Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von John Bowis im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit über das Grünbuch: Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union (2006/2058(INI) (A6-0249/2006).
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich weiß die aktive Mitwirkung des Parlaments an der Konsultation zum Grünbuch der Kommission zur psychischen Gesundheit sehr zu schätzen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und Herrn Bowis, dem Berichterstatter, für seinen ausgezeichneten Bericht danken.
Es ist fast ein Jahr vergangen, seit die Kommission ihr Grünbuch zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung vorgelegt hat. Das Grünbuch war außerdem eine Reaktion auf die Ministerielle WHO-Konferenz, an der alle Mitgliedstaaten der EU teilgenommen haben. In der von der Konferenz angenommenen Erklärung wird die Kommission aufgefordert, die Umsetzung des Grünbuchs zu unterstützen.
Das Grünbuch weist der psychischen Gesundheit einen zentralen Stellenwert in der öffentlichen Gesundheit insgesamt zu und erklärt sie zu einem Schlüsselelement, das die Lebensqualität in der Europäischen Union bestimmt. Darin wird argumentiert, dass die psychische Gesundheit der europäischen Bevölkerung ein Schlüsselfaktor in der Realisierung der strategischen Ziele der EU, also von Wohlstand, Solidarität und sozialem Zusammenhalt sowie von Gerechtigkeit, ist.
Die europäischen Werte und das europäische Sozialmodell fordern, dass wir jenen, die unter psychischen Störungen leiden, die erforderliche Unterstützung geben und ihre soziale Eingliederung fördern. Das ist möglicherweise eines der wichtigsten Ergebnisse des Konsultationsprozesses sowie des Berichts und der Entschließung, dass nämlich die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und des mit psychischen Erkrankungen verbundenen Stigmas einen Schlüsselfaktor bei unseren Bemühungen in diesem ganzen Bereich darstellt.
Dieses Stigma ist der Grund dafür, dass Menschen mit psychischen Problemen diese nicht eingestehen und keine Hilfe suchen. Das hat nicht nur zur Folge, dass sie nicht behandelt werden, sondern dass es außerdem zu einer Verzerrung der statistischen Daten kommt, was wiederum zur Folge hat, dass diese Angelegenheit von den Mitgliedstaaten und Regierungen nicht immer als Priorität behandelt wird, da die Zahlen bisweilen irreführend niedrig sind. Folglich ist der Umgang mit diesem Stigma und der sozialen Eingliederung nicht nur eine Menschenrechtsfrage und nicht nur eine Verpflichtung, sondern kann auch praktische Auswirkungen darauf haben, wie wir bei Maßnahmen zur Lösung diesbezüglicher Probleme unsere Schwerpunkte setzen.
Das Grünbuch verfolgt drei Ziele. Zum einen ging es um eine breit angelegte Diskussion darüber, ob eine Strategie für psychische Gesundheit auf EU-Ebene erarbeitet werden sollte und worin ihre Prioritäten bestehen sollten. Wir haben eine umfassende Konsultation durchgeführt, und bei uns sind über 150 Wortmeldungen eingegangen. Eine der wichtigsten wird natürlich die Entschließung des Parlaments sein.
Der zur heutigen Aussprache vorgelegte Bericht befasst sich mit der psychischen Gesundheit in ihrer ganzen Komplexität. Ich begrüße die Tatsache, dass er eine Reihe sehr konkreter Vorschläge enthält. Das ist sehr wichtig und wird uns bei der Vorbereitung unserer nächsten Schritte helfen. Ich stimme fast allen in diesem Bericht enthaltenen Punkten zu, und die Kommission wird diese Vorschläge bei ihren Überlegungen über das weitere Vorgehen entsprechend berücksichtigen.
Wir sind jetzt dabei, die Ergebnisse der Konsultation zu analysieren, und seit gestern können sämtliche Wortmeldungen, wenn ich mich nicht irre, auf unserer Webseite zur öffentlichen Gesundheit eingesehen werden. Für den Herbst ist die Veröffentlichung eines Dokuments vorgesehen, das die Ergebnisse der Konsultation zusammenfassen wird. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt feststellen, dass die vorläufigen Ergebnisse der Konsultation auf eine starke Befürwortung der Erarbeitung einer EU-Strategie für psychische Gesundheit hindeuten.
Ich hoffe, dass ich im ersten Quartal des nächsten Jahres ein Weißbuch der Kommission vorlegen kann, das eine Strategie vorsieht und einen Rahmen für die nachhaltige Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, Politikbereiche sowie die entsprechenden Stakeholder vorschlägt. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zur Förderung einer guten psychischen Gesundheit in der Gemeinschaft sowie der sozialen Integration vor allem den Dialog und auf einen Konsens ausgerichtete Maßnahmen brauchen. Vor allem aber muss gehandelt werden. Das ist extrem wichtig.
Die Sensibilisierung und der Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken sind wichtige Schritte, die sich langfristig als wirksamer erweisen können als alle anderen Initiativen.
Ich freue mich auf die Aussprache und möchte dem Parlament nochmals für diese Initiative danken.
John Bowis (PPE-DE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Ich danke dem Kommissar für seine Worte, mit denen er diesen Bericht begrüßt hat.
Liebe Kollegen, 450 Millionen Menschen weltweit leben mit einer psychischen Störung. Jeder Vierte von uns wird in seinem Leben davon betroffen sein. Jährlich begehen 58 000 Menschen in Europa Selbstmord, und die Zahl der Suizidversuche ist zehnmal höher. Durch Selbstmord sterben mehr Menschen einen sinnlosen Tod als durch Verkehrsunfälle oder Aids. Drei von 100 von uns werden an Depressionen leiden. Jeder Dritte von uns, der seinen Hausarzt aufsucht, hat ein psychisches Problem, aber nur bei jedem Sechsten wird dies auch erkannt. Das bedeutet nicht, dass sich zwei Drittel von uns guter psychischer Gesundheit erfreuen. Es bedeutet, dass wir keine Behandlung brauchen, anstreben oder angeboten bekommen. Das kann bedeuten, dass wir mit Arzneimitteln, Therapien, durch Institutionen und Gesetze falsch behandelt werden und diese Behandlung im besten Fall keinen Schaden anrichtet und im schlimmsten Fall zu physischen und psychischen Schäden führen kann. Es bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass wir abgestempelt, herablassend behandelt, verachtet oder gefürchtet und in größerem oder kleinerem Ausmaß ausgeschlossen werden – in der Gesellschaft, in der Familie, am Arbeitsplatz, bei Freizeitbeschäftigungen und sogar bei Gesundheits- und Sozialdiensten.
In Umkehr einer Redensart bedeutet das: Wir können uns verstecken, aber nicht davonlaufen, wir können nichts unternehmen, wir können nicht in dem erwünschten Maß am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, wir können kein normales und erfülltes Leben führen. Das bedeutet auch, dass wir bei der Erarbeitung einer Politik zur Förderung des psychischen Wohlbefindens unserer Bürger von ihren jungen Jahren an über das Erwachsenenalter in Beruf und Freizeit bis hin zum hohen Alter und den Jahren zunehmender Gebrechlichkeit noch ganz am Anfang stehen.
Deshalb begrüße ich, was bisher erreicht wurde, und zwar erstens von mehreren Ratsvorsitzen – zunächst vom finnischen Ratsvorsitz, der jetzt auch den krönenden Schlusspunkt setzen wird – und von der Kommission, die dieses Grünbuch verfasst und in den kommenden Monaten in konkrete politische Maßnahmen umsetzen wird.
Als ich als Kind erstmals mit psychischen Krankheiten in Berührung kam, war das etwas, worüber man nicht sprach. Als ich erstmals mit einer Politik für psychische Gesundheit in Berührung kam, bestand diese im Wesentlichen noch immer aus Wegschließen, Anschnallen, Zwangsjacken, Isolierzellen, Einweisung in eine Anstalt, zwangsweiser Verabreichung von Medikamenten usw. Zumindest schien es so. Dabei ist in den 60er Jahren Bewegung in die Politik im Bereich der psychischen Gesundheit gekommen. Man sorgte für eine menschenwürdigere Umgebung, Behandlungen und Therapien. Auch die Patienten sind in Bewegung geraten; sie werden vielfach in örtlichen Betreuungseinrichtungen oder zu Hause betreut. Darüber war die Öffentlichkeit nicht immer glücklich. Aus „aus den Augen, aus dem Sinn“ wurde „von Sinnen und in meiner Nähe und der meiner Kinder“.
Wenn eine moderne und menschliche Politik im Bereich der psychischen Gesundheit funktionieren soll, dann muss sie über ein Spektrum an Pflegemöglichkeiten verfügen und Zugang zu Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Wohnen, Ausbildung, Verkehr sowie zu weiteren Dienstleistungen ermöglichen und für deren Zusammenwirken sorgen. Sie muss gekennzeichnet sein von Vertrauen zwischen dem medizinischen Fachpersonal, den Patienten und deren Familien, und sie braucht unsere Ressourcen. Für deren Bereitstellung bedarf es eines entsprechenden politischen Bewusstseins, und dies wiederum erfordert einen öffentlichen Konsens und professionelle Unterstützung. Eine Dienstleistung ohne professionelle, öffentliche und politische Unterstützung kommt in doppelter Hinsicht nicht bei den Patienten und ihren Familien an. Eine solche Dienstleistung verfehlt ihr Ziel, eine angemessene Behandlung und Pflege zu gewährleisten, und sorgt für ein sinkendes öffentliches Vertrauen und die Verstärkung von Stigmata.
Die Stigmatisierung ist in allen Ländern weit verbreitet und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar. Zwar ist sie unbeabsichtigt und beruht auf Angst und Ignoranz, aber für die entsprechende Person ist sie ebenso verletzend wie jede andere Form des Missbrauchs. Wir alle tragen zur Stigmatisierung von Menschen bei, die, wenn ihre Behinderung körperlicher Natur wäre, auf unser Mitgefühl und unsere Unterstützung zählen könnten. Doch im Falle von psychischen Krankheiten wenden wir uns oftmals ab und hoffen, dass jemand anders damit klarkommt. Das Leben mit einer psychischen Erkrankung ist auch ohne die zusätzliche Last und den Schmerz der Abweisung und die Stigmatisierung schwer genug. Deshalb müssen wir den Patienten und Dienstleistungsnutzern zuhören. Sie sollten unsere Partner und nicht nur unsere Patienten sein. Wir haben Gesetze gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen erlassen. Vielleicht sollten wir auch entsprechende Gesetze für Menschen mit psychischen Problemen erlassen, und zwar sowohl für stationär als auch für ambulant betreute Patienten.
In meinem Bericht geht es um diese Dinge. Er zeigt einige Veränderungen auf, die notwendig sind. Wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit gestärkt ist, dann wird diese Druck auf die Regierungen ausüben, und diese Regierungen werden dann in ein gutes Leistungsangebot investieren. Wir können das Vertrauen der Öffentlichkeit gewinnen. Neuropsychiatrische Störungen sind für ein Drittel der Behinderungen, für 15 % der stationären Kosten, für ein Viertel der Arzneimittelkosten, für die Hälfte der Kosten für Sozialarbeiter und vieles mehr verantwortlich. Ich möchte sicher sein, dass es für den Fall, dass ich, meine Frau oder ein Mitglied meiner Familie psychische Probleme hat, was ja durchaus wahrscheinlich ist, ein System gibt, in dem der Betroffene umarmt statt abgelehnt wird, in dem er geliebt anstatt vergessen wird. Ich wünsche mir ein System, in dem es nicht passiert, dass der Betroffene keinen kennt und nicht weiß, wo er ist; ein System, in dem niemand von kahlen, kalten, fremden Wänden umgeben ist. Ich möchte, dass die Betroffenen Hoffnung haben und nicht in immer tieferer Verzweiflung versinken. Wenn wir verstehen, dass es jeden von uns treffen kann – und es wird viele von uns treffen –, dann setzen wir uns für eine bessere Versorgung ein.
In meinem Bericht zitiere ich Stefan Heym, der sich 1989 mit folgenden Worten an die auf dem Ostberliner Alexanderplatz versammelten Menschen gewandt hatte:
Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen.
Das mit psychischen Problemen verbundene Stigma ist ebenso repressiv, wie es das ostdeutsche Regime war. Es lähmt unsere Zunge und veranlasst uns, unser Gesicht zu verbergen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Menschen mit psychischen Störungen mit unserer Hilfe ihre Stimme, ihre Würde, ihre Selbstachtung wiederfinden, dass sie wieder den aufrechten Gang erlernen.
(Beifall)
Kathy Sinnott (IND/DEM), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. – (EN) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich habe mich viele Jahre lang mit Problemen beschäftigt, die Menschen mit Behinderungen wie auch jene betreffen, die diese versorgen und betreuen. Im Falle einiger Personen mit bestimmten Behinderungen konnten einige Fortschritte erzielt werden. Leider blieben diese Fortschritte Menschen mit psychischen Krankheiten größtenteils verwehrt.
Dem großen Interesse im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten nach zu urteilen, ist den Abgeordneten bewusst, dass direkt in unserer Mitte Menschen mit psychischen Krankheiten unmenschlich behandelt werden, indem man sie zwangsweise in entsprechende Einrichtungen und Krankenhäuser einweist, sie einer Zwangsmedikation und -behandlung unterzieht, ihnen körperlichen Zwang antut und sie gleichzeitig am Arbeitsplatz diskriminiert, aus der Gemeinschaft ausschließt und ihnen durch öffentliche Dienste Misstrauen entgegengebracht wird.
Zum Glück wurde im Ausschuss deutlich, dass sich das ändern muss, dass Behandlungsansätzen Vorrang eingeräumt werden muss, die eine Linderung und Genesung ermöglichen, dass der Schwerpunkt ferner auf Integration, die Verhütung von psychischen Erkrankungen und die Verbesserung der psychischen Gesundheit gelegt werden sollte. Schließlich muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass jeder Mensch wertvoll ist und Respekt verdient und dass wir deshalb Betroffene, sofern dies irgend möglich ist, selbst entscheiden lassen sollten.
Die wichtigste Frage, die wir uns im Rahmen der Formulierung einer europäischen Strategie für psychische Gesundheit stellen müssen, lautet: Wird dies zur Verbesserung des Lebens von Betroffenen beitragen? Ich möchte Herrn Bowis zu seinem Bericht beglückwünschen. Er enthält zahlreiche gute Elemente wie beispielsweise das Eingeständnis, dass Arzneimittel mehr psychische Erkrankungen verursachen als heilen; die Erkenntnis, dass die Kindheit für die psychische Gesundheit von großer Bedeutung ist, und die Aufforderung an Familien zu entsprechender Unterstützung; die Erkenntnis, dass sich die Erwerbstätigkeit sowohl positiv als auch negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann; und die Notwendigkeit, jene zu konsultieren, die eine psychische Krankheit überwunden haben, um herauszufinden, wie ihnen das gelungen ist. Das ist ein guter Anfang, aber wenn wir mit dieser Strategie wirklich jemandem helfen wollen, dann müssen wir die gesamte Person berücksichtigen, und zu diesem Zweck muss die Strategie auch Aspekte wie Ernährung und Versagen, vor allem Lernversagen, beinhalten. Daher begrüße ich insbesondere die von Frau Breyer vorgelegten Änderungsanträge.
Ferner sollten wir uns auch mit Aspekten befassen, die bisher noch nicht erwähnt wurden, wie Hoffnung und Angst, Kreativität und Ausdruck, Glaube und Spiritualität. Es erstaunt mich, dass wir eine ganze Strategie erstellen können, ohne die Wörter „Gemütsverfassung“ und „Spiritualität“ zu erwähnen. Wir müssen akzeptieren, dass es im Leben von jedem von uns Momente der Krise, der Traurigkeit und der Überlastung gibt und dass wir in solchen Momenten Hilfe und Verständnis brauchen, aber wir brauchen nicht in jedem Falle eine Diagnose und ein Medikament. Wichtig ist, dass wir die Sache richtig anpacken. Das kann, wenn man bedenkt, das es hier bisweilen um Selbstmord geht, eine Frage von Leben und Tod sein.
Marta Vincenzi (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter fand eine leidenschaftliche Debatte über die Strategie für die psychische Gesundheit statt. Es ist schwer, in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Redezeit deren Mannigfaltigkeit zusammenzufassen, doch hebe ich mit Genugtuung das einstimmige Votum hervor, das in seiner Quintessenz drei grundlegende Aspekte enthält.
Erstens: eine starke Zustimmung zur vorgeschlagenen Deinstitutionalisierung der psychiatrischen Versorgung; der Ausschuss betrachtet das Ziel, von der Verwahrung und Segregation wegzukommen, als einen Schritt nach vorn zur würdevollen Behandlung der Menschen, und auch aus diesem Grund ist Europa voll und ganz berechtigt, sich damit zu befassen.
Zweites: die Betonung der Vielfalt unterschiedlichster Ansätze hinsichtlich der Notwendigkeit der Prävention und einer aktiven Einbeziehung der territorialen Dienste und ihrer Nutzer in die umfassende Strategie und insbesondere in den Bereich der Prävention.
Drittens: die Forderung nach Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Dimension, die die augenfälligste Auslassung des Grünbuchs darstellt. Wir bekräftigen die Notwendigkeit, in die vorgeschlagenen Maßnahmen eine systematische Forschung und spezifische Studien über Frauen aufzunehmen, da Probleme wie Essstörungen, neurovegetative Erkrankungen, Schizophrenie, Depression und Selbstmord bisher nicht unter geschlechtsspezifischen Aspekten untersucht wurden, wodurch die Fortschritte bei der Verhütung und Behandlung nicht so bedeutend waren, wie es erforderlich gewesen wäre. Trotzdem werden wir weiter hoffnungsvoll vorankommen.
Françoise Grossetête, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Kommissar! Gestatten Sie mir zunächst, meinem Kollegen John Bowis zu danken, der eine bemerkenswerte Arbeit zu einem besonders wichtigen Thema vorgelegt hat, das uns alle angeht, denn jeder vierte Europäer hat im Laufe seines Lebens mit Problemen der psychischen Gesundheit zu tun, mit allen erheblichen Auswirkungen, die das auch für die Angehörigen mit sich bringt. Ich fürchte, dass dieses Thema in Wahrheit jeden betrifft. Wer wir auch sind, Thema der psychischen Gesundheit geht uns an.
Dennoch haben wir sehr lange die Augen vor diesem Problem verschlossen. Eine angegriffene psychische Gesundheit war sozusagen nur eine schwierige Phase, die vorüberging oder nicht einmal das. Diese Menschen fühlten sich stigmatisiert, da sie ihre Leiden geheim halten mussten. Dieses belastende Schweigen ist heute nicht mehr nötig. Wer wagt, darüber zu sprechen, handelt bereits. Über diese Krankheiten zu sprechen ist für die meisten Betroffenen der erste Schritt zur Heilung. Menschen mit psychischen Leiden zu isolieren und zu diskriminieren ist, als würde man mit einer geladenen Pistole auf ihren Kopf zielen. Ich denke an den jungen Mann mit einer viel versprechenden Zukunft, dessen Leben plötzlich aus den Fugen gerät, wenn sich beim Übergang ins Erwachsenenalter eine Schizophrenie herausstellt. Das ist nicht nur für ihn schlimm, sondern für seine ganze Familie. Die Zahl der Selbstmordversuche sollte uns Anlass sein, darüber nachzudenken, welchen Stellenwert dieses Problem hat. Auch Straftaten sind zum Teil auf den Anstieg bei bestimmten Arten von psychischen Störungen zurückzuführen.
Auch die Alterung unserer Bevölkerung ist ein Aspekt, über den es nachzudenken gilt, denn leider nehmen mit höherem Alter auch die Geisteskrankheiten zu. Dieses Phänomen müssen wir berücksichtigen.
Die Europäische Union kann ihre vorbeugenden Maßnahmen weiter ausbauen, muss jedoch auch die Forschung dabei unterstützen, diesem Phänomen zu begegnen, um die Faktoren besser zu verstehen, die die psychische Gesundheit beeinträchtigen, vor allem in der frühen Kindheit, um den Lebensweg der Patienten besser begleiten zu können, die jeweils am besten geeigneten Medikamente zu entwickeln und Bemühungen zur Ausbildung von Betreuungs- und Pflegepersonal zu unterstützen.
Erwachsene werden nicht so wie Kinder oder Jugendliche betreut. Wir können auch Überlegungen zu den verschiedenen möglichen Ansätzen anstellen, je nachdem, ob es um einen Mann oder eine Frau geht. Vergessen wir auch nicht die maßgebende Rolle des Arztes bei der Beobachtung des Patienten. Mitunter fühlt sich der Arzt allein gelassen und hat über eine Zwangsbehandlung oder Zwangseinweisung zu befinden.
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen erwarte ich von der Kommission, dass sie diesen Ansatz weiter verfolgt und uns zu den Vorschlägen, über die wir morgen abstimmen werden, fundierte Empfehlungen vorlegt. Die psychische Gesundheit muss einen vollwertigen Platz in der europäischen Gesundheitspolitik einnehmen, und psychische Erkrankungen müssen aus einem neuen Blickwinkel, nämlich mit der Achtung und Würde, die jedem Menschen gebühren, betrachtet werden.
Evangelia Tzampazi, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Kommissar! Die Förderung der psychischen Gesundheit ist ein Thema, das nicht nur die an einer psychischen Erkrankung leidenden Patienten und ihre Familien betrifft, sondern im Wesentlichen auch die Gesellschaft, da wir alle einmal mit irgendeiner Form einer psychischen Erkrankung konfrontiert sind, die zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen führen kann.
Die heutige Aussprache über den Bericht von Herrn Bowis, dem ich, wenn Sie gestatten, zu seiner herausragenden Arbeit gratulieren möchte, ist von allerhöchster Bedeutung. Auf diese Weise wird in der Union eine öffentliche Konsultation über die Einführung einer Strategie zur psychischen Gesundheit eingeleitet. Um die individuellen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen psychischer Erkrankungen mildern zu können, unter denen ein Teil der Bevölkerung leidet, ist es erforderlich, Maßnahmen zur Prävention, Früherkennung und Behandlung dieser Erkrankungen zu ergreifen.
Zugleich sollten die betreffenden Maßnahmen darauf gerichtet sein, die Aufklärung zu verbessern und angemessene Positionen und Fähigkeiten zu entwickeln, um die psychische Gesundheit zu schützen und das mit einer psychischen Erkrankung verbundene Stigma zu bekämpfen.
Außerdem möchte ich die Notwendigkeit der kontinuierlichen Fortbildung der Beschäftigten in der Primärversorgung im Hinblick auf Fragen der geistigen Gesundheit betonen, denn dadurch wird die bestmögliche Reaktion auf Erkrankungen dieser Art gewährleistet.
Darüber hinaus halte ich es für erforderlich, individualisierte Methoden zur Förderung der psychischen Gesundheit anzuwenden, wobei die besonderen Bedürfnisse von Zielgruppen, wie Menschen mit Behinderungen, zu berücksichtigen sind. In Anbetracht der Tatsache, dass bessere Heilungsergebnisse zu erzielen sind, wenn Menschen mit psychischen Problemen in der Gesellschaft behandelt werden, während im Gegensatz dazu ein langfristiger Aufenthalt in einer Einrichtung für psychische Erkrankungen ihren Zustand verschlimmern kann, sollten wir ihre Deinstitutionalisierung unterstützen.
Jolanta Dičkutė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Meine Damen und Herren, Albert Camus sagte einmal: „Das Leben verlieren ist keine große Sache; aber zusehen, wie der Sinn des Lebens aufgelöst wird, das ist unerträglich.“ Ohne Sinn kann man nicht leben.
In dieser sich ständig entwickelnden Welt sind immer mehr Menschen von sich selbst und von anderen enttäuscht, sie geraten unter Stress, sehen keinen Sinn im Leben, sind nicht in der Lage, neue Herausforderungen zu bewältigen und auf sie zukommende Probleme zu lösen. Immer öfter suchen wir Rat bei Spezialisten, Psychologen und Psychiatern, die wir vor zehn Jahren noch gemieden haben. Es ist keine Schande zuzugeben, dass man Hilfe benötigt. Leider werden Menschen, die um Hilfe bitten, von der Gesellschaft immer noch stigmatisiert.
Der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention, der 10. Oktober der Welttag der psychischen Gesundheit. Ist es nicht merkwürdig, dass wir die Aufmerksamkeit der Gesellschaft jeden Monat auf so schmerzliche Probleme lenken müssen?
Es ist schwer einzugestehen, dass die Zahl der psychisch Kranken zunimmt in einer Zeit, in der sich die gesundheitliche Betreuung auf diesem Gebiet scheinbar verbessert. Die steigende Zahl der Selbstmorde ist katastrophal. Alle 40 Sekunden begeht jemand auf der Welt Selbstmord, und alle 3 Sekunden versucht jemand, sich das Leben zu nehmen. In meinem Heimatland Litauen verüben in jedem Jahr 1500 Menschen Selbstmord, damit belegen wir in ganz Europa den traurigen ersten Platz, noch vor Russland und anderen Staaten der früheren Sowjetunion.
Wir können diese Situation natürlich nicht ignorieren. Unmittelbar nach der Ministerkonferenz von Helsinki begann Litauen damit, eine eigene nationale Politik zur psychischen Gesundheit zu formulieren, die demnächst vom Parlament verabschiedet werden wird. Außerdem wurde psychische Gesundheit zu einem Schwerpunkt der nationalen Politik erklärt und ist einer von vier Bereichen, die Mittel aus dem Strukturfonds für den Gesundheitssektor erhalten werden. Wir haben erkannt, dass wir bürgernahe Leistungen als Alternative zur Heimunterbringung entwickeln müssen, um damit Menschenrechtsfragen auf moderne Art zu lösen.
Man kann nicht still leiden, allein mit seinem Kummer; deshalb müssen wir unsere Anstrengungen zur Lösung der Probleme der psychischen Gesundheit bündeln. Für mich ist das EU-Grünbuch „Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern“ der erste wichtige Schritt auf der Suche nach einer gemeinsamen Lösung. Es geht nicht nur um Behandlung. Zum ersten Mal sprechen wir von Förderung der psychischen Gesundheit, Krankheitsprävention und Genesung. Wir müssen auch mit unseren Kollegen aus anderen Ländern Informationen und beispielhafte Praktiken austauschen und Netzwerke für den Informationsaustausch aufbauen.
Wir haben endlich begriffen, dass die Lösung dieser Probleme nicht allein die Sache von Spezialisten ist. Die Gesellschaft und jeder Einzelne von uns muss Verantwortung übernehmen. Das Motto des Welttags der Suizidprävention „Mit Verständnis, neue Hoffnung“ steht für die Hoffnung derer, die dem Leiden anderer nicht gleichgültig gegenüberstehen, und für die Hoffnung, dass die Gesellschaft denen helfen wird, die in Not sind.
Hiltrud Breyer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, wir setzen mit diesem Grünbuch endlich ein Signal für die verbesserte psychische Gesundheit in der Europäischen Union. Verstärktes politisches Bewusstsein für das psychische Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger in Europa ist längst überfällig. Ich halte es jedoch für ein schwerwiegendes Versäumnis, dass weder im Bericht des Ausschusses für Umweltfragen noch im Vorschlag der Kommission eine umfassende Ursachenanalyse betrieben wird.
Wir wissen, dass Umweltverschmutzung, falsche Ernährung, Lebensmittelallergien Einfluss auf das körperliche und auf das seelische Wohlbefinden haben. Die Auswirkungen giftiger Chemikalien auf das hormonelle Gleichgewicht sind evident. Störungen des Nervensystems durch Umweltgifte und Pestizide sowie der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom und Lebensmittelunverträglichkeit bedürfen endlich einer dringenden Analyse.
Wir wissen auch, dass beispielsweise hochbegabte Kinder und Jugendliche fälschlicherweise in der Psychiatrie landen, weil sie nicht als Hochbegabte erkannt werden. Auch das ist ein Thema, dem wir uns mehr stellen müssen. Daraus ergibt sich auch meine Sorge bezüglich des Risikos, dass die Pharmaindustrie auf diesen fahrenden Zug aufspringt und als einzige Lösung lediglich Medikamente anpreist.
Wir müssen uns dem Problem stellen, dass statt weiterer Medikalisierung und Pathologisierung von Lebenszyklen ein umfassender Analyse- und Behandlungsansatz notwendig ist. Es kann doch nicht sein, dass bei Kindern, die gesund sind, die lebhaft sind, die früher als völlig gesund angesehen wurden, inzwischen ein Aufmerksamkeitsdefizit- oder Zappelphilipp-Syndrom diagnostiziert und medikamentös behandelt wird, es geht nicht an, dass Jugendliche in den Medien einem hohen Gewaltkonsum ausgesetzt sind und dann als psychisch krank abgestempelt und medikamentös behandelt werden.
Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob es in unserer Konsumgesellschaft eine Garantie dafür geben kann, glücklich zu sein, und ob es denn nicht ein falsches Signal ist, dass jede Verstimmung, jeder Trauerprozess, den wir natürlicherweise durchstehen müssen, gleich mit Antidepressiva behandelt werden muss.
Meine Sorge ist also, dass wir mit diesem Grünbuch, und auch einem Weißbuch, hier möglicherweise die Weichen falsch stellen. Wir müssen Ursachenanalyse betreiben und dürfen nicht nur auf Medikalisierung setzen. Die Forderung des Parlaments, Medikamente als letztes Mittel einzusetzen, wenn Ursachen für psychische Krankheiten ausreichend geklärt sind, muss ganz zentral im Mittelpunkt stehen, und wir dürfen uns nicht bloß zum Handlanger für die Pharmaindustrie und für die weitere Pathologisierung und Medikalisierung von Lebenszyklen und -prozessen machen.
Roberto Musacchio, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Bericht, für den ich Herrn Bowis aufrichtig danke, kann erheblich zu einem besseren Europa beitragen, einem Europa, das die Würde psychisch Kranker achtet, ihnen beisteht, sie bei der Reintegration unterstützt und unannehmbaren Praktiken wie dem Wegsperren in psychiatrische Anstalten ein Ende setzt. Alles in allem wird das ein besseres Europa sein, denn eine Gesellschaft wird vor allem auch danach beurteilt, wie sie in so schwierigen Situationen mit den schwächsten und am stärksten gefährdeten Menschen umgeht.
Vor einem Jahr kam eine Gruppe so genannter „Irrer“ aus Rom zusammen mit ihren Betreuern und Familienangehörigen mit einem Bus hierher nach Straßburg. Sie waren gekommen, um uns über die Erfahrungen in Italien zu berichten: ein Gesetz, das nach einem leider inzwischen verstorbenen Psychiater, Franco Basaglia, benannt worden ist, der mit ihnen, mit den „Irren“, für die Würde der Patienten kämpfte, die psychiatrischen Anstalten schloss und eine alternative, reintegrative Betreuung vor Ort aufbaute, aufgrund deren wir heute in Italien besser dastehen. Diese „verrückten“ Männer und Frauen kamen zu uns mit der Forderung, eine solche Betreuung auch in Europa einzuführen, weil sie sich auf diese Weise mehr als Bürger dieses Europa fühlen würden, in dem sie leider allzu oft diskriminiert und ihrer Rechte beraubt wurden und immer noch werden.
Mit dem uns heute vorliegenden Bericht beginnen wir, dieser Forderung nachzukommen, und wir sagen zu ihnen: „Ihr seid Bürger wie die anderen auch“. Damit das jedoch voll verwirklicht werden kann, muss diese Arbeit, die wir mit Hingabe geleistet haben, sowie die Arbeit, die dank der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Parlament und Kommission im Grünbuch steckt, zu einem wichtigen Ergebnis führen, das den verschiedenen Ländern als Anleitung dienen kann: anders gesagt, zu einer echten Richtlinie für ein Europa ohne psychiatrische Anstalten, die allen psychisch Kranken ihre Würde zurückgibt.
(Beifall)
Urszula Krupa, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Es kommt selten vor, dass in einer Aussprache über psychische Gesundheit Rechte und ethische Normen angesprochen werden. Manche Leute betrachten ein unmoralisches Verhalten gar als Symptom der Moderne. Doch diese Art des Lebensstils führt zu Störungen und behindert die persönliche Entwicklung. Eine Person wird dann über biologische Reize aus der subkortikalen Region des Gehirns gesteuert, die nicht kortikal, also durch die Hirnrinde gesteuert werden, wo die höheren Empfindungen liegen.
Bei diesen Personen werden der Denkprozess und die Intelligenz von Instinkten gesteuert, die höheren moralischen und ästhetischen Empfindungen sind unterentwickelt, und sie sind nicht in der Lage, soziale oder patriotische Bindungen einzugehen. Eine gestörte persönliche und emotionale Entwicklung betrifft demnach nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gruppen und Gemeinschaften. Damit einher geht ein Anstieg psychopathischer Tendenzen in der Gesellschaft, die sie weiter schwächen. Die Folge ist die Zunahme psychischer Störungen und eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit.
Ein weiteres Problem der modernen Medizin bei der Behandlung psychischer Störungen besteht darin, dass eine symptomatische Behandlung nur die Symptome beseitigt, aber keine wirksame Heilung gewährleistet.
Irena Belohorská (NI). – (SK) Das Thema psychische Gesundheit ist kein neues Phänomen, sondern wird in Europa und den Vereinigten Staaten in jüngster Zeit viel diskutiert. Ich würde gern aus Sicht des Arbeitsumfeldes etwas dazu sagen, eines der Faktoren, die zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit beitragen. Die Anstrengungen zur Verbesserung der Wirtschaft und des Wohlstands unserer Regionen haben zu einem Wandel der Arbeitsbedingungen geführt. Telearbeit, intensivere Nutzung von Kommunikationstechnologien, Veränderungen der Arbeitsgewohnheiten, höhere Mobilität – all das hat Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten. Die Arbeitsanforderungen hinsichtlich Flexibilität, Bildung und Fertigkeiten sind gestiegen, mit dem Ergebnis, dass sich Erwerbstätige mittleren Alters und ältere Arbeitnehmer den ständig wandelnden Bedingungen nicht mehr anpassen können. Die ständige Belastung kann zu psychischen Problemen führen.
Neben dem medizinischen Aspekt muss man auch die wirtschaftlichen Folgen einer sich verschlechternden psychischen Gesundheit der Bevölkerung in Betracht ziehen. Stress führt zu höheren Ausfallzeiten, schlechteren Arbeitsleistungen oder nachlassendem Engagement wie auch zu Problemen mit Kollegen am Arbeitsplatz.
Da die öffentliche Gesundheit in den Mitgliedstaaten auf der Tagesordnung steht und die Europäische Union in diesem Bereich begrenzte Befugnisse hat, müssen wir unsere Aufmerksamkeit jenen Ländern zuwenden, die größere Probleme und weniger Mittel zu deren Lösung haben.
Trotz der hohen Zahl von Selbstmorden in Nordeuropa und im Vereinigten Königreich meine ich, wir sollten unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die neuen Mitgliedstaaten richten, von denen fünf zu den Ländern mit den höchsten Selbstmordraten in der EU gehören. Die Länder Mittel- und Osteuropas, darunter auch die Slowakei, haben große Umwälzungen erlebt, ihre Bürger mussten sich an ein sich veränderndes Arbeitsumfeld anpassen, neue Fähigkeiten erlernen und Gewohnheiten annehmen, die denen Westeuropas entsprechen. Sie mussten neue Qualifikationen erwerben und innerhalb sehr kurzer Zeit neue, kompliziertere Verfahren meistern, was vor allem für Beschäftigte mittleren Alters und ältere Arbeitnehmer negative Folgen hatte. Überdies leiden die genannten Länder unter hoher Arbeitslosigkeit, was ebenfalls zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit beiträgt.
Es wurde vorgeschlagen, eine neue Agentur zur Lösung dieses Problems zu gründen. Dem stimme ich nicht zu. Meiner Ansicht nach wäre es weitaus effektiver, die bestehenden Agenturen umzustrukturieren, darunter auch die Agenturen, die sich unmittelbar mit Fragen der psychischen Gesundheit beschäftigen.
Avril Doyle (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte sowohl dem Kommissar für ein ausgezeichnetes Grünbuch als auch Herrn Bowis für seinen Bericht danken, mit dem er einen ohnehin ausgezeichneten Start aus dem Stand heraus noch weiter verbessert hat. Vielen Dank, John. Dein besonderes Interesse und Gespür für dieses Thematik ist für viele von uns inspirierend.
Das Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung fallen in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten, doch laut Artikel 152 EG-Vertrag haben wir in Europa ein Mandat zur Förderung und Vorbeugung sowie zur Informationsverbreitung. Genau das kann diese Aussprache über das Grünbuch bewerkstelligen: nämlich dafür sorgen, dass wir diesen gesamten Bereich aus dem Abseits holen und den Schwerpunkt auf die Hauptprobleme wie Stigmatisierung und Diskriminierung, den Austausch bewährter Praktiken und die epidemiologischen Daten dieses Bereichs legen.
Herr Kommissar, Sie sagten, dass die Zahlen nicht die tatsächliche Belastung psychischer Krankheiten widerspiegeln. Aufgrund des damit verbundenen Stigmas und der Diskriminierung begeben sich viele Betroffene nicht in Behandlung und suchen keine Hilfe. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Ich würde sogar unsere Zahlen ernsthaft in Zweifel ziehen. Ich würde sagen, dass sie – wenn wir großzügig sind – vielleicht die Hälfte der tatsächlichen Belastung widerspiegeln, die diese Krankheit tatsächlich darstellen könnte. Die meisten Arbeitnehmer mit akuter oder chronischer Depression beispielsweise halten diese Tatsache vor ihrem Arbeitgeber aus Angst vor negativen Auswirkungen auf ihre Karriere geheim. Deshalb sind die Sensibilisierung, der Meinungsaustausch und vor allem die Austausch von bewährten Praktiken ein enormer Beitrag, den wir zu diesem äußerst wichtigen Bereich leisten können.
Die Zahlen sind erschreckend. EU-weit leiden 18 Millionen Menschen an schweren Depressionen; jährlich verüben 58 000 unserer Mitbürger Selbstmord – das entspricht etwa der Einwohnerzahl von zwei oder drei ländlichen Kleinstädten, die Jahr für Jahr völlig entvölkert würden. Zehnmal mehr Menschen versuchen, sich das Leben zu nehmen. Jeder vierte von uns ist in seinem Leben wahrscheinlich von psychischen Problemen betroffen, und in jedem Jahr leiden 27 % der Erwachsenen in Europa unter psychischen Problemen. Am weitesten verbreitet sind Depressionen und Angstzustände einschließlich Stress und Essstörungen. Erschreckenden Schätzungen zufolge werden 2020 neuropsychiatrische Störungen, angeführt von Depressionen, die häufigste Krankheitsursache in der entwickelten Welt sein. Ein Großteil wird seine Ursache in der Alterung der Bevölkerung haben, die eine besondere Herausforderung darstellen wird.
Psychische Störungen sind vermeid- und behandelbar. Wir müssen auf ein frühzeitiges Eingreifen hinwirken und dafür sorgen, dass wir, wie mein Kollege Herr Bowis vorgeschlagen hat, gegebenenfalls unsere Diskriminierungsgesetzgebung auf Möglichkeiten zur Einbeziehung der Diskriminierung aufgrund von psychischen Problemen überprüfen. Wir müssen unsere Kompetenzen voll ausschöpfen. Da sich der europäische Verfassungsvertrag bedauerlicherweise nicht so entwickelt, wie einige von uns gehofft hatten, sind unsere Kompetenzen leider recht begrenzt. Das hindert uns jedoch nicht daran, die in bestimmten Bereichen der europäischen Gesetzgebung noch existierenden Lücken zu füllen. Vor allem müssen wir diesen Bereich aus dem Abseits holen und Betroffene integrieren.
Wenn wir dieses Problem ignorieren und die erforderlichen Einrichtungen und Behandlungen nicht zur Verfügung stellen, dann kostet das Europa jährlich drei bis vier Prozent seines BIP.
Ich danke dem Kommissar für seine Arbeit und vor allem meinem Kollegen Herrn Bowis für seinen ausgezeichneten Bericht.
VORSITZ: MARIO MAURO Vizepräsident
Dorette Corbey (PSE). – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr geehrte Damen und Herren! Europa besitzt auf dem Gebiet der Volksgesundheit nur wenige Befugnisse, und daran sollte auch nicht gerüttelt werden, denn die Verantwortung für die Gesundheit obliegt in erster Linie den Mitgliedstaaten.
Europa hat gleichwohl eine nicht unwesentliche ergänzende Rolle zu spielen: gemeinsame Forschungspolitik, bei der die Gesundheit einen herausragenden Platz einnimmt, und ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit, das darauf abzielt, die Qualität der Fürsorge und der Behandlungsmethoden durch Datenaustausch, durch Bündelung von Fachwissen und durch das Lernen der Länder voneinander zu verbessern.
Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit ist dieser Ansatz vielversprechend, und deshalb, Herr Kommissar, begrüße ich das Grünbuch. Auch Herrn Bowis bin ich für sein Engagement und seine Mitwirkung daran zu Dank verpflichtet. Er hat einen exzellenten Bericht verfasst.
Heute Abend wurde bereits mehrfach erwähnt, dass jeder vierte Europäer oder hundert Millionen Europäer in ihrem Leben mindestens einmal von ernsthaften Gesundheitsproblemen betroffen sind. Das ist tragisch und kostet außerdem noch 3 bis 4 % des Bruttoinlandsprodukts.
Psychische Gesundheitsprobleme umfassen eine Vielzahl von Dingen angefangen von Essstörungen bei Mädchen oder jungen Frauen, Alkoholismus und Drogensucht bis hin zu Verhaltensstörungen, Depressionen sowie anderen psychiatrischen Erkrankungen. Es fällt schwer, für diese Erkrankungen erfolgreiche Behandlungsmethoden zu entwickeln. Nehmen wir die Drogensucht. Wie kommt man am besten von der Sucht los? Arzneimittel, Methadon, Gesprächstherapie oder ein Narconon-Programm mit Saunagängen und Vitaminen? Ein seriöser Vergleich des Erfolgs der einzelnen Entziehungsmethoden wäre sinnvoll. Oder nehmen wir Essstörungen und Depressionen: Es gibt zwar Erfolgsgeschichten, aber ebenso viele Fehlschläge.
Es geht darum, dass das Fachwissen zusammengeführt wird, dass Therapeuten voneinander lernen, Patienten oder Suchtkranke Einblick in erfolgreiche Behandlungsmethoden erlangen. In diesem Sinne ist es nützlich, eine europäische Koordinierungs- und Expertengruppe zu schaffen, in die auch Patienten, Suchtkranke und Fürsorgeeinrichtungen einbezogen werden sollten. Machen wir daraus eine Art Helpdesk mit einer Website, wo jeder vierte Europäer mit seiner Familie Hilfe finden kann, wenn sie unter psychischen Gesundheitsproblemen leiden. Dann ist europäische Zusammenarbeit etwas sehr Wertvolles.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident, Herr Kommissar! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter meinen aufrichtigen Glückwunsch zu seiner ausgezeichneten Arbeit aussprechen. Herr Bowis hat alle wichtigen Fragen im Zusammenhang mit einer Strategie für psychische Gesundheit in der EU gründlich und erfolgreich behandelt, und meine Fraktion unterstützt seinen Bericht ohne jede Einschränkung.
Was die vorgelegten Änderungsanträge betrifft, so wird die ALDE-Fraktion die beiden PSE-Änderungsanträge 11 und 12 befürworten, wobei wir allerdings die folgende mündliche Änderung vorschlagen möchten. In beiden Änderungsanträgen sollte „in den“ ersetzt werden durch „in einigen der“, so dass der Text wie folgt lautet: „in einigen der neuen Mitgliedstaaten“. Das ist deshalb notwendig, weil der Inhalt des Änderungsantrags nicht auf alle neuen Mitgliedstaaten zutrifft, und es unangebracht und falsch wäre, dies nicht deutlich zu machen. Ich bin sicher, dass alle Beteiligten dieser kleinen Änderung zustimmen können.
Bezüglich des Hauptinhaltes des Berichts möchte ich lediglich einige Punkte nochmals hervorheben, und zwar erstens die Tatsache, dass psychische Erkrankungen sehr weit verbreitet sind. Schätzungen zufolge werden annähernd 100 Millionen EU-Bürger im Verlaufe ihres Lebens davon betroffen sein. Im Alltag deutet wenig auf diese Häufigkeit hin, weil die meisten Menschen nicht darüber reden. Es ist jetzt an der Zeit, die Scham abzulegen, uns zu dieser Realität zu bekennen und offen, vernünftig und wirksam nach Lösungen zu suchen.
Zweitens haftet psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft noch immer ein Stigma an. Meines Erachtens ist das darauf zurückzuführen, dass wir über die Funktion eines unserer lebenswichtigsten Organe, des Gehirns, viel zu wenig wissen. So wie andere lebenswichtige Organe wie z. B. das Herz und die Lunge kann das Gehirn erkranken, was zu Funktionsstörungen führt. Ein nicht richtig funktionierendes Herz führt zu Herzerkrankungen. Beim Gehirn ist das genau so. Wenn es nicht richtig funktioniert, kommt es zu psychischen Erkrankungen. Der wichtigste Unterschied besteht meines Erachtens darin, dass wir möglicherweise noch nicht in der Lage sind, die exakte anatomische und/oder histologische und/oder biochemische Anomalie festzustellen, die eine spezielle Funktionsstörung des Gehirns auslöst. Ich bin sicher, dass wir künftig dank neuer Erkenntnisse der Neurologie und der Neurowissenschaften dazu in der Lage sein werden. Einer psychischen Krankheit muss man sich also nicht schämen. Diesbezüglich besteht kein Unterschied zwischen einem psychisch kranken Patienten und herzkranken oder sonstigen Patienten.
Abschließend hoffe ich sehr, dass dieser Bericht einen Schlussstrich unter unseren hoffnungslos veralteten Umgang mit psychischen Störungen zieht und ein neues, von Verständnis geprägtes Zeitalter der Behandlung und Vorbeugung von psychischen Erkrankungen einläutet.
Jean Lambert (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Auch ich möchte Herrn Bowis zu seinem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen. Ich möchte ferner feststellen, dass das nicht nur ein geschlechterspezifisches Problem ist. Auch der Gesichtspunkt der Rasse spielt bei der Bewertung von psychischer Gesundheit oder Krankheit eine sehr wichtige Rolle. Zumindest haben wir die Zeiten hinter uns gelassen, in denen bestimmte sexuelle Ausrichtungen als psychische Störung galten. Aber, wie einige meiner Vorredner bereits sagten, liegt noch enorm viel Arbeit vor uns. Wie Herr Bowis feststellte, stehen wir bezüglich dessen, was wir als Förderung des psychischen Wohlbefindens bezeichnen würden, noch ganz am Anfang. Die Weltgesundheitsorganisation definiert psychische Gesundheit als einen Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen.
Das ist von großer Bedeutung für die von uns verfolgte Politik der sozialen Integration, und als Mitglied des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten möchte ich wie einige meiner Vorredner auf die Arbeitswelt eingehen und mich insbesondere auf Ziffer 27 des Berichts konzentrieren. Es geht nicht nur um den Einfluss der psychischen Gesundheit auf die Beschäftigung, sondern den Einfluss der Beschäftigung auf die psychische Gesundheit. Wie bereits festgestellt wurde, ist Stress die potenziell wichtigste Ursache von Fehlzeiten. Die Agentur in Bilbao hat sich eingehend damit beschäftigt. Kürzlich wurde festgestellt, dass im Vereinigten Königreich in einem Jahr fast 13 Millionen Arbeitstage aufgrund von subjektiv wahrgenommenem arbeitsbezogenen Stress, Depressionen oder Angstzuständen verloren gegangen sind. Wäre das das Ergebnis körperlicher Verletzungen am Arbeitsplatz gewesen, hätte es einen Aufschrei der Empörung gegeben.
Viele Unternehmen haben keine Politik der Stressbewältigung. Viele Führungskräfte erkennen nicht, wenn sie selbst unter Stress leiden, und sind nicht in der Lage, ihn bei anderen zu bewältigen. Wir müssen für diesen Bereich Ausbildungsmöglichkeiten schaffen, und wir müssen für ein Klima sorgen, in dem man Stress eingestehen und ihn behandeln lassen kann. Wir müssen für Arbeitsbedingungen sorgen, die das psychische Wohlbefinden begünstigen.
Jiří Maštálka (GUE/NGL). – (CS) Selbstverständlich stimmen wir alle darin überein, dass psychische Gesundheit Voraussetzung für die intellektuelle und emotionale Entfaltung sowie für die Eingliederung der Menschen in die Gesellschaft ist. In den vergangenen Jahren wurde jedoch der psychischen Gesundheit im Vergleich zu anderen Bereichen nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Das Grünbuch der Kommission und insbesondere der exzellente Bericht von Herrn Bowis schließen diese Lücke, indem sehr viele Vorschläge unterbreitet werden, nicht nur für die Kommission, sondern auch für die Ärzte und die Allgemeinheit.
Der uns vorliegende Bericht zeigt die wesentlichen Probleme auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit auf, die in den breiteren Kontext gehören, und bietet Stoff zum Nachdenken über solch heiß diskutierte Fragen wie die Stigmatisierung psychisch Kranker, Methoden zur Behandlung von Patienten und die geschlechtsspezifischen Unterschiede, die bei der psychischen Gesundheit derart vorherrschend sind.
Zunächst möchte ich die Forderung nach Prävention, die sich bei Herrn Bowis und im Grünbuch der Kommission findet, als wirksamste Methode im Kampf gegen die zunehmende Inzidenz psychischer Erkrankungen herausstellen. Dies sollte in unserem proaktiven Ansatz Priorität haben. Gerade der Einfluss von Umwelt, Beschäftigung und Familie sollte in den Fokus unserer Aufmerksamkeit und unserer Aktionspläne rücken, denn dies sind die Gebiete, die die psychische Gesundheit beeinträchtigen und auf denen Prävention helfen kann.
Auch den wichtigen Hinweis auf die geschlechtsspezifische Dimension im Bereich der psychischen Gesundheit, die in dem Grünbuch der Kommission nicht hinreichend thematisiert wurde, begrüße ich außerordentlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Frauen medizinisch behandeln lassen und mehr Arzneimittel nehmen, die sie weniger gut vertragen können, ist höher. Nicht selten sind sie zudem unerwünschtem Druck von ihresgleichen ausgesetzt, der zu einem Nervenzusammenbruch führen kann.
Ein Bereich, der künftig auf jeden Fall Beachtung verdient, und zwar nicht nur seitens der Ärzte und Politiker, sondern auch der Öffentlichkeit, ist die Stigmatisierung psychisch Kranker. Das Gewicht, das diesem Thema in dem Bericht verliehen wird, ist ein Hinweis auf den Ernst der Lage. Ich begrüße sämtliche Bemerkungen und Vorschläge des Berichterstatters. Obgleich ich die Vorschläge für bewährte Praktiken als recht positiv ansehe und glaube, dass sie zu besseren Standards führen – als Arzt unterstütze ich diese Vorschläge uneingeschränkt –, ist die Sache leider die, dass die betreffenden Programme in meinem Land außerordentlich teuer sind und so weit bedauerlicherweise nicht Vorrang haben. Die Möglichkeit gemeinsamer EU-Programme in diesem Bereich könnte helfen, diesem Dilemma zu entrinnen.
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Bowis zu einem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen, der uns hilft zu verstehen, wie wichtig psychische Gesundheit nicht nur im Leben eines Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft ist.
Die Verhütung psychischer Störungen, Psychotherapien für Kinder, Erwachsene und Familien, die Behandlung von Nervenkrankheiten und die Förderung der Mentalhygiene sind um so wichtiger, da wir wissen, dass echte Geisteskrankheiten, wie zum Beispiel Psychosen, behandelt, aber nicht geheilt werden können. Man muss bedenken, dass es auf dem Gebiet der Psychiatrie keine Arzneimittel gibt, die im engen Wortsinn heilen können, und dass die vorhandenen Mittel zufällig entdeckt wurden.
In der westlichen Zivilisation besteht die anhaltende Tendenz, das Vorhandensein jeglicher Schwächen, vor allem mentaler Schwächen, zu unterdrücken und aus unserem Bewusstsein zu verdrängen. Nur somatische Erkrankungen werden toleriert. Aber wenn wir für die Arbeit von Psychologen und die Psychotherapie mehr Mittel bereitstellen würden, könnten wir bei ärztlichen Behandlungen und den Gesundheitsausgaben insgesamt Geld sparen.
Antonios Trakatellis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Der Weltgesundheitsorganisation zufolge ist die psychische Gesundheit notwendig für das Wohlergehen des Einzelnen, der Gesellschaften und Länder und muss dieses Thema weltweit auf einer neuen Grundlage und unter einem neuen Gesichtspunkt behandelt werden, der neue Hoffnungen schafft. Im vorliegenden Bericht folgen wir den Angaben der Weltgesundheitsorganisation und unternehmen erstmals systematische Anstrengungen zur Förderung der psychischen Gesundheit.
Die Familien der erkrankten Personen, die ihren an psychischen Problemen leidenden Angehörigen materielle und moralische Unterstützung zukommen lassen, leiden ebenso wie diese unter den negativen Folgen der Stigmatisierung und Diskriminierung, die mit diesen Erkrankungen einhergehen. Unverzichtbare Komponenten zur Bekämpfung psychischer Erkrankungen sind daher die professionelle Unterstützung dieser Familien, damit sie ihre offensichtlichen Bedürfnisse abdecken können, sowie Aufklärung und eine systematische Bekämpfung der Stigmatisierung.
Ich halte es für ebenso notwendig, die Mechanismen und Ursachen dieser Erkrankungen zu erforschen und die entsprechenden Behandlungen zu verbessern, einschließlich der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der größte Unterschied zwischen diesen Erkrankungen und der überwiegenden Zahl anderer schwerer Erkrankungen, die sogar einen tödlichen Verlauf nehmen können, darin besteht, dass die Gehirnfunktionen gestört werden, wie beispielsweise das Erinnerungsvermögen, die kognitiven Funktionen und das Bewusstsein, Funktionen also, die untrennbar mit der Persönlichkeit des Menschen verbunden sind. Diese Persönlichkeit wird untergraben und kann bei einer Reihe dieser Erkrankungen unwiderruflich zerstört werden.
Wenn also dem Ziel, Erkrankungen des Menschen vorzubeugen und sie zu behandeln, eine hohe Priorität eingeräumt wird, dann muss entsprechend dazu das Ziel in Bezug auf neuro-psychologische Erkrankungen die oberste Priorität darstellen, wenn wir verhindern wollen, dass die Quintessenz der europäischen Gesellschaft untergraben und zerstört wird, zumal diese Gesellschaft sich aus vielen älteren Menschen zusammensetzt, die bekanntlich anfällig für neuro-degenerative Erkrankungen sind.
Abschließend möchte ich sagen, dass wir, wenn wir uns stets vor Augen führen, dass die Prävention, Früherkennung und korrekte Behandlung psychischer Krankheiten deren individuelle, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen erheblich mildern können, mit der Zustimmung zu dem hervorragenden Bericht von Herrn Bowis meines Erachtens einen Kurs einschlagen, der den psychischen Erkrankungen die hohe Priorität einräumt, die ihnen zukommt, und der es ermöglichen wird, diese Geißel der modernen Zeit effektiver zu bekämpfen.
Justas Vincas Paleckis (PSE). – (LT) Herr Präsident! Ich bedanke mich von ganzem Herzen für die so ungewöhnlich aufrichtige und persönliche Präsentation des Berichtsentwurfs. Dieser Bericht und die anschließenden Debatten sind ein wichtiger Schritt des Europäischen Parlaments zur Unterstützung der Entwicklung der neuen Politik der Kommission zur psychischen Gesundheit, was vor allem für die neuen EU-Mitgliedstaaten so wichtig ist. Indikatoren für eine schlechte psychische Gesundheit wie hohe Selbstmordraten und zahlreiche Fälle von Gewalt und Sucht, insbesondere Alkoholmissbrauch, sind in diesen Ländern nichts Außergewöhnliches. Die neuen Mitgliedstaaten haben unzureichende Systeme für den Umgang mit psychischen Erkrankungen übernommen, im Wesentlichen große psychiatrische Einrichtungen, die nur geeignet sind, die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung fortbestehen zu lassen. Gegenwärtig sind selbst diese Einrichtungen unterfinanziert, müssen sich durchschlagen und können ihren ohnehin begrenzten Aufgaben nicht gerecht werden.
Was uns offenkundig fehlt, sind bürgernahe Dienste als Bestandteil der Gesundheitsfürsorge und der sozialen Infrastruktur. Bei psychiatrischen Einrichtungen können wir für gewöhnlich nur von einzelnen Erfolgsfällen berichten, während die Betreuung zu Hause und bürgernahe Dienste viel humanistischer, besser mit den Menschenrechten zu vereinbaren und kosteneffektiver sind. Es gibt bei uns keine Tradition der häuslichen Betreuung, die von der Gesellschaft unterstützt wird; daher weigert sich das alte System, seine Positionen aufzugeben.
Besonders erschreckend ist die zunehmende Zahl der in staatlichen Heimen aufwachsenden Kinder. Sie sind ein weiterer Beweis dafür, dass es an einem alternativen System mangelt, das Eltern stark gefährdeter Gruppen unterstützt, ihre Kinder aufzuziehen und zu erziehen.
Einige neue Mitgliedstaaten haben bereits erste Schritte zur Umsetzung von Vorschriften unternommen, die den Prinzipien der EU entsprechen. Litauen hat ein Konzept zur psychischen Gesundheit entworfen, das dem Parlament in diesem Jahr zur Annahme vorgelegt werden wird. Ferner hat Litauen das Projekt „Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in einer erweiterten Europäischen Union: Entwicklung wirksamer Maßnahmen und Praktiken“ ins Leben gerufen. Dieses Projekt wurde von der Kommission unterstützt und hat 18 Teilnehmerländer und 34 assoziierte Partner zusammengeführt.
Marian Harkin (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, zu diesem hoch aktuellen und wohl durchdachten Bericht das Wort zu ergreifen, und ich möchte den Berichterstatter beglückwünschen.
Erstens bin ich ebenfalls der Meinung, dass der zusätzliche Nutzen einer Gemeinschaftsstrategie zur psychischen Gesundheit vor allem im Bereich der Prävention und Sensibilisierung liegt und dass bei allen Vorschlägen der Kommission Partnerschaften und Konsultationen mit allen Betroffenen einbezogen werden sollten.
Ein wesentliches Element einer solchen Strategie ist die Beseitigung des mit psychischen Krankheiten verbundenen Stigmas, und dazu bedarf es eines vielschichtigen Ansatzes, der Information, Bildung, gesetzliche Diskriminierungsverbote, gemeindenahe Ansätze und eine verantwortungsbewusste Berichterstattung der Medien umfasst.
Der im Bericht enthaltene Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten sollten, um wirksame Strategien zur Verringerung der Selbstmordrate umzusetzen, hat meine uneingeschränkte Unterstützung, denn das ist nicht nur eine nationale oder europäische Frage, sondern eine weltweite.
In Irland ist Selbstmord in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen die Haupttodesursache. Leider ist das in dieser Altersgruppe die höchste Rate in der EU. Ein Selbstmord hat verheerende Auswirkungen auf die betroffenen Familien und Gemeinden. Eine Studie mit dem Titel „Men on the Border“, die unlängst in meiner Heimatregion North Leitrim und West Cavan durchgeführt wurde, zeichnet ein deprimierendes Bild von der Lebenswirklichkeit vieler alleinstehender älterer Männer, wobei 56 % der Teilnehmer angaben, dass sie jemanden kannten, der sich das Leben genommen hat. Da ich immer gerne einen Zusammenhang zwischen unserer Tätigkeit hier und dem, was in unseren Wahlkreisen passiert, herstelle, freue ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass diese Erhebung von der EU teilfinanziert wurde, und ich hoffe, dass ihre Empfehlungen einen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten werden.
Obwohl die Ausgaben für den Bereich der psychischen Gesundheit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, sollten wir meines Erachtens auf die beträchtlichen Unterschiede der in den einzelnen Mitgliedstaaten für diesen Bereich bereitgestellten Budgets aufmerksam machen, und es erfüllt mich nicht mit Stolz zu berichten, dass die in Irland vorgesehenen Mittel unzureichend sind. Ich teile die Ansicht des Berichterstatters, dass öffentlicher Druck ausgeübt werden muss, um sicherzustellen, dass Mittel in angemessener Höhe für die Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention psychischer Krankheiten bereitgestellt werden.
Jean-Claude Martinez (NI). – (FR) Herr Präsident! Über die europäische Wirtschaft und die europäischen Gesellschaften fegt ein Tsunami, eine ungeheure Welle, die man als psychische Erkrankungen bezeichnet, die ich aber lieber neurologische Erkrankungen nenne, um eine Stigmatisierung zu vermeiden. Die Zahl der Erkrankten steigt unaufhörlich, denn diese Welle ist zum einen durch die demografische Alterung bedingt – was plausibel ist –, zum anderen aber durch die heilige Kuh des wirtschaftlichen Ultraliberalismus, der selbst eine Art Neurose darstellt. Zweifellos wird die Europäische Kommission dazu etwas sagen, wie es auch der Berichterstatter in Absatz 24 getan hat, wo er die Isolation in den ländlichen Gebieten, die Arbeitsbedingungen, die Verunsicherung und die Arbeitslosigkeit anspricht. Aber wodurch kommt denn Isolation in ländlichen Gebieten zustande, wenn nicht durch die Zerstörung der GAP, und zwar im Namen des freien Handels? Was hat denn Arbeitslosigkeit hervorgerufen, wenn nicht die Entscheidung für die Freihandelspolitik? Wodurch wird denn Stress in der Arbeitswelt erzeugt, wenn nicht durch das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken?
Um diese neurologischen Erkrankungen zu heilen, bräuchte man, wie John Bowis fordert, Kliniken, spezialisierte Dienste und Personal, persönliche Betreuung, also Investitionen, was jedoch durch den Pakt für Haushaltseinsparungen unterbunden wird, natürlich wiederum im Namen des Wettbewerbs und des Freihandels.
Und hier fangen wir an, uns im Kreise zu drehen, denn die Krankheit wird durch eine falsche Philosophie über den wirtschaftlichen Wettbewerb ausgelöst, und um sie zu behandeln, bräuchte man Investitionen, die aber durch eben diese Philosophie verhindert werden. Vielleicht wird im Sinne einer Lösung eine Einrichtung zur Hirnforschung erwogen, vielleicht besteht diese Lösung aber vor allem in der Heilung unserer Führungskräfte. Dazu habe ich nur eines zu sagen: Von Don Quijote de la Mancha sagte man, er habe so viele Bücher über das Rittertum gelesen, dass sein Gehirn verdorrt sei. Unsere Führungskräfte haben wohl so viel Adam Smith und David Ricardo gelesen, dass sie davon meschugge geworden sind.
Christa Klaß (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser größtes Gut, das ist unumstritten unsere Gesundheit, und zwar die körperliche, aber auch die geistige Gesundheit.
Im Fokus der gesundheitspolitischen Überlegungen stand und steht allzu oft nur die körperliche Gesundheit. Diese ist greifbar, oft auch sichtbar, und oft auch besser zu behandeln. Außerdem ist allein schon der Erhalt körperlicher Gesundheit sehr kostenintensiv, und oft schon sind alle sich bietenden Möglichkeiten heute leider nicht mehr bezahlbar. Unser Gesundheitsnetz, von der Vorsorge bis zur Nachsorge, sprengt die öffentlichen Kassen.
Es ist nicht die Intention dieses Berichts, zu dem ich John Bowis beglückwünsche, dass die Europäische Union aktiv im Gesundheitsbereich tätig wird. Das ist Sache der Mitgliedstaaten und soll es auch bleiben. Aber wir unterstützen es, dass die Kommission mit ihrem Grünbuch eine Diskussion über die Bedeutung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union, eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Strategie und die etwaigen Prioritäten anstößt. Wir wissen heute, dass eine gute psychische Gesundheit eine Vorbedingung auch für gutes wirtschaftliches Leistungsvermögen ist.
Wir müssen uns aber Fragen stellen und darauf Antworten suchen. Die Frage allein: Wer ist alles psychisch krank? Warum suchen 13% der Europäer professionelle Hilfe in diesem Bereich? Warum begehen so viele Menschen in der Europäischen Union Selbstmord? Die Zahlen sind genannt worden; in der Anhörung war die Rede von jährlich 58 000. Warum ist die Gesellschaft so krank? Wo liegen die Ursachen? Stellt unsere Gesellschaft vielleicht generell zu hohe Anforderungen? Und dann die große Frage: Wo bleiben dabei die benachteiligten Menschen?
Die Diskussion muss geführt werden, um Bewusstsein zu schaffen. Eines ist sicher: Wir müssen auch gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen, um vorbeugend diesen Krankheiten entgegenzutreten. Gegen Härte und Konkurrenzkampf im beruflichen Leben anzugehen, ist schwer, das wissen wir. Es ist jedoch vieles besser zu ertragen, wenn der Mensch auch einen Ruhepol und eine Rückzugsmöglichkeit hat. Da sehe ich vor allem auch die Familie, die die Möglichkeit bietet, auszuruhen und aufzutanken. Aber Familien brauchen Hilfe und Unterstützung, um all die wichtigen Aufgaben, die sie für die Gesellschaft leisten sollen, auch erbringen zu können.
Eines ist sicher: Menschlichkeit kann man nicht per Gesetz verordnen, aber man kann und muss die Möglichkeit schaffen, damit Menschlichkeit und Gesundheit an Leib und Seele wachsen kann. Deshalb lassen Sie uns unsere Familien unterstützen, und wenn das eine Intention des Berichts ist, dann haben wir viel Gutes angedacht.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Seit vielen Jahren herrscht beim Thema psychische Gesundheit Befangenheit, und es steht immer noch im Schatten anderer Krankheiten, die in unserer Gesellschaft vorkommen. Dieses Phänomen hat heute jedoch eine so große Bedeutung, dass wir die mit psychischen Störungen verbundenen Gefahren nicht länger ignorieren dürfen.
Wir können das Thema Gesundheit in der Europäischen Union nicht diskutieren, ohne diese Gefahren zu berücksichtigen. Jedes Jahr begehen im Durchschnitt 58 000 Menschen Selbstmord. Diese Zahl ist höher als die der Opfer von Verkehrsunfällen oder AIDS. Depressionen sind derzeit das Problem, das die Gesellschaft am stärksten bedroht. Von diesem Problem sind immer mehr Menschen betroffen, vor allem Jugendliche und zunehmend auch ethnische Minderheiten.
Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass eine schlechte psychische Gesundheit die Bürger der Europäischen Union etwa 3 bis 4 % des BIP kostet, hauptsächlich als Folge sinkender Produktivität und des vorzeitigen Ruhestands.
Daher muss unverzüglich eine Richtlinie zur psychischen Gesundheit und dem Schutz der bürgerlichen Rechte und der Grundrechte von Personen, die unter psychischen Störungen leiden, ausgearbeitet und verabschiedet werden. Mit der Umsetzung der Grundsätze dieser Richtlinie wird ein praktischer Rahmen für die Durchführung des Gemeinschaftsprogramms geschaffen. Getreu dem Motto „Vorbeugen ist besser als heilen“ sollte die Gesundheitsvorsorge, abgestellt auf unterschiedliche Altersgruppen, eine wichtige Rolle in der Strategie für psychische Gesundheit spielen. Mit dem Pilotprogramm des Europäischen Verbandes zur Bekämpfung von Depressionen ist es bereits gelungen, die Anzahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche junger Menschen um 25 % zu senken. Deshalb müssen wir ernsthaft über dieses Thema nachdenken und geeignete Maßnahmen ergreifen, um eine Abhängigkeit von modernen Technologien zu vermeiden.
Heutzutage sind wir stolz darauf, Zugang zu allen Arten von Technologie zu haben, dass alles möglich ist, und uns Tausende von technischen Spielereien zur Verfügung stehen. Aber zu welchem Preis? Zu dem Preis, dass vor allem Jugendliche süchtig nach ihren Bildschirmen sind und sich durch nichts davon abbringen lassen. Das ist die Herausforderung unserer Zeit, und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Durch eine einheitliche, koordinierte Politik der Europäischen Union im Bereich psychische Gesundheit können wir die geeigneten Bedingungen für eine harmonische Entwicklung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung schaffen. Sie wird Menschen helfen, schwierige Situationen, Konflikte oder Stress zu bewältigen und bessere zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen.
Richard Seeber (PPE-DE). – Herr Präsident! Herr Kommissar, heute Nachmittag haben wir über das rauchfreie Europa diskutiert. Im Bereich „psychische Gesundheit“ sind die Aktionen der Kommission und ganz Europas jedoch noch viel notwendiger. In diesem Zusammenhang Dank an Sie, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben, und auch Dank an unseren Berichterstatter, John Bowis, der dieses Thema behandelt und einen ausgezeichneten Bericht abgeliefert hat.
Ein Hauptproblem der psychischen Gesundheit ist wohl diese Tabuisierung, die wir in allen Gesellschaften vorfinden, und wir sollten uns fragen, warum das so ist. Man kann vielerlei Gründe ausmachen, ich greife nur einige heraus. Erstens: Es ist wohl die Angst eines jeden von uns, dass er selbst einmal in eine solche Situation kommen könnte – denken wir insbesondere an das Alter, das uns bevorsteht.
Zweitens: Geist und Seele sind etwas zutiefst Menschliches, und wir sind hier in einem Bereich, der das grundsätzlich Menschliche ausmacht.
Drittens: Wir sind auch am Ende unserer so geliebten mechanistischen Deutungsweisen unserer Umwelt, weil wir hier in einem Bereich sind, wo diese nicht funktionieren. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, bei dem nicht nur der Einzelne sehr stark leidet, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes.
Ich habe ein paar Zahlen herausgesucht, die sehr alarmierend sind. Nach einer Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse stieg die Zahl der seelischen Erkrankungen am Arbeitsplatz zwischen 1997 und 2004 um 70 %. Gegen den Trend der rückläufigen Krankenstände schnellte im gleichen Zeitraum die Zahl der psychisch bedingten Fehlzeiten um mehr als zwei Drittel in die Höhe. 10 % aller Ausfallstage in der europäischen Wirtschaft gehen mittlerweile auf das Konto seelischer Belastung.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibt: Waren die drei größten Leiden der Menschheit 1990 noch Lungenentzündung, Durchfallerkrankungen und Kindstod, wird die Reihenfolge im Jahr 2020 so lauten: Herzinfarkt, Depression, Angststörung und Verkehrsunfälle. Wenn wir uns die Produktivitätseinbußen ansehen, so bewegen wir uns im Milliardenbereich. Für die EU-15 – die alten Mitgliedstaaten – gibt es Studien, wonach die Ausfälle 265 Milliarden Euro – das sind also rund 3-4 % des Bruttoinlandsproduktes der Gemeinschaft – betragen haben.
Daher ist es sehr berechtigt, dass sich Europa als Gesamtes fragt: Was können wir gemeinsam tun? Wir müssen natürlich bedenken, dass die Mitgliedstaaten hier sehr argwöhnisch auf ihre Kompetenzen bedacht sind; trotzdem glaube ich, dass der europäische Mehrwert durch Aktionen äußerst wichtig ist. John Bowis hat das in seinem Bericht sehr gut aufgelistet. Denken wir an Best-Practice-Modelle, denken wir an erweitertes Zahlenmaterial und an erweiterte Forschung und Entwicklung! Denken wir vor allem zielgruppenorientiert, damit wir hier zu einer Lösung kommen, damit der europäische Motor weiterläuft und der Stecker drinnen bleibt!
Frieda Brepoels (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich kann nicht umhin, zunächst ein Wort des Dankes für das Grünbuch an den Kommissar und mehr noch an Herrn Bowis für die wichtige Arbeit zu richten, die er geleistet hat.
Der Bericht hat sich ja als recht ausgewogen erwiesen. Schließlich wurde er nicht umsonst im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit fast ohne Gegenstimmen angenommen, deshalb hoffen wir, dass dieser Bericht morgen von einer überwältigenden Mehrheit in diesem Parlament getragen wird und den nötigen Druck auf die Kommission ausübt, damit sie in Einklang mit ihren Befugnissen die notwendigen Initiativen auf den Weg bringen kann, denn auf dem Gebiet der psychischen Gesundheitsfürsorge in der Europäischen Union gibt es ganz eindeutig noch eine Menge zu verbessern.
Die Patienten haben nach wie vor kein Mitspracherecht. Noch immer mangelt es an der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fürsorgeinstitutionen, und der Sektor hat wegen fehlender finanzieller Mittel ernsthaft zu kämpfen. Der zusätzliche Nutzen einer Politik auf Gemeinschaftsebene, die wir anstreben müssen, liegt hauptsächlich in der Förderung des Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Wir müssen vor allem imstande sein, den Zusammenhang zwischen den diversen und unterschiedlichen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten, sowohl national als auch regional, zu verbessern.
Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Grünbuch der Kommission hat nicht nur hier im Parlament eine Debatte entfacht, auch die einzelstaatlichen und regionalen Regierungen wurden für die Bereitstellung von mehr Mitteln sensibilisiert. Als in meinem Land, in Flandern, die nationale Gesundheitserhebung zutage förderte, dass jeder fünfte Flame unter psychischen Problemen leidet, und jeder Achte sogar unter ernsthaften Problemen, beschloss der flämische Minister für soziale Angelegenheiten unverzüglich, die Zentren für psychische Gesundheit erheblich zu stärken, vornehmlich jene der Zielgruppen, die am schlimmsten leiden, nämlich Kinder und Jugendliche.
Auch die Patientenorganisationen sind dem Beispiel gefolgt. So forderten Vertreter von ADHS Europa beispielsweise besondere Aufmerksamkeit für die Lebenssituation von ADHS-Patienten, da das Gründbuch diese Entwicklungsstörung bei Kindern nicht einmal erwähnte, die unbehandelt derart großen Schaden und Leid verursachen kann, nicht nur für den Patienten selbst, sondern auch in Form von Kosten für das Gesundheitssystem, das Bildungssystem und das Wirtschaftssystem.
Deshalb bin ich über die Bereitschaft unseres Berichterstatters überaus erfreut, in dieser Hinsicht einige wichtige Ergänzungen zu verabschieden. Mein Dank gebührt auch den Kolleginnen und Kollegen für ihre Unterstützung. Nunmehr hoffe ich, die Kommission wird auf der Grundlage des Vorstehenden in der Lage sein, noch in diesem Jahr einen Vorschlag für eine Strategie betreffend die psychische Gesundheit in der Europäischen Union vorzulegen. Ich wünsche dem Kommissar dazu viel Erfolg.
Péter Olajos (PPE-DE). – (HU) Zunächst möchte auch ich Herrn Bowis dafür danken, dass wir die Gelegenheit haben, über dieses sehr wichtige Thema zu sprechen. Jeder hat Angst vor Krankheit, und am meisten gefürchtet sind Krankheiten, die die psychische Gesundheit bedrohen.
Lange Zeit standen die medizinische Wissenschaft und die Gesellschaft diesen Problemen gleichermaßen hilflos gegenüber und reagierten damit, dass sie das Thema unter den Teppich kehrten oder die Opfer isolierten. Zum Glück wissen wir heute, dass es sich bei Kindern mit Lernschwierigkeiten nicht um unfolgsame Kinder handelt; dass man von jemandem, der an einer Depression erkrankt ist, nicht einfach verlangen kann, er solle sich zusammenreißen; und dass bei entsprechender Betreuung auch geistig Behinderte eine beachtliche Entwicklung nehmen können. Gleichzeitig müssen wir der Tatsache ins Auge blicken, dass genau so, wie Schreibtischarbeit schlecht für den Rücken ist oder der Umgang mit Chemikalien verstärkt zu Allergien führen kann, Stress, die Informationsflut und das Fehlen zuverlässiger Bezugspunkte in unserer Gesellschaft den Erhalt der psychischen Gesundheit schwierig machen. Während die meisten Menschen heutzutage bewusst auf einen gesunden Körper achten, gilt der Bewahrung eines gesunden Geistes deutlich weniger Aufmerksamkeit.
Ich begrüße daher, dass die Kommission die ersten Schritte hin zu einer Strategie der Gemeinschaft zur Verbesserung der psychischen Gesundheit eingeleitet hat. Besonders wichtig ist dies aus Sicht der neuen Mitgliedstaaten, zu denen Ungarn gehört, weil der durch die plötzlichen wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltungen ausgelöste Schock zu Problemen geführt hat, denen wir mit unseren veralteten institutionellen Systemen, fehlenden Mitteln und überholten Einstellungen nicht angemessen begegnen können. Hinzu kommen die traditionell für die Region typischen Probleme wie die hohe Selbstmordrate.
Vor zwanzig Jahren, auf dem Höhepunkt der Selbstmordwelle, nahmen sich in meinem Heimatland Ungarn mehr als 45 von 100 000 Menschen das Leben, eine Zahl, die die Welt schockierte. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zufolge verübten im Jahr 2000 weltweit 16 von 100 000 Menschen Selbstmord, womit sich der steigende Trend der letzten fünfzig Jahre fortsetzte. Vor noch nicht allzu langer Zeit gab es in Europa Jahre, in denen die Zahl der Verkehrstoten von der der Selbstmörder übertroffen wurde, wie von einigen meiner Kollegen bereits erwähnt. Wir sollten jedoch nicht glauben, dass dies nur für Europa zutrifft. Auch in den Vereinigten Staaten rangiert bei den Todesursachen die Anzahl der Selbstmorde oft vor der der Morde – so wurden zum Beispiel 1997 anderthalb mal so viele Selbstmorde wie Tötungsverbrechen registriert.
Die lange Zeit der Vernachlässigung unserer Region hat dazu geführt, dass in unserem Land der Gang zum Psychologen noch immer etwas ist, über das man nicht spricht, und nicht selten werden Kinder aus benachteiligten Familien als geistig behindert angesehen. Viele Familien sind sich selbst überlassen, ohne wirksame Hilfe von außen, wenn ein Familienmitglied ernste Probleme hat. Hier muss sich etwas ändern, und deshalb unterstütze ich alle Änderungsanträge, in denen ausdrücklich festgestellt wird, dass Problemen der psychischen Gesundheit in den neuen Mitgliedstaaten besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE) . – (FI) Herr Präsident! An erster Stelle möchte ich meinem Kollegen John Bowis für seine geleistete Arbeit danken. Damit meine ich nicht nur den vorliegenden Bericht, sondern auch die Energie und das Engagement, mit denen er sich für die Frage der psychischen Gesundheit in Europa einsetzt. Seit sieben Jahren bin ich Abgeordnete dieses Parlaments. In dieser Zeit hat John Bowis stets dafür gesorgt, dass das Thema auf der Tagesordnung bleibt. In meinen Augen ist er ein ermutigendes Beispiel eines Politikers, der seine Vision einer besseren Welt mit Entschlossenheit und Standhaftigkeit umsetzt. Nur so kann man etwas verändern: indem man sich nicht beliebigen politischen Launen und Trends hingibt, sondern weiß, wofür man kämpft und entsprechend handelt.
Es ist leicht, über Probleme der psychischen Gesundheit den Mantel des Schweigens zu breiten. Ihnen haftet ein großes Stigma an, das bis zur Diskriminierung reicht, was Betroffene im schlimmsten Falle davon abhält, Hilfe zu suchen. Umfangreiche Informationen, Offenheit und die im Bericht vorgeschlagenen Kampagnen zum Thema „Psychische Gesundheit“ können dazu beitragen, diese sinnlose Stigmatisierung zu beseitigen. Der Weg zu einem reifen Umgang mit dem Thema ist steiniger denn je. Dieser Prozess wird offenbar durch die zunehmende Verunsicherung der Gesellschaft behindert. Hervorzuheben ist, dass der Bericht ein Bewusstsein für den Bedarf an frühzeitiger Intervention und die Bedeutung der Prävention aufzeigt. Um insbesondere psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen, müssen wir mehr Zeit und Geld in präventive Maßnahmen in Kindertagesstätten, Schulen, Gesundheitszentren für Kinder und die Gesundheitsvorsorge in Schulen investieren. Ein junger hilfebedürftiger Mensch neigt unter Umständen dazu, nichts zu unternehmen, weil er schlichtweg nicht weiß, an wen er sich wenden kann. Deshalb spielt der soziale Hintergrund eines Kindes, insbesondere seine Familie, in diesem Zusammenhang eine maßgebliche Rolle.
Mit den richtigen Mitteln sind Gesundheitszentren in Schulen und Kinderambulanzen hervorragend in der Lage, Probleme bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen und in einem frühen Stadium Hilfe anzubieten. In meinem Heimatland haben beispielsweise psychische Probleme bei jungen Menschen zugenommen. Statistiken belegen, dass in jedem fünften Fall die Eltern des betroffenen Kindes untypische Arbeitszeiten haben. Schulkindern, die an Angst leiden, kann durch gruppenbasierte Unterstützung in der Schule nachweislich beholfen werden, aber es ist unbedingt notwendig, die betroffenen Familien unter der Woche zu unterstützen. Durch die Unterstützung von Eltern und Familie erhalten Kinder eine solide Basis für die psychische Gesundheit. Die Behandlung der Probleme bei jungen Menschen mit Medikamenten sollte nur der letzte Ausweg sein. Der Schwerpunkt sollte auf der Ermittlung und Beseitigung der sozialen und der Umweltfaktoren liegen, die die Störungen verursachen.
Probleme verschwinden nicht, indem man sie totschweigt. Depression gilt als neue europäische Krankheit. Vor zwanzig Jahren nahmen nur wenige Menschen unter 30 Antidepressiva. Mittlerweile ist ihre Zahl auf die der älteren Generationen angestiegen. Wenn nicht sofort Lösungen für die psychischen Probleme junger Menschen gefunden werden und sich niemand darum kümmert, dass der Zugang zu Hilfe vereinfacht wird, werden wir einen Preis zahlen, der einfach zu hoch ist. Die schönen Worte und guten Absichten im Grünbuch der Kommission müssen schnellstmöglich in wirksame Gesetze umgesetzt werden. Als Parlament erwarten wir, in Kürze einen entsprechenden Richtlinienvorschlag zur Diskussion zu erhalten.
Thomas Ulmer (PPE-DE). – Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich den besten Wünschen an John Bowis anschließen. Er beweist ja einmal mehr, dass Gesundheitspolitik für ihn eine Leidenschaft und keine Pflichtaufgabe ist.
Eines haben erfolgreiche Politik und erfolgreiche Psychotherapie gemeinsam. Sie erfordern beide sehr viel Offenheit, Ehrlichkeit, Geduld und Engagement. Wir debattieren hier über eine interessante, wenig beachtete und weit verbreitete Angelegenheit unserer europäischen Gemeinschaft: die psychische Gesundheit.
Nach der Definition der WHO ist Gesundheit ein Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. In dieser Reihenfolge ist auch eine Verwirklichung der drei genannten Ziele realistisch. Wenn wir uns mit der psychischen Gesundheit befassen, so müssen wir feststellen, dass wir bei den psychischen Krankheiten in der Union eine dramatische Steigerungsrate zu verzeichnen haben. Sowohl pathogenetisch als auch molekularbiologisch haben wir ein buntes Bild an Krankheitsbildern, Ursachen, Diagnosen und Therapien. Um nur einige zu nennen: Depressionen, Schizophrenien, Borderline-Psychosen, Bulimie, Anorexie, Phobien, Neurosen und Manien.
Ich will hier nicht auf toxikologische und umweltbedingte Ursachen eingehen, das wäre ein Dossier für sich. Ich will Möglichkeiten aufzeigen, wie wir als Europäische Union im Rahmen der Prävention helfen können, wie wir den Leidensdruck der Erkrankten reduzieren, die Vorstufen zur Krankheit rechtzeitig erkennen und den Ausbruch dadurch verhindern können.
Nur einige Zahlen: Jeder Vierte wird erkranken; es ereignen sich 58.000 Selbstmorde bei zehnmal so viel Versuchen, wobei der Selbstmord für uns etwas Schwieriges, etwas Dämonisches, etwas Ungreifbares an sich hat, da wir uns verpflichtet fühlen, diesen zu verhindern.
Psychische Störung bedeutet Stigmatisierung, psychische Krankheit ist oft mit Minderwertigkeitsgefühlen verbunden, psychiatrische Einrichtungen wurden in der Geschichte Europas oft zu politischen Zwecken missbraucht. Wir haben die Chance, unsere nationalen Regierungen aufzufordern, mehr zu tun als bisher. Mit dieser Aufforderung mischen wir uns nicht in die Subsidiarität ein, sondern wir wollen Handlungshinweise geben und ein gesamteuropäisches Konzept für mehr Menschenwürde und weniger Diskriminierung aufzeigen, z. B. gesunde Familien als Basis für das Aufwachsen der Kinder, Chancengerechtigkeit überall in der Union, sowohl innereuropäisch als auch innerstaatlich.
Eine Strategie muss flächendeckende und heimatnahe Behandlungsmöglichkeiten beinhalten. Eine ganzheitliche Behandlung ist erforderlich, also Körper, Seele und soziales Umfeld. Zwangsbehandlung kann nur als ultima ratio angesehen werden, und in einem Gesamtkonzept sind Alkohol,- Drogen- und Medikamentenmissbrauch aufzunehmen und zu validieren. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Prävention.
Heute eröffnen wir mit diesem Bericht ein neues Kapitel, das dann hoffentlich bald in einem Weißbuch fortgeschrieben wird.
Rodi Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Gestatten Sie mir ebenfalls, dem Berichterstatter, Herrn Bowis, zu gratulieren, denn durch seine systematische Arbeit und deren Ergebnisse, die im Bericht enthalten sind, hat er die Bedeutung der psychischen Gesundheit und der von uns umzusetzenden politischen Maßnahmen deutlich gemacht.
Selbstverständlich muss die Strategie für die öffentliche Gesundheit auch die psychische Gesundheit umfassen, und zwar sowohl aus Gründen des persönlichen Wohlergehens als auch aus Gründen des sozialen Zusammenhalts, des sozialen Friedens und Fortschritts.
„Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ haben die alten Griechen gesagt, um zu zeigen, dass sowohl die geistige als auch die körperliche Gesundheit ein Bestandteil der menschlichen Gesundheit sind. Dieses Sprichwort hat in der heutigen Zeit nichts an Aktualität und Bedeutung verloren. Zahlreiche Abgeordnete sind bereits auf verschiedene Formen psychischer Erkrankungen der Gegenwart eingegangen.
In diesem Rahmen möchte ich betonen, dass der Geschlechterdimension in der Erforschung sowie in der Prävention und Bekämpfung psychischer Erkrankungen besondere Bedeutung beigemessen werden sollte. Wissenschaftliche Studien haben sogar gezeigt, dass sich verschiedene spezielle biologische Probleme und insbesondere soziale Umstände auf Frauen ganz besonders auswirken.
Die Geschlechterdimension muss ebenfalls bei der Ausbildung und Aufklärung des Betreuungspersonals berücksichtigt werden. Aufklärung ist generell auch innerhalb der Gesellschaft und in den Familien von psychisch Erkrankten erforderlich, da Frauen mit psychologischen Problemen häufig als Menschen behandelt werden, die übersensibel sind, und nicht als Menschen, die an einer Erkrankung leiden und spezielle Betreuung und Aufmerksamkeit benötigen.
Mit anderen Worten, wir müssen die Erkrankten und ihr Umfeld schützen, denn dadurch wird das Umfeld im Hinblick auf die Rolle, die es bei der Bewältigung der Probleme der Menschen spielen muss, die sich in ihm befinden, bessere Fähigkeiten entwickeln und an Vertrauen gewinnen.
Gestatten Sie mir, abschließend noch ein Wort zu den Kriegsopfern zu sagen. Die erheblichen psychologischen Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, müssen ebenfalls Gegenstand unserer Entwicklungs- und humanitären Hilfe sowie generell der Unterstützung für den Wiederaufbau der zerstörten Regionen sein, denn der Wiederaufbau des Landes setzt vor allem die Wiederherstellung der menschlichen Psyche voraus.
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich bei allen Abgeordneten für die sehr interessante und nützliche Aussprache bedanken. Ich werde mich kurz fassen.
Die beste Schlussfolgerung, die sich aus der heutigen Debatte ziehen lässt, ist die, dass sie ebenso wie der gesamte Konsultationsprozess gekennzeichnet ist von einer breiten Unterstützung für eine neue Strategie für die psychische Gesundheit. Damit sieht sich die Kommission in ihrem Tun bestätigt, denn sowohl während der allgemeinen Konsultation als auch während des parlamentarischen Prozesses und des Konsultationsprozesses in den Mitgliedstaaten war stets eine mehr oder weniger gleichbleibende Unterstützung für unsere Arbeit zu verzeichnen. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass eine Initiative und Strategie auf europäischer Ebene mit zusätzlichem Nutzen verbunden ist, und deshalb beabsichtigen wir, schon sehr bald eine entsprechende Strategie vorzulegen.
So ist es unbedingt erforderlich, dass wir die Zusammenarbeit im Bereich der psychischen Gesundheit zwischen Mitgliedstaaten, Betroffenen und verschiedenen Sektoren fördern. Die Einbeziehung aller zuständigen Sektoren in unsere Bemühungen um die des öffentlichen Gesundheitswesen bildet einen wichtigen Aspekt der neuen Strategie. Wie ich eingangs bereits sagte, beabsichtigen wir, die psychische Gesundheit in den Mittelpunkt unserer Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu rücken.
Schulen und Arbeitsstätten haben größeren Einfluss auf das psychische Wohlbefinden als der eigentliche Gesundheitssektor. Die Erziehung der Eltern ist ebenfalls wichtig. Ältere Menschen müssen Gelegenheit haben, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Es wurden viele interessante Punkte angesprochen, und wir werden sie bei der Erarbeitung der Strategie in Betracht ziehen. Wir werden uns mit Fragen der Prävention beschäftigen, und wie Sie von früheren Aussprachen wissen, ist die Förderung der Prävention und nicht nur der Behandlung eines meiner Grundanliegen und die Grundlage meiner Strategie für diese Amtszeit.
Geschlechtsspezifische Aspekte werden ebenfalls Eingang finden. Im Rahmen einer ähnlichen Diskussion hier über geschlechtsspezifische Aspekte im Bereich Gesundheit stellte ich fest, dass von diesem Zeitpunkt an geschlechtsspezifische Aspekte Eingang in alle unsere Gesundheitsinitiativen sowie die verschiedenen Bereiche der Forschung, Gesundheitsförderung, Vorbeugung, Fürsorge, Behandlung und Rehabilitation finden würden. All unsere Politiken werden stets auch Geschlechterfragen berücksichtigen. Sie werden definitiv in das von der Kommission zu erarbeitende Strategiedokument einfließen. Wie ich bereits sagte, werden wir uns mit der Prävention und einigen der Ursachen wie z. B. den Alterungsprozess befassen, die natürlich nicht alle vermeidbar sind.
Das Älterwerden ist eine Tatsache. Unsere Bevölkerung wird immer älter. Es geht darum, gesund alt zu werden. Wir leben länger, und wir wollen bis ins hohe Alter gesund bleiben, und dabei spielt die psychische Gesundheit eine wichtige Rolle.
Abschließend möchte ich feststellen, dass die genannten Zahlen erst die Spitze des Eisbergs darstellen. Betroffen sind nicht nur die psychisch Kranken, sondern deren Familien und Freunde, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Kollegen. Es ist sogar so, dass die Gesellschaft insgesamt unter den Auswirkungen psychischer Probleme leidet. Das beste Ergebnis dieses gesamten Prozesses einschließlich der Strategie bestünde deshalb darin, wenn wir der psychischen Gesundheit Vorrang einräumen würden, und zwar nicht nur auf der Ebene der Europäischen Union – meines Erachtens haben wir das in der Kommission und im Europäischen Parlament bereits getan –, sondern in jedem einzelnen Mitgliedstaat und der Gemeinschaft insgesamt.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Mittwoch um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Filip Kaczmarek (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Ich danke John Bowis für diesen sehr umfassenden und ausführlichen Bericht zur Verbesserung der psychischen Gesundheit unserer Bürger, also zur Strategie der Europäischen Union zur Verbesserung der psychischen Gesundheit.
Psychische Probleme kennen keine nationalen Grenzen, weshalb wir von einer Strategie zur Verbesserung der psychischen Gesundheit für die gesamte Union sprechen können. In jedem Fall könnte die Einführung einer gemeinsamen Strategie, die Schaffung eines Rahmens für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen und die Überwachung seiner Umsetzung die Einrichtung und Erbringung nationaler Diensten für Menschen mit geistigen Störungen und Menschen, die an Geisteskrankheiten leiden, erleichtern.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich viele Maßstäbe für Humanität entwickelt. Eine davon ist unsere Haltung gegenüber Menschen mit psychischen Störungen. Meines Erachtens sind die Forderungen nach einer Entstigmatisierung des Problems, einer Überwindung von Vorurteilen, einer Änderung der Einstellung gegenüber psychischen Störungen und die Beseitigung diesbezüglicher Stereotype sehr wichtig. Doch immer wenn ein Politiker in Polen einen anderen Politiker beleidigen will, sagt er oder deutet an, der andere sei geisteskrank oder psychisch gestört. Leider legen auch einige Mitglieder des Europäischen Parlaments dieses Verhalten an den Tag. Wir sollten jedoch alle daran denken, dass ein Mensch, der unter einer psychischen Krankheit leidet, es verdient, dass man sich um ihn kümmert und mit Würde und human behandelt.
In Ländern mit einer hohen Arbeitslosenrate sind vor allem behinderte Menschen von diesem Problem betroffen. Daher unterstütze ich nachdrücklich Initiativen, die eine Nichtdiskriminierung bei der Behandlung von Personen, die unter einer Geisteskrankheit leiden, und die Integration von Menschen mit psychischen Störungen in die Gesellschaft gewährleisten. Diese Maßnahmen sind besonders wichtig, weil gute Arbeitsbedingungen einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben.
Jules Maaten (ALDE). – (NL) Europa steht vor ernsthaften Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit: Krebs, Herz- und Gefäßerkrankungen, Diabetes, Asthma... Psychische Erkrankungen gehören ebenfalls auf diese Liste. Weshalb werden psychisch Kranke anders behandelt als Menschen mit einer Herzkrankheit, Aids oder Krebs? In einer Zeit, in der Patienten immer mehr als Verbraucher angesehen werden, besser informiert sind und stärker in Entscheidungen eingebunden werden, sollte die Haltung in Sachen psychischer Gesundheit dieser Tendenz folgen.
Gegenwärtig teilt sich die EU die Verantwortung für die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitsfürsorge mit den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten zeichnen für die einzelstaatlichen Gesundheitsbehörden und -systeme verantwortlich. Der EU kommt hierbei lediglich eine zweitrangige Rolle zu. Ich plädiere gerade deshalb für eine gewichtigere Rolle der EU in Fragen der öffentlichen Gesundheit, weil sie für die Bürgerinnen und Bürger von derart großer Bedeutung ist.
Um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit zu fördern und zu unterstützen und Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, ist es sinnvoll, dass die EU in diesem Bereich tätig wird, beispielsweise durch Zusammenarbeit, Förderung des Zusammenhalts und Einrichtung einer Plattform. Auf diese Weise kann die EU Bedeutung für den Bürger erlangen und das negative Bild von Bürokratie und unnötigen Vorschriften zerstreuen, das nicht eben wenige Bürger haben.