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Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 5. April 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

6. Feierliche Sitzung – Malta
Protokoll
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  Der Präsident. Herr Präsident der Republik Malta! Es ist für mich eine große Freude, Sie heute im Europäischen Parlament willkommen zu heißen und Ihnen Gelegenheit zu geben, zu seinen Mitgliedern zu sprechen, die im Verlaufe der letzten Tage ausführlich über Ihr Land diskutiert haben.

Sie sind heute hier als Staatschef, aber wir kennen sehr gut Ihr unermüdliches Engagement für die europäische Integration, als Premierminister Ihres Landes, über viele Jahre – die Jahre der Annäherung Maltas an die Union.

Vor fast drei Jahren unterzeichneten Sie den Beitrittsvertrag, der den Höhepunkt vieler Jahre Arbeit und großer Anstrengungen bildete, dank derer Malta Mitglied der Europäischen Union wurde.

Es ist ein sehr wichtiges Zeichen der Übereinstimmung, die in Malta heute in Bezug auf die europäische Integration besteht, dass Sie, Ihr Land, Ihre „Kamra tad-Deputati“ – das Abgeordnetenhaus Maltas – den Verfassungsvertrag einmütig ratifiziert haben und dass sie es taten, nachdem andere ihn abgelehnt hatten, das ist ein sehr bedeutsamer Hinweis auf den Konsens, der heute in Malta im Hinblick auf die europäische Integration vorhanden ist.

(Beifall)

Damit haben Sie ein klares Zeichen in einer für die Union schwierigen Zeit gegeben und den politischen Spaltungen, die in Ihrem Land die Europadebatte bestimmt haben, ein Ende gesetzt.

Ihre Anwesenheit hier in diesem Plenarsaal erinnert uns an eine sehr wichtige Sache: Europa hat bei seiner Erweiterung den Blick über eine lange Zeit nach Osten gerichtet, und jetzt ruft uns Malta im Süden unser Engagement für das Mittelmeer und die Notwendigkeit, unseren Dialog mit den Mittelmeerländern zu verstärken, ins Gedächtnis.

Ihr Land befindet sich am Kreuzweg des Mittelmeers und ist stets das Zentrum der auf die Südgrenzen Europas gerichteten Politiken gewesen. Die Beziehungen mit den Ländern des Südens sind heute die geopolitische Hauptaufgabe, die vor Europa steht und vor allem vor Ihrem Land, das sich in der ersten Linie dieses Zusammentreffens befindet; der erste Anlaufpunkt für viele Menschen, die nach Europa kommen wollen und oft ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie uns als neues Eldorado betrachten, dessen Lebensstandard wie ein Magnet auf diejenigen wirkt, die in besonders extremer Armut leben.

Wir wissen daher, dass eine große Zahl von Asylsuchenden und Einwanderern zurzeit an den Küsten von Malta landet. Wir haben hier über dieses Problem diskutiert. Wir haben den Bericht einer Delegation des Europäischen Parlaments gehört, die Gelegenheit hatte, die Lager zu besuchen. Sie sind ein Spiegelbild der wichtigsten Herausforderung, die vor Europa steht, bei der es um die Verteidigung und den Schutz der Menschenrechte und die Herstellung besserer Beziehungen zu seinen Nachbarn im Süden geht.

Unter diesen besonderen Umständen, Herr Präsident, ist Ihr Besuch sehr willkommen, und das Parlament hat daher großes Interesse zu hören, was Sie uns zu sagen haben.

Danke, dass Sie hier sind. Sie haben das Wort.

(Beifall)

 
  
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  Edward Fenech-Adami, Präsident der Republik Malta. (MT) Herr Präsident, verehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments, es ist für mich eine Freude und eine Ehre, vor diesem Hause das Wort ergreifen zu können.

Als Vertreter eines der Länder, die der Europäischen Union im Jahre 2004 beigetreten sind, kann ich neueste Erfahrungen dazu beisteuern, was die Erweiterung bedeutet, sowohl im Hinblick auf die Vorbereitung eines Landes auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union als auch unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen, die diese Mitgliedschaft auf einen neuen Mitgliedstaat hat.

Mein Land betrachtet die Mitgliedschaft in der Europäischen Union als die ganz selbstverständliche Rückkehr in unsere Heimstatt Europa. Wir sind stolz darauf, der Völkerfamilie der Europäischen Union mit ihrem gesamten geistigen, kulturellen und humanistischen Erbe anzugehören.

Unser Weg zur Mitgliedschaft war nicht leicht. Wir führten eine lange und schwierige Debatte, die schließlich vor drei Jahren dazu führte, dass sich das maltesische Volk in einem Referendum und dann in den Parlamentswahlen eindeutig und souverän für den Beitritt aussprach. Diese lebendige Debatte gab uns die Möglichkeit, die Vorteile und Gefahren der Mitgliedschaft offen und freimütig zu erörtern und dabei die möglichen Folgen des Beitritts nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter politischen und sozialen Gesichtspunkten abzuwägen. In diesem Sinne war es ein Prozess, durch den wir Europa den Menschen näher brachten, und wir sollten ihn daher fortsetzen.

Die Vorbereitung auf die Mitgliedschaft war für die Länder der jüngsten Erweiterungsrunde mit hohen Belastungen verbunden. Es trifft zu, dass nie zuvor eine Erweiterung solchen Ausmaßes stattgefunden hatte und dass man nie zuvor von Bewerberländern verlangt hatte, im Vorfeld des Beitritts so umfangreiche Reformen durchzuführen. Ich möchte allen neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu gratulieren, dass sie diesen schwierigen Prozess bewältigt haben. Ebenso möchte ich die Europäische Union selbst dazu beglückwünschen, dass sie erfolgreich als treibende Kraft fungierte und diese Länder zu ihren Reformen ermunterte.

Es ist oft von dem Pessimismus die Rede, der Europa nach den beiden Volksbefragungen im letzten Jahr befiel, die ein negatives Votum zum Vertrag über die europäische Verfassung erbrachten. Dagegen wird nicht in vollem Umfang gewürdigt, mit welcher Selbstverständlichkeit es die Europäische Union geschafft hat, die Aufnahme der neuen Staaten zu verkraften.

Das Jahr 2005 war für Europa nicht nur ein „annus horribilis“, wie manche meinten. Es war auch ein erfolgreiches Jahr, denn es machte deutlich, dass Europa in der Lage war, die Herausforderung der größten Erweiterung seiner Geschichte zu meistern. Häufig denken wir gar nicht mehr daran, dass die Erweiterung erst vor knapp zwei Jahren erfolgte.

Dies bedeutet nicht, dass das Leben seit der Erweiterung einfach geworden ist. Im Gegenteil. Der Wirtschaft wie auch der Gesellschaft fällt es schwer, sich auf die Realitäten der Mitgliedschaft einzustellen. Dieser Anpassungsprozess verlangt der Führung schwierige Entscheidungen ab, die häufig unpopulär sind. Im Übrigen muss jeder Staat derartige Entscheidungen treffen – unabhängig davon, ob er der Europäischen Union beitritt oder nicht. Durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union werden die Entscheidungen nur realer und anspruchsvoller sowie unumgänglich.

Völlig falsch ist es, Europa Reformen anzukreiden, die unpopulär sind, aber in Wirklichkeit auf Entscheidungen zurückgehen, die jede verantwortungsbewusste Regierung treffen muss. Es ist ein Fehler, wenn Regierungen Europa für diese schwierigen Entscheidungen verantwortlich machen, später aber alle Lorbeeren einheimsen.

Herr Präsident, ich möchte mich hier auch zu einigen anderen Fragen äußern.

An den Anfang will ich einige Überlegungen zum Vertrag über die Europäische Verfassung stellen.

Wir müssen einräumen, dass bei der Vorstellung des Verfassungsprojekts Mängel aufgetreten sind, auch wenn die Schwierigkeiten eher die Form als den Inhalt betrafen.

Den neuen Mitgliedstaaten erschien das Verfassungsprojekt beispielsweise verfrüht und übereilt. Die zeitliche Gestaltung war ein legitimer Kritikpunkt. Den Ländern, die sich unter Anspannung aller Kräfte auf die Mitgliedschaft vorbereiteten, kam die Aussicht auf eine Änderung der Vertragsbestimmungen so vor, als würde man die Regeln eines Wettlaufs kurz vor der Ziellinie ändern.

Ich weiß, dass der Verfassungsvertrag die Beschlussfassung der künftig aus 27 Staaten bestehenden Union beschleunigen sollte, aber die Bürger einiger Mitgliedstaaten sahen dies offensichtlich anders. Die Union, in der sie groß geworden waren, veränderte sich durch die Erweiterungsrunden von 1995 und vor allem 2004, und angesichts der Globalisierung schien das Verfassungsprojekt eine endlose Kette von Änderungen nach sich zu ziehen.

Aus heutiger Sicht wäre es wohl vernünftiger gewesen, diesem wichtigen Vorhaben mehr Zeit einzuräumen und nicht nur zu warten, bis sich die zehn neuen Mitgliedstaaten eingewöhnt hatten, sondern allen 25 Mitgliedern Gelegenheit zu geben, sich auf die neuen Gegebenheiten der Europäischen Union einzustellen.

Dennoch erhebt sich nach wie vor die Frage, wie wir aus der gegenwärtigen Sackgasse herauskommen wollen.

Natürlich muss die Willensbekundung der Bevölkerung in den beiden Ländern, die den Verfassungsvertrag ablehnten, respektiert werden, aber dies müsste dann auch für die 14 Staaten gelten, die ihn ratifiziert haben. In meinem Land beispielsweise wurde der Verfassungsvertrag einstimmig vom Parlament gebilligt, womit wir unser Bekenntnis zur Mitgliedschaft bekräftigten und alle Meinungsverschiedenheiten hinter uns ließen.

Jetzt gilt es, die Debatte zu führen und die denkbaren Szenarien zu erörtern. Ein Szenario besteht darin, an der Zusage der Staats- und Regierungschefs der Signatarstaaten festzuhalten, sich um eine Lösung innerhalb des Europäischen Rates zu bemühen, wenn vier Fünftel der Mitgliedstaaten den Verfassungsvertrag ratifizieren und einer oder mehrere Mitgliedstaaten dabei auf Schwierigkeiten stoßen. Dabei müsste das Ratifizierungsverfahren weitergehen. Auf diese Weise könnte der vereinbarte Prozess fortgesetzt werden, um dann anschließend über das weitere Vorgehen zu entscheiden.

Ein anderes Szenario sieht unter anderem vor, die ersten beiden Abschnitte des Verfassungsvertrags zur Abfassung einer „Europäischen Charta“ heranzuziehen. Damit wäre es möglich, den Bürgern Europas ein klares und überschaubares Dokument vorzulegen, mit dem sie sich leichter identifizieren können. Beim anderen Teil des Verfassungsvertrags könnte man davon ausgehen, dass er bereits zu einem großen Teil durch die bestehenden Verträge abgedeckt ist.

Denkbar wäre auch ein Szenario, das unter anderem die Stärkung des Protokolls zur Rolle der nationalen Parlamente beinhaltet. Konkret könnte deren beratende Funktion beim europäischen Projekt ausgebaut werden.

Natürlich kommen noch andere Möglichkeiten in Betracht, und die Reflexionsphase dient ja gerade dazu, solche Überlegungen anzustellen. Wir sollten sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Herr Präsident, ich möchte mich nun der Frage der politischen Führung in Europa zuwenden. Vielfach ist von Führungsschwäche die Rede. Diese ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass es an Initiativen mangelt, schon gar nicht an europäischen Initiativen. Allenfalls ist sie die Folge einer mangelnden Kohärenz der Initiativen, denn wir können kaum politische Führungsstärke erwarten, wenn einzelne Initiativen nicht aufeinander abgestimmt sind.

Kann man von Kohärenz sprechen, wenn wir zwar Solidarität einfordern, aber nicht die erforderlichen Mittel bereitstellen? Wenn wir zwar Grenzen abschaffen, aber zugleich Hindernisse aufrichten? Wenn wir zu gemeinsamen Anstrengungen aufrufen, aber dann die Länder bei Schwierigkeiten sich selbst überlassen?

Ich glaube nicht, dass man eine politische Führungsschwäche den einzelnen Institutionen der Gemeinschaft anlasten kann, deren Initiativen und Beharrlichkeit für sich sprechen. Vielmehr sollte man sich mit jedwedem Mangel an Vertrauen in diese Institutionen auseinander setzen.

Die Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen, erwächst nicht aus einer besonderen Begabung. Sie wird einem nicht in die Wiege gelegt, sondern muss erarbeitet werden. Deshalb müssen wir uns fragen, was wir tun können, um das Vertrauen der Menschen in die Europäische Union und ihre Institutionen wiederzuerlangen.

Wir können dies dadurch erreichen, indem wir erneut auf Tuchfühlung zum Bürger gehen. In diesem Zusammenhang möchte ich die Arbeit der Kommission würdigen, die mit Plan D die schwierige Aufgabe übernommen hat, die Kluft zwischen der EU und ihren Bürgern zu überwinden. Als unmittelbar auf europäischer Ebene gewählte Einrichtung ist das Europäische Parlament geradezu prädestiniert, die Arbeit der Kommission zu unterstützen. Um Bürgernähe herzustellen, brauchen wir keine neuen wortreichen Bekundungen. Es geht vielmehr darum, besser zuzuhören, denn ein wirksamer kommunizierendes Europa ist eher in der Lage, den Wünschen der Europäer Ausdruck zu verleihen und in allen für sie wichtigen Bereichen greifbare Ergebnisse zu erzielen.

Um Vertrauen aufzubauen, müssen wir nicht nur die Kommunikation verbessern, sondern auch für größere Effizienz in jenen Bereichen sorgen, in denen die Europäische Union bereits aktiv ist. Wir können auch zur Vertrauensbildung beitragen, indem wir unter Beweis stellen, dass die Europäische Union willens und imstande ist, neue gemeinsame Initiativen in Bereichen einzuleiten, in denen wir vor Herausforderungen stehen, die einzelne Länder allein nicht bewältigen können. Wir müssen jederzeit sicherstellen, dass die Europäische Union ihren Mitgliedstaaten und ihren Bürgern einen immer größeren Nutzen bringt.

Vor allem aber können wir das Vertrauen in die EU dadurch stärken, dass sich die Europäische Union in ihrer Programmatik, bei der Entscheidungsfindung und in ihrem internen und externen Handeln vom Grundsatz der Vernunft leiten lässt. Damit meine ich, dass sie in ihrer politischen Entwicklung, in der Beschlussfassung und in ihren Beziehungen zu anderen Ländern einen Sinn für Ausgewogenheit und Gerechtigkeit erkennen lässt.

Es gibt ausreichende Anhaltspunkte, die mich zuversichtlich stimmen, dass die Union das Vertrauen der Menschen wiedererlangen kann, denn sie ist offensichtlich bereit, dem Gebot der Vernunft zu folgen. Lassen Sie mich dazu einige Beispiele anführen:

Da ich aus Malta komme, verfolge ich natürlich die Bemühungen der Europäischen Union, die Interessen großer und kleiner Staaten miteinander in Einklang zu bringen. Ich bin seit jeher davon überzeugt, dass für die Europäische Union nicht die Größe des Landes zählt, aus dem jemand kommt, sondern die Überzeugungskraft und Klarheit seiner Vorstellungen. Natürlich ist auch die Größe von Belang. Allerdings hat es die Europäische Union auf einzigartige Weise verstanden, ein Führungsmodell zu entwickeln, das die Interesse großer und kleiner Staaten austariert und sie vielfach zu einem gemeinsamen Anliegen zusammenfügt.

Dieser ganz besondere Vorteil, den die Union bietet, sollte gebührende Berücksichtigung finden. Er macht Europa zu dem, was es ist: vielgestaltig und respektvoll im Umgang mit der Unterschiedlichkeit seiner Mitglieder. Vielleicht erklärt sich daraus auch, warum kleinen Staaten das europäische Projekt und insbesondere die Gemeinschaftsmethode so am Herzen liegen.

Die Europäische Union beschert kleinen Ländern mehr Einfluss. Sie stärkt ihre Identität, namentlich ihre sprachliche Identität, und weitet ihren Blick auf das übrige Europa und die ganze Welt.

Das Europäische Parlament sollte ebenfalls weiter für diese Ausgewogenheit eintreten und die speziellen Belange der kleinen Staaten berücksichtigen. Die Europäische Union kann und sollte kein Interessenverband großer Staaten sein.

Die Dienstleistungsrichtlinie ist ebenfalls ein Beispiel dafür, wie die europäischen Institutionen der Vernunft zum Durchbruch verhelfen. Ich möchte die Tätigkeit des Parlaments würdigen, das zu einer so bedeutsamen Initiative einen Kompromiss gefunden hat. Auch die breite Zustimmung des Europäischen Rates stellt Ihrer Arbeit ein glänzendes Zeugnis aus. Da jetzt ein brauchbarer Kompromiss vorliegt, erscheint es angebracht, den Gesetzgebungsprozess zügig abzuschließen, damit die Europäer die Früchte des Binnenmarktes für Dienstleistungen ernten können.

Auch die Initiative für eine gemeinsame Energiepolitik mit dem Ziel, die anspruchsvolle Aufgabe einer sicheren Energieversorgung zu lösen, ist eine sehr positive Entwicklung, die der Kommission Beifall und Unterstützung eintragen sollte. Derartige Initiativen belegen, dass Europa wirklich das Vertrauen seiner Bürger verdient.

Es gibt aber andere Herausforderungen, denen sich Europa nur zögerlich gestellt hat und die einen ständigen wachsenden Handlungsbedarf auf europäischer Ebene mit sich bringen. In diesen Bereichen müssen wir mehr tun, um der Vernunft zum Sieg zu verhelfen, um für Ausgewogenheit zu sorgen und somit das Vertrauen der Bürger in Europa zu erhöhen.

Nach meiner Ansicht sind die Anstrengungen der Europäischen Union zur Gestaltung einer Seeverkehrspolitik von besonderer Bedeutung, denn sie dienen dem Schwerpunktziel, Europa einen strukturellen maritimen Vorteil zu verschaffen. Nicht nur, weil ich aus einer alten Seefahrernation komme, sage ich ganz unumwunden, dass das maritime Erbe Europas auf europäischer Ebene nicht voll zum Tragen kommt. Dazu ist ein ganzheitlicher Ansatz vonnöten. Wir sollten nicht zulassen, dass uns kurzfristige Interessen in bestimmten Bereichen von unserer progressiven Sicht auf die gesamte Seeverkehrsproblematik abhalten. Es muss unser Ziel sein, auf den Weltmeeren die Nummer eins zu werden, nicht aber, uns in einer Nische häuslich einzurichten.

Wir sollten nicht nur innerhalb der Union, sondern auch außerhalb das Vertrauen der Menschen gewinnen und den Nachweis erbringen, dass gerechtes Handeln zu mehr Vertrauen führt. Unsere Partnerschaft Europa-Mittelmeer ist ein deutlicher Beweis dafür. Die Vielschichtigkeit dieser Region, in der wir Seite an Seite mit unseren Nachbarn leben, und der naturgegebene Zusammenhang mit dem Nahost-Friedensprozess erfordern mehr denn je, dass wir der Vernunft Gehör verschaffen. Die jüngsten Zwischenfälle nach der Veröffentlichung bestimmter Karikaturen haben hier leider einen Rückschlag bewirkt. Aber diese Geschehnisse geben uns auch die Möglichkeit, neues Vertrauen aufzubauen.

Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus den unübersehbaren, aber unvermeidlichen Folgen der Globalisierung. Die Antwort darauf kann nicht im Protektionismus bestehen oder darin, das bisher Erreichte ad acta zu legen. Es geht um das richtige Verhältnis zwischen den unvermeidlichen Folgen des Freihandels einerseits und der Bekräftigung der Grundwerte Europas und nicht zuletzt unseres Sozialmodells andererseits. Natürlich ist es nicht leicht, das richtige Verhältnis zu finden. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass sich Europa von anderen Akteuren auf der weltpolitischen Bühne gerade durch sein Gespür für Ausgewogenheit und Vernunft unterscheidet.

Im Alltag noch deutlicher erkennbar ist die Herausforderung der illegalen Zuwanderung. Vor einigen Tagen besuchte eine Delegation Ihres Hauses mein Land, und zwar im Rahmen der aktuellen Bemühungen des Parlaments, sich in Ländern innerhalb und außerhalb Europas ein Bild von der Größenordnung dieser Herausforderung zu machen. Derzeit haben verschiedene Mitgliedstaaten, und nicht zuletzt mein eigenes Land, große Mühe, mit dem anscheinend endlosen Zustrom von Menschen fertig zu werden, die hauptsächlich aus dem subsaharischen Afrika zu uns kommen.

Ihre Delegation konnte sich in Gesprächen mit Zuwanderern und Asylbewerbern selbst davon überzeugen, dass es sich um ein reales und dringliches Problem handelt. Einerseits sieht sich der Mittelmeerraum einer humanitären Katastrophe gegenüber, denn Hunderte von Menschen kommen auf dem Weg nach Europa um, während Tausende zwar ihr Ziel erreichen, aber danach in unsicheren und schwierigen Verhältnissen leben. Zugleich stoßen die Länder, die einen starken Zuwanderungsstrom zu bewältigen haben, an die Grenzen der Belastbarkeit.

Natürlich ist dies kein Problem, das nur Malta oder ein anderes Land allein betrifft. Vielmehr stehen wir alle vor einer Bewährungsprobe, die kollektives Handeln erfordert. Dabei muss ich aber hervorheben, dass das Problem im Falle Maltas besonders akut ist, da wir von allen Mitgliedstaaten die höchste Bevölkerungsdichte aufweisen. Europa bedarf dringend einer Zuwanderungspolitik, die eine praktischere Lösung für dieses Problem in seiner ganzen Vielschichtigkeit ermöglicht, eine Lösung, die auf der für Europa typischen Solidarität mit den an diesem Drama beteiligten Menschen und den Herkunftsländern beruht, aber auch mit den Ländern, die in Europa als erste Zufluchtsstätte für Zuwanderer fungieren und nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um das Problem selbst in den Griff zu bekommen.

Ich möchte mich deshalb beim Europäischen Parlament und den Mitgliedern der nach Malta entsendeten Delegation dafür bedanken, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt haben und dafür sorgten, dass der Ruf unseres Landes nach raschem Handeln Gehör fand.

Wenn wir wollen, dass uns die Bürger mehr Vertrauen schenken, müssen wir unter Beweis stellen, dass wir uns wirksam um die Interessen der Menschen kümmern, und dazu müssen wir die allgemeine Stimmungslage zur Kenntnis nehmen. Die politische Führung sollte dem Volk voranzugehen und ihm nicht hinterherlaufen. Aber sie darf die Dinge nicht überstürzen. Dann lässt sie das Volk zurück und verliert die Bodenhaftung. Auch hier geht es um das richtige Verhältnis.

Es gibt eine Reihe von Grundwerten, durch die sich Europa von anderen Kontinenten und die Europäische Union von anderen regionalen Integrationsprojekten unterscheidet. Europa zeichnet sich bereits durch sein uneingeschränktes Bekenntnis zu den Grundwerten Frieden, Toleranz, Menschenrechte und Solidarität aus. Die Europäische Union erweist sich bei seinen Nachbarn und in der ganzen Welt immer stärker als die Stimme der Vernunft.

Damit Europa die Stimme der Vernunft erheben kann, müssen wir die Grenzen des nationalen Egoismus sprengen und gemeinsam für unser aller Wohl eintreten. Danach müssen wir handeln – untereinander und im Verhältnis zu anderen Staaten. So sieht das Europa aus, das die Bürger von uns erwarten und dem sie vertrauen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank für Ihre Worte, Herr Präsident.

Ich bin sicher, dass Ihre Anwesenheit hier allen Mitgliedern des Parlaments ein besseres Verständnis für die Schwierigkeiten Ihres Landes gegeben hat.

Danke für Ihre lobenden Worte für die Arbeit des Europäischen Parlaments.

Ich hoffe auch, dass der Alarm, den unsere Mitglieder beim Besuch Ihres Landes geschlagen haben, von allen Verantwortlichen gehört wurde und dass Ihre Regierung und auch die Organe der Union alles in ihren Kräften Stehende tun werden, um zu erreichen, dass die Aufnahmepolitik in Europa eine größere Achtung vor den Bürgern anderer Länder zeigt, die versuchen, zu uns zu kommen.

(Beifall)

 
  
  

VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS ROCA
Vizepräsident

 
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