessern.
Den Vorschlag für eine gemeinsame Auswahljury zur Ernennung der Hauptstadt halte ich ebenfalls für eine gute Idee, weil darin die internationale Dimension stärker berücksichtigt ist und die Chancen für eine fairere Auswahl besser stehen, denn auf nationaler Ebene ist die Wahrscheinlichkeit einer Vorliebe für eine bestimmte Stadt größer.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Meine polnische Heimatstadt Kraków war neben acht anderen europäischen Städten im Jahr 2000 Kulturhauptstadt Europas. Ich hatte seinerzeit die angenehme Pflicht, als Direktor des Programms „Kulturhauptstadt Europas“ zu arbeiten.
Ich halte das Programm „Kulturhauptstadt Europas“ für das bemerkenswerteste unter den Projekten, in denen die kulturelle Einigkeit unseres Kontinents herausgestellt wird. Zudem geht dieses Programm auf Initiativen der Bürger zurück. Den Anstoß dazu gab nicht irgendein Organ wie die Kommission oder das Parlament. Griechenland und vor allem Frau Mercouri verdienen großes Lob für die Überlegung, nach einer Möglichkeit zu suchen, um zu zeigen, was Europa ist und was die kulturelle Einigkeit unseres Kontinents wirklich bedeutet. Es wäre also nur richtig und konsequent, diese Auszeichnung nach Frau Mercouri zu benennen, die seinerzeit das Amt der griechischen Kulturministerin ausübte, denn das haben Griechenland und Frau Mercouri verdient.
Wie sollte die Rolle der Europäischen Kommission definiert werden? Ich spreche jetzt insbesondere Kommissar Figel’ an. Die Kommission sollte Hilfe und Rat anbieten, auf Fehler hinweisen und Ratschläge zu geeigneten Maßnahmen erteilen. Sie sollte sich nicht in administrative Belange einmischen, wie sie das nur allzu gerne tut. In diesem Fall sollte sie sich zurückhalten, denn die mit 500 000 Euro dotierte Auszeichnung macht gerade einmal 2 bis 5 % des Gesamthaushalts aus, der für die Durchführung des Programms „Kulturhauptstadt Europas“ vorgesehen ist.
Herr Kommissar, es muss ein Weg gefunden werden, um wichtige Informationen zu verbreiten und um Internetseiten und sonstige Publikationen zu unterstützen. Wir müssen aus den Erfolgen und Fehlern früherer Kulturhauptstädte Europas lernen. Sie alle sind Mitglieder in der Vereinigung der Kulturhauptstädte Europas. Herr Figel’, Sie sind für die Finanzierung von 25 Netzwerken zuständig; dazu sollte auch die Vereinigung der Kulturhauptstädte Europas gehören, um zu gewährleisten, dass die Städte, die diese wichtige Rolle in naher Zukunft ausfüllen sollen, diese Leistungen in Anspruch nehmen können.
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. (SK) Meiner Auffassung nach erfreut sich das Programm „Kulturhauptstadt Europas“ auf dem Gebiet der Kultur ebensolcher Beliebtheit wie Erasmus im Bereich der Bildung. Beide Programme sind etwa 20 Jahre alt, und wir könnten, wenn wir es wünschten, viel über die Vergangenheit und Zukunft dieser Programme erzählen. Ich bin überzeugt, nicht nur der Ausschuss, sondern auch das Parlament ist daran interessiert sicherzustellen, dass das Programm „Kulturhauptstadt Europas“ noch besser und noch populärer wird, und ich meine, wir bewegen uns in diese Richtung.
Gestatten Sie mir nur noch eine Ergänzung. Die Tatsache, dass sich zehn deutsche und elf ungarische Städte um den Titel für das Jahr 2010 bewerben, ist Ausdruck von Interesse, Wettbewerbsfähigkeit und Bewegung bzw. Dynamik auf dem Gebiet der Kultur und des kulturellen Erbes, und das ist gut für Europa als Ganzes. Ich darf Ihnen allen meinen Dank aussprechen und sagen, dass wir im Grunde viele der Dinge tun, die Herr Sonik auf dem Gebiet der Information, Beratung und Unterstützung erwähnt hat. Wir würden auch gern den Wert des Preises oder die finanzielle Zuwendung auf 1,5 Millionen Euro anheben. All das hängt jedoch von dem Ergebnis der morgigen Abstimmung sowie von den Diskussionen über die Finanzielle Vorausschau ab. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass diese Veranstaltung, dieser Bestandteil der kulturellen Zusammenarbeit, eine umfassende Unterstützung verdient.
Der Präsident. Die Aussprache geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, Mittwoch, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Bogdan Golik (PSE). – (PL) Ich möchte der Berichterstatterin für einen ausgezeichneten Bericht danken, der eine Aufwertung der Kultur in der Europäischen Union bedeutet. Bei der Arbeit an neuen Konzepten darf auf keinen Fall vergessen werden, dass die neuen Mitgliedstaaten während der Zeit des Kommunismus vielerlei Zwängen im Hinblick auf ihre Kulturen ausgesetzt waren. Hinzu kommt, dass die Vielfalt und Identität dieser Kulturen negiert wurde. Diesen Ländern die Möglichkeit zu geben, sich aktiver an Veranstaltungen im Rahmen des Programms „Kulturhauptstadt Europas“ zu beteiligen, eröffnet die einmalige Chance, die beispiellose Energie zu nutzen, die von den Gesellschaften in den so genannten jungen Demokratien freigesetzt wird.
Ich muss ganz einfach eine außergewöhnliche Bewerberin um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2010 erwähnen, die Stadt Görlitz-Zgorzelec, in der ich zu meiner großen Freude aufwachsen und die Schule besuchen durfte. Es handelt sich um eine äußerst bemerkenswerte Stadt, denn trotz ihrer bewegten Geschichte grausamer Teilungen ist es den Einwohnern von Görlitz-Zgorzelec gelungen, die menschlichen, wirtschaftlichen und vor allem auch die kulturellen Kontakte am Leben zu erhalten.
Die Geschichte hat das Bild dieser Stadt geprägt; durch sie verlief nach dem 2. Weltkrieg die Grenze, doch dank der Aktivitäten der Europäischen Union erhält sie jetzt eine Chance auf eine Wiedergeburt auf der europäischen Landkarte. Sie ist für ihre Rolle als Ort der Versöhnung und Verständigung, als ein Ort, an dem die zwischenstaatliche und kulturelle Zusammenarbeit auf allen Ebenen funktioniert, gerüstet. Die Stadt ist ein beredetes Beispiel dafür, dass gemeinsame Interessen und der Wille zum Dialog Teilungen und Ressentiments überwinden können, auch wenn dies möglicherweise für undenkbar gehalten wurde. Ich empfehle einen solchen Ansatz bei allen Unternehmungen auf europäischer Ebene, nicht nur im kulturellen Bereich.
Zita Gurmai (PSE). – (EN) Die wichtige Rolle und der Auftrag des Projekts Kulturstadt Europas liegen auf der Hand, trägt es doch zur Erhaltung der Vielfalt und des Reichtums des europäischen Kulturerbes bei. Es hilft den Bürgern, sich über die kulturellen Traditionen und Werte ihrer europäischen Nachbarn zu informieren. Transparenz, Klarheit, Kontrolle und bewährte Verfahren stellen Grundanforderungen für sämtliche Auswahlverfahren der Europäischen Gemeinschaft dar, die auch auf die Auswahl europäischer Kulturhauptstädte Anwendung finden sollten. Ich kann die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in das Programm nur unterstützen, womit wir dem von den beiden potenziellen neuen Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebrachten Interesse für eine Teilnahme an dieser Aktion entsprechen und ihnen schon jetzt das Gefühl geben würden, zu Europa zu gehören, was von symbolischer Bedeutung wäre. Fern