3. Aussprache über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit (Bekanntgabe der eingereichten Entschließungsanträge): siehe Protokoll
4. Waldbrände und Überschwemmungen (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll
5. Einstellung der Verhandlungen über die Entwicklungsagenda von Doha (Aussprache)
Der Präsident. Als erster Punkt folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage von Enrique Barón Crespo im Namen des Ausschusses für internationalen Handel an die Kommission über die Aussetzung der Verhandlungen über die Entwicklungsagenda von Doha (DDA) (O-0088/2006 – B6-0427/2006).
Enrique Barón Crespo (PSE), Verfasser. – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Am 24. Juli dieses Jahres verkündete der Generaldirektor der WTO, Herr Pascal Lamy, im Ergebnis der Tagung des Ausschusses für Handelsgespräche der WTO in Genf die Aussetzung der Verhandlungen der Doha-Runde auf unbestimmte Zeit. Ich hoffe, dass dies eine vorübergehende Unterbrechung ist und die Gespräche nicht völlig zerschlagen werden, sondern dass sich ein Phönix aus der Asche erheben kann – wie der Kommissar sagte.
Dieser Beschluss, der einstweilen fünf Jahren Verhandlungen und mehr als sieben Jahren diplomatischer Bemühungen ein Ende setzte, hat zu großer Verunsicherung im multilateralen Rahmen der WTO-Handelsgespräche geführt und ruft zudem ein Problem im Hinblick auf eine informelle Zeitbegrenzung hervor, die eher politischer als zeitlicher Art ist, nämlich das bevorstehende Auslaufen des Mandats der Trade Promotion Authority, die der US-Kongress dem Präsidenten einräumt, um global verhandeln zu können.
Herr Präsident! Ich möchte am Rande bemerken, dass es schon merkwürdig ist, dass für eine Organisation wie die WTO als zwischenstaatliche Organisation und Ministerkonferenz alles von der Entscheidung eines Parlaments abhängt, des Kongresses der USA, so hoch angesehen er auch sein mag. Die anderen Parlamente der Welt, angefangen beim Europäischen Parlament, haben doch auch das Recht, eine Meinung zu äußern, ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen oder Befristungen der Debatte festzulegen, wie sie gegenwärtig durch den US-Kongress auferlegt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich mitteilen, dass wir nächste Woche im Lenkungsausschuss der zwischen dem Europäischen Parlament und der Interparlamentarischen Union eingesetzten Parlamentarischen Versammlung Gelegenheit haben werden, dieses Thema mit Vertretern der Mehrheit der Parlamente der Welt zu besprechen und zu bearbeiten, weil dies unseres Erachtens eine Frage ist, die uns alle angeht.
Wir im Parlament und speziell im Ausschuss für internationalen Handel haben nicht bis zum Ende der Ferien gewartet, um unsere Sorge zum Ausdruck zu bringen. Ich tat dies im Namen des genannten Ausschusses unmittelbar nach der Ankündigung und wies darauf hin, dass wir uns nicht mit einem endgültigen Scheitern der Verhandlungen abfinden dürfen. Wir müssen sehen, wie wir diesen Scheideweg verlassen und den Prozess wieder in die richtige Richtung lenken können. Es gab im August ja eine Reihe von Kontakten und bilateralen Treffen, und ich hoffe, dass der Kommissar uns über alle Möglichkeiten für ein Vorankommen informieren kann.
Ich glaube auch, dass die Kommission versuchen muss, ihr Mandat so weit wie möglich auszuschöpfen, denn wir haben Verpflichtungen. Erstens, unsere Interessen zu schützen, aber gleichzeitig auch für den Grundsatz zu werben, dass ein multilaterales System, das alle begünstigt, nicht nur die entwickelten Länder, sondern auch jene, die das Hauptziel der Verhandlung sein müssen – die Entwicklungsländer und vor allem die am wenigsten entwickelten Länder –, wirklich eine grundlegende Rolle spielen kann, wie jene, die die Europäische Union als die führende Handelsmacht der Welt haben muss.
Deshalb bin ich der Meinung, dass das Europäische Parlament seine Stimme erheben und seinen Beitrag leisten muss, damit wir das Ziel, eine Doha-Runde für die Entwicklung zu erreichen, weiterverfolgen, auf den richtigen Weg bringen und erneuern können, und dass es auch die Kommission unterstützen muss – die in dieser Hinsicht nicht viel Ferien hatte –, die hoffentlich ihre Arbeit fortsetzen kann, um diese Runde zum Abschluss zu bringen.
Es gibt noch Handlungsspielraum; in der Politik gibt es immer Spielraum, auch wenn zeitlich gesehen die Fristen ablaufen, und vielleicht kann der Druck, schnell handeln zu müssen, hilfreich sein. Herr Präsident! Wir glauben, dass die Erläuterungen, die uns der Kommissar heute geben kann, wichtig sind, und wir möchten ihn vor allem wissen lassen, dass er auf unsere Aufmerksamkeit, unsere Unterstützung und unseren Wunsch zählen kann, diese Runde wieder zu einem Prozess zu machen, der auf die Zukunft einer glücklicheren und solidarischeren Menschheit gerichtet ist.
(Beifall)
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ebenso wie der Vorsitzende des Ausschusses für internationalen Handel wünsche natürlich auch ich mir, dass diese sehr bedauerliche Entwicklung in den Verhandlungen nur eine vorübergehende Unterbrechung und keine Aussetzung auf unbestimmte Zeit ist. Ich begrüße die Tatsache, dass er und weitere Abgeordnete dieses Parlaments mit anderen Abgeordneten aus WTO-Mitgliedsländern zusammentreffen werden, um dieses Thema zu erörtern. Je besser wir uns einen allgemeinen Begriff davon machen, was auf dem Spiel steht und wo die Probleme liegen und je mehr wir dieses Wissen den Beteiligten in den verschiedenen WTO-Ländern zugänglich machen – anstatt es einem engen Kreis von Verhandlungsführern vorzubehalten –, desto mehr haben wir davon. Ich werde auf jeden Fall dieses Ziel verfolgen, wenn ich noch im Laufe dieses Monats nach Washington reise, um auf dem Capitol Hill mit führenden Persönlichkeiten zusammenzutreffen.
Das letzte Mal, dass ich mit einigen Abgeordneten dieses Hauses über die Entwicklungsagenda von Doha gesprochen habe, war Ende Juni in Genf. Zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich Ihre dortige Anwesenheit, Ihre vernetzten Tätigkeiten und die Art und Weise, wie Sie sich eine interessante und nützliche Rolle unter den Verhandlungspartnern haben sichern können, zu schätzen weiß. Wir werden ihre Unterstützung benötigen, wenn wir in Zukunft unsere WTO-Partner davon überzeugen wollen, diese Verhandlungen wieder aufzunehmen. Das Vorgehen der Abgeordneten dieses Hauses muss ich wirklich loben.
Ende dieser Woche werde ich auf Einladung der brasilianischen Regierung und der G20-Gruppe der Entwicklungsländer nach Rio de Janeiro reisen. Dort wird sich zum ersten Mal die Gelegenheit bieten, auf Ministerebene zu analysieren, was im Juli in Genf geschah, sich über unsere jeweiligen Standpunkte auszutauschen und zu überlegen, wie und wann es weitergeht.
In den Wochen nach der Einstellung haben alle Seiten zugesichert, dass sie sich für einen Erfolg der Runde einsetzen wollen. Niemand behauptet, zumindest allem Anschein nach, dass er nicht mehr dahinterstehe, und Doha hat ein solches Engagement auch sicher nötig. Wir müssen mit allen unseren Aktionen und Erklärungen das Vertrauen in die Runde und den Prozess stärken und immer wieder auf die Vorzüge des Multilateralismus und den wirtschaftlichen Nutzen eines umfassenden und ehrgeizigen Abschlusses hinweisen. Allerdings muss das Gesagte auch durch die entsprechende politische Führungsstärke untermauert werden. Was uns heute fehlt, ist „realistischer Ehrgeiz“, wie man es vielleicht nennen könnte.
Alle Seiten bringen ihre innenpolitischen Zwänge in die Verhandlungen mit ein. Vielleicht ist das unvermeidlich, jedoch darf oder sollte dies nicht als Entschuldigung für ein Scheitern dienen dürfen. Selbst wenn die Verhandlungen auf manchem Gebiet noch so schwierig und scheinbar verfahren sind, weichen die Standpunkte in der Landwirtschaft gar nicht so weit voneinander ab. Sie liegen nicht so weit auseinander, dass sie miteinander unvereinbar wären. Es ist erforderlich, dass die EU ihre Zölle im Schnitt fast so stark senkt, wie es von den G-20-Entwicklungsländern verlangt wird. Die EU signalisierte in Genf ihre Bereitschaft, darüber als Teil eines ausgewogenen Pakets zu verhandeln – sofern auch andere bereit seien, sich zu bewegen und die gleiche Flexibilität zu zeigen, die wir an den Tag legen.
Wenn wir uns in die Richtung bewegen, die ich als Möglichkeit angedeutet habe, dann wäre das unter den entsprechenden Voraussetzungen ein deutliches Abrücken von unserem ursprünglichen Angebot, die Agrarzölle um durchschnittlich 39 % zu senken, was schon deutlich über den Senkungen liegt, zu denen wir uns in der Uruguay-Runde bereit erklärten. Dies wären die radikalsten Senkungen von Agrarzöllen, die als Teil multilateraler Handelsverhandlungen je akzeptiert wurden. Niemand könnte das als „Doha-light“ bezeichnen. Hinzu kämen noch die Subventionskürzungen im Zuge der EU-Reformen, die einen dramatischen Rückzug der EU-Erzeuger aus entscheidenden globalen Exportmärkten wie Milch und Geflügel sowie die Schrumpfung des EU-Getreidemarktes aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Tierfutter zur Folge hätten. Wenn man das alles zusammen nimmt, ergibt das ein umfassendes neues Marktzugangspaket für wettbewerbsfähige Agrarexporteure wie die USA, Australien und andere Mitglieder der Cairns-Gruppe. Für die europäische Landwirtschaft bedeutet dies womöglich Einbußen von bis zu 20 Milliarden US-Dollar jährlich.
Wer dies als unbedeutend abtut, wie von mancher Seite geschehen, demonstriert entweder hartes Verhandlungskalkül oder hat nicht richtig nachgerechnet. Als Gegenleistung für diese Kürzungen erwartet die EU von den USA eine ebensolche Senkung handelsverzerrender Agrarsubventionen, die von den Entwicklungsländern zu Recht als Voraussetzung und entscheidender Schritt zu einer endgültigen Einigung in den Doha-Verhandlungen angesehen wird.
Die USA haben bei den handelsverzerrenden Subventionen in der so genannten Amber Box erhebliche Kürzungen angeboten, nämlich von 19,1 Milliarden Dollar auf 7,6 Milliarden Dollar. Das klingt gut und ist zu begrüßen. Allerdings haben die USA auch vorgeschlagen, ihre erlaubten Ausgaben in anderen Kategorien handelsverzerrender Subventionen zu erhöhen, während sie es gleichzeitig ablehnen, diese Subventionsprogramme direkt zu reformieren, damit sie nicht länger Handelsverzerrungen hervorrufen können. Wenn man die drei Arten handelsverzerrender Subventionen, die die USA beibehalten wollen, zusammenzählt, ergibt sich nämlich ein möglicher neuer Plafond von 22,7 Milliarden Dollar, und das ist mehr, als die USA gegenwärtig ausgeben.
Mit anderen Worten: Das im vergangenen Oktober unterbreitete Angebot der USA könnte dazu führen, dass bis zum Ende der Umsetzung der Doha-Beschlüsse die handelsverzerrenden Zahlungen der USA an Landwirte sogar noch ansteigen. Es ist verständlich, dass die Handelspartner der USA dies für inakzeptabel hielten, vor allem angesichts der drastischen Kürzungen, die die USA sowohl bei Subventionen als auch Zöllen von den anderen verlangen. Die Entwicklungsländer drängen ganz zu Recht auf einen tatsächlichen Abbau der US-Subventionen, was die EU befürwortet. Solange die USA von ihrem Standpunkt nicht abrücken, werden fortgeschrittene Entwicklungsländer wie Brasilien und Indien nicht bereit sein, ihre Märkte für Industrieerzeugnisse und Dienstleistungen stärker zu öffnen, und genau darum geht es letztlich bei dem von uns angestrebten Abschluss.
Ein solcher Abschluss wird kein leichtes Unterfangen sein. Ich unterschätze keineswegs die Schwierigkeiten, die bei den noch ausstehenden Verhandlungen mit den fortgeschrittenen Entwicklungsländern über Industriezölle auftreten werden. Dass keine Doha-Verhandlungen für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungsbereich stattfinden, wo der potenzielle wirtschaftliche Nutzen dieser Runde hauptsächlich liegt, ist allerdings durch das Patt in der Landwirtschaft bedingt, die für die Entwicklungs- wie auch Industrieländer nur einen Bruchteil des Handels ausmacht.
Einen Abschluss zu Doha werden wir nur erreichen, wenn sich alle Beteiligten darum bemühen, auf allen Verhandlungsgebieten ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Dazu zählen nicht nur Agrarzölle, sondern auch das verarbeitende Gewerbe, die Dienstleistungen und die Modalitäten. Alle Seiten sollten begreifen, dass ein realistisches Ergebnis, das anspruchsvoll und durchführbar ist, alles andere als ein „Doha-light“ wäre; es würde nämlich tief greifende strukturelle Veränderungen in der Agrarpolitik bedeuten und bei Waren und Dienstleistungen neue Handelsströme schaffen, wie es sie bei keiner vorangegangenen Handelsrunde gegeben hat. Mit anderen Worten, es liegt schon eine ganze Menge auf dem Tisch, wie Herr Lamy bereits mehrfach betont hat.
Wenn durch diesen anhaltenden Stillstand jemand etwas zu verlieren hat – das sollten wir nicht vergessen –, dann sind es in erster Linie die Entwicklungsländer. Sie sind es, die auf neue Handelschancen verzichten müssen. Hinzu kommt vor allem, dass sie durch die Schwächung der multilateralen Handelsordnung ins Hintertreffen zu geraten drohen. Seitens der EU werden wir versuchen, in jedem Fall soviel wie möglich für die schwächeren und besonders benachteiligten Entwicklungsländer zu tun, ohne einen Keil zwischen die WTO-Mitglieder treiben zu wollen. Insbesondere werden wir unsere Zusagen in puncto Handelsförderung einhalten und unsere Bemühungen fortsetzen.
Einige werden sich die Frage stellen, in welcher Weise die Aussetzung der DDA unsere handelspolitische Gesamtkonzeption beeinflussen wird. Die Antwort lautet, dass wir auch weiterhin fest und entschlossen zu Doha stehen werden. Nichts kann die WTO ersetzen. Erstens gründet sie sich auf Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit anstatt auf reine Macht. Zweitens können bestimmte Vorteile nur in einem multilateralen Kontext herbeigeführt werden, so etwa neue Vorschriften über Agrar- und Fischereisubventionen, ein neues Abkommen über Handelserleichterungen, neue Vorschriften für Anti-Dumping-Instrumente und bessere und klarere Bestimmungen über regionale Handelsabkommen. Dies sind Beispiele für Gebiete, in denen noch so viele bilaterale Vereinbarungen nicht einmal ansatzweise die von uns gewünschte Verbesserung und Verschärfung der Handelsvorschriften und der Handelsordnung bewirken würden. Drittens sind dies die einzigen Formen von Verhandlungen, in denen kleinere Entwicklungsländer ihr politisches Gewicht geballt einsetzen können.
Schließlich ist das Streitbeilegungssystem selbst einer der Eckpfeiler des WTO-Systems und ein einzigartiges Instrument im Völkerrecht. Es steht außer Frage, dass jede Schwächung des Vertrauens in das multilaterale Handelssystem als Ganzes langfristig auch das Streitbeilegungssystem ernsthaft schädigen würde.
Bilaterale und regionale Abschlüsse sind deshalb keine Alternative zu multilateralen Verhandlungen, sondern eher eine Erweiterung und Ergänzung, durch die ein Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse detaillierter behandelt werden kann und Vorschriften auf Gebieten festgelegt werden können, für die die WTO-Mitglieder – zumindest vorläufig – beschlossen haben, keine Kollektivverhandlungen im Rahmen des multilateralen Systems zu führen. Das mag die Wettbewerbsvorschriften, das öffentliche Auftragswesen oder die Arbeitsbedingungen betreffen.
In diesem Zusammenhang sind zahlreiche Verhandlungen zu erwähnen. Einige sind schon im Gange, andere werden aufgenommen, sobald die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Mercosur, der GCC und Mittelamerika sind in der ersten Gruppe, und wir sehen auch die Ukraine, Indien, Korea und die ASEAN-Länder als potenzielle Partner für neue Initiativen an.
Abschließend möchte ich zum Ausdruck bringen, dass sich die Kommission und ich weiterhin mit Nachdruck für einen erfolgreichen Abschluss der multilateralen Runde engagieren und dass ich mit Ihnen hier im Parlament eng zusammenarbeiten möchte, um dieses Ziel zu erreichen. Das hat für mich nach wie vor Vorrang.
Die Kommission wird außerdem in Kürze zwei Mitteilungen vorlegen – eine im Oktober zu den externen Aspekten unserer Wettbewerbsfähigkeit in Europa und eine andere zu den Handelsbeziehungen mit China. Darin werden weitere Eckpunkte unserer künftigen Handelspolitik dargelegt. Ich würde beide Mitteilungen gerne in den kommenden Wochen mit Ihnen erörtern und bin schon sehr gespannt darauf. Ich denke, wir sollten auch in Zukunft weiter an einem Strang ziehen, wie wir es bereits in der Vergangenheit getan haben – Europa zuliebe, aber auch im Interesse der Weltwirtschaft und insbesondere der bedürftigsten Entwicklungsländer.
(Beifall)
Georgios Papastamkos, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Die Kosten, die das Scheitern der Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde verursacht, sind zweifellos hoch und werden sich im Falle eines endgültigen Schiffbruchs noch erhöhen.
Diese Kosten entstehen unter anderem durch:
Erstens, die Einnahmeverluste für die Weltwirtschaft, die Entwicklung und die Beschäftigung, Einnahmen, die durch einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen gewährleistet worden wären;
Zweitens, das Untergraben der Fortschritte, die sich in bestimmten, für die Entwicklungsländer sehr bedeutungsvollen Verhandlungsbereichen abgezeichnet haben;
Drittens, die Schwächung der Glaubwürdigkeit der Welthandelsorganisation selbst.
Ich glaube, dass das Risiko im Falle eines vollkommenen Scheiterns weit höher ist, als wenn ein möglicherweise weniger ambitioniertes und nicht so umfassendes Übereinkommen erreicht worden wäre, obwohl kein Abkommen akzeptiert werden kann, das in irgendeiner Weise zu Lasten der Union geht.
Die Haltung der Europäischen Union war konstruktiv und verantwortungsvoll. Sie hat bemerkenswerte Vorschläge unterbreitet und gleich zu Beginn der Runde zahlreiche ihrer Zielsetzungen aufgegeben. Wenn wir ein ausgewogenes Ergebnis erreichen wollen, dann müssen die anderen führenden Handelspartner bei einer Rückkehr an den Verhandlungstisch ebenso flexibel sein.
Wir, die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, sprechen uns nach wie vor für den Multilateralismus aus. Das Engagement für ein multilaterales Handelssystem trägt entschieden zur Sicherheit, Transparenz und Stabilität des internationalen Handels bei. Es trägt außerdem zur Stärkung der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung bei der internationalen politischen Zusammenarbeit bei. Der Zerfall des Multilateralismus birgt die Gefahr des Ausbruchs sektoraler Handelskonflikte und des Wiederauflebens regionaler Handelshochburgen in sich.
Der erfolgreiche Abschluss der multilateralen handelspolitischen Verhandlungen sollte deshalb – und das haben der Kommissar und der Vorsitzende unseres Ausschusses zu Recht betont – nach wie vor die erste Option, die oberste Priorität auf der Agenda der Union sein. Gleichzeitig müssen in Ergänzung dazu die Strategien bilateraler und überregionaler Beziehungen mit anderen wichtigen Partnern gestärkt werden.
Um die Stabilität des Welthandelssystems zu gewährleisten, ist es meines Erachtens erforderlich, der Verbindung zwischen Handelsverflechtung und gemeinsamer Verantwortung der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika einen dynamischen Impuls zu verleihen. Und diese Verbindung zwischen Verflechtung und gemeinsamer Verantwortung sollte bekräftigt werden.
Wenn ich Herrn Barón Crespo sehe und mir den Sieg seines Landes gegen Griechenland bei der Basketballweltmeisterschaft ins Gedächtnis rufe, dann glaube ich, sollten wir den bisherigen Ausgang dieser Verhandlungen als eine Unterbrechung und nicht als einen endgültigen Schiffbruch betrachten.
(Beifall)
Harlem Désir, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Aussetzung der Doha-Runde bedeutet in erster Linie den Bruch eines Versprechens, die Handelsvorschriften zugunsten der Entwicklungsländer anzupassen. Sie ist ein Triumph der Eigeninteressen bestimmter Länder über das Allgemeininteresse der Weltgemeinschaft, und wie der Vorsitzende des Ausschusses für internationalen Handel denken wir natürlich alle an die Halbzeit-Wahlen, die in den Vereinigten Staaten bevorstehen.
Diese Aussetzung gefährdet bereits potenziell das multilaterale System als wichtigsten Rahmen der Welthandelsgespräche und eine Rückkehr zu bilateralen Verhandlungen, die unausgewogener und zu Ungunsten der ärmsten und insbesondere der kleinsten Länder verlaufen, wie Sie festgestellt haben, Herr Mandelson. Zudem bleibt dadurch das multilaterale System unverändert, das nicht verschwinden wird, obwohl man vorhatte, mit seiner Reformierung zu beginnen und es stärker an die Entwicklungsziele und die anderen Regeln der Weltgemeinschaft anzupassen, namentlich die Notwendigkeit, die Ziele der öffentlichen Gesundheit, die Umweltziele und später – so hoffen wir – die soziale Dimension der Globalisierung zu berücksichtigen.
Die Hauptverlierer dieser Aussetzung der Welthandelsrunde werden die Entwicklungsländer und darunter insbesondere die am wenigsten entwickelten Länder sein. Unabhängig von den Schwächen und Beschränkungen, wird das, was auf dem Tisch lag und was die EU vorgeschlagen hatte – was im Übrigen häufig den Forderungen unseres Parlaments entsprach – gefährdet sein, verloren gehen: die Abschaffung der Exportsubventionen bis 2013, der freie Zugang in Bezug auf Rechte und Quoten der Erzeugnisse aus den am wenigsten entwickelten Ländern zu den Märkten der Industrieländer – auch wenn das Problem der von einigen anderen Industrieländern geforderten 3 % der Zolltarifpositionen bestand –, ein verbesserter Zugang zu den Märkten der Industrieländer für sämtliche Agrarerzeugnisse der Entwicklungsländer – auch wenn die amerikanischen Vorschläge äußerst unzureichend sind –, der Umgang mit der Situation der Baumwollerzeuger, das Hilfspaket zur Förderung des Handels und die Änderung des Übereinkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) für den Zugang zu Medikamenten.
Herr Kommissar, ich begrüße Ihre Ankündigung, dass Sie sich wieder aufmachen und um Frieden bemühen wollen, sich wieder mit den G20 und den USA treffen wollen, um Wege für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch zu finden. Meiner Meinung nach dürfen wir nicht zulassen, dass die Doha-Verhandlungen begraben werden. Auch wenn das Auslaufen des Verhandlungsmandats, das der US-amerikanischen Regierung vom Kongress erteilt worden war, Schwierigkeiten mit sich bringt, dürfen wir nicht zulassen, dass die abgegebenen Verpflichtungen und Zusagen einfach aus dem Fenster geworfen werden, und ich freue mich zu hören, dass die Europäische Union ihre Verpflichtungen und Zusagen einhalten wird.
Vielleicht müssen wir ganz einfach wieder zum Wesentlichen der Verhandlungsrunde zurückkehren und unsere Partner in den Industrieländern daran erinnern, dass wir wussten, dass sie nicht auf Gegenseitigkeit beruhen würde und dass wir mehr anbieten müssten, was den Zugang für Agrarprodukte betrifft, als wir im Bereich der Zölle für Industrieprodukte und der Öffnung der Märkte und Dienstleistungen gewinnen würden. Europa muss das multilaterale System weiterhin fördern. Dieses muss sicherlich reformiert werden, damit es weiterhin ein Rahmen für eine Vertrauensbeziehung zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern bleiben kann. Schließlich können sich die Entwicklungsländer im Rahmen genau dieses multilateralen Systems durch die G20 und die G90 Gehör verschaffen und die Handelsvorschriften besser an die Ziele der Armutsbekämpfung und an alle anderen Regeln des multilateralen Systems angepasst werden.
(Beifall)
Johan Van Hecke, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ist die Doha-Runde endgültig gescheitert? Immer mehr Beobachter gehen offensichtlich davon aus. Insbesondere seit Hongkong vor neun Monaten wurden keine Fortschritte erzielt, und im Juli wurden die Verhandlungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Ebenso wie der Kommissar und die meisten Kolleginnen und Kollegen weigere ich mich jedoch zu glauben, dies sei der Anfang vom Ende. Schließlich steht eine Menge auf dem Spiel. Ein vollkommenes Scheitern könnte durchaus zum Zusammenbruch des multilateralen Handelssystems mit all den sich daraus ergebenden Folgen führen.
Mit dem Ausbleiben eines globalen Handelsabkommens wächst die Gefahr, dass immer mehr Länder auf bilaterale oder regionale Vereinbarungen ausweichen, was arme Länder auf jeden Fall in eine schwächere Position rückt. Die Aussetzung der Verhandlungen kann zudem zur Ausweitung von Handelskonflikten führen, in deren Rahmen die WTO-Mitglieder versuchen, in einem Rechtsstreit das zu erreichen, was ihnen in einer Vereinbarung nicht gelungen ist. Aber das ist nicht alles, wie der Kommissar ausgeführt hat: Früher oder später wird die Existenzberechtigung der WTO selbst in Frage gestellt. Deshalb gilt es jetzt mehr denn je, die WTO transparenter zu machen und ihre demokratische Legitimität zu verbessern.
Unserer Fraktion kommt es darauf an, dass reiche und entwickeltere Länder bemüht sein sollten, ihre Standpunkte im Vorhinein anzunähern. Es macht überhaupt keinen Sinn, ein neues Hochamt zu zelebrieren, wenn die USA und die EU die Kluft zwischen ihnen auf dem Gebiet der Agrarversorgung und in anderen Fragen nicht schließen. Der amerikanische Kongress hat jüngst die starre Haltung der US-Verhandlungsführer begrüßt. Diese Art von „Schwarzer Peter“ trägt nicht zu konstruktiven Lösungen bei. Alle Hauptakteure, unter ihnen die EU, die USA und die G-20, müssen ihr Gewicht in die Waagschale werfen und ein Ergebnis erzielen.
Inzwischen muss der so genannte Acquis von Hongkong voll und ganz erhalten bleiben. Alle entwicklungsfreundlichen Verpflichtungen müssen eingehalten werden. Ob nun eine Vereinbarung zustande kommt oder nicht, die EU darf von ihrem Vorhaben, die Ausfuhrsubventionen bis 2015 abzuschaffen, nicht abkommen. Zugleich müssen alle entwickelten Länder und die fortgeschrittenen Entwicklungsländer zur Einhaltung der EU-Initiative „Alles außer Waffen“ aufgefordert werden.
Der vorliegende Kompromissentschließungsantrag ist in einem voluntaristischen und positiven Ton gehalten. Er bestätigt trotz allem unseren Glauben an einen multilateralen Ansatz für die Handelspolitik aus der echten Überzeugung heraus, dass es bei einem Scheitern der Doha-Entwicklungsrunde leider keine Gewinner als vielmehr nur Verlierer geben wird.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Doha-Runde ist gescheitert. Herr Kommissar, das, was Sie uns heute präsentieren, ist derselbe Aufguss, mit dem die Runde vor die Wand gesetzt worden ist. Woher beziehen Sie Ihre Hoffnung, das doch noch zu Ende zu bringen? Wenn Sie sagen, die Entwicklungsländer sind die Verlierer, sie erleiden durch den Stillstand den größten Schaden, warum haben dann die Länder und die Vertreter der Dritten Welt die Runde nicht abgeschlossen? Vielleicht haben diese Länder das ja anders gesehen und waren sogar klug, es nicht zu tun, weil die Liberalisierung, die ja hinter Ihren Gedanken steckt und die Sie durchsetzen wollen, diese Länder offensichtlich nicht reich gemacht hat. Sie macht auch die Menschen dort nicht satt, sondern sie hat sie in die Verschuldung geführt und die Hungerproblematik nicht gelöst. Wenn diese Länder, die sich jetzt erstmals zusammentun, gegen die Industrienationen des Westens die nötige Stärke erreichen, um diese Sache scheitern zu lassen, dann ist das eine andere Qualität und wir sollten zusehen, wie wir hier zu einem anderen Angebot kommen.
Sie sagen, dass das Angebot der Zollabsenkung für die europäische Landwirtschaft 20 Milliarden Euro bringt. Ja hat denn die europäische Landwirtschaft diese 20 Milliarden Euro zu viel? Und kommen — wenn wir hier abbauen — diese 20 Milliarden dann wenigstens den Ländern der Dritten Welt zugute, oder ist das nichts weiter als ein Absenken des Niveaus im Ernährungsbereich? Werden auch die Länder dort unter der Armutsgrenze eingekauft und wird hier in Europa die Landwirtschaft damit kaputtgemacht?
Was wir brauchen, ist eine Qualifizierung. Der Marktzugang, den Sie im Gegenzug zum Marktzugang für industrielle Produkte und Dienstleistungen in Ländern der Dritten Welt anbieten, zerstört dort die Infrastrukturen und die zarten Pflänzchen der industriellen und handwerklichen Entwicklung und führt hier dazu, dass die Landwirtschaft keine Chance zu existieren hat, obwohl es dringend notwendig ist, dass wir Lebensmittel erzeugen. Von daher brauchen wir Qualität, einen qualifizierten Marktzugang, der die Länder der Dritten Welt an unserem Preisniveau, an unseren Standards beteiligt und ihnen damit die Möglichkeit gibt, ihre Volkswirtschaften zu entwickeln.
Wir haben im Rahmen des Zuckerabkommens gesehen, dass diejenigen AKP-Länder, die zu diesen Bedingungen Zucker liefern konnten, ihre Volkswirtschaften entwickelt haben. Diejenigen Länder, die diese Möglichkeit nicht hatten, sind von den Multis unter der Armutsgrenze aufgekauft worden, und das wird sich so fortsetzen.
Also, Herr Mandelson, machen Sie ein ordentliches Angebot, eines, auf das die Länder eingehen können, das nicht die allgemeine Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft weltweit betreibt, sondern Stabilität in die Ernährung und Stabilität und Qualität in den Handel einbringt! Dann, denke ich, ist der multilaterale Ansatz richtig und alle können davon profitieren. Von der Liberalisierung, die Sie vorschlagen, jedoch mit Sicherheit nicht!
Helmuth Markov, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Doha-Entwicklungsrunde ist gescheitert. Was sollte sich entwickeln? Das ist die Kernfrage. Sollte sich nur der Handel entwickeln, des Handels wegen, oder sollte es eine Entwicklung durch Entwicklung des Handels geben? Wenn es eine Entwicklung durch Handelsentwicklung gibt, dann muss man in die Verhandlungen viel mehr andere Dinge einbeziehen. Dann muss man nämlich fragen: Was bringt der Handel in den unterschiedlichen Ländern für die Anhebung der Sozialstandards, für die Verbesserung des Umweltschutzes, für die Erhöhung der Lebensqualität? Das ist eine ganz andere Herangehensweise, als wenn für mich das Primat ist: Ich will die Märkte öffnen, damit größere Handelsmargen ausgetauscht werden können. Dann kann es eben keine Reziprozität geben.
Solidarität heißt: Der Stärkere hilft dem Schwächeren. Das heißt: Die Länder, die weiter entwickelt sind, müssen mehr geben als die, die nicht so weit entwickelt sind. Das heißt nicht nur Quantität, das heißt auch eine andere qualitative Herangehensweise. Es bedeutet auch das Verständnis, dass jemand, der seinen Markt im eigenen Land noch nicht entwickelt hat, die Möglichkeit haben muss, diesen erst einmal selbst zu entwickeln. Dazu braucht er vielleicht zeitweilig noch einen geschlossenen Markt, bevor er diesen öffnen kann.
Was nützt vielen Entwicklungsländern die Zusage, sie dürfen in die Europäische Union exportieren, wenn sie keine Produkte haben, die sie exportieren können, weil sie noch nicht einmal in der Lage sind, ihre eigene Bevölkerung zu ernähren? Gleichzeitig sagt man diesen Ländern aber: Damit ihr das dürft, müsst ihr bitte eure Märkte für unsere Dienstleistungen und für unsere Industrie aufmachen. Wenn wir weiter auf diesem Niveau verhandeln, werden wir nie eine Einigung erzielen. Und ich bin ein fanatischer Anhänger eines multilateralen Systems.
Herr Mandelson, Sie erinnern sich: Ich habe Sie sehr häufig gefragt, ob Sie wirklich glauben, dass die USA ein Interesse am multilateralen Abschluss der WTO-Runde haben. Ich habe immer gesagt: Ich glaube das nicht! Die USA können ihre Interessen besser durchsetzen, wenn sie nicht in multilaterale Abkommen eingebunden sind. Deswegen ist es viel wichtiger, dass die Europäische Union sich mit den G-20 zusammentut. Das muss man natürlich auch wieder abwägen, weil es auch zwischen den Ländern des Südens gravierende Unterschiede gibt.
Es kann nicht nur darum gehen, die Märkte zu öffnen, wenn ich damit dem großen brasilianischen Agrargeschäft, das von drei Familien dominiert wird, den europäischen Markt zur Verfügung stelle. Damit habe ich diesen Ländern überhaupt nicht geholfen, in keiner Art und Weise!
Was wir brauchen, ist meiner Ansicht nach ein Umdenken bezüglich der Herangehensweise. Wir wollen Handel. Sie sagen sehr häufig: Wir wollen freien Handel. Darüber kann man ideologisch streiten – ich will diese Art von Liberalisierung nicht, aber das lasse ich einmal beiseite. Es geht nicht so sehr darum, freien Handel zu haben, sondern darum, fairen Handel zu erzielen. Fairer Handel heißt gerechter Handel. Und „gerecht“ heißt nicht „gleich“. Wenn ich für alle Ländergruppen gleiche Maßstäbe ansetze, gleiche Absenkungsmaßstäbe, Öffnungsmaßstäbe, dann ist das eben nicht gerecht, es ist einfach nur gleich.
Das Mandat, über das Sie verfügen, müssen Sie ändern. Diese Herangehensweise brauchen Sie. Wer den Handel vorantreiben will, muss Rücksicht auf die Befindlichkeiten der einzelnen Länder und den Entwicklungsstatus in diesen Ländern nehmen. Das muss vorrangig gemacht werden!
Seán Ó Neachtain, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Es überrascht mich nicht im Geringsten, dass die Gespräche in der Welthandelsorganisation wieder einmal gescheitert sind. Ich fordere schon seit geraumer Zeit, die Landwirtschaft aus diesen Gesprächen herauszunehmen. Die Landwirtschaft macht gerade einmal 5 % des Welthandels aus, doch die Schuld für das Scheitern der Gespräche wird beharrlich der europäischen Landwirtschaft zugeschrieben. Warum sollten 5 % die restlichen 95 % des Handels blockieren? Darüber sollte einmal nachgedacht werden.
Ich war bei der Doha-Gesprächsrunde im vergangenen Dezember in Hongkong und zuvor bei denen in Cancún anwesend und habe das Parlament darüber informiert, dass ein falscher Eindruck entsteht, wenn behauptet wird, Entwicklungsländer würden von einem besseren Zugang zu EU-Märkten profitieren. Das ist ein fataler Irrtum, und trotzdem gibt es heute im Parlament wieder solche Äußerungen. Die Entwicklungsländer hätten durch solch eine Geste kaum etwas zu gewinnen; die EU erlaubt doch bereits jetzt den 50 am wenigsten entwickelten Ländern freien Zugang. Die eigentlichen Gewinner wären die Rinderbarone in Südamerika, wenn wir zulassen, dass die irischen Landwirte verraten und verkauft werden. Die eigentlichen Verlierer wären die europäischen Kleinbetriebe, die bereits am Existenzminimum leben. Da sollten wir uns nichts vormachen.
Nach einer jüngsten Umfrage unter irischen Verbrauchern hat beispielsweise nur jeder Fünfte Vertrauen in Lebensmittel, die von außerhalb der Europäischen Union eingeführt werden. Das ist nicht verwunderlich. Mit einer weiteren Öffnung des EU-Agrarmarktes wird die Sicherheit und Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln ernsthaft in Frage gestellt. Sind wir bereit, eine solche Unsicherheit zu akzeptieren, wenn man bedenkt, dass wir mit diesen Lebensmitteln unsere Kinder ernähren und Lebensmittelkrisen wie Rinderwahnsinn, CJK oder die Vogelgrippe für Aufregung sorgen? Sind wir bereit hinzunehmen, dass Angel Dust und andere bedenkliche Stoffe von brasilianischen Rinderzüchtern völlig frei verwendet werden dürfen?
Wir in Irland haben jüngst den Niedergang unserer Zuckerindustrie erlebt. Brasilianische Zuckerbarone sind die Nutznießer der jüngsten Zuckerreform, während 4000 irische Zuckerrübenbauern arbeitslos geworden sind. In Hongkong konnte ich im Dezember miterleben, wie koreanische Landwirte um ihre Existenz kämpfen, denn diese wird gegenwärtig von transnationalen Getreidekonzernen bedroht, die unter dem Deckmantel des Engagements für Entwicklungsländer Handel treiben. Das Ganze ist ein Trugschluss. Die WTO kann auf keinen Fall Erfolg haben, solange wir darauf bestehen, mit unserer Lebensmittelversorgung und der Existenz kleiner europäischer und irischer Landwirte russisches Roulette spielen. Es ist Zeit für den nächsten Schritt. Es ist Zeit, die Landwirtschaft ein für allemal aus den Gesprächen herauszunehmen und die europäischen Landwirte nicht im Stich zu lassen.
Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Die Aussetzung der Verhandlungen über die Entwicklungsrunde von Doha ist nicht nur für die WTO, sondern auch für sämtliche Verhandlungspartner ein schwerer Schlag. Die WTO hat ihre Glaubwürdigkeit teilweise verloren, während der Welthandel von der Ausgestaltung und Durchsetzung internationaler Vorschriften für den Handelsverkehr profitiert hat. Ich befürchte, die Entwicklungsländer werden die Rechnung für diese Aussetzung bezahlen. Daher appelliere ich an Kommissar Mandelson, sowohl multilateral als auch bilateral die Interessen dieser Länder im Auge zu behalten.
Ein völliger Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven in Afrika gilt als einer der Faktoren, der eine wachsende Zahl von Menschen dazu zwingt, ihr Heil in Europa zu suchen. Ich persönlich habe meine Zweifel an der Zusammensetzung der G-20. Neue wirtschaftliche Macht muss schließlich auch in einer neuen Verantwortung ihren Ausdruck finden. Ich habe den Appell der US-Handelsbeauftragten Susan Schwab an China, einen Beweis für diese neue Verantwortung zu erbringen, stets befürwortet.
Herr Kommissar, in Ihrem Interview mit der deutschen Zeitschrift „Internationale Politik“ haben Sie gesagt, Sie wollen weitermachen und Doha wieder in die rechten Bahnen lenken. Können Sie mir erklären, worauf sich Ihr Optimismus gründet, zumal Sie angeben, mit einem Abschluss der Verhandlungen nicht vor dem Jahresende zu rechnen? Haben Sie konkreten Anlass anzunehmen, dass sich die Amerikaner bis dahin bewegen? Außerdem darf ich Sie noch einmal aufrufen, ganz intensiv über die Europäische Agenda nach Doha nachzudenken, denn das könnte erstrebenswerter sein als wir möglicherweise denken.
Maria Martens (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Es ist außerordentlich enttäuschend, dass die WTO-Verhandlungen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wurden, und Sorge bereitet mir insbesondere die Lage der Entwicklungsländer.
Die Verhandlungen der Welthandelsorganisation hatten bekanntlich zum Ziel, die Position der Entwicklungsländer zu verbessern, und alle Beteiligten sollten ihren Teil dazu beitragen: Europa auf dem Gebiet der Einfuhrzölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die USA in Form der internen Stützung für Landwirte, Entwicklungsländer wie Brasilien und Indien hinsichtlich des Zugangs zu ihren Märkten für Industrieerzeugnisse und so weiter. Und leider, leider wurden keine Fortschritte erzielt, und weitere Verhandlungen könnten jetzt lange auf sich warten lassen.
Ich möchte keiner der Parteien den Schwarzen Peter zuschieben, denn das ist auch insofern schwierig, als derart viele Parteien am Tisch sitzen. Gleichwohl sollten wir nicht verschweigen, dass die Art und Weise, wie der Kommissar gehandelt hat, bedauerlicherweise die angestrebten Ergebnisse nicht gezeitigt hat und dass es jetzt den Entwicklungsländern schwerer fällt, eine stärkere Position in der Weltwirtschaft einzunehmen.
Allerdings freut es mich, dass der Kommissar nicht nur einmal sein Engagement für die Entwicklungsländer zum Ausdruck gebracht hat, und dort möchte ich ihn beim Wort nehmen. Wir können an den Tatsachen nichts ändern, und deshalb kommt es darauf an, in die Zukunft zu schauen, speziell die der Entwicklungsländer.
Während der Verhandlungsrunde wurde im Grunde Übereinstimmung über einige Punkte erzielt, die für Entwicklungsländer ganz wesentlich sind. Dazu zählen, wie bereits erwähnt, Hilfe zum Handel, keine Einfuhrzölle für die ärmsten Länder, Handelserleichterungen sowie besondere und differenzierte Behandlung. Was ein gewaltiger Schritt nach vorn hätte sein können, liegt jetzt im Schoß der Götter. Ich verstehe und nehme auch hin, dass diese Vereinbarungen nach dem Willen des Kommissars so weit als möglich weitergeführt werden sollen. Gleichwohl frage ich mich dann, wie dies nach Ansicht des Kommissars auf diesen Gebieten vonstatten gehen kann. Können die Pläne doch noch umgesetzt werden, und wenn ja, wie?
Abschließend möchte ich die Organisationen zur Exportförderung erwähnen, die mit der WTO in Verbindung stehen. Wir haben noch keine konkreten Vorschläge zu Gesicht bekommen, und deshalb möchte ich wissen, wie sich die Aussetzung der WTO-Verhandlungen nach Auffassung der Kommission auf die Entwicklung der Exportförderungsorganisationen auswirkt. Ist der Kommissar der Meinung, dass es im Rahmen der Verhandlungen über die Exportförderungsorganisationen Spielraum für einen zusätzlichen Schritt zugunsten der AKP-Länder gibt?
Erika Mann (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte das Vergnügen, in diesem Hause zwölf Jahre Handelspolitik zu verfolgen, ich habe drei Kommissare erlebt, und ich weiß, wie schwierig dieses Thema ist. Dieses Haus hat alle Entwicklungen mitgemacht; es hat erlebt, wie schwierig es ist, multilaterale Verhandlungen zu führen, und wie schwierig es auch ist, zu verstehen, was eine moderne Handelspolitik und Handelsstrategie bedeutet.
Ich persönlich bin sehr skeptisch, ob wir das immer richtig verstehen. Die Äußerungen, die Sie eben gemacht haben, kann ich an vielen Stellen nachvollziehen, und ich bin dankbar, dass Sie auf die neue Mitteilung der Kommission „Global Europe: Competing in the World“ hingewiesen haben, die wir demnächst erhalten werden. Manchmal bin ich aber auch unserer eigenen Selbstkritik gegenüber ein wenig skeptisch und auch gegenüber dem Verständnis der Veränderungen, die wir in der Welt erfahren.
Es ist auf der einen Seite sicherlich einfach, die Amerikaner zu kritisieren — und es gibt viele Gründe sie zu kritisieren —, aber es ist auch wichtig zu erwähnen, dass aus Gründen, die Kollegen bereits angesprochen haben, auch in Entwicklungsländern wie etwa Brasilien Skepsis besteht, der WTO zuzustimmen. Ein weiterer Faktor ist vielleicht auch, dass China ein Welthandelspartner geworden ist und die Einwirkungen Chinas z. B. in Mexiko oder in anderen Ländern gravierender sind als in der EU oder den Vereinigten Staaten.
Es gibt so viele Gründe, und ich vermisse manchmal, dass die Debatte über eine moderne Handelspolitik, von der Sie selber in Ihrem eigenen Dokument sprechen, nicht in der Tiefe geführt wird, wie dies erforderlich wäre. Dazu gehört auch das Verständnis dafür, dass die Mitgliedstaaten in der EU ganz unterschiedlich positioniert sind, was die globalen Herausforderungen anbelangt. Wir haben Länder, die sehr offen sind, weil sie sich das erlauben können, wir haben aber auch Länder, die sehr spät ihre Reformen und ihre Transformation durchgemacht haben und daher Schwierigkeiten haben.
Wir sehen das an der Diskussion über das Thema Textilien, wir sehen das an der Antidumping-Diskussion bei Schuhen, und es gibt viele andere Beispiele. Ich vermisse einfach, dass wir tatsächlich durchreflektieren, was wir unter moderner Handelspolitik verstehen.
Dazu gehört — wie ich erwähnt habe — die Rolle Chinas. Haben wir wirklich verstanden, was die Aufnahme Chinas in die WTO bedeutet? Führen Sie die Diskussion mit uns, Herr Kommissar, wenn es darum geht, Russland in die WTO aufzunehmen! Ich vermisse diese Debatte über die Auswirkungen und die Konsequenzen. Ich vermisse die Diskussion, und ich unterstütze sie. Dieses Haus hat sie bereits 2002 unterstützt und sich für die Aufnahme bilateraler Verhandlungen mit Asien ausgesprochen. Ich vermisse jedoch die Tiefe der Debatte mit diesem Haus und mit dem zuständigen Ausschuss.
Ich vermisse die Diskussion darüber, was es bedeutet, wenn wir zu den GATS+-Verhandlungen im Rahmen der bilateralen Runde gehen. Auch hier wiederum: Sie haben Recht, aber ich vermisse die Diskussion.
Was ich im Sinne einer modernen Handelspolitik besonders vermisse ist, dass dieses Haus vollständig einbezogen wird, und zwar bereits in die Beratungen zu den Verhandlungen, nicht erst wenn wir den Verhandlungsergebnissen zustimmen sollen.
Wir haben schon einmal eine Stuttgarter Erklärung zwischen Kommission, Rat und dem Europäischen Parlament ausgehandelt, wo das Europäische Parlament vollständig oder zumindest weitgehend einbezogen wird. Ich würde Ihnen empfehlen — und ich wünsche, dass Sie dem zustimmen —, dass wir dies wieder tun.
Sajjad Karim (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Die Aussetzung der Doha-Runde auf unbestimmte Zeit birgt erhebliche Risiken für unsere Weltwirtschaft. Damit würden die Gleichstellung und das Gedeihen der Entwicklungsländer gefährdet, aber auch Arbeitsplätze, Wachstum und Sicherheit in Europa sowie die Zukunft des multilateralen Systems an sich. Eine neue explosionsartige Zunahme diskriminierender bilateraler und regionaler Vereinbarungen könnte die weltweite Liberalisierung ersetzen, womit das multilaterale und auf Regeln beruhende System der WTO ausgehöhlt würde.
Einige werden vielleicht sagen, dass für die Entwicklungsländer gar kein Abschluss besser ist als ein schlechter Abschluss, doch werden sie ohne den Schutz der WTO – wie sie bereits sagten, Herr Kommissar – im unilateralen Gerangel um die Vormachtstellung im Handel dem Missbrauch hilflos ausgesetzt sein. Ein Scheitern wird bedeuten, dass Protektionismus das Vakuum auffüllen wird, da der Anreiz zum umfangreichen Abbau von Handelshemmnissen schwindet; die Weltwirtschaft wird sich verlangsamen und globale Handelsungleichgewichte werden weiter zunehmen; die Finanzmärkte werden instabiler; die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit wird immer mehr zum Erliegen kommen. Die Aushöhlung des WTO-Systems nährt Spekulationen, wie ein „Plan B“ aussehen könnte: vielleicht eine ostasiatische Freihandelszone; vielleicht die von Japan vorgeschlagene umfassende panasiatische Wirtschaftspartnerschaft, die Indien, Australien und Neuseeland mit einschließt. In beiden Fällen würde sich ein neuer asiatischer Block herausbilden, der gemeinsam mit der Europäischen Union und der NAFTA eine tripolare Welt mit all ihren innewohnenden Schwächen zur Konsequenz hätte.
Teilt die Kommission die Auffassung, dass jetzt dringend ein Plan B benötigt wird, um die Welthandelspolitik wieder in Gang zu bekommen, und die EU unbedingt bei der Gestaltung der Welthandelsordnung eine Schlüsselrolle übernehmen muss? Teilt die Kommission die Auffassung, dass eine solche Strategie folgende drei Kernziele haben muss: Wiederbelebung von Doha; Entwicklung einer anspruchsvollen Alternative zur Wiederaufnahme des Liberalisierungsprozesses auf weitestmöglicher Basis, falls wir mit unserem ersten Ziel scheitern; Verhinderung von immer weiteren Präferenzabkommen zwischen kleinen Ländergruppen?
Ich habe immer wieder vor Ihnen gestanden, Herr Kommissar, und über die gegenseitigen Schuldzuweisungen nachgedacht, mit denen die Fortschritte torpediert wurden. Es ist Zeit, diese Schuldzuweisungen zu beenden. Die Initiative „Alles außer Waffen“ zeigt, dass die EU etwas Positives leisten kann, aber wir können und müssen mehr zustande bringen, bevor das US-Mandat ausläuft und mit ihm unsere Chance, Armut zu beseitigen und die Früchte der Globalisierung fair zu verteilen.
Vittorio Agnoletto (GUE/NGL). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die bisherigen Ergebnisse der Doha-Runde und der Abschluss des TRIPS-Übereinkommens über den Zugang zu Arzneimitteln haben verheerende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen vieler Millionen Menschen. Augenscheinlich ist der Slogan „Freier Handel = Verringerung der Armut“ nur ein Lockmittel, um die südlichen Länder, die ärmsten Länder der Welt, davon zu überzeugen, die Erwartungen der Industrieländer zu erfüllen.
Der eigentliche Grund für die Einstellung der WTO-Verhandlungen ist das Unvermögen, eine Einigung zwischen den sechs Hauptländern zu erzielen, die darauf bedacht sind, die Interessen ihrer Agrarindustrie zu verteidigen; die anderen 143 Länder waren von den Verhandlungen ausgeschlossen. Nach Auffassung der FAO liegt der Grund für das Scheitern darin, dass man sich in den Gesprächen völlig auf freien Handel anstatt auf fairen Handel konzentriert hat. Besser gar keine Einigung als eine schlechte Einigung!
Die Aussetzung der Verhandlungen kann eine Gelegenheit bieten, das Verhandlungsmandat der Kommission zu überprüfen, um folgende Ziele in seinen Mittelpunkt zu rücken: 1) eine Reform der WTO, die demokratischer und transparenter gestaltet werden, die Einbindung aller Mitglieder ermöglichen, in das System der Vereinten Nationen integriert werden und auf der Grundlage des Völkerrechts an ihre Beschlüsse gebunden werden muss; 2) eine Revision der heute auf der Tagesordnung stehenden wichtigsten drei Übereinkommen: Landwirtschaft, geistiges Eigentum und Dienstleistungen; 3) ein verbindlicher Referenzrahmen für die Tätigkeit transnationaler Unternehmen; 4) die Achtung der Rechte der Völker zu einer Bedingung des Freihandels zu erheben, um die Einhaltung der Menschenrechtsklausel in der vom Europäischen Parlament am 14. Februar beschlossenen Form zu gewährleisten; 5) Durchsetzung des Grundsatzes, dass Regelungen, die in einem multilateralen Rahmen angenommen wurden, nicht auf bilateraler oder regionaler Ebene umgangen werden dürfen, wobei die WPA-Verhandlungen mit den AKP-Staaten als Beispiel dienen mögen.
Daniel Varela Suanzes-Carpegna (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die mündliche Anfrage unseres Ausschusses für internationalen Handel ist sehr wichtig und kommt zum richtigen Zeitpunkt. Das Europäische Parlament darf nicht wegschauen, wenn so wichtige Verhandlungen auf multilateraler Ebene, die so große Hoffnungen auf einen besser organisierten, transparenteren, freieren und gerechteren Handel geweckt haben, abgebrochen werden.
Wir möchten auf den Entschließungsantrag verweisen, den unsere Fraktion zu den konkreten Aspekten eingebracht hat, über die wir hier diskutieren. Aber wir möchten darauf aufmerksam machen, dass ein Scheitern der Doha-Runde einen Misserfolg für den internationalen Handel und für das multilaterale System bedeuten würde, denn es würde die erreichten Erfolge gefährden, wie die Zoll- und Handelspräferenzen, und zu einer Vielzahl und einer Überlappung von Regeln führen und dadurch den Unternehmen das Leben noch schwerer machen.
Die wirklich wichtigen Gründe für dieses Scheitern müssen vollständig aufgedeckt werden. Die unflexiblen Staaten, die die Verhandlung behindert haben, müssen verurteilt werden, und wir dürfen die Verhandlungen nicht aufgeben. Es gilt, sie wieder zu beleben, um die bereits erreichten Fortschritte zu nutzen und die Doha-Runde zu einem Erfolg für eine gerechtere Form der Globalisierung und zum Nutzen der WTO selbst zu machen. Die Zukunft dieser Organisation steht auf dem Spiel; die WTO könnte durch diese Krise schwer beschädigt werden. Das erfordert ein gründliches Nachdenken, und die Funktionsmechanismen der WTO müssen aktualisiert, modernisiert und demokratisiert werden.
Das Europäische Parlament muss weiterhin durch eine ernsthafte und genaue Überwachung der entstandenen Situation und durch die Förderung einer Lösung für die derzeitige Sackgasse zum Nutzen aller, aber vor allem, wie hier erklärt wurde, zum Nutzen der am wenigsten entwickelten Länder, die ihm zugewiesene Rolle spielen.
Herr Kommissar! Wir danken Ihnen für Ihre Anwesenheit und die uns übermittelten Informationen, und Sie wissen, dass Sie bei den Bemühungen zur Aufhebung der Blockade dieser Verhandlungen, wie andere Redner erklärten, auf dieses Parlament zählen können.
Javier Moreno Sánchez (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der kommerzielle Himmel über Genf trübte sich im vergangenen Juli. Trotz des hoffnungsvollen Sonnenstrahls, der einige Tage zuvor von der G8 in St. Petersburg gesendet wurde, verdunkelten sich die Gedanken einiger Unterhändler und die Verhandlungen der Entwicklungsrunde wurden für unbestimmte Zeit unterbrochen.
Fußballspiele werden auch wegen schlechten Wetters unterbrochen, aber sie werden schließlich zu Ende gespielt, wenn sich der Nebel hebt oder der Sturm vorbei ist.
Die derzeitige Situation sollte uns nicht entmutigen oder den politischen Willen untergraben, auf dem Weg des Multilateralismus und der Entwicklung weiter voranzukommen. Wir müssen weiterkämpfen, um ein multilaterales internationales Handelssystem mit klaren, transparenten und verbindlichen Regeln aufrechtzuerhalten, in dem alle Länder, und insbesondere die Entwicklungsländer, voll mitwirken und aus dem sie Nutzen ziehen können.
Andernfalls würden wir den Dschungel des Bilateralismus betreten. Das würde das gegenwärtige Durcheinander von über 250 bilateralen Abkommen noch vergrößern, die Entwicklungsländer würden bestraft werden, und Darwinismus, Protektionismus und Diskriminierung würden gefördert. Wir dürfen nicht rückwärts gehen.
Herr Kommissar! Was geschieht mit den im Dezember letzten Jahres in Hongkong erzielten Verpflichtungen und Übereinkommen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung? Ist der Grundsatz des Gesamtverhandlungspakets in der Strategie der Kommission weiterhin gültig? Wird die Abschaffung der Exportbeihilfen zum Jahr 2013 beibehalten? Was geschieht mit den Verhandlungen über die Baumwolle? Welche Länder sind bereit, alle diese Vereinbarungen umzusetzen?
Darüber hinaus wurde in Genf erklärt, dass alle Verhandlungspartner letztendlich Nachteile erleiden würden. Auch alle Bürger und insbesondere die aus den am wenigsten entwickelten Ländern verlieren dadurch.
Welche Initiativen plant die Kommission, um den Bürgern zu erläutern, dass die WTO nicht tot ist und dass sie noch immer das beste Instrument zur Regulierung und Förderung eines gerechten und freien internationalen Handels darstellt?
Godelieve Quisthoudt-Rowohl (PPE-DE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich ist es grundsätzlich schlimm, wenn die Verhandlungen der Doha-Runde abgebrochen werden. Aber in jeder Krise steckt eine Chance. Von einer Runde zur anderen weiterzugehen und ständig zu sagen, wir sind damit nicht zufrieden, aber wir machen weiter, hat – so wie wir es in den letzten Jahren erlebt haben – auch keinen besonderen Erfolg gebracht. Dementsprechend muss die Zeit, die wir jetzt haben, für uns auch eine Zeit des Nachdenkens werden.
Theoretisch sehen wir alle ein, dass die WTO mit 150 Mitgliedsländern nicht so zu führen ist wie mit den 23 Ländern, die sie anfänglich zählte. Warum ziehen wir daraus nicht besondere Schlüsse? Warum können wir nicht auch einmal darüber nachdenken, wo insgesamt gesehen die europäischen Interessen liegen und wo wir in den verschiedenen Sektoren stehen? Es ist nicht damit getan zu sagen, die Landwirtschaft bringt nur 2 oder 3% des gesamten Handelsvolumens, wenn es effektiv große Regionen der Europäischen Union tangiert und wenn es unsere Gesellschaftsform verändern würde. Wir müssen also eine Art Overall-Konzept finden. Es ist wirklich einen Versuch wert, dieses Konzept zu suchen.
WTO-Verhandlungen, Handelsverhandlungen, die wie ein Flickenteppich geführt werden – ich gebe Dir drei Kühe und Du gibst mir dafür zwei Fische –, bringen es nicht mehr. Wenn die Differenzierung der Staaten ständig wächst – was Sie, Herr Kommissar auch gesagt haben –, warum denken wir dann in Kategorien wie multilateral oder bilateral? Warum können wir nicht anfangen, in Kategorien wie zum Beispiel multiregional zu denken?
Wir können in dieser differenzierten Welt nicht alle Staaten mit dem gleichen Maßstab behandeln. Bei aller Liebe zur Entwicklungspolitik – und dahinter stehe ich auch – sind wir als Europäische Union auch unseren eigenen Bürgern gegenüber verpflichtet.
Was sehr wichtig ist in diesen Runden und was das Scheitern dieser Runden gezeigt hat, ist Folgendes: Auf dem Weg der Verhandlungen müssen die Parlamente stärker mit einbezogen werden. Es reicht nicht, wenn ein Parlament am Ende sagen kann: Ja, ich bin einverstanden, oder nein, ich bin nicht einverstanden. Wenn wir uns schon beklagen, dass der Bürger nicht mit einbezogen wird, dann sollen wenigstens seine Vertreter das Recht haben, bei den Verhandlungen mit dabei zu sein und zumindest angehört zu werden. Wir sind im Endeffekt diejenigen, die es nachher den Wählern erklären müssen.
Margrietus van den Berg (PSE). – (NL) Herr Präsident! Als die Doha-Runde Ende Juli fürs Erste zum Stillstand kam, hatten wir bereits kleine Schritte hin zum fairen Handel getan. Vereinbart wurde, dass 2003 sämtliche Ausfuhrsubventionen für landwirtschaftliche Erzeugnisse abgeschafft werden und dass neben der EU auch die USA und Japan den am wenigsten entwickelten Ländern für 97 % aller Erzeugnisse freien Marktzugang gewähren. Übereinstimmung herrschte über ein umfassendes Paket der Hilfe zum Handel, und schließlich hatten die US-Amerikaner erklärt, sie seien willens, mit dem Auslaufen ihrer Hilfe für den Baumwollsektor zu beginnen.
Nach fünf Jahren war dies ein hart erkämpftes Ergebnis, aber die Unterschrift fehlt selbstverständlich, und ich bin, wie schon gesagt, nicht der Meinung, dass die ärmsten Länder dabei den Kürzeren ziehen sollten. Für das Erreichen der Millenniumsziele im Jahr 2015 ist es schlicht und einfach wichtig, dass diese Maßnahmen getroffen werden.
Auf meine schriftliche Anfrage hat der Kommissar seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, für die ärmsten Länder eine Vorabausstattung mit diesem Paket vorzuschlagen. Kann er seine Zusage hier in dieser Aussprache bestätigen? Könnte er zudem bekräftigen, dass die EU 2013 ihre Ausfuhrsubventionen nötigenfalls einseitig abschaffen würde?
Ist er nicht auch meiner Meinung, dass eine derartige Vorabausstattung den am wenigsten entwickelten Ländern auch helfen könnte, die Dinge wieder in die rechte Bahn zu lenken? Nach wie vor vertrete ich die Auffassung, dass, wenn Abmachungen zwischen den Stärksten bilateral, multilateral, regional oder wie wir es auch bezeichnen mögen, getroffen werden, insbesondere die schwächsten Länder den Kürzeren ziehen. Der Kommissar selbst hat verschiedentlich darauf hingewiesen, und aus gutem Grund erklärt er deshalb, dass wir uns, da diese Länder nicht den Preis dafür bezahlen sollten, doch noch für dieses multilaterale Handelsabkommen einsetzen müssen.
Der Kampf gegen Armut darf nicht das Opfer festgefahrener Verhandlungen werden. Lässt sich die Welthandelsrunde nicht mehr retten, dann sollten wir zumindest die Millenniumsziele bewahren.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich wird die Heuchelei aufgedeckt, die auf dieser Erde im Bereich des Welthandels herrscht, sowie der Dialog zwischen den Betrügern, Lügnern und Dieben. Wäre die Lage nicht so dramatisch, dann wären alle erleichtert, dass die Wölfe unverhüllt aus dem Wald herauskommen und dass die Lehrlinge daran erinnert werden, dass die Meister es zuweilen mit gleicher Münze heimgezahlt bekommen.
Sie tun recht daran, Herr Mandelson, das in zwei Wochen angesetzte Treffen im australischen Canberra zu boykottieren, denn die Welthandelsorganisation sollte nicht so schnell begraben werden. Die Lage ist äußerst ernst, denn die Regierungen haben sich als unfähig erwiesen, den Welthandel im Interesse der Allgemeinheit zu leiten und – schlimmer noch – als unfähig, einen Zeitplan für die Entwicklung zu entwerfen.
Ich möchte Ihnen ein paar Gedanken mitteilen und einen Vorschlag unterbreiten. Was die Agenda von Doha angeht, so wäre es sinnvoll, den Teil zur Entwicklung zu berücksichtigen, bei dem Übereinstimmung herrscht, und die Reform des Welthandels zu verschieben, bis die Entwicklungsländer Sozial- und Umweltnormen angenommen haben, die einen fairen internationalen Wettbewerb ermöglichen.
Mein zweiter Gedanke betrifft die Landwirtschaft. Die Europäische Union sollte keine weiteren Zugeständnisse mehr anbieten, bis sie weiß, wie die Landwirtschaft nach 2013 aussehen wird, insbesondere angesichts der rasanten Entwicklung in der Biotechnologie und der Probleme der Welternährung, die zwangsläufig aufkommen werden.
Die Frage ist, Herr Kommissar, ob Sie uns versichern können, dass die seit der Reform im Jahr 2003 geltende Gemeinsame Agrarpolitik mit den derzeitigen WTO-Regeln vereinbar ist und dass wir nicht Gefahr laufen, aus einem Streitfall, der dem Urteil des Streitbeilegungsgremiums unterliegt, als Verlierer hervorzugehen?
Abschließend schlage ich vor, dass angesichts des Unvermögens unserer politischen Führungskräfte, sich über den Welthandel zu einigen, unverzüglich unter der Leitung der internationalen Interparlamentarischen Union und des Europäischen Parlaments eine parlamentarische Initiative auf den Weg gebracht wird. Diese Initiative würde darin bestehen, die legitimen Volksvertreter zu diesem Thema zu befragen und ihnen Vorschläge für den richtigen Weg zu unterbreiten, um das erschreckende Durcheinander, das derzeit im Welthandel herrscht, zu beseitigen.
Glenys Kinnock (PSE). – (EN) Herr Präsident! Wie der Kommissar und andere bereits gesagt haben, ist und bleibt eine Wende in der Landwirtschaft der entscheidende Faktor, um Millionen von Landwirten in Afrika, Asien und Lateinamerika aus der Armut zu helfen.
Herr Kommissar, solange wir in der reichen Welt nicht für einen gerechteren und leichteren Zugang zu unseren Märkten sorgen, wird es keine realistische Aussicht auf einen umfassenderen Abschluss im Bereich der Industrieerzeugnisse und Dienstleistungen geben. Ein Umschwenken zu regionalen Handelsabkommen wäre, wie Sie und andere schon sagten, ein erheblicher Rückschritt und würde das Grundprinzip der Nichtdiskriminierung untergraben. Mit solchen Abkommen würde man einen Großteil der ärmsten Länder der Welt ausschließen, darunter auch die AKP-Länder, die als solche natürlich im Allgemeinen klein, anfällig und von geringer wirtschaftlicher Bedeutung sind.
Bevor wieder Verhandlungen aufgenommen werden, müssen die reichen Länder die Subventionen und das Dumping angehen, vor allem bei Baumwolle. Außerdem wird dringend eine Entscheidung über die handelsbezogene Entwicklungshilfe benötigt, die weitere Gelder erfordert und nicht an Bedingungen geknüpft sein darf. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass bei den Vorbereitungen Tempo und Umfang der Marktöffnung für die Entwicklungsländer von entscheidender Bedeutung sind, was auch für die besondere und differenzierte Behandlung und den Zollschutz gilt.
Es wurde darauf hingewiesen, dass eine Flut von Handelsbeschwerden vor der WTO droht. Deshalb sollte meiner Ansicht nach der Sanktionsmechanismus gründlich reformiert werden; schließlich kommt er gegenwärtig nur zum Tragen, wenn der Beschwerdeführer ein wichtiger Akteur ist. Rohstoffabhängige AKP-Länder wissen das nur zu gut, denn sie haben es schon am eigenen Leib erfahren.
Ob jemand gerade winkt oder am Ertrinken ist, lässt sich manchmal nur sehr schwer unterscheiden. Eine multilaterale Einigung ist unverzichtbar. Regionale, bilaterale Vereinbarungen sind nicht das, was wir wollen.
Herr Kommissar, Sie stehen vor einer gewaltigen Aufgabe, die Ihr diplomatisches Geschick und Ihre Fähigkeit zur Konsensbildung auf die Probe stellen wird, was auch für die anderen Beteiligten gilt. Wir wünschen Ihnen bei dieser Aufgabe viel Erfolg.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich war die ganze Zeit erstaunt über den Optimismus, den der Kommissar während dieser Gespräche an den Tag legte. Nach Ansicht vieler von uns waren sie von vornherein zum Scheitern verurteilt, vor allem weil die EU zu früh zu viele Zugeständnisse machte, während die USA zu Beginn kaum dazu bereit waren und ihren Standpunkt dann beharrlich verteidigten.
Wie Sie selbst sagten, Herr Kommissar, stand die Landwirtschaft zu sehr im Mittelpunkt. Nun wird sie für das offensichtliche Scheitern der Gespräche über Gebühr verantwortlich gemacht. Das Potenzial von Doha, Armen aus der Armut zu helfen, wurde überbewertet. Ich habe schon früher hier gesagt, dass die Armen viel zu oft und in viel zu vielen Verhandlungen nur vorgeschoben werden. Ihren Interessen wurde bei den jetzt geführten Gesprächen wenig gedient.
Der Preis, den die Landwirtschaft und die Verbraucher der EU bei der Lebensmittelversorgung zu zahlen haben, ist enorm – Sie haben das heute Morgen kurz beschrieben: Einbußen von 20 Milliarden US-Dollar jährlich. Vielleicht sollten wir die betroffenen Bereiche konkret beim Namen nennen. Wir ziehen uns aus den Milch-, Geflügel- und Getreidemärkten zurück, ganz zu schweigen vom Rindfleisch. Ich kenne nicht viele arme Landwirte, die davon profitieren werden, aber ich kenne viele in den G20-Ländern, die nicht arm sind und erheblich profitieren würden. Meines Erachtens ist kein Abschluss eben doch besser als ein schlechter Abschluss.
Wenn die Armen dieser Welt Nahrung und sauberes Wasser benötigen – was bekanntlich der Fall ist –, dann war Doha nie und nimmer der geeignete Weg dafür. Es tut mir leid, dass ich es so sagen muss, aber dies ist nun mal eine Tatsache. Was wir zusätzlich noch bedenken müssen, ist die echte Bedrohung für die Europäische Union. Wir haben die Standards für die Nahrungsmittelerzeugung erhöht; wir haben Umwelt- und Tierschutzbestimmungen. Das ist in Doha nie aufs Tapet gekommen, so dass ein fairer Handel für Landwirte weltweit nie in Aussicht stand.
Ich habe einige Fragen an den Kommissar, von denen eine sehr konkret ist. Die erste werde ich selbst beantworten: Wird der Welthandel – der freie Handel – den Planeten in ausreichendem Maße mit Nahrungsmitteln versorgen? Ich glaube nicht. Wir müssen uns um die Nahrungsmittelerzeugung genauso kümmern, wie wir uns gegenwärtig um die Energie Sorgen machen. Wie sieht es schließlich mit den GAP-Reformen aus? Wir haben sie auf dem Tisch; wir werden mehr Zugeständnisse machen müssen. Sieht unser Ergebnis am Verhandlungstisch letztlich so aus, weil wir zu früh zu viele Zugeständnisse gemacht haben?
David Martin (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich muss meiner Vorrednerin, Frau McGuinness, in Bezug auf ihre Bemerkung über die Armen in jeder Hinsicht widersprechen. Die Alternative zu einer erfolgreichen Doha-Runde zeichnet sich leider jetzt schon ab. Sie ist ein Rückschritt hin zu einer Welt voller ungerechter und exklusiver bilateraler Abkommen: Abkommen, die bereits jetzt viele arme Länder dazu nötigen, schlechtere Bedingungen für den Marktzugang und die Rechte an geistigem Eigentum zu akzeptieren; Abkommen, die die ärmsten Länder im Regen stehen lassen. Ich glaube, dass wir mit einigen weiteren Anstrengungen den Abschluss einer Runde, in der es wirklich um Entwicklung geht, erreichen können und auch sollten. Dies wird seine Zeit brauchen. Kurzfristig müssen wir, wie bereits gesagt wurde, das in Hongkong Erreichte sichern: die wegweisende Übereinkunft, die Exportsubventionen bis 2013 abzuschaffen; einen zoll- und kontingentfreien Zugang für die ärmsten Länder nach dem Vorbild der EU-Regelung „Alles außer Waffen“; außerdem umfangreiche Zusagen zum Ausbau der Handelsförderung, um die Lieferkapazität und die handelsbezogene Infrastruktur in den am wenigsten entwickelten Ländern zu verbessern.
Für die Flexibilität, die er seit dem Scheitern des Gesamtverhandlungspakets zur Rettung des Entwicklungspakets an den Tag gelegt hat, muss ich dem Kommissar meine Anerkennung aussprechen. Eine solche Flexibilität ließen einige unserer Verhandlungspartner leider vermissen.
Wenn man bei der WTO Bilanz zieht, so kommt der jüngste Bericht über die WTO-Task Force „Handelsförderung“ zur rechten Zeit. Er stellt heraus, dass eine zusätzliche nachfragegesteuerte Unterstützung wirklich benötigt wird, um so den ärmsten Ländern zu ermöglichen, am globalen Handelssystem teilzunehmen. Handelsförderung kann kein Ersatz für die Ergebnisse der Doha-Runde sein, doch in der Zwischenzeit ist sie ein wichtiges Instrument zur Bewältigung der technischen und logistischen Herausforderungen, die diese Länder zu meistern haben, um ihre Waren auf den Weltmarkt zu bringen.
Das Stocken der Doha-Verhandlungen und die Ernüchterung mit Blick auf ihre Ziele bedeutet, dass die Handelsförderung jetzt politisch angebrachter denn je ist. Es ist im Interesse aller Länder, sowohl der Industrieländer als auch der fortgeschritteneren Entwicklungsländer, multilateral Mittel bereitzustellen, um zu gewährleisten, dass geeignete Investitionen in die handelsbezogene Infrastruktur erfolgen, damit die ärmsten Länder sich über den Handel ihren Weg aus der Armut bahnen können.
Ich würde mich freuen, wenn die EU – insbesondere die Kommission – in diesen Fragen mit gutem Beispiel voranginge.
Syed Kamall (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Wir alle wissen um die Schwierigkeiten und das komplizierte Umfeld bei den WTO-Verhandlungen und stehen hinter dem Kommissar und seinem Team. Die EU hat ein vernünftiges Paket auf den Tisch gelegt; wir haben auf ernsthafte Gegenangebote gewartet und wurden von dem, was zurückkam, tief enttäuscht.
Jetzt ist es an der Zeit, dass die EU moralischen Mut beweist und eine Vorreiterrolle übernimmt. Hat die Kommission bedacht, welche potenziellen Kosten und welcher potenzielle Nutzen entstehen, wenn die EU einseitig alle ihre Subventionen und Einfuhrzölle auf Agrarerzeugnisse abschafft, und wie sich dies positiv auf die EU, die Entwicklungsländer und die WTO-Verhandlungen auswirken würde?
In Neuseeland gab es einen Aufschrei der Landwirte, als ihnen die Subventionen gestrichen wurden. Trotzdem gehören die neuseeländischen Landwirte heute zu den leistungsfähigsten auf der Welt und zwingen sogar andere Handelblöcke dazu, die Zölle und Handelsschranken für ihre Erzeugnisse zu erhöhen.
Wir leben nicht mehr im Europa der Nachkriegszeit, in dem Ernährungssicherheit ein berechtigtes Anliegen war. Vielmehr müssen wir die Landwirte der EU in das 21. Jahrhundert führen und bei der Festlegung von Terminen für die Abschaffung der Subventionen wie auch der Zölle eine moralische Vorreiterrolle übernehmen, damit die weniger entwickelten Länder durch neue Märkte für ihre Erzeugnisse profitieren können. Die Landwirte der EU würden damit zu den effizientesten der Welt zählen, und wir würden die angestrebte Liberalisierung der Dienstleistungen erreichen und könnten der Welt zeigen, was Europa zu leisten imstande ist.
Der Präsident. Vielen Dank, Herr Kamall. In Ihrem Wahlkreis gibt es wohl nicht allzu viele Landwirte, oder?!
Kader Arif (PSE). – (FR) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar! Für alle, die an der multilateralen Struktur hängen, wie gerade erklärt wurde, ist diese Aussetzung der Verhandlungen über die Entwicklungsagenda von Doha, die es ermöglichen sollte, die Handelsregeln in den Dienst der Entwicklung zu stellen, eine sehr schlechte Nachricht. Im Falle eines endgültigen Scheiterns wissen wir, was uns erwartet: eine starke Vermehrung regionaler Abkommen, die immer auf Kosten des Schwächsten gehen. Also genau das Gegenteil unseres Ziels, die internationalen Handelsregeln zugunsten der Entwicklungsländer anzupassen.
Diese Handelsrunde sollte es uns doch ermöglichen, eine gerechtere Verteilung der Gewinne der Globalisierung zu garantieren und die Unterschiede beim Entwicklungsstand zu berücksichtigen. Sie sollte den Entwicklungsländern auch einen besseren Zugang zu den Märkten ermöglichen, ohne um jeden Preis die Öffnung ihrer eigenen Märkte zu erzwingen. Natürlich hatten diese Verhandlungen einige Schwachpunkte, aber sie führten auch zu Fortschritten, wie ja bereits festgestellt wurde. Diese Fortschritte, diese Siege müssen gerettet werden, und ich begrüße den von Kommissar Mandelson zum Ausdruck gebrachten Wunsch. Dieser Wunsch ist angebracht, und die Verhandlungen müssen unbedingt wieder aufgenommen werden. Doch voranschreiten heißt auch Reformen durchführen, und die Frage der WTO-Reform ist heute auf dem Tisch.
Panagiotis Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte gleich zu Beginn sagen, dass ich der Sichtweise Kommissar Mandelsons und seinen Anmerkungen voll und ganz zustimme. Zweifellos muss unser grundlegendes Ziel nach wie vor darin bestehen, die Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Das wäre im Interesse der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten.
Dieser Erfolg darf jedoch keinesfalls um jeden Preis erzielt werden. Und er darf auch nicht dadurch erreicht werden, dass die Europäische Union einseitige Zugeständnisse macht.
Ich glaube, jetzt ist der Moment gekommen, an dem wir auf eine entscheidende, strategisch bedeutende Frage antworten müssen: Kann die institutionelle Struktur der Welthandelsorganisation, wie sie uns seit ihrer Gründung 1995 vertraut ist, dem strategischen Ziel der Europäischen Union, ein demokratisches multilaterales Handelssystem zu errichten, von Nutzen sein? Ich fürchte, angesichts unserer bisherigen Erfahrungen und in Anbetracht des Scheiterns der Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde ist sie ihm keineswegs dienlich.
Die Welthandelsorganisation schafft derzeit mehr Krisen, als dass sie diese löst. Deshalb messe ich der Priorität, dass die Europäische Union die Initiative zu einer umfassenden und ambitionierten demokratischen Reformierung der Welthandelsorganisation ergreift, strategische Bedeutung bei, so wie ich es auch für strategisch wichtig halte, dass die Europäische Union eine integrierte handelspolitische Strategie für die Entwicklung bilateraler und regionaler Handelsbeziehungen ausarbeitet.
Das ist genau das, was die Vereinigten Staaten tun, wie Ihnen, Herr Mandelson, bekannt ist; neben der Doha-Runde entwickeln sie ihre bilateralen und regionalen Handelsbeziehungen. Wir sollten und wir müssen das Gleiche tun.
Derzeit bilden sich regionale und globale Verbindungen heraus, die nicht nur kommerzielle, sondern auch politische Macht besitzen, und die Europäische Union darf hinter diesem großen strategischen Vorhaben nicht zurückbleiben.
Harald Ettl (PSE). – Herr Präsident! Die Gefahr, dass es durch ein längerfristiges Aussetzen der Doha-Verhandlungen wieder zu einer Vervielfachung bilateraler Freihandelsabkommen kommt, ist real. Leidtragende bei einer derartigen Entwicklung sind sicher die ärmsten Länder dieser Welt, aber auch die Durchsetzung von Arbeitnehmer(innen)interessen wird immer schwieriger.
Von unserem ambitionierten Ziel, zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Weltwirtschaft zu gelangen, ist nicht mehr viel übrig. Seit den 70er Jahren haben sich die Industriestaaten verpflichtet, 0,7% des Bruttosozialproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. 2005 lagen wir bei mageren 0,33%. Nun könnte eine Art globaler Marshallplan eine neue Initiative für beide Seiten sein, um einerseits durch den Aufbau fairer Marktchancen den wirklich ärmsten Ländern der Welt bei der Beseitigung der Armut zu helfen und andererseits Öko- und Sozialdumping zu vermeiden.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Dies war eine sehr nützliche Aussprache, denn sie hat unsere Aufmerksamkeit auf das Wesentliche gelenkt, Erkenntnisse vermittelt und Orientierungspunkte gesetzt, und genau dies sind auch die wesentlichen Aufgaben des Parlaments gegenüber der Kommission.
Ich bin noch nicht allzu lange Kommissar und weiß nicht, was in der Vergangenheit geschehen ist und welche Präzedenzfälle es bereits gibt, doch spüre ich instinktiv, dass der Informationsaustausch, die Konsultation und der Dialog zwischen mir und dem Parlament bzw. dem Ausschuss für internationalen Handel sehr intensiv sind. Jedenfalls sind sie umfassender, häufiger und gründlicher, als ich dies als Minister in meinem nationalen Parlament gewohnt war. Ich begrüße die Intensität und den Umfang dieser Kontakte und bin über die vorgebrachte Kritik etwas verwundert. Ich weiß nicht, ob sie für das Parlament oder den Ausschuss für internationalen Handel als Ganzes repräsentativ ist, was ich nicht hoffe.
Die Kommission konsultiert das Parlament zu allen wesentlichen handelspolitischen Leitlinien auf der Grundlage des Westerterp-Verfahrens, das bekanntlich vorsieht, dass vor der Eröffnung von Verhandlungen über eine Handelsvereinbarung eine Aussprache im Parlament stattfinden kann und dass vor dem Abschluss eines solchen Abkommens eine Unterrichtung durch den Rat erfolgt. Ebenso halten wir uns an die Erklärung von Stuttgart, nach der das Parlament zu allen Vereinbarungen konsultiert werden sollte – einschließlich derer, die unter den damaligen Artikel 113 fielen –, die für die Gemeinschaft von erheblicher Tragweite sind.
Wie sehr wir zu dieser Beziehung stehen, ist daran ablesbar, dass wir dem Ausschuss für internationalen Handel Kopien aller politischen Dokumente zuleiten, die im Ratsausschuss „Artikel 133“ beraten werden. Wir sind gesetzlich nicht verpflichtet, dies zu tun. Wir tun es, weil es richtig ist und weil es zur Festigung unserer Beziehungen beiträgt. Natürlich könnten wir in Zukunft noch mehr unternehmen, aber das, was wir gegenwärtig tun, als „mangelhaft“ oder „unzureichend“ zu bezeichnen, halte ich für abwegig.
Einige der angesprochenen Punkte betrafen die berechtigten Sorgen über die Auswirkungen dieser Verhandlungen – das heißt ihrer Ausrichtung wie auch ihrer Aussetzung – auf die Entwicklungsländer. Ich möchte klarstellen, dass Entwicklungsländer bei diesen Verhandlungen in puncto Entwicklungsstand und Interessenlage oft nicht der „Standardnorm“ entsprechen. Es existieren verschiedene Entwicklungsländer mit sehr verschiedenen Interessen und sehr verschiedenen Bedürfnissen. Unsere Aufgabe besteht in erster Linie darin, zwei Dinge sicherzustellen: erstens, dass alle Entwicklungsländer von diesen Verhandlungen profitieren und dadurch gewinnen, und zweitens, dass die schwächeren, anfälligeren und weniger entwickelten Länder unter ihnen die größtmögliche direkte Unterstützung erfahren, nicht zuletzt im Hinblick auf den Kapazitätsaufbau, die Handelsförderung und die Einführung eines völlig zoll- und kontingentfreien Systems, das ihnen einen Zugang zu den Märkten des reicheren Teils der Welt ermöglicht.
Mit anderen Worten, unser System beruht auf Verhältnismäßigkeit: Verhältnismäßigkeit im Hinblick darauf, was wir von den Entwicklungsländern als Beitrag erwarten und was wir von ihnen an Bemühungen erwarten, um diese Verhandlungen zum Abschluss zu bringen, und ebenso Verhältnismäßigkeit im Hinblick darauf, was wir beitragen und wie wir ihre Entwicklung unterstützen und untermauern. Diejenigen Länder, die am dringendsten Hilfe benötigen und am wenigsten zu bieten haben, sind und bleiben ganz zu Recht auch diejenigen, denen wir uns in diesen Verhandlungen vorrangig widmen.
Dies sollte auf jeden Fall betont werden, denn im Gegensatz zu einigen meiner Vorredner bin ich fest davon überzeugt, dass ein guter Doha-Abschluss zu Entwicklung und fairerem Handel beitragen kann, indem wir nämlich eine besondere und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer einführen, indem wir Spielräume für Zusagen an Entwicklungsländer lassen, um so die Entwicklung junger Industrien zu schützen und zu ermöglichen, indem wir den Entwicklungsländern längere Umsetzungszeiträume zugestehen, damit sie sich auf den Wandel vorbereiten können, und indem wir vor allem den am wenigsten entwickelten Ländern einen besonderen Zugang gewähren und ihren Bedarf an Kapazitäten berücksichtigen. Wir werden uns – wie Sie es wohl von uns auch erwarten – in den weiteren Verhandlungen an diese Vorgabe halten.
Worauf es ankommt, ist nicht nur, dass die Entwicklungsländer Zugang zu den Märkten der Industrieländer haben, sondern auch, dass sie einen viel besseren Zugang zu den Märkten anderer Entwicklungsländer haben. Es muss unbedingt zu einem Süd-Süd-Handel kommen, vor allem wenn man bedenkt, in welchem Maße wir in Europa bereits den Entwicklungs- und insbesondere AKP-Ländern zoll- und kontingentfreien Zugang gewähren, wodurch 75 % der Agrarexporte aus Afrika und immerhin 45 % aus Lateinamerika nach Europa fließen. Genau genommen sind wir nämlich der offenste und am wenigsten voreingenommene Handelsblock der Welt. Diese Tatsache sollten wir uns vor Augen halten, gleichzeitig aber auch nicht vergessen, was wir in Zukunft besser machen können. Die größten und kurzfristigsten Gewinne für die Entwicklungsländer werden sich aus verbesserten Handelsmöglichkeiten mit anderen Entwicklungsländern ergeben. Genau diesen Süd-Süd-Handel müssen wir deshalb im Auge behalten, wenn wir vorsichtig und behutsam Fragen wie den Zollabbau und die dringend notwendige Multilateralisierung der „Alles außer Waffen“-Initiative angehen.
Andere Redner haben unterstellt, dass die Europäer mit ihrer Verhandlungsposition den Entwicklungsländern keineswegs zu wenig, sondern viel zu sehr und viel zu früh entgegengekommen sind und viel zu viel Flexibilität gezeigt haben. Nun gut, wir in Europa haben die Doha-Runde ersonnen. Wir waren maßgeblich an ihrer Eröffnung beteiligt und haben sie die ganze Zeit vorangetrieben. Nach Cancún haben wir sie durch das Rahmenabkommen von 2004 wieder in Gang gebracht, und ich entschuldige mich nicht dafür, dass in Hongkong ein Endtermin für die Abschaffung unserer Exportsubventionen festgelegt wurde. Dies war eine Zusage, die wir bereits gegeben hatten, wobei wir natürlich annahmen, dass wir das Ende dieser Verhandlungen erreichen würden und dass andere Länder bei der Abschaffung ihrer einzelnen Exporthilferegelungen ähnlich vorgehen würden. Ich entschuldige mich nicht und bin für die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik auch gar nicht in erster Linie verantwortlich. Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass sich für mich bislang kein Konsens zugunsten ihrer Abschaffung abzeichnet.
Sollten die Doha-Verhandlungen zu einem fragwürdigen Ergebnis führen, werden wir uns sehr genau ansehen müssen, was mit den Exportsubventionen in Zukunft geschieht, denn damit hängt noch ein anderer Punkt zusammen, der in dieser Debatte angesprochen wurde – nämlich die Frage, ob und in welchem Maße unsere Anfälligkeit im Zuge der WTO-Streitbeilegung bei gegen uns angestrengten Agrarverfahren zu- oder abnimmt, sollte in den multilateralen Verhandlungen keine Einigung zustande kommen. Werden diese Verhandlungen nicht zum Erfolg führen, so ist es auch meines Erachtens wahrscheinlich, dass die Zahl der bei der WTO angestrengten Verfahren, insbesondere im Bereich Landwirtschaft, deutlich zunimmt.
Wir in Europa können dem relativ gelassen entgegensehen. Wir haben unsere Gemeinsame Agrarpolitik reformiert, weil das sowohl für unsere eigenen Zwecke und Bedürfnisse als auch für die Bedürfnisse anderer innerhalb des internationalen Handelssystems richtig war. In dem Maße, wie wir diese Reform bislang umgesetzt haben und weiterhin umsetzen werden, sind wir vor einem Rechtsstreit vor der WTO sicher. Allerdings sind nicht alle WTO-Mitglieder in der gleichen Position, und ich schließe keineswegs aus, dass die großen Agrarexporteure – beispielsweise Brasilien und Argentinien – den Rechtsweg beschreiten wollen, wenn sie merken, dass es politisch und auf dem Verhandlungsweg kein Weiterkommen gibt. Aber wie gesagt, andere bieten hier mehr Angriffsflächen als wir in Europa.
Bevor ich eine abschließende Bemerkung zum Zeitplan mache, lassen Sie mich noch kurz Folgendes zur WTO selbst sagen: Jeder – einschließlich des derzeitigen Generaldirektors der WTO – stimmt mehr oder minder darin überein, dass die WTO von einer institutionellen und verfahrenstechnischen Reform profitieren würde, die im Laufe dieser Aussprache wiederholt angesprochen wurde. Der Bericht Sutherland enthielt dazu einige interessante Gedanken. Eines müssen wir uns jedoch klar vor Augen halten: Dass die Verhandlungen jetzt in der Sackgasse stecken, liegt nicht an einem institutionellen, sondern an einem politischen Problem; der derzeitige Stillstand ließe sich mit keiner institutionellen Verbesserung überwinden. Hier bedarf es eines politischen Willens und einer veränderten Einstellung und Politik seitens bestimmter WTO-Mitglieder.
Dies führt mich zu meinem letzten Punkt, nämlich zur Frage, wann diese Verhandlungen wieder beginnen können. Nun, wir werden ganz einfach warten müssen, bis im November die Zwischenwahlen in den USA vorbei sind, bevor wir eine Wiederaufnahme der Verhandlungen ernsthaft in Betracht ziehen können. Ich werde mich auf jeden Fall dafür einsetzen.
VORSITZ: DAGMAR ROTH-BEHRENDT Vizepräsidentin
Die Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kommissar. Mit 15 Minuten zu Beginn und fast 15 Minuten am Ende waren Sie mit Ihren Redebeiträgen sehr konstant. Das bedeutet aber auch, dass wir jetzt ein Problem mit der folgenden Aussprache haben.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag statt.
6. Daphne-Programm: Bekämpfung von Gewalt (2007-2013) (Aussprache)
Die Präsidentin. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Lissy Gröner im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter über den Vorschlag und den geänderten Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung des Programms „Bekämpfung von Gewalt (DAPHNE)“ für den Zeitraum 2007-2013 als Teil des Rahmenprogramms „Grundrechte und Justiz“ (KOM(2005)0122 – KOM(2006)0230 – C6-0388/2005 – 2005/0037A(COD)) (A6-0193/2006).
László Kovács, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Zuerst möchte ich mich im Namen der Kommission bei den beiden Berichterstatterinnen, Frau Gröner und Frau Angelilli, für ihre ausgezeichnete Arbeit bedanken. Ich komme der Bitte von Kommissar Frattini, ihn im ersten Teil der Aussprache zu vertreten, sehr gern nach, da mir dieses wichtige Thema persönlich sehr am Herzen liegt.
Ich möchte Ihnen zudem versichern, dass sich die Kommission nachdrücklich für das Daphne-Programm einsetzt, dass die Verhütung und Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche zum Ziel hat. Wir wissen, dass auch dem Parlament viel an diesem Programm liegt. Daphne wird bald zehn Jahre alt, und der Vorschlag der Kommission hat nunmehr die dritte Auflage des Programms zum Ziel. Der Erfolg des Programms ist inzwischen weithin anerkannt. Mit seiner Hilfe ist eine Vielzahl von Projekten finanziert worden, mit denen bei der Bekämpfung von Gewalt Fortschritte erzielt werden konnten.
Wie sehr sich sowohl das Parlament als auch breite Schichten der Zivilgesellschaft mit Daphne verbunden fühlen, kommt auch in dem Vorschlag zum Ausdruck, die Kommission solle die Maßnahmen von Daphne und die des Anti-Drogen-Programms nicht mehr in einem gemeinsamen Rahmenprogramm zusammenfassen. Wie Sie wissen, hat die Kommission diesen Wunsch des Parlaments berücksichtigt und am 24. Mai zwei getrennte Programme vorgeschlagen.
Obwohl Daphne II erst Ende 2008 ausläuft, kommt es darauf an, Daphne III bereits Ende des Jahres anzunehmen, damit die neuen Maßnahmen und die viel höheren Haushaltsmittel, die der Vorschlag für einen Beschluss vorsieht, gleich ab Beginn des nächsten Jahres genutzt werden können.
Ich freue mich auf die heutige Aussprache.
Lissy Gröner (PSE), Berichterstatterin. – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Die Kommission hatte ursprünglich vorgeschlagen, Daphne als gemeinsames Programm zur Bekämpfung von Gewalt und zur Drogenprävention und -aufklärung vorzulegen. Es war ein hartnäckiger Kampf notwendig, damit die Kommission diesen Vorschlag zurückzieht. Der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter sowie Frauenorganisationen haben hier gemeinsam klare Signale ausgesendet, und ich bin wirklich erleichtert, dass sie eine Vermischung von Drogen und Gewalt verhindert haben und wir heute eines der erfolgreichsten Programme der Union weiterführen können.
Bisher konnten allerdings aus Daphne I und II nur rund 17 % der eingereichten guten Vorschläge finanziert werden. Das zeigt, dass der Bedarf riesengroß ist, und deshalb fordert der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter auch einen Mittelzuwachs.
Heute senden wir zwei sehr klare Signale aus. Erstens: Europa wird dem Kampf gegen Gewalt mehr Gewicht beimessen und ihn auch nicht mit anderen Aspekten vermischen. Zweitens: Wir anerkennen und unterstützen die wertvolle Arbeit der Organisationen vor Ort — Frauenorganisationen, zahlreiche Selbsthilfe- und Menschenrechtsorganisationen, Jugendverbände und ihre Netzwerke.
Die alltägliche Gewalt nimmt zu, besonders die grenzüberschreitenden Phänomene. Hier setzt das Programm Daphne an; es ist aus der Betroffenheit entstanden. Die Frauenbewegung hat häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, Frauenhandel zur sexuellen Ausbeutung usw. ins Zentrum ihrer Arbeit gerückt, und wir konnten da sehr viele gute Projekte entwickeln. Wir konnten die Öffentlichkeit sensibilisieren, und das nicht erst seit der Fußballweltmeisterschaft.
Daphne I und Daphne II haben wertvolle Erkenntnisse gebracht. So wurden z. B. alle Projekte in einem tool kit aufgearbeitet, das dann nutzerfreundlich an die verschiedenen Fachorganisationen weitergeleitet werden konnte, und es gab einem breiten Fachpublikum zugängliche Studien und Kontakte, weit über die Grenzen Europas hinaus.
Nun liegen aber auch neue Aufgaben vor uns. Mit Daphne III ist die grenzüberschreitende „Netzwerkerei“ viel wichtiger geworden. Wir haben neue Phänomene im Bereich der Migration, beim Menschenhandel stehen viele notwendige Arbeiten bevor. Wir haben vorgeschlagen, ein Netzwerk der Ombudspersonen für Kinder finanziell zu unterstützen und Kinder-Nottelefone europaweit mit einer einheitlichen Nummer auszustatten. Wir wollen auch die Netze der Organisationen stärken, die sich mit Gewalt im Internet befassen. Es gibt eine lange Liste verschiedener Aktivitäten. Deshalb ist auch die Forderung nach 120 oder 125 Millionen Euro, wie die GUE/NGL-Fraktion vorgeschlagen hat, kein unbilliges Verlangen, und ich hoffe, dass dieses Haus diesem doch riesigen Bedarf, der sich dahinter verbirgt, Unterstützung zukommen lässt.
Wir haben bei Daphne sehr gute Erfahrungen mit einem Helpdesk gemacht, den wir als Parlament in der letzten Phase durchgesetzt hatten. Mit seiner Hilfe können Organisationen grenzübergreifend und grenzüberschreitend Kontakt aufnehmen und die richtigen Partner finden. Wir sollten im Hinblick auf einen think tank auch auf den riesigen Schatz an Kenntnissen zurückgreifen, der bei den Organisationen liegt, und diese Kenntnisse in diesen Bereich mit einbringen und sie vertiefen.
Ich möchte Daphne allerdings auch nicht überfrachten, und deshalb bitte ich um Vorsicht bei Änderungsantrag 56. Es soll klar definiert sein, dass die Hauptzielgruppe für Daphne Kinder, Frauen und Jugendliche sind, und dass dazu nicht auch noch Gruppen wie Sozialarbeiter, Grenzarbeiter, Polizei usw. gehören. Eine Botschaft: Klare Hauptzielgruppe sind Frauen, Kinder und Jugendliche! Die anderen können beteiligt werden, das ist z. B. im Änderungsantrag 57 noch klar.
Wir halten weiter an der Forderung nach einem „Europäischen Jahr der Gewalt gegen Frauen“ fest. Auch das ist eine alte Forderung, die schon in Daphne I und II erhoben wurde, und da bleiben wir hartnäckig und konsequent. Ich bitte hier darum, alle Formen der Gewalt klar und deutlich im Blick zu haben. Das hat der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter konsequent mit der Kommission weiterentwickelt, und ich hoffe, dass wir mit der finnischen Ratspräsidentschaft noch vor Ende des Jahres zu einem Ergebnis kommen. Wir sind dazu bereit.
Roberta Angelilli (UEN), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als Erstes möchte ich Frau Gröner und alle Kolleginnen und Kollegen, die an diesem Bericht mitgearbeitet haben, beglückwünschen. Außerdem danke ich dem Herrn Kommissar für seine Unterstützung und seine Worte von heute Morgen. Meiner Überzeugung nach können bedeutende Ergebnisse erzielt werden, wenn alle daran mitwirken, und im vorliegenden Fall wurden sie erzielt. Vor allem wurde die Kontinuität des Daphne-Programms gewährleistet; eines Programms, das wichtig und wertvoll für die Prävention und die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder ist und in der Vergangenheit bemerkenswerte, zum Teil auch unerwartete Resultate gebracht hat. Zudem wurde dem Programm eine spezifische Haushaltslinie zugesichert, die, wie auch die Berichterstatterin hervorgehoben hat, zu Recht vom Drogenbekämpfungsprogramm getrennt ist.
Es sei daran erinnert, dass neben den möglichen Zielen von Daphne auch einige wichtige Prioritäten aufgestellt wurden, darunter die Bekämpfung häuslicher Gewalt – wobei beunruhigend ist, dass dieses Phänomen stetig zunimmt –, und des Übels der Genitalverstümmelungen. Von Bedeutung ist ferner, dass klargestellt wurde, dass der Begriff „Kinder“ oder „Jugendliche“ die Altersgruppe von 0 bis 18 Jahre umfasst, obgleich die Maßnahmen selbstverständlich auch Jugendliche bis zu 25 Jahren betreffen können.
Des Weiteren wurde spezifiziert, dass die Verhütung von Gewalt neben Kindern, Frauen und gefährdeten Gruppen auch Babys einschließen muss; Misshandlungen von Babys und das vorsätzliche Aussetzen von Säuglingen nehmen exponenziell zu und finden oft in Situationen statt, in denen psychologische und soziale Probleme bestehen. Solche Fälle könnten verhindert werden, wenn man den Müttern und Familien in extremen Schwierigkeiten Betreuung und Hilfe gewähren würde.
Offenkundig geht es hier um ehrgeizige Ziele, für die leider eine unangemessene Finanzausstattung vorgesehen ist. Abschließend möchte ich daher den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass bei der Halbzeitüberprüfung des Haushalts mehr Mittel als jetzt für Daphne vorgesehen werden; dabei, Herr Kommissar, rechnen wir auch mit Ihrer Unterstützung.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin! Wir müssen anerkennen, dass der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter mit dem heute vorgelegten unabhängigen Bericht, in dem er ein spezifisches Programm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche, Frauen und gefährdete Gruppen vorschlägt, den Vorschlag für einen Beschluss zur Auflegung eines Gesamtprogramms zu Recht korrigiert, das neben der Bekämpfung von Gewalt und grausamem Verhalten unter den Menschen ebenfalls die Drogenprävention und –aufklärung als Teil des Rahmenprogramms „Grundrechte und Justiz“ fördert.
Die Berichterstatterin, Frau Gröner, die Vorsitzende des Ausschusses, Frau Záborská, und alle Abgeordneten haben bewusst und nahezu einstimmig den Schutz vor Gewalt als Zielsetzung festgelegt, und zwar konkret den Schutz der am stärksten gefährdeten Gruppen unserer Mitmenschen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass jede Personengruppe, der Unrecht getan wird und die der Gewalt zum Opfer fällt, nicht ohne Unterschied geschützt wird.
Deshalb stimmt unsere Fraktion, die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, nicht den Änderungsanträgen zu, die Auflistungen von Fällen und Opfergruppen enthalten. Die Mehrheit der Änderungsanträge des Ausschusses verarbeitet die Schlussfolgerungen der Bewertung, die zu den, wie allgemein anerkannt wird, erfolgreichen Vorgängerprogrammen Daphne I und II vorgenommen wurde.
Da die Finanzierung von Daphne III unseres Erachtens im Rahmen der Vereinbarung über die Finanzielle Vorausschau zufrieden stellend ist, sollten wir erwarten dürfen, dass die Ergebnisse der Maßnahmen sehr beachtlich sein werden und die Gewalt in der zivilisierten europäischen Gesellschaft ausgemerzt wird, und zwar nicht nur um 50 %, wie die Berichterstatterin vorschlägt, sondern wenn möglich ganz und gar, durch systematisches Vorgehen und durch die Zusammenarbeit der Behörden, der lokalen Träger, Organisationen und der Zivilgesellschaft.
Die Maßnahmen sollten insgesamt auf drei Grundsätzen basieren: der Prävention mit kontinuierlich aktualisierten Informationen, der rigorosen Bekämpfung des Übels sowie auf der Therapie und Betreuung der Opfer und der Wiedereingliederung und Rehabilitierung der Täter.
Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass der Erfolg des Programms auch davon abhängt, die Aufsplitterung des Themas in zu viele Aspekte sowie seine Einbeziehung in den allgemeinen Bereich der Kriminalität zu verhindern. Aus diesem Grunde hat die Europäische Volkspartei nicht für den Änderungsantrag 69 gestimmt.
Positive Resultate werden auch durch die Transparenz im Hinblick auf die Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen erwartet, die wertvolle Arbeit leisten und garantieren müssen, dass sie einen positiven Beitrag zur Heilung der Wunden leisten, die die Gewalt geschlagen hat. Zu diesen Organisationen gehören die Europäische Föderation für vermisste und sexuell ausgebeutete Kinder, die 19 Verbände umfasst, und das Europäische Netzwerk der Ombudsleute für Kinder, das in den Mitgliedstaaten hochgeschätzt wird.
Wir hoffen, dass der Erfolg des neuen Programms die Nachhaltigkeit der Programme gewährleisten wird, wenn deren Finanzierung ausläuft, und dass wir somit in der Lage sein werden ...
(Die Präsidentin entzieht der Rednerin das Wort.)
Katerina Batzeli, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich Frau Gröner zu ihrem Bericht sowie zu ihren kontinuierlichen Bemühungen gratulieren, die darauf gerichtet waren, dieses Programm zu stärken. Wir alle sind uns im Klaren darüber, dass wir, wenn dieses Programm nicht in dem Umfang umgesetzt wird, wie im Bericht von Gröner vorgeschlagen, nicht in der Lage sein werden, das Phänomen der Gewalt, das auf allen gesellschaftlichen Ebenen präsent ist, äußerlich bzw. substanziell einzudämmen, Gewalt, die sich aus ihrem sozialem Gefüge heraus nach und nach auf die großen gesellschaftlichen Gruppen ausweitet, die sich nun mit ihr konfrontiert sehen, und deshalb bin ich der Ansicht, dass die Europäische Union ihre Anstrengungen intensivieren sollte.
Ich möchte betonen, dass die Kommission Recht daran getan hat, das Programm Daphne III nicht mit dem Drogen-Programm zu vermischen, ein Standpunkt, den die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament und Frau Gröner bekräftigt haben.
Allerdings möchte ich auch betonen, dass wir in unserer Lesung zum Haushalt 2007 von der Position des Rates überrascht waren, wonach die Gemeinschaftsmittel für Daphne III im Vergleich zum Vorschlag der Kommission gekürzt werden sollten.
Wenn wir gegenüber Opfern der Gewalt, die sich auf Zuwanderer, Flüchtlinge, Kinder und Säuglinge erstreckt, nicht heuchlerisch sein wollen, dann müssen wir die Haushaltsmittel für Daphne III aufstocken und anheben, zumal diese Politik der Kürzungen vollkommen den Verpflichtungen widerspricht, das Programm weiter zu stärken und zu verbessern und die Effizienz seiner Maßnahmen sicherzustellen.
Damit die Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche Wirkung erzielt und für die EU eine Priorität darstellt, muss sie neben der angemessenen Planung und Durchführung der Maßnahmen durch eine ausreichende Finanzierung flankiert werden, um diese Maßnahmen auch umsetzen zu können.
Maria Carlshamre, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Daphne ist die junge Frau aus der griechischen Mythologie, die vom Gott Apollo verfolgt wurde. Er wollte sie vergewaltigen, was ihm aber nicht gelang. In dem Moment, als Apollo sie berührte, verwandelte sich Daphne in einen Lorbeerbaum und wurde so vor der Vergewaltigung bewahrt.
Im Europäischen Parlament steht der Name Daphne für eine wichtige Initiative. Vor zehn Jahren, im Spätsommer 1996, stand Europa unter dem Schock der Ereignisse, die später als Dutroux-Affäre bekannt wurden. Der Fund mehrerer Leichen von vermissten Mädchen in einer belgischen Stadt warf ernste Fragen darüber auf, was wir tun, um Frauen und Kinder vor denjenigen zu schützen, die sie für Profitzwecke missbrauchen oder ausbeuten.
Im April 1997 versammelten sich in Brüssel zahlreiche NRO-Repräsentanten, Vertreter des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission, der Strafverfolgungsbehörden und andere Sachverständige zu einer Anhörung über diese Thematik. Das wichtigste Ergebnis der Anhörung war vielleicht die Verpflichtung der Kommission, die Daphne-Initiative ins Leben zu rufen. Ihr Sinn und Zweck besteht darin, den Worten Taten folgen zu lassen und für die Kampagne gegen Gewalt umfangreiche Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.
Die Idee, die dahinter steckt, ist einfach. Es geht darum, solche Projekte finanziell zu unterstützen, die NRO aus mindestens zwei Mitgliedstaaten zusammenführen und so die Zusammenarbeit in den Bereichen Recherche, Datensammlung und -analyse, Ermittlung und Verbreitung nachahmenswerter Beispiele, Austausch und Vernetzung im Schulungs- und Trainingsbereich, Bewusstseinsbildung und Informationskampagnen möglich machen, aber auch konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Opfer von Gewalt und die Ausarbeitung von Leitlinien und Protokollen zu fördern. Das klingt so einfach, dass eigentlich niemand etwas dagegen haben könnte. Doch wie wir alle wissen, ist es charakteristisch für unsere Gesellschaft, die Dinge, die Frauen sagen, tun und entscheiden, systematisch abzuwerten. Die geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse wirken sich auf alles aus und äußert sich insbesondere in dem Phänomen der Gewalt von Männern gegen Frauen. Deshalb war das Daphne-Programm von Anbeginn ständig bedroht. Es liegt auf der Hand, dass wir die Bekämpfung von Gewalt nicht mit der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs in einen Topf werfen sollten; es handelt sich hier einfach um zwei verschiedene Themen.
Es ist die Kommission, die für das Daphne-Projekt verantwortlich zeichnet, doch in diesem Haus ist es Lissy Gröner, der unser Lob und unsere Unterstützung gebührt, wenn wir über die „wiedergeborene“ Daphne-Initiative diskutieren. Lissy Gröner steht dabei mit an vorderster Front. Natürlich ist es bis zur Erreichung der notwendigen Null-Toleranz bei Gewalt gegen Frauen und Kinder noch ein weiter Weg. Langfristig besteht die Bedeutung des Daphne-Programms in der Art, wie es sich auf die Basisorganisationen auswirkt, die in allen Mitgliedstaaten der Union fest verwurzelt sind. Die Null-Toleranz ist das Ziel, und Daphne ist eines der Mittel, mit denen wir dieses Ziel erreichen wollen.
Hiltrud Breyer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Auch unser Dank geht an die Berichterstatterin. Ich denke, es ist ein großartiger Erfolg für Frauen in ganz Europa, dass es gelungen ist, die Zusammenlegung von Daphne und dem Antidrogen-Programm zu verhindern. Das Parlament hat damit ein Zeichen gesetzt und bekräftigt, dass das Programm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche eigenständig bleiben muss.
Daphne ist ein kleines, aber sehr erfolgreiches Programm, durch das schon wichtige Fortschritte in der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen erzielt wurden. Gewalt an Frauen ist keine Privatsache, sondern eine Frage der inneren Sicherheit. Der gefährlichste Ort für Frauen ist ihr Zuhause. Während für viele die Familie und das Zuhause der Inbegriff für Frieden und Sicherheit sind, sind sie für Millionen von Frauen ein Ort des Leidens, ein Ort des Missbrauchs, der Folter und sogar des Tods.
Alle Menschen, ob männlich oder weiblich, haben Anspruch auf alle Menschenrechte. Weder Kultur noch Tradition können die Verletzung grundlegender Menschenrechte von Frauen entschuldigen. Gewalt gegen Frauen ist daher nicht allein die Angelegenheit von Frauen, sie betrifft Männer ebenso. Sie müssen sich ihrer Verantwortung stellen und aktiv gegen Gewalt an Frauen eintreten. Der Gewalt gegen Frauen muss ein Ende gesetzt werden, auf Kriegsschauplätzen ebenso wie im Schlafzimmer.
Die Weiterführung von Daphne kann jedoch nicht die einzige Maßnahme zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen sein. Wir wünschen uns, dass die EU-Kommission mit einer eigenständigen Richtlinie zeigt, dass der Kampf gegen Gewalt höchste politische Priorität hat. Ein entsprechender Vorschlag ist seit Jahren überfällig. Es ist geradezu skandalös, dass die EU-Kommission die Augen vor dieser Forderung verschließt und die Notwendigkeit einer europäischen Gesetzesharmonisierung vom Tisch wischt. Sehr wesentlich ist, dass wir wirklich eine eigenständige Richtlinie bekommen, und da wünsche ich mir auch, dass die Kommission heute noch etwas dazu sagt. Wir haben in vielen Entschließungen, sei es am Frauentag oder bei anderen Gelegenheiten, als Europäisches Parlament immer wieder darauf hingewiesen.
Wir hoffen auch, dass die EU-Kommission und der Rat jetzt möglichst schnell die Verhandlungen um Daphne abschließen, damit die Neuauflage des Programms rechtzeitig im Jahre 2007 starten kann. Auch uns ist gerade jetzt, wo die Frauenrechtlerin Seyran Ateş in Deutschland ihre Anwaltstätigkeit aufgrund akuter Bedrohung eingestellt hat, wichtig, dass wir auch die Menschenrechtsverletzungen gegen Migrantinnen ganz klar ins Zentrum rücken und auch da sagen: Null Toleranz.
Eva-Britt Svensson, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (SV) Frau Präsidentin! Ich möchte zunächst der Berichterstatterin, Frau Gröner, für einen ausgezeichneten Bericht sowie für ihr Engagement bei diesen Fragen danken. Mein Dank gilt ferner meinen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter für ihr engagiertes Herangehen an die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen.
Die Frauen und Kinder, die Opfer von Gewalt sind, brauchen das Programm Daphne III. Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es in allen gesellschaftlichen Gruppen. Man kann sie nicht an bestimmten Gruppen oder speziellen Faktoren wie Alkohol- und Drogenabhängigkeit festmachen. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist in der gesamten Gesellschaft verbreitet. Obwohl dies durch unzählige Studien belegt ist, weigern sich immer noch viele, die Wahrheit zu sehen, dass Gewalt überall auftritt. Immer noch lebt das Märchen von der Beteiligung von Alkohol oder Drogen. Wenn wir die Gewalt gegen Frauen bekämpfen wollen, müssen wir mit den Mythen aufräumen, dass es „die dort“, „die anderen“ oder „die Süchtigen“ sind, die Frauen und Kinder misshandeln. Es könnte aber ebenso gut unser Nachbar, Kollege oder Verwandter sein, der zu Gewalt greift.
Das ist einer der Gründe dafür, warum das Daphne-Programm in zwei getrennte Programme aufgeteilt werden muss – ein spezielles Programm zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder und ein Programm zur Drogenprävention und -aufklärung. Ein gemeinsames Programm für diese beiden unterschiedlichen gesellschaftlichen Probleme würde dem Mythos vom Zusammenhang zwischen Drogen- und Alkoholabhängigkeit und der Gewalt von Männern gegen Frauen weitere Nahrung geben. Das führt dann zu dem Glauben, mit der Lösung der Drogen- und Alkoholproblematik gleichzeitig auch das Gewaltproblem zu lösen, was aber nicht der Fall ist. Bei beiden handelt es sich um gesellschaftliche Probleme, die gelöst werden müssen, aber sie erfordern unterschiedliche Maßnahmen. Ich stelle daher mit Freude fest, dass die Kommission einer Aufteilung in getrennte Programme zugestimmt hat.
Die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke steht voll und ganz hinter dem Bericht. Unseres Erachtens ist es sehr wichtig, dass der Handel mit Frauen und Kindern zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in das Programm aufgenommen wurde. Das ist von besonderer Bedeutung, da wir alles in unseren Kräften Stehende tun müssen, um diesen modernen Sklavenhandel zu bekämpfen. Außerdem müssen wir auch mit aller Deutlichkeit aufzeigen, dass dieser Sklavenhandel ein weiterer Ausdruck für die Gewalt ist, der Frauen und Kinder ausgesetzt sind.
Der Bericht enthält zwei Begriffe, die ich gern ändern würde. Das ist zum einen der Begriff „häusliche Gewalt“, der meiner Ansicht nach in „Gewalt von Männern gegen Frauen“ geändert werden sollte, denn genau das ist es. Gewalt gegen Frauen kommt nicht nur in den eigenen vier Wänden vor. Frauen in einer Gewaltbeziehung leben rund um die Uhr mit dieser physischen und psychischen Folter. Den zweiten Begriff, den ich in Frage stellen möchte, ist der „private Bereich“. Es gibt keinen Grund für eine Aufteilung in öffentlichen und privaten Bereich. Gewalt gegen Frauen ist eine strafbare Handlung, ob sie nun öffentlich und privat ausgeübt wird.
Urszula Krupa, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Zunächst ein paar Worte zur Teilung des Daphne-Dokuments in zwei getrennte Programme. Das wäre ein positiver Schritt, wenn man die Absicht hätte, das Problem von Drogenabhängigkeit und Gewalt und deren Verhütung ernsthaft zu untersuchen, anstatt dieses Problem egozentrisch wahrzunehmen und die wahren Gründe für diese gesellschaftlichen Übel zu vernachlässigen.
Gewalt ist ein ernst zu nehmendes Problem, und wie bei anderen Störungen geht man am wirksamsten dagegen vor, indem man Ursachen und Risikofaktoren ausräumt. Dazu gehören neurobiologische Indikatoren, aber auch Wesenszüge wie Egoismus, Feindseligkeit, Leidenschaftlichkeit, Reizbarkeit, Anhedonie, niedrige Intelligenz, geringes Reaktionsvermögen des Gehirns auf Reize sowie ein mangelnder Respekt gegenüber Werten und ein unsoziales Verhalten.
Wir müssen uns bewusst sein, dass die zunehmende Ausbreitung von Aggressionen, Geisteskrankheiten, unterentwickelten Persönlichkeiten und Sucht nicht nur das Ergebnis eines hedonistischen Lebensstils sind, sondern auch aus der Dominanz einer materialistischen Weltsicht herrührt, in der die Rolle der geistigen Entwicklung des Individuums keine Würdigung erfährt. Die große Menge des bisher zusammengetragenen Wissens steht in keinem Verhältnis zu den wichtigsten Umweltfaktoren, die die Entwicklung einer ausgeglichenen Persönlichkeit beeinflussen. Einer dieser Faktoren ist eine gesunde und liebevolle Familie, vorzugsweise eine vollständige Familie mit vielen Kindern, in der ein Kind gewollt und geliebt ist und lernt, zusammen mit anderen und für andere zu leben.
Lydia Schenardi (NI). – (FR) Frau Präsidentin! Täglich werden Millionen Frauen zu Opfern von Missbrauch aller Art: Gewalt durch Familienangehörige, Einschüchterungen bei der Arbeit, psychische Gewalt, sexueller Missbrauch und Zwangsprostitution.
In der Europäischen Union ist jede fünfte Frau Opfer häuslicher Gewalt, also von Gewalt durch den Ehemann oder Partner. Vergessen wir jedoch nicht, dass diese Zahlen nur die gemeldeten Gewaltakte berücksichtigen. Angst, Scham und der begrenzte Zugang zu öffentlichen Stellen sind allzu oft Gründe, weshalb manche Gewalttaten nicht angezeigt werden. Darüber hinaus werden bestimmte Formen von Gewalt nicht erfasst, weil sie nicht den festgelegten Definitionen entsprechen und nicht als Straftaten gelten, weil sie als Tabuthemen betrachtet werden.
Das vor über sechs Jahren vom Parlament und vom Rat vorgeschlagene Programm DAPHNE zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umfasst alle Arten von Missbrauch – häusliche Gewalt ausgenommen – denen Frauen weltweit ausgesetzt sind. An dieser Stelle muss betont werden, dass ein Großteil dieser Arten von Missbrauch mit bestimmten Kulturen oder Gesellschaften verbunden ist, insbesondere mit dem Islam und Ländern, in denen islamisches Recht gilt und in denen Steinigungen, Genitalverstümmelung, Opferungen und Zwangsehen Teil der Kultur, der Religion und des Brauchtums sind.
Die Bemühungen im Rahmen des Programms DAPHNE sollten diesem Kampf für das Recht der Frauen auf Information, Schutz und die strafrechtliche Verfolgung der Täter gelten und zu einer Änderung gewisser Denkweisen und barbarischer Bräuche beitragen, die sich leider in vielen Ländern halten, in denen islamisches Recht gilt.
Amalia Sartori (PPE-DE). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte meine Zufriedenheit mit dieser Maßnahme zum Ausdruck bringen. Ich war sehr froh, heute Morgen bei der Aussprache in diesem Hohen Haus zu hören, dass viele Mitglieder eine Forderung stellten, die ich voll und ganz unterstütze: Wir müssen eine Richtlinie der Europäischen Union zur Bekämpfung von Gewalt auf den Weg bringen.
Es wird Zeit, die einschlägigen Rechtsvorschriften zu harmonisieren, und bis dahin muss die Kommission mit den Instrumenten, die ihrem Bekunden nach derzeit ausgearbeitet werden, schon jetzt einen ganz klaren, rigorosen Standpunkt in Bezug auf die Politik festlegen, die die Union und ihre Mitgliedstaaten umsetzen sollen, so dass wir in dieser Sache eindeutig Position beziehen können.
Es ist wohl wahr, dass in den letzten Jahren viel für die Gleichstellung getan wurde. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben in vielen Bereichen Gesetze erlassen, doch besteht gerade zu diesem Thema noch ein gewisser Nachholbedarf. Hierzu müssen wir eine klare und eindeutig festgelegte Politik verfolgen, denn obwohl wir uns alle einig sind im Hinblick auf die vollständige Ächtung der Gewalt, besteht kein vollkommenes Einvernehmen über die Mittel, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll. Um die mit einer solchen Politik verbundenen Risiken zu umgehen, müssen die im Rahmen von DAPHNE finanzierten Programme klaren und strikten politischen Zielen gerecht werden, die von der Union festzulegen sind.
Teresa Riera Madurell (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Auch ich möchte die Berichterstatterin zu ihrer Arbeit beglückwünschen und sagen, dass die Abtrennung des Programms Daphne III vom Programm zur Drogenprävention und -aufklärung, wie von diesem Parlament gefordert, für das ordnungsgemäße Funktionieren von Daphne unumgänglich war. Diese Trennung stellt einen wirklichen Erfolg der Berichterstatterin dar; dadurch werden die Stärke und Sichtbarkeit des Programms Daphne gesteigert, das ein grundlegendes Instrument zur Unterstützung der Frauenorganisationen ist, die gegen die geschlechtsbezogene Gewalt kämpfen.
Ebenso wie die bereits angesprochene Mittelerhöhung möchte ich einige wichtige Beiträge des Berichts von Frau Gröner hervorheben: erstens die spezielle Einbeziehung des Menschenhandels und der Zwangsprostitution als Formen von Gewalt und den ganz klaren Verweis auf die Genitalverstümmelung und die Ehrenverbrechen als Formen der Gewalt gegen Frauen mit schwerwiegenden Folgen für deren Gesundheit. Die Gewalt gegen Frauen darf unter keinen Umständen dadurch gerechtfertigt werden, dass man sich auf eine Tradition oder eine kulturelle Praxis beruft, und mir scheint es auch sehr wichtig, die Kinder als Opfer der geschlechtsspezifischen Gewalt einzubeziehen, die zusehen müssen, wie ihre Mütter geschlagen werden.
Sehr sinnvoll ist auch die Forderung im Bericht, dass das Programm bestimmten Gruppen von Frauen, wie beispielsweise Flüchtlingsfrauen, Migrantinnen, Frauen, die in Armut leben, Frauen mit Behinderungen und älteren Frauen, besondere Aufmerksamkeit widmet, da diese Gruppen einem höheren Gewaltrisiko ausgesetzt sind. Ganz wichtig ist auch, dass der Bericht vorschlägt, in den Bereichen, die einen europäischen Mehrwert beisteuern können, die Definition der Rechtsgrundlage zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen einzubeziehen. Gleichzeitig müssen konkrete Ziele festgelegt werden, beispielsweise das Ziel, die Zahl der Opfer von Gewalt und Menschenhandel in den nächsten zehn Jahren zu halbieren.
Meine Damen und Herren! Das Europäische Jahr gegen Gewalt gegen Frauen kann ohne Frage helfen, ein stärkeres Bewusstsein und den Austausch bewährter Praktiken zu fördern, und deshalb ist es sehr wichtig, dass dieses Jahr auch im Rahmen des Daphne-Programms unterstützt wird.
Marian Harkin (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich befürworte den ausgezeichneten Vorschlag der Berichterstatterin, das Finanzrahmenprogramm in zwei verschiedene Programme zu teilen, voll und ganz. Das dürfte zu einer zielgerichteteren Arbeit beider Programme beitragen und ihnen die gebührende Publizität und finanzielle Unterstützung verschaffen.
Das Daphne-Programm ist ein wichtiges Instrument, um die Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rufen und diese Gewalt zu bekämpfen. In Irland stellt die Gewalt gegen Frauen, wie anderswo auch, ein sehr großes Problem dar, und Statistiken aus verschiedenen Quellen besagen, dass jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens bereits irgendeine Form sexueller Gewalt erfahren hat. Daphne hat viele irische Frauengruppen finanziell unterstützt und so einen positiven Effekt erzielt. Leider sind jedoch die auf nationaler Ebene bereitgestellten Mittel für Hilfsangebote vor Ort zur Unterstützung von Frauen und Kindern immer noch nicht angemessen; so ist beispielsweise die Zahl der Unterbringungsmöglichkeiten für Risikogruppen unzureichend.
Ich möchte einige der Änderungsvorschläge hervorheben, die ich persönlich besonders begrüße. Ich freue mich, dass im Änderungsantrag 14 Frauen mit Behinderungen zusammen mit anderen schutzbedürftigen Gruppen als durch Gewalt besonders gefährdet erwähnt werden. Es ist deshalb unbedingt zu gewährleisten, dass Maßnahmen zum Schutz derjenigen eingeleitet werden, die unter mehrfacher Diskriminierung leiden.
In Änderungsantrag 14 werden auch Frauen, die in ländlichen oder entlegenen Gemeinden in Armut leben, erwähnt. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um diese Frauen und Kinder zu erreichen und um zu gewährleisten, dass sie Zugang zu den notwendigen Leistungen erhalten und vor Gewalt geschützt werden können.
Es freut mich zudem, dass in diesem Bericht auch Menschenhandel und Zwangsprostitution erwähnt werden, sowie Kinder, die Zeugen von Gewalt geworden sind, und Maßnahmen, die speziell dafür eingerichtet wurden, um die Misshandlung von Neugeborenen zu verhindern.
Doch letztendlich darf niemand – weder Neugeborene noch ältere Menschen, weder Einheimische noch Migranten, weder Dorf- noch Stadtbewohner – dem Risiko Gewalt ausgesetzt sein. Tatsächlich sollte die Bekämpfung der Gewalt im Rahmen des Schutzes der von der Charta der Grundrechte der EU garantierten Grundrechte anerkannt werden.
Lassen Sie mich abschließend noch sagen, dass ich die Förderung des Europäischen Jahres gegen Gewalt gegen Frauen voll und ganz unterstütze – ich halte die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für entscheidend.
Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE). – (ES) Frau Präsidentin! Vor anderthalb Jahren stand Spanien bei der Bekämpfung der von Männern ausgeübten Gewalt gegen Frauen an der Spitze Europas, als es ein umfassendes Gesetz gegen diese Gewalt verabschiedete. Aber im Laufe dieses Jahres sind bereits 51 Menschen im Ergebnis dieses Übels, dieser Art von Gewalt, getötet worden. Daher dürfen wir natürlich nicht zufrieden sein.
Das Gesetz war notwendig, so sagten wir, aber leider ist es mit einem Gesetz noch nicht getan, wie wir feststellen können. Das Wesen dieser Art von Gewalt ist tief in den Köpfen der Menschen verwurzelt und in den Kulturen, die unter diesen Denkweisen leiden, und ein Jahr oder ein Stück Papier reichen nicht aus, um das zu ändern.
Daphne, dessen Zielsetzung in der Bekämpfung aller Arten von Gewalt besteht, ist deshalb ein grundlegendes Instrument, und wir können und dürfen nicht darauf verzichten. Viele Formen von Gewalt gegen Frauen müssen bekämpft werden: Menschenhandel, physische und psychische Misshandlungen, Praktiken wie die Klitorisbeschneidung oder die Feminisierung der Armut, und viele andere. Alle erfordern dringende Aktionen und Ressourcen. Diese werden jedoch niemals ausreichen, so viele es auch sein mögen oder zu sein scheinen.
Wir müssen deshalb erneut die Regierungen aufrufen, aus ihrer europäischen Lethargie zu erwachen und zu begreifen, dass es nicht möglich ist, mehr Dinge mit weniger Geld zu tun, und dass wir hinsichtlich der Gewalt im Allgemeinen und der männlichen Gewalt gegen Frauen im Besonderen keine großen Aktionen verlangen können, wenn wir nicht auch die erforderlichen Mittel und Ressourcen für ihre Ausführung bereitstellen.
Daphne mit Ressourcen und mit politischer Bedeutung auszustatten, ist kein rein bürokratisches Verfahren. Wir dürfen nicht vergessen, dass sein oberstes Ziel darin besteht, Leben zu retten. Ebenso wie das spanische Gesetz gegen die geschlechtsspezifische Gewalt ist es zwar nicht ausreichend, aber dennoch unverzichtbar.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Es ist äußerst wichtig, dass dieser Bericht unserer Kollegin Gröner, die ich zu ihrer Arbeit beglückwünsche, angenommen wird. Das Programm Daphne kann zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen und zum Schutz der Opfer – einem Bereich, der gestärkt werden muss – beitragen. Damit wird den Daphne-Vorläuferprogrammen Kontinuität verliehen und die Möglichkeit ihrer Umsetzung erweitert.
Man darf die Gewalt gegen Frauen, das damit verbundene Leid und den Tod, zu dem sie häufig führt, nicht länger tolerieren. Dieser Kampf erfordert beharrliche Anstrengungen und andauerndes Eingreifen. Er kann und darf nicht mit anderen Aktionen verwechselt werden. Um die Rechte der Frauen entschlossen zu verteidigen, muss das Programm Daphne III, wie in dem uns vorliegenden Bericht vorgeschlagen, seine Selbstständigkeit bewahren. Darüber hinaus müssen die Mittel aufgestockt werden für ein effektiveres Vorgehen gegen physische, sexuelle oder psychologische Gewalt, einschließlich gegen Gewalt in Verbindung mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder gegen häusliche Gewalt bzw. ihre Androhung, deren Opfer vor allem Frauen, Jugendliche und Kinder sind.
Im Rahmen der Vorbeugung müssen wirksame Sensibilisierungskampagnen durchgeführt werden, für die das Europäische Jahr gegen Gewalt gegen Frauen ein Beispiel ist. Gleichermaßen notwendig ist die Hilfe für die Opfer. Die Festlegung eindeutiger und glaubwürdiger Ziele zur wirksamen Verringerung der Gewalt setzt ein umfassenderes Eingreifen der öffentlichen Politiken voraus und demzufolge mehr finanzielle Unterstützung für die in diesem Kampf engagierten Organisationen. Daraus ergibt sich die von uns geforderte Aufstockung, die, wie wir hoffen, beschlossen wird.
Johannes Blokland (IND/DEM). – (NL) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich Frau Gröner zu ihrem Bericht beglückwünschen, der einige recht positive Vorschläge enthält. Damit meine ich hauptsächlich den Wegfall sämtlicher drogenbezogener Themen. Drogenkonsum und Gewalt werden trotz gewisser Überschneidungen aus gutem Grund auseinander gehalten. Die Betonung des Kampfes gegen Menschenhandel in diesem Programm halte ich für einen weiteren großen Zugewinn. Gleichwohl möchte ich bei dieser Gelegenheit die Bedeutung tatsächlichen Handelns herausstellen.
Die von vielen unternommenen Anstrengungen, um zur Zeit der Weltmeisterschaft Maßnahmen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel zu ergreifen, wurden nicht mit konstruktivem Handeln seitens der Beteiligten belohnt. Hoffentlich kann die Koalition von Parlament und Kommission die Mitgliedstaaten, NRO und Bürger davon überzeugen und möglicherweise dazu zwingen, die Rechte von Mitmenschen zu achten, damit eine derartige Ausbeutung abnimmt.
Weniger positiv stimmen mich die Auffassungen zu der Verteilung der Verantwortung. Nach meiner festen Überzeugung ist es nicht Aufgabe des Staates, ohne guten Grund in die Privatsphäre einzelner Menschen einzugreifen. Anlass dazu besteht erst dann, wenn strafrechtliche Grenzen überschritten sind. Da diese Grenzen von Land zu Land unterschiedlich sind, obliegt es ihnen, deren Durchsetzung zu gewährleisten.
Da sich eine Rechtfertigung für eine aktive Rolle Europas auf diesem Gebiet nicht finden lässt, hat meine Fraktion für einige dieser Änderungsanträge die Abstimmung nach getrennten Teilen beantragt. Und wenn diese Elemente gestrichen sind, werde ich für die Anträge stimmen.
Andreas Mölzer (NI). – Frau Präsidentin! Es ist erschreckend, dass weltweit jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt wird. Erlauben Sie mir dazu einige Bemerkungen.
Im Bereich der Gewalt durch Jugendliche darf es nicht sein, dass Jugendliche sich bewaffnen können, Körperverletzung und Schlimmeres begehen und unter den jungen Menschen Partydrogen und andere Rauschmittel kursieren. Wir brauchen daher eine Schulung unseres Lehrpersonals, um Gewalt, Diebstähle, Vandalismus und Rauschgifthandel zu verhindern.
Ein weiterer Bereich, wo Gewalt gefördert wird, ist das Internet. Gerade das Internet verschafft Perversen nicht nur die Möglichkeit, mit potenziellen Opfern in Kontakt zu treten, es bietet auch vielfach detaillierte Anweisungen für Gewalt. Dort müssen wir die Strafverfolgung meines Erachtens verschärfen.
Schließlich muss ich jene Gewalt ansprechen, die im Bereich der Zuwanderungsgesellschaft existiert. Menschen, die aus Kulturkreisen mit einer völlig anderen, nämlich archaischen Einstellung zur Gewalt kommen, glauben, ihre erhöhte Gewaltbereitschaft auch innerhalb der EU ausleben zu können. Hier gilt es, den Zuzug von gewaltbereiten Elementen zu verhindern und Gewaltlosigkeit zum Ziel der Integration zu machen.
Anna Záborská (PPE-DE). – (SK) Zuerst möchte ich sehr herzlich die Abordnung von Frauen aus der italienischen Stadt Lazio begrüßen, die auf der Besuchertribüne Platz genommen hat und unsere Aussprache von dort verfolgt.
Lassen Sie mich zunächst an unseren gemeinsam erreichten Erfolg erinnern: Dank der engen und guten Zusammenarbeit von Parlament und Kommission war es möglich, ein ursprünglich auf zwei Themen ausgerichtetes Gemeinschaftsprogramm – Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kampf gegen Drogen – zu teilen. Damit haben wir dem wahren Stellenwert beider Bereiche Rechnung getragen. Ich danke Kommissar Frattini und seinem Team und vor allem unserer Berichterstatterin Frau Gröner für ihre ausgezeichnete Arbeit danken. Dank auch an all meine Kollegen im Ausschuss für die gute Zusammenarbeit. Ich bin stolz auf diesen Erfolg.
Das Programm Daphne wird jedoch nicht wirksam sein, solange Männer – zu Hause wie auch in der Politik und im öffentlichen Leben – nicht aktiv an diesem Prozess teilnehmen. In diesem Zusammenhang begrüße ich die Aktionen der österreichischen und der finnischen Präsidentschaft zur Verbesserung der Einbeziehung von Männern in die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter.
Seit 1946 wurden Dutzende Verordnungen verabschiedet, und trotzdem nimmt die Gewalt weiter zu. Ich hoffe, die vorliegende Verordnung wird mehr bewirken, denn wir alle wissen ja, dass das Problem durch Verwaltungsvorschriften und die Finanzierung von kurzfristigen, einmaligen Kampagnen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder allein nicht lösbar ist. Es genügt nicht, sich nur mit den Folgen zu beschäftigen. Wir müssen Prävention und systematische Erziehung sowie die Förderung von Achtung und Menschenwürde in den Mittelpunkt stellen. So, und nur so, wird sich etwas erreichen lassen. Wir müssen uns auf die Behandlung gewalttätiger Personen konzentrieren, sobald deren Neigung zu Tätlichkeiten deutlich wird. Anderenfalls werden die Mittel des Programms Daphne ineffektiv, wenn nicht gar völlig nutzlos ausgegeben sein.
Abschließend möchte ich noch die Gewalt gegen Kinder erwähnen, bei der das Programm Daphne ebenfalls zum Einsatz kommt. Just in diesem Moment wirbt eine Pädophilenpartei in den Niederlanden für ihre Agenda mit dem Ziel, Pädophilie und sexuelle Aktivitäten mit Kindern zu legalisieren, wenn die Kinder ihr Einverständnis geben. Fast niemand äußert sich dazu. Ich frage mich, warum...
Wenn es uns nicht gelingt, unsere Rechtsinstrumente zu nutzen und mit der Unterstützung von Politikern den Missbrauch Minderjähriger zu stoppen, werden wir den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder niemals gewinnen.
Pia Elda Locatelli (PSE). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, dass sich der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres darauf geeinigt haben, das hier von uns erörterte Programm inhaltlich in zwei spezifische Programme aufzuteilen. Diese Einigung wurde eigentlich von der Kommission vermittelt, und dafür möchte ich Kommissar Frattini danken.
Dies vorausgeschickt, möchte ich meine uneingeschränkte Unterstützung für den Bericht von Frau Gröner bekunden, die ich beglückwünschen möchte. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Änderungsantrag hervorheben, den ich für besonders wichtig halte, und zwar jenen, der die Aufnahme nationaler, regionaler und lokaler Behörden in die Zielgruppen für Sensibilisierungsmaßnahmen vorsieht. Ich sage Ihnen auch warum: Vor einigen Tagen wurden in Mailand mehrere junge Frauen Opfer von Gewalttaten. Selbstverständlich riefen diese Gewalttaten Empörung hervor, doch wurden auch einige Kommentare abgegeben, die einmal mehr eine selbst bei den Behörden recht verbreitete Überzeugung bestätigen, wonach die Opfer von Gewalt in gewisser Weise eine Mitschuld tragen.
Sie alle werden sich sicher noch an das so genannte Jeans-Urteil erinnern. Ich möchte unter all den Kommentaren den des Präfekten von Rom herausgreifen, der erklärte, der jüngste Vorfall, die Vergewaltigung zweier französischer Mädchen, die sich auf eine Fahrt mit zwei Unbekannten eingelassen hatten, sei in erster Linie deren Unvorsichtigkeit geschuldet.
Diese Behauptung offenbart eine Denkweise, der zufolge, abgesehen von den sicherlich wohlgemeinten Absichten des Präfekten, eine Frau, die vergewaltigt wird, zumindest teilweise selbst daran schuld ist. Ist es denn ein Verbrechen, unvorsichtig zu sein? Ich glaube nicht, und ich wünsche mir keineswegs jene Zeiten zurück, in denen die Frauen aufgefordert wurden, abends zu Hause zu bleiben, um nicht unvorsichtig zu sein.
Sehen Sie, ich möchte daran erinnern, dass wir hier über Programme sprechen, die die Entwicklung der Europäischen Union als Raum der Freiheit, ich betone, der „Freiheit“, sowie der Sicherheit und des Rechts gewährleisten sollen.
Lena Ek (ALDE). – (SV) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Es ist eine große Niederlage, dass wir an einem Spätsommertag des Jahres 2006 immer noch hier stehen und über geschlechtsspezifische Gewalt, Ehrenmord und Genitalverstümmelung sprechen müssen. Das zeigt, dass ein solches Verhalten in der Gesellschaft immer noch irgendwie akzeptiert wird und etwas ist, was wir noch überwinden müssen. Denn so lange wir uns nicht einig sind, dass Misshandlung, sowohl körperliche als auch psychische, eine Verletzung der Menschenrechte von Frauen und Kindern darstellt, werden Millionen Frauen und Kinder genau das erleiden.
Eine Möglichkeit, zu signalisieren, dass es sich hier um ein unannehmbares Verhalten handelt, ist die Anerkennung und Hervorhebung der vorhandenen internationalen Vereinbarungen: die UN-Konvention über die Rechte der Frau, die UN-Konvention über die Rechte des Kindes, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie das Werkzeug, das das Daphne-Programm darstellt. Ich bin entsetzt zu hören, dass die Fraktion Unabhängigkeit/Demokratie gegen Teile dieses Programms stimmen wird.
Es wird immer versucht, Drohungen, Gewalt und andere Schandtaten und schreckliche Vorgänge wie die Genitalverstümmelung unter Hinweis auf Tradition oder Kultur zu erklären oder zu rechtfertigen. Wir müssen also auch eine Diskussion am Arbeitsplatz, in der Schule, am Küchentisch und auch mit den im Namen der UNO ins Ausland geschickten Friedenstruppen in Gang bringen.
Die Länder, mit denen wir Abkommen haben, brauchen Unterstützung. Ich habe über dieses Thema am letzten Sonnabend mit Frauen in Kiew, in der Ukraine, gesprochen. Außerdem habe ich mich darüber viel mit Frauengruppen aus der Türkei unterhalten. Es gibt auf diesem Gebiet viel zu tun. Viele Vorschläge des heute vorliegenden Berichts sind sehr konstruktiv.
Wir müssen auch die Strafmaße überarbeiten. In Schweden beispielsweise ist die Höchststrafe für schwere sexuelle Übergriffe gegen Kinder genauso hoch wie für schweren Betrug. Das gibt Anlass zum Nachdenken.
In New York ist es gelungen, die Anzahl der Verbrechen gegen Frauen und die Gewalt gegen Frauen zu verringern. Ich betrachte dies als einen ersten Schritt, damit wir das Gleiche in Europa erreichen können. Das erfordert aber, dass wir uns darüber einig sind, wie inakzeptabel und furchtbar diese Situation ist.
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Frau Präsidentin! Die bloße Tatsache, dass wir im Jahre 2006 über Gewalt gegen Frauen sprechen, zeigt unseren Verfall. Vor zweieinhalbtausend Jahren, in der Athener Republik, zu Zeiten des Sokrates, gab es keine Verbrechen, keine Gewalt gegen Frauen. Das wurde als inakzeptabel angesehen, während wir, zweieinhalbtausend Jahre später, mit dieser Gewalt, dieser unkontrollierten Gewalt gegen Frauen konfrontiert sind.
Wir müssen folglich etwas dagegen unternehmen. Ich weiß nicht, ob das Daphne-Programm ausreicht oder ob mehr notwendig ist. Die Strafen müssen unverzüglich härter werden. Die Strafen gegen jemanden, der eine Frau vergewaltigt, sind nicht hart. Heute, im Jahre 2006, gibt es mehr Prostitution von Frauen als vor 50 Jahren, nach dem Krieg.
Heute wird die Hälfte aller Frauen, die aus den ehemaligen Ostblockländern in unser Land, nach Griechenland, kommen – das kein reiches Land ist –, ausgeliefert. Das ist ein Verbrechen. Um die Gewalt gegen Frauen bekämpfen zu können, müssen wir daher zunächst die Armut bekämpfen, die zur Gewalt führt.
Außerdem ist es unsere Aufgabe, die Drogen effektiv zu bekämpfen. In meinem Land kommt es zu mehr Todesfällen im Zusammenhang mit Drogen als in irgendeinem anderen Land, und dabei ist es das ärmste Land im Euro-Währungsgebiet. Deshalb sollten wir uns effektiv um die Prävention kümmern und unser Augenmerk auf die wirksame Bestrafung der Schuldigen richten.
Christa Prets (PSE). – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Dass Daphne das wichtigste Programm gegen Gewalt ist, haben wir heute bereits gehört. Daher ist es umso wichtiger, dass dieses Programm vom Anti-Drogen-Programm getrennt ist. Eine solche Zusammenlegung hätte sicher zu noch mehr Missverständnissen und Unverständnis gegenüber der Europäischen Union geführt, vor allem bei denjenigen, die damit zu tun haben. Ich freue mich, dass dem nicht so sein wird.
Dieses erfolgreiche Programm muss als Antwort auf die steigende Gewalt so sichtbar und verständlich wie möglich weitergeführt werden. Genau zu diesem Zweck ist die Trennung hilfreich. Die Budgetverdoppelung ist ebenfalls erfreulich und sicher auch notwendig, weil wir die Palette der Ziele und Aktionen bedeutend ausgeweitet haben. Ich möchte hier besonders den Kampf gegen den Menschenhandel, insbesondere den Kinder- und Frauenhandel ansprechen, der sehr viel Aufmerksamkeit, und sehr viel Arbeit erfordert, zumal wir die Netzwerke ausbauen müssen und dafür auch entsprechende finanzielle Mittel brauchen.
Daher möchte ich auch den Vorschlag der Kollegin Gröner vehement unterstützen, beim Kampf gegen den Menschenhandel die Kooperationsprojekte auch auf Drittstaaten auszuweiten, denn es ist wichtig, dass man mit den Ursprungsländern kooperiert.
Daphne ist trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Kampf gegen die Gewalt muss vor allem in den Mitgliedsstaaten verstärkt fortgesetzt und auch gesetzlich fortgeschrieben werden. Ich verweise hier auch auf das Wegweiserecht, das in Österreich schon vor langer Zeit umgesetzt und auch in vielen anderen Ländern angenommen wurde, und das besagt, dass Gewalttäter das Haus verlassen müssen. Ich möchte auch das Anti-Stalking-Gesetz erwähnen, das es jetzt in Österreich gibt, und mit dem psychische Gewalt bekämpft werden soll. Denn die wird noch nicht ernst genommen!
(Die Präsidentin entzieht der Rednerin das Wort)
Andrzej Tomasz Zapałowski (IND/DEM). – (PL) Wir sprechen heute wieder über die Bekämpfung von Gewalt. Es mag unnötig erscheinen, dieses Thema erneut zu diskutieren. Doch dem ist keineswegs so. Jedes Jahr werden Tausende von Frauen und Kindern in der Europäischen Union verschleppt und Opfer sexueller Ausbeutung. Es wird viel von Prävention und von Hilfe für die Opfer gesprochen. Doch was tun denn die Stellen, die dafür zuständig sind?
Da gibt es natürlich Vorzeigemaßnahmen, die kaum etwas bringen und nur Medienrummel erzeugen. Was ist denn mit den Arbeitslagern entlang der Mittelmeerküste in einem großen Mitgliedstaat der Europäischen Union, wo nach Pressemeldungen 20 000 Menschen aus anderen Mitgliedstaaten gearbeitet haben? Sie haben täglich fünfzehn Stunden gearbeitet. Die Baracken, in denen sie gelebt haben, waren von Stacheldraht umgeben und von bewaffneten Posten bewacht. Wer nicht arbeiten wollte, wurde sogar umgebracht. Vergewaltigungen vor den Augen der Ehepartner waren an der Tagesordnung.
Trotz der Intervention von Diplomaten und dringender Bitten entflohener Gefangener griff die Polizei erst nach einigen Monaten ein. Doch die aufgeklärten Bürger der Europäischen Union profitierten von dieser Sklavenarbeit. Kann es sein, dass die örtlichen Behörden nichts wussten? Immerhin ging es hier um Tausende Menschen. Diese Ereignisse haben sich vor wenigen Wochen zugetragen.
Wir debattieren also über wichtige Angelegenheiten, die schon lange gelöst sein sollten. Einige Leute, wie der Anführer der Sozialisten, verursachen international Aufruhr wegen nicht genehmigter, umstrittener Demonstrationen, doch wir ignorieren wissentlich eine neue Form ...
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort.)
Zita Gurmai (PSE). – (HU) Es ist eine Schande, dass Gewalt gegen Frauen zu einem weltweiten Phänomen geworden ist, bei dem nationale Grenzen ohne Bedeutung sind. Diese Art von Gewalt verursacht großes Leid und zerstört das Leben von Millionen Frauen und damit ganzer Familien. Allein in Europa ist jede fünfte Frau Opfer von Gewalt, deren Folgen an der Beeinträchtigung ihrer körperlichen und psychischen Gesundheit sowie der ihrer Kinder und Familienangehörigen ablesbar sind. Gewalt kann an scheinbar friedlichen Orten wie dem Zuhause oder im engsten Kreis am Arbeitsplatz lauern, sie zeigt sich im raueren Umgang der Geschlechter miteinander, in sexueller Belästigung und in ihrer schärfsten Form als Zwangsprostitution, die moderne Form der Sklaverei.
Wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, dass die zahllosen Formen gewalttätigen und sexuell herabwürdigenden Verhaltens auf bestimmte soziale Bräuche und Traditionen zurückgehen, die für Europäer inakzeptabel sind. Dazu gehören beispielsweise Genitalverstümmelungen und Zwangsehen. Leider sind diese unannehmbaren Verhaltensweisen auch in der EU anzutreffen. Sie verstoßen grundsätzlich gegen Menschenrechte, einen der Eckpfeiler der Europäischen Gemeinschaften und der Union. Die Verteidigung dieser Rechte erfordert die Zusammenarbeit von Strafverfolgungs- und Justizbehörden sowie das gemeinsame Handeln von Mitgliedstaaten und Europäischen Institutionen.
Das Programm Daphne III erfreut sich breiter öffentlicher Unterstützung, gelang es unserer Kampagne gegen Zwangsprostitution doch allein während der Fußballweltmeisterschaft, 100 000 Unterschriften zu sammeln und die Unterstützung von Kommissar Frattini und auch die freiwillige Mitarbeit der Polizei der betreffenden Länder zu gewinnen. Wenn wir es geschafft haben, den Sport sauber zu halten, sollten wir auch bestrebt sein, das Leben in den Familien friedlich und gewaltfrei zu halten und die für Gemeinschaftsaktionen erforderliche Stärke aufzubringen.
Britta Thomsen (PSE). – (DA) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich danke zunächst der Berichterstatterin, Frau Gröner, für ihren hervorragenden Bericht über das Programm Daphne III. Gewalt gegen Frauen stellt in den Ländern der EU ein großes und zunehmendes Problem dar. Gewalt und insbesondere die Androhung von Gewalt zerstören das Leben vieler Frauen und ihrer Kinder. Jedes Jahr sterben in Europa Hunderte von Frauen an den Folgen häuslicher Gewalt, hinzu kommt eine große Anzahl von gemeldeten Fällen versuchter Morde. Es ist daher außerordentlich wichtig, dass das Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder bei der EU ganz oben auf der Tagesordnung steht. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein spezielles Problem, das spezielle Initiativen und spezielle Lösungen erfordert.
Im Vorschlag des Parlaments liegt der Schwerpunkt auf den tagtäglich im häuslichen Umfeld stattfindenden Übergriffen und auf Veränderungen, die die nationalen Parlamente zwingen werden, zu diesen ernsten Fragen klar Stellung zu beziehen. Wir brauchen ein Programm, dessen einzige Zielrichtung die Gewalt ist und das dazu beitragen kann, dieses Problem stärker bekannt zu machen, und das überdies hilft, eine öffentliche Debatte über Gewalt in Gang zu setzen. Das Thema Gewalt darf nicht länger verschwiegen und tabuisiert werden, die Mitgliedstaaten müssen verstärkt Anstrengungen unternehmen, die Menschen – sowohl die Opfer als auch die Täter – darüber zu informieren, wie man Hilfe bekommen kann. Auch die Präventionsarbeit wird durch dieses Tabu sehr behindert. Wir müssen den Bürgern der EU die Augen öffnen, wie viele Opfer täglich in Angst vor Übergriffen leben. Gewalt ist keine Privatangelegenheit, in welchem Lebensbereich sie auch auftritt und von wem sie auch ausgeübt wird und unabhängig davon, ob es sich um Gewalt in der Familie oder im öffentlichen Leben oder um vom Staat ausgeübte Gewalt handelt.
Gewalt gegen Frauen tritt in vielen Formen auf: körperliche, psychische und sexuelle Gewalt, Zwangsprostitution und Frauenhandel. Oberstes Ziel der Aktivitäten der EU zur Bekämpfung von Gewalt ist die Verhinderung und Bekämpfung aller Formen von Gewalt, um derartige Verbrechen, die auch eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte darstellen, vollständig auszumerzen. Der Kampf gegen Gewalt muss als Teil des Schutzes unserer Grundrechte und -freiheiten verstanden werden.
Iratxe García Pérez (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Wir müssen zunächst den auf Initiative von Frau Gröner und des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter eingebrachten Vorschlag begrüßen, der dieses konkrete Programm fördert, weil auf diese Weise die Tragweite des Problems anerkannt wird und konkrete Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt vorgeschlagen werden.
Wir müssen den Frauen die erforderlichen Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellen, um dieser Realität zu entgehen, die Jahr für Jahr hunderten Frauen in allen Ländern der Union das Leben kostet. Die Gewalt gegen Frauen und Kinder ist eine Verletzung der Grundrechte, und zudem dürfen wir nicht vergessen, dass diese Verletzung noch viel schwerwiegender ist, wenn sie bestimmte Gruppen betrifft, wie Minderheiten oder in Armut lebende Menschen oder Behinderte.
Angesichts der alarmierenden Statistiken über die Opfer dieser Gewalt müssen wir eine echte soziale Revolution durchführen, denn wir dürfen nicht übersehen, dass hinter den Statistiken und den Zahlen die Geschichte von tausenden Frauen steht, die jeden Tag unter denen zu leiden haben, die sie einfach deshalb misshandeln, weil sie Frauen sind. Wir müssen uns deshalb mit Nachdruck für ein konkretes Programm einsetzen, das Fortschritte bei der Lösung eines sozialen Problems erzielt, nach dem alle öffentlichen Gewalten handeln müssen, um so zu einem Wandel beizutragen, der zu einer Gesellschaft mit mehr Gleichstellung führt.
Die spanische Regierung hat ein Gesetz gegen die geschlechtsspezifische Gewalt eingeführt, das ein eindeutiges Bekenntnis zur Bekämpfung dieses sozialen Übels enthält. Sicher kann dieses Gesetz dem Leid von Frauen nicht über Nacht ein Ende bereiten, aber es bietet dennoch einen wichtigen Rückhalt.
Das ist die Richtung, die die übrige Union einschlagen muss, mit entschiedenen Verpflichtungen und in der Überzeugung, dass Nichtstun zum jetzigen Zeitpunkt bedeutet, tausende Frauen sich selbst zu überlassen, die eine Reaktion von uns erwarten.
Die Präsidentin. Das Wort hätte jetzt Frau Lévai, die ich ebenfalls nicht im Raum sehe. Damit ist die Rednerinnen- und Rednerliste abgeschlossen. Ich gebe das Wort Herrn Frattini mit der Bitte zu entschuldigen, dass das Parlament wie immer unruhig ist, weil wir begierig sind, abzustimmen. Herr Frattini, trotzdem sind die Berichterstatterin und wir alle daran interessiert, zuzuhören.
Es tut mir Leid, Frau Kollegin, Sie waren nicht an Ihrem Platz, als ich Sie aufgerufen habe! Ich kann Sie nicht ans Ende der Rednerinnenliste setzen. Es geht Ihnen wie Frau Kauppi.
(EN) Meine Damen und Herren! Wenn einige Kolleginnen und Kollegen während einer Aussprache nicht an ihren Plätzen sind, dann kann ich als Sitzungspräsidentin entscheiden, diesen Abgeordneten nicht später das Wort zu erteilen.
(Beifall)
Es ist eine Frage der Höflichkeit, Frau Kauppi, nicht nur zur eigenen Rede anwesend zu sein, sondern auch den anderen Rednerinnen und Rednern zuzuhören.
Piia-Noora Kauppi (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte eine Bemerkung zur Anwendung der Geschäftsordnung machen. Ich habe mich heute Vormittag gegen 11.15 Uhr mit dem Sitzungssekretariat in Verbindung gesetzt. Dort sagte man mir, meine Redezeit sei auf heute Abend 21.00 Uhr verschoben worden.
Als ich erfuhr, dass mein Name auf der Liste erschienen war, druckte ich sofort meine Rede aus, eilte zu den Aufzügen und kam hierher, da ich feststellte, dass ich nun doch vor 21.00 Uhr hier sein musste! Natürlich verstehe ich, dass ich meine Redezeit jetzt nicht mehr in Anspruch nehmen kann, aber leider hat das Sitzungssekretariat die Abgeordneten viel zu spät darüber informiert, dass die Aussprache fortgeführt wird und nicht wie geplant um 11.30 Uhr endet. So geht man nicht mit Abgeordneten dieses Hauses um.
Die Präsidentin. Frau Kauppi, ich bin schon seit langem in diesem Haus tätig. Ich weiß, dass es schwierig ist herauszufinden, wann man mit seinem Redebeitrag an der Reihe ist, aber lassen Sie es mich noch einmal, und mit aller gebührenden Bescheidenheit, sagen: Ich persönlich – Sie mögen da anderer Meinung sein – finde es höflich, sich die Aussprache anzuhören und bereits vor der eigenen Redezeit hier zu sein. Wäre das immer der Fall, dann würde so etwas nicht passieren. Ihr Name wurde genauso angezeigt wie die Namen der anderen Abgeordneten – beispielsweise der von Frau Geringer de Oedenberg. Die Kolleginnen und Kollegen haben sich darüber gewundert, dass einige Abgeordnete nicht hier waren, und so wurden die Redezeiten um fünf Minuten vorverlegt. Das kann ich nicht ändern. Ich kann nur alle, die in einer Aussprache reden wollen, dazu einladen, von Anfang an hier zu sein. Dann würde Ihnen so etwas nicht noch einmal passieren. Das gilt für alle, die nicht im Plenum waren, als ich sie aufrief. Fünf oder sechs Kolleginnen und Kollegen, die ich aufgerufen habe, waren heute nicht hier und erhielten deshalb auch keine Redezeit.
Normalerweise, wenn wir viel Zeit haben, bin ich wie alle anderen Vizepräsidenten auch gern bereit, Abgeordnete ans Ende der Rednerliste zu setzen. Heute ist das jedoch nicht möglich, da wir über den Bericht abstimmen müssen.
Ich erteile jetzt Kommissar Frattini das Wort.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie alle um Entschuldigung, aber mein Flug heute Morgen nach Straßburg hatte Verspätung, sodass ich den ersten Teil der Aussprache nicht verfolgen konnte; das hat indessen mein Kollege Kovács getan.
Ich weiß die Art und Weise, in der Parlament und Kommission in den letzten Monaten am DAPHNE-Programm gearbeitet haben, sehr zu würdigen. Mein aufrichtiger Dank gilt auch der Berichterstatterin und der Vorsitzenden des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. Die beiden wissen, dass ich vor etwa einem Jahr vom ersten Moment an die Überlegung unterstützt habe, den Teil von DAPHNE, der sich auf die Gewalt gegen Frauen und Kinder bezieht, von dem der Drogenbekämpfung gewidmeten Teil zu trennen, um unangebrachte Vermischungen der Sachbereiche zu vermeiden.
Ich freue mich sehr, dass diesbezüglich heute ein generelles Einvernehmen herrscht und dass der Schwerpunkt noch beharrlicher und nachdrücklicher mit etwa doppelt so viel Mitteln wie ursprünglich vorgesehen auf das Thema Vorbeugung und Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Kinder und Frauen gelegt werden kann.
Vor allem denke ich, dass die Kommission auch künftig nicht nur bereitwillig, sondern auch gern bei der Programmdurchführung eng mit dem Parlament zusammenarbeiten wird, und zwar in dem Sinne, dass sie das Parlament ständig darüber unterrichtet, wie die DAPHNE-Programme ausgestattet werden und zu welchen konkreten Ergebnissen die gegenwärtig finanzierten Programme und Vorhaben führen.
Im letzten Teil der Aussprache haben einige Abgeordnete ein wichtiges Thema angesprochen, genauer gesagt, die Rolle der Mitgliedstaaten und die Rolle Europas.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dieses Thema erschien mir besonders wichtig, weil nicht nur die Rolle der Mitgliedstaaten, der Polizeibeamten und Gerichte bei der Verfolgung und Bestrafung von Gewalttaten auf nationaler Ebene hervorgehoben werden darf. Auch Europa muss seine Stimme hörbar gegen jede Form von Gewalt, die sich inzwischen in zunehmendem Maße gegen Kinder und Frauen richtet, erheben.
Deshalb ist das DAPHNE-Programm notwendig, darin besteht sein Zusatznutzen. Das entbindet jedoch die Polizei der Mitgliedstaaten und die Justizbehörden nicht von ihrer Pflicht, Fälle von Gewalt auf nationaler Ebene zu verfolgen und zu bestrafen. Nichtsdestotrotz müssen wir der Stimme Europas Gehör verschaffen gegen eine zunehmend grenzüberschreitende Kriminalität gegen Frauen – beispielsweise in sämtlichen Formen von Menschenhandel zum Zwecke der Zwangsprostitution – oder gegen Kinder – in Gestalt des schrecklichen Verbrechens der Pädophilie, die sich immer mehr zu einer grenzüberschreitenden Straftat entwickelt. Jenen, die immer noch Zweifel hegen, muss entgegengehalten werden, dass der Mehrwert europäischen Handelns in diesem Bereich offenkundig ist.
Ich möchte nun ganz kurz auf einige Änderungsanträge eingehen, die sich auf spezielle Arten der Gewalt beziehen. Wir müssen darauf achten, dass keine anderen Formen von Gewalt ausgeschlossen werden. Wie meine ich das? Ich meine das in dem Sinne, dass, wenn wir in dem Vorschlagstext nur auf einige unter DAPHNE förderfähige Maßnahmearten verweisen, wir Gefahr laufen, andere Formen von Gewalt auszuklammern, für die DAPHNE jedoch ebenfalls finanzielle Mittel bereitstellen sollte. Ich würde daher eine allgemeinere Formulierung vorziehen, die die Verhütung und Bekämpfung aller Arten von Gewalt abdeckt, ohne einige besonders zu nennen und somit ohne das Risiko, andere auszuschließen.
Ein spezieller Änderungsantrag bezieht sich auf die Europäische Föderation für vermisste und sexuell ausgebeutete Kinder. In einem vorgeschlagenen Kompromissänderungsantrag, Änderungsantrag 72, wird die Möglichkeit der Finanzierung dieses Verbands bestätigt, jedoch noch eine weitere Organisation namens ENOC – Europäisches Netzwerk der Ombudsleute für Kinder – hinzugefügt. Ich befürworte diesen Kompromissänderungsantrag, der es zum einen ermöglicht, ganz konkrete, bereits tätige Organisationen zu finanzieren, zum anderen aber auch mit dieser zweiten Organisation den Kreis potenziell zu begünstigender Einrichtungen erweitert.
Gestatten Sie mir noch zwei letzte Bemerkungen. Erstens wurde viel von einem europaweiten Kindersorgentelefon gesprochen. Diese Maßnahme ist äußerst wichtig, und ich kann Ihnen heute mitteilen, dass wir bereits dabei sind, den Entwurf für einen Rahmenbeschluss auszuarbeiten. Wir hatten uns bzw. ich hatte mich dazu verpflichtet, als ich Ihnen im Juni die Mitteilung über die Rechte der Kinder vorstellte. Heute kann ich Ihnen sagen, dass die Vorbereitungsarbeiten für den Rahmenbeschluss über ein einheitliches europaweites Kindersorgentelefon laufen und wir den konkreten Vorschlag umgehend vorlegen werden. Das ist eine Initiative, die wirklich sehr helfen wird, und deshalb danke ich auch jenen, die in der Aussprache darauf Bezug genommen haben.
Das letzte Thema, das von einigen Abgeordneten angesprochen wurde, betrifft den Gedanken einer europäischen Richtlinie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Ich begrüße diesen Gedanken sehr, er ist sehr interessant. Sorge bereitet mir dabei allerdings die Frage der geeigneten Rechtsgrundlage. Wir müssen eine finden: Ich weiß nicht, ob die Verträge eine geeignete Rechtsgrundlage für eine Richtlinie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen enthalten, doch wenn es uns gelingt, dieses Problem der Rechtsgrundlage zu lösen, würde ich unter politischen Gesichtspunkten den Gedanken einer Harmonisierung zumindest der europäischen Leitlinien sehr begrüßen, um Fälle krimineller Gewalt gegen Frauen streng zu bestrafen.
Das ist ein Überlegungsansatz, den wir später aufgreifen können. Ich danke allen, die sich an dieser Aussprache beteiligt haben, und bin bereit, weiterhin mit Ihnen in diesen Fragen zusammenzuarbeiten.
Die Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kommissar!
Verehrte Kollegen, ich möchte diejenigen, die erst später gekommen sind, daran erinnern, warum wir heute den Zeitplan der Aussprache nicht einhalten konnten. Kommissar Mandelson hat 28 Minuten statt der maximal erlaubten 12 bzw. 15 Minuten Redezeit in Anspruch genommen. Wir müssen diese Dinge, die das Verhältnis von Parlament und Kommission betreffen, klären. Heute ist das leider nicht möglich, aber das ist die Ursache für die Probleme. Es tut mir leid, dass sich die Abstimmungsstunde deshalb verschoben hat.
Lissy Gröner (PSE), Berichterstatterin. – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Ich möchte mich im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter bedanken und Sie wirklich auffordern, das was Sie zuletzt gesagt haben, auch umzusetzen und ein Rechtsinstrument zur aktiven Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Frauen und Jugendliche zu entwickeln. Aus nahezu allen Fraktionen kam heute die Unterstützung für diesen Vorschlag. Bitte greifen Sie die Debatte jetzt auf, damit wir schnell zu einem Ergebnis kommen. Die Zusammenarbeit ist gegeben.
Die Präsidentin. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute, um 12.00 Uhr, statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Véronique Mathieu (PPE-DE). – (FR) Das Programm DAPHNE hat bedeutende Fortschritte bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, Jugendliche und Kinder ermöglicht. Als wertvolles Instrument für die Sensibilisierung und die Einführung beispielhafter Praktiken hat DAPHNE die Unterstützung von NRO gewonnen und gleichzeitig das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Formen von Gewalt, die lange als Tabu galten, geschärft.
Ganz abgesehen von diesen Ergebnissen, die durch eine verstärkte Finanzierung gefestigt und gestützt werden müssen, ist das doch ein konkreter Beweis für den Mehrwert einer Aktion auf europäischer Ebene, was uns daran erinnert, dass sich Europa ursprünglich als politisches Gebilde versteht, das auf Grundwerten wie dem Schutz der Schwächeren aufbaut. Dies ist heute, noch vor der Wirtschaftskraft, der wichtigste Zweck des europäischen Engagements.
Neben den erklärten „Zielen ehrgeiziger Ergebnisse“ möchten wir betonen, dass klare und glaubwürdige Ziele gesteckt werden müssen, um die Gewalt weiter zu verringern, denn es ist noch viel zu tun. So können wir die Einrichtung von Helpdesks für die betroffenen Organisationen sowie die Ausweitung der Hilfe auf eine größere Anzahl von NRO begrüßen, was wegen des weltweiten Ausbreitung der organisierten Kriminalität erforderlich wurde.
Wir möchten daran erinnern, dass der Erfolg der DAPHNE-finanzierten Programme vom Engagement der Akteure abhängt, die die unentbehrliche Arbeit vor Ort leisten und die Weiterverfolgung gewährleisten.
VORSITZ: INGO FRIEDRICH Vizepräsident
7. Abstimmungsstunde
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.
(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll)
7.1. Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zugunsten der kleineren Inseln des Ägäischen Meeres (Abstimmung)
7.2. Seidenraupenzucht (Abstimmung)
7.3. Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Waren in Kleinsendungen nichtkommerzieller Art (Abstimmung)
7.4. Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (Abstimmung)
7.5. Rotterdamer Übereinkommen über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pestizide im internationalen Handel (Abstimmung)
– Vor der Abstimmung:
Johannes Blokland (IND/DEM), Berichterstatter. – (NL) Herr Präsident! 2002 haben Parlament und Rat der Änderung der Rechtsgrundlage der Verordnung über die Verbringung gefährlicher Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, die aus dem Rotterdamer Übereinkommen hervorgegangen ist, zugestimmt. Eine überwältigende Mehrheit war in diesem Haus für die Umwandlung, und selbst der Rat stimmte ohne Gegenstimmen zu.
Die Kommission hat jedoch diese Änderung vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten, wodurch der Sektor jahrelang in Unsicherheit schwebte, und das Urteil des Gerichtshofs machte die Sache nur noch komplizierter. Parlament und Rat hatten als Rechtsgrundlage Artikel 175 gewählt, die Kommission indes Artikel 133. Der Gerichtshof hat zur Überraschung aller Parteien entschieden, beide Artikel als Rechtsgrundlage anzuerkennen.
Dieser Gang der Dinge ist leider kein Einzelfall. In verschiedenen Bereichen ist die Wahl der Rechtsgrundlage zwischen Kommission, Parlament und Rat umstritten. Erst kürzlich noch bei dem Dossier über die Verbringung von Abfällen, für das ich zufälligerweise Berichterstatter bin.
Ich möchte dringend an die drei Parteien appellieren, diese Entscheidungen in Zukunft nicht vor Gericht auszudiskutieren, sondern stattdessen gemeinsam eine Lösung herbeizuführen. Vor allem kommt es darauf an, bei der Wahl der Rechtsgrundlage eine klare Linie zu verfolgen.
Nunmehr waren drei vergleichbare Rechtssachen bei dem Gerichtshof anhängig, die allesamt zu unterschiedlichen Urteilen geführt haben. Das ist der Kohärenz der Rechtsetzung nicht eben förderlich und mündet zudem in einem kompletten Verfahren zur Korrektur von Gesetzen, wie das, welches sogleich zur Abstimmung steht.
Deshalb fordere ich die Kommission und den Rat auf, gemeinsam mit diesem Haus ein unzweideutiges Verfahren für die Wahl der Rechtsgrundlage zu schaffen. Das kann der Qualität der Gesetzgebung nur zugute kommen.
7.6. Sonderbericht Nr. 5/2005 des Europäischen Rechnungshofs über die Ausgaben für Dolmetschleistungen beim Parlament, bei der Kommission und beim Rat (Abstimmung)
(Die Sitzung wird um 12.00 Uhr für einige Minuten unterbrochen.)
VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES Präsident
(Die feierliche Sitzung wird um 12.10 Uhr eröffnet.)(Beifall)
8. Feierliche Sitzung
Der Präsident. Frau Präsidentin der Republik Finnland, meine Damen und Herren, Herr Präsident der Kommission! Das Europäische Parlament, das sich stets für eine stärkere Präsenz der Frauen in der Politik einsetzt, freut sich, Sie heute in diesem Haus willkommen zu heißen. Wir begrüßen die erste Frau, die in das höchste Amt der Republik Finnland gewählt – und sogar wieder gewählt – wurde.
Ihre Wiederwahl Anfang dieses Jahres, Frau Präsidentin, hat auf beeindruckende Weise den einhundertsten Jahrestag des Frauenwahlrechts in Finnland gekennzeichnet, dem ersten Land der Welt, das den Frauen das Wahlrecht gewährte. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb ein Jahrhundert danach nun eine Frau an der Spitze des Landes steht.
Im Namen aller Mitglieder dieses Parlaments möchte ich Ihrem persönlichen Engagement in vielen internationalen Foren Anerkennung zollen, in denen Sie Ihre Erfahrung und Ihren Einfluss in den Dienst von Themen gestellt haben, die für uns Mitglieder des Europäischen Parlaments von allergrößter Bedeutung sind.
Ich möchte darauf hinweisen, dass Sie im Jahr 2000 den gemeinsamen Vorsitz des Milleniumgipfels innehatten und dass Sie später der Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung vorstanden, wobei die soziale Dimension der Globalisierung heute eine hochaktuelle Frage ist, die für Europa immer größere Bedeutung erlangt.
Sie haben viel zur nachhaltigen Entwicklung, zur Achtung der Menschenrechte und der Minderheitenrechte geleistet, Themen, die auch heute in einigen Ländern der Union leider hochaktuell sind.
Es steht außer Frage: Sie sind eine Frau, die sich für ihre Zeit, für ihre Welt, für eine menschlichere Welt und für die europäische Integration engagiert.
Zudem hat Ihr Land den Vorsitz der Union inne. Zu Beginn dieser Präsidentschaft sagten viele Kommentatoren voraus, dass es ein „Übergangsvorsitz“ in der Erwartung von Entwicklungen zur Überwindung des toten Punkts in der Verfassungsdebatte sein würde.
Die Geschichte akzeptiert jedoch keine Übergänge, sie lässt uns weder die Zeit anhalten noch erlaubt sie uns, abzuwarten, bis etwas geschieht. Die Geschichte stellt uns vor ein reich gefülltes Programm für die kommenden Monate.
Die Geschichte hat uns Verantwortung im Nahen Osten übertragen, einer Region, die einen weiteren Krieg erlitten hat, und einer Region, in der unsere Union versuchen wird, den Frieden wiederherzustellen. Ich möchte anerkennen, dass der finnische Vorsitz, als die Kampfhandlungen begannen, schnell und energisch reagiert hat. Ich war erfreut über die offenen und direkten Worte seines Außenministers, der die Europäische Union inspirierte, ihren Willen zu manifestieren, der dann erfreulicherweise zu einem mutigen Beschluss führte: der Entsendung von Stabilisierungskräften vor Ort.
Ihr Land war das erste, das eine europäische Einwanderungspolitik ins Gespräch brachte. Tampere ist in die Geschichtsbücher eingegangen als der Ort, an dem Europa vor sieben Jahren begann, sich mit dem Problem der Einwanderung zu befassen. Seinerzeit hätten wir uns wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass das Problem so ernst werden würde, wie es heute ist, mit Strömen verzweifelter Menschen, die versuchen, den ihnen am nächsten gelegenen Teil Europas zu erreichen, mit hunderten Toten, die das Meer an die Strände spült. Auch in dieser Hinsicht ist dringend europäisches Handeln geboten.
Sie begründeten in Tampere einen politischen Willen, der leider wenig vorangekommen ist. Sogar bei der illegalen Einwanderung, bei der wir tatsächlich einige Fortschritte erreicht hatten, werden nun neue Vorbehalte geäußert.
Die Geschichte gibt nun wieder einem finnischen Vorsitz Gelegenheit, einer Politik neue Impulse zu verleihen, die nicht länger eine Notfallreaktion auf eine Ausnahmesituation ist, sondern eine alltägliche und dauerhafte Antwort auf ein strukturelles Problem, das immer gravierender wird.
Darüber hinaus sind Sie in Finnland führend in Forschung und Innovation: Es ist Ihnen gelungen, Ihre Produktionsstruktur zu verändern, um den Übergang von den alten Industrien zu neuen, bahnbrechenden Aktivitäten im Bereich der Kommunikation und des Wissens zu meistern. Sie haben auch Entscheidungen in der Energiepolitik getroffen: Sie haben sich auf dem Wege demokratischer Beschlüsse aus Gründen der Sicherheit und Diversifizierung für die Kernenergie entschieden. Das ist ein brisantes und umstrittenes Thema in der europäischen Debatte, und ich habe keinen Zweifel daran, dass das Parlament dazu noch viel zu sagen haben wird.
Aus all diesen Gründen und in Anbetracht von Bulgarien und Rumänien, die kurz davor stehen, sich uns anzuschließen, und von Gesetzgebungsfragen, wie REACH oder der Dienstleistungsrichtlinie, wird dies kein „Übergangsvorsitz“ sein. Er ist mit zu vielen Fragen konfrontiert, die einer Lösung harren, als dass wir es uns erlauben könnten, die Hände in den Schoß zu legen und darauf zu warten, dass andere für uns Entscheidungen treffen.
Deshalb heißen wir Sie in diesem Parlament willkommen, Frau Präsidentin, als Staatsoberhaupt des Landes, das den Vorsitz innehat, und wir sind sicher, dass vieles von dem, was Sie uns sagen werden, uns in unserer Arbeit als Leitfaden dienen wird. Bitte seien Sie versichert, dass das Parlament Sie mit großer Sympathie und viel Optimismus empfängt.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
(Beifall)
Tarja Halonen, Präsidentin der Republik Finnland. (FI) Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen herzlich für die Einladung danken, hier vor dem Europäischen Parlament zu sprechen. Außerdem danke ich Ihnen, Herr Präsident, für Ihre freundlichen Einführungsworte. Letztes Mal sind wir uns Anfang Juni bei Ihrem Besuch in Finnland begegnet, und Sie sind in unserem Land jederzeit willkommen.
Die direkt gewählten Abgeordneten sind in der Europäischen Union wie auch in ihren Mitgliedstaaten ein wichtiges Element des demokratischen Prozesses. Sie verfügen über bedeutende Einflussmacht, denn Sie haben die Möglichkeit, in Ihrer täglichen Arbeit die Ziele der gesamten Union zu fördern. Der finnischen Präsidentschaft ist viel an einer engen Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament gelegen. In dieser Woche werden mehrere Mitglieder unserer Regierung hier sein und Ihnen für Diskussionen zur Verfügung stehen, und ich bin überzeugt, dass es sich um sehr nützliche Gespräche handeln wird.
Die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit und Integration für die Förderung von Frieden, Stabilität und Wohlstand auf unserem Kontinent liegt auf der Hand, und die Ergebnisse sind beeindruckend. Unsere Bemühungen beruhen auf gemeinsamen Werten, als da sind: Frieden, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Engagement für die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit. Jeder Mitgliedstaat muss diese Werte auf seine eigene Weise umsetzen, doch zusammen erzielen wir oft bessere Resultate. Auch international ist eine vereinte Europäische Union ein weitaus stärkerer Akteur, als es ein einzelner Mitgliedstaat sein kann.
In den letzten Jahren hat sich die internationale Rolle der Europäischen Union erheblich verfestigt. Die EU tritt in den verschiedensten Bereichen von der Entwicklung bis hin zum Krisenmanagement sichtbar und stark in Erscheinung. Die globalen Sicherheitsbedrohungen sind zunehmend nichtmilitärischer Natur. Klimawandel, Umweltverschmutzung, Naturkatastrophen, Infektionskrankheiten und wirtschaftliche Unsicherheit stellen Bedrohungen dar, auf die wir uns nicht mit militärischen Mitteln vorbereiten können. Deshalb wollen wir den Multilateralismus fördern und internationale Abkommen schließen, um den Bedrohungen und Gefahren gegenüberzutreten, die uns alle gemeinsam betreffen.
Großen Anlass zur Besorgnis gibt uns allen die internationale Kriminalität. Eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Kampf gegen die Bedrohung des Terrorismus ist von elementarer Bedeutung, und dasselbe gilt für die Zusammenarbeit mit Drittländern. Wenn wir Sicherheit in großem Maßstab wollen, die globalen Rückhalt genießt, dann muss sie mit Menschenrechten und Entwicklung gekoppelt werden. Auf dieser Maxime beruht die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union, und sie wurde von den Vereinten Nationen übernommen. Wir können auf die Schaffung einer gerechteren Welt und die Verwirklichung der Millenniumsziele der UN hinwirken. Eine der Stärken der Union liegt darin, dass sie auf ein breites Instrumentarium zurückgreifen kann, angefangen von der humanitären Hilfe bis hin zur Landwirtschafts-, Handels-, Entwicklungs- und Umweltpolitik.
Auch die Entwicklungspolitik der EU kann als Teil ihrer Sicherheitspolitik angesehen werden. Die EU ist der wichtigste Partner der Entwicklungsländer im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und des Handels sowie der größte Entwicklungshilfegeber in der Welt. Ich hoffe und vertraue darauf, dass die EU-Institutionen in engem Zusammenwirken zu einer Entscheidung über die Entwicklungsfinanzierung gelangen werden, damit auch ab Anfang 2007 ein stetiger Finanzierungsfluss und insbesondere breit gefächerte Maßnahmen seitens der EU gewährleistet sind.
Zwischen Entwicklung und Handel besteht eine Verbindung, die nicht immer und automatisch positiv ist. Deshalb kommt es auf politischen Willen und Know-how an. Auf diese Weise kann der Handel in den Dienst des Wirtschaftswachstums, der Armutsbekämpfung und der sozialen Entwicklung in den Entwicklungsländern gestellt werden. Die Entwicklungsländer ihrerseits müssen allerdings bereit sein, nationale Reformen durchzuführen, eine gute Staatsführung zu fördern und mit der Korruption aufzuräumen. Der Marktzugang an sich wird nicht zwangsläufig eine gerechtere Globalisierung gewährleisten – es sind auch besondere Unterstützungsmaßnahmen für die ärmsten Länder erforderlich, um ihnen erfolgreicheres staatliches Handeln zu ermöglichen. Im Oktober soll eine gemeinsame Sitzung der Handels- und Entwicklungsminister mit dem Ziel stattfinden, ein entschiedenes Bekenntnis der EU zu den „Aid-for-trade“-Empfehlungen der Welthandelsorganisation und zu deren sofortiger praktischer Umsetzung zu erreichen.
Ein ebenso differenzierter Ansatz ist in der Frage der grenzüberschreitenden Mobilität erforderlich. Ich denke, dass dieses Thema in Finnland auf dem Gipfeltreffen in Lahti zur Sprache kommen wird. Außerdem meine ich, dass wir im Dezember so weit sein werden, zur Beschlussfassung überzugehen.
Die Menschenrechte sind ein heikles Thema. Wir haben zugestimmt, dass sie rechtlich und ethisch bindend sein müssen, aber es ist eine äußerst komplizierte Aufgabe, sie durch praktische Politik voranzubringen. Ungeachtet dessen muss die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union in verschiedenen Teilen der Welt ein und denselben Regeln folgen. Glücklicherweise haben wir auch gute Partner, vor allem natürlich die Vereinten Nationen. Ein wichtiger Partner in Europa selbst ist für uns der Europarat, dessen Sachkenntnis wir effektiver nutzen sollten. Der Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention ist für die EU nach wie vor ein bedeutendes Ziel. In einem Bericht des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker werden ausgezeichnete Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen unterbreitet, aber diesen Bericht müssen wir erst einmal inhaltlich umsetzen.
Maßnahmen zur Konfliktvermeidung wie auch das Krisenmanagement selbst sind für die Union wichtiger denn je zuvor. Gestatten Sie mir einen kurzen nostalgischen Rückblick. Als ich in Finnland noch Außenministerin war, starteten meine schwedische Kollegin Lena Hjelm-Wallén und ich eine Initiative zur Stärkung der Krisenmanagementkapazitäten der EU, wobei wir gewiss nicht auf so rasche Fortschritte zu hoffen wagten. Aber es kam anders. Die Initiative fand Eingang in den Vertrag von Amsterdam und heute bilden die militärische und zivile Entwicklung und deren erfolgreiche Koordinierung den Grundpfeiler der sich rasch entwickelnden Krisenmanagementpolitik der Union. Ein breites Spektrum von Einflussmöglichkeiten ist der sicherste Weg zur Konfliktbeilegung.
Beispielsweise erwies es sich bereits als notwendig, eine EU-Krisentruppe zur Unterstützung der UN in die Demokratische Republik Kongo zu entsenden, wo es nach Bekanntgabe der Ergebnisse der ersten Wahlrunde zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen war. Wir hoffen, dass die Lage jetzt stabil bleibt, damit der Wahlkampf und der zweite Wahlgang friedlich und unter Wahrung der Demokratie ablaufen können. Nach den Wahlen muss das Land rasch zur Wiederaufbau- und Entwicklungsphase übergehen. Die EU unterstützt jetzt bereits die Reform des dortigen Sicherheitssektors. Außerdem arbeitet die Europäische Union mit großem Einsatz an einer Lösung für die schwierige Lage in Darfur. Die Union leistet die größte Unterstützung für die Mission der Afrikanischen Union in Sudan. Es kommt auf eine sofortige Umsetzung der Beschlüsse über die Aufstockung der Friedensmission und ihre Übertragung auf die UN an, denn es darf nicht geduldet werden, dass das menschliche Leid in dieser Region andauert.
Somit werden immer größere Erwartungen an das internationale Handeln der Europäischen Union gestellt. Eine vereinte Union ist ein starker Akteur, wie sich am Beispiel Libanons gezeigt hat. Die EU hat sich aktiv um eine politische Lösung bemüht; zuerst durch die Unterstützung von Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats und nun durch deren umfassende Umsetzung. Entscheidend ist jetzt allerdings, dass sich alle Beteiligten für die Umsetzung engagieren. Durch das entschlossene Vorgehen der Union ist das Vertrauen in die EU als Friedensmakler in der Region gewachsen. Natürlich können wir das nicht allein schaffen, aber die Europäische Union kann eine äußerst bedeutende Rolle spielen.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben große Verantwortung bei der erweiterten UNIFIL-Mission der UN übernommen, die den fragilen Waffenstillstand und die Bemühungen um dauerhaften Frieden in der gesamten Region unterstützt. Der am 25. August gefasste Beschluss des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ über eine substanzielle Beteiligung stellte einen Wendepunkt bei der Stärkung der UNIFIL dar. Den Mitgliedstaaten gelang es, im internationalen Kontext einige sehr schwierige Entscheidungen zu treffen. Sie sagten die Entsendung von rund 7000 Soldaten zur Unterstützung der UNIFIL-Mission zu. Die gesamte UN-Operation wird von uns Europäern geführt, zuerst von Frankreich und dann von Italien. Wichtig ist allerdings, dass auch andere Länder und nicht nur die EU-Mitgliedstaaten Truppen dafür stellen. Dadurch werden die Beteiligten weit größeres Vertrauen in den Erfolg der Mission setzen.
Die Situation im Libanon ist komplex und nicht nur eine Frage der Sicherheitspolitik: Es handelt sich auch um ein politisches, ein wirtschaftliches und ein soziales Problem. Wir müssen der libanesischen Regierung dabei helfen, ihre Autorität im ganzen Land durchzusetzen und Verantwortung für den Wiederaufbauprozess zu übernehmen. Um die prekäre humanitäre Lage im Lande zu entschärfen, haben die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten mittlerweile Gesamthilfen von über 300 Millionen Euro bereitgestellt. Die Konferenz über die humanitäre Lage in Libanon und in den Palästinensergebieten, die vergangene Woche in Stockholm stattfand, war ein echter Erfolg. Es wurde ein beachtliches Maß an Hilfe gewährt bzw. neu zugesagt. Zusätzlich zur direkten humanitären Hilfeleistung muss die Union eine bedeutende Rolle beim Wiederaufbau und bei der Beseitigung der Umweltschäden übernehmen.
Ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten setzt die Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern voraus. Nachdem die EU wesentlich zum Zustandekommen der Roadmap beigetragen hat, muss sie jetzt Initiative zeigen und einen umfassenden Friedensplan vorantreiben. Alle Beteiligten müssen sich zur Existenz zweier sicherer und lebensfähiger Staaten bekennen. Es liegt auf der Hand, dass Vertrauen auch auf der Ebene der Zivilgesellschaft aufgebaut werden muss und nicht nur zwischen den Regierungen. Meiner Meinung nach steigen durch eine enge Einbindung von Frauen in den Friedensprozess die Chancen für eine dauerhafte Lösung. Ich habe bereits mit der UN-Frauenorganisation UNIFEM zusammengearbeitet, die den Dialog zwischen israelischen und palästinensischen Frauen fördert. Wir werden diesen Punkt auch auf der bevorstehenden Sitzung der UN-Generalversammlung zur Sprache bringen.
Meine Damen und Herren! In Ihrer morgigen Plenarsitzung werden Sie sich eingehend mit dem Thema Nahost befassen. Es ist unerlässlich, dass die Europäische Union künftig mit Entschlossenheit für die Schaffung von Frieden und Sicherheit im gesamten Nahostraum einsetzt. Der Nahe Osten ist unser Nachbar. Vertreter der EU haben sich aktiv an den Verhandlungen über das Nuklearprogramm des Iran beteiligt. Der Iran muss die Resolution des UN-Sicherheitsrats befolgen und jetzt die Gelegenheit zu einem echten Dialog wahrnehmen. In den nächsten Wochen und Monaten muss die EU ihre aktiven und weit reichenden diplomatischen Bemühungen konsequent fortsetzen. Die USA werden dabei für die EU ein maßgeblicher Partner sein, ebenso wie die anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates.
Das Schicksal Russlands ist seit Jahrhunderten mit dem des übrigen Europa verwoben. Heute ist Russland für die EU ein strategischer Partner. Die russische Führung hat wiederholt erklärt, dass ihre Entscheidung für Europa unwiderruflich ist. Ein breites Spektrum der Zusammenarbeit, das vom Handel bis zu den Menschenrechten reicht, wird beiden Parteien zum Nutzen gereichen und noch dazu die demokratische Entwicklung und die Stabilität in Russland fördern.
In letzter Zeit standen Energiefragen ganz oben auf der Tagesordnung. Es ist gut, dass sich die EU einen gemeinsamen Standpunkt in puncto Energie erarbeiten will, auch wenn die Wahl der Energiequellen eine nationale Angelegenheit ist. Die meisten Fragen sind jedoch so geartet, dass an einer Zusammenarbeit kein Weg vorbeiführt. Die Energiepolitik und die Außenpolitik der EU müssen stärker miteinander verflochten werden, damit die Außenbeziehungen der Union zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit beitragen. Meiner Meinung nach ist dies ein Bereich, in dem die Union und Russland ganz eindeutig eine positive gegenseitige Abhängigkeit herstellen können. Dieser Energiedialog zwischen der EU und Russland muss auf Vertrauen beruhen. Wie müssen uns bemühen, Interessenübereinstimmungen zu finden.
Darüber hinaus müssen wir alle Engagement für die Bekämpfung des Klimawandels zeigen, indem wir die Emissionen verringern, Energie sparen, saubere Technologien entwickeln und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen fördern. Schließlich wissen wir, dass die heutigen Energieressourcen nicht unendlich verfügbar sind. Ein weiteres Ziel der EU muss die breit gefächerte Zusammenarbeit mit Russland im Umweltbereich sein. Zwischen der Union und Russland besteht ein umfassendes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, und zusätzlich dazu wurden Roadmaps für vier gemeinsame Räume vereinbart: Wirtschaft, Freiheit, Recht und Sicherheit, äußere Sicherheit sowie Forschung, Bildung und Kultur. Dabei ist der zuletzt genannte Kooperationsbereich nicht minder wichtig, auch wenn diese Fragen nicht oft im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Beispielsweise leisten der Studentenaustausch und der kulturelle Austausch einen ganz praktischen Beitrag zum besseren gegenseitigen Kennenlernen.
Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Union und Russland läuft Ende nächsten Jahres aus. Unser Ziel ist es, beim Gipfeltreffen EU-Russland im November mit Russland die Aufnahme von Gesprächen über eine Erneuerung der Abkommensbestimmungen zu vereinbaren. Ferner bin ich der Auffassung, dass die Umwandlung der Nördlichen Dimension in eine gemeinsame Politik der EU, Russlands, Norwegens und Islands zu einer Intensivierung unserer Beziehungen mit diesen Partnerländern führen würde. Im Mittelpunkt der Nördlichen Dimension stehen die Zusammenarbeit im Umweltbereich sowie soziale und gesundheitliche Fragen.
Die Erweiterung der Union hat zu mehr Stabilität und Sicherheit in Europa geführt und allen Mitgliedstaaten – den alten wie den neuen – wirtschaftliche Vorteile gebracht. Eine erfolgreiche Erweiterung stärkt auch die internationale Rolle der EU. Ich meine, dass die Europäische Union in Zukunft allen europäischen Ländern offen stehen muss, die die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllen. Wie die Entwicklungen in den Ländern Mitteleuropas, in der Türkei, in Kroatien und auf dem westlichen Balkan deutlich zeigen, bietet die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft starke Anreize für Reformen, obwohl natürlich das eigentliche Motiv für jedwede Veränderung der Wunsch des betreffenden Landes sein muss, seinem Volk ein besseres Leben und mehr Sicherheit zu bieten. Die Menschen werden die Mitgliedschaft danach bewerten, wie sich ihr Alltag gestaltet.
Auf der Tagung des Europäischen Rates im Dezember wird es eine allgemeine Debatte zum Thema Erweiterung geben. Dort werden wir dann gemeinsam beraten, wie es mit dem Erweiterungsprozess weitergehen soll. Wie Ihnen bekannt ist, fand im Juni im Europäischen Rat eine Debatte über die Aufnahmekapazität der Union statt. Das Fazit lautete, dass keine neuen Mitgliedschaftskriterien aufgestellt werden sollten, aber auf eine strenge Einhaltung der vorhandenen Kriterien geachtet werden sollte. Es liegt gleichermaßen im Interesse der Europäischen Union und der Bewerberländer, dass ein Beitritt zur Union nur erfolgen kann, wenn das betreffende Land zur Übernahme der Mitgliedschaftspflichten fähig ist und die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllt. Wir müssen unsererseits die Versprechen einhalten, die wir den Bewerberländern gegeben haben, und sicherstellen, dass wir über die Fähigkeit zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten verfügen.
Überdies sollten wir uns daran erinnern, welche Voraussetzungen nicht auf der Liste stehen. Wir haben gemeinsame Werte, wollen aber keine Einheitskultur schaffen. Im Gegenteil: Der Reichtum und die Stärke Europas liegen in seiner kulturellen Vielfalt. Unterschiedliche politische Ansichten gehören von Natur aus zu Europa. Sie und Ihre Fraktionen sind ein einzigartiges Beispiel für eine Zusammenarbeit politischer Parteien, die über Ländergrenzen hinausgeht. Eine vielgestaltige Union braucht vielschichtigen Parlamentarismus.
Das war eine lange Rede, und ich weiß, dass uns allen ein arbeitsreicher Herbst bevorsteht, sowohl Ihnen im Europäischen Parlament als auch uns im angehenden Präsidentschaftsland und allen anderen Mitgliedstaaten ebenfalls. In dieser Woche ist Finnland Gastgeber des ASEM-Gipfeltreffens zwischen der EU und asiatischen Ländern. Das ASEM hat sich mittlerweile zu einem praktischen Kooperationsforum zweier regionaler Zusammenschlüsse entwickelt, und das Zusammenwirken mit einer integrierten Union war für die asiatischen Länder Anreiz, sich in Vorbereitung auf die zu diskutierenden Fragen enger abzustimmen. Ich denke, uns allen ist klar geworden, dass das ASEM-Motto „Global Challenges – Joint Responses“ ein Prinzip und ein Ziel ist, das wir alle teilen.
Abschließend möchte ich sagen, dass es für meine Reise hierher nach Straßburg zwei gute Gründe gab. Der erste Grund für mein Hiersein sind Sie. Den anderen Grund will ich Ihnen auch gestehen: Ich habe vor, dem Europarat ebenfalls einen Besuch abzustatten. Ich hoffe, dass ich damit praktische Unterstützung für die Idee einer breiten europäischen Zusammenarbeit leisten kann, die ich selbst hier vorgetragen habe. Vielen Dank dafür, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, hier zu Ihnen allen zu sprechen und Ihre wertvolle Zeit in Anspruch zu nehmen. Ich wünsche Ihnen aufrichtig alles Gute für diese Herbst-Sitzungsperiode und viel Erfolg bei Ihren Bemühungen.
(lang anhaltender Beifall)
Der Präsident. Vielen Dank für Ihre Worte, Frau Präsidentin. An dem Beifall, den Sie erhalten haben, können Sie sehen, dass das Parlament Ihrer Rede mit großem Interesse gefolgt ist. Ich muss Ihnen sagen, dass ich den Plenarsaal selten so voll gesehen habe wie heute, und auch das ist ein Beweis für das Interesse des Europäischen Parlaments an der Arbeit, vor der die finnische Ratspräsidentschaft steht.
Wir wünschen Ihrer Regierung viel Glück und danken Ihnen nochmals für Ihren Besuch bei uns.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall)
VORSITZ: INGO FRIEDRICH Vizepräsident
(Die Sitzung wird um 12.40 Uhr wieder aufgenommen.)
9. Abstimmungsstunde (Fortsetzung)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Fortsetzung der Abstimmungen.
9.1. Finanzierung der Maßnahmen im Bereich der Meeresverschmutzung durch Schiffe (Abstimmung)
9.2. Daphne-Programm: Bekämpfung von Gewalt (2007-2013) (Abstimmung)
– Vor der Abstimmung über die Änderungsanträge 71 und 74:
Lissy Gröner (PSE), Berichterstatterin. – Herr Präsident! Hier geht es um die Mittelausstattung des Programms. Wenn wir über den Änderungsantrag 74 der GUE/NGL-Fraktion abstimmen, dann stimmen wir ab über 125 Millionen Euro. Deshalb bitte ich, über diesen Antrag zuerst abzustimmen. Wenn er angenommen wird, entfällt der Änderungsantrag 71, in dem es um 120 Millionen Euro geht.
Der Präsident. So haben wir es in der Abstimmungsliste auch vorgesehen.
9.3. Besteuerung von Personenkraftwagen (Abstimmung)
– Vor der Abstimmung über Änderungsantrag 25:
Renate Sommer (PPE-DE). – Herr Präsident! Nach meiner Auffassung ist dieser Änderungsantrag eigentlich hinfällig, weil wir weiter oben mit Änderungsantrag 11 schon die verbrauchsbezogene Besteuerung abgelehnt haben.
Der Präsident. Das wird überprüft. Es könnte so sein. Ich wage es jetzt ad hoc nicht zu entscheiden, aber das wird zu Protokoll genommen und überprüft.
Claude Turmes (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich bin der Meinung, dass es Sinn macht, dass wir über diesen Änderungsantrag abstimmen.
– Vor der Abstimmung über Änderungsantrag 1 :
Karin Riis-Jørgensen (ALDE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident! Entschuldigen Sie, aber ich glaube, darüber haben wir bereits abgestimmt, wir können also zum nächsten Änderungsantrag kommen.
– Vor der Abstimmung über den geänderten Vorschlag:
Renate Sommer (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich möchte die Berichterstatterin bitten, jetzt vor der Schlussabstimmung einmal etwas zu sagen. Nach dem, was ich hier notiert habe, haben wir eine völlig chaotische Abstimmung geliefert. Wir sind einmal für die Einbeziehung der Schadstoffkomponente, einmal sind wir dagegen. Einmal sind wir für die Einbeziehung des Kraftstoffverbrauches, einmal sind wir dagegen. Einmal sind wir dafür, die Effizienz mitzuberücksichtigen, einmal sind wir dagegen. Einmal sind wir für die Beibehaltung der Zulassungssteuern, einmal dagegen.
Vielleicht können Sie mir sagen, wie ich mich jetzt in der Schlussabstimmung verhalten soll. Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll!
Der Präsident. Das war ein etwas unübliches Verfahren, weil es leider häufiger vorkommt, dass die Abstimmungen nicht ganz kohärent sind, aber wenn Sie, Frau Berichterstatterin, eine Meinung dazu abgeben können, sind wir Ihnen natürlich alle sehr dankbar.
Karin Riis-Jørgensen (ALDE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident! Ich finde auch, dass es chaotisch zugegangen ist, was sowohl uns als vielleicht auch einigen Kolleginnen und Kollegen hier im Plenum zu verdanken ist.
(Unruhe)
Wenn ich mir jedoch das Endergebnis anschaue, dann würde ich vorschlagen, dass wir es in der Schlussabstimmung billigen, weil über die meines Erachtens wichtigen Kernpunkte positiv abgestimmt worden ist. Wenn wir mit dem Sekretariat noch einmal alles durchgehen, werden wir sicher noch einige Punkte prüfen und verbessern können.
(Unruhe)
Mir kommt es auf die Kernpunkte an. Ich finde, wir sollten den geänderten Vorschlag annehmen, um ein Signal an die Kommission zu senden, damit bei der Änderung des Steuersystems Fortschritte erzielt werden können.
Jan Andersson, Anna Hedh, Ewa Hedkvist Petersen, Inger Segelström und Åsa Westlund (PSE), schriftlich. (SV) Wir enthalten uns der Stimme. Unserer Ansicht nach sollten die vorgeschlagenen Sondermaßnahmen nicht aus dem Agrarhaushalt finanziert werden, da sie ihrem Charakter nach keine Agrarbeihilfen, sondern eher Regionalbeihilfen sind.
Bruno Gollnisch (NI). – (FR) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht unseres Kollegen Stubb über die Mehrsprachigkeit in unseren Organen enthält viele positive Elemente. Herr Stubb verweist völlig zu Recht darauf, dass die Mehrsprachigkeit, deren Kosten natürlich ein wichtiger Faktor sind, eine politische Entscheidung ist, um die charakteristischen Merkmale unserer jeweiligen Identität zu erhalten und kulturelle Einförmigkeit zu vermeiden, wozu es unweigerlich käme, wenn eine Sprache vorherrschen würde.
Er sollte diese Überlegungen auch berücksichtigen, wenn es um die etwas höheren Kosten für das Dolmetschen in Straßburg geht, denn auch die Wahl Straßburgs ist eine politische Entscheidung – ein Symbol der deutsch-französischen Versöhnung.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit erneut gegen den Skandal protestieren, dessen Opfer die fraktionslosen Abgeordneten sind. Entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs werden ihnen im Bereich des Dolmetschens und Übersetzens nicht die gleichen Mittel gewährt wie den Abgeordneten, die einer Fraktion angehören. Das Präsidium hat diese Angelegenheit geprüft, aber nach fast zwei Jahren immer noch keine Lösung gefunden. Diese diskriminierende Situation muss ein Ende haben!
(Beifall)
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Obwohl die Anerkennung der Amtssprachen aller Mitgliedstaaten in den Verträgen festgeschrieben ist, häufen sich die Versuche, die Zahl der Arbeitssprachen auf EU-Ebene einzuschränken und immer nur die Sprachen der bevölkerungsreichsten Länder zu favorisieren. Genannt sei als jüngstes Beispiel der „Europäische Indikator für Sprachenkompetenz“, der lediglich Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch umfasst.
Obwohl die Mehrsprachigkeit als eines der Schlüsselmerkmale der EU betrachtet wird, ist der vorliegende Bericht von einer restriktiven Haushaltsperspektive durchdrungen, die durch administrative Beweggründe dieses in den Verträgen verankerte Recht in Frage stellen kann.
Deshalb bekräftigen wir unsere entschiedene Ablehnung jedweden Versuchs, den Gebrauch irgendeiner Amtssprache (und Arbeitssprache) in der EU mit dem Argument, die Ausgaben für das Dolmetschen seien hoch, einzuschränken.
Ebenso kritisieren wir die Kriterien zur Auswahl der verwendeten Sprachen während der parlamentarischen Versammlungen EU-AKP, die in diskriminierender Art und Weise die Verwendung des Portugiesischen verhinderten.
Darüber hinaus sind wir dagegen, dass unter dem Vorwand der Haushaltskürzung die Zahl der Dolmetscher im Parlament, in der Kommission und im Europäischen Rat verringert wird, ein einziger Dolmetscherdienst geschaffen und die Rechte dieser Berufsgruppe in Bezug auf Vertragsverpflichtungen, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen beschnitten werden sollen.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Herr Präsident! Ich unterstütze den Tenor des Berichts und die darin geäußerte Kritik an vorhandener Ineffektivität, möchte jedoch gleichzeitig betonen, dass ich ein Befürworter der mehrsprachigen parlamentarischen Arbeit bin. Ja, es kostet Geld, unsere Beiträge in andere Sprachen zu übertragen, aber es ist eine entscheidende Komponente des gegenseitigen Respekts, alle Sprachen als gleichrangig zu betrachten. Natürlich ist es den einzelnen Fraktionen bzw. Gruppen überlassen, andere Formen der Zusammenarbeit zu finden, so wie das bereits jetzt der Fall ist, und ich nehme an, dass sich dieser Prozess fortsetzen und in Zukunft verstärken wird. Als Institution müssen wir für den gleichberechtigten Zugang aller sorgen; andernfalls würde unser demokratisches Fundament ins Wanken geraten.
Bart Staes (Verts/ALE), schriftlich. (NL) Zu Recht wiederholt das Parlament heute, dass die Mehrsprachigkeit Ausdruck der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in der EU ist, die erhalten bleiben muss. Ebenfalls aus gutem Grund erklärt das Parlament, dass die Bürger das Recht haben, mit den Organen der EU in allen Amtssprachen der EU zu kommunizieren.
Es stellt einmal mehr das Recht der Mandatsträger heraus, während aller offiziellen Sitzungen des Parlaments sich ihrer Sprache zu bedienen. Sprachkenntnisse können schließlich niemals ein zusätzliches Wahlkriterium sein. Bei dieser Gelegenheit möchte ich den Hunderten von Dolmetschern meinen Dank aussprechen, die tagein, tagaus exzellente Qualitätsarbeit leisten. All das kostet Geld, und das ist der übliche Preis, der für eine ordnungsgemäß funktionierende europäische Demokratie zu zahlen ist.
Ich bin für die Vorschläge, die, wo möglich, von sehr kurzfristigen Absagen und Anträgen abhalten sollen. Zudem lässt sich die Tatsache, dass die durchschnittlichen Dolmetschkosten des Parlaments höher liegen als beim Rat oder bei der Kommission, übrigens auch auf unsere monatliche Zwangsumsiedlung nach Straßburg zurückführen, wo es nur wenige örtliche Dolmetscher gibt, was die Dolmetschkosten des Parlaments in Straßburg um 13 % erhöht. Einsparungen lassen sich also auch tätigen, indem dieser unsinnige monatliche Umzug gestoppt wird.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Die Mehrsprachigkeit trägt wesentlich dazu bei, die Kommunikation innerhalb der Europäischen Institutionen zu ermöglichen. Dass die Kosten für diese Mehrsprachigkeit steigen, liegt an Straßburg. Um diese Kosten zu vermeiden, sollte das Europäische Parlament nur an einem Ort tagen, und zwar in Brüssel. Das Europäische Parlament ist das einzige Parlament der Welt, das nicht selbst darüber entscheiden kann, wo es tagt. Das muss sich ein für allemal ändern.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den ausgezeichneten Bericht von Luis de Grandes Pascual über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die mehrjährige Finanzierung (7 Jahre) der Maßnahmen der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs gestimmt, der bedeutende finanzielle Mittel zur Wahrnehmung ihrer neuen Aufgaben – der Bekämpfung unfallbedingter oder vorsätzlicher Verschmutzung durch Schiffe – zugewiesen werden sollen. Die Idee der Agentur, Handelsschiffe zu chartern, die „auf Abruf“ ihre Handelstätigkeit unterbrechen sollen, um an der Unglücksstelle eingesetzt zu werden, ist den Versuch wert. Dennoch sollten wir die Fortschrittsberichte im Rahmen dieser Maßnahme gründlich prüfen, denn ich frage mich, ob eine einfache Auslagerung dieses Sicherheitsdienstes, der naturgemäß nur punktuell zum Einsatz kommt, nicht wirksamer wäre. Die betreffenden Summen sind nicht unerheblich, denn die Kosten dieser „abrufbereiten Schiffe“, belaufen sich für den Zeitraum 2007-2013 auf 134 Millionen Euro, und für die Agentur stehen 154 Millionen Euro bereit. Ferner unterstütze ich vorbehaltlos die vorgeschlagenen Mittelzuweisungen für die Einrichtung des Satellitenbild-Servicezentrums, das die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung illegaler und unfallbedingter Einleitungen durch Schiffe unterstützen soll.
Hélène Goudin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Die Juniliste unterstützt die europäische Zusammenarbeit bei grenzüberschreitenden Umweltfragen. Wir sind jedoch nicht der Ansicht, dass die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs weitere Mittel erhalten sollte. Die wichtigen Arbeitsaufgaben, die die Agentur gemäß dem Vorschlag des Berichterstatters erhalten soll, können besser außerhalb ihres Rahmens gelöst werden. Die Juniliste steht der großen Anzahl von Agenturen, Behörden und dezentralisierten Organen innerhalb der EU kritisch gegenüber. Ich habe daher gegen diesen Bericht gestimmt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Der vorliegende Bericht stellt die Tätigkeit der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, die ihren Sitz in Lissabon hat, in den Kontext von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit des Seeverkehrs und für die Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in den Gewässern der Mitgliedstaaten.
Diese Aktionen sind als zusätzliche und unterstützende Aktionen festgelegt, die von den Küstenländern im Kampf gegen die Meeresverschmutzung und für ihre Verhütung durchgeführt werden und vor allem zur besseren Früherkennung von Verschmutzungen einschließlich der Identifizierung der verantwortlichen Schiffe beitragen.
Die Verhütung und Bekämpfung der Meeresverschmutzung wird umso wirksamer sein, je besser die einzelnen Küstenländer mit öffentlichen Mitteln ausgestattet werden, die ihnen ein angemessenes, rasches und wirksames Eingreifen ermöglichen.
Unabhängig von den anderen wichtigen Aspekten, die bewertet werden müssten, schlägt der vorliegende Bericht die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung vor, um nicht nur die durch Öl verursachten Meeresverschmutzungen, sondern jedwede Art von durch Schiffen verursachte Verschmutzungen, einschließlich durch schädliche flüssige Stoffe, einzubeziehen, was wir begrüßen.
Im Bericht wird eine Art „Mindestfinanzierung“ für diese Agentur vorgeschlagen, und die Erfüllung der Ziele, für die sie errichtet wurde, könnte – wie wir hinzufügen möchten – „noch weiter“ in Frage gestellt werden, sollte diese Mindestfinanzierung nicht erfolgen.
Sérgio Marques (PPE-DE), schriftlich. (PT) Angesichts der jüngsten Umweltkatastrophen, die durch Verschmutzungen durch Schiffe verursacht wurden, hat der Vorschlag, über den wir abgestimmt haben, besondere Bedeutung.
Die im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen sind meiner Meinung nach angemessen, um die Tätigkeit der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs zu verbessern, da sie durch den für sieben Jahre (2007-2013) festgelegten Haushalt eine langfristige Ausrichtung ermöglichen und die vertragliche Bindung von sofort abrufbaren Schiffen für die Bekämpfung von Verschmutzungen vorsehen.
Genauso wichtig ist die Einrichtung des vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen neuen Satellitenbild-Servicecenters für die Unterstützung von Maßnahmen zur Identifizierung von Verschmutzungen und illegalen Einleitungen, das ein rascheres und wirksameres Eingreifen ermöglicht.
Dieser Vorschlag ist für Portugal besonders wichtig, da es ein Land mit einer ausgedehnten ausschließlichen Wirtschaftszone ist, die täglich von Dutzenden Schiffen durchkreuzt wird und bereits einige unfallbedingte Verschmutzungen und Umweltkatastrophen erleben musste.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Die durch Schiffe verursachte Meeresverschmutzung ist in höchstem Maße bedenklich. Ich habe mich konsequent gegen den Vorschlag gewandt, im Firth of Forth Öltransporte von Schiff zu Schiff zu gestatten. Dabei stehe ich mit der Europäischen Kommission im ständigen Austausch über diese umstrittenen Transporte, und die Kommission weiß, wie sehr dieses Thema den Menschen in Fife am Herzen liegt und welche gravierenden Gefahren damit für die unmittelbare Umwelt verbunden sind. Wie ich erfahren habe, besteht bei Öltransporten von Schiff zu Schiff ein hohes Risiko, dass Öl ins Meer ausläuft.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass solche Öltransporte von Schiff zu Schiff weiterhin stattfinden. Ich fordere den Berichterstatter und die Kommission eindringlich dazu auf, beim Unterausschuss, der die Risiken der Meeresverschmutzung durch Kohlenwasserstoff beurteilt, eine rasche Lösung zu erwirken.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich wollte erklärend anmerken, dass unsere Ablehnung von Änderungsantrag 68 betreffend Straßenkinder nicht dieser Personengruppe an sich galt, sondern der Einteilung der Opfer, etwas, das auch der Kommissar betont hat.
Und was Änderungsantrag 70 angeht, so wollen wir eine „Hotline“ und kein „Kindersorgentelefon“. Da dies aus dem Änderungsantrag nicht klar hervorgeht, haben wir ihn abgelehnt, auch wenn wir mit der Idee, eine spezielle europäische Telefonleitung einzurichten, einverstanden sind.
Das eben Gesagte betrifft die Änderungsanträge zum Bericht Gröner.
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den ausgezeichneten Bericht meiner Kollegin Lissy Gröner über den in erster Lesung vorgeschlagenen Entwurf einer legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments und des Rates gestimmt, mit dem das spezifische Programm „Bekämpfung von Gewalt sowie Drogenprävention und -aufklärung“ für den Zeitraum 2007-2013 aufgelegt wird. Ich unterstütze die Initiativen des Parlaments, die darauf zielen, die Gewaltproblematik und die Problematik des Drogenkonsums voneinander zu trennen. Die Europäische Union muss politisch sichtbar bessere Wege, um jegliche Formen von Gewalt, vor allem an Frauen, Kindern oder Jugendlichen, zu bekämpfen. In der humanistisch gesinnten Zivilisation, die wir errichten, ist körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürliche Freiheitsberaubung, ungeachtet dessen, ob sie im öffentlichen oder privaten Bereich verübt wird, eine Verletzung der Grundwerte der EU, die das Recht auf Leben, Sicherheit, Freiheit, Würde und körperliche und emotionale Unversehrtheit beinhalten. Sie behindert die Wahrnehmung der Bürgerrechte in Sicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Wenn wir das Drogenproblem nicht durch ein Verbot wirksam bekämpfen können, dann unterstütze ich jedes Programm zur Prävention und Aufklärung der Öffentlichkeit, vor allem der Jugendlichen, über dieses schmerzhafte Phänomen.
Carlo Casini (PPE-DE), schriftlich. (IT) Ich habe mich bei der Endabstimmung wegen der Annahme von Änderungsantrag 67 der Stimme enthalten. Ansonsten ist das Dokument akzeptabel und in vielen Punkten hervorragend, doch kann ich nicht billigen, dass die Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder auch durch die „Einbeziehung neuer Familienmodelle“ erfolgen und die Europäische Union den von den Mitgliedstaaten durchzuführenden Maßnahmen teilweise auch durch die Förderung neuer Familienmodelle „einen Mehrwert verleihen“ soll. Tatsache ist, dass alltägliche Erfahrungen und umfangreiche psychologische und soziologische Forschungen beweisen, dass die schlimmste Gewalt gegen Kinder aus dem Zerbrechen der emotionalen Beziehung der Eltern resultiert, deren Stabilität und Sicherheit – wohlgemerkt im höchstmöglichen Maße – durch die Ehe gewährleistet wird. Ebenso bekannt ist, dass Kinder eine männliche und eine weibliche Bezugsperson brauchen. Deshalb ist der Gedanke, die Förderung homosexueller Verbindungen und die Entwertung der Ehe haben etwas mit dem Schutz der Kinder vor Gewalt zu tun, unannehmbar.
Edite Estrela (PSE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht Gröner über die „Bekämpfung von Gewalt (Daphne)“ (2007/2013) gestimmt, denn dieses erfolgreiche Projekt im Kampf gegen die anhaltende Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen in Europa und überall in der Welt benötigt Kontinuität; zudem müssen die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundrechte geschützt werden.
Die Prävention und Bekämpfung der Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen sowie der Schutz der Opfer und Risikogruppen (Daphne III) müssen in einem gesonderten Programm behandelt werden.
Die Bürger müssen über das Problem der Gewalt informiert und dafür sensibilisiert werden, zum Beispiel durch die Förderung des Europäischen Jahres gegen die Gewalt gegen Frauen im Jahr 2007. Das Programm muss mit den notwendigen Mechanismen ausgestattet werden und muss eng mit den verschiedenen NRO zusammenarbeiten, denen in diesem Bereich eine wichtige Rolle in der Gesellschaft zukommt.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Wir freuen uns über die Annahme unseres Änderungsantrags, der auf die Stärkung des Programms Daphne gerichtet ist. Mit der Annahme dieses Vorschlags unserer Fraktion, den ich unterschrieben habe, wird der Haushalt für die Umsetzung des vorliegenden Instruments auf 125 Millionen Euro für den Zeitraum 2007-2013 gegenüber den 116,85 Millionen Euro, die im Bericht Gröner vorgesehen waren, aufgestockt. Auf Vorschlag der Berichterstatterin hätte dieser Betrag zwar auf 120 Millionen Euro erhöht werden sollen, doch sie stimmte auch für unseren Vorschlag, sodass dieser dann angenommen werden konnte.
So sind bessere Voraussetzungen gegeben, damit Daphne III zur Prävention und Bekämpfung der Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen und zum Schutz der Opfer beitragen kann.
Nulltoleranz gegen Gewalt setzt engere politische Einbindung, unermüdliches Engagement und beharrliches Vorgehen in allen Mitgliedstaaten voraus.
Lidia Joanna Geringer de Oedenberg (PSE), schriftlich. (PL) Jede Gewalt, ob physisch, psychologisch oder sexuell, ist ein schwerer Verstoß gegen das Recht eines Menschen auf Leben, Sicherheit, Freiheit und Würde. Gewalt gegen Schwache, vor allem Kinder, Jugendliche oder Frauen, ist zudem eine ernste Bedrohung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit.
Diese Handlungen haben außerdem sehr ernste Folgen für die psychologische und soziale Entwicklung ganzer Familien und Gemeinschaften. Leider ist Gewalt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch immer eine alltägliche Erscheinung. Bisher ist das gemeinsame Vorgehen zur Verhütung und Anprangerung dieses Problems, das häufig verdrängt oder als peinlich betrachtet wird, nur ein erster zaghafter Schritt in der Bekämpfung von Gewalt.
Ein weiteres Programm, Daphne III mit einem Haushalt von 115 Millionen Euro, soll Gewalt in all ihren Formen verhüten und bekämpfen, sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich. Es soll Kinder, Jugendliche und Frauen durch vorbeugende Maßnahmen vor Gewalt schützen und potenziellen Opfern Unterstützung und Schutz bieten. Damit das Programm Daphne Erfolg hat, muss es für die Bürger sichtbar sein.
Neben Maßnahmen wie der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen, Institutionen, Organisationen und Verbänden müssen wir auch wirksame Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Problem der Gewalt und insbesondere das Problem des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern durchführen.
Hilfe sind nicht nur kurzfristige Maßnahmen, sondern sie bedeutet auch, den Opfern von Gewalt zum Beispiel beizustehen, wenn sie eine Arbeitsstelle suchen, um ihre tatsächliche Eingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund verdient die Initiative für ein Europäisches Jahr der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unsere volle Unterstützung.
Hélène Goudin (IND/DEM), schriftlich. (SV) Natürlich will die Juniliste ihren Beitrag zum Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen leisten. Mit diesem Bericht würde die EU jedoch eine Rechtsgrundlage für die Einmischung in den sensibelsten Bereich der Mitgliedstaaten – die Gesetzgebung und vorbeugende Maßnahmen gegen Gewalt – erhalten. Gegenwärtig vertreten die europäischen Länder auf diesen Gebieten keine einheitliche Auffassung, wobei sich auch die Rechtskultur unterscheidet. Darüber hinaus ist der Bericht äußerst vage formuliert.
Die Vorschläge des Parlaments enthalten zu viele undeutliche Begriffe und schreiben zudem den Mitgliedstaaten vor, wie sie den Kampf gegen Gewalt und die Unterdrückung von Frauen führen sollen. Ein deutliches Beispiel dafür ist der Änderungsantrag 14, der indirekt anerkennt, dass bestimmte männliche Gruppen mehr zu Gewalt gegenüber ihren Frauen neigen als andere, wohlhabendere Männer anderer ethnischer Herkunft. Für diese Behauptung gibt es keinen Beleg in Form von Statistiken oder Hinweisen auf wissenschaftliche Studien. Die Vorschläge des Parlaments schenken auch den damit für die Mitgliedstaaten verbundenen kulturellen und juristischen Problemen keine Aufmerksamkeit.
Daher hat die Juniliste gegen den Bericht gestimmt.
Ian Hudghton (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Ich habe für die angenommenen Änderungsanträge gestimmt, die die Einrichtung eines europaweiten Kindersorgentelefons und die Beibehaltung des Helpdesk-Dienstes für NRO vorsehen. Außerdem habe ich für den Änderungsantrag gestimmt, in dem die Bekämpfung der häuslichen Gewalt ins Daphne-Programm aufgenommen werden soll.
Ich begrüße es, dass der Bericht mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, und hoffe, dass das Programm die laufende Bekämpfung der Gewalt erfolgreich unterstützen kann.
Timothy Kirkhope (PPE-DE), schriftlich. (EN) Ich und meine Kolleginnen und Kollegen von den britischen Konservativen verabscheuen jegliche Gewalt, die gegen Frauen und Kinder verübt wird. Innerstaatliche Programme in diesem Bereich sollten die Hauptinstrumente sein, um sich mit diesem wichtigen gesellschaftlichen Problem auseinander zu setzen, da die Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten sowie die lokalen Behörden über den besten Zugang zu Wissen und Erkenntnissen in den betreffenden Politikfeldern verfügen.
Obwohl wir viele der in diesem Bericht geäußerten Ansichten und konkreten Vorschläge zur Zusammenarbeit unterstützen, haben wir uns in der Schlussabstimmung enthalten, da in ihr die „Bestimmung einer Rechtsgrundlage zur Bekämpfung der Gewalt … im Rahmen der geltenden EU-Rechtsvorschriften“ gefordert wird. Diese und andere Aussagen im Bericht weisen auf eine zunehmende Vergemeinschaftung hin, die wir weder für nötig noch für wünschenswert erachten, da sie das Risiko in sich birgt, nationale und lokale Strategien zur Bekämpfung der Gewalt zu untergraben.
Katalin Lévai (PSE), schriftlich. (HU) Ich möchte zunächst meine Unterstützung für die Position zum Ausdruck bringen, dass der Kampf für die Belange gefährdeter Gruppen auch in der kommenden Haushaltsperiode besondere Beachtung und ein spezielles EU-Programm erfordert.
Ich habe die Befürchtung, dass die Verknüpfung dieses Problems – das seinerseits gemeinsame und differenzierte Behandlung verlangt – mit anderen Bereichen konzertierte und effektive Aktionen Europas gefährden könnte.
Gleichzeitig ist der soziale Schutz und die Integration der Roma eine der am wenigsten beachteten sozialen Krisen, teils im Ergebnis der bisherigen Erweiterung, teils vor dem Hintergrund noch kommender Erweiterungen. Diese Gruppen als Ganzes werden schon erheblich unterdrückt, doch besonders gefährdet sind die Frauen und Kinder der Roma, denn sie sind täglich von Gewalt bedroht.
Dasselbe gilt für Frauen und Kinder unter den Flüchtlingen und Zuwanderern, die ebenfalls erkennbar einer Unterdrückung von außen wie von innen ausgesetzt sind. Zur humanitären Katastrophe der illegalen Einwanderung sei hier nur daran erinnert, dass in den letzten etwa anderthalb Jahrzehnten mehr als 5000 Menschen in der Einwanderungswelle im Mittelmeerraum ihr Leben verloren haben, und natürlich sind auch hier die schwächsten Gruppen am stärksten gefährdet.
Ich möchte hinzufügen, dass für die Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft die schlimmste Gefahr der Schrecken der Zwangsprostitution und sexuellen Nötigung ist, die oft mit verschiedenen Formen der organisierten Kriminalität wie Menschen- und Drogenhandel einhergehen.
Nach meiner Überzeugung lassen sich diese Probleme nur durch langfristige und komplexe Aktionspläne und eine europaweite Zusammenarbeit lösen. Ich glaube fest daran, dass das Europäische Parlament bei diesen Bemühungen an der Spitze stehen wird.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich begrüße diesen Bericht, mit dem ein Programm zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen und zum Schutz von Opfern und gefährdeten Gruppen eingeführt wird.
Körperliche, sexuelle und psychische Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen einschließlich der Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürliche Freiheitsberaubung darf ungeachtet dessen, ob sie im öffentlichen oder privaten Bereich verübt wird, in der EU nicht toleriert werden und ist eine Verletzung des Rechts auf Leben, Sicherheit, Freiheit, Würde und körperliche und emotionale Unversehrtheit. Die Mitgliedstaaten müssen außerdem anerkennen, dass die Genitalverstümmelung eine besondere Form der Gewalt gegen Frauen mit kurz- und langfristigen schädlichen Folgen für ihre Gesundheit darstellt und dass vor allem Angehörige von Minderheitengruppen betroffen sind.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass zur Erreichung der Ziele dieses Berichts eindeutige und glaubwürdige Teilziele abgesteckt werden müssen, um beispielsweise die Anzahl der Personen, die Opfer von Gewalt und Menschenhandel werden, innerhalb der nächsten zehn Jahre zu halbieren. Ich begrüße die Einrichtung einer Denkfabrik, um der Kommission eine Richtschnur zum sozialen, kulturellen und politischen Hintergrund in Bezug auf die Auswahl von Projekten und ergänzende Maßnahmen an die Hand zu geben, die das Daphne-II-Programm entscheidend unterstützen werden.
Mary Lou McDonald (GUE/NGL), schriftlich. (EN) Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche wird immer häufiger verübt und stellt eine grundlegende Verletzung der Menschenrechte besonders schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen unserer Gesellschaft dar. Ich begrüße insbesondere den Schwerpunkt, den der Bericht auf die Bekämpfung des Menschenhandels legt. Etwa 80 % der Opfer solchen Menschenhandels sind Frauen und Mädchen, und bis zu 50 % sind Minderjährige.
Ich hoffe, dass diese Strategie auf europäischer Ebene dazu beitragen wird, denjenigen Hilfe und Unterstützung zu bieten, die am meisten von Gewalt bedroht sind.
Cristiana Muscardini (UEN), schriftlich. – (IT) Der Bericht Gröner und die dazu eingereichten Änderungsanträge, die auf die Notwendigkeit einer wirksameren Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Kinder ausgerichtet sind, finden selbstverständlich unsere Unterstützung und wurden von uns angenommen.
Bei dieser Gelegenheit wollen wir jedoch hervorheben, Herr Präsident, dass das Problem nicht allein unter dem Gesichtspunkt der für die Projekte zur Bekämpfung dieses entsetzlichen Verbrechens bereitzustellenden Mittel angepackt werden kann, sondern eine Kultur der Achtung vor den schwächsten Schichten der Gesellschaft entwickelt werden muss. Dies kann nur durch eine kontinuierliche und wirksame Informationskampagne und durch eine Regulierung des Internets erreicht werden, die Kinder vor der Gefahr pädophiler und pornografischer Gewalt schützt, welche auf zahlreichen Webseiten zu finden ist, die ohne Restriktionen und ohne jegliche Kontrolle Gewaltbotschaften und –bilder verbreiten.
Vor diesem Hintergrund habe ich eine schriftliche Erklärung (39/2006) eingereicht, um eine neuartige Sicherheits-SIM-Karte mit der Bezeichnung „ChildKey“ zu erläutern, die geeignet ist, Kinder bei der Nutzung des Internets und der Mobiltelefonie zu schützen, denn sie ermöglicht den Providern, festzustellen, ob der Nutzer minderjährig oder erwachsen ist, und die Anrufe zu filtern, indem die anonymen oder unerwünschten blockiert werden.
Frédérique Ries (ALDE), schriftlich. – (FR) Daphne ist ein schöner Name für das europäische Programm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder. Dieses Programm wird bald seinen 10. Jahrestag begehen und weist mit der Finanzierung von rund 350 Projekten, die hauptsächlich über die in diesem Bereich aktiven NRO abgewickelt werden, eine recht positive Bilanz auf.
Gewalt gegen Frauen ist eine schreckliche Seuche. Es ist alarmierend, dass im Jahr 2006 erwachsene Frauen immer noch der Gruppe „schutzbedürftiger Personen“ zugeordnet werden. Weltweit wird jede dritte Frau Opfer einer der zahlreichen Formen von Gewalt. Zur Bekämpfung dieser barbarischen Zustände können wir verschiedene Waffen einsetzen, ein ganzes Arsenal strenger gesetzlicher Maßnahmen, Null-Toleranz, die Anhörung der Opfer und Aufklärungskampagnen.
Auch Kinder sind betroffen. Allein die Gründung der PNVD, einer holländischen Partei, die sich für Kinderpornographie und sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern einsetzt, zeugt von den Verwerfungen unseres Systems und spricht Bände über die notwendigen Reformen.
In diesen zehn Jahren hat sich das Daphne-Budget verfünffacht und beläuft sich jetzt auf 25 Millionen Euro im Jahr. Meiner Meinung nach reicht dies immer noch nicht aus, um diese Form der Gewalt zu bekämpfen, die allzu oft verharmlost wird und die Schwächsten, nämlich Frauen und Kinder, trifft.
Bart Staes (Verts/ALE), schriftlich. (NL) Der vorliegende Vorschlag zur Stärkung des DAPHNE-Programms für den Zeitraum 2007-2013 verdient unsere uneingeschränkte Unterstützung. In meinem eigenen Land waren wir in den letzten Jahren mehrfach mit nicht hinnehmbarer physischer, sexueller und psychischer Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen konfrontiert.
Bei dem Gedanken an den jüngsten Mord an zwei unschuldigen kleinen Kindern in Lüttich dreht sich einem ob dieser perfiden Taten der Magen um. Organisationen wie Child Focus, die Europäische Föderation für vermisste und sexuell ausgebeutete Kinder, das Europäische Netzwerk der Ombudsleute für Kinder (ENOC) sowie zahlreiche nationale und vor Ort tätige NRO leisten exzellente Arbeit. Autoren wie Chris De Stoop haben uns die raue Wirklichkeit von Menschenhandel und Zwangsprostitution vor Augen geführt. Trotz der unternommenen Anstrengungen bleibt noch eine Menge zu tun. Immer deutlicher wird auch, dass die Lage der Straßenkinder, die nicht nur Opfer von Drogen- und Menschenhändlern werden, sondern auch unter Gewalt und sexuellem Missbrauch zu leiden haben, mehr Aufmerksamkeit verdient.
Dementsprechend sorgt das DAPHNE-Programm dafür, dass Europa nicht ein weit entferntes Ereignis ist, sondern den Schwächsten unserer Gesellschaft konkrete Hilfe bietet. Jedermann muss weiterhin gegen jene kämpfen, die ohne moralische Skrupel die ausbeuten, erniedrigen und sogar töten, die sich selbst am wenigsten wehren können. Menschenwürde geht über alles.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Ich möchte der Berichterstatterin für ihr Engagement bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Kinder meine Bewunderung aussprechen. Das Daphne-Programm stellt ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Gewalt dar. In Schottland hat die Kampagne „Null Toleranz“ ans Licht gebracht, dass sage und schreibe jede dritte Frau schon einmal Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Wir müssen alles tun, um die gegen Frauen und Kinder verübte Gewalt zu verurteilen. Nur wenn wir zusammenarbeiten, können wir dieser Art von Kriminalität einen Riegel vorschieben.
Anna Záborská (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe irrtümlicherweise aus Versehen die falsche Taste meiner Abstimmanlage betätigt. Daher habe ich meine Schlussabstimmung in der namentlichen Abstimmung über die legislative Entschließung sofort korrigiert, und zwar über das zu diesem Zweck vorgesehene Verfahren. Man kann schließlich nicht gegen ein Programm stimmen, das Gewalt gegen Frauen und Kinder bekämpft und die Würde jedes menschlichen Wesens unterstützt.
Von Anfang an habe ich mich dafür eingesetzt, dass der ursprüngliche Kommissionsvorschlag in zwei Teile gegliedert wird: „Drogen/Drogensucht“ und „Gewalt gegen Frauen“. Wir im Frauenausschuss haben alle guten Grund, auf unsere Arbeit stolz zu sein und uns zu unserer engen Zusammenarbeit bei einem so grundlegenden Thema zu beglückwünschen.
Milan Gaľa (PPE-DE). – (SK) Gegenstand der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Richtlinie über die Besteuerung von Personenkraftwagen sind die erheblichen Unterschiede bei der Besteuerung von Personenkraftwagen in den EU-Mitgliedstaaten und die Umweltverschmutzung durch Emissionen von Personenkraftwagen. Die Europäische Kommission schlägt vor, anstelle der Zulassungsgebühr für Personenkraftwagen Steuern zu erheben, deren Bemessungsgrundlage die CO2-Emissionen berücksichtigt.
In der Slowakei gibt es jedoch weder eine Zulassungsgebühr noch jährliche Kraftfahrzeugsteuern für Personenkraftwagen. Die Einführung der neuen Steuer würde die Steuerlast für die Bürger erhöhen, zudem dürfte die Berechnung von Kraftfahrzeugsteuern für Personenkraftwagen unter Berücksichtigung ihrer CO2-Emissionen nicht automatisch zum Kauf neuer, umweltfreundlicherer Fahrzeuge führen.
Meine Damen und Herren, gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, das meiner Ansicht nach in diesem Fall zur Anwendung kommen sollte, fallen Steuerfragen in die ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten. Deshalb, und auch weil der Vorschlag die Einführung einer neuen Steuer in der Slowakei und damit eine höhere Steuerlast für die Bürger bedeuten würde, habe ich mich bei der Abstimmung über diesen Vorschlag der Stimme enthalten.
Jan Andersson, Anna Hedh, Ewa Hedkvist Petersen, Inger Segelström und Åsa Westlund (PSE), schriftlich. (SV) Bei Beschlüssen zu Steuerfragen haben die EU-Mitgliedstaaten ein Vetorecht. Wir würden es als positiv empfinden, wenn die Mitgliedstaaten der Union sich über eine Zusammenarbeit bei der Besteuerung von Kraftfahrzeugen einigen könnten, was die Klimaauswirkungen des Verkehrssektors reduzieren und zu einem besser funktionierenden Binnenmarkt führen könnte.
Wir können möglicherweise künftig eine Zulassungssteuer akzeptieren, wenn diese so gestaltet wird, dass sie zu deutlichen Umweltverbesserungen führt.
John Attard-Montalto (PSE), schriftlich. (EN) Ich habe mich bei der Abstimmung an die Leitlinien der PSE-Fraktion gehalten, wobei jedoch jene Änderungsanträge eine Ausnahme bilden, zu denen wir, die Europaabgeordneten der maltesischen Labour-Partei, ein anderes Abstimmungsverhalten beschlossen haben. Ich möchte dazu folgende Erklärung zu Protokoll geben. Neuwagen weisen sehr wahrscheinlich geringere Kohlendioxidemissionen auf als ältere Fahrzeuge. PKW-Hersteller wissen heute um die Notwendigkeit der Senkung von Emissionen und des Einsatzes modernster Technologien. Ein Missbrauch der Zulassungssteuer durch die Regierung kann einen exorbitanten Anstieg der Autopreise bewirken. Malta und Gozo weisen nach Dänemark die höchsten Preise für PKW auf. Die Zulassungssteuer sollte abgeschafft werden, und bis dahin sollten sich die Mitgliedstaaten auf ein einheitliches Vorgehen in den verschiedenen Mitgliedstaaten einigen. Die jährliche Kraftfahrzeugsteuer sollte auf der Grundlage der Höhe der Kohlendioxidemissionen festgesetzt werden. Die Einnahmen aus Kraftfahrzeugsteuern sollten zur Verbesserung und Erhaltung entsprechender Infrastrukturen eingesetzt werden, und zwar vor allem zum Bau und zur Instandhaltung von Straßen und Parkplätzen, für Sicherheitsmaßnahmen und zur Landschaftsgestaltung. In Malta und Gozo sind die Einnahmen aus der Zulassung von Personenkraftwagen vergleichsweise sehr hoch, während die Straßeninfrastruktur zu den schlechtesten in Europa zählt. Das Problem der Kohlendioxidemissionen ist im Falle von Nutzfahrzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln besonders akut.
Jens-Peter Bonde (IND/DEM), schriftlich. (DA) Ich habe für den Bericht gestimmt, um ein wichtiges Signal für die Neuordnung der Steuern unter Umweltgesichtspunkten zu setzen. Steuern sollten weiterhin in die nationale Zuständigkeit fallen, und wir können von Glück sagen, dass ein rechtswirksamer Beschluss zum Wunsch von Frau Riis-Jørgensens nach Begrenzung des Steueraufkommens für Sozialleistungen auf Ebene der EU nicht gefasst werden kann.
Brian Crowley (UEN), schriftlich. (EN) Für Irland stellt die Zulassungssteuer für Personenkraftwagen eine nationale Steuer dar, und die Festsetzung der Steuer liegt daher in der Zuständigkeit des Landes. Die Höhe der irischen Kfz-Zulassungssteuer wurde vom europäischen Gesetzgeber sanktioniert. Weder Irland noch ein anderes Mitgliedsland noch die Kommission ist berechtigt, über die Steuerpolitik der Mitgliedstaaten zu entscheiden.
Der Bericht legt nahe, dass die Abschaffung der Zulassungssteuern dem irischen Verbraucher zugute kommt. Das stimmt so nicht. Irlands Einnahmen aus Zulassungssteuern belaufen sich auf 1,15 Milliarden Euro. Eine Abschaffung dieser Steuer hätte zur Folge, dass die irischen Kraftfahrer die damit verbundenen Kosten in Form einer Anhebung der Benzin- und Dieselpreise um 20 Cent oder einer Erhöhung ihrer jährlichen Kraftfahrzeugsteuer von 400 Euro auf 900 Euro zu tragen hätten. Ich glaube nicht, dass dies im Interesse der irischen Kraftfahrer wäre.
Die Schaffung steuerlicher Anreize für den Kauf von PKW, die weniger Kohlendioxid erzeugen und die eine höhere Kraftstoffeffizienz aufweisen, halte ich für sinnvoll. Wie dies erfolgen soll, das sollte jedoch der Entscheidung jedes einzelnen Mitgliedstaates überlassen werden. Die Mitgliedstaaten müssen auch künftig flexibel entscheiden können, welche Steuern sie in welcher Höhe erheben wollen, damit sie ihre sozialen und wirtschaftlichen Ziele erreichen können.
Proinsias De Rossa (PSE), schriftlich. (EN) Ich befürworte beide Ziele dieses Vorschlags für eine Richtlinie, nämlich die Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes sowie eine drastische Reduzierung von Kohlendioxidemissionen. Meiner Ansicht nach könnten die Vorschläge insofern maßgeblich zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen, als wir Kraftfahrern einen finanziellen Anreiz zum Kauf neuer umweltfreundlicherer Fahrzeuge geben und damit zur schrittweisen Ablösung älterer PKW durch sicherere Fahrzeuge beitragen würden.
Mit meiner Zustimmung zum Bericht Riis-Jørgensen unterstütze ich gleichzeitig ohne jede Einschränkung die weit einfallsreicheren Forderungen, die in diesem Bericht gestellt werden. Während die Kommission eine Staffelung der Steuern auf der Grundlage von Kohlendioxidemissionen fordert, setzt sich das Europäische Parlament für die Berücksichtigung sämtlicher Schadstoffe sowie der Kraftstoffeffizienz ein. Wir brauchen dringend einfallsreiche Maßnahmen wie diese, wenn es uns gelingen soll, die Gefahr der globalen Erwärmung zu bannen.
Jonathan Evans (PPE-DE), schriftlich. (EN) Die britischen konservativen Europaabgeordneten unterstützen energisch das Ziel, die natürliche Umwelt, in der wir leben, zu verbessern. Zusätzlich zu den Umweltaspekten des Berichts, die wir befürworten, unterstützen wir auch das Ziel, eine Doppelbesteuerung britischer Bürger, die ins Ausland ziehen, zu vermeiden, sowie das Recht der Verbraucher auf die Nutzung der mit einem besser funktionierenden Binnenmarkt einhergehenden Vorzüge. Viele der im Bericht enthaltenen Maßnahmen haben unsere Unterstützung, aber wir lehnen die Übertragung neuer und zusätzlicher Befugnisse an die Europäische Kommission und andere europäische Institutionen ab, wenn die gleichen Ziele auf nationaler Ebene erreicht werden können.
Vor allem können wir nicht die im vorliegenden Bericht erhobene Forderung unterstützen, die Europäische Kommission mit Steuerbefugnissen auf Kosten der nationalen Regierungen auszustatten. Aus diesem Grund und weil wir die Ausweitung der Befugnisse der Kommission generell ablehnen, haben wir uns bei der Endabstimmung der Stimme enthalten.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Die Strategie der Kommission zur Harmonisierung der Kraftfahrzeugsteuern stammt aus dem Jahr 2002. Der Hauptgedanke ist die Abschaffung der Kraftfahrzeugzulassungssteuer – der Kraftfahrzeugsteuer in Portugal – und ihre sukzessive Ersetzung durch eine höhere Kraftfahrzeugsteuer – die Vignettensteuer, die je nach CO2-Ausstoß unterschiedlich ausfällt. Damit soll die Benutzung des Fahrzeugs bestraft und die Freizügigkeit im Binnenmarkt gefördert werden, wodurch ein Anreiz für den Verkauf von Kraftfahrzeugen und den Ersatz von Gebrauchtfahrzeugen geschaffen wird.
Wir stimmen darin überein, dass besondere Maßnahmen für die Bürger getroffen werden müssen, die ihren Wohnsitz aus einem in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegen. Wir sind aber gegen die vorgeschlagene Steuerharmonisierung. Erstens aufgrund der föderalen Frage. Diese Harmonisierung stellt die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten und ihre politischen Optionen im Verkehrswesen in Frage. Zweitens bleiben bei der Differenzierung ausgehend vom CO2-Ausstoß der Hubraum und der Wert des Kraftfahrzeugs unberücksichtigt. Neben der Ahndung des Fahrens führt dies letztlich zu regressiven Steuern und stellt eine Bestrafung für Nutzfahrzeuge dar. Und schließlich wirkt sich diese Strategie auf den Wert der Gebrauchtfahrzeuge aus, und der wachsende Wettbewerb könnte wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich ziehen.
Aus all diesen Gründen können wir die in der vorliegenden Richtlinie festgeschriebenen Ziele nicht akzeptieren.
Robert Goebbels (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe mich bei der Endabstimmung der Stimme enthalten, weil die Abstimmung kein einheitliches Resultat ergab.
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. – (FR) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Bericht von Herrn Riis-Jørgensen über die Besteuerung von Personenkraftwagen wird gefordert, eine auf Schadstoffemissionen bezogene Kraftfahrzeugsteuer zu erheben, um Anreize für die Kraftfahrzeughalter zu schaffen, sich für umweltfreundlichere Fahrzeuge zu entscheiden, während für die Autohersteller ein Markt gesichert werden soll, der sowohl homogener als auch transparenter ist.
Allerdings bezieht sich diese Steuer nur auf Pkw, auf die nicht einmal die Hälfte der Kohlendioxidemissionen entfällt, die Kraftfahrzeugen zuzurechnen sind. Außerdem erscheint der steuerliche Weg nicht als die beste Lösung, wenn man die Aussichten der technologischen Entwicklung und die Möglichkeit von Normen berücksichtigt. Obendrein würden mit dieser Richtlinie in Ländern wie Frankreich neue Steuern eingeführt, wo die Steuerlast bereits derart drückend ist, dass die Autofahrer das Gefühl haben, sie werden gemolken wie Kühe und nun auch noch zum Sündenbock gemacht.
Dieses Europa, das es mit seiner ultraliberalen Politik regelrecht darauf anlegt, seine Bürger zu Almosenempfängern zu degradieren, sollte es vermeiden, die Anschaffungs- und Unterhaltskosten für einen Pkw um ein Vielfaches zu erhöhen, denn das ist ein direkter Angriff auf den freien Personenverkehr, den es doch sonst zu verteidigen vorgibt.
Abgesehen davon, dass wir dem Brüsseler Europa jegliche Steuerkompetenz absprechen, veranlassen uns diese Überlegungen, gegen den vorliegenden Bericht zu stimmen.
Ian Hudghton (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Ich habe mich bei sämtlichen Abstimmungen zu den Änderungsanträgen der Stimme enthalten und bei der Endabstimmung gegen den Bericht gestimmt, und zwar deshalb, weil ich meine, dass sämtliche Steuerbefugnisse, die derzeit in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen, auch dort verbleiben sollten.
Vor allem freue ich mich auf den Tag, an dem eine schottische Regierung befugt ist, selbständig über die Beschaffung von Einnahmen mittels Besteuerung, einschließlich der Erhebung von Kraftfahrzeugsteuern, zu entscheiden, bei der in Schottland die Tatsache zu berücksichtigen ist, dass die Bewohner ländlicher Gebiete dringend auf ihr Fahrzeug angewiesen sind.
Marie Anne Isler Béguin (Verts/ALE), schriftlich. – (FR) Einigen Regierungen bereitet die Kfz-Steuer Sorgen, anderen die Beibehaltung eines Steuersystems voller Unregelmäßigkeiten.
Was diesen Richtlinienentwurf anbelangt, so möchte ich betonen, dass es wichtig ist, ein aktives Vorgehen zu unterstützen. Muss man denn über die Beschränkungsmaßnahmen diskutieren, die eingeführt werden sollen, um den Klimawandel aufzuhalten?
Um weiter voran zu kommen, müssen die Widerstände der Auto- und Erdöllobby überwunden werden. Umweltsteuern sind ein Instrument zum Wohl der Bürger und unseres Planeten. Richtig eingesetzt, werden sie zu Innovationen in den Verkehrssektoren anspornen und Energieeinsparungen fördern.
Wir müssen auch die Lähmung unserer Regierungen beenden. Steuern können nicht die alleinige Lösung sein. Wir brauchen außerdem Regelungen zur Verringerung der Treibhausgase. Es ist unbedingt notwendig, die Bürger in die Pflicht zu nehmen und Instrumente zur Bewertung unserer Wirkung auf die Umwelt zu entwickeln.
Die Grünen haben für diesen Entwurf als ersten Schritt in Richtung einer Kohlendioxidsteuer gestimmt. Dies könnte zum einem Umweltsteuersystem führen, das den anstehenden Herausforderungen angemessen ist. Die Grünen wollen die Kfz-Zulassungssteuer beibehalten. Sie hat in Dänemark einen Rückgang des Fahrzeugbestands zur Folge gehabt. Bei der „Haushaltneutralität“ bleiben die Grünen skeptisch und befürchten weitere Abgaben.
Wir bedauern, dass das Europäische Parlament den Änderungsanträgen der Grünen nicht gefolgt ist, wonach die Mitgliedstaaten aufgefordert werden sollten, ihre verkehrsbedingten Kohlendioxidemissionen zu senken.
Peter Skinner (PSE), schriftlich. (EN) Die Labour Party im Europäischen Parlament befürwortet grundsätzlich die Herstellung einer Verbindung zwischen der Besteuerung und unseren Verpflichtungen zur Senkung der Umweltbelastung.
Zwar ist die EPLP der Ansicht, dass dies ein sehr wichtiger Standpunkt ist, der bei der Entwicklung einer europaweiten Lösung, die die Verschmutzung an den Verbrauch bindet, auf zahlreiche Schwerpunkte aufmerksam macht. Dennoch ist die EPLP der Meinung, dass die Besteuerung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, und kann daher Ziele zur Steuerharmonisierung auf EU-Ebene, ohne dass dafür Einstimmigkeit erforderlich wäre, nicht befürworten. Folglich hat sich die EPLP bei der Endabstimmung der Stimme enthalten.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Herr Präsident! Als stolzer schottischer Europäer befürworte ich leidenschaftlich eine unseren Kontinent umspannende Zusammenarbeit in Bereichen, in denen dies sinnvoll ist, glaube jedoch nicht, dass dies in Steuerangelegenheiten der Fall ist. Obwohl ich für die in diesem Bericht enthaltenen Vorstellungen viel Verständnis habe, wäre auf jeden Fall auch zu überlegen, ob sie auf EU-Ebene behandelt werden sollten. Meines Erachtens sollten sie das nicht, und demzufolge habe ich mich zu den Schlüsselbestimmungen dieses Berichts, die europäische Regelungen fordern, der Stimme enthalten.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Der vorliegende Bericht enthält eine Reihe von Punkten, mit denen ich nicht einverstanden bin. Deshalb sah ich mich gezwungen, mich der Stimme zu enthalten. Obwohl ich ebenfalls der Ansicht bin, dass wir der Umweltverschmutzung Einhalt gebieten müssen, meine ich, dass die Besteuerung Sache der Mitgliedstaaten sein sollte.
Georgios Toussas (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Der Vorschlag der Kommission, die Zulassungssteuer abzuschaffen und sie durch eine höhere jährliche Kraftfahrzeugsteuer zu ersetzen, geht zu Lasten der Arbeiterklasse und der Volksschichten und dient ausschließlich den Interessen und der Profitsteigerung der Automobilindustrie, der Vereinheitlichung des Binnenmarktes und der Erhöhung der volksfeindlichen indirekten Steuern, die von der Europäischen Union und den Regierungen unter dem Vorwand der Schadstoffemissionen und des Kyoto-Protokolls auferlegt werden.
Die so genannte Senkung der Eingangspreise wird durch die unterschiedliche Preispolitik der Automobilindustrie und die Mehrwertsteuerschwankungen aufgehoben. Gleichzeitig werden die Mitgliedstaaten ihre Einnahmen aus der Zulassungssteuer durch erhöhte jährliche Kraftfahrzeugsteuern ersetzen.
Die neue heimliche Steuermaßnahme zu Lasten der Arbeitnehmer wird zugleich das Prinzip der Verschmutzungssteuer einführen, da das Kriterium für die Erhebung der jährlichen Personenkraftwagensteuer die Emissionen der Fahrzeuge sein werden. Diese im Hinblick auf die Bekämpfung der Luftverschmutzung zweifellos ineffektive Maßnahme wird direkt dazu führen, dass sich die Steuereinnahmen und die Verkäufe neuer Autos, mit denen alte ersetzt werden, erhöhen, was die Geldbeutel der Familien noch stärker belasten wird.
Wir haben gegen den Bericht gestimmt, da die vorgeschlagenen Maßnahmen, anstatt die Verbraucher zu schützen, die Profite der Automobilindustrie erhöhen, da sie, anstatt die Umwelt zu schützen, diese noch stärker, mit noch mehr Autos belasten werden, und da sie, anstatt das Einkommen des Volkes zu schützen, dazu beitragen werden, es im Namen des Stabilitätspaktes zu schröpfen.
Der Präsident. Damit ist die Abstimmungsstunde beendet.
11. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Ich beziehe mich auf Artikel 2 der Geschäftsordnung, wonach die Abgeordneten ihrem Gewissen verpflichtet sind. Es ist für mich absolut nicht nachvollziehbar, warum Sie als Vorsitzender bei der Aussprache einer Kollegin — noch dazu aus Ihrer Fraktion —, die händeringend nach einer gemeinsamen Position gesucht hat, so lange das Wort gegeben haben. Das Parlament ist nicht dazu da, zwischen den Vorgängen einer Abstimmung und einer Endabstimmung Fraktionsberatungen zuzulassen, noch dazu von Mitgliedern, die sich offenbar keine eigene Meinung bilden können.
Ich finde es außerdem unerhört — da kenne ich den Artikel der Geschäftsordnung jetzt nicht, aber Sie werden ihn sicherlich herausfinden —, dass Sie dann zu diesem Punkt keine Bemerkung zur Geschäftsordnung zugelassen haben. Ich möchte festhalten, dass im Protokoll Ihre Wortmeldung und die von Frau Sommer in voller Länge wiedergegeben werden. Ich möchte auch festhalten, dass Sie diese Abstimmung eben sehr parteilich und eines Präsidenten dieses Hauses nicht würdig geleitet haben. Das soll auch im Protokoll entsprechend festgehalten werden.
Ich glaube, dass Sie damit gezeigt haben, dass dieses Parlament vielmehr einem Karaoke-Parlament ähnelt und man so tut, als ob man sich an demokratische Regeln hält, dass aber eben nicht jeder Abgeordnete, wie dies festgehalten ist, vor dem Gesetz gleich ist und hier gleich behandelt wird.
Denn hätte es sich um einen anderen Abgeordneten aus einer anderen Fraktion gehandelt, Herr Präsident, so hätten Sie — so gut kenne ich Sie, Herr Friedrich — ihm sofort das Wort entzogen. Mir haben Sie es gar nicht erst erteilt.
VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES Präsident
(Die Sitzung wird um 13.20 Uhr unterbrochen und um 15.05 Uhr wieder aufgenommen.)
12. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
13. Haushaltsjahr 2007
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Vorstellung des Entwurfs des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2007 durch den Rat.
Ulla-Maj Wideroos, amtierende Ratspräsidentin. (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist mir eine Ehre, Ihnen im Namen der Ratspräsidentschaft den Entwurf des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften für das Jahr 2007 vorzulegen, den der Rat am 17. Juli 2006 angenommen hat. Dies ist das erste Haushaltsverfahren auf der Grundlage des neuen Finanzrahmens. Es kommt darauf an, dass der Übergang ins neue Haushaltsjahr reibungslos und bei gleichzeitiger Gewährleistung von Kontinuität und Folgerichtigkeit vonstatten geht. Ich gehe davon aus, dass die beiden Teile der Haushaltsbehörde – das Europäische Parlament und der Rat – ihre Zusammenarbeit in diesem Sinne fortsetzen werden. Überzeugt bin ich auch davon, dass beide Institutionen ein und dasselbe Ziel verfolgen – bis Ende des Jahres eine Einigung über den Haushaltsplan 2007 zu erzielen.
Ehe ich im Einzelnen auf den vom Rat angenommenen Entwurf des Haushaltsplans eingehe, möchte ich an die wichtigsten Grundsätze erinnern, von denen sich der Rat bei seiner Entscheidung leiten ließ. Als Erstes möchte ich hervorheben, dass der Rat die neue Interinstitutionelle Vereinbarung vom 17. Mai 2006 in jeder Hinsicht befolgt hat. Damit hat er erneut seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die allgemeine Haushaltsdisziplin auf EU-Ebene unbedingt ebenso eingehalten werden muss wie auf einzelstaatlicher Ebene. Besonders beachtet wurde, dass die jährlichen Ausgabenobergrenzen des neuen Finanzrahmens einzuhalten sind und dass in den einzelnen Rubriken bis zu den jeweiligen Obergrenzen ausreichende Spielräume für unvorhergesehene Situationen bestehen müssen. Unser wichtigstes Prinzip bei der Beratung des Haushalts war die eingehende Beurteilung des angegebenen und des realen Ausgabenbedarfs. Zwar muss die ausreichende und pünktliche Finanzierung aller Schwerpunktbereiche der Europäischen Union gewährleistet werden, doch bedeutet das nicht, dass die Mittel zu hoch angesetzt werden sollten.
In dem Bemühen um ein sorgfältiges und diszipliniertes Finanzmanagement nahm der Rat eine detaillierte Bedarfsanalyse für alle Politikbereiche vor. Nach Auswertung früherer Haushaltspläne und nach gründlicher Untersuchung ausgewählter Tätigkeitsberichte, der Aufnahmekapazitäten und der tatsächlichen Erfordernisse im Jahr 2007 entschied sich der Rat beim Entwurf des Haushaltsplans letztendlich für einen kontrollierten Anstieg der Zahlungsermächtigungen. Der Rat vertritt die Auffassung, dass sich die Zahlungsermächtigungen damit auf einem angemessenen und nicht zu niedrigen Niveau bewegen.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der Rat konsequent einen Bottom-up-Ansatz verfolgt hat. Daher sind die endgültigen Zahlen in unserem Haushaltsplanentwurf das Ergebnis gezielter Maßnahmen auf der Grundlage objektiver Faktoren. Bei der ersten Lesung des Rates ging es also keineswegs um pauschale Kürzungen. Dasselbe gilt für die Verwaltung.
Zweitens haben wir einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Dazu wurden mehrere Tätigkeitsberichte der Kommission ausgewertet, die sich auf alle Politikbereiche im Haushaltsplan bezogen. Drittens besteht im Haushaltsverfahren der EU Innovationsbedarf. Der geeignetste Weg dazu wäre eine gleichberechtigte und engagierte Überprüfung durch die Haushaltsbehörden. Ohne innovative haushaltspolitische Lösungen können wir weder die Wettbewerbsfähigkeit der Union noch die Effizienz der Verwaltung in den Institutionen steigern.
In diesem Haushaltsentwurf sind Verpflichtungsermächtigungen von insgesamt 125,8 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist eine Steigerung von 3,7 % gegenüber dem Haushalt 2006. Die Zahlungsermächtigungen belaufen sich insgesamt auf 114,6 Milliarden Euro; das sind 2,3 % mehr als im Haushalt 2006. Die Verpflichtungsermächtigungen unter Teilrubrik 1a sind kaum beschnitten worden, da der Rat großes Gewicht auf Wettbewerbsfähigkeit und auf die Bewältigung globaler Herausforderungen legt. Darüber hinaus schlägt der Rat unter dieser Teilrubrik zwei neue Pilotprojekte vor, von denen eines das Wissensdreieck und das andere die Zuverlässigkeit der Energieversorgung der Union betrifft. Ferner wird der Rat die Erklärung zu den Pilotprojekten und vorbereitenden Maßnahmen bestätigen. Nach der neuen Interinstitutionellen Vereinbarung müssen beide Teile der Haushaltsbehörde ihre Absichten hinsichtlich der Pilotprojekte bzw. vorbereitenden Maßnahmen mitteilen. Dem Entwurf des Rates zufolge gibt es vier spezifische Bereiche für vorrangige Maßnahmen in der Europäischen Union, in denen nach Ansicht des Rates Pilotprojekte oder vorbereitende Maßnahmen durchgeführt werden sollten. Hoffentlich gelangen wir durch unsere Zusammenarbeit zu einem Konsens.
Was die Teilrubrik 1b angeht, so hat der Rat die im Haushaltsvorentwurf enthaltenen Verpflichtungsermächtigungen akzeptiert. Er nahm eine Kürzung der Zahlungsermächtigungen um 425 Millionen Euro bei denjenigen Haushaltslinien vor, die sich auf die Fertigstellung der vor 2000 angelaufenen Programme und der Programme für den Zeitraum 2000–2006 beziehen, wobei deren derzeitige Ausführungsquote berücksichtigt wurde. Für den neuen Programmzeitraum nahm der Rat keine Reduzierungen vor und wies außerdem in einer Erklärung darauf hin, dass er es für wichtig hält, dass die Kommission die von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Aktionsprogramme und Projekte rasch genehmigt.
Unter der Rubrik 2 nahm der Rat eine begrenzte Reduzierung von 365 Millionen Euro bei Haushaltslinien vor, die Interventionen in allen Agrarmärkten betreffen, mit Ausnahme derjenigen Haushaltslinien, bei denen bereits spezifische Kürzungen gleichen Umfangs erfolgt waren. Dies steht im Einklang mit dem Gesamtkonzept, wonach die bisherigen Ausführungsquoten berücksichtigt werden und der tatsächliche Bedarf eingeschätzt wird. Allerdings hat der Rat erklärt, dass die Agrarausgaben und die Ausgaben im Zusammenhang mit internationalen Fischereiabkommen im Herbst auf der Grundlage des Berichtigungsschreibens der Kommission weiter geprüft werden sollen.
Unter Rubrik 3a ließ der Rat Spielraum für Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 75 Millionen Euro. Die Ermächtigungen für den Außengrenzenfonds stockte er auf, weil er dies als politische Schwerpunktmaßnahme ansieht.
Der Rat erhöhte die Zahlungsermächtigungen unter Rubrik 4 für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und den Wiederaufbau in Irak in Anbetracht ihrer politischen Bedeutung. Im Einklang mit der interinstitutionellen Vereinbarung ließ der Rat bei den Verpflichtungsermächtigungen einen Spielraum von 220 Millionen Euro für unvorhergesehene Ereignisse. Er akzeptierte den im Haushaltsvorentwurf vorgeschlagenen Betrag für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, womit er ebenfalls den Festlegungen in der Interinstitutionellen Vereinbarung entsprach.
Bei Rubrik 5 – Verwaltungsausgaben – ging der Rat von einer Gesamtkonzeption aus. Er nahm eine sehr sorgfältige Prüfung des Mittelbedarfs der einzelnen Organe vor. Dennoch sind die Verwaltungsausgaben 3,4 % höher als im Haushaltsplan 2006. Bemerkenswert ist, dass der Anstieg bei den Verwaltungsausgaben des Rates auf 0,3 % begrenzt wurde. In Anbetracht der Erweiterung von 2004 und künftiger Erweiterungen misst der Rat der Neueinstellung von Personal große Bedeutung bei. Aus diesem Grunde billigte er für 2007 alle neu beantragten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Erweiterung.
Eines der Hauptziele des Rates besteht darin, im Geltungszeitraum des neuen Finanzrahmens einen echten Produktivitätszuwachs in der EU-Verwaltung sicherzustellen. Deshalb gab er eine Erklärung über ein umfassendes Programm zur Steigerung der Produktivität in der Verwaltung für die Jahre 2007–2013 ab. Die verschiedenen Bestandteile des Verwaltungs-Pakets sind Ihnen bekannt. Ich möchte betonen, dass dies eine Zielsetzung des Rates und nicht nur eines einzelnen Mitgliedstaats oder der finnischen Präsidentschaft ist.
Im Zusammenhang mit Rubrik 5 möchte ich auch an eine andere Erklärung des Rates erinnern, die die Besetzung von Stellen im Zusammenhang mit der Erweiterung von 2004 betrifft. Besonders besorgt ist der Rat über die Verzögerungen beim Einstellungsverfahren in diesem Jahr. Wir gehen von deutlichen Fortschritten bei der Besetzung von Planstellen aus, damit so bald wie möglich eine weitestgehende geografische Ausgewogenheit erreicht wird. Ich hoffe, dass das Parlament unsere diesbezüglichen Absichten und auch unsere Erklärung unterstützt.
Ich meine, dass diese letztgenannten Anforderungen an die Verwaltung auch auf die Organe der Union anwendbar sein müssen. Die EU-Institutionen unterscheiden sich nicht von anderen Instanzen. Die EU muss so effektiv wie möglich arbeiten. Auf diese Weise können wir der Öffentlichkeit gegenüber demonstrieren, dass ihr Geld bei uns gut angelegt ist, weil wir einen Mehrwert erwirtschaften. Dazu müssen die Haushaltsbehörden in der Lage sein, bei der Ressourcenverwendung Prioritäten zu setzen. Zugleich fördert eine effizientere Verwaltung das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Arbeit der Union.
In den nächsten Monaten werden wir uns eingehend mit der Krise im Nahen Osten und den erforderlichen Aktionen seitens der EU befassen müssen. Außerdem sollten wir nicht außer Acht lassen, dass das Europäische Parlament und der Rat beim Haushaltsverfahren 2007 auch an die Zukunft und an die globalen Aufgaben der Union denken müssen.
Abschließend möchte ich meine Zuversicht zum Ausdruck bringen, dass wir unsere Hauptziele verwirklichen werden, dass wir den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 rechtzeitig unter Dach und Fach bringen können und dass er angemessen sein, aber nicht ausufern wird. Wir wissen, dass dies nur die erste Phase des Haushaltsverfahrens ist und dass es bis zur endgültigen Annahme des Haushaltsplans 2007 noch ein weiter Weg ist. Dennoch vertraue ich auf unsere Fähigkeit, die Thematik von allen Seiten zu beleuchten und zu einer abschließenden Übereinkunft zu gelangen, die für alle Parteien und vor allem für die Öffentlichkeit akzeptabel ist.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
James Elles (PPE-DE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident, Frau amtierende Ratspräsidentin, Frau Kommissarin! Wir haben nun nach der Vorstellung des Entwurfs des Haushaltsplans für 2007 die Möglichkeit, unsere im Juli in Helsinki geführten Diskussionen fortzusetzen. Vielen Dank für diese Einladung, Frau amtierende Ratspräsidentin, die es uns gestattete, als kleine Gruppe Kontakt aufzunehmen. Bis zu ersten Lesung des Haushaltsentwurfs im Juli in Brüssel wurde aus der kleinen eine größere Gruppe.
Als Berichterstatter für dieses Haus möchte ich in dieser Sache vier Anmerkungen machen, von denen eine allgemeiner und drei spezifischer Natur sind.
Zunächst die allgemeine Anmerkung. Da es sich hierbei um das erste Jahr der Finanziellen Vorausschau handelt, sollten wir es als eine Art strategische Basis behandeln, denn in diesem speziellen Jahr werden wir eine Reihe von Ideen oder Prozessen einleiten, die sich auf unsere Arbeit in den kommenden Jahren bis 2013 auswirken werden. Wie das Parlament in seiner vor einigen Monaten angenommenen Entschließung zur jährlichen Strategieplanung feststellte, müssen wir in Europa insgesamt in der Lage sein, uns rascher an die Globalisierung anzupassen, die die Weltwirtschaft verändert, und wir müssen uns bei unseren Prioritäten von einer „ergebnisorientierten Politik“ leiten lassen, wie der Kommissionspräsident sagte. Ich vermute, dass dies Änderungen bei unserer Haushalts- und Finanzplanung bewirken wird, und die ersten Anzeichen dafür werden wir bereits beim Haushalt 2007 feststellen.
Vor allem möchte ich die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ansprechen, denn, wenn ich die erste Lesung im Rat recht verstehe, zeichnet sich hier insofern eine Abweichung von der Norm ab, als zahlreiche Entscheidungen über Kürzungen in verschiedenen Bereichen nicht pauschal getroffen werden, sondern unter Berücksichtigung der Ergebnisse der von der Kommission in bestimmen Sektoren abgegebenen Tätigkeitsübersichten. Bei der Erarbeitung eines Standpunktes in dieser Sache erinnern wir uns an Festlegungen im Zusammenhang mit der jährlichen Strategieplanung, die besagen, dass es weitere Elemente gibt, die bei der Prüfung der Aufnahmefähigkeit bestimmter Linien bzw. der für sie zur Verfügung stehenden Mittel in Betracht gezogen werden müssen.
Das erste dieser Elemente ist eine Prognosewarnung der Kommission, aus der hervorgeht, wie die Ausgaben in bestimmten Haushaltslinien für ein bestimmtes Jahr ausgeführt werden. Eine weitere Kosten-Nutzen-Analyse, die wir im Haushaltsausschuss eingeleitet haben, befasst sich mit bestimmten Bereichen, in denen wir fürchten, dass die Ausgaben in quantitativer oder vor allem qualitativer Hinsicht Schwächen aufweisen.
Und schließlich wären da noch die zahlreichen Berichte des Rechnungshofes über die Verwendung der Ausgaben in bestimmten Haushaltsbereichen zu erwähnen. Wir im Haushaltsausschuss haben den Eindruck, dass wir verschiedene Elemente zusammenführen können, die Aufschluss darüber geben, in welchen Haushaltlinien die Ausgaben ordnungsgemäß ausgeführt werden und wo wir sicher sein können, und aus denen vielleicht auch hervorgeht, bei welchen Haushaltslinien wir uns nicht so sicher sein können. Auf jeden Fall hoffen wir, dass es Ihnen, Frau amtierende Ratspräsidentin, gelingen wird, den Rat von der von uns im Juli, als es um den Haushaltsentwurf ging, beschlossenen Erklärung zu überzeugen, in der wir eine größtmögliche Rentabilität für den Haushalt der Europäischen Union fordern.
Meine zweite spezifische Anmerkung betrifft die Prioritäten. Wir alle wissen, dass uns im Rahmen der Finanziellen Vorausschau weniger Geld zur Verfügung steht, als wir in den abschließenden Verhandlungen vor einigen Monaten gefordert hatten. Deshalb erscheint es angezeigt, dass wir uns in allen Bereichen eingehend mit den Prioritäten befassen. Ich vermute, dass sich das Parlament bei der Abstimmung in erster Lesung den von Herrn Böge, dem Berichterstatter zur Finanziellen Vorausschau, aufgestellten Prioritäten anschließen wird. Daran hat sich wenig geändert, und sie sind auch in der Entschließung zur jährlichen Strategieplanung enthalten. Das sind unsere Erwartungen für die Bereiche Forschung und Innovation, in die der Rat in Form der Mitgliedstaaten, soweit uns bekannt ist, stärker investieren möchte, aber im endgültigen Haushaltsplan steht dafür natürlich nie genügend Geld zur Verfügung.
Dann wäre da die Ausführung von Pilotprojekten und vorbereitenden Maßnahmen. Auch hier fallen uns Bereiche ein, in denen wir Maßnahmen vorantreiben und langfristige Programme durchführen könnten, und zwar beispielsweise in Form des Austauschs von Geschäftsleuten und Wissenschaftlern zwischen der EU und China oder der EU und Indien. Sie können jedoch nicht von uns erwarten, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt die Ideen in Bezug auf Verwaltungsfragen aufgreifen. Wir haben sie in erster Lesung im Rat abgelehnt, und es bedarf noch ausführlicher Diskussionen, bevor wir eine Einigung in Bezug auf personelle Ressourcen für die Kommission erzielen können.
Abschließend möchte ich feststellen, dass es sehr merkwürdig ist, dass wir in diesem Haus häufig über Gesetzgebungsprogramme abstimmen, wie beispielsweise das, über das wir letzten Dezember abstimmten, und trotzdem wissen die Bürger in der Europäischen Union nicht, welche Gesetze die Europäische Union beschließt, weil es einen Kommissionsvorschlag gibt sowie eine Entschließung des Parlaments. Wie im Hinblick auf die jährliche Strategieplanung festgestellt, bemüht sich der Haushaltsausschuss um eine Zusammenführung dieser beiden Prozesse, so dass im Dezember ein Haushaltsbeschluss und ein Gesetzgebungsbeschluss vorliegen, gefolgt von einer eindeutigen Erklärung der Kommission über das Gesetzgebungsprogramm der Union, damit auch wirklich jeder im Bilde ist, nicht nur wir in diesem Haus, sondern die Menschen in ganz Europa.
Abschließend möchte ich der amtierenden Ratspräsidentin dafür danken, dass sie heute zu uns gekommen ist, um den Haushaltsentwurf vorzustellen. Vor uns liegen zahlreiche Diskussionen, aber wir werden uns um ein erfolgreiches Ergebnis bemühen, in dem sowohl die Prioritäten des Europäischen Parlaments als auch die des Rates Berücksichtigung finden.
Janusz Lewandowski (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des Haushaltsausschusses. – (PL) Herr Präsident! Die Arbeit am Haushalt 2007 bestätigt die alte Redensart, dass sich Verfahren zwar wiederholen können, es aber so etwas wie einen „Routinehaushalt“ nicht gibt. In Ergänzung zu den die Ausführungen unseres Berichterstatter Herrn Elles möchte ich einige Probleme ansprechen, denen wir 2007 gegenüberstehen werden.
Das erste ist nicht das wichtigste, denn es ist ein technisches, analytisches Problem. Es geht im Wesentlichen wieder um Vergleichbarkeit der jährlichen Mittelausstattung. Dies ist ein Haushalt für 27 Mitgliedstaaten. Das Problem der Vergleichbarkeit wurde aktuell, als sich die Geographie der Europäischen Union 2004/2005 änderte. Es besteht aber bis heute, und ich stimme zu, dass ein vollständiger Vergleich der Jahreshaushalte nicht möglich sein wird, wenn die Ausgaben für Bulgarien und Rumänien nicht getrennt werden.
Die zweite Frage, die schwerwiegendste, wurde von Herrn Elles genannt, und lautet wie folgt: Inwieweit sollten wir im ersten Jahr der neuen Finanziellen Vorausschau weniger über die Form des Haushalts als über die Haushaltsprioritäten nachdenken, nämlich wie viel Kontinuität und wie viel Veränderung es in diesem ersten Jahr der neuen Finanziellen Vorausschau geben sollte?
Ich stelle eine gewisse Kontinuität seitens des Rates fest, etwa mit erneuten horizontalen Kürzungen, die dieses Mal stärker durch die so genannten Tätigkeitsübersichten gestützt werden. Ich stelle den traditionell privilegierten Status der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fest. Allerdings möchte ich ganz klar betonen, dass der Berichterstatter des Europäischen Parlaments von der Kommission und dem gesamten Parlament ein sehr starkes Mandat erhalten hat, die einzelnen Haushaltslinien zu prüfen und aus der Sicht dessen zu untersuchen, was als Kosten-Nutzen-Analyse bekannt ist. Dies ist ein sehr starkes Mandat und ein sehr starker Grundsatz, der die Basis für die erste Lesung des Haushalts 2007 im Europäischen Parlament bilden wird. Diese Gesprächsrunde beginnt morgen, selbstverständlich nach der Einigung mit anderen Ausschüssen.
2007 ist problematisch wegen der Umsetzung einer neuen Generation von mehrjährigen Programmen auf der Grundlage neuer Verordnungen und neuer Instrumente für den Außenhandel. Die Frage bleibt, inwieweit ein potenzieller Ausrutscher die sorgfältige Aufstellung des Haushaltsplans für 2007 rechtfertigt, was bei den Ausgaben deutlich sichtbar ist. Dies war wohl der Hauptgrund dafür, dass der Ausgangspunkt dieses Mal so niedrig angesetzt war. Schon im ursprünglichen Entwurf der Kommission lagen die Ausgaben unter 1 % des BIP. Der Rat nahm weitere Kürzungen in der Größenordnung von 1,757 Milliarden Euro vor, wodurch jetzt eine außergewöhnliche Kluft zwischen dem Haushaltsplan 2007 und den in der Finanziellen Vorausschau für dieses Jahr festgelegten Grenzen besteht. Unseres Erachtens reicht das nicht aus, um die Ziele der Europäischen Union zu finanzieren. Das wird deutlich in den Bestrebungen der Europäischen Union als internationaler Akteur, also auf der internationalen Bühne, bei der Finanzierung von Forschung und Entwicklung.
Die Ausführung des Haushaltsplans des nächsten Jahres ist auch eine Frage der Qualität und Motivation in den Verwaltungsverfahren. Hier untersuchen und prüfen wir den Ansatz des Rates in der Frage von Stellen und Gehältern in der Europäischen Kommission sehr gründlich. Wir akzeptieren die Warnung der Europäischen Kommission, dass die Kürzungen bei den Gehältern, die sich auf über 50 Millionen Euro summieren, Einstellungen, insbesondere aus den neuen Mitgliedstaaten, nahezu unmöglich machen. Der Rat hat dies nicht energisch genug bestritten, und deshalb wird das Problem in der ersten Lesung im Parlament angesprochen, denn es geht hier nicht nur um die Verhältnismäßigkeit bei den Stellen, sondern auch um die Effektivität und Motivation der Verwaltung, die vor neuen Aufgaben steht.
Die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Haushaltsplan 2007 wurden, wenn auch in freundlicher Atmosphäre, während des Vermittlungsverfahrens am 14. Juli sehr deutlich. Dies zeigte sich beispielsweise darin, dass das Parlament und der Rat keine gemeinsamen Erklärungen abgaben. Natürlich bleibt uns für die Einigung über den Haushalt 2007 auch noch Zeit.
Für mich, und damit komme ich zum Schluss, war es sehr wichtig, die Zusicherung von Ministerin Wideroos zu erhalten, die sie zwar nur mündlich gab, die aber auf dem beruht, was gemeinsam in die interinstitutionelle Vereinbarung aufgenommen wurde, nämlich alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die neue Finanzregelung am 1. Januar 2007 in Kraft tritt. Die effektive Ausführung des Haushaltsplans für 2007 hängt natürlich davon ab, ob sie von einer neuen Finanzregelung begleitet wird.
VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ Vizepräsident
Dalia Grybauskaitė, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die Kommission hat am 17. Mai den Haushaltsentwurf vorgelegt. Ich werde unseren Standpunkt nicht wiederholen. Im Mittelpunkt meiner heutigen Ausführungen wird die Einschätzung der ersten Lesung des Rates durch die Kommission stehen.
Ich möchte bestätigen, dass wir die Haltung des Parlaments und die Art und Weise, in der es sich mit dem Haushalt 2007 befasst, sehr zu schätzen wissen. Das gilt insbesondere für die Vorgehensweise des Berichterstatters in Bezug auf die Kosten-Nutzen-Analysen und die Folgenabschätzungen aller Vorschläge des Rates und der Kommission. Das befürworten wir. Das bedeutet alle Vorschläge für radikale Reformen in allen Bereichen. Wir würden uns über ein einheitliches Vorgehen bezüglich von Kosten-Nutzen-Analysen und Folgenabschätzungen für sämtliche Politikbereiche, einschließlich der Einstellung von Verwaltungspersonal und von Verwaltungsausgaben, freuen.
Deshalb möchte ich heute feststellen, dass wir an unserem Vorschlag festhalten, der unserer Ansicht nach realistisch und solide ist. Wir haben die Anforderungen für den Haushalt 2007, soweit dies realistisch möglich war, eingeschätzt. Doch zu unserer Überraschung hat der Rat im Verwaltungsbereich aller europäischen Institutionen, einschließlich der Kommission, unverhältnismäßig starke Kürzungen vorgenommen. Ausgehend davon gibt es zwei Elemente und zwei separate Probleme.
Herr Lewandowski erwähnte, dass der Haushalt 2007 für die neuen Mitgliedstaaten 800 Stellen vorsieht, dass aber die 56 Millionen Euro für Gehälter gekürzt wurden. Das bedeutet, dass die Kommission überhaupt keine Neueinstellungen vornehmen kann. Der Rat möchte die Einstellung von Mitarbeitern in der Kommission beschleunigen, aber die Einstellung von Mitarbeitern in der Kommission wird überhaupt nicht beschleunigt; die Kommission wird 2007 überhaupt niemanden neu einstellen, wenn es bei diesem Vorschlag bleibt. Das bedeutet, dass hier irgendjemand nicht die Wahrheit sagt.
Das zweite Element des Haushalts, das die Kommission völlig überraschte, war die Tatsache, dass der Rat in Abweichung vom jährlichen Haushaltsverfahren einen mehrjährigen Ansatz vorschlug und damit die interinstitutionelle Vereinbarung, die alle drei Institutionen im Mai unterzeichnet hatten, praktisch politisch wieder aufrollte. Dabei handelt es sich um einen auf sieben Jahre ausgelegten Ansatz in Bezug auf Verwaltungskosten und –ausgaben – ein Zeitraum, in dem die Kommission mindestens drei Generaldirektionen einbüßen und damit die geographische Ausgewogenheit aufheben wird, die die Institution gemäß den Wünschen des Rates und des Parlaments berücksichtigen sollte. Auch in sprachlicher Hinsicht bleibt die Ausgewogenheit auf der Strecke. Hinzu kommt, dass die für die Umsetzung der von Rat und Parlament geforderten neuen Politiken, einschließlich der neuen Finanziellen Vorausschau, erforderlichen Strukturen und Humanressourcen fehlen werden.
Deshalb hat uns die Haltung des Rates überrascht, die sich nicht auf Folgenabschätzungen oder Kosten-Nutzen-Analysen gründet, sondern auf rein rechnerische Aspekte. Das widerspricht dem, was wir zu Beginn der neuen Finanziellen Vorausschau versuchen zu erreichen, d. h. wie wir den Haushalt sehen und wie wir versuchen, die Gelder in der Europäischen Union effizient einzusetzen.
Ich möchte dem Parlament versprechen, dass wir bei der Erarbeitung seiner Stellungnahme für die erste Lesung offen und umfassend mit ihm zusammenarbeiten werden. Im Juli hatte ich versprochen, dass ich Ihnen technische Informationen zum Vorschlag vorlegen werde. Das werde ich in dieser Woche tun, und zwar hoffentlich bis Freitag. Sie werden zwei Informationen zum Haushalt 2007 und zum Vorschlag für den Zeitraum 2007 bis 2013 erhalten. Ich hoffe, das wird uns allen helfen, die Endergebnisse zu erreichen.
Ich möchte alle Beteiligten aufrufen, umsichtig vorzugehen, sich um spürbare Fortschritte im Hinblick auf Folgenabschätzungen zu bemühen und alles zu tun, um sämtliche Gemeinschaftsprogramme zu erfüllen.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
14. Ein europäisches Sozialmodell für die Zukunft (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Proinsias De Rossa und José Albino Silva Peneda im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über ein Europäisches Sozialmodell für die Zukunft (2005/2248(INI)) (A6-0238/2006).
Proinsias De Rossa (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Dieser gemeinsam mit Herrn Silva Peneda unter maßgeblicher Unterstützung unserer jeweiligen Mitarbeiter erstellte Initiativbericht ist ein äußerst wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte über die Zukunft Europas und die Rolle, die dem Europäischen Sozialmodell bei der Neubelebung des europäischen Einigungswerkes zukommen kann.
In diesen Tagen besteht kein Zweifel daran, dass die Schaffung der Europäischen Union ein sehr wirksamer und erfolgreicher Friedensschaffungsprozess war. Weniger bereitwillig wird anerkannt, dass es auch ein sehr erfolgreicher Prozess zur Wohlstandsschaffung war. In seinem Buch „The European Dream“ beschreibt Jeremy Rifkin die bemerkenswerte Erholung der europäischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. Immerhin übertraf Europa die Vereinigten Staaten ein halbes Jahrhundert lang bis in die Mitte der 90-er Jahre hinein im Wirtschaftswachstum, indem es eine hervorragende soziale Infrastruktur entwickelte und realisierte, die dafür sorgte, dass der Wohlstand allen zugute kam.
Diesen Erfolg erzielten die Europäer jedoch nicht durch den Einsatz ihrer Ellenbogen, sondern durch einen Sozialvertrag, der sicherstellte, dass die arbeitenden Menschen am geschaffenen Wohlstand teilhatten. Durch ihre Abhängigkeit von der Gesellschaft profitierten sie wiederum von der Bereitstellung allgemeiner öffentlicher Leistungen.
Wir erleben nun eine neue Zeit – eine beispiellose Revolution in der Technik, einen dramatischen Wandel in der Altersstruktur unserer Bevölkerung sowie die Globalisierung des Kapitals, woraus die Notwendigkeit erwächst, eine transnationale Form der Demokratie zu schaffen, die mit diesen neuen Phänomenen fertig werden kann.
Dieser Bericht erkennt an, dass die vor uns liegenden Herausforderungen nicht mit aufgewärmten Dogmen gemeistert werden können, ob sie nun von links oder von rechts stammen. Das soll nicht heißen, dass es keine weltanschaulichen Unterschiede mehr gibt, aber es ist doch so, dass diese Unterschiede von den objektiven Bedingungen der modernen Welt, in der wir leben, neu definiert werden.
Dieser Bericht unterstreicht einmal mehr, dass die europäischen Kernwerte Gleichheit, Solidarität, Umverteilung und Nichtdiskriminierung sowie staatliche Grundversorgung für die Jungen, Alten und Kranken bei den unumgänglichen und bereits eingeleiteten Reformen verteidigt werden müssen. Es heißt darin, dass unser Sozialmodell kein Hindernis für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum darstellt, sondern vielmehr ein notwendiger Bestandteil unserer Arbeit für eine menschenwürdige europäische Gesellschaft ist, die unsere Bürger eindeutig wünschen, und dass das Konzept der „Flexicurity“, das von meinem Kollegen, Herrn Rasmussen, in Dänemark ins Leben gerufen wurde, zur Ermöglichung von Reformen beitragen kann, indem Menschen davor bewahrt werden, in die Armut zu stürzen, und sich als wichtiges Werkzeug in diesem Prozess erweisen wird, wenn es richtig auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitgliedstaaten zugeschnitten ist.
José Albino Silva Peneda (PPE-DE), Berichterstatter. – (PT) Ich möchte eingangs daran erinnern, dass die EU, die wir heute kennen, aus einem Ideal heraus entstanden ist, deren Hauptziel es war, Frieden zu schaffen und zu bewahren. In einem halben Jahrhundert wurde Europa zu einem Inbegriff für Frieden, Demokratie, Freiheit, Solidarität, Wohlstand und Entwicklung.
Frieden, dieses oberste Ziel des europäischen Aufbauwerks, wurde weitestgehend erreicht, sodass es heute normal ist, dass wir seit mehr als sechs Jahrzehnten in Frieden leben und uns der tatsächliche Wert dieser großen Errungenschaft nicht immer bewusst ist. Wir sprechen von einem in Freiheit, Demokratie, in der Achtung der Menschenrechte und des Rechtsstaates verwurzelten Frieden. Wenn wir das europäische Sozialmodell mit anderen Aspekten vergleichen, dürfen wir beispielsweise hier, ganz in der Nähe, nicht den großen Schwindel der kommunistischen totalitären Experimente negieren, die jahrzehntelang viele Europäer des Rechts auf Freiheit beraubten, die für viele glücklicherweise zurückgewonnen wurde.
Die brutale Realität des islamischen Fundamentalismus heute ist ein weiteres Beispiel der klaren Abkehr von den Grundwerten, auf denen das europäische Sozialmodell basiert. In diesem Bericht geht es im Wesentlichen um Werte. Die Art und Weise der Umsetzung dieser Werte ist von Land zu Land verschieden, und deshalb haben wir die Idee bekräftigt, dass das europäische Sozialmodell als eine Einheit von Werten auch auf unterschiedlichen Wegen umgesetzt wird.
Globalisierung, technologische Entwicklung und demografischer Wandel sind die Hauptfaktoren, die die Sozialschutzsysteme der einzelnen europäischen Staaten – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – in Schwierigkeiten bringen. Deshalb müssen rechtzeitig Reformen durchgeführt werden: Entweder das europäische Sozialmodell überlebt, wenn wir rechtzeitig handeln, oder es geht zugrunde, falls wir nichts dafür tun.
Wir wissen, dass durch schwaches Wirtschaftswachstum jede Strukturreform von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Deshalb legen wir im Bericht besonderes Gewicht auf die Umsetzung der Lissabon-Strategie durch die Mitgliedstaaten und auf die Notwendigkeit der Vollendung des Binnenmarktes. Eine größere Flexibilität des Arbeitsmarktes, das lebenslange Lernen, ein längeres Berufsleben, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Änderung der Finanzierungsquellen, die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sind die Bereiche, die bei den in Angriff zu nehmenden Reformen Priorität erhalten müssen.
Im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit empfehlen wir, dass den kleinen und mittleren Unternehmen und der Innovation größere Aufmerksamkeit zuteil werden muss. Die allgemeinen Leitlinien für die Reformen, die durchgeführt werden müssen und die in dem von uns vorgelegten Bericht aufgezeigt werden, widerspiegeln ein reformorientiertes Gedankengut, das tief verwurzelt ist in den Werten, die die Grundlage bei der Entwicklung des europäischen Sozialmodells bildeten. Diese Werte sind heute als Rahmenelemente jeglicher politischer Aktion wertvoller denn je.
Deshalb halten wir es für wichtig, dass das Parlament bekräftigt, dass die Reformen, die in den einzelnen Sozialschutzsystemen durchgeführt werden müssen, keinesfalls an den Grundwerten, auf denen das europäische Sozialmodell gründet, rütteln dürfen. Die Entscheidung des Europäischen Parlaments zum Inhalt dieses Berichts hat mehr als nur mit der Union zu tun, denn es geht um eine politische Bekräftigung der Verteidigung von Werten, die sowohl für Europa als auch für die Welt wichtig sind. Diesbezüglich möchte ich die Internationale Arbeitsorganisation zitieren, die sich ausdrücklich auf das europäische Sozialmodell als mögliche Quelle der Inspiration für die entstehenden neuen Mächte bezog.
Abschließend ein Dankeswort an meinen Kollegen Ko-Berichterstatter Proinsias De Rossa für die großartige Zusammenarbeit, die er mir zuteil werden ließ und die eine Arbeitsweise ermöglichte, die für mich anspornend und angenehm zugleich war.
Paula Lehtomäki, amtierende Ratspräsidentin. – (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, die soziale Zukunft Europas gemeinsam mit Ihnen zu diskutieren. Für die Bürgerinnen und Bürger der EU ist dies zweifellos ein sehr wichtiges Thema.
Die Staatsoberhäupter der Europäischen Union haben wiederholt ihr Bekenntnis zur europäischen Werteordnung und zur Entwicklung der europäischen Sozialmodelle bekräftigt. Das Europäische Sozialmodell vereint wirtschaftliches Wachstum, niedrige Arbeitslosigkeit und sozialen Zusammenhalt und bildet ein stabiles Fundament, um auf die Herausforderungen der Globalisierung und einer alternden Bevölkerung zu reagieren.
Das Europäische Sozialmodell bedarf jedoch auch der ständigen Überprüfung. Wir müssen es für die Bürger leichter machen, sich Veränderungen anzupassen. Wir müssen die europäische Wettbewerbsfähigkeit und höhere Beschäftigungsquoten unterstützen und darüber hinaus Armut und soziale Ausgrenzung bekämpfen. Wir müssen gewährleisten, dass die sozialen Schutzsysteme auf lange Sicht nachhaltig und ausreichend sind. All diese Ziele bauen aufeinander auf.
Für die Zukunft eines sozialen Europas kommt es entscheidend darauf an, die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung gewissenhaft umzusetzen. Wenn die europäischen Wohlfahrtsstaaten fortbestehen sollen, muss die Wettbewerbsfähigkeit verbessert, die Arbeitslosigkeit gesenkt und die Produktivität erhöht werden. Ziel der finnischen Ratspräsidentschaft ist es unter anderem, die Basis des wirtschaftlichen Wachstums in Europa zu stärken.
In den kommenden Wochen erwarten wir eine Mitteilung der Kommission zum demografischen Wandel in Europa. Dieses Themenfeld wurde auf einem informellen Treffen der EU-Minister für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Gesundheit im Juli in Helsinki erörtert. Im Ergebnis dieser Gespräche kam die finnische Präsidentschaft unter anderem zu dem Schluss, die Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung sollten nicht nur als Herausforderung betrachtet werden, sondern auch als Zeichen dafür, wie gut das europäische Wohlfahrtsmodell funktioniert. Große Teile der Bevölkerung haben die Chance, ein längeres und gesünderes Leben zu führen. Auch wenn die Schlussfolgerungen im Hinblick auf das Wachstumspotenzial der Wirtschaft und die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen vielleicht nicht so positiv ausfallen, bedarf es einer langfristigen, proaktiven Reformpolitik.
Die Arbeitsmarktdebatte ist Grundbestandteil des Europäischen Sozialmodells. Der finnische Ministerpräsident Matti Vanhanen und der Präsident der Kommission Barroso werden Gastgeber eines außerordentlichen dreigliedrigen Sozialgipfels am 20. Oktober in Lahti sein, bei dem die Diskussion über den Umgang mit den Strukturveränderungen in Europa fortgesetzt wird. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit finden und massiv in Schlüsselqualifikationen und Fachwissen investieren. Indem wir Männern und Frauen helfen, Beruf und Familie zu vereinbaren, reagieren wir in Europa gleichzeitig wirksam auf die Herausforderungen der Globalisierung und der alternden Bevölkerung. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch grundlegend mit der Lissabon-Strategie verknüpft, wie die Verabschiedung des Europäischen Paktes für die Gleichstellung der Geschlechter im Rahmen des Europäischen Rates im Frühjahr 2006 unterstrich.
Die Europäische Union ist ein einflussreicher Akteur auf der Weltbühne, der sich für die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und nachhaltiger Entwicklung einsetzt. Die Kommission hat gerade eine Mitteilung zur menschenwürdigen Arbeit vorgelegt. Die EU muss in dieser Frage unbedingt mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zusammenarbeiten. Die weltweite Förderung menschenwürdiger Arbeit wird auch die Produktivität in den weniger entwickelten Ländern steigern helfen.
Finnland will während seiner Präsidentschaft die Fähigkeit der Europäischen Union stärken, auf den Druck des globalen Wettbewerbs zu reagieren. Die Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist eng mit dem Erhalt der europäischen Wohlfahrtsstaaten verbunden. Europa kann wettbewerbsfähig und gleichzeitig sozial stark sein, aber dazu bedarf es unserer kontinuierlichen Anstrengungen und der Bereitschaft zur Veränderung.
Ministerpräsident Vanhanen wies in der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments im Juli darauf hin, dass wir auch die Furcht der Europäerinnen und Europäer vor dem weltweiten Wettbewerb ernst nehmen müssen. Gemeinsame Werte und soziale Gerechtigkeit spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, diese Bedenken auszuräumen.
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst darf ich den Herren Silva Peneda und de Rossa meinen Dank für ihren Bericht über das europäische Sozialmodell für die Zukunft aussprechen. Der Bericht ist ein nützlicher und Denkanstöße liefernder Beitrag zu der Debatte, die auf der Tagung des Europäischen Rates im Oktober 2005 in Hampton Court angestoßen wurde. Am wichtigsten ist jedoch, dass einmal mehr die Bedeutung eines sozialen Europas und die Notwendigkeit der Bewahrung und Entwicklung des europäischen Sozialmodells herausgestellt wurden.
Meine Damen und Herren, die Debatte über das europäische Sozialmodell ist ihrem Wesen nach komplex und kann aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven angegangen werden. Der Bericht des Parlaments in seiner ursprünglichen Fassung beruht meiner Meinung nach auf einem weit reichenden Ansatz und vermittelt die wichtigsten Aspekte. Ich möchte Sie, wenn Sie gestatten, an einigen meiner Gedanken teilhaben lassen.
Erstens, im Grunde genommen heißt es in dem Bericht, das europäische Sozialmodell sei auf einer speziellen Werteordnung aufgebaut worden. Die technische Umsetzung dieser Werte mag sich selbstverständlich unterscheiden. Wenn wir von Werten reden, sprechen wir von etwas Lohnendem, mit anderen Worten, wenn unserer Überzeugung nach dem europäischen Modell Werte zugrunde liegen, drücken wir aus, dass wir willens sind, unsere Anstrengungen auf die Bewahrung und Stärkung dieser Werte zu lenken.
Wenn wir vom europäischen Sozialmodell reden, verwenden wir als Adjektiv unter anderem europäisch. Das europäische Sozialmodell gründet sich, so meine ich, eindeutig auf die europäische Integration, ohne die es in der Welt keine Hoffnung auf Fortschritte geben würde, unabhängig davon, von welchem Mitgliedstaat die Rede ist. Dementsprechend bildet die europäische Integration einen Eckstein des europäischen Sozialmodells, und auf der anderen Seite der Medaille zählt das europäische Sozialmodell zu den Ecksteinen der europäischen Integration. Angesichts dieser Tatsache ist die europäische Integration, unter geografischem Gesichtspunkt betrachtet, ein komplexer Begriff, über den wir lang und breit diskutieren könnten, obgleich wir im Grunde dort, wo wir auf das europäische Sozialmodell treffen, auch auf die Grenzen der europäischen Integration stoßen. Sie ist dort zu finden, wo eine Werteordnung existiert, die von den einzelnen Mitgliedstaaten übernommen wurde. Selbstverständlich gibt es andere Werte, die hinzugefügt werden könnten. Und diese Frage wäre ganz klar Anlass für unzählige lebhafte Diskussionen. Meines Erachtens sind dies die wesentlichsten Elemente dieser Parlamentsdebatte und die Hauptgründe, weshalb ihr eine derartige Bedeutung zukommt.
Ich teile die von den Berichterstattern vertretene Ansicht, dass es gilt, Sozialpolitiken nicht als Bürde, sondern vielmehr als positiven, proaktiven Faktor bei der Schaffung von Beschäftigung, der Förderung von Wachstum und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts zu betrachten. Europa kann ohne soziale Stärke nicht wettbewerbsfähig sein. Ohne Sozialpolitik kann es nicht wettbewerbsfähig sein. Es ist töricht zu denken, wir würden, ließen wir diesen Grundgedanken fahren, wunderbare Vorteile der einen oder anderen Art erzielen. Diese Meinung wurde meines Erachtens klipp und klar geäußert, und das freut mich zu hören.
Froh stimmt mich auch, dass sich die Positionen des Parlaments und der Kommission in nicht eben wenigen Punkten wie bei beispielsweise ihrer Einschätzung der Situation decken. Europa muss seine Politiken reformieren, so es denn seine Werte bewahren will. Die Aufrechterhaltung des Status quo stellt keine Lösung dar, die Beibehaltung des Status quo ist auf lange Sicht einfach Verschwendung. Wir müssen uns zudem bewusst sein, dass wir außer einem innovativen und offenen Europa auch ein Europa mit nahezu 20 Millionen Arbeitslosen haben. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert sich allmählich, und die jüngste Zahl lag eher im Bereich von 18 Millionen, eine Verbesserung um 2 Millionen, was nicht gerade unerheblich ist. Wir haben ein Europa, in dem Armut herrscht. Wir haben ein Europa, in dem es Kinderarmut gibt. Wir haben stagnierendes Wachstum und ein Europa der zu starken sozialen Ausgrenzung. Soll die EU aktiv und wirtschaftlich stark bleiben, umfassen die Herausforderungen, die geradewegs angegangen werden müssen, auch die Überalterung der Bevölkerung, die die finanzielle Leistungsfähigkeit unserer Sozialsysteme bedroht, sowie die Globalisierung, die hauptsächlich in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit Ängste verursacht und die zugleich bestätigt, wie unverzichtbar es ist, die Strukturreformen einzuleiten.
Mein Dank gebührt dem Parlament für seine Vorschläge, die ich in einem Wort zusammenfassen möchte: Modernisierung, oder vielleicht wäre das Wort Verbesserung eher geeignet. Wir müssen modernisieren, damit wir imstande sind, die qualitativ hochwertigen Bildungs- und Gesundheitssysteme zu erhalten sowie allen akzeptable Arbeitsplätze und Renten zu bieten. Die Kommission und die Mitgliedstaaten haben den Modernisierungsprozess und die Reformen als Teil der überarbeiteten Lissabon-Strategie in die Wege geleitet. In dieser Hinsicht möchte ich den Berichterstattern danken, weil sie herausgestellt haben, wie wichtig es ist, die Balance zwischen der wirtschaftlichen Dimension einerseits sowie Beschäftigung und sozialer Sicherheit andererseits zu wahren. Die EU verfügt über eine Reihe von Einzelinstrumenten, die den Mitgliedstaaten dabei behilflich sein werden, die Modernisierung voranzutreiben. Diese Rechtsvorschrift wird den wirtschaftlichen Wandel und die Implementierung von Maßnahmen zur Bewahrung unserer Werte und unserer Lebensqualität fördern, indem sie die Befugnis zur Überwachung der Einhaltung der Gemeinschaftsrechte überträgt und die Mittel bereitstellt, die für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts der EU entscheidend sind.
Die meisten Vorschläge in dem Bericht weisen eine auffallende Ähnlichkeit mit den derzeitigen Maßnahmen der Kommission auf. Dazu zählen Maßnahmen betreffend den demografischen Wandel, die sich in den Vorschlägen des Grünbuchs „Demografie“ finden werden, das ich im Oktober vorlegen möchte. Sie umfassen auch Maßnahmen hinsichtlich der so genannten Flexibilität und Sicherheit, bezüglich der die Kommission Verhandlungen mit den Beteiligten aufgenommen hat, und diese Verhandlungen sollen in der Verabschiedung gemeinsamer Grundsätze bis Ende 2007 münden. Außerdem wären da noch Maßnahmen in Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, auf die die Kommission in einer Mitteilung eingehen wird, die bis Ende dieses Jahres auf der Grundlage des Parlamentsberichts vorliegen soll. Ähnlichkeiten sind auch in den Maßnahmen zu verzeichnen, die sich aus der Mitteilung der Kommission „Eine bürgernahe Agenda: Konkrete Ergebnisse für Europa“ vom Juni 2006 ergeben, in der sich die Kommission verpflichtet hat, 2007 eine umfassende Bestandsaufnahme der Wirklichkeit in der Europäischen Gemeinschaft vorzunehmen und ein Programm auf den Weg zu bringen, das auf einen Ansatz betreffend Rechte und Solidarität ausgerichtet ist und auch die Möglichkeit der Einführung einer „Berechtigungskarte“ für die Bürger der EU prüfen wird.
Abschließend darf ich noch einmal den Berichterstattern für ihren Bericht danken, in dem sie in die Zukunft blicken und einige wertvolle Vorschläge unterbreiten. Die Kommission wird darauf in den nächsten Monaten in dem Kontext der wichtigsten Initiativen, die ich angeschnitten habe, reagieren. Meine Damen und Herren, wenn Sie gestatten, möchte ich ganz zum Anfang zurückkehren. Das europäische Sozialmodell wurde mit dem Gedanken geschaffen, dass es möglich ist, politische Demokratie, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Solidarität miteinander in Einklang zu bringen.
Miloslav Ransdorf (GUE/NGL), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. – (CS) Sehr geehrte Damen und Herren! Früher galt der gesamte Bereich der Sozialaufwendungen als Nebensache, als Sache der Umverteilung. Meiner Auffassung nach hat uns die Erfahrung in den letzten Jahren gelehrt, dass es hier nicht um Ausgaben als vielmehr um Investitionen geht, und zu meiner Freude erörtern wir diesen Bericht während der finnischen Ratspräsidentschaft. Die Finnen haben ihre Krisen Anfang der 90er Jahre ähnlich wie die Dänen zu Bischof Grundtvigs Zeiten durch Investitionen in die Menschen gemeistert.
Jüngst lenkte die Arbeit des US-Wirtschaftswissenschaftlers Richard Florida die Aufmerksamkeit auf die kreative Klasse und die kreative Wirtschaft. Wir müssen ein Netz schaffen, das in der Lage ist, Talente jedweder Art in der europäischen Gesellschaft zu nutzen und die Entwicklung voranzutreiben. Nach meinem Dafürhalten müssen wir das europäische Sozialmodell als Wahlmöglichkeit und nicht als Problem der Vereinheitlichung begreifen. Die Lebensstile sollten vielfältig sein, denn dort, wo man auf billige Arbeit spekuliert wie in den asiatischen Wirtschaften, schwinden die Auswahlmöglichkeiten, und das Spektrum an Möglichkeiten für Wirtschaftswachstum verringert sich ebenfalls.
Emine Bozkurt (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. – (NL) Herr Präsident! Ich danke den Herren De Rossa und Silva Peneda für ihre Arbeit an dem Bericht über das Europäische Sozialmodell. Die Arbeit des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter wurde zu meiner Freude ernst genommen und findet sich auch in dem Bericht wieder.
Frauen sind für das Sozialmodell ebenso wie für den Arbeitsmarkt unverzichtbar. Nicht umsonst haben wir uns in Europa vorgenommen, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Dennoch sucht man Frauen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch im Sozialmodell viel zu oft vergebens.
Frauen sind nicht selten die ersten Opfer eines schlecht funktionierenden Sozialsystems. Fehlt es an Geld für Kindertagesstätten oder für kranke, ältere oder behinderte Menschen, sind es oftmals die Frauen, Ehegattinnen oder Mütter, die zu Hause bleiben und sie betreuen.
Deshalb bin ich für ein Modell, in dem den Frauen Rechnung getragen wird, in dem der Staat auf bezahlbare Weise dort hilft, wo es nötig ist. Ich bin gegen ein in Brüssel ersonnenes Modell, das auf Biegen und Brechen in ganz Europa eingeführt werden muss. Gleichwohl trete ich für soziale Solidarität in Europa unter dem Motto „Einer für alle, alle für einen“ ein.
Das spiegelt auch der Bericht wider, den wir heute erörtern, und daher unterstütze ich den Bericht der Herren De Rossa und Silva Peneda.
Ria Oomen-Ruijten, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Wenn wir uns in der Gesellschaft umschauen und mit den Menschen reden, erkennen wir, dass sie Angst vor den Folgen der Globalisierung und der Globalisierung selbst haben, dass sie sich sorgen, von der anhaltenden Arbeitslosigkeit in einigen Mitgliedstaaten betroffen zu werden. Sie sehen die negativen Folgen der demografischen Entwicklung, und das macht die Menschen, auch in der Diskussion über das Europäische Sozialmodell, sehr zurückhaltend.
Sie fragen sich, ob all die Dinge, die wir gegenwärtig haben, von Dauer sind. Können wir die Renten, die Arbeitslosenunterstützung, wenn nötig, oder den Wohlstand auf dem heutigen Niveau halten? Diese Art Zurückhaltung meine ich.
Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Sozialversicherungssysteme, die sich zwar erheblich voneinander unterscheiden, aber alle auf bestimmten Werten beruhen, das leisten können, was bei ihrer Einrichtung versprochen wurde.
Es stimmt mich sehr froh, dass es die beiden Kollegen, die Herren De Rossa und Silva Peneda, trotz ihres unterschiedlichen politischen Hintergrunds vermocht haben, einen exzellenten Bericht zu erarbeiten, der künftig als Diskussionsgrundlage dienen kann. Dafür möchte ich ihnen meinen aufrichtigen Dank aussprechen.
Das Europäische Sozialmodell besteht im Kern in der Notwendigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung, denn sonst können wir soziale Sicherheit nicht bieten oder gewährleisten. Wir wollen die grundlegenden sozialen Bedürfnisse der Menschen befriedigen, müssen jedoch selbstverständlich auch die dazu notwendigen Mittel erwerben. Das erfordert einen kontinuierlichen Prozess, in dem die Sozialsysteme umgebaut werden, damit die Bürger das erhalten, was sie erwarten können.
Es existieren verschiedene Modelle, und unser Modell unterscheidet sich von den anderen darin, dass es von sozialer Marktwirtschaft ausgeht und sich praktisch auch auf die christliche Soziallehre gründet. Ich danke für die zahlreichen konstruktiven Empfehlungen in diesem Bericht.
Jan Andersson, im Namen der PSE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Ich möchte zunächst den beiden Berichterstattern für ihre hervorragende Zusammenarbeit danken, mit der sie einen wirklich guten Bericht erstellt haben. Zuhause in Schweden werde ich oft gefragt, ob es tatsächlich ein europäisches Sozialmodell gibt, oder ob wir nicht vielmehr viele verschiedene Modelle haben. Ich antworte dann, dass es stimmt, dass unsere Sozialsysteme sich zwar voneinander unterscheiden, aber auch einige Gemeinsamkeiten aufweisen, die das europäische Sozialmodell ausmachen. Alle unsere Systeme basieren auf der Solidarität mit den Arbeitslosen, Kranken oder von Arbeitsunfällen Betroffenen. Wir haben in allen Ländern einen öffentlichen Sektor, mit dem wir gemeinsame Aufgaben finanzieren, wenn auch in etwas unterschiedlicher Höhe. Außerdem spielen in Europa die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft eine große Rolle bei der Gestaltung unserer Gesellschaft. Dies sind gemeinsame Merkmale.
Wenn das Sozialmodell auf gemeinsamen Werten innerhalb unterschiedlicher Systeme basiert, können wir in dem gegenwärtigen Prozess voneinander lernen. Denn das Sozialmodell oder die verschiedenen Sozialsysteme sind natürlich nicht unveränderlich. Wie viele meiner Vorredner in dieser Aussprache bereits erwähnt haben, müssen sie ständig verändert werden, d. h. die Systeme selbst, nicht ihre Wertegrundlage.
Die beiden großen aktuellen Herausforderungen sind zum einen der demografische Wandel und zum anderen die Globalisierung. Angesichts des demografischen Wandels müssen wir auch mit der kommenden Generation Solidarität üben. Diese darf nicht gezwungen werden, einen unzumutbar großen Teil des von ihr Produzierten für diejenigen von uns auszugeben, die in Rente gehen und umfassende medizinische Versorgung benötigen. Aus diesem Grunde müssen wir nachhaltige Rentensysteme schaffen.
Wir müssen jedoch auch für eine Arbeitsumwelt sorgen, die es den Menschen ermöglicht, länger auf dem Arbeitsmarkt zu bleiben, was u. a. angemessene Arbeitszeiten erfordert. Ferner brauchen wir eine Kompetenzentwicklung, bei der auch die älteren Arbeitnehmer an den Veränderungen in der Weiterbildung u. ä. teilnehmen und damit im Arbeitsleben verbleiben können. Auf diese Weise haben wir mehr Personen auf dem Arbeitsmarkt. Vielleicht müssen wir in Zukunft auch mehr Menschen aus außereuropäischen Ländern aufnehmen, was sehr wahrscheinlich der Fall sein wird.
Was die Globalisierung betrifft, können wir zwei Wege gehen. Der eine wäre eine Anpassung an die Wirtschaftsbedingungen unserer Wettbewerber China und Indien in Bezug auf das Lohnniveau, die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt usw. Der andere Weg wäre, dass wir versuchen, den Wettbewerb mit gut ausgebildeten Arbeitnehmern, Forschung und Entwicklung usw. zu gewinnen, durch die unsere Arbeitskräfte und die von ihnen produzierten Erzeugnisse die besten der Welt werden. Das setzt jedoch eine Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt voraus, da dafür Veränderungen und Umstrukturierungen notwendig sind. Die Menschen, die sich auf einem veränderlichen Arbeitsmarkt befinden, brauchen eine bestimmte Sicherheit. Ich weiß, dass die finnische Ratspräsidentschaft dies als „Sicherheit in Veränderung“ bezeichnet anstatt als „Flexicurity“, was aber das Gleiche ist. Wenn man Sicherheit empfindet, kann man auch an der Veränderungsarbeit und der Entwicklung Europas mitwirken. Dann können wir unsere Sozialsysteme zu einem Produktivitätsfaktor beim Herbeiführen von Veränderungen entwickeln.
Patrizia Toia, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Monaten haben wir im Rahmen der Debatte über den Prozess der zunehmenden politischen Integration Europas mit all ihren Höhen und Tiefen oft betont, dass Europa sein Projekt, seine Zweckbestimmung, ich würde sagen, seine Unverzichtbarkeit, besser definieren muss: das Europa der Ergebnisse, das wir anvisieren, um den Bürgern seine Daseinsberechtigung deutlich vor Augen zu führen.
Doch heute gilt es, neben der Wachstums- und der Wissensdimension, neben den von uns ständig proklamierten Zielen, auch die soziale Dimension wiederzubeleben. Dies muss von der Suche nach der zukünftigen Gestalt Europas begleitet sein, damit wir den europäischen Bürgern klar und deutlich sagen können, ob die Zukunft Europas – und nicht nur seine Vergangenheit und seine Geschichte des 20. Jahrhunderts, die uns allen vertraut ist und die wir selbst miterlebt haben – noch durch diese Priorität, dieses Unterscheidungsmerkmal geprägt sein wird, das kennzeichnend für die verschiedenen Modelle und Systeme in den einzelnen Mitgliedstaaten war.
Dieser Sprung muss auf eben dieser europäischen Ebene vollzogen werden: Die bisherigen Fortschritte in den verschiedenen Ländern und Mitgliedstaaten sehen sich nun mit Herausforderungen konfrontiert, die nur schwer im Alleingang zu bewältigen sind. Es ist klar – das muss ich jenen sagen, die fürchten, dass in Brüssel alles entschieden wird: das Was und Wie und nach einem einzigen Modell –, es ist klar, offenkundig und unbestreitbar, dass die Zuständigkeit und Verantwortung für die Sozialpolitik bei den Mitgliedstaaten liegt, und dass die Entscheidungen über Höhe und Qualität unseres Einkommens, das für die Sozialsysteme ausgegeben wird, in Abhängigkeit davon, ob der Schwerpunkt mehr auf soziale Sicherheit oder auf Bildung oder auf Ersatzleistungen gelegt wird, auf nationaler Ebene getroffen werden müssen.
Diese Entscheidungen müssen auf nationaler Ebene getroffen werden, das steht außer Frage, und auch ich stehe dafür ein, dass mein Land entscheidet, was für einen Sozialstaat es gestalten will. Doch halte ich auch einen gemeinsamen Ansatz auf europäischer Ebene für einige Grundrechte, die geschützt werden müssen, für erforderlich: für die sozialen Rechte, die wir, wie ich den Kolleginnen und Kollegen in Erinnerung bringen möchte, in den die Rechte betreffenden Abschnitt unseres Verfassungsentwurfs aufgenommen haben. Da müssen wir ansetzen, bei einem gemeinsamen Konzept, das einige Leitlinien festlegt, eben weil die einzelstaatlichen Sozialsysteme mit der schlimmsten aller Herausforderungen konfrontiert werden: der wirtschaftlichen bzw. der finanziellen Vereinbarkeit. Wir wollen nämlich, dass Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Zusammenhalt miteinander in Einklang gebracht werden, denn sie sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille, d. h. der Gesamtentwicklung einer Gesellschaft.
Deshalb halte ich die heutige Aussprache für wichtig; deshalb denke ich, dass sie auf die europäische Agenda gesetzt werden muss, auch wenn mancher daran zweifeln mag, weil es sich nur um einen Initiativbericht zu diesem Thema handelt. Es genügt nicht, über Modelle für die Institutionen oder über die notwendige Form der Staatsführung zu sprechen; es ist ebenso unerlässlich, über das Wettbewerbsmodell für unsere freie Wirtschaft zu diskutieren.
Die Bürger wollen auch darüber Bescheid wissen, wenn sie ihre politische Wahl treffen; wenn sie die wirtschaftlichen Entscheidungen treffen oder ablehnen, die wir im Hinblick auf mehr Beschäftigung oder andere Ziele von ihnen verlangen: Sie werden wissen wollen, ob diese Sozialrechte gleichwohl ein Unterscheidungsmerkmal aller Wohlfahrtsysteme sind, die von den einzelnen Mitgliedstaaten geschaffen werden.
Sepp Kusstatscher, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Mit dem europäischen Sozialmodell müssen prinzipiell wohl alle einverstanden sein, zumindest verbal. Wer kann etwas gegen eine gemeinsame Werteordnung haben, gegen Frieden, soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit usw.?
In der EU-Politik gibt es viele schöne Prinzipien und Leitlinien, daneben herrscht allerdings im Alltag eine raue Wirklichkeit. Kurzfristiges Gewinnstreben und oft bedenkenlose Ausbeutung, Konkurrenz usw. Vielfach wird zugeschaut bzw. weggeschaut, wie einige Wenige reicher werden und wie wachsende Bevölkerungsschichten mehr und mehr verarmen.
Die schwersten sozialen Probleme — extreme Armut, Diskriminierung von Emigranten, das harte Los von Langzeitarbeitslosen — werden im Dokument nur angedeutet. Ungleichheit und Ungerechtigkeit werden nicht mit der notwendigen Schärfe aufgezeigt. Schuld daran ist das an und für sich positive Prinzip der Subsidiarität. Wenn die so genannte Harmonisierung in der Wirtschaft als selbstverständlich angesehen wird, dann müsste die EU auch ja sagen zu Harmonisierungen im Sozialbereich — angefangen bei der Angleichung der Steuern bis hin zur Diskussion über Mindesteinkommen, Grundeinkommen, Bürgerlohn —und insbesondere im Rentensystem.
Gerechtigkeit kann nur dann ein gültiges Prinzip in der EU sein, wenn europaweites Recht auch die Schwächsten der Gesellschaft voll in Schutz nimmt!
Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Diese Aussprache ist äußerst wichtig, denn es steht viel auf dem Spiel: das so genannte europäische Sozialmodell, also die wirtschaftlichen, sozialen und Arbeitsrechte, die Jahrzehnte hindurch eine Errungenschaft für die Beschäftigten und Menschen darstellten – eine Tatsache, der die Kommission und dieser Bericht nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Ganz im Gegenteil.
Unterschwellig klingt im Bericht an, dass die Systeme der sozialen Sicherheit die wirtschaftliche Entwicklung behindern und angesichts der demografischen Herausforderungen, der Globalisierung und des weltweiten Wettbewerbs nicht aufrechtzuerhalten sind. Es werden deshalb tief greifende Strukturreformen gefordert, die praktisch zum Zusammenbruch der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit führen, womit wir das bisher wichtigste Instrument zum Schutz der sozialen Eingliederung, im Kampf gegen Armut, Ungleichheiten in der Einkommensverteilung, unsichere Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit sowie zur Förderung der Würde der Arbeitenden abgeben.
Damit wollen die Berichterstatter der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten und der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament die Politik der Zugeständnisse an das europäische Unternehmertum, die Interessen der Wirtschafts- und Finanzgruppen fortführen, indem neue Geschäftsfelder eröffnet werden und ein beträchtliches Finanzvolumen der Rentensysteme in privatwirtschaftliche Hände fließt. Damit wird die Tendenz des immer neoliberaleren Weges der so genannten Lissabon Strategie und des Stabilitätspaktes fortgesetzt.
Das aber ist es nicht, was die mehr als 72 Millionen Menschen, die in Armut leben, und die mehr als 18 Millionen Arbeitslosen erwarten. Notwendig sind Änderungen in diesen Politikbereichen. Das beabsichtigen wir mit den von uns eingereichten Änderungsanträgen, die, so hoffen wir, angenommen werden.
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Auch ich möchte mich meinen Kollegen anschließen und den beiden Berichterstattern für ihre Arbeit an diesem sehr wichtigen Bericht danken. Ich begrüße auch den Kommissar in diesem Hohen Hause, da die Kommission letztendlich einige der Dinge auf den Weg bringen muss, die wir heute hier erörtern.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Aussprache ist die späte Anerkennung folgender Tatsache: Ohne wirtschaftlichen Wohlstand und ohne Arbeitsverhältnisse, die für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen und die daraus erwachsenden Rechte sorgen, ist das Europäische Sozialmodell nicht existent.
Wie mein Kollege, Herr Andersson, zu Recht ausgeführt hat, gibt es nicht nur ein einziges Modell, sondern eine Reihe verschiedener Modelle. Allen gemeinsam ist die Notwendigkeit, dass die Völker in den einzelnen Ländern sowie in der ganzen Europäischen Union sich solidarisch verhalten. Der Gedanke, diejenigen zu schützen, die in unserer Gesellschaft am verletzlichsten sind, ist der eigentliche Kerngedanke, der dem Europäischen Sozialmodell zugrunde liegen sollte. Wenn Sie sich die Liste der Fragen und Bereiche anschauen, die zu berücksichtigen sind, dann wird es natürlich immer Schwierigkeiten geben, ob es nun um Langzeitarbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Frauenarbeitslosigkeit, Sozialfürsorge, Schutz beim Zugang zu Wohnraum, zu Bildung und Ausbildung oder in jüngerer Zeit um die demografische Entwicklung sowie die uns drohende Rentenkrise geht.
Unabhängig davon, wie wir uns um Lösungen für die bestehenden Probleme bemühen, sollten wir aus unseren praktischen Erfahrungen gelernt haben, dass es nicht ein Modell für alle gibt. Diese Modelle müssen flexibel sein, um zu gewährleisten, dass die zentralen Werte höchste Priorität behalten, d. h. der Menschen weiterhin im Zentrum des Sozialmodells steht. Doch auch wenn es um Steuerangleichung oder Harmonisierung des Mindestlohns geht, spricht dies offensichtlich gegen die Schaffung von Gleichheit, da die Länder mit einem aktuell niedrigeren Lohnniveau und einem hohen Grad an sozialer Sicherung ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren könnten, wenn Betriebe und Unternehmen an andere Orte ziehen und Arbeitsplätze verloren gehen. Darum brauchen wir Flexibilität.
Im Großen und Ganzen unterstütze ich den Bericht und freue mich über die darin enthaltenen Anmerkungen. Von großem Belang ist die Notwendigkeit, die Verknüpfung zwischen wirtschaftlicher Leistung und der Schaffung von Wohlstand sicherzustellen, der dann für soziale Maßnahmen aufgewendet werden sollte. Das eine kann ohne das andere nicht existieren, und wenn wir über Steuererhöhungen sprechen, so können Sie die höchsten Steuern der Welt erheben, doch wenn es keine Unternehmen gibt, die Menschen einstellen und Steuern zahlen, dann können Sie anschließend auch keinen sozialen Schutz anbieten.
Derek Roland Clark, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! In diesem Bericht werden zehn verschiedene Themenbereiche behandelt, praktisch alle EU-Bereiche von Frieden und Sicherheit bis zu den Menschenrechten und von Lissabon bis Laeken. Somit ist es ein Anspruch, ein Versuch, eine erst in Ansätzen vorhandene Kultur zu begründen.
In meiner Jugendzeit spielte ich Rugby, und ich erinnere mich an ein Spiel, das schlecht lief. Der Kapitän rief uns zusammen und beschwor uns, mehr Mannschaftsgeist zu zeigen. Eine leere Geste, denn Mannschaftsgeist lässt sich nicht herbeizaubern: er entsteht aus der Spielkultur, in der verschiedene Fertigkeiten miteinander kombiniert werden, wo man füreinander spielt, die Fehler anderer wettmacht, aber auch aus der Mannschaftsstimmung nach einem Spiel.
Aus demselben Grund ergibt es keinen Sinn, uns Berichterstatter zusammenzurufen, damit wir für ein Europäisches Sozialmodell stimmen. Wenn all seine einzelnen Teile, Berichte, Verträge, Bestimmungen, Vorschriften usw. sich lohnen und von allen Nationen in die Praxis umgesetzt werden, dann wird das Europäische Sozialmodell aus eigener Kraft erstehen. Daher ist dieser Bericht irrelevant!
Gemäß Erwägung O des Berichts sollte das Konzept des Sozialmodells im Verfassungsvertrag enthalten sein – es hätte dieselbe Grundlage. Daraus folgt, dass die europäische Verfassung ebenfalls irrelevant ist, also tot!
Der Bericht verweist auf die Rolle und Befugnisse der Mitgliedstaaten, insbesondere deren Rolle bei der Sicherung von Arbeitsplätzen, die zu wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand führen. Er geht auf die Verschiedenartigkeit der EU-Mitgliedstaaten ein und betont, dass wir ihre Traditionen bewahren müssen, was alles heute Morgen durch den finnischen Präsidenten unterstützt wurde. Jedoch wird dies alles beiseite gewischt und geht verloren, wenn die EU sich auf den Wahnsinn einer Verfassung einlässt.
Sie vermuten sicher zu Recht, dass ich die Ernsthaftigkeit dieses Berichts anzweifle, der die Aussage enthält: „empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit und den Austausch der bewährten Praktiken … vertiefen“. Vor einem Jahr habe ich in diesem Hohen Hause gesagt, dass eines der Hauptmerkmale der EU darin besteht, dass jeder Mitgliedstaat seine besten bewährten Praktiken offenlegt, um sie mit den anderen auszutauschen. Als ich dies jedoch im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten im Laufe der Aussprache über die Arbeitszeitrichtlinie sagte und versuchte, eine bewährte Verfahrensweise aus einem Mitgliedstaat, dem Vereinigten Königreich, einzubringen, wurde mir vom Berichterstatter barsch beschieden: „Behalten Sie Ihre Ideen gefälligst für sich!“
Roger Helmer (NI). – (EN) Herr Präsident! Vor einem Jahr stellte der britische Premierminister in einer Rede vor diesem Hohen Hause eine wichtige Frage: Was ist das für ein Sozialmodell, das EU-weit 20 Millionen Arbeitslose hervorbringt? Das war eine gute Frage, und bis jetzt habe ich noch keine Antwort darauf gehört.
Herr Präsident! Das Europäische Sozialmodell ist gut gemeint, es ist mitfühlend, damit soll Gutes erreicht werden und dennoch hat es ein ordnungs- und finanzpolitisches Klima geschaffen, das Unternehmertum verhindert, Wohlstand zerstört und Wettbewerbsfähigkeit untergräbt. Es ist an der Zeit, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen: die Arbeitsplatzsicherheit für den einen bedeutet Arbeitslosigkeit für den anderen. Das Sozialmodell ist zutiefst diskriminierend. Es diskriminiert zugunsten der Arbeitnehmer und zum Nachteil der Beschäftigungslosen. Wenn wir die Ziele von Lissabon erreichen wollen und uns den Herausforderungen der Globalisierung stellen wollen, wenn wir Wachstum und Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand wollen, dann müssen wir damit anfangen, das Europäische Sozialmodell abzubauen.
Csaba Őry (PPE-DE). – (HU) Das Europäische Sozialmodell steht vor gewaltigen Herausforderungen, die in erster Linie auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und soziale Umgestaltungsprozessen zurückzuführen sind. Verschiedene Elemente dieses Wandels wurden heute hier bereits erwähnt.
Meiner Ansicht nach spielt die Schaffung neuer Arbeitsplätze eine ganz entscheidende Rolle. Hierzu muss man, auch mit Blick auf das Sozialmodell, unbedingt betonen: Nur bei mehr Arbeitsplätzen, und das bedeutet – natürlich – die Unterstützung des Mittelstands, kann man überhaupt von Elementen des Wandels im bestehenden Sozialmodell sprechen. Ich war erfreut zu hören, was auch Kommissar Spidla sagte, dass es hier um die Bewahrung europäischer Werte geht. Damit dies gelingt, muss selbstverständlich auch die Struktur des Europäischen Sozialmodells selbst verändert werden. Die entscheidende Frage lautet, mit welcher EU-Strategie und in welchem Tempo kann dieser Wandel herbeigeführt werden?
Hierzu meine ich, wir müssen die EU-Politiken harmonisieren, und ich begrüße insbesondere die im Bericht formulierte Zielsetzung einer verbesserten offenen Koordinierungsmethode, damit nationale Parlamente und das Europäische Parlament aktiver hieran mitwirken können. Ich bin überzeugt, dass in den wichtigen politischen Fragen eine intensivere Zusammenarbeit und gemeinsam vereinbarte europäische Positionen erforderlich sind. Daher sind gemeinsame europäische Erklärungen und auf jeden Mitgliedstaat zugeschnittene Politiken der richtige Weg. Was die künftigen Aussichten anbelangt, da ist die vorliegende Erklärung ausreichend pragmatisch und zeigt deutlich, dass wir zusammenarbeiten müssen. Probleme lassen sich nur lösen, wenn wir unsere Kräfte bündeln, nicht indem wir sie zersplittern.
Für mich ist dies ein guter, vertretbarer Bericht, und ich bitte so viele Abgeordnete wie möglich, am besten aus allen politischen Richtungen, ihn zu unterstützen.
Stephen Hughes (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte beiden Berichterstattern gratulieren, die hervorragende Arbeit geleistet haben.
Während des britischen Ratsvorsitzes im vergangenen Herbst sowie nach dem Sondergipfel in Hampton Court haben die Mitglieder meiner Regierung zwei widersprüchliche Gedanken zur Idee des Europäischen Sozialmodells geäußert. Einerseits sagten sie, dass es so etwas wie ein Europäisches Sozialmodell gar nicht gebe – wir haben 25 verschiedene Sozialmodelle –, andererseits aber, dass ein Europäisches Sozialmodell zwar existiere, es sich aber um ein Phänomen Kontinentaleuropas handele, das ein Klotz am Bein der Volkswirtschaften vieler Mitgliedstaaten darstelle.
Herr Helmer hat uns daran erinnert, was Tony Blair in diesem Hohen Hause erklärte. Genau genommen haben mehrere Minister das Gleiche gesagt und beziehen sich offensichtlich auf die gleiche Vorlage – wollen wir also wirklich ein Sozialmodell, das 20 Millionen in die Arbeitslosigkeit treibt? Wenn Herr Helmer die Aussprache verfolgt hat, dann hätte er eine Antwort zu der Behauptung von Tony Blair vernommen, da dieser Bericht diese Lügen entlarvt. Gleich im ersten wichtigen Absatz wird unterstrichen, dass wir in der Tat ein Europäisches Sozialmodell haben, das eine gemeinsame Werteordnung widerspiegelt, die auf der Wahrung von Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Freiheit und Demokratie sowie der Achtung der Menschenrechte beruht. Der Bericht verweist darauf, dass das Modell alles andere als eine Last oder ein Klotz am Bein ist; die Sozialpolitik soll als wachstumsfördernder Faktor für die Volkswirtschaft der Europäischen Union angesehen werden, und zwar nicht nur durch die Erhöhung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch durch die Schaffung von sozialem Zusammenhalt, die Erhöhung des Lebensstandards für Bürger und die Sicherstellung des Zugangs zu grundlegenden Rechten und Freiheiten. Das ist vollkommen richtig, und wenn wir das in diesem Sinne betrachten, dann wird die Sozialpolitik zu einem produktiven Faktor – unter diesem Leitsatz agierte vor einigen Jahren der niederländische Ratsvorsitz.
Ferner berücksichtigt der Bericht die Meinungen einiger Redner, nämlich dass eine eindeutige Notwendigkeit besteht, das Modell zu modernisieren und an die breite Palette vor uns liegender Herausforderungen anzupassen: den demographischen und technischen Wandel, Globalisierung und so weiter. Die Berichterstatter verweisen auch darauf, dass bei der Reform und Modernisierung des Modells die damit verknüpften Werte erhalten und verbessert werden müssen. Das ist von großer Bedeutung. In Großbritannien schütteln viele Menschen den Kopf angesichts der nach ihrer Meinung zu zögerlichen Fortschritte bei Modernisierungen und Reformen in vielen Ländern Kontinentaleuropas. Sie vergessen allerdings, wie brutal, inhuman und destruktiv die Reformen während der Thatcher-Jahre in Großbritannien verliefen. Viele Länder Kontinentaleuropas versuchen, diese Reformen über einen Konsens zu erreichen und gleichzeitig die dem Europäischen Sozialmodell innewohnenden Werte zu erhalten. So macht man es richtig, und ich bewundere diese Vorgehensweise sehr.
Ein letzter Punkt: Ich bedauere, dass die PPE-DE-Fraktion einen Änderungsantrag zu Absatz 23 eingereicht hat, mit dem ein konkreter Verweis auf die Notwendigkeit gelöscht werden soll, dass die Kommission einen Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge unterbreiten soll. Ich hoffe sehr, dass dieser Änderungsantrag nicht durchkommt, denn wenn wir über diesen Rahmen verfügt hätten, wäre die Dienstleistungsrichtlinie viel leichter durchgekommen. Wir brauchen sie noch immer, und ich hoffe, die Kommission wird der in diesem Bericht enthaltenen Empfehlung folgen.
Bernard Lehideux (ALDE). – (FR) Herr Präsident! Ein Eingreifen Europas wird von unseren Mitbürgern allzu oft als Einmischung in ihren Lebensalltag erlebt. Mit manchem haben sie auch Recht. Doch diejenigen, die die Verfassung abgelehnt haben, wollten nicht sehen, dass mit diesem Text die Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten klargestellt worden wären.
In Wirklichkeit verlangen unsere Mitbürger ein Europa, das auf ihre dringenden und konkreten Belange reagiert, aber nur, wenn es tatsächlich die am besten geeignete Institution dafür ist. In diesem Sinne ist ein soziales Europa eine Priorität von vielen. Wir haben die Pflicht, einen Rahmen vorzugeben, der, wie Sie selbst sagten, Herr Kommissar, modern und ausgewogen ist und der ein hohes Niveau sozialer Standards gewährleistet, während den Mitgliedstaaten immer noch genug Handlungsspielraum bleibt.
Meine Damen und Herren! Wir sollten diese fruchtlosen Debatten zwischen denen, für die der Begriff „sozial“ gleichbedeutend mit dem Wiederaufleben staatlicher Kontrolle ist, und denen, die in seitenlangen Berichten unrealistische und kontraproduktive Maßnahmen vorschlagen, beenden. Wie schon bei der Dienstleistungsrichtlinie müssen wir alle gemeinsam schnellstens daran gehen, diesen Rahmen festzulegen, indem wir beispielsweise damit beginnen, Dokumente zur Arbeitszeit, zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und zum Status der europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft zu verabschieden.
Gabriele Zimmer (GUE/NGL). – Herr Präsident! Es ist schade, dass der vorliegende Bericht über ein europäisches Sozialmodell für die Zukunft uns nicht viel weiterhilft. Keines der existierenden Sozialmodelle innerhalb der EU ist bisher auch nur im Ansatz dem Anspruch nachgekommen, Bedingungen dafür zu schaffen, dass jeder Mensch auch wirklich ein selbstbestimmtes Leben in Würde innerhalb der EU führen kann. Die Überwindung von Armut, der Abbau sozialer Spaltungen, energisches Vorgehen zum Klimaschutz sind aus meiner Sicht die größten Herausforderungen, auch für den EU-Binnenmarkt.
Die Wirtschafts- und Währungsunion ist deshalb aus meiner Sicht durch eine Europäische Sozialunion zu ergänzen. Schritte dafür könnten sein: Erstens, die Schaffung eines Mechanismus gegen Sozialdumping, zweitens die Festlegung von europaweiten sozialen Mindeststandards, drittens die Errichtung armutsfester europäischer Sozialsysteme. Leider enthält der vorgelegte Bericht über ein europäisches Sozialmodell der Zukunft keine substanziellen Vorschläge, die auf ein tatsächlich solidarisches und soziales Europa zielen.
Ģirts Valdis Kristovskis (UEN). – (LV) Ich möchte feststellen, dass dieser Bericht natürlich einige begründete Aussagen und recht unangenehme Prognosen enthält. Doch ich möchte nicht darüber, dass die EU-Mitgliedstaaten jeweils sozial unterschiedlich angelegte Sozialsysteme haben, sondern über zwei bestimmte Gruppen von Menschen sprechen. Ich vertrete ein Land, in dem Menschen leben, die mitgeholfen haben, die Folgen der Katastrophe von Tschernobyl zu bewältigen, und diese Menschen brauchen jetzt Hilfe. Bisher haben sie sich an der Bewältigung dieses Unglücks in dem Bewusstsein beteiligt, dass sie Menschen helfen, dass sie der Ukraine und damit auch Europa helfen. Heute hat der lettische Staat nicht genügend Mittel. Das Sozialsystem Lettlands ist nicht in der Lage, diesen Menschen zu helfen, jetzt, da sie Invaliden sind.
Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Menschen aus Lettland und anderen baltischen und osteuropäischen Staaten, die im Gefolge der Besetzung durch die UdSSR in Konzentrationslager geschickt wurden. Diese Menschen konnten kein normales Leben führen, eine Ausbildung war ihnen versagt, sie lebten in Sklaverei und leisteten Sklavenarbeit. Deshalb ist es heute mit den Mitteln, die Lettland und den anderen baltischen Staaten zur Verfügung stehen, nicht möglich, die Wiedereingliederung dieser Menschen in die Gesellschaft zu erreichen. Wenn wir nun vom europäischen Sozialmodell und von Solidarität sprechen, dann sollte meines Erachtens dieses Modell auch einen zusätzlichen Schutz für diese Gruppen umfassen, der zudem staatenübergreifend ausgerichtet ist und nicht nur von einem Land getragen wird, also von Ländern, die schon zu den ärmsten in Europa gehören.
VORSITZ: LUIGI COCILOVO Vizepräsident
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Wir müssen zugeben, dass wir das Thema Wohlfahrtsstaat in der Tat nicht ganz richtig angegangen sind. Die Wahrheit ist, dass wir vor etlichen Jahren eine große Sache festgeschrieben haben, ohne vorauszusehen, dass die Lebenserwartung der Menschen steigt. Zu jener Zeit, vor vierzig Jahren, bedeutete ein Infarkt den Tod; heute wird ein Infarkt mit einer Routineoperation behandelt.
Ebenso haben wir vor einigen Jahren, das heißt vor zehn Jahren, als wir das Welthandelsabkommen unterzeichnet haben, nicht daran gedacht, dass unsere Erzeugnisse durch die Sozialabgaben belastet werden, während auf den Produkten, die von den Indern und Chinesen hergestellt werden, die die Hälfte des Arbeitskräftepotenzials der Welt ausmachen, keine solche Belastungen liegen. Infolgedessen überschwemmen chinesische Erzeugnisse Europa, schließen Unternehmen, und in naher Zukunft werden wir nicht mehr in der Lage sein, diesen Wohlfahrtsstaat aufrechtzuerhalten.
Die Wahrheit ist, dass wir entweder bankrott gehen oder als Bürger nicht mehr solche Sicherheit haben werden. Das sind die Tatsachen. Wir müssen daher zusehen, wie wir uns mit dieser Situation realistisch auseinander setzen können. Wir machen den Menschen etwas vor. Wir werden nicht im Stande sein, unser Wort zu halten.
Jetzt sagen wir, holen wir uns doch die nötigen Mittel von den Arbeitgebern, obwohl diese angesichts der chinesischen und indischen Produkte bereits in die Knie gegangen sind. Deshalb müssen wir den Tatsachen ins Auge schauen. Die Technologie sollte uns den Weg weisen. Vor vierzig Jahren, als ich noch ein Kind war, gingen wir im Sommer zur Arbeit aufs Feld, und 50 Menschen beackerten eine Fläche von 20 Ar. Jetzt macht das eine Maschine mit einem Arbeiter.
Durch die Technologie gehen Arbeitsplätze verloren. Wie können wir also diesen Lebensstandard heute sicherstellen? Wir müssen Wege finden, die außerhalb dieser Denkweise liegen. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir einen Fehler begangen haben, als wir es vor zehn Jahren bei den Welthandelsabkommen versäumt haben, diese Parameter, nämlich ihre billigen Produkte, die heutzutage den Markt überschwemmen und unsere Erzeugnisse aus den Regalen verbannen, zu berücksichtigen.
Das war ein schwerer Fehler, für den wir bezahlen müssen. Wir sollten den europäischen Bürgern die Wahrheit sagen: dass es uns nicht gelingen wird, die Chinesen zu Europäern zu machen, und wir daher leider gezwungen sein werden, die Europäer zu Chinesen zu machen.
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! Ich würde gern aus der Sicht eines Bürgers eines neuen Mitgliedstaats über das Europäische Sozialmodell sprechen. Es heißt, Wissenschaftler hätten vier verschiedene Modelle gefunden, und zwar das skandinavische, das angelsächsische, das kontinentale und das mediterrane Modell. Sie unterscheiden sich voneinander, haben aber auch einige Gemeinsamkeiten. Ich würde ein weiteres Modell hinzufügen, das postkommunistische Modell, das zu keinem der anderen passt. Das postkommunistische Modell ist gekennzeichnet durch die Abwesenheit eines wie auch immer gearteten Modells, wo Beschäftigte von Supermärkten bis zehn Uhr abends, auch am 1. Mai, oder 24 Stunden täglich für 200 Euro im Monat arbeiten.
Daher liegt die Schaffung eines neuen Sozialmodells, das überall in Europa das gleiche ist und das zumindest einen Grundschutz gewährleistet, vor allem im Interesse der Bürger der neuen Mitgliedstaaten. Leider ist gerade in den neuen Mitgliedstaaten die Kluft zwischen der Qualität der Arbeit und ihrer Bezahlung am größten. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist schlecht. Es mangelt an einem Mindestmaß an sozialer Absicherung für Menschen mit unzureichenden Einkommen, die Leistungen bei Erwerbsunfähigkeit und die Renten sind sehr niedrig, und es besteht auch ein verstecktes Gebührensystem für den Zugang zu Hochschulbildung.
Leider gibt es in den neuen Mitgliedstaaten die wenigsten Arbeitsplätze, und die vorhandenen sind von schlechter Qualität, die Bezahlung liegt bei 200 bis 500 Euro im Monat, während die Lebenshaltungskosten fast genauso hoch sind wie im übrigen Europa. Bedauerlicherweise hat Polen, das Land der Gewerkschaft „Solidarność”, das niedrigste Schutzniveau der Arbeitnehmerrechte in der gesamten Europäischen Union. Ich hoffe, das Europäische Sozialmodell wird dafür sorgen, dass unsere ärmsten Bürger die Nachricht über eine weitere Erweiterung oder die Einführung des Euro nicht fürchten müssen.
In dieser Hinsicht ist es für uns alle wichtig, dass die Europäische Union eine größere Rolle spielt. Ziel des Europäischen Sozialmodells sollte es sein, das Vertrauen in die europäischen Institutionen zu stärken, vor allem das der ärmsten Bürger.
Thomas Mann (PPE-DE). – Herr Präsident! Zwei Kollegen aus unterschiedlichen Fraktionen verfassen gemeinsam einen Bericht über die Zukunft des europäischen Sozialmodells. Eine Arbeit, die sich gelohnt hat! Das europäische Sozialmodell definiert die Einheit der Werte, aber auch die Vielfalt der nationalen Systeme. Zur Werteorientierung zählen Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen, aber die Umsetzung ist Sache der Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen Modellen — dem nordischen oder dem angelsächsischen, dem kontinentalen oder dem mediterranen. Die nationalen Sicherungssysteme aber sind hochgradig gefährdet angesichts der Globalisierung und der besorgniserregenden demografischen Entwicklung.
Hier müssen umfangreiche Reformen stattfinden, um eine nachhaltige Finanzierung zu sichern. Systeme müssen dynamischer werden, dürfen nicht mehr so starr bleiben. Ich begrüße im Bericht die Förderung der KMU, die nach wie vor die meisten der Ausbildungs- und Arbeitsplätze sichern, und den innovativen Ansatz der Flexicurity, also flexible Arbeitsmärkte und moderne Arbeitsorganisation und gleichzeitig Sicherheit und sozialer Schutz.
Nicht nur aus Sicht der Deutschen in der EVP-ED-Fraktion gibt es aber drei Problembereiche. Erstens: in den Ziffern 13 und 14, wo es um die Methode der offenen Koordinierung geht. Diese darf nicht zu einem neuen Gesetzgebungsverfahren führen und ist erst dann akzeptabel, wenn sie sich auf den Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken beschränkt. Die nationalen Parlamente und die Sozialpartner müssen einbezogen werden.
Zweitens geht es um Ziffer 23, in der dringlich eine Rahmenrichtlinie — Stephen Hughes — für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gefordert wird, ein völliger Widerspruch zum aktuellen Beratungsstand.
Drittens: Der Globalisierungsfonds in Ziffer 31. Wir lehnen eine europaweite Finanzierung von Firmenverlagerungen ab. Wir brauchen weder umfangreiche Genehmigungsverfahren noch neue Bürokratien, und erst recht keine Privatisierung von öffentlichem Kapital. Akzeptabel sind nur Maßnahmen zur Weiterbildung und Umschulung der von der Globalisierung betroffenen Arbeitnehmer. Hierfür rechnen wir mit der Unterstützung dieses Hauses, um dann dem Bericht insgesamt zustimmen zu können.
Alejandro Cercas (PSE). – (ES) Herr Präsident! Ich möchte zunächst die Kollegen beglückwünschen, die diesen Bericht über eine so wichtige Frage erarbeitet haben, die im Mittelpunkt des europäischen Aufbauwerks steht. Es ist ein sehr positiver Bericht, weil es den großen politischen Familien in diesem Parlament und der breiten Mehrheit der Abgeordneten gelungen ist, einen gemeinsamen Ansatz und eine gemeinsame Verpflichtung weiterzuentwickeln. Meines Erachtens ist dies heute eine sehr passende Gelegenheit, um noch einmal zu erklären, dass der überwiegende Teil der Mitglieder dieses Parlaments die offenen Märkte und das europäische Sozialmodell als Teil eines unteilbaren Ganzen ansieht und dies auch künftig tun wird.
Ein gut durchdachter und vernünftiger Bericht; ein durchdachter Bericht mit einem Blick in die Vergangenheit, der zeigt, dass wir mit unserem Modell den größten Raum des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in Europa und die wichtigste Etappe bei diesem Fortschritt erreicht haben, und ein vernünftiger Bericht, weil er uns in die Lage versetzt, nicht nur defensiv, sondern auch offensiv in die Zukunft zu schauen, um die großen Herausforderungen der Globalisierung erfolgreich zu meistern. Und warum sollte man nicht betonen, dass es im Bericht auch gelungen ist, den von der Union zu diesem Modell beigetragenen Mehrwert hervorzuheben. Europa hat in diesem Modell natürlich nicht den Ehrgeiz, die Aufgaben der Mitgliedstaaten zu übernehmen, auch wenn es die erforderlichen rechtlichen Kompetenzen besitzt, um die zur Erreichung der vergemeinschafteten Ziele der Beschäftigung und des sozialen Wohlergehens notwendigen Aktionen zu ergänzen und zu fördern.
Wir haben viele Instrumente, darunter die Gesetzgebung, mit deren Hilfe wir in der Lage sind, die wichtigsten Ziele und Grundrechte der Arbeitnehmer zu verteidigen und Sozialdumping zu verhindern. Wir fordern eine neue Form der Globalisierung für die ganze Welt – eine Welt, in der wir nicht dieses Sozialdumping haben, das von Instrumenten begleitet wird, die sich gegen die Bedingungen der Arbeitnehmer richten; die Union muss verhindern, dass diese Erscheinung in ihrem Territorium auftritt.
Herr Präsident! Abschließend möchte ich meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass unser reformiertes Modell Zukunft hat, doch diese Sicherheit geht einher mit einer anderen Gewissheit: Auch das wirtschaftliche Europa wird keine Zukunft haben, wenn sein Sozialmodell nicht geachtet wird.
Elizabeth Lynne (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich mich grundsätzlich dagegen aussprechen, dass die beiden größten Parteien gemeinsame Berichte verfassen. Ich habe das Gefühl, dass damit andere Parteien von vornherein ausgeschlossen werden.
Was diesen Bericht betrifft, so ist er generell in Ordnung. Es freut mich – auch wenn es rechthaberisch klingen mag –, dass die Subsidiarität Erwähnung findet und wir nicht die EU, sondern die Mitgliedstaaten zum Handeln aufrufen. Allerdings hege ich schwere Bedenken, was die Diskussion über ein Europäisches Sozialmodell an sich betrifft. Ich weiß, wir haben gemeinsame Ziele, jedoch haben wir keine gemeinsamen Systeme in den Mitgliedstaaten – wie bereits erwähnt wurde –, um diese Ziele zu erreichen. Ich halte sie im Übrigen auch nicht für notwendig, daher meine Bedenken.
Ich weiß, dass andere darauf bereits eingegangen sind, aber ich möchte nicht, dass bei Verabschiedung des Berichts der Gedanke aufkommt, dass wir einem einheitlichen Europäischen Sozialmodell das Wort reden, anstatt die Vielfalt zu respektieren, die wir momentan zu verzeichnen haben. Gemeinsame soziale Ziele – ja; ein gemeinsames Sozialmodell – nein.
Mary Lou McDonald (GUE/NGL). – (EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich sagen, dass ich diese Aussprache begrüße. In Diskussionen um das Europäische Sozialmodell oder die Sozialpolitik sind stets zwei Standardplatitüden zu vernehmen. Die erste lautet, dass das Herzstück des Projekts ein soziales Europa ist, die zweite, dass man lediglich wirtschaftliche Ressourcen schaffen muss und schon kommt die Flut und bringt alle Boote zum Schwimmen. Beide Vorstellungen sind ausgesprochen unglaubwürdig, und wenn Sie einen Blick auf die Zahlen in puncto Armut, Obdachlosigkeit und soziale Entwurzelung werfen, dann werden Sie verstehen warum.
Tatsache ist, dass das soziale Europa eher eine „Verzierung“ oder „schmückendes Beiwerk“ für das breiter angelegte Planspiel dieser Union war. Wenn wir eine reale und fruchtbare Diskussion über Sozialpolitik führen wollen, dann sollten wir uns nach meiner Ansicht den Grundsatzfragen und den schwierigen Fragen in Bezug auf die makroökonomische Politik der EU widmen. Wie wirken sich Liberalisierung und Privatisierung auf diejenigen aus, die an den Rand gedrängt werden? Wie steht es um die schleichende Verabschiedung vom Wohlfahrtsstaat? Und wen verwundert die offenkundige Kluft zwischen dem europäischen Bürger und der Europäischen Union, wenn wir mit unserer Politik die Menschen entrechten?
Ich hoffe sehr, dass dieser Bericht als Aufhänger für die viel ausführlichere Diskussion und Analyse dient, die wir für erforderlich halten.
Jana Bobošíková (NI). – (CS) Sehr geehrte Damen und Herren! Wie die Erfahrung uns eindeutig lehrt, ist das europäische Wirtschaftsmodell nicht nachhaltig, sogar in starkem Maße. Das Sozialmodell sollte als Sicherheitsnetz oder als Sprungbrett für die Bürger dienen, die wegen vorübergehender Schwierigkeiten, des Alters oder Krankheit nicht arbeiten können. Gleichwohl hat es sich in eine komfortable Ruhestätte für diejenigen verwandelt, die nicht arbeiten wollen. Das europäische Sozialmodell übt sich in hochgeistigem Populismus und ist in zahlreichen Ländern verschuldet. Es ermuntert nicht zu persönlicher Verantwortung, es motiviert die Menschen nicht zu besseren Qualifikationen und Leistungen, es fördert Faulheit und Verantwortungslosigkeit, macht die Menschen passiv und gleichgültig, und letzten Endes führt es dazu, dass sich Unternehmen aus der EU verabschieden, was in den Mitgliedstaaten die Arbeitslosigkeit ansteigen lässt.
Das derzeitige populistische Sozialsystem verhilft den Politikern zweifellos zu Wahlgewinnen, aber es sichert in Zukunft nicht den Wohlstand unserer Bürger. Es muss klipp und klar gesagt werden, dass das europäische Sozialmodell kein, wie uns die Politiker glauben machen wollen, gegebenes Recht ist. Es ist lediglich ein zeitweiliger Bonus, der aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erwächst.
Mihael Brejc (PPE-DE). – (SL) Es herrscht weitgehend Einvernehmen darüber, dass es in Europa kein einheitliches Sozialmodell gibt, sondern 25 verschiedene. Klar ist auch, dass Sozialpolitik in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Vor diesem Hintergrund lautet die Frage nicht, ob das einheitliche Modell erreicht werden kann, sondern vielmehr, ob es überhaupt sinnvoll ist, danach zu streben.
Ich halte es für wichtig, dass der vorliegende Bericht bestimmte gemeinsame Grundwerte und -ziele europäischer Sozialmodelle hervorhebt, nämlich Gleichheit, Nichtdiskriminierung, Solidarität sowie allgemeinen Zugang zu Bildung, Gesundheitsfürsorge und anderen öffentlichen Dienstleistungen. Für unsere Bürger sind dies die wesentlichen Merkmale sowohl einer erfolgreichen Wirtschaft als auch einer gerechten Gesellschaft. Deshalb bemühen sich die Mitgliedstaaten um die weitere Harmonisierung von Wirtschaftlichkeit, Wettbewerb und sozialer Gerechtigkeit. Natürlich unterscheiden sie sich hierbei in der Art und Weise ihres Vorgehens.
Sozialpolitik ist keine wirtschaftliche Belastung, sondern ein positiver Aspekt des Wirtschaftswachstums der Europäischen Union, denn sie schafft sozialen Zusammenhalt, hebt den Lebensstandard und garantiert Grundrechte und Gleichheit. Sozialpolitik ist ein wichtiger Faktor des sozialen Friedens, der politischen Stabilität und des wirtschaftlichen Fortschritts.
Genau darum geht es in diesem Bericht, der die Reformierung der Wirtschafts- und Sozialsysteme fordert, um sie auf die Herausforderungen des demografischen Wandels, der Globalisierung und der raschen technologischen Entwicklung einzustellen. Selbstverständlich spielt die Europäische Union hierbei eine wichtige Rolle, indem sie die einzelnen Schritte zur Umsetzung der Lissabonner Strategie koordiniert, gemeinsame Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung erarbeitet und ein gewisses Maß an Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherheit gewährleistet. Der Bericht stellt fest, soziale Sicherheit sei weder die Domäne der Rechten noch der Linken, sondern für eine moderne Gesellschaft unverzichtbar.
Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union sucht das für ihn beste Modell, und der vorliegende Bericht bietet geeignete Impulse und eine Grundlage für Veränderungen der Sozialmodelle der Mitgliedstaaten. Ich danke beiden Berichterstattern.
Françoise Castex (PSE). – (FR) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte den beiden Berichterstattern für ihre Arbeit meine Anerkennung aussprechen. Mit diesem Bericht, der – das möchte ich unterstreichen – vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten unterstützt wird, vollziehen wir einen großen Schritt hin zur Definition eines Europäischen Sozialmodells: eine ausgewogene Kombination der wirtschaftlichen Erfordernisse und der unerlässlichen Belange der sozialen Gerechtigkeit.
Zu viele Europäer leiden darunter, dass die Europäische Union sie nicht schützt, ihre öffentlichen Dienstleistungen nicht bewahrt und den Folgen der Globalisierung nicht genug Aufmerksamkeit schenkt. Viele sehen die grundlegendsten strukturellen Elemente ihres Sozialmodells bedroht. Angesichts dieser Befürchtungen haben wir natürlich die Verantwortung, bestehende Werte zu sichern, aber auch, unsere Willensstärke anhand konkreter Maßnahmen zu beweisen. Es widerspräche unseren Werten und wäre auch nicht sinnvoll, wenn wir uns an den niedrigsten Arbeitskosten, den gefügigsten Arbeitnehmern, den geringsten Abgaben und den laschesten umwelt-, sozial-, gesundheits- und wohlfahrtspolitischen Standards unserer Wettbewerber orientieren würden. Vielmehr tragen doch unsere Identität und unsere Stärke zum hohen Niveau unser bestehenden Normen in der Produktion bei.
Dieser Bericht zeigt, dass wir, über unsere Differenzen hinaus, gemeinsam einer Gesellschaft verbunden sind, die nicht nur vom Marktgesetz bestimmt wird, sondern auch von Solidarität und Umverteilung und vom Schutz unserer Mitbürger, also unserem Humankapital, unserem wertvollsten und wichtigsten Kapital. Europa hat gezeigt, dass soziale Sicherheit, der Schutz vor den Risiken des Lebens und das Recht auf Ruhestand für jedermann die Grundelemente eines Konzepts sind, das gut für die Bürger, für die Gesellschaft und für die Wirtschaft ist und das uns auch in Zukunft Richtschnur für unseren Weg sein wird.
Jan Jerzy Kułakowski (ALDE). – Herr Präsident! Wir beraten ein sehr wichtiges Thema, auch wenn ich sicher bin, dass wir es nicht sorgfältig genug behandelt haben und in der Zukunft wieder darauf zurückkommen müssen. Dennoch möchte ich meine Anerkennung für die Arbeit der Berichterstatter und ihre Leistung zum Ausdruck bringen.
Ich gehöre zu denen, die der Ansicht sind, dass es ein Europäisches Sozialmodell gibt. Es ist aber eher heterogen als monolithisch. Es ist ein Modell mit unterschiedlichsten Erfahrungen auf einem Fundament gemeinsamer Werte. Dieses Modell muss verbessert und an die heutigen Herausforderungen angepasst werden, die Verbesserung darf jedoch nicht zu seiner Schwächung führen.
Dies sind die wichtigsten Schlussfolgerungen, die wir meines Erachtens aus dieser überaus wichtigen Aussprache ziehen sollten.
Philip Bushill-Matthews (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Der Ko-Berichterstatter, Herr De Rossa, hat von der Notwendigkeit einer „menschenwürdigen Gesellschaft“ gesprochen. Diese Formulierung wurde vom Rat in ganz ähnlicher Weise wiederholt, als dieser von notwendiger „sozialer Gerechtigkeit“ sprach. Ich hoffe, dass sich alle Seiten dieses Hohen Hauses über den Stellenwert dieser Formulierungen einig sind und damit bestätigen, dass sie nicht nur hohle Phrasen sind, sondern Ideen mit realer Bedeutung. Zudem hoffe ich, dass auf beiden Seiten dieses Hauses die Wichtigkeit einer echten sozialen Teilhabe aller Bürger anerkannt wird. Anders gesagt, sollten diese Formulierungen nicht nur berufstätige Menschen oder arbeitsunfähige Menschen betreffen, sondern auch Menschen, die arbeiten wollen, aber keine Arbeit finden können, da ihr Weg zu hürdenreich ist.
Daher möchte ich neben dem ersten Ko-Berichterstatter auch dem zweiten Ko-Berichterstatter, Herrn Silva Peneda, gratulieren. In seiner Rede ging er auf die Reformbedürftigkeit des Sozialmodells ein. Diese Formulierung wurde vom Kommissar aufgenommen, der sich selbst zur Notwendigkeit von Reformen äußerte. Was mich an der Rede des Kommissars besonders beeindruckte, war seine Äußerung, dass der Status quo keine Option sei. Er bezog sich konkret auf die 20 Millionen Arbeitslosen, da diese uns faktisch ständig an die größte aller sozialen Ungerechtigkeiten mahnen. Es muss etwas getan werden, und wir müssen dabei helfen.
In meinen Augen ist „Reform“ das Schlüsselwort. Ich habe mit der Unterstützung von etwa einem Dutzend Kollegen aus verschiedenen Ländern einen Änderungsantrag vorgelegt, wonach in Änderungsantrag 1 in Erwägung F die Formulierung „Modernisierung und Reform“ eingefügt werden soll. Erfreulicherweise hat Herr Hughes mir heute Nachmittag bestätigt, dass die PSE-Fraktion diesen Wortlaut unterstützen wird. Wir haben als Parlament die Chance zu zeigen, dass wir alle diese Formulierung unterstützen und dass sie keine Leerformel ist, sondern Substanz hat. Unsere Wähler wollen Reformen. Lassen Sie uns morgen demonstrieren, dass wir sie wollen und dass wir auch dafür stimmen werden.
Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident! Es freut mich sehr, dass ich noch einmal kurz auf die bisherigen Äußerungen eingehen darf.
Ich muss sagen, ich bin erleichtert, dass Herr Clark und Herr Helmer den Bericht irrelevant finden, denn es stand zu befürchten, dass ich bei so viel Lob für den Bericht etwas falsch gemacht haben könnte, wenn er selbst ihnen gefallen hätte. Das macht mich sehr froh.
Es stimmt mich neugierig und perplex, dass einige meiner linken Kollegen aus der GUE/NGL-Fraktion diesen Bericht ebenfalls für irrelevant halten, aber vielleicht ist das eine Reaktion auf meine Äußerung, dass die Kluft zwischen links und rechts sich in dieser unserer modernen Welt ändert, und dass es zwar immer noch Differenzen gibt, aber die Grenzen sich verschieben.
Herr Crowley hat den Bericht begrüßt. Allerdings erlaube ich mir zu sagen – auf die Gefahr hin, eine Stimme zu verlieren –, dass er den Bericht eventuell missverstanden hat, da die Frage der Unterstützung der Armen als Teil des Europäischen Sozialmodells zwar wichtig ist, ich jedoch nicht – wie offenbar er – die Theorie befürworte, dass die steigende Flut alle Boote zum Schwimmen bringt, denn dies ist eigentlich nicht der Fall. Wir haben nicht die Zeit, hier ins Detail zu gehen. Was jedoch meines Erachtens diesen Bericht wirklich ausmacht, ist die Tatsache, dass die Sozialpolitik für ein blühendes Europa unabdingbar ist und dass es hier nicht um ein Entweder-oder geht oder der eine darauf wartet, was der andere beiträgt. Vielmehr müssen beide etwas beitragen, und wir müssen Wege finden, dies über Reformen zu erreichen.
Iles Braghetto (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere sozialen Sicherheitssysteme geraten offenbar immer mehr in Schwierigkeiten. Wiederholte Wirtschaftskrisen, demografische Veränderungen und Einwanderungsprozesse zwingen uns, das europäische Sozialmodell zu überdenken, auch weil in der Europäischen Union die reichsten und am stärksten entwickelten Gebiete der Welt neben anderen bestehen, die durch vorindustrielle Armuts- und Entwicklungsniveaus gekennzeichnet sind. Deshalb suchen wir nach einem Modell, mit dem Entwicklung und Wohlstand auf den Vorteil aller ausgerichtet werden können. Durch welche Merkmale soll dieses Modell geprägt sein? Ins Zentrum der Beziehungen zwischen Menschen, Gesellschaft und Staat muss dass Subsidiaritätsprinzip gerückt werden, damit alle europäischen Bürger ihre durch tolerante Institutionen garantierten Freiheiten ausüben können.
Die soziale Solidarität muss gefördert werden, damit der gesellschaftliche Fortschritt und die Mehrung des Reichtums zu Prozessen werden, die durch die Achtung der Würde des Einzelnen und die Hilfe gesellschaftlicher Gruppen für in Bedrängnis geratene Menschen beherrscht werden. Das darf weder der ausschließlichen Rolle der öffentlichen Institutionen noch den Selbstregulierungsmechanismen des Marktes überlassen werden, sondern hier ist eine dreifache Solidarität gefragt: die individuelle Solidarität durch Verbreitung positiver Werte in der Bevölkerung; die Solidarität gesellschaftlicher Gruppen, die sich in sozialen Netzen organisieren; und die Solidarität der Institutionen mit wenigen essenziellen und allgemein akzeptierten Regeln in einem Staat, der alle Kräfte der Gesellschaft zu nutzen vermag.
Auch die europäischen Unternehmen sind Teil dieser Architektur, denn die Vollbeschäftigung ist eine tragende Säule des Sozialmodells; besonders wichtig sind die kleinen und mittleren Unternehmen als Rückgrat eines Systems, in dem sich wirtschaftlicher Unternehmergeist mit der Solidarität des Sozialgefüges verbindet, um ein neues europäisches Sozialmodell zu entwickeln, das in der Vielfalt der Formen und Organisationssysteme Wohlstand für alle schafft.
Ana Mato Adrover (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Dieser Bericht über ein europäisches Sozialmodell für die Zukunft, den wir heute diskutieren und bei dem ich insbesondere den Konsens hervorheben möchte, der zwischen den beiden großen Fraktionen erreicht wurde – und ich möchte besonders Herrn José Silva Peneda und Herrn Proinsias de Rossa erwähnen, die viel Engagement gezeigt haben –, ist eine gute Nachricht, denn er soll einen Beitrag zur Solidarität, einem stärkeren sozialen Zusammenhalt, einer besseren Lebensqualität und einer nachhaltigeren Zukunft der Sozialversicherungssysteme Europas leisten.
Es steht außer Frage, dass das Europa der Bürger, das wir alle anstreben, immer mehr abgestimmte Maßnahmen erfordert, mit denen wir die vor uns stehenden neuen Aufgaben bewältigen können. Zum Beispiel zwingt uns der demografische Wandel mit einer höheren Lebenserwartung, von dem heute Nachmittag hier gesprochen wurde, fraglos zur Anwendung neuer Politiken, und zwar nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern auch in der Sozial- und Gesundheitsversorgung, die uns die Möglichkeit geben, die höhere Lebenserwartung mit einer besseren Lebensqualität zu verbinden.
Vollbeschäftigung, Zeitarbeit, Jugend- und Frauenarbeitslosigkeit verlangen eine ehrgeizige Beschäftigungspolitik, die die Stabilität und Sicherheit von Arbeitsplätzen fördert. Das Gleiche gilt für die Einbeziehung der Frauen in das Arbeitsleben, wo wir innovative Formeln für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung brauchen. Wir müssen uns auch mit der Einwanderung befassen, die ich mehr als Herausforderung denn als Problem betrachte. In diesem Sommer erleben wir stärker als je zuvor das Drama der Einwanderung in meinem Land, das ernste menschliche Probleme verursacht. Unbeschadet der Haltung der sozialistischen spanischen Regierung, die falsche Erwartungen geweckt und damit zur Verschärfung dieses ernsten Problems beigetragen hat, betrifft diese Situation ganz Europa und fordert daher von uns kooperative und wirksame Maßnahmen.
Meines Erachtens ist es wichtig, dass wir über eine europäische Einwanderungspolitik nachdenken, und es kommt darauf an, dies heute zu sagen, wenn wir über das europäische Sozialmodell sprechen, weil das Phänomen der Einwanderung große Auswirkungen auf das europäische Sozialmodell in ganz Europa haben wird. Ich glaube daher, dass wir unter Berücksichtigung aller Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, und insbesondere dem der Einwanderung, weiter an diesem europäischen Sozialmodell arbeiten müssen.
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke für die Möglichkeit, bei dieser überaus lebhaften Aussprache, in der das europäische Sozialmodell aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wurde, zugegen sein zu dürfen. Ich glaube, meine Meinung folgendermaßen zusammenfassen zu können: Die Stimmen gegen das europäische Sozialmodell sind offensichtlich sehr stark in der Minderheit, während sich eine Mehrheit für das europäische Sozialmodell als bedeutenden Faktor in unserem Leben ausgesprochen hat. Letztere steht für die Auffassung, die, ganz allgemein gesagt, von der Kommission vertreten wird.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal auf einige wesentliche Punkte zurückkommen, die in dieser Aussprache angeschnitten wurden, so dass ich in der mir zugewiesenen Zeit die wichtigsten Bereiche herausstellen kann. Nach meinem Dafürhalten gilt es anzuerkennen, dass die EU selbst ein sehr ursprüngliches Produkt, ein sehr ursprüngliches politisches Gremium ist, das sich nicht so leicht mit den Worten beschreiben lässt, die in der Politikwissenschaft üblich sind. Es ist unangebracht, sie als internationalen Vertrag zu bezeichnen oder von ihr in den üblichen politischen Termini zu reden. Dasselbe gilt auch für das europäische Sozialmodell, das zu komplex ist, um es auf ein einfaches Thema zu reduzieren. Deshalb gebührt meine Anerkennung den Berichterstattern, die einen Text erarbeitet haben, der diese Frage meines Erachtens überaus gründlich beleuchtet.
Ein weiteres wichtiges Thema dieser weit reichenden Aussprache war die Erkenntnis, dass das europäische Sozialmodell nicht eine rein statistische Einheit ist, sondern sich, ganz allgemein gesprochen, auf aktive Beteiligung und mitunter auf Arbeit gründet. Denn, meine Damen und Herren, Arbeit ist, wie wir heute vernommen haben, mehr als nur ein Job. Sie hat einen klar definierten ethischen Charakter, und eben diese ethische Tätigkeit und ethische Solidarität stützen das Sozialmodell, eine Tatsache, die in der Debatte deutlich geworden ist.
Meine Damen und Herren, mit Spannung erwarte ich das Ergebnis Ihrer Abstimmung, und, wie gesagt, viele der von der Kommission bereits konzipierten Ansätze und Positionen decken sich mehr oder weniger mit dem, was hier erörtert worden ist. Ihnen, meine Damen und Herren, sowie den Herren Silva Peneda und de Rossa möchte ich herzlich dafür danken, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, an dieser Aussprache teilzunehmen.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Mittwoch um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Gábor Harangozó (PSE). – (EN) Die Reform des Europäischen Sozialmodells steht heute im Zentrum der Diskussionen in Europa. Der soziale Wandel stellt uns nämlich vor zahlreiche Herausforderungen, die aus der Notwendigkeit resultieren, sich auf die Globalisierung, den demographischen Wandel und technische Innovationen einzustellen. In dieser Phase unterstützen wir den Berichterstatter in seiner Äußerung, dass die Union eine gemeinsame Werteordnung, also Wahrung von Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Freiheit und Demokratie sowie der Achtung der Menschenrechte, nicht nur bewahren, sondern verbessern sollte. Dabei sollte sie im Auge behalten, dass die unerlässliche Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit wirtschaftlicher Wohlstand ist. Die Union muss die Erwartungen ihrer Bürger erfüllen und den wachsenden Sorgen in Bezug auf die Beschäftigung, die derzeit niedrige Wachstumsquote und die Notwendigkeit von Reformen der Sozialsysteme begegnen. Der Berichterstatter unterstreicht zu Recht, dass es an der Zeit ist, eine EU-weite Wiederaufnahme des sozialen Dialogs zu fordern und empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit und den Austausch erfolgreicher Konzepte durch die verbesserte offene Koordinierungsmethode vertiefen und damit ein wirksames politisches Instrument in den Bereichen Beschäftigung, soziale Sicherung, soziale Ausgrenzung, Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt, Ruhegehälter und Gesundheitsfürsorge bereitstellen.
José Ribeiro e Castro (PPE-DE). – (PT) Es ist unbestreitbar, dass das europäische Sozialmodell ein Schlüsselfaktor des Wiederaufbaus des demokratischen Europas in der Nachkriegszeit war und dass von seinem Erfolg viele Millionen Menschen profitierten.
Ebenso unbestreitbar ist, dass das in einer Zeit der Überbevölkerung und relativen kommerziellen und industriellen Unbeweglichkeit errichtete europäische Sozialmodell nunmehr an die Epoche des verstärkten Bevölkerungsrückgangs, einer hochwettbewerbsfähigen globalen Wirtschaft und der permanenten Forderung nach Anpassungsfähigkeit der Ressourcen angepasst werden muss.
Diese Reform wird angesichts einer wachsenden Zahl relativ neuer Faktoren sozialer Natur wie die fehlende Nachhaltigkeit der Rentensysteme, Langzeitarbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und qualifizierte Arbeitslosigkeit immer notwendiger.
Das immer geringere Gewicht der Staaten und die Neudefinierung ihres Modells, größere Freiheiten für die Volkswirtschaften und die Favorisierung der Privatinitiative, der Kreativität, der Wettbewerbsfähigkeit und der Investitionen spielen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Herausforderung, sich an die neue Realität anzupassen.
Unabhängig davon, dass es künftig notwendig sein wird, einige Rechte, die früheren Generationen garantiert waren, zu flexibilisieren und einzuschränken, ist es meiner Meinung nach unerlässlich, für die Schwächsten und Schutzbedürftigsten einzutreten und zu sorgen.
Magda Kósáné Kovács (PSE). – (HU) Der Vorschlag Peneda–De Rossa ist sehr bemerkenswert, nicht nur fachlich und politisch, sondern auch als moralische Leistung.
Unserer Meinung nach geht es beim Europäischen Sozialmodell doch nicht um das Schließen von Lücken zwischen den Umverteilungssystemen. Im Bericht gilt das Sozialmodell als wichtiges Mittel zur Bewahrung europäischer Werte, die wir nur erhalten können, wenn Europa weiter an dem in Amsterdam und Lissabon vorgezeichneten Weg festhält und sich nicht für eine der scheinbar gegensätzlichen Richtungen Wettbewerbsfähigkeit oder Solidarität entscheidet. Damit unser Vorhaben gelingt, müssen wir wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und menschliche Sicherheit als voneinander abhängige Elemente betrachten, die zusammen die Bedingungen für ein Leben der Menschen in Würde schaffen.
Wir möchten den Verfassern des Vorschlags vor allem dafür danken, dass sie die Erklärung so abgefasst haben, dass sich auch die neuen Mitgliedstaaten mit ihr identifizieren können. Die Analyse des Berichts Peneda–De Rossa beschließt die Debatte darüber, ob die Kohäsionsziele mit anderen, sekundären Zielen vereinbar sind. Sie stellt ganz eindeutig fest: Europas Identität und Glaubwürdigkeit hängen davon ab, ob wir es zulassen, dass Länder, Regionen und sozial schwache Gruppen untergehen. Die Reform des Sozialmodells ist nur ein Mittel und kein Ziel an sich; sie ist ein Mittel, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen, die ein multinationales Europa, die Globalisierung und die explosionsartige Zunahme des Wissens mit sich bringen.
In der Erklärung wird festgestellt, dass die Notwendigkeit, die neuen Mitgliedstaaten nicht in die drohende Armutsfalle tappen zu lassen, besonders schwer auf dem Gewissen Europas lastet. Wir wissen, dass die Zunahme des Altersdurchschnitts der Bevölkerung Europa selbst als Bedrohung und Ursache dafür wirkt, dass die Zukunft der Menschen zunehmend hoffnungslos erscheint. Die größte Gefahr ist dabei die Kinderarmut. Das Europa, von dem in dieser Erklärung die Rede ist, darf nicht stillschweigend akzeptieren, dass künftige Generationen in eine solche Armutsfalle geraten können.
Katalin Lévai (PSE). – (HU) Ich möchte den Berichterstatter zu der eingehenden und nachdenklich stimmenden Analyse des sozialen Europas beglückwünschen. Ich stimme zu, dass es beim Sozialmodell in erster Linie um Werte geht. Doch diese Werte, auf die der alte Kontinent mit Recht so stolz ist, sind heute ernsthaft bedroht und können nur durch gemeinsames Handeln geschützt werden.
Obwohl wir zweifellos Wirtschaftswachstum und höhere Wettbewerbsfähigkeit brauchen, um unsere Errungenschaften auf sozialem Gebiet sichern zu können, genügen sie allein nicht mehr aus, um soziale Gruppen heranzuführen, die zurückgefallen sind, die mit dem immer heftiger werdenden Wettbewerb nicht mehr Schritt halten oder sich ihm überhaupt nicht mehr stellen können. Im Gegenteil, sie vertiefen diese soziale Kluft noch. Beängstigend deutlich wird dies in Westeuropa an der tragischen Situation der Flüchtlinge und Einwanderer und in Osteuropa am Beispiel der Roma.
Die Schaffung neuer Arbeitsplätze kann ohne entsprechende Garantien durchaus in die Ausbeutungsfalle führen. Die Schaffung gleicher Bedingungen führt nicht automatisch zu tatsächlicher Chancengleichheit für diejenigen, die schlechtere Startbedingungen haben. Vielmehr werden Unterschiede sogar erhalten und verstärkt. Um diese Ungerechtigkeiten verringern zu können, brauchen wir die großen sozialen Unterstützungssysteme und vor allem einen Zugang zu hochwertiger Bildung für alle.
Doch auch die Gruppen, die sich dem Wettbewerb gewachsen zeigen, haben nur einen Pyrrhussieg errungen: Die eklatanten Gegensätze und der immer stärkere Niedergang destabilisieren die Gesellschaft und reißen auseinander, was sie zusammenhält. Die Ausschreitungen in Frankreich haben gezeigt, dass in einer wütenden Menge auch der größte Reichtum nicht schützen kann. Zudem macht selbst das Drücken der Löhne auf das niedrigste Niveau eine sozial unzufriedene Gesellschaft für Unternehmer nicht attraktiver. Deshalb stimme ich zwar zu, dass sowohl das Leiden des sozialen Europas als auch die möglichen Lösungen von Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit abhängen, aber wir dürfen nicht den Fehler machen, diese als absolut und als höchste Ziele anzusehen. Am besten hat das wohl der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Robin Cook, formuliert, als er sagte, die Wirtschaft muss immer den Menschen dienen und niemals umgekehrt.
15. Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten: nationale Zuteilungspläne (2008-2012) (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zum Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten: nationale Zuteilungspläne (2008-2012).
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. – (EL) Herr Präsident! Der Klimawandel ist das größte Umweltproblem, vor dem unser Planet steht. Wenn die Aktivitäten, mit denen wir sie bekämpfen wollen, keinen Erfolg haben, dann wird die Klimaänderung in der Zukunft weltweit äußerst verheerende wirtschaftliche und soziale Folgen haben.
Aus diesem Grunde wurde im Rahmen der Rahmenvereinbarung der Vereinten Nationen über Klimaänderungen das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und ratifiziert, das eine Reduzierung der Emissionen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen um 5,2 % durch die entwickelten Länder vorsieht, und in diesem Rahmen hat die Europäische Union sich verpflichtet, die Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 um 8 % zu senken.
Um dieses Ziel im Zeitraum von 2008 bis 2012 zu erreichen, haben wir auf Gemeinschafts- sowie auf nationaler Ebene verschiedene Maßnahmen ergriffen. Viele dieser Maßnahmen sind in dem ersten und zweiten Europäischen Programm zur Klimaänderung festgelegt worden. Unsere Hauptmaßnahme, die am 1. Januar 2005 in Kraft trat, ist das Gemeinschaftssystem für den Handel mit Treibhausgasen, insbesondere mit Kohlendioxid.
Mit diesem System haben wir mittel- und langfristig gesehen die kostengünstigste effiziente Methode zur Verringerung der Treibhausgase gefunden. Das System deckt nahezu 50 % der Kohlendioxidemissionen in der Europäischen Union ab. Es betrifft etwa 11 500 000 Unternehmen, Industrie- und andere Anlagen und stellt gegenwärtig das größte Gashandelssystem auf der Welt dar. Es ist zweifellos das einzige internationale System, und zahlreiche Länder beteiligen sich an diesem System, das eine Reihe von Bereichen wirtschaftlicher Aktivität abdeckt.
Der Erfolg des Handelssystems der Gemeinschaft ist von großer Bedeutung, weil es die Grundlage dafür bilden kann und wir es als Schlüsselsystem dafür nutzen wollen, ein internationales Handelssystem mit Treibhausgasen zu schaffen.
Dies ist eine effektive Methode zur weltweiten Senkung der Treibhausgasemissionen sowie insbesondere dafür, unsererseits Unterstützung dabei zu leisten, dass entwickelte Länder wie die Vereinigten Staaten, die bei der Emission von Treibhausgasen an erster Stelle in der Welt stehen (etwa ein Viertel aller Kohlendioxidemissionen stammt aus den Vereinigten Staaten), zu dieser Reduzierung beitragen. Und selbstverständlich sind wir dadurch auch angehalten, jeden nur möglichen Weg zu finden, der für die Entwicklungsländer akzeptabel ist, die ebenfalls mehr und mehr Treibhausgase ausstoßen.
Sie werden alle in der Presse gelesen haben, was vor kurzem in Kalifornien geschehen ist, wo die Initiative ergriffen wurde, ein System zu entwickeln, das dem europäischen Handelssystem für Kohlendioxid und andere Treibhausgase ähnelt und das dort im Jahre 2009 in Kraft treten soll. Das Gleiche gilt, konkret jedoch nur für Strom erzeugende Unternehmen, in sieben nordöstlichen Staaten der Vereinigten Staaten, und offensichtlich wird bereits von unten Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, die Frage eines internationalen Handelssystems mit Treibhausgasen zu diskutieren.
Ich muss betonen, dass kein Zweifel an der Entschlossenheit der Europäischen Kommission bestehen kann, an diesem System festzuhalten und es zu verbessern, um somit die geforderte Senkung der Treibhausgasemissionen zu erreichen, was der Stabilisierung der Konzentrationen dieser Gase in der Atmosphäre dient.
Im letzten Frühjahr haben die zum Gemeinschaftssystem gehörenden Unternehmen pflichtgemäß ihre Kohlendioxidemissionen mitgeteilt, die von unabhängigen Kontrollbeauftragten geprüft wurden, und zum ersten Mal steht uns damit eine kohärente Übersicht über die realen Werte der Kohlendioxidemissionen in der Europäischen Union zur Verfügung, die von unabhängigen Stellen überprüft worden sind.
Die tatsächlichen Emissionen waren niedriger als erwartet. In diesem Stadium lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen:
Erstens, in Bezug auf die Überwachung, die Vorlage von Berichten und die Prüfung funktioniert das System sehr gut. Die Ergebnisse der Untersuchung von 2005 zeigen, dass die Unternehmen ihren grundlegenden Verpflichtungen, die sich aus dem Handelssystem ergeben, in zufrieden stellender Weise nachkommen. Auch die Infrastruktur des Systems funktioniert reibungslos.
Zweitens, die marktorientierten Mechanismen sind ein Erfolg, und das System für den Handel mit Emissionszertifikaten in der Gemeinschaft scheint bereits Früchte zu tragen.
Drittens, und das ist vielleicht der wichtigste Punkt, die Mitgliedstaaten können – und müssen – erwarten, dass die unter dieses System fallenden Branchen einen sehr viel größeren Beitrag zur Emissionssenkung leisten, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass die Europäische Union insgesamt es noch nicht geschafft hat, ihren Verpflichtungen gemäß dem Kyoto-Protokoll nachzukommen.
Bekanntlich sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre nationalen Zuteilungspläne zu übermitteln. Auf der Grundlage all dieser Zuteilungspläne wird die Höchstgrenze festgelegt, die im Handelszeitraum 2008-2012 für die gesamte Europäische Union gelten wird, was der ersten Phase der Verpflichtungen gemäß dem Kyoto-Protokoll entspricht.
Bis gestern hat die Kommission 10 nationale Zuteilungspläne erhalten, die nahezu die Hälfte der gesamten Zertifikate umfassen, die von der Kommission im Laufe des ersten Handelszeitraums genehmigt wurden. Zu diesen Ländern gehören Deutschland, Estland, Litauen, Irland, Lettland, Polen, die Slowakei, das Vereinigte Königreich und, seit gestern, Griechenland.
Die übrigen Mitgliedstaaten haben ihre nationalen Pläne der Kommission noch nicht übermittelt. Jedoch sind zehn davon bereits als Entwürfe im Rahmen der öffentlichen Konsultation verfügbar. Sie stammen von den folgenden Mitgliedstaaten: Österreich, Belgien, Bulgarien, Zypern, Finnland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Portugal und Spanien.
Die übermittelten nationalen Zuteilungspläne werden derzeit von der Kommission geprüft. Wie Sie verstehen werden, kann die Kommission in dieser Phase dazu keinerlei substanzielle Kommentare abgeben.
Was unsere generelle Herangehensweise an dieses Thema betrifft, so möchte ich klar und deutlich sagen: die Kommission wird jedes ihr zur Verfügung stehende politische und rechtliche Mittel nutzen, um sicherzustellen, dass die nationalen Pläne sowohl den im Rahmen des Kyoto-Protokolls eingegangenen Verpflichtungen als auch den realen Daten über die für 2005 geprüften Emissionen entsprechen. Dadurch werden die Marktknappheit sowie die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Beteiligung der Unternehmen gewährleistet.
Und was insbesondere diejenigen Mitgliedstaaten angeht, die noch weit davon entfernt sind, die Zielsetzungen gemäß dem Kyoto-Protokoll zu erreichen, so sollten sie die nationalen Pläne nutzen, um einen Beitrag dazu zu leisten, die geforderten Emissionssenkungen zu erfüllen. Das heißt, insbesondere die Mitgliedstaaten mit den schlechtesten Leistungen müssen im Vergleich zur ersten Handelsphase weniger Zertifikate zuteilen. Unsere Aufgabe wird es sein, für eine strenge und gerechte Bewertung aller Pläne zu sorgen.
Schließlich möchte ich Ihnen versichern, dass die Kommission großen Wert darauf legt, dass alle Mitgliedstaaten ihre nationalen Zuteilungspläne für den zweiten Handelszeitraum so schnell wie möglich übermitteln, und wir haben bereits ein Schreiben, eine Art Vorwarnung, an die Länder geschickt, die säumig sind, bevor wir Verstoßverfahren einleiten.
Wenn die Mitgliedstaaten nicht die von ihnen geforderten Informationen übermitteln, dann wird die Kommission die Möglichkeit prüfen, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird und die Mitgliedstaaten innerhalb der nächsten Tage, innerhalb des nächsten Monats ihre Zuteilungspläne für die Treibhausgasemissionszertifikate übermitteln werden.
Paula Lehtomäki, amtierende Ratspräsidentin. (FI) Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Der Rat teilt die Ansicht der Kommission, dass das System des Emissionshandels der Europäischen Union einen Eckpfeiler der EU-Klimapolitik bildet. Mit Hilfe ebendieses Instruments konnte die EU ihre Führungsposition beim Umgang mit der Herausforderung des Klimawandels unter Beweis stellen. Der Kohlepreis ist ein entscheidendes Element unserer Anstrengungen, die Entwicklung und Anwendung umweltfreundlicher Technologien voranzutreiben.
Wie alle neuen Maßnahmen hat der Emissionshandel in der Anfangsphase einige „Kinderkrankheiten“ durchgemacht. Deshalb muss gründlich ausgewertet werden, wie das Modell weiter verbessert werden kann, damit das Ziel der Reduzierung von Treibhausgasen kostenwirksam erreicht wird. Der bevorstehende Bericht der Kommission wird dies ermöglichen.
Gegenwärtig läuft ein umfangreiches Projekt, um weitere nationale Zuteilungspläne zu erarbeiten. Dies ist Aufgabe der Mitgliedstaaten. Die Kommission wird diese Pläne bewerten, wie klar aus der Richtlinie über den Emissionshandel hervorgeht, die der Rat und das Europäische Parlament vor drei Jahren verabschiedet haben.
Im Frühjahr dieses Jahres haben wir aus den Berichten zu Emissionsdaten für 2005 wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Jetzt müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Transparenz des Systems auf der Grundlage dieser Erfahrungen verbessern können. Mit einem transparenten System können wir besser dafür sorgen, dass allen Akteuren gleichzeitig kohärente und koordinierte Marktinformationen zur Verfügung stehen.
Parallel zur Erarbeitung der Zuteilungspläne plant die finnische Präsidentschaft eine Überprüfung der Richtlinie über den Emissionshandel. Von dem System muss unbedingt ein deutliches Signal an die Betreiber ausgehen, dass umweltfreundliche Technologien mit einem geringen Kohlendioxidausstoß eine lohnenswerte Investition darstellen.
Avril Doyle, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße die Kommission und den Ratsvorsitz zu dieser Aussprache. Ich muss fragen, weshalb dieser Punkt am vergangenen Freitag ohne ordnungsgemäße Vorbereitung seitens der verschiedenen Fraktionen in letzter Minute auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Hat das rein technische Ursachen, weil Sie Ihrer Verpflichtung nachkommen wollten, bis zum 30. Juni vor dem Parlament Bericht zu erstatten, obwohl Sie sich um einige Monate verspätet haben? Dabei will ich es jedoch belassen, denn die Zeit ist zu wertvoll, um sie damit zu verschwenden.
Die PPE-DE-Fraktion unterstützt uneingeschränkt das Emissionshandelssystem und unsere Ziele im Rahmen des Kyoto-Protokolls und teilt die Ansicht, dass jeder der 25 Mitgliedstaaten energisch zur Erfüllung seiner Ziele in Bezug auf Treibhausgase im Rahmen des Kyoto-Protokolls angehalten werden sollte. Davon können Sie grundsätzlich ausgehen.
Ich nehme zur Kenntnis, was der Kommissar eben bezüglich der Schlussfolgerungen der im Jahre 2005 durchgeführten Überprüfung sagte, das nämlich das System gut funktioniere, gute Ergebnisse erzielt würden und das System erfolgreich angelaufen sei. Herr Kommissar, ich weiß nicht, ob das eine PR-Übung ist und wir nicht wollen, dass diejenigen, die zuhören, die Wahrheit erfahren. So wie alle meine Kollegen unterstütze auch ich ein voll funktionsfähiges ETS von ganzem Herzen, aber das System funktioniert nicht gut. Ich weiß, dass wir noch am Anfang stehen, und das ist eine gültige Einschränkung für alle unsere Aussagen, zumal der Überprüfungszeitraum von 18 Monaten sehr kurz war. Die Theorie ist gut, aber die Praxis ist eine Katastrophe, die keinerlei Bezug zur Theorie aufweist. Wir müssen uns dringend mit dieser Situation auseinander setzen.
Vorgesehen war, dass am Ende eines jeden Jahres die Menge an tatsächlichen Kohlendioxidemissionen der Menge der Emissionszertifikate entsprechen muss, die ein Unternehmen bei seiner Regierung einreicht. Damit sollten die Unternehmen angehalten werden, ihre Emissionen zu verringern. Was ist passiert? Im ersten Jahr, also 2005, lag die tatsächliche Menge der von 21 Ländern erzeugten Kohlendioxidemissionen um 44 Millionen Tonnen unter der Menge der von den Regierungen der 21 Länder zugeteilten Kohlendioxidemissionszertifikaten. Damit wurde keinerlei Druck auf die Unternehmen zur Senkung ihrer Emissionen ausgeübt, und das hatte einen sehr labilen Markt für Emissionsgutschriften zur Folge, auf dem der Preis pro Tonne von 31 Euro auf 8 Euro abstürzte und dann wieder auf 16 Euro pro Tonne anstieg. Ich teile die Ansicht, dass wir einen ordnungsgemäß funktionierenden Markt für Emissionsgutschriften brauchen. Wir müssen die Wirtschaft von unseren Ansichten überzeugen. Wir brauchen Glaubwürdigkeit, und zwar sowohl in der Praxis als auch in der Theorie. Könnten Sie bitte die Änderungen erläutern, die Sie für die Richtlinie vor Anlauf des zweiten Zeitraums der nationalen Zuteilungspläne vorsehen?
Übrigens hat Irland seinen nationalen Zuteilungsplan ebenfalls am 13. Juli vorgelegt. Sie haben Irland bei der Aufzählung der entsprechenden Länder nicht erwähnt. Ich bitte Sie zu bestätigen, dass dem so ist. Vielleicht erzählt man mir in meinem Heimatland ja irgendwelche Märchen.
Dorette Corbey, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr geehrte Frau Halonen! Ich freue mich über diese Aussprache. Zudem stimmt es mich froh zu vernehmen, dass das System für den Handel mit Emissionsrechten in den Augen des Kommissars und des Rates gut funktioniert. Unsere Fraktion hat mit Leib und Seele an dem Zustandekommen dieser Richtlinie mitgewirkt, und deshalb ist es wichtig, dass sie gut funktioniert. Dennoch möchte ich einige Bemerkungen anbringen und ebenso wie Frau Doyle einige Zweifel äußern.
Zunächst ist es bedauerlich, dass derzeit nur neun Länder ihre Pläne eingereicht haben. Es ist zwar gut zu wissen, dass sich die Kommission darum kümmert, aber es ist enttäuschend, dass lediglich neun Länder rechtzeitig bereit sind.
Zweitens, meines Erachtens fielen die jüngsten Zuteilungen der Mitgliedstaaten zu großzügig aus, und deshalb zeitigte die Richtlinie über den Handel mit Emissionsrechten kaum Wirkung.
Ein weiteres besonders ins Auge springendes Problem sind die unerwarteten Gewinne, die die Energieunternehmen erzielt haben. Die Energieunternehmen, denen die Rechte kostenlos zugeteilt wurden, haben es vermocht, diese an die energieintensiven Industrien sowie an die Verbraucher zu verkaufen, und das ist selbstverständlich in einer Zeit schwerlich hinnehmbar, in der die Gewinne der Energieunternehmen ohnehin steigen.
Herr Kommissar, ich wünsche mir eine vollständige Bewertung dieser Richtlinie, und ich denke, wir sollten angesichts dieser großzügigen Zuteilung und der exorbitanten Gewinne der Elektrizitätsgesellschaften die Frage stellen, ob es nicht weitaus günstiger wäre, einen Umstieg von dem Besitzstandssystem, das wir derzeit praktizieren, zu einem Auktionssystem zu vollziehen.
Chris Davies, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Uns allen war klar, dass wir es hier mit einem Fall von „Learning by doing“ zu tun haben würden und dass es uns nicht gelingen würde, von Anfang an alles richtig zu machen – und genau das ist auch eingetreten! Dadurch, dass mehr Zertifikate ausgegeben als Emissionen verursacht wurden, läuft das System Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Doch jetzt nehmen wir einen zweiten Anlauf, und wir sollten unsere Lektion gelernt haben.
Ich danke dem Kommissar, dass er hierher gekommen ist und indirekt die Mitgliedstaaten genannt hat, die den Termin für die Vorlage dieser Zuteilungspläne versäumt haben. Wir werden nichts erreichen, solange die Mitgliedstaaten ihre Zusagen nicht einhalten. Ich hoffe, die Frau Minister wird diesen Punkt auf die Tagesordnung der Tagung des Umweltrates am 23. Oktober setzen. Jetzt, da wir die Sitzung im Fernsehen verfolgen können, freue ich mich auf die Verlegenheit der Minister, auf die Sie mit dem Finger zeigen und sie fragen werden, weshalb sie diese Pläne nicht vorgelegt haben.
Diese Pläne werden viel zu oft zu spät eingereicht, und häufig sind sie nicht konsequent genug. Die Kommission muss fair sein, aber auch streng. Das Parlament erwartet von Ihnen, dass Sie dafür sorgen, dass die nationalen Zuteilungspläne die Vorgaben des Emissionshandelssystems erfüllen, und viele Mitgliedstaaten, die sich wirklich engagiert für diese Ziele einsetzen und ihre Pläne bereits eingereicht haben, werden Sie unterstützen und wünschen sich, dass Sie für gleiche Ausgangsbedingungen sorgen und dass die anderen ebenfalls ihren Pflichten nachkommen.
Ganz gleich, was viele Mitgliedstaaten sagen, sie suchen nach Möglichkeiten, um das Emissionshandelssystem zu umgehen. Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Schlupflöcher geschlossen werden.
Claude Turmes, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Als Grüne verfolgen wir im Wesentlichen dieselbe Linie wie unsere Kollegen. Wir sind an einem entscheidenden Punkt angelangt: Keine Mogelpackungen mehr! Eine Ausgabe von zu vielen Zertifikaten wie im Falle von Frankreich, Polen und Deutschland darf es nicht mehr geben. Ich werde meine Redezeit jedoch nutzen, um auf ein weiteres Problem hinzuweisen, und zwar die Verzerrung des Marktes.
Der deutsche Zuteilungsplan enthält eine Sonderregelung für RWE. Das Unternehmen erhält für vier Jahre Zertifikate, die den Emissionen eines alten Kraftwerks entsprechen. Die neuen Marktteilnehmer dagegen gehen leer aus. Der deutsche Strommarkt wird bereits vollständig von vier Unternehmen beherrscht. Der zweite deutsche Zuteilungsplan verfolgt noch ganz andere Ziele, und zwar sollen Investitionen in Gaskraftwerke in Deutschland unterdrückt werden, denn genau davor haben diese vier großen Unternehmen Angst. Deshalb muss die Generaldirektion Wettbewerb ohne jede Einschränkung in die Überprüfung einbezogen werden.
Sie haben einen weiteren Punkt angesprochen: Weshalb tun wir das? Um einen Preis für CO2 festzulegen oder um Investitionen in effiziente Technologien zu fördern? Schauen Sie sich den polnischen und den deutschen Zuteilungsplan an. Welche Ziele werden damit verfolgt? Für Investitionen in ein Kohlekraftwerk erhält man in Deutschland in vollem Umfang Zertifikate für 14 Jahre. Es gibt keinerlei finanziellen Anreiz, um von Kohle auf Gas, der preiswertesten Option zur Senkung von CO2-Emissionen in Europa, umzusteigen.
Die Zuteilungspläne von Deutschland und Polen sind skandalös. Sie machen das gesamte System der Anreize zunichte. Herr Kommissar, Sie tragen derzeit eine große Verantwortung.
Roberto Musacchio, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Debatte über den Emissionshandel ist ein wichtiges, aber auch gefährliches Element des Themas Kyoto-Vereinbarungen. Wir fürchten sehr, dass das Ganze zu einem reinen Handel mit Verschmutzungsrechten wird, zudem zum Nachteil der an Unterentwicklung leidenden Länder. Wie wir gehört haben, ist es sogar ausgesprochen uneffektiv, um die Emissionen wirklich zu senken.
Wir müssen endlich Klartext reden, zumal am Vorabend einer Konferenz der Vertragsparteien, nämlich des 13. Klimagipfels, der in Afrika, genauer gesagt in Nairobi, stattfinden wird und somit Symbolcharakter besitzt. Wir dürfen keinen Markt für die Verschmutzung schaffen, sondern müssen eine neue umweltfreundliche Entwicklung auf der Basis kooperationspolitischer Maßnahmen fördern, damit die reicheren Ländern mit deutlich geringeren Schadstoffemissionen produzieren und die ärmeren Länder durch den Zugang zu neuen Umwelttechnologien in ihrer Entwicklung unterstützt werden können.
Es geht also um einen wesentlichen Unterschied, bei dem Europa, das an der Nairobi-Konferenz teilnehmen wird, eine klare Sprache sprechen und das richtige Gleichgewicht zwischen dem Emissionshandel und der Förderung einer echten und tragfähigen Kooperationspolitik finden muss.
Peter Liese (PPE-DE). – Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kommissar! Der Klimawandel ist eine der wichtigsten Herausforderungen, denen wir uns als Politiker zu stellen haben. Der Emissionshandel sollte eines der wichtigsten Instrumente sein, dieser Herausforderung zu begegnen. Wenn wir uns aber die erste Phase anschauen, so sind die Ergebnisse bisher nicht wirklich überzeugend.
Viele Mitgliedstaaten haben nicht wie vorgesehen am 1.1.2005 mit dem Emissionshandel begonnen. Die nationalen Allokationspläne — auch die, welche die Kommission in der ersten Phase genehmigt hat— waren nicht wirklich ambitioniert, und was natürlich für die Wirtschaft in den Ländern, die relativ ambitionierte Pläne hatten, besonders ärgerlich war: Die Kriterien, nach denen die Emissionszertifikate vergeben wurden, waren sehr unterschiedlich. In einem Land hat beispielsweise ein Stahlwerk oder ein Kalkwerk sehr viel mehr Emissionszertifikate bekommen als in einem anderen Land. Die Unterschiede waren nicht nur durch Kyoto bedingt, durch das burden sharing, sondern wurden teilweise nochmals verschärft, und das hat natürlich zu Wettbewerbsverzerrungen geführt.
Während der Beschlussfassung über den Emissionshandel im Mitentscheidungsverfahren hat sich das Europäische Parlament für sehr klare, präzise Vorgaben ausgesprochen. Damals hat die Kommission gesagt, das sei gar nicht notwendig, wir könnten dies mit Hilfe des Wettbewerbsrechts steuern und Auswüchse vermeiden. Ich habe den Eindruck, dass die Kommission noch etwas genauer hinschauen muss und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Unternehmen in den Mitgliedstaaten vermeiden muss.
Was die nächste Phase angeht, darf es nicht wie in der ersten Phase das Ziel sein, dass der Emissionshandel irgendwie funktioniert, sondern er muss gut funktionieren. Wettbewerbsverzerrungen müssen so weit wie möglich vermieden werden, und wir müssen so viel CO2-Reduktionen wie möglich erreichen, damit die europäische Politik glaubwürdig ist.
Karin Scheele (PSE). – Herr Präsident! Herr Kommissar, Sie haben gesagt, dass die nationalen Zuteilungspläne nur von neun oder – wenn Irland, wie von Kollegin Doyle reklamiert, auch schon abgeliefert hat – von zehn Ländern abgeliefert wurden, davon von sechs Ländern rechtzeitig mit Ende Juni. Wir sind spät dran. Das ist bei diesem Thema besonders beunruhigend, weil wir ja in den letzten Jahren wieder einen Emissionszuwachs zu verzeichnen haben, vor allem in den alten Mitgliedstaaten. Was können die Kommission, der Europäische Rat und die Ratspräsidentschaft tun, um hier wirklich Druck auszuüben, um nicht nur Worte für Entschließungen zu formulieren, sondern sie auch wirklich in die Tat umzusetzen?
Mein zweiter Punkt betrifft den Inhalt dieser nationalen Aktionspläne. Die Frage lautet: Wie kann die Kommission, wie kann der Europäische Rat sicherstellen, dass die nationalen Aktionspläne rigoros sind, dass verhindert wird, dass sich unsere Mitgliedstaaten nicht an die Vorgaben des Kyoto-Protokolls, an unsere eigenen Gesetze halten oder sich von den Verpflichtungen freikaufen?
Rebecca Harms (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich möchte das Augenmerk noch einmal auf den Allokationsplan richten, den Deutschland vorgelegt hat. Ich will das deshalb tun, weil Deutschland im nächsten Jahr die EU-Ratspräsidentschaft und die G8-Präsidentschaft übernimmt, denn das sind Präsidentschaften, die im Zusammenhang mit Klimaschutz und Energiepolitik entscheidend sind. Deutschland wird das nächste große UNO-Treffen im nächsten Jahr — 2007 — federführend vorbereiten, und in Heiligendamm werden wegweisende Entscheidungen getroffen werden.
Ich glaube nicht, dass ein solcher Allokationsplan — wie der, der aus der Bundesrepublik vorgelegt wurde — für die Qualifikation der Bundesregierung für solche Aufgaben spricht. Im Gegenteil: Aus der Art der Zuteilung der Zertifikate ist jetzt schon absehbar, dass einige große deutsche Energieversorger diesen Emissionshandel wieder alleine zur Begründung von Preiserhöhungen gebrauchen werden, so wie wir das schon im letzten Jahr erlebt haben.
Klar ist auch, dass Deutschland — so zeigt es dieser Allokationsplan — auf jeden Anreiz verzichtet, von Kohle auf kohlendioxidärmere Brennstoffe umzusteigen. Ich finde, das ist eine Schande und angesichts der aktuellen Klimadiskussion überhaupt nicht vertretbar. Wenn die EU in Zukunft ihre Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz weiter spielen will — und das sollte sie —, muss die Bundesrepublik — die ja entscheidende Verantwortung für Kyoto und den Nach-Kyoto-Prozess tragen wird — aufgefordert werden, sich zu korrigieren.
Evangelia Tzampazi (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ich begrüße die Erklärung der Kommission über die Systeme für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten. Die Klimaänderung hat erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen. Deshalb muss die Verschmutzung teuer gemacht werden.
Ein Element, das die Glaubwürdigkeit des gesamten Systems stärkt, ist der Emissionsbericht, den jedes Unternehmen der zuständigen nationalen Behörde vorzulegen hat. Es gibt Unternehmen, die Berichte übermitteln, die von spezialisierten Agenturen und Firmen beglaubigt sind, während andere Unternehmen nichtbeglaubigte Berichte vorlegen.
Die Kommission trägt daher eine große Verantwortung, die Glaubwürdigkeit des Handelssystems zu gewährleisten und zu stärken, und wir alle fordern sie auf, die notwendigen Initiativen zu ergreifen, um das neue System vor solchen Verzerrungen zu schützen.
Ich schlage im Hinblick auf die Bewertung der zweiten nationalen Pläne für den Zeitraum 2008-2012 vor, dass die Europäische Kommission die erforderlichen Vorkehrungen trifft, um zu verhindern, dass Mitgliedstaaten an bestimmte Unternehmen übertrieben großzügige Emissionszertifikate abgeben.
Darüber hinaus fordere ich die Kommission auf, die strenge Umsetzung der festgelegten Methode zu überwachen, um zu gewährleisten, dass die Emissionsfaktoren nicht für die Verbrennungseinheiten insgesamt gelten, sondern für jede Anlage einzeln.
Satu Hassi (Verts/ALE). – (FI) Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Es geht doch hier um die Frage der Glaubwürdigkeit der europäischen Klimaschutzpolitik. Nach Angaben der Deutschen Bank erfüllen nur fünf der von den Mitgliedstaaten für die nächste Phase veröffentlichten Zuteilungspläne für Emissionszertifikate die Hauptkriterien. Uns allen ist bekannt, dass zum Schutz unseres Planeten die größten Entwicklungsländer in den kommenden Jahren überzeugt werden müssen, ihre Emissionen zu begrenzen. Aber wie können wir von ihnen erwarten, dem zuzustimmen, wenn die EU es nicht schafft, ihre eigenen Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zu erfüllen? Auch die Vereinigten Staaten blicken zu uns. Bisher haben die EU-Maßnahmen die Amerikaner, die eine Beteiligung ihres Landes am weltweiten Klimaschutz befürworten, motiviert, aber wenn wir unser Versprechen von Kyoto nicht halten, ist dies ein Sieg für die Gegner des Klimaschutzes in den USA und anderswo.
Die Kommission muss jetzt Entschlossenheit beweisen und darauf drängen, dass die EU-Mitgliedstaaten die wichtigsten Kriterien des Emissionshandels einhalten. Bedauerlicherweise ist Finnland einer der ersten Mitgliedstaaten, in dem die Regierung bereits den Forderungen eines Verursacherunternehmens in der ersten Phase des Emissionshandels nachgegeben hat. Ich rufe die Kommission auf, eine Ausweitung dieser Art von „Finnlandisierung” nicht zuzulassen.
Paula Lehtomäki, amtierende Ratspräsidentin. (FI) Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen für diese hervorragende Diskussion bedanken. Ich möchte im Namen des Rates auf einige Punkte eingehen.
Erstens sollten wir im Hinblick auf das Emissionsvolumen nach nur einem Jahr keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir müssen die Sache auf jeden Fall über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr untersuchen. So spielen beispielsweise für uns in Nordeuropa die Jahrestemperaturen – ob der Winter kalt oder mild wird – und der Zustand der Meere, Seen und Flüsse eine entscheidende Rolle, und zwar nicht nur für den Energieverbrauch, sondern auch für die Energieproduktion und damit auch für das Emissionsvolumen. Daher können von einem Jahr zum anderen große Schwankungen auftreten.
In dieser Diskussion wurde bereits erwähnt, dass die Mitgliedstaaten gegenwärtig mit der Zuteilungsplanung für die nächste Phase beschäftigt sind. Neben den Ländern, deren Vorschläge der Kommission bereits vorliegen, haben zehn weitere bereits ihre Pläne veröffentlicht und befinden sich in der Schlussphase der Verhandlungen auf nationaler Ebene. Die anderen EU-Mitglieder sind noch nicht ganz so weit, aber ich bin überzeugt, dass auch sie vorankommen. Man sollte bedenken, dass sich diese Zahlen auf 27 statt 25 EU-Mitgliedstaaten beziehen.
Es wurde hier angesprochen, dass das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten auch Mängel aufweist. Darum ist es unumgänglich, dass die Kommission jetzt die Realisierbarkeit des Systems gründlich und aus verschiedenen Blickwinkeln prüft. Wir erwarten die Auswertung der Kommission im Laufe des Herbstes, vielleicht schon in Kürze. Trotz seiner Fehler ist das System auch aus unserer Sicht unerlässlich und sollte im Sinne seiner ursprünglichen Zielsetzung weiterverfolgt werden, also den betroffenen Akteuren einen echten Anreiz bieten, in CO2-freie umweltfreundliche Technologien zu investieren.
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich bei allen Rednern für ihren Beitrag zur Aussprache am heutigen Nachmittag bedanken. Es ist deutlich geworden, dass Ihnen dieses globale Problem und die Reaktion der Europäischen Union darauf Sorge bereitet.
Bevor ich fortfahre, möchte ich Frau Doyle versichern, dass diese Diskussion nicht klammheimlich von der Kommission anberaumt wurde, und zwar aus dem einfachen Grund, weil das Parlament um diese Aussprache gebeten hat und nicht wir. Folglich gab es nichts zu vertuschen. Was mein Versäumnis betrifft zu erwähnen, dass Irland einen Zuteilungsplan vorgelegt hat, so stelle ich fest, dass meine Aufzeichnungen die entsprechenden Informationen enthalten. Ich sagte, zehn Mitgliedstaaten, und ich dachte, ich hätte Irland erwähnt, aber wenn Sie das nicht gehört haben, dann haben Sie natürlich Recht.
Hinsichtlich der weiteren Zukunft und der Überprüfung kann ich Ihnen mitteilen, dass ich derzeit eine eingehende Überprüfung des Emissionshandelssystems der Europäischen Union vorbereite, um festzustellen, welche über das Jahr 2012 hinausreichenden Verbesserungen vorgenommen werden können. Das konnte deshalb nicht früher getan werden, weil uns bis zum 30. Juni 2006 nicht einmal die Angaben über die tatsächlichen Emissionen vorlagen. Termin war der 15. Mai 2006, aber einige Länder legten die Angaben über die tatsächlichen Emissionen erst am 30. Juni 2006 vor. Wie also sollten wir eine Überprüfung durchführen, bevor uns die Daten über die tatsächlichen Emissionen vorlagen?
Nach Annahme des Berichts über die Überprüfung des Gemeinschaftssystems für den Emissionshandel in den nächsten Wochen wird die Kommission noch in diesem Jahr eine unter der Schirmherrschaft des Europäischen Programms zur Klimaänderung stehende Stakeholder-Gruppe einsetzen, um die Debatte über die Überprüfung zu intensivieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Debatte über die Überprüfung rechtzeitig in genau abgesteckte Bahnen leiten müssen, um ein qualitativ hochwertiges Resultat zu sichern. Die Schwerpunkte, die es im Rahmen der Überprüfung in Angriff zu nehmen gilt, betreffen folglich die Harmonisierung und Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie, die weitere Harmonisierung und eine bessere Berechenbarkeit des Prozesses der Festsetzung von Obergrenzen und Zuteilungen – einschließlich der Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit, einer konsequenteren Einhaltung und Durchsetzung der Vorschriften und der Anbindung an Handelssysteme in Drittstaaten sowie der verstärkten Einbeziehung von Entwicklungsländern.
Die Kommission hat bereits ihre Absicht bekräftigt, die Auswirkungen des Flugverkehrs auf das Klima mittels Emissionshandel zu bekämpfen. Es gibt eine Reihe guter Ideen, um den Emissionshandel wirksamer zu gestalten. Dazu zählen längerfristige Zusagen in Bezug auf Zuteilungen und eine verstärkte Harmonisierung in einer Reihe von Bereichen.
Wir brauchen mehr Zeit, um diese wertvollen Ideen zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Deshalb habe ich mir vorgenommen, im Verlaufe von 2007 einen Legislativvorschlag vorzulegen.
Ich möchte jetzt kurz auf Bedenken im Hinblick auf Stromunternehmen eingehen, die Windfall-Gewinne einstreichen, indem sie die Kosten ihrer Zuteilung auf den Strompreis aufschlagen, obwohl sie diese kostenlos erhalten. Einige Unternehmen haben das getan. Die Strompreise sind gestiegen, und zwar nicht nur wegen des Emissionshandelssystems, sondern vor allem aufgrund hoher Brennstoffpreise und wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit auf dem Strom- und Gasmarkt – also mangelnder Liberalisierung. Doch vielleicht wäre, wie ein Kollege bemerkte, die Versteigerung eine Lösung zusammen mit der Liberalisierung, um zu vermeiden, dass Stromunternehmen Windfall-Gewinne verbuchen, während die Verbraucher höhere Strompreise zahlen müssen. Laut Richtlinie ist für den zweiten Handelszeitraum eine Versteigerung von bis zu 10 % gestattet. Das ist eine der Fragen, die im Rahmen der Überprüfung der Richtlinie zu untersuchen sein wird.
Rückblickend lässt sich feststellen, dass sich der Emissionshandel auf eine solide Infrastruktur stützen kann und dass sich der Markt für Emissionszertifikate recht gut entwickelt. Im ersten Handelsjahr, also 2005, wurden zumindest den Angaben der Weltbank zufolge 320 Millionen Zertifikate im Wert von über 6 Millionen Euro über Marktmittler gehandelt. Es kann also niemand behaupten, das Emissionshandelssystem sei fehlgeschlagen.
Im Jahre 2006 ist das monatliche Handelsvolumen kontinuierlich angestiegen und belief sich in besonders starken Monaten auf 80 bis 100 Millionen Zertifikate. Eine Reihe von Börsen in ganz Europa bietet Plattformen für den Handel mit Zertifikaten an, und es sind auch etliche andere Marktmittler wie Makler am Markt tätig.
Ich möchte etwas zu den so genannten übermäßigen Zuteilungen für Anlagen, die im Emissionshandelssystem erfasst sind, sagen. Tatsache ist, dass etwa 3 % mehr Zertifikate ausgegeben als tatsächlich Emissionen verursacht wurden. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. So ist es möglich, dass die entsprechenden Anlagen auf das System zur Einsparung von Emissionen und die daraus resultierenden Auflagen reagiert und beispielsweise durch Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz oder andere einfach zu ergreifende Maßnahmen längst fällige Emissionssenkungen vorgenommen haben. So konnten wir in Deutschland eine echte Senkung der von derartigen Anlagen verursachten Kohlendioxidemissionen verzeichnen. Ein weiterer Grund könnte der sehr milde Winter des Jahres 2005 sein, der eine Senkung der Heizkosten bewirkte. Der Hauptgrund könnte darin bestehen, dass die an diesem System beteiligten Unternehmen in Bezug auf ihr Unternehmenswachstum etwas zu optimistisch waren und sich bezüglich der zu erwartenden Emissionen verschätzt haben, während die Mitgliedstaaten die Zahlen akzeptierten, ohne diese zu hinterfragen.
Bezüglich des zweiten Handelszeitraums haben wir gegenüber allen Mitgliedstaaten klargestellt, dass die zwölf Kriterien der Richtlinie einzuhalten sind. Das gilt insbesondere für die Länder, die zur Erreichung ihrer Quote, die zum Gesamtziel der Europäischen Union beiträgt, versäumt haben, verbindliche Festlegungen zu treffen. Außerdem müssen die uns inzwischen vorliegenden tatsächlichen Emissionen vollständig berücksichtigt werden.
Ich werde, was die nationalen Zuteilungspläne angeht, den Mitgliedstaaten gegenüber streng aber fair sein und freue mich sehr über die Unterstützung für dieses Vorgehen, das ich Ihren heutigen Beiträgen entnehmen konnte.
Jetzt sind vor allem die Regierungen gefordert. Sie müssen der Kommission Pläne vorlegen, die gewährleisten, dass das Emissionshandelssystem der Europäischen Union zur Erreichung unserer anvisierten Quoten beitragen kann. Gleichzeitig sollten alle Betroffenen am Prozess der Verbesserung und Ausweitung des Gemeinschaftssystems mitwirken, um dafür zu sorgen, dass ein globaler Markt für Emissionszertifikate die Emissionssenkungen bewirken kann, die zur Bekämpfung des Klimawandels erforderlich sind.
Ich möchte Ihnen für eine interessante Aussprache mit ermutigenden und wichtigen Beiträgen sowie für Ihre fortgesetzte Unterstützung im Kampf gegen die globale Erwärmung und die damit verbundenen Gefahren für künftige Generationen danken.
VORSITZ: SYLVIA-YVONNE KAUFMANN Vizepräsidentin
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
16. Fragestunde (Anfragen an die Kommission)
Die Präsidentin. Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0325/2006).
Wir behandeln die folgenden Anfragen an die Kommission.
Erster Teil
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 39 von Manuel Medina Ortega (H-0601/06)
Betrifft: Erweiterung und illegale Einwanderung
Welche Maßnahmen schlägt die Kommission im Hinblick auf die Erweiterung der EU um neue mittel- und osteuropäische Länder mit schwer kontrollierbaren Grenzen vor, um zu verhindern, dass durch die neuen Erweiterungen illegale Einwanderer aus Drittstaaten leichter in die Europäische Union gelangen?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Bekanntlich ist von den neuen Mitgliedstaaten bei Beitritt ein Grenzkontrollregime auf hohem Niveau zu gewährleisten. Was die Aufhebung der Binnengrenzkontrolle angeht, so beurteilen Experten aus den Mitgliedstaaten und der Kommission, ob die neuen Mitgliedstaaten u. a. die strengen Schengener Auflagen für die Außengrenzkontrolle erfüllen.
Im Januar 2006 ist die Evaluierung des SIS-unabhängigen Besitzstandes der neuen Mitgliedstaaten angelaufen, und eine erste Bewertung des Standes der Vorbereitung wird dem Rat im Dezember vorliegen. Ich werde den Ministern Bericht erstatten.
Hinsichtlich der illegalen Einwanderung hat die Kommission in einer Mitteilung, die, wie Ihnen bekannt ist, am 19. Juli angenommen wurde, die Bereiche dargelegt, die ihrer Ansicht nach künftig Vorrang haben sollten. In der Mitteilung wird vor allem untersucht, wie die Außengrenzen noch besser gesichert werden können, z. B. mit Hilfe einer intelligence-gestützten Grenzverwaltung („e-borders management“). Ferner werden Möglichkeiten für ein automatisiertes Ein- und Ausreisesystem, die Regularisierungsproblematik und das Problem der Beschäftigung von illegal in der EU aufhältigen Drittstaatsangehörigen geprüft.
Ferner möchte ich unterstreichen, dass die Kommission im Juli einen Vorschlag für einen Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams an den Grenzen beschlossen hat. Dieser Mechanismus, der die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft stärken wird, wird Mitgliedstaaten, die bei der Kontrolle ihrer Außengrenzen auf außerordentliche Hindernisse stoßen, die Möglichkeit geben, zeitweilig Know-how und personelle Ressourcen von Grenzkontrollbehörden anderer Mitgliedstaaten in Anspruch zu nehmen.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Herr Präsident! Die Ereignisse der letzten Tage scheinen ein Beweis dafür zu sein, dass die Europäische Union nicht auf die Wellen von Einwanderern aus Gebieten nahe der Union vorbereitet ist. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien im kommenden Jahr eine neue Seegrenze der Europäischen Union am Schwarzen Meer haben werden, dass dort am Schwarzen Meer Länder wie die Ukraine, die Republik Moldau, Russland, Georgien, Armenien und die Türkei liegen und dass dieses Meer für uns eine Öffnung nach ganz Asien bedeutet.
Plant die Europäische Kommission, für das Schwarze Meer ein ähnliches System zu errichten, wie sie es gegenwärtig im Atlantik aufzubauen beginnt, um eine Lawine von Einwanderern aus dem asiatischen Kontinent in die Europäische Union zu verhindern?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann dem Fragesteller mitteilen, dass eine der Prioritäten, mit der wir uns gegenwärtig gemeinsam mit dem finnischen Vorsitz befassen, eben die Vorlage eines europäischen Modells zur integrierten Überwachung der Seegrenzen bis Dezember betrifft, wobei wir im Oktober eine erste Einschätzung vornehmen wollen.
Wir sind uns bewusst, dass eine Seegrenze etwas ganz anderes als eine Landgrenze oder eine Flughafengrenze ist, und selbstverständlich wird auch das Schwarze Meer zu den Gebieten gehören, denen unsere Aufmerksamkeit gilt.
Ich kann dem Fragesteller nur berichten, dass ich erst gestern wieder eine Begegnung mit dem bulgarischen Innenminister hatte und ihn erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen habe, dass sich Bulgarien und Rumänien angemessen darauf vorbereiten müssen, einen starken europäischen Beitrag zur Kontrolle einer äußerst sensiblen Grenze zu leisten.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Die illegale Einwanderung gehört eingedämmt, das ist keine Frage. Gerade das Beispiel des Kollegen Medina Ortega zeigt jedoch Praktiken — in seinem Heimatland — auf, durch die nationale Regierungen mit der so genannten Legalisierung von illegal Eingewanderten eigentlich das falsche Signal setzen. Sieht die Kommission hier Möglichkeiten und gedenkt sie auch hier Signale zu setzen, um derartige Maßnahmen abzustellen? Am Ende gelangen diese illegalen Einwanderer nämlich in alle anderen Mitgliedsländer innerhalb der Union.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (FR) Sie haben ein Thema angesprochen, das wirklich Priorität genießt. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten erklärt, dass durch das enorme Problem der massenhaften Legalisierung von Einwanderern die Gefahr besteht, dass der Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ausgehöhlt wird. Wir haben dieses Thema im Rat zum ersten Mal vor etwa 14 Monaten beraten.
Damals haben wir beschlossen, dass jeder nationalen Maßnahme zur Legalisierung von illegalen Einwanderern eine europäische Konsultation vorausgehen sollte, die es dem rotierenden Ratsvorsitz und der Europäischen Kommission erlaubt, zu den Folgen dieser Maßnahme auf die übrigen Mitgliedstaaten Stellung zu nehmen. Auch da haben wir vom Solidaritätsgrundsatz gesprochen, und wir haben ein Dokument angenommen, das zwar formell noch nicht in Kraft getreten ist, jedoch den Rang einer politischen Entscheidung hat. Deshalb fordere ich jeden EU-Mitgliedstaat auf, der Legalisierungsmaßnahmen in Betracht zieht, dieser Pflicht der vorherigen Konsultation nachzukommen, damit andere Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, Maßnahmen zu treffen, mit denen die Folgen von solchen massenhaften Legalisierungen berücksichtigt werden können.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Kommissar! Ausgehend davon, dass Bulgarien in den letzten Jahren in großem Maßstab Einwanderer aus der Republik Moldau, der Ukraine, Russland und aus anderen Ländern eingebürgert hat, würde mich interessieren, welche realistischen Schritte eingeleitet werden, um dieser verdeckten Einwanderung über Bulgarien und Rumänien zu begegnen.
Würden sich Länder wie mein Heimatland, das Vereinigte Königreich, in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten anderen Mitgliedstaaten nach der Erweiterung von 2004 keinen angemessenen Anteil an Zuwanderern aufgenommen haben, nicht vollkommen zu Recht weigern, ihre derzeitige Politik der offenen Tür auf Rumänien und Bulgarien auszudehnen?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Das ist gewiss ein sehr heikles Thema, und ich kann nur bekräftigen, dass ich diese Frage persönlich in meinen, auch jüngsten, Gesprächen sowohl mit den bulgarischen als auch den rumänischen Regierungsbehörden angeschnitten habe.
Die Antworten sind insofern ermutigend, als sich diese zwei kurz vor ihrem Beitritt stehenden Bewerberländer über die möglichen Auswirkungen der doppelten Staatsbürgerschaft auf die anderen Mitgliedstaaten der Union im Klaren sind. Sie haben uns jedoch mit einem Problem konfrontiert, mit dem sich die Europäische Union befassen muss. Es geht darum, dass Länder wie die Ukraine und die Republik Moldau nachdrücklich eine neue Regelung für Visumerleichterungen für den befristeten Aufenthalt im Gebiet der Europäischen Union verlangt haben. Wenn wir diese energischen Forderungen nach einem System zur Visumerteilung für die Ukraine und die Republik Moldau nicht ernsthaft in Betracht ziehen, werden die Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten zweifellos versuchen, gefährliche Hintertüren zu nutzen.
Was die Freizügigkeit von Arbeitnehmern anbelangt, so enthalten die Beitrittsverträge mit Rumänien und Bulgarien selbstverständlich Hinweise auf die Möglichkeit, während einer Übergangszeit die Freiheit von Arbeitnehmern, in andere Länder der Europäischen Union zu reisen, zu verlängern.
Nach Auffassung der Europäischen Kommission besteht in Bezug auf die zehn neuen, der Union bereits seit 2004 angehörenden Mitgliedstaaten nicht mehr die Gefahr, dass ihre Arbeitskräfte den Arbeitsmarkt überschwemmen, wozu wir auch eine Mitteilung veröffentlicht haben.
Wenn die beiden neuen Mitgliedstaaten, wie ich persönlich hoffe, Anfang nächsten Jahres beitreten, werden sie selbstverständlich Beschränkungen unterliegen, weil es sich um neue Mitgliedstaaten in der zweiten Erweiterungsphase handelt.
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 40 von Johan Van Hecke (H-0613/06)
Betrifft: Amerikanische Rohölvorräte
Die amerikanischen Rohölvorräte stiegen in der am 16. Juni endenden Woche um 1,4 Millionen Barrel auf 347,1 Millionen Barrel. Die amerikanischen Erdölreserven sind nun auf dem höchsten Stand seit Mai 1998.
Wurde diese Frage auffallend hoher Erdölreserven der USA auf dem jährlichen Gipfel EU-USA in Wien besprochen? Könnte es sein, dass die USA die großen Reserven horten, um so den Preis für Erdöl – mit allen negativen Folgen für die europäische Wirtschaft – künstlich hoch zu halten? Wie hoch sind die Einfuhren amerikanischen Rohöls in die EU?
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Es stimmt, dass die amerikanischen Reserven an Rohöl und Erdölprodukten derzeit einen Höchststand erreicht haben. Doch wachsende Reserven an Rohöl und Erdölprodukten gleich in welchem Verbraucherland dürften normalerweise keinen Anstieg des Ölpreises auf dem Weltmarkt auslösen.
Zahlreiche Experten vertreten die wohl dokumentierte statistische Annahme, dass sich der Preis für Öl und Ölprodukte mit wachsenden Reserven in den großen Verbraucherländern zunehmend entspannt. Das hängt damit zusammen, dass der Risikozuschlag ein wichtiges Element des Ölpreises auf dem Weltmarkt darstellt und von den Marktakteuren auf der Grundlage von Evaluierungen verschiedener Risikofaktoren in den Preis eingerechnet wird. Neben politischen Überlegungen stellt die Wahrscheinlichkeit einer Versorgungsunterbrechung aufgrund unzureichender zusätzlicher Kapazitäten und Reserven einen der wichtigsten Risikofaktoren dar. Folglich erzeugen beruhigend große oder gar einen Höchststand erreichende Vorräte an Rohöl oder Erdölprodukten in wichtigen Verbraucherländern wie den USA bei der großen Mehrzahl von Akteuren auf den globalen Ölmärkten den Eindruck, dass das Risiko sinkt.
Ausgehend davon war es nicht notwendig, die Frage der amerikanischen Vorräte an Rohöl und Erdölprodukten auf dem jährlichen Gipfel EU-USA zu diskutieren.
Was die Rohöleinfuhren der Europäischen Union aus den USA betrifft, so ist festzustellen, dass die USA in den letzten drei Jahren verschwindend geringe Mengen an die EU geliefert haben – weniger als eine Million Tonnen pro Jahr. Das sind weniger als 0,2 % der gesamten Rohöleinfuhren der EU. Es ist sogar so, dass die USA selbst zunehmend auf Rohöleinfuhren angewiesen sind.
Andreas Mölzer (NI). – Pläne für wasserstoffbetriebene, preisgünstige Autos liegen ja seit Jahren in den Schubladen. Einige Hersteller sind nun auch in der Lage, Hybrid-Pkws zum selben Preis wie herkömmliche Autos anzubieten. Mit welchen konkreten Maßnahmen werden derartige Alternativen seitens der EU gefördert, um von der US-amerikanischen Erdölpolitik, aber auch von den Erdöl erzeugenden Ländern unabhängiger zu sein?
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Es stimmt, dass angesichts der Ölpreissituation seit September 2005 eine Reihe von Initiativen geprüft wurde, die auch Eingang in den von Kommissar Piebalgs vorgelegten Fünf-Punkte-Plan gefunden hatten. Im Grünbuch über eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie wurden sie weiterentwickelt.
Ziel der Kommission ist es, die Abhängigkeit der EU von Öleinfuhren schrittweise durch Erhöhung der Energieeffizienz einerseits und die Ablösung von Öl durch andere Energiequellen einschließlich Biomasse und anderer erneuerbarer Energiequellen andererseits zu senken. Sie strebt ferner den Ausbau des Dialogs zwischen Produzenten und Verbrauchern mit den Erdöl produzierenden Ländern an, um die Erkundung und Erschließung zur Abdeckung der wachsenden globalen Nachfrage zu fördern. Sie setzt sich für Transparenz und Berechenbarkeit am Ölmarkt sowie eine entsprechende Planung für Krisenfälle ein. Zu diesem Zweck hält sie die Mitgliedstaaten an, ihre Vorräte auf dem in der entsprechenden EU-Gesetzgebung vorgeschriebenen Niveau zu halten.
Dabei ist zu bedenken, dass sich all diese Maßnahmen – sowohl was den Kraftstoffeinsatz für PKW als auch Biomasse und die anderen eben erwähnten Maßnahmen betrifft – vor allem mittel- bis langfristig positiv auswirken werden und nicht für die unmittelbare Zukunft gedacht sind.
Hubert Pirker (PPE-DE). – Eines unserer Ziele besteht ja darin, die Unabhängigkeit der Europäischen Union in der Energieversorgung etwas zu erhöhen. Eine wichtige Maßnahme ist dabei zweifelsohne ein Ausweichen in alternative, erneuerbare Energieformen.
Welche besonderen Formen erneuerbarer Energie werden Sie in nächster Zeit durch Maßnahmen gezielt fördern und in welcher Größenordnung? Können Sie das auch beziffern?
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Der Plan von Herrn Piebalgs enthält diesbezüglich eine ganze Reihe. Deshalb möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Energieformen schwerpunktmäßig herausgreifen. Biokraftstoffe zählen zu den Prioritäten in der Europäischen Union. Darüber wie auch über andere Formen wie Wind- und Sonnenenergie wurde im Kollegium der Kommissare sowie im Rat diskutiert. Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, kann aber dafür sorgen, dass Sie von meinem Kollegen eine ausführliche schriftliche Antwort auf Ihre Frage erhalten.
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 41 von Karl-Heinz Florenz (H-0639/06)
Betrifft: Klassifizierung des Passivrauchens als Humankanzerogen
In seiner Entschließung zum Europäischen Aktionsplan Umwelt und Gesundheit 2004-2010 vom 23. Februar 2006 ermutigt das Parlament die Kommission, Tabakrauch in der Umwelt so schnell wie möglich als krebserzeugenden Stoff der Kategorie I einzustufen. In der informellen Konsultation zu im Hinblick auf rauchfreie Zonen verfolgte Politiken auf EU-Ebene, die durch die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz durchgeführt wurde (Frist 14. Juni), wird hierauf jedoch kein Bezug genommen.
Hat die Kommission bzgl. der Kennzeichnung des Passivrauchens als Humankanzerogen Maßnahmen ergriffen? Falls nein, warum nicht?
Beabsichtigt die Kommission, der Empfehlung des ASPECT Berichtes zu folgen und Passivrauchen als krebserregenden Arbeitsstoff zu klassifizieren? Wenn nein, warum nicht?
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Ich möchte Herrn Florenz danken, denn jedes Mal, wenn er Fragen zu diesem Thema stellt, bringt das unsere Politik voran.
Es stimmt, dass Schätzungen zufolge 25 % aller Krebserkrankungen in der Europäischen Union auf das Rauchen zurückzuführen sein könnten. Die Weltgesundheitsorganisation, die finnische und die deutsche Regierung sowie amerikanische Agenturen haben Tabakrauch in der Umwelt bereits als Humankanzerogen eingestuft. Wie ich bereits bei zahlreichen Gelegenheiten in diesem Haus erklärt habe, zählen Maßnahmen für ein rauchfreies Europa zu meinen wichtigsten Prioritäten. Die Kommission beabsichtigt, noch in diesem Jahr ein Dokument über rauchfreie Zonen vorzulegen, das Maßnahmen zur Bekämpfung des Passivrauchens in Europa vorsehen wird.
Es ist richtig, dass die Klassifizierung von Tabakrauch in der Umwelt in der informellen Konsultation der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz nicht erwähnt wird. Das hängt mit ihrem vorläufigen und informellen Charakter und damit zusammen, dass es dabei darum ging, die Ansichten ausgewählter Akteure einzuholen. Wir messen der Ansicht des Parlaments, dass eine Einstufung von Tabakrauch als Kanzerogen ratsam wäre, jedoch große Bedeutung bei.
Das Problem ist rechtlicher und nicht politischer Natur, denn wir sind einer Meinung. Es gibt eine Lücke in der europäischen Gesetzgebung. Deshalb schlage ich vor, in zwei Richtungen tätig zu werden. Erstens haben wir das Problem, dass sich die in der Europäischen Union für gefährliche Produkte und Stoffe geltenden Rechtsvorschriften nicht auf Rauch als solchen erstrecken, sondern lediglich auf Erzeugnisse, die in den Verkehr gebracht werden. Folglich weist die Gesetzgebung eine Lücke auf.
Gleichzeitig ist zu bedenken, dass bei der Gesetzgebung zum Schutz vor krebserzeugenden Stoffen am Arbeitsplatz ein ähnlicher Ansatz verfolgt wurde. Bedauerlicherweise erstrecken sich diese beiden Rechtsakte lediglich auf gefährliche Stoffe und Zubereitungen, die in den Verkehr gebracht werden. Für die Zwecke dieser beiden Rechtsakte gilt Tabakrauch als solcher nicht als ein Produkt.
Wir verfolgen zwei Ansätze. Einerseits werden wir dafür sorgen, dass wir im Konsultationsdokument, das wir über die rauchfreie Umwelt herausgeben werden, Tabakrauch in der Umwelt analog zur Einstufung durch die WHO, die USA, Deutschland und Finnland als Kanzerogen einstufen und damit also die richtigen Informationen bereitstellen werden. In Anbetracht dessen, dass die Bestandteile und Inhaltsstoffe von Rauch durch die Gemeinschaftsgesetzgebung bereits als krebserregende Substanzen – wie Arsen, Butadien, Benzol, Stickstoffoxide und andere Oxide – eingestuft werden, werden wir gleichzeitig für einen entsprechenden Verweis sorgen. Folglich können wir Tabakrauch in der Umwelt noch nicht per Gesetz als Kanzerogen einstufen, aber wir können feststellen, dass Tabakrauch Bestandteile und Inhaltsstoffe enthält, die krebserregend sind. Ich denke, das ist eine sehr deutliche Aussage. Das ist etwas, das wir in der unmittelbaren Zukunft tun können.
Langfristig hoffen wir jedoch, Möglichkeiten zu prüfen und Wege zu finden, um die europäische Gesetzgebung so zu nutzen oder abzuändern, dass es uns gelingt, Tabakrauch in der Umwelt an sich als Kanzerogen einzustufen. Dazu könnte u. a. eine Abänderung unserer Rechtsvorschriften geprüft werden. Außerdem dauert die Diskussion der Überprüfung der Rechtsvorschriften über krebserregende Stoffe am Arbeitsplatz noch an, und vielleicht sollten wir prüfen, ob wir das ebenfalls aufnehmen sollten. Das würde für den Arbeitsplatz gelten, aber es wäre ein erster Schritt.
Abschließend kann ich feststellen, dass wir in dem schon bald – noch in diesem Jahr – erscheinenden Dokument alle nur denkbaren Aspekte erfassen werden. Doch vorläufig gilt es, unsere geltenden Gesetze zu verbessern, um sicherzustellen, dass wir auch über die gesetzliche Kompetenz zur Einstufung von Tabakrauch in der Umwelt als krebserregenden Stoff verfügen.
Karl-Heinz Florenz (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Sie werden verstehen, dass ich im Angesicht der Tatsache, dass in Europa durch Passivrauchen 10.000 Menschen im Jahre ihr Leben verlieren, dass ich nicht besonders glücklich bin mit Ihrer Erklärung.
Gleichwohl verstehe ich natürlich, dass es im Gesetz Lücken gibt. Aber wenn ich das richtig verstehe, dann sind Sie doch dafür da, diese Lücken zu schließen. Wenn ich mir überlege, wie wir bei der BSE-Krise, bei vagem Verdacht von Gefährdung, die gesamte Lebensmittelpolitik Europas in ein bis zwei Jahren auf den Kopf gestellt haben, dann sollten wir in dieser Frage, wo tatsächlich Fakten vorliegen, nämlich etwa 10.000 Opfer im Jahr, wirklich aktiver werden.
Wir dürfen Sie darüber informieren, dass meine Fraktion hier sicherlich versuchen wird einen Initiativbericht in diese Richtung auf den Weg zu bringen, um Sie zu unterstützen.
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Ich könnte auch auf die Probleme für Atemwege und Lungen verweisen, die heute in einem Bericht erwähnt werden, der meines Wissens in der britischen Presse veröffentlicht wurde, und die durch passives Rauchen verursacht werden. Wir wissen auch, dass es Herzerkrankungen verursachen kann.
Wie Sie dem demnächst erscheinenden Dokument entnehmen werden können, besteht unser Ziel in der Schaffung einer rauchfreien Umwelt in der Europäischen Union. All diese Argumente ebnen uns den Weg dorthin. Wir werden dieses Ziel weiter verfolgen, aber vorläufig werden wir prüfen, welche Änderungen an unseren existierenden Rechtsvorschriften erforderlich sind, damit auch wir eine entsprechende Einstufung vornehmen können. Wenn das die Mitgliedstaaten und andere internationale Organisationen können, dann sehe ich nicht ein, wieso die Europäische Union dazu nicht auch in der Lage sein sollte.
David Martin (PSE). – (EN) Herr Kommissar! Haben Sie diese Woche Presseberichte gelesen, die zumindest in der britischen Presse zu finden waren, denen zufolge ein deutscher Unternehmer plant, auf der Strecke Europa Asien Raucherflüge anzubieten?
Erstens, verurteilt der Kommissar dies, und hat die Kommission zweitens irgendwelche rechtlichen Möglichkeiten, um dieses Vorhaben zu unterbinden?
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Ich fürchte nicht. Ich weiß nicht, wer unter solchen Bedingungen fliegen möchte. Ich habe selbst eine kleine Umfrage durchgeführt und Raucher gefragt, ob sie mit einem Rauch gefüllten Flugzeug fliegen würden, und sie sagten „Nein“.
Bekanntlich gibt es keine Gemeinschaftsvorschriften, die Rauch in Flugzeugen verbieten. Die Entscheidung liegt bei den Mitgliedstaaten. Folglich sind dafür auch künftig die Mitgliedstaaten verantwortlich. Angesichts jüngster Informationen, denen zufolge sich Deutschland für eine rauchfreie Umwelt einsetzt, hoffe ich, dass man dies dort prüfen wird und dass 2007 entsprechende Rechtsvorschriften in Kraft treten werden.
Richard Seeber (PPE-DE). – Wir wollen alle nicht in einer Welt leben, wo alles verboten ist, aber ich glaube, beim Rauchen, insbesondere beim Passivrauchen, haben wir es mit einem Phänomen zu tun, wo wir andere durch aktives eigenes Tun schädigen. Die europäischen Gaststätten und Restaurants haben sich ja selbst verpflichtet, gewisse Teile ihrer Fläche als rauchfrei auszuweisen. Aber dies ist nur eine Selbstverpflichtung. Können Sie sich vorstellen, eine europäische Regelung zu erlassen, der zufolge bestimmte Teile auch rauchfrei sein müssen und dies auch kontrolliert wird, denn die Kontrolle funktioniert in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gut?
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Ich bin sicher, Sie wissen, dass ich dazu ganz konkrete Ansichten vertrete, aber ich möchte nicht das Ergebnis des Konsultationsprozesses über rauchfreie Zonen vorwegnehmen, der in Kürze anlaufen wird. Ausgehend davon werden wir sehen, welche Schritte als Nächstes auf europäischer Ebene eingeleitet werden können.
Ich freue mich sehr, dass ein Mitgliedstaat nach dem anderen ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen einführt. Litauen und Slowenien haben kürzlich ähnliche Beschlüsse gefasst, und Deutschland wird sich demnächst anschließen. Doch im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaft insgesamt wird die Kommission das Ergebnis des Konsultationsprozesses abwarten, bevor sie über die nächsten Schritte entscheidet. Wie ich in meinen Anhörungen vor den Ausschüssen des Parlaments sagte, strebe ich ein rauchfreies Europa und den Schutz aller Bürger – nicht nur der Bürger in einigen Mitgliedstaaten – vor passivem Rauchen an.
Meiner Ansicht nach reicht eine Trennung der Raucher von den Nichtrauchern nicht aus und bietet keinen ausreichenden Schutz. Wenn wir eine Lösung erreichen wollen, die allen zugute kommt, dann müssen wir ein totales Rauchverbot anstreben. Dennoch freue ich mich auf den Beitrag des Parlaments zum Konsultationsprozess.
Zweiter Teil
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 42 von Marie Panayotopoulos-Cassiotou (H-0599/06)
Betrifft: Maßnahmen zur Steigerung der Lebensfähigkeit von KMU
Im Jahr 2005 waren 140 000 Firmenbankrotte in der EU-15 zu verzeichnen, 1,5 Millionen Arbeitsplätze waren gefährdet. Im selben Jahr kam es in Griechenland im Vergleich zum Jahr 2004 zu einem bedeutenden Anstieg (54,55 %) der Zahl der griechischen KMU, die einen Konkurs anmeldeten. Welche Maßnahmen wird die Kommission angesichts dieser Situation unmittelbar zur Rettung der KMU treffen?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zunächst feststellen, dass die Kommission keine direkte Zuständigkeit im Bereich der Konkursgesetzgebung hat. Dennoch ist dieser Bereich besonders wichtig für kleinere und mittlere Unternehmen und darum bemüht sich die Kommission, hier eine Vermittlerrolle zu spielen.
Wir haben dafür gesorgt, dass bewährte Verfahren bekannt gemacht werden, und haben die Mitgliedstaaten ermutigt, bewährte Verfahren auch einzuführen. Die Kommission sieht den Schwerpunkt ihrer Arbeit darin, Insolvenzen zu verhindern, Umstrukturierungen zu fördern und nicht darin, Unternehmen abzuwickeln. Wir bemühen uns um unternehmensfreundlichere Bestimmungen bei nichtbetrügerischen Insolvenzen, und schließlich beschäftigen wir uns mit der Frage der Unterstützung bei einem Neubeginn, also der Frage der zweiten Chance.
In der europäischen Charta für Kleinunternehmen wird darauf hingewiesen, dass manche Insolvenzfälle auch bei verantwortungsvoller Initiative und dem Eingehen von unternehmerischen Risiken auftreten können. Dementsprechend wird eine Überprüfung der nationalen Insolvenzgesetze unter Berücksichtigung bewährter Verfahren gefordert. In dieser Hinsicht sind verschiedene Schritte unternommen worden. Im Frühjahr 2001 gab es ein Seminar über das Scheitern von Unternehmen in Noordwijk. Wichtigste Themen dabei waren die Verbesserung der Konkursgesetze und die Verhinderung von Insolvenzen. Mitte 2002 ist die Studie „Bankruptcy and a Fresh Start“ mit einer Sammlung von Daten zu rechtlichen und sozialen Konsequenzen von Unternehmensinsolvenzen veröffentlicht worden.
Diese Untersuchung bildet die Grundlage für das Best-Projekt der Kommission „Umstrukturierung, Konkurs und Neubeginn“ aus dem Jahre 2003, in dessen Mittelpunkt zwei zentrale Fragen standen: Wie weit steht das nationale Insolvenzrecht dem Weiterbestand eines Unternehmens und einem Neubeginn entgegen? Wie wirkt sich der Makel des Scheiterns auf die Erfolgsaussichten beim Neubeginn gescheiterter Unternehmen und auf den Unternehmergeist im Allgemeinen aus?
Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in einem Bericht vorgestellt, mit dem der Trend in der europäischen Politik unterstützt werden sollte, den rechtlichen Rahmen der Konkursgesetze zu ändern. Die wichtigsten Empfehlungen und Benchmarks reichten von der Betonung der Nützlichkeit externer Beratung bei der Verhinderung von Insolvenzen über die Bedeutung aktueller und verlässlicher Insolvenzgesetze für die Förderung von Schlichtungen und Umstrukturierungen bis hin zur Bedeutung einer klaren Unterscheidung zwischen betrügerischem und nichtbetrügerischem Konkurs, sowie einer entsprechenden Zuordnung unterschiedlicher rechtlicher Konsequenzen. Der Bericht hat in der Tat zu einer Verstärkung der europaweiten Bemühungen um eine Reform des Insolvenzrechts beigetragen.
Als Antwort auf einige Stellungnahmen zu dem Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ erweiterte die Kommission 2004 den Aktionsplan für unternehmerische Initiative um eine Schwerpunktmaßnahme zu Unternehmensinsolvenzen mit drei spezifischen Zielen.
Erstens, Anhalten der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Empfehlungen des Abschlussberichts der Sachverständigengruppe „Umstrukturierung, Konkurs und Neubeginn“. Zweitens, besseres Verständnis unternehmerischen Scheiterns, drittens, Förderung präventiver Maßnahmen für Unternehmen in der Gefahrenzone.
In Bezug auf die Ziele 2 und 3 entwickelt die Kommission gegenwärtig im Rahmen des mehrjährigen Projekts „Stigma des Scheiterns und Frühwarninstrumente“ ein Informations-Kit, sowie Selbstbewertungstests für Unternehmer zur Früherkennung unternehmerischer Risikofaktoren, wenn die Aussichten auf Abhilfe noch gut sind.
Am 28. März 2006 hat die Kommission in Brüssel eine Konferenz zum Thema „Insolvenz und Neubeginn“ veranstaltet. Diese Konferenz befasste sich mit Methoden zur Verhinderung von Insolvenzen, mit der Bekämpfung des Stigmas eines gescheiterten Unternehmens sowie der Förderung eines Neubeginns nach nichtbetrügerischen Unternehmensinsolvenzen.
Es gibt positive Anzeichen für die Umsetzung dieser Schwerpunkte auf nationaler Ebene. So enthielten die von zirka einem Drittel der Mitgliedstaaten vorgelegten nationalen Reformprogramme im Rahmen der Lissabon-Strategie — dazu gehört übrigens auch Griechenland — für das Jahr 2005 auch Pläne zur Reform des nationalen Konkursrechts.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Frau Präsidentin! Vielen Dank für die umfassende Antwort und die detaillierten Informationen zu den Maßnahmen der Kommission und des Rates.
Ich möchte Sie fragen, ob die internationalen Verpflichtungen der Europäischen Union zu Firmenbankrotten sowie zu unvorhergesehenen Firmenpleiten beitragen.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Wie ich schon sagte: Wir haben auf europäischer Ebene keine Kompetenz für diese Frage. Wir können also nicht gesetzgeberisch tätig werden und wir können auch nicht in internationalen Zusammenhängen tätig werden. Das Einzige, was wir tun können, ist das, was ich Ihnen geschildert habe: mit Hilfe von Zusammenarbeit, Koordinierung und Erfahrungsaustausch in den Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass bessere rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wie ich Ihnen gesagt habe: In einigen Ländern ist dies bereits geschehen, einige Länder sind noch im Prozess begriffen, und bei einigen ist die Situation noch unbefriedigend.
Ich kann Ihnen heute sagen, dass wir uns in der Vorbereitung des nächsten Jahresberichts über die Umsetzung der Lissabon-Strategie mit diesem Thema besonders beschäftigen werden, unter besonderer Berücksichtigung jener Länder, in denen das Insolvenzrecht immer noch ein Hindernis für Wachstum und Beschäftigung darstellt.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Zunächst möchte ich meine Bewunderung dafür zum Ausdruck bringen, dass die Kommission in der Lage ist, detaillierte und schwierige Fragen zu KMU in Griechenland zu beantworten.
Das Beste, was wir in Bezug auf kleine und mittlere Unternehmen tun können, ist die Fortsetzung der Liberalisierung der Märkte und vor allem der Umsetzung der vier bereits existierenden Grundfreiheiten. Ich habe folgende Frage. Können Sie uns heute bitte garantieren, dass Sie dem von zahlreichen vor allem deutschen Gewerkschaften ausgehenden Druck zur Verwässerung der Dienstleistungsrichtlinie, zu der ein so erfreulicher Kompromiss zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament erzielt wurde, widerstehen werden?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Abgeordneter, es fällt mir zwar schwer, den Zusammenhang zwischen Ihrer Frage und dem Problem des Insolvenzrechts zu erkennen, das hier diskutiert wird. Gleichwohl bin ich in der Lage, Ihre Antwort zu beantworten. Die Kommission ist ganz fest entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Dienstleistungsrichtlinie so verabschiedet wird, wie es dem im Europäischen Parlament erreichten Kompromiss entspricht.
Paul Rübig (PPE-DE). – Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kommissar! Wenn Großbetriebe in Konkurs gehen, bekommen viele kleine Betriebe oftmals ihre Rechnungen nicht bezahlt. Könnten Sie sich in so einem Fall vorstellen, dass der Europäische Investitionsfonds — zumindest für eine gewisse Zeit — eine Ausfallgarantie oder ein Eigenkapitalersatzdarlehen zur Verfügung stellen könnte?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Sie werden verstehen, dass diese Frage geprüft werden muss, denn ich würde mit dieser Antwort Institutionen binden, für die ich nicht direkt verantwortlich bin. Lassen Sie es mich etwas allgemeiner sagen: Ich glaube in der Tat, dass die Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, um Folgen plötzlichen Strukturwandels abzumildern, auch in solchen Fällen eingesetzt werden können. Ich könnte mir also in Einzelfällen durchaus auch kreative Finanzinstrumente vorstellen; das muss aber wirklich von Fall zu Fall geprüft werden.
Auch hier haben wir das Problem, dass eine europäische Gesetzgebung in dem Rahmen, den wir heute haben, zu diesem Thema jedenfalls nicht möglich ist.
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 43 von Jan Andersson (H-0626/06)
Betrifft: Industriepolitik
Eine integrierte europäische Industriepolitik ist zu begrüßen. So wie sie sich darstellt, ist sie jedoch allzu einseitig auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet. Die Wettbewerbsfähigkeit ist natürlich wichtig, damit sich die Industrie entwickeln kann, doch wäre es wünschenswert gewesen, wenn man die beschäftigungspolitischen Aspekte mehr beachtet hätte.
In welcher Weise wird die Kommission die Beschäftigungspolitik in die integrierte Industriepolitik einbeziehen?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Die Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes in Europa ist in einer globalisierten Welt die entscheidende Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung. Die Vorschläge für eine moderne Industriepolitik, die die Kommission vorgelegt hat, dienen genau dem Ziel, das Beschäftigungspotenzial, das in der europäischen Industrie liegt, nicht nur vollständig auszuschöpfen, sondern noch stärker auszuweiten.
Es besteht also eine ganz direkte Beziehung zwischen Beschäftigungspolitik und Industriepolitik. Ich bin dankbar für die Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, etwas klarzustellen: Die Industriepolitik, für die ich stehe, und die Kommission mit mir, ist keine Industriepolitik, die die Interessen des shareholder value vertritt, sondern sie ist eine Industriepolitik, der es darum geht, hochwertige industrielle Arbeitsplätze in Europa auf Dauer zu sichern.
Hauptziel der Politik, die ich vertrete, ist es, den Menschen Arbeitsplätze in ausreichender Zahl und in guter Qualität zur Verfügung zu stellen. Entgegen einer Meinung, die es früher in Europa gab, sind wir heute mehr denn je davon überzeugt, dass wir dieses Ziel nicht erreichen werden, ohne eine starke industrielle Basis in Europa, also ohne ein starkes, leistungsfähiges, wettbewerbsfähiges verarbeitendes Gewerbe.
Ich will Sie dann noch auf einige Teilaspekte unserer Politik aufmerksam machen, die sich ganz spezifisch mit der Frage der Verbindung von Industriepolitik und Beschäftigungspolitik befassen. Ich erwähne hier insbesondere den von der Kommission vorgeschlagenen und inzwischen eingerichteten Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung. Die dort vorgesehenen Mittel sind ja in erster Linie dafür gedacht, Arbeitnehmern zu helfen, sich im Falle eines rapide eintretenden Strukturwandels weiter zu qualifizieren oder einen neuen Arbeitsplatz zu finden.
Ich will Sie darauf hinweisen, dass die Kommission derzeit an einer Politik arbeitet, bei der es darum geht, Qualifikationsdefizite in Europa zu beseitigen, Arbeitsinhalte aufzuwerten und die Beschäftigungsmöglichkeiten in einer Vielzahl von Branchen zu verbessern. Ich nenne namentlich die Informations- und Kommunikationstechnologie, Maschinenbau, Textil- und Lederindustrie und verschiedene Branchen des Grundstoff- und des Produktionsgütergewerbes.
Des Weiteren leistet die Europäische Union einen Beitrag zu besser funktionierenden Arbeitsbeziehungen und sie fördert mit großem Nachdruck die soziale Verantwortung der Unternehmen. Und wiederum gibt mir Ihre Frage die Möglichkeit, an die Adresse der europäischen Unternehmen ganz klar zu sagen: Es kann niemals das einzige Unternehmensziel sein, hohe Gewinne zu erzielen, sondern es ist immer so, dass ein europäisches Unternehmen eine soziale Funktion hat. Es hat eine Verantwortung in der Gesellschaft und diese Verantwortung bezieht sich vor allen Dingen auf die Arbeitsplätze.
Sie sehen also, dass es eine ganz künstliche Trennung wäre, die Industriepolitik, die wir betreiben, separat von der Beschäftigungspolitik zu betrachten. Man kann es vielleicht in einem einzigen Satz zusammenfassen: Moderne Industriepolitik in Europa ist ein ganz wesentlicher und unverzichtbarer Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungschancen.
Jan Andersson (PSE). – (SV) Vielen Dank für Ihre Antwort, die ich für gut halte. Ich sehe ebenfalls keinen Widerspruch zwischen Wettbewerbspolitik und Beschäftigungspolitik. Meiner Meinung nach sollte man künftig vielleicht die Beschäftigungspolitik stärker betonen. Eine starke Industriepolitik in Europa ist wichtig, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist es jedoch auch von Bedeutung, dass wir in diesem Sektor Arbeitsplätze von hoher Qualität haben und uns auf Bereiche wie die Kompetenzentwicklung usw. konzentrieren, damit der Industriesektor für die Jugendlichen attraktiv wird. Angesichts des Wettbewerbs sollte es nicht schwer sein, neue Arbeitskräfte anzuwerben. Damit haben wir eine äußerst wichtige Aufgabe zu lösen, wenn man sich die demografische Entwicklung ansieht.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Ich kann nur sagen, Herr Abgeordneter, wir stimmen vollkommen überein. Das ist genau das, was die Kommission zu tun versucht. Ich entnehme Ihrer Frage, dass ein erhöhter Informations- und Kommunikationsbedarf besteht.
Mir scheint, dass vielleicht doch noch nicht überall in Europa bekannt ist, was eigentlich der wesentliche Inhalt unserer Strategie ist. Ich sage es noch einmal: Die grundlegende Strategie, die diese Kommission betreibt, ist eine Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Das ist der Obertitel, das ist das grundlegende Ziel. Industriepolitik ist neben vielen anderen Maßnahmen ein Instrument, das wir benutzen, um dieses Ziel – Wachstum und Beschäftigung – zu erreichen.
Philip Bushill-Matthews (PPE-DE). – (EN) Ich begrüße die Antworten des Herrn Kommissars, aber könnte ich ihn auch fragen, ob er nicht auch der Ansicht ist, dass mehr Flexibilität – vor allem bei der Überprüfung der Arbeitszeitrichtlinie – sowohl der Beschäftigung als auch der Wettbewerbsfähigkeit zugute käme, und würde er sich persönlich federführend dafür einsetzen?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Ich bin nicht federführend, wie Sie wissen, und respektiere voll die Zuständigkeit meiner Kollegen, und die Kollegen respektieren meine. Deshalb kann ich hier nur mit aller Vorsicht antworten und sagen, dass in allen Dokumenten der Kommission, die sich mit der Notwendigkeit von Reformen in Europa beschäftigen, immer darauf hingewiesen wird, dass zumindest in einigen Bereichen und in einigen Mitgliedsländern die Arbeitsmärkte zu rigide sind, zu wenig flexibel, und dass mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten – allerdings von Fall zu Fall immer sehr genau zu beschreiben – in der Tat zu mehr unternehmerischer Initiative, zu mehr Risikobereitschaft und im Ergebnis zu mehr Beschäftigung führen würde.
Grundsätzlich kann ich Ihre Frage also mit Ja beantworten. Flexiblere Arbeitsmärkte sind im 21. Jahrhundert ein notwendiger Teil der Antwort auf die Strukturprobleme, die wir haben.
Richard Seeber (PPE-DE). – Wenn man derzeit die Beschäftigungstatistiken betrachtet, so ist eindeutig festzustellen, dass eigentlich in allen entwickelten Industriestaaten der erste und zweite Sektor, also Landwirtschaft und Industrie, und auch der Dienstleistungssektor massiv zurückgehen.
Wenn die Kommission behauptet, sie fahre eine Strategie für Beschäftigung und Wachstum, wäre es dann nicht sinnvoller, wenn man verstärkt auf den Dienstleistungssektor setzen würde, der meiner Ansicht nach die Zukunft darstellt?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Das ist eine hoch- interessante Debatte, die wir jetzt führen könnten, und meine Antwort ist ein klares Nein. Sie werden überrascht sein, dass ich das so klar beantworten kann. Es ist ein grundlegender Irrtum zu glauben, dass man eine Politik betreiben könnte, in der der Sektor Dienstleistungen gegenüber dem Sektor des verarbeitenden Gewerbes privilegiert wird. Der Dienstleistungssektor kann in Wahrheit überhaupt nicht entwickelt werden kann, wenn nicht ein starkes verarbeitendes Gewerbe, wenn nicht eine starke Industrie da ist, die diese Dienstleistungen abnimmt.
Wenn Sie sich die ökonomische Realität gerade in den Mitgliedsstaaten mit einem besonders hohen Dienstleistungsanteil ansehen, dann fällt Ihnen auf, dass es sich hierbei zu einem ganz großen Teil um Aktivitäten handelt, die aus der Industrie in den Dienstleistungssektor ausgelagert wurden, jedoch präzise das beinhalten, was sie auch vorher schon beinhaltet haben. Die These, die wir vertreten, heißt also, dass es ohne eine starke und leistungsfähige industrielle Basis auch nicht möglich sein wird, den Dienstleistungssektor so auszubauen, wie dies notwendig wäre, um das Arbeitsplatzproblem allein auf diese Weise zu lösen. Ich denke, wir müssen beides in einem engem Zusammenhang sehen.
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 44 von Seán Ó Neachtain (H-0638/06)
Betrifft: Verringerung der Bürokratie für kleine Unternehmen in Europa
Kann die Kommission in einer Erklärung die verschiedenen Maßnahmen auflisten, die sie in den Jahren 2005 und 2006 bisher ergriffen hat, um das Ausmaß an bürokratischem Aufwand zu senken, den kleine Unternehmen innerhalb der Europäischen Union treiben müssen?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Ich muss zugeben, Frau Präsidentin, dass ich mit dieser Frage deshalb ein Problem habe, weil die Fülle der Aktivitäten und Initiativen, die die Kommission zu diesem Thema gerade in der jüngsten Zeit ergriffen hat, so dicht ist, dass ich viel Zeit brauchen würde, um Ihnen alles zu sagen, was wir im Augenblick machen. Deshalb gebe ich Ihnen jetzt eine Kurzfassung, auch im Interesse der Ökonomie der Präsidentin.
Abbau von Bürokratie, Reduzierung von administrativen Kosten für kleinere und mittlere Unternehmen, u. a. durch eine Erhöhung der Qualität unserer Gesetzgebung, ist eines der großen politischen Projekte dieser Kommission. Dafür steht diese Kommission.
Wir haben einen wirklichen Paradigmenwechsel herbeigeführt. Das gesamte europäische Recht – und zwar wirklich Gesetz für Gesetz, Vorschrift für Vorschrift – wird zurzeit von uns systematisch daraufhin überprüft, ob es vereinfacht werden kann, speziell für kleine und mittlere Unternehmen, ob es Erfordernisse enthält, die kleine und mittlere Unternehmen behindern.
Die Kommission hat die Politik für kleine und mittlere Unternehmen – wie Sie wissen – da hingestellt, wo sie hingehört, nämlich in den Mittelpunkt unseres ökonomischen Denkens, denn Europa ist nicht von Großunternehmen bestimmt. Europa ist bestimmt von kleinen und mittleren Unternehmen, und was die kleinen und mittleren Unternehmen brauchen, ist mehr Freiheit, mehr Selbstverantwortung. Sie brauchen ein Umfeld, in dem sie sich entwickeln können.
Wir sind fest davon überzeugt, dass das Projekt „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ eine Querschnittsaufgabe in der gesamten Kommission ist, an der alle Generaldirektionen beteiligt sind und die einen ganz entscheidenden Beitrag dazu leisten wird, die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken und mehr Menschen in Europa zu ermutigen, selbst ein Unternehmen zu gründen, selbst ein Risiko einzugehen und damit anderen Menschen Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
Frau Präsidentin, ich möchte im Interesse der Zeit vielleicht vorschlagen, dass ich die ausführliche Fassung meiner Antwort, in der alle diese Initiativen im Einzelnen dargestellt sind, dem Herrn Abgeordneten zur Verfügung stelle, und ich bin auch bereit, jede weitere Information zu geben.
Seán Ó Neachtain (UEN). – (EN) Ich danke dem Kommissar für seine Antwort, auch wenn er sagte, dass eine ausführliche Darstellung der Maßnahmen länger dauern würde, finde ich seine Erwiderung ermutigend.
Herr Kommissar, ist es nicht so, dass wir noch weit davon entfernt sind, die Ziele der Lissabon-Agenda zu erreichen, und dass wir in Bezug auf Maßnahmen, die zur Koordinierung und für Fortschritte der KMU im Rahmen der von uns ursprünglich aufgestellten Ziele der Lissabon-Agenda erforderlich sind, noch große Rückstände aufweisen?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Ich würde das heute nicht mehr in dieser Schärfe behaupten. Im vergangenen Jahr hätte ich das genauso gesagt wie Sie. Aber Sie wissen, dass in der Zwischenzeit eine Totalrevision der Lissabon-Strategie — der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie, über die ich eben gesprochen habe — stattgefunden hat, die im Frühjahr des vergangenen Jahres beschlossen wurde. Ohne jetzt dem Bericht, den die Kommission am Ende dieses Jahres vorlegen wird, vorgreifen zu wollen, glaube ich eines sagen zu können: Wir sehen in der Tat erste positive Wirkungen. Wir sehen sie in der Politik der Mitgliedsstaaten, wir sehen sie aber auch in der europäischen Wirtschaft.
Ich weiß nicht, ob Sie heute beim Lesen der Zeitungen dasselbe Gefühl hatten wie ich. Zum ersten Mal, seit langer Zeit konnten wir lesen, dass das Wachstum der Produktion in Europa und das Wirtschaftswachstum insgesamt das japanische und das amerikanische Wachstumstempo überholt hat. Wir wachsen jetzt wieder schneller als unsere amerikanischen und japanischen Konkurrenten. Das heißt, die Kluft beginnt sich zu schließen und ich hoffe, dass dieser Trend anhält.
Es ist ein erster Indikator, aber er stimmt mich hoffnungsvoll und zeigt mir, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Kommissar! Ich möchte nicht unfreundlich sein, aber ist es nicht so, dass die Kommission in Bezug auf den Bürokratieabbau zwar viel versprochen, aber nur sehr wenig gehalten hat? Es ist recht bemerkenswert, dass Sie uns zwar versprochen haben, entsprechende Beispiele schriftlich nachzureichen, aber Sie waren in Ihrer umfangreichen Antwort nicht in der Lage, auch nur ein einziges Beispiel für tatsächlichen Bürokratieabbau anzuführen. Die Unternehmen in meinem Wahlkreis haben davon noch nichts zu spüren bekommen. Nach ihren Erfahrungen nimmt der Aufwand ständig weiter zu und beeinträchtigt inzwischen ernsthaft ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Abgeordneter, es tut mir Leid, aber ich muss Ihnen vollständig widersprechen. Das genaue Gegenteil ist richtig.
Wir haben in der relativ kurzen Zeit, seitdem es diese Initiative gibt, mehr erreicht, als ich mir jemals vorgestellt hatte. Erstens: Wir haben in einem ersten Schritt, wie Sie wissen, ein Drittel der gesamten anhängigen Gesetzgebung ersatzlos zurückgezogen. Zweitens: Wir haben die Methoden der Gesetzgebung vollständig verändert, das obligatorische vollständige impact assessment eingeführt, und das verändert ja die Qualität der laufenden Gesetzgebung bereits erheblich. Das spüren Sie doch hier in diesem Parlament, wenn Sie die Vorschläge beraten, die die Kommission vorlegt!
Drittens ist das Vereinfachungsprogramm in vollem Gange. Ich muss leider sagen, dass die Kommission hier etwas schneller ist als die anderen Institutionen. Ich bin für Kritik immer dankbar, aber ich würde diese Kritik noch leichter ertragen, wenn die Vereinfachungsvorschläge, die die Kommission den anderen Institutionen bereits vorgelegt hat, von Rat und Parlament in dem Tempo entschieden würden, wie die Kommission sie vorlegt.
David Martin (PSE). – (EN) Würde der Kommissar akzeptieren, dass seine warmherzigen Worte in Bezug auf den Mittelstand glaubwürdiger wären, wenn wir nicht mit unseren eigenen Forschungsmitteln die Kleinbetriebe diskriminieren würden? Ich kenne einen Fall, bei dem sich zwei Unternehmen – ein Groß- und ein Kleinbetrieb – am gleichen Programm beteiligt haben. Während das Großunternehmen bei Abschluss des Programms geprüft wird und seine Zuschüsse im Voraus erhält, muss sich der Kleinbetrieb einer jährlichen Prüfung unterziehen, und zwar auf eigene Kosten, und erhält die Mittel im Nachhinein. Ist der Kommissar nicht auch der Meinung, dass sich hier Prioritäten ins Gegenteil verkehrt haben?
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Ich kann diese Frage nicht beantworten, ohne den Fall zu kennen. Ich bitte Sie, entweder mir oder dem zuständigen Kollegen – ich weiß ja nicht, in welchem Zuständigkeitsbereich das passiert sein soll – die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen, und dann wird das geprüft. Jedenfalls gibt es keine Politik der Kommission, die kleinere Unternehmen gegenüber großen diskriminiert. Das genaue Gegenteil ist richtig.
Die Anforderungen an kleine und mittlere Unternehmen bei der Bewerbung um Aufträge und Projekte sind deutlich geringer als die Anforderungen an Großunternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen können auch mit höheren Prozentsätzen gefördert werden als große Unternehmen. Das, was Sie als ein Beispiel aus der Praxis erwähnen, überrascht mich. Es kann sich nicht um die Regel handeln, sondern um einen Einzelfall, den ich gerne bereit bin zu prüfen. Bitte stellen Sie uns die entsprechenden Informationen zur Verfügung.
Die Präsidentin. Anfrage 45 wird schriftlich beantwortet.
Anfrage Nr. 46 von Paulo Casaca (H-0597/06)
Betrifft: Zahlen betreffend die Frühjahrsjagd in Malta
Seit Maltas Beitritt zur EU im Jahr 2004 haben Tausende europäische Bürger ihre Empörung über die Entscheidung der maltesischen Regierung, die Jagd im Frühjahr zu gestatten, zum Ausdruck gebracht. MdEP haben seither die Kommission gedrängt, die Frühjahrsjagd in Malta zu untersagen, da die Ausnahmeregelung im Widerspruch zur Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG(1)) steht. Die Kommission erklärte in ihrer Antwort auf Anfrage E-1318/06 im Juni 2006, dass sie schwerwiegende Zweifel an der Behauptung Maltas hege, die Jagdmöglichkeiten im Herbst seien minimal und die Ausnahmeregelung für die Frühjahrsjagd daher gerechtfertigt. Die Kommission forderte die Behörden Maltas aber dringend auf, zusätzliche statistische Daten vorzulegen, um diese Behauptung zu untermauern.
Kann die Kommission mitteilen, ob sie bisher irgendwelche (zufrieden stellenden) zusätzlichen Zahlen erhalten hat und, wenn nicht, wann sie – endlich – zu einer Entscheidung über die Vereinbarkeit der Ausnahmeregelung betreffend die Frühjahrsjagd in Malta gelangen wird, um diesen Fall aufzunehmen oder endgültig abzuschließen?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. – (EL) Die Vogelschutzrichtlinie untersagt generell die Frühjahrsjagd. Diese ist nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, und zwar hauptsächlich dann, wenn es keine anderen zufriedenstellenden Lösungen gibt.
Bislang konnten die Mitgliedstaaten, die um eine solche Ausnahmeregelung ersucht haben, nicht nachweisen, dass es keine zufriedenstellenden Alternativen für die Jagd, beispielsweise im Herbst, gab.
Der Grund, warum die Jagd im Frühjahr untersagt ist, besteht darin, dass wildlebende Vögel zu ihren Brutplätzen ziehen. Es handelt sich um Vögel, die den Winter und andere Härten überstanden haben und die nun ihre Nistplätze aufsuchen. Es liegt demzufolge ein elementarer Grund vor, die Jagd auf wildlebende Vögel in dieser Zeit nicht zu gestatten.
Was insbesondere Malta betrifft, so haben wir die maltesische Regierung bereits im Herbst 2004 aufgefordert, Daten zu den während der Jagdsaison 2004 gejagten Vögeln vorzulegen. Die maltesischen Behörden übermittelten uns die betreffenden Daten für die Frühjahrsjagd 2004.
Wir sind nach Auswertung dieser Daten, die die Kommission sorgfältig geprüft hat, um herauszufinden, ob tatsächlich Gründe für eine Ausnahmeregelung vorlagen – das heißt, ob es keine zufriedenstellenden Jagdalternativen zu anderen Zeiten gab –, zu der Erkenntnis gelangt, dass diese Voraussetzungen nicht bestanden. Angesichts der Tatsache, dass es in der Herbstsaison eine beträchtliche Zahl von Wachteln und Turteltauben gibt, die sich nur unwesentlich von der Zahl der Vögel, die während der Frühjahrssaison gejagt werden, unterscheidet, und in Anbetracht der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, gelangten wir zu dem Schluss, dass eine zufriedenstellende Alternative besteht und die Ausnahmeregelung deshalb nicht zulässig ist.
Nachdem dies festgestellt wurde, hat die Kommission im Juli 2006 gegen Malta ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die Vogelschutzrichtlinie eingeleitet, da es die Frühjahrsjagd auf diese beiden Vogelarten gestattet hatte.
Ich muss sagen, dass wir auch gegen andere Mitgliedstaaten ähnliche Verstoßverfahren wegen erwünschter Ausnahmeregelungen, für die die notwendigen Voraussetzungen nicht vorlagen, eingeleitet haben, und dass speziell aus diesen Gründen entsprechende Gerichtsurteile, beispielsweise kürzlich gegen Spanien und Finnland, gefällt wurden.
Paulo Casaca (PSE). – (PT) Frau Präsidentin! Die Frage, die ich nach der Antwort des Herrn Kommissars stellen möchte, lautet, ob er nicht auch der Auffassung ist, dass es ein gravierender Fehler wäre, eine solche Entscheidung lediglich ausgehend von Statistiken zu treffen, die von den Jägern selbst erstellt worden sind. Wäre es nicht besser, wenn die Kommission ein realistischeres Bild von der Wirklichkeit hätte, das berücksichtigen würde, was die maltesische Presse und die Gemeinschaft der Vogelbeobachter sagen?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Ich weiß, dass es Zweifel hinsichtlich der uns von den maltesischen Behörden vorgelegten Angaben gibt, aber selbst diese Angaben haben uns zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass keine Gründe für eine Ausnahmeregelung vom Verbot der Frühjahrsjagd vorliegen, und wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta eingeleitet. Was können wir sonst noch tun? Wir möchten gegenüber jedermann deutlich machen, dass es uns mit der Anwendung und Durchsetzung der Vogelschutzrichtlinie, die diese Bestimmung enthält, ernst ist. Wenn wir andere Signale aussenden, dann könnte das andere Länder zu der Annahme veranlassen, dass wir die Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie verwässert haben, und sie könnten ebenfalls eine Ausnahmeregelung beantragen. Deshalb haben wir ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, und es bleibt abzuwarten, ob die maltesischen Behörden sich an die Vorschriften halten und die Jagd während des Frühjahrs verbieten werden.
Bart Staes (Verts/ALE). – (NL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Wir sprechen jetzt über 2004, wie ich jedoch der maltesischen Presse entnehme, wurden auch im Frühjahr 2005 und 2006 ziemlich viele Zugvögel gejagt und nicht eben wenige von ihnen abgeschossen.
Können Sie mir mitteilen, ob die maltesischen Behörden der Kommission bereits einen Bericht über die Ausnahmeregelung für die Frühjahrsjagd im Jahr 2005 übermittelt haben und wie es um ihre diesbezüglichen Pflichten bestellt ist? Meiner Meinung nach hätte dies bis Juni dieses Jahres geschehen müssen. Ist es geschehen? Wenn ja, können Sie uns informieren, was in etwa in diesem Bericht steht und wie die Ausnahmeregelung begründet wird? Wenn nein, wann erwarten Sie diesen Bericht?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) In diesem Monat wird ein Treffen zwischen den maltesischen Behörden und Vertretern der GD Umwelt stattfinden. Dabei wird man verschiedene Fragen diskutieren, einschließlich der Tatsache, dass die maltesischen Behörden im Frühjahr nach wie vor die Jagd auf Turteltauben und Wachteln gestatten. Man wird prüfen, wie für die Einhaltung der Vogelschutzrichtlinie gesorgt werden kann.
Was den Bericht und die Zahlen für 2005 angeht, so werden diese voraussichtlich bis Jahresende vorliegen.
Die Präsidentin. Da sie dasselbe Thema betreffen, werden die folgenden Anfragen gemeinsam behandelt:
Anfrage Nr. 47 von Caroline Lucas (H-0604/06)
Betrifft: Studie zum Erhaltungsaspekt des Einfuhrverbots für Wildvögel in die EU
Im Oktober des vergangenen Jahres leitete die Kommission ein Einfuhrverbot für gefangene Wildvögel in die EU ein. Dieser Beschluss wurde aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit gefasst.
Jedoch sollte dieser Handel auch verboten werden, weil er die Nachhaltigkeit schwer schädigt und bei vielen wildlebenden Vögeln zu Zusammenbrüchen in den Populationen führt. Da in die EU jährlich schätzungsweise zwei Millionen Vögel eingeführt werden, kann die Kommission nur dazu beglückwünscht werden, mit ihrem Beschluss dazu beigetragen zu haben, dass seit Oktober mehr als eine Million Vögel gerettet wurden.
Zu den Auswirkungen dieses Handels auf die Erhaltung befragt, versicherte Kommissionsmitglied Dimas den Umweltministern gegenüber im Dezember 2005, dass die Kommission die Auswirkungen dieses Handels unter dem Aspekt der Erhaltung prüfen werde.
Offenbar hat die Kommission jedoch eine solche Studie nicht eingeleitet. Kann die Kommission darlegen, warum dies nicht geschehen ist und wann die Kommission ihr Versprechen zu erfüllen gedenkt?
Anfrage Nr. 48 von John Bowis (H-0674/06)
Betrifft: Einfuhrverbot für Wildvögel
Kann die Kommission eine gründliche Untersuchung über die Auswirkungen eines befristeten Einfuhrverbots für Wildvögel mit Daten aus allen Mitgliedstaaten durchführen? Der illegale Handel ist schwer zu erfassen, es wurde jedoch geschätzt, dass es dabei um gewaltige Zahlen geschützter wild gefangener Vögel geht, und das Argument, wonach ein völliges Einfuhrverbot für Wildvögel zu Schwarzhandel und zu einer Zunahme illegal eingeführter Vögel führen würde, wurde von den Gegnern eines Handelsverbots immer wieder angeführt. Erste Analysen von Daten, die seit Oktober 2005 (als das befristete Verbot verhängt wurde) erhoben und in einem neuen Bericht der Königlichen Gesellschaft für Tierschutz/Eurogruppe für Tierschutz veröffentlicht wurden, zeigen, dass der illegale Handel zurückgegangen ist und dass die Befürchtungen nicht begründet sind.
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. – (EL) Ich werde mich bemühen, die beiden zusammenhängenden Anfragen, die zum einen die Studie und zum anderen das Einfuhrverbot für Vögel und die Angaben der Königlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei betreffen, gemeinsam zu beantworten. Was die veterinärmedizinischen Bestimmungen und die Hygienevorschriften betrifft, so hat die Kommission auf der Grundlage der geltenden veterinärmedizinischen Rechtsvorschriften im Oktober 2005 unverzügliche und effektive Präventivmaßnahmen ergriffen.
Zunächst hatten wir das Einfuhrverbot für alle Vogelarten bis zum 31. Mai 2006 verlängert; dann genehmigten wir eine erneute Verlängerung bis zum 31. Dezember 2006 und angesichts der Entwicklungen hinsichtlich der Ausbreitung der Vogelgrippe wird es höchstwahrscheinlich eine weitere Verlängerung geben.
Die Kommission hat zudem die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit um ein Sachverständigengutachten zu Fragen der Gesundheit und der Überlebensbedingungen von Tieren gebeten, die im Zusammenhang mit der Einfuhr von Vögeln stehen, die nicht zu den Hausgeflügelrassen gehören. Das Sachverständigengutachten wird zum Oktober 2006 erwartet.
Was den Schutz der biologischen Vielfalt und der wildlebenden Vogelarten betrifft, so hat die Kommission im Anschluss an den Rat vom Dezember letzten Jahres im Januar eine Studie zur Bewertung der Effektivität der Gemeinschaftsvorschriften für den Handel mit freilebenden Tieren und Pflanzen in Auftrag gegeben.
Den grundlegenden Rahmen für das Ergreifen von Schutz- sowie handelspolitischen Maßnahmen bildet das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES), das in den Verordnungen über den Handel mit freilebenden Tieren und Pflanzen in die Gesetzgebung der Europäischen Union überführt wurde. Derzeit ist gemäß diesen Verordnungen die Einfuhr gestattet, vorausgesetzt, das Artenschutzsystem wird dadurch nicht gefährdet.
Der zuständige wissenschaftliche Ausschuss der Europäischen Union, mit dem alle Wissenschaftsbehörden der EU-Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, ist für die Kontrolle der Einfuhr freilebender Tiere und Pflanzen verantwortlich. Dort werden, sobald ein Problem festgestellt wird, die notwendigen Maßnahmen für die Einfuhr von Tier- und Pflanzenarten ergriffen; das gilt nicht nur für Vögel, sondern für alle Arten.
Die von uns in Auftrag gegebene Studie wird die Frage der Effektivität dieser Verordnungen zum Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere umfassend behandeln, wobei das Hauptaugenmerk auf den wildlebenden Vogelarten liegt. Die Ergebnisse dieser Studie werden voraussichtlich Mitte 2007 zur Verfügung stehen.
Selbstverständlich werden bei der Ausarbeitung dieser Studie die Schlussfolgerungen des Berichts der Königlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei und der Eurogruppe für Tierschutz Berücksichtigung finden.
Caroline Lucas (Verts/ALE). – (EN) Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Kommissar. Ich freue mich, dass die Studie wenigstens angelaufen ist, auch wenn wir bis Mitte 2007 warten müssen, obwohl sie erstmals im Dezember 2005 gefordert wurde. Der Termin liegt also noch in weiter Ferner, doch wollen wir hoffen, dass sich das Warten lohnt.
Können Sie erläutern, wieso die EU derartige Vögel einführt, obwohl andere Länder wie die USA die Ansicht vertreten, dass dieselben Vögel nicht nachhaltig gefangen werden? Die USA haben 1992 ein Moratorium für alle im Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (CITES) genannten Vögel eingeführt, für die nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden kann, dass sie nachhaltig gefangen werden. Seit 1992 konnte eine solche Nachhaltigkeit nicht für eine einzige Vogelart nachgewiesen werden. Auch zahlreiche Entwicklungsländer haben ein Ausfuhrverbot für diese Vögel verhängt. Wie kommt es also, dass die USA die Frage, ob diese Vögel nachhaltig gefangen werden oder nicht, ganz anders einschätzen als die EU?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Erstens kann ich Ihnen sagen, dass die USA das Artenschutz-Übereinkommen nicht unterzeichnet haben. Es sieht andere Regeln vor; es sieht ein allgemeines Verbot, aber auch Ausnahmen vor. Wir kommen mit einer separaten Berücksichtigung der einzelnen Arten mehr oder weniger zum gleichen Ergebnis. Die Ergebnisse sind jedoch mehr oder weniger gleich, weil der illegale Handel in den USA stark ausgeprägt ist und auch in der EU eine Rolle spielt. Die Kommission wird das Vorgehen der USA und die entsprechenden Ergebnisse prüfen. Während die USA die Einfuhr völlig verbieten, müssen wir dies prüfen und untersuchen, ob ein allgemeines Verbot zu einer Zunahme des illegalen Handels führt. Das wissen wir nicht. Aus der Studie geht hervor, dass der illegale Handel möglicherweise zurückgegangen ist, aber wir wissen nicht, was die Zukunft diesbezüglich bringt. Wenn wir ein dauerhaftes Einfuhrverbot für Vögel verhängen, müssen wir überlegen, inwiefern und weshalb sie anders behandelt werden als andere Arten wie beispielsweise Korallen und Reptilien, denn wir verfolgen eine umfassende Politik. Die USA verfolgen diesbezüglich einen anderen Ansatz.
Ferner möchten wir prüfen, ob ein unbegrenztes Handelsverbot seitens der USA durch exportierende Länder beispielsweise im Rahmen der Welthandelsorganisation angefochten werden kann. Das könnte sich auch auf unsere derzeitigen sehr differenzierten restriktiven Maßnahmen auswirken, die es der Europäischen Union ermöglichen, auf der Grundlage von Konsultationen mit den Exportländern befristete Maßnahmen zu ergreifen. Im Rahmen unserer Studie werden wir jedoch ein Verbot mit Ausnahmen prüfen.
John Bowis (PPE-DE). – (EN) Unabhängig davon, wie die USA mit Ausnahmeregelungen verfahren, verfügen wir über ein befristetes Verbot, mit dem der illegale Handel nachweislich eingedämmt werden konnte, aber wir haben kein dauerhaftes Verbot. Dabei sind wir Europäer mit 93 % die Hauptimporteure von Wildvögeln, von denen bis 2003 jährlich fast eine Million eingeführt wurde. Zwischen 40 % und 70 % dieser Vögel sterben noch vor der eigentlichen Ausfuhr, und viele sterben während des Transports nach Europa. Es ist zweifellos an der Zeit, dass wir ein unbefristetes Verbot verhängen und gegenüber Staaten wie den USA und Australien sowie der ganzen Welt mit gutem Beispiel vorangehen.
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Diese Studie hat gezeigt, dass die Zahl der konfiszierten Vögel seit Einführung des Verbots aus Gründen der Gesundheit zurückgegangen ist. Es ist schwierig, die genaue Zahl der illegal gehandelten Tiere zu erfassen, da diese naturgemäß nicht bekannt ist.
Die Zahl der in der Europäischen Union beschlagnahmten Vögel ist in letzter Zeit möglicherweise aufgrund des derzeitigen befristeten Verbots für sämtliche Einfuhren zurückgegangen. Es werden keinerlei Einfuhrverfahren für Vögel beantragt, da diese automatisch und unverzüglich abgelehnt werden würden. Sehr bedenklich ist allerdings die Tatsache, dass Vögel in einigen Mitgliedstaaten noch immer illegal gehandelt und beschlagnahmt werden. Sie werden ohne jegliche veterinärmedizinische Kontrollen eingeführt und angeboten. Auch hier müssen wir das Ergebnis der Studie abwarten und prüfen, ob ein Verbot mit Ausnahmen eine bessere Lösung wäre als das derzeitige System, bei dem jede Art einzeln geprüft wird. Wir gestatten nur die Einfuhr von Vögeln, die nicht vom Aussterben bedroht sind.
John Purvis (PPE-DE). – (EN) Der Kommissar erwähnte, dass ihm die vom Aussterben bedrohten Vogelarten Sorge bereiten. Sicher weiß er jedoch, dass ich und meine Wähler uns mehrfach schriftlich in der Angelegenheit eines Importeurs an ihn gewandt haben, der rechtmäßig Vögel, die entsprechend den geltenden Gesetzen in den USA gefangen wurden, aus den USA einführt und wegen dieses Verbots gezwungen ist, sein Geschäft aufzugeben, obwohl es sich um ein aus gesundheitlichen Gründen erlassenes Verbot für die Einfuhr von Hühnern handelt und nicht für diese bestimmten Vogelarten aus den USA gilt. Ihr Fang und ihre Einfuhr verstoßen weder gegen Gesetze noch stellen sie eine Gefahr für die Gesundheit dar.
Weshalb verhängt der Kommissar diese drakonische Maßnahme gegen kleine Unternehmen in Europa?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Das ist eine Frage für meinen Kollegen Herrn Kyprianou. Die offensichtliche Antwort darauf sind die Vogelgrippe und das Verbot, das wir aus Gründen der Gesundheit verhängt haben. Dieses Verbot ist befristeter Natur. Es muss bis Ende Dezember verlängert werden und wird je nachdem, wie sich die Lage in Bezug auf die Vogelgrippe entwickelt, vielleicht auch nächstes Jahr noch in Kraft bleiben.
In diesem speziellen Fall verfolgen die USA eine andere Politik, möglicherweise allerdings mit demselben Ergebnis. Sie verfügen über ein Verbot, das Ausnahmen zulässt, während wir von Fall zu Fall Einfuhren gestatten.
Avril Doyle (PPE-DE). – (EN) Ich frage mich, Herr Kommissar, ob Sie je die Möglichkeit der Umkehr der Beweislast in Betracht gezogen haben. Und zwar betrifft meine Frage die Tatsache, dass nach unserem derzeitigen System zur Regelung des Handels mit Wildvögeln nachgewiesen werden muss, dass dieser für wild lebende Bestände schädlich ist, bevor er ausgesetzt werden kann. Wieso können wir die Nachhaltigkeit einer Wildvogel- oder anderen Art nicht ermitteln, bevor der Handel beginnt? Das sollte für alle Arten und nicht nur für Wildvögel gelten. Hinzu kommt, dass die EU im Rahmen der Vogel- und der Habitat-Richtlinie den Handel mit eigenen Wildvögeln verbietet. Gleichzeitig gehen wir bei unserem Handel nach wie vor recht leichtfertig mit der biologischen Vielfalt in weniger entwickelten Ländern um, obwohl ein Verbot besteht. Ist ein solches Vorgehen wirklich vertretbar?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Der internationale Handel beeinträchtigt weltweit die Erhaltung bestimmter Vogelarten. Derartige Arten könnten unter Berücksichtigung der einzelnen Anhänge in das CITES-Übereinkommen aufgenommen werden. Damit wird der Handel für gewerbliche Zwecke verboten oder mittels Genehmigung und Überwachungssystem geregelt. Das CITES-Übereinkommen sieht dafür bestimmte Möglichkeiten vor.
Eine Art wird nur dann aufgenommen, wenn bestimmte Kriterien für die Erhaltung und den Handel erfüllt sind. Werden derartige Kriterien erfüllt, würde die Kommission eine solche Aufnahme befürworten. Derartige Aufnahmen unterliegen der Abstimmung durch die CITES-Mitglieder, und nicht immer kann die erforderliche Mehrheit erzielt werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns an das geltende Recht halten und unseren Verpflichtungen im Rahmen des CITES-Übereinkommens nachkommen müssen. Abstimmungsergebnisse sind verbindlich. Auch die Exportländer wirken mit, und wenn wir uns bei bestimmten Arten nicht an das geltende Recht halten, könnten wir bei anderen Arten wie Reptilien, Korallen oder anderen Tieren auf Probleme stoßen.
Die Präsidentin. – Anfrage Nr. 49 von Carlos Carnero González (H-0620/06)
Betrifft: Mahnschreiben an die Stadtverwaltung und die Autonome Gemeinschaft Madrid Strafverfahren im Zusammenhang mit den Bauarbeiten zur unterirdischen Verlegung der M-30
Im April dieses Jahres sandte die Europäische Kommission im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Nichteinhaltung der Richtlinie 85/337/EWG(2) bei den Bauarbeiten zur unterirdischen Verlegung der M-30 auf der Grundlage des Dossiers, das von der Kommission als Reaktion auf die Anfrage P-0494/04(3) von Februar 2004 eröffnet wurde, ein Mahnschreiben an die Stadtverwaltung von Madrid und die Autonome Gemeinschaft Madrid. Die zweimonatige Frist, innerhalb deren die Stadtverwaltung und die Autonome Gemeinschaft Madrid der Kommission die ihnen angemessen erscheinenden Erklärungen übermitteln sollten, ist nun abgelaufen. Wurden der Kommission diese Erklärungen vorgelegt? Wenn nicht, welche Schritte gedenkt die Kommission zu unternehmen? Wenn ja, welchen Inhalts sind diese Erklärungen? Welche Haltung nimmt die Kommission dazu ein?
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. – (EL) Meines Erachtens ist die Antwort sehr einfach. Ich könnte vielleicht mit einem Satz sagen, dass die Kommission ein Mahnschreiben an die spanischen Behörden gesandt hat, in dem es um die, wie vermutet, mangelhafte Umsetzung der geänderten Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten im Falle des Baus der Ringstraße M-30 in Madrid ging.
Die Kommission hat dieses Schreiben am 10. April 2006 gemäß Artikel 226 des Vertrags an Spanien gesandt, das am 13. Juli 2006 antwortete. Im Moment prüfen wir die Antwort der spanischen Behörden und in Kürze werden wir diese Prüfung abgeschlossen haben.
Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Angesichts der Antwort seitens der zuständigen spanischen Behörden hoffe ich, dass die Europäische Kommission eine schnelle Entscheidung trifft.
Ich möchte Folgendes sagen: Das Mahnschreiben der Kommission stellte eindeutig klar, dass nach Ansicht der Kommission der Inhalt der Richtlinie 85/337, die für diese Art von öffentlichen Bauten Umweltverträglichkeitsprüfungen verbindlich macht, nicht eingehalten wurde. Da sie von den Ausführenden dieser öffentlichen Arbeiten missachtet wurde, sind die legitimen Rechte und Interessen der Bürger von Madrid, das heißt, der europäischen Bürger von Madrid, verletzt worden.
Dennoch, und trotz der Mahnung der Europäischen Kommission, setzt die Stadtverwaltung von Madrid die Arbeiten Tag und Nacht fort. Angesichts des Antwortschreibens ist deshalb unverzüglich eine Entscheidung zu treffen, weil andernfalls die Rechte fast irreversiblen Schaden erleiden, und das müssen wir versuchen zu verhindern.
Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Ich werde mich so kurz wie möglich fassen. Ich möchte feststellen, dass die Kommission diese Untersuchung nach Ihrer Anfrage in dieser Angelegenheit eingeleitet hat. Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität des Projekts waren mehrere Informationsaustausche zwischen der Kommission und den spanischen Behörden erforderlich, um alle für eine ordnungsgemäße Untersuchung des Falls durch die Kommission erforderlichen Informationen in Sach- und Rechtsfragen einzuholen. Wir müssen jetzt möglicherweise weitere Informationen bezüglich der Eröffnung der Verfahren einholen.
Wir kamen zu dem Schluss, dass für das Projekt zum Bau der Ringstraße M-30 keine ordnungsgemäße Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß der Richtlinie 85/337/EWG des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten durchgeführt worden war. Das gilt insbesondere für einige Teilvorhaben, in die das Projekt zum Bau der Ringstraße M-30 unterteilt ist. Es wurde zudem versäumt, eine Einschätzung der kumulativen Auswirkungen dieser Vorhaben vorzulegen. Darin besteht das Hauptproblem. Das Projekt besteht aus 19 Teilvorhaben. Für einige Teilvorhaben wurden Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt, jedoch nicht für alle, und es gibt keine Umweltverträglichkeitsprüfung für das Gesamtprojekt. Das stellt unserer Ansicht nach einen Verstoß gegen die Richtlinie dar.
Die Präsidentin. Die Anfragen 50 und 51 werden schriftlich beantwortet. Die Anfragen 52 und 53 werden nicht behandelt, da die betreffenden Themen bereits Tagesordnungspunkte dieser Tagung sind. Die Anfragen 54 bis 58 werden schriftlich beantwortet.
Die Präsidentin.
Anfrage Nr. 59 von Bernd Posselt (H-0609/06)
Betrifft: Christen in der Türkei
Wie ist der aktuelle Stand der Rechtsstellung nicht-islamischer Religionsgemeinschaften, insbesondere der Christen, in der Türkei, vor allem was die Religionsfreiheit, das Recht zur Bildung von handlungsfähigen Körperschaften, den Bau von Gotteshäusern und Gemeindezentren sowie die Ausbildung von Priesternachwuchs betrifft? Ist das Kommissionsmitglied der Meinung, dass die Türkei auf den Gebieten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesem Zusammenhang die Kopenhagener Kriterien bereits vollständig erfüllt?
Olli Rehn , Mitglied der Kommission. (EN) Am 20. Juni 2006 hatte ich einen Meinungsaustausch mit dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Ich habe den Ausschuss über die Sorge der Kommission bezüglich des schleppenden Verlaufs der politischen Reformen in der Türkei informiert, von dem auch die von Herrn Posselt angesprochene Problematik betroffen ist. Die Kommission hatte gehofft, dass die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen dem Reformprozess spürbarere Impulse verleihen würde. Gerade in Bezug auf nicht-muslimische und muslimische Minderheiten sind die erhofften Fortschritte bisher ausgeblieben.
In der Praxis stoßen nicht-muslimische Religionsgemeinschaften nach wie vor auf beträchtliche Probleme. So haben sie keine Rechtspersönlichkeit, ihre Eigentumsrechte sind eingeschränkt, man mischt sich in die Leitung ihrer Stiftungen ein, und sie dürfen keinen Priesternachwuchs ausbilden. Ferner möchte die Kommission auf die Schwierigkeiten verweisen, die die alevitische Gemeinschaft im Hinblick auf die Anerkennung ihrer Andachtsstätten, die Vertretung in entsprechenden staatlichen Gremien sowie in Bezug auf den obligatorischen Religionsunterricht hat.
Hinzu kommt, dass der schon viel zu lange im türkischen Parlament anhängige Entwurf über das Stiftungsgesetz nur einige dieser Probleme aufgreift, und zwar die Eigentumsrechte einiger, aber nicht aller Gemeinschaften. Die Kommission hat die türkischen Behörden und die Türkische Große Nationalversammlung wiederholt aufgefordert, den Entwurf über das Stiftungsgesetz so abzuändern, dass es den entsprechenden europäischen Normen entspricht.
Bernd Posselt (PPE-DE). – Vielen Dank, Herr Kommissar, für Ihre gute Antwort! Ich möchte nur noch einmal konkret nachfragen: Antwortet Ihnen die türkische Seite auch und hat sie irgendwelche Aussagen darüber gemacht, in welchem Zeitraum sie plant, eine angemessene rechtliche Regelung zu treffen? Oder ist dies auf die Zeit nach den türkischen Wahlen verschoben, oder gar auf niemals?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Wir haben über die entsprechenden Verfahren gesprochen. So fand im Rahmen meines Besuches vor fast einem Jahr nach Aufnahme der Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005 ein ausführlicher Meinungsaustausch mit dem zuständigen Ausschuss der Türkischen Großen Nationalversammlung zu dieser Thematik statt. Wir haben diese Problematik seither mehrfach angesprochen, so im Rahmen des Assoziierungsrates im Frühjahr. Dabei kamen wir mit den türkischen Behörden überein, dass dies Teil des so genannten neunten Reformpaketes bilden sollte, zu dem als Gesamtpaket noch immer kein Beschluss vorliegt und das ohne weitere ungerechtfertigte Verzögerung von der Türkischen Großen Nationalversammlung und in Teilen auch von der türkischen Regierung angenommen werden sollte.
Das ist auf jeden Fall eine entscheidende Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Union, und wir haben sehr deutlich gemacht, dass die Türkei der Europäischen Union nur dann beitreten kann, wenn sie dieses sehr wichtige Grundprinzip respektiert.
Paul Rübig (PPE-DE). – Glauben Sie, dass es möglich wäre, über die Beobachtungsstelle der Kommission in Wien eine regelmäßige Beobachtung der Situation der Minderheiten im religiösen Bereich stattfinden und Studien darüber erstellen zu lassen?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Rübig hat einen sehr guten Gedanken geäußert. Wir arbeiten mit allen Daten und Analysen von Agenturen wie der von ihm erwähnten Agentur in Wien. Wir verwenden auch die Daten verschiedener Menschenrechtsorganisationen. Ich werde das prüfen, aber soweit ich weiß, arbeiten wir bereits mit Analysen dieser Agentur.
Wir verwenden sehr viele Analysen und Daten, die uns von Gremien wie dem Europarat und der OSZE sowie von Agenturen und sonstigen Think-Tanks bereitgestellt werden.
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Kommissar! Bekanntlich ist die Fakultät von Chalki vor einigen Jahren geschlossen worden. Haben Sie in dieser Hinsicht irgendetwas unternommen, damit die Fakultät von Chalki wiedereröffnet wird? Denn es besteht die Gefahr, dass beim ökumenischen Patriarchensitz in Zukunft niemand mehr für die Wahl des nachfolgenden Patriarchen zur Verfügung steht.
Können Sie uns dazu etwas sagen?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Die freie Religionsausübung ist ein weiteres Schlüsselproblem, das wir mehrfach bei der türkischen Regierung angesprochen haben. Wir erwarten, dass nicht nur darüber nachgedacht, sondern gehandelt wird, damit das Seminar von Chalki geöffnet werden kann, das für diese Religionsgemeinschaft von besonderer Bedeutung ist.
Die Präsidentin. Anfrage Nr. 60 von Sajjad Karim (H-0624/06)
Betrifft: Isolierung von Nordzypern
Im Jahr 2004 verpflichtete sich die EU zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung und europäischen Integration von Nordzypern. Die Verringerung des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den beiden Seiten würde auch die Kosten der Wiedervereinigung für griechische Zyprioten und die Abhängigkeit der türkischen Zyprioten von der Türkei reduzieren.
Der Beitritt der Türkei und der UN-Prozess zur Überwindung der Teilung sollen sich ergänzen und keinen Gegensatz darstellen. Könnte die Kommission deshalb erläutern, was die EU unternimmt, um sich zu verpflichten, mit der Verordnung betreffend den Handel gemäß einem spezifischen Zeitrahmen fortzufahren und die in der Verordnung betreffend die Hilfe für Nordzypern vorgesehenen Mittel zur Verwendung für die Besitzstand-Harmonisierung, die Reform des öffentlichen Dienstes, die Sanierung des Hafens von Famagusta und die Finanzierung einer Volkszählung im Norden freizugeben; ein neues Finanzierungsinstrument für Nordzypern einzuführen und eine Zweigstelle der Kommissionsdelegation im Norden einzurichten, um die Zuteilung von Mitteln für technische Hilfe und Besitzstand-Harmonisierung zu überwachen; derzeitige Vorschläge für einen direkten Handel dahingehend zu revidieren, dass sie die Einbeziehung von Nordzypern in die Zollunion der EU mit der Türkei, eine Änderung der Regelung betreffend die „Grüne Linie“ und eine Verwaltung des Hafens von Famagusta gemeinsam mit den türkischen Zyprioten umfassen, sowie sicherzustellen, dass die türkischen Zyprioten angemessen in den EU-Institutionen vertreten sind?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Hinsichtlich der Maßnahmen, die die Kommission zur Erleichterung der Wiedervereinigung der Insel und damit der Beendigung der Isolierung der türkisch-zyprischen Volksgruppe ergriffen hat, wurden vor allem folgende Aktivitäten durchgeführt.
Erstens hat die Kommission mit der Umsetzung der Ratsverordnung begonnen, mit der ein Instrument der finanziellen Hilfe zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der türkisch-zyprischen Volksgruppe eingerichtet wird. Angenommen wurde diese Verordnung am 27. Februar 2006 während der österreichischen Präsidentschaft. Unser für die Umsetzung der Verordnung zuständiges Programmteam dürfte ab diesem Monat einsatzbereit sein. Es wird ein für die Programmunterstützung in Nordzypern eingerichtetes Büro der EU nutzen. Zu den Vorhaben, die als erste umgesetzt werden sollen, zählen Maßnahmen im Bereich Siedlungsabfälle, Energie, lokale Infrastruktur, Wirtschaftsförderung sowie weitere sehr konkrete Maßnahmen.
In diesem Zusammenhang implementiert die Kommission über das Amt für den Informationsaustausch über technische Hilfe (TAIEX) auch ein Programm zum Verwaltungsaufbau, um die türkisch-zyprische Volksgruppe bei der Vorbereitung auf die Anwendung des gemeinsamen Besitzstandes in diesem Teil der Insel zu unterstützen.
Über die dem Rat im Juli 2004 – also vor über zwei Jahren – von der Kommission vorgelegte Verordnung über direkten Handel hat der Rat noch immer nicht entschieden. Die Kommission unterstützt die Bemühungen des finnischen Ratsvorsitzes um eine baldige Verabschiedung dieser Handelsverordnung, damit die von der EU im April 2004 eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden können. Wir haben nicht die Absicht, den Vorschlag zurückzuziehen und eine überarbeitete Fassung vorzulegen. Wir waren und sind bereit, flankierende Maßnahmen zu akzeptieren und zu fördern, die der Wiedervereinigung und der wirtschaftlichen Entwicklung dienen und die für beide Volksgruppen sowie alle Beteiligten annehmbar sind, um das bedauerliche derzeitige Patt zu überwinden.
Es ist wohl kaum ein Geheimnis, dass sich die flankierenden Maßnahmen im Wesentlichen auf den Hafen von Famagusta konzentrieren. In Erwiderung auf die Frage von Herrn Matsis ist festzustellen, dass die Rückgabe von Varosha in der Vergangenheit an unter Leitung der UNO geführte Gespräche über eine umfassende Lösung der Zypernfrage gebunden war. Folglich müssen die Beteiligten entscheiden, ob diese Frage Teil der umfassenden Lösung bleiben oder gesondert diskutiert werden soll oder ob ein Weg gefunden werden soll, der beiden Möglichkeiten gerecht wird. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wir erwarten von beiden Gemeinschaften, dass sie sich weniger auf die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit konzentrieren als vielmehr auf die Suche nach Lösungen für die Zukunft. Wir erwarten von allen Beteiligten eine konstruktive Haltung. Es ist höchste Zeit für eine Überwindung der Teilung und die Wiedervereinigung von Zypern.
Sajjad Karim (ALDE). – (EN) Gestern Abend hat der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Parlaments einen kritischen Bericht angenommen, in dem die Türkei dringend aufgefordert wird, „konkrete Schritte zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen“ zum EU-Mitgliedstaat Zypern zu unternehmen. Der Bericht warnt, dass unzureichende Fortschritte „ernste Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess haben werden und diesen sogar zum Stillstand bringen könnten“. Wie steht der Kommissar zu diesem Bericht und der Wahrscheinlichkeit, dass mangelnde Fortschritte die Gespräche zum Erliegen bringen könnten? Teilt der Kommissar die Ansicht, dass es im Parlament noch immer schädliche Vorurteile über die Türkei gibt und türkeifeindliche Elemente nichts unversucht lassen, um den Beitrittsprozess zu hintertreiben?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Ich wurde über die Ergebnisse der Abstimmung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Türkei-Bericht von Herrn Eurlings informiert. Ich werde im Rahmen der Aussprache während der nächsten Plenartagung zu diesem Bericht Stellung nahmen. Ich werde mich erst äußern, nachdem ich mich umfassend vorbereitet und den Bericht Zeile für Zeile und Absatz für Absatz studiert habe.
Sollte die Türkei versäumen, ihren Verpflichtungen zur Umsetzung des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara nachzukommen, so hätte das natürlich Konsequenzen für den Verhandlungsprozess insgesamt. Das entspricht fast wortwörtlich dem, was der Rat und die Mitgliedstaaten im September 2005 in der bekannten gemeinschaftlichen Erklärung im Vorfeld der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen beschlossen haben.
Unser Ziel besteht darin, einen potenziellen Zusammenstoß zu verhindern, denn eine ernsthafte Verschlechterung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei ist in niemandes Interesse. Am besten kann die Türkei eine solche Entwicklung verhindern, indem sie die Verpflichtungen erfüllt, die sie vor Aufnahme der Beitrittsverhandlungen eingegangen ist.
Ioannis Kasoulides (PPE-DE). – (EN) Ich möchte den Kommissar fragen, ob er weiß, dass sich seit Öffnung der Grenzübergänge zwischen dem Norden und dem Süden von Zypern das Pro-Kopf-Einkommen der türkisch-zyprischen Volksgruppe aufgrund von Kontakten mit dem Süden trotz ihrer angeblichen Isolierung fast verdreifacht hat.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Vielen Dank für diese ausführlichen Informationen zum Wirtschaftswachstum der türkisch-zyprischen Volksgruppe.
Ich freue mich, dass die Verordnung über die „grüne Linie“ und die damit verbundenen Möglichkeiten für den Handel zwischen dem Nord- und dem Südteil der Insel zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der türkisch-zyprischen Volksgruppe beitragen. Wir wollen, dass die Verordnung über die „grüne Linie“ in der Praxis besser funktioniert. Gleichzeitig bemühen wir uns intensiv um die Beseitigung der Hindernisse für den direkten Handel und versuchen, alle Parteien für die Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine umfassende Lösung für die Wiedervereinigung von Zypern zu gewinnen.
Robert Evans (PSE). – (EN) Herr Kommissar! Sie haben vorhin gesagt, dass die Verhandlungen in einer Sackgasse stecken. Dem stimme ich im Wesentlichen zu, und vielleicht gibt es gewisse Parallelen zur Situation zwischen Transnistrien und der Republik Moldau, die wir gestern im Parlament angesprochen haben.
Ich war vor kurzem erstmals in Nordzypern und war mehr als angetan. Könnte die EU angesichts der Tatsache, dass die Bürger von Nordzypern für den EU-Beitritt gestimmt haben, unabhängig von allen anderen Fragen nicht zumindest die Aufnahme von Direktflügen nach Nordzypern in Betracht ziehen?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Vielen Dank für Ihre Frage, Herr Evans. Unser Standpunkt in Bezug auf die Überwindung der Isolierung der türkisch-zyprischen Volksgruppe ist eindeutig: Wir wollen jetzt das Programm über finanzielle Hilfe durchführen, und wir wollen die Suche nach einer Lösung für den direkten Handel unterstützen, und zwar gegebenenfalls mit flankierenden Maßnahmen. Wir gehen davon aus, dass dies Vertrauen schafft, so dass wir zu gegebener Zeit – hoffentlich schon bald – unter der Schirmherrschaft der UNO die Gespräche über eine umfassende Lösung, die in die Wiedervereinigung Zyperns mündet, wieder aufnehmen können.
Die Präsidentin. Die Anfragen, die aus Zeitgründen nicht behandelt wurden, werden schriftlich beantwortet (siehe Anlage).
Die Fragestunde ist geschlossen.
(Die Sitzung wird um 19.30 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die mündliche Anfrage an die Kommission über die Fälschung von Arzneimitteln von Thierry Cornillet im Namen der ALDE-Fraktion (O-0039/2006 – B6-0310/2006).
Thierry Cornillet (ALDE), Verfasser. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Es ist nicht daran zu zweifeln, dass wir es mit einem der schlimmsten Übel in der Welt zu tun haben, und eines, das keinesfalls als unvermeidlich angesehen werden darf. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass es – im Unterschied beispielsweise zu Erdbeben und Tsunamis, wo wir ziemlich machtlos sind –, im vorliegenden Falle darum geht, dem politischen Willen zum Durchbruch zu verhelfen.
Hier ein paar Zahlen: Laut Weltgesundheitsorganisation sind von der einen Million Malariaopfer vermutlich 200 000 Fälle Fälschungen oder einer mangelhaften Arzneimittelverwaltung geschuldet. Die bekannte britische Zeitschrift „The Lancet“ führt 192 000 Todesfälle in China auf die Einnahme von gefälschten Arzneimitteln zurück. Wie viele Hoffnungen wurden durch die Verwendung solcher Medikamente zunichte gemacht? Dieser Zustand bietet uns die notwendige moralische Grundlage für nachhaltige politische Maßnahmen. Das hat nichts mit der Fälschung von Luxuserzeugnissen gemeinsam – ich denke dabei an Taschen, Kugelschreiber, Feuerzeuge und Brillen –, wo die Fälschung natürlich die aktive Mittäterschaft des Käufers erfordert, der weiß, was er kauft, und sich ganz selten täuschen lässt. Die Fälschung von Arzneimitteln ist die verwerflichste aller Fälschungen, denn natürlich besteht hier keinerlei Mitschuld auf Seiten des Käufers, der sich verschuldet und am Ende seine Kinder tötet.
In diesem besonderen Fall gehen die Food and Drug Administration und die WHO davon aus, dass gefälschte Arzneimittel derzeit 10 % des Weltmarktangebots ausmachen. In sieben afrikanischen Ländern sind 70 % der Antimalariamittel gefälscht. Durchschnittlich 25 % der in den am wenigsten entwickelten Ländern eingenommenen Arzneimittel – 50 % jeweils in Pakistan und Nigeria – sind Fälschungen.
Worum geht es? Nach WHO-Definition ist ein gefälschtes Arzneimittel vorsätzlich und in betrügerischer Absicht hinsichtlich seiner Identität und/oder Herkunft falsch gekennzeichnet. Das betreffende Medikament kann entweder patentiert oder ein Generikum sein. Einige gefälschte Produkte enthalten gute Inhaltsstoffe und andere schlechte oder sogar überhaupt keine wirksamen Inhaltsstoffe. Dann gibt es noch solche, die nicht genug Wirkstoffe enthalten und deren Verpackung irreführend ist.
Was wird unternommen? Wenig oder gar nichts! Wie gesagt, die Menschen werden hintergangen, manchmal mit eigenem Einverständnis, aber wenn sie töten, dann immer ungewollt. In der Europäischen Union befinden wir uns in einem geschützten Raum. Wir verfügen über ein effektives Gesundheitssystem. Die Gesundheitsberufe werden bei uns kontrolliert. Der Staat behält alles im Auge und überwacht die Gesellschaft. Aber wir müssen etwas für die Länder tun, die nicht über alle unsere Vorteile verfügen. Hier steht die EU in der Pflicht, und es ist für sie auch eine Frage der Ehre.
Im Grunde ist die Welt ungeschützt. Es gibt kaum konkrete Rechtsvorschriften, weder auf internationaler noch auf nationaler Ebene. Die Grenzen sind extrem durchlässig. Die Verbreitung erfolgt auf modernen Vertriebswegen wie das Internet. Es gibt nur wenige oder gar keine Behörden zur Regulierung und Überwachung der Produktqualität. Die Vertriebssysteme sind veraltet und unkontrolliert, und es wird nicht zwischen gefälschten und geschützten Marken unterschieden. Wir dürfen uns nichts vormachen. Wir haben es nicht mit naiven Amateuren zu tun, sondern mit einer sehr gut organisierten Unterwelt, denn die Arzneimittelfälschung ist weniger risikoreich und lukrativer als der Drogenhandel. Deshalb müssen wir alle Register ziehen und hart durchgreifen, und zwar überall.
Wir fordern, dass die Europäische Union bei der Erarbeitung einer weltweiten Konvention zur strafrechtlichen Verfolgung dieser ganzen Kette eine führende Rolle übernimmt. Dies ist auch der Sinn der schriftlichen Erklärung Nr. 53, deren Unterzeichnung ich meinen Kolleginnen und Kollegen nahe lege.
Seit Anfang 2006 besteht bei der WHO eine Arbeitsgruppe zur Vervollkommnung von Mustergesetzen für die strafrechtliche Verfolgung der Arzneimittelfälschung ein, die dann von den einzelnen Staaten übernommen werden können. In der Europäischen Union verfügen wir über die politischen Mittel, um die Führung zu übernehmen. Dank unseres Netzwerks von Partnern und dank der geistigen Zuarbeit, des politischen Rückhalts und der finanziellen Unterstützung durch die für die Überwachung zuständigen Organisationen werden wir in der Lage, sie wahrzunehmen.
Meine Damen und Herren! Wir verfügen über alle notwendigen Mittel, um handeln. Wir haben Partner aus den unterschiedlichsten Bereichen. Wir verfügen über die notwendigen Hilfe – man muss wohl nicht extra darauf verweisen, dass wir der größte Geldgeber in der Welt sind und dass schon ein winziger Teil dieser Hilfe genügen würde, damit wir dieses Problem zu lösen. Wir verfügen auch über die Rechtsmechanismen und die Mittel, um auf die Hauptakteure Druck auszuüben, und das müssen die WHO und die UNO sein.
Ich möchte nicht rührselig werden, aber man stelle sich eine Mutter vor, die um ihr Kind trauert, nachdem sie glaubte, ihm das rettende Medikament verabreicht zu haben! Stellen Sie sich in Europa auch nur einen vergleichbaren Fall vor, und wie unsere Medien damit umgehen würden. Solche Fälle sind in den am wenigsten entwickelten Ländern an der Tagesordnung. Wir befinden uns hier nicht in der Sphäre von Magie und Wunderheilung. Das ist die schmutzige Realität.
Ich möchte Ihnen sagen, Herr Kommissar, dass ich im Namen des Europäischen Parlaments und mit Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen das Recht der Verlaufskontrolle in dieser Angelegenheit wahrnehmen werde. In einem Jahr werde ich Sie erneut fragen, was getan worden ist. In diesem Krieg darf man nicht nachlassen.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Kommission teilt die großen Sorgen, die Herr Cornillet soeben geäußert hat, und meine Einschätzung über den zutiefst kriminellen Charakter dieser Fälschungen ist dieselbe.
In der Anfrage werden drei Problembereiche mit Recht angesprochen: Erstens der Kampf gegen gefälschte Arzneimittel innerhalb der Europäischen Union. Die Kommission geht hier auf zwei Ebenen vor.
Wir haben zunächst natürlich den Rechtsschutz verstärkt. 2004 sind neue Rechtsvorschriften zum Schutz geistigen Eigentums erlassen worden, und 2003 und 2004 neue Rechtsvorschriften über das Vorgehen der Zollbehörden gegenüber Waren, bei denen der Verdacht einer Verletzung geistiger Eigentumsrechte besteht. Über zwei Vorschläge, die strafrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte zum Inhalt haben, wird zurzeit diskutiert.
Eine vor kurzem in der Gemeinschaft durchgeführte Untersuchung hat ergeben, dass in den letzten fünf Jahren innerhalb der Europäischen Union 27 gefälschte Medikamente in legalen Vertriebskanälen aufgetaucht sind und 170 gefälschte Medikamente in illegalen Vertriebskanälen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis entwickeln die Mitgliedstaaten derzeit Maßnahmen gegen diese Fälschungen.
Die Kommission ihrerseits untersucht gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, der Europäischen Arzneimittelagentur und internationalen Partnern, welche Maßnahmen künftig zum Schutz der öffentlichen Gesundheit notwendig sind. Dabei geht es um die Frage der Durchsetzung des bestehenden Rechts, es geht um Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen, es geht um Kommunikation und Sensibilisierung. Ich schließe auch nicht aus, dass das geltende Recht weiterentwickelt werden muss, und dass wir über Änderungen sprechen müssen.
Wirksamere Zollkontrollen sind ein wichtiges Instrument zur Eindämmung des Handels mit gefälschten Arzneimitteln. Erfreulicherweise nimmt die Menge der vom Zoll beschlagnahmten gefälschten Arzneimittel bereits zu. In der kürzlich veröffentlichten Mitteilung der Kommission über eine Antwort des Zolls auf jüngste Entwicklungen bei der Nachahmung von Waren und der Produktpiraterie wird das Problem der Arzneimittelfälschungen angesprochen, und es werden konkrete Maßnahmen gegen diese wachsende Bedrohung empfohlen.
Nach der Erfahrung der Zollbehörden wird ein großer Teil der Fälschungen im Transit durch die EU befördert und ist oft für Entwicklungsländer bestimmt. Der Kampf gegen importierte Fälschungen ist besonders schwierig, weil sie oft in kleinen Mengen in die Europäische Union gelangen und der Zoll in einer sehr großen Zahl kleiner Sendungen dann die illegale Ware entdecken muss.
Die Kommission ermuntert die Inhaber der Rechte, den durch die Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates gewährten Schutz voll in Anspruch zu nehmen. Wenn die Rechteinhaber beantragen, dass der Zoll tätig wird, dann liefern sie damit den Zollbehörden die Informationen, die sie brauchen, um gezielt nach den Sendungen mit dem höchsten Risiko zu suchen.
Der zweite Themenkomplex betrifft die Frage: Was tun wir für die ärmeren Länder, die in der Tat die hauptsächlichen Opfer dieser Arzneimittelfälschungen sind? Was tun wir, um ihnen bei der Regelung und Überwachung der Qualität von Arzneimitteln auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet zu helfen?
Wir sind natürlich grundsätzlich bestrebt, auf multilateraler Ebene zu arbeiten. Die Kommission unterstützt deshalb die Initiativen der Weltgesundheitsbehörde zum Kampf gegen gefälschte Arzneimittel. In der WHO-Konferenz vom Februar 2006 in Rom wurde eine Plattform für konkrete Schritte geschaffen. So unterstützt die Kommission die Einrichtung einer WHO-Task Force für den internationalen Kampf gegen Arzneimittelfälschungen. Die Arbeitsergebnisse dieser Task force werden allen WHO-Mitgliedern, auch den Entwicklungsländern, zugute kommen. Die Kommission wird in dieser Task Force aktiv mitarbeiten und die notwendigen Informationen liefern.
Außerdem führt die Kommission aus dem Europäischen Entwicklungsfonds geförderte Projekte durch, insbesondere die EG-WHO-Partnerschaft zur Arzneimittelpolitik. Diese Partnerschaft soll die AKP-Länder befähigen, ihre Rechtsvorschriften und Qualitätssicherungssysteme für Arzneimittel wirksamer zu gestalten und u. a. ihre Kontrolle, ihre Maßnahmen gegen mangelhafte oder gefälschte Arzneimittel und ihr Informationsmanagement zu verbessern. 2,3 Millionen Euro wurden dafür bereitgestellt.
Die dritte Frage ist die Idee eines internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen. Die Idee eines internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen ist im Zuge der Vorbereitung der WHO-Konferenz vom Februar 2006 und in der Konferenz selbst eingehend erörtert worden. Nach Ansicht der meisten Teilnehmer, auch der Kommission, ist ein internationales Übereinkommen derzeit nicht das wirksamste Mittel gegen die wachsende Gefahr, die von gefälschten Arzneimitteln ausgeht. Die in der Konferenz eingesetzte Task Force ist besser in der Lage, Informationen zusammenzutragen und weiterzugeben und die dringend notwendigen Lösungen zu erarbeiten.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal versichern, dass die Kommission die Sorgen des Parlaments teilt und bereit ist, auf Anregungen einzugehen und weitere Initiativen zu ergreifen.
Maria Martens, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Auch ich möchte meiner Sorge um die Probleme mit gefälschten Arzneimitteln Ausdruck verleihen.
Gefälschte Arzneimittel werden ohne jegliche Kontrolle hergestellt und illegal in Umlauf gebracht. Ihre Wirkungen lassen sich nicht kontrollieren, weshalb sie zu einer potenziellen Gefahr für die Volksgesundheit werden. Dieser Piraterie muss daher Einhalt geboten werden. Herr Cornillet hat das Thema bereits angeschnitten, der Kommissar hat sich ebenfalls dazu geäußert, und ich begrüße jede Maßnahme, die von der Kommission getroffen wird, um dieses Problem anzugehen.
Da sich die Probleme hauptsächlich in den Entwicklungsländern, in den armen Ländern, auftun, sehe ich auch die größten Schwierigkeiten voraus, wenn es um eine wirksame und angemessene Bekämpfung dieser Piraterie geht. In diesen Ländern ist die Versorgung mit zuverlässigen, legalen Arzneimitteln oft nicht so gut organisiert wie in Europa. Deshalb haben Händler von gefälschten Arzneimitteln relativ mehr Spielraum für den Verkauf ihrer Arzneimittel, deren Wirkung nicht kontrollierbar ist und demzufolge sogar die öffentliche Gesundheit gefährden kann.
Außerdem mangelt es den Entwicklungsländern oft an einem angemessenen Rechtsrahmen. Ihre Gesetze reichen einfach nicht aus, um dieses Problem wirksam in Angriff zu nehmen. Und selbst dann, wenn solche Gesetze existieren, lässt die Kontrolle eine Menge zu wünschen übrig. In den Entwicklungsländern besteht Bedarf an erschwinglichen, wirksamen und selbstverständlich legalen Arzneimitteln, und deshalb möchte ich auf die Möglichkeiten verweisen, die Generika bieten. Sie können an dem Problem zwar nichts ändern, aber die dort herrschende Not lindern. Leider wird derzeit kaum davon Gebrauch gemacht. Möglicherweise kann auf diesem Gebiet mehr getan werden.
Wie der Kommissar erwähnte, reicht ein internationales Übereinkommen oder ein Standard nicht aus. Gleichwohl kann ich mir vorstellen, dass es mit einem Übereinkommen oder Standard schon anders aussehen würde. Und wenn sich dies als unzulänglich erweist, muss mehr unternommen werden. Nach meinem Dafürhalten ist ein klarer allgemeiner Ansatz überaus wichtig. Europa wird seinen Teil dazu beitragen müssen, und das schließt auch den Wissenstransfer ein, damit der Kampf gegen gefälschte Arzneimittel wirksamer geführt werden kann.
Mich würde interessieren – und der Kommissar hat in seinen Erläuterungen zum Teil schon geantwortet –, wie die neuen Pläne in dem weiteren Kampf gegen gefälschte Arzneimittel und die Organisation, insbesondere dort, wo es um kriminelle Aktivitäten geht, aussehen.
Karin Scheele, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich möchte mich am Anfang bei Kollege Cornillet bedanken, auf dessen Initiative es zurückgeht, dass wir heute dieses wichtige Thema diskutieren und morgen eine Entschließung darüber verabschieden. Er hat an den Anfang seiner Rede die Definition der Weltgesundheitsorganisation gestellt, was unter Fälschung von Medikamenten zu verstehen ist. Das halte ich für sehr wichtig, weil wir bei diesem Thema leicht in eine Schiene der Diskussion geraten, wo mancher glaubt, es gehe um das Ja oder Nein zu Generika. Er hat durch die Definition und durch seine Positionierung klar gemacht, dass die Fälschung sowohl patentierte als auch generische Medikamente betreffen kann.
In entwickelten Ländern – auch das wurde bereits gesagt – werden vorwiegend so genannte Lifestyle-Drogen gefälscht, und alle von uns können ja darüber berichten, dass wir unter unseren E-Mails sicher schon Tausende von Spams gelöscht haben, wo Medikamente günstig bis günstigst angeboten werden.
In den Entwicklungsländern werden Medikamente gefälscht, die Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder HIV-Aids behandeln sollen. Manchmal verursachen auch gefälschte Medikamente gegen einfache Erkrankungen wie Husten zig Tote, weil sie mit giftigen chemischen Stoffen versetzt wurden, die normalerweise in Produkten wie Frostschutzmitteln verwendet werden. Laut Weltgesundheitsorganisation starben im Jahr 1999 in Kambodscha 30 Personen, nachdem sie gefälschte Anti-Malaria-Medikamente eingenommen hatten. Es gibt eine Liste von solchen tragischen Fällen, wobei man dazu sagen muss, dass es eine große Dunkelziffer gibt, weil man ja keine Statistik über das Problem dieser kriminellen Machenschaften führen kann.
Alle Regionen der Welt sind von diesem Problem betroffen, aber die Entwicklungsländer tragen natürlich den Hauptschaden davon. Einmal mehr sind Armut und der fehlende Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen die Gründe. Wenn sich Menschen Medikamente, die sie brauchen, nicht leisten können, dann versuchen sie, sich diese informell und billiger zu verschaffen. Deshalb ist ohne funktionierende Gesundheitsdienstleistungen und ohne erschwingliche Medikamente keine wirkliche Bekämpfung dieses Phänomens vorstellbar.
Die Maßnahmen zum Ausbau der Rechte des geistigen Eigentums sind gut und können einen Teil der Strategie ausmachen, packen das Problem aber nicht bei den Wurzeln.
Es ist wichtig – und ich bedanke mich auch bei Kommissar Verheugen, dass er dies so entschlossen und konkret angesprochen hat –, dass wir die betroffenen Länder beim Aufbau ihrer Fähigkeiten unterstützen, sichere Medikamente im eigenen Land herzustellen und sichere Medikamente ins eigene Land zu importieren.
Frédérique Ries, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Auch ich möchte meinem Kollegen Thierry Cornillet dafür danken, dass er diese wichtige Debatte in Gang gebracht hat. Wir sind uns ja alle darin einig, dass gefälschte Medikamente – und ich stimme seiner Erklärung uneingeschränkt zu – ein Übel sind, das natürlich vor allem in den weniger entwickelten Ländern tödliche Wirkung hat.
Leider sind diese potenziell tödlichen Fälschungen kaum allgemein bekannt und laufen in den meisten Fällen nahezu unbemerkt ab. Von den spektakulären, medienträchtigen rechtlichen Schritten, die die Hersteller von Luxusgütern unternommen haben und die in einigen Fällen auch an höhere Gerichtsinstanzen verwiesen wurden, und – auch das muss festgestellt werden – nicht besonders erfolgreich waren, sind wir hier weit entfernt.
Antibiotika, die Pille, Steroide, Milchpulver für Säuglinge, Malariamittel – von denen bereits die Rede war –, Impfstoffe – beispielsweise ein gefälschtes Tamiflu –, und auch Viagra – die Hersteller von Arzneimittelfälschungen kopieren alles ohne jedes moralische Empfinden, denn es geschieht ohne Wissen des Verbrauchers. Herr Cornillet hat eine ganze Reihe aufschlussreicher Zahlen genannt. Ich habe die 25 Milliarden Euro vermerkt, die dieser Handel ausmacht. Weltweit ist jedes dritte Antibiotikum und jedes zehnte Medikament eine Fälschung.
Abgesehen von dem Schaden für die Wirtschaft, den diese Zahlen natürlich bedeuten, geht es hier vor allem um die katastrophalen gesundheitlichen Folgen dieser Fälschungen. Im besten Falle sind die gefälschten Arzneimittel wirkungslos, im schlimmsten, wie ich bereits sagte, wirken sie tödlich, vor allem, wenn es um Arzneimittel geht, die bei tödlichen Erkrankungen wie Malaria, Tuberkulose oder Aids eingesetzt werden. Allein in China, Drehscheibe und Eldorado von Fälschungen aller Art, starben jährlich 200 000 Menschen nach einer Behandlung mit gefälschten Arzneimitteln, auch in einigen vom Chinesischen Roten Kreuz geführten Krankenhäusern.
Soweit zum Sachstand. Die Ursachen sind zumindest teilweise bekannt. Herr Cornillet ist ausführlich darauf eingegangen: der fehlende Wille der einzelstaatlichen Regierungen, etwas zu unternehmen, woran sich auch noch nicht viel geändert hat, in vielen Ländern auch fehlende Rechtsvorschriften mit wirklich abschreckender Wirkung; die lächerlich geringen Kosten dieser Arzneimittelfälschungen, und vor allem die Armut in den betroffenen Ländern und die Tatsache, dass die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen, die dringend verfügbare Medikamente brauchen, keinen Zugang zu Gesundheitssystemen erhalten.
In einer Aussprache wie dieser erhebt niemand Anspruch auf die richtige oder wenigstens eine fertige Lösung, aber in Anbetracht der Dringlichkeit der Situation muss ein verantwortungsvolles Konzept vorgeschlagen werden. Kommissar Frattini hat schon im April, als er im Plenum jegliche Art von Fälschungen anprangerte, einen schärferen Ton im Hinblick auf Sanktionen gegenüber Europäern und Entwicklungsländern angeschlagen.
Die Europäische Union muss sich an die Spitze setzen und in enger Zusammenarbeit mit der WHO eine globale Strategie zur wirksamen Bekämpfung dieses Übels entwickeln. Sicherlich ist es einerseits wichtig, die justizielle und polizeiliche Arbeit zu koordinieren und Sanktionen zu planen, aber die Menschen müssen auch aufgeklärt und vor allem gewarnt werden. Momentan besteht die Schwierigkeit darin, der gesamten Bevölkerung in den betroffenen Ländern Zugang zu den wichtigsten Arzneimitteln in guter Qualität zu verschaffen.
Marie-Hélène Aubert, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Kommissar! Die Fälschung von Arzneimitteln ist in der Tat ein besonders schwer wiegendes Übel, was aber leider nicht neu und schon seit mehreren Jahren bekannt ist. Daher könnte man hoffen, dass die Frage, die unser Kollege gestellt hat und die wirklich angebracht ist, endlich zu Ergebnissen führt.
Der Hauptgrund für Arzneimittelfälschungen hat damit zu tun, dass Arzneimittelpreise für die armen Länder und deren Bevölkerungen viel zu hoch sind. Deshalb sollte der erste Lösungsweg darin bestehen, dafür zu sorgen, dass die armen Länder und die ärmsten Bevölkerungsgruppen Zugang zu Generika erhalten, wie meine Kollegin bereits sagte. Generika nehmen derzeit noch einen zu geringen Stellenwert auf dem Arzneimittelmarkt ein.
Darüber hinaus halte ich es aber auch nicht für wünschenswert, dass die Bekämpfung von Fälschungen über einen verstärkten Patentschutz im Arzneimittelsektor erfolgt, was auf den Schutz der künftigen Entwicklung der ohnehin schon beträchtlichen Gewinne der Arzneimittelindustrie in vielen Bereichen hinausliefe.
Deshalb muss es vorrangig darum gehen, in den betreffenden Ländern öffentliche Gesundheitspolitiken zu fördern sowie die Etablierung von rechtsstaatlich geführten Staaten zu unterstützen. Das ist im Grunde die Priorität. Man wird nichts erreichen, wenn keine funktionsfähigen Staaten und öffentlichen Gesundheitspolitiken bestehen, die eine Kontrolle insbesondere von Arzneimitteln und die Einrichtung von Apotheken nach ordnungsgemäß festgelegten Vorschriften ermöglichen.
Diese Frage einer öffentlichen Gesundheitspolitik ist ein grundlegender Aspekt, der andere die Prävention. Gesundheit ist ja nicht nur eine Frage der Arzneimittel, das heißt, für einen guten Gesundheitszustand ist nicht nur die Einnahme von Arzneimitteln ausschlaggebend. Beispielsweise ist heute in vielen Entwicklungsländern unsauberes Trinkwasser eine Todesursache. Ein anderes Beispiel ist Aids. Das Fälschen von Arzneimitteln ist in diesem Bereich sehr ausgeprägt, und auf der kürzlich im Rahmen des UNO-Aids-Programms veranstalteten Konferenz wurde die Vorsorge sehr stark betont. Man kann demnach auch versuchen, das Problem durch Vorsorgemaßnahmen, Aufklärung und Erziehung sowie durch die Nutzung des praktischen Wissens in den örtlichen Gemeinschaften zu lösen, und nicht nur, indem Dutzende von Mitteln zu unerschwinglichen Preisen auf den Markt gebracht werden.
Abschließend möchte ich feststellen, dass wir meiner Meinung beim Kampf gegen Fälschungen bei der Verstärkung und besseren Koordinierung bestehender Maßnahmen ansetzen müssen. Weiterhin müssen wir vor allem den Entwicklungsländern, den ärmsten Ländern, bei der Errichtung stabiler Staaten und der Einführung öffentlicher Gesundheitspolitiken, die alle Gesundheitsprobleme abdecken und nicht nur den Zugang zu Arzneimitteln, Hilfestellung geben.
Der Präsident. – Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 108 Absatz 5 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.
18. Die psychische Gesundheit der Bevölkerung in der Europäischen Union (Aussprache)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von John Bowis im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit über das Grünbuch: Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union (2006/2058(INI) (A6-0249/2006).
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich weiß die aktive Mitwirkung des Parlaments an der Konsultation zum Grünbuch der Kommission zur psychischen Gesundheit sehr zu schätzen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und Herrn Bowis, dem Berichterstatter, für seinen ausgezeichneten Bericht danken.
Es ist fast ein Jahr vergangen, seit die Kommission ihr Grünbuch zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung vorgelegt hat. Das Grünbuch war außerdem eine Reaktion auf die Ministerielle WHO-Konferenz, an der alle Mitgliedstaaten der EU teilgenommen haben. In der von der Konferenz angenommenen Erklärung wird die Kommission aufgefordert, die Umsetzung des Grünbuchs zu unterstützen.
Das Grünbuch weist der psychischen Gesundheit einen zentralen Stellenwert in der öffentlichen Gesundheit insgesamt zu und erklärt sie zu einem Schlüsselelement, das die Lebensqualität in der Europäischen Union bestimmt. Darin wird argumentiert, dass die psychische Gesundheit der europäischen Bevölkerung ein Schlüsselfaktor in der Realisierung der strategischen Ziele der EU, also von Wohlstand, Solidarität und sozialem Zusammenhalt sowie von Gerechtigkeit, ist.
Die europäischen Werte und das europäische Sozialmodell fordern, dass wir jenen, die unter psychischen Störungen leiden, die erforderliche Unterstützung geben und ihre soziale Eingliederung fördern. Das ist möglicherweise eines der wichtigsten Ergebnisse des Konsultationsprozesses sowie des Berichts und der Entschließung, dass nämlich die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und des mit psychischen Erkrankungen verbundenen Stigmas einen Schlüsselfaktor bei unseren Bemühungen in diesem ganzen Bereich darstellt.
Dieses Stigma ist der Grund dafür, dass Menschen mit psychischen Problemen diese nicht eingestehen und keine Hilfe suchen. Das hat nicht nur zur Folge, dass sie nicht behandelt werden, sondern dass es außerdem zu einer Verzerrung der statistischen Daten kommt, was wiederum zur Folge hat, dass diese Angelegenheit von den Mitgliedstaaten und Regierungen nicht immer als Priorität behandelt wird, da die Zahlen bisweilen irreführend niedrig sind. Folglich ist der Umgang mit diesem Stigma und der sozialen Eingliederung nicht nur eine Menschenrechtsfrage und nicht nur eine Verpflichtung, sondern kann auch praktische Auswirkungen darauf haben, wie wir bei Maßnahmen zur Lösung diesbezüglicher Probleme unsere Schwerpunkte setzen.
Das Grünbuch verfolgt drei Ziele. Zum einen ging es um eine breit angelegte Diskussion darüber, ob eine Strategie für psychische Gesundheit auf EU-Ebene erarbeitet werden sollte und worin ihre Prioritäten bestehen sollten. Wir haben eine umfassende Konsultation durchgeführt, und bei uns sind über 150 Wortmeldungen eingegangen. Eine der wichtigsten wird natürlich die Entschließung des Parlaments sein.
Der zur heutigen Aussprache vorgelegte Bericht befasst sich mit der psychischen Gesundheit in ihrer ganzen Komplexität. Ich begrüße die Tatsache, dass er eine Reihe sehr konkreter Vorschläge enthält. Das ist sehr wichtig und wird uns bei der Vorbereitung unserer nächsten Schritte helfen. Ich stimme fast allen in diesem Bericht enthaltenen Punkten zu, und die Kommission wird diese Vorschläge bei ihren Überlegungen über das weitere Vorgehen entsprechend berücksichtigen.
Wir sind jetzt dabei, die Ergebnisse der Konsultation zu analysieren, und seit gestern können sämtliche Wortmeldungen, wenn ich mich nicht irre, auf unserer Webseite zur öffentlichen Gesundheit eingesehen werden. Für den Herbst ist die Veröffentlichung eines Dokuments vorgesehen, das die Ergebnisse der Konsultation zusammenfassen wird. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt feststellen, dass die vorläufigen Ergebnisse der Konsultation auf eine starke Befürwortung der Erarbeitung einer EU-Strategie für psychische Gesundheit hindeuten.
Ich hoffe, dass ich im ersten Quartal des nächsten Jahres ein Weißbuch der Kommission vorlegen kann, das eine Strategie vorsieht und einen Rahmen für die nachhaltige Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, Politikbereiche sowie die entsprechenden Stakeholder vorschlägt. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zur Förderung einer guten psychischen Gesundheit in der Gemeinschaft sowie der sozialen Integration vor allem den Dialog und auf einen Konsens ausgerichtete Maßnahmen brauchen. Vor allem aber muss gehandelt werden. Das ist extrem wichtig.
Die Sensibilisierung und der Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken sind wichtige Schritte, die sich langfristig als wirksamer erweisen können als alle anderen Initiativen.
Ich freue mich auf die Aussprache und möchte dem Parlament nochmals für diese Initiative danken.
John Bowis (PPE-DE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Ich danke dem Kommissar für seine Worte, mit denen er diesen Bericht begrüßt hat.
Liebe Kollegen, 450 Millionen Menschen weltweit leben mit einer psychischen Störung. Jeder Vierte von uns wird in seinem Leben davon betroffen sein. Jährlich begehen 58 000 Menschen in Europa Selbstmord, und die Zahl der Suizidversuche ist zehnmal höher. Durch Selbstmord sterben mehr Menschen einen sinnlosen Tod als durch Verkehrsunfälle oder Aids. Drei von 100 von uns werden an Depressionen leiden. Jeder Dritte von uns, der seinen Hausarzt aufsucht, hat ein psychisches Problem, aber nur bei jedem Sechsten wird dies auch erkannt. Das bedeutet nicht, dass sich zwei Drittel von uns guter psychischer Gesundheit erfreuen. Es bedeutet, dass wir keine Behandlung brauchen, anstreben oder angeboten bekommen. Das kann bedeuten, dass wir mit Arzneimitteln, Therapien, durch Institutionen und Gesetze falsch behandelt werden und diese Behandlung im besten Fall keinen Schaden anrichtet und im schlimmsten Fall zu physischen und psychischen Schäden führen kann. Es bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass wir abgestempelt, herablassend behandelt, verachtet oder gefürchtet und in größerem oder kleinerem Ausmaß ausgeschlossen werden – in der Gesellschaft, in der Familie, am Arbeitsplatz, bei Freizeitbeschäftigungen und sogar bei Gesundheits- und Sozialdiensten.
In Umkehr einer Redensart bedeutet das: Wir können uns verstecken, aber nicht davonlaufen, wir können nichts unternehmen, wir können nicht in dem erwünschten Maß am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, wir können kein normales und erfülltes Leben führen. Das bedeutet auch, dass wir bei der Erarbeitung einer Politik zur Förderung des psychischen Wohlbefindens unserer Bürger von ihren jungen Jahren an über das Erwachsenenalter in Beruf und Freizeit bis hin zum hohen Alter und den Jahren zunehmender Gebrechlichkeit noch ganz am Anfang stehen.
Deshalb begrüße ich, was bisher erreicht wurde, und zwar erstens von mehreren Ratsvorsitzen – zunächst vom finnischen Ratsvorsitz, der jetzt auch den krönenden Schlusspunkt setzen wird – und von der Kommission, die dieses Grünbuch verfasst und in den kommenden Monaten in konkrete politische Maßnahmen umsetzen wird.
Als ich als Kind erstmals mit psychischen Krankheiten in Berührung kam, war das etwas, worüber man nicht sprach. Als ich erstmals mit einer Politik für psychische Gesundheit in Berührung kam, bestand diese im Wesentlichen noch immer aus Wegschließen, Anschnallen, Zwangsjacken, Isolierzellen, Einweisung in eine Anstalt, zwangsweiser Verabreichung von Medikamenten usw. Zumindest schien es so. Dabei ist in den 60er Jahren Bewegung in die Politik im Bereich der psychischen Gesundheit gekommen. Man sorgte für eine menschenwürdigere Umgebung, Behandlungen und Therapien. Auch die Patienten sind in Bewegung geraten; sie werden vielfach in örtlichen Betreuungseinrichtungen oder zu Hause betreut. Darüber war die Öffentlichkeit nicht immer glücklich. Aus „aus den Augen, aus dem Sinn“ wurde „von Sinnen und in meiner Nähe und der meiner Kinder“.
Wenn eine moderne und menschliche Politik im Bereich der psychischen Gesundheit funktionieren soll, dann muss sie über ein Spektrum an Pflegemöglichkeiten verfügen und Zugang zu Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Wohnen, Ausbildung, Verkehr sowie zu weiteren Dienstleistungen ermöglichen und für deren Zusammenwirken sorgen. Sie muss gekennzeichnet sein von Vertrauen zwischen dem medizinischen Fachpersonal, den Patienten und deren Familien, und sie braucht unsere Ressourcen. Für deren Bereitstellung bedarf es eines entsprechenden politischen Bewusstseins, und dies wiederum erfordert einen öffentlichen Konsens und professionelle Unterstützung. Eine Dienstleistung ohne professionelle, öffentliche und politische Unterstützung kommt in doppelter Hinsicht nicht bei den Patienten und ihren Familien an. Eine solche Dienstleistung verfehlt ihr Ziel, eine angemessene Behandlung und Pflege zu gewährleisten, und sorgt für ein sinkendes öffentliches Vertrauen und die Verstärkung von Stigmata.
Die Stigmatisierung ist in allen Ländern weit verbreitet und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar. Zwar ist sie unbeabsichtigt und beruht auf Angst und Ignoranz, aber für die entsprechende Person ist sie ebenso verletzend wie jede andere Form des Missbrauchs. Wir alle tragen zur Stigmatisierung von Menschen bei, die, wenn ihre Behinderung körperlicher Natur wäre, auf unser Mitgefühl und unsere Unterstützung zählen könnten. Doch im Falle von psychischen Krankheiten wenden wir uns oftmals ab und hoffen, dass jemand anders damit klarkommt. Das Leben mit einer psychischen Erkrankung ist auch ohne die zusätzliche Last und den Schmerz der Abweisung und die Stigmatisierung schwer genug. Deshalb müssen wir den Patienten und Dienstleistungsnutzern zuhören. Sie sollten unsere Partner und nicht nur unsere Patienten sein. Wir haben Gesetze gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen erlassen. Vielleicht sollten wir auch entsprechende Gesetze für Menschen mit psychischen Problemen erlassen, und zwar sowohl für stationär als auch für ambulant betreute Patienten.
In meinem Bericht geht es um diese Dinge. Er zeigt einige Veränderungen auf, die notwendig sind. Wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit gestärkt ist, dann wird diese Druck auf die Regierungen ausüben, und diese Regierungen werden dann in ein gutes Leistungsangebot investieren. Wir können das Vertrauen der Öffentlichkeit gewinnen. Neuropsychiatrische Störungen sind für ein Drittel der Behinderungen, für 15 % der stationären Kosten, für ein Viertel der Arzneimittelkosten, für die Hälfte der Kosten für Sozialarbeiter und vieles mehr verantwortlich. Ich möchte sicher sein, dass es für den Fall, dass ich, meine Frau oder ein Mitglied meiner Familie psychische Probleme hat, was ja durchaus wahrscheinlich ist, ein System gibt, in dem der Betroffene umarmt statt abgelehnt wird, in dem er geliebt anstatt vergessen wird. Ich wünsche mir ein System, in dem es nicht passiert, dass der Betroffene keinen kennt und nicht weiß, wo er ist; ein System, in dem niemand von kahlen, kalten, fremden Wänden umgeben ist. Ich möchte, dass die Betroffenen Hoffnung haben und nicht in immer tieferer Verzweiflung versinken. Wenn wir verstehen, dass es jeden von uns treffen kann – und es wird viele von uns treffen –, dann setzen wir uns für eine bessere Versorgung ein.
In meinem Bericht zitiere ich Stefan Heym, der sich 1989 mit folgenden Worten an die auf dem Ostberliner Alexanderplatz versammelten Menschen gewandt hatte:
Wir haben in diesen letzten Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang zu erlernen.
Das mit psychischen Problemen verbundene Stigma ist ebenso repressiv, wie es das ostdeutsche Regime war. Es lähmt unsere Zunge und veranlasst uns, unser Gesicht zu verbergen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Menschen mit psychischen Störungen mit unserer Hilfe ihre Stimme, ihre Würde, ihre Selbstachtung wiederfinden, dass sie wieder den aufrechten Gang erlernen.
(Beifall)
Kathy Sinnott (IND/DEM), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. – (EN) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich habe mich viele Jahre lang mit Problemen beschäftigt, die Menschen mit Behinderungen wie auch jene betreffen, die diese versorgen und betreuen. Im Falle einiger Personen mit bestimmten Behinderungen konnten einige Fortschritte erzielt werden. Leider blieben diese Fortschritte Menschen mit psychischen Krankheiten größtenteils verwehrt.
Dem großen Interesse im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten nach zu urteilen, ist den Abgeordneten bewusst, dass direkt in unserer Mitte Menschen mit psychischen Krankheiten unmenschlich behandelt werden, indem man sie zwangsweise in entsprechende Einrichtungen und Krankenhäuser einweist, sie einer Zwangsmedikation und -behandlung unterzieht, ihnen körperlichen Zwang antut und sie gleichzeitig am Arbeitsplatz diskriminiert, aus der Gemeinschaft ausschließt und ihnen durch öffentliche Dienste Misstrauen entgegengebracht wird.
Zum Glück wurde im Ausschuss deutlich, dass sich das ändern muss, dass Behandlungsansätzen Vorrang eingeräumt werden muss, die eine Linderung und Genesung ermöglichen, dass der Schwerpunkt ferner auf Integration, die Verhütung von psychischen Erkrankungen und die Verbesserung der psychischen Gesundheit gelegt werden sollte. Schließlich muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass jeder Mensch wertvoll ist und Respekt verdient und dass wir deshalb Betroffene, sofern dies irgend möglich ist, selbst entscheiden lassen sollten.
Die wichtigste Frage, die wir uns im Rahmen der Formulierung einer europäischen Strategie für psychische Gesundheit stellen müssen, lautet: Wird dies zur Verbesserung des Lebens von Betroffenen beitragen? Ich möchte Herrn Bowis zu seinem Bericht beglückwünschen. Er enthält zahlreiche gute Elemente wie beispielsweise das Eingeständnis, dass Arzneimittel mehr psychische Erkrankungen verursachen als heilen; die Erkenntnis, dass die Kindheit für die psychische Gesundheit von großer Bedeutung ist, und die Aufforderung an Familien zu entsprechender Unterstützung; die Erkenntnis, dass sich die Erwerbstätigkeit sowohl positiv als auch negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann; und die Notwendigkeit, jene zu konsultieren, die eine psychische Krankheit überwunden haben, um herauszufinden, wie ihnen das gelungen ist. Das ist ein guter Anfang, aber wenn wir mit dieser Strategie wirklich jemandem helfen wollen, dann müssen wir die gesamte Person berücksichtigen, und zu diesem Zweck muss die Strategie auch Aspekte wie Ernährung und Versagen, vor allem Lernversagen, beinhalten. Daher begrüße ich insbesondere die von Frau Breyer vorgelegten Änderungsanträge.
Ferner sollten wir uns auch mit Aspekten befassen, die bisher noch nicht erwähnt wurden, wie Hoffnung und Angst, Kreativität und Ausdruck, Glaube und Spiritualität. Es erstaunt mich, dass wir eine ganze Strategie erstellen können, ohne die Wörter „Gemütsverfassung“ und „Spiritualität“ zu erwähnen. Wir müssen akzeptieren, dass es im Leben von jedem von uns Momente der Krise, der Traurigkeit und der Überlastung gibt und dass wir in solchen Momenten Hilfe und Verständnis brauchen, aber wir brauchen nicht in jedem Falle eine Diagnose und ein Medikament. Wichtig ist, dass wir die Sache richtig anpacken. Das kann, wenn man bedenkt, das es hier bisweilen um Selbstmord geht, eine Frage von Leben und Tod sein.
Marta Vincenzi (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter fand eine leidenschaftliche Debatte über die Strategie für die psychische Gesundheit statt. Es ist schwer, in der mir zur Verfügung stehenden kurzen Redezeit deren Mannigfaltigkeit zusammenzufassen, doch hebe ich mit Genugtuung das einstimmige Votum hervor, das in seiner Quintessenz drei grundlegende Aspekte enthält.
Erstens: eine starke Zustimmung zur vorgeschlagenen Deinstitutionalisierung der psychiatrischen Versorgung; der Ausschuss betrachtet das Ziel, von der Verwahrung und Segregation wegzukommen, als einen Schritt nach vorn zur würdevollen Behandlung der Menschen, und auch aus diesem Grund ist Europa voll und ganz berechtigt, sich damit zu befassen.
Zweites: die Betonung der Vielfalt unterschiedlichster Ansätze hinsichtlich der Notwendigkeit der Prävention und einer aktiven Einbeziehung der territorialen Dienste und ihrer Nutzer in die umfassende Strategie und insbesondere in den Bereich der Prävention.
Drittens: die Forderung nach Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Dimension, die die augenfälligste Auslassung des Grünbuchs darstellt. Wir bekräftigen die Notwendigkeit, in die vorgeschlagenen Maßnahmen eine systematische Forschung und spezifische Studien über Frauen aufzunehmen, da Probleme wie Essstörungen, neurovegetative Erkrankungen, Schizophrenie, Depression und Selbstmord bisher nicht unter geschlechtsspezifischen Aspekten untersucht wurden, wodurch die Fortschritte bei der Verhütung und Behandlung nicht so bedeutend waren, wie es erforderlich gewesen wäre. Trotzdem werden wir weiter hoffnungsvoll vorankommen.
Françoise Grossetête, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Kommissar! Gestatten Sie mir zunächst, meinem Kollegen John Bowis zu danken, der eine bemerkenswerte Arbeit zu einem besonders wichtigen Thema vorgelegt hat, das uns alle angeht, denn jeder vierte Europäer hat im Laufe seines Lebens mit Problemen der psychischen Gesundheit zu tun, mit allen erheblichen Auswirkungen, die das auch für die Angehörigen mit sich bringt. Ich fürchte, dass dieses Thema in Wahrheit jeden betrifft. Wer wir auch sind, Thema der psychischen Gesundheit geht uns an.
Dennoch haben wir sehr lange die Augen vor diesem Problem verschlossen. Eine angegriffene psychische Gesundheit war sozusagen nur eine schwierige Phase, die vorüberging oder nicht einmal das. Diese Menschen fühlten sich stigmatisiert, da sie ihre Leiden geheim halten mussten. Dieses belastende Schweigen ist heute nicht mehr nötig. Wer wagt, darüber zu sprechen, handelt bereits. Über diese Krankheiten zu sprechen ist für die meisten Betroffenen der erste Schritt zur Heilung. Menschen mit psychischen Leiden zu isolieren und zu diskriminieren ist, als würde man mit einer geladenen Pistole auf ihren Kopf zielen. Ich denke an den jungen Mann mit einer viel versprechenden Zukunft, dessen Leben plötzlich aus den Fugen gerät, wenn sich beim Übergang ins Erwachsenenalter eine Schizophrenie herausstellt. Das ist nicht nur für ihn schlimm, sondern für seine ganze Familie. Die Zahl der Selbstmordversuche sollte uns Anlass sein, darüber nachzudenken, welchen Stellenwert dieses Problem hat. Auch Straftaten sind zum Teil auf den Anstieg bei bestimmten Arten von psychischen Störungen zurückzuführen.
Auch die Alterung unserer Bevölkerung ist ein Aspekt, über den es nachzudenken gilt, denn leider nehmen mit höherem Alter auch die Geisteskrankheiten zu. Dieses Phänomen müssen wir berücksichtigen.
Die Europäische Union kann ihre vorbeugenden Maßnahmen weiter ausbauen, muss jedoch auch die Forschung dabei unterstützen, diesem Phänomen zu begegnen, um die Faktoren besser zu verstehen, die die psychische Gesundheit beeinträchtigen, vor allem in der frühen Kindheit, um den Lebensweg der Patienten besser begleiten zu können, die jeweils am besten geeigneten Medikamente zu entwickeln und Bemühungen zur Ausbildung von Betreuungs- und Pflegepersonal zu unterstützen.
Erwachsene werden nicht so wie Kinder oder Jugendliche betreut. Wir können auch Überlegungen zu den verschiedenen möglichen Ansätzen anstellen, je nachdem, ob es um einen Mann oder eine Frau geht. Vergessen wir auch nicht die maßgebende Rolle des Arztes bei der Beobachtung des Patienten. Mitunter fühlt sich der Arzt allein gelassen und hat über eine Zwangsbehandlung oder Zwangseinweisung zu befinden.
Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen erwarte ich von der Kommission, dass sie diesen Ansatz weiter verfolgt und uns zu den Vorschlägen, über die wir morgen abstimmen werden, fundierte Empfehlungen vorlegt. Die psychische Gesundheit muss einen vollwertigen Platz in der europäischen Gesundheitspolitik einnehmen, und psychische Erkrankungen müssen aus einem neuen Blickwinkel, nämlich mit der Achtung und Würde, die jedem Menschen gebühren, betrachtet werden.
Evangelia Tzampazi, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Kommissar! Die Förderung der psychischen Gesundheit ist ein Thema, das nicht nur die an einer psychischen Erkrankung leidenden Patienten und ihre Familien betrifft, sondern im Wesentlichen auch die Gesellschaft, da wir alle einmal mit irgendeiner Form einer psychischen Erkrankung konfrontiert sind, die zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen führen kann.
Die heutige Aussprache über den Bericht von Herrn Bowis, dem ich, wenn Sie gestatten, zu seiner herausragenden Arbeit gratulieren möchte, ist von allerhöchster Bedeutung. Auf diese Weise wird in der Union eine öffentliche Konsultation über die Einführung einer Strategie zur psychischen Gesundheit eingeleitet. Um die individuellen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen psychischer Erkrankungen mildern zu können, unter denen ein Teil der Bevölkerung leidet, ist es erforderlich, Maßnahmen zur Prävention, Früherkennung und Behandlung dieser Erkrankungen zu ergreifen.
Zugleich sollten die betreffenden Maßnahmen darauf gerichtet sein, die Aufklärung zu verbessern und angemessene Positionen und Fähigkeiten zu entwickeln, um die psychische Gesundheit zu schützen und das mit einer psychischen Erkrankung verbundene Stigma zu bekämpfen.
Außerdem möchte ich die Notwendigkeit der kontinuierlichen Fortbildung der Beschäftigten in der Primärversorgung im Hinblick auf Fragen der geistigen Gesundheit betonen, denn dadurch wird die bestmögliche Reaktion auf Erkrankungen dieser Art gewährleistet.
Darüber hinaus halte ich es für erforderlich, individualisierte Methoden zur Förderung der psychischen Gesundheit anzuwenden, wobei die besonderen Bedürfnisse von Zielgruppen, wie Menschen mit Behinderungen, zu berücksichtigen sind. In Anbetracht der Tatsache, dass bessere Heilungsergebnisse zu erzielen sind, wenn Menschen mit psychischen Problemen in der Gesellschaft behandelt werden, während im Gegensatz dazu ein langfristiger Aufenthalt in einer Einrichtung für psychische Erkrankungen ihren Zustand verschlimmern kann, sollten wir ihre Deinstitutionalisierung unterstützen.
Jolanta Dičkutė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Meine Damen und Herren, Albert Camus sagte einmal: „Das Leben verlieren ist keine große Sache; aber zusehen, wie der Sinn des Lebens aufgelöst wird, das ist unerträglich.“ Ohne Sinn kann man nicht leben.
In dieser sich ständig entwickelnden Welt sind immer mehr Menschen von sich selbst und von anderen enttäuscht, sie geraten unter Stress, sehen keinen Sinn im Leben, sind nicht in der Lage, neue Herausforderungen zu bewältigen und auf sie zukommende Probleme zu lösen. Immer öfter suchen wir Rat bei Spezialisten, Psychologen und Psychiatern, die wir vor zehn Jahren noch gemieden haben. Es ist keine Schande zuzugeben, dass man Hilfe benötigt. Leider werden Menschen, die um Hilfe bitten, von der Gesellschaft immer noch stigmatisiert.
Der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention, der 10. Oktober der Welttag der psychischen Gesundheit. Ist es nicht merkwürdig, dass wir die Aufmerksamkeit der Gesellschaft jeden Monat auf so schmerzliche Probleme lenken müssen?
Es ist schwer einzugestehen, dass die Zahl der psychisch Kranken zunimmt in einer Zeit, in der sich die gesundheitliche Betreuung auf diesem Gebiet scheinbar verbessert. Die steigende Zahl der Selbstmorde ist katastrophal. Alle 40 Sekunden begeht jemand auf der Welt Selbstmord, und alle 3 Sekunden versucht jemand, sich das Leben zu nehmen. In meinem Heimatland Litauen verüben in jedem Jahr 1500 Menschen Selbstmord, damit belegen wir in ganz Europa den traurigen ersten Platz, noch vor Russland und anderen Staaten der früheren Sowjetunion.
Wir können diese Situation natürlich nicht ignorieren. Unmittelbar nach der Ministerkonferenz von Helsinki begann Litauen damit, eine eigene nationale Politik zur psychischen Gesundheit zu formulieren, die demnächst vom Parlament verabschiedet werden wird. Außerdem wurde psychische Gesundheit zu einem Schwerpunkt der nationalen Politik erklärt und ist einer von vier Bereichen, die Mittel aus dem Strukturfonds für den Gesundheitssektor erhalten werden. Wir haben erkannt, dass wir bürgernahe Leistungen als Alternative zur Heimunterbringung entwickeln müssen, um damit Menschenrechtsfragen auf moderne Art zu lösen.
Man kann nicht still leiden, allein mit seinem Kummer; deshalb müssen wir unsere Anstrengungen zur Lösung der Probleme der psychischen Gesundheit bündeln. Für mich ist das EU-Grünbuch „Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern“ der erste wichtige Schritt auf der Suche nach einer gemeinsamen Lösung. Es geht nicht nur um Behandlung. Zum ersten Mal sprechen wir von Förderung der psychischen Gesundheit, Krankheitsprävention und Genesung. Wir müssen auch mit unseren Kollegen aus anderen Ländern Informationen und beispielhafte Praktiken austauschen und Netzwerke für den Informationsaustausch aufbauen.
Wir haben endlich begriffen, dass die Lösung dieser Probleme nicht allein die Sache von Spezialisten ist. Die Gesellschaft und jeder Einzelne von uns muss Verantwortung übernehmen. Das Motto des Welttags der Suizidprävention „Mit Verständnis, neue Hoffnung“ steht für die Hoffnung derer, die dem Leiden anderer nicht gleichgültig gegenüberstehen, und für die Hoffnung, dass die Gesellschaft denen helfen wird, die in Not sind.
Hiltrud Breyer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, wir setzen mit diesem Grünbuch endlich ein Signal für die verbesserte psychische Gesundheit in der Europäischen Union. Verstärktes politisches Bewusstsein für das psychische Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger in Europa ist längst überfällig. Ich halte es jedoch für ein schwerwiegendes Versäumnis, dass weder im Bericht des Ausschusses für Umweltfragen noch im Vorschlag der Kommission eine umfassende Ursachenanalyse betrieben wird.
Wir wissen, dass Umweltverschmutzung, falsche Ernährung, Lebensmittelallergien Einfluss auf das körperliche und auf das seelische Wohlbefinden haben. Die Auswirkungen giftiger Chemikalien auf das hormonelle Gleichgewicht sind evident. Störungen des Nervensystems durch Umweltgifte und Pestizide sowie der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom und Lebensmittelunverträglichkeit bedürfen endlich einer dringenden Analyse.
Wir wissen auch, dass beispielsweise hochbegabte Kinder und Jugendliche fälschlicherweise in der Psychiatrie landen, weil sie nicht als Hochbegabte erkannt werden. Auch das ist ein Thema, dem wir uns mehr stellen müssen. Daraus ergibt sich auch meine Sorge bezüglich des Risikos, dass die Pharmaindustrie auf diesen fahrenden Zug aufspringt und als einzige Lösung lediglich Medikamente anpreist.
Wir müssen uns dem Problem stellen, dass statt weiterer Medikalisierung und Pathologisierung von Lebenszyklen ein umfassender Analyse- und Behandlungsansatz notwendig ist. Es kann doch nicht sein, dass bei Kindern, die gesund sind, die lebhaft sind, die früher als völlig gesund angesehen wurden, inzwischen ein Aufmerksamkeitsdefizit- oder Zappelphilipp-Syndrom diagnostiziert und medikamentös behandelt wird, es geht nicht an, dass Jugendliche in den Medien einem hohen Gewaltkonsum ausgesetzt sind und dann als psychisch krank abgestempelt und medikamentös behandelt werden.
Wir müssen uns auch der Frage stellen, ob es in unserer Konsumgesellschaft eine Garantie dafür geben kann, glücklich zu sein, und ob es denn nicht ein falsches Signal ist, dass jede Verstimmung, jeder Trauerprozess, den wir natürlicherweise durchstehen müssen, gleich mit Antidepressiva behandelt werden muss.
Meine Sorge ist also, dass wir mit diesem Grünbuch, und auch einem Weißbuch, hier möglicherweise die Weichen falsch stellen. Wir müssen Ursachenanalyse betreiben und dürfen nicht nur auf Medikalisierung setzen. Die Forderung des Parlaments, Medikamente als letztes Mittel einzusetzen, wenn Ursachen für psychische Krankheiten ausreichend geklärt sind, muss ganz zentral im Mittelpunkt stehen, und wir dürfen uns nicht bloß zum Handlanger für die Pharmaindustrie und für die weitere Pathologisierung und Medikalisierung von Lebenszyklen und -prozessen machen.
Roberto Musacchio, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Bericht, für den ich Herrn Bowis aufrichtig danke, kann erheblich zu einem besseren Europa beitragen, einem Europa, das die Würde psychisch Kranker achtet, ihnen beisteht, sie bei der Reintegration unterstützt und unannehmbaren Praktiken wie dem Wegsperren in psychiatrische Anstalten ein Ende setzt. Alles in allem wird das ein besseres Europa sein, denn eine Gesellschaft wird vor allem auch danach beurteilt, wie sie in so schwierigen Situationen mit den schwächsten und am stärksten gefährdeten Menschen umgeht.
Vor einem Jahr kam eine Gruppe so genannter „Irrer“ aus Rom zusammen mit ihren Betreuern und Familienangehörigen mit einem Bus hierher nach Straßburg. Sie waren gekommen, um uns über die Erfahrungen in Italien zu berichten: ein Gesetz, das nach einem leider inzwischen verstorbenen Psychiater, Franco Basaglia, benannt worden ist, der mit ihnen, mit den „Irren“, für die Würde der Patienten kämpfte, die psychiatrischen Anstalten schloss und eine alternative, reintegrative Betreuung vor Ort aufbaute, aufgrund deren wir heute in Italien besser dastehen. Diese „verrückten“ Männer und Frauen kamen zu uns mit der Forderung, eine solche Betreuung auch in Europa einzuführen, weil sie sich auf diese Weise mehr als Bürger dieses Europa fühlen würden, in dem sie leider allzu oft diskriminiert und ihrer Rechte beraubt wurden und immer noch werden.
Mit dem uns heute vorliegenden Bericht beginnen wir, dieser Forderung nachzukommen, und wir sagen zu ihnen: „Ihr seid Bürger wie die anderen auch“. Damit das jedoch voll verwirklicht werden kann, muss diese Arbeit, die wir mit Hingabe geleistet haben, sowie die Arbeit, die dank der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Parlament und Kommission im Grünbuch steckt, zu einem wichtigen Ergebnis führen, das den verschiedenen Ländern als Anleitung dienen kann: anders gesagt, zu einer echten Richtlinie für ein Europa ohne psychiatrische Anstalten, die allen psychisch Kranken ihre Würde zurückgibt.
(Beifall)
Urszula Krupa, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Es kommt selten vor, dass in einer Aussprache über psychische Gesundheit Rechte und ethische Normen angesprochen werden. Manche Leute betrachten ein unmoralisches Verhalten gar als Symptom der Moderne. Doch diese Art des Lebensstils führt zu Störungen und behindert die persönliche Entwicklung. Eine Person wird dann über biologische Reize aus der subkortikalen Region des Gehirns gesteuert, die nicht kortikal, also durch die Hirnrinde gesteuert werden, wo die höheren Empfindungen liegen.
Bei diesen Personen werden der Denkprozess und die Intelligenz von Instinkten gesteuert, die höheren moralischen und ästhetischen Empfindungen sind unterentwickelt, und sie sind nicht in der Lage, soziale oder patriotische Bindungen einzugehen. Eine gestörte persönliche und emotionale Entwicklung betrifft demnach nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Gruppen und Gemeinschaften. Damit einher geht ein Anstieg psychopathischer Tendenzen in der Gesellschaft, die sie weiter schwächen. Die Folge ist die Zunahme psychischer Störungen und eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit.
Ein weiteres Problem der modernen Medizin bei der Behandlung psychischer Störungen besteht darin, dass eine symptomatische Behandlung nur die Symptome beseitigt, aber keine wirksame Heilung gewährleistet.
Irena Belohorská (NI). – (SK) Das Thema psychische Gesundheit ist kein neues Phänomen, sondern wird in Europa und den Vereinigten Staaten in jüngster Zeit viel diskutiert. Ich würde gern aus Sicht des Arbeitsumfeldes etwas dazu sagen, eines der Faktoren, die zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit beitragen. Die Anstrengungen zur Verbesserung der Wirtschaft und des Wohlstands unserer Regionen haben zu einem Wandel der Arbeitsbedingungen geführt. Telearbeit, intensivere Nutzung von Kommunikationstechnologien, Veränderungen der Arbeitsgewohnheiten, höhere Mobilität – all das hat Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten. Die Arbeitsanforderungen hinsichtlich Flexibilität, Bildung und Fertigkeiten sind gestiegen, mit dem Ergebnis, dass sich Erwerbstätige mittleren Alters und ältere Arbeitnehmer den ständig wandelnden Bedingungen nicht mehr anpassen können. Die ständige Belastung kann zu psychischen Problemen führen.
Neben dem medizinischen Aspekt muss man auch die wirtschaftlichen Folgen einer sich verschlechternden psychischen Gesundheit der Bevölkerung in Betracht ziehen. Stress führt zu höheren Ausfallzeiten, schlechteren Arbeitsleistungen oder nachlassendem Engagement wie auch zu Problemen mit Kollegen am Arbeitsplatz.
Da die öffentliche Gesundheit in den Mitgliedstaaten auf der Tagesordnung steht und die Europäische Union in diesem Bereich begrenzte Befugnisse hat, müssen wir unsere Aufmerksamkeit jenen Ländern zuwenden, die größere Probleme und weniger Mittel zu deren Lösung haben.
Trotz der hohen Zahl von Selbstmorden in Nordeuropa und im Vereinigten Königreich meine ich, wir sollten unsere Aufmerksamkeit vor allem auf die neuen Mitgliedstaaten richten, von denen fünf zu den Ländern mit den höchsten Selbstmordraten in der EU gehören. Die Länder Mittel- und Osteuropas, darunter auch die Slowakei, haben große Umwälzungen erlebt, ihre Bürger mussten sich an ein sich veränderndes Arbeitsumfeld anpassen, neue Fähigkeiten erlernen und Gewohnheiten annehmen, die denen Westeuropas entsprechen. Sie mussten neue Qualifikationen erwerben und innerhalb sehr kurzer Zeit neue, kompliziertere Verfahren meistern, was vor allem für Beschäftigte mittleren Alters und ältere Arbeitnehmer negative Folgen hatte. Überdies leiden die genannten Länder unter hoher Arbeitslosigkeit, was ebenfalls zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit beiträgt.
Es wurde vorgeschlagen, eine neue Agentur zur Lösung dieses Problems zu gründen. Dem stimme ich nicht zu. Meiner Ansicht nach wäre es weitaus effektiver, die bestehenden Agenturen umzustrukturieren, darunter auch die Agenturen, die sich unmittelbar mit Fragen der psychischen Gesundheit beschäftigen.
Avril Doyle (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte sowohl dem Kommissar für ein ausgezeichnetes Grünbuch als auch Herrn Bowis für seinen Bericht danken, mit dem er einen ohnehin ausgezeichneten Start aus dem Stand heraus noch weiter verbessert hat. Vielen Dank, John. Dein besonderes Interesse und Gespür für dieses Thematik ist für viele von uns inspirierend.
Das Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung fallen in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten, doch laut Artikel 152 EG-Vertrag haben wir in Europa ein Mandat zur Förderung und Vorbeugung sowie zur Informationsverbreitung. Genau das kann diese Aussprache über das Grünbuch bewerkstelligen: nämlich dafür sorgen, dass wir diesen gesamten Bereich aus dem Abseits holen und den Schwerpunkt auf die Hauptprobleme wie Stigmatisierung und Diskriminierung, den Austausch bewährter Praktiken und die epidemiologischen Daten dieses Bereichs legen.
Herr Kommissar, Sie sagten, dass die Zahlen nicht die tatsächliche Belastung psychischer Krankheiten widerspiegeln. Aufgrund des damit verbundenen Stigmas und der Diskriminierung begeben sich viele Betroffene nicht in Behandlung und suchen keine Hilfe. Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Ich würde sogar unsere Zahlen ernsthaft in Zweifel ziehen. Ich würde sagen, dass sie – wenn wir großzügig sind – vielleicht die Hälfte der tatsächlichen Belastung widerspiegeln, die diese Krankheit tatsächlich darstellen könnte. Die meisten Arbeitnehmer mit akuter oder chronischer Depression beispielsweise halten diese Tatsache vor ihrem Arbeitgeber aus Angst vor negativen Auswirkungen auf ihre Karriere geheim. Deshalb sind die Sensibilisierung, der Meinungsaustausch und vor allem die Austausch von bewährten Praktiken ein enormer Beitrag, den wir zu diesem äußerst wichtigen Bereich leisten können.
Die Zahlen sind erschreckend. EU-weit leiden 18 Millionen Menschen an schweren Depressionen; jährlich verüben 58 000 unserer Mitbürger Selbstmord – das entspricht etwa der Einwohnerzahl von zwei oder drei ländlichen Kleinstädten, die Jahr für Jahr völlig entvölkert würden. Zehnmal mehr Menschen versuchen, sich das Leben zu nehmen. Jeder vierte von uns ist in seinem Leben wahrscheinlich von psychischen Problemen betroffen, und in jedem Jahr leiden 27 % der Erwachsenen in Europa unter psychischen Problemen. Am weitesten verbreitet sind Depressionen und Angstzustände einschließlich Stress und Essstörungen. Erschreckenden Schätzungen zufolge werden 2020 neuropsychiatrische Störungen, angeführt von Depressionen, die häufigste Krankheitsursache in der entwickelten Welt sein. Ein Großteil wird seine Ursache in der Alterung der Bevölkerung haben, die eine besondere Herausforderung darstellen wird.
Psychische Störungen sind vermeid- und behandelbar. Wir müssen auf ein frühzeitiges Eingreifen hinwirken und dafür sorgen, dass wir, wie mein Kollege Herr Bowis vorgeschlagen hat, gegebenenfalls unsere Diskriminierungsgesetzgebung auf Möglichkeiten zur Einbeziehung der Diskriminierung aufgrund von psychischen Problemen überprüfen. Wir müssen unsere Kompetenzen voll ausschöpfen. Da sich der europäische Verfassungsvertrag bedauerlicherweise nicht so entwickelt, wie einige von uns gehofft hatten, sind unsere Kompetenzen leider recht begrenzt. Das hindert uns jedoch nicht daran, die in bestimmten Bereichen der europäischen Gesetzgebung noch existierenden Lücken zu füllen. Vor allem müssen wir diesen Bereich aus dem Abseits holen und Betroffene integrieren.
Wenn wir dieses Problem ignorieren und die erforderlichen Einrichtungen und Behandlungen nicht zur Verfügung stellen, dann kostet das Europa jährlich drei bis vier Prozent seines BIP.
Ich danke dem Kommissar für seine Arbeit und vor allem meinem Kollegen Herrn Bowis für seinen ausgezeichneten Bericht.
VORSITZ: MARIO MAURO Vizepräsident
Dorette Corbey (PSE). – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr geehrte Damen und Herren! Europa besitzt auf dem Gebiet der Volksgesundheit nur wenige Befugnisse, und daran sollte auch nicht gerüttelt werden, denn die Verantwortung für die Gesundheit obliegt in erster Linie den Mitgliedstaaten.
Europa hat gleichwohl eine nicht unwesentliche ergänzende Rolle zu spielen: gemeinsame Forschungspolitik, bei der die Gesundheit einen herausragenden Platz einnimmt, und ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit, das darauf abzielt, die Qualität der Fürsorge und der Behandlungsmethoden durch Datenaustausch, durch Bündelung von Fachwissen und durch das Lernen der Länder voneinander zu verbessern.
Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit ist dieser Ansatz vielversprechend, und deshalb, Herr Kommissar, begrüße ich das Grünbuch. Auch Herrn Bowis bin ich für sein Engagement und seine Mitwirkung daran zu Dank verpflichtet. Er hat einen exzellenten Bericht verfasst.
Heute Abend wurde bereits mehrfach erwähnt, dass jeder vierte Europäer oder hundert Millionen Europäer in ihrem Leben mindestens einmal von ernsthaften Gesundheitsproblemen betroffen sind. Das ist tragisch und kostet außerdem noch 3 bis 4 % des Bruttoinlandsprodukts.
Psychische Gesundheitsprobleme umfassen eine Vielzahl von Dingen angefangen von Essstörungen bei Mädchen oder jungen Frauen, Alkoholismus und Drogensucht bis hin zu Verhaltensstörungen, Depressionen sowie anderen psychiatrischen Erkrankungen. Es fällt schwer, für diese Erkrankungen erfolgreiche Behandlungsmethoden zu entwickeln. Nehmen wir die Drogensucht. Wie kommt man am besten von der Sucht los? Arzneimittel, Methadon, Gesprächstherapie oder ein Narconon-Programm mit Saunagängen und Vitaminen? Ein seriöser Vergleich des Erfolgs der einzelnen Entziehungsmethoden wäre sinnvoll. Oder nehmen wir Essstörungen und Depressionen: Es gibt zwar Erfolgsgeschichten, aber ebenso viele Fehlschläge.
Es geht darum, dass das Fachwissen zusammengeführt wird, dass Therapeuten voneinander lernen, Patienten oder Suchtkranke Einblick in erfolgreiche Behandlungsmethoden erlangen. In diesem Sinne ist es nützlich, eine europäische Koordinierungs- und Expertengruppe zu schaffen, in die auch Patienten, Suchtkranke und Fürsorgeeinrichtungen einbezogen werden sollten. Machen wir daraus eine Art Helpdesk mit einer Website, wo jeder vierte Europäer mit seiner Familie Hilfe finden kann, wenn sie unter psychischen Gesundheitsproblemen leiden. Dann ist europäische Zusammenarbeit etwas sehr Wertvolles.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident, Herr Kommissar! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter meinen aufrichtigen Glückwunsch zu seiner ausgezeichneten Arbeit aussprechen. Herr Bowis hat alle wichtigen Fragen im Zusammenhang mit einer Strategie für psychische Gesundheit in der EU gründlich und erfolgreich behandelt, und meine Fraktion unterstützt seinen Bericht ohne jede Einschränkung.
Was die vorgelegten Änderungsanträge betrifft, so wird die ALDE-Fraktion die beiden PSE-Änderungsanträge 11 und 12 befürworten, wobei wir allerdings die folgende mündliche Änderung vorschlagen möchten. In beiden Änderungsanträgen sollte „in den“ ersetzt werden durch „in einigen der“, so dass der Text wie folgt lautet: „in einigen der neuen Mitgliedstaaten“. Das ist deshalb notwendig, weil der Inhalt des Änderungsantrags nicht auf alle neuen Mitgliedstaaten zutrifft, und es unangebracht und falsch wäre, dies nicht deutlich zu machen. Ich bin sicher, dass alle Beteiligten dieser kleinen Änderung zustimmen können.
Bezüglich des Hauptinhaltes des Berichts möchte ich lediglich einige Punkte nochmals hervorheben, und zwar erstens die Tatsache, dass psychische Erkrankungen sehr weit verbreitet sind. Schätzungen zufolge werden annähernd 100 Millionen EU-Bürger im Verlaufe ihres Lebens davon betroffen sein. Im Alltag deutet wenig auf diese Häufigkeit hin, weil die meisten Menschen nicht darüber reden. Es ist jetzt an der Zeit, die Scham abzulegen, uns zu dieser Realität zu bekennen und offen, vernünftig und wirksam nach Lösungen zu suchen.
Zweitens haftet psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft noch immer ein Stigma an. Meines Erachtens ist das darauf zurückzuführen, dass wir über die Funktion eines unserer lebenswichtigsten Organe, des Gehirns, viel zu wenig wissen. So wie andere lebenswichtige Organe wie z. B. das Herz und die Lunge kann das Gehirn erkranken, was zu Funktionsstörungen führt. Ein nicht richtig funktionierendes Herz führt zu Herzerkrankungen. Beim Gehirn ist das genau so. Wenn es nicht richtig funktioniert, kommt es zu psychischen Erkrankungen. Der wichtigste Unterschied besteht meines Erachtens darin, dass wir möglicherweise noch nicht in der Lage sind, die exakte anatomische und/oder histologische und/oder biochemische Anomalie festzustellen, die eine spezielle Funktionsstörung des Gehirns auslöst. Ich bin sicher, dass wir künftig dank neuer Erkenntnisse der Neurologie und der Neurowissenschaften dazu in der Lage sein werden. Einer psychischen Krankheit muss man sich also nicht schämen. Diesbezüglich besteht kein Unterschied zwischen einem psychisch kranken Patienten und herzkranken oder sonstigen Patienten.
Abschließend hoffe ich sehr, dass dieser Bericht einen Schlussstrich unter unseren hoffnungslos veralteten Umgang mit psychischen Störungen zieht und ein neues, von Verständnis geprägtes Zeitalter der Behandlung und Vorbeugung von psychischen Erkrankungen einläutet.
Jean Lambert (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Auch ich möchte Herrn Bowis zu seinem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen. Ich möchte ferner feststellen, dass das nicht nur ein geschlechterspezifisches Problem ist. Auch der Gesichtspunkt der Rasse spielt bei der Bewertung von psychischer Gesundheit oder Krankheit eine sehr wichtige Rolle. Zumindest haben wir die Zeiten hinter uns gelassen, in denen bestimmte sexuelle Ausrichtungen als psychische Störung galten. Aber, wie einige meiner Vorredner bereits sagten, liegt noch enorm viel Arbeit vor uns. Wie Herr Bowis feststellte, stehen wir bezüglich dessen, was wir als Förderung des psychischen Wohlbefindens bezeichnen würden, noch ganz am Anfang. Die Weltgesundheitsorganisation definiert psychische Gesundheit als einen Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen.
Das ist von großer Bedeutung für die von uns verfolgte Politik der sozialen Integration, und als Mitglied des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten möchte ich wie einige meiner Vorredner auf die Arbeitswelt eingehen und mich insbesondere auf Ziffer 27 des Berichts konzentrieren. Es geht nicht nur um den Einfluss der psychischen Gesundheit auf die Beschäftigung, sondern den Einfluss der Beschäftigung auf die psychische Gesundheit. Wie bereits festgestellt wurde, ist Stress die potenziell wichtigste Ursache von Fehlzeiten. Die Agentur in Bilbao hat sich eingehend damit beschäftigt. Kürzlich wurde festgestellt, dass im Vereinigten Königreich in einem Jahr fast 13 Millionen Arbeitstage aufgrund von subjektiv wahrgenommenem arbeitsbezogenen Stress, Depressionen oder Angstzuständen verloren gegangen sind. Wäre das das Ergebnis körperlicher Verletzungen am Arbeitsplatz gewesen, hätte es einen Aufschrei der Empörung gegeben.
Viele Unternehmen haben keine Politik der Stressbewältigung. Viele Führungskräfte erkennen nicht, wenn sie selbst unter Stress leiden, und sind nicht in der Lage, ihn bei anderen zu bewältigen. Wir müssen für diesen Bereich Ausbildungsmöglichkeiten schaffen, und wir müssen für ein Klima sorgen, in dem man Stress eingestehen und ihn behandeln lassen kann. Wir müssen für Arbeitsbedingungen sorgen, die das psychische Wohlbefinden begünstigen.
Jiří Maštálka (GUE/NGL). – (CS) Selbstverständlich stimmen wir alle darin überein, dass psychische Gesundheit Voraussetzung für die intellektuelle und emotionale Entfaltung sowie für die Eingliederung der Menschen in die Gesellschaft ist. In den vergangenen Jahren wurde jedoch der psychischen Gesundheit im Vergleich zu anderen Bereichen nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet. Das Grünbuch der Kommission und insbesondere der exzellente Bericht von Herrn Bowis schließen diese Lücke, indem sehr viele Vorschläge unterbreitet werden, nicht nur für die Kommission, sondern auch für die Ärzte und die Allgemeinheit.
Der uns vorliegende Bericht zeigt die wesentlichen Probleme auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit auf, die in den breiteren Kontext gehören, und bietet Stoff zum Nachdenken über solch heiß diskutierte Fragen wie die Stigmatisierung psychisch Kranker, Methoden zur Behandlung von Patienten und die geschlechtsspezifischen Unterschiede, die bei der psychischen Gesundheit derart vorherrschend sind.
Zunächst möchte ich die Forderung nach Prävention, die sich bei Herrn Bowis und im Grünbuch der Kommission findet, als wirksamste Methode im Kampf gegen die zunehmende Inzidenz psychischer Erkrankungen herausstellen. Dies sollte in unserem proaktiven Ansatz Priorität haben. Gerade der Einfluss von Umwelt, Beschäftigung und Familie sollte in den Fokus unserer Aufmerksamkeit und unserer Aktionspläne rücken, denn dies sind die Gebiete, die die psychische Gesundheit beeinträchtigen und auf denen Prävention helfen kann.
Auch den wichtigen Hinweis auf die geschlechtsspezifische Dimension im Bereich der psychischen Gesundheit, die in dem Grünbuch der Kommission nicht hinreichend thematisiert wurde, begrüße ich außerordentlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Frauen medizinisch behandeln lassen und mehr Arzneimittel nehmen, die sie weniger gut vertragen können, ist höher. Nicht selten sind sie zudem unerwünschtem Druck von ihresgleichen ausgesetzt, der zu einem Nervenzusammenbruch führen kann.
Ein Bereich, der künftig auf jeden Fall Beachtung verdient, und zwar nicht nur seitens der Ärzte und Politiker, sondern auch der Öffentlichkeit, ist die Stigmatisierung psychisch Kranker. Das Gewicht, das diesem Thema in dem Bericht verliehen wird, ist ein Hinweis auf den Ernst der Lage. Ich begrüße sämtliche Bemerkungen und Vorschläge des Berichterstatters. Obgleich ich die Vorschläge für bewährte Praktiken als recht positiv ansehe und glaube, dass sie zu besseren Standards führen – als Arzt unterstütze ich diese Vorschläge uneingeschränkt –, ist die Sache leider die, dass die betreffenden Programme in meinem Land außerordentlich teuer sind und so weit bedauerlicherweise nicht Vorrang haben. Die Möglichkeit gemeinsamer EU-Programme in diesem Bereich könnte helfen, diesem Dilemma zu entrinnen.
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Bowis zu einem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen, der uns hilft zu verstehen, wie wichtig psychische Gesundheit nicht nur im Leben eines Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft ist.
Die Verhütung psychischer Störungen, Psychotherapien für Kinder, Erwachsene und Familien, die Behandlung von Nervenkrankheiten und die Förderung der Mentalhygiene sind um so wichtiger, da wir wissen, dass echte Geisteskrankheiten, wie zum Beispiel Psychosen, behandelt, aber nicht geheilt werden können. Man muss bedenken, dass es auf dem Gebiet der Psychiatrie keine Arzneimittel gibt, die im engen Wortsinn heilen können, und dass die vorhandenen Mittel zufällig entdeckt wurden.
In der westlichen Zivilisation besteht die anhaltende Tendenz, das Vorhandensein jeglicher Schwächen, vor allem mentaler Schwächen, zu unterdrücken und aus unserem Bewusstsein zu verdrängen. Nur somatische Erkrankungen werden toleriert. Aber wenn wir für die Arbeit von Psychologen und die Psychotherapie mehr Mittel bereitstellen würden, könnten wir bei ärztlichen Behandlungen und den Gesundheitsausgaben insgesamt Geld sparen.
Antonios Trakatellis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Der Weltgesundheitsorganisation zufolge ist die psychische Gesundheit notwendig für das Wohlergehen des Einzelnen, der Gesellschaften und Länder und muss dieses Thema weltweit auf einer neuen Grundlage und unter einem neuen Gesichtspunkt behandelt werden, der neue Hoffnungen schafft. Im vorliegenden Bericht folgen wir den Angaben der Weltgesundheitsorganisation und unternehmen erstmals systematische Anstrengungen zur Förderung der psychischen Gesundheit.
Die Familien der erkrankten Personen, die ihren an psychischen Problemen leidenden Angehörigen materielle und moralische Unterstützung zukommen lassen, leiden ebenso wie diese unter den negativen Folgen der Stigmatisierung und Diskriminierung, die mit diesen Erkrankungen einhergehen. Unverzichtbare Komponenten zur Bekämpfung psychischer Erkrankungen sind daher die professionelle Unterstützung dieser Familien, damit sie ihre offensichtlichen Bedürfnisse abdecken können, sowie Aufklärung und eine systematische Bekämpfung der Stigmatisierung.
Ich halte es für ebenso notwendig, die Mechanismen und Ursachen dieser Erkrankungen zu erforschen und die entsprechenden Behandlungen zu verbessern, einschließlich der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der größte Unterschied zwischen diesen Erkrankungen und der überwiegenden Zahl anderer schwerer Erkrankungen, die sogar einen tödlichen Verlauf nehmen können, darin besteht, dass die Gehirnfunktionen gestört werden, wie beispielsweise das Erinnerungsvermögen, die kognitiven Funktionen und das Bewusstsein, Funktionen also, die untrennbar mit der Persönlichkeit des Menschen verbunden sind. Diese Persönlichkeit wird untergraben und kann bei einer Reihe dieser Erkrankungen unwiderruflich zerstört werden.
Wenn also dem Ziel, Erkrankungen des Menschen vorzubeugen und sie zu behandeln, eine hohe Priorität eingeräumt wird, dann muss entsprechend dazu das Ziel in Bezug auf neuro-psychologische Erkrankungen die oberste Priorität darstellen, wenn wir verhindern wollen, dass die Quintessenz der europäischen Gesellschaft untergraben und zerstört wird, zumal diese Gesellschaft sich aus vielen älteren Menschen zusammensetzt, die bekanntlich anfällig für neuro-degenerative Erkrankungen sind.
Abschließend möchte ich sagen, dass wir, wenn wir uns stets vor Augen führen, dass die Prävention, Früherkennung und korrekte Behandlung psychischer Krankheiten deren individuelle, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen erheblich mildern können, mit der Zustimmung zu dem hervorragenden Bericht von Herrn Bowis meines Erachtens einen Kurs einschlagen, der den psychischen Erkrankungen die hohe Priorität einräumt, die ihnen zukommt, und der es ermöglichen wird, diese Geißel der modernen Zeit effektiver zu bekämpfen.
Justas Vincas Paleckis (PSE). – (LT) Herr Präsident! Ich bedanke mich von ganzem Herzen für die so ungewöhnlich aufrichtige und persönliche Präsentation des Berichtsentwurfs. Dieser Bericht und die anschließenden Debatten sind ein wichtiger Schritt des Europäischen Parlaments zur Unterstützung der Entwicklung der neuen Politik der Kommission zur psychischen Gesundheit, was vor allem für die neuen EU-Mitgliedstaaten so wichtig ist. Indikatoren für eine schlechte psychische Gesundheit wie hohe Selbstmordraten und zahlreiche Fälle von Gewalt und Sucht, insbesondere Alkoholmissbrauch, sind in diesen Ländern nichts Außergewöhnliches. Die neuen Mitgliedstaaten haben unzureichende Systeme für den Umgang mit psychischen Erkrankungen übernommen, im Wesentlichen große psychiatrische Einrichtungen, die nur geeignet sind, die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung fortbestehen zu lassen. Gegenwärtig sind selbst diese Einrichtungen unterfinanziert, müssen sich durchschlagen und können ihren ohnehin begrenzten Aufgaben nicht gerecht werden.
Was uns offenkundig fehlt, sind bürgernahe Dienste als Bestandteil der Gesundheitsfürsorge und der sozialen Infrastruktur. Bei psychiatrischen Einrichtungen können wir für gewöhnlich nur von einzelnen Erfolgsfällen berichten, während die Betreuung zu Hause und bürgernahe Dienste viel humanistischer, besser mit den Menschenrechten zu vereinbaren und kosteneffektiver sind. Es gibt bei uns keine Tradition der häuslichen Betreuung, die von der Gesellschaft unterstützt wird; daher weigert sich das alte System, seine Positionen aufzugeben.
Besonders erschreckend ist die zunehmende Zahl der in staatlichen Heimen aufwachsenden Kinder. Sie sind ein weiterer Beweis dafür, dass es an einem alternativen System mangelt, das Eltern stark gefährdeter Gruppen unterstützt, ihre Kinder aufzuziehen und zu erziehen.
Einige neue Mitgliedstaaten haben bereits erste Schritte zur Umsetzung von Vorschriften unternommen, die den Prinzipien der EU entsprechen. Litauen hat ein Konzept zur psychischen Gesundheit entworfen, das dem Parlament in diesem Jahr zur Annahme vorgelegt werden wird. Ferner hat Litauen das Projekt „Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in einer erweiterten Europäischen Union: Entwicklung wirksamer Maßnahmen und Praktiken“ ins Leben gerufen. Dieses Projekt wurde von der Kommission unterstützt und hat 18 Teilnehmerländer und 34 assoziierte Partner zusammengeführt.
Marian Harkin (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, zu diesem hoch aktuellen und wohl durchdachten Bericht das Wort zu ergreifen, und ich möchte den Berichterstatter beglückwünschen.
Erstens bin ich ebenfalls der Meinung, dass der zusätzliche Nutzen einer Gemeinschaftsstrategie zur psychischen Gesundheit vor allem im Bereich der Prävention und Sensibilisierung liegt und dass bei allen Vorschlägen der Kommission Partnerschaften und Konsultationen mit allen Betroffenen einbezogen werden sollten.
Ein wesentliches Element einer solchen Strategie ist die Beseitigung des mit psychischen Krankheiten verbundenen Stigmas, und dazu bedarf es eines vielschichtigen Ansatzes, der Information, Bildung, gesetzliche Diskriminierungsverbote, gemeindenahe Ansätze und eine verantwortungsbewusste Berichterstattung der Medien umfasst.
Der im Bericht enthaltene Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten sollten, um wirksame Strategien zur Verringerung der Selbstmordrate umzusetzen, hat meine uneingeschränkte Unterstützung, denn das ist nicht nur eine nationale oder europäische Frage, sondern eine weltweite.
In Irland ist Selbstmord in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen die Haupttodesursache. Leider ist das in dieser Altersgruppe die höchste Rate in der EU. Ein Selbstmord hat verheerende Auswirkungen auf die betroffenen Familien und Gemeinden. Eine Studie mit dem Titel „Men on the Border“, die unlängst in meiner Heimatregion North Leitrim und West Cavan durchgeführt wurde, zeichnet ein deprimierendes Bild von der Lebenswirklichkeit vieler alleinstehender älterer Männer, wobei 56 % der Teilnehmer angaben, dass sie jemanden kannten, der sich das Leben genommen hat. Da ich immer gerne einen Zusammenhang zwischen unserer Tätigkeit hier und dem, was in unseren Wahlkreisen passiert, herstelle, freue ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass diese Erhebung von der EU teilfinanziert wurde, und ich hoffe, dass ihre Empfehlungen einen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten werden.
Obwohl die Ausgaben für den Bereich der psychischen Gesundheit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, sollten wir meines Erachtens auf die beträchtlichen Unterschiede der in den einzelnen Mitgliedstaaten für diesen Bereich bereitgestellten Budgets aufmerksam machen, und es erfüllt mich nicht mit Stolz zu berichten, dass die in Irland vorgesehenen Mittel unzureichend sind. Ich teile die Ansicht des Berichterstatters, dass öffentlicher Druck ausgeübt werden muss, um sicherzustellen, dass Mittel in angemessener Höhe für die Förderung der psychischen Gesundheit und die Prävention psychischer Krankheiten bereitgestellt werden.
Jean-Claude Martinez (NI). – (FR) Herr Präsident! Über die europäische Wirtschaft und die europäischen Gesellschaften fegt ein Tsunami, eine ungeheure Welle, die man als psychische Erkrankungen bezeichnet, die ich aber lieber neurologische Erkrankungen nenne, um eine Stigmatisierung zu vermeiden. Die Zahl der Erkrankten steigt unaufhörlich, denn diese Welle ist zum einen durch die demografische Alterung bedingt – was plausibel ist –, zum anderen aber durch die heilige Kuh des wirtschaftlichen Ultraliberalismus, der selbst eine Art Neurose darstellt. Zweifellos wird die Europäische Kommission dazu etwas sagen, wie es auch der Berichterstatter in Absatz 24 getan hat, wo er die Isolation in den ländlichen Gebieten, die Arbeitsbedingungen, die Verunsicherung und die Arbeitslosigkeit anspricht. Aber wodurch kommt denn Isolation in ländlichen Gebieten zustande, wenn nicht durch die Zerstörung der GAP, und zwar im Namen des freien Handels? Was hat denn Arbeitslosigkeit hervorgerufen, wenn nicht die Entscheidung für die Freihandelspolitik? Wodurch wird denn Stress in der Arbeitswelt erzeugt, wenn nicht durch das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken?
Um diese neurologischen Erkrankungen zu heilen, bräuchte man, wie John Bowis fordert, Kliniken, spezialisierte Dienste und Personal, persönliche Betreuung, also Investitionen, was jedoch durch den Pakt für Haushaltseinsparungen unterbunden wird, natürlich wiederum im Namen des Wettbewerbs und des Freihandels.
Und hier fangen wir an, uns im Kreise zu drehen, denn die Krankheit wird durch eine falsche Philosophie über den wirtschaftlichen Wettbewerb ausgelöst, und um sie zu behandeln, bräuchte man Investitionen, die aber durch eben diese Philosophie verhindert werden. Vielleicht wird im Sinne einer Lösung eine Einrichtung zur Hirnforschung erwogen, vielleicht besteht diese Lösung aber vor allem in der Heilung unserer Führungskräfte. Dazu habe ich nur eines zu sagen: Von Don Quijote de la Mancha sagte man, er habe so viele Bücher über das Rittertum gelesen, dass sein Gehirn verdorrt sei. Unsere Führungskräfte haben wohl so viel Adam Smith und David Ricardo gelesen, dass sie davon meschugge geworden sind.
Christa Klaß (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser größtes Gut, das ist unumstritten unsere Gesundheit, und zwar die körperliche, aber auch die geistige Gesundheit.
Im Fokus der gesundheitspolitischen Überlegungen stand und steht allzu oft nur die körperliche Gesundheit. Diese ist greifbar, oft auch sichtbar, und oft auch besser zu behandeln. Außerdem ist allein schon der Erhalt körperlicher Gesundheit sehr kostenintensiv, und oft schon sind alle sich bietenden Möglichkeiten heute leider nicht mehr bezahlbar. Unser Gesundheitsnetz, von der Vorsorge bis zur Nachsorge, sprengt die öffentlichen Kassen.
Es ist nicht die Intention dieses Berichts, zu dem ich John Bowis beglückwünsche, dass die Europäische Union aktiv im Gesundheitsbereich tätig wird. Das ist Sache der Mitgliedstaaten und soll es auch bleiben. Aber wir unterstützen es, dass die Kommission mit ihrem Grünbuch eine Diskussion über die Bedeutung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union, eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Strategie und die etwaigen Prioritäten anstößt. Wir wissen heute, dass eine gute psychische Gesundheit eine Vorbedingung auch für gutes wirtschaftliches Leistungsvermögen ist.
Wir müssen uns aber Fragen stellen und darauf Antworten suchen. Die Frage allein: Wer ist alles psychisch krank? Warum suchen 13% der Europäer professionelle Hilfe in diesem Bereich? Warum begehen so viele Menschen in der Europäischen Union Selbstmord? Die Zahlen sind genannt worden; in der Anhörung war die Rede von jährlich 58 000. Warum ist die Gesellschaft so krank? Wo liegen die Ursachen? Stellt unsere Gesellschaft vielleicht generell zu hohe Anforderungen? Und dann die große Frage: Wo bleiben dabei die benachteiligten Menschen?
Die Diskussion muss geführt werden, um Bewusstsein zu schaffen. Eines ist sicher: Wir müssen auch gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen, um vorbeugend diesen Krankheiten entgegenzutreten. Gegen Härte und Konkurrenzkampf im beruflichen Leben anzugehen, ist schwer, das wissen wir. Es ist jedoch vieles besser zu ertragen, wenn der Mensch auch einen Ruhepol und eine Rückzugsmöglichkeit hat. Da sehe ich vor allem auch die Familie, die die Möglichkeit bietet, auszuruhen und aufzutanken. Aber Familien brauchen Hilfe und Unterstützung, um all die wichtigen Aufgaben, die sie für die Gesellschaft leisten sollen, auch erbringen zu können.
Eines ist sicher: Menschlichkeit kann man nicht per Gesetz verordnen, aber man kann und muss die Möglichkeit schaffen, damit Menschlichkeit und Gesundheit an Leib und Seele wachsen kann. Deshalb lassen Sie uns unsere Familien unterstützen, und wenn das eine Intention des Berichts ist, dann haben wir viel Gutes angedacht.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Seit vielen Jahren herrscht beim Thema psychische Gesundheit Befangenheit, und es steht immer noch im Schatten anderer Krankheiten, die in unserer Gesellschaft vorkommen. Dieses Phänomen hat heute jedoch eine so große Bedeutung, dass wir die mit psychischen Störungen verbundenen Gefahren nicht länger ignorieren dürfen.
Wir können das Thema Gesundheit in der Europäischen Union nicht diskutieren, ohne diese Gefahren zu berücksichtigen. Jedes Jahr begehen im Durchschnitt 58 000 Menschen Selbstmord. Diese Zahl ist höher als die der Opfer von Verkehrsunfällen oder AIDS. Depressionen sind derzeit das Problem, das die Gesellschaft am stärksten bedroht. Von diesem Problem sind immer mehr Menschen betroffen, vor allem Jugendliche und zunehmend auch ethnische Minderheiten.
Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass eine schlechte psychische Gesundheit die Bürger der Europäischen Union etwa 3 bis 4 % des BIP kostet, hauptsächlich als Folge sinkender Produktivität und des vorzeitigen Ruhestands.
Daher muss unverzüglich eine Richtlinie zur psychischen Gesundheit und dem Schutz der bürgerlichen Rechte und der Grundrechte von Personen, die unter psychischen Störungen leiden, ausgearbeitet und verabschiedet werden. Mit der Umsetzung der Grundsätze dieser Richtlinie wird ein praktischer Rahmen für die Durchführung des Gemeinschaftsprogramms geschaffen. Getreu dem Motto „Vorbeugen ist besser als heilen“ sollte die Gesundheitsvorsorge, abgestellt auf unterschiedliche Altersgruppen, eine wichtige Rolle in der Strategie für psychische Gesundheit spielen. Mit dem Pilotprogramm des Europäischen Verbandes zur Bekämpfung von Depressionen ist es bereits gelungen, die Anzahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche junger Menschen um 25 % zu senken. Deshalb müssen wir ernsthaft über dieses Thema nachdenken und geeignete Maßnahmen ergreifen, um eine Abhängigkeit von modernen Technologien zu vermeiden.
Heutzutage sind wir stolz darauf, Zugang zu allen Arten von Technologie zu haben, dass alles möglich ist, und uns Tausende von technischen Spielereien zur Verfügung stehen. Aber zu welchem Preis? Zu dem Preis, dass vor allem Jugendliche süchtig nach ihren Bildschirmen sind und sich durch nichts davon abbringen lassen. Das ist die Herausforderung unserer Zeit, und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Durch eine einheitliche, koordinierte Politik der Europäischen Union im Bereich psychische Gesundheit können wir die geeigneten Bedingungen für eine harmonische Entwicklung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung schaffen. Sie wird Menschen helfen, schwierige Situationen, Konflikte oder Stress zu bewältigen und bessere zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen.
Richard Seeber (PPE-DE). – Herr Präsident! Herr Kommissar, heute Nachmittag haben wir über das rauchfreie Europa diskutiert. Im Bereich „psychische Gesundheit“ sind die Aktionen der Kommission und ganz Europas jedoch noch viel notwendiger. In diesem Zusammenhang Dank an Sie, dass Sie sich dieses Themas angenommen haben, und auch Dank an unseren Berichterstatter, John Bowis, der dieses Thema behandelt und einen ausgezeichneten Bericht abgeliefert hat.
Ein Hauptproblem der psychischen Gesundheit ist wohl diese Tabuisierung, die wir in allen Gesellschaften vorfinden, und wir sollten uns fragen, warum das so ist. Man kann vielerlei Gründe ausmachen, ich greife nur einige heraus. Erstens: Es ist wohl die Angst eines jeden von uns, dass er selbst einmal in eine solche Situation kommen könnte – denken wir insbesondere an das Alter, das uns bevorsteht.
Zweitens: Geist und Seele sind etwas zutiefst Menschliches, und wir sind hier in einem Bereich, der das grundsätzlich Menschliche ausmacht.
Drittens: Wir sind auch am Ende unserer so geliebten mechanistischen Deutungsweisen unserer Umwelt, weil wir hier in einem Bereich sind, wo diese nicht funktionieren. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, bei dem nicht nur der Einzelne sehr stark leidet, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes.
Ich habe ein paar Zahlen herausgesucht, die sehr alarmierend sind. Nach einer Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse stieg die Zahl der seelischen Erkrankungen am Arbeitsplatz zwischen 1997 und 2004 um 70 %. Gegen den Trend der rückläufigen Krankenstände schnellte im gleichen Zeitraum die Zahl der psychisch bedingten Fehlzeiten um mehr als zwei Drittel in die Höhe. 10 % aller Ausfallstage in der europäischen Wirtschaft gehen mittlerweile auf das Konto seelischer Belastung.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schreibt: Waren die drei größten Leiden der Menschheit 1990 noch Lungenentzündung, Durchfallerkrankungen und Kindstod, wird die Reihenfolge im Jahr 2020 so lauten: Herzinfarkt, Depression, Angststörung und Verkehrsunfälle. Wenn wir uns die Produktivitätseinbußen ansehen, so bewegen wir uns im Milliardenbereich. Für die EU-15 – die alten Mitgliedstaaten – gibt es Studien, wonach die Ausfälle 265 Milliarden Euro – das sind also rund 3-4 % des Bruttoinlandsproduktes der Gemeinschaft – betragen haben.
Daher ist es sehr berechtigt, dass sich Europa als Gesamtes fragt: Was können wir gemeinsam tun? Wir müssen natürlich bedenken, dass die Mitgliedstaaten hier sehr argwöhnisch auf ihre Kompetenzen bedacht sind; trotzdem glaube ich, dass der europäische Mehrwert durch Aktionen äußerst wichtig ist. John Bowis hat das in seinem Bericht sehr gut aufgelistet. Denken wir an Best-Practice-Modelle, denken wir an erweitertes Zahlenmaterial und an erweiterte Forschung und Entwicklung! Denken wir vor allem zielgruppenorientiert, damit wir hier zu einer Lösung kommen, damit der europäische Motor weiterläuft und der Stecker drinnen bleibt!
Frieda Brepoels (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich kann nicht umhin, zunächst ein Wort des Dankes für das Grünbuch an den Kommissar und mehr noch an Herrn Bowis für die wichtige Arbeit zu richten, die er geleistet hat.
Der Bericht hat sich ja als recht ausgewogen erwiesen. Schließlich wurde er nicht umsonst im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit fast ohne Gegenstimmen angenommen, deshalb hoffen wir, dass dieser Bericht morgen von einer überwältigenden Mehrheit in diesem Parlament getragen wird und den nötigen Druck auf die Kommission ausübt, damit sie in Einklang mit ihren Befugnissen die notwendigen Initiativen auf den Weg bringen kann, denn auf dem Gebiet der psychischen Gesundheitsfürsorge in der Europäischen Union gibt es ganz eindeutig noch eine Menge zu verbessern.
Die Patienten haben nach wie vor kein Mitspracherecht. Noch immer mangelt es an der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fürsorgeinstitutionen, und der Sektor hat wegen fehlender finanzieller Mittel ernsthaft zu kämpfen. Der zusätzliche Nutzen einer Politik auf Gemeinschaftsebene, die wir anstreben müssen, liegt hauptsächlich in der Förderung des Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Wir müssen vor allem imstande sein, den Zusammenhang zwischen den diversen und unterschiedlichen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten, sowohl national als auch regional, zu verbessern.
Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Grünbuch der Kommission hat nicht nur hier im Parlament eine Debatte entfacht, auch die einzelstaatlichen und regionalen Regierungen wurden für die Bereitstellung von mehr Mitteln sensibilisiert. Als in meinem Land, in Flandern, die nationale Gesundheitserhebung zutage förderte, dass jeder fünfte Flame unter psychischen Problemen leidet, und jeder Achte sogar unter ernsthaften Problemen, beschloss der flämische Minister für soziale Angelegenheiten unverzüglich, die Zentren für psychische Gesundheit erheblich zu stärken, vornehmlich jene der Zielgruppen, die am schlimmsten leiden, nämlich Kinder und Jugendliche.
Auch die Patientenorganisationen sind dem Beispiel gefolgt. So forderten Vertreter von ADHS Europa beispielsweise besondere Aufmerksamkeit für die Lebenssituation von ADHS-Patienten, da das Gründbuch diese Entwicklungsstörung bei Kindern nicht einmal erwähnte, die unbehandelt derart großen Schaden und Leid verursachen kann, nicht nur für den Patienten selbst, sondern auch in Form von Kosten für das Gesundheitssystem, das Bildungssystem und das Wirtschaftssystem.
Deshalb bin ich über die Bereitschaft unseres Berichterstatters überaus erfreut, in dieser Hinsicht einige wichtige Ergänzungen zu verabschieden. Mein Dank gebührt auch den Kolleginnen und Kollegen für ihre Unterstützung. Nunmehr hoffe ich, die Kommission wird auf der Grundlage des Vorstehenden in der Lage sein, noch in diesem Jahr einen Vorschlag für eine Strategie betreffend die psychische Gesundheit in der Europäischen Union vorzulegen. Ich wünsche dem Kommissar dazu viel Erfolg.
Péter Olajos (PPE-DE). – (HU) Zunächst möchte auch ich Herrn Bowis dafür danken, dass wir die Gelegenheit haben, über dieses sehr wichtige Thema zu sprechen. Jeder hat Angst vor Krankheit, und am meisten gefürchtet sind Krankheiten, die die psychische Gesundheit bedrohen.
Lange Zeit standen die medizinische Wissenschaft und die Gesellschaft diesen Problemen gleichermaßen hilflos gegenüber und reagierten damit, dass sie das Thema unter den Teppich kehrten oder die Opfer isolierten. Zum Glück wissen wir heute, dass es sich bei Kindern mit Lernschwierigkeiten nicht um unfolgsame Kinder handelt; dass man von jemandem, der an einer Depression erkrankt ist, nicht einfach verlangen kann, er solle sich zusammenreißen; und dass bei entsprechender Betreuung auch geistig Behinderte eine beachtliche Entwicklung nehmen können. Gleichzeitig müssen wir der Tatsache ins Auge blicken, dass genau so, wie Schreibtischarbeit schlecht für den Rücken ist oder der Umgang mit Chemikalien verstärkt zu Allergien führen kann, Stress, die Informationsflut und das Fehlen zuverlässiger Bezugspunkte in unserer Gesellschaft den Erhalt der psychischen Gesundheit schwierig machen. Während die meisten Menschen heutzutage bewusst auf einen gesunden Körper achten, gilt der Bewahrung eines gesunden Geistes deutlich weniger Aufmerksamkeit.
Ich begrüße daher, dass die Kommission die ersten Schritte hin zu einer Strategie der Gemeinschaft zur Verbesserung der psychischen Gesundheit eingeleitet hat. Besonders wichtig ist dies aus Sicht der neuen Mitgliedstaaten, zu denen Ungarn gehört, weil der durch die plötzlichen wirtschaftlichen und sozialen Umgestaltungen ausgelöste Schock zu Problemen geführt hat, denen wir mit unseren veralteten institutionellen Systemen, fehlenden Mitteln und überholten Einstellungen nicht angemessen begegnen können. Hinzu kommen die traditionell für die Region typischen Probleme wie die hohe Selbstmordrate.
Vor zwanzig Jahren, auf dem Höhepunkt der Selbstmordwelle, nahmen sich in meinem Heimatland Ungarn mehr als 45 von 100 000 Menschen das Leben, eine Zahl, die die Welt schockierte. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zufolge verübten im Jahr 2000 weltweit 16 von 100 000 Menschen Selbstmord, womit sich der steigende Trend der letzten fünfzig Jahre fortsetzte. Vor noch nicht allzu langer Zeit gab es in Europa Jahre, in denen die Zahl der Verkehrstoten von der der Selbstmörder übertroffen wurde, wie von einigen meiner Kollegen bereits erwähnt. Wir sollten jedoch nicht glauben, dass dies nur für Europa zutrifft. Auch in den Vereinigten Staaten rangiert bei den Todesursachen die Anzahl der Selbstmorde oft vor der der Morde – so wurden zum Beispiel 1997 anderthalb mal so viele Selbstmorde wie Tötungsverbrechen registriert.
Die lange Zeit der Vernachlässigung unserer Region hat dazu geführt, dass in unserem Land der Gang zum Psychologen noch immer etwas ist, über das man nicht spricht, und nicht selten werden Kinder aus benachteiligten Familien als geistig behindert angesehen. Viele Familien sind sich selbst überlassen, ohne wirksame Hilfe von außen, wenn ein Familienmitglied ernste Probleme hat. Hier muss sich etwas ändern, und deshalb unterstütze ich alle Änderungsanträge, in denen ausdrücklich festgestellt wird, dass Problemen der psychischen Gesundheit in den neuen Mitgliedstaaten besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE) . – (FI) Herr Präsident! An erster Stelle möchte ich meinem Kollegen John Bowis für seine geleistete Arbeit danken. Damit meine ich nicht nur den vorliegenden Bericht, sondern auch die Energie und das Engagement, mit denen er sich für die Frage der psychischen Gesundheit in Europa einsetzt. Seit sieben Jahren bin ich Abgeordnete dieses Parlaments. In dieser Zeit hat John Bowis stets dafür gesorgt, dass das Thema auf der Tagesordnung bleibt. In meinen Augen ist er ein ermutigendes Beispiel eines Politikers, der seine Vision einer besseren Welt mit Entschlossenheit und Standhaftigkeit umsetzt. Nur so kann man etwas verändern: indem man sich nicht beliebigen politischen Launen und Trends hingibt, sondern weiß, wofür man kämpft und entsprechend handelt.
Es ist leicht, über Probleme der psychischen Gesundheit den Mantel des Schweigens zu breiten. Ihnen haftet ein großes Stigma an, das bis zur Diskriminierung reicht, was Betroffene im schlimmsten Falle davon abhält, Hilfe zu suchen. Umfangreiche Informationen, Offenheit und die im Bericht vorgeschlagenen Kampagnen zum Thema „Psychische Gesundheit“ können dazu beitragen, diese sinnlose Stigmatisierung zu beseitigen. Der Weg zu einem reifen Umgang mit dem Thema ist steiniger denn je. Dieser Prozess wird offenbar durch die zunehmende Verunsicherung der Gesellschaft behindert. Hervorzuheben ist, dass der Bericht ein Bewusstsein für den Bedarf an frühzeitiger Intervention und die Bedeutung der Prävention aufzeigt. Um insbesondere psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen, müssen wir mehr Zeit und Geld in präventive Maßnahmen in Kindertagesstätten, Schulen, Gesundheitszentren für Kinder und die Gesundheitsvorsorge in Schulen investieren. Ein junger hilfebedürftiger Mensch neigt unter Umständen dazu, nichts zu unternehmen, weil er schlichtweg nicht weiß, an wen er sich wenden kann. Deshalb spielt der soziale Hintergrund eines Kindes, insbesondere seine Familie, in diesem Zusammenhang eine maßgebliche Rolle.
Mit den richtigen Mitteln sind Gesundheitszentren in Schulen und Kinderambulanzen hervorragend in der Lage, Probleme bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen und in einem frühen Stadium Hilfe anzubieten. In meinem Heimatland haben beispielsweise psychische Probleme bei jungen Menschen zugenommen. Statistiken belegen, dass in jedem fünften Fall die Eltern des betroffenen Kindes untypische Arbeitszeiten haben. Schulkindern, die an Angst leiden, kann durch gruppenbasierte Unterstützung in der Schule nachweislich beholfen werden, aber es ist unbedingt notwendig, die betroffenen Familien unter der Woche zu unterstützen. Durch die Unterstützung von Eltern und Familie erhalten Kinder eine solide Basis für die psychische Gesundheit. Die Behandlung der Probleme bei jungen Menschen mit Medikamenten sollte nur der letzte Ausweg sein. Der Schwerpunkt sollte auf der Ermittlung und Beseitigung der sozialen und der Umweltfaktoren liegen, die die Störungen verursachen.
Probleme verschwinden nicht, indem man sie totschweigt. Depression gilt als neue europäische Krankheit. Vor zwanzig Jahren nahmen nur wenige Menschen unter 30 Antidepressiva. Mittlerweile ist ihre Zahl auf die der älteren Generationen angestiegen. Wenn nicht sofort Lösungen für die psychischen Probleme junger Menschen gefunden werden und sich niemand darum kümmert, dass der Zugang zu Hilfe vereinfacht wird, werden wir einen Preis zahlen, der einfach zu hoch ist. Die schönen Worte und guten Absichten im Grünbuch der Kommission müssen schnellstmöglich in wirksame Gesetze umgesetzt werden. Als Parlament erwarten wir, in Kürze einen entsprechenden Richtlinienvorschlag zur Diskussion zu erhalten.
Thomas Ulmer (PPE-DE). – Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich den besten Wünschen an John Bowis anschließen. Er beweist ja einmal mehr, dass Gesundheitspolitik für ihn eine Leidenschaft und keine Pflichtaufgabe ist.
Eines haben erfolgreiche Politik und erfolgreiche Psychotherapie gemeinsam. Sie erfordern beide sehr viel Offenheit, Ehrlichkeit, Geduld und Engagement. Wir debattieren hier über eine interessante, wenig beachtete und weit verbreitete Angelegenheit unserer europäischen Gemeinschaft: die psychische Gesundheit.
Nach der Definition der WHO ist Gesundheit ein Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. In dieser Reihenfolge ist auch eine Verwirklichung der drei genannten Ziele realistisch. Wenn wir uns mit der psychischen Gesundheit befassen, so müssen wir feststellen, dass wir bei den psychischen Krankheiten in der Union eine dramatische Steigerungsrate zu verzeichnen haben. Sowohl pathogenetisch als auch molekularbiologisch haben wir ein buntes Bild an Krankheitsbildern, Ursachen, Diagnosen und Therapien. Um nur einige zu nennen: Depressionen, Schizophrenien, Borderline-Psychosen, Bulimie, Anorexie, Phobien, Neurosen und Manien.
Ich will hier nicht auf toxikologische und umweltbedingte Ursachen eingehen, das wäre ein Dossier für sich. Ich will Möglichkeiten aufzeigen, wie wir als Europäische Union im Rahmen der Prävention helfen können, wie wir den Leidensdruck der Erkrankten reduzieren, die Vorstufen zur Krankheit rechtzeitig erkennen und den Ausbruch dadurch verhindern können.
Nur einige Zahlen: Jeder Vierte wird erkranken; es ereignen sich 58.000 Selbstmorde bei zehnmal so viel Versuchen, wobei der Selbstmord für uns etwas Schwieriges, etwas Dämonisches, etwas Ungreifbares an sich hat, da wir uns verpflichtet fühlen, diesen zu verhindern.
Psychische Störung bedeutet Stigmatisierung, psychische Krankheit ist oft mit Minderwertigkeitsgefühlen verbunden, psychiatrische Einrichtungen wurden in der Geschichte Europas oft zu politischen Zwecken missbraucht. Wir haben die Chance, unsere nationalen Regierungen aufzufordern, mehr zu tun als bisher. Mit dieser Aufforderung mischen wir uns nicht in die Subsidiarität ein, sondern wir wollen Handlungshinweise geben und ein gesamteuropäisches Konzept für mehr Menschenwürde und weniger Diskriminierung aufzeigen, z. B. gesunde Familien als Basis für das Aufwachsen der Kinder, Chancengerechtigkeit überall in der Union, sowohl innereuropäisch als auch innerstaatlich.
Eine Strategie muss flächendeckende und heimatnahe Behandlungsmöglichkeiten beinhalten. Eine ganzheitliche Behandlung ist erforderlich, also Körper, Seele und soziales Umfeld. Zwangsbehandlung kann nur als ultima ratio angesehen werden, und in einem Gesamtkonzept sind Alkohol,- Drogen- und Medikamentenmissbrauch aufzunehmen und zu validieren. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Prävention.
Heute eröffnen wir mit diesem Bericht ein neues Kapitel, das dann hoffentlich bald in einem Weißbuch fortgeschrieben wird.
Rodi Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Gestatten Sie mir ebenfalls, dem Berichterstatter, Herrn Bowis, zu gratulieren, denn durch seine systematische Arbeit und deren Ergebnisse, die im Bericht enthalten sind, hat er die Bedeutung der psychischen Gesundheit und der von uns umzusetzenden politischen Maßnahmen deutlich gemacht.
Selbstverständlich muss die Strategie für die öffentliche Gesundheit auch die psychische Gesundheit umfassen, und zwar sowohl aus Gründen des persönlichen Wohlergehens als auch aus Gründen des sozialen Zusammenhalts, des sozialen Friedens und Fortschritts.
„Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ haben die alten Griechen gesagt, um zu zeigen, dass sowohl die geistige als auch die körperliche Gesundheit ein Bestandteil der menschlichen Gesundheit sind. Dieses Sprichwort hat in der heutigen Zeit nichts an Aktualität und Bedeutung verloren. Zahlreiche Abgeordnete sind bereits auf verschiedene Formen psychischer Erkrankungen der Gegenwart eingegangen.
In diesem Rahmen möchte ich betonen, dass der Geschlechterdimension in der Erforschung sowie in der Prävention und Bekämpfung psychischer Erkrankungen besondere Bedeutung beigemessen werden sollte. Wissenschaftliche Studien haben sogar gezeigt, dass sich verschiedene spezielle biologische Probleme und insbesondere soziale Umstände auf Frauen ganz besonders auswirken.
Die Geschlechterdimension muss ebenfalls bei der Ausbildung und Aufklärung des Betreuungspersonals berücksichtigt werden. Aufklärung ist generell auch innerhalb der Gesellschaft und in den Familien von psychisch Erkrankten erforderlich, da Frauen mit psychologischen Problemen häufig als Menschen behandelt werden, die übersensibel sind, und nicht als Menschen, die an einer Erkrankung leiden und spezielle Betreuung und Aufmerksamkeit benötigen.
Mit anderen Worten, wir müssen die Erkrankten und ihr Umfeld schützen, denn dadurch wird das Umfeld im Hinblick auf die Rolle, die es bei der Bewältigung der Probleme der Menschen spielen muss, die sich in ihm befinden, bessere Fähigkeiten entwickeln und an Vertrauen gewinnen.
Gestatten Sie mir, abschließend noch ein Wort zu den Kriegsopfern zu sagen. Die erheblichen psychologischen Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, müssen ebenfalls Gegenstand unserer Entwicklungs- und humanitären Hilfe sowie generell der Unterstützung für den Wiederaufbau der zerstörten Regionen sein, denn der Wiederaufbau des Landes setzt vor allem die Wiederherstellung der menschlichen Psyche voraus.
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich bei allen Abgeordneten für die sehr interessante und nützliche Aussprache bedanken. Ich werde mich kurz fassen.
Die beste Schlussfolgerung, die sich aus der heutigen Debatte ziehen lässt, ist die, dass sie ebenso wie der gesamte Konsultationsprozess gekennzeichnet ist von einer breiten Unterstützung für eine neue Strategie für die psychische Gesundheit. Damit sieht sich die Kommission in ihrem Tun bestätigt, denn sowohl während der allgemeinen Konsultation als auch während des parlamentarischen Prozesses und des Konsultationsprozesses in den Mitgliedstaaten war stets eine mehr oder weniger gleichbleibende Unterstützung für unsere Arbeit zu verzeichnen. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass eine Initiative und Strategie auf europäischer Ebene mit zusätzlichem Nutzen verbunden ist, und deshalb beabsichtigen wir, schon sehr bald eine entsprechende Strategie vorzulegen.
So ist es unbedingt erforderlich, dass wir die Zusammenarbeit im Bereich der psychischen Gesundheit zwischen Mitgliedstaaten, Betroffenen und verschiedenen Sektoren fördern. Die Einbeziehung aller zuständigen Sektoren in unsere Bemühungen um die des öffentlichen Gesundheitswesen bildet einen wichtigen Aspekt der neuen Strategie. Wie ich eingangs bereits sagte, beabsichtigen wir, die psychische Gesundheit in den Mittelpunkt unserer Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu rücken.
Schulen und Arbeitsstätten haben größeren Einfluss auf das psychische Wohlbefinden als der eigentliche Gesundheitssektor. Die Erziehung der Eltern ist ebenfalls wichtig. Ältere Menschen müssen Gelegenheit haben, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Es wurden viele interessante Punkte angesprochen, und wir werden sie bei der Erarbeitung der Strategie in Betracht ziehen. Wir werden uns mit Fragen der Prävention beschäftigen, und wie Sie von früheren Aussprachen wissen, ist die Förderung der Prävention und nicht nur der Behandlung eines meiner Grundanliegen und die Grundlage meiner Strategie für diese Amtszeit.
Geschlechtsspezifische Aspekte werden ebenfalls Eingang finden. Im Rahmen einer ähnlichen Diskussion hier über geschlechtsspezifische Aspekte im Bereich Gesundheit stellte ich fest, dass von diesem Zeitpunkt an geschlechtsspezifische Aspekte Eingang in alle unsere Gesundheitsinitiativen sowie die verschiedenen Bereiche der Forschung, Gesundheitsförderung, Vorbeugung, Fürsorge, Behandlung und Rehabilitation finden würden. All unsere Politiken werden stets auch Geschlechterfragen berücksichtigen. Sie werden definitiv in das von der Kommission zu erarbeitende Strategiedokument einfließen. Wie ich bereits sagte, werden wir uns mit der Prävention und einigen der Ursachen wie z. B. den Alterungsprozess befassen, die natürlich nicht alle vermeidbar sind.
Das Älterwerden ist eine Tatsache. Unsere Bevölkerung wird immer älter. Es geht darum, gesund alt zu werden. Wir leben länger, und wir wollen bis ins hohe Alter gesund bleiben, und dabei spielt die psychische Gesundheit eine wichtige Rolle.
Abschließend möchte ich feststellen, dass die genannten Zahlen erst die Spitze des Eisbergs darstellen. Betroffen sind nicht nur die psychisch Kranken, sondern deren Familien und Freunde, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Kollegen. Es ist sogar so, dass die Gesellschaft insgesamt unter den Auswirkungen psychischer Probleme leidet. Das beste Ergebnis dieses gesamten Prozesses einschließlich der Strategie bestünde deshalb darin, wenn wir der psychischen Gesundheit Vorrang einräumen würden, und zwar nicht nur auf der Ebene der Europäischen Union – meines Erachtens haben wir das in der Kommission und im Europäischen Parlament bereits getan –, sondern in jedem einzelnen Mitgliedstaat und der Gemeinschaft insgesamt.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Mittwoch um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Filip Kaczmarek (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Ich danke John Bowis für diesen sehr umfassenden und ausführlichen Bericht zur Verbesserung der psychischen Gesundheit unserer Bürger, also zur Strategie der Europäischen Union zur Verbesserung der psychischen Gesundheit.
Psychische Probleme kennen keine nationalen Grenzen, weshalb wir von einer Strategie zur Verbesserung der psychischen Gesundheit für die gesamte Union sprechen können. In jedem Fall könnte die Einführung einer gemeinsamen Strategie, die Schaffung eines Rahmens für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen und die Überwachung seiner Umsetzung die Einrichtung und Erbringung nationaler Diensten für Menschen mit geistigen Störungen und Menschen, die an Geisteskrankheiten leiden, erleichtern.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich viele Maßstäbe für Humanität entwickelt. Eine davon ist unsere Haltung gegenüber Menschen mit psychischen Störungen. Meines Erachtens sind die Forderungen nach einer Entstigmatisierung des Problems, einer Überwindung von Vorurteilen, einer Änderung der Einstellung gegenüber psychischen Störungen und die Beseitigung diesbezüglicher Stereotype sehr wichtig. Doch immer wenn ein Politiker in Polen einen anderen Politiker beleidigen will, sagt er oder deutet an, der andere sei geisteskrank oder psychisch gestört. Leider legen auch einige Mitglieder des Europäischen Parlaments dieses Verhalten an den Tag. Wir sollten jedoch alle daran denken, dass ein Mensch, der unter einer psychischen Krankheit leidet, es verdient, dass man sich um ihn kümmert und mit Würde und human behandelt.
In Ländern mit einer hohen Arbeitslosenrate sind vor allem behinderte Menschen von diesem Problem betroffen. Daher unterstütze ich nachdrücklich Initiativen, die eine Nichtdiskriminierung bei der Behandlung von Personen, die unter einer Geisteskrankheit leiden, und die Integration von Menschen mit psychischen Störungen in die Gesellschaft gewährleisten. Diese Maßnahmen sind besonders wichtig, weil gute Arbeitsbedingungen einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben.
Jules Maaten (ALDE). – (NL) Europa steht vor ernsthaften Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit: Krebs, Herz- und Gefäßerkrankungen, Diabetes, Asthma... Psychische Erkrankungen gehören ebenfalls auf diese Liste. Weshalb werden psychisch Kranke anders behandelt als Menschen mit einer Herzkrankheit, Aids oder Krebs? In einer Zeit, in der Patienten immer mehr als Verbraucher angesehen werden, besser informiert sind und stärker in Entscheidungen eingebunden werden, sollte die Haltung in Sachen psychischer Gesundheit dieser Tendenz folgen.
Gegenwärtig teilt sich die EU die Verantwortung für die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitsfürsorge mit den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten zeichnen für die einzelstaatlichen Gesundheitsbehörden und -systeme verantwortlich. Der EU kommt hierbei lediglich eine zweitrangige Rolle zu. Ich plädiere gerade deshalb für eine gewichtigere Rolle der EU in Fragen der öffentlichen Gesundheit, weil sie für die Bürgerinnen und Bürger von derart großer Bedeutung ist.
Um die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit zu fördern und zu unterstützen und Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, ist es sinnvoll, dass die EU in diesem Bereich tätig wird, beispielsweise durch Zusammenarbeit, Förderung des Zusammenhalts und Einrichtung einer Plattform. Auf diese Weise kann die EU Bedeutung für den Bürger erlangen und das negative Bild von Bürokratie und unnötigen Vorschriften zerstreuen, das nicht eben wenige Bürger haben.
19. Europäisches Vertragsrecht (Aussprache)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission über europäisches Vertragsrecht von Giuseppe Gargani im Namen des Rechtsausschusses (O-0074/2006 – B6-0326/2006).
Klaus-Heiner Lehne (PPE-DE), stellvertr. Verfasser. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, worüber wir heute diskutieren, ist eines der wichtigsten prälegislativen Vorhaben, die in der Europäischen Union in dieser Legislaturperiode anstehen, nach meiner Überzeugung das allerwichtigste. Es ist deshalb umso bedauerlicher, dass wir auch dieses Thema wieder einmal kurz vor Mitternacht diskutieren, während andere bedeutende — in Anführungszeichen bedeutende — Fragen in diesem Hause zu den besten Sendezeiten diskutiert werden. Am Rande bemerkt: Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass eine Parlamentsreform dringend nötig ist.
Aber lassen Sie mich zu den mündlichen Anfragen kommen. Das Europäische Parlament hat das Projekt eines gemeinsamen Referenzrahmens in — nach meiner Zählung — bislang insgesamt sechs Entschließungen seit Anfang der 90er Jahre immer wieder nachdrücklich unterstützt und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir zusammen mit den Praktikern des Rechts — den Anwälten und Richtern der Europäischen Union — der Auffassung sind, dass weitere Schritte hin zu gemeinsamen Prinzipien im Zivilrecht notwendig sind, um viele europäische Gesetzgebungsvorschriften, z. B. die E-Commerce-Richtlinie, überhaupt erst praktikabel gestalten zu können.
In Rechtsstreitigkeiten, insbesondere zwischen Verbrauchern und Gewerbetreibenden, wo es um geringe Streitwerte geht, ist es für Anwälte und für Richter praktisch vollkommen unmöglich, 25 — und wenn man Schottland mitrechnet 26 — unterschiedliche Rechtsordnungen in der Europäischen Union parallel anzuwenden, noch dazu bei dem seltsamen Nebeneinander von Herkunftslandsprinzip und Bestimmungslandsprinzip, wie dies z. B. bei der E-Commerce-Richtlinie der Fall ist.
Darum brauchen wir einen höheren gemeinsamen Standard, ich will ruhig den Harmonisierungsstandard verwenden. Darüber gibt es eigentlich keinen Streit, diesbezüglich herrscht großer Konsens in diesem Hause. Das ist auch die Meinung der wichtigsten Rechtsanwender und einer der Gründe, warum der CCBE, die Vereinigung der europäischen Rechtsanwälte, eine Konferenz in Rom geplant hat, die im Herbst dieses Jahres stattfinden soll und die das Projekt nachträglich unterstützt.
Für uns ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, dass wir nicht nur einen Rumpf-Referenzrahmen bekommen, der sich ausschließlich auf verbrauchervertragsrechtliche Fragen bezieht, sondern einen Rahmen, der grundsätzlich alle Aspekte des Zivilrechts erfasst. Das ist ein ganz entscheidender Punkt, um hinterher über alle Optionen entscheiden zu können, was aus diesem Referenzrahmen einmal werden kann. Das hängt natürlich vor allem davon ab, wie die Qualität dieses Referenzrahmens ist. Aber wir möchten gerne, dass die Optionen offen gehalten werden, bis die Kommission das endgültige Konsultationsdokument vorlegt, und dass wir dann darüber, genau so wie andere, befinden können.
Wichtig ist auch, dass wir den sektoralen Ansatz bei der Zivilgesetzgebung verlassen und einen ganzheitlichen Ansatz finden. Denn viele Widersprüche, die es heute im Zivilrecht der EU gibt, erklären sich dadurch, dass man eben nicht diesen ganzheitlichen Ansatz verfolgt hat, sondern immer nur Einzelprobleme gesehen und die Dinge nicht insgesamt erfasst hat.
Ein Referenzrahmen setzt auch voraus, dass das Netzwerk im Prinzip weiterfunktioniert und weiterbetrieben wird, wie dies bisher von der Kommission gemacht worden ist. Als Berichterstatter zu diesem Thema im Rechtsausschuss kann ich sagen, dass alle Fraktionen sich im Grundsatz in dieser Frage einig sind und dass es dazu in diesem Hause breiteste Mehrheiten gibt, wie ich sie nur selten irgendwo anders gefunden habe. Die Kollegin Wallis von der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa, die heute Abend nicht hier sein kann, hat mich ausdrücklich beauftragt, dies auch in ihrem Namen noch einmal zu bestätigen.
Wir wissen, dass die drei Kommissare, die mit diesem Thema befasst sind — die Herren Kyprianou, Frattini und McCreevy — in diesen Tagen überlegen bzw. überlegt haben, wie die Arbeiten weiter vorangebracht werden sollen. Wir haben deshalb diese mündliche Anfrage — verknüpft mit der entsprechenden Entschließung, die Sie vielleicht im Entwurf bereits lesen konnten, und die am Donnerstag sicherlich mit großer Mehrheit in diesem Hause verabschiedet werden wird — bewusst auf die heutige Tagesordnung gesetzt, um von unserer Seite, also von der Seite des Parlaments noch einmal nachdrücklich deutlich zu machen, wie sehr wir dieses Projekt unterstützen.
Unser Wunsch ist es, dass die Beschlusslage, wie sie in diesem Hause herrscht, auch für Sie als Kommission als Leitfaden für die weitere Entwicklung und Bearbeitung dieses Themas dient. Bisher haben Kommission und Parlament in dieser Frage immer engstens zusammengearbeitet und sich wechselseitig unterstützt.
Unsere Bitte geht dahin, dass es dabei bleibt, und zwar im Interesse der Entwicklung der Europäischen Union sowie auch im Interesse des Rechts in der Europäischen Union, welches auch für den einfachen Menschen handhabbar und praktikabel sein muss. Darum muss dieses Projekt weitergehen. Wir bitten die Kommission, es weiter so kräftig zu unterstützen und auch die Beantwortung dieser Anfrage zu nutzen, um dies hier im Plenum öffentlich deutlich zu machen.
Markos Kyprianou, Mitglied der Kommission. (EN) Die Kommission hat von Anfang an erklärt, dass sie das Interesse des Parlaments am gemeinsamen Referenzrahmen – GRR – und die Unterstützung, die es für dieses Vorhaben zum Ausdruck bringt, begrüßt.
Derzeit prüft die Kommission Möglichkeiten für die Einbeziehung anderer vertragsrechtlicher Fragen als Verbraucherfragen in den GRR zum Vertragsrecht. Dazu wäre zu erläutern, dass die Tatsache, dass wir derzeit den Bereich des Verbraucherrechts vorantreiben, nicht bedeutet, dass wir eine endgültige Entscheidung darüber getroffen haben, ob wir weitere Aspekte des Vertragsrechts einbeziehen werden. Ich arbeite in dieser Sache sehr eng mit meinen Kollegen Herrn Frattini und Herrn McCreevy zusammen. Bei den anderen vertragsrechtlichen Fragen könnte es sich um andere vertragsrechtliche Besitzstandsfragen sowie allgemeine Fragen des Vertragsrechts handeln, die von direkter Bedeutung für den gemeinschaftlichen Besitzstand sind. Die Kommission hat in dieser Sache bisher noch keine endgültige Entscheidung getroffen, wird dies aber bald tun.
Wir haben die Stellungnahme des Europäischen Parlaments – wie sie vor allem in der jüngsten Entschließung zum Ausdruck gebracht wird – in dieser Angelegenheit zur Kenntnis genommen. Ich hatte zudem Gelegenheit, die Frage in den verschiedenen Ausschüssen zu diskutieren. Die Kommission gedenkt ferner, den Standpunkt des Rates zu den verbleibenden Maßnahmen in Bezug auf den GRR einzuholen.
Die Kommission beabsichtigt, den GRR als ein Instrument der „besseren Rechtsetzung“ einzusetzen, um für mehr Klarheit in der Rechtsetzung zu sorgen. Vor allem muss sorgfältig überlegt und geklärt werden, mit welcher Rechtsform sich dieses Ziel am besten erreichen lässt. Es ist leichter, eine Entscheidung zu treffen, sobald mehr Gewissheit bezüglich des Inhalts der GRR herrscht. Dann können wir prüfen, wie wir am besten für eine möglichst effektive Nutzung des GRR sorgen können. Wir müssen bedenken, dass noch am GRR gearbeitet und diese Arbeit erst in einigen Jahren abgeschlossen sein wird.
Während die Kommission den GRR bei der Erarbeitung neuer Legislativvorschläge im Zusammenhang mit vertragsrechtlichen Fragen berücksichtigen kann, wäre es weder sinnvoll noch notwendig, die Verabschiedung von Rechtsvorschriften zum Vertragsrecht aufzuschieben, bis sämtliche Diskussionen zum GRR abgeschlossen sind.
Die Kommission hat bereits angedeutet, dass sie beabsichtigt, die entsprechenden GRR-Ergebnisse bei der Überprüfung des gemeinschaftlichen Vertragsrechts im Bereich Verbraucherschutz zu verwenden. Wie aus der Mitteilung von Oktober 2004 klar hervorgeht, ist der GRR nicht in erster Linie als verbindliches Instrument gedacht, das unmittelbar bei Rechtsgeschäften zur Anwendung kommt, sondern als ein Instrumentarium, das dem Gesetzgeber die bessere Rechtsetzung erleichtern soll.
Die Kommission versteht natürlich, dass das Parlament auf dem Laufenden gehalten und in die laufenden Arbeiten am GRR einbezogen werden möchte, und begrüßt daher die Mitarbeit des Parlaments in diesem Prozess, und zwar insbesondere die Bildung der parlamentarischen Arbeitsgruppe. Die Kommission wird das Parlament in der ihr am sinnvollsten erscheinenden Form – vor allem über die parlamentarische Arbeitsgruppe – über den Fortgang der Arbeiten informieren.
Abschließend möchte ich dem Parlament für seinen Ansporn und seine Unterstützung in dieser wichtigen Angelegenheit danken.