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Ausführliche Sitzungsberichte
Montag, 23. Oktober 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

22. Europäisches Mahnverfahren (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Empfehlung für die zweite Lesung des Rechtsausschusses betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (07535/3/2006 – C6-0227/2006 – 2004/0055(COD)) (Berichterstatterin: Arlene McCarthy) (A6-0316/2006).

 
  
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  Arlene McCarthy (PSE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident, Herr Kommissar! Es ist fast zwölf Monate her, dass wir zum ersten Mal unsere Zustimmung zum europäischen Mahnverfahren erteilt haben, einer neuen Rechtsvorschrift, mit der Unternehmen und Bürgern die Eintreibung von Forderungen erleichtert werden sollte. Heute, ein Jahr später, hat sich die Meinung des Ausschusses nicht geändert. Wir sind der Auffassung, dass wir diese pragmatische und praktische neue EU-Rechtsvorschrift benötigen, um insbesondere sicherzustellen, dass Unternehmen und Bürger über ein erschwingliches System verfügen, um ausstehende Forderungen einzutreiben. Warum? Weil die Eintreibung von Forderungen aus einem anderen EU-Staat ein kostspieliges Rechtsverfahren ist, bis diese Rechtsvorschrift in Kraft tritt. In einigen Fällen waren die Anwalts- und Verwaltungskosten höher als der geschuldete Betrag. Hinzu kommt, dass Untersuchungen und Erfahrungen zeigen, dass Unternehmen, die ihre Forderungen nicht eintreiben können, der Zusammenbruch droht, mit sich daraus ergebenden Folgen nicht nur durch Arbeitsplatzverluste, sondern auch für andere KMU in der Lieferkette.

Von den jedes Jahr in Europa insgesamt in Rechnung gestellten 30 bis 40 Milliarden Euro bleiben immerhin 1 Milliarde Euro offen und werden zu Forderungen. Interim Justicia hat vor rund zehn Jahren eine Untersuchung zum Zahlungsverhalten in 16 europäischen Ländern durchgeführt. Damals betrug der durchschnittliche Verzug lediglich 14 Tage. Bis Ende 2003 war dieser Zeitraum aber nicht zurückgegangen, sondern auf 16 Tage angestiegen. Laut einer Studie der Weltbank mit dem Titel „Doing Business in 2004: Understanding Regulation“ verfügen bei den untersuchten Ländern die nordischen Länder über die wirksamsten Rechtssysteme. Dort geht es am schnellsten, bis eine Lösung erreicht wird, während die Kosten niedrig bleiben. Italien gehört zu den Ländern weltweit, in denen der Verzug am größten ist. Dies wird mit dem lockeren Widerspruchsverfahren begründet, wo ein Vorgang in jeder Phase des Verfahrens unterbrochen werden kann. Spanien dagegen verfügt über eines der kompliziertesten Rechtssysteme, das höhere Kosten und längere Gerichtsverfahren verursacht. In meiner Heimat, dem Vereinigten Königreich, gibt es drei Zahlungssysteme, was ebenfalls für Verwirrung bei Unternehmen und Bürgern sorgt.

Große Unterschiede bei den gesetzlichen Regelungen für die Eintreibung ausstehender Forderungen führen damit vor allem im EU-Handel zu Unsicherheiten, und die zusätzlichen Kosten stehen dem EU-Ziel der Chancengleichheit beim Marktzugang für einheimische und EU-weit tätige Unternehmen im Wege. Es liegt auf der Hand, dass fehlende Systeme zur Durchsetzung der Vorschriften dem Binnenmarkt und dem Vertrauen der Unternehmen schaden und dass dementsprechend KMU weiterhin mit Liquiditätsproblemen aufgrund von Zahlungsverzug zu kämpfen haben.

Das europäische Mahnverfahren wird auch für Privatpersonen gelten, die in einem anderen Mitgliedstaat leben oder arbeiten und diese neue Regelung ebenfalls nutzen können. Natürlich steigt mit dem hohen und wachsenden Handelsvolumen in der Gemeinschaft und dem zunehmenden Personenverkehr auch die Wahrscheinlichkeit, dass immer mehr Unternehmen in grenzüberschreitende Gerichtsverfahren verwickelt werden. Es besteht die Gefahr, dass Bürger angesichts der Hindernisse, die sich insbesondere aus der Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem in einem anderen Mitgliedstaat und aus unbekannten Verfahren und Kosten ergeben, nicht bereit sind, ihre Rechte geltend zu machen. Deshalb muss die EU unbedingt einen Rechtsraum bieten, in dem Privatpersonen und Unternehmen bei unbestrittenen Forderungen Zugang zu den Gerichten und zu Rechtsmitteln haben.

Dieses Verfahrensrecht macht einen solchen Zugang möglich. Mit dem Mahnverfahren wird ein praktisches gemeinschaftsweites Instrument eingeführt, mit dem eine vollstreckbare Entscheidung erlangt werden kann, und ich glaube, auf diese Weise können wir den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass ihnen die EU ein praktisches Instrument an die Hand gibt, das sie bei dem Einsatz von Rechtsmitteln unterstützen kann.

Ich möchte zu Protokoll geben, wie dankbar ich den Mitgliedern des Ausschusses bin, insbesondere den Schattenberichterstattern Herr Wieland, der heute Abend anwesend ist, und Frau Wallis, die heute leider nicht dabei sein kann. Sie haben nicht nur meinen Ansatz unterstützt, sondern auch in jeder Phase des Verfahrens nützliche und konstruktive Änderungsvorschläge unterbreitet. Der Ausschuss hat sich mit den maßgebenden Akteuren beraten, und wir haben uns unseres Erachtens auf die wichtigsten Punkte konzentriert. Beiden Schattenberichterstattern war es ein Anliegen sicherzustellen, dass die Formulare und der Anhang als das Gerüst des Vorschlags so einfach gestaltet sind, dass sie von den Unternehmen mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand ausgefüllt werden können. Nur die Zeit und die Praxis werden zeigen, ob wir unser Ziel erreichen konnten. Deshalb muss das Parlament im Rahmen des neuen Komitologieverfahrens zu allen Änderungen, die die Kommission am System vornehmen will, konsultiert und informiert werden.

Außerdem möchte ich der britischen Ratspräsidentschaft und insbesondere Frau Ministerin Baroness Ashton meinen Dank aussprechen, die entscheidend mitgeholfen hat, dass wir bei der eindeutigen Formulierung dieser Rechtsvorschrift vorankamen.

Herr Kommissar, in der zweiten Lesung geht es jetzt also um die letzten Detailfragen. Frau Wallis fordert die Kommission eindringlich auf, sich ernsthaft mit der möglichen Diskriminierung von Bürgern und Unternehmen zu befassen, die daraus erwachsen könnte, dass EWR-Mitglieder zwar am Binnenmarkt teilhaben, sich aber nicht dem Europäischen Mahnverfahren anschließen können. Ich hoffe, die Kommission wird sich mit dieser Frage auseinandersetzen.

Die Formulare sollten benutzerfreundlich und übersichtlich gestaltet sein, und deshalb bitten wir die Kommission, unseren Änderungsantrag zu dieser Frage zu übernehmen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir seit Beginn dieses Verfahrens vor einem Jahr und seit dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag mittlerweile über eine neue interinstitutionelle Vereinbarung verfügen, die seit Juli 2006 gilt. Der Ausschuss und das Parlament fordern, dass die neuen Regelungskontrollen und –vorschriften in dieser Rechtsvorschrift und im Rahmen des Mahnverfahrens eingehalten werden.

Herr Kommissar, ich kann gar nicht sagen, wie sehr wir in dieser Frage die Zusammenarbeit mit Ihren Referaten geschätzt haben. Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit der finnischen Ratspräsidentschaft das Europäische Mahnverfahren verabschieden und dann in allen Mitgliedstaaten der Union mit seiner Umsetzung in nationales Recht beginnen können, damit Unternehmen und Bürger bei ihren Geschäften auf dem Binnenmarkt darauf vertrauen können, dass die Eintreibung von Forderungen keine endlosen und ergebnislosen Gerichtsverfahren nach sich zieht. Dank der Europäischen Union verfügen wir nun über ein einfaches und benutzerfreundliches System für die rasche Eintreibung von Forderungen, das meines Erachtens den Binnenmarkt für KMU vorantreiben und der EU-Wirtschaft einen neuen Impuls verleihen wird.

 
  
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  Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich der Berichterstatterin, Frau McCarthy, meinen herzlichen Dank für ihre Arbeit und für ihre Bemühungen aussprechen, dieses Vorhaben, das unseren Bürgerinnen und Bürgern sehr am Herzen liegt, zu einem zufrieden stellenden Abschluss zu bringen.

Wie auch die Berichterstatterin möchte ich dem ehemaligen britischen Ratsvorsitz und insbesondere Baroness Ashton für ihren Beitrag zum Fortgang dieses wichtigen Vorhabens danken.

Wie Sie wissen, soll mit dieser Verordnung über das Europäische Mahnverfahren die Beitreibung unzähliger unbestrittener Forderungen in Europa erleichtert werden. Deshalb ist es sehr wichtig, denn es wird alle Gläubiger in Europa in die Lage versetzen, ihre Forderungen auf einheitlichem Wege sowie rascher und kostengünstiger als im Rahmen herkömmlicher Gerichtsverfahren einzutreiben. Zudem werden auf diese Weise die Gerichte entlastet, denn Forderungen, deren Rechtmäßigkeit der Schuldner nicht bestreitet, sind nicht mehr Gegenstand ordentlicher Verfahren.

Der Vorschlag betrifft potenziell alle Bürger und Wirtschaftsakteure in Europa. Ein Europäischer Zahlungsbefehl kann überall in Europa zur Anwendung kommen und wird automatisch vollstreckt. Es ist daher nicht notwendig, im Vollstreckungsmitgliedstaat eine Vollstreckbarerklärung – Exequatur – zu beantragen.

Bei den Änderungsanträgen kann ich den dritten Antrag wie vorliegend annehmen. Beim zweiten Änderungsantrag kann ich die Kompromissänderung zum Komitologieverfahren akzeptieren, die mit dem im Juli 2006 verabschiedeten Ratsbeschluss in Einklang steht. Beim ersten Änderungsantrag kann ich zwar den Beweggrund und die Bedenken des Ausschusses nachvollziehen, aber ich glaube, wir sollten in dieser Phase das Thema der Definition einer grenzüberschreitenden Rechtssache nicht erneut auf den Tisch bringen, weil der Rat und das Europäische Parlament sie in erster Lesung angenommen haben. Gleichzeitig kann ich bestätigen, dass die Kommission gewillt ist, sich ausführlicher mit den Folgen der Verordnung für in Drittstaaten und insbesondere in Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums ansässige Unternehmen zu befassen. Ich bin bereit, alle Vorschläge sorgfältig zu prüfen.

 
  
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  Rainer Wieland, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Frau McCarthy, die Berichterstatterin, hat im Wesentlichen die Bedeutung für die Wirtschaft erörtert.

Dieses europäische Mahnverfahren stellt einen wesentlichen Fortschritt im Bereich der grenzüberschreitenden Rechtsanwendung dar, insbesondere einen Fortschritt für die Wirtschaft, die ein besonderes Interesse daran hat, dass rasch festgestellt wird, ob Forderungen zu Recht bestehen, dass ein Titel schnell ausgestellt wird und dass auch im Lande des Schuldners dieser Anspruch ohne weitere kostenaufwendige Schritte vollstreckbar ist. Aber – und darauf will ich mein Hauptaugenmerk legen – die grenzüberschreitenden Rechtsbeziehungen werden auch für Privatleute zunehmend Bedeutung erlangen. Für Privatleute ist es besonders schwierig, grenzüberscheitend Ansprüche geltend zu machen, unabhängig davon, ob diese nun bestritten sind oder nicht.

Wir haben es heute mit unbestrittenen Forderungen zu tun. Deshalb ist dieser erste Schritt wichtig. Insbesondere Privatleute, für die die rechtliche Geltendmachung von Forderungen ohnehin kompliziert ist, haben große Probleme bei grenzüberschreitenden Forderungen. Für sie wird das jetzige Instrument erleichternd wirken. Durch ein Formular, das auch ein Privatmann ausfüllen kann, wird es möglich, ohne großen Kostenaufwand und relativ einfach Ansprüche geltend zu machen.

Ein weiterer Aspekt: Es wird immer von der Wirtschaft, von den Gläubigern gesprochen, doch zu wenig von den Schuldnern. Wir haben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – unter anderem in meinem Mitgliedsland – Systeme eingeführt, die die Titulierung solcher Ansprüche auch für den Schuldner ausgesprochen kostengünstig werden lassen. Der Schuldner, der bereit, aber möglicherweise nicht in der Lage ist zu bezahlen, kann mit dem Gläubiger, der ein Interesse daran hat, die Verjährung durch den Titel außer Kraft setzen zu lassen, eine vernünftige Ratenzahlung vereinbaren, und es werden somit weniger Kosten anfallen, weil kein strittiges Verfahren stattgefunden hat.

Deshalb liegt es im Interesse aller Beteiligten, dass wir ein schnelles, effizientes und kostengünstiges grenzüberschreitendes Verfahren einführen.

 
  
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  Andrzej Jan Szejna, im Namen der PSE-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Zahlungsverzug ist die Hauptursache für Insolvenz, die vor allem die Existenz von kleinen und mittleren Unternehmen bedroht. Er gefährdet die Geschäftstätigkeit und Zahlungsfähigkeit dieser Unternehmen, was oft zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze führt. Deshalb ist – sofern kein Rechtsstreit anhängig ist – ein rascher und wirksamer Forderungseinzug für die Unternehmen in der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung. Dies kann zum Erhalt von Arbeitsplätzen beitragen.

Die Mitgliedstaaten haben versucht, das Problem des massenhaften Forderungseinzugs bei unstreitigen Forderungen im Prinzip dadurch zu lösen, dass sie die Mahnverfahren vereinfachten. Dabei gibt es jedoch beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ablauf der einzelnen Verfahren. So ist es durchaus möglich, dass solche Verfahren in grenzüberschreitenden Rechtssachen nicht zulässig sind oder nicht durchgeführt werden können. Es ist deshalb angeraten, die vorgeschlagene Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens zu befürworten.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Mittwoch um 12.30 Uhr statt.

 
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