Der Präsident. Ich erkläre die am Donnerstag, dem 26. Oktober 2006, unterbrochene Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments für wieder aufgenommen.
2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung
Der Präsident. Das Protokoll der Sitzung vom 26. Oktober 2006 wurde verteilt. Gibt es Einwände?
Françoise Grossetête (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident! Ich möchte lediglich anmerken, dass ich am Donnerstag vergessen habe, mich in die Anwesenheitsliste einzutragen, doch habe ich an allen namentlichen Abstimmungen am Donnerstag Mittag und Donnerstag Abend teilgenommen.
Der Präsident. Es werden entsprechende Schritte zur notwendigen Korrektur eingeleitet.
(Das Protokoll der vorangegangenen Sitzung wird genehmigt.)
3. Mittelübertragungen: siehe Protokoll
4. Petitionen: siehe Protokoll
5. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat: siehe Protokoll
Speroni (NI). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte lediglich eine Bemerkung zu Protokoll geben. Da sich die Entscheidungen der italienischen Behörden zu den Änderungen bei der Benennung der italienischen Vertreter im Europäischen Parlament auf die Wahlen von 2004 beziehen, halte ich es nicht für richtig, dass sie mit Wirkung vom 8. November in Kraft treten sollen. Die Änderungen müssen höchstwahrscheinlich verschoben werden, und ich denke, das sollte vom zuständigen Ausschuss dieses Parlaments geprüft werden.
Der Präsident. Wir nehmen Ihre Bemerkung zur Kenntnis. Ich weiß nicht, welche rechtlichen Auswirkungen sie hat, aber das Sekretariat wird sie prüfen und sie erforderlichenfalls dem geeignetsten Ausschuss übermitteln, damit dieser prüft, wie begründet ihr Kommentar ist.
11. Zusammensetzung der Ausschüsse und der Delegationen: siehe Protokoll
12. Unterzeichnung von Rechtsakten, die im Mitentscheidungsverfahren angenommen wurden: siehe Protokoll
13. Entwurf des Gesamthaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007 (Frist für die Einreichung von Abänderungsentwürfen) : siehe Protokoll
14. Arbeitsplan
Der Präsident. Der endgültige Entwurf der Tagesordnung dieser Tagung, wie er in der Konferenz der Präsidenten in ihrer Sitzung vom Donnerstag, dem 9. November 2006, gemäß Artikel 130 und 131 der Geschäftsordnung festgelegt wurde, ist verteilt worden. Zu diesem Entwurf wurden folgende Änderungen beantragt:
Montag:
Ich habe einen Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament auf Vertagung der Aussprache zum Bericht von Frau Bachelot-Narquin über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung erhalten.
Wer möchte diesen Antrag im Namen der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament erläutern?
Jean Louis Cottigny (PSE). – (FR) Herr Präsident! Die Sozialdemokratische Fraktion beantragt die Vertagung der Aussprache und der Abstimmung über den Bericht von Frau Bachelot zum Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung.
Da der Coreper und die finnische Präsidentschaft ihre Version der Verordnung erst am Freitag, dem 10. November, fertig gestellt haben, lag sie uns erst am Spätnachmittag vor. Obwohl wir mit der Berichterstatterin die ganze letzte Woche über bei den informellen Treffen mit dem Rat und der Kommission gemeinsam gearbeitet haben, war es uns daher nicht möglich, zwischen Freitag Abend und heute eine erste Diskussion unter uns zu führen. Wir beantragen daher, sowohl die Aussprache als auch die Abstimmungen auf die zweite Novembertagung zu verschieben, so dass wir unsere Prüfung der Vorschläge des Rates fortsetzen können.
Roselyne Bachelot-Narquin (PPE-DE), Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident! Ich spreche ebenfalls mit Zustimmung der PPE-DE-Fraktion, um den Standpunkt meines Kollegen Jean-Louis Cottigny zu unterstützen und die Vertagung der Abstimmung sowie der Aussprache zu beantragen.
Denn wie mein Kollege soeben dargelegt hat, sind die letzten Informationen zu den Positionen des Rates uns erst vor einigen Stunden übermittelt worden. Der bisherige Verlauf der Diskussionen zeigt, dass sich die Positionen des Rates und die des Parlaments, wie sie von seinen zwei zuständigen Ausschüssen – dem für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten und dem Haushaltsausschuss – formuliert worden sind, stark angenähert haben. Es ist zwar nicht sicher, doch könnten wir auf dieser Grundlage vielleicht eine Einigung in erster Lesung erreichen, was es ermöglichen würde, dass dieser Fonds seine Arbeit bereits zu Beginn des kommenden Jahres aufnehmen könnte, wie dies nach meinem Dafürhalten nahezu alle Parlamentsmitglieder wünschen. Daher unterstütze ich den Antrag von Jean-Louis Cottigny.
(Das Parlament nimmt den Antrag an.)
(Der Arbeitsplan ist somit angenommen.)
⁂
Jens-Peter Bonde (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Der Verfassungsvorschlag wurde mit 500 zu 137 Stimmen angenommen und mit 382 zu 125 Stimmen bestätigt. Damit verfügen nun die Gegner über ein Viertel der Stimmen in diesem Hause, doch wenn im Ausland Treffen mit nationalen Parlamenten stattfinden, lautet das Verhältnis lediglich 1 zu 14. In Berlin, London oder Paris blieb das Nein-Lager völlig außen vor. Das Parlament hat bisher insgesamt 58 Vertreter entsandt, von denen 54 die Verfassung befürworten und ganze vier sie ablehnen. Bei 7 der 11 Treffen war das Nein-Lager überhaupt nicht dabei.
Am letzten Donnerstag billigte die Konferenz der Präsidenten diese Diskriminierung der Verfassungsgegner. Dies ist ein markantes Beispiel dafür, wie schlecht das D’Hondt-System bei Minderheiten in den großen Fraktionen funktioniert. Einige von uns haben ein Reformprogramm mit der Bezeichnung „Fair Chair“ konzipiert. Wir wollen eine faire Wahl des Präsidenten und keine Inthronisierung, eine ausgewogene Vertretung und keine Diskriminierung von kleineren Fraktionen und Minderheiten.
Wir werden unsere Plattform morgen um 14.00 Uhr auf einer Pressekonferenz im Pressesaal vorstellen. Herr Präsident, Sie können gern daran teilnehmen.
Der Präsident. Herr Bonde, wie Sie wissen, hat die Konferenz der Präsidenten Ihren Standpunkt bereits in Erwägung gezogen und bestätigt, dass die Zusammensetzung der Delegationen der einzelnen Ausschüsse den Mitgliedern des Ausschusses obliegt, und deshalb muss der Ausschuss entscheiden, welche Vertretung angebracht ist.
Sie haben heute Ihre Erklärung abgegeben – und das müssen alle Mitglieder wissen –, nachdem die Konferenz der Präsidenten Ihren Einwand bereits geprüft und eine Entscheidung dazu getroffen hatte.
15. Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen
Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen.
József Szájer (PPE-DE). – (HU) Herr Präsident! Während unserer letzten Plenarsitzung am Montag fanden in Budapest Ereignisse statt, die in ganz Europa Aufmerksamkeit finden sollten. Die Ungarn begingen den 50. Jahrestag des Aufstands von 1956. Allerdings nahmen diese Feierlichkeiten eine merkwürdige Wendung, denn den Menschen wurde verboten mitzufeiern. Einer der anwesenden Ehrengäste, ein stellvertretender italienischer Minister, äußerte dazu, man habe ohne die Bevölkerung gefeiert.
Gleichzeitig wurden die Leute auf der Straße, die friedlich feiern wollten, brutal angegriffen und niedergeschlagen. Die Polizei verursachte mit ihren auf Kopfhöhe abgefeuerten Gummigeschossen schwere Verletzungen und stieß Menschen von der Straße. Friedfertigen Passanten, die die Ereignisse von 1956 friedlich begehen wollten, wurde dies verwehrt. Welch Schande, welch Schande im Herzen Europas. Ich rufe alle auf, die sich für Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten engagieren, diese Politik nicht zu unterstützen.
Catherine Guy-Quint (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich gestatte mir, nochmals das Schicksal der bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes anzusprechen. Sie sitzen immer noch in Tripolis in den Gefängnissen des libyschen Staates.
Sie wissen ebenso gut wie ich, dass sie unter falschen Anklagen festgehalten werden. Die Revision ihres Prozesses sollte Ende Oktober beendet sein. Doch im Oktober hat das Gericht seine Entscheidung erneut vertagt, und zwar auf den 19. Dezember. Das Gericht führt an, es beginne, die Gutachten der internationalen Sachverständigen zu berücksichtigen, aus denen ausnahmslos die Unschuld der Angeklagten hervorgeht.
Herr Präsident, könnten wir nicht nochmals zum Ausdruck bringen, welches Interesse wir dem Schicksal dieser Häftlinge beimessen, die gefoltert worden sind und die seit acht Jahren von ihren Familien getrennt sind, weil sie libysche Jugendliche behandelt haben? Diese Situation ist nicht hinnehmbar, denn man verspricht ihnen von Monat zu Monat einen Prozess. Doch dieser neue Prozess, der dritte bereits, ist unfair und ungerecht und befreit sie nicht von den Schrecken eines Todesurteils.
Magda Kósáné Kovács (PSE). – (HU) Herr Präsident! Traurigerweise erleben die Länder Europas immer häufiger Gewalttaten und Zerstörungen, Ereignisse, die auf Aufruhr und innere Spannungen hindeuten. Die Polizei geht mit aller Härte gegen Steinewerfer und Leute vor, die Autos in Brand stecken. Solche Vorkommnisse machen Schlagzeilen in der Presse und im Fernsehen. Das alles schadet Europa, den Demonstranten, den Ordnungskräften, kurz der Demokratie.
Noch fataler ist jedoch, wenn einige Politiker, einige Parteien meinen, sie seien berechtigt, ein Urteil abzugeben, bevor das zuständige unabhängige Justizorgan in der Sache ermittelt. Die Delegation der ungarischen Sozialisten hat zutiefst schockiert die Erklärung des Präsidenten der Europäischen Volkspartei zu den Ereignissen um den 50. Jahrestag zur Kenntnis genommen. Die Äußerungen von József Szájer überraschen uns nicht. Die schwerwiegenden Anschuldigungen der Europäischen Volkspartei vor Abschluss der Untersuchung sind als vorurteilsbehaftet zu betrachten. Deshalb weisen wir sie im Namen der ungarischen Sozialisten mit äußerstem Nachdruck zurück.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es ist schon 16 Jahre her, dass Litauen seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion zurückgewonnen hat. Genauso viele Jahre scheitert das Land nun schon bei dem Versuch, sein Botschaftsgebäude in Rom zurückzuerhalten. Das als Villa Lituania bekannte Bauwerk gehörte bis 1937 dem Staat Litauen. Heute weht noch immer die russische Flagge auf dem Dach.
Nach der Besetzung und Annexion Litauens durch Russland im Jahre 1940 legte der litauische Botschafter Stasys Lozoraitis der Regierung Italiens ein Schreiben vor, in dem die Widerrechtlichkeit der Angliederung Litauens an die Sowjetunion hervorgehoben und betont wurde, dass diplomatische Missionen Litauens im Ausland ihren Status nicht ändern sollten. Dessen ungeachtet nahmen sowjetische Beamte die Villa Lituania in Gegenwart von Vertretern der Polizei und des italienischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in Besitz.
Nachdem Litauen seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, ging Italien jeglicher Verantwortung aus dem Weg und schlug vor, mit Russland wegen des Gebäudes zu verhandeln. Jetzt sieht es zwar so aus, als ob die italienische Regierung ihre Haltung geändert hat, aber das Problem ist nach wie vor ungelöst. Warum unterlässt die Regierung Italiens jeden Versuch, die eigene Vergangenheit zu überdenken?
Manolis Mavrommatis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Trotz der beschwichtigenden Mitteilungen und Antworten der Europäischen Zentralbank und der Kommission zu den Fällen von Euro-Fälschungen beschäftigt dieses Phänomen die Verwaltungsbehörden sowie Europol nach wie vor.
Erst letzte Woche hatten wir zwei besonders beunruhigende Fälle. Der erste war die Aushebung der kolumbianischen Fälscherbande. Dabei wurden insgesamt 6 Millionen Euro in gefälschten 50- und 100-Euro-Scheinen sichergestellt, die für Spanien und andere Länder der Europäischen Union gedacht waren.
In derselben Woche haben sich in Deutschland Hunderttausende von 5- und 20-Euro-Scheinen in Wasser aufgelöst, worauf die deutschen Behörden nach den Ursachen gefragt wurden, während sich die Bürger dieses Landes nach der starken und unabhängigen D-Mark zurücksehnen.
Was passiert mit dem Euro? Wie sicher sind die Bürger, wenn sie selbst – obwohl sie Opfer sind – Gefahr laufen, dass man wegen des Verdachts auf Fälschung bzw. Inumlaufbringen gefälschter Banknoten gegen sie ermittelt, wie es in mehreren Ländern vorgekommen ist?
Wie lange will sich die Europäische Zentralbank noch taub stellen? Oder ist sie nur daran interessiert, wann die Zinsen wieder steigen, die die Verbraucher erdrücken?
Jean Lambert (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Ich melde mich zu Wort, um Sie und andere Mitglieder dieses Hauses zu bitten, sich vermittelnd in den Fall der zehn Ahwazi-Araber einzuschalten, die im Iran nach Berichten der dortigen Medien wegen ihres Eintretens für die Rechte ihrer Minderheit in dieser Woche mit der Todesstrafe rechnen müssen.
Den Männern wird vorgeworfen, Bombenanschläge gegen Ölförderungsanlagen verübt zu haben, doch liegen dafür keine schlüssigen Beweise vor. Die Geständnisse sämtlicher Angeklagten wurden durch Folter erpresst. Nach Angaben von Amnesty International und Human Rights Watch wurde keinem von ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren zuteil. Die Anwälte durften ihre Mandanten vor dem Prozess nicht sehen und wurden erst wenige Stunden vor dem Beginn des Gerichtsverfahrens, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, darüber unterrichtet, was die Staatsanwaltschaft gegen die Angeklagten in der Hand hatte. Die Anwälte selbst wurden in Haft genommen, weil sie sich über den ungesetzlichen und ungerechten Charakter dieser Prozesse beschwert hatten, und müssen sich wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit verantworten.
Daher hoffe ich, dass sich zahlreiche Abgeordnete an die iranischen Behörden wenden, um ihnen ihren Standpunkt zu diesen traurigen Geschehnissen zu verdeutlichen.
Stanisław Jałowiecki (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Seit der Einführung der neuen Beschränkungen für das Gepäck von Fluggästen ist eine Woche vergangen. Dennoch werde ich immer wieder gefragt, wie es sein kann, dass diese Beschränkungen nur wenige Tage, nachdem Großbritannien sie gelockert hatte, europaweit eingeführt wurden. Ich habe dafür noch keine Erklärung erhalten, obwohl ich dem Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr angehöre.
Ein weiterer Punkt ist, dass diese neuen Regelungen nicht eindeutig sind und die Fluggäste völlig verwirren. Anscheinend werden sie auf jedem Flughafen anders ausgelegt. Auf dem Flughafen in Wrocław zum Beispiel, von dem ich abfliege, musste ich einen Deostick wegwerfen, obwohl das keine Flüssigkeit war – als Strafe dafür, dass ich ihn nicht angegeben hatte.
Ist es denn nicht möglich, die neuen Bestimmungen in einer so einfachen Sache zu harmonisieren, damit sie einheitlich ausgelegt werden und dies nicht vom guten oder weniger guten Willen einzelner Beamter abhängt? Ich hoffe, auf diese Fragen eine Antwort zu erhalten.
Kinga Gál (PPE-DE). – (HU) Herr Präsident! In den Jahren 1989 und 1990 legte Ungarn ohne jede Gewalt den Grundstein für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Heute, 16 Jahre später, herrscht jedoch ein Gefühl des Zwangs, weil die derzeitige Regierung leider Einschüchterung als geeignetes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele betrachtete und dabei die demokratische Opposition unterdrückte. Die Anwendung von Gewalt ist ohne Zweifel zu verurteilen. Randale durch gewalttätige Gruppen ist nicht hinnehmbar, aber auch in schwierigen Situationen müssen auf jeden Fall die Instrumente der Rechtsstaatlichkeit geachtet werden.
Die Verteidiger der ungarischen Demokratie müssen alle verfügbaren Rechtsmittel nutzen, um zu gewährleisten, dass sich die gewalttätigen Ausschreitungen vom 23. Oktober nicht wiederholen, als die Polizei die Menge just zu dem Zeitpunkt gewaltsam auseinandertrieb, als die Menschen des 50. Jahrestages der Revolution von 1956 gedachten, und die grundlegendsten Menschenrechte nicht beachtete. Wir Ungarn glauben an die demokratische Freiheit, für die wir so hart gekämpft haben, und wollen von unseren Menschenrechten Gebrauch machen.
Glyn Ford (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte die Frage der Aufstachelung zum Rassen- und Religionshass in Europa ansprechen.
In den letzten zwei Wochen fanden im Vereinigten Königreich zwei Prozesse statt. Bei einem dieser Prozesse musste sich ein junger Muslim dafür verantworten, dass er auf einer Demonstration, die sich – wenn ich mich richtig erinnere – gegen die berüchtigten dänischen Karikaturen richtete, die Enthauptung all jener forderte, die den Islam beleidigen. Gegen ihn wurde zu Recht eine Freiheitsstrafe verhängt. Im Gegensatz dazu wurde Nick Griffin, der Vorsitzende der neofaschistischen British National Party, der den Islam in einer verdeckt von der BBC gefilmten Rede als niederträchtige und bösartige Religion bezeichnet hatte, nicht des gleichen Vergehens für schuldig befunden. Ich möchte das zuständige Kommissionsmitglied darum ersuchen, die Frage zu prüfen, ob wir nicht auf europäischer Ebene neue und wirksamere Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet benötigen. Es geht hier nicht um die Meinungsfreiheit, sondern um die Freiheit vor Angst. Von Äußerungen wie denen des BNP-Vorsitzenden gehen Gefahren für die muslimische und andere Minderheiten aus. Werden BNP-Kandidaten in Kommunalvertretungen gewählt, verdoppelt oder verdreifacht sich erfahrungsgemäß die rassistische Gewalt in den betreffenden Gebieten, was Probleme für die gesamte Region nach sich zieht.
Avril Doyle (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Sie um Ihre Unterstützung für die auf EU-Ebene unternommenen Anstrengungen zur Bekämpfung der Diskriminierung am Arbeitsplatz, insbesondere für das von der EU finanzierte Programm „Work It Out” bitten, mit dem ein Instrumentarium zur Unterstützung von Menschen mit geistigen Behinderungen, ihren Betreuern und europäischen Rechtsexperten auf diesem Gebiet geschaffen wird. Dieses Programm vermittelt Informationen zur Rahmenrichtlinie Beschäftigung, die vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung im Erwerbsleben schützt. Die Richtlinie wurde jüngst von den Mitgliedstaaten umgesetzt und bietet geistig behinderten Menschen, die mit Diskriminierung in der Arbeitswelt konfrontiert sind, einen unerlässlichen Schutz.
Herr Präsident, bitte stellen Sie sicher, dass der Begriff „Arbeitnehmer” in dieser Richtlinie Menschen in geschützten Beschäftigungsverhältnissen einschließt. Wir müssen auf der Hut sein und dafür sorgen, dass die Richtlinie in allen Mitgliedstaaten ordnungsgemäß umgesetzt wird. Geistige Behinderungen sind bei einer Vielzahl von Menschen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten anzutreffen. Ein Teil von ihnen lebt und arbeitet eigenständig in vertrauter Umgebung, während andere komplexe Bedürfnisse haben und ständig auf Hilfe angewiesen sind. Es ist unangebracht, sich in Hypothesen zur geistigen Behinderung zu ergehen, denn mit angemessener Unterstützung und Vorbereitung können viele geistig behinderte Menschen einen wertvollen Beitrag zum Arbeitsleben leisten.
Herr Präsident, ich möchte Sie bitten, sich persönlich um diese Angelegenheit zu kümmern.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Ihnen in Ihrer Muttersprache dafür danken, dass Sie Präsident Putin sagten, wir würden die Menschenrechte nicht gegen Energie eintauschen.
(PL) Herr Präsident! Es ist auch mein Wunsch, dass auf diesem Plenum über das russische Einfuhrverbot für Fleisch aus Polen gesprochen wird. Russlands Anschuldigungen entbehren jeder Grundlage, und die ganze Sache dauert schon allzu lange. Meiner Ansicht nach ist das nicht nur ein Problem zwischen Polen und Russland, sondern zwischen Russland und der gesamten Europäischen Union. Ich ersuche dieses Hohe Haus, auf die Europäische Kommission Druck auszuüben, damit sie etwas unternimmt, um dieser abnormen Situation ein Ende zu setzen.
Françoise Castex (PSE). – (FR) In der Nacht vom 4. zum 5. November hat es in Westeuropa einen Stromausfall von noch nie dagewesenem Ausmaß gegeben. Er macht die Anfälligkeit des europäischen Energiesystems und das Defizit an Erzeugungs- und Übertragungskapazitäten deutlich, das auf eine schlechte Investitionspolitik zurückzuführen ist.
Trotz des Risikos von Stromausfällen fuhren die europäischen Betreiber ihre Investitionen in den letzten sechs Jahren zurück, die von 16 % auf 10 % ihres Umsatzes gefallen sind. Gleichzeitig hat sich aber der Stromverbrauch kontinuierlich um 1,8 % pro Jahr erhöht. Dieser Rückgang der Investitionen ist die direkte Folge der Liberalisierung des Energiemarktes. Anstatt in die Entwicklung neuer Produktionskapazitäten zu investieren, konzentrieren die Betreiber ihre Anstrengungen auf die Profite und den Aufkauf von Konkurrenten.
Die Bürger stellen auf der einen Seite fest, dass die Strompreise kräftig ansteigen, und auf der anderen, dass sich die Sicherheit verringert. Nur eine europäische Energiepolitik könnte eine ordnungsgemäße Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Durchführung der notwendigen Investitionen in der Größenordnung von 700 Milliarden Euro bis 2030 gewährleisten.
Elektrizität ist ein öffentliches Gut: Dies muss zu politischen Initiativen der Europäischen Union führen.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Trotz der zahlreichen Interventionen, Gespräche und Maßnahmen Polens zu dem Zweck, Russlands Bedingungen zu erfüllen, hält Russland an seinem Embargo für polnische Lebensmittel einschließlich Fleisch fest. Polen wird dieses Problem jetzt und auch künftig nicht lösen können, solange die Europäische Union keine Regelungen zum Schutz des Marktes anwendet, die für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Polen seine Produkte auf dem Außenmarkt sowie auf dem europäischen Binnenmarkt nicht verkaufen kann, weil Waren aus Drittstaaten zu Dumpingpreisen auf den Markt gelangen. Polen – und das gilt auch für die anderen Mitgliedstaaten – kann das Problem mit Russland nicht aus eigener Kraft lösen. Der Partner für Russland muss die Europäische Union als Ganzes sein.
Deshalb erhebt sich für mich die grundsätzliche Frage, ob die Probleme Polens auf dem für den 24. November dieses Jahres geplanten EU-Russland-Gipfel als Angelegenheiten der gesamten Europäischen Union behandelt werden.
Der Präsident. Das ist gewiss eine wichtige Frage. Ich kann Ihnen keine Antwort geben, denn wie Sie wissen, haben wir keine Einladung zur Teilnahme an diesem Gipfel erhalten, doch ich bin sicher, dass die Kommission und der Rat bei der Behandlung der Beziehungen zwischen der EU und Russland die Probleme Polens berücksichtigen werden.
Hanna Foltyn-Kubicka (UEN). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte ebenfalls etwas zu den Vorschriften der Europäischen Kommission für das Handgepäck sagen. Ich weiß nicht, ob der Herr Präsident und die Kommission sich dessen bewusst sind, dass die Nahrungsgüter- und Kosmetikindustrie diese Vorschriften nicht einhalten können und die meisten Kosmetikartikel nicht in 100-ml-Verpackungen angeboten werden. Shampoos, Lotions und andere Kosmetika in flüssiger Form müssen weggegossen und der Rest in 100-ml-Behälter umgefüllt werden, weil es nicht gestattet ist, 200-ml-Behälter an Bord des Flugzeuges zu nehmen.
Selbstverständlich kann man sein Gepäck aufgeben, doch gehen weltweit jedes Jahr fünf Millionen Gepäckstücke verloren. Oftmals herrscht auf den Flughäfen totales Chaos und Durcheinander, das die Verantwortlichen nicht in den Griff bekommen.
Und wieder scheinen uns die Terroristen einen Schritt voraus zu sein und uns in die Ecke gedrängt zu haben. So wie die Dinge liegen, wird es nicht lange dauern, bis wir in Zwangsjacken und Krankenhauseinwegschuhen fliegen.
Lidia Joanna Geringer de Oedenberg (PSE). – (PL) Herr Präsident! Mit den einzelnen Mitgliedstaaten wird gerade über „JEREMY“, die gemeinsame und überaus wertvolle Initiative der Generaldirektion Regionalpolitik und der Europäischen Investitionsbank für den Zeitraum 2007-2013, verhandelt. Ziel dieser Initiative ist es, kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zu erleichtern.
Mit JEREMY sollen Unternehmensgründungen und die Entwicklung auf regionaler Ebene durch Finanzierungsinstrumente aller Art wie zum Beispiel Kleinstkredite und Bürgschaften – ausgenommen Zuschüsse – gefördert werden. Bedauerlicherweise gibt es seitens einiger Mitgliedstaaten – denn die Entscheidung liegt bei den Mitgliedstaaten selbst – Widerstand, einen Teil ihrer Strukturfondsmittel für diese neue Initiative bereitzustellen. Einige von ihnen lehnen es rundheraus ab, sie in ihre Programme aufzunehmen, obwohl doch klar sein dürfte, dass nicht alle ihre Finanzmittel ausschöpfen können und Probleme mit der Aufnahmekapazität haben werden.
Somit besteht die Gefahr, dass JEREMY, ein großartiges Instrument zur Förderung unternehmerischer Initiative in den Regionen, ungenutzt bleibt. Als Europäisches Parlament sind wir verpflichtet, die Mitgliedstaaten zu ermutigen, von den Möglichkeiten, die JEREMY bietet, Gebrauch zu machen, denn neben den größeren Investitionen aus den Strukturfonds sind vor allem die Entwicklung der kleinen Unternehmen und die Belebung der Wirtschaftstätigkeit die Triebkraft der regionalen Entwicklung. Deshalb verdienen sie unsere besondere Unterstützung.
Jörg Leichtfried (PSE). – Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Zum zehnten Mal organisierte das Europazentrum Graz dieses Jahr ein europäisches Jugendtreffen mit Teilnehmern aus ganz Europa. Das diesjährige Treffen stand unter dem Motto European future objectives und beschäftigte sich mit der zukünftigen Entwicklung der Europäischen Union. Über 60 internationale TeilnehmerInnen schlüpften nach einer Informationsphase über die Europäische Union und ihre Institutionen in einem Planspiel in die Rolle der Vertreter dieser Institutionen. Es wurden mehrere Punkte erarbeitet. Eine Entschließung mit über zwanzig Themen beinhaltete u. a., dass die Kompetenzen der Union erweitert werden sollten, dass der Haushalt aufgestockt werden sollte und dass vor einer neuerlichen Erweiterung der Vertrag zur europäischen Verfassung in Kraft treten sollte. Die Jugend ist die Zukunft Europas, und für Aus- und Weiterbildung sollten wir uns alle sehr stark machen, denn sie ist auch unsere Zukunft!
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Eine der Errungenschaften der Demokratie ist das akademische Asyl, das natürlich nicht in jedem Land in gleicher Weise ausgeprägt ist. In Griechenland bedeutet akademisches Asyl nun plötzlich, dass die Anarchisten, die Terroristennester, die wir in diesem Hause so vehement verfolgen, Zellen bilden und Hochschulen als Orte benutzen, um Molotow-Cocktails herzustellen und Anschläge gegen Läden und Anwohner zu verüben.
Mein Land steht vor einem erschreckenden Problem und ist unfähig, eine Lösung zu finden. Es ist auch nicht im Stande, es mit ihnen aufzunehmen, und darin liegt das Hauptproblem. Können wir einheitliche Rechtsvorschriften in allen Ländern Europas einführen, mit denen das Asyl in gleicher Weise geachtet wird, denn momentan gerät die Situation außer Kontrolle, und nicht nur in Griechenland? In anderen europäischen Hauptstädten haben wir das gleiche Problem: Die im Asyl befindlichen Anarchisten sind ein Staat im Staat. Asyl sollte respektiert werden, aber daraus dürfen keine Zellen, keine Anarchistennester für all jene entstehen, die mit Kapuzen verhüllt das Leben der Bürger angreifen, bedrohen und plündern. Lassen Sie uns endlich Rechtsvorschriften zugunsten der Hochschulen, zugunsten der Studenten erlassen, und nicht zugunsten der Extremisten bzw. bestimmter Extremisten, die gegen den Staat kämpfen.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident! Es könnte als Zeichen von Diskriminierung der neuen Mitgliedstaaten aufgefasst werden, falls die Verwaltungsausgaben für 2007 zu ihren Lasten gesenkt werden. Der Abbau von Bürokratie ist ein würdiges Ziel, aber man setzt damit auch achthundert Arbeitsplätze für Menschen aus den neuen Mitgliedstaaten aufs Spiel. Diese Beamten hätten schon im ersten Halbjahr 2006 eingestellt werden sollen. Ich fordere die Kommission auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen und die Einstellung neuer Staatsdiener im vereinbarten Tempo fortzusetzen.
Ich hoffe, die Europäische Kommission hört nicht auf die Fidesz-Partei. Ich möchte nicht erleben, dass die neuen Mitglieder unter der Verleumdungskampagne dieser Partei leiden, die behauptet, die neuen Mitgliedstaaten verdienten es nicht, als gleichwertige Partner behandelt zu werden, weil sie von Alt-Kommunisten geführt werden, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Was immer Kinga Gál und József Szájer in diesem Hause sagen mögen, für mich zählen die Worte von Elmar Brok, des Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, heute in einem Interview: Die ungarische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nicht bedroht.
András Gyürk (PPE-DE). – (HU) Herr Präsident! Vor einigen Tagen hatten Millionen Europäer aufgrund einer Panne im Stromnetz keinen Strom, wenn auch nur für eine Stunde. Dieser seit den 1970er Jahren beispiellose Stromausfall verdeutlicht einmal mehr, dass es immer schwieriger wird, die größtenteils in nationaler Zuständigkeit liegenden Energieverordnungen mit den Anforderungen der Energiesicherheit im 21. Jahrhundert in Einklang zu bringen.
Zugleich zeichnen sich die Gefahren im Hinblick auf die Gasversorgung immer deutlicher ab. Der in den letzten Wochen zwischen Russland und Georgien entbrannte Streit um Gaspreise zeigt deutlich, dass Russland bereit ist, seine Energieressourcen ganz unverhohlen für politische Zwecke einzusetzen. Aus diesem Grund – und das ist für die EU umso beängstigender – lehnt es Russland als Schlüsselfigur für unsere Gasversorgung ab, die Europäische Energiecharta zu unterzeichnen.
Nachdem wir in den vergangenen Tagen gleich zweimal unsere Abhängigkeit gespürt haben, kann unsere Antwort nur in einer gemeinsamen EU-Energiepolitik bestehen, die auf dem Prinzip der Solidarität beruht und Einigkeit auf internationaler Ebene präsentiert. Das gegenwärtig im Parlament diskutierte Grünbuch zur Energie dürfte als geeigneter Ausgangspunkt für die Formulierung einer solchen Politik dienen.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Wie aus einer Studie hervorgeht, die gemeinsam von der renommierten gesundheitswissenschaftlichen Fakultät der John Hopkins University in den USA und der medizinischen Akademie in Bagdad erstellt und im letzten Monat von der weltweit angesehenen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wurde, sind im Irak von März 2003 bis Juli 2006 etwa 655 000 Zivilisten infolge der dortigen Kampfhandlungen ums Leben gekommen. Bei Tausenden der Opfer handelt es sich um Kinder, deren Tod bei heimtückischen kriminellen Terroristen im Irak und bei offenbar herzlosen Politikern in Washington und London als vertretbarer Kollateralschaden gilt.
Die Herren Bush und Blair haben mit dem Einmarsch in den Irak und der anschließenden Besetzung des Landes ein Blutbad unter unschuldigen Menschen ausgelöst, das noch schlimmere Ausmaße angenommen hat als unter dem satanischen Schreckensregime Saddams. Wir können nicht länger tatenlos zusehen. Ich fordere Sie auf, der Konferenz der Präsidenten eine Dringlichkeitsdebatte über das Gemetzel unter der irakischen Zivilbevölkerung zu empfehlen, denn vielleicht können wir doch dazu beitragen, dass der Wahnsinn des Krieges in die Logik des Friedens umschlägt.
Jim Higgins (PPE-DE). – (EN) Kyoto war und ist ein Handlungskonzept für eine vernünftige und sinnvolle Umweltpolitik, die auf dem Abbau der schädlichen Treibhausgasemissionen beruht. Leider werden die von den Mitgliedstaaten festgelegten und vereinbarten maßvollen Zielvorgaben weiterhin in vielen Fällen missachtet.
Beispielsweise ist es in Irland seit langem üblich, dass wir völkerrechtliche Verträge und Protokolle unterzeichnen, uns dann aber davon distanzieren. Allerdings sind die Vereinigten Staaten der größte Umweltsünder. Deshalb begrüße ich den Ausgang der Kongresswahlen in den USA. Die Amerikaner haben sich wegen des Irakkriegs von George Bush abgewandt, aber vielleicht auch deshalb, weil die große Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung seine hartnäckige Ablehnung des Kyoto-Protokolls nicht gutheißt. Könnte es sein, dass die auf die globale Erwärmung zurückzuführenden Tornados, Hurrikane und sonstigen Naturkatastrophen eine Folge der totalen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen sind? Der ehemalige britische Chefvolkswirt der Weltbank, Nicholas Stern, brachte die Sache auf einen kurzen Nenner: Eine gute Umweltpraxis ist nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich äußerst sinnvoll.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Eine Gruppe irischer EU-Abgeordneter hatte letzte Woche in Brüssel eine Begegnung mit einer Gruppe barmherziger Schwestern, die sich um arme und ausgegrenzte Asylsuchende und Flüchtlinge kümmern. Was wir von diesen Ordensschwestern erfuhren, war sehr bestürzend, zumal sie aus einem Land kamen, das für sich in Anspruch nimmt, zivilisiert zu sein und Menschen anständig zu behandeln. Allerdings ist Irland wohl nicht das einzige Land, das nicht korrekt und human mit Flüchtlingen und Asylsuchenden umgeht.
Wir wollen als Gruppe diese Frage in Irland weiterverfolgen. Es hat den Anschein, dass die Dublin-II-Verordnung, deren Überprüfung jetzt ansteht, nicht funktioniert. Sehr oft hören wir von Fachleuten, die mit der Materie vertraut sind, dass Theorie und Praxis auseinanderklaffen. Wir müssen das ändern. Besondere Sorge bereiten uns aber die Kinder, die vom System nicht erfasst werden. Solche Kinder befinden sich in Irland, aber niemand weiß, wo genau sie sich aufhalten oder wer darüber Auskunft geben kann. Für einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist das beschämend.
Wir müssen sehr aufmerksam verfolgen, wie wir in unserer Gemeinschaft mit armen und ausgegrenzten Menschen umgehen. Erforderlich sind eine unabhängige Beurteilung dieses Prozesses und eine langfristige Klärung der Frage, warum diese Menschen unsere Unterstützung benötigen.
Georgios Toussas (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Meiner Ansicht nach sind die Entwicklungen, die sich an den Hochschulen in Verbindung mit der grundlegenden Frage der Bildung vollziehen, Anlass zur Sorge für Millionen Arbeitnehmer und Studenten in den Mitgliedstaaten. Daher müssen wir äußerst vorsichtig sein, wenn wir vom akademischen Asyl reden, das eine fundamentale Errungenschaft der Studentenbewegung unseres Landes darstellt.
Der Studentenaufstand am Polytechnikum ist – auch nach dreiunddreißig Jahren – ein leuchtendes Beispiel für das Recht der Völker auf Demokratie innerhalb der Universitäten und für die Notwendigkeit radikaler Veränderungen auf dieser Ebene. Ansichten, wie sie im Europäischen Parlament zur Beschränkung dieser demokratischen Grundfreiheiten geäußert werden, sind gefährlich.
Ryszard Czarnecki (NI). – (PL) Herr Präsident! Ich bin bestürzt über die jüngste Sitzung der höchsten diplomatischen Vertreter der Mitgliedstaaten, auf der die Außenminister mehrheitlich ein Mandat der Europäischen Union für die Aushandlung eines neuen Abkommens zwischen der EU und Russland gefordert haben, bevor Russland die Handelsbeschränkungen gegenüber Polen in Form eines Embargos für polnisches Fleisch und landwirtschaftliche Erzeugnisse aufhebt. Statt europäischer Solidarität haben wir nun eine Übereinkunft mit Moskau über den Kopf Polens hinweg, während mein Heimatland auf sich allein gestellt ist. Warschau fordert aber zu Recht, dass das Verhandlungsmandat ein Verbot von Handelsbeschränkungen in den Beziehungen zwischen Russland und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten einschließt. Statt auf den wenigen Worten der Unterstützung von Kommissarin Ferrero-Waldner sollten die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland auf dem Motto der Drei Musketiere basieren: „Einer für alle, alle für einen“. Wenn wir das nicht schaffen, wird die europäische Solidarität nichts weiter sein als eine hohle Phrase, und das sage ich mit Nachdruck, im Land der Drei Musketiere.
Willy Meyer Pleite (GUE/NGL). – (ES) Herr Präsident! In der vergangenen Woche hat Volkswagen leider eine Streichung von Arbeitsplätzen in seinen europäischen Niederlassungen angekündigt, von der die Anlagen in Pamplona in Spanien, Brüssel in Belgien und Palmela in Portugal betroffen sein können.
Auch in Deutschland werden möglicherweise 20 000 der 100 000 Arbeitnehmer der Anlage entlassen. Das würde bedeuten, dass jeder fünfte Arbeitnehmer seine Beschäftigung verliert und 2 400 Arbeitsplätze in den anderen Werken verloren gehen könnten.
Rechnen wir die jüngsten Probleme mit Opel und General Motors in Portugal hinzu, zeigt sich ziemlich deutlich, dass wir vor einem ganz ernsten Problem stehen, einer Industriekrise, auf die wir reagieren müssen. Meiner Ansicht nach dürfen wir den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit der gesamten europäischen Fahrzeugindustrie und eines Verhaltenskodexes mit den multinationalen Gesellschaften, vor allem zur Sicherung der Arbeitsplätze, nicht weiter aufschieben.
Ich glaube, für die Kommission und die europäischen Institutionen ist der Zeitpunkt gekommen, um zu dieser Frage ganz klar Stellung zu beziehen.
Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Der ehemalige Führer des Irak, Saddam Hussein, ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode durch den Strang verurteilt worden, weil er für schuldig am Tod von 148 Schiiten im Jahre 1982 nach einem gegen ihn gerichteten Mordanschlag für schuldig befunden wurde.
Ich glaube, dass die Todesstrafe, so abscheulich dieses Verbrechen auch ist, keine Lösung darstellt und nicht dem europäischen Acquis entspricht. Mit Bedauern habe ich jedoch vernommen, dass die britische Außenministerin Margaret Becket ihre Genugtuung über dieses Urteil zum Ausdruck gebracht und erklärt hat, dass alle, denen Verbrechen gegen die Iraker zur Last gelegt werden, der Gerechtigkeit zugeführt werden sollen. Deshalb frage ich Sie: Da die Todesstrafe in allen Ländern der Europäischen Union abgeschafft wurde – denn sie verstößt gegen die Menschenwürde und fördert lediglich die Gewalt, während sie in keinster Weise dazu beiträgt, Verbrechen zu verhindern –, wie kann ein Mitgliedstaat der Union ein solches Urteil begrüßen? Wie kann die Todesstrafe der Gerechtigkeit dienlich sein, von der Frau Becket spricht?
Bogusław Rogalski (IND/DEM). – (PL) Herr Präsident! Am 16. Oktober hat Deutschland die territoriale Souveränität Polens erneut verletzt. An diesem Tag sollte ein deutsches Schiff im Hafen von Świnoujście in Polen festmachen. Beim Einlaufen in die polnischen Territorialgewässer kamen polnische Zollbeamte an Bord, die geschmuggelten Alkohol entdeckten. Als das Schiff nur noch wenige Meter von der Küste entfernt war, wendete es plötzlich und hielt auf die deutsche Seite zu. Ungeachtet der Anweisung des Hafenmeisters, im Hafen zu bleiben und obwohl es von zwei Booten des polnischen Grenzschutzes verfolgt wurde und die Order erhielt zu stoppen, verließ das deutsche Schiff die polnischen Gewässer mit den polnischen Zollbeamten an Bord. Diese wurden dann in Deutschland wegen gesetzwidrigen Handelns festgenommen. Das Ganze ist ein Skandal!
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die deutsche Marine im August in polnischen Gewässern Manöver abgehalten hat, ohne die polnischen Behörden darüber zu informieren, was Passagierfähren das Einlaufen in polnische Häfen erschwerte.
Das ist die jüngste Provokation von deutscher Seite unter Missachtung der polnisch-deutschen Grenze. Dieser Vorfall ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht und untergräbt die inneren Beziehungen in der Europäischen Union. Ich fordere die deutschen Politiker auf, zur Vernunft zu kommen und die Grenzen ihres Landes zu seinen Nachbarn endlich anzuerkennen.
Janusz Wojciechowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Als Mitglieder des Europäischen Parlaments erhalten wir von Einzelpersonen und Organisationen Schreiben, in denen es um die grausame Behandlung streunender Hunde in Rumänien geht.
Ich möchte deshalb auf dieses Problem aufmerksam machen, weil wir in der Europäischen Union bestimmte Normen verabschiedet haben. Erst kürzlich, als wir über einen Aktionsplan für den Tierschutz sprachen, haben wir den Grundsatz angenommen, dass der Schutz und die humane Behandlung von Tieren eine Aufgabe der europäischen Kultur und Zivilisation im 21. Jahrhundert darstellt.
Rumänien wird in wenigen Wochen der Europäischen Union beitreten, und wir können keine Normen akzeptieren, die nicht mit den europäischen übereinstimmen. Ich möchte Sie auf dieses Problem aufmerksam machen und ersuche die Europäische Kommission, sich dieser Sache anzunehmen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte die Aufmerksamkeit der Abgeordneten darauf lenken, wie Perioden der Geschichte, insbesondere das Mittelalter, missbraucht und in einen negativen Kontext gestellt werden. Wir hören oft von „mittelalterlicher Beschäftigung“, ein Begriff, der sich anscheinend auch in der Entschließung zur Dienstleistungsrichtlinie bzw. bei der Propagierung der überarbeiteten Arbeitszeitrichtlinie durchgesetzt hat.
Das Mittelalter bildete einen langen Zeitabschnitt in der Geschichte, in dem in Europa die Grundlagen für seine derzeitige Gestalt gelegt und darum gerungen wurde, die griechisch-römische Zivilisation mit dem Christentum in Einklang zu bringen. Natürlich waren im Mittelalter Arbeitsbeziehungen durch eine unerschütterliche Bindung an den „Herren“, den Arbeitgeber, und den Arbeitsort gekennzeichnet und in Form von Berufsgilden organisiert, die unzugängliche Systeme darstellten, mit denen Monopole gesichert wurden. Heute hat im Gegensatz dazu das liberale vereinte Europa die Freizügigkeit und die Mobilität verankert und geht dazu über, die Dienstleistungen zu liberalisieren und die Praktiken auszumerzen, die die Einwohner Europas während verschiedener geschichtlicher Perioden, so auch während des Mittelalters, gequält haben.
Der Präsident. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt geschlossen.
16. Jahresbericht 2006 zum Euroraum (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von José Manuel García-Margallo y Marfil im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über den Jahresbericht zum Euroraum 2006 (2006/2239(INI)) (A6-0381/2006).
José Manuel García-Margallo y Marfil (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident! Dieses Parlament diskutiert erstmalig einen Bericht über die Wirtschaftslage im Euro-Währungsgebiet, und deshalb messe ich diesem Bericht eine einzigartige Bedeutung zu, vor allem weil diese Aussprache – diese Analyse, die wir zum ersten Mal gemeinsam vornehmen – zu einem Zeitpunkt stattfindet, da die Situation politisch kompliziert und wirtschaftlich unsicher ist.
Ich sage, sie ist politisch kompliziert, weil ich, da wir hier institutionelle Fragen behandeln, die Tatsache nicht außer Acht lassen darf, dass die Debatte darüber, was mit der Verfassung geschehen soll, noch im Gang ist. Ein weiterer Punkt, den ich nicht ignorieren darf, ist, dass dieser Bericht in einer währungspolitisch „neuen Ära“ – mit Zinssätzen, die sich seit einiger Zeit nach oben bewegt haben und weiter anzusteigen drohen –, und in einer Etappe diskutiert wird, in der wir den von der Kommission überarbeiteten neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt in Gang setzen und in der die Mitgliedstaaten erstmals vor den europäischen Institutionen Rechenschaft darüber ablegen, was sie in ihren nationalen Reformplänen hinsichtlich der Lissabon-Strategie getan haben.
Ich sage, dass die wirtschaftliche Situation verworren ist, denn ich stimme zwar mit dem Standpunkt der Kommission überein, dass sie gut oder zumindest viel besser ist, als sie vorher war, muss aber betonen, dass unser potenzielles Wachstum von 2 % nicht ausreicht, um die Arbeitslosen Europas in Beschäftigung zu bringen, mit unseren Wettbewerbern Schritt zu halten und unseren Lebensstandard zu behaupten.
Wie in diesem Haus üblich, ist dieser Bericht in verschiedene Abschnitte untergliedert: makroökonomische Politik, Reformen mit besonderer Betonung des Binnenmarkts und institutionelle Fragen mit Konzentration auf die Abstimmung der Wirtschaftspolitik und die Außenvertretung.
Im Bereich der makroökonomischen Politik gibt es nichts wirklich Neues außer dem, was wir in der Debatte über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik gesagt haben. Was unsere makroökonomische Politik braucht, ist mehr Stabilität, mehr Stabilität und mehr Stabilität.
Bei der Währungspolitik, dem Punkt, den wir hervorheben – und ich wiederhole, dass es uns um institutionelle Fragen geht –, wünschen wir uns mehr Transparenz und mehr Offenheit in der Europäischen Zentralbank. Wir möchten gern erfahren, warum sie tut, was sie tut, und wie sie die beiden Pfeiler handhabt und berücksichtigt, auf denen sie ihre Entscheidungen gründet. Deshalb ersuchen wir um Veröffentlichung der Kurzprotokolle, in denen die Argumente für und gegen eine bestimmte Entscheidung dargestellt werden.
Hinsichtlich der Haushaltspolitik besteht die erste Feststellung dieses Berichts darin, dass die Währungspolitik den Schwung verlieren könnte, den sie bisher gezeigt hat, und dass die Haushaltspolitik den Stab übernehmen muss. Aus diesem Grund, wie ich vorhin unterstrichen habe, fordern wir die Kommission zu einer strikten Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts auf und ersuchen die Mitgliedstaaten, speziell in guten Zeiten intensiver daran zu arbeiten, ihre Haushaltsdefizite zu verringern. Neu ist unsere Forderung nach besserer Koordinierung der fiskalpolitischen Zeitpläne der Mitgliedstaaten und der von ihnen bei der Durchführung ihrer Haushaltprojektionen verwendeten Wirtschaftsprognosen.
Es ergibt keinen Sinn, wenn die an der Europäischen Wirtschaftsunion beteiligten Länder unterschiedliche Prognosen beim Ölpreis, bei der Entwicklung der Zinssätze oder der Entwicklung der Wechselkurse verwenden; in unserem Dialog mit den nationalen Parlamenten sollte jeder wissen, worüber wir sprechen.
Im Bereich der Staatsverschuldung fordern wir die Mitgliedstaaten ebenfalls wie üblich auf, größere Anstrengungen zum Abbau der öffentlichen Schuld zu unternehmen, um Ressourcen freizusetzen und die Lissabon-Strategie und die sich aus der Alterung der Bevölkerung ergebenden Aufgaben für den Haushalt anzugehen. Der letzte Punkt – der bereits angesprochen wurde – ist eine Überprüfung unserer Fiskalsysteme, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken.
Im Bereich der Reformen verschreiben wir Lissabon und mehr Lissabon. Wir wollen, dass die Öffentlichkeit sieht, wie gut jeder Mitgliedstaat arbeitet. Deshalb fordern wir einen Verhaltenskodex, der uns die Möglichkeit gibt, stärkeren Druck auf die langsamsten Länder auszuüben, und der sie in die Lage versetzt, durch die Verbreitung von bewährten Praktiken zu erfahren, wie die Klassenbesten unter den Ländern vorgehen.
Was den Binnenmarkt anbelangt, so brauchen wir Freiheit und mehr Freiheit im Gegensatz zu den protektionistischen Versuchungen, die wir in den letzten Jahren beobachtet haben, sowie die Entwicklung des Dienstleistungsmarkts. Kurz und gut, wir wollen eine Konsolidierung der Grundfreiheiten.
Im Hinblick auf die institutionellen Fragen – ich will mich auf eine Verbesserung der Arbeitsweise der Union konzentrieren – verlangen wir einen vierteljährlichen Dialog zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament parallel zu dem Dialog, den wir mit der Europäischen Zentralbank führen, wenngleich ich weiß, dass der Kommissar von der Idee nicht begeistert ist.
Zur Unterstützung dieses Dialogs fordern wir die Eurogruppe auf, einen Fahrplan zu erarbeiten, der zeigt, welchen Kurs das Euro-Währungsgebiet in den kommenden zwei Jahren einschlagen wird. Wir ersuchen die Kommission, uns in den kommenden Berichten ein konkreteres Instrumentarium zu liefern, um diese Gespräche zu fördern, und wir laden den Kommissar und den Rat ein, alle drei Monate ein gemeinsames Treffen mit uns durchzuführen.
Zur Außenvertretung stellen wir fest, dass sie nicht mit dem internationalen Gewicht des Euro kohärent ist. Wir freuen uns darüber, dass die Mitgliedstaaten auf den Treffen der internationalen Institutionen in Singapur mit einer Stimme gesprochen haben, und rufen zu einer besseren Koordinierung und mehr Ideenreichtum auf, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten im Internationalen Währungsfonds, in der Weltbank und anderen internationalen Einrichtungen als eine einzige Körperschaft vertreten sind.
Ich danke allen Schattenberichterstattern und meinen Kollegen für ihre Anstrengungen.
VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ Vizepräsident
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst Herrn García-Margallo und dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments für sein Interesse an der Analyse dieses ersten Jahresberichts der Kommission zum Euroraum danken, dessen Hauptzielsetzung die Förderung von Dialog und Debatte zwischen unseren beiden Institutionen ist, mit Blick darauf, welches die vorrangigen Maßnahmen sind, die das Funktionieren des gesamten Raums verbessern.
Seit ich im Juli Gelegenheit hatte, dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung diesen Bericht vorzustellen, haben sich die Wachstumsprognosen des Euro-Währungsgebiets für dieses Jahr und für die kommenden zwei Jahre signifikant verbessert. Letzte Woche legte ich unsere Herbstprognosen vor, die in der Aussage zusammengefasst werden können, dass sämtliche Wirtschaftsindikatoren in die richtige Richtung zeigen: steigendes Wirtschaftswachstum, das im Euro-Währungsgebiet seinen höchsten Stand seit Beginn des Jahrzehnts erreicht hat, sinkende Arbeitslosigkeit, stabile Inflation und deutlicher Rückgang der Staatsverschuldung.
Unter den Faktoren, die zu diesem positiven Image beigetragen haben, finden wir externe Faktoren, wie die anhaltende Stärke der Weltwirtschaft, aber auch interne, die dem Bild von Stagnation und Lähmung widersprechen, wie die europäischen Wirtschaften und insbesondere die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets dargestellt wurden. Zu diesen internen Faktoren gehören die Reformen in zahlreichen Ländern dieses Gebiets in den letzten Jahren, die Bemühungen zur Haushaltskonsolidierung und die Reaktion der europäischen Wirtschaften auf den erheblichen Anstieg der Ölpreise, die wirksamer ist als viele erwartet hatten.
Die Existenz des Euro-Währungsgebiets hat ebenfalls wesentlich zu diesem günstigen Klima beigetragen, dank der guten Finanzierungsbedingungen für die privaten Haushalte und die Unternehmen durch das derzeitige Niveau des Zinssätze und auch dank des Schutzes, den der Euro gegenüber den Turbulenzen der Finanzmärkte geboten hat, wie es im Frühjahr der Fall war.
Aber alle diese positiven Faktoren entkräften nicht die wichtigsten Schlussfolgerungen des Berichts der Kommission zu den Maßnahmen, die dazu dienen sollen, das Funktionieren des Währungsgebiets zu verbessern, und denen Sie, wie es im Bericht von Herrn García-Margallo heißt, mehrheitlich zustimmen.
Ich spreche von der Notwendigkeit, die Strukturreformen weiterzuführen, den Binnenmarkt zu konsolidieren und eine wirksamere und stärker integrierte Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets als bisher zu gewährleisten.
Diese drei im Bericht erfassten Prioritäten werden auch im Jahreswirtschaftsbericht enthalten sein, den ich der Kommission am 22. November vorlegen werde und der sich in diesem Jahr auf das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion und insbesondere des Euro-Währungsgebiets im Lichte der bisherigen achtjährigen Erfahrung konzentriert.
Nach Prüfung dieser drei Prioritäten und im Zusammenhang mit den Wirtschaftsreformen teile ich die im Bericht enthaltene Aussage hinsichtlich der Bedeutung der Fortsetzung der von den Mitgliedstaaten in den nationalen Reformplänen als Teil der Lissabon-Strategie zugesagten Reformen.
Nachdem die Währungspolitik vereinheitlicht und die Haushaltspolitik zum Bestandteil des Stabilitäts- und Wachstumspakts gemacht worden ist, sollten jede einzelne nationale Regierung in ihrer Wirtschaftspolitik die erforderlichen Anpassungen im Hinblick auf Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Funktionieren der Märkte vorgenommen werden, um einen hohen Grad an Konvergenz innerhalb des Gebiets zu sichern.
Im Dezember wird die Kommission auf der Grundlage der ihr von den Mitgliedstaaten übermittelten Berichte einen Bericht über das erste Jahr der Anwendung der nationalen Reformpläne annehmen. Unser Bericht wird eine detaillierte Bewertung des Umsetzungsgrads dieser Reformen durch jeden einzelnen Mitgliedstaat enthalten, und wenn wir es für notwendig erachten, werden wir Empfehlungen für jedes Land geben.
Wir werden auch eine Bewertung dessen in den Bericht aufnehmen, was wir, die europäischen Institutionen, in Anwendung der für das Gemeinschaftsprogramm von Lissabon erforderlichen Reformen getan haben.
Wie ich bereits sagte, stimmen wir in der Notwendigkeit überein, den Binnenmarkt weiter voranzubringen, der zusammen mit der einheitlichen Währung eines der beiden Hauptinstrumente zur Förderung einer wirksameren Mittelzuteilung und für das Angebot von größeren Chancen für die Unternehmen und von mehr Möglichkeiten für die Verbraucher darstellt.
Die Integration des Finanzsystems stellt ebenfalls eine Priorität erster Ordnung für das richtige Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion dar. In diesem Bereich ist der Fahrplan im Weißbuch der Kommission über Finanzdienstleistungen für den Zeitraum 2005−2010 dargelegt.
Was die Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets anbelangt, kann ich bestätigen, dass das Europäische Parlament der Notwendigkeit einer kohärenten Außenvertretung zustimmt. Wie ich bereits in einer meiner letzten Reden vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung erläutern konnte, sprach die Europäischen Union in Singapur mit einer Stimme, wie Herr García-Margallo gerade unterstrichen hat. Im Oktober, nach diesem Treffen, haben wir sowohl in der Eurogruppe als auch im Ecofin diese Frage erneut diskutiert und sind zu einigen zusätzlichen Vereinbarungen gelangt, die in die richtige Richtung gehen.
Der Bericht von Herrn García-Margallo enthält auch Kommentare zur Währungspolitik und zur Anwendung der Kriterien des Vertrags für die Erweiterung des Euro-Währungsgebiets. Die Europäische Zentralbank ist eine der transparentesten Zentralbanken der Welt, und diese Wahrnehmung wird von den Märkten, die die Kommunikationspolitik der Bank schätzen, sehr positiv bewertet.
In Bezug auf die Anwendung der Inflationskriterien für die Erweiterung des Euro-Währungsgebiets, die wir in jüngster Zeit in diesem Haus häufig diskutiert haben, verweise ich auf die bisherigen Aussagen zu diesem Thema.
Schließlich weiß ich nicht, welche Zweifel Herr García-Margallo wahrgenommen hat. Ich bin uneingeschränkt für einen Dialog mit diesem Hohen Haus über die Wirkungsweise des Euro-Währungsgebiets. Die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung weiß das sehr gut, da ich vor wenigen Tagen Gelegenheit hatte, mit ihr zu beraten, wie wir dies in die Praxis umsetzen können.
Othmar Karas, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die Europäische Volkspartei begrüßt den vorgelegten Bericht, er ist nicht nur unumstritten, sondern wir sagen auch Ja zu den Forderungen, zur Analyse und zur Substanz dieses Berichts.
Ergänzend möchte ich zu sechs Grundsätzen Stellung nehmen. Erstens: Der Euro ist die stärkste Antwort der EU auf die Globalisierung.
Zweitens: Der Euro ist das wichtigste Instrument für einen erfolgreichen Binnenmarkt, aber er ist nicht das einzige Instrument. Er muss begleitet werden von einer stärkeren beschleunigten Umsetzung der vier Freiheiten im Binnenmarkt, durch eine Innovationsoffensive, von der Beseitigung der strukturellen Schwächen und von der Stabilisierung der Sozial-, Pensions- und Gesundheitssysteme.
Drittens: Alle EU-Mitgliedstaaten sollen Mitglieder der Euro-Zone werden. Jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union, der sich gegen die Euro-Zone, gegen den Euro stellt, der nicht alle Anstrengungen unternimmt, damit er Teil dieser europäischen Währungszone wird, schwächt den Binnenmarkt und schwächt die Europäische Union gegenüber den Entwicklungen der Globalisierung.
Viertens: Die Maastricht-Kriterien sind die Eintrittskarte, und ich bin froh, dass die Kommission bei den Entscheidungen der letzten Monate klar an diesen Kriterien festgehalten hat.
Fünftens: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist der notwendige haushaltspolitische Rahmen. Wir fordern, dass die konjunkturellen Mehreinnahmen zur Reduzierung der Defizite und der Staatsschulden verwendet werden.
Sechstens: Ich lese heute in der Zeitung, dass der französische Innenminister Sarkozy eine europäische Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone verlangt. Wer die europäische Wirtschaft stärken will, soll die Verfassung ratifizieren und soll der Kommission die nötigen Kompetenzen geben. Daher sind wir für einen starken Euro in der Welt und für eine einheitliche Stimme im IWF, wie wir auch für ein starkes Auftreten der Europäischen Union in der Welt durch einen europäischen Außenminister sind.
Pervenche Berès, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich bin sehr erfreut darüber, dass diese Aussprache im Plenum uns Gelegenheit bietet, gemeinsam die Funktionsweise des Euroraumes zu einem Zeitpunkt einzuschätzen, da, wie Sie feststellten, bestimmte Perspektiven sich verbessern, aber auch jeder feststellen kann, dass das Wachstumspotenzial nicht voll genutzt wird, und da unsere Wirtschaften durch einen Wechselkurs benachteiligt werden, der die Exporte aus dem Euroraum erschwert und bestimmte unserer Unternehmen veranlasst, Standortverlagerungen zu erwägen, um im Dollarraum produzieren zu können.
Dieser Bericht bietet Gelegenheit, Bilanz zu ziehen zu einem Zeitpunkt, da der Stabilitätspakt revidiert worden ist und Einmütigkeit darüber besteht, dass die von den Mitgliedstaaten des Euroraums eingegangenen Verpflichtungen vielleicht genauer von den außerhalb des Euroraums eingegangenen Verpflichtungen unterschieden werden müssen. Unter diesem Gesichtspunkt ist dieser Bericht nützlich, und ich denke, wir haben unserem Kollegen García-Margallo auch für den Geist zu danken, in dem er ihn erarbeitet hat.
Wir müssen über die Reform des Stabilitätspaktes noch hinausgehen, um die Zeitpläne und die Daten besser abzustimmen, um sicher zu gehen, dass die Kommission und die Zentralbank die Leistungen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets nicht nur unter Berücksichtigung ihrer Defizite, sondern auch unter Berücksichtigung ihrer Stärken und Schwächen in einem umfassenderen Zusammenhang beurteilen. Darauf sind Sie in Ihren Ausführungen eingegangen, Herr Kommissar, wofür ich Ihnen danke, und ich bitte Sie, in diesem Sinne fortzufahren.
Ebenso muss die Entwicklung der Finanzmärkte bei der makroökonomischen Analyse stärker berücksichtigt werden. Des Weiteren sollte uns die Art und Weise, in der die Rating-Agenturen sich mit der italienischen Frage befasst und die Verschuldung dieses Landes beurteilt haben, zu größerer Wachsamkeit veranlassen, denn wenn diese Agenturen eine vorrangige Rolle bei der Bewertung der Schulden der Mitgliedstaaten spielen würden, entstünden daraus ernsthafte Risiken im Hinblick auf die Führung des Euroraumes.
Eine letzte Bemerkung, Herr Kommissar, um die Ausführungen der verschiedenen Seiten zum Wechselkurs zu bekräftigen: Wir brauchen mehr Wirtschaftspolitik und wirtschaftspolitische Führung in diesem Bereich.
Danutė Budreikaitė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Wirtschafts- und Währungsunion mit einer gemeinsamen Währung ist der höchste Stand, den die wirtschaftliche Integration der Europäischen Union bislang erreicht hat. Die Euro-Zone besteht nun schon seit sechs Jahren. Ihre erste Erweiterung hat gezeigt, dass die vor mehr als zehn Jahren aufgestellten Maastricht-Kriterien der Wirklichkeit der wachsenden EU und der sich entwickelnden globalen Wirtschaft nicht mehr entsprechen. Die Länder der Euro-Zone sind nicht in der Lage, die für das Funktionieren der Euro-Zone entscheidenden Indikatoren anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die Anforderung der Preisstabilität.
Die Europäische Kommission (gemäß EG-Vertrag) und die Europäische Zentralbank wenden jeweils unterschiedliche Kriterien für die Preisstabilität in der Euro-Zone an. Nach Auffassung der EZB sorgt Preisstabilität für eine niedrige Inflation, die noch immer bei etwa 2 % liegt. Nach den Verfahren der Europäischen Kommission ergibt sich die Preisstabilität im Euro-Raum durch Berücksichtigung noch anderer Faktoren außer der Inflationsrate in den zehn Euro-Ländern, und deshalb ist es nicht möglich, untypische Inflationsfaktoren auszuschließen.
Ich rufe die Kommission und die Europäische Zentralbank auf, gemeinsam an einer Verbesserung des Konzepts der Preisstabilität in der Euro-Zone und von Verfahren zu dessen Umsetzung zu arbeiten, um Missverständnisse bei der Erweiterung des Euro-Gebiets und der Anwendung von Indikatoren in der Euro-Zone zu vermeiden. Ich fordere die Mitglieder der Euro-Zone auf, die Kriterien ordnungsgemäß umzusetzen, die von den Mitgliedstaaten selbst für eine bessere wirtschaftliche Integration entwickelt wurden. Des Weiteren möchte ich betonen, dass Strukturreformen notwendig sind, wenn die EU und die Euro-Zone im globalen Wettbewerb bestehen wollen, und vor allem für die weitere Verwirklichung eines Binnenmarktes mit Dienstleistungsfreiheit, der zur Wettbewerbsfähigkeit der EU beiträgt.
Jens Holm, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (SV) Herr Präsident, sehr geehrte Kommission, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst Herrn García-Margallo y Marfil für diesen Bericht über die Lage im Euroraum danken. Der Berichterstatter stellt fest, dass die Wirtschaftsprognosen für die Euro-Zone so gut wie lange nicht mehr sind. Das hängt natürlich davon ab, welche Wirtschaftspolitik man zu führen gedenkt. Die bisher geführte Politik war ja nicht gerade ein Erfolg. Große Teile Europas befinden sich in einer sozialen und wirtschaftlichen Krise. In Deutschland, der größten Wirtschaft Europas, leben neuesten Statistiken zufolge sieben Millionen Menschen in Armut. Eine der Ursachen dafür ist eben die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU, deren Zentralbank eine der konservativsten der Welt ist, was die Inflation betrifft, und deren Stabilitätspakt die Wirtschaftspolitik in Fesseln legt. Wie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) kürzlich in einem Bericht feststellte, brauchen wir nicht noch mehr von dieser rigiden Politik. Die Völker Europas brauchen vielmehr eine aktive Finanzpolitik und eine Umstrukturierung der WWU.
Wie Sie wissen, ist mein Heimatland Schweden nicht Mitglied der WWU, da 2003 eine deutliche Bevölkerungsmehrheit gegen eine Beteiligung gestimmt hat. Darum bin ich etwas beunruhigt, wenn ich den Bericht lese, in dem festgestellt wird, dass ab 2007 dem Euroraum 13 Mitgliedstaaten angehören werden, und dass – ich zitiere – „die Koordinierung der makroökonomischen Politik und der Binnenmarkt jedoch alle 27 Mitgliedstaaten betreffen”. Was bedeutet das? Heißt das, dass Schweden, das gegen die WWU stimmte, früher oder später doch beitreten muss? Ich wäre dankbar, wenn die Kommission und auch der Berichterstatter, wenn er zum Abschluss der Aussprache das Wort erhält, darauf antworten würden.
Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! In unserer Aussprache über den Jahresbericht 2006 zum Euroraum möchte ich zwei Punkte ansprechen. Zunächst die Tatsache, dass in den Ländern der Europäischen Union und vor allem im Euroraum das Wirtschaftswachstum weitaus geringer und die Arbeitslosigkeit höher ist als in den USA und in den Schwellenländern wie China und Indien. Das Wirtschaftswachstum im Euroraum wird im Zeitraum 2005-2007 knapp halb so hoch sein wie das der USA, während die Arbeitslosigkeit nahezu das Doppelte betragen wird.
Der zweite Punkt ist – verglichen mit den Ländern in der Euro-Zone – das höhere Wirtschaftswachstum und die niedrigere Arbeitslosigkeit in drei der fünfzehn Länder, die nicht der Euro-Zone beigetreten sind. Da ist es nicht verwunderlich, dass diese Länder sich mit der Einführung der einheitlichen Währung Zeit lassen. Die neuen Mitgliedstaaten haben jetzt sogar noch größere Vorbehalte gegenüber dem Beitritt zum Euroraum, obwohl sie weiterhin hart an der Erfüllung der Konvergenzkriterien von Maastricht arbeiten.
Dariusz Maciej Grabowski, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Der Euroraum hat die seit vielen Jahren weltweit niedrigsten Wachstumsraten zu verzeichnen, und das gilt auch für das Jahr 2006. Anstatt aber die Ursachen bei sich selbst, nämlich in der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu suchen, wird versucht, die so genannte Harmonisierung der Haushalts- und Steuerpolitiken der Mitgliedstaaten durchzusetzen.
Das ist ein Versuch, die Initiative der Mitgliedstaaten zu beschneiden, und gleichsam ein Diktat der Stärkeren gegenüber den Schwächeren. War es das Ziel der Einführung einer gemeinsamen Währung, erstens, das System zu vereinfachen und damit die Kosten zu senken, zweitens, ausländische Investitionen hereinzuholen und drittens, das Vorrecht der Emission einer eigenen Währung und der Schaffung einer neuen Weltwährung zu nutzen, so ist die erhoffte Wirkung in den beiden letzten Fällen ausgeblieben.
Auslandsinvestitionen konzentrieren sich nach wir auf die Vereinigten Staaten und Asien. Die Nachfrage nach dem Euro als Weltwährung ist vergleichsweise schwach. Der gegenteilige Effekt ist eingetreten: Die anhaltend hohen Zinsen und die künstliche Stützung des Euro haben die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Produzenten geschwächt und die Ausfuhrerlöse verringert. Allem Anschein nach dienen die gemeinsame Währung und die Politik der EZB den Interessen des Finanzkapitals, und das auf Kosten der Unternehmer, Verbraucher und der nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten.
Die gemeinsame Währung beeinflusst indirekt die Ausfuhren der neuen Mitgliedstaaten, indem sie ihre Entwicklung hemmt und ihren Rückstand vergrößert. Wir meinen deshalb, dass die Währungspolitik der EU von Grund auf überarbeitet werden muss und die Währungsbehörden der Mitgliedstaaten die Befugnis zur Währungsemission und Festlegung der Zinsen zurückerhalten müssen.
Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Eigentlich können wir auf den Euro gemeinsam stolz sein. Vieles von dem, was vor seiner Einführung vorhergesagt wurde, ist nicht eingetreten. Drei Punkte sollte man aber doch immer wieder betonen: Das eine ist, dass die Steuereinnahmen, die jetzt fließen, auch tatsächlich — wie wir das in Punkt 5 des Berichts fordern — zur Verringerung der Defizite aufgewendet werden. Das Zweite ist die dringende Aufforderung, bei den Maastricht-Kriterien streng zu sein. Eine weitere Aufweichung, wie wir das in der Vergangenheit schon erlebt haben, kann nicht zielführend sein. Das Dritte ist die Transparenz. Die EZB hinkt weit hinter globalen Standards her. Es ist nicht nachvollziehbar, warum weiterhin Beschlussprotokolle nicht oder nur sehr unzureichend vorgelegt werden. Hier besteht dringender Verbesserungsbedarf.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich dem Berichterstatter für seinen Bericht danken, der deutlich macht, dass wir bei der Stärkung der europäischen Wirtschaft an einem Strang ziehen müssen. Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Europa durch den Euro eine noch nie dagewesene Stabilität erlangt hat.
Die Ausführungen meines schwedischen Kollegen klangen so, als wäre das niedrige Zinsniveau ein Problem für den Wirtschaftsstandort Europa. Es stimmt, dass wir heute niedrigere Zinssätze als je zuvor haben. Aber glaubt jemand, dass die europäische Wirtschaft besser dastehen würde, wenn heute die Zinsen so hoch wären wie in den 70er- oder 80er-Jahren oder die Haushaltsdefizite so hoch wie in den Jahren, als es um die europäische Wirtschaft schlecht stand? Wir sollten nicht Träumen nachhängen, sondern uns der Realität stellen. Wir haben heute eine Einheitswährung, die Wettbewerb, Handel und Investitionen fördert und Strukturreformen und Haushaltsdisziplin erzwingt. Das ist gut so. Dadurch eröffnen sich Chancen, denn die europäische Wirtschaft leidet nicht unter der Zinspolitik, sondern unter mangelnder Deregulierung und noch bestehenden Hemmnissen im Handel und Binnenmarkt. Wie sich zeigt, sind wir seit Öffnung der Märkte leistungsfähiger und erfolgreicher geworden.
Nach meiner Ansicht wird der Euro niemals stärker sein als die europäische Wirtschaft und die Disziplin der am Euro teilnehmenden Staaten. Folglich muss die Europäische Zentralbank unabhängig handeln, was auch im Bericht unterstrichen wird. Dies ist sehr wichtig, da wir sonst an Glaubwürdigkeit verlieren.
Aus schwedischer Sicht wird der Euro bald in eine Reihe neuer Mitgliedstaaten des Ostseeraums Einzug halten. Hoffentlich kommt es in meinem Land zu einer Debatte, die uns in die Lage versetzt, in den nächsten Jahren dem Beispiel dieser Staaten und anderer Euro-Länder zu folgen.
Udo Bullmann (PSE). – Herr Präsident! Ich freue mich, dass die Kommission diesen Bericht vorgelegt hat und dass sie das Schicksal der Eurozone mit Engagement beobachtet. Ich freue mich aber auch feststellen zu können, dass mit Herrn Juncker derjenige sich an der Diskussion mit uns beteiligt, der aus verantwortlicher Position für die Eurozonen-Mitglieder spricht.
In welcher Situation sind wir? Wir sind das erste Mal wieder dichter an das Wachstumsziel, das wir in Lissabon gesteckt haben, herangerückt. 2,8 % Wachstum haben wir jetzt in der Eurozone, also beinahe die 3 %, die in Lissabon zugrunde gelegt wurden.
Was ist die Herausforderung für die Eurozone in dieser Situation? Um welchen Punkt geht es im Kern? Wollen wir zulassen, dass das nur ein kleines Lüftchen ist, nur ein zyklischer Aufschwung, der übermorgen wieder verronnen ist? Oder wollen wir strukturell dafür sorgen, dass wir einen langen Atem bekommen, dass wir die Chance bekommen, einen langfristigen Aufschwung zu erzeugen, der auch hält, und der bei den Menschen, die ja die Ökonomie machen – nicht nur die Daten machen die Ökonomie, sondern die Menschen –. Vertrauen erweckt? Deswegen glaube ich, dass wir uns einen Ruck geben müssen. Es kommt jetzt darauf an, intelligente Investitionen in der Eurozone zu tätigen. Es ist richtig, die Haushalte zu konsolidieren, aber das darf kein Mantra sein, das wir uns vorsagen, sondern der Aufschwung muss jetzt genutzt werden, um in eine Politik der intelligenten Modernisierung einzusteigen, damit wir die Chance haben, die Arbeitslosigkeit ernsthaft zu reduzieren. Auch das steht in dem Bericht.
Zum Schluss möchte ich unserem Ko-Berichterstatter und Schattenberichterstatter, Dariusz Rosati, der die sozialdemokratischen Punkte in diese Diskussion eingebracht hat, danken, und ich will nicht versäumen, dem Kollegen García-Margallo y Marfil zu danken, der nicht zum ersten Mal mit seinem Bericht die makroökonomische Debatte in diesem Haus wesentlich befruchtet.
Jeffrey Titford (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Der Bericht ist anscheinend von den Ereignissen bereits überholt worden. Was immer Kommissar Almunia hier vorgebracht hat – seine optimistischen Wachstumsprognosen für den Euroraum stehen in deutlichem Widerspruch zu den Ende letzter Woche veröffentlichten Wirtschaftsdaten, wonach das Wachstum der französischen Volkswirtschaft bei Null liegt. Hinzu kommen Anzeichen für rückläufiges Wachstum im gesamten Währungsgebiet, die sicher nicht dadurch gemildert werden, dass Deutschland und Italien im nächsten Jahr die Steuerschraube anziehen, um die Stabilitätskriterien des Euroraums zu erfüllen.
Was der Bericht verschweigt, ist die Tatsache, dass die italienische Regierung am Rande des Scheiterns steht, weil Herr Prodi entschlossen ist, die vom europäischen Wirtschaftskommissar verlangten Steuererhöhungen und Haushaltskürzungen durchzusetzen, damit Italien die Maastricht-Kriterien einhält. Unerwähnt bleibt auch der Aufruhr, zu dem es in Ungarn kam, nachdem der ungarische Ministerpräsident zugegeben hatte, die Bevölkerung von morgens bis abends über die Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen belogen zu haben, die er dem gleichen Kommissar heimlich versprochen hatte.
Wenn man viele unserer neuen EU-Mitglieder dazu zwingt, eine eigentlich für die höher entwickelten Volkswirtschaften des Euroraums bestimmte deflationäre Politik zu verfolgen, dann sind geringe Nachfrage, schwaches Wachstum und Massenarbeitslosigkeit vorprogrammiert. Im Bericht wird auch nicht erwähnt, dass die Osteuropäer durch den Vertrag von Maastricht zu Bürgern zweiter Klasse geworden sind. Sie haben nämlich auf absehbare Zeit keine Aussicht auf einen Beitritt zum Euro-Währungsgebiet, müssen aber ihre Volkswirtschaften an dessen Erfordernissen ausrichten. Früher oder später werden sich die Bürger Europas gegen ein System auflehnen, das sie wirtschaftlich gesehen auf die Kriechspur verbannt und ihnen gleichzeitig das demokratische Recht verwehrt, über seine Handhabung mitzuentscheiden.
Sergej Kozlík (NI). – (SK) Ich begrüße und unterstütze den Vorschlag der parlamentarischen Opposition, den sie anlässlich der Erklärung zum Jahrestag des Euroraums unterbreitet hat. Vor allem möchte ich den Abschnitt hervorheben, in dem gefordert wird, dass sowohl die Definition der drei Mitgliedstaaten, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben, als auch die Methode zur Berechnung des Referenzwertes genau geprüft werden müssen.
Der springende Punkt ist doch, dass die unterschiedlichen Inflationsraten der Mitgliedstaaten des Euroraums nicht auf unterschiedliche makroökonomische Ansätze zurückgehen, sondern dass sie vielmehr das Ergebnis struktureller Faktoren sind. Meines Erachtens gilt dies insbesondere für die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In vielen dieser Länder ist der relative Anteil an energieintensiver und rohstoffintensiver Produktion höher als im Euroraum. Ein Großteil dieser Produkte wird dann entweder direkt oder als Teil eines Fertigerzeugnisses in den Euroraum transportiert, beispielsweise bei Blechmetall, das für die Herstellung von Pkw-Karosserien verwendet wird.
Wegen dieser strukturellen Faktoren machen sich in den neuen Mitgliedstaaten Schwankungen in den Energie- und Rohstoffpreisen stärker bemerkbar als in den alten EU-Ländern. Aus dem gleichen Grund dienen die Mitgliedstaaten als eine Art Puffer, der die Auswirkungen der Preisschwankungen im Euroraum abfängt. Mit diesem Problem hat besonders die Slowakische Republik zu kämpfen.
Die gegenwärtige Methode zur Bewertung der Inflationskriterien ist daher nicht angemessen und könnte langfristig die Chancen der neuen Mitgliedstaaten schmälern, in die Euro-Zone aufgenommen zu werden, auch wenn sie alle sonstigen Anforderungen erfüllen.
Zsolt László Becsey (PPE-DE). – (HU) Herr Präsident! Zunächst möchte ich der Kommission und dem Berichterstatter dazu gratulieren, dass sie diesem schwierigen Thema Beachtung schenken. Besonders erfreut bin ich über die Ausführungen zur Flexibilität des Arbeitsmarktes und den zielorientierten Ansatz im Bereich Bildung. Nach meinem Dafürhalten weisen unsere Schlussfolgerungen in eine einzige Richtung. Als Abgeordneter aus einem der Länder Osteuropas, die darauf warten, dem Euroraum beizutreten, möchte ich lediglich vier kurze Anmerkungen machen:
Erstens sollte als Aufnahmekriterium für den Beitritt zum Euroraum ausschließlich der politische Standard gelten, der für die bereits beigetretenen Länder gilt.
Zweitens ist es wichtig, dass die neuen Mitgliedstaaten möglichst zügig beitreten, und deshalb darf es keine Interpretation geben, vor allem in Fragen der Inflation, der Nachhaltigkeit und des Referenzwertes, die in der Praxis die Aufnahme der neuen Mitgliedstaaten für lange Zeit aufschieben würde, die den Durchschnitt der EU-Wirtschaft noch nicht erreicht haben und deshalb beim Lohn- und Preisniveau noch dabei sind aufzuholen. Diesen Punkt hat Herr Kozlík bereits sehr anschaulich erläutert.
Drittens stimme ich zu, dass die Statistiken der Mitgliedstaaten aufmerksam verfolgt werden müssen und dass die Kommission zumindest mit politischen Instrumenten reagieren muss, beispielsweise mit der Unterrichtung eines Europäischen Gipfels, wenn ein Mitgliedstaat besonders undiszipliniert handelt und in die falsche Richtung steuert. Langfristig darf kein Auge zudrückt werden. Die Kommission hat in dieser Hinsicht auch eine politische Verantwortung.
Viertens muss unbedingt der Binnenmarkt vertieft werden, und es ist wichtig, dass alle die Kriterien einhalten. Die neuen Mitgliedstaaten tun dies. Doch hier besteht ein Widerspruch: Einerseits bleibt den neuen Mitgliedern der Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Schengen-Raum verwehrt und die Richtlinien über arbeitsintensive Dienstleistungen und die Entsendung von Arbeitnehmern sind ausgesprochen restriktiv. Andererseits sind wir verpflichtet, den Markt bei Finanzdienstleistungen für alle zu öffnen. Dieses Ungleichgewicht macht die Integration der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vertiefung des Binnenmarktes nicht einfacher.
Benoît Hamon (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Bericht enthält mehrere interessante und willkommene Empfehlungen, für die ich dem Berichterstatter danken möchte.
So ruft der Bericht nicht einfach zur Verringerung der öffentlichen Ausgaben auf, sondern empfiehlt die Freigabe von Ressourcen zur Realisierung von Investitionen, die als notwendige öffentliche Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung, in die Infrastrukturen und die Forschung angesehen werden.
Gleichermaßen empfiehlt das Europäische Parlament keine Lohnmäßigung, sondern räumt ein – genau dies ist das Wort, das verwendet wird –, dass langfristig die Reallöhne und die Produktivität parallel zueinander ansteigen sollten. Ich danke dem Berichterstatter für diese Bemühungen um Ausgleich und Verständigung.
Thema dieser Aussprache ist jedoch die wirtschaftliche Leistung des Euroraumes. Trotz der jüngsten und unverhofften Verbesserung der Wachstumsindikatoren bin ich indes der Meinung, dass die wirtschaftliche Lage anfällig und unbefriedigend bleibt. So beeinträchtigt die makroökonomische Politik der Kommission das tägliche Leben von Millionen europäischer Bürger, deren Kaufkraft, wie ich hervorheben möchte, von stagnierenden Löhnen sowie von steigenden Lebenshaltungskosten gefährdet wird und deren Lebensbedingungen sich verschlechtern, während der soziale Schutz ebenfalls abgebaut wird.
Die Reaktion der Kommission und der EZB ist stets die gleiche: Inflationsbekämpfung durch Haushaltseinsparungen und Lohnmäßigung auf der einen Seite, Erhöhung des Wettbewerbs auf dem Dienstleistungs-, dem Kapital-, dem Waren- und dem Arbeitsmarkt auf der anderen Seite.
Die Zeit ist sicherlich gekommen für eine Bewertung der Ergebnisse dieser Politik und für die Prüfung, ob die Zerschlagung öffentlicher Dienstleistungen, die Deregulierung des Arbeitsmarktes und die Kürzung der öffentlichen Ausgaben das Wachstum im Euroraum und in der Europäischen Union wirklich dauerhaft stimulieren können. Leider steht keine Reflexionspause auf der Tagesordnung. In zwei Tagen werden wir über eine Dienstleistungsrichtlinie zu befinden haben, die zwar einige Verbesserungen aufweist, aber immer noch in dem deregulierenden Ansatz von Fritz Bolkestein verhaftet bleibt.
In einigen Monaten werden wir eine Richtlinie auf der Tagesordnung haben, die das Ende des öffentlichen Postdienstes vorschlägt. Auch im Energiesektor ist trotz der chronischen Instabilität der Erdöl erzeugenden Zonen, trotz der Erpressungen mit Erdgas durch ein Nachbarland, trotz der globalen Erderwärmung, trotz der sich über halb Europa erstreckenden Stromausfälle kein Umdenken in Sicht und die Reaktion ist stets und immer dieselbe: Vollendung eines liberalisierten und deregulierten Energiebinnenmarktes in Europa. Der Wirtschaftsbericht für den Euroraum fällt dieses Jahr vielleicht etwas besser aus, doch die soziale und politische Bilanz ist in meinen Augen ebenso schlecht wie immer.
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Ich habe während der ganzen Zeit den Rednern, insbesondere dem zuständigen Kommissar, Herrn Almunia, zugehört, die für eine Heiligsprechung des Euro argumentieren. Aber ist das wirklich der Fall? Vielleicht ist das, was wir hier in diesem Hause heilig zu sprechen versuchen, der schreckliche Dämon der Bürger Europas, die wir vertreten?
Der Wert des Euro steigt und wir alle sind begeistert. Gleichzeitig nimmt aber auch die Zahl der Bürger zu, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Von 500 Millionen Menschen im Europa der 27 leben 100 Millionen unterhalb der Armutsgrenze. Menschen also, die sich nur alle zwei Wochen Fleisch leisten können, die ihren Kindern keine Kleidung kaufen und die ihr Auto erst nach 15 Jahren gegen ein neues eintauschen können. Was bedeutet der Euro diesen Menschen?
Ich möchte Sie daran erinnern, dass es mit einem Imperium begann. Wir wollen keine Ein- und Zweieuroscheine, und dennoch liegen 75 % der täglichen Transaktionen unterhalb der 5-Eurogrenze. Wir sind begeistert, dass der Euro steigt. Er ist gegenüber dem Dollar von 0,87 auf 1,30 gestiegen. Was bedeutet das? Kein Land, das nicht über Markenprodukte verfügt, kann in die Vereinigten Staaten von Amerika und in andere Länder verkaufen. Natürlich kann Deutschland den Mercedes verkaufen, weil es ein Mercedes ist, aber wie soll mein Land, das keine Markenprodukte hat, in die USA – dem großen Markt – verkaufen, wenn dieses dasselbe Produkt in einem Nachbarland außerhalb der WWU für ein Drittel des Preises bekommen kann? Wie sollen Touristen nach Griechenland oder, Herr Almunia, wie sollen amerikanische Touristen nach Spanien kommen, wenn es unmöglich ist, den Wert des Euro zu kontrollieren?
Können wir dies nicht alles in Augenschein nehmen? Können wir uns nicht mit all dem befassen? Es ist ein gewaltiges Problem, und Sie tragen eine große Verantwortung in der Kommission, insbesondere Sie persönlich, Herr Almunia.
Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Natürlich müssen wir in der Euro-Zone bemüht sein, unseren Kindern einen möglichst geringen Schuldenstand zu hinterlassen. Keinesfalls aber dürfen wir in unserem Bestreben, die Wirtschaftslage anzukurbeln, auf soziale Standards verzichten. Wann immer das US-Wachstum als Vergleich herangezogen wird, darf das in den Vereinigten Staaten kaum vorhandene Sozialsystem nicht außer Acht gelassen werden.
Mit Massenzwangspensionierungen und Privatisierungen im öffentlichen Bereich sowie 1-Euro-Jobs unter Abdrängung von immer mehr Angestellten in die Scheinselbständigkeit ist diese Aufholjagd meines Erachtens nicht zu gewinnen. Auch das in der Vergangenheit immer wieder häufig betriebene Verkaufen von Familiensilber, um in den Euro-Klub aufgenommen zu werden, muss ein Ende haben. Vielmehr sollten wir bemüht sein, der wuchernden Schwarzarbeit Herr zu werden, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen, um die z. T. immer größer werdenden bürokratischen Hürden für Klein- und Mittelbetriebe zu verringern sowie deren Zugang zu Förderungen zu erleichtern. Nur dann wird die Euro-Zone in Zukunft gedeihen können.
Dariusz Rosati (PSE). – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Es ist mir eine große Genugtuung, meine Unterstützung für die Präsentation des ersten Jahresberichts der Europäischen Kommission zum Euroraum kundzutun.
Der Bericht ist eine gute Grundlage für die Aussprache über die gegenwärtigen und künftigen Hauptaufgaben der Euro-Zone. Es gibt in dieser Hinsicht viel zu besprechen. Die durchschnittliche Wachstumsrate betrug in der Euro-Zone im Zeitraum 2001-2005 nur 1,9 %. Die Zahl der Erwerbslosen ist auf 13 Millionen gestiegen, und die Lage der öffentlichen Finanzen hat sich eher verschlechtert als verbessert.
Im letzten Jahr hat sich die Situation leicht entspannt, wie Sie freundlicherweise bestätigt haben, doch ändert das nichts an der Tatsache, dass Europa nicht nur gegenüber den Vereinigten Staaten und Japan, sondern auch gegenüber den wachstumsträchtigen Ländern Asiens immer weiter in Rückstand gerät. Ungelöste Strukturprobleme sind die Ursache für die Stagnation in Europa. Die mit der Gründung und Führung eines Unternehmens verbundenen hohen Kosten, die hohen Lohnnebenkosten, mangelnde Investitionsbereitschaft, die Aufrechterhaltung der für den Arbeits- und den Dienstleistungsmarkt schädlichen Hindernisse – all das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, hemmt das Wachstum und erhöht den Druck auf die öffentlichen Finanzen. Es hindert uns daran, die Chancen, die eine gemeinsame Währung und eine einheitliche Geldpolitik bieten, in vollem Umfang zu nutzen.
Ich fordere die Europäische Kommission deshalb auf, Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben, damit sie die Umsetzung der notwendigen Reformen beschleunigen. Dass das unerlässlich ist, wurde in zahlreichen Berichten und Studien einschließlich des Berichts Shapiro und des Berichts der hochrangigen Gruppe unter der Leitung von Wim Kok aufgezeigt.
Die makroökonomische Politik im Euroraum muss verbessert werden. Vor allem fehlt es an einer wirksamen Koordinierung der Steuerpolitik zwischen den Mitgliedstaaten. Zugleich erfordert die gemeinsame Währung Steuerdisziplin, die alle Mitgliedstaaten gemeinschaftlich üben müssen. Damit wären eine ausgewogene makroökonomische Politik und die Wiederherstellung eines effektiven Policy-Mix möglich.
Geldpolitik muss auf klaren, transparenten Regeln basieren und vorhersehbarer sein. Übermäßige Geheimniskrämerei im Entscheidungsprozess und das Fehlen klarer Festlegungen zur Rolle der „beiden Pfeiler“ der Geldpolitik, insbesondere der M3-Geldmenge, die ernste Zweifel an den Regelungen für die Ernennung der Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank aufkommen lassen, schränken die Wirksamkeit und Transparenz der gemeinsamen Geldpolitik ein und könnten die Position der gemeinsamen Währung untergraben.
Ein wesentliches Element der Stärkung des Euroraums besteht in seiner Ausweitung und in der Aufnahme neuer Mitglieder. Dabei müssen wir nach dem Grundsatz verfahren, dass die Bewerber an den Vertrag, den ganzen Vertrag und nichts als den Vertrag gebunden sind. Das bedeutet, dass sie die im Vertrag festgelegten Kriterien erfüllen müssen, ihnen aber auch keine zusätzlichen Anforderungen auferlegt werden dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass der Beitritt neuer Mitglieder zum Euroraum, deren Defizit und öffentliche Verschuldung oftmals weit unter denen der anderen Mitgliedstaaten liegen, zur Stärkung des Euroraums beitragen wird.
Abschließend möchte ich Herrn Juncker, dem Vorsitzenden der Eurogruppe, für seine Teilnahme an unserer Aussprache danken und meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass ihn dies inspirieren und ihm helfen möge, die Eurogruppe noch besser zu leiten. Mein Dank gilt auch Herrn García-Margallo y Marfil für diesen ausgezeichneten Bericht. Die meisten Vorschläge in diesem Bericht finden meine volle Unterstützung.
Joaquín Almunia, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Präsident! Vielen Dank an alle Mitglieder für ihre Beiträge. Ich denke, die Aussprache zeigt, dass es nützlich ist, jedes Jahr einen Bericht wie diesen über das Funktionieren des Euro-Währungsgebiets und seine Ergebnisse vorzulegen, der diesmal erstmalig von der Kommission angenommen wurde und im Parlament diskutiert wird.
Als Schlussfolgerung aus der heutigen Aussprache kann ich eine optimistische Anmerkung machen: Das Euro-Währungsgebiet wächst wieder, ungeachtet der Tatsache, dass manche meinten, es sei ein Gebiet mit sehr niedrigem Wachstum. Das Euro-Währungsgebiet wächst dieses Jahr um 2,6 %, vielleicht zum Ende des Haushaltsjahrs sogar noch um etwas mehr. Das Euro-Währungsgebiet schafft Arbeitsplätze und verringert die Arbeitslosigkeit. Nach unseren Prognosen werden bis 2008 noch fünf Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Es wird nicht sehr oft gesagt, aber es stimmt, dass seit Anfang dieses Jahrzehnts trotz des niedrigen Wachstums im Euro-Währungsgebiet und natürlich auch in der gesamten Europäischen Union erheblich mehr Arbeitsplätze entstanden sind als in den USA, einem Land, das sich immer als Bezugspunkt darstellt, und dem es bei den Politiken und Strategien zur Schaffung von Beschäftigung nachzuahmen gilt.
Ich denke daher, wenn wir das Funktionieren des Gebiets und die Ergebnisse analysieren, die wir durch die Währungsintegration erreichen, dann gibt es Elemente, die eine gemäßigt optimistische Einschätzung rechtfertigen könnten. Es stimmt jedoch auch, dass Elemente vorhanden sind, die weiterhin unsere Aufmerksamkeit erfordern, denn es ist hier noch viel zu tun.
Es ist noch viel zu tun, wie viele von Ihnen gesagt haben, um das potenzielle Wachstum zu steigern und die Arbeitslosigkeit zu verringern, damit ein höheres Wachstum und eine niedrigere Arbeitslosenquote das Leben unserer Bürger verbessern, Ungleichheiten reduzieren und solidere Grundlagen für unsere Sozialschutz- und unsere Sozialleistungssysteme bieten. Dies erfordert zunächst, wie viele von Ihnen dargelegten, dass wir weiterhin und besser als bisher die Kriterien der Stabilität und Haushaltsdisziplin erfüllen, die im Vertrag festgelegt sind und durch die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes implementiert werden, der auf recht positive Weise und im Konsens angewendet wird. Wir müssen auch die Reformen fortsetzen und die Lissabon-Strategie weiterführen, da sich dieser Plan zur Beseitigung von Barrieren und zur Förderung der vier Freiheiten als eine solide Basis für die Errichtung besserer Bedingungen erwiesen hat, mit denen wir uns der Zukunft stellen werden.
Es erfordert entsprechend der Analyse und vieler ihrer Schlussfolgerungen auch eine bessere Regierungsführung im Euro-Währungsgebiet. Ich glaube, dass sich die Wirksamkeit des Funktionierens der Eurogruppe verbessert hat, seit sie über eine stabile Präsidentschaft unter Führung von Herrn Juncker verfügt, der heute unter uns weilt. So ist es uns möglich, bessere Fortschritte bei der Analyse, dem gegenseitigen Verständnis und der Koordinierung von Entscheidungen zu machen, die die Mitgliedstaaten betreffen, ihnen aber nicht von oben auferlegt werden können, und die durch Konsens, mit ihrer vollen Überzeugung und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten angenommen werden müssen. Weiterhin gilt es, den Dialog zu verstärken.
Falls jemand von Ihnen, meine Damen und Herren, noch Zweifel hegt, nach Ansicht der Kommission und nach meiner Meinung als für Wirtschaft und Währung zuständiges Kommissionsmitglied müssen wir den bilateralen Dialog zwischen der Kommission und dem Parlament über diese Fragen verbessern. Ich meine, dass wir in einem dreiseitigen Dialog zwischen der Präsidentschaft der Eurogruppe, der Kommission und dem Parlament über folgende Punkte vorankommen müssen: das Funktionieren der Eurogruppe, die Themen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und, wenn Sie einverstanden sind, müssen wir meines Erachtens auch einen Dialog entwickeln, der – natürlich – bei voller Respektierung ihrer Unabhängigkeit die Europäische Zentralbank einbezieht, die einen Währungsdialog mit Ihnen, aber auch einen monatlichen Dialog mit uns führt. Ich denke, das Parlament kann und muss von Zeit zu Zeit an diesem Meinungsaustausch zwischen allen Institutionen teilnehmen, dessen gemeinsames Ziel darin besteht, dass das Euro-Währungsgebiet ordnungsgemäß funktioniert und dass der Euro, unsere gemeinsame Währung, die bestmöglichen Ergebnisse für alle Bürgerinnen und Bürger Europas hervorbringt.
Juncker, Vorsitzender der Eurogruppe. (FR) Herr Präsident! Ich möchte mich zunächst vielmals für meine Verspätung entschuldigen. Die Strecke Luxemburg-Straßburg ist kurz vor Straßburg völlig überlastet, so dass ich wegen Staus nicht pünktlich angekommen bin. Da ich die Ruhe der Straßburger respektieren wollte, habe ich nicht „alle Register gezogen“, sondern die Straßenverkehrsordnung genau eingehalten, doch nun bin ich selbst der erste Leidtragende, denn ich komme mit Verspätung zu dieser Aussprache. Ich möchte Ihnen nichtsdestoweniger versichern, wie sehr mir diese Aussprache am Herzen liegt, denn die Überlegungen des Parlaments sind nicht nur an sich wichtig, sondern sie fließen auch in die Debatten in der Eurogruppe ein, bei denen ich den Vorsitz führe – unterstützt, inspiriert, angeregt und angetrieben von dem für die Währung zuständigen Kommissar, meinem Freund Almunia.
Zunächst möchte ich feststellen, Herr Präsident, dass ich das Wachstum für robust halte, denn es dehnt sich aus und ist trotz einiger Dämpfer, die vorwiegend von Frankreich kommen, nicht gefährdet. Die Beschäftigungsrate steigt, die Arbeitslosigkeit nimmt ab, ohne allerdings bereits einen akzeptablen Stand erreicht zu haben. Und wenn man das Wachstum in einem größeren Zusammenhang betrachtet, dann ist es wahrscheinlich stärker, als wir gegenwärtig annehmen, und auf jeden Fall stärker, als wir vor sechs Monaten annahmen.
Für 2007 bleibt abzuwarten, inwieweit das Nachlassen der Konjunktur in den USA die Wirtschaftsleistung des Euroraumes beeinflussen wird. In der Eurogruppe sind wir der Meinung, dass die Auswirkungen des Abschwungs in den USA auf die Volkswirtschaften des Euroraumes geringer ausfallen werden als 2000-2001. Wir stellen fest, dass das Nachlassen der Konjunktur in den USA vor allem den Bausektor betrifft und sich nicht auf weitere Bereiche der US-amerikanischen Wirtschaft ausdehnen wird. Die Folgen für das Wachstum im Euroraum werden daher weniger ausgeprägt sein als zuvor, obgleich die Ergebnisse in den einzelnen Ländern große Unterschiede aufweisen werden.
Wieso haben wir gegenwärtig eine Wachstumsrate erreicht, die uns angemessener als vor einigen Jahren erscheint? Erstens weil uns der Euro in den vergangenen Jahren in hohem Maße geschützt hat. Man kann es nicht oft genug sagen, wenn die Bilanz der Euroeinführung gezogen wird: Der Euro hat uns geschützt, er schützt uns und wird uns weiterhin schützen! Stellen Sie sich einmal vor, in welchem Zustand sich die europäische Wirtschaft und die europäischen Währungssysteme befinden würden, wenn es den Euro während der Krisenzeiten nicht gegeben hätte! Während der Vorbereitungszeit der Euroeinführung hat es die lateinamerikanische, die russische, die südostasiatische Währungskrise gegeben. Stellen Sie sich vor, wie sehr unser altes System vor der Einführung des europäischen Systems während des Irak-Krieges oder aufgrund der Ereignisse vom 11. September 2001 außer Kontrolle geraten wäre! Stellen Sie sich einmal vor, wie es mit der Stabilität der europäischen Währungen jetzt aussähe, da die sich überall abspielenden geostrategischen Dramen Anlass zu ständiger Beunruhigung bieten! Stellen Sie sich vor, wie stabil bestimmte nationale Währungen nach dem französischen und dem niederländischen Nein gewesen wären! Der Euro hat uns geschützt, und er hat selbst die Länder geschützt, die bestimmte Vorbehalte gegen Europa hatten, als es um die Zustimmung zum Verfassungsvertrag ging.
Die Haushaltssituation hat sich verbessert, als wir mit aller Klugheit sowie mit der Zustimmung und sogar oft mit aktiver Unterstützung des Parlaments den Wachstums- und Stabilitätspakt verbessert und reformiert haben. Gewisse Leute fühlten sich bemüßigt, größte Beunruhigung über die Annahme des reformierten Wachstums- und Stabilitätspakts zum Ausdruck zu bringen. Heute ist festzustellen, dass sich die Mechanismen des reformierten Pakts bewähren und dass alle Regierungen bemüht sind, seine wesentlichen Regeln und Leitlinien anzuwenden. Die Haushaltsdefizite gehen zurück, und es bildet sich ein allgemeiner Konsens in dem Sinne heraus, dass die Mitgliedstaaten die vorbeugenden Aspekte des Stabilitätspakts ernst nehmen, denn sie haben sich alle entschlossen, die Steuermehreinnahmen aufgrund des Konjunkturaufschwungs in erster Linie für die Verringerung des Defizits und den Abbau der öffentlichen Verschuldung zu verwenden, was ich sehr begrüße.
Wir sind in der Eurogruppe dabei, unsere Überlegungen zur Verstärkung der Haushaltsüberwachung zu vertiefen, was wir gemeinsam mit der Kommission tun, deren freundschaftliche Art, den Vorsitz der Eurogruppe zu unterstützen, sich als sehr wirksam erweist. Auf unserer nächsten Sitzung, die Ende November stattfinden wird – und damit, Frau Berès, nach meinem Auftreten im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, dessen Vorsitz Sie so sachkundig wahrnehmen –, werden wir beraten, wie wir diese Haushaltsüberwachung verstärken können. Wir werden dies künftig auf der Grundlage eines Querschnittsberichts der Kommission tun, die es nicht versäumen wird, die auftretenden wirklichen politischen und auch wirtschaftspolitischen Probleme anzusprechen und in einer Form, die noch festzulegen ist, spezifische Empfehlungen für die einzelnen Mitgliedstaaten oder das gesamte Euro-Währungsgebiet zu formulieren.
Mit Blick auf den Währungsraum als Ganzes möchte ich, dass wir dieses Jahr eine bereits lange bestehende Forderung der Kommission umsetzen, nämlich ein spezifisches Kapitel der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates – wenn dieser die Ergebnisse der Lissabonner Strategie prüft – dem Euroraum zu widmen, das auch die Strukturreformen beinhaltet, die in den einzelnen Mitgliedstaaten des Euroraumes durchzuführen sind.
Zum Problem der Strukturreformen möchte ich lediglich anmerken, Herr Präsident, dass unterschätzt wird, welchen Wert diese Strukturreformen bereits für die Kohäsion des Euroraumes darstellen. Ich stimme nicht all den unterschiedlichen Strukturreformen zu, die in sämtlichen Mitgliedstaaten durchgeführt worden sind, doch festzuhalten ist, dass im Gegensatz zu der Vorstellung, zu dem Bild, das wir sehr oft vom Euroraum haben, eine bedeutende Reihe von Reformen eingeleitet worden ist und dass wir bereits die Früchte dieser im Rahmen des Euroraumes durchgeführten weit reichenden Strukturreform ernten.
Wenn Sie sich die von den einzelnen Mitgliedstaaten eingereichten Reformprogramme näher ansehen, werden Sie feststellen, dass es eine Vielzahl von strukturellen Lösungen gibt, dass diese im Allgemeinen miteinander in Übereinstimmung stehen, und dass diese Reihe von Reformen fortgesetzt werden muss, ohne deshalb gleich in negativen Neoliberalismus und in ungezügelte, hemmungslose Deregulierung zu verfallen, die ich ablehne, denn ich glaube weiterhin, dass der Euro und der Euroraum sowie die Politiken, die wir verwirklichen, an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn wir unser strukturpolitisches Wirken durch die Einführung eines Grundstocks an sozialen Mindestrechten ergänzen. Damit sollten allen Arbeitnehmern im gesamten Euroraum eine Reihe von Mindestrechten garantiert werden, die die Mitgliedstaaten bei ihren Versuchen, ihre nationale Kampfkraft zu stärken, nicht einschränken können.
Die europäischen Arbeitnehmer müssen wissen, woran sie sich halten können. Wir dürfen nicht länger den Eindruck erwecken, die Währungsunion sei eine Unternehmung, die von den Finanzministern, den Bankiers, dem Großkapital und den Großunternehmen geführt werde und die den elementarsten Rechten der Arbeitnehmer, die immerhin die Mehrheit der europäischen Bevölkerung ausmachen, abträglich wäre.
Noch eine kurze Bemerkung zur Erweiterung des Euro-Währungsgebiets. Ich kann denjenigen nicht zustimmen, die den Eindruck erwecken, wir seien im Euroraum strenger als vorher gegenüber den neuen Mitgliedstaaten geworden, die sich dem Euroraum anschließen möchten. Wir wenden einzig und allein die Kriterien des Maastrichter Vertrages an. Es hat keine Forderung gegeben, die mit der Unterzeichnung des Vertrags am 7. Februar 1992 in Maastricht festgelegten Kriterien zu ändern. Es kann keine Rede davon sein, die Politik der nominalen Konvergenz aufzugeben und durch einen Maßstab zu ersetzen, bei dem bestimmte Kriterien, die die ersten Mitglieder des Euroraums erfüllen mussten, unberücksichtigt blieben. Diejenigen, die die Kriterien der nominalen Konvergenz auf anderer als der theoretischen Ebene in Zweifel ziehen, möchte ich vor den realen Gefahren einer Ersetzung der nominalen Konvergenzkriterien durch reale Konvergenzkriterien warnen. Durch die Anwendung von realen Konvergenzkriterien würde der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zum Euroraum in sehr weite Ferne rücken. Deshalb halte ich es für angebracht, uns an die gegenwärtig geltenden Kriterien zu halten, denn das würde auch die Glaubwürdigkeit des Euroraumes stärken.
Die Außenvertretung des Euroraumes würde in der Tat eine lange Erläuterung verdienen, doch mögen einige kurze Ausführungen genügen. Der Euroraum muss durch eine Person, eine Stimme und einen Sitz in allen internationalen Gremien, insbesondere den internationalen Finanzorganisationen, vertreten werden. Ich denke, wir werden am Ende meiner Amtszeit, am 1. Januar 2009, noch nicht so weit sein. Ich bin jedoch überzeugt, dass der Tag kommen wird, an dem auch die Europäer mit den stärksten Vorbehalten feststellen werden, dass wir uns nur lächerlich machen, wenn wir an der Regelung der monetären Angelegenheiten der Welt teilhaben wollen, aber in den internationalen Instanzen nicht einheitlich auftreten. Soweit einige Ausführungen, Herr Präsident, die ich für angebracht hielt, wobei ich mich dafür entschuldigen möchte, dass ich nicht wie sonst üblich auf alle diejenigen eingehen konnte, die das Wort ergriffen haben; ich musste mich begnügen, einige generelle Antworten zu geben, da ich nicht anwesend war, als die Abgeordneten mit dem für dieses Parlament charakteristischen Engagement zur Diskussion gesprochen haben.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Dienstag um 11.30 Uhr statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Jean-Pierre Audy (PPE-DE). – (FR) Auch wenn der Bericht meines geschätzten Kollegen José Manuel Garcia-Margallo y Marfil einige sehr interessante Einschätzungen und Vorschläge zum Euroraum enthält, bedauere ich, dass er nicht ohne Umschweife die Frage der Entwicklung des Euro von einer technischen Währung zu einem politischen Instrument im Dienste von Wachstum und Beschäftigung anschneidet. Die von der Europäischen Zentralbank (EZB) betriebene Geldpolitik scheint mit der Realität im Widerspruch zu stehen: Normalerweise müsste der Wechselkurs hoch sein, wenn das Wirtschaftswachstum stark ist, und müsste zurückgehen, wenn das Wachstum abnimmt. In Europa ist jedoch seit 1990 genau das Gegenteil der Fall. Während in den Mitgliedstaaten Reformen stattfinden, bewirkt das Streben nach Nullinflation mittels einer unangemessenen Geldpolitik, dass Europa beim Wirtschaftswachstum nur mittelmäßige Ergebnisse erzielt.
Wenn dies so weiter geht, während die Rohstoff- und Energiepreise in der ganzen Welt nach oben schnellen, dann werden wir eine Nullinflation und ein Nullwachstum haben, und die Unternehmen werden letztlich in die Dollarzone abwandern. Alles läuft so ab, als ob die EZB die Wirtschaftspolitik ignoriert, während ihr US-amerikanisches Gegenstück an nichts anderes denkt.
17. Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt – Thematische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über
- den Bericht von Marie-Noëlle Lienemann im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt (Meeresstrategie-Richtlinie) (KOM(2005)0505 – C6 – 0346/2005 – 2005/0211(COD)) (A6-0373/2006)
- den Bericht von Aldis Kušķis im Namen des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit über eine thematische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt (2006/2174(INI)) (A6-0364/2006).
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren. Es freut mich sehr, die gemeinsame Aussprache über die thematische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und den Vorschlag für die Meeresstrategie-Richtlinie eröffnen zu dürfen.
Ich möchte beiden Berichterstattern danken: Frau Lienemann für den Vorschlag für eine Meeresstrategie-Richtlinie und Herrn Kušķis für die thematische Strategie. Bedanken möchte ich mich ferner beim Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit für die von ihm unternommenen Anstrengungen. Darüber hinaus gilt mein Dank dem Fischereiausschuss und insbesondere Herrn Gklavakis für seine überaus konstruktive Herangehensweise an dieses wichtige Thema.
Meere und Ozeane bedecken 71 % der Erdoberfläche und umfassen 90 % der Biosphäre. Europas Meeresgewässer erstrecken sich über ein Gebiet von drei Millionen Quadratkilometern, d. h. einer Fläche von der Größe des europäischen Festlands. Anders gesagt ist die Hälfte des europäischen Kontinents vom Meer bedeckt. Meeresökosysteme spielen für unser Klima und Wetter eine Schlüsselrolle.
Der Zustand der europäischen Meeresumwelt verschlechtert sich jedoch rapide. In einigen Bereichen ist es vielleicht schon zu spät. Nährstoffemissionen wirken sich massiv auf die Meeresumwelt der Ostsee aus. Um Fischpopulationen ist es in ganz Europa schlecht bestellt. Der Nordostatlantik ist eine der meist befahrenen Wasserstraßen der Welt, mit all den damit einhergehenden Risiken und Konsequenzen. Die unkontrollierte Entwicklung der Küstenregion stellt für das Mittelmeer eine ernsthafte Bedrohung dar.
Wenn wir diese Tendenzen umkehren wollen, sind die bestehenden Maßnahmen und Bemühungen – ob auf internationaler, nationaler oder EU-Ebene – allerdings eindeutig unzureichend. Die meisten auf EU-Ebene ausgearbeiteten Schritte zielen nicht auf den Schutz der Meeresumwelt an sich und haben daher nur eine begrenzte Wirkung. Es hat sich gezeigt, dass auf internationaler Ebene verabschiedete Maßnahmen äußerst schwer umzusetzen oder voranzutreiben sind, weil sie keinen verbindlichen Charakter haben.
Eine gesunde Meeresumwelt spielt sowohl für das Leben insgesamt als auch für unsere Lebensqualität eine entscheidende Rolle. Gleichzeitig ist sie eine grundlegende Voraussetzung für die Ausschöpfung des wirtschaftlichen Potenzials der Ozeane und Meere. Eine dynamische Fischereiwirtschaft ist auf gesunde Meeresökosysteme angewiesen. Die Meeresstrategie leistet damit einen beträchtlichen Beitrag zu den Wachstums- und Beschäftigungszielen der Lissabon-Strategie.
Die bereits dargelegten Gründe verdeutlichen, dass der Schutz der Meeresökosysteme kein Nebenprodukt anderer Politiken sein kann und sein darf. Auf EU-Ebene brauchen wir eine integrierte Strategie, in der alle Belastungen und Einflüsse Berücksichtigung finden, der die Meeresumwelt ausgesetzt ist.
Das genau ist das Ziel der thematischen Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt, die aus der vorgeschlagenen Meeresstrategie-Richtlinie und einem Bericht über den gegenwärtigen Zustand der Meere besteht. Im weiteren Sinne beschäftigt sie sich mit den Umweltleistungen und dem ökologischen Verhalten der EU im Bereich der Meeresumwelt und zeigt den Handlungsbedarf der Union auf.
Die Meeresstrategie muss im erweiterten Kontext der neuen Meerespolitik der Europäischen Union betrachtet werden. Entsprechend dem von der Kommission im Juni ausgearbeiteten Grünbuch ist das Ziel der neuen Politik eine dynamische europäische Meereswirtschaft, die im Einklang mit der Meeresumwelt steht. Die Meeresstrategie ist im Umweltbereich einer der Pfeiler der künftigen Meerespolitik. Sie basiert auf spezifischen Aktivitäten zum Schutz von Meeresökosystemen, die nachhaltigen Reichtum, Produktivität und Beschäftigungsmöglichkeiten und damit letztlich den Lebensunterhalt von Menschen aus den Ozeanen und Meeren garantieren.
Ziel der Meeresstrategie ist die Erzielung eines guten ökologischen Zustands in der EU bis zum Jahr 2021 oder anders gesagt: die Wiederherstellung der ökologischen Gesundheit unserer Meere in den kommenden 15 Jahren. Diese Frist fällt mit der ersten Überprüfung der Bewirtschaftungspläne für Einzugsgebiete im Rahmen der Richtlinie zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik zusammen und lässt Raum für Synergien bei der weiteren Umsetzung beider Richtlinien. Die gemeinsame Umsetzung der Rahmenrichtlinie Wasserpolitik der EU und der Meeresstrategie verbindet somit den Schutz der Meeres- und der Süßwasserumwelt.
Die Richtlinie sieht die Einrichtung europäischer Meeresregionen auf der Grundlage von geografischen und ökologischen Kriterien vor und definiert Unterregionen als Bewirtschaftungseinheiten für die Umsetzung.
Auf EU-Ebene werden keine Bewirtschaftungsmaßnahmen beschlossen. In der ersten Phase besteht die Aufgabe der Mitgliedstaaten darin, eine Meeresstrategie für die Meere in ihrer jeweiligen Region zu erarbeiten und praktische Lösungen vorzuschlagen, um Ansätze für die spezifischen Bedürfnisse der Meere zu entwickeln. Die Meeresstrategie sollte an erster Stelle eine Bestandsaufnahme der Meeresumwelt und der Gefahren und Belastungen, der sie ausgesetzt ist, beinhalten, weitere Umweltziele und -indikatoren festlegen und Überwachungsprogramme einrichten. In der zweiten Phase werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen, die der Erzielung eines guten ökologischen Zustands dienen.
Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit Meeresanrainer-Drittstaaten ist von grundlegender Bedeutung. Um diese Zielstellung zu erreichen, müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen von regionalen Meereskonventionen arbeiten. Regionale Konventionen stellen wirkungsvolle Instrumente bei der Umsetzung von Strategien dar, was sich gleichermaßen in ihrer langen Geschichte wissenschaftlicher und technischer Kompetenz als auch in der Tatsache zeigt, dass sie die effiziente Zusammenarbeit auf regionaler Ebene ermöglichen.
Abschließend möchte ich die Bedeutung und Sensibilität von Meeresökosystemen hervorheben. Ein hoher Schutzgrad für die Meeresumwelt ist eine unerlässliche Voraussetzung, um maximalen wirtschaftlichen Nutzen aus den Ozeanen und Meeren zu ziehen. Die Meeresumwelt ist zweifellos das Fundament unserer Meereswirtschaft.
Die Meere sind bedroht. Deshalb muss die EU wirksam und aktiv handeln. Ich hoffe, die vorgeschlagene Strategie trägt zur Erreichung dieses Zieles bei.
VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS Vizepräsident
Marie-Noëlle Lienemann (PSE), Berichterstatterin. – (FR) Herr Kommissar, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst als Berichterstatterin den Schattenberichterstattern der verschiedenen Fraktionen und dem Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit danken, dass sie die gemeinsame Arbeit zur Verbesserung des Kommissionsvorschlags unterstützt haben.
Wie Sie, Herr Kommissar, feststellten, befinden sich die Meere und Ozeane unseres Planeten in einem Besorgnis erregenden Zustand: Ein kritischer Punkt ist erreicht. In einer in der Zeitschrift Science kürzlich erschienenen Untersuchung ist ebenfalls Alarm geschlagen worden, indem auf die Gefahr des Verschwindens der Fischressourcen aus unseren Meeren und Ozeanen hingewiesen wurde.
Die Qualität des Meeresökosystems ist von ausschlaggebender Bedeutung für die globale Umwelt unseres Planeten und spielt insbesondere bei der Klimaregulierung eine bedeutende Rolle. Des Weiteren kommt unseren Meeren eine wesentliche Rolle für das Leben auf dem gesamten Planeten zu. Wie Sie hervorhoben, spielen sie ebenfalls eine wichtige wirtschaftliche Rolle im Bereich der Fischerei, des Verkehrs, des Tourismus, als Rohstoffquelle oder der Aktivitäten auf den sie umgebenden Küstenstreifen. Doch unsere Meere und Ozeane unterliegen einem wachsenden Druck und Besorgnis erregender Verschmutzung.
Wir müssen uns zuallererst die folgende Zahl vor Augen halten: 80 % der Meeresverschmutzung stammen vom Festland, und – wie Sie, Herr Kommissar, feststellten – besteht unbestreitbar ein direkter Zusammenhang zwischen der Wasser-Rahmenrichtlinie und der von Ihnen vorgelegten Richtlinie, die unser Parlament verbessern möchte.
Doch die Verschmutzung vom Festland gelangt nicht nur über das Wasser in die Meere, sondern auch über die Atmosphäre. Jüngere Studien weisen bedeutende Wechselwirkungen zwischen atmosphärischen Bewegungen, Luftverschmutzung sowie den Meeren und Ozeanen nach, so dass auch die Urbanisierung und die menschlichen Tätigkeiten, die weit von den Küsten entfernt stattfinden, direkte Auswirkungen auf die Wassergüte haben können. Verschmutzungen entstehen ebenfalls durch die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung der Meere, wie Transport und Aquakultur. Die durch die Fischerei und die Erdölindustrie erzeugten Abfälle haben seit einigen Jahren in bestimmten Bereichen äußerst hohe und gefährliche Ausmaße erreicht.
Wir leben auch in einer Zeit, in der sich neue Gefahren herausbilden, denen die Richtlinie zuvorkommen muss. Insbesondere nimmt die Zahl der Projekte zur Meerwasserentsalzung ständig zu. Es muss gesichert werden, dass diese Tätigkeiten in der Zukunft nicht die Wassergüte beeinträchtigen. Es finden große internationale Debatten über die Lagerung von Kohlendioxid statt. Es ist somit ersichtlich, dass die Gefahren wirklich real sind.
Mit der Richtlinie soll versucht werden, eine Struktur zu schaffen, dank derer wir endlich über eine Strategie verfügen werden, die über die internationalen Übereinkommen hinausgeht, deren Ergebnisse bisher in den meisten Fällen nicht den Erwartungen entsprachen.
Unsere Richtlinie zielt erstens auf die Wiederherstellung eines guten Umweltzustandes der Meere ab. Das Parlament möchte, Herr Kommissar, dass die Ergebnisverpflichtung viel stärker formuliert wird, als dies in der gegenwärtigen Textfassung der Fall ist.
Zweitens wünscht unser Parlament, dass der gute Umweltzustand der Meere und Ozeane deutlich präziser definiert wird, damit er nicht nur ein frommer Wunsch bleibt und wir dem möglichst nahe kommen, was für die Wiederherstellung des Lebens und das Gleichgewicht des Ökosystems getan werden kann.
Drittens möchte unser Parlament, dass die Termine kürzer gefasst werden und auf jeden Fall ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Terminen, dem Anforderungsniveau an den guten Umweltzustand und der Ergebnisverpflichtung erreicht wird.
Des Weiteren befürworten wir die Einrichtung von geschützten Meereszonen, denn die Erfahrungen der USA und Neuseelands haben gezeigt, dass diese Schutzzonen, die in einigen Fällen wirkliche Meeresreservate sind, es ermöglicht haben, dass sich die Fischbestände erholen.
Wir wünschen weiterhin, dass der territoriale Zusammenhalt durch eine gute Arbeit auf der Ebene der Meeresregionen und -unterregionen verstärkt wird, ohne dass jedoch Abstriche von der Verantwortung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die in den Bewirtschaftungsplänen und den Maßnahmeplänen zur Wiederherstellung des guten Umweltzustandes festgelegten Ziele gemacht werden.
Wir dringen darauf, das Schwarze Meer in das Dokument aufzunehmen. Wir möchten auf den alarmierenden Zustand der Arktis hinweisen: Wir müssen auch an die Zukunft dieser Region der Welt denken, mit der wir unmittelbar verbunden sind und deren Entwicklung beträchtliche Auswirkungen auf die Zukunft unseres Planeten hat, die dadurch gefährdet werden kann. Wir möchten, dass für die Regionen der Union in äußerster Randlage, die noch nicht in dem Dokument stehen, zumindest schrittweise eine angemessene Strategie eingeführt wird.
Abschließend möchte ich auf die demokratischen Aspekte eingehen. Wir stellen täglich fest, ob es sich um die Fischerei oder den Verkehr handelt, dass die Nutzer des Meeres, die Ökologen, die Wissenschaftler die Notwendigkeit verspüren, sich über ihre Standpunkte auszutauschen, damit die anstehenden Entscheidungen auf der Grundlage einer gemeinsamen Diagnose und einer rationalen Analyse der Probleme getroffen werden. Dies ist zumindest der Geist der Änderungsanträge, die wir eingereicht haben.
Aldis Kušķis (PPE-DE), Berichterstatter. – (LV) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte diese Gelegenheit ergreifen und Ihnen allen für Ihre bisherige Zusammenarbeit sowie für die wertvollen Vorschläge danken, die Sie unterbreitet haben, damit wir die Kommissionsvorlage über eine thematische Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt gemeinsam verbessern können. Ich hoffe sehr, dass dieser Bericht wirkliche Veränderungen befördern wird, die die ökologische Meeresumwelt erhalten und schützen. Zu meiner Freude berührt der Bericht auch ein so sensibles Thema wie die Probleme der Meeresumwelt im Ostseeraum. In der Ostsee, die auch als Europas Binnenmeer bekannt ist, kommt es vor allem darauf an, das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten, indem dessen weitere Gefährdung verhindert und indem dem speziellen geringen Wasseraustausch Rechnung getragen wird. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass das Europäische Parlament bei der Gaspipeline, die eine Gefahr für die Ostseeumwelt darstellt, auch eine gewissenhafte Umweltverträglichkeitsprüfung vornehmen und sich an der Überwachung während der Planungs- und Bauphase beteiligen sollte. Meiner Auffassung nach müssen die Menschen in Europa, und besonders in den Anrainerstaaten, positive Veränderungen selbst wahrnehmen können: dass sich nach der Verabschiedung dieser und ähnlicher Rechtsvorschriften die Wasserqualität und Reinheit verbessern, dass in den Meeren eine Sanierung der biologischen Vielfalt erfolgt und dass schließlich die Verwaltung und Erschließung der Meeresregionen durchdacht, ausgewogen und nachhaltig sind. Ich möchte unterstreichen, dass dieser Bericht das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und Vertretern dieses Sektors ist, mit denen bereits vor Ablauf der Frist für die Einreichung von Vorschlägen weit reichende Diskussionen geführt wurden, und dass viele ihrer Gedanken in den Bericht eingeflossen sind. Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich die Europäische Kommission und auch uns dazu auffordern, nicht so viele Reden zu schwingen und stattdessen mehr zu arbeiten und konkrete Ergebnisse zu erzielen, damit wir alle ohne Angst an unseren Meeren leben können.
(EN) Von jetzt an werde ich englisch sprechen und auch im Namen meiner Kollegin Eija-Riitta Korhola, die bei dieser Aussprache nicht zugegen sein kann, einige Anmerkungen und Ausführungen machen.
Die thematische Strategie wird im Rahmen des sechsten Umweltaktionsprogramms beschlossen. Dies ist auch unbedingt erforderlich. Wie der Kommissar richtig zum Ausdruck brachte, benötigen wir schon seit längerer Zeit eine wirkungsvolle und integrierte EU-Politik zur Meeresumwelt. Die Meeresstrategie-Richtlinie der EU wird sich als wichtiges neues Instrument zur Zusammenführung der vorhandenen Konzepte erweisen. Mit dem vorhandenen Instrumentarium – Rechtsvorschriften, Programmen, Aktionsplänen und verschiedenen internationalen Übereinkommen – ist schon Beachtliches erreicht worden, aber dennoch verschlechtert sich der Zustand der Meeresumwelt in bedenklichem Tempo. Wir brauchen mehr gemeinsame und übergreifende Konzepte.
Wir stehen vor großen Herausforderungen, auch mit Blick auf die Rolle der Drittstaaten, die einige Fragen aufwirft. Wie verfahren wir, wenn Drittstaaten die größten Umweltsünder sind, die Probleme aber als Sache der Europäischen Union abtun? Wie sorgen wir dafür, dass die von den Mitgliedstaaten unternommenen Anstrengungen gute Ergebnisse zeitigen, wenn Drittstaaten aus dem einen oder anderen Grund nicht mitmachen? Wir haben versucht, diese Fragen im Ausschuss zu klären, doch wird sich erst später zeigen, wie die Dinge in der Praxis laufen.
Die Berichterstatterin, Frau Lienemann, hat unter dem deutlichen Einfluss von NRO ausgezeichnete Arbeit geleistet und ehrgeizige ökologische Ziele abgesteckt. Sie hat einige weit reichende Änderungen vorgenommen und in den Bericht Überlegungen einfließen lassen, die von den interessierten Kreisen allenthalben gefordert wurden. Im Allgemeinen ist die Richtlinie durch die Berichterstatterin schlagkräftiger, konkreter, ehrgeiziger und wirksamer geworden. Es wurden die dringend benötigten Leitlinien und Kriterien eingefügt und die Fristen verkürzt.
Auf diesem Ansatz aufbauend haben wir nun die reale Möglichkeit, die Meerespolitik wie geplant mit einem echten ökologischen Pfeiler zu versehen. Hier einige Kernpunkte aus dem Berichtsentwurf: Die Frist für die Erreichung eines guten Umweltzustands wurde von 2021 auf 2017 vorverlegt. Die von den Mitgliedstaaten zur Verwirklichung dieses Ziels zu ergreifenden Maßnahmen werden grob umrissen, und es wird eine ausführliche Liste der einzuhaltenden Kriterien beigefügt.
Die europäischen Meeresgewässer werden nicht eindeutig definiert. Das Schwarze Meer ist in der Richtlinie als Meeresregion hinzugekommen. Die Zeitpläne für die Vorbereitung wurden ebenso wie die Maßnahmenprogramme gestrafft. Es finden jetzt auch geschützte Meeresgebiete Berücksichtigung, was vorher nicht der Fall war. Größere Aufmerksamkeit erhält die Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten der gleichen Meeresregion bei der Überwachung von Programmen usw. Bei der Erweiterung der Aufgaben und der Festlegung der zu beteiligenden Akteure wird stärkeres Gewicht auf die Drittstaaten gelegt.
Alles in allem verdeutlicht dieser Bericht den Standpunkt des Europäischen Parlaments, dass wir wirksame Maßnahmen brauchen, um dieses wichtige Problem anzugehen.
Ioannis Gklavakis (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Fischereiausschusses. – (EL) Herr Präsident! Das Hauptziel der vorgeschlagenen Richtlinie besteht darin, einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erreichen.
Diese Strategie ist heute dringender notwendig denn je, hat sich doch das Meeresökosystem erheblich verschlechtert. Doch damit diese Strategie effektiv sein kann, müssen wir zwei oder drei Dinge beachten.
Erstens, wir haben in meinem Land eine Redensart: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Das Budget für diese Maßnahmen ist sehr, sehr gering. Allein an Verwaltungskosten sind für die ersten zwei Jahre 90 Millionen Euro jährlich und danach 70 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen. Ich halte diese Summe für unzureichend. Die Rettung unserer Meere ist so eine ernste Sache, dass wir mehr Geld dafür ausgeben sollten.
Zweitens, wir brauchen abgestimmte Maßnahmen. Zuallererst müssen wir die Fischer bei diesem Vorhaben zu unseren Partnern machen. Wir müssen zu einem Einvernehmen mit ihnen kommen und sie überzeugen, dass sie in erster Linie die Umwelt schützen müssen, doch damit ist es nicht getan; wir alle, die wir mit Verkehr, Tourismus, Industrie, Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft und vor allem mit Fischerei zu tun haben, müssen uns an einen Tisch setzen, damit wir uns abstimmen und weiterkommen können.
Der dritte Punkt, den ich anführen möchte, wurde bereits von den Kommissaren Borg und Dimas angesprochen, und zwar, dass wir konkrete gemeinsame Indikatoren vereinbaren müssen, um messen zu können, in welchem Zustand sich die Meeresumwelt derzeit befindet, damit wir – und das ist sehr wichtig –, wenn wir von einem guten Zustand der Meeresumwelt sprechen, auch dasselbe meinen. Mit anderen Worten, wir müssen uns auf gemeinsame Messindikatoren einigen.
Abschließend möchte ich noch sagen und betonen, dass die Richtlinie zur Meeresstrategie der Fischerei die ihr gebührende Bedeutung einräumen und das Herzstück der Arbeit bilden muss.
Ville Itälä, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Zunächst möchte ich der Berichterstatterin für ihre Arbeit danken, und gleichzeitig danke ich auch der Kommission, die sich dieses wichtigen Projekts angenommen hat. Der Kommissar für Fischerei und Maritime Angelegenheiten, Herr Borg, selbst hat nämlich im Juli in meiner Heimatstadt Turku eine Konferenz zur Schiffssicherheit organisiert, bei der diese wichtigen Themen beraten wurden. Das ist genau die Art von guter Arbeit, die wir in der EU gemeinsam leisten sollten.
Ich möchte insbesondere auf die Ostsee eingehen, weil die Ostsee zwar ein wichtiges EU-Meer, derzeit aber eher ein Fleck auf der Landkarte ist. Die Ostsee ist ernsthaft krank. Lassen Sie mich ein Beispiel dafür geben: Letzten Sommer haben, begünstigt durch das warme Wetter, Blaualgen das gesamte Meer befallen. Es ist den eigenen kleinen Kindern, die gern baden möchten, schwer zu erklären, dass sie nicht ins Wasser gehen können, weil es nicht nur schmutzig, sondern sogar giftig ist. Es gibt im Meer giftige Algen, und das kann bei Kindern verschiedene Krankheiten hervorrufen, wenn sie bei warmem Wetter im Meer baden und schwimmen.
Jetzt werden die Kommission und wir alle gedrängt, schnelle und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen und die notwendigen Ressourcen zur Rettung der Ostsee bereitzustellen. Das bedeutet selbstverständlich, dass viele Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ein ausgezeichnetes Projekt, das bereits läuft, ist die Finanzierung der Sankt Petersburger Abwasseranlage. Das ist eines der wichtigsten Beispiele. Wir brauchen auch den Dialog mit Russland, zum Beispiel im Bereich der Sicherheitsvorschriften für die Schifffahrt. Ohne eine enge Zusammenarbeit mit Russland werden wir nicht zum Erfolg kommen. Die Rettung der Ostsee ist nicht mehr nur eine Umweltangelegenheit, sie ist vor allem eine politische.
Riitta Myller, im Namen der PSE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Europas Meeresgebiete in einer Krise stecken, und es ist dringend notwendig, etwas zum Schutz der Meere zu unternehmen. Beispielsweise drohen die Fischbestände innerhalb der kommenden 50 Jahre vollständig zusammenzubrechen. Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zu Maßnahmen im Bereich der Meeresumwelt und eine Meeresstrategie ist ein Weg hin zu einem integrierten europaweiten Ansatz zur Erhaltung der Meeresökosysteme. Obwohl sich alle unsere Meere in einem schlechten Zustand befinden, ist es nur vernünftig, die Frage ihres Schutzes unter regionalen Gesichtspunkten zu überprüfen. Die Meeresgebiete unterscheiden sich in ihren Eigenschaften, und zumindest einige der Probleme sind im Wesentlichen lokaler Natur. Ihnen allen ist jedoch gemein, dass sie alle innerhalb eines bestimmten Zeitraums wieder einen guten Umweltzustand erreichen könnten. Dies wird hoffentlich bis spätestens 2021 der Fall sein.
Die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament unterstützt das Konzept der Berichterstatterin zu definieren, was wir unter einem guten Umweltzustand im Bereich der Meeresumwelt verstehen. Um einen definitionsgemäßen guten Zustand zu erreichen, müssen wir ausreichend strenge Umweltschutzziele festlegen, um eine Verschlechterung zu verhindern und um Maßnahmen für eine Erholung der Meere und ihre Rückführung auf ein nachhaltiges Niveau zu ermöglichen. Diese Maßnahmen können ziemlich rigoros sein, aber ich hoffe, dass die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten sie in der Abstimmung unterstützt. Es ist wichtig, dass die Maßnahmen tatsächlich bindend und keine bloßen Empfehlungen sind.
Beim Schutz der Meere geht es um Kooperation, nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten der EU, sondern auch mit Drittländern, die Verbindungen zu Meeresregionen haben. Ein wirksamer Schutz der Ostseeregion kann beispielsweise ohne das Engagement Russlands zur Zusammenarbeit nicht erfolgreich sein. Es gibt jetzt seit Jahren die Zusammenarbeit in der Helsinki-Kommission (HELCOM). HELCOM arbeitet derzeit an einem Ostsee-Aktionsplan. Damit in der Ostseeregion möglichst zügig praktische Maßnahmen ergriffen werden können, sollten die in der Strategie geforderten Schutzmaßnahmen bereits im Rahmen des HELCOM-Aktionsplans auf den Weg gebracht werden. Ich möchte beiden Berichterstattern dafür danken, dass sie diese Vorgehensweise sowohl bei der Strategie als auch bei der Richtlinie vertreten haben.
Chris Davies, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Eine Meeresstrategie zu verfolgen, bei der nicht der Fisch im Mittelpunkt steht, ist etwa so, als würde man ein Goldfischbassin mit sauberem Wasser füllen, nachdem die Katze den Goldfisch gefressen hat.
Dessen ungeachtet finden die dieser Strategie zugrunde liegenden Prinzipien und die Rechtsetzungsinitiative in diesem Hause breite Unterstützung, was angesichts des katastrophalen Bildes, das die Kommission vom Zustand unserer Meere gezeichnet hat, kaum verwunderlich ist. Wir müssen Schutzmaßnahmen ergreifen, die gerichtlich durchsetzbar sind, damit die Mitgliedstaaten sie auch anwenden.
Der Kommissar nahm kein Blatt vor den Mund, was wir begrüßen, doch machten die ursprünglich dem Parlament unterbreiteten Vorschläge einige Schwächen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kommission selbst deutlich. Besonders erfreulich ist aus unserer Sicht, dass der Gedanke des guten Umweltzustands wieder in die Vorschläge aufgenommen und mit einer klaren Definition unterlegt wurde. Auch sind wir uns in der Frage der Befugnisse zur Schaffung von geschützten Meeresgebieten einig. Warum aber stand davon nichts im ursprünglichen Text der Kommission? Als der Vorschlag aus der GD Umwelt kam, waren diese Punkte noch im Text enthalten, doch bei den Beratungen im Kollegium wurden einige dieser wichtigen Fragen herausgenommen. Es ist an der Zeit, dass die Kommission ihren schönen Worten zur Nachhaltigkeit Taten folgen lässt und die verschiedenen Kommissare an einem Strang ziehen.
Dem Vernehmen nach herrschen im Rat unterschiedliche Auffassungen. Sei’s drum! Die Botschaft des Parlaments an die Kommission und den Rat sollte jedenfalls lauten, dass es eine parteienübergreifende Zustimmung zur Verbesserung und Stärkung der vorgeschlagenen Maßnahmen gibt. Die Kommission hat recht daran getan, diese Maßnahmen auszuarbeiten, doch jetzt müssen wir dafür sorgen, dass gute Vorsätze zu praktischem Handeln führen.
Carl Schlyter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Ich möchte den Berichterstattern für ihre hervorragende Arbeit und ihre ausgezeichneten Berichte danken. Sie verbessern den Vorschlag der Kommission, indem sie einen guten Zustand bereits für 2017 anstatt für 2021 fordern. Darüber hinaus werden die Ziele verbindlich und es wird die Bedeutung von Meeresreservaten betont.
Klimawandel, Müll, nicht nachhaltige Fischerei, Lärm, Überdüngung und Rohstoffgewinnung stellen eine Bedrohung unserer Meere dar. Wenn die massive Zerstörung und die Naturkatastrophen auf dem Meeresgrund sichtbar auf dem Lande stattfänden, würde die Diskussion über den Schutz der Meeresumwelt unseren Alltag bestimmen. Zahlreiche Fisch-, Vogel- und Säugetierarten sind vom Aussterben bedroht. Die Meeresstrategie kann tatsächlich ein kleiner Schritt bei dem Versuch sein, diese Probleme zu lösen, allerdings nur, wenn sie so ehrgeizig wird, wie vom Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit vorgeschlagen.
Die Mitgliedstaaten müssen ihrer Verantwortung im Hinblick auf die Einrichtung von wesentlich mehr Meeresreservaten gerecht werden. Nationalparks gibt es in allen Ländern, während Meeresreservate dort mit Abwesenheit glänzen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Es gibt überwältigende statistische Beweise dafür, dass Meeresreservate für einen Schutz sorgen, der sowohl die Fischpopulation als auch die biologische Vielfalt in der unmittelbaren Umgebung der Reservate verbessert. Wenn eine Fischart geschützt wird und sich dadurch stärker vermehren kann, breiten sich die älteren Fische weiter aus, was zu besseren Fängen führt. Die Ostsee ist ein besonders sensibles Brackwassermeer. Daher müssen die Ostseeanliegerstaaten stets das Recht haben, strengere Schutzmaßnahmen zu erlassen, wenn sie diese für notwendig halten, ohne dass sie deshalb ständig von Gerichtsprozessen bedroht sind, weil der Binnenmarkt höhere Priorität genießt als der Schutz unserer Meeresumwelt.
Ich möchte betonen, wie wichtig es ist, dass der Ausschuss fordert, keinen Akteuren im Agrarbereich, die große Nährstoffmengen in die Meere einleiten, eine Unterstützung zu gewähren. Meine Änderungsanträge 81 und 82 zielen auf eine verantwortungsvolle Regelung der Emissionen von Mülldeponien ab. In diesem Punkt ist der ursprüngliche Vorschlag zu schwach. Ich lehne Änderungsantrag 90 ab, mit dem der Bezug zu radioaktiven Stoffen entfernt werden soll, denn dies würde dem ursprünglichen Ziel von 2002 zuwiderlaufen. Schließlich muss die Forderung der Meeresstrategie nach Nutzung der natürlichen Ressourcen des Meeres angepasst und verändert werden, um in den Rahmen der Meeresstrategie zu passen.
Adamos Adamou, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte Frau Lienemann zu der hervorragenden Arbeit gratulieren, die sie mit dem Bericht geleistet hat, und betonen, dass es ihr sehr erfolgreich gelungen ist, die Auffassungen aller Abgeordneten und der Nichtregierungsorganisationen in ihren Bericht einzubeziehen, wodurch sie das ursprüngliche Kommissionsdokument erheblich verbessert hat.
Die Meeresumwelt, die eine elementare und wertvolle Lebensquelle darstellt, ist tagtäglich bedroht. Meeresverschmutzung, Klimawandel, Schifffahrt und die Entwicklung an den Küsten bedrohen die Meeresumwelt nach wie vor und wirken sich negativ auf die menschliche Gesundheit aus.
Die vorliegende Richtlinie, die die Lücken in der Umweltpolitik schließen soll, ist ein bedeutender Schritt in Richtung einer Verbesserung der Gesundheit und Regeneration der Meere.
Es liegt nun an uns, Änderungsanträge zu unterstützen, in denen die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erreichen, in denen die Bedrohungen für die Meeresumwelt anerkannt werden und die darauf abzielen, den Zeitrahmen für die Umsetzung der Richtlinie möglichst kurz zu halten. Ich meine die Änderungsanträge 24, 27, 73 und 78, für die ich dringend um Ihre Unterstützung bitte.
Außerdem müssen, wie in den Änderungsanträgen 23, 49, 45, 51 und 60 gefordert, die Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf dem Vorsorgeprinzip und auf einem ökosystembasierten Ansatz beruhen und zugleich die exakten Bewertungen berücksichtigt werden, die auf der Grundlage der europäischen Rechtsvorschriften durchgeführt werden.
Schließlich bitte ich Sie, die Änderungsanträge 81 und 82 zu unterstützen, die unbeschadet der Bestimmungen über Kohlendioxid die systematische bzw. absichtliche Einleitung jeglicher Flüssigkeiten, Gase oder fester Stoffe in die Gewässer bzw. in das Meeresbett verbieten, wenn nicht eine Genehmigung im Einklang mit dem internationalen Recht erteilt und eine vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß der Richtlinie durchgeführt wurde.
Sebastiano (Nello) Musumeci, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es könnte keinen treffenderen Zeitpunkt für die beiden zur Debatte stehenden Berichte geben, wird doch gegenwärtig über den berüchtigten Bau der Gaspipeline in der Ostsee diskutiert, ein Projekt, das mangels einer seriösen Umweltverträglichkeitsprüfung die Gefahr einer Umweltkatastrophe in einem Meer mit einem ohnehin Besorgnis erregenden Verschmutzungsniveau mit sich bringt. Aber nicht nur das: Auch die nördlichen und südlichen Ufer des Mittelmeers, dessen Fischbestände immer mehr zurückgehen, sind in einigen Gebieten hochgradig verschmutzt, was unter anderem auf die Förderung, vor allem aber die Raffination von Erdöl zurückzuführen ist. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf das Industriedreieck von Syrakus auf Sizilien, wo sich das größte petrochemische Industriezentrum Europas befindet.
In diesem Industriegebiet tritt nun, neben der extrem hohen Luftverschmutzung, die das entsetzliche Problem der Missbildungen von Neugeborenen und der unvertretbar hohen Sterblichkeitsrate aufgrund von Tumoren – die sogar 57 % über dem italienischen Durchschnitt liegt – mit sich bringt, das Problem der Meeresverschmutzung zutage. Die Folgen sind offenkundig: Die ohnehin minderwertigen Fischereiressourcen werden extrem dezimiert; die Fischer, die zumeist Kleinunternehmer sind, müssen oft meilenweit fahren, um fischreichere Gewässer zu finden, oder sind gezwungen, ihre traditionelle Tätigkeit aufzugeben. Als wäre das noch nicht genug, ist der Bau einer Regasifizierungsanlage in eben diesem Industriegebiet geplant, ein Vorhaben, vor dem ich mehrmals in diesem Hohen Haus ernsthaft gewarnt habe.
Deshalb, Herr Präsident, begrüßen wir den Vorschlag für die Meeresstrategie-Richtlinie und die entsprechenden Änderungsanträge, durch die er unseres Erachtens verbessert wird. Insbesondere hoffe ich, dass die Fristen für die Erreichung der Ziele des guten Umweltzustands verkürzt werden. Es gilt, die schweren Versäumnisse Europas in diesem Bereich wieder aufzuholen, und bekanntlich stimmen die Zeiten, die die Politik benötigt, nicht immer mit den Erfordernissen der Natur überein. Seit heute Abend können wir mit Fug und Recht etwas optimistischer sein.
Urszula Krupa, in Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Meeresumwelt ist schon seit langem den verschiedensten Gefährdungen ausgesetzt, und deshalb ist eine weitreichende Meeresstrategie notwendig. Die Territorialgewässer der Europäischen Union haben eine größere Ausdehnung als ihr gesamtes Territorium. Es gibt 1200 Häfen, und 90 % der Außenhandelsgüter werden auf dem Seeweg befördert. Wir halten es für überaus wichtig, darauf hinzuweisen, dass zwischen einer gemeinsamen Fischereipolitik und der vorgeschlagenen Strategie für die Meeresumwelt ein wechselseitiger Zusammenhang besteht. Es ist logisch und angebracht, einem risikobehafteten Schiff, das mit einer Geldbuße belegt wurde, zu gestatten, dass es den nächstgelegenen Liegeplatz und dann die nächstgelegene Werft anläuft, vorausgesetzt, es stellt keine Gefahr für die Gesundheit oder die Umwelt dar.
Aufmerksamkeit verdient auch der Vorschlag, die Arktis zu einem Schutzgebiet zu erklären, das dem Frieden und der Wissenschaft dient.
John Purvis (PPE-DE). – (EN) Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, in diesem Parlament Schottland zu vertreten, wo sich große Teile der Öl- und Gasvorräte der EU befinden. Allem Anschein nach sind wir entschlossen, die Möglichkeiten unserer eigenen Energieressourcen voll auszuschöpfen. Dies ist unter wirtschaftlichen und logistischen Gesichtspunkten sinnvoll, aber auch im Hinblick auf die Versorgungssicherheit. Hinzu kommt, dass die Gewinnung von Kohlenwasserstoffen in der Nordsee umweltrechtlich und ökologisch bereits gut geregelt ist. Nun wird aber der Nutzung dieser Ressourcen durch bestimmte Änderungsanträge, die vom Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit angenommen wurden, faktisch ein Riegel vorgeschoben. Dies ist einfach widersinnig. Wenn ich mich nicht irre, werden diese Änderungen sogar dazu führen, dass die Pläne für einen großen Offshore-Windpark im Murray Firth erst einmal auf Eis gelegt werden. Die Gelder für die Projektforschung kamen größtenteils aus der Europäischen Union.
Wollen wir uns wirklich lächerlich machen? Wollen wir unsere wenigen eigenen Energiequellen lahm legen und in noch stärkere Abhängigkeit von ein oder zwei externen Lieferanten geraten, die den Markt beherrschen und häufig die Bedingungen diktieren? Die Ökologie der Nordsee muss ganzheitlich unter Berücksichtigung der dortigen Verhältnisse gesehen werden. Die Nordsee ist nicht das Mittelmeer.
Ich appelliere an den Berichterstatter und andere einsichtige Fraktionen, die Änderungsanträge der PPE-DE zu unterstützen, durch die dieser Vorschlag zwar ehrgeizig, zugleich aber vernünftig und praktisch ausfallen wird.
Åsa Westlund (PSE). – (SV) Herr Präsident! Ich möchte den Kollegen Lienemann und Kušķis danken, die meines Erachtens eine hervorragende Arbeit zu diesen Richtlinien geleistet haben.
Ich selbst lebe an der Ostsee und habe daher leider aus direkter Nähe sehen können, was es für einzelne Menschen, aber auch für die Beschäftigung und das Wachstum bedeutet, wenn das Ökosystem aus dem Gleichgewicht ist. Ich weiß auch, dass die Menschen von uns in diesem Parlament ein kraftvolles Engagement erwarten sowie Maßnahmen gegen die Probleme, die sie jeden Tag erleben. Darum hoffe ich, dass das Parlament morgen nicht auf meine Vorredner hört, sondern die vom Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit mitgetragenen Änderungen umfassend unterstützt.
Erstens sollte es einen erheblich beschleunigten Prozess unterstützen, durch den die Maßnahmen früher in Kraft treten, sowie einen wesentlich ehrgeizigeren Zeitplan für einen guten ökologischen Zustand unserer Meere als den von der Kommission vorgeschlagenen. Zweitens sollte das Parlament deutlicher definierte Ziele unterstützen, die, wie Frau Lienemann sehr richtig erklärt hat, eine Garantie dafür sind, dass wir wirklich etwas erreichen und nicht letztendlich leeres Gerede dabei herauskommt. Drittens sollte das Meer, das vielleicht im schlechtesten Zustand ist, die Ostsee, zu einem Pilotgebiet für diese Strategie gemacht werden, in dem Maßnahmen besonders früh angesetzt werden und sich vorwiegend auf das Helsinki-Übereinkommen stützen. Das muss zur Rettung der Ostsee unternommen werden.
Henrik Lax (ALDE). – (SV) Herr Präsident! Vor zwei Wochen hat Nicholas Stern, ein früherer Mitarbeiter der Weltbank, im Namen der britischen Regierung einen schockierenden Bericht über die Folgen des Klimawandels veröffentlicht. Das war eine deutliche Botschaft. Wir dürfen die Natur nicht länger als etwas ohne Wert betrachten, denn anderenfalls kann es zu unberechenbaren Folgen kommen. Das Gleiche gilt auch für den Zustand des Meeres.
Wir von der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa haben im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit zahlreiche Änderungsanträge eingebracht. Diese zielen alle darauf ab, die Ambitionen zu erhöhen, strengere Zeitpläne einzuführen, die Zusammenarbeit mit Drittländern, z. B. Russland, zu stärken und Lücken in der Gesetzgebung zu schließen. Eine ernsthafte Lücke sind beispielsweise die internationalen Seegebiete, die 12 Seemeilen vor der Küste beginnen. In der sensiblen Ostsee leiten vor allem Frachtschiffe, aber auch Passagierfahrzeuge, ihre Toilettenabfälle auch weiterhin direkt in das Meer ein. Das können sie in internationalen Gewässern ganz legal tun. Draußen in der Ostsee, lassen 1800 Schiffe alle möglichen Dinge ab. Das ist völlig unfassbar! Wir freuen uns, dass der Berichterstatter und die Schattenberichterstatter, mit denen wir gearbeitet haben, unseren Änderungsantrag zur Schließung dieser Gesetzeslücke mit einbeziehen. Er muss rasch umgesetzt werden, ohne dass der Beschluss jahrelang in der Entscheidungsfindungsmaschinerie der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation festsitzt.
Wir brauchen hohe Ambitionen. Die EU muss Russland bei seinen Anstrengungen zur Reinigung der Abwässer von St. Petersburg unterstützen. Das wird teuer, aber nichts zu tun wird noch teurer. Bei Ölbohrungen und Gasleitungen dürfen wirtschaftliche Überlegungen keinen Vorrang gegenüber den damit verbundenen Umweltrisiken haben. Außerdem müssen auch die schädlichen Auswirkungen des Verkehrs verringert werden.
Meiner Ansicht nach wollen die Bürgerinnen und Bürger in diesen Schicksalsfragen der Menschheit eine wirklich tatkräftige EU sehen. Nur so können wir das Vertrauen in die Union stärken. Das Ziel muss es sein, die Meere Europas zu schützen und wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass menschliche Aktivitäten auf nachhaltige Weise betrieben werden.
Ian Hudghton (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Die Europäische Union verfügt über 68 000 km Küstenlinie, Schottland allein über 11 000 km. Nahezu 50 % der EU-Bevölkerung leben nicht mehr als 50 km vom Meer entfernt, 70 % der Schotten höchstens 10 km. Es liegt also im langfristigen Interesse Schottlands, die Meeresumwelt zu schützen und die Reichtümer des Meeres auf Dauer zu erhalten.
Schottland besitzt Öl- und Gasvorräte für mindestens 30 Jahre. Ich werde verschiedene Änderungsanträge befürworten, die sicherstellen sollen, dass die Öl- und Gasgewinnung zum Nutzen der schottischen Volkswirtschaft und der EU-Wirtschaft weitergehen kann.
Ich kann den Änderungsvorschlag im vorliegenden Entwurf des Berichts Lienemann nicht unterstützen, weil damit die Meeresstrategie mit den „Grundlagen der gemeinsamen Fischereipolitik“ verknüpft werden soll. Die GFP ist kläglich gescheitert, und es wäre ein Unding, eine neue Meeresstrategie mit Grundsätzen zu verknüpfen, die sich als untauglich erwiesen haben.
Der Gedanke, dass die Mitgliedstaaten selbst bestimmen, was in den Gewässern, die ihrer Kontrolle unterliegen, unter einem guten Umweltzustand zu verstehen ist, und dass sie in einzelnen Meeresregionen mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten, ist sehr sinnvoll. Die Bewirtschaftung der Fischbestände sollte nach diesem sinnvollen Ansatz erfolgen, und den Mitgliedstaaten sollte die Zuständigkeit zurückgegeben werden, damit beispielsweise jene Anrainerstaaten der Nordsee miteinander kooperieren, die den größten Nutzen aus der Förderung von Schutzmaßnahmen ziehen können, und einen Anreiz schaffen, um eine Meeresstrategie zum Erfolg zu führen.
Georgios Toussas (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Regelungen zum Schutz der Meeresumwelt sind nur bruchstückhaft durch verschiedene sektorbezogene Politiken der Europäischen Union abgedeckt, was allerdings zur Folge hat, dass es ein Sammelsurium an Maßnahmen, Rechtsakten, Programmen und Aktionsplänen gibt, aber keine übergreifende integrierte Politik zum Schutz der Meeresumwelt.
In den beiden kombinierten legislativen Regelungen zur thematischen Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt und zur Meeresstrategie-Richtlinie wird das Ziel verfolgt, bis 2021 in der Europäischen Union einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erreichen. Wenn wir uns aber erstens den eher allgemein gehaltenen Charakter der beiden Regelungen vor Augen halten und uns zweitens die Säulen anschauen, auf denen sie ruhen, dann ist sicher, dass 2021 nicht nur kein guter Zustand der Meeresumwelt, sondern auch kaum eine Verbesserung gegenüber dem derzeitigen schlechten Zustand erreicht werden wird. Das wird in der Begründung zum Richtlinienvorschlag direkt bestätigt, wo darauf hingewiesen wird, dass sich die Meeresumwelt in den letzten Jahrzehnten unter dem Strich erheblich verschlechtert hat.
Die wissenschaftlich fundierten Daten der Organisation der Vereinten Nationen zu den Ursachen für die Verschlechterung und Verschmutzung der Meeresumwelt sind unbestreitbar: Es sind die Industriebetriebe an den Küsten und die Schifffahrt sowie die gar nicht oder kaum vorhandenen Infrastrukturen zur Lagerung und Verarbeitung von Abfällen.
Vor allem aber sind die Säulen, auf die sich sowohl die thematische Strategie als auch der Vorschlag für eine Richtlinie stützen, die Gemeinsame Fischereipolitik und das Grünbuch über die Schifffahrtpolitik der Europäischen Union, alles natürlich im Rahmen des 6. Umweltaktionsprogramms für den Zeitraum 2002-2012, das wir scharf verurteilt haben.
Unserer Ansicht nach handelt es sich hier im Grunde um zahlreiche dürftige Vorschläge auf der gleichen Wellenlänge wie der Kommissionsvorschlag, dessen waghalsigstes und ehrgeizigstes Ziel darin besteht, die Frist von 2021 auf 2017 vorzuverlegen.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Cristina Gutiérrez-Cortines (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Ich möchte Frau Lienemann herzlich beglückwünschen, und ich tue das keinesfalls oberflächlich oder weil das Protokoll es so erfordert. Meiner Ansicht nach hat diese Richtlinie etwas Wichtiges erreicht. Dank ihrer umfangreichen Erfahrung ist Frau Lienemann eine hervorragende Kennerin der Philosophie und der Formeln der europäischen Gesetzgebung und hat eine knappe, kurze Richtlinie geschaffen. Trotz der großen Zahl von Änderungsanträgen ist sie nicht überladen, und ihre eigenen Änderungsanträge enthalten sachbezogene und für eine Rahmenrichtlinie typische Gedanken. Ich weiß, dass sie mit Experten zusammengearbeitet hat und für viele Vorschläge offen war; einige davon wurden aufgenommen, ohne dass Änderungsanträge gestellt werden mussten.
Für mich ist es eine außerordentliche und wundervolle Sache, dass Europa endlich über das Meer diskutiert. Die Zeit dafür ist gekommen. Ich möchte jedoch auch bemerken, dass diese Richtlinie der Beginn einer nachfolgenden gesetzgeberischen Entwicklung sein muss, denn gerade weil es um eine Rahmenrichtlinie geht, gibt es noch viele Aspekte, die künftig weiterentwickelt werden müssen, und darüber möchte ich sprechen.
Zum Beispiel werden in Änderungsantrag 27, der praktisch mit dem von meiner Fraktion eingebrachten Änderungsantrag 86 identisch ist, verschiedene Aspekte vorgeschlagen, an denen weiter gearbeitet werden muss: Da sind unter anderen Tätigkeiten auf See, zahlreiche industrielle Tätigkeiten, von denen viele neuartig sind, wie die Entsalzung, gegen die ich nichts habe, die aber noch nicht untersucht worden ist, und die Verfahren zur Prüfung der Meeresumweltverträglichkeit, die praktisch noch in den Kinderschuhen stecken, das heißt, die noch nicht durchgeführt wurden.
Ich denke auch, dass die Indikatoren weiter entwickelt und digitale Seekarten erarbeitet werden müssen, die auch für kulturelle Zwecke verwendet werden sollten.
Einer der größten Schätze der Geschichte der Welt und Europas sind meines Erachtens archäologische Karten. Dies ist ein Punkt, den weiter zu verfolgen gilt, um unser Erbe zu bewahren, und dies wird nach meiner Ansicht eine der aufregendsten Entdeckungen für uns alle sein.
Evangelia Tzampazi (PSE). – (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, Frau Lienemann zur ihrer umfassenden und ausführlichen Arbeit zu gratulieren.
Jetzt muss es darum gehen, dass die Europäische Union eine integrierte Politik für den Schutz der Meeresumwelt beschließt, denn mit den bisher geltenden fragmentarischen Rechtsvorschriften ist es nicht gelungen, den Rückgang der Artenvielfalt und den Verlust an Habitaten aufzuhalten. Darum ist es künftigen Generationen gegenüber unsere Pflicht, für die Meeresumwelt ein sehr hohes Schutzniveau zu erreichen, damit unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung mit den Zielen der Lissabon-Strategie verbunden werden kann. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass in vielen Ländern Europas sowie für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung das Meer als Dreh- und Angelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung große Bedeutung besitzt.
Zugleich bietet diese Richtlinie den Mitgliedstaaten die historische Chance, auf einem Gebiet zusammenzuarbeiten, das bis vor kurzem noch Schauplatz von Konflikten und Feindseligkeiten war, etwa in Bezug auf Meeresfischfanggebiete und Fangquoten.
Das grundlegende Ziel muss sein, den Begriff „guter Umweltzustand der Meeresökosysteme“ klar zu definieren, um eine kohärente und effektive Meerespolitik auf der Ebene der Europäischen Union gewährleisten zu können.
Meiner Ansicht nach wird die Festlegung geschützter Meeresgebiete als Instrument für den Schutz der Ökosysteme und die Bekämpfung des Rückgangs der Artenvielfalt erheblich dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Gleichzeitig fordern wir, die Fristen für die Umsetzung der Vorgaben in der vorgeschlagenen Richtlinie auf 2017 vorzuverlegen.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Frau Lienemann und Herrn Kušķis zu ihren ausgezeichneten Berichten beglückwünschen, denen der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit vernünftigerweise – trotz der hier von einigen schottischen Kollegen vorgetragenen Auffassungen – mehr Prägnanz verliehen hat.
Die europäischen Meeresgewässer mussten wie alle internationalen Gewässer schon oft als Müllkippe für Abfälle unterschiedlicher Menge und Toxizität herhalten. Diese Praxis ist seit vielen Jahren bei Personen, Unternehmen und Regierungen gang und gäbe, denen die enorme Vielfalt und Bedeutung der Meeresökosysteme offenbar nicht bewusst oder gleichgültig ist. Zum einen hatte dies beispiellose Umweltschäden zur Folge. Zum anderen hängt jetzt der Fortbestand einzelner Arten an einem seidenen Faden.
Es ist höchste Zeit, dass die EU konsequent handelt, um unsere Meeresumwelt zu schützen. Daher sollten wir alle diesen beiden sehr begrüßenswerten Berichten in der Hoffnung zustimmen, dass die Umsetzung der erforderlichen Strategien und Richtlinien ungehindert vonstatten geht und auch Drittstaaten einbezieht und dass in naher Zukunft weitere ergänzende Maßnahmen folgen werden. Schließlich ist der Schutz unserer Meeresumwelt unerlässlich, wenn die Menschheit überleben soll.
Dorette Corbey (PSE). – (NL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Frau Lienemann für ihren ausgezeichneten Bericht herzlich danken. Für Fische, liebe Kolleginnen und Kollegen, die in den die Europäische Union umgebenden Meeren und Ozeanen leben, ist das Überleben nicht einfach; Überfischung und Schadstoffe fordern ihren Tribut, und wenn die Fische erst einmal weg sind, sind sie weg. Darum müssen wir jetzt drastische Maßnahmen ergreifen, um zu vermeiden, dass es im Jahr 2040 keine Fischbestände mehr gibt. Diese Prognose von Wissenschaftlern sollte uns als ernst zu nehmende Warnung dienen.
Die Meeresstrategie ist eine wertvolle Initiative, aber meiner Ansicht nach ist die Richtlinie zu unkonkret. Zuallererst müssen an Laichplätzen Meeresnaturreservate eingerichtet werden, damit Fische eine Chance haben, sich ungestört fortpflanzen zu können. In Neuseeland und Australien hat man damit positive Erfahrungen gemacht. Wenn neben der Einrichtung von Schutzgebieten noch nachhaltige Fischfangmethoden angewendet werden, kann die Zukunft der Fischbestände in den Gewässern um die Europäische Union gesichert werden.
Darüber hinaus muss etwas im Hinblick auf exotische Arten und das Problem des Ballastwassers unternommen werden. Die japanische Auster hat in der Nordsee einen angenehmen Lebensraum ohne natürliche Feinde gefunden, aber tatsächlich gedeiht diese Austernart viel zu prächtig. Ballastwasser kann problemlos gereinigt werden. Das ist eine gemeinsam zu übernehmende Aufgabe. Die Meeresrichtlinie zwingt die Mitgliedstaaten, darüber nachzudenken, wie die Meeresumwelt verbessert und die Zusammenarbeit intensiviert werden kann, was in unser aller Interesse liegt. Den Bericht von Frau Lienemann befürworte ich nachdrücklich und hoffe, Sie alle tun dies ebenfalls.
Olle Schmidt (ALDE). – (SV) Herr Präsident! Herr Kommissar! Ich bin froh, wieder hier zu sein, und ich konnte meine Arbeit mit dem Lesen von zwei guten Berichten beginnen.
Wir sind alle dafür verantwortlich, dass unsere Meere die Belastungen überstehen, denen die Meeresumwelt ausgesetzt ist. Eine besonders große Verantwortung ruht auf dieser Versammlung und der Europäischen Union, die richtigen Formen einer koordinierten und kraftvollen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu finden. Wie viele Redner bereits bemerkt haben, ist die Zeit äußerst knapp.
In dem Teil von Europa, in dem ich lebe, ist die Ostsee das wichtigste Meer und dasjenige, das den größten Gefahren ausgesetzt war und noch immer ist. Darum betrachten wir die geplante Gaspipeline von Russland nach Deutschland mit großer Besorgnis. Morgen sollen detailliertere Pläne präsentiert werden. Eine Gasleitung durch die sensible Ostsee stellt eine erhebliche Umweltbedrohung dar. Sie kann von Schiffen oder alten, noch nicht entdeckten Minen beschädigt und das Ziel von Terrorangriffen werden. Ferner ist sie eine Bedrohung für die Umwelt und die Fischerei, sowohl bei ihrem Bau als auch während des Betriebs. Die Risiken sind meiner Ansicht nach wesentlich größer als die Vorteile. Europa braucht zwar eine Energieversorgung, aber diese Erdgasleitung darf nicht auf dem Grunde der Ostsee verlegt werden. Sollte sie gebaut werden, dass muss das an Land erfolgen – um der Meeresumwelt und der Ostsee willen!
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. (CS) Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe die Diskussion mit Interesse verfolgt und mit Freude festgestellt, dass Sie im Prinzip den von der Kommission favorisierten ganzheitlichen Ansatz befürworten. Andererseits ist auch deutlich, dass die Frage vielschichtig ist und in zahlreichen Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht. Zudem ist klar, dass es zu diesem Thema sehr unterschiedliche Meinungen gibt und die weitere Analyse und Klärung erforderlich sind.
Ich möchte auf einige der wichtigsten Änderungsanträge genauer eingehen.
Die Kommission sieht im Zeitplan für die Umsetzung (Änderungsanträge 20, 24, 31, 32, 34, 35 und 69) das Jahr 2021 als Zeitpunkt vor, zu dem die Mitgliedstaaten einen „guten ökologischen Zustand“ ihrer Meeresökosysteme erzielt haben sollen. Der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit hat jedoch einen früheren Zeitpunkt vorgeschlagen.
Wenngleich es ein Anliegen der Kommission ist, zügig einen „guten ökologischen Zustand“ zu erreichen, ist die vom Ausschuss gesetzte Frist in meinen Augen unrealistisch. Der Vorschlag der Kommission geht erstens auf die Notwendigkeit ein, unser Verständnis der Meeresumwelt und der Gefahren, der sie ausgesetzt ist, zu vertiefen, und zeigt zweitens den Handlungsbedarf auf. Um die passendsten und kostengünstigsten Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt zu finden, brauchen wir das dazu nötige Wissen und die entsprechenden Fähigkeiten. Unter diesen Bedingungen wäre eine Vorverlegung der Fristen kontraproduktiv.
Vor allem angesichts der Parallelen zur geltenden Rahmenrichtlinie Wasserpolitik, die eng mit der zur Diskussion stehenden Richtlinie verbunden ist, steht dies außer Frage. In der Wasserrichtlinie, die im Jahr 2000 Dank Frau Lienemanns Funktion als Berichterstatterin erfolgreich verabschiedet wurde, wird ein „guter ökologischer Zustand“ bis 2015 gefordert, d. h., 15 Jahre nach Verabschiedung der Richtlinie. Die Meeresrichtlinie sollte in gleicher Weise funktionieren.
Hält man sich die Ausdehnung des unter die Meeresstrategie-Richtlinie fallenden Meeresgebietes und den Umfang der Aufgabe vor Augen, so ist der von uns vorgeschlagene Fahrplan zweifellos höchst ambitiös. Die von der Kommission in der Richtlinie vorgeschlagene Frist – bis 2021 – fällt zudem mit der ersten Bewertung der Bewirtschaftungspläne für Einzugsgebiete unter der EU-Rahmenrichtlinie Wasserpolitik zusammen, wodurch sich Synergien bei der weiteren Umsetzung beider Richtlinien ergeben.
Abgesehen davon wäre es nach der Überzeugung der Kommission nicht zweckmäßig, die Mitgliedstaaten aufzurufen, einen guten Umweltzustand bis 2021 zu erzielen, wie der Umweltausschuss in der Richtlinie vorschlägt. Außerdem wäre dies unrealistisch. Die im Rahmen der Meeresrichtlinie umzusetzenden Maßnahmen werden entsprechend dem vorgeschlagenen Zeitplan bis 2018 implementiert. Einige werden jedoch nicht unmittelbar Früchte tragen, denn es dauert eine Weile, bis manche Ökosysteme auf die Schritte reagieren. Allgemeine Fortschritte auf dem Weg zu einem guten Umweltzustand sollten jedoch sichtbar sein, weshalb die Kommission das Konzept der „Erzielung eines guten ökologischen Zustands“ vorgeschlagen hat.
Die Kommission ist bereit, die Einfügung eines Artikels zu unterstützen, der die Bedeutung von Meeresschutzgebieten (Änderungsanträge 27, 39, 62 und 72) unterstreicht. Idealerweise sollte ein solcher Artikel auf Artikel 6 der Rahmenrichtlinie Wasserpolitik zu Schutzgebieten basieren.
Darüber hinaus erklärt die Kommission auch ihre Bereitschaft zur Unterstützung des Gedankens, wonach es zur Erreichung der Ziele der Richtlinie gegebenenfalls notwendig sein kann, weitere geschützte Gebiete bzw. sogar abgeschlossene Naturreservate einzurichten. Der Vorschlag des Umweltausschusses für die verbindliche Einrichtung von Meeresschutzgebieten im Rahmen der Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie ist aus Sicht der Kommission hingegen unannehmbar. Geschützte Meeresgebiete sollten nur eingerichtet werden, wenn sie direkt zur Erzielung eines guten Umweltzustands beitragen. Sie sollten nicht zum Selbstzweck geschaffen werden, sondern Mittel zum Zweck sein und nicht das Ziel.
Die Kommission stimmt dem Wunsch des Ausschusses zu, die grundlegende Definition dessen, was unter einem „guten ökologischen Zustand“ zu verstehen ist (Änderungsantrag 80), direkt in die Richtlinie aufzunehmen.
Nichtsdestotrotz bereitet der Kommission die vom Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit vorgeschlagene Liste von Definitionen Schwierigkeiten. Viele der genannten Definitionen stützen sich auf Faktoren, die die Meeresumwelt beeinflussen und sie bedrohen, statt auf die Qualität des Ökosystems einzugehen. Dies ist ein gefährlicher Ansatz, weil manche potenziellen Risiken und Gefahren unter Umständen außer Acht gelassen werden oder aber übermäßige Beachtung finden. Noch wichtiger erscheint mir jedoch die Tatsache, dass es der EU, wenn wir nur die Einflussfaktoren kontrollieren, nicht gelingen wird, von ihrem gegenwärtigen fragmentierten Ansatz des Umgangs mit der Meeresumwelt zu einem integrierten Ansatz zu kommen, der alle Faktoren sowie ihre Wechselwirkung auf die Meeresumwelt berücksichtigt.
Abschließend noch einige Worte zu Finanzfragen (Änderungsanträge 19 und 74). Es gibt eine Reihe von Finanzinstrumenten der EU, die den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, wie beispielsweise die Strukturfonds, LIFE+ und das Siebte Forschungsrahmenprogramm. Deshalb besteht keine Notwendigkeit, besondere Finanzierungsmechanismen zu schaffen.
Sehr verehrte Abgeordnete, in der Debatte wurde die Vielschichtigkeit dieser ganzen Problematik angeschnitten, einschließlich der Tatsache, das Verunreinigungen aus der Atmosphäre in die Meere gelangen und der Zustand der Meere zu einem großen Teil von der Lösung des Problems des Klimawandels abhängig ist. Erwähnt wurde außerdem, dass einige Meere nicht berücksichtigt wurden, wie zum Beispiel das Schwarze Meer. Der von Rumänien und Bulgarien verfolgte Ansatz wird die Situation natürlich grundsätzlich ändern und neue Möglichkeiten eröffnen. Was das Arktische Meer betrifft, ist es aufgrund seiner geografischen Lage nicht möglich, die Haltung der Kommission signifikant zu ändern. Es ist auch nicht möglich, an dieser Stelle eine unabhängige Strategie für dieses ausgesprochen sensible und wichtige Ökosystem zu erarbeiten, wenngleich es mit dem Territorium der EU nicht direkt in Verbindung steht.
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich leite die Liste der Stellungnahmen der Kommission zu den Änderungsanträgen an die Parlamentsdienste weiter.
Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Hélène Goudin (IND/DEM). – (SV) Es ist sehr erfreulich, dass den Fragen der Meeresumwelt Aufmerksamkeit gewidmet wird, da wir unbedingt dafür sorgen müssen, dass unsere Meere nicht noch mehr verschmutzt oder zerstört werden. Die Änderungsanträge des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit sind größtenteils positiv und werden hoffentlich den Zustand der Meeresumwelt verbessern, nicht zuletzt durch die Definierung eines Unweltzustands.
Ein Artikel im Vorschlag der Kommission weckt jedoch gewisse Bedenken. In Artikel 13, bei dem es um Sondergebiete geht, werden Möglichkeiten eröffnet, in gewissem Umfang von den Umweltzielen abzuweichen, wenn die Veränderungen in einem bestimmten Gebiet aufgrund von Maßnahmen aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses erfolgen. Es ist gut vorstellbar, dass man sich auf diesen Artikel sehr häufig berufen wird. Daher ist es von größter Bedeutung, dass die Kommission erhebliche Restriktionen einsetzt, falls und wenn das geschieht, denn die Umwelt, in der wir alle zukünftig leben werden, ist ebenfalls von überwiegendem öffentlichen Interesse.
Francesco Musotto (PPE-DE). – (IT) Europa ist von vier Meeren und zwei Ozeanen umgeben, die verschiedene Arten von Ökosystemen darstellen und mehrere biogeografische Regionen abdecken. Die europäische Küstenlinie erstreckt sich über 100 000 km; dort leben 16 % der europäischen Bürger, von denen viele eng mit dem Meer verbunden sind, sei es aus Gründen der Arbeit, der Freizeitgestaltung, des Sports oder weil es Quelle von Natur- und Energieressourcen ist. Im Falle der abgeschlossenen oder teilweise abgeschlossenen Meere wie dem Schwarzen Meer, der Ostsee oder dem Mittelmeer ist das Verschmutzungsrisiko besonders hoch.
Der Vorschlag für eine Meeresstrategie-Richtlinie kommt gelegen und wurde erwartet; diese Richtlinie muss es ermöglichen, den bestehenden politischen Rahmen zu bündeln und zu stärken zum Schutz der Meeresumwelt in Europa. Die Effizienz dieser Richtlinie wird entscheidend sein für die künftige Gesundheit der Meere Europas, und sie hat das erforderliche Potential, um die notwendige ökologische Grundlage für die nachhaltige Entwicklung der Ressourcen und der Funktionen des Meeres in Europa und darüber hinaus sicherzustellen.
VORSITZ: LUIGI COCILOVO Vizepräsident
18. Ausfall des europäischen Stromnetzes (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Erklärung der Kommission zum Ausfall des europäischen Stromnetzes.
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Eine schwere Havarie im kontinentaleuropäischen Elektrizitätsnetz führte am Samstag, den 4. November, zu einem großflächigen Zusammenbruch der Stromversorgung. Wir wissen von E.ON, dass sie auf einen Fehler in Niedersachsen zurückzuführen ist, wo die Abschaltung einer Hochspannungsleitung später die Abschaltung von Leitungen in anderen Teilen Europas nach sich zog.
E.ON hatte planmäßig eine Oberleitung stillgelegt, wie dies zuvor schon mit einer anderen Leitung erfolgt war. Die Havarie bewirkte die Zerteilung des Gebiets der Union für die Koordinierung des Transports elektrischer Energie (UCTE) in drei Inselnetze: eine westliche, eine östliche und eine südöstliche Zone. Während es in der westlichen Zone zu einer Unterversorgung kam, trat in der östlichen Zone eine Überversorgung auf. Um mit dem Leistungsabfall in der westlichen Zone fertig zu werden, mussten Abnehmer in den betroffenen Ländern automatisch abgeschaltet werden.
Am stärksten wurde Frankreich in Mitleidenschaft gezogen, wo fünf Millionen Menschen im Dunkeln saßen. In Deutschland gingen für Millionen von Stromabnehmern die Lichter aus, in Belgien, den Niederlanden, Italien und Spanien für einige hunderttausend. Auch in Österreich, Slowenien, Portugal und der Schweiz kam es zu Stromausfällen.
Innerhalb einer Stunde konnte die Stromversorgung wiederhergestellt werden. Der Vorfall hätte wesentlich schlimmere Folgen haben können, doch ermöglichten die Zusammenarbeit der Netzbetreiber und die Größe des Netzes, die Kunden rasch wieder mit Elektrizität zu versorgen.
Die genaue Ursache der Havarie ist noch nicht bekannt. Ich habe die europäischen Aufsichtsbehörden gebeten, einen Bericht vorzulegen, der Aufschluss über die eigentlichen Gründe für diesen Stromausfall gibt. Dazu ist eine Fülle von Informationen über die Lage vor und nach der Havarie erforderlich, so dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen kann, worauf sie im Einzelnen zurückzuführen ist. Auch der Untersuchungsausschuss der UCTE sowie die europäischen Netzbetreiber werden den Vorfall untersuchen und Berichte dazu präsentieren.
Sobald uns ein umfassender Bericht vorliegt und die Havarie gründlich analysiert worden ist, werde ich das Parlament in geeigneter Form über die genauen Ursachen unterrichten. Es zeichnen sich aber bereits drei Lehren ab, die daraus zu ziehen sind. Im Jahre 2003 war es bereits in Italien zu einem großflächigen Stromausfall gekommen, doch haben sich die daraufhin eingeleiteten Maßnahmen als unzureichend erwiesen, namentlich in drei Bereichen.
Ein Vorschlag lautet deshalb, dass wir formell eine europäische Gruppe der Übertragungsnetzbetreiber einsetzen, deren Aufgabe darin besteht, gemeinsame Standpunkte zu von der Kommission benannten Fragen, insbesondere zu den Sicherheitsstandards des Netzes, zu erarbeiten. Auch sollten wir einen Mechanismus schaffen, damit diese Standards für die Netzbetreiber auch in formaler Hinsicht Verbindlichkeit erlangen. Zudem liegt es auf der Hand, dass wesentlich größere Investitionen in die Übertragungsnetze erfolgen müssen, damit einer Störung wirksam begegnet werden kann, vor allem aber, damit keine Überlastung der Leitungen eintritt.
Ich bin sehr froh darüber, dass Sie diese Frage auf die Tagesordnung des Hauses gesetzt haben, denn es handelt sich um ein sehr bedeutsames Thema. Wir hatten es nicht mit einer Naturkatastrophe zu tun, sondern mit dem Versagen eines Systems. Deshalb sollten wir den Vorfall analysieren und die richtigen Lehren daraus ableiten. Sobald der Bericht vorliegt, wird die Kommission ohne zu zögern die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen und die notwendigen Maßnahmen treffen.
Herbert Reul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar! Erstens: Herzlichen Dank für die Nüchternheit der Berichterstattung: eine Stunde, danach war das Problem gelöst. Auch das ist ein Argument, das genannt werden muss.
Zweitens: Ich bin wie Sie der Meinung, dass erst ein fundierter Bericht vorliegen muss, damit man nicht vorschnell zu Antworten kommt, was denn alles falsch gelaufen sein könnte.
Drittens: Wir Politiker müssen uns auch die Frage stellen lassen, ob wir nicht ein bisschen widersprüchlich vorgehen. Einerseits verlangen wir mehr Investitionen in Stromnetze und andererseits drohen wir den Netzbetreibern ein eigentumsrechtliches Unbundling an. Man kann doch von niemandem erwarten, in Netze zu investieren, wenn man gleichzeitig damit droht, ihm diese Netze möglicherweise abzunehmen. Das ist nicht besonders logisch!
Viertens: Wir fordern immer mehr erneuerbare Energien und wissen aber, dass wir mit der Windkraft dazu beitragen, dass die Verlässlichkeit in den Netzen durchaus ein Problem ist. Ich bin nicht gegen Windkraft, nur darf man sich dann nicht wundern, wenn solche Probleme auftreten!
Fünftens: Wir fordern zu Recht immer mehr Kopplungsstellen, weil wir eine internationale Durchleitung wollen. Das ist richtig. Aber vielleicht achten wir zu wenig darauf, dass gleichzeitig bzw. als Vorbedingung dafür gesorgt werden muss, dass die Netze hinter und vor den Kopplungsstellen ausreichend vorbereitet sind.
Ich würde mir wünschen, dass dieser Fall dazu beiträgt, dass wir uns nüchterner und sachlicher mit energiepolitischen Fragen auseinandersetzen, dass wir keine widersprüchlichen Anforderungen stellen, die dann gar nicht erfüllt werden können. Vielleicht ist das ein Beitrag, den wir leisten können. Ansonsten freue ich mich auf eine präzise Auswertung, wenn die Fakten auf dem Tisch sind. Dann kann man überlegen, ob und welche politischen Konsequenzen folgen müssen. Manches, was in den Tagen nach dem Stromausfall gesagt wurde, war übereilt und entsprang nicht so sehr einer gründlichen Analyse als vielmehr einer Momentaufnahme. Herzlichen Dank für Ihr Vorgehen, Herr Piebalgs!
Reino Paasilinna, im Namen der PSE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Stromausfall in Europa hat 10 Millionen Menschen von Deutschland bis Spanien betroffen. Er war eine heilsame Erinnerung daran, wie eng wir miteinander über das Stromnetz verbunden sind und wie verletzlich wir gleichzeitig sind. Wir wissen immer noch nicht, warum es passiert ist.
In der Praxis hat Europa ein gemeinsames Stromnetz, aber keine gemeinsame Energiepolitik, die die Versorgung sichern würde. Ein funktionierender Binnenmarkt für Elektrizität ist nicht errichtet worden. Es ist doch paradox, dass wir, je mehr unsere Netze verbunden sind, umso anfälliger für Stromausfälle werden. Die Zusammenschaltung der Netze ist ein Versuch, die Stromversorgungssicherheit überall in der Union zu verbessern, doch ein negativer Effekt liegt darin, dass auftretende Probleme für uns alle spürbar sein werden. Deshalb müssen wir vor allem sicherstellen, dass unsere gemeinsamen Netze richtig funktionieren, dass es Notfallsysteme auf nationaler Ebene gibt und dass das gesamte System von einer Behörde überwacht wird. Wir brauchen Sicherheitsstandards, wie der Kommissar erklärt hat.
Mit der Privatisierung der Stromerzeuger ist die Wahrscheinlichkeit weiterer Energiekrisen gestiegen. Diese Unternehmen waren Eigentum des Staates, der langfristig investiert hat. Jetzt sind wir im Stadium der Quartalsinvestitionen angekommen, wo das Geld möglichst schnell wieder zurückfließen muss, und deshalb fehlt die langfristige Perspektive.
Die Kommission hat unverzüglich gehandelt, und dafür sind wir dankbar. Die nationalen Betreiber von Durchleitungssystemen müssen in Zukunft umfassender und transparenter zusammenarbeiten. Darüber hinaus muss in dem im Januar erscheinenden Strategiebericht zur Energiepolitik die Möglichkeit der Gründung einer gemeinsamen Regulierungsbehörde geprüft werden. Außerdem müssen Unternehmen Verantwortung übernehmen und mehr als zurzeit in Übertragungs- und Notfallkapazitäten investieren. Wenn das nicht geschieht, dann werden Regierungen eingreifen müssen und tun, was sie bis zur gegenwärtigen Phase getan haben.
Anne Laperrouze, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Vielen Dank, Herr Kommissar, für Ihre Erklärung. Es muss unbedingt eine umfassende und genaue Untersuchung der Ursachen des Stromausfalls durchgeführt werden, der eine Reihe von EU-Staaten betroffen hat. Ist dieser Stromausfall auf einen Informationsmangel zurückzuführen? Auf die Nichteinhaltung von Verfahren? Auf das Versagen eines Netzes? Auf mangelnde Investitionen? Auf Mängel in der Wartung des Netzes oder auf einen Fehler kommerzieller Art? Einige Europäer betrachten diesen Stromausfall als eine verhängnisvolle Folge der Liberalisierung im Energiesektor, andere sehen ihn als das Ergebnis eines unzureichenden Netzverbunds und eines unzureichenden transeuropäischen Energienetzes.
Wie Sie hervorhoben, kann man auch die Ansicht vertreten, dass sich bei der Bewältigung dieser Netzpanne die Solidarität der Mitgliedstaaten gegenüber dem unter Stromausfall leidenden Deutschland gezeigt hat, dass die Lastabschaltungsverfahren eingeleitet wurden, um noch ernstere Auswirkungen eines europaweiten Stromausfalls zu vermeiden.
Wenn der Ausfall kommerzielle Ursachen hatte, dann müssen die Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten die anzuwendenden Regeln festlegen und überarbeiten, um den Strommarkt besser kontrollieren zu können. Hat der Ausfall technische Ursachen oder ist auf einen Verfahrensfehler zurückzuführen, dann ist eine bessere Koordinierung zwischen den Übertragungsnetzbetreibern erforderlich, denn diese sind die ausschlaggebenden Kettenglieder für eine reibungslose und sichere Abwicklung des Energieaustauschs. Die Errichtung eines europäischen Zentrums für Energienetze würde die Einführung eines europäischen Netz-Kodexes zur Harmonisierung der Normen und Verfahren der Netze der Mitgliedstaaten ermöglichen.
Abschließend möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass die Kommission diese Untersuchung eingeleitet hat, und ich hoffe – lassen Sie mich dies besonders hervorheben –, dass sie die Ergebnisse in voller Transparenz übermitteln wird, damit wir Fortschritte machen und künftig jegliche Vorfälle dieser Art vermeiden können.
Claude Turmes, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich bin froh, dass Herr Reul, der ja zwei oder drei Tage nach der Strompanne im Kulturradio Deutschland — ähnlich wie Herr Glos und wie E.ON — die Windenergie attackierte, nun zehn Tage nach der Panne erklärt, nichts gegen die Windenergie zu haben. Mittlerweile ist ja klar geworden, dass die Windenergie in Deutschland überhaupt nichts zur Katastrophe beigetragen hat, denn es war ein normaler Windtag. Day ahead wurde geliefert und es war sogar so, dass die Windenergieanlagen in Deutschland maßgeblich mitgeholfen haben, um das Netz wieder aufzubauen. Das heißt, dort, wo eine gute Schnittstelle zwischen den Netzbetreibern, den Regulierern und den Windenergiebetreibern definiert werden kann, hatte die Windenergie sogar positive Effekte auf das Netz.
In Spanien hingegen wurden viele Windenergieanlagen in einem Moment von Unterfrequenz vom Netz genommen, was ein Irrsinn ist, weil gerade die Windenergieanlagen unempfindlicher gegen Unterfrequenz sind als andere Produktionsanlagen. Gerade sie hätten helfen können, das Netz in Spanien zu stabilisieren.
Was sollen wir nun aus dieser Panne lernen? Das erste ist, dass wir die Netze auf langfristige Energieinvestitionen vorbereiten müssen. Es wird eine Migration der Stromproduktion an die Küsten geben. Und dies wird nicht nur bei Windenergie der Fall sein, sondern auch bei Kondensationskraftwerken, die im Inland wegen der Klimaerwärmung und der wärmer werdenden Flüsse überhaupt keine Kühlmöglichkeiten mehr haben werden. Wir müssen also viel stärker in die dezentrale Energieversorgung investieren — also Biomasse, Biogas, Kraft-Wärme-Kopplung und auch Gaskraftwerke, die man nahe an den Verbrauchszentren — sei es in der Industrie oder in den Städten — ansiedeln kann, damit sie einen Teil dieser Migration abfedern können und damit uns diese dezentralen Investitionen auch mehr Platz im Netz für den Handel bringen.
Zweitens: Wir brauchen einen EU-Regulator, aber nicht, um die nationalen Regulierungsbehörden abzuschaffen, sondern einen EU-Regulator mit ganz spezifischen Aufgaben im transeuropäischen Stromhandel, um die Transparenz zu verbessern, um aber auch die Schnittstellen zwischen den nationalen Netzen zu verbessern. Wir brauchen diese Behörde sofort, aber mit einem klar definierten und nicht zu großen Spektrum.
Drittens: Die Netze brauchen langfristige Investitionen. Das ist nicht mit kurzfristig hohen Renditen aufrechtzuerhalten. Gerade deshalb brauchen wir das Ownership unbundling, weil E.ON und RWE 25-30 % Rendite wollen. Solch hohe Renditen sind in einem Monopolbereich nicht notwendig, hier wären für die zu tätigenden Investitionen nur 6-8 % Renditen erforderlich. Die klare Trennung zwischen den Netzinteressen und den Produktions- und Handelsinteressen wird die Versorgungssicherheit und auch die Handelsfähigkeit im europäischen Netz verbessern.
Esko Seppänen, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FI) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Energieerzeugung in den Mitgliedstaaten ist heterogen. In einigen Ländern hat billige Energie aus Wasserkraft die größte Bedeutung, in anderen preiswerte Kernenergie. In wieder anderen Ländern wird Strom durch die Verbrennung zunehmend kostspieliger fossiler Brennstoffe oder mittels teurer Windkraft erzeugt. Das Bild des Marktes wird noch verwirrender durch das EU-System des Handels mit Emissionsrechten, und wir wissen nicht, was die Zukunft dazu im Jahr 2008 bringt, geschweige denn im Jahr 2013.
Die Zusammenschaltung der Stromnetze der EU löst nicht alle Probleme. Die Harmonisierung des Marktes wird Sieger und Verlierer hervorbringen. Viele Länder werden nicht bereit sein, in die Zusammenschaltung der Netze zu investieren oder einen hohen Preis für Elektrizität zu zahlen, nur damit sie in einem anderen Land günstiger ist. Ich bin froh, dass die Standardantwort der Kommission dieses Mal nicht lautet, dass die Harmonisierung der Märkte alles klärt, sondern dass sie stattdessen tatsächlich versucht herauszufinden, worum es da eigentlich ging.
Alejo Vidal-Quadras (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Der Stromausfall vom 4. November hat einmal mehr den hohen Grad gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Energieversorgungsnetzen der Mitgliedstaaten verdeutlicht. Die Tatsache, dass zehn Millionen Bürger in rund einem Dutzend Ländern davon betroffen waren, gibt uns eine Vorstellung vom Ernst und Umfang dieses Störfalls.
Zweifellos hat das Ganze auch eine positive Seite, nämlich die Schnelligkeit und Effizienz der Reaktion der Betreiber, denen es durch das Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen gelang, das Problem in etwas weniger als einer Stunde zu lösen. Aber wenngleich wir uns darüber freuen können, sollten wir nicht das Schicksal herausfordern.
Herr Kommissar, Sie sagten, dass eine gründliche Untersuchung der Ursachen dieses Störfalls durchgeführt wird, und das muss ohne jeden Zweifel geschehen, da wir aus jeder derartigen Krise sehr wertvolle Lehren ziehen. Ich bin sicher, sobald Ihnen alle erforderlichen Informationen vorliegen, werden sie diese unserem Haus übermitteln, damit wir sie ebenfalls analysieren können.
Herr Kommissar, ich stimme voll mit Ihnen in der Notwendigkeit überein, wie Sie kürzlich dargelegt haben, europaweit eine formelle Gruppe von Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreibern zu schaffen, die technische Vorschläge zu Sicherheitsstandards für die Netze und anderen Fragen unterbreiten können, die für das hier behandelte Thema relevant sind.
Vor einigen Jahren schlug ich eine ähnliche Initiative im Zusammenhang mit dem Bericht zur Versorgungssicherheit vor, und ich muss sagen, dass diese Initiative bei den Regulierern und vielen Kollegen in diesem Haus keinen großen Erfolg hatte. Ich hoffe, dass dieser Vorschlag nach dieser jüngsten Krise mit mehr Realismus neu geprüft wird.
Abschließend, Herr Präsident, Herr Kommissar, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um eine Bemerkung an den Rat zu richten: Es ist an der Zeit, dass wir in einem Europa mit Freizügigkeit für Dienstleistungen, Waren, Kapital und Menschen, in dem zwölf Mitgliedstaaten dieselbe Währungspolitik haben, in dem wir alle eine gemeinsame Außenhandelspolitik betreiben, aufhören, so zu tun, als ob die Entscheidungen, die wir zur Energie treffen, nur uns angehen. Dieser letzte Störfall hat das sehr deutlich gezeigt.
Es geht nicht darum, einem Mitgliedstaat etwas von seiner Souveränität zu nehmen, sondern bei allen jenen Fragen gemeinsam zu handeln, bei denen eine gemeinsame Aktion für alle von Vorteil ist.
Vincenzo Lavarra (PSE). – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Zusammenbruch des Stromnetzes am 4. November ist ein Signal, das uns die dringende Notwendigkeit gemeinsamer Antworten auf das Energieproblem vor Augen führen sollte. Dieser Ausfall hat die extrem enge Verflechtung der Netze deutlich gemacht, die allerdings noch nicht mit einem entsprechenden Management einhergeht.
Herr Kommissar, die Leitlinien, die die Kommission am 9. November zur Regelung des grenzüberschreitenden Stromhandels in Europa vorgelegt hat und die auf die Verbesserung des Managementsystems abzielen, sind zu begrüßen. Gleichwohl kommt es darauf an, eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Regulierern durchzusetzen: Wir müssen die Schaffung einer einzigen europäischen Regulierungsbehörde, eines europäischen Zentrums für Energienetze, wie es im Grünbuch der Kommission vorgeschlagen wurde, forcieren. Außerdem müssen die Netzbetreiber meiner Meinung nach unabhängig von den Stromhändlern sein, und wir brauchen eine stärkere Computerisierung, die die Kommunikation zwischen Stromübertragungs- und -verteilernetzen ermöglicht.
Der Binnenmarkt ist ein Schlüsselelement der gemeinsamen Energiepolitik. Diese Politik ist heute mehr denn je erforderlich und muss als Priorität betrachtet werden. Wir müssen diesen Weg mit größerem Mut weiterverfolgen. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten müssen wir diesen Prozess beschleunigen und nationale Eigeninteressen sowie protektionistische Bestrebungen, die die Liberalisierung und den Marktwettbewerb hemmen, überwinden, damit sich solche Zwischenfälle wie der vom 4. November nicht wiederholen und vor allem damit Europa als einheitlich handelnder Akteur die heiklen internationalen geopolitischen Gleichgewichte aushandeln und dabei seine sichere, nachhaltige und gemeinsame Energieversorgung gewährleisten kann.
Paul Rübig (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst müssen wir darauf achten, dass wir im Netz eine gute Verteilung zwischen großen und kleineren Versorgern haben, zwischen zentralen starken Einheiten und regionalen Einheiten, die es uns ermöglichen, eine starke Struktur aufzubauen. Dazu sind natürlich auch transeuropäische Netze notwendig, und wir brauchen einen Regulator oder Koordinator, der sich um diese Themen kümmert. Vor allem brauchen wir auch steuerliche Anreize dafür, dass die derzeit erwirtschafteten Gewinne für Investitionsfreibeträge oder verkürzte Abschreibungsraten genutzt werden.
Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach, Notfallpläne zu entwickeln, die uns die Chance geben, das Netz im Krisenfall schnell und effizient abzuschalten und dann so schnell wie möglich wieder zu stabilisieren und den Strom wieder einzuschalten. Wir müssen bei der Energieversorgungssicherheit auch einen qualitativen Aspekt hineinbringen, der beinhaltet, dass jemand, der bereit ist, sich schnell vom Netz nehmen zu lassen, auch dementsprechende Preisreduktionen bekommen kann. Umgekehrt: Wer so lange wie möglich am Netz bleiben und so schnell wie möglich wieder ans Netz kommen will, sollte auch einen höheren Preis bezahlen.
Wir müssen beim Thema Energie endlich von einer rein quantitätsbezogenen Debatte wegkommen. Wir brauchen qualitative Faktoren in der Energieversorgung, die es – hinsichtlich der Preisgestaltung – ermöglichen, dass ein Abnehmer, der absolute Versorgungssicherheit bekommt, auch mehr bezahlt. Wenn auf der anderen Seite ein Abnehmer flexibel ist, weil er beispielsweise die Energie für seinen Warmwasserbedarf in der Nacht oder am Tag beziehen kann, dann soll er auch einen entsprechend günstigeren Preis bekommen.
Jeder sollte seinen Energieversorger auswählen können, jeder sollte den Strom von dem Erzeuger beziehen können, den er sich wünscht. Hier gäbe es wirklich eine Möglichkeit, den europäischen Markt neu zu gestalten.
Giles Chichester (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Wir haben es hier mit einem Fall unbeabsichtigter Folgen zu tun und nicht mit einer Katastrophe.
Wir sollten das Ergebnis der eingeleiteten Untersuchung abwarten und nicht reflexartig reagieren. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass menschliches Verhalten nicht immer vorhersehbar ist. Nach meiner Ansicht ist es nicht möglich, für jeden Eventualfall Rechtsvorschriften zu erlassen. Es handelte sich vornehmlich um ein technisches Problem und nicht unbedingt um eine politische Frage.
Ich möchte den Kommissar und das Haus daran erinnern, dass wir in Gestalt der Richtlinie zur Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und zu Infrastrukturinvestitionen, bei denen ich als Berichterstatter des Parlaments fungierte, bereits über eine Rechtsgrundlage verfügen. Wir sollten abwarten, ob sie zum Tragen kommt und in den Mitgliedstaaten ordnungsgemäß umgesetzt wird, bevor wir noch weitere Vorschriften erlassen. Wir sollten daraus lernen, aber auch bedenken, dass die Netzbetreiber – die Übertragungsnetzbetreiber – bei der Aufrechterhaltung der Versorgung beachtliche Ergebnisse vorweisen können. Wie mein Kollege Paul Rübig anmerkte, sind 100 % nur schwer zu erreichen. Ich glaube, dass sich die Bilanz sehen lassen kann.
Ich möchte den Herrn Kommissar einladen, sich mit meinen Kollegen im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie zusammenzusetzen. Nach der jetzigen Aussprache geht unsere Ausschusssitzung weiter. Zu den Punkten, die dort zur Sprache kommen werden, gehört der Bericht von Frau Morgan zum Grünbuch. Wir freuen uns, dass der Kommissar heute zugegen ist. Sofern er nicht gleich wieder fort muss, würden wir ihn gern bei uns begrüßen.
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Erstens möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich sehr dankbar für die Einladung bin und mit Sicherheit daran teilnehme. Allerdings werde ich mir die Aussprache nur anhören und nicht in die Debatte eingreifen.
Zweitens gilt es abzuwarten, bis alle Ergebnisse der Untersuchung auf dem Tisch liegen, bevor Schlussfolgerungen gezogen werden. Ich bin für all diese Ermittlungen, weil wir die Sachlage genau kennen müssen. Es handelte sich um ein planmäßiges Vorgehen und nicht um eine Naturkatastrophe. Deshalb müssen wir in Erfahrung bringen, warum es dazu kam.
Drittens hat sich die heutige Aussprache als sehr wertvoll erwiesen. Sie war sozusagen der Auftakt zur Debatte im Ausschuss, denn es ging darum, wie wir am besten dafür sorgen, dass die notwendigen Investitionen in den Energiesektor erfolgen und das System ordnungsgemäß funktioniert.
Ich möchte den Übertragungsnetzbetreibern, die auf freiwilliger Basis kooperierten, ein großes Lob aussprechen. Ihre schnelle Reaktion verhinderte noch größere Stromausfälle.
Ich möchte das Parlament daran erinnern, dass die europäischen Übertragungsnetzbetreiber im Sommer der Angebots- und Nachfragesituation auf dem Strommarkt stets große Aufmerksamkeit schenken. Bekanntlich wird es im Sommer immer heißer, was einen gewaltigen Anstieg des Stromverbrauchs zur Folge hat, so dass die Nachfrage nach Elektrizität Jahr für Jahr steigt und die Netze überlastet sind.
Auch darf nicht unerwähnt bleiben, dass die für das Netz geltenden Sicherheitsstandards immer eingehalten werden müssen. Wir brauchen daher unbedingt einen verbindlichen Standard, an den sich alle Netzbetreiber zu halten haben. Denken wir an die Fehlschaltungen in der Schweiz, die einen totalen Stromausfall in Italien nach sich zogen. Offensichtlich hatte der Betreiber nicht die Sicherheitsanforderungen an das Netz eingehalten, so dass es zu einem großflächigen Ausfall kam. Wir sollten dafür sorgen, dass sich eine derartige Situation nicht wiederholt, und zugleich ein System errichten, das sehr zuverlässig ist und bei dem die Größe des europäischen Netzes und des UCTE-Systems dazu beiträgt, Havarien zu verhindern, und nicht etwa derartige Störungen verursacht oder ihre Ausbreitung begünstigt.
Ich danke Ihnen für diese Aussprache. Sobald die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, bin ich – wie versprochen – bereit, sie dem Parlament vorzutragen.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
19. Milchquoten (Aussprache)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission über Milchquoten von Duarte Freitas, Carmen Fraga Estévez, Salvador Garriga Polledo, Esther Herranz García, Elisabeth Jeggle, Albert Jan Maat, Mairead McGuinness, Francisco José Millán Mon, James Nicholson, Neil Parish und Daniel Varela Suanzes-Carpegna im Namen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten (O-0122/2006 – B6-0444/2006).
Duarte Freitas (PPE-DE) , Verfasser. – (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Zunächst möchte ich der Fraktion und den anderen Fraktionen für ihr Interesse an diesem Thema danken, durch das es möglich wurde, diese mündliche Anfrage schnell auf die Tagesordnung zu bringen. Dieses Maß an Interesse ist ein Zeichen für die Bedeutung und Sensibilität der Milchquotenproblematik.
Frau Kommissarin, Sie ließen auf der informellen Ratstagung anklingen, dass das System der Milchquoten zunehmend überholt erscheine und dass es in Frage gestellt und dergestalt überprüft werden sollte, dass die Landwirte ihr Leben langfristig planen könnten. Am 3. Oktober bestätigte Herr Rasmussen auf der letzten Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung als Vertreter der Kommission, dass es nach dem „Gesundheitscheck“ der GAP 2008-2009 Änderungen geben werde, höchstwahrscheinlich eine allmähliche Einstellung des Milchquoten-Systems bis 2015, wenn die Vereinbarung von 2003 planmäßig ausläuft. Es war nicht das Parlament, das dieses Thema jetzt auf den Tisch gebracht hat, aber im Parlament muss es geklärt werden, denn unsere Wähler sind überaus besorgt und drängen darauf zu erfahren, was vor sich geht.
Die Wahrheit ist, dass der Markt sofort auf diese Erklärungen reagiert hat, und mehrere Organisationen und politische Vertreter sind in der Öffentlichkeit aufgetreten, um bei der Zukunft der Milchquoten mitzureden. Man kann den GAP-Gesundheitscheck nicht als Halbzeitüberprüfung ansehen, aber wir kennen die internen und externen Forderungen nach Änderungen, die über eine reine Vereinfachung der Verfahren hinausgehen. Im Milchsektor wird langfristig geplant. Für den Quotenerwerb einerseits und genetische Verbesserungen, Umweltauflagen und Investitionen zur Bestimmung des Milchfett- und Proteingehalts je Kuh und Laktation andererseits ist alle sechs bis acht Jahre eine Analyse erforderlich. Demnach wird das, was Politiker heute sagen, Auswirkungen bis 2014-2015 haben.
Da ich aus einem Gebiet auf den Azoren komme, in dem 30 % der portugiesischen Milchproduktion erzeugt werden, wo Milch die Haupteinkommensquelle ist und wo keine mittelfristigen Alternativen bestehen, reagiere ich auf diese Veränderungen besonders empfindlich. Deshalb müssen wir unbedingt wissen, ob die Vereinbarung nun eingehalten werden muss und ob vor oder nach 2015 irgendwelche bindenden Regelungen eingeführt werden sollen.
Abgesehen davon muss auf jeden Fall aus politischen Gründen auch festgestellt werden, dass die EU die sozialen und wirtschaftlichen Folgen berücksichtigt, die derartige Veränderungen für Regionen haben können, die von Milch abhängig sind, und vor allem für Regionen, in denen es keine Produktionsalternativen gibt. Was wir jetzt wirklich wissen müssen, Frau Kommissarin, ist, ob das Milchquoten-System in seiner aktuellen Form bis 2015 beibehalten wird, damit der Markt und die Erzeuger auf dem neuesten Informationsstand sind.
Mariann Fischer Boel, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Gegenwärtig bringt das Quotensystem noch eine gewisse Stabilität für den europäischen Markt und ermöglicht eine erfolgreiche vollständige Umsetzung der Reform von 2003 ohne störende Beeinträchtigungen. Wenn sich die Milchwirtschaft allerdings dem künftigen Wettbewerb stellen und in einer liberaleren Welt florieren möchte, wird sich das Milchquotensystem als immer ungeeigneter erweisen, um unsere Ziele zu erreichen. Ich habe deshalb beschlossen, dass eine Debatte über die Zukunft des Quotensystems im Rahmen des „Gesundheitschecks“ im Jahr 2008 durchgeführt werden sollte.
Auf lange Sicht ist das günstigste Szenario für die europäische Milchwirtschaft eines ohne Quoten. Dies würde den effizienteren Erzeugern erlauben, von den wachsenden Märkten zu profitieren und die immensen Kosten zu umgehen, die vor allem jungen Landwirten für den Erwerb von Produktionsrechten entstehen. Der Wert der Quoten variiert enorm von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Die Kontingente pro Mitgliedstaat stehen bis zum 31. März 2015 fest, wie Herr Freitas ganz richtig sagte. Nach diesem Datum wird das Milchquotensystem, sofern kein Vorschlag der Kommission und keine Entscheidung im Rat erfolgt, eingestellt. Das ist wichtig. Wenn keine Entscheidung getroffen wird, läuft das System am 31. März 2015 aus. Sollte der Rat den Beschluss fassen, das Quotensystem nach 2015 weiterzuführen, dann sollte dies einen schrittweisen Übergang von den gegenwärtigen Bestimmungen zu einem Szenario ohne Produktionsbeschränkungen ermöglichen.
Es ist im Interesse aller, einen sanften Übergang zu bewerkstelligen, um Störungen in diesem Sektor zu vermeiden. Wenn ich durch die Mitgliedstaaten reise und mit Landwirten spreche, fordern sie Kalkulierbarkeit. Wir sind es der Landwirtschaft schuldig, ihr ein klares Signal zu geben und nicht erst in letzter Minute, am 1. Januar 2015, zu verkünden, ob das Quotensystem weitergeführt wird oder nicht. Es ist an uns, für diese Kalkulierbarkeit zu sorgen. Außerdem sollten bei diesem Szenario vielleicht übergangsweise spezifische Maßnahmen eingeführt werden, um das Milchquotensystem deutlich flexibler zu gestalten, als es heute ist.
Allerdings ist es immer noch zu früh, um die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Wir werden alle eine deutlich klarere Vorstellung von der Situation und den verschiedenen Änderungsvarianten haben, wenn der Bericht über die Marktperspektiven im Milchsektor Ende nächsten Jahres abgeschlossen ist. Dieser Bericht wird dem Parlament und dem Rat vorgelegt und die allgemeinen Ziele und Ergebnisse der Reform von 2003 zum Inhalt haben, nämlich die Marktausrichtung, die Wettbewerbsfähigkeit und die Nachhaltigkeit der GAP in politischer, ökologischer sowie auch wirtschaftlicher und haushaltsspezifischer Hinsicht.
Ich hoffe, dass wir eine ernsthafte Diskussion darüber führen können, wie es künftig weitergeht und wie diese Kalkulierbarkeit, die ich für so wichtig halte – nicht nur für die jüngere Generation, sondern auch für diejenigen, die bereits im Geschäft sind – gewährleistet werden kann.
Elisabeth Jeggle, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Kommissarin! Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, aber auch bei dem Kollegen Freitas möchte ich mich herzlich für die Initiative zu dieser mündlichen Anfrage bedanken. Frau Kommissarin, wie Sie bereits mehrmals angesprochen haben, wird aufgrund der derzeitigen Lage – also dem Beschluss, die Quote bis 31. März 2015 beizubehalten –, und aufgrund der Frage, was danach kommen wird, nun heftig diskutiert, was auf der einen Seite gut ist, auf der anderen Seite aber wirklich sehr, sehr viel Unsicherheit bei den Landwirten – vor allem in bestimmten Regionen – hervorruft, die von der Milch und von den Quoten abhängig sind, wie sie zumindest glauben.
Es ist gut, wenn wir – wie gerade eben – eine klare Aussage von Ihnen hören, in der Sie die Fakten nennen – also die Quote ist bis zu diesem Zeitpunkt beschlossen – und in der Sie auch sagen, wir sollten rechtzeitig darüber diskutieren, wie wir mit der Situation umgehen wollen. Wenn wir weiterhin eine Quote haben wollen, müssen das die Landwirte genauso wissen und mitragen, wie wenn wir den Ausstieg aus diesem System beschließen, so wie das jetzt eigentlich vorgesehen ist.
Dann die nächste Frage: Welche Instrumente kann es – bei der derzeitigen Finanzlage – geben, um diesen Ausstieg vorzubereiten? Eine Milchquotenerhöhung beispielsweise mag in der Diskussion sein. Ob dies der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Wie gehen wir mit der Option für junge Landwirte um, die Planungssicherheit brauchen und die dann möglichst nicht noch sehr viel Geld in Quoten investieren sollten, sondern ihr Geld in die Umstrukturierung und in die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe investieren sollten?
Und wie gehen wir mit Räumen um, die reine Grünlandräume sind, wo wir Milchwirtschaft brauchen, um sie als solche zu erhalten? Das sind meistens landwirtschaftlich sehr schöne, sehr interessante Räume, das sind Räume, in denen in der Regel sehr wenig andere Erwerbsmöglichkeiten bestehen und die wir auf diese Weise unterstützen müssen.
Katerina Batzeli, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Im Namen meiner Fraktion danke ich der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten und Herrn Freitas für seine Ausführungen zu den Erklärungen der Kommission bezüglich der Milchquoten.
Frau Kommissarin, ich werde nicht auf die Bedeutung eingehen, die der Milchsektor, wie wir alle wissen, in Europa auf der Ebene der Produktion, der Beschäftigung, der Investitionen, des Außenhandels und der Lebensmittelsicherheit besitzt. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass alle Vorschläge zur Abschaffung oder Beibehaltung der Milchquoten umgehend und sorgfältig geprüft werden müssen und daraufhin zu analysieren sind, wie sie sich einerseits auf das ländliche Einkommen und die anderen direkt betroffenen Sektoren und andererseits auf die ländliche Entwicklung selbst auswirken werden. Diese Analyse sollte alle Regionen der Union und auch die Besonderheiten der Milcherzeugung umfassen, die in einigen von ihnen bestehen.
Frau Kommissarin, wir können eine Kontrolle der Milcherzeugung nach 2015 unter den gegenwärtigen Bedingungen, die häufig zur Bildung von Oligopolen im Sektor führen, nicht befürworten. Es handelt sich um ein Produktionsmodell der früheren Denkrichtung einer Gemeinsamen Agrarpolitik. Andererseits können wir jedoch nicht akzeptieren, dass die Milcherzeugungsquoten vor 2015 von einem Tag auf den anderen liberalisiert werden. In dieser Übergangsphase, die wir derzeit durchlaufen, sind in bestimmten Regionen der Gemeinschaft verstärkt Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz, der Effektivität und der Wettbewerbsfähigkeit des Sektors notwendig. Ebenso wenig können wir im Rahmen des für 2008-2009 vorgesehenen „Gesundheitschecks“ ankündigen, ein beliebiges Produkt beliebig zu überprüfen. Wenn wir davon ausgehen wollen, dass dies ein Gesundheitscheck ist, dann geht es hierbei darum, die Gemeinsame Agrarpolitik zu vereinfachen.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen: Besteht irgendeine Möglichkeit, die Beihilfen im Jahre 2007 zu entkoppeln? Wie kann das mit der Liberalisierung oder Beibehaltung des Quotensystems in Einklang gebracht werden?
Frau Kommissarin, ich weiß, dass Sie zu den Grenzwerten einen redlichen Vorschlag unterbreiten werden, damit sich bei den Erzeugern nicht Unsicherheit breitmacht. Meines Erachtens ist das Ihre politische Verpflichtung, vor allem aber geht es um rechtzeitige Konsultationen mit dem Europäischen Parlament, um im Sektor Wettbewerbsfähigkeit und eine klare Orientierung zu erreichen.
Jan Mulder, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Auch ich möchte zunächst Herrn Freitas dafür danken, dass er die Initiative ergriffen hat, dieses wichtige Thema heute Abend zur Diskussion zu stellen.
Bei der Frage der Milchquoten sollten wir unbedingt im Auge behalten, dass die Situation zum Zeitpunkt ihrer Einführung im Jahr 1984 eine ganz andere war als heute. Damals gab es riesige, unverkäufliche Überschüsse, was gegenwärtig klar nicht mehr der Fall ist. Der Unterschied zwischen den Weltmarktpreisen 1984 und dem EU-Preis war beträchtlich. Inzwischen ist diese Preisdifferenz deutlich geringer.
Wenn sich die Preise in der EU den Weltmarktpreisen annähern, besteht weitaus weniger Bedarf an einer Quotenregelung als 1984. Ich schließe mich in jeder Hinsicht der gerade geäußerten Meinung der Kommissarin an, es sei für die Bauern wichtig zu wissen, woran sie sind. Ich weiß nicht, wann die Kommission in der Lage sein wird, entsprechende Vorschläge vorzulegen bzw. die genaue Richtung vorzugeben. Idealerweise sollte man im Rahmen des „Gesundheitschecks“ auch alle anderen Teile der Landwirtschaftspolitik durchleuchten und die Meinung der Kommission zur Quotenregelung hören.
Wie bereits gesagt wurde, ist die Lage in der EU nicht überall gleich. Die Analyse der Kommission sollte deshalb nach Land und vielleicht sogar nach Region erfolgen. Für einige Regionen spielt die Beibehaltung einer Quotenregelung eine entscheidende Rolle. Vielleicht kann die Kommission dies in ihrer Analyse berücksichtigen? Unabhängig von den Analyseergebnissen wäre es nach dem jetzigen Kenntnisstand gescheiter, die Quotenregelung schrittweise abzuschaffen. Vergleicht man die gegenwärtige Präsenz der Europäischen Union auf dem Weltmarkt für Milchprodukte mit der Situation im Jahr 1984, so sind wir heute deutlich schlechter aufgestellt, was sehr bedauerlich ist.
Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Herr Präsident! Der Standpunkt der Kommissarin zum Milchquoten-System ist überaus Besorgnis erregend, denn sie spielt auf dessen möglichen Abbau bis 2015 an.
Sie sagt zwar, dass es für substanzielle Maßnahmen zu früh sei, aber mit dem Pfad zur Liberalisierung, den sie ins Auge fasst, wird außer Acht gelassen, wie wichtig die Milcherzeugung in mehreren benachteiligten landwirtschaftlichen Gebieten ist. So würde zum Beispiel in Portugal sowohl im Norden und im Zentrum des Festlands als auch in der Autonomen Region der Azoren jeglicher Abbau des Milchquoten-Systems die ländliche Entwicklung hemmen und große Gebiete in Armut stürzen, in denen die Erzeugung von Milch und andere Bereiche der Milcherzeugung die Hauptwirtschaftstätigkeit darstellen.
Deshalb weisen wir vor allem darauf hin, dass spezielle Eigenheiten der Landwirtschaft in verschiedenen Mitgliedstaaten und insbesondere in Portugal geschützt werden müssen.
Janusz Wojciechowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Ich möchte dem Verfasser der Anfrage dafür danken, dass er diese überaus notwendige Aussprache über die Milchquoten in Gang gebracht hat. Die mit diesen Quoten verbundenen Probleme geben den Landwirten in ganz Europa Anlass zur Sorge. Dazu möchte ich Folgendes sagen: Wenn diese Quoten über einen längeren Zeitraum beibehalten werden, stellt sich doch ganz offensichtlich die Frage nach ihrer Höhe, denn die ist schlichtweg ungerecht. Ich kann zahlreiche Beispiele dafür anführen, dass sie nicht der Marktnachfrage in den einzelnen Mitgliedstaaten entsprechen. Es gibt Länder, die wegen Quoten, die nicht mit ihrer Nachfrage als Verbraucher übereinstimmen, große Nachteile hinnehmen müssen. Beispiele hierfür sind Italien, Spanien und mit Sicherheit auch Polen, einer der neuen Mitgliedstaaten. Wenn also die Quoten beibehalten werden müssen, sollte ihre Höhe im Interesse der Gerechtigkeit und der europäischen Solidarität überprüft werden.
Kathy Sinnott, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Da wir uns hier mit den Milchquoten befassen, möchte ich die Kommissarin auf einen ernsten Sachverhalt aufmerksam machen. Der irischen Vereinigung der Milchquotenverkäufer gehören ausschließlich ältere Landwirte an, die alle über Milchquoten verfügen, die sie verkaufen möchten. Ihre Entscheidung zum Verkauf der Quoten erfolgt aus Krankheits- oder Altersgründen.
Die irische Landwirtschaftsministerin hat erklärt, dass sie schwerpunktmäßig junge Landwirte begünstigen will. Nach dem EU-Recht sind Diskriminierungen aufgrund des Alters verboten, doch unsere Ministerin benachteiligt offen ältere Quoteninhaber zugunsten junger Landwirte, denen sie und jetzt kommt der springende Punkt – unterhalb des Marktwertes Quoten gewähren möchte. Sie schlägt vor, die Kosten aus den Taschen der jetzigen Quoteninhaber zu finanzieren. Das ist ein Eingriff in den Markt. Viele dieser älteren Landwirte sind gegenwärtig einer Panikmache ausgesetzt, da sie ungenaue Informationen von ihren Genossenschaften erhalten.
Die Ministerin beabsichtigt, nicht zum Verkauf stehende Quoten auf zweierlei Grundlage wieder abzuerkennen: wenn der Quoteninhaber in zwei aufeinander folgenden Jahren nichts erzeugt oder wenn der Quoteninhaber einen Pachtvertrag hat, der im März des ersten Jahres ausläuft und er seine Quote nicht bis Ende März des Folgejahres verkauft.
Ministerin Coughlan möchte wohl offensichtlich die irischen Erzeuger spalten, die bislang immer stark zusammengehalten haben, indem eine Gruppe gegen die andere ausgespielt wird. Die Drohung, Quoten wieder abzuerkennen, ist ein Versuch, Landwirte zu ungünstigen Vereinbarungen zu drängen und zu bewirken, dass sie gegen ihren Willen verkaufen. Ich möchte die Kommissarin bitten, hier für Klärung zu sorgen.
Albert Jan Maat (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Freitas für seine Erläuterung der von den Europäischen Christdemokraten ergriffenen Initiative und der Kommissarin für die Eröffnung der Diskussion über die Zukunft des Milchsektors danken. Wenn wir ehrlich sind, hat sich die Situation im Laufe der Jahre verändert. Die Melkkosten sind aufgrund der hohen Quotenkosten immens gestiegen. Gleichzeitig gerät die Milchpolitik der EU zusehends in eine Sackgasse. Inzwischen sind unsere Exporte auf dem Weltmarkt um 60 % eingebrochen. Die Europäische Union und die europäische Milchindustrie haben 4 % der Weltproduktion eingebüßt.
Da die Nachfrage nach Milcherzeugnissen gegenwärtig wesentlich schneller steigt als die weltweite Produktion, täte Europa gut daran, sich den Tatsachen zu stellen und darüber nachzudenken, was nach 2015 geschehen soll. Einerseits gibt es Unternehmer, die ein Interesse haben zu wachsen und daran aufgrund der hohen Quotenkosten gehindert werden. Andererseits existieren Gegenden in Europa, in denen die Milchquote nicht mehr ausgeschöpft wird, wie beispielsweise im Vereinigten Königreich. All dies sind gute Gründe, um über einen entsprechenden Fahrplan nachzudenken, mit dem wir nach 2015 ein besseres und effizientes System einrichten können. Ich möchte Ihnen dazu einige Anregungen geben.
Erstens müssen Milchquoten international handelbar sein. Die Zusatzabgabe muss gesenkt werden, wenn die Quote tatsächlich genutzt wird, der Absatz aber fast gänzlich ohne Unterstützung der EU erfolgt. Eine andere Möglichkeit wäre der Ausgleich der Milchquote auf europäischer Ebene. Wenn ein Land die Quote nicht ganz ausschöpft, ein anderer Mitgliedstaat aber mehr gebrauchen könnte, können wir die Sache doch im Nachhinein regeln. Auch eine stufenweise Ausweitung der Quote für Milchviehhalter und Genossenschaften, die ihre Produkte ohne europäische Hilfen verkaufen, wäre denkbar.
Abschließend schlagen wir den effizienten Einsatz von EU-Mitteln für die Entwicklung des ländlichen Raums in Gebieten vor, in denen kleine Milchbauern mit Beschäftigungsproblemen und Umstellungsschwierigkeiten zu kämpfen haben. Auf diese Weise hätte die Kommissarin durchaus ein zuverlässiges Kursbuch, das einen eher marktorientierten Ansatz erlaubt. Als Abgeordneter der Christdemokratischen Partei der Niederlande (CDA) würde ich es ausgesprochen begrüßen, wenn die Kommissarin dieser Linie folgte. Ich möchte ihr gratulieren, auch weil einige dieser Vorschläge bereits von Herrn Rasmussen, dem Leiter des Bereichs Milch und tierische Erzeugnisse der Generaldirektion Landwirtschaft, formuliert worden sind. Damit bietet sich mit Blick auf die Zukunft eine Perspektive für eine rechtzeitige Debatte über Milchprodukte.
Rosa Miguélez Ramos (PSE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Die Halbzeitreform der GAP wurde als eine einfache Zwischenüberprüfung angekündigt, aber sie war dennoch eine der bedeutendsten Reformen, die diese Politik seit ihrem Beginn erlebt hat.
Angesichts dieser Vorgeschichte und der öffentlichen Erklärungen, die Sie in den letzten Monaten hinsichtlich des Quotensystems abgegeben haben und die im Sektor beträchtliche Unruhe und Unsicherheit ausgelöst haben, möchte ich Sie bitten, eindeutig klarzustellen, dass die für 2008 vorgesehene Überprüfung uns bestätigen wird, dass die Reform funktioniert, und die Kommission unter keinen Umständen beabsichtigt, weiter zu gehen oder den Termin vorzuziehen, zu dem das Parlament während der Debatten über die letzte Reform Stellung genommen hatte. Ich möchte Sie daran erinnern, dass es sich in Übereinstimmung mit dem Kommissionsvorschlag für die Verlängerung der gegenwärtigen Bestimmungen bis zum Haushaltsjahr 2014-2015 ausgesprochen hatte. Andere Kollegen sagten das Gleiche.
Diese Stabilitätsaussicht, Frau Kommissarin, die die Kommission damals vorschlug, ist für eine wirtschaftliche Tätigkeit unerlässlich, in der wie überall Pläne aufgestellt, Investitionen vorgenommen, Zahlungen ausgeführt und Vorbereitungen auf die Zukunft getroffen werden müssen, wofür ein vorher festgelegter Rechtsrahmen benötigt wird.
In meiner Region, Galicien, wie in anderen, die genannt wurden, wie die Autonome Region der Azoren oder Nordportugal (und ich möchte Herrn Freitas danken, dessen Anfrage diese Aussprache ermöglicht hat), spielen die Landwirtschaftsbetriebe in sozialer und ökologischer Hinsicht und auch zur Wiederherstellung des territorialen Gleichgewichts eine entscheidende Rolle.
Die landwirtschaftlichen Verbände vertreten die Ansicht, dass das auf Familienbetrieben basierende galicische Modell die vielseitige Rolle dieser Art von Bauerhöfen und ihre Fähigkeit, die Menschen an die Region zu binden, am ehesten verdeutlicht.
Wenn die Kommission die Spielregeln ändern möchte, muss sie zuvor erläutern, was sie zu tun gedenkt, wann und wie sie das tun will. Dies muss alles mit höchster Transparenz erfolgen, weil die Unsicherheit, Frau Kommissarin, für die in diesem Sektor tätigen Menschen das denkbar schlechteste Szenarium ist.
Der Sektor braucht Stabilität und keine Schocks, er braucht Zeit, um sich anzupassen und zu planen, und daher denke ich, wir sollten die Umsetzung der gegenwärtigen Reform zum Abschluss bringen, bevor wir über die nächste nachdenken.
Kyösti Virrankoski (ALDE). – (FI) Herr Präsident! Die Milchproduktion ist ein typisches Merkmal der schwächsten landwirtschaftlichen Regionen. Sie sichert den Lebensunterhalt und ist ein essentieller Faktor in Gebieten, wo andere Bereiche der landwirtschaftlichen Produktion schwierig oder unmöglich wären. In unfruchtbaren Gegenden beispielsweise kann man mit ihr gute Erträge bei Raufutter nutzen.
Die Milchproduktion ist kapitalintensiv. Die notwendigen Investitionen sind gigantisch. Eine moderne Produktionsstruktur kann bis zu einer Million Euro kosten. Arbeitsplätze bringt sie aber normalerweise nur Familienbetrieben.
Die Milchproduktion unterliegt Quoten. Viele junge Landwirte haben gewaltige Investitionen vorgenommen, um zusätzliche Produktionsrechte zu erwerben. Es ist keine Seltenheit, dass Produktionsquoten für 150 000 Euro oder mehr gekauft werden. Deshalb braucht die Milchproduktion einen langfristigen und geschützten Rahmen. So etwas kann man nicht mit einem Zeithorizont von acht Jahren ansetzen. Ein solides System hat zu ausgewogenen Rahmenbedingungen für den Landwirt geführt, innerhalb derer er produzieren kann. Die Preisschwankungen sind gering, und der Markt ist stabil.
Eine Abschaffung der Milchquoten würde die Lage umgehend verändern. Die großen Industriekonzerne in Europas besten Regionen befänden sich in einer starken Wettbewerbsposition. Die Vielfalt der Landwirtschaft würde umso ärmer werden. Die enormen Investitionen der Familienbetriebe in die Milchquoten würden mit einem Mal ihren Wert verlieren. Die Milchmärkte würden ihre Stabilität verlieren. All das würde die Unternehmung sehr riskant machen und sich insbesondere in jenen landwirtschaftlichen Regionen nachteilig auswirken, die aufgrund der dort herrschenden natürlichen Bedingungen schlechter gestellt sind.
VORSITZ: JACEK EMIL SARYUSZ-WOLSKI Vizepräsident
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Gemeinsame Agrarpolitik hat zahlreiche Zweifel geweckt, und das wird auch künftig so sein. Sie wird stets ihre Befürworter und Gegner haben.
Die Absicht der Europäischen Kommission, die Gemeinsame Agrarpolitik und mit ihr die Milchquoten auf den Prüfstand zu stellen, hat Befürchtungen, aber auch Hoffnungen geweckt, vor allem in den Ländern, die wie Polen darunter zu leiden haben. Die Polen zugewiesenen Milchquoten sind extrem niedrig. Zum Vergleich sei gesagt, dass Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern eine Milchquote von etwa 28 Millionen Tonnen hat, während Polen mit halb so vielen Einwohnern nur knapp 9 Millionen Tonnen gestattet sind. Das sind praktisch 4,5 Millionen Tonnen weniger als die 13 bis 13,5 Millionen Tonnen, die Polen eigentlich zustehen.
Die Frage ist hier doch, was geschehen würde, wenn man die Milchquoten abschaffte – vor allem in Ländern wie Polen, wo es mehr bäuerliche Familienbetriebe als landwirtschaftliche Großbetriebe gibt. Würde eine Änderung der Bestimmungen der Gemeinsamen Agrarpolitik diese Familienbetriebe nicht in den Bankrott treiben?
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! Frau Kommissarin! Ich bedauere es sehr, dass die neuen Mitgliedstaaten am wenigsten von der Gemeinsamen Agrarpolitik profitieren. Sie nehmen an diesem „Marshall-Plan“ für die Landwirtschaft teil, dessen großer Vorteil darin besteht, dass er auf lange Sicht angelegt ist und in die Zukunft weist. Nun, wir sind der Europäischen Union erst spät beigetreten. Das ist nicht die Schuld der Frau Kommissarin. So ist nun einmal die Geschichte Europas. Bedauerlich ist nur, dass sich die polnischen Bauern noch immer mit den Milchquoten herumschlagen, die um mehrere Millionen Tonnen zu niedrig sind. Inzwischen zahlen wir Geldbußen für Milchüberproduktion, bis sie im Jahr 2015 aufgehoben werden. Bedauerlicherweise werden bis dahin viele polnische Milcherzeuger vom Markt verschwunden sein.
Carmen Fraga Estévez (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Als Vertreterin von Galicien, einer Milcherzeugungsregion par excellence, denke ich, dass diese mündliche Anfrage an die Europäischen Kommission heute genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.
Frau Kommissarin! Die Produzenten sind völlig verwirrt durch in Umlauf gebrachte Informationen, aus denen zu ersehen ist, dass es in dem 2003 errichteten System für den Milchsektor und speziell in Bezug auf das Quotensystem Veränderungen geben wird.
Heute waren Sie nicht sehr konkret, Frau Kommissarin, aber ich denke, Sie haben eine Reihe von Dingen klargestellt: dass Sie eine Debatte in Gang setzen werden, dass vor der Abschaffung der Quoten im Jahre 2015 ein Übergangszeitraum eingeräumt wird, woraus ich folgere, dass es vor 2015 und der vollständigen Abschaffung der Quoten einen schrittweisen Abbau geben wird.
Frau Kommissarin! Wir sprechen über einen Wirtschaftssektor, der Rechtssicherheit sowie mittel- und langfristige Garantien braucht, die ihm ein Minimum an Planung ermöglichen Jede weitere Änderung oder Unsicherheit könnte zumindest in meinem Land schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Folgen haben.
Die Quoten sind für die Bauern ein sehr wichtiger Aktivposten. In einer Region wie Galicien, in der der Umstruktierungsprozess fortgesetzt werden muss, ist es für seine Durchführung entscheidend, das Quotensystem wie vorgesehen aufrechtzuerhalten. Andernfalls könnten die Auswirkungen katastrophal sein, da die Abschaffung der Quoten drastische Rückwirkungen auf den Milchpreis und folglich auf den Gewinn des Molkereisektors hätte.
Daher fordere ich Sie auf, Frau Kommissarin, jeden Übergang oder jede andere Idee für den Zeitraum nach 2015 vorzusehen.
Abschließend möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um die Tatsache hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten mit ihrer Politik in diesem gesamten Prozess zusammenwirken müssen, weshalb jede Einschränkung beim Austausch von Quoten in einem Mitgliedstaat als ein schwerwiegendes Hindernis für die Kapitalisierung, Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung des Sektors betrachtet werden sollte, wie es bedauerlicherweise bei dem von der spanischen Regierung vorgeschlagenen nationalen Plan der Fall ist.
Luis Manuel Capoulas Santos (PSE). – (PT) Frau Kommissarin, ich möchte Ihnen noch einmal für Ihre Anwesenheit in diesem Parlament danken. Ihre regelmäßige Teilnahme in Straßburg beweist hinreichend, welchen Stellenwert die Landwirtschaft in Europa nach wie vor einnimmt.
Wir haben uns über die Gemeinsame Agrarpolitik Gedanken gemacht. Erst letzte Woche hat meine Fraktion, die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament, in Brüssel ein wichtiges Seminar zum Thema GAP und der GAP, wie wir sie gern hätten, veranstaltet. Über die Zukunft nachzudenken bedeutet nicht zwangsläufig, in irgendeiner Form Instabilität auszulösen. Landwirte arbeiten mit der Natur und achten die Kreisläufe der Natur, und die Märkte reagieren bekanntlich auf jedes Anzeichen von Instabilität. Davon abgesehen schließt Instabilität zumindest Trägheit aus, und deshalb dürfen wir nicht in die übliche Falle gehen, den Status Quo nur um seiner selbst willen zu verteidigen.
Frau Kommissarin, die jüngsten Erklärungen aus einigen Kreisen haben den Sektor in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Darauf muss die Politik angemessen reagieren, damit die vom Sektor wahrgenommene Instabilität in dieser Angelegenheit nicht in einigen Fällen für unerwünschte politische Ziele ausgenutzt wird. Gegen Instabilität und Unsicherheit helfen nur regelmäßige, transparente Informationen, die so eindeutig wie möglich sind.
Deshalb möchte ich Sie auffordern, eine möglichst effektive Strategie der Klärung für den Sektor aufzustellen und außerdem gegenüber dem Sektor klarzustellen, dass die Kommission ihre Vereinbarungen und die bis 2014 festgelegten Regelungen einhält. Diese Regelungen müssen selbstverständlich unbeschadet der Debatte und unbeschadet der Überprüfung alternativer Regelungen, die sich als geeignet erweisen können, befolgt werden.
James Nicholson (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Die Aussicht auf eine klare und sichere Zukunft ist für jeden Betrieb äußerst wichtig, das gilt genauso für Milchviehhalter und die Milchwirtschaft. Die Quoten bleiben bis 2015 bestehen, was meines Erachtens eine sinnvolle Entscheidung im Zuge der Halbzeitüberprüfung war. Wenn dies jetzt aber von der Kommission in Frage gestellt wird, dann ist das ein falsches Signal, und ich freue mich, dass die Kommissarin sich heute bemüht hat, uns den Standpunkt der Kommission zu verdeutlichen.
Frau Kommissarin, sie sagten, die Quoten hätten sich inzwischen überlebt. Da mögen Sie ja Recht haben, aber ich muss Ihnen sagen, dass es bis 2015 noch lange hin ist und es sehr schwierig ist, Prophezeiungen zu treffen und abzuschätzen, wie die Gegebenheiten dann aussehen werden. Wie Sie richtig sagen, sollten wir 2015 einen sanften Übergang haben. Das heißt, wenn es soweit ist, die Quoten abzuschaffen, sollte dieser sanfte Übergang gewährleistet sein. Womit ich ein Problem habe, ist die Wahl des Zeitpunkts. Natürlich sollten wir so lange vor dem Termin auf jeden Fall einen Gedankenaustausch darüber führen, was alles passieren könnte. Aber wie können wir junge Menschen dazu ermutigen, in diesem Sektor tätig zu werden? Wie bringen wir junge Landwirte zur Milchwirtschaft? Wie sollen sie ihre Zukunft planen, wenn die Zukunft gegenwärtig in Frage gestellt wird?
Die Milchwirtschaft ist, wie Sie nur zu gut wissen, das Rückgrat des Agrarsektors in der ganzen Europäischen Union. Wir müssen uns gemeinsam darum bemühen, dieser Branche eine solide Zukunftsperspektive zu bieten. Nur durch unsere Zusammenarbeit können wir diese solide Zukunftsperspektive schaffen. Ich hoffe, dass Sie die Gelegenheit nutzen werden, sich mit uns im Landwirtschaftsausschuss gemeinsam zu engagieren und aktiv dabei mitzuwirken, dass der Milchsektor, die Milchviehhalter und die Milchverarbeitungsindustrie insgesamt eine Zukunft haben. Es geht hier nicht nur um die Menschen, die auf den Bauernhöfen beschäftigt sind; die Menschen, die im verarbeitenden Gewerbe und außerhalb der Bauernhöfe tätig sind, sind genauso wichtig.
Salvador Garriga Polledo (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Wir alle stimmen überein, dass der europäische ländliche Raum sowie die Landwirte und Viehzüchter Europas eine gewisse Sicherheit brauchen. Die Vereinbarung von Brüssel aus dem Jahr 2002 hat diese Sicherheit gegeben, und dafür haben die Mitgliedstaaten eine Reform der GAP toleriert, die von den ländlichen Regionen, insbesondere den „Kohäsionsländern“, große Opfer forderte.
Diese Gewissheit bedeutete unter anderem, dass das Milchquotensystem bis 2015 in Kraft bleibt, um den Landwirten genügend Zeit zu geben, ihre Betriebe umzugestalten und sie wettbewerbsfähiger zu machen und, wenn notwendig, den Sektor zu verlassen.
Doch wir wollen die Sicherheit behalten, und Sie wissen, dass die Quoten die einzige Garantie für die Landwirte auf einem Markt mit ständig fallenden Preisen sind. Die Quoten stellen einen Aktivposten für die Landwirte dar, die die Freiheit haben müssen, sie zu übertragen und zu verkaufen, wenn sie die Produktion einstellen wollen. Die Unsicherheit führt dazu, Frau Kommissarin, dass der Wert von Quoten zurückgeht.
In meiner Region, Asturien, sind in zwei Jahren 94 000 Tonnen verloren gegangen, weil Landwirte ihre Betriebe aufgegeben haben. Zwischen 1996 und 2006 ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von 30 000 auf gerade einmal 3 200 gesunken. Die Junglandwirte, über die wir alle so viel sprechen, einschließlich derer mit hohen Milchquoten und profitablen Betrieben, ziehen sich aus dem Sektor zurück. Die Regierung hat auch die Quotenübertragungen zwischen Einzelpersonen untersagt.
Unser Problem, Frau Kommissarin, ist die ländliche Entwicklung. Sie werden im kommenden Jahr einen Gesundheitscheck der Gemeinsamen Agrarpolitik vornehmen. Wir hoffen, dass Sie wie ein Arzt und nicht wie ein Gerichtsmediziner vorgehen.
Halten Sie es für richtig, von Übergangsmaßnahmen zu sprechen, wenn für die ländliche Entwicklung nicht einmal ausreichende Mittel garantiert sind? Ich möchte Sie daran erinnern, dass beispielsweise mein Land in den nächsten Jahren 50 % der Mittel für ländliche Entwicklung verlieren wird. Gedenken Sie, dieser Situation bei der Revision im kommenden Jahr Beachtung zu schenken?
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Aussprache in diesem Hohen Haus über die Milchquoten gewinnt an Intensität. Wir alle fragen uns, was geschehen wird, wenn die Quotenregelung für die Milchproduktion ausläuft. Es gab viel Kritik, die sich hauptsächlich darauf richtete, dass die derzeitige Regelung veraltet ist, die Entwicklung des Milchsektors hemmt und seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt schwächt.
Gegen die Abschaffung dieser Regelung regt sich in den Ländern Widerstand, die ungünstige natürliche Voraussetzungen für die Milchproduktion haben. Für sie bedeutet ein Auslaufen der Regelung, dass die Produktion in andere Regionen verlagert wird, wodurch viele Bauern ihre Existenzgrundlage und ihre stabilen Einkommen verlieren werden. Davon könnten auch die am schwächsten entwickelten Regionen im Osten Polens betroffen sein, wobei Polen zu den Ländern zählt, denen eine ungerechte, extrem niedrige Milchquote zugewiesen wurde. Wir könnten schon bald zu Nettoimporteuren werden.
Einigen Experten zufolge hätte Polen unter einer strengen Quotenregelung mehr zu leiden als andere Mitgliedstaaten, weil mit dieser Regelung die Chancen für eine Modernisierung und Ausschöpfung des Produktionspotenzials aufgrund der geringen Hilfen für den Milchsektor in der Europäischen Union eingeschränkt werden. Viele sind der Meinung, die Milchquoten hätten ihre ökonomische Existenzberechtigung verloren. Wir sind außerdem mit der WTO in Verhandlung und haben zugesagt, die Ausfuhrsubventionen abzuschaffen und die Schutzzölle für den Binnenmarkt beträchtlich zu verringern.
Wie wird sich das auf den Milchmarkt der EU auswirken? Eine gerechte Lösung scheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt darin zu bestehen, den restriktiven Charakter der Quotenregelung zu mildern, indem beispielsweise die Quoten für den Großhandel mit denen für Direktverkäufe kombiniert und die Geldstrafen für die Überschreitung der Obergrenzen verringert werden. Ich möchte die Frau Kommissarin daran erinnern, dass zurzeit nicht alle Länder ihre Quoten voll ausschöpfen.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! In Irland wird über kaum etwas anderes gesprochen. Ich habe am Donnerstagabend mit zahlreichen Milchbauern in Navan im County Meath gesprochen. Die Frage, die sie stellen, ist weniger, ob die Quoten 2015 abgeschafft werden, sondern vielmehr, was von 2008 an unternommen wird, um den Wert der Milchquoten einbrechen zu lassen.
Ich bin dem „Farmers’ Journal“ für seine Ausgabe vom letzten Donnerstag dankbar, in der die fünf Kernpunkte umrissen wurden, die die Kommission im Sinn hat. Es kann sicher nicht schaden, wenn das Parlament sie erfährt. Was Sie vorhaben, ist wohl eine schrittweise Anhebung der Quoten ab dem Gesundheitscheck, eine Senkung der von den Mitgliedstaaten zu entrichtenden Abgaben bei Überschreitung der Milchquoten und ein Quotenausgleich innerhalb der Europäischen Union, sodass eine Quotenüberschreitung in einem Mitgliedstaat durch eine Quotenunterschreitung in einem anderen kompensiert werden kann. Weitere Themen sind der grenzüberschreitende Handel sowie die Senkung des Wertes der Quoten in den Mitgliedstaaten. Dies geschieht bereits, zumindest in Irland.
Das alles hat aber auch eine Schattenseite. Die Studien, die ich zu diesem Thema gelesen habe, besagen ausnahmslos, dass die Abschaffung der Milchquoten zu einem deutlichen Einbruch der Milchpreise in vielen Mitgliedstaaten und zu einer entsprechenden Erhöhung der Erzeugung führen wird. Das würde in Irland, den Niederlanden, Dänemark und Luxemburg geschehen.
Entscheidend an der Sache ist doch, dass wir alle für die Abschaffung sind, wenn die Marktlage im Jahr 2015 günstig ist. Aber niemand von uns weiß, wie sich die Märkte dann verhalten werden. Ich bin schon sehr gespannt auf Ihre Analyse des Milchmarkts. Darin wird man sich eingehend mit der Zukunft auseinandersetzen müssen, denn wenn die Weltmarktlage ungünstig ist, kann ich den Bauern nicht raten, immer schneller auf der Stelle zu treten. Das wäre sinnlos.
Was nun die Sorgen um die jungen Bauern betrifft – ich habe selber mehrere, auch wenn sie im Moment noch ziemlich klein sind –, so frage ich mich, wer denn irgendjemandem raten würde, in eine Branche einzusteigen, in der man doppelt so hart arbeiten muss, um halb so viel zu verdienen? Das ergibt keinen Sinn. Das dürfen wir nicht vergessen.
Der Schlüssel liegt bei der WTO und den dortigen Entwicklungen. Aber immerhin führen wir eine Debatte darüber, und das ist ein positives Zeichen. Wir sollten über diese Dinge häufiger im Hohen Haus diskutieren, anstatt aus unseren nationalen Zeitungen darüber zu erfahren.
Neil Parish (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich bin dankbar, dass Herr Freitas dieses Thema angesprochen hat und die Kommissarin heute Abend anwesend ist, denn dies ist wirklich eine lohnende Debatte.
Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass Milchquoten und Flächenstilllegungen, da sie mit einer entkoppelten Agrarpolitik schwer vereinbar sind, künftig stufenweise abgebaut werden müssen. Wir müssen auch einen Termin festlegen und ihn einhalten, denn seit ich hier bin, sollten immer wieder Quoten abgeschafft werden, was jedoch nie geschehen ist. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass sie eines Tages tatsächlich wegfallen. Jeder im Hohen Haus weiß den Wert der Milcherzeugung für all unsere Mitgliedstaaten zu schätzen – das gilt nirgendwo mehr als in meiner britischen Heimatregion, dem West Country, wo die Milchwirtschaft zum täglichen Brot der ganzen Gegend gehört, jedoch enorm unter Druck geraten ist. Interessant an den Quoten und dem Wert der Quoten ist doch, dass der Satz in Großbritannien vor zehn Jahren noch fast ein Pfund pro Liter betrug, während er heute bei einem Penny pro Liter liegt. Wir müssen uns deshalb bewusst sein, dass Quoten in vielerlei Hinsicht keine fassbare Größe sind und von heute auf morgen ihren Wert verlieren können. Wir müssen sehr aufpassen, wie wir damit umgehen. In Großbritannien sind die Macht der Supermärkte und der Preisdruck heute das eigentliche Problem. Wir erreichen nicht einmal unsere nationale Quote, was verdeutlicht, dass mit den Preisen etwas nicht stimmt.
In den letzten 20 Jahren gab es immer mal wieder Zeiten, in denen ein weltweiter Anstieg des Milchhandels zu verzeichnen war. Aber da in Europa eine Kontrolle der erzeugten Mengen stattfindet, konnten wir davon nie richtig profitieren. Deshalb brauchen wir in Zukunft eine flexiblere Regelung. Ich würde gern hören, wie die Kommissarin dazu steht.
In Neuseeland – wo Milch wohl genauso effizient wie anderswo erzeugt wird – gibt es immer noch eine Art Quote, weil dort eine nationale Genossenschaft existiert, an der die Bauern beteiligt sein müssen, wenn sie zusätzlich Milch erzeugen wollen. Es ist sicher lohnend, sich über die Gestaltung nach 2015 Gedanken zu machen, doch zuerst müssen wir uns der Tatsache stellen, dass die Quoten abgeschafft werden müssen.
Duarte Freitas (PPE-DE), Verfasser. – (PT) Herr Präsident, vielen Dank. Als Verfasser der Anfrage möchte ich ganz schnell der Frau Kommissarin eine spezielle Frage stellen, damit wir dann alle mit einer klareren Perspektive zu diesem Thema dieses Hohe Haus verlassen können.
Wie die Kommissarin sagte, endet die Regelung bekanntlich 2015, wenn nichts unternommen wird. Wir wissen auch, dass die Kommissarin selbst sie für ein veraltetes System hält, das eingestellt werden muss. Was wir jetzt wissen wollen, und das ist die Frage, die ich Ihnen stellen möchte, Frau Kommissarin, und bitte geben Sie eine ganz klare Antwort: Akzeptieren Sie, dass der Abbau vor 2015 beginnen kann, wie Herr Rasmussen, Ihr Vertreter im Landwirtschaftsausschuss des Parlaments annimmt, oder wird der Prozess ab 2015 beginnen? Das ist eine entscheidende Frage, und ich bitte Sie um eine ganz klare Antwort.
Mariann Fischer Boel, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich habe diese interessante und sehr leidenschaftliche Debatte mit großem Interesse verfolgt. Sie veranschaulicht auf eindrucksvolle Weise, welche Bedeutung die Milchwirtschaft hat.
Wie Herr Mulder richtig sagte, wurde das Quotensystem 1984 eingeführt, zu einer Zeit, als wir hohe Preise für unsere Erzeugnisse aufrechterhalten wollten. Damals war das Quotensystem deshalb eine gute Idee. Allerdings haben sich die Dinge in den letzten 20 Jahren drastisch verändert, und es entstand deshalb im Zuge der Reform von 2003 eine Diskussion, was mit dem Milchsektor geschehen solle. Es fiel die Entscheidung, das Quotensystem bis zum 31. März 2015 beizubehalten. Wir beschlossen, die Quoten zu erhöhen und die Preise zu senken. Die stufenweise Einleitung dieser Veränderungen wird nächstes Jahr abgeschlossen.
Dann ergab sich die Möglichkeit, den erwähnten „Gesundheitscheck“ durchzuführen. Es wird wohlgemerkt keine neue Reform im Jahr 2008/2009 geben. Das möchte ich klarstellen. Der „Gesundheitscheck“ bietet einfach nur die Gelegenheit, die Gemeinsame Agrarpolitik im Einklang mit der GAP-Reform von 2003 zu straffen und zu vereinfachen.
Wenn ich mit dem Parlament zu tun habe, versuche ich immer mit offenen Karten zu spielen und sie nicht verborgen zu halten. Wir brauchen im Rahmen des „Gesundheitschecks“ eine Diskussion darüber, was wir mit dem Quotensystem anstellen, wenn es 2015 ausläuft. Ich habe zwar noch keine konkreten Vorstellungen zur Auslaufphase, aber müssen wir der Milchwirtschaft sagen, ob wir nun das Quotensystem verlängern wollen oder nicht. Ich schlage keine Veränderungen vor, da das Quotensystem im Jahr 2015 automatisch ausläuft, wenn wir nicht weiter eingreifen. Deshalb müssen wir den Beteiligten sagen, ob wir nun an der Vereinbarung festhalten, das Quotensystem im Jahr 2015 abzuschaffen. Denn wenn wir nichts sagen, werden die Landwirte überall in Europa annehmen, dass dies nicht geschehen wird. Sie werden ihre Quoten beibehalten und davon ausgehen, dass sie nach dem 31. März 2015 immer noch etwas wert sind. Und dann kommen der Rat und das Parlament und beschließen plötzlich ihre Abschaffung, wodurch der Wert der Quoten schlagartig auf Null sinkt. Sie sind dann rein gar nichts mehr wert! Das hat mit Kalkulierbarkeit nichts zu tun, und deshalb müssen wir ein klares Signal geben, wie die Zukunft aussehen wird.
Wie ich in meinem ersten Redebeitrag schon sagte, wird uns der Bericht über die Marktperspektiven im Milchsektor Ende nächsten Jahres vorliegen. Herr Nicholson, dass ich mit dem Parlament und konkret mit dem Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung eng zusammenarbeite, hat bei mir Tradition. So gesehen können wir gerne erörtern, was künftig geschehen soll, um für die Milchwirtschaft in der Europäischen Union Stabilität zu gewährleisten und Unsicherheit zu vermeiden.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Béla Glattfelder (PPE-DE). – (HU) In letzter Zeit haben einige Meldungen die Runde gemacht, die Kommission bereite die Neuordnung des Milchmarktes vor und ein wichtiges Element dieses Vorhabens sei die Abschaffung der Milchquoten. Die Kommission hat diese Berichte nicht dementiert. Diese Nachrichten sind beunruhigend – sei es nur, weil in den letzten Jahren vorrangig in jenen Sektoren Reformen durchgeführt wurden, in denen die Regelung ohnehin ausgelaufen wäre. Für den Milchsektor gibt es keinen solch zwingenden Grund, da die hier geltenden Verordnungen bis 2015 in Kraft sind. Außerdem hat die Milchquotenregelung dem Markt und den Erzeugern ausreichende Stabilität beschert.
Sollte die Quotenregelung abgeschafft werden, würde das Einkommen von Milcherzeugern europaweit sinken, was eine weitere Konzentration im Sektor zur Folge hätte. Zehntausende Bauern, die für die lokalen Märkte produzieren, wären dann gezwungen, ihre Produktion einzustellen. Im Ergebnis würde in weniger günstig aufgestellten Mitgliedstaaten die Milchproduktion erheblich zurückgehen. Einige Mitgliedstaaten wären dann genötigt, ihren Bedarf an Milchprodukten überwiegend aus Importen zu decken.
Obgleich sich die Milchproduktion in Ungarn in erster Linie in den Händen großer Konzerne befindet und wettbewerbsfähig ist, läge es nicht im Interesse unseres Landes, das Quotensystem abzuschaffen. Aufgrund der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist der Milchverbrauch niedrig und Ungarn kann die ihm zugeteilten Quoten nicht ausschöpfen. Gleichzeitig hoffen wir jedoch, dass mit einem wirtschaftlichen Aufschwung auch der Milchkonsum wieder steigt. Deshalb wäre für Ungarn insbesondere eine Änderung der Quotenregelung inakzeptabel, nach der Quoten von Mitgliedstaaten, die diese nicht ausschöpfen, an Länder übertragen werden, die sie in höherem Maß nutzen.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Der Grund für die Beibehaltung der strengen Milchquotenregelung ist, dass nach den derzeit geltenden Quoten mehr Milch produziert werden kann als die EU intern verbraucht.
Ab 2007 müssen Direktzahlungen an Milcherzeuger vollständig von der Produktion abgekoppelt werden, das heißt, die Zahlungen gehen nicht an die Erzeuger, sondern in Form eines flächenbasierten Pauschalbetrags an diejenigen, die für den Bezugszeitraum eine Milchquote besitzen.
Nach den aktuellen Bestimmungen bleibt die Milchquotenregelung bis 2014-15 in Kraft. Kommissarin Fischer-Boel äußerte, dass wir uns im Zuge der Überprüfung das Quotensystem vornehmen sollten, nannte aber keine konkreten Einzelheiten.
Die Aufrechterhaltung des Quotensystems ist die einzige Garantie für Markt- und Preisstabilität. Ohne Quoten würde die Produktion deutlich ansteigen, und infolge der resultierenden Überschüsse würden die Preise fallen, was Kleinerzeugern rasch die Luft zum Atmen nähme. Gleichzeitig wären ohne Unterstützung nur die wettbewerbsfähigsten Industrien in der Lage, dem Importdruck standzuhalten oder auf dem Exportmarkt zu bestehen.
In Ungarn geht die Milchproduktion aus Effizienzgründen stetig zurück: Obwohl die Einkaufspreise nicht fallen, schöpfen wir die uns zugeteilte Gemeinschaftsquote derzeit nur zu rund 70 % aus. Im Gegensatz zur westeuropäischen Praxis gehören hier leider den Erzeugern die Verarbeitungsanlagen nicht.
Sollte die Quotenregelung abgeschafft werden, stiege der Anteil importierter Erzeugnisse, wodurch sich das Problem der Wettbewerbsfähigkeit bei den ungarischen Erzeugern noch verschärfen und der Rückgang der heimischen Produktion wahrscheinlich beschleunigen würde. Aus all diesen Gründen bin ich nicht für die Abschaffung der Milchquotenregelung.
20. Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den ELER – Fakultative Modulation der Direktzahlungen im Rahmen der GAP (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über
- den Bericht von Jan Mulder im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) (KOM(2006)0237 – C6-0237/2006 – 2006/0082(CNS)) (A6-0319/2006)
- den Bericht von Lutz Goepel im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit Bestimmungen zur fakultativen Modulation der Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe sowie zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005
Mariann Fischer Boel, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Bevor ich auf den Inhalt der Berichte eingehe, möchte ich den Berichterstattern Lutz Goepel und Jan Mulder zusammen mit den Mitgliedern des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung für all die Arbeit danken, die sie in die Erstellung dieser beiden Berichte gesteckt haben.
Beginnen möchte ich mit dem Bericht von Herrn Goepel. Ich habe den Standpunkt des Landwirtschaftsausschusses, wonach der Vorschlag zur fakultativen Modulation abgelehnt und die Kommission zur Rücknahme des Vorschlags aufgefordert werden soll, aufmerksam zur Kenntnis genommen.
Bevor ich nun auf einige Punkte des Berichts zu sprechen komme, möchte ich in Erinnerung rufen, warum ich den Vorschlag vorgelegt habe und nach welchem Leitprinzip er erstellt wurde.
Der Vorschlag der Kommission ist eine Reaktion auf eine Forderung des Europäischen Rates vom letzten Dezember, einen Vorschlag zur fakultativen Modulation vorzulegen. Durch eine solche Modulation hätten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Mittel von der ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik in die zweite Säule zu übertragen, um so die Mittel für ländliche Entwicklung aufzustocken, was die meisten von Ihnen ja sicher für erstrebenswert halten.
Ich habe meine Bedenken gegenüber einigen Aspekten der vom Rat erzielten Einigung zum Ausdruck gebracht. Dies betrifft insbesondere die Tatsache, dass diese Regelung sowohl für die Direktzahlungen als auch für die marktbezogenen Ausgaben gelten würde und dass bei den Ausgaben zur Entwicklung des ländlichen Raums deutlich von den Grundregeln abgewichen wird. Die Kommission versucht, möglichst umfassend auf diese Bedenken zu reagieren und so weit es geht für eine Übereinstimmung mit den Vorschriften für die obligatorische Modulation und die Ausgaben für die ländliche Entwicklung zu sorgen. Dies entspricht auch dem, was die Kommission zur Interinstitutionellen Vereinbarung über die Finanzielle Vorausschau erklärt hat.
Um nun einige Argumente aus dem Bericht von Herrn Goepel aufzugreifen, so heißt es dort, dass die fakultative Modulation zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Ich teile nicht diese Auffassung. Sowohl die Betriebsprämienregelung als auch die Ausgaben für die ländliche Entwicklung werden nach den WTO-Regeln als nicht handelsverzerrend eingestuft.
Es wird behauptet, dass es keine vernünftige Folgenabschätzung gibt. Zunächst einmal war dies in der kurzen Zeit, die während der Sitzung im Dezember zur Verfügung stand, schlicht und ergreifend nicht machbar. Zweitens wären wir auf methodische Schwierigkeiten gestoßen, da wir nicht wissen, welche Mitgliedstaaten die fakultative Modulation anwenden würden. Und falls sie das doch tun würden, dann wissen wir nicht, welchen Satz sie anwenden würden. Der Vorschlag widerspricht also nicht den Grundprinzipien der ländlichen Entwicklung, wie etwa der nationalen Kofinanzierung. Wir schlagen eine optionale Kofinanzierung als Kompromiss vor, um den Erwartungen des Rates zu entsprechen.
Lassen Sie mich nun zum Bericht Mulder über die vorgeschlagenen Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 kommen. Der Text ist eine rechtliche Übersetzung dessen, was letzten September von den Staats- und Regierungschefs zur so genannten Kappungsregel beschlossen wurde. Diese kommt bei allen Strukturinstrumenten, darunter dem Fonds für die ländliche Entwicklung, zur Anwendung und ist auch in der allgemeinen Verordnung über die Strukturfonds aufgeführt. Des Weiteren wird im Text darauf eingegangen, dass ein Betrag von 320 Millionen Euro, der aus dem Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums an Portugal fließen soll, von der Kofinanzierungsvorschrift ausgenommen wird, was ebenfalls auf der Ratstagung im Dezember vereinbart wurde.
Ich habe den Standpunkt des Verfassers – insbesondere zur Kofinanzierung – zur Kenntnis genommen. Ich denke auch, dass es bei der ländlichen Entwicklung eine Ausnahme sein sollte, wenn die 320 Millionen Euro für Portugal aus der verlangten nationalen Kofinanzierung herausgenommen werden, schließlich ist die Kofinanzierung ein Grundprinzip bei der Entwicklung des ländlichen Raums. Das bedeutet auch gemeinsame Verantwortung für die Ausgaben, und es handelt sich um ein wesentliches Element der Subsidiarität, die in den Maßnahmen in den verschiedenen Mitgliedstaaten oder Regionen zur Anwendung kommt.
Ich hoffe auf eine fruchtbare Diskussion zu diesem Thema und werde mich zum Schluss der Aussprache nochmals äußern.
Lutz Goepel (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Frau Kommissarin! An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an alle meine Kollegen aus allen Fraktionen, die mich dabei unterstützt haben, für diese Debatte, die für das Parlament und die europäischen Landwirte von großer Bedeutung ist, einen würdigen Rahmen zu finden!
Sie, Herr Präsident, haben mit Ihrer weisen und klugen Entscheidung dafür gesorgt, dass die Kollegen aller Fraktionen zu Wort kommen, wenn auch zu einer etwas späteren Stunde. Nach Beschluss des Rates, der natürlich, wie oft in solchen Agrardebatten, heute auch durch Anwesenheit glänzt, hat die Kommission den Vorschlag unterbreitet, wonach 20 % der landwirtschaftlichen Direktzahlungen von der ersten in die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik umgeschichtet und dort ohne Pflicht zur Kofinanzierung ausgegeben werden können.
Dies ist ein Zugeständnis der Ratsmehrheit und nolens volens der Kommission im Rahmen des Haushaltskompromisses vom Dezember 2005. Die Frau Kommissarin hat das im Wesentlichen bestätigt. Das Parlament hat seine Vorbehalte hiergegen schon in der Interinstitutionellen Vereinbarung zur Finanziellen Vorausschau klar zum Ausdruck gebracht. Der Landwirtschaftsausschuss hat diesen Vorschlag deutlich – nämlich mit nur 3 Gegenstimmen – abgelehnt und das Gesetzesvorhaben sogar einstimmig zurückgewiesen.
Es geht nicht allein um fachpolitische Differenzen, es geht um die Stellung des Parlaments als Institution bei den anstehenden Debatten über die Neuausrichtung des Gemeinschaftshaushaltes. Alle Institutionen haben sich im Haushaltskompromiss darauf verständigt, dass alle Ausgaben der Gemeinschaft, darunter besonders auch die Agrarausgaben nach 2013, auf den Prüfstand kommen, und dass das Parlament an diesem Prozess frühzeitig und umfassend beteiligt wird.
Der Rat verabschiedet jedoch nun eine weitreichende Umgestaltung der Agrarfinanzierung durch die Hintertür! Das Parlament darf nur noch abnicken, denn eine Konsultation mit dem Parlament im Vorfeld hat nicht stattgefunden. Stattdessen hat der Rat eine sehr weitgehende Mittelumschichtung beschlossen, die die Spielräume für die Debatte 2008-2009 so verengt, dass für eine ernsthafte Diskussion kaum noch Platz ist. Dies können wir als Parlament nicht dulden, wenn wir zukünftig noch ernst genommen werden wollen, und zudem ist der Vorschlag finanzpolitisch fragwürdig!
Zur agrarpolitischen Seite wäre anzumerken: Der Vorschlag ist von keinerlei Folgenabschätzung begleitet. Vielmehr wird so getan, als ob eine kurzfristige Kürzung der Direktzahlungen um 20 % keinerlei Probleme für die Landwirte mit sich brächte. Zusammen mit den Kürzungen aufgrund der obligatorischen Modulation und denen, die allgemein nach dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien erwartet werden, bedeutet dies für die Mitgliedstaaten, die diese freiwillige Modulation anwenden wollen, eine Kürzung der Zahlungen um etwa ein Drittel gegenüber 2003! Damit wird der Strukturwandel in der Landwirtschaft nicht begleitet, sondern dies bedeutet einen krassen Strukturbruch! Die Existenzgrundlage vieler Tausender landwirtschaftlicher Betriebe im ländlichen Raum wäre damit bedroht. Unsere Landwirte brauchen Planungssicherheit, das wird von allen bestätigt.
Mangels einer Folgenabschätzung seitens des Rates und der Kommission haben wir entsprechende Gutachten in Auftrag gegeben. Die Gutachten belegen, dass es zur massiven Wettbewerbsverzerrung und zu einer rechtswidrigen Diskriminierung betroffener Landwirte kommen wird. Sie belegen weiter, dass die Ziele der Gemeinschaft im ländlichen Raum durch die Modulation nicht gefördert, sondern vielmehr erheblich gefährdet werden.
Auf die berechtigten Sorgen europäischer Landwirte hat der Rat bisher in keiner Weise reagiert, und eine Diskussion über die Folgen hat bisher nicht stattgefunden. So ein Verhalten ist in der Europäischen Union ansonsten völlig unüblich und auch offensichtlich unangemessen. Da die übertragenen Gemeinschaftsmittel zudem nicht gemäß den strategischen Vorgaben der Gemeinschaft auszugeben sind, haben wir hier den paradoxen Fall einer Renationalisierung der Agrarpolitik, finanziert zu 100 % aus Gemeinschaftsmitteln, besonders wenn man die noch weitergehende Vorstellung des Rates zugrunde legt. Schauen Sie bitte auf die nächste Tagung am 14. November dieser Woche.
Wir wollen alle den ländlichen Raum stärken. Wir haben diskussionswürdige Vorschläge zur Lösung der Finanzierungsprobleme im ländlichen Raum gemacht. Ich erinnere an den Bericht Böge. Der Rat hat es vorgezogen, diese Vorschläge nicht näher zu betrachten. Lassen Sie uns dem Rat hierzu nicht auch noch die Hand reichen! Wenn es einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaftspolitik geben muss, dann nur nach einer transparenten und offenen Debatte, an der das Parlament sich auch entscheidend beteiligen kann, denn dieser Vorschlag ist rechtlich, inhaltlich und politisch verfehlt und löst keines der Probleme des ländlichen Raums!
Wenn wir bei zukünftigen Debatten über die Bewertung des Haushalts in der Agrarpolitik noch ernst genommen werden wollen, dann sollten wir diesen Vorschlag klar und eindeutig zurückweisen. Ich hoffe, dass der Rat nach der Abstimmung in unserem Haus endlich in eine vertiefte Diskussion der Sachfragen eintritt. Meine Kollegen im Ausschuss und ich sind hierzu gerne bereit, aber der Rat muss sich bewegen. Allerdings ist die Hoffnung zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht sehr ausgeprägt.
Jan Mulder (ALDE), Berichterstatter. – (NL) Herr Präsident! Der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung hat meinen Bericht einstimmig genehmigt. Zusätzliche Hilfen für die Entwicklung des ländlichen Raums in Portugal sind nach unserem Dafürhalten gerechtfertigt. Natürlich war diese Entscheidung nicht optimal, aber sie war Teil eines Maßnahmenpakets, das im Dezember vom Rat gebilligt wurde. Aus Sicht des Europäischen Parlaments war es im Rahmen der Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau nicht nötig, daran zu rütteln. Lassen Sie mich erneut betonen, dass dies keine ideale Vorgehensweise darstellt und eine Ausnahme bleiben sollte. Letztlich müssen wir jedoch akzeptieren, dass ein ähnlicher Ansatz für verschiedene andere Länder vereinbart wurde.
Erlauben Sie mir nun, Herr Präsident, zum Bericht Goepel Stellung zu nehmen. Im Hinblick auf die Finanzielle Vorausschau, die anschließend vom Europäischen Parlament insgesamt genehmigt wurde, hat der Ausschuss deutlich gemacht, dass das Europäische Parlament seine Entscheidung über die fakultative Modulation verschoben hat. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass die Kommission so rasch einen Vorschlag vorlegt. Eigentlich hat sie nur die „Befehle“ – gestatten Sie diese Ausdrucksweise aus Mangel an einem passenderen Wort – des Rates befolgt.
Die Ansicht der Kommissarin, es bestünde keine Gefahr der Renationalisierung der europäischen Landwirtschaftspolitik, kann ich nicht teilen. In meinen Augen ist dies eine sehr gefährliche Tendenz. Für den europäischen Bauern ist der gemeinsame Markt von bald 500 Millionen Verbrauchern, die wir im größtmöglichen Umfang binden müssen, das Wichtigste. Wie Herr Goepel bereits erwähnte, wurden außerdem die Auswirkungen der Politik wohl kaum untersucht. Möglicherweise muss der durchschnittliche europäische Bauer im Jahr 2013 aufgrund verschiedenster Maßnahmen mit einem Drittel weniger auskommen, als er 2004 erhielt. Stellt sich die Europäische Union damit als die verlässliche Institution dar, die sie sein will? Welche Folgen hat dies? Können die Bauern eine solche Politik in bestimmten Regionen überleben usw.? Uns liegt keine entsprechende Analyse vor. Meines Erachtens hat die Kommission keine andere Wahl, als die Folgen zu analysieren, sobald der Vorschlag vorgelegt wird.
Eines der wichtigen Rechte des Parlaments ist das Haushaltsrecht, auf das Herr Bösch mit Sicherheit noch eingehen wird. Wir haben die Finanzielle Vorausschau genehmigt, die genaue Zahlen enthält. Dabei wird angegeben, welche Summen hierfür und welche dafür vorgesehen sind. Dargestellt wird weiterhin, welche Beträge für Marktmaßnahmen im Rahmen der europäischen Landwirtschaftspolitik und welche für die ländliche Entwicklung eingeplant sind. Die Durchführung der fakultativen Modulation hätte Auswirkungen auf diese Zahlen. Ändert man damit nicht auch die Finanzielle Vorausschau? Wenn Sie mich fragen, ja. Eine Änderung der Finanziellen Vorausschau bedarf der Genehmigung durch die Haushaltsbehörde, die aus dem Europäischen Parlament, der Kommission und dem Rat gebildet wird. Ob das Europäische Parlament damit einverstanden ist, wage ich zu bezweifeln. Ich stimme darum gegen die Vorschläge der Kommission über die fakultative Modulation.
Herbert Bösch (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin noch nicht so lange im Haus, aber doch lange genug, um feststellen zu können, dass es nicht immer eine so eindeutige Übereinstimmung der Position des Landwirtschaftsausschusses dieses Hauses mit jener des Haushaltsausschusses dieses Hauses gibt, nämlich die Ablehnung dieses Entwurfs.
Die Stellungnahme des Haushaltsausschusses konzentriert sich natürlich auf die budgetrelevanten Fragen, und auch in diesem Zusammenhang lassen sich ausreichende Argumente finden, die für eine klare Ablehnung des Vorschlags der Kommission sprechen. Im Rahmen der freiwilligen Modulation können die Mitgliedstaaten einseitig und ohne umfassende Einbindung des Parlaments die nichtobligatorischen Ausgaben für die ländliche Entwicklung um mehrere Milliarden Euro erhöhen. Das widerspricht Inhalt und Geist der interinstitutionellen Vereinbarung.
Auch die Kommission hat die haushaltstechnischen Konsequenzen eines solchen freiwilligen Transfers nicht ausreichend durchdacht. Es ist unverantwortlich, Frau Kommissarin, dass sie sich einmal mehr zum Schriftführer des Rates deklariert und keine Folgenabschätzung vor der Annahme des Vorschlags durchgeführt hat. Welche Auswirkungen wird dieser Vorschlag auf die Gemeinsame Agrarpolitik haben? Das wissen wir nicht, Sie wissen es auch nicht, und doch sollten wir ihm zustimmen! Das machen wir nicht! Vielleicht passiert dann nämlich genau dasselbe wie im Fall der europäischen Beihilferegelung für Baumwolle, die Anfang September dieses Jahres vom EuGH für nichtig erklärt wurde. Auch dort sind die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Reform unterschätzt bzw. unzureichend untersucht worden.
Der Vorschlag widerspricht darüber hinaus allen früheren Bestimmungen zur Modulation, da er keine Kofinanzierung von Seiten der Mitgliedstaaten vorsieht. Eine billige Lösung, die sich unsere Regierungschefs zur Deckung des Budgetlochs im ländlichen Raum, für das sie verantwortlich sind, ausgedacht haben. Wäre der Rat tatsächlich an einer Aufstockung der Mittel für die zweite Säule interessiert, so hätte er ganz einfach im Rahmen der Finanziellen Vorausschau 2007-2013 den Forderungen dieses Hauses Folge leisten sollen.
Wir sollten diesem Vorschlag eine klare Ablehnung erteilen.
Struan Stevenson, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Regierungszahlen zufolge betrug 2005 das Durchschnittseinkommen der Landwirte meines Wahlkreises in Schottland 10 000 Pfund bzw. 14 000 Euro. Das ist eine Katastrophe: Die Landwirte werden in den Bankrott getrieben! Sie haben überhaupt keinen Spielraum für Reinvestitionen in ihre Branche. Anstatt praktische Hilfe zu bieten, macht Premierminister Blair jetzt den verblüffenden Vorschlag, die Betriebsprämie der Landwirte um 20 % zu kürzen, und zwar zusätzlich zu der bereits bestehenden obligatorischen Modulation von 5 % und – wie wir von Herrn Goepel gehört haben – weiteren 8 %, die für die Finanzierung von Bulgarien und Rumänien abgezweigt werden.
Mit anderen Worten, die britischen Landwirte – schließlich scheint Großbritannien der einzige Mitgliedstaat zu sein, der zu dieser fakultativen Modulation wirklich drängt – werden etwa 33 % ihrer Subventionen einbüßen, die vielen von ihnen das Überleben sichern. Noch schlimmer wiegt jedoch, dass die britischen Landwirte durch diese blanke Diskriminierung enorme Wettbewerbsnachteile gegenüber allen übrigen Landwirten in allen EU-Mitgliedstaaten erleiden. Es mag ja sein, Frau Kommissarin, dass das in den Augen der WTO noch keine Handelsverzerrungen sind, aber für den Geldbeutel der Landwirte ist es ganz klar eine Katastrophe.
Ich muss mich auch entschieden gegen die Drohungen der britischen Regierung wenden, die uns sagt, dass wir, wenn wir gegen die fakultative Modulation stimmen, die Zukunft der beliebten Agrarumweltmaßnahmen aufs Spiel setzen, an denen viele britische Landwirte beteiligt waren. Das hat schon erpresserische Züge und stammt von einer Regierung, die mehr als 80 verdeckte Steuern eingeführt hat; von einem Schatzkanzler – Gordon Brown –, der die Steuern in Großbritannien höher als in Deutschland oder Frankreich gemacht hat und uns jetzt weismachen will, dass er die Betriebsprämie für unsere Landwirte um 25 % kappen muss, um sich weiterhin Agrarumweltmaßnahmen leisten zu können. Das ist doch der reinste Witz. Herrn Brown kann ich nur Folgendes sagen: Wenn er sieht, wie das Parlament über diesen Vorschlag abstimmt, wird er merken, was wir von dieser Art von Humor halten.
Katerina Batzeli, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Wir sind heute aufgefordert, zu einem Vorschlag über die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums Stellung zu nehmen, den wir für unbegründet, kontraproduktiv und gefährlich für die Zukunft der GAP selbst wie auch für unsere eigene Glaubwürdigkeit halten. Natürlich handelt es sich dabei um einen Vorschlag, der auf einen widersprüchlichen Kompromiss zurückgeht, den der Europäische Rat im Dezember letzten Jahres geschlossen hat.
Andererseits müssen wir aber betonen, dass mit dem Vorschlag der Kommission versucht werden soll, das Ergebnis dieser Willkürlichkeit des Europäischen Rates gegenüber sowohl den Organen als auch dem Vertrag selbst zu verbessern.
Grundsätzlich stimmen wir mit den Vorschlägen der Kommission überein, die Maßnahme auf einer mehrjährigen Grundlage auf nationaler Ebene festzulegen und die Obergrenzen beizubehalten, die beim Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums bestehen. Obwohl diese Verbesserungsvorschläge als ein positives Bemühen der Kommission gegenüber dem Rat angesehen werden können, kann man sie nicht als ausreichend bezeichnen.
Als Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament werden wir in dieser Phase aus folgenden Gründen gegen den Legislativtext der Kommission zur Verordnung über die fakultative Modulation stimmen: erstens, um die Verhandlungsposition der Kommission gegenüber dem Rat zu stärken, der im Grunde die freiwillige Modulation als Blankoscheck für die Verwaltung der Gemeinschaftsausgaben im Rahmen der ersten und zweiten Säule einführen will.
Zweitens, um der Kommission die erforderliche Zeit zu geben, einen integrierten Vorschlag zu unterbreiten, der den wahren Bedürfnissen und den wahren Systemen zur Förderung der ländlichen Entwicklung entspricht, ohne die GAP zu renationalisieren.
Drittens, um einen zeitlichen Spielraum zu gewähren, damit geprüft werden kann, ob es effektiv und praktisch möglich ist, Gemeinschaftsmittel in Anspruch zu nehmen, die im Rahmen der obligatorischen Modulation und der neuen zusätzlichen Modulation übertragen werden, um zu vermeiden, dass aus den Mitgliedstaaten wegen unzureichender Umsetzung der Programme umfangreiche Mittel wieder zurückfließen.
Frau Kommissarin, es besteht ja bereits ein Zeitplan für die Evaluierung der neuen GAP und ihrer Schwerpunkte. Wir erwarten von der Kommission, dass sie Maßnahmen für nachhaltige, effektive, einfache und transparente Politiken prüft, die zum Erreichen der Ziele der ländlichen Konvergenz und Entwicklung beitragen. Mit solch einer Politik können Sie sich der Zustimmung meiner Fraktion sicher sein. Eine Ausgabenhöchstgrenze und ein zusätzlicher einheitlicher Modulationssatz sind politische Maßnahmen, mit denen wir uns grundsätzlich einverstanden erklären können. Allerdings muss geklärt werden, welche Zielsetzungen sie verfolgen, welchen Mehrwert sie erbringen und in welchem Maße sie dazu beitragen, das Ziel der ländlichen Konvergenz zu erreichen.
Frau Kommissarin, nur unter diesen Voraussetzungen wird die Kommission in der Lage sein, einen integrierten Vorschlag zu unterbreiten, so dass wir alle gemeinsam die europäischen Zielsetzungen verwirklichen und unsere Glaubwürdigkeit bei den europäischen Bürgern bewahren können.
Kyösti Virrankoski, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Zunächst möchte ich den Berichterstattern, Herrn Mulder und Herrn Goepel, für ihre ausgezeichneten Berichte danken. Die freiwillige Modulation ist ein bisschen eine Eigentümlichkeit, etwas, das in der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU bisher noch nicht versucht wurde. Die Schlussfolgerung des Europäischen Rates, dass ein Mitgliedstaat Direktzahlungen und Marktausgaben für Landwirte um maximal 20 % kürzen kann, war sowohl unerwartet als auch sehr schlecht formuliert. Der Europäische Rat hat entschieden, dass sogar Exportbeihilfen gekürzt werden können. Zum Glück hat die Kommission diesen völlig unrealistischen Vorschlag nicht mitgetragen.
Zuerst einmal würden solche Kürzungen nicht auf objektiven Regelungen beruhen, sondern dem Belieben eines Mitgliedstaates anheimgestellt sein. Sie würden zu einer Ungleichstellung der Landwirte führen und den Wettbewerb verfälschen. Letztlich würden sie auf eine willkürliche Zusatzsteuer für Landwirte hinauslaufen.
Zweitens muss sehr deutlich gesagt werden, dass die Kürzungen nicht die Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums in den betroffenen Ländern erhöhen würden. Diese zusätzlichen Mittel wären nicht von der nationalen Kofinanzierung betroffen, wie sie in der Verordnung über die Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehen ist. Ein Mitgliedstaat könnte moduliertes Geld anstelle eigener nationaler Kofinanzierungsmittel einsetzen und diese damit verringern. Das wäre dann natürlich ein Fall einer Direktzahlung von Agrarbeihilfen an das Finanzministerium des Mitgliedstaates. Wie sollte das Europäische Parlament mit einer solchen Mittelübertragung bei der Entlastung umgehen?
Die freiwillige Modulation hätte zur Folge, dass Mittel von den obligatorischen Ausgaben im EU-Haushalt auf nichtobligatorische Ausgaben verschoben würden. Das würde bedeuten, dass die Interinstitutionelle Vereinbarung geändert werden müsste. Der Rat würde also diese Vereinbarung sechs Monate, nachdem sie geschlossen wurde, verletzen. Er wäre damit kein verlässlicher Partner dieser Vereinbarung. Aus diesen Gründen habe ich den Antrag von Herrn Goepel, das Parlament solle den Vorschlag zurückweisen, aufrichtig begrüßt.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Berichterstatter! Wir diskutieren hier über die zweite Säule, über die ländliche Wirtschaftsentwicklung, die einen hohen Stellenwert hier im Parlament und, wenn man der Kommission glauben darf, auch bei der Kommission hat. Selbst die Ratsmitglieder stellen in ihren Reden immer wieder heraus, dass das einmal die Zukunft der europäischen Agrarpolitik zu sein hat. Und nun lehnen wir einen Vorschlag ab, der vordergründig dieser ländlichen Entwicklung einige Milliarden zukommen lassen soll.
Es fällt schwer, diese Ablehnung vom Geld her zu begründen. Aber das, was uns hier als Angebot gemacht wird, ist unanständig. Die Kräfte, die das durchgesetzt haben, sind verantwortlich dafür, dass im Bereich ländliche Entwicklung 20 Milliarden gegenüber dem Haushaltsvorschlag des Parlaments und der Kommission fehlen; sie haben auf Biegen und Brechen durchgesetzt, dass der Haushalt gekürzt wurde – auch zu Lasten dieser qualitativen Linie –, und sagen nun: In Ordnung, nehmt jetzt 20 % aus der ersten Säule, und damit könnt ihr ja das, was wir euch abgezogen haben, auffüllen.
Ich nenne dies unanständig. Diese Kräfte zählen nicht zu den Freunden der europäischen Landwirtschaft, und sie zählen auch nicht zu den Freunden der ländlichen Räume Europas; hier soll vielmehr der Agrarhaushalt als Steinbruch genommen werden, was ja mit vielen anderen Politikbereichen auch versucht wird, aber das, was hier läuft, ist sehr perfide, weil es scheinbar eine Umverteilung bringt, die aber nicht real ist. Hier soll dieses Geld ohne Kofinanzierung genommen werden können, das heißt, es geht dem Agrarhaushalt insgesamt eher etwas verloren, als dass etwas hinzukommt.
Es ist eben nicht der Vorschlag, den der Ausschuss für die mittelfristige Finanzplanung des Parlaments gemacht hat, wo wir gesagt haben: Es wäre durch Kofinanzierung auch in der ersten Säule eine Mittelbereitstellung für die zweite Säule möglich gewesen. Ja, wir hätten die Kofianzierung der zweiten Säule auch auf 25 % begrenzen können, sodass hier die Mittel besser abfließen. Alle diese Vorschläge wurden in den Wind geschlagen, und man kommt jetzt mit diesen 20 %. Nur, Frau Kommissarin, dieser Finanzplanung ist von der Kommission zugestimmt worden, und auch – ich muss es bitter erwähnen – vom Parlament. Wir haben diese Erpressung hingenommen, um die Zukunft der Europäischen Union im Finanzbereich nicht zu gefährden.
Das darf uns aber nicht behindern, Frau Kommissarin, und ich frage Sie: Was wollen Sie denn tun, damit diese ländliche Entwicklung nicht ausgehungert wird? Was tun wir im Parlament, wie schaffen wir es in unseren Fraktionen, deutlich zu machen, dass diese Zukunft der ländlichen Entwicklung nicht nur durch Umschichtung passieren kann, sondern dass es eine eigenständige Finanzentwicklung dieser Linie geben muss, wie das auch in den anderen Strukturfonds der Fall ist? Darauf möchte ich gerne von Ihnen eine Antwort hier und heute, damit die Kommission in unseren nächsten Verhandlungen zu diesem Thema etwas mehr Flagge zeigt, und wir uns hier im Parlament möglicherweise etwas stärker auf die Hinterbeine stellen.
Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Herr Präsident! Erstens möchte ich betonen, wie wichtig es ist, dass der Bericht von Herrn Mulder angenommen und damit dem Vorschlag der Kommission zugestimmt wird, gemäß der Finanzierungsvereinbarung des Rates vom Dezember 2005 Portugal von der Vorschrift zur Kofinanzierung des Betrages von 320 Millionen Euro auszunehmen.
Mein Land, Portugal, kämpft bekanntlich aufgrund seiner schwachen Wirtschaft und zunehmender sozialer Probleme mit Schwierigkeiten, die ungerechten Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erfüllen, vor allem in den ländlichen Gebieten. Deshalb ist die Annahme dieses Vorschlags so wichtig.
Zum Bericht Goepel möchte ich zweitens sagen, dass wir für die obligatorische Modulation in Verbindung mit einer Kappung und einer gerechten Umverteilung dieser Mittel sind, auch in den neuen Mitgliedstaaten. Wie andere Redner vor mir bereits festgestellt haben, wird das in diesem Vorschlag der Kommission nicht garantiert. Deshalb fordern wir Sie auf, Frau Kommissarin, Ihren Vorschlag zu überdenken.
Janusz Wojciechowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Goepel zu seinem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen, dessen Aussagen meine volle Unterstützung finden. Obwohl die vorgeschlagene Modulation die alten Mitgliedstaaten direkt betrifft, löst das auch unter den Bauern der neuen Mitgliedstaaten Besorgnis aus. Die Modulation beeinträchtigt die Vorstellung von stabilen Regelungen im Agrarsektor bis zum Jahr 2013 und wird zu einer teilweisen Renationalisierung der Agrarpolitik führen, die in den neuen Mitgliedstaaten große Befürchtungen weckt und die sich die neuen ärmeren Mitgliedstaaten nicht leisten können. Das macht uns Sorge.
Wir sollten an den bestehenden Regeln für die Agrarpolitik festhalten. Sie bis 2013 stabil zu halten, ist das Mindeste an Sicherheit, was wir unseren Bauern schulden. Sie mussten in kurzer Zeit zu viele tief greifende Veränderungen über sich ergehen lassen: Änderung der Stützungsregelungen, Liberalisierung der Agrarmärkte sowie zunehmend strengere Normen und Standards in den verschiedensten Bereichen. Das alles ist zu viel und kam zu schnell. Die Landwirtschaft braucht zumindest für die nächsten Jahre klare und stabile Regeln. Deshalb unterstütze ich den Bericht Goepel.
Andrzej Tomasz Zapałowski, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die heutige Aussprache über die fakultative Modulation der Direktzahlungen zeigt einmal mehr, wie unterschiedlich die Gemeinsame Agrarpolitik in den alten und den neuen Mitgliedstaaten verstanden wird. Wenn die alten Mitgliedstaaten an die Zukunft der GAP denken, dann denken sie an die Zukunft der Landwirtschaft in ihren Ländern, weniger an die in der erweiterten Europäischen Union.
Es ist absolut richtig, den Vorschlag der Kommission abzulehnen. Die Feststellung, er stehe zu den Wettbewerbsregeln und zum Grundsatz der Solidarität im Widerspruch, gefährde die Renationalisierung und bedeute einen Bruch der den Landwirten gegebenen Zusagen, ist zutreffend. Die Frage ist, weshalb diese Argumente nicht berücksichtigt wurden, als die Bedingungen für den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten im Jahr 2004 festgelegt wurden. Diese Bedingungen haben den Wettbewerb und das Solidaritätsgebot ganz eindeutig ausgehöhlt. Den ärmeren Staaten, die viel geringere Zahlungen erhalten, wird ein Wettbewerb zu ungleichen Bedingungen aufgezwungen.
Die Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik wurde in den neuen Mitgliedstaaten umgesetzt. Sie haben im Jahr 2004 fast 75 % in den ersten Pfeiler eingezahlt, während die alten fünfzehn Mitgliedstaaten zu 100 % von EU-Hilfen profitierten. Das ist doch scheinheilig. Die Beitrittsbedingungen basierten nicht auf objektiven Kriterien, vielmehr wurden diskriminierende Erzeugungsquoten aufgezwungen, die das Potenzial der Erzeuger und die Autarkie in der Lebensmittelproduktion – beispielsweise im Milchsektor – nicht berücksichtigten. In den offensichtlichsten Fällen (Obst- und Gemüseproduktion) gab es keine Unterstützung, und auch die extrem niedrigen Einkommen der Landwirte in den neuen Mitgliedstaaten fanden keine Berücksichtigung. Eine solche Denkweise stellt eine Gefahr für die Bauern, die Verbraucher und die gesamte EU-Wirtschaft dar.
Duarte Freitas (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Zu Beginn möchte ich Herrn Mulder und Herrn Goepel zu ihren ausgezeichneten Berichten gratulieren und sagen, dass ich die dort enthaltenen Vorschläge begrüße. Der Beschluss des Rates vom letzten Dezember, eine freiwillige Modulation zuzulassen, könnte zur Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Landwirten unterschiedlicher Mitgliedstaaten führen, je nachdem, welche Modulationsanteile sie wählen.
Die Tatsache, dass demnächst ein „Gesundheitscheck“ zur GAP 2008 stattfindet, bei dem wir dann über eine Kappung und die Anhebung bei der obligatorischen Modulation beraten können, ist ein weiterer Grund, jetzt nicht mit Maßnahmen wie der freiwilligen Modulation vorzupreschen, die unumkehrbare Folgen haben können. Sollte dieser Vorschlag durchgedrückt werden, dann gehen wir eindeutig einen weiteren Schritt hin zur Renationalisierung der GAP und zum Abbau der Vergemeinschaftung der Agrarpolitik.
Ohne die politische Bedeutung der ländlichen Entwicklung herunterspielen zu wollen, muss ich doch sagen, dass durch diese Maßnahme Investitionen in diese Politik nicht befördert werden. Lassen Sie mich das am Beispiel meines Landes erläutern, das mehr Mittel aus der zweiten Säule an Brüssel zurückzahlt als jedes andere Land und das schon bei den EU-15 mit 53 % bzw. 47 % die größte Differenz zwischen der ersten und der zweiten Säule aufwies.
Dessen ungeachtet hat der Landwirtschaftsminister meines Landes Portugal bereits angekündigt, eine Modulation von 20 % einzuführen. Den Landwirten Geld wieder wegzunehmen, um den Staatshaushalt zu finanzieren oder damit es wieder an Brüssel zurückgezahlt werden kann, wird sicherlich nicht die beste Lösung für die Landwirte sein. Dieser Ansatz beruht allein auf wirtschaftlichen Kriterien und läuft darauf hinaus, das Geld für die ländliche Entwicklung ohne Kofinanzierung zu verwenden.
Angesichts dieser praktischen Risiken, die sich in Ländern wie Portugal schon erkennbar abzeichnen – wie das von mir angeführte Beispiel belegt –, wird mehr als deutlich, dass wir, wenn wir die Landwirte mit Entschlossenheit schützen und eine Gemeinsame Agrarpolitik vorantreiben wollen, alles Erdenkliche tun müssen, um sicherzustellen, dass die freiwillige Modulation nicht weiter geht.
Bogdan Golik (PSE). – (PL) Herr Präsident! Wie mein Vorredner möchte auch ich meiner Unterstützung für Herrn Mulders Berichtsentwurf Ausdruck verleihen, in dem Portugal von der vorgeschriebenen Kofinanzierung seines nationalen Finanzrahmens von 320 Millionen Euro ausgenommen wurde. Das ist eine gute Entscheidung, die von Solidarität zeugt und angesichts der Dürre, von der dieses Land heimgesucht wurde, besonders wichtig ist. Ich stimme völlig mit Frau Batzelis Anmerkungen zum Bericht Goepel überein, doch was den Bericht Mulder und vor allem den letzten Abschnitt anbelangt, in dem der Berichterstatter die Art und Weise kritisiert, in der die Mittel zur Entwicklung des ländlichen Raums gegenwärtig verteilt werden, und in dem er eine Verteilung auf der Grundlage objektiver Kriterien fordert, möchte ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen.
Die neuen Mitgliedstaaten zeichnen sich durch einen beträchtlichen Investitionsmangel im Agrarsektor aus, und es bestehen große Disproportionen zwischen dem Einkommen der Landwirte dieser Länder sowie der Landwirte in den anderen Mitgliedstaaten. Für sie gelten auch nicht die Grundprinzipien der Nichtdiskriminierung, Solidarität und Verhältnismäßigkeit, und sie müssen Direktzahlungen aus ihrem eigenen Haushalt kofinanzieren, der viel kleiner ist, ganz zu schweigen davon, dass die Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums für den Zeitraum 2007-2013 gegenüber dem, was ihnen in den Beitrittsverhandlungen zusagt wurde, stark, nämlich um etwa 20 Milliarden Euro, gekürzt wurden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ebenfalls darauf hinweisen, dass bei der Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, wie sie in den strategischen Leitlinien der Gemeinschaft vorgesehen ist, die unterschiedlichen Strukturprobleme in den fünfzehn und den zehn EU-Mitgliedstaaten einschließlich Bulgarien und Rumänien berücksichtigt werden sollten. Vor allem muss sichergestellt werden, dass die neuen Mitgliedstaaten in Anbetracht ihres großen Bedarfs an grundlegenden Investitionen sowie der notwendigen umfassenden Unterstützung für die Entwicklung des ländlichen Raums mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet werden.
Die Politik der Entwicklung des ländlichen Raums bietet eine ganze Reihe von Mechanismen, mittels derer auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der europäischen Landwirte Einfluss genommen werden kann.
Wir müssen jedoch weiter nach wirksamen Mechanismen für diese Politik suchen, damit sie ihre Ziele erreichen kann und für alle Länder der Europäischen Union zu einem immer effektiveren Instrument wird.
Nathalie Griesbeck (ALDE). – (FR) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte unserem Berichterstatter Jan Mulder für seine beharrliche Arbeit nicht nur zu Haushaltsfragen im Allgemeinen, sondern auch zu den Fragen der Finanzierung der Agrarpolitik und der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums danken.
Wenn ich in meiner Eigenschaft als ständige Berichterstatterin zu den Strukturfonds in meinem Ausschuss um das Wort in dieser Aussprache über die Änderung der Obergrenzen für die Entwicklungsunterstützung aus dem ELER gebeten habe, dann um zwei Dinge zum Ausdruck zu bringen: erstens ein „demokratisches“ Bedauern, aber auch einen gewissermaßen „strategischen“ Wunsch. So bedauere ich zutiefst, dass das Europäische Parlament gezwungen ist, Obergrenzen zu verändern, die es bereits angenommen hat, und zwar um sie mit vom Rat getroffenen Entscheidungen in Einklang zu bringen.
Mein „strategischer“ Wunsch besteht darin, unser Festhalten an den grundlegenden Prinzipien der ländlichen Entwicklungspolitik in Erinnerung zu rufen, weil diese Europa Sichtbarkeit verleihen. Ich möchte, dass wir große Zurückhaltung angesichts der Versuchung üben, die obligatorische Kofinanzierung auszuweiten, die letztlich zu einer Renationalisierung der Ausgaben unter dem ersten Pfeiler führen könnte. Eine solche Entscheidung darf nicht Gegenstand einer schleichenden Politik sein, sondern muss als eine wichtige Frage angesehen werden, zu der eine eindeutige und demokratische Diskussion stattfinden muss. Was die notwendigen – und sicherlich gerechtfertigten – „Weihnachtsgeschenke“ für Portugal betrifft, so bedauere ich ebenfalls, dass es in dieser Frage keine wirkliche Strategie gibt, und fordere, dass wir eine solche im Ergebnis einer inhaltlichen Debatte erarbeiten.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Der Vorschlag einer „fakultativen Modulation“ der Direktzahlungen im Agrarsektor seitens der Mitgliedstaaten führt letztlich zu einer 20 %igen Kürzung der den Landwirten ausgezahlten Mittel, was einen Verstoß gegen die in der Europäischen Union angewandten Normen und Verfahren darstellt. Werden landwirtschaftliche Betriebe, die weniger als 5 000 Euro erhalten, von der Modulation ausgenommen, bedeutet das, dass nur Betriebe bis zu 40 Hektar davon betroffen sind.
Dieses scheinbar logische System kann ganz einfach deshalb nicht kohäsiv sein, weil die neuen Mitgliedstaaten im Gegensatz zu den alten Ländern die Gemeinsame Agrarpolitik bereits durch Zuzahlungen zu den EU-Mitteln aus ihrem eigenen Haushalt kofinanzieren.
Nach meinem Dafürhalten sollten wir die bestehenden Ungleichgewichte beseitigen und schnellstmöglich neue Regeln und Zahlungen in allen Mitgliedstaaten einführen. Andernfalls wird sich das regionale Ungleichgewicht vertiefen. Ich möchte das Hohe Haus daran erinnern, dass es die polnischen Mitglieder des Europäischen Parlaments waren, die vor den Folgen der Verabschiedung eines EU-Haushalts von nur 1 % des BSP sowie der Kürzung der Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums gewarnt haben.
Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! Direktzahlungen bedeuten für viele arme Bauernfamilien in Polen eine Chance, über die Runden zu kommen. Sie bieten einen Ausgleich für den Anstieg der Produktionskosten seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union. Eine Verringerung dieser Zahlungen durch freiwillige Modulation um nahezu ein Drittel ab 2008 würde, da sie in Polen ohnehin gering ausfallen, diesen landwirtschaftlichen Betrieben und Familien erhebliche Verluste zufügen.
Für das wichtige Ziel der Entwicklung des ländlichen Raums, dem das auf diese Weise eingesparte Geld zugute käme, sollten andere Mittel verwendet werden. Wir könnten die regionalen Zahlungen auf Empfänger mit maximal nicht 50 Hektar, sondern 100, 200 oder 500 und mehr Hektar beschränken.
James Nicholson (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Zu allererst möchte ich Herrn Mulder und Herrn Goepel für ihre Berichte danken. Mein erster Kommentar lautet, dass es sich hier um einen äußerst schlechten Vorschlag handelt. Wir wissen, wie er auf der Ratstagung im letzten Dezember zustande kam. Der Kommissarin kann ich sagen, dass dieser Vorschlag nur im Vereinigten Königreich umgesetzt wird. Wir alle wissen das. Das Pfeifen doch schon die Spatzen vom Dach. Er wurde eingebracht, um Blair und seiner Regierung bei der Lösung ihres Problems zu helfen.
Damit geraten die Landwirte in Großbritannien in eine unmögliche Situation. Finanziell kommen sie in eine völlig prekäre Lage im Vergleich zu den anderen Landwirten in allen Teilen der übrigen 24 EU-Mitgliedstaaten. In Nordirland wird damit das Konzept des Familienbetriebs, der das Rückgrad unserer Landwirtschaft bildet, untergraben.
Deshalb lehne ich diesen Vorschlag strikt ab und werde nicht tatenlos zusehen, wie den Landwirten die Betriebsprämie weggenommen wird. Schließlich war das so vereinbart. Sie wurde versprochen, und man ist auf sie angewiesen. Es ist nicht die Schuld unserer Landwirte, dass die britische Regierung so eine miserable Vereinbarung für den Ausbau der zweiten Säule zur Unterstützung der ländlichen Wirtschaft ausgehandelt hat. Der Kommission, dem Rat und der britischen Regierung muss ich sagen, dass sie uns nicht dafür verantwortlich machen sollen, wenn sie jetzt nicht ausreichende Mittel haben, um einige ihrer Vorschläge zur Entwicklung des ländlichen Raums und des Umweltschutzes in ländlichen Gebieten zu finanzieren. Dafür bin ich nicht verantwortlich. Die Verantwortung liegt allein bei den Verhandlungsführern.
Man muss die Wahrheit beim Namen nennen: Die so genannten Verhandlungsführer haben die schlechteste Vereinbarung erzielt, die möglich war, und jetzt wollen sie den Landwirten bis zu 20 % oder womöglich gar 25 % der Betriebsprämie abzwacken. Ein solcher Vorschlag darf keine Zustimmung finden, weder jetzt noch in Zukunft. Damit werden Landwirte und andere Unternehmer im ländlichen Raum gegeneinander aufgebracht. Er ist undurchführbar und ein erster Schritt hin zur Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, wie wir sie schon kennen. Das darf nicht hingenommen werden.
Dieses Dossier wird an den Ausschuss zurückverwiesen werden müssen. Ich warne die Kommission davor, in diese geschickte Falle zu tappen, wodurch Landwirte und andere Landbewohner sich in die Haare geraten würden. Wir haben die Pflicht, diesen Rechtsakt abzulehnen. Wir dürfen diesem stillschweigenden Versuch, die britischen Landwirte auszubooten und sie in eine so benachteiligte Position gegenüber der restlichen Europäischen Union zu bringen, niemals zustimmen.
Bernadette Bourzai (PSE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedem ist die GAP-Reform von 2003 bekannt, die das Einfrieren des ersten Pfeilers und die Verstärkung des zweiten, d. h. der ländlichen Entwicklung, vorsieht. Doch die Vereinbarung über die Finanzielle Vorausschau – gegen die ich, wie ich hinzufügen möchte, gestimmt habe – steht im Gegensatz zu diesen beiden Verpflichtungen.
So ist der Finanzrahmen für die ländliche Entwicklung im Verhältnis zum Vorschlag der Kommission um 20 Milliarden gekürzt worden, was für die 15 alten Mitgliedstaaten 35 % weniger Mittel als im laufenden Zeitraum bedeutet. Der Vorschlag einer zusätzlichen fakultativen Modulation mit dem Ziel der Übertragung von maximal 20 % der Beträge vom ersten auf den zweiten Pfeiler, der keines der für die Entwicklung des ländlichen Raumes geltenden Kriterien berücksichtigt, ist nicht akzeptabel.
Ich erkenne an, dass die Europäische Kommission in ihrem Verordnungsvorschlag versucht hat, dieses Instrument stärker zu flankieren, doch teile ich die Vorbehalte des Berichterstatters und unterstütze seinen Antrag auf Ablehnung, denn die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen ist zu groß, wenn einige Mitgliedstaaten sich für den Abzug von 20 % der Direktbeihilfen entscheiden, die anderen aber nicht. Es ist nicht hinnehmbar, dass für diese fakultative Modulation nicht dieselben Regeln gelten, die normalerweise auf die Entwicklung des ländlichen Raums Anwendung finden. Zudem ist die Gefahr einer Renationalisierung der GAP zu groß.
Der Finanzbedarf der Politik der Entwicklung des ländlichen Raums ist jedoch real, und ich fürchte, dass die Verödung unserer ländlichen Gegenden zunehmen wird. Daher fordere ich die Kommission auf, anstatt der fakultativen Modulation eine identische Erhöhung des Prozentsatzes der obligatorischen Modulation in allen Mitgliedstaaten vorzuschlagen.
Hervorheben möchte ich ebenfalls, dass die obligatorische Modulation gegenwärtig erst Anwendung findet, wenn ein Betrieb mehr als 5 000 Euro Agrarhilfen pro Jahr erhält. Damit ist die große Mehrheit der Agrarbetriebe betroffen.
Um ein wirkliches Instrument zur Umverteilung der Hilfen zu erhalten, müssten auch noch weitere Kriterien berücksichtigt werden wie die Größe des Betriebs, seine Abhängigkeit von Beihilfen, die beschäftigten Arbeitskräfte, der Standarddeckungsbeitrag u. a. Um eine gerechte Verteilung der Agrarbeihilfen zu gewährleisten, müsste zudem eine Deckelung der Direktbeihilfen ins Auge gefasst werden.
Elspeth Attwooll (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich spreche im Namen der britischen Delegation meiner Fraktion. Wir halten die Argumente des Berichts Goepel und die Gründe für die Abstimmungsempfehlungen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung durchaus für überzeugend. Allerdings hat die Art und Weise, wie mehrere Londoner Regierungen das Thema EU-Mittel für ländliche Entwicklung angegangen sind, dazu geführt, dass sie in Großbritannien nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Unsere Zuteilung für 2007 bis 2013 beträgt nur noch ein Viertel dessen, was die Fairness eigentlich gebieten würde.
Erfolgt keine weitere Modulation, würde dies zu erheblichen Engpässen bei der Einführung und Aufrechterhaltung effizienter Programme zur ländlichen Entwicklung führen, insbesondere im Umweltbereich. Außerdem besteht die Gefahr, dass es bei der Auszahlung einiger der Prämien, die von den Landwirten völlig zu Recht beansprucht werden, zu Verzögerungen kommen könnte.
Ich freue mich über die Bereitschaft der Kommission, nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie solche dringenden praktischen Probleme überwunden werden können, doch kann dies nur eine Zwischenlösung sein. Wir brauchen eine viel längerfristige Lösung. Deshalb rufen wir die Kommission dringend auf, einen Weg zu finden, wie dieses noch nie da gewesene Ungleichgewicht bei der Zuteilung von Finanzmitteln für die ländliche Entwicklung wieder behoben werden kann.
Als Schotte fordere ich, dass bei möglichen weiteren Beratungen über die Modulation sowohl die Kommission als auch die Kolleginnen und Kollegen des Landwirtschaftsausschusses die Tatsache berücksichtigen, dass die entsprechenden Sätze nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Verwaltungen unterhalb der staatlichen Ebene von Bedeutung sind.
Mieczysław Edmund Janowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte unseren beiden Kollegen für ihre Arbeit danken und näher auf den Bericht Mulder eingehen. Es geht hier um eine Frage, die den Mechanismus zur Finanzierung von Regionen betrifft, in denen etwa 20 % der Bevölkerung der Europäischen Union leben, die aber für die Ernährungssicherheit in Europa von überaus großer Bedeutung sind.
Wir müssen deshalb alles tun, um die Position der ländlichen Gebiete zu festigen und den Zusammenhalt, den wir doch anstreben, zu fördern. Auch der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums sollte diesem Zweck dienen. Das ist für alle Länder – auch für mein Heimatland Polen – von entscheidender Bedeutung. Obwohl wir heute über eine Änderung der Regelungen im Zusammenhang mit Portugal sprechen – die ich unterstütze –, muss deutlich gesagt werden, dass damit die Reihenfolge durcheinandergebracht wurde. Zunächst muss das Verfahren festgelegt werden und erst dann sollten konkrete Entscheidungen über die Finanzierung getroffen werden.
Deshalb sollten wir dies als Ausnahmesituation betrachten und nach Systemlösungen suchen, die – gestützt auf möglichst objektive und nicht diskriminierende Kriterien – den europäischen Agrarsektor wirklich stärken. Andernfalls könnte dies zur Demontage der europäischen Solidarität in diesem Bereich führen.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Damit die europäische Landwirtschaft auch weiterhin im Wettbewerb bestehen kann, müssen wir die Direktzahlungen in den alten Mitgliedstaaten auf dem derzeitigen Niveau halten und dürfen wir die zusätzliche 20 %ige Modulation nicht einführen.
Die Argumente der Europäischen Kommission überzeugen nicht, und der Vorschlag widerspricht den Grundsätzen der GAP. Die neuen Mitgliedstaaten benötigen mehr Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums, um beispielsweise die Arbeitsintensität in der Landwirtschaft zu verringern und den Transfer von Boden von den fast ausschließlich für den Eigenbedarf produzierenden kleinbäuerlichen Betrieben zu landwirtschaftlichen Großbetrieben zu beschleunigen. Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft – hauptsächlich durch die Nutzung von Größenvorteilen – verbessert.
Was aber hat man stattdessen gemacht? Wenn Sie sich erinnern, wurden in der neuen Finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 2007-2013 die Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums gegenüber den Zusagen der Kommission um 20 Milliarden Euro gekürzt. Wir müssen Hilfe in unterschiedlicher Form leisten, weil es in Bezug auf den ländlichen Raum und die Landwirtschaft in der Europäischen Union Unterschiede gibt. Die ländlichen Gebiete in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind ärmer als die Großstädte und brauchen mehr Arbeitsplätze, eine Förderung des Dienstleistungssektors und besseren Umweltschutz. Deshalb müssen wir die Landwirte und die ländlichen Gebiete in der Europäischen Union noch viele Jahre unterstützen.
Luis Manuel Capoulas Santos (PSE). – (PT) Ich möchte Herrn Mulder zu seinem bewundernswerten Bericht gratulieren und den Mitgliedern des Ausschusses danken, die einstimmig für die Annahme des Berichts gestimmt haben.
Der Beschluss, Portugal von der Kofinanzierung des Betrags von 320 Millionen Euro auszunehmen, ist gerecht und geht auf eine Reihe von Ratsbeschlüssen zurück, die darauf abzielen, die anerkannten Schwierigkeiten auszugleichen, mit denen portugiesische Landwirte im Zusammenhang mit der derzeitigen GAP kämpfen, durch die Landwirte erwiesenermaßen bestraft werden. Dies ist ein Weg, ihnen einen Ausgleich zu gewähren.
Leider kann ich zum Bericht Goepel nicht die gleichen Glückwünsche aussprechen, denn dies ist eine in hohem Maße politische Angelegenheit und wir müssen sie mit politischen Argumenten diskutieren. Wir alle wissen, dass die GAP für mehrere Mitgliedstaaten, mehrere Regionen und viele Landwirte ungerecht ist, und ein Weg, um diese Ungerechtigkeit auszugleichen, ist die Anwendung von Modulationsregelungen.
Im Falle Portugals ist diese Verzerrung geradezu skandalös; nur 5 % der Landwirte erhalten mehr als 5000 Euro im Jahr. Demzufolge ist die freiwillige Modulation besser als gar keine Modulation, da sie möglich und die obligatorische Modulation derzeit nicht möglich ist.
Deshalb halte ich die Auffassungen, die zutage getreten sind, für höchst unangemessen. Ich möchte der Kommissarin versichern, dass sie nicht allein steht, wenn sie im Parlament für diesen Standpunkt eintritt. Meiner Meinung nach ist es im Sinne der Gerechtigkeit nur angebracht, dass den Mitgliedstaaten Mittel gewährt werden. Ich möchte Herrn Nicholson darauf aufmerksam machen, dass nicht nur das Vereinigte Königreich die Maßnahme anwenden wird; die portugiesische Regierung hat bereits angekündigt, dass sie das tun wird. Darum meine ich, dass es für das Parlament völlig unangebracht ist, den Mitgliedstaaten nicht erlauben zu wollen, dieses Instrument zu nutzen, um gegenüber vielen Landwirten Gerechtigkeit zu üben, die keinen einzigen Cent aus der ersten Säule der GAP erhalten, oder ihre entsprechenden Möglichkeiten dafür beschränken zu wollen. Das sage ich allein ausgehend von politischen Argumenten, weil ich weder die Zeit noch den Wunsch habe, rechtliche, technische und andere Aspekte der Problematik zu diskutieren.
Neil Parish (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Goepel und Herrn Mulder für diese Berichte danken.
Frau Kommissarin, Sie wissen ganz genau, dass Sie innerlich nicht dahinter stehen und das tun müssen, was der Rat Ihnen sagt. Das sind chaotische Zustände. Sie haben hier im Parlament eine Menge Unterstützung. Der Rat hat es sogar geschafft, das gesamte Parlament gegen diesen Vorschlag zu vereinen. Bei unserer morgigen Abstimmung werden wir ihn ablehnen, er wird wieder im Ausschuss landen, und wir werden ihn erneut ablehnen. Deshalb fordere ich Sie nachdrücklich auf, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten.
Als ich zum ersten Mal ins Europäische Parlament kam, sagten mir meine befreundeten Landwirte, dass sie von Europa vor allem eines erwarteten, nämlich gleiche Wettbewerbsbedingungen. Das mag ja illusorisch sein, aber dieser Vorschlag sorgt für ungleichere Bedingungen, als es sie jemals gegeben hat. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Frau Kommissarin, dass die britische Regierung wohl demnächst Strafe zahlen muss, weil sie den Termin für die Betriebsprämienregelung nicht einhält. Und was machen Sie? Wenn die Regierung die Zahlungen nicht rechtzeitig ausführen kann, geben Sie ihr noch mehr Geld für die ländliche Entwicklung zum Verschwenden. Sie können sich vorstellen, wie viel Vertrauen die Landwirte darin haben, dass die Regierung jetzt die Dinge in die Tat umsetzt.
Wenn ich mich heute hier im Parlament so umsehe, stelle ich interessanterweise fest, dass kein Abgeordneter der Labour-Partei in den Reihen der Sozialdemokraten zu sehen ist. Wer ist hier, um den Vorschlag von Herrn Blair zu verteidigen? Niemand. Sie können also ruhig uns um Rat fragen.
Wie Herr Stevenson sagte, setzt uns die Regierung enorm unter Druck und behauptet, wir seien gegen Umweltmaßnahmen. Dazu muss ich ganz klar feststellen, dass wir es nicht sind, und ebenso wenig die Kommission. Wenn wir jedoch vorankommen wollen, müssen mehr Mittel von der ersten in die zweite Säule fließen, und zwar europaweit; eine obligatorische Modulation auf einem einheitlichen Niveau. Außerdem hat bei diesem Vorschlag keine vernünftige Folgenabschätzung stattgefunden, wie von einigen Rednern bemerkt wurde. Er kann also gar nicht durchkommen.
Die Baumwollregelung wurde nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verworfen. Sie sollten das Ganze überdenken und mit einem neuen Vorschlag zurückkommen.
Gábor Harangozó (PSE). – (HU) Herr Präsident! Die Verwendung der aktuellen Gemeinschaftszahlungen wirft ernste Fragen zum Entscheidungsprozess im Haushaltsverfahren auf, wenn man sie neben den vom Europäischen Rat im Dezember 2005 gefassten Beschluss stellt, Portugal von der Anwendung der Kofinanzierungsvorschrift auszunehmen und damit eine Sonderbehandlung angedeihen zu lassen.
Trotz der allgemeinen Zustimmung zur Befreiung Portugals von der obligatorischen Kofinanzierung könnten sich Fragen und Probleme in Verbindung mit den „Kuhhandelmethoden“ des Rates ergeben.
Ich bin ja nicht gegen dieses einmalige Zugeständnis an Portugal, aber ich finde doch wichtig, dass künftig kein Mitgliedstaat eine Sonderbehandlung nur deshalb erhalten darf, um ihn dazu zu bringen, einer bestimmte Einigung zuzustimmen. Vielmehr sollten Gleichstellung und Transparenz als grundlegende Kriterien unter allen Umständen und auf allen Verhandlungsebenen mit dem Rat gelten.
In Zukunft müssen wir nicht nur solche Formen der positiven Diskriminierung verhindern, sondern dürfen auch nicht zulassen, dass die Regulierung der ländlichen Entwicklung auf Ausnahmen beruht, denn wir haben uns ja einer Landwirtschaftspolitik verschrieben, in der Gleichbehandlung herrscht. Wir müssen jeglicher Form von Diskriminierung einen Riegel vorschieben.
Ich stimme dem Berichterstatter zu, dass das System keine Unterscheidungen oder Ausnahmen zulassen sollte, sondern dass wir einen fairen, standardisierten Ansatz für die Verteilung von Ressourcen auf der Grundlage objektiver Kriterien brauchen. Allerdings teile ich nicht die Meinung des Berichterstatters, dass es eine gute Lösung wäre, die Direktzahlungen in der ersten Säule zu finanzieren. Zwar würde der Druck auf den europäischen Haushalt nachlassen, aber es würden ernsthafte Finanzierungsschwierigkeiten für die neuen Mitglieder entstehen, die sich wegen der für die Euro-Einführung erforderlichen Konvergenzprogramme in einer angespannten Haushaltslage befinden. Im Ergebnis würden die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten noch zunehmen.
Aus dem gleichen Grund halte ich die freiwillige Modulation nicht für die zweckmäßigste Lösung. Abgesehen von der Einhaltung aktuell gültiger Vereinbarungen müssen wir uns zukünftig darum bemühen, eine wirklich gemeinsame Politik für die ländliche Entwicklung zu formulieren, statt weiter Ausnahmen zu gewähren.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte den beiden Berichterstattern für ihre Berichte danken. Als ich mir die Schlussfolgerungen des Rates erneut durchlas, klangen die entsprechenden sieben Zeilen schlimmer als noch vor knapp einem Jahr. Es handelt sich buchstäblich um einen Freibrief für jeden Mitgliedstaat, der das umsetzen will, und es werden jene Regeln missachtet, die dieses Parlament und sogar der Rat selbst in Bezug auf die ländliche Entwicklung festgelegt hatten. Die fakultative Modulation ist so, wie sie in diesem Vorschlag beschrieben wird, alles andere als freiwillig, denn die Landwirte halten ganz bestimmt nichts davon. Hier werden also Begriffe missbräuchlich und falsch verwendet.
Natürlich sorgt dieser Vorschlag für Verzerrungen. Ganz zwangsläufig, denn in einem Mitgliedstaat wird er vielleicht angewandt und in anderen eben nicht. Wir müssen doch sehen, welche Auswirkungen das auf die Landwirtschaft allgemein hat.
Ich bin mir auch bewusst, dass uns ein „Gesundheitscheck“ der GAP im Jahr 2008 und parallel dazu eine Revision der Finanziellen Vorausschau ins Haus stehen.
Die Kommission muss ich dazu beglückwünschen, dass sie versucht, aus einem wirklich schlechten Vorschlag noch etwas Gutes herauszuholen: Sie bemüht sich um eine Anwendung der Vorschriften und drängt auf ihre Umsetzung; sie schließt Marktstützungsmaßnahmen aus.
Lassen Sie mich abschließend sagen, dass es sehr schwer ist, aus einer wirklich schlechten Vorlage noch etwas Gutes zu machen, oder um es landläufiger auszudrücken: Man kann aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen. Mein Kompliment an die Kommission, dass sie es trotzdem versucht. Dieser Vorschlag ist schlecht, und wir werden ihn ablehnen.
Esther Herranz García (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Der Vorschlag, über den wir heute diskutieren, ist inakzeptabel. Er ist inakzeptabel, weil er integrationshemmend, fragmentarisch, antieuropäisch, egoistisch und im hohen Maße heuchlerisch ist.
Aus Sicht der Agrartheorie bringt dies eine Kürzung von 20 % der Direktbeihilfen für die Landwirte mit sich, die dazu dienen, die ländliche Entwicklung zu finanzieren und so die Löcher zu stopfen. Diese Löcher sind entstanden, weil 1 % in der Finanziellen Vorausschau nicht ausreicht, um die Agrarpolitik zu finanzieren, und da die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, mehr Geld zu geben, müssen sie es jenen wegnehmen, die es bisher erhalten haben.
Das bedeutet auch die Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik: sich von der einzigen echten europäischen Politik zu verabschieden, der einzigen, die die europäischen Produzenten verbunden hat. Und es bedeutet nicht nur Renationalisierung, sondern, wenn wir den Vorschlag der spanischen Regierung an den Rat betrachten, soll viel weiter gegangen werden: nicht nur Renationalisierung, sondern Regionalisierung. Auf diese Weise wird jeder tun können, was ihm beliebt.
Ich glaube, das ist Teil des Zersetzungswahns des sozialistischen Präsidenten Spaniens, den heute, Herr Parish, auch niemand hier in Schutz nimmt, denn er und alle Präsidenten, die die Finanzielle Vorschau unterzeichnet und diese Änderung akzeptiert haben, interessieren sich überhaupt nicht für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Agrarsektors, und die Auswirkung, die diese Maßnahmen vielleicht auf ihre Wirtschaften haben, ist für sie von geringer Bedeutung.
Aus diesem Grund und zum Schutz der europäischen Landwirte, Viehzüchter und des Sektors werden wir diesen Vorschlag natürlich ablehnen.
James Hugh Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Verzeihen Sie, dass ich nicht im Hause war, als ich das erste Mal aufgerufen wurde, aber mit meiner Anreise hat es heute ein paar Probleme gegeben.
Fakultative Modulation ist nichts als ein hochtrabender Begriff für eine sehr unerfreuliche Praxis, nämlich dass die Regierung den Bauern das Geld aus der Tasche zieht. Wie Frau McGuinness sagte, ist nichts daran freiwillig, zumindest nicht für diejenigen, denen das Geld abgenommen wird, nämlich den Landwirten.
Die Folge ist ein europaweit äußerst unausgewogenes Programm für ländliche Entwicklung, und zwar sowohl in Bezug auf seine Finanzierung als auch auf seine Umsetzung. Das führt dann natürlich zur Diskriminierung der Landwirte in jenen Mitgliedstaaten, die diese verrückte fakultative Modulation anwenden. In meinem Land erleben wir bereits die Folgen, nämlich Verzögerungen bei den geplanten Beihilfen für benachteiligte Gebiete.
Gegen die fakultative Modulation muss Widerstand geleistet werden. Ich begrüße die Haltung des Ausschusses und die Haltung des Hohen Hauses, wenn es denn den Vorschlag ablehnt, und fordere die Kommission nachdrücklich auf, beim Rat konsequent auf einen Richtungswechsel in dieser Frage hinzuwirken.
Mariann Fischer Boel, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich habe die Debatte aufmerksam und mit großem Interesse verfolgt. Ich kann nur wiederholen, was ich zu Beginn sagte, nämlich dass der Kommissionsvorschlag mit der Forderung des Europäischen Rates im Einklang steht.
Wie Frau McGuinness richtig bemerkte, haben wir versucht, ihn soweit wie möglich auf die bestehenden Vorschriften zur obligatorischen Modulation und zur Finanzierung der Politik der ländlichen Entwicklung abzustimmen.
Falls – oder besser: wenn – das Europäische Parlament morgen den Vorschlag der Kommission ablehnt, habe ich die Absicht, das Thema im Kommissionskollegium anzusprechen, um unseren Standpunkt sorgfältig zu prüfen. Das entspricht voll und ganz der Rahmenvereinbarung zwischen unseren beiden Organen.
Der Präsident. Vielen Dank, Frau Kommissarin. Das war sehr eindeutig. Ich danke allen, die sich an der Aussprache beteiligt haben. Ich möchte auch allen Dolmetschern danken.
Die gemeinsame Aussprache ist damit geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
21. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll