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Verfahren : 2006/2226(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadien in Bezug auf das Dokument :

Eingereichte Texte :

A6-0393/2006

Aussprachen :

PV 13/12/2006 - 4
CRE 13/12/2006 - 4

Abstimmungen :

PV 13/12/2006 - 8.18
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P6_TA(2006)0569

Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 13. Dezember 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

4. Erweiterungsstrategie und die wichtigsten Herausforderungen für den Zeitraum 2006–2007 — Institutionelle Aspekte der Fähigkeit der Europäischen Union zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. Wir haben heute einen sehr wichtigen Punkt auf der Tagesordnung: die gemeinsame Aussprache über

- den Bericht von Elmar Brok im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über die Mitteilung der Kommission zur Erweiterungsstrategie und zu den wichtigsten Herausforderungen für den Zeitraum 2006-2007 (2006/2252(INI)) (A6-0436/2006) und

- den Bericht von Alexander Stubb im Namen des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die institutionellen Aspekte der Fähigkeit der Europäischen Union zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten (2006/2226(INI)) (A6-0393/2006).

Abgesehen von ihrer eigentlichen Bedeutung haben sie am Vorabend des Europäischen Rates einen besonderen Stellenwert und gehören zu den wichtigsten Aspekten, die auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs diskutiert werden. Ich werde das Vergnügen haben, dem Rat die Entschließungen zu übermitteln, die das Parlament in der heutigen Sitzung zu diesen Fragen annehmen wird.

 
  
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  Elmar Brok (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Frau Ratspräsidentin, Herr Kommissar! Das Europäische Parlament hatte im Frühjahr dieses Jahres die Kommission gebeten, zur Frage der Integrationsfähigkeit einen Bericht zu erstellen. Dies ist am 8. November geschehen, aber aus unserer Sicht nicht in ausreichender Weise.

Die Erweiterung war bisher einer der erfolgreichsten Politikbereiche der Europäischen Union. Die Zone des Friedens, der Stabilität und der wirtschaftlich positiven Entwicklung wurde entscheidend vergrößert. Sie ist der Beitrag zur Wiedervereinigung Europas. Wir wissen auch, dass in Kandidatenländern, aber auch in anderen Ländern Europas die europäische Perspektive ein wesentliches Instrument für den innerstaatlichen Reformprozess ist. Diese beiden positiven Elemente sollte man immer als Überschrift sehen.

Dennoch müssen wir nach einer Erweiterung auf nun 27 Länder – und mit Kroatien möglicherweise bald 28 Länder – sehen, dass wir uns über die Zukunft des europäischen Projekts Gedanken machen müssen. Wollen wir, dass die Europäische Union ein wirklich politisches Projekt ist und Handlungsfähigkeit besitzt, um eine Rolle in der Welt zu spielen, dass sie sich mit außen- und sicherheitspolitischen Fragen, der Bekämpfung des Terrors und der internationalen Kriminalität befasst, wofür wir Handlungsfähigkeit brauchen? Oder wollen wir sie als ein wirtschaftliches Projekt dahin treiben lassen? Diese Fragen müssen deutlich beantwortet werden.

Wir müssen einsehen, dass wir mit der heutigen institutionellen Verfassung der Europäischen Union nicht weiterkommen können. Der Verfassungsvertrag war für die letzte Erweiterung vorgesehen. Deswegen muss erst einmal die letzte Erweiterung abgeschlossen sein und konsolidiert werden, bevor wir ernsthaft an große weitere Maßnahmen denken können, ohne dass wir das Projekt selbst zerstören. Deswegen hat der Verfassungsvertrag – Kollege Stubb wird noch mehr darüber sagen – einen gewissen bedingenden Charakter.

Wir müssen noch andere Fragen erörtern, die klar beantwortet werden müssen, damit wir wissen, wohin die Reise geht, etwa im Zusammenhang mit der nächsten Überprüfungsklausel und der Finanziellen Vorausschau, die 2008/2009 ansteht, damit wir wissen, welche Konsequenzen welche Erweiterung für das europäische Projekt hat. Jedenfalls können wir es in vielen Bereichen – Agrarpolitik, Strukturpolitik usw. – nicht so fortschreiben, wie es jetzt läuft. Welche Konsequenzen ergeben sich für bestimmte Mitgliedsstaaten, was bekommen sie weniger an Geld, was müssen andere mehr bezahlen? Das muss doch geklärt werden, um auf diese Art und Weise das Projekt ernsthaft zu betreiben.

Es ist völlig klar, dass Zusagen, die wir beispielsweise in Thessaloniki gegenüber den Westbalkanstaaten gemacht haben, einzuhalten sind. Es verlangt hier niemand, laufende Verhandlungen abzubrechen. Wir wissen, dass es eilig ist und dass die Staats- und Regierungschefs den Verfassungsprozess vorantreiben müssen, weil Kroatien vor der Tür steht. Aber wir müssen auch deutlich machen, dass nicht in jeder zeitlichen Phase und jedem einzelnen Fall die Vollmitgliedschaft sofort oder auf Dauer das einzige Instrument ist, mit dem wir die europäische Perspektive glaubwürdig erfüllen können. Aus diesen Gründen stellen sich Fragen der Entwicklungs- und Nachbarschaftspolitik oder Fragen über multilaterale Zusammenschlüsse von Staaten, die eine europäische Perspektive haben, damit die Völker jetzt schon etwas haben und nicht erst in fünfzehn Jahren, wenn irgendwann einmal Verhandlungen abgeschlossen sind, die jetzt noch gar nicht begonnen haben. Daher müssen wir sehr viel mehr Phantasie entwickeln; ich denke nur an das Beispiel Ukraine, wo leider viel Zeit verloren gegangen ist, und dies zu unserem eigenen Nachteil. Die Europäische Perspektive solcher Länder ist auch in unserem Interesse und nicht nur im Interesse der Länder. Aus diesem Grund müssen wir etwas tun. Aber eins muss klar sein: Wenn wir in der inneren Entwicklung der Europäischen Union nicht vorankommen und uns dennoch erweitern, wird es auf Dauer einen inneren Kreis geben. Das heißt, dass wir dann Mitglieder der Europäischen Union erster und zweiter Klasse haben werden. Um es auf eine Formel zu bringen: Verfassung oder Verhofstadt. Das ist auch eine mögliche Konsequenz. Gerade die Länder, die besonders stark auf Erweiterung drängen, sind genau die Länder, die die Vertiefung der Europäischen Union behindern oder verhindern wollen. Mit solchen Ländern habe ich Glaubwürdigkeitsprobleme.

Bei der Türkei haben wir mit einer Reihe von Kollegen eine Formel vorgeschlagen, um die neue Entwicklung aufzufangen. Ich hoffe, dass das geht. Es ist bedauerlich, dass die rechtlichen Verpflichtungen der Türkei nicht erfüllt werden und dass dies einmal wieder aufgeschoben wird. Auf der anderen Seite wäre es auch der falsche Weg gewesen, die Verhandlungen abzubrechen. Dies darf aber nicht bedeuten, dass die Türkei diesen Verpflichtungen auf Dauer nicht nachkommt.

(Beifall)

 
  
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  Alexander Stubb (PPE-DE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte auf fünf Punkte eingehen, die unseren Bericht über die Fähigkeit der Europäischen Union zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten betreffen. Bevor ich beginne, danke ich allen Kollegen, die an diesem Bericht mitgearbeitet haben, und natürlich auch den Kollegen im Sekretariat, die sehr gute Arbeit geleistet haben.

Meine erste Anmerkung bezieht sich auf die Terminologie, die wir heute verwenden. „Aufnahmefähigkeit“ („absorption capacity“) war der Begriff, der ursprünglich verwendet wurde. Als es um die Frage ging, wer diesen Bericht erarbeiten sollte, habe ich mit meinem geschätzten Kollegen, Herrn Brok, gesprochen, dessen Name eng mit diesem Thema verbunden ist. Wir kamen zu dem Schluss, dass der bisher verwendete Begriff möglicherweise nicht genau das trifft, was eigentlich gemeint ist. Carl Bildt hat das einmal sehr gut auf den Punkt gebracht, wie ich finde, als er sagte: Wer möchte schon von der Europäischen Union „absorbiert“ werden? Will Frankreich von der Europäischen Union absorbiert werden? Natürlich nicht. Deshalb haben wir nach einem dynamischeren, positiveren Begriff gesucht und festgestellt, dass „Integrationsfähigkeit“ das ist, worum es uns geht.

Mit meinem zweiten Punkt möchte ich darauf hinweisen, dass es sich hier naturgemäß um ein heikles Thema handelt, weil viele Interessen im Spiel sind. Mein Kollege Herr Brok hat einige davon bereits erwähnt. Anders ausgedrückt, gibt es verschiedene Gruppen: Da sind diejenigen, die gegen die Erweiterung, aber für die Verfassung sind. Andere lehnen die Verfassung ab, befürworten aber die Erweiterung. Dann gibt es diejenigen, die, wie ich selbst zum Beispiel, für die Verfassung und für die Erweiterung sind, und wieder andere, wie Herrn Farage und die Übrigen, die beides ablehnen.

Wir haben also versucht, einen Mittelweg zwischen diesen vier Interessenlagen zu finden, und ich glaube, dass uns das in diesem Bericht recht gut gelungen ist. Wirklich neu ist der Begriff der Integrationsfähigkeit nicht. Wir haben ihn immer schon verwendet. Es hat noch keine Erweiterung gegeben, ohne dass im Vorfeld eine Debatte darüber geführt worden wäre, wie weit die Vertiefung der Europäischen Union gehen sollte. Vor der Erweiterung 1973 wurde die Union zu einer Zollunion. Vor der Erweiterung 1986 wurde die Einheitliche Europäische Akte ins Leben gerufen. Vor dem Beitritt von Finnland, Österreich und Schweden wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Vor der großen Erweiterung 2004 hatten wir die Verträge von Amsterdam und Nizza. Das Ziel, das wir vor der nächsten Erweiterung erreichen wollen, ist eine Verfassung.

In meinem dritten Punkt geht es um die Definition des Begriffs Integrationskapazität. Ich denke, die Erkenntnis aus diesem Bericht ist, dass man grob umreißen kann, was damit tatsächlich gemeint ist und dass man sagen kann, dass die Integrationsfähigkeit keine Voraussetzung für die Erweiterung ist, sondern ein Kriterium für uns, die derzeitigen Mitgliedstaaten. Wir müssen unsere Angelegenheiten in Ordnung bringen, bevor wir an eine Erweiterung denken können. Das Problem ist, dass eine präzise Definition des Begriffs Integrationsfähigkeit nicht möglich ist, weil sie von zwei Dingen abhängt. Erstens: dem Zeitpunkt des Beitritts. Zweitens: der Anzahl der neuen Staaten, die aufgenommen werden sollen. Anders ausgedrückt, können wir die Erweiterung von 1973 nicht mit der Erweiterung 2004 vergleichen. Doch lassen Sie uns noch einmal auf die Definition zurückkommen. Bei der Integrationsfähigkeit geht es um drei Dinge: Institutionen, Haushalt und Politik.

Mein vierter Punkt bezieht sich auf die öffentliche Aussprache, und hier möchte ich konkret den Europäischen Rat ansprechen, der sagt, dass wir die Erweiterung nicht vorantreiben dürfen, wenn sie von der Öffentlichkeit nicht mitgetragen wird. Das ist auch unsere Meinung. Natürlich müssen wir die Unterstützung der Öffentlichkeit gewinnen, aber erzählen Sie mir nicht, dass Ihnen die Möglichkeiten dazu fehlen. Ob Erweiterungsverhandlungen aufgenommen werden oder nicht, wird einstimmig entschieden. Zur Eröffnung der einzelnen Kapitel ist Einstimmigkeit erforderlich. Jedes Kapitel kann nur einstimmig geschlossen werden. Das gesamte Paket wird einstimmig angenommen, zudem muss jeder Beitritt von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Wenn Sie in den zwei bis zehn Jahren, die dieser Prozess dauert, nicht in der Lage sind, die Öffentlichkeit von den Vorzügen einer Erweiterung zu überzeugen, sollten Sie sich fragen, was Sie falsch machen. Deshalb meine Bitte an Sie: Machen Sie Ihre Arbeit ordentlich und benutzen Sie die öffentliche Meinung nicht als Ausrede für Ihre eigenen Versäumnisse. Wir brauchen einen stärker strategisch orientierten Ansatz für die Erweiterung.

Mein letzter Punkt betrifft die Verfassung. In diesem Bericht werden mehrere Fragen angesprochen, die wir vor der nächsten Erweiterung dringend klären müssen: die Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit, die Rechtspersönlichkeit, die Schaffung des Postens eines Außenministers, die gemeinsame Sicherheitspolitik usw. Dies sind Fragen, die dringend geregelt werden müssen, bevor wir eine Erweiterung durchführen können. Die Kernaussage dieses Berichts ist, dass wir in der Zeit bis 2009 unsere Angelegenheiten regeln und uns erst dann wieder mit der Erweiterung beginnen sollten.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sagen. Die Erweiterung ist sicherlich die erfolgreichste Politik, die die Europäische Union je betrieben hat. Sie hat Frieden, Wohlstand, Sicherheit und Stabilität geschaffen. Verzichten wir also auf fadenscheinige Ausreden, wenn wir über die Erweiterung sprechen, und gestehen wir uns ein, dass die optimalen Voraussetzungen für eine Erweiterung nie gegeben sind und eine Erweiterung trotzdem immer möglich ist.

(Beifall)

 
  
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  Paula Lehtomäki, amtierende Ratspräsidentin. (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Europäische Rat im Juni hat beschlossen, dass die Debatte über die Erweiterung und über die künftige Erweiterungsstrategie der Union während der finnischen Ratspräsidentschaft fortgesetzt und ausgeweitet werden sollte. Auf der diese Woche stattfindenden Tagung des Europäischen Rates werden sämtliche Aspekte künftiger Erweiterungen erörtert, darunter die Kapazität der Union zur Aufnahme neuer Mitglieder und Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Qualität des Erweiterungsprozesses auf der Grundlage der bisher gewonnenen Erfahrungen.

Der Europäische Rat wird seine allgemeine Aussprache über die Erweiterung unter Bezugnahme auf die von der Kommission am 8. November herausgegebene Erweiterungsstrategie führen. Die Strategie enthält auch einen Sonderbericht über die Fähigkeit der Union zur Aufnahme neuer Mitglieder. Der Vorsitz möchte erreichen, dass der Europäische Rat in seinen Diskussionen der gemeinsamen Auffassung zur Zukunft des Erweiterungsprozesses entsprechendes Gewicht verleiht. Am Montag erörterte der Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zur Erweiterung. Dabei führte der Rat eine konstruktive und eingehende Aussprache zu dieser Frage.

Die Erweiterung ist Bestandteil des europäischen Integrationsprozesses. Als der finnische Ratsvorsitz im Juli dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten sein Arbeitsprogramm vorstellte, haben wir darauf hingewiesen, dass die Erweiterung unbestreitbar Wachstum und Wohlstand in Europa gefördert und sowohl der Union und ihren Mitgliedstaaten als auch Europa insgesamt etwas gebracht hat. Die Aussicht auf eine Mitgliedschaft hat die Bewerberländer zur Durchführung notwendiger Reformen veranlasst. Die Erweiterung hat dazu beigetragen, dass die Union zu einem einflussreicheren Akteur in der internationalen Politik geworden ist. Durch die Ausdehnung des Binnenmarktes kann die EU-Wirtschaft wirksamer auf die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs reagieren.

Die historische fünfte Erweiterungsrunde ist abgeschlossen, wenn Bulgarien und Rumänien, deren Kandidaten für die Kommission gestern bestätigt wurden, am 1. Januar der Europäischen Union beitreten. Diese Runde hat sich bereits als erfolgreich erwiesen. Dank der Erweiterung erstreckt sich ein Raum des Friedens, der Stabilität, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Wohlstands auf nahezu ganz Europa. Jetzt gilt es für uns, dafür zu sorgen, dass sich diese Erfolgsgeschichte fortsetzt.

Die Union muss ihre Erweiterung als offenen und objektiven Prozess weiterführen, und zwar ohne neue Beschränkungen und Bedingungen. Wie die Erweiterung in der Praxis weiter vorankommen kann, bedarf daher größerer Aufmerksamkeit. So ist es nur natürlich, wenn man versucht, die Qualität des Erweiterungsprozesses zu verbessern und die Union besser darauf vorzubereiten.

Wie wir wissen und wie aus den Beiträgen der Berichterstatter hervorgeht, ist die Integrationsfähigkeit der Union, also ihre Fähigkeit, neue Mitglieder aufzunehmen, kein Kriterium für den Beitritt und sollte auch niemals ein Kriterium werden. Dennoch ist die Integrationsfähigkeit ein wichtiger Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, um den Erfolg der Erweiterung zu sichern. Die Erhaltung der Integrationsfähigkeit liegt im Interesse sowohl der Union als auch der Bewerberländer. Wenn wir jedoch Bedingungen stellen, bei denen ein Bewerberland von allein gar nichts zu ihrer Erfüllung tun kann, bestünde die Gefahr, dass damit die Reformbereitschaft der Beitrittsinteressenten beeinträchtigt wird.

Zur Aufrechterhaltung der Integrationsfähigkeit der Union ist es notwendig, dass die Beitrittsländer bereit sind, die mit der Mitgliedschaft in der Europäischen Union einhergehenden Verpflichtungen umzusetzen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Union effektiv funktionieren und sich entwickeln kann. Es kommt darauf an, dass die Union neue Mitglieder aufnehmen kann, wenn sie auf der Basis der in Verhandlungen erzielten Fortschritte dazu bereit sind. Beide Überlegungen sind auch wichtig, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für den Erweiterungsprozess zu gewinnen.

Während des Erweiterungsprozesses sollte die Integrationsfähigkeit der Union untersucht werden. Wir müssen sicherstellen, dass die Union bei einer Erweiterung in politischer, finanzieller und institutioneller Hinsicht arbeitsfähig bleibt. Die Auswirkung künftiger Erweiterungen auf die Institutionen, Politiken und Haushaltserfordernisse der EU ist sorgfältig zu analysieren.

Wichtig ist, dass die Union die Zusagen einhält, die wir gegenüber Kroatien, der Türkei und den Westbalkanländern in den Verhandlungen über eine Mitgliedschaft abgegeben haben. Was die Türkei anbelangt, möchte ich hier erklären, dass der Vorsitz alles in seiner Macht Stehende getan hat, um eine Fortsetzung des Verhandlungsprozesses zu ermöglichen. Wir freuen uns über die Lösung, die am Montag vom Rat erzielt wurde. Sie verschafft uns eine Basis, von der aus wir weiter vorgehen können.

Bewerberländer und potenzielle Bewerberländer stehen in der Verantwortung, die in diesen Ländern notwendigen Reformen durchzuführen. Dabei sind Fortschritte im Beitrittsprozess von den in dieser Hinsicht erzielten Fortschritten abhängig. Hier können wir nur vorankommen, wenn die Bedingungen erfüllt sind.

In letzter Zeit ist ein hohes Maß an Erweiterungsmüdigkeit zu verspüren. Hier kann die Bereitstellung rechtzeitiger und konkreter Informationen viel dazu beitragen, bestehende Zweifel zu zerstreuen, denn der Union kommen neue Mitgliedstaaten zugute und sie braucht die neuen Staaten.

Abschließend, Herr Präsident, möchte ich dem Europäischen Parlament im Namen des Ratsvorsitzes für seine tatkräftige Beteiligung an der Debatte um die künftige Erweiterung danken. Die beiden Berichte, die heute vor uns liegen, stellen einen wertvollen Beitrag zu dieser Debatte dar. Selbstverständlich wird der Vorsitz die heute zur Aussprache stehenden Berichte über die Erweiterungsstrategie und die Integrationsfähigkeit sowie die vom Europäischen Parlament im Allgemeinen geäußerten Ansichten gebührend berücksichtigen. Wir vertrauen darauf, dass das Parlament unsere gemeinsame Mission unterstützt.

(Beifall)

 
  
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  Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (FI) Herr Präsident, Frau Ministerin Lehtomäki, meine Damen und Herren! Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und dem Ratsvorsitz für die ausgezeichnete und enge Zusammenarbeit während seiner Amtszeit danken, und ich möchte ihm insbesondere zu seiner Entscheidung vom Montag dieser Woche gratulieren, die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zuzulassen. Diese Entscheidung ist ein eindeutiges Signal an die Türkei, dass sie mit Konsequenzen zu rechnen hat, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, aber zugleich konnte mit der Entscheidung des Rates vom Montag eine Konfrontation in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei verhindert werden.

Die Entscheidung zeigt, dass die Europäische Union Entscheidungen zu schwierigen Fragen wie der der Türkei resolut und im Geiste der Solidarität treffen kann, ohne daraus ein großes Drama zu machen. Ich gehe davon aus, dass dies auch in diesem Hohen Hause gewürdigt wird, und ich weiß, dass dies zumindest von den 26 Mitgliedern des Europäischen Rates gewürdigt werden wird, die am Donnerstag und Freitag zusammenkommen und die am Ende dieses Jahres nicht noch einen weiteren Türkei-Gipfel haben wollten.

(EN) Herr Präsident! Ich möchte den Berichterstattern, Herrn Brok und Herrn Stubb (der keineswegs starrköpfig, sondern geistig sehr beweglich ist, auch wenn sein Name Assoziationen zu einem englischen Wort wecken mag, das genau das Gegenteil besagt), zu ihrer Arbeit gratulieren. Gratulieren möchte ich auch dem Ausschuss und allen Abgeordneten für ihre intensive Arbeit an diesem wichtigen Thema.

Die Kommission kann vielen Aussagen zustimmen, die in diesen Berichten gemacht werden. Wir begrüßen insbesondere, dass Sie sich für die Verwendung des Begriffs „Integrationsfähigkeit“ aussprechen, der von Herrn Brok und Herrn Stubb bereits erklärt worden ist. Wir freuen uns, dass die Erweiterungsstrategie der Kommission und ihre Grundsätze die Zustimmung des Parlaments finden und dass unsere Anstrengungen zur Verbesserung der Kommunikation und Transparenz ebenfalls unterstützt werden.

Ich teile die Auffassung des Parlaments, dass es bei der Integrationsfähigkeit in erster Linie um die Institutionen der EU, den Haushalt und die Politik geht. Doch bevor ich näher auf diese Punkte eingehe, möchte ich unterstreichen, dass es äußerst wichtig ist, unsere eigenen strategischen Interessen nicht aus den Augen zu verlieren, wenn wir über unsere Integrationsfähigkeit sprechen.

Die aktuelle Debatte in Europa wird meist nicht gemeinsam, sondern parallel geführt. Einige heben allein die strategische Bedeutung der Erweiterung für den Frieden und die Demokratie hervor. Andere konzentrieren sich ausschließlich auf die internen Probleme, die unsere Kapazität zur Integration neuer Mitgliedstaaten einschränken. Wenn diese beiden Diskussionen nicht miteinander verknüpft werden, laufen wir Gefahr, unsere eigenen Bürger noch mehr zu verwirren und unsere Glaubwürdigkeit in den Bewerberländern zu verspielen.

Wir müssen deshalb einen neuen Erweiterungskonsens erreichen und diese beiden Seiten der Medaille berücksichtigen. Wir müssen uns auf das strategische Ziel der Erweiterung konzentrieren, indem wir die weiche Macht der EU zur demokratischen und wirtschaftlichen Transformation weiter ausüben und gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass wir genügend Kapazität haben, um funktionsfähig zu sein, während wir schrittweise neue Mitgliedstaaten integrieren.

Aus diesen Gründen wird die Kommission die Qualität des Beitrittsprozesses weiter verbessern. Wir werden Folgenabschätzungen durchführen und die finanziellen Auswirkungen auf wichtige Politikbereiche, insbesondere die Agrar- und Kohäsionspolitik, bewerten.

Außerdem müssen wir auf die strikte Einhaltung der Bedingungen achten. Die Erfahrung zeigt, dass die EU nach einer Erweiterung umso reibungsloser funktioniert, je besser die neuen Mitgliedstaaten vorbereitet sind. Schwierige Themen wie etwa die Reform der Justiz und die Korruptionsbekämpfung müssen in den Verhandlungen möglichst frühzeitig angepackt werden.

Doch bei der Verbesserung der Qualität des Beitrittsprozesses sollten wir darauf achten, dass kein allzu kompliziertes Ergebnis dabei herauskommt. Damit würden nur künstliche Hindernisse in einem Prozess geschaffen, der schon jetzt kompliziert genug ist. Ich denke, dass wir alle eine Vereinfachung anstreben und vermeiden wollen, dass alles noch komplizierter wird. Deshalb brauchen wir klare Regeln und klare Verfahren, die von unseren eigenen Bürgern und von den betroffenen Ländern, den Bewerberländern, verstanden werden.

Einige fragen sich, ob die Erweiterung nicht auf Kosten der Vertiefung geht. Darauf möchte ich mit einem klaren Nein antworten: Der EU ist es im Rückblick immer gelungen, die Vertiefung und die Erweiterung parallel zu vollziehen und dies ist auch jetzt möglich.

Aus diesem Grund sollte eine neue institutionelle Regelung vorhanden sein, bevor wohl der nächste neue Mitgliedstaat zur Aufnahme in unsere Union bereit ist. Der Europäische Rat hat einen Zeitplan für die Fortsetzung der institutionellen Reform festgelegt, die im März nächsten Jahres mit einer politischen Erklärung in Berlin beginnen soll. Die notwendigen Schritte für eine neue institutionelle Regelung sollen bis Ende 2008 abgeschlossen sein.

Wir brauchen eine neue institutionelle Regelung, um unsere Entscheidungsfindungsprozesse effizienter zu machen. Sie ist notwendig, um die Legitimität der Union zu verbessern und wir brauchen sie, um die Rolle Europas in der Welt zu stärken. Nicht zuletzt aber brauchen wir sie für die derzeitige EU und ihre Bürger, wir brauchen sie heute oder spätestens morgen, und zwar nicht nur wegen einer möglichen künftigen Erweiterung. Wir müssen die Dynamik der Integration aufrechterhalten und die Vertiefung und Weiterentwicklung der Europäischen Union voranbringen.

Ich vertraue darauf, dass Sie diese Ziele einer erneuerten und stärkeren Union befürworten und freue mich darauf, gemeinsam mit Ihnen an der Verwirklichung dieser Ziele zu arbeiten.

(Beifall)

 
  
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  Íñigo Méndez de Vigo, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Zunächst möchte ich den beiden Berichterstattern gratulieren. Glücklicherweise kommen beide aus meiner Fraktion, Herr Präsident, und sie haben gemeinsam gearbeitet und sich gegenseitig ergänzt. Sie wissen es nicht, aber ich werde heute Vormittag ein Geheimnis lüften: In meiner Fraktion, Herr Swoboda, bezeichnen wir Herrn Brok und Herrn Stubb als „die Zwillinge“. Ich hoffe, dass andere, europaweit bekanntere Zwillinge, entschuldigen werden, dass wir diese Bezeichnung verwenden.

Tatsache ist jedenfalls, dass sie getan haben, was andere Zwillinge tun sollten. Sie haben gemeinsam zum Wohle Europas gehandelt. Sie haben die Änderungsanträge anderer Fraktionen nicht übernommen, sondern integriert. Ich glaube daher, dass das Haus heute für diese beiden Berichte zur Erweiterungsstrategie und zur Aufnahmefähigkeit stimmen wird.

Herr Präsident, diese beiden Berichte enthalten mehrere positive Bekenntnisse. Das Erste – wie Herr Stubb wortreich erläutert hat – ist das zur Erweiterung. Wir glauben, dass die Erweiterung der Europäischen Union und den Beitrittsländern einen außerordentlichen Nutzen bringt. Daran gibt es keinen Zweifel. Jeder, der sich da nicht sicher ist, sollte Ziffer 19 der Entschließung lesen.

Klar ist jedoch auch, dass die Europäische Union auf die Aufnahme jener neuen Staaten vorbereitet sein muss, damit die Erweiterung ein Erfolg wird. In Wirklichkeit ist dies derzeit nicht der Fall. Niemand lädt einen Gast in sein Haus ein, wenn das Haus nicht bestellt ist. Das Haus in Ordnung zu bringen, ist das zweite Bekenntnis im Bericht von Herrn Stubb: das zum Verfassungsvertrag.

Es ist noch gar nicht so lange her, da unterstützten zwei Drittel der Abgeordneten dieses Parlaments den Bericht Corbett-Méndez de Vigo. Der Bericht von Herrn Stubb unterstreicht diese Tatsache. Wir sind weiter der Meinung, dass der Inhalt des Verfassungsvertrags notwendig ist, damit unser Haus weitere Gäste aufnehmen kann.

Meines Erachtens ist es sehr wichtig, dies jetzt hervorzuheben, da der deutsche Vorsitz Terminvorschläge für 2009 unterbreiten wird, und ich glaube, die Ziffern 9 und 10 des Stubb-Berichts betonen, worin der Inhalt jeder künftigen Reform bestehen muss, und lehnen eine Sache ab, die wir in diesem Parlament ebenfalls gelegentlich herausgestellt haben: Wir wollen keine Rosinenpickerei – das teilweise Inkraftsetzen einzelner Elemente. Wir wollen die durch den Verfassungstext verkörperte Ausgewogenheit.

Abschließend sei gesagt, Herr Präsident, dass beide Berichte eine klare politische Botschaft vermitteln. Sie werden beim Europäischen Rat anwesend sein, und ich bitte Sie, dies dort zu wiederholen: Es wird keine künftigen Erweiterungen ohne Europäische Verfassung geben. Ganz sicher nicht. Dieses Parlament muss seine Zustimmung erteilen, wenn es um die Genehmigung einer neuen Erweiterung geht. Es wird dieses Recht ausüben, so stellt es dieser Bericht in aller Form fest.

Herr Präsident, meine Fraktion wird beide Berichte unterstützen, und beim Bericht von Herrn Stubb wird sie für die Änderungsanträge 6, 7 und 8 stimmen.

 
  
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  Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich möchte zuerst den Kollegen Brok und Stubb sehr herzlich für den Bericht danken. Wenn ich mir allerdings die beiden Kollegen und Kollege Méndez de Vigo, anschaue, komme ich zu dem Schluss: Eineiige Zwillinge sind sie offensichtlich nicht, aber das Ergebnis ist sehr gut. Bei aller Wertschätzung für Sie persönlich, Herr Kommissar: Das Ergebnis der beiden Berichte ist aus meiner Sicht besser als der Bericht der Kommission. Wir bringen die Sache deutlicher und klarer zum Ausdruck, und ich glaube, die Kommission sollte sich in diesem Fall ein Beispiel daran nehmen.

Es gibt auch in diesem Haus viele Kollegen, die die kleineuropäische Lösung vertreten und sagen: je kleiner die Europäische Union, desto besser und homogener. Auf der anderen Seite gibt es jene, die sagen: je größer desto besser, weil wir dann für alle sprechen können. Wir können aber nicht für alle sprechen, wenn wir nicht zu einer gemeinsamen Stimme finden. Dafür müssen folglich die Voraussetzungen geschaffen werden. Nicht die Quantität schafft Europa, sondern die Qualität. Zu den Voraussetzungen dafür –hier gebe ich dem Kollegen Méndez de Vigo völlig Recht – gehört z. B. die europäische Verfassung.

Es muss nicht genau die derzeitige Verfassung sein, wahrscheinlich wird sie es auch nicht sein. Aber die wesentlichen Elemente dieser Verfassung müssen umgesetzt werden, um Europa handlungsfähig zu machen. Eine zweite Voraussetzung ist sicherlich auch eine entsprechende finanzielle Basis. Schon jetzt sind wir – seien wir doch ehrlich – nicht fähig, die Wünsche und Vorstellungen unserer Bevölkerung zu erfüllen, die berechtigterweise von Europa erfüllt werden müssten. Wie soll denn eine erweiterte Europäische Union funktionieren, wenn wir nicht auch die finanziellen Voraussetzungen dafür schaffen?

Wir müssen unseren Regierungen sagen: Ihr könnt nicht auf der einen Seite schöne Zusagen zur Erweiterung machen und auf der andere Seite, wenn es um die finanzielle Basis geht, sagen, wir hätten kein Geld dafür. Das ist nicht akzeptabel, und dieses Parlament muss das ganz klar zum Ausdruck bringen.

Noch ein Wort zur Verfassung: Es geht natürlich vor allem um die Reform der Institutionen und zwar nicht nur um kleine Retuschen, sondern um fundamentale Reformen. Ganz so ähnlich geht es auch bei der Finanzierung um Finanzierungsmodelle, die eine fundamentale Änderung der finanziellen Basis der Europäischen Union herstellen.

Es geht also um die Integrationsfähigkeit. Ich möchte für meine Fraktion ganz klar sagen: Die Integrationsfähigkeit dient nicht als Barriere gegen zukünftige Erweiterungen, sondern als Voraussetzung für zukünftige Erweiterung, aber als notwendige Voraussetzung und nicht nur als Nebenprodukt unserer Überlegungen, wo man dann in einem Beitrittsvertrag das eine oder andere Detail ändert. Das ist in Zukunft nicht mehr akzeptabel.

Parallel dazu müssen natürlich auch die Gespräche über Südosteuropa und den Balkan fortgesetzt werden – nicht nur über Kroatien, wo ich die Ehre habe, Berichterstatter zu sein. Auch nach Kroatien kann keine neue Grenze gezogen werden, sondern es muss schrittweise weitergehen. Zur Türkei wird Kollege Wiersma wird noch mehr sagen. Die Türkei muss ihre Verpflichtungen erfüllen, aber auch wir müssen die Integrationsaufgabe auf Zypern, die uns dort noch zu leisten bleibt, politisch erfüllen.

Zum letzten Punkt: Wir müssen den Ländern in unserer Nachbarschaft, insbesondere im Bereich des Schwarzen Meeres, eine realistische Vision geben. Dazu ist es notwendig, eine Zwischenform zu schaffen, die wir uns im außenpolitischen Ausschuss gemeinsam überlegt haben. Kollege Wiersma und ich haben die Idee einer EU-Schwarzmeer-Gemeinschaft eingebracht, um die Länder stärker an die Europäische Union zu binden. Es handelt sich dabei um eine Art Vorbereitungsstufe, die nicht zwangsweise, aber möglicherweise zur Mitgliedschaft führt, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.

Wir müssen die Wünsche unserer Nachbarn erfüllen, aber wir können sie nur erfüllen, wenn wir die Wünsche unserer eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Europa erfüllen. Das ist derzeit nicht der Fall, dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Erst dann wird es wieder möglich, die Vision eines großen erweiterten Europas in die Tat umzusetzen.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Herr Stubb und Herr Brok sind eindeutig keine Zwillinge im physischen Sinne, Herr Swoboda. Herr Méndez de Vigo hat das liebevoll gemeint, um darauf hinzuweisen, dass sie gemeinsam agieren wie zwei andere bekannte Persönlichkeiten, Stan Laurel und Oliver Hardy, die auch keine Zwillinge waren, aber gemeinsam handelten.

(Heiterkeit)

So sollten wir die Art und Weise interpretieren, in der sie zusammenarbeiten, und ich sage das mit der größten Sympathie für unsere heutigen Berichterstatter.

 
  
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  Annemie Neyts-Uyttebroeck, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Frau Ratsvorsitzende, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Obwohl sich Witze über Zwillinge in letzter Zeit etwas abgenutzt haben, möchte ich lediglich hinzufügen, dass die beiden zum Glück noch kein übles Zwillingspärchen – keine evil twins – geworden sind, denn das wäre natürlich äußerst bedauerlich.

Seit Mai/Juni 2005 ist die Erweiterung generell unter Beschuss geraten. Sie soll ja der Hauptgrund für das „Nein“ in Frankreich und den Niederlanden gewesen sein. In diesem negativen Klima ist dann plötzlich der Begriff Aufnahmefähigkeit aufgetaucht – ein schreckliches Wort, das Vielen als Vorwand dient, um künftigen Erweiterungen Einhalt zu gebieten und selbst gemachte diesbezügliche Zusagen in Frage zu stellen, wenn nicht gar zu widerrufen.

Dem hat sich meine Fraktion nie angeschlossen, und sie legt zum einen sehr großen Wert auf die Anerkennung der Tatsache, dass die Erweiterung bislang ein immenser Erfolg ist, und zum anderen darauf, dass alle Zusagen, sei es gegenüber Kroatien und den westlichen Balkanländern, auch wenn sie zum Teil erst im Entstehen begriffen sind, sei es gegenüber der Türkei, auch tatsächlich eingehalten werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich übrigens Kommissar Rehn, seine Kolleginnen und Kollegen in der Kommission sowie den Rat zu den in Bezug auf die Türkei gefassten Beschlüssen beglückwünschen, die ich für sehr ausgewogen halte. Es wurden keine Türen zugeschlagen, aber gleichwohl deutlich gemacht, worum es geht, und in dieser Entscheidung werden Sie von uns uneingeschränkt unterstützt.

Ein wichtiges Anliegen meiner Fraktion – auf das Herr Duff gleich noch näher eingehen wird – betrifft schließlich die für die Union und ihre Institutionen bestehende Notwendigkeit, noch vor der nächsten Erweiterungsrunde ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Allerdings obliegt diese Aufgabe der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten, der Kommission, diesem Parlament, dem Rat und nicht zuletzt dem Europäischen Rat, nicht jedoch den Kandidatenländern.

Da diese neue, positivere Einstellung zur Erweiterung in beiden Berichten zum Ausdruck kommt und darin in aller Deutlichkeit unterstrichen wird, dass zuerst die Institutionen reformiert werden müssen, wird meine Fraktion dafür stimmen.

 
  
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  Joost Lagendijk, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde nicht nochmals darauf hinweisen, als wie erfolgreich sich die Erweiterung bislang herausgestellt hat, da dies zahlreiche Kolleginnen und Kollegen sowie die Kommission und der Rat bereits getan haben, und obwohl ein solcher Hinweis in diesem Haus ein wenig als Gemeinplatz erscheinen mag, ist er doch kein unnötiger Luxus in einer Europäischen Union, in der immer mehr Menschen den Nutzen und die Notwendigkeit der Erweiterung anzweifeln.

Gleichwohl ist es erforderlich, und meines Erachtens auch möglich, aus der bisherigen Vorgehensweise Lehren zu ziehen. Wie der Kommissar bereits ausführte, finden sich diese Lehren in seinem Bericht und ebenso in den Berichten des Parlaments. Ich bitte Sie nachdrücklich, jedes Land anhand seiner eigenen Verdienste zu beurteilen und nicht wieder denselben Fehler zu begehen, Rumänien und Bulgarien in einen Topf zu werfen. Termine sollten nicht zu früh genannt werden, da sich dies gegen uns und gegen den Erweiterungsprozess kehren wird. Schwierige Fragen sollten nicht bis zur letzten Minute aufgeschoben werden, und es soll mehr auf die Umsetzung als auf das Versprochene geachtet werden. Bei der Aussprache über diese Lehren ist im vergangenen Jahr plötzlich der Begriff „Aufnahmefähigkeit“ aufgetaucht, der jetzt „Integrationsfähigkeit“ heißt. Die Befürworter künftiger Erweiterungen – wozu ich mich selbst rechne – reagieren zum Teil mit Bedenken, sich an einer solchen Debatte zu beteiligen, weil der Begriff Integrationsfähigkeit von denjenigen, die gegen künftige Erweiterungen sind, vielfach als Gegenargument gebraucht wurde.

Um meine Meinung offen zu sagen: Integrationsfähigkeit ist weder ein Argument für noch ein Argument gegen Erweiterungen, aber wir müssen uns alle im Klaren darüber sein, wovon wir sprechen.

Lassen Sie mich zwei Elemente herausgreifen. Bezüglich der institutionellen Reformen sei nochmals gesagt, dass ich zwar ein entschiedener Befürworter einer künftigen Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten und die Türkei bin, doch bin ich ebenso der Überzeugung, dass diese Erweiterung auf der Grundlage der bestehenden Verträge nicht möglich ist und es daher einer grundlegenden institutionellen Reform bedarf. Ich denke nur, dass wir in diesem Parlament nicht spitzfindig über die Frage streiten sollten, wie dies genau geschehen soll, solange es nur überhaupt geschieht!

Was die anderen Elemente aus dieser Diskussion über die Integrationsfähigkeit betrifft, so ist der Rückhalt in der Öffentlichkeit unverzichtbar. Er ist nur möglich, wenn wir und auch unsere Kollegen in den nationalen Parlamenten deutlich zu vermitteln verstehen, dass die Vergangenheit gerecht zu bewerten ist, so dass keine Scheu besteht, die langfristigen Interessen der Europäischen Union hervorzuheben. Dazu sind außerdem politische Führung und politischer Mut notwendig, indem nicht jede momentan vielleicht etwas weniger positiv ausfallende Meinungsumfrage über die Erweiterung berücksichtigt wird. Alle diese Elemente – Mut, politische Führung, langfristige Interessen – treffen in der Debatte über die Türkei zusammen.

Daher plädiere ich nachdrücklich dafür, dass in diesem Parlament nicht auf dieser populistischen Welle geritten wird, wie es derzeit in so manchen Türkeidebatten in Europa geschieht. Auch in meinem Land habe ich festgestellt, dass diejenigen, die vor zwei Jahren Befürworter eines Türkeibeitritts waren, plötzlich dagegen sind, weil der Trend der Meinungsfragen in diese Richtung weist. Wir dürfen uns nicht in diese Strömung hineinziehen lassen, auch nicht in dem vorliegenden Bericht. Deshalb muss hinsichtlich Zyperns – und darüber werde ich noch mit Herrn Brok sprechen – die Türkei ihr Versprechen erfüllen, aber ebenso die Europäische Union. Aus diesem Grunde bin ich über die Zusage der Außenminister, im kommenden Frühjahr die Isolation Nordzyperns erörtern zu wollen, höchst erfreut. Die Zukunft der Europäischen Union darf nicht auf Unbeständigkeit und Angst gebaut werden, und das gilt auf jeden Fall für die Erweiterung.

 
  
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  Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Anfang der 90er-Jahre wurde die Erweiterung zu einem der wichtigsten Ziele der Europäischen Union erklärt. Das zuvor in drei Wirtschaftsblöcke geteilte Europa sollte im Rahmen der Europäischen Union rasch vereint werden. Später wurde der Plan für eine zunächst begrenzte Erweiterungsrunde – unter Einbeziehung Estlands, der Tschechischen Republik und Zyperns, nicht jedoch Lettlands, der Slowakei und Maltas – plötzlich zugunsten einer größeren Erweiterungsrunde aufgegeben, bei der Rumänien und Bulgarien, die allerdings in drei Wochen Mitglieder werden, die Nachhut bildeten.

Nach der Zusage, alle noch nicht beigetretenen Balkanstaaten seien ebenfalls willkommen, nach der schleppenden Aufnahme der Verhandlungen mit Kroatien und der Türkei sowie nach der vorübergehenden Begeisterung über ein mögliches zügiges Beitrittsverfahren für die Ukraine, die Republik Moldau und Belarus ist es auffallend still geworden. Mit einem weiteren Kandidatenland, Mazedonien, haben die Verhandlungen noch nicht einmal wirklich begonnen.

Mittlerweile sind Neuankömmlinge offensichtlich nicht mehr so willkommen. Ohne Verfassung werde – so die Befürchtung der Machthaber – ein einwandfreies Funktionieren der Europäischen Union zunehmend schwieriger und müsse immer mehr Geld umverteilt werden. Die breite Öffentlichkeit erlebt das Phänomen der Arbeitsmigration, bei der Menschen fernab von ihrem Heimatland schmutzige und unsichere Arbeiten verrichten, bei schlechter Bezahlung und schlechten Wohnverhältnissen.

Die Annahme der Dienstleistungsrichtlinie hat die Befürchtung ausgelöst, die hervorragende Sozialgesetzgebung und die vorbildlichen Tarifverträge in den alten Mitgliedstaaten würden bald mit in neuen oder künftigen Mitgliedstaaten geltenden schlechteren Regelungen zu konkurrieren haben. Aufgrund der neoliberalen Politik innerhalb der Europäischen Union wie auch fehlender Fortschritte im Demokratisierungsprozess und bei den Menschenrechten in der Türkei ist eine zukünftige Erweiterung bei vielen Menschen in den heutigen Mitgliedstaaten inzwischen äußerst unpopulär.

Wegen dieser beiden Fehler mussten wir das Tempo etwas drosseln und zu zeitlich befristeten Übergangsmaßnahmen greifen. Die Gefahr dabei ist, dass Staaten, die vorerst nicht aufgenommen werden, unterdessen immer stärker von der Europäischen Union abhängig werden, wodurch sie in ihren eigenen Entscheidungen und in ihrer eigenen Entwicklung behindert werden können.

Meine Fraktion ist dafür, dass auch in Übergangszeiten die Gleichwertigkeit potenzieller Beitrittsländer geachtet und finanzielle Unterstützung geleistet wird, damit sie ihren Rückstand aufholen können, nicht zuletzt, um ihren künftigen Beitritt zu erleichtern. Den zahlreichen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei stammenden Bewohnern unserer Mitgliedstaaten sind wir es schuldig, den Wunsch dieser Regionen auf einen Beitritt ernst zu nehmen.

 
  
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  Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, beim Lesen der beiden Berichte war ich nur einmal angenehm überrascht. Die völlige Schwarzmalerei in Bezug auf die Aussichten für die Erweiterung der Europäischen Union ist nun durch eine „Graumalerei“ ersetzt worden. Diese Aufhellung des Bildes sollte man zu würdigen wissen. Das Bild erhellte sich heute sogar noch weiter, als der Berichterstatter seine Ansprache hielt, jedoch ist die Darstellung immer noch weit von der Wahrheit entfernt.

Trotz des Eindrucks, den uns die beiden Berichte vermitteln mögen, sind es nicht die institutionellen Reformen, die die Europäische Union zu einer immer bedeutenderen Akteurin auf der internationalen Bühne gemacht haben. Die Europäische Union hat an politischem Gewicht gewonnen, da sie nun für eine größere Zahl von Bürgern, für mehr Unternehmen, für mehr Fläche und für eine größere militärische und wirtschaftliche Einflussnahme steht. Somit hat die Europäische Union dank der Erweiterungen, die in den achtziger und neunziger Jahren sowie in jüngster Zeit – im Jahr 2004 – erfolgten, an dem Gewicht, das sie zu einer globalen Akteurin macht, gewonnen. Dieser Wandel rührte nicht etwa daher, dass jemand den Zauberstab der Vertragsreform geschwenkt hat.

Ich bemerke eine größere Bereitschaft, über die Entschließung vom März 2006 zum selben Thema zu reden, doch es ist einfach anachronistisch, die Erweiterung vom Verfassungsvertrag abhängig zu machen. Wir können von institutionellen Veränderungen ausgehen, aber Bezug auf den Vertrag in der vorhandenen Fassung zu nehmen, kann nur als Vorwand dafür erachtet werden, den Erweiterungsprozess ohne guten Grund anhalten zu wollen. Eine Philosophie nach dem Motto „Verfassungsvertrag oder Untergang“ ist weder gut noch klug. Einen ähnlichen Vorwand kann man in akademischen Debatten über Aufnahme- bzw. Integrationsfähigkeit finden.

Die europäische Integration ist nicht ein chemisches oder physikalisches Phänomen, und objektive Naturgesetze spielen hier keine Rolle. Die Integration ist eine reine Frage des politischen Willens, den wir und unsere Kollegen in den Mitgliedstaaten in der Hand haben. Sofern wir wirklich einer Meinung darüber sind, dass sich Erweiterungen mit Erfolg gleichsetzen lassen, stellt sich die Frage, warum wir 30 Klauseln auf der Grundlage einer Philosophie, die nicht weit von engstirniger, mutloser Euroskepsis entfernt ist, hinzufügen wollen. Ist es denn wirklich sicher, dass die Qualität der Integration aufgrund der Erweiterung leidet? Vielleicht verschlechtert sich die Qualität der Integration ja auch aufgrund der schlechten Politik der Union selbst? Vielleicht leidet diese Qualität infolge einer überladenen Agenda, die wir der Europäischen Union aufbürden, oder infolge zu unterschiedlicher und übertrieben hoher Erwartungen?

Widerlegte man die von mir vorgebrachte Kritik, bliebe uns nur die banale Wahrheit, dass die Kandidatenländer die Kriterien für die Mitgliedschaft erfüllen müssen. Ich bezweifle, ob wir zwei ganze Berichte ausarbeiten müssen, nur um uns selbst an diesen ziemlich offensichtlichen und lange bestehenden Grundsatz zu erinnern.

Aus diesen Gründen möchte ich nicht für diese Entwürfe stimmen, da sie offenbar nichts anderes als eine Aufzählung von Vorwänden sind, um den Integrationsprozess ohne triftigen Grund auszusetzen.

 
  
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  Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Der Bericht Stubb ist aus mehr als einem Grund enttäuschend. Erstens zeigt er nicht einmal ansatzweise einen Ausweg aus der institutionellen Sackgasse auf, in der sich die Europäische Union befindet. Im Falle der Annahme des vorliegenden Berichts besteht die aktuellste Position dieses Hauses offensichtlich lediglich in der erneuten Bekräftigung der Zustimmung zur Europäischen Verfassung und deren Zusammenfassung in Ziffer 9.

Ebenso ernüchternd ist das Fehlen einer Zukunftsperspektive für den Erweiterungsprozess, womit ich zu meinem zweiten Kritikpunkt komme. Während in Ziffer 11 die Notwendigkeit von Maßnahmen betont wird, die darauf abzielen, die öffentliche Akzeptanz der Erweiterung zu erhöhen, werden die der schwindenden Zustimmung zur Erweiterung zugrunde liegenden Ursachen indes völlig außer Betracht gelassen. Auch bleibt in diesem Bericht die Zweckbestimmtheit der EU tabu. Gerade der eklatante Mangel an politischer Führung, wo es um die Festlegung der Grenzen der Europäischen Union geht, verursacht Unzufriedenheit und Ungewissheit im Zusammenhang mit dem Erweiterungsprozess.

Darüber hinaus lässt dieser Bericht über die institutionellen Aspekte der Fähigkeit der Europäischen Union zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten konkrete Empfehlungen zur Verankerung des Erweiterungsprozesses im Vertrag vermissen. Ich schlage vor, die verschiedenen Phasen des Beitrittsprozesses vertragsmäßig festzulegen, so dass für die Bewerberländer auf jeder Stufe des Weges einheitliche Kriterien gelten. Auf diese Weise wird der Erweiterungsprozess transparenter und kann das Parlament seine Aufgabe einer parlamentarischen Kontrolle in allen entscheidenden Etappen des Erweiterungsprozesses wirklich erfüllen.

 
  
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  Philip Claeys (NI).(NL) Herr Präsident! Da wir beim Thema Erweiterungsstrategie sind, ist jetzt der richtige Moment, um einmal darüber nachzudenken, wie die Verhandlungen mit problematischen Kandidatenländern wie der Türkei geführt werden. Der Türkei wurde eine Frist für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen in Bezug auf die Zollunion gesetzt, aber die türkische Regierung spurt nicht, und die so genannten Sanktionen der Europäischen Union erschöpfen sich darin, dass die schwierigen Verhandlungskapitel vorläufig nicht eröffnet werden und die Frist verstreicht, ohne dass eine neue Frist in Sicht ist.

Die Kommission und der Rat haben wiederholt erklärt, sie wollten keine Kollision mit der Türkei und die Türken hätten mittlerweile begriffen, dass sie Bedingungen stellen können und nicht wir. Die belgische Regierung hat dafür übrigens eine neue Doktrin ersonnen, die da lautet, dass wir mit der Türkei, und ich zitiere: „eine geopolitische Erweiterung vollziehen und dazu eine anderer Taktik erforderlich ist“. Mit anderen Worten, ein nichteuropäisches Kandidatenland wie die Türkei braucht es mit den Kopenhagener Kriterien nicht so genau zu nehmen. Auf die basarmäßige Verhandlungstaktik des Feilschens der Türkei hat die Europäische Union keine Antwort.

Kommissar Rehn sprach vorhin von der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union gegenüber den Kandidatenländern. Er vergisst ein kleines Detail, nämlich die Glaubwürdigkeit der EU bei der europäischen Öffentlichkeit. Vor den Bürgern wurde stets so getan, als würden die Verhandlungen suspendiert, sollte sich herausstellen, dass die Türkei den Erwartungen nicht entspricht, was exakt das Gegenteil dessen ist, was nunmehr geschieht, und darin liegt das eigentliche Glaubwürdigkeitsproblem der Europäischen Union.

 
  
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  Panayiotis Demetriou (PPE-DE), – (EL) Herr Präsident, Frau Ministerin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die beiden Berichterstatter haben heute zwei hervorragende Berichte vorgelegt. Ich gratuliere ihnen, denn sie haben die Dinge kurz, prägnant und fundiert beim Namen genannt.

Es gibt eine Frage, die ständig über der Europäischen Union schwebt: Quo vadis Europa? Diese Frage kann in zwei weitere Fragen unterteilt werden: Welche Form soll die Europäische Union haben? Welche Größe soll Europa haben? Funktioniert die Europäische Union heute effizient?

Das sind quälende Fragen, die beantwortet werden müssen, und die Antworten sind in der Vision enthalten, der wir uns verschrieben haben. Worin besteht unsere Vision? Wir haben eine gemeinsame Vision. Wir wollen eine Europäische Union, die demokratisch ist, die prosperiert und die human ist. Wir wollen eine Europäische Union, die auf der internationalen Bühne eine regulative Rolle spielt. Deshalb erfüllt die Erweiterung keinen Selbstzweck. Sie ist Teil der Vision, und darum dürfen wir das Pferd nicht von hinten aufzäumen; da muss alles ineinander passen. So gesehen hat Herr Rehn Recht, wenn er sagt, dass die Erweiterung und die Vertiefung zwei – so möchte ich hinzufügen – Seiten einer Medaille sind.

Wir können aber nicht über eine Erweiterung reden, die auf Kosten der Qualität geht und der Expansion dient – das Ziel Europas ist kein expansionistisches –, ohne dabei die Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen wir leben. Es ist nicht die Europäische Union, die sich der Erweiterung anpassen muss. Das ist Sache eines jeden Landes, das der Europäischen Union beizutreten wünscht. Und was Kroatien und die Türkei betrifft, so ist es sicherlich eine gute Sache, dass wir für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sind; Kroatien aber haben wir ausgesperrt, als es gegen die Bedingungen verstieß, die wir festgelegt haben. Ich möchte nicht sagen, dass wir es soweit hätten kommen lassen müssen.

Abschließend möchte ich sagen, dass wir mit der Verfassung vorankommen müssen, andernfalls wird die Erweiterung ihre historische Bedeutung verlieren.

 
  
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  Jan Marinus Wiersma (PSE).(NL) Herr Präsident! Auch ich möchte die beiden Berichterstatter, Herrn Brok und Herrn Stubb, zu ihrer hervorragenden Arbeit beglückwünschen. Die fünfte Erweiterungsrunde der Europäischen Union ist zweifellos eines der ehrgeizigsten Projekte, die die EU bislang verwirklicht hat. Zugleich dient sie selbstverständlich als Ausgangspunkt für unsere heutige Aussprache. Durch diese Erweiterung sind wir außerdem gezwungen, über die interne Funktionsweise der Europäischen Union nachzudenken, bevor eine nächste Erweiterungsrunde eingeleitet wird; deshalb steht das Thema der Aufnahmefähigkeit der EU heute erneut auf der Tagesordnung.

Dennoch möchte ich eine Anmerkung zur Erweiterungskritik machen, die im Hinblick auf unsere heutige Debatte häufig vorgebracht wird und von der ich mich in gewissem Grade distanzieren möchte, denn mit dieser Kritik werden mehrere Eindrücke erweckt, gegen die meines Erachtens Einspruch zu erheben ist. Erstens, diese Erweiterung sei ein Fehler gewesen; zweitens, die EU sei am Rande ihrer Aufnahmekapazität, und drittens, interne Reformen seien speziell im Hinblick auf die Erweiterung erforderlich. Das stimmt nicht, die Reform stellt eine Notwendigkeit an sich dar und entspricht dem Ziel einer effizienteren Arbeitsweise der Europäischen Union. Ich wiederhole – und werde nicht müde, dies zu tun –, dass die Erweiterung 2004 ein Erfolg war und dass die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien Anfang nächsten Jahres nicht minder erfolgreich sein wird.

Die EU ist und bleibt ein offener Klub. Sie hat diversen Ländern Zusagen gemacht, und diese müssen eingehalten werden. Gleichwohl ist die Europäische Union reformbedürftig, sowohl zur Wahrung ihrer Funktionsfähigkeit als auch aufgrund der höheren Erwartungen, die die Bürger in sie setzen. Damit kommen wir dann auch auf die ohne Vorurteile geführte Debatte über die Integrationsfähigkeit und die Erweiterungsstrategie zurück. Die Berichte Brok und Stubb zeigen meines Erachtens, dass es diesem Parlament gelungen ist, unsere Erwartungen sachlich darzulegen, und die Kommission hat sich ebenfalls für diesen sachlichen Ansatz entschieden, auch wenn, wie Herr Swoboda hervorhob, die Kommission wichtige Fragen unbeantwortet lässt unter dem Vorwand, sie werde „zu gegebener Zeit darauf zurückkommen“.

Bei der Integrationsfähigkeit geht es uns in erster Linie darum, dass die Europäische Union ihre Hausaufgaben erledigt. Die bestehenden Institutionen und der Vertrag von Nizza stellen keine geeignete Grundlage für den Beitritt neuer Mitgliedstaaten dar. Uns obliegt es, die notwendigen institutionellen Reformen durchzuführen, damit später neue Länder aufgenommen werden können. Die Tatsache, dass die Kandidatenländer ihrerseits dafür verantwortlich sind, sich auf die Mitgliedschaft gründlich vorzubereiten, ist nichts Neues. Die Bedingungen sind bereits seit 1993 in den so genannten Kopenhagener Kriterien festgelegt worden.

Die Integrationsfähigkeit der EU beinhaltet einige Elemente, die selbstredend wichtig sind. Für eine demokratische und effiziente Arbeitsweise der Europäischen Union benötigen wir die Institutionen, und wir brauchen einen Haushalt, der den anspruchsvollen EU-Zielen entspricht; ich möchte jedoch auch etwas zur so genannten Handlungsfähigkeit sagen, die in meinen Augen von entscheidender Wichtigkeit ist. Des Weiteren kommt es darauf an, dass die Europäische Union, die Kommission und die Mitgliedstaaten Initiativen ergreifen, die den Wünschen und Erwartungen der europäischen Bürger gerecht werden; diese müssen auch bei der Kommunikation über die Europäische Union im Mittelpunkt stehen.

Die Europäische Union muss zeigen, wozu sie fähig ist, und sie muss diese Fähigkeit vermitteln können, denn nur so wird es uns gelingen, eine Akzeptanz für die europäische Zusammenarbeit zu schaffen und zu bewahren, und die Erweiterung gehört dazu; die Erweiterung darf nicht als separater Politikbereich betrachtet werden, der gesondert zu behandeln ist. Die Erweiterung muss auch Teil der „Bürger Agenda“ sein, wie sie die Kommission nennt. Eine künftig positive Einstellung der Bürger zur Erweiterung kann nur im Rahmen der aufgrund eines leistungsfähigeren Europas in Gang kommenden öffentlichen Diskussion erwartet werden.

Gestatten Sie mir abschließend noch eine Anmerkung zur Türkei, ein Thema, das Herr Swoboda bereits angesprochen hat. Unsere Fraktion befürwortet den Standpunkt von Kommissar Rehn. Er hat einen aus unserer Sicht vernünftigen Vorschlag unterbreitet, nämlich dass wir auf die Nichtumsetzung des Protokolls von Ankara durch die Türkei reagieren müssen. Zugleich gehen wir mit ihm darin konform, dass die Tür nicht ganz zugeschlagen werden darf. Die Kommunikationskanäle müssen offen bleiben, und wir stimmen jener partiellen Aussetzung bzw. Verschiebung der Verhandlungen, von der Sie selber sprachen, zu. Wir bestehen nach wie vor darauf, dass die Türkei ihren rechtlichen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union nachkommen muss, gleichzeitig aber dürfen die Gespräche nicht völlig abgebrochen werden.

Noch eine letzte Bemerkung. Wir hoffen, dass die Kommission und der Rat im nächsten Jahr Initiativen ergreifen werden, um sich mit der Isolierung und vor allem der wirtschaftlichen Isolierung Nordzyperns zu befassen.

 
  
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  Andrew Duff (ALDE). (EN) Herr Präsident! Ich begrüße es, dass der Begriff „Aufnahmefähigkeit“, der an ein Geschirrtuch denken lässt, und der Begriff „privilegierte Partnerschaft“, der für ein etwas gönnerhaftes Konzept steht, das alles andere als große Privilegien verspricht, ersetzt werden sollen.

Doch es ist an der Zeit, dass wir die Nachbarschaftspolitik zügig und kreativ weiterentwickeln, um an unserer östlichen Grenze stabile Verhältnisse für die Staaten zu schaffen, die der Union nicht beitreten können, und für diejenigen, die sich gegen einen Beitritt entschieden haben. Im Vorfeld der Wiederaufnahme der Verhandlungen über den Verfassungsvertrag wäre es sinnvoll, ein Kapitel in Teil III aufzunehmen, in dem die Erweiterungspolitik beschrieben, die Kriterien von Kopenhagen erläutert und der Beitrittsprozess und die Bedingungen für eine Aufnahme sehr viel präziser als das derzeit der Fall ist erklärt werden. Wenn wir über Teil III neu verhandeln, sollte auch über die Schaffung einer neuen Art der assoziierten Mitgliedschaft gesprochen werden. Eine solche Verbesserung würde die Öffentlichkeit von der Qualität unseres Beitrittsprozesses überzeugen und ihr eine Vorstellung davon vermitteln, in welchem Tempo wir die Erweiterung der postnationalen Gesellschaft in Europa vorantreiben wollen. Für Drittländer, die über ihre künftigen Beziehungen zur Union nachdenken, wäre sie ebenfalls von großem Nutzen.

 
  
  

VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS
Vizepräsident

 
  
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  Johannes Voggenhuber (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich beglückwünsche die beiden Berichterstatter, versuche allerdings seit einiger Zeit schon, das Bild von den Zwillingen abzuschütteln. Ich weiß nicht, ob Iñigo Méndez de Vigo an die Mutter dieser beiden gedacht hat. Es muss sich jedenfalls um einen mehrjährigen Geburtsvorgang gehandelt haben. Wir gratulieren den beiden Berichterstattern auch nicht weil, sondern obwohl sie beide aus der PPE kommen. Sie haben in dieser Krise der Union etwas sehr Wichtiges klargestellt.

Was bedeutet es, wenn wir Vertiefung und Erweiterung als eine untrennbare Aufgabe betrachten? Sie haben diese Aufgabe umfassend und kritisch dargestellt, auch mit Kritik an die Adresse von Kommission, Rat und Parlament selbst. Zwillinge waren sie aber auch dabei, die dahinter liegenden, sehr schwer wiegenden tabuisierten Fragen peinlichst zu vermeiden. Sie haben dargestellt, dass es darum geht, das ganze Europa zu vereinen, aber nicht die Frage gestellt, was denn das ganze Europa ist und wo seine Grenzen liegen. Wenn wir vom Vereinen und von Vertiefung reden, was ist denn das endgültige Ziel dieser Vereinigung? Es ist klar, dass es nicht nur um die Verknüpfung Europas mit einem Markt und mit Geld geht, aber was ist das politische Ziel? Im Bericht Duff-Voggenhuber haben wir im Januar im Parlament diese Fragen gestellt, die weiterhin unbeantwortet sind. Das ist einer der Gründe, warum wir viele Fragen und Ängste der Bürger nicht beantworten können. Wir sollten diese Tabus brechen.

Ich bin sehr dankbar, dass es im Bericht Brok auch ganz klare Kritiken gibt. Sie beziehen sich auf die oberflächliche Darstellung der finanziellen Folgen der jeweiligen Erweiterungen und auf die oberflächliche Behandlung der institutionellen Fragen. Es ist ein Manko der Kommission, dass sie von Anfang dieser Verfassungskrise an die institutionelle Problematik nicht angemessen behandelt hat. Aber diese Kritik bezieht sich auch auf die oberflächliche Behandlung der Fragen innere Sicherheit, Justiz, Medienfreiheit und Grundrechte. Das ist ein wichtiger Hinweis. Ich bedauere es persönlich, dass man in der Türkeifrage nun Zypern in den Vordergrund stellt. Das ist nicht der wirkliche Kernkonflikt, denn dieser spielt sich vielmehr in den Fragen der Grundrechte und der Demokratie ab. Das sind die eigentlichen Fragen, die etwas in den Hintergrund getreten sind. Diese Fragen sollten in Zukunft von der Kommission viel gründlicher behandelt werden.

Wie ist es möglich, dass wir nach Unterschrift des Vertrages in Polen eine durch die Regierung angeregte Diskussion über die Todesstrafe haben? Wie ist es möglich, dass der tschechische Präsident wenige Monate nach Unterzeichnung eines solchen Vertrages die sozialen Rechte und die soziale Marktwirtschaft in Frage stellt? Ich denke, dass wir in den Beitrittsverhandlungen den Konsens über das Ziel der europäischen politischen Vereinigung wesentlich stärker mit den Beitrittskandidaten abhandeln müssen, als das in der Vergangenheit geschehen ist.

 
  
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  Jaromír Kohlíček (GUE/NGL).(CS) Ich möchte Herrn Voggenhubers Fragen einen Schritt weiter führen. Wie ist es möglich, dass die ausgesprochen unfairen Praktiken, die wir vor kurzem gesehen haben, jetzt in einigen Teilen des Beitrittsvertrags entdeckt wurden, da er der Realität der Situation entgegentritt? Ein Beispiel hierfür ist die Aufforderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, ihre so genannte Integrationsfähigkeit zu bewerten, ein derzeit sehr aktuelles Thema. Die Verhandlungen über die Erweiterung des Schengen-Gebiets und über Zuckerquoten sind skandalös, und sie sind nur zwei kleine Spitzen des Eisbergs, der die Schwächen der EU offen legt. Ich stimme ihm zu, dass wir auch hier eine Chance sehen können, diese Schwächen zu überwinden. Selbstverständlich ist es erneut eine Frage der Bereitschaft, anstelle der ruppigen und aggressiven Einstellung „Nimm es oder lass es“, die uns in Ländern wie der Tschechischen Republik von unseren eigenen Beitrittsverhandlungen her vertraut ist, Lösungen zu diskutieren, die allen Parteien gerecht werden.

Für künftige Erweiterungsrunden ist es wichtig, nicht nur gemeinsame Werte zu teilen, sondern auch anzuerkennen, dass die Forderungen der Länder, die schon immer kleinere Akteure in Europa gewesen sind, ernst genommen werden müssen. Das Prinzip der Solidarität, dass durch Kürzungen im EU-Haushalt von 1,24 % auf rund 1,05 % des BIP in der laufenden Haushaltsperiode ernsthaft unterminiert wurde, muss künftig wieder verstärkt werden. Außerdem sollte betont werden, dass der Verfassungsvertrag nicht die Basis für die künftige Entwicklung der EU sein kann. Es handelt sich weder um eine Verfassung noch um einen Vertrag, und dies muss einmal laut ausgesprochen werden. Ich möchte auch zu Verhandlungen aufrufen, um einen Konsens herzustellen über Fragen im Zusammenhang mit der Zukunft der EU mit Fristen (der Redner wurde unterbrochen).

Herr Präsident, ich möchte nur noch eine Bemerkung anbringen. Im Rahmen der Beziehungen nach der Erweiterung, auf die in der Erklärung mit Russland Bezug genommen wird, erwarte ich insbesondere eine Lösung für die Probleme in den Bereichen Menschenrechte und Demokratisierung, beispielsweise in den baltischen Staaten der EU.

 
  
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  Ryszard Czarnecki (UEN). (PL) Herr Präsident, beide hier erörterten Berichte sollen als Wegweiser für die Europäische Union dienen. Im 21. Jahrhundert brauchen wir jedoch mehr als nur Wegweiser. Wir brauchen auch eine Verkehrsampel. In diesem Fall brauchen wir – bildlich gesprochen – zwei anstatt drei Farben. Wir sollten eine Ampel mit Grün und Gelb, aber ohne Rot haben. Dies bedeutet, dass kein Land automatisch von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ausgeschlossen sein sollte. Einem Land auf dem Weg in die Europäische Union Rot anzuzeigen, ist fehl am Platz, jedoch würde der Verkehr in Europa auch ins Chaos versinken, wenn die einzige Farbe der Ampel Grün wäre.

An dieser Stelle möchte ich an die Aussprache, die wir vor zwei Jahren in Bezug auf den Beitritt der Türkei führten, erinnern. Während der Debatte nannten die Führer der Fraktion der Grünen, also der Partei, der Herr Voggenhuber angehört, 2014 als mögliches Datum für den Beitritt Ankaras zur Europäischen Union. Heute erkennen wir, dass es sich um einen Fall von politischem Surrealismus handelte. Wir müssen akzeptieren, dass – abgesehen von einem raschen Beitritt Kroatiens und Mazedoniens – europäischen Ländern wie Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Albanien noch vor der Türkei erlaubt werden sollte, der Europäischen Union beizutreten.

Wir müssen klar feststellen – und dies sage ich an dem Tag, an dem die Mitglieder des Parlaments Montenegros mit Vertretern des Europäischen Parlaments turnusmäßig zusammenkommen –, dass die Union umso mächtiger sein wird, desto größer sie ist. Schließlich hat die Europäische Union durch die Erweiterung erheblich an Bedeutung gewonnen, ohne einer Verfassung zu bedürfen. Ich möchte Herrn Brok und Herrn Stubb warnen: Lassen Sie uns künftige Erweiterungen nicht als Vorwand zur Einführung institutioneller Änderungen nehmen.

 
  
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  Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Es wäre gut, wenn Kommissar Rehn, der Kommissar für Erweiterung, für uns zunächst die Grenzen Europas definieren könnte. Was ist Europa? Wo endet Europa? In Istanbul, in Diyarbakir oder in Bagdad? Wir wissen nicht, wo die Grenzen Europas verlaufen. Auf den Korridoren werden schon Unterschriften für den Beitritt Israels gesammelt. Warum morgen nicht auch Palästina oder Marokko? Aber wird das noch Europa sein? Wir sollten klarstellen, was wir wollen. Ein vereintes Europa oder ein vereintes Eurasien? Es ist doch für jedermann ersichtlich, was da derzeit geschieht. Die Türkei kommt nicht zu Europa. Nein, Europa kommt zur Türkei, und somit ist es nicht Europa, sondern die Türkei, die die Bedingungen festlegt.

Wir müssen auch die Ausgrenzung des nördlichen Teils Zyperns klären: diese Ausgrenzung ist nicht das Werk Europas oder Zyperns. Es ist das Werk der Besatzerarmee. Wenn die Besatzerarmee abziehen würde, gäbe es kein Problem. Aber hier stellen wir uns blind. Wir schließen unsere Augen. Da ist eine Besatzerarmee in einem der 25 Länder Europas und wir tun so, als wüssten wir davon nichts. Das führt zu noch mehr Arroganz in der Türkei. Wenn wir gerecht sein wollten, dann würden wir fordern, dass die Besatzerarmee abzieht und die Türkei alle 25 Länder, nicht nur 24, anerkennt. Wenn die Türkei Frankreich oder das Vereinte Königreich nicht anerkannt hätte, würde sie dann reinkommen? Natürlich nicht. Warum? Weil Zypern ein kleines Land ist? Das ist ein großer historischer Fehler, den Europa da begeht.

 
  
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  James Hugh Allister (NI). (EN) Herr Präsident! Mir ist klar, dass die Befürworter der gescheiterten Verfassung in der Erweiterung eine Möglichkeit sehen, die Umsetzung von Teilen dieser Verfassung zu erreichen. Darauf zielen der jeder Grundlage entbehrende, aber vehemente neuerliche Angriff auf das Vetorecht der Mitgliedstaaten, die Forderung nach einem Außenminister, die Forderung nach mehr Befugnissen für die nicht gewählte Kommission und den expansionistischen Gerichtshof sowie die Forderung nach einer Ausweitung der Kompetenzen der EU im Bericht von Herrn Stubb ab.

Für die Erweiterung selbst ist nichts davon erforderlich, aber proeuropäische Fanatiker wie unsere beiden Berichterstatter, denen es an überzeugenden Argumenten mangelt, mit denen sie der weit verbreiteten Ablehnung gegenüber der Verfassung entgegentreten könnten, haben diese falsche Behauptung in die Welt gesetzt, dass ohne eine Verfassung keine Erweiterung möglich ist. Ich sage, dass weder diese EU, noch eine durch die törichte Aufnahme der Türkei aufgeblähte EU eine Verfassung braucht.

Das wäre eine schöne Bescherung, die die Herren Laurel Brok und Hardy Stubb mit ihren Vorschlägen anrichten würden! Und dabei wird nicht ein einziger Gedanke daran verschwendet, wer das alles bezahlen soll. Wie immer scheint man darauf zu vertrauen, dass Länder wie das Vereinigte Königreich diesen völlig außer Kontrolle geratenen Wahnsinn schon weiter finanzieren werden. Die EU kostet mein Land jedes Jahr bereits 4 Milliarden Pfund netto und deshalb muss ich Ihnen sagen, dass wir uns einfach keine weiteren Wohltaten für andere mehr leisten können.

 
  
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  Jacques Toubon (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident! Die europäischen Institutionen nehmen endlich die wesentlichen Themen in Angriff. Was ist die Europäische Union? Was will sie? Wer kann ihr angehören? Ich hoffe, unser Europäisches Parlament wird mit Hilfe der Entschließungsanträge Stubb und Brok einen klaren Beitrag dazu leisten, den falschen Schein zu beseitigen, und die Erweiterungsstrategie nicht länger vorantreiben.

Die Integrationsfähigkeit ist durch die drei Säulen in Ziffer 8 des Berichts Brok sehr gut definiert. Unseres Erachtens müssen politische Vorhaben Priorität haben und nicht nur die Institutionen. Wir sind gegen eine Erweiterung, die zu einer Demontage gemeinsamer Politiken führt. Zwar ist die Integrationskapazität, wie sie Herr Stubb ganz richtig definiert hat, kein Beitrittskriterium, aber eine Bedingung, um zum Beitritt zu gelangen.

Wir sind für den Augenblick wie Herr Stubb der Ansicht, dass eine weitere Erweiterung nicht ohne neue Beschlussfassungsinstrumente, ohne neue Ressourcen und ohne eine neue Vorstellung von der Union stattfinden kann. Diese Schlussfolgerung ziehen wir derzeit aus dem unglücklichen Vergleich zwischen dem Beitritt der zwölf neuen Mitgliedstaaten zur Union, der ein Erfolg ist, und dem Vertrag von Nizza, der völlig unzureichend ist. Wir sollten bei unseren Überlegungen hinsichtlich der Türkei ebenso klarsichtig sein.

Der Rat Allgemeine Angelegenheiten hat die Auswirkungen der Lage Zyperns zur Kenntnis genommen, die natürlich nicht hingenommen werden kann, aber geht es hier nicht nur um eine weitere Täuschung der Diplomatie? Es besteht die Gefahr, dass die Aussetzung keine Wirkung hat und sich die Haltung der Türkei nicht ändert. Unser Standpunkt muss erneut bekräftigt werden; die Union ist nicht imstande, die Türkei zu integrieren, muss jedoch eine privilegierte Partnerschaft mit diesem Land eingehen, das für Europa entscheidende Bedeutung hat.

Wir sollten uns nicht länger verstellen. Hier geht es um die Interessen sowohl der Türkei als auch der Europäischen Union. Die Erweiterung ist kein Selbstzweck, sie ist ein Mittel zur Umsetzung des politischen Projekts Europas.

 
  
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  Carlos Carnero González (PSE).(ES) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Herrn Stubb zu seiner Arbeit als Schattenberichterstatter für die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament beglückwünschen.

Er hat eine wichtige Leistung vollbracht, die zwei grundlegenden Bedingungen für einen derartigen Bericht gerecht wird. Erstens gibt der Bericht eine angemessene Antwort auf ein äußerst wichtiges Thema, und zweitens – und das ist entscheidend – stehen große Mehrheiten in diesem Haus hinter dem Bericht. Meines Erachtens wird es bei diesem Bericht genauso ablaufen wie bei anderen Berichten, zum Beispiel dem Bericht Corbett-Méndez de Vigo, der seinerzeit die praktisch einstimmige Unterstützung des Europäischen Parlaments erhielt, und das verlieh ihnen Stärke. Davon bin ich vor allem deswegen überzeugt, weil wir den Bericht von Herrn Stubb vor dem Treffen des Europäischen Rates in wenigen Tagen und nach dem Erfolg des Zweiten Interparlamentarischen Forums über die Zukunft Europas, das letzte Woche hier stattfand, diskutieren und annehmen werden.

Es ist richtig, dass wir über die Integrationsfähigkeit und nicht über die Aufnahmefähigkeit sprechen müssen. Wir müssen auf die berechtigten Bedenken der Bürgerinnen und Bürger mit einem zweistufigen Konzept, das eine Kombination aus Vertiefung und Erweiterung darstellt, reagieren. Wir sagen Ja zur Erweiterung, die ein Erfolg war und ein Instrument für den Aufbau dessen darstellen muss, was wir in der Vergangenheit mit dem zutreffenden Begriff „gemeinsames europäisches Haus“ bezeichnet haben.

Herr Méndez de Vigo, es sind keine Gäste, die wir in diesem Haus haben wollen, es sind Menschen und Länder, denen das Haus gehören wird, was viel mehr bedeutet. Sie haben nicht nur das Recht, hier zu sein, sondern sich hier zu Hause zu fühlen und mitzuhelfen, über unseren Besitzstand und dessen kollektive Verwaltung zu entscheiden. Die Integrationsfähigkeit darf daher kein weiteres Kriterium sein, das die Kriterien von Kopenhagen ergänzt, sondern vielmehr eine Bedingung, die wir auf uns als Union anwenden, um zu gewährleisten, dass die Erweiterung ein Erfolg wird. Die Integrationsfähigkeit schließt natürlich die politische, institutionelle und finanzielle Fähigkeit ein, die gegeben sein muss, bevor es eine neue Erweiterung geben kann. Das besagt der Bericht, und das wiederholen wir alle. Nizza ist nicht von Nutzen. Was auf der Hand liegt, muss ausgesprochen werden. Was die Politikbereiche betrifft und die Einstimmigkeit, die Lähmung bedeutet, wie wir sehen, zahlen wir einen hohen Preis für die Tatsache, keine Verfassung zu haben.

Deshalb bekennen wir uns in diesem Bericht zur Europäischen Verfassung und seinem grundlegenden Inhalt, wie Herr Swoboda sagte. Die Hülle selbst ist nicht so wesentlich, was zählt, sind die in dieser Verfassung erreichten Hauptfortschritte, denn das bedeutet Vertiefung und Erweiterung in Echtzeit. Daher ist es so wichtig, dass Ziffer 9 des Berichts von Herrn Stubb vollständig erhalten bleibt.

Wir glauben, dass die Europäische Verfassung über ein entsprechendes Übereinkommen verwirklicht wird, ohne dass Teile abgetrennt oder sie komplett zerlegt wird, aber dieses Übereinkommen muss natürlich spätestens 2008 zustande kommen, damit die Bürger es kennen, wenn sie 2009 darüber abstimmen. Andernfalls würden wir uns selbst zum Narren halten und fraglos auch die Bürgerinnen und Bürger.

Wir müssen natürlich auch die europäische Nachbarschaftspolitik stärken; die Erweiterung muss durch die europäische Nachbarschaftspolitik begleitet werden, die insbesondere auf die äußerst wichtige Europa-Mittelmeerregion auszurichten ist. Dabei kommt der Rolle des Europäischen Parlaments vor und nach jedem Prozess eine entscheidende Rolle zu.

Die Sozialidemokratische Fraktion wird daher Ihrem Bericht, Herr Stubb, ihre klare und entschiedene Unterstützung geben.

 
  
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  Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Die Debatte über die beiden Berichte zeigt, dass es in diesem Haus einen erfreulichen Konsens darüber gibt, dass wir massive institutionelle Reformen brauchen, bevor wir neue Kandidaten aufnehmen können. Wir wissen alle, dass die Europäische Union nicht in guter Verfassung ist. Es ist deshalb richtig, dass in diesem Haus die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union in den Mittelpunkt der Erweiterungspolitik gerückt wird. Sie ist kein neues Kriterium, wie einige Kollegen manchmal behaupten. Sie ist ein wichtiges Element, das aber in der Vergangenheit vernachlässigt worden ist. Die Erweiterungen in der Vergangenheit waren ein Erfolg, aber 2004 wurde die Union erweitert, ohne sich zuvor oder gleichzeitig zu vertiefen. Damit ist die Idee der immer engeren Union in Gefahr geraten. Diese Idee zu erneuern muss – gerade für uns als europäische Parlamentarier – Leitgedanke sein. Dafür brauchen wir effektive Institutionen, den politischen Willen und vor allem die Unterstützung unserer Bürger. Diese bekommen wir nur dann, wenn wir glaubwürdig sind. Glaubwürdigkeit heißt auch, dass wir bereit sein müssen, neue Wege zu gehen und alternative Optionen der Zusammenarbeit mit künftigen Kandidatenländern zu prüfen. Das gilt auch für die Anbindung dieser Länder. Die Alternative ist nicht – wie Elmar Brok gesagt hat – Verfassung oder Verhofstadt. Unsere Vision sollte lauten: Verfassung und Verhofstadt. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir diese Debatte in Brüssel und nicht in Straßburg führen sollten.

 
  
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  Angelika Beer (Verts/ALE). – Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst kurz auf den Bericht der Kommission zur Erweiterungsstrategie eingehen, denn er besteht aus guten Gründen aus drei Teilen. Ein zentrales Element der Kommissionsstrategie ist die eingeforderte Kommunikationsstrategie.

Wenn wir Politiker uns zu Recht in diese Debatte einmischen, dann sollten wir aber diese Kommunikationsstrategie für uns pflegen und nicht in Berichte etwas hineingeheimnissen, was darin überhaupt nicht enthalten ist. Es ist auch unlauter, nationale Befindlichkeiten, Parteienstimmungen usw. zu benutzen, um sich gegen die Erweiterungsstrategie oder gegen die Verfassung auszusprechen. Ich sage das in aller Deutlichkeit und beziehe mich dabei auf den Bericht des Kollegen Brok. Natürlich ist er in einigen Teilen sehr ambivalent. Aber wer sich die Mühe gemacht hat, diesen Bericht als Entwurf durchzulesen, wird wissen, dass dieser Bericht erst nach massiven Änderungen der Liberalen, der Grünen und der Sozialisten zu dem Ergebnis gekommen ist, über das wir heute diskutieren.

Aus meiner Sicht ist das, was hier bei Teilen der Fraktion der Konservativen, aber auch der Sozialisten versucht wird, nämlich die Kandidaten als diejenigen hinzustellen, die den Preis zu bezahlen haben, unverantwortlich, und ich bitte um Zustimmung zu unseren Anträgen 12 und 14, denn die bisherige Erweiterungspolitik ist eine Friedenspolitik. Daran wollen wir festhalten.

 
  
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  Mary Lou McDonald (GUE/NGL). (EN) Herr Präsident! Ich begrüße diese Debatte und möchte kurz einige Punkte anmerken.

Herr Stubb hat erläutert, dass es in dieser Frage der Erweiterung und der Verfassung verschiedene Gruppen und politische Positionen gibt. Ich bin ausdrücklich für die Erweiterung, weil ich der Meinung bin, dass diese Politik sehr erfolgreich war und weiterhin sein wird. Gleichzeitig bin ich aber gegen die Verfassung.

Das Konzept der Integrationsfähigkeit könnte dazu benutzt werden, die Verfassung als ein Element zu verkaufen oder darzustellen, das lediglich dazu dient, die Institutionen so hinzubiegen, wie es für die praktische Umsetzung der Erweiterung notwendig ist. Dies wäre nicht nur eine falsche Interpretation dieses Texts, es wäre auch ein grober Fehler unsererseits, denn hier geht es um ein Thema, das uns unter den Nägeln brennt: die Kommunikation mit den Bürgern der EU. Wenn wir kommunizieren wollen, müssen wir zuhören, und wir müssen diese äußerst wichtige Debatte über die zukünftige Richtung der Union führen. Wenn die Bürger sehen, dass öffentliche Dienstleistungen ausgehöhlt und die Rechte der Arbeitnehmer beschnitten werden, können wir das nicht als etwas Positives darstellen, deshalb müssen wir den Menschen zuhören.

Was das Thema Türkei anbelangt, begrüße ich einen Beitritt, aber die Zypern-Frage muss gelöst werden. Hier haben wir es mit einer noch immer andauernden illegalen Besetzung zu tun.

 
  
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  Jan Tadeusz Masiel (UEN).(PL) Herr Präsident, während wir weiterhin von Erweiterung reden anstatt nach einer neuen Lösung zu suchen, verändert sich die Welt. Ich stimme zu, dass die Erweiterung eine der wichtigsten Politiken der Union ist und dass sie Frieden und Sicherheit in der Region garantiert. Es ist auch wahr, dass die vorhergehenden Erweiterungen erfolgreich waren. Eines Tages könnte dieser Erfolg aber misslingen. In der Welt der Physik ist allein das Universum zur unbegrenzten Ausweitung fähig. Alle anderen Systeme brechen an einem bestimmten Punkt auseinander, sofern sie weiter expandieren. Anstatt über die Erweiterung in einer starren, überholten und überflüssigen Art und Weise zu reden, sollten wir Instrumente für Maßnahmen, die wir unseren Nachbarn anbieten, ausarbeiten – Instrumente wie etwa Zusammenarbeit, Nachbarschaftspolitiken und Assoziierungsabkommen.

Außerdem sollte ein weiteres, kulturelles Kriterium in die 1993 in Kopenhagen erstellte Liste der Kriterien, die von den Kandidatenländern erfüllt werden müssen, aufgenommen werden. Lassen Sie uns doch die Bürger selbst mittels Referendum entscheiden, ob die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden oder lediglich ein mit der Union assoziiertes Land sein soll. Sofern wir künftige Erweiterungen wollen, muss der Zweck zweifelsohne darin bestehen, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union auf Länder auszuweiten, die europäisch sind und stets waren, etwa Serbien, Ukraine oder Belarus.

 
  
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  Gerard Batten (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Wie es scheint, hat die Europäische Union ein unstillbares Verlangen, noch mehr Länder zu absorbieren. Den demokratischen Nationalstaaten werden immer mehr Befugnisse entzogen und in einer zentralisierten und undemokratischen Europäischen Union konzentriert. Herr Stubb wünscht sich, wie er es ausdrückt, ein einziges Gebilde mit vereinheitlichter Struktur und Rechtspersönlichkeit, mit anderen Worten „Vereinigte Staaten von Europa“.

Es wird Herrn Stubb nicht überraschen, zu hören, dass die britische Partei Unabhängigkeit und Demokratie diese Position nicht unterstützt, aber ich habe in seinem Bericht etwas gefunden, was wir befürworten. Im Zusammenhang mit einer überarbeiteten Verfassung fordert Herr Stubb die Annahme einer Klausel, die den Mitgliedstaaten den Austritt aus der Europäischen Union ermöglicht. Letzten Endes wird Großbritannien aus der Europäischen Union austreten, mit oder ohne Verfassung und mit oder ohne Austrittsklausel, aber zumindest hat Herr Stubb so viel Anstand anzuerkennen, dass den Ländern das Recht eingeräumt werden sollte, sich vom neuen Europäischen Empire loszusagen.

 
  
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  György Schöpflin (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Manchmal ist es durchaus sinnvoll, einfache oder sogar zu einfache Fragen zu stellen: Warum muss denn die Europäische Union überhaupt erweitert werden? Die einfache Antwort darauf lautet, um den Raum der Demokratie und Stabilität zu erweitern, den Europa geschaffen hat.

Doch das Thema ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Demokratie ist nichts Statisches, sie erfordert vielmehr eine kontinuierliche Verbesserung mit dem Ziel, das Volk an politischen Prozessen zu beteiligen. Darum geht es bei der Vertiefung der Integration in erster Linie. In diesem Zusammenhang wirft die Erweiterung ein ganz spezielles Problem auf, mit dem wir uns befassen müssen. Die Europäische Union schreibt – zu Recht – vor, dass künftige Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Beitritts über voll funktionsfähige demokratische Systeme verfügen müssen, übersieht dabei aber die Änderungen innerhalb der EU selbst, die die Erweiterung unmittelbar mit sich bringt.

Das Problem besteht darin, dass der Beitritt neuer Mitgliedstaaten nicht nur die Aufnahme von Staaten, sondern auch von neuen Bürgern einschließt, die auf diese Weise Teil der Europäischen Union werden. Deshalb bedeutet die Erweiterung der Europäischen Union gleichzeitig die Erweiterung des europäischen Demos, der Bürger Europas. Ihre Stimme wird in der Erweiterungsdebatte nur selten gehört, aber wenn die Bürger nicht einbezogen werden, besteht die Gefahr, dass sich das demokratische Defizit noch weiter vergrößert.

Eine EU, die unter einem Demokratiedefizit leidet, ist nur eingeschränkt dazu in der Lage, den Raum der Demokratie auf künftige Mitgliedstaaten auszuweiten. Vielmehr könnte das Gegenteil der Fall sein, das heißt, sie könnte das eigene Demokratiedefizit exportieren. Das wäre in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Bei der Erweiterung müssen die Wünsche der Bürger Europas berücksichtigt werden, wenn es um ihre eigene Erweiterung geht, und ihre Zustimmung darf nicht vorausgesetzt werden. Wenn wir dies nicht beachten, könnte es negative Auswirkungen auf Ziel haben, Europas Raum der Demokratie und Stabilität auszuweiten.

 
  
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  Jo Leinen (PSE). – Herr Präsident! Ich möchte den Vertreter von UKIP darauf hinweisen, dass nach dem Verfassungsvertrag jedes Land das Recht hat, aus der Union auszutreten. Das hat aber noch kein Land getan und wird auch kein Land tun, auch das Vereinigte Königreich nicht, weil in der Europäischen Union zu sein wesentlich vorteilhafter ist als aus der Union auszutreten. Darüber wäre ich ganz beruhigt. Diese Propaganda der Kollegen, die eine Rede halten und dann den Saal verlassen, kennen wir ja. Das ist nicht der Rede wert.

Wir sind uns alle einig, dass wir die Vertiefung jetzt brauchen. Sie ist seit Maastricht versprochen worden. Damals waren es 12 Länder, jetzt sind es 27. Es ist also allerhöchste Zeit, dass jetzt die Vertiefung kommt. Das gilt dann auch für alle künftigen Erweiterungen. Wir haben einen Änderungsantrag, der den Anschein erweckt, als könnte man Kroatien und Südosteuropa jetzt noch aus dieser Forderung ausnehmen. Nein, eine Vertiefung muss kommen, bevor irgendein neues Land der EU beitritt.

Man muss auch klar machen, dass die Schuld an den Problemen nicht bei den Kandidaten liegt, sondern bei der EU selbst. Das ist hier gesagt worden. Es ist unsere Aufgabe, die Bevölkerung über die Ziele und Vorteile der Erweiterung – auch für unsere eigenen Länder – zu informieren und aufzuklären. Alle alten Länder haben durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten Riesenvorteile. Es wird viel mehr in die neuen Länder exportiert als wir importieren. Es handelt sich also um eine Win-Win-Strategie, die leider in der Öffentlichkeit so nicht vermittelt wurde. Das müssen wir nachholen.

Ich will noch ein Problem erwähnen, nämlich das Ratifikationsverfahren für neue Beitritte. Wenn einzelne Länder jetzt auch noch Volksabstimmungen über den Beitritt eines neuen Landes ankündigen, werden wir ein Problem bekommen. Auch diesem Thema müssen wir uns widmen.

Insgesamt meinen Glückwunsch an die Zwillinge. Das ist der richtige Weg, den das Europäische Parlament beschließen sollte.

 
  
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  István Szent-Iványi (ALDE).(HU) In der heutigen Aussprache stimmen nahezu alle überein, dass die Erweiterung eine Erfolgsgeschichte ist. Wenn dem so ist, müssen wir weiterhin unerschütterlich mit den von uns akzeptierten Verpflichtungen fortfahren, da Europa dringenden Bedarf an Erfolgsgeschichten hat. Die Reform des Beschlussfassungsprozesses und die Debatte über die Integrationsfähigkeit dürfen den Erweiterungsprozess nicht verlangsamen und kein Vorwand sein, bei der Erweiterung auf die Bremse zu treten.

Kroatien muss individuell anhand seiner eigenen Verdienste beurteilt werden. Die Verhandlungen mit der Türkei müssen fortgesetzt werden, aber auch die Türkei muss guten Willen zeigen und die Bedingungen erfüllen. Für Mazedonien müssen wir die Voraussetzungen für die Aufnahme der Verhandlungen klar definieren. Für potenzielle Beitrittsländer muss es präzise formulierte Beitrittsbedingungen auch mittelfristig geben, vorausgesetzt, sie sind bereit, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Die Europäische Union muss darüber hinaus mehr Mittel garantieren, mehr Geld und klarere, leichter zu erfüllende Bedingungen für die Heranführungsfonds; andernfalls wird unsere Absicht, die Erweiterung fortzuführen, nicht glaubwürdig sein.

 
  
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  Cem Özdemir (Verts/ALE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Erweiterung der Europäischen Union ist eines der wirksamsten Instrumente der Außenpolitik und der Konfliktprävention in der Geschichte der Europäischen Union. Auf uns warten allerdings auch Herausforderungen und Chancen.

Nach der Erweiterung der Europäischen Union um Rumänien und Bulgarien wartet auf uns die Erweiterung um Kroatien, in einer späteren Runde um die Türkei, aber auch um den westlichen Balkan, den wir in diesem Zusammenhang nicht vergessen dürfen. Die Erweiterung und die Vertiefung müssen gleichzeitig geleistet werden, auch wenn dies eine schwierige Aufgabe ist. Dafür muss der institutionelle Rahmen reformiert werden. Unser Problem ist nicht so sehr ein Problem unserer Bürger, es ist auch nicht ein Problem der Beitrittskandidaten, sondern es ist ein Problem der europäischen Eliten. Deshalb mein Appell an den geschätzten Kollegen Brok, sich Helmut Kohl, den großen Europäer, zum Vorbild zu nehmen, der den Mut hatte, unseren Bürgerinnen und Bürgern Erweiterung und Vertiefung gleichermaßen näher zu bringen.

Es ist Zeit für eine neue Initiative zur Lösung des Zypernkonfliktes, es ist Zeit, dass die Isolation des türkischen Nordens der Insel beendet wird. Ich freue mich über die Zusage aus dem griechischen Inselteil. Dazu gehört aber auch, dass wir eine neue Initiative unter Führung der Vereinten Nationen brauchen, damit der Zypernkonflikt endlich beigelegt wird und die Verhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union vom Zypernkonflikt abgekoppelt werden können.

 
  
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  Sylvia-Yvonne Kaufmann (GUE/NGL). – Herr Präsident! Wir können zwar nicht vorhersagen, wann wir welche neuen Staaten in der Europäischen Union begrüßen können, aber klar sind vor allem drei Dinge: Erstens: Nach Bulgarien und Rumänien werden weitere Beitritte zur Europäischen Union folgen. Zweitens: Alle europäischen Staaten, die mit uns die gemeinsamen Werte teilen und die Kopenhagener Kriterien erfüllen, haben das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu stellen. Drittens: Der Vertrag von Nizza ist keine geeignete Grundlage für künftige Erweiterungen. Aus all dem folgt, dass es mehr als höchste Zeit für umfassende und tief greifende Reformen der Union der 27 ist.

Diese Einschätzung war schon vor sechs Jahren, als die Erklärung von Laeken verabschiedet wurde, richtig. Heute ist sie aktueller denn je. Meines Erachtens ist die Vertiefung der Integration vor weiteren Erweiterungen unverzichtbar. Aus meiner Sicht ist der Verfassungsvertrag der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union. Es geht nicht an, einseitig von den Beitrittskandidaten zu verlangen, dass nur sie ihre Hausaufgaben machen. Deshalb hoffe ich, dass es im nächsten Jahr gelingen wird, aus der Verfassungskrise einen Ausweg zu finden, der für alle 27 Staaten gleichermaßen eine annehmbare Lösung darstellt. Angesichts der komplizierten politischen Gemengelage wird dies allerdings in der Tat äußerst schwierig.

Von zentraler Bedeutung für die Integrationsfähigkeit wird sein, dabei nicht eine minimalistische Reform der Europäischen Union – etwa nur die institutionelle – anzusteuern. Einen Rückschritt hinter den Verfassungsvertrag darf es 2009 nicht geben. Entscheidend ist es zudem, dass es gelingt, die Kluft zwischen der Union und ihren Bürgerinnen und Bürgern abzubauen. Nicht nur gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Frankreichs und der Niederlande muss klar signalisiert werden, dass man bereit ist, aus dem Nein in beiden Staaten Konsequenzen zu ziehen, und zwar Konsequenzen im Sinne einer anderen Gestaltung europäischer Politik in der Zukunft. Aus meiner Sicht heißt das vor allem, die Schaffung eines sozialen Europas endlich in den Mittelpunkt europäischer Politik zu stellen.

 
  
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  Mario Borghezio (UEN). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dieser Aussprache muss der Kommission ein klares Signal übermittelt werden, dass sie ihr umfangreiches Erweiterungsprogramm der Notwendigkeit einer Gesamtstrategie für die gegenwärtige und die zukünftige politische Rolle der Europäischen Union unterordnen muss.

Außerdem – und vielleicht vor allem – bedeutet dies, dass eine geopolitische Entscheidung darüber zu treffen ist, wo die zukünftigen Grenzen der EU verlaufen sollen. Das ist besonders wahr und zwingend im Hinblick auf das äußerst heikle Dossier der Türkei, für die sich endlich eine privilegierte Partnerschaft als Lösung abzuzeichnen beginnt.

In einem Punkt stimme ich mit diesen Berichten überein, und zwar dass in der Mitteilung der Kommission zur Erweiterungsstrategie keine ausreichenden Überlegungen zu einem wesentlichen Aspekt angestellt werden: die Gefahr, dass, wenn eine künftige EU-Erweiterung nicht mit einer entsprechenden politischen, wirtschaftlichen, finanziellen und auch kulturellen Integrationsfähigkeit einhergeht, dies unweigerlich zur Schwächung, wenn nicht gar zum Scheitern des politischen Projekts der Europäischen Union führen kann.

Tatsache ist, dass die Kommission dieses Erweiterungsprogramm mit erschreckender Unbekümmertheit vorgelegt hat, ohne die möglichen finanziellen Folgen darzulegen, deren man sich doch vor jedem etwaigen Beitritt unbedingt voll bewusst sein muss.

Wir wissen sehr wohl, welch harte Arbeit uns nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens erwartet, und vielleicht ist deshalb der Zeitpunkt gekommen, um den beitrittswilligen Ländern klarzumachen, dass sich ihnen gegenwärtig unterschiedliche Perspektiven eröffnen, wie wir das im Falle der Türkei hervorgehoben haben. Wir sollten nicht vergessen, dass es äußerst schwierig war, einen Kompromiss über die aktuelle Finanzielle Vorausschau zu erzielen, die im Übrigen schon bald überarbeitet werden muss.

Diese Überlegungen machen uns klar, dass die Haltung jener Regierungen − wie der Prodi-Regierung −, die ohne Rücksicht auf diese objektiven Schwierigkeiten auf Schritt und Tritt auf der Erweiterung um die Balkanländer bestehen, das Ergebnis einer unverantwortlichen Oberflächlichkeit ist.

Außerdem kann die übertriebene Nachsicht, die in früheren Beitrittsverfahren mit besorgniserregenden Erscheinungen wie Korruption und Kriminalität geübt worden ist, nicht mehr toleriert werden, wenn wir wollen, dass das europäische Einigungswerk weiterhin den Kriterien und Werten gerecht wird, an die unsere Bürger und unsere Völker glauben.

 
  
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  Paul Marie Coûteaux (IND/DEM). – (FR) Herr Präsident! Auch wir werden gegen diesen Bericht stimmen, denn mit ihm wurde versucht, sich von dem klugen Europa der Anfänge zu distanzieren, das heißt, einem Europa der Sechs, sechs Mitgliedstaaten, die zusammenarbeiten, um ein transatlantisches Gleichgewicht zu schaffen.

Die Anhänger der Supranationalität haben ihr Projekt übermäßig aufgeblasen, sie haben die Erweiterung mit aller Kraft vorangetrieben, ohne auch nur zu wissen, wo ihre Grenzen liegen. Doch weil diese vom Europawahn Besessenen die Binnengrenzen niedergerissen haben und nicht einmal mehr wissen, was eine Grenze ist, wissen sie auch nicht mehr, wo sie aufhören sollen. Infolgedessen ist ihr Vorhaben kein wirklich politisches Projekt, denn, ich wiederhole, es kann keine Politik ohne den Begriff der Grenzen geben.

Heute stellen diese Wahnsinnigen fest, dass es immer noch jemanden hinter der Mauer gibt, sie immer noch mehr erweitern müssen, weil sie zu niemandem Nein sagen können. Sie haben keinerlei Verfassung – sie sollten sich keinen Illusionen hingeben! —, sie sind endgültig einer Verfassung beraubt. Sie stehen vor einer riesigen Leere und sind gezwungen, entweder den Rückzug anzutreten, das heißt, ein pragmatisches Europa der zwei oder drei Geschwindigkeiten zu erfinden, was das Sinnvollste wäre, oder eine atemberaubende Flucht nach vorne anzutreten.

Nun sind sie mit der Türkei beschäftigt, mit neuen Bewerberländern im Kaukasus beispielsweise konfrontiert: schließlich ist Georgien doch Mitglied des Europarates … Warum nicht die Maghreb-Länder, oder der Libanon, dessen Geschichte so eng mit der unserer Nationen verbunden ist?

Gut, machen wir uns an die Arbeit! Da dieses arme Europa schon keine Struktur mehr hat, setzen wir die Erweiterung ruhig fort, und achten wir darauf, dabei keine Staaten zu vergessen, die seltsamerweise beiseite gelassen wurden – Serbien, Russland – vielleicht, weil diese Länder widerwillig die Hegemonie der USA anerkennen? Damit, Herr Präsident, ist alles gesagt über das Versagen – ja das Versagen – der so genannten Europäischen Union.

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). — Herr Präsident! Keine neue Erweiterung ohne eine funktionierende Verfassung! Diese Zwillingsbotschaft hat das Europäische Parlament seit Jahren immer wieder angesprochen, zunächst zurückhaltend, zuletzt — und auch heute wieder — in aller Deutlichkeit. Wir tun niemandem etwas Gutes, wenn wir ohne Wenn und Aber und immer rascher erweitern. Wir gefährden vielmehr das Erreichte, wir schaffen mit Ausnahmeregeln zwei Klassen von Mitgliedern, und wir vergraulen die Menschen in Europa.

Die Erweiterung, eine der echten Erfolgsgeschichten der Union, ist in den Augen vieler Menschen zunehmend zu einer Bedrohung geworden. Dagegen müssen wir im besten Sinne des Wortes Meinung bilden. Das ist nicht ganz einfach, denn eine Verfassung hat wenig politischen Sexappeal. Den kann sie in weiten Teilen auch gar nicht haben, denn es geht im Kern um ein besseres Funktionieren von Institutionen und um öffentlich diskutierte Mehrheitsentscheidungen statt hoher Diplomatie hinter verschlossenen Türen. Es geht um ein Finanzierungsmodell, das die Aufgaben und das Geld dafür in einen sinnvollen, ausgewogenen Zusammenhang bringt. Und es geht vielfach auch um neue Aufgaben in Europa, auch wenn sich heute schon sehr viele allzu sehr von Europa gegängelt fühlen: Die Energiefrage — auch wenn es warm bleibt — hat eine europäische Dimension. Wir müssen uns dieser Frage gemeinsam stellen.

Zum Abschluss noch ein Wort zum Kandidatenland Kroatien, das für mein Heimatland von besonderer Bedeutung ist. Unsere Forderung nach der Verfassung bedeutet keine Blockade dieses Beitrittsverfahrens. Ganz im Gegenteil! Ein Beitritt 2009 oder 2010 ist durchaus denkbar, wenn es dem deutschen Ratsvorsitz gelingt, das Verfahren zur Ratifizierung der Verfassung wiederzubeleben und das Verfassungsthema wieder flott zu bekommen. Wir wünschen dem kommenden deutschen Ratsvorsitz dazu alles Gute.

 
  
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  Richard Corbett (PSE). – (EN) Herr Präsident! Herr Stubb sagte, dass die Erweiterung zu den erfolgreichsten Politikbereichen der EU gehört und zur Verbreitung von Stabilität, Frieden und Wohlstand auf unserem Kontinent beigetragen hat.

Dies gilt nach wie vor. Natürlich bedeutet das, dass sich die Europäische Union verändern muss, namentlich, was die institutionelle Reform angeht. Doch heißt das auch, dass wir jede Erweiterung blockieren sollten, bis alle institutionellen Reformen abgeschlossen sind? Wäre dies der Fall, wäre die letzte Erweiterung nie durchgeführt worden, weil der Vertrag von Nizza ohne jeden Zweifel unzureichend war. Dann hätte es vielleicht nicht einmal die Erweiterung von 1973 gegeben.

Tatsache ist, dass die Erweiterung zu den Faktoren gehört, die den Reformprozess vorantreiben. Manche Mitgliedstaaten, die sich gegen institutionelle Reformen sträuben, akzeptieren deren Notwendigkeit häufig als Konsequenz der Erweiterung. Daher sollten die Befürworter von Reformen auch die Erweiterung unterstützen. Trotzdem sagte Herr Méndez de Vigo, dass es ohne den Verfassungsvertrag keine künftigen Erweiterungen geben sollte. Im Bericht Stubb wird unter Ziffer 9 erklärt, was „vor jeder künftigen Erweiterung ... notwendig ist“ – und dann folgt eine lange Liste von Punkten, die alle im Verfassungsvertrag enthalten sind. Ich kann nicht leugnen, dass wir mit dieser starren Position einige Schwierigkeiten haben.

Herr Brok sagte, häufig seien es diejenigen, die sich am vehementesten für eine Erweiterung einsetzten, die eine Vertiefung ablehnten. Wenn man beides forcieren will, muss man beides vorantreiben. Es besteht eine echte Gefahr, dass eine Seite die Position vertritt, dass keine Erweiterung durchgeführt werden darf, solange wir keine institutionelle Reform haben, und die andere Seite argumentiert, dass wir keine institutionelle Reform brauchen, solange wir keine Erweiterung haben. Wenn wir beide Vorhaben vorantreiben wollen, müssen wir beide unterstützen, denn nur mit beiden können wir eine erweiterte und eine erneuerte Europäische Union erreichen.

Unsere Fraktion hat deshalb einen Änderungsantrag zu Ziffer 9 eingereicht, mit dem wir klarstellen wollen, dass wir es nicht als Voraussetzung betrachten, dass jeder einzelne Teil einer institutionellen Agenda akzeptiert wird, damit überhaupt eine Erweiterung stattfinden kann. Wir glauben, dass die beiden Prozesse – die Erweiterung und die Reform – Hand in Hand gehen werden. Sie werden sich gegenseitig vorantreiben und vielleicht werden am Ende sogar beide – ein neuer Vertrag und ein Beitrittsvertrag – am selben Tag in Kraft gesetzt.

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE).(ES) Herr Präsident! Die Erweiterung darf kein Selbstzweck sein. Sie ist ein Weg zur Ausweitung eines Projekts, und wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Vorhaben durch die Erweiterung geschwächt wird.

Letzten Endes untergräbt diese Aussprache nämlich unsere Fähigkeit, darüber zu sprechen, was Europa sein möchte, was es tun möchte. Ziffer 8 des Berichts Brok ist sehr deutlich. Wir können eine traurige Flucht nach vorn antreten und tun das in der Tat auf eine Art und Weise, die uns davon abhält, über unsere eigenen Probleme und Schwierigkeiten zu diskutieren, wobei die Erweiterung als Vorwand dient.

Es gibt institutionelle Reformen, die keinen Aufschub dulden, Erweiterung hin oder her. Es gibt politische und finanzielle Maßnahmen, die jetzt und ohne jede Reform umgesetzt werden können. Es gibt ernsthafte Legitimitätsprobleme und beschämende Aktionen seitens der Europäischen Kommission, wie die geheime Annahme von Vorschriften im Bereich der Flughafensicherheit, die den Flughäfen ohne jede demokratische Kontrolle und ohne Information der Bürger auferlegt werden. Es gibt viele Aktionen, die die demokratische Legitimität unserer Institutionen beschädigen.

Dies alles muss gelöst werden. Wir müssen konsequent mit der Debatte über die Erweiterung beginnen, und die beiden Fronten müssen parallel eröffnet werden. Doch die Erweiterung darf nicht als Vorwand genutzt werden, die schwer wiegenden Probleme vor uns herzuschieben, mit denen die Europäische Union heute konfrontiert ist, mit oder ohne die Türkei, mit oder ohne Erweiterung.

 
  
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  Milan Horáček (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich möchte mich für die Berichte Brok und Stubb bedanken und die Beitrittsproblematik Kroatiens ansprechen. Kroatien ist ein Land, das in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat und sich deshalb den politischen und ökonomischen Herausforderungen der Kopenhagener Kriterien stellen kann. Es stellt die Aufnahmefähigkeit der EU nicht auf die Probe. Deshalb sollte die EU eine schnelle, klare und zielstrebige Integrationsstrategie für Kroatien vorsehen. Wir können dieses Land nicht als Geisel für die internen Probleme der EU nehmen und sollten bei der Beitrittsfrage flexibel bleiben. Für die EU ist diese Aufnahme mit wenig verbunden. Aber für die demokratische Zukunft Kroatiens bedeutet der Beitritt sehr viel!

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte auf den einen der beiden Berichte, über die wir heute diskutieren, eingehen, und zwar auf den Bericht Stubb.

Dies ist ein Bericht, der Bestrebungen fördert, die Funktionsfähigkeit der Union auf der Ebene der Entscheidungsfindungsprozesse zu erhöhen und sie in solcher Weise zu institutionalisieren, dass Beschlüsse im Wesentlichen von ihrem Führungskern gefasst werden, ohne dass kleinere und einst unabhängigere Länder ein Vetorecht haben.

Der Berichterstatter hat offensichtlich nicht auf die öffentliche Meinung gehört, die den Verfassungsvertrag zweimal abgelehnt hat. Anders ist es nicht zu erklären, dass er einen toten Text ausgräbt und sich dessen antidemokratischen Bestimmungen zu eigen macht. Der Inhalt der Änderungen vertieft das Demokratiedefizit mehr als dass es dieses abbaut oder beseitigt. Ihr Ziel ist es, den Verfassungsvertrag mit seinem volksfeindlichen Inhalt bis 2009 auf den Weg zu bringen. Anstatt die Rechte der Bürger zu erweitern und sie umfassender zu informieren, verstehen sie unter der Funktionsfähigkeit und dem Entscheidungsfindungsprozess der Europäischen Union ein Recht, das nahezu ausschließlich den mächtigen Kreisen der Europäischen Union vorbehalten ist. Wie überaus traurig ist es, dass der Bürger wieder einmal nicht mit einbezogen wurde.

 
  
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  Andrzej Tomasz Zapałowski (UEN).(PL) Herr Präsident, in der Aussprache über die Erweiterungsstrategie der Europäischen Union sollten wir unser Konzept eines gemeinsamen Europa berücksichtigen. Bisher waren die rücksichtslosen politischen Versuche, die Verfassung zu erzwingen, Ausdruck des Wunsches, eine supranationale, politische Organisation zu schaffen, in der die größten, europäischen Länder die entscheidende Mehrheit haben. Das Thema der Erweiterung der Europäischen Union wird allgemein in diesem Licht diskutiert. Wirtschaftliche Themen sind Nebensache. Die Europäische Union möchte so viele Länder, wie von den größten europäischen Ländern beherrscht werden können, willkommen heißen. Das ist der Grund, warum für die Entscheidungsträger die Aussicht, dass die Türkei oder die Ukraine in den nächsten Jahren der Europäischen Union beitritt, im Hinblick auf das demografische Potenzial nicht hinnehmbar ist.

Ich möchte betonen, dass die Europäische Union nur überleben kann, wenn wirtschaftliche Themen Vorrang vor politischen Erwägungen und vor dem Ziel haben, im 21. Jahrhundert ein neues Römisches Reich zu schaffen, das von nur drei oder vier Ländern regiert wird.

 
  
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  Jacek Protasiewicz (PPE-DE).(PL) Herr Präsident, ich möchte Herrn Elmar Brok und Herrn Alexander Stubb, Kollegen aus meiner Fraktion, für die Mühe danken, die sie sich mit diesen beiden Berichten gemacht haben. Beide Wortlaute spiegeln eine gründliche und kompetente Vorgehensweise in Bezug auf eine der bedeutendsten Herausforderungen der Europäischen Union, nämlich die künftige Erweiterung, wider. Als Bürger eines Landes, das der Europäischen Gemeinschaft vor zweieinhalb Jahren beitrat, kann ich die Vorteile der Mitgliedschaft sowohl für die polnische Wirtschaft als auch für das Leben von Millionen Polen richtig einschätzen.

Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die jüngste Erweiterung nicht nur von Vorteil für die neuen Mitglieder war. Die gesamte Union profitierte hiervon, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die Sicherheit und Stabilität. Das Gleiche galt auch in Bezug auf die früheren Erweiterungen der Europäischen Gemeinschaft. Sowohl die neuen als auch die vorhandenen Mitgliedstaaten profitierten hiervon.

Die Europäische Union ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Unternehmung, da sie sich nie auf einen elitären Kreis von Gründungsmitgliedern beschränkte, sondern in der Lage war, mit Umsicht zu wachsen und hierdurch zu einer immer einflussreicheren Akteurin auf einer immer stärker globalisierten Bühne zu werden.

Ich bezweifle nicht, dass der Europäischen Union künftige Erweiterungen bevorstehen. Die Balkanstaaten und die östlichen Nachbarn der Union werden eines Tages Teil der Europäischen Union sein, und auch dies wird unserer Gemeinschaft nutzen.

Ich stelle nicht in Frage, dass institutionelle Reformen vor der nächsten Erweiterung notwendig sind. Ich hege jedoch folgende Befürchtung: Wenn man diesen Prozess völlig von der Annahme aller Punkte des Verfassungsvertrags abhängig macht, trotz der Tatsache, dass er in Frankreich und den Niederlanden in Referenden abgelehnt wurde, kann der nicht erwünschte Eindruck entstehen, dass die Union keine neuen Mitglieder haben möchte. Dies könnte ein sehr negatives Signal für Gesellschaften in Ländern, die unserer Gemeinschaft beitreten möchten, sein.

Wir sollten – und ich glaube – wir wollen uns nicht auf den vorhandenen Kreis der Mitglieder, der bereits aus 27 Ländern besteht, beschränken. Unsere Bereitschaft, neue Mitglieder aufzunehmen, sollte nicht ein Spielball in unseren internen Auseinandersetzungen bezüglich der Gestaltung der europäischen Institutionen sein.

 
  
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  Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (FR) Herr Präsident! Durch die europäische Nachbarschaftspolitik und die ungarischen Minderheiten ist Ungarn das Land, das von der künftigen Erweiterung der Union am stärksten betroffen ist: Kroatien, Serbien, weitere Länder auf dem westlichen Balkan. Wie dem auch sei, die Hauptaufgabe besteht nun darin, tief greifende wirtschaftliche und institutionelle Reformen zu verstärken und umzusetzen, ohne dabei der Erweiterung die Tür zu verschließen. Aus Sicht der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft betrachtet ist es bedauerlich, dass dieser Erweiterung keine Vertiefung auf wirtschaftlicher und institutioneller Ebene vorausgehen konnte: Europa kann nicht mit relativ gesehen weniger Mitteln und ohne Verfassungsvertrag erweitert werden!

Die Erweiterung von 2004 hatte positive, vorteilhafte Folgen für die alten und neuen Mitgliedstaaten. Sie ist für beide Seiten ein Gewinn. Die zehn neuen Mitgliedstaaten wurden problemlos integriert, ohne Störung der Wirtschaft, ohne soziales Dumping und ohne Migrationsströme. Nach der Erweiterung war die Europäische Union in der Lage, die Dienstleistungsrichtlinie, REACH, die Finanzielle Vorausschau anzunehmen, und sie wird das Schengen-System ausweiten. Doch was wir brauchen, meine Damen und Herren, ist eine europäische Kampagne, denn die westlichen Länder kennen die wirklichen Kosten der Erweiterung nicht, und die neuen Mitgliedstaaten sind die Sündenböcke für Probleme im Inneren dieser westlichen Länder geworden.

 
  
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  Marios Matsakis (ALDE). (EN) Herr Präsident! Europäische Werte und die Grundsätze der Justiz, Demokratie, Meinungsfreiheit, Achtung der Menschenrechte: Nichts als schöne Worte, die viel zu oft und meist bei belanglosen Feierlichkeiten und bedeutungslosen, unaufrichtigen Veranstaltungen gebraucht werden, die aber nur selten ernst gemeint sind oder ernsthaft umgesetzt werden. Die Dekadenz des europäischen Geistes, gepaart mit der meisterlich beherrschten Unterordnung unter das Diktat der amerikanischen Regierung, haben die Oberhand in einer Europäischen Union, die von innen heraus zu zerfallen droht ob der Kurzsichtigkeit ihrer Erweiterungskommissare und des Verrats britischer Regierungschefs, die sich von ihren transatlantischen Herren herumkommandieren lassen, als wären sie Pudel.

Dies ist der beklagenswerte Zustand einer Kommission und eines Rates, die der EU langsam ihre Illusionen rauben, indem sie zulassen, dass ein asiatischer Militärstaat, statt seinen Verpflichtungen nachzukommen, die Bedingungen diktiert, unter denen er uns die Ehre eines Beitritts zur EU erweisen wird.

Meine sehr verehrten Kollegen, machen Sie sich nichts vor. Ein solcher Beitritt der Türkei ist keine Erweiterung der EU, sondern eine Erweiterung der Türkei. Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Rehn, zu Ihren entschlossenen Bemühungen um einen erfolgreichen Beitritt der EU zu einem wieder erstarkten türkisch-osmanischen Großreich gratulieren und unseren Bürgern, die dies entsetzt und hilflos mit ansehen, viel Glück wünschen!

 
  
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  Giorgos Dimitrakopoulos (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Glückwünsche an Herrn Brok und Herrn Stubb für ihre exzellente Arbeit. Ich habe folgende Anmerkungen dazu:

Fortsetzung der Erweiterungspolitik: Sie ist von großer Bedeutung und muss in koordinierter Weise auf die übrigen Länder des westlichen Balkans ausgedehnt werden, insbesondere mit Blick auf die bevorstehenden Entwicklungen in der Kosovo-Frage. Die europäischen Perspektiven und die Erweiterungspolitik sind Politiken, die dem Frieden und der Zusammenarbeit dienen, wonach wir alle streben.

Türkei: Vor kurzem wurde ein Beschluss gefasst, der in die richtige Richtung weist. Ich bitte Sie jedoch, Herr Kommissar, noch einmal die Idee des Zeitplans zu überdenken, weil der gefasste Beschluss damit vervollständigt und verbessert würde. Außerdem würde Ihnen das helfen, die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union zu wahren.

Nachbarschaftspolitik: Die Mitteilung der Kommission ist unzureichend. Es ist aber eine wichtige Politik, die weiterentwickelt werden muss. Demzufolge erwarten wir eine neue Mitteilung, eine verbesserte und integrativere Mitteilung.

Schließlich wird das erweiterte Europa demokratischer, effizienter, transparenter und in sozialer Hinsicht sensibler sein, wenn es endlich seine Verfassung bekommt. Die Verfahren wurden wieder in Gang gebracht, das richtige Konzept besteht darin, schrittweise an die Fragen und Probleme heranzugehen, die damit zusammenhängen, doch dieses schrittweise Herangehen hat auch ein Verfallsdatum.

 
  
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  Inger Segelström (PSE).(SV) Herr Präsident! Ich möchte den Kollegen Brok und Stubb für die Aussprache über den Erweiterungsprozess und für ihre Berichte danken. Lassen Sie mich mit einem Kommentar zu Herrn Broks Gedanken in Erwägung F beginnen, dass die Erweiterung den politischen Charakter dieses Projekts nicht untergraben sollte. Ich komme aus Schweden, einem Land, das in allen Studien deutlich gemacht hat, dass eine Fortführung der Erweiterung für die EU eine der wichtigsten Fragen ist. Meine Sorge ist, dass wir heute keinen Klartext in Bezug auf die Fortführung der Erweiterung und die künftige Mitgliedschaft der Türkei reden. Viele Abgeordnete dieses Parlaments sind gegen einen Beitritt der Türkei, was bereits deutlich wurde, als die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten eine geheime Abstimmung zu den Beitrittsverhandlungen der Türkei forderte. Es war für mich und für viele andere unfassbar, dass Politiker es nicht wagen, vor ihren Wählern, den Bürgerinnen und Bürgern Europas, zu ihren Ansichten zu stehen.

Im letzten Jahr wurden zu verschiedenen Gelegenheiten Ansichten geäußert, die bei mir die Frage aufkommen ließen, ob es überhaupt den Willen für eine Fortführung der Erweiterung gibt, auch wenn wir die zentralen Fragen lösen, die ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Abgesehen davon, ob nun weitere Mitgliedstaaten der Union beitreten oder nicht, brauchen wir eine neue Verfassung, unter anderem zur Gewährleistung einer modernen Beschlussfassung. Wir brauchen auch eine Reform der Agrarpolitik, um neue Arbeitsplätze für die Zukunft und ein nachhaltiges Europa zu sichern. Außerdem erfordert die zukünftige Finanzierung einen größeren Haushalt. Ich frage mich, was Herr Brok meint, wenn er in Ziffer 11 erklärt, dass die Union nur dann reibungslos funktionieren kann, wenn alle ihre Mitglieder gemeinsame Werte teilen, die sich von der europäischen Identität ableiten. Soll ich das so deuten, dass wir die Tür für die Türkei schließen sollen?

Meine Fraktion, die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament, hat einen Änderungsantrag, 29, eingebracht und bitten alle, diesen zu unterstützen. Wir sind uns voll und ganz darüber einig, dass die Türkei die Forderungen, die wir von Anfang an in Bezug auf Zypern, die Kurden und die Menschenrechte gestellt haben, sowie die auch für alle anderen geltenden Forderungen erfüllen muss. Lassen Sie uns jedoch Klartext reden und die verschiedenen Tagesordnungen auseinander halten.

 
  
  

VORSITZ: PIERRE MOSCOVICI
Vizepräsident

 
  
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  Hannu Takkula (ALDE). – (FI) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich dem Zweigespann aus Herrn Brok und Herrn Stubb für seine Berichte danken. Wie wir wissen, sind sie beide sehr kompetent und begabt, doch die Richtung, in die sie die Europäische Union führen möchten, entspricht nicht unbedingt meinen Vorstellungen.

Es stimmt, dass Reformen vonnöten sind, und es stimmt, dass sich die Erweiterung in vieler Hinsicht als erstklassige und wirksame Möglichkeit erwiesen hat, die Europäische Union voranzubringen. An manchen Stellen müssen wir aber auch an die Grenzen der Erweiterung denken. Es darf nicht die Politik der Europäischen Union sein, sich die ganze Zeit immer nur zu erweitern, und wenn es Probleme gibt, einfach neue Agenturen zu schaffen. Wir müssen auch in der Lage sein, eingehender zu erörtern, wie die Europäische Union in der Zukunft aussehen wird, welche Art von Union wir brauchen und worin ihre Arbeit wirklich besteht.

In diesem Zusammenhang hoffe ich, dass auch diese Grenzen in der Debatte über die Erweiterung Berücksichtigung finden. In unseren großen Reden stellen wir oft Fragen zu den Grenzen des Wachstums, doch jetzt, wo wir über die Erweiterung der Europäischen Union sprechen, vergessen wir, dass es auch für diesen Wachstumsaspekt bestimmte Grenzen gibt.

 
  
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  Bogdan Klich (PPE-DE).(PL) Herr Präsident, das Vorhaben der künftigen Erweiterung der Europäischen Union verliert gegenwärtig in der Öffentlichkeit an Unterstützung. Die jüngste Erweiterung war logisch, da sie die endgültige Überwindung der künstlichen Teilung Europas darstellte, die eine Folge der Konferenz von Jalta war. Es stellt sich nun die Frage, welchen Sinn künftige Erweiterungen haben. Hiermit wird der Zweck des Großprojekts, das die Europäische Union ist, hinterfragt. Was ist ein gemeinsames Europa und was sollte es sein? Ist es nur eine politische Gemeinschaft, die die Stabilität der demokratischen Regierungen ihrer Mitglieder, die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, die Akzeptanz der Rechtsstaatlichkeit und letztlich – dank einer effizienten Marktwirtschaft – den Wohlstand sichern soll? Oder ist es eine Gemeinschaft von Werten, die zurück zu gemeinsamen Wurzeln und einem gemeinsamen kulturellen Erbe reichen? Wenn ja, wie sehen diese Wurzeln und wie sieht dieses Erbe aus?

Kulturhistoriker betonen die Tatsache, dass die heutige europäische Identität das Produkt vieler historischer Traditionen ist. In jedem von uns, wie in jeder der europäischen Nationen, ist noch ein Rest der philosophischen Tradition der Griechen und der republikanischen Gesinnung der Römer zu finden. Wir sind die Erben des Humanismus der Renaissance und des Rationalismus der Aufklärung, und – egal, ob wird es zugeben oder nicht – wird haben auch ein christliches Erbe. Machen wir uns nichts vor: Selbst wenn einige von uns heute diese Tradition nicht wahrhaben wollen, ist sie dennoch Teil der derzeitigen europäischen Identität. Zumindest ist sie präsent in dem grundlegenden Prinzip der menschlichen Würde, auf dem ein ganzes Paket an Grundgesetzen fußt.

Wenn Herr Elmar Brok in seinem Bericht sagt, dass die „Union nur dann reibungslos funktionieren kann, wenn alle ihre Mitglieder gemeinsame Werte teilen, die sich von der europäischen Identität ableiten“, muss er eine Identität meinen, die unser christliches Erbe umfasst. Wir dürfen bei der Ausarbeitung einer Verfassung nicht vergessen, uns auf dieses Erbe zu beziehen.

 
  
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  Józef Pinior (PSE).(PL) Herr Präsident, heute, an dem Tag, an dem ich diese Worte äußere, ist der 25. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, des Versuchs, die Gewerkschaft „Solidarność“ zu vernichten und die Entwicklung der polnischen Gesellschaft hin zu Freiheit und Demokratie aufzuhalten. 25 Jahre später spreche ich nun in einer völlig anderen Welt, im Europäischen Parlament, in einem Europa, das auf den Grundsätzen von Demokratie, Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit beruht.

Dieser persönliche Hinweis auf die Geschichte belegt ganz klar das Gute, das die Europäische Union für alle Europäer darstellt. Heute sind wir mit der Herausforderung konfrontiert, die künftige Erweiterung mit der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite kann die Europäische Union nicht Ländern, welche die Mitgliedschaft anstreben, den Rücken zukehren, sich in einen Elfenbeinturm des Wohlstands einschließen und hinter dem Konzept der westlichen Zivilisation verschanzen. Auf der anderen Seite kann sie nicht zulassen, dass die sozialen und rechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft verwässert werden oder völlig abhanden kommen.

Die Europäische Union sollte ihren Verpflichtungen gegenüber Ländern, welche die Mitgliedschaft anstreben, nachkommen, und besonders darauf achten, wie diese Länder dastehen, was die Schaffung einer rechtsstaatlichen Ordnung und einer unabhängigen Judikative sowie die Achtung der Grundrechte betrifft. Die Organe der Europäischen Union müssen genauer definieren, was eine verstärkte Nachbarschaftspolitik ist. Zu diesem Zweck müssen wir eine Gemeinschaft EU-Schwarzes Meer schaffen.

Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland bleiben ein grundlegendes Thema; sie erstrecken sich sowohl auf den Handel und die Energie als auch zu allererst auf die Themen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

 
  
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  Henrik Lax (ALDE).(SV) Herr Präsident! Die Reflexionsphase hat deutlich gemacht, dass die große Herausforderung jetzt darin besteht, die Bürgerinnen und Bürger Europas davon zu überzeugen, dass sie an der Entscheidungsfindung teilnehmen und Einfluss auf die Zukunft der Union nehmen können. Es ist wichtig, dass sie sich trauen, an ihre Einflussmöglichkeiten zu glauben und dass sie der Union auch dann ihre Unterstützung geben wollen, wenn diese in Zukunft – und eventuell nicht wenige – neue Mitgliedstaaten aufnimmt.

Alle Bürgerinnen und Bürger Europas müssen das Gefühl erhalten, dass sie vom Europäischen Parlament vertreten werden. Das ist für viele selbstverständlich, aber nicht für alle. Aufgrund der nationalen Wahlsysteme und der Regeln für die Sitzverteilung im Europäischen Parlament wird bei einer Weiterführung des Erweiterungsprozesses eine große Gruppe Europäer vom Parlament ausgeschlossen. Ich beziehe mich dabei auf die regionalen und nationalen sprachlichen Minderheiten, die heute etwa 50 Millionen, das sind ganze 10 % der Unionsbevölkerung, ausmachen. Bereits bei der vorigen Wahl, haben wir vier Minderheiten verloren. Es ist sehr betrüblich, wenn große Gruppen systematisch von der Beschlussfassung in der Union ausgeschlossen werden. Wenn so etwas geschieht, können wir von diesen Menschen in Zukunft auch keine automatische Unterstützung für das europäische Aufbauwerk erwarten. Wir müssen diese Frage ernst nehmen, wenn der Grundlagenvertrag der Union überarbeitet wird. Die EU darf keine Bürger zweiter Klasse schaffen.

 
  
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  Camiel Eurlings (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Ein großes Kompliment an die beiden Berichterstatter, Herrn Brok und Herrn Stubb, für ihre exzellente Arbeit. Die Erweiterung ist, wie viele meiner Vorredner gesagt haben, eine der größten Erfolgsgeschichten Europas. Wer glaubt, dies sei eine Selbstverständlichkeit, braucht nur an Herrn Milinkewitsch zu denken, der gestern hier in diesem Hohen Haus gesprochen hat und der selber mehrfach im Gefängnis gesessen hatte. Als er das letzte Mal hier war, saß sein Sohn hinter Schloss und Riegel, so wie Hunderte von Menschen, nur weil sie für die Freiheit kämpfen. Die Entwicklung in Osteuropa hätte ganz anders verlaufen können, und die demokratischen Reformen all dieser innerhalb so kurzer Zeit beigetretenen Länder ist eine beachtliche Leistung, auf die Europa wirklich stolz sein sollte.

Damit diese eindrucksvolle Erweiterung jedoch weitere Zustimmung findet, muss in einigen Bereichen für eine richtige Balance gesorgt werden. Man könnte den Vergleich mit einem Haus anstellen. Werden im ersten und zweiten Stock noch Schlafzimmer angebaut, müssen die Fundamente verstärkt werden, und deshalb ist es ganz wichtig, dass sich das Parlament jetzt mit allem Nachdruck für einen neuen Vertrag vor der nächsten Erweiterungsrunde ausspricht. Diese Forderung richtet sich nicht so sehr an die neuen Länder als vielmehr an uns. Wir dürfen nicht selbstzufrieden sein, sondern müssen jetzt tun, was notwendig ist.

Auf die Integrationsfähigkeit wurde ausführlich eingegangen. Die Einführung dieses Begriffs ist zwar zu begrüßen, doch muss er nunmehr auf institutioneller, finanzieller und vertraglicher Ebene noch vertieft werden. Da die Integrationsfähigkeit aber auch Rückhalt in der Bevölkerung beinhaltet, muss dieser erläutert werden, dass die Erweiterung richtig ist, dürfen wir an die Kandidatenländer bestimmte Anforderungen stellen und müssen wir uns mit überzeugenden Reformen bemühen, die Zustimmung der europäischen Bürger zu diesem Prozess zu bewahren.

Was schließlich die Türkei anbelangt, war eine deutliche Sanktion notwendig, denn Bedingungen werden gestellt, damit sie erfüllt werden. Gleichzeitig hat der Rat ein klares, zusätzliches Signal ausgesendet, sind Überprüfungsklauseln eingebaut worden und wurde gegenüber der Türkei eine etwas schärfere Gangart eingelegt; desgleichen wurden auch wir zu einer Regelung für die Bewohner Nordzyperns gedrängt. Lassen Sie mich hier mit allem Nachdruck wiederholen, dass wir hinter den Reformern in der Türkei stehen. Wir hoffen, dass im kommenden Jahr in der Zypernfrage ein Ergebnis erzielt wird, und wir hoffen vor allem, dass wir jetzt wieder imstande sein werden, unsere Aufmerksamkeit auf die notwendigen Reformen in der Türkei zu richten. Die Reformer fordere ich auf, in den Bereichen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit nunmehr zu einem Resultat zu gelangen, damit dieser Berichterstatter nächstes Jahr eine positivere Stellungnahme abgeben kann als im vergangenen Jahr.

 
  
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  Stavros Lambrinidis (PSE). – (EL) Herr Präsident! ich möchte vier Punkte ansprechen:

Erstens, da gibt es das Märchen – denn es ist ein Märchen –, dass Erweiterung und Vertiefung sich widersprechen. Tatsache ist doch, dass es die Erweiterung ist, die uns seit Anfang der 1980er Jahre zu einer weiteren Vertiefung gezwungen hat, ich verweise hier auf die Strukturfonds, die WWU und die verstärkte Zusammenarbeit mit dem Ziel der Bekämpfung des organisierten Verbrechens, der Bewältigung der Migration und der Gewährleistung des Friedens auf der Welt. Deshalb muss sie fortgesetzt werden.

Der zweite Punkt betrifft natürlich den westlichen Balkan. Ich freue mich, dass der Prozess der Integration dieses Gebiets weder in Frage gestellt wird noch in Frage gestellt werden soll.

Drittens, die Geschichte von der „Aufnahmefähigkeit“ bzw. der „Integrationsfähigkeit“, womit wir die Möglichkeit meinen, dass neue Länder beitreten können. Das ist die Pflicht Europas. Seine Verpflichtung. Genauso wie die Kriterien von Kopenhagen eine Verpflichtung für die anderen Länder sind. Wir sind keine Journalisten oder Statistiker, die beobachten, ob diese Fähigkeit vorhanden ist oder nicht. Wir müssen sie entwickeln, eben damit wir neue Erweiterungen ermöglichen.

Der vierte Punkt betrifft die Türkei. Wie bedauerlich war dieses Gefeilsche, das ich in den letzten Tagen miterleben musste. Während die Kommission sonst über die Notwendigkeit „strenger Konditionalität“, also eindeutiger Bedingungen, spricht, sendet sie im Falle der Türkei eine widersprüchliche Botschaft aus. Sie übt keinen direkten Druck auf sie aus, damit sie ihre Verpflichtungen in Bezug auf das Protokoll einhält, sie übt keinen Druck auf sie aus, damit sie einen der 25 Mitgliedstaaten, Zypern, anerkennt; sie feilscht darum, ob nun ein, zwei oder drei Häfen geöffnet werden, und ignoriert dabei vollkommen die Wurzel des Problems, nämlich die militärische Besatzung, die gegen sämtliche europäischen Werte verstößt, die unserer Auffassung nach im Hinblick auf die Erweiterung gestärkt werden sollen.

Ich fordere die Kommission dringend auf, dieses ganze Projekt noch einmal an seinen Anfang zurückzufahren, das heißt einem Zeitplan zu folgen und der Türkei Forderungen zu stellen, was der Türkei selbst und den Demokraten dort zugute kommen wird.

 
  
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  Arūnas Degutis (ALDE).(LT) Erweiterungen, sowohl die jüngste als auch frühere, haben die Union gestärkt, ihr wirtschaftliches Wachstum gefördert und ihre Bedeutung in der Welt erhöht. Daher müssen wir unser Engagement für eine weitere Ausweitung der Europäischen Union beibehalten, da dies eine historische Gelegenheit und Verantwortung ist, ein vereintes und blühendes Europa zu schaffen.

Eine Erweiterung muss jedoch einhergehen mit der Vertiefung der EU, mit der Anpassung ihrer Institutionen, um mit neuen Mitgliedern an Bord weiterhin funktionsfähig zu sein. Von diesem Jahr an gelten die EU-Strukturen für 27 Mitgliedstaaten. Damit Europa expandieren und effektiv funktionieren kann, müssen wir einige dringende Aufgaben erledigen:

1. Wir müssen die Unterstützung der Öffentlichkeit für die Erweiterung verstärken, und dafür müssen wir die Vorteile der europäischen Erweiterung, ihren Nutzen, ihren wirtschaftlichen Zugewinn und ihre historische Verantwortung umfassend erklären.

2. Der Finanzplan muss überarbeitet werden, einschließlich des Finanzsystems, um ihn an die neuen Erfordernisse der erweiterten Union anzupassen.

3. Wir müssen die erforderlichen institutionellen Verbesserungen und Veränderungen vornehmen.

Daher ist es äußerst wichtig, dass die Länder, die die EU-Präsidentschaft bis 2008 teilen, die Initiative ergreifen, um den konstitutionellen Konsens Realität werden zu lassen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass es im Hinblick auf die Zukunft von wesentlicher Bedeutung ist, Europas Nachbarschaftspolitik wiederzubeleben, was es den beteiligten Ländern ermöglichen würde, nicht nur Reformen rascher zu entwickeln und die Bande mit der Europäischen Union zu erweitern, sondern auch, wenn sie es möchten, letztlich eine Mitgliedschaft anzustreben.

 
  
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  Zsolt László Becsey (PPE-DE).(HU) Ich spreche auch im Namen meines Kollegen Pál Schmitt, Vorsitzender der Delegation im Gemeinsamen Parlamentarischen Ausschuss EU-Kroatien, und beglückwünsche Herrn Brok und Herrn Stubb zu ihrem ausgezeichneten und realistischen Bericht.

Wir Ungarn sind erfreut, dass die Berichte das Kopenhagen-Prinzip stärken, demzufolge jeder beitrittswillige Staat individuell aufgrund seiner eigenen Leistungen zu Verhandlungen fortschreiten muss. Im Falle Kroatiens, das sich derzeit in Verhandlungen befindet, können wir folglich mit Zuversicht erklären, dass wir es, auf der Basis der Kopenhagener Kriterien, als neues Mitglied in dieser Erweiterungsrunde begrüßen werden. Im Grunde vervollständigt der Beitritt Kroatiens tatsächlich die fünfte EU-Erweiterungsrunde, die Erweiterung um die zentraleuropäische Region. Kroatien ist mit dieser Runde, insbesondere mit Slowenien, Österreich und Ungarn, durch sein Entwicklungsniveau, seine justizielle und institutionelle Kultur und durch sein über tausend Jahre altes Erbe verbunden.

Auf einer anderen Ebene kann Kroatien Staaten als gutes Beispiel dienen, die die Erweiterung der Europäischen Union um die Westbalkanstaaten beginnen wollen. Glücklicherweise stellt der Beitritt Kroatiens aufgrund seiner Größe und Entwicklung keine Probleme hinsichtlich des Binnenmarkts oder des Haushalts dar. Was die institutionellen Bedingungen für einen Beitritt angeht, so können diese durch eine Änderung des Vertrags von Nizza erfüllt werden, eine Aufgabe, mit der man sich aufgrund des Fehlens einer Verfassung schließlich zu Beitrittszwecken zu befassen haben wird.

Zugleich müssen der Grundsatz der besonderen Verdienste und eine neue Erweiterung wirklich ernsthafter geprüft werden, künftig auf dem Westbalkan ebenso wie innerhalb der Union. Dies gilt für Kroatiens Nachbarn Serbien, der große Hoffnungen hegt und wo die nördliche Provinz Vojvodina gerade aufgrund ihrer westlichen Wurzeln als Brücke dienen könnte. Sie könnte weiterhin diese Brückenrolle spielen, wenn Serbien danach streben würde, die Region zu bewahren, anstatt seine derzeitige Praxis der Unterdrückung der traditionellen Kultur indigener EU-Völker fortzusetzen. Wird Letzteres fortgeführt, werden wir anstelle einer auf unseren eigenen kulturellen Werten basierenden Europäischen Union bald eine Byzantinische Union haben.

 
  
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  Marie-Line Reynaud (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich möchte zunächst Herrn Stubb für seine Arbeit bei diesem sehr heiklen Thema danken. Sein Bericht hat das Verdienst, das Problem der Integrationsfähigkeit aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Ich begrüße daher, dass der Text sich nicht darauf beschränkt, die institutionellen Aspekte dieser Frage anzusprechen, sondern auch andere wichtige Reformen hervorhebt, ohne die die Union keine weiteren Mitglieder aufnehmen könnte. Ich denke dabei hauptsächlich an die Überarbeitung des Finanzierungssystems der Union.

Ich bin dem Berichterstatter außerdem dafür dankbar, dass es ihm gelungen ist, die Neutralität dieses Berichts gegenüber den Bewerberländern zu wahren und nicht der Gefahr zu erliegen, bei dieser Gelegenheit Stellung zum Beitritt eines bestimmten Staates zu nehmen.

Schließlich wird in dem Bericht zu Recht betont, dass das Parlament nicht nur im Kontext des Beitrittsprozesses, sondern auch bei der künftigen Reform der Institutionen eine größere Rolle spielen sollte.

Ich habe jedoch eine Kritik vorzubringen: Ich habe den Eindruck, dass der Berichterstatter, vielleicht weil er seine Arbeit zu gut machen wollte, den Bericht etwas von dessen ursprünglichem Ziel entfernt hat, indem darin der Schwerpunkt mehr auf alle notwendigen Reformen innerhalb der Europäischen Union als auf die spezifischere Frage der Integrationskapazität gelegt wird. Meines Erachtens wäre es besser gewesen, sich allein auf die Reformen zu konzentrieren, die wirkliche Vorbedingungen für zukünftige Erweiterungen sind, statt eine lange Liste institutioneller Reformen aufzuzählen.

 
  
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  Olle Schmidt (ALDE).(SV) Herr Präsident, Herr Kommissar! Der Erweiterungsprozess, bei dem sich die Anzahl der EU-Mitglieder von 6 auf 27 erhöht hat, war ein großer Erfolg. Wir konnten sehen, wie ein ganz neues Europa Form angenommen hat. Jetzt zu zweifeln und von „Müdigkeit“ bezüglich der Fortführung der Erweiterung zu sprechen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Natürlich müssen die Kriterien im Hinblick auf Demokratie, Menschenrechte und einen funktionierenden Rechtsstaat erfüllt werden. Wir haben aber auch die umwälzenden Veränderungen im früheren Mittel- und Osteuropa miterlebt. Es stimmt, dass die EU neue Formen der Beschlussfassung braucht, aber sie darf keine neuen Bedingungen für die Länder einführen, die sich jetzt um einen Beitritt bemühen. Herr Kommissar, ich persönlich bin beunruhigt über die Kräfte innerhalb der Europäischen Union, die einem zukünftigen Beitritt der Türkei Steine in den Weg legen. Unsere Zukunftsvision muss ein vollständiges Europa sein – und dieses Europa schließt auch die Türkei mit ein.

 
  
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  Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Präsident! Anders als ein Kollege, der vorhin gesprochen hat, halte ich die Erweiterung nicht für ein Instrument der Außenpolitik, sondern für ein Instrument der europäischen Innenpolitik. Deshalb darf auch der Erweiterungsprozess der EU nicht die Grenzen Europas durch die Aufnahme eines großen nicht- oder nur teileuropäischen Landes, wie der Türkei, sprengen. Die Europäische Union würde dann zu einem eurasischen Gebilde wie der Europarat, ergänzt durch einen Binnenmarkt. Das kann niemand wollen, der für ein wirklich handlungsfähiges Europa eintritt, das in wesentlichen Funktionen an die Stelle unserer Nationalstaaten tritt. Ich als überzeugter Föderalist will dieses Europa.

Auf der anderen Seite können wir uns aber gegenüber eindeutig europäischen Ländern nicht verschließen. Deshalb verwahre ich mich gegen diejenigen Interpretationsversuche des Berichts Brok – den man im einen oder anderen Punkt durchaus interpretieren kann –, die die Verabschiedung des Verfassungsvertrags als eine absolute Bedingung für die Aufnahme eines mitteleuropäischen Landes wie Kroatien erscheinen lassen. Die Europäische Volkspartei, CDU und CSU haben erst jüngst in ihren Beschlüssen ganz klar gesagt, dass Kroatien aufgrund seiner Größe, seiner mitteleuropäischen Orientierung und seiner Vorbereitung eine Ausnahme in diesem Erweiterungsprozess darstellt und dass es eigentlich in einen Kontext mit Ungarn und Slowenien gehört hätte. Es ist sozusagen ein leftover des Erweiterungsprozesses, den wir derzeit abschließen. Nicht formal, aber faktisch. Deshalb verwahre ich mich gegen alle Versuche, hier Interpretationen vorzunehmen, die Kroatien – wie Kollege Horáček zu Recht gesagt hat – zur Geisel des Verfassungsprozesses machen würden. Natürlich müssen wir den Verfassungsprozess in diesem Jahrzehnt vorantreiben, natürlich brauchen wir den Verfassungsvertrag, dann können wir weiter schreiten, indem wir im nächsten Jahrzehnt eindeutig europäische Staaten wie die Staaten Südosteuropas zwischen Kroatien und Griechenland in die Europäische Union aufnehmen, an der Spitze Mazedonien, das bereits Kandidatenstatus hat. Es sind dies Länder, die Anspruch auf Vollmitgliedschaft haben und an diesem Anspruch halten wir fest.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Helmut Kuhne (PSE). – Herr Präsident! Ich möchte über Kommunikation sprechen. Auch ich wehre mich gegen den Begriff des außenpolitischen Instruments im Zusammenhang mit der Erweiterung, aber mit einer anderen Begründung als Herr Posselt. Ich glaube, dass wir in der Tat Probleme haben. Man kann förmlich sehen, wie ganze Brigaden von wohlmeinenden Weltstrategen mit einem Bauchladen außenpolitischer Instrumente durch Europa und darüber hinaus eilen nach dem Motto: Bürgerkriegsgefahr – Hast du ein Problem, dann komm in die EU! Da sieht man mit völliger Klarheit, warum manche Unionsbürger sagen: Danke, ich bin kein Instrument. Ich bin nicht dazu da, außenpolitische Probleme zu lösen. Das ist nicht der Grund, weshalb ich mich als Unionsbürger betrachte. Mit einer solchen Europäischen Union möchte ich nichts zu tun haben.

Der zweite Punkt bezüglich Kommunikation: In welchem Verhältnis steht eigentlich die ständige Beschwörung, wir müssten unsere eingegangenen Verpflichtungen einhalten, zu unserer Bereitschaft, gegenüber Kandidatenländern in Verhandlungen und im Vorfeld von Verhandlungen Härte zu zeigen, damit diese Länder ihre Verpflichtungen eingehen und einhalten? Dann werden in dieser Debatte – herzlichen Glückwunsch, Herr Posselt! – alle möglichen Hintertüren aufgemacht, wie man denn seinen speziellen Liebling noch ohne die vorherige Verabschiedung der Verfassung in die EU bekommen kann. Solche Signale kommen bei den Bürgerinnen und Bürgern durchaus an. Danach gibt es dann keinen Grund, mit einem vorwurfsvollen Unterton von Erweiterungsmüdigkeit zu sprechen.

Wer glaubt, es gehe nur um Faktenprobleme, der sollte sich besser einmal mit diesen Kommunikationsproblemen beschäftigen.

 
  
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  Alojz Peterle (PPE-DE).(SL) Ich möchte beide Berichte als klaren Ausdruck des politischen Willens des Europäischen Parlaments begrüßen, der die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union stärkt. Ich betrachte sie als Bekenntnis zu unserer Verantwortung für die Zukunft der Europäischen Union und zugleich auch als Ausdruck unserer gemeinsamen Verantwortung für den globalen Fortschritt.

Auf konkrete Bemerkungen zu den beiden Berichten werde ich verzichten, möchte aber in jedem Fall auf die darin vertretenen Auffassungen eingehen. Ich empfinde es in gewisser Weise als paradox, dass wir einerseits über die Krise in der Europäischen Union sprechen, und andererseits dieses Jahr zu Weihnachten buchstäblich mit der Tatsache konfrontiert sind, dass viele Länder in Europa und darüber hinaus unbedingt in die europäische Familie aufgenommen werden möchten. Unsere Antwort sollte nicht lauten, dass es am europäischen Tisch nicht genügend Stühle gibt oder dass wir Probleme haben, eine Hausordnung aufzustellen.

Mit besonderer Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass Herr Brok in seinem Bericht unmissverständlich feststellt, dass enge multilaterale Beziehungen kein Ersatz für eine Vollmitgliedschaft sind, sondern eine zusätzliche Chance für Länder darstellen, die derzeit noch weit von einer Vollmitgliedschaft entfernt sind. Zudem begrüße ich die klare Haltung zu den Ländern Südosteuropas. Ich würde mir wünschen, dass sie alle im nächsten Bericht namentlich genannt werden, denn keines von ihnen verdient es, in einer Liste der übrig gebliebenen Länder erwähnt zu werden (Meines Erachtens ist das wichtig für uns.).

Daneben sollte der folgende Grundsatz für Kroatien und all jene Länder gelten, die nach Kroatien in den so genannten Thessaloniki-Prozess einbezogen werden: Sobald ein Kandidatenland bereit ist, sollte auch die Europäische Union bereit sein. Wir dürfen das europäische Ziel nicht aus den Augen verlieren.

 
  
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  Genowefa Grabowska (PSE).(PL) Herr Präsident, ich möchte zunächst beide Berichterstatter beglückwünschen. Anschließend möchte ich mich der vorliegenden Sache zuwenden und auf Folgendes hinweisen: Die Europäische Union hat sich als sehr reizvolles Projekt erwiesen und viele Jahre lang neue Länder angezogen. Aus diesem Grund ist die heutige Aussprache darüber, ob die Europäische Union künftig erweitert werden soll, meiner Meinung nach rein akademischer Natur, denn im Vertrag von Maastricht wird diese Frage längst beantwortet. In Artikel 49 des Vertrags heißt es ganz klar, dass jeder europäische Staat, der die politischen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllt, der Europäischen Union beitreten kann. Diese Kriterien wurden 1993 in Kopenhagen erstellt, und wir sollten sie jetzt nicht verschärfen.

In der heutigen Aussprache soll eine Antwort auf die grundlegende Frage, ob wir die Kriterien für künftige Erweiterungen je nach dem aktuellen Bedarf und den aktuellen Erwartungen ändern können, gegeben werden. Ich denke, wir können dies nicht. Ich glaube, dass wir an den Grundsatz, unser Wort zu halten, sich an Vereinbarungen zu halten, sowie an den Grundsatz der alten Römer „Verträge müssen gehalten werden“ gebunden sind. Daher kann die so genannte Aufnahmefähigkeit nicht plötzlich als ein Kriterium dienen, mit dem Ländern, welche die Kriterien von Kopenhagen erfüllt haben, der Zugang zu Europäischen Union verwehrt wird.

Alle aufeinander folgenden Erweiterungen haben die Union gestärkt und ihr Wachstum begünstigt. Jedoch mussten diese Erweiterungen gut geplant werden. Ich denke, dass nur eine europäische Verfassung es ermöglichen wird, dafür zu sorgen, dass künftige Erweiterungen gut geplant werden.

 
  
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  Tunne Kelam (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich teile die Auffassung von Frau Lehtomäki, dass die Erweiterung als offener Prozess fortgesetzt werden muss, weil sich alle bisherigen Erweiterungen zahlreichen Warnungen und Befürchtungen zum Trotz als großer Erfolg für die EU als Ganzes erwiesen haben. Die Erweiterung ist und wird ein Prozess bleiben, bei dem alle beteiligten Akteure nur gewinnen können.

Herr Stubb hat uns zu Recht daran erinnert, dass die EU durch jede neue Erweiterungsrunde in einem sehr positiven Sinne dazu gezwungen wurde, sich intern mit neuen Reformen darauf vorzubereiten. Die heutige Botschaft lautet, dass die Grundlage von Nizza für eine neue Erweiterungsrunde nicht mehr ausreicht. Es gibt keine Alternative zur Verabschiedung und praktischen Anwendung des Verfassungsvertrags.

Doch die Integrationsfähigkeit darf nicht als zusätzliches Kriterium für die neuen Bewerber angesehen werden. Sie sollte als interne Verpflichtung betrachtet werden, die größtmöglichen Anstrengungen zu unternehmen, um die erforderliche neue Qualität unseres Zusammenhalts zu erreichen. Die EU sollte nicht das falsche Signal senden, dass wir unsere Türen für neue Bewerber schließen werden. Jede europäische Nation hat das Recht auf einen Beitritt zur EU und kann verlangen, nicht als Gast, sondern als potenzielles und willkommenes Mitglied dieser weiter wachsenden Familie behandelt zu werden. Wir sollten daher den interessierten Nationen gegenüber die größtmögliche Offenheit an den Tag legen, dies gilt auch für das Heimatland von Herrn Milinkewitsch.

Bei der Erweiterung geht es nicht nur um den Haushalt und um die Institutionen. Unterschwellig sind unzählige weit verbreitete Ansichten, Befürchtungen und Vorurteile vorhanden. Man kann fast sagen, dass der Verfassungsvertrag zu einem psychologischen Problem geworden ist. Deshalb müssen wir diese Bedürfnisse und Befürchtungen offen ansprechen, indem wir eine offene und positive Debatte zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten über unsere unterschiedlichen und historisch-kulturellen Erfahrungen anregen. Meine Erfahrung ist, dass diese Befürchtungen und Vorurteile tatsächlich ziemlich identisch sind und dass die meisten von ihnen sich als unbegründet erweisen. In der Öffentlichkeit gibt es ein enormes Unterstützungspotenzial für den Verfassungsvertrag.

 
  
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  Ioannis Kasoulides (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Nun sind die Züge doch nicht zusammengestoßen! Die zyprische Regierung hat sich mit ihren Partnern darauf verständigt, dass das Tempo des türkischen Zuges „verlangsamt“ werden soll. Machen wir uns nichts vor. Wir können die meisten der suspendierten Kapitel ohnehin nicht eröffnen, da es einige Jahre dauern wird, bis die Eckwerte zusammengetragen sind, und die Schließung eines Kapitels ist eine Formalität – die keine Bedeutung hat, sobald alle anderen Arbeiten abgeschlossen sind.

Die Überprüfungen werden jedoch jedes Jahr stattfinden. Die Rolle, die Zypern als Ursache für die Kollision der Züge spielt, ist häufig überbewertet worden. Jetzt ist Zypern praktisch ganz aus dem Spiel. Die Europäische Union kann sich nun selbst ein Bild davon machen, wie die Realität wirklich aussieht. Die Türkei hat ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Zollunion nicht erfüllt und erklärt unbeirrt, dass sie sich auch künftig nicht an diese Verpflichtungen halten wird, die lange vor der so genannten Isolierung der türkischen Gemeinschaft auf Zypern bestanden haben.

Die wirklichen Fragen stehen uns nun bevor: Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit von Minderheiten, die Menschenrechtslage in der Südtürkei, die Behandlung von Frauen, das Problem der Korruption, die Einmischung des Militärs in Regierungs- und Justizangelegenheiten. Erst vor zwei Tagen hat General Buyukanit die Regierung von Präsident Erdogan ermahnt, weil sie seine Erlaubnis nicht eingeholt hat, als sie die an Auflagen gebundene Öffnung eines Hafens für zyprische Schiffe verfügt hat.

Manche sagen, dass wir die Türkei nicht so sehen sollten, wie sie heute ist. Wir sollten uns vielmehr vorstellen, wie die Türkei in 15 Jahren aussehen wird! Die Türkei hat uns bereits einen ersten Eindruck davon vermittelt, wie es um ihren Willen bestellt ist, eine echte europäische Demokratie zu werden. Sie weiß genau, wie sie es anstellen muss, dass sie damit durchkommt!

 
  
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  Ioannis Varvitsiotis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich teile vollauf die Besorgnisse zahlreicher europäischer Bürger, die den Wunsch äußern, dass vor einer erneuten Erweiterung die institutionellen Probleme gelöst werden sollten.

Es ist sinnlos, mit 27 Mitgliedstaaten zufriedenstellend funktionieren zu wollen und dabei Bestimmungen zu haben, die galten, als es 9, 10 bzw. 15 Mitglieder in der Union gab. Leider wurde der Verfassungsvertrag, der zahlreiche positive Elemente enthielt, von zwei Nationen abgelehnt. Seither liegt die Angelegenheit auf Eis. Ich freue mich, dass Kanzlerin Merkel ihre Absicht erklärt hat, Vorschläge zum Verfahren und zum Zeitplan zu unterbreiten, damit das Problem gelöst wird.

In diesem Stadium sollten wir meines Erachtens jedoch danach streben, eine begrenzte Anzahl von Fragen zu regeln, die nichtsdestoweniger wichtig für das reibungslose Funktionieren der Union sind, wie die Schaffung des Amtes eines Außenministers und eines Präsidenten der Union, die Verringerung der Zahl der Kommissionsmitglieder, die Erweiterung der Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments, die Reduzierung der notwendigen Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung im Rat, die Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union, die Abschaffung des Drei-Säulen-Systems und die Stärkung der Institution der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie in allen sonstigen Fällen, in denen sie für ein effizientes Funktionieren für notwendig erachtet wird.

Ich frage mich aber, wie viele Mitgliedstaaten, alte und neue, ihre internen Haarspaltereien überwinden und das reibungslose Funktionieren sowie die Effektivität des Europa der 27 Mitgliedstaaten zu ihrem souveränen Ziel erklären werden. Auf jeden Fall bin ich der Ansicht, und damit komme ich zum Schluss, dass es, sofern wir die Union nicht funktionsfähig machen, keinen Sinn hat, über neue Erweiterungen zu diskutieren.

 
  
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  Tadeusz Zwiefka (PPE-DE). (PL) Herr Präsident, jeder der glücklich genug ist, Bürger der Europäischen Union zu sein, würde eine Todsünde begehen, wenn er vorschlüge, anderen, die es werden wollen, diese Chance zu nehmen. Die Frage der Begrenzung der Erweiterung ist lächerlich. Das ist so, als wollte man der Freiheit oder der Demokratie Grenzen aufzwingen.

Die heutige Aussprache hat gezeigt, dass wir die Fähigkeit zur Erweiterung und ihre Folgen im Wesentlichen aus dem Blickwinkel der internen Lage der Europäischen Union betrachten. Wir sprechen über den Bedarf an weit reichenden Reformen – und zwar ganz zu Recht, denn wir können uns Schwäche nicht leisten, wenn wir erfolgreich sein wollen. Die Reformen sind notwendig, aber zunächst muss die Lage geprüft werden, und es muss ein klar durchdachtes Programm mit Verbesserungen vorliegen.

Ich denke, es wäre eine gute Idee, die Arbeit der Europäischen Kommission intern umzustrukturieren. Wenn wir derzeit 27 Kommissare haben, die über den Umfang ihrer Ressorts beschließen, dann wäre es vielleicht sinnvoll, zwei oder drei Kommissare zu benennen, die dafür zuständig wären, die Lage in der Europäischen Union zu analysieren und durch entsprechende Gestaltung des Reformprogramms dafür zu sorgen, dass wir zu künftiger Erweiterung in der Lage sind.

Jedoch können wir diese Fähigkeit nicht allein von einem internen Blickwinkel aus betrachten. Wir müssen daran denken, dass die Bürger der Länder, die sich uns anschließen möchten, die Europäische Union und eine mögliche Mitgliedschaft in der Europäischen Union im Sinn haben. Meine ganz persönlichen Erfahrungen aus der Arbeit in Delegationen mit Ländern des südlichen Kaukasus sowie der Republik Moldau und der Ukraine haben gezeigt, dass der Normalbürger dort nicht glaubt, dass die Mitgliedschaft sofort verwirklicht wird, sondern dass er sicher sein möchte, dass ihm diese Tür nicht vor der Nase zugeschlagen wird. Man ist bereit, 20 oder gar 30 Jahre auf die Chance, sich uns anzuschließen, zu warten. Diese Chance dürfen wir ihnen nicht nehmen.

In der Informationspolitik der EU sollte klar zum Ausdruck kommen, worum es in der EU geht, welche Ziele sie hat und was es bedeutet, Mitglied der Europäischen Union zu sein. Dies dürfen wir nicht vergessen.

 
  
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  Charles Tannock (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Die ohne nennenswerte Probleme vollzogenen Erweiterungsrunden der EU sind ein großartiger Erfolg für die EU. Die fünfte Erweiterungsrunde, mit der die Union vor zwei Jahren auf 25 Mitgliedstaaten ausgedehnt worden ist, war ein großer Erfolg, trotz aller Warnungen, dass die Union ohne eine Verfassung handlungsunfähig werden und auf Länder wie mein Heimatland nicht zu bewältigende Zuwanderungsströme, unter anderem von der Roma-Bevölkerung, zukommen würden.

Es ist bedauerlich, dass im Bericht von Herrn Brok nun erneut der Eindruck erweckt werden soll, dass die EU-Verfassung eine unverzichtbare Notwendigkeit für eine künftige Erweiterung ist. Die britischen Konservativen, die ich vertrete, sind jedoch der Auffassung, dass dies nicht der Fall ist und dass das, was wir wirklich brauchen, Änderungen am Vertrag sind. Das heißt, dass der Vertrag von Nizza geändert werden muss, um die neuen Abstimmungsverhältnisse im Rat, die Anzahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments und der Kommissare nach dem als relativ problemlos eingeschätzten Beitritt Kroatiens in den nächsten Jahren zu regeln.

Meiner Ansicht nach müssen wir nun aber auch ernsthaft über die kopflastige Kommission nachdenken. Ein Rotationssystem bei den Kommissaren, bei dem alle Mitgliedstaaten in genau dem gleichen Umfang berücksichtigt werden, halte ich aber nicht für sinnvoll. Vielmehr muss eine mathematische Formel gefunden werden, die zumindest in Teilbereichen eine dauerhafte Präsenz der Kommissare der großen Mitgliedstaaten gewährleistet. Ich weiß natürlich, dass eine solche Regelung umstritten ist.

Die neuen Mitgliedstaaten sind im Allgemeinen amerikafreundlicher eingestellt: Sie glauben an freiere Märkte und wettbewerbsfähige niedrige Steuersätze. Das ist ein Ansatz, den ich begrüße. Ich glaube, dass auch der Beitritt Rumäniens und Bulgariens am 1. Januar 2007 ein großer Erfolg sein wird.

Als Berichterstatter für diesen Bereich bin ich der Auffassung, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik über den Barcelona-Prozess in eine südliche Euromed-Dimension und ein neues Konzept für den Osten in Gestalt einer erweiterten EU-Schwarzmeer-Gemeinschaft mit Freihandel und Visaerleichterungen gegliedert werden muss, um unsere Beziehungen zu europäischen Ländern wie der Ukraine, der Republik Moldau und den drei Kaukasusrepubliken weiter zu stärken. Ich fordere die Mitgliedstaaten auf, der Republik Moldau und der Ukraine ein Signal zu geben, dass sie längerfristig, zumindest ist dies meine Meinung, ebenso wie alle westlichen Balkanländer potenzielle Kandidaten für einen EU-Beitritt werden können.

 
  
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  Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident! Im Trümmerhaufen des gerade überstandenen Zweiten Weltkriegs wurde, wie wir wissen, die Vision eines Europas des Friedens und der Einigkeit geboren und bis heute immer weiter ausgebaut. Ähnlich einem Großkonzern, der in seiner rasanten Expansion seine Belegschaft überfordert, ist der EU dabei die eigene Bevölkerung abhanden gekommen. Die verlorene Akzeptanz lässt sich meines Erachtens nicht durch PR-Aktionen zurückgewinnen. Vielmehr kommt es darauf an, anstehende Probleme wie Arbeitsplätze, Globalisierung, Terrorismus, Kriminalität und Flüchtlingswellen zu lösen. Auch die Sorge um die Aufnahmefähigkeit der EU ist derzeit meines Erachtens nicht mehr als eine weitere Beruhigungspille zur Ablenkung von bereits bestehenden und feststehenden Erweiterungsphantasien.

Bis dato hat man sich nur darauf versteift, ob die Bewerber die Kriterien von Kopenhagen erfüllen. Ob jedoch die EU selbst die Ziele Zusammenhalt und Integration erfüllen kann, war unwichtig. Um das Gefühl der Unüberschaubarkeit und Grenzenlosigkeit zu bekämpfen, brauchen wir nicht nur eine geographische Abgrenzung, sondern müssen uns auch darüber klar werden, welches Maß an gesellschaftlichen und kulturellen Unterschieden die EU verkraften kann. Hier liegen wir meines Erachtens dank der zügellosen Einwanderungspolitik der letzten Jahre eindeutig über unserer Aufnahmefähigkeit.

 
  
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  Paula Lehtomäki, amtierende Ratspräsidentin. (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich allen für diese differenzierte, breite und konstruktive Aussprache danken. Obwohl offenbar in einigen Bereichen Meinungsunterschiede bestehen, lässt sich doch eine recht starke gemeinsame Haltung im Parlament ausmachen. Es ist völlig klar, dass wir, wenn die Erweiterung gelingen soll, dafür sorgen müssen, dass sich die Union intern weiterentwickelt und in allen Lagen handlungsfähig bleibt. Dies ist ein wesentliches Element der Integrationsfähigkeit, und wie in dieser Aussprache gesagt wurde: Die Europäische Union muss ihre Hausaufgaben machen. Was die Erweiterungsprozesse und die laufenden Verhandlungen anbelangt, sollten wir daran denken, dass die Hausaufgaben auch bei den jüngsten Prozessen nicht erledigt wurden.

Am Montag erzielte der Rat einen politischen Konsens zum Ziel der Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung in Nordzypern so schnell wie möglich und sogar noch eher, insbesondere in Anbetracht der Beschlüsse vom April 2004. Der andere Aspekt der Erweiterung und die andere Seite sind natürlich die Bewerberländer und die Interessenten an einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union, und diese müssen die EU-Beitrittskriterien erfüllen. Der Erfüllungsgrad muss ganz objektiv und erforderlichenfalls auch kritisch beurteilt werden, und wir haben natürlich Vertrauen in die sehr achtbare Kommission, ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, diese Bewertung vorzunehmen. Diese Vorgehensweise ist auf jeden Fall gut, das heißt, dass sich die Aussichten auf einen Beitritt ausgehend von den erzielten Fortschritten erhöhen, und nicht, dass im Voraus Termine vereinbart werden, zu denen der Beitritt beschlossen werden soll.

In dieser Aussprache wurde viel zum Verfassungsvertrag und zu dessen Zukunft gesagt. Wir alle teilen die Auffassung, dass die Verfassung zahlreiche Elemente enthält, die wichtig für die Verbesserung der Integrationsfähigkeit der Union sind. Dennoch müssen wir daran denken, dass der Verfassungsvertrag oder die Reform der Union nicht um der Erweiterung willen notwendig ist: Sie sind notwendig, um die derzeitige Situation der EU und ihre Handlungsfähigkeit zu verbessern.

Gleichzeitig müssen wir im Auge behalten, dass wir die Handlungsfähigkeit nicht allein dem Verfassungsvertrag überantworten können. Verträge sind letztlich nur ein Instrument zur Umsetzung der Politik der Europäischen Union. Ohne den politischen Willen und das politische Bekenntnis zum europäischen Projekt werden nicht einmal die besten Verträge das gewünschte Ergebnis bringen. Mit anderen Worten – wir brauchen vor allem das Bekenntnis und den politischen Willen zu einem gemeinsamen Prozess, und wenn der Wille vorhanden ist, dann ist gewiss auch die Reform der Verträge möglich.

Die Nachbarschaftspolitik ist in bestimmter Weise mit der Erweiterung der Union verbunden, stellt jedoch auch selbst einen wichtigen Politikbereich dar und kann somit nicht als Ersatz für die Erweiterung betrachtet werden. Es liegt auf der Hand, dass zumindest die Länder, die an einem Beitritt zur EU interessiert sind, eine Nachbarschaftspolitik nicht als Ausgleich oder als Ersatzlösung für die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft akzeptieren werden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir werden heute Nachmittag noch über den Europäischen Rat von dieser Woche und dessen Tagesordnung beraten, und ich bin ganz sicher, dass wir dann noch einmal auf die Themen zurückkommen werden, die schon heute Vormittag erörtert worden sind.

 
  
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  Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte Ihnen für diese sehr wichtige und verantwortungsvolle Aussprache danken, die für die Zukunft Europas von so großer Bedeutung ist. Dies ist eine sehr ermutigende Debatte. Wie Sie wissen, sagte ich in meiner Einführung, dass wir in Europa zwei Debatten führen, die meist parallel zueinander verlaufen: In der einen wird die strategische Bedeutung der Erweiterung hervorgehoben, während sich die andere allein auf unsere Integrationsfähigkeit konzentriert.

Diese Debatte ist ermutigend, denn wenn Sie es geschafft haben, sich auf der Grundlage der ersten Entwürfe der beiden Berichte – die im Hinblick auf die Erweiterungsstrategie nicht identisch sind – auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen, müsste auch der Europäische Rat in der Lage sein, einen neuen Erweiterungskonsens zu erzielen, der sowohl den strategischen Wert der Erweiterung als auch unsere Kapazität zur Integration neuer Mitglieder anerkennt.

Zur Europäischen Nachbarschaftspolitik gab es ebenfalls einige Anmerkungen. Im Bericht der Kommission vom 8. November wird darauf hingewiesen, dass nicht alle europäischen Länder in den Erweiterungsprozess einbezogen sind. Die Europäische Union hat vielmehr ein breites Spektrum unterschiedlicher Beziehungen zu anderen europäischen Ländern aufgebaut. Wir haben ein umfassendes Paket bilateraler Vereinbarungen mit der Schweiz, wir haben den Europäischen Wirtschaftsraum, eine sehr weit reichende Vereinbarung über die wirtschaftliche Integration, und wir haben die Europäische Nachbarschaftspolitik.

Was die Europäische Nachbarschaftspolitik angeht, ist die Kommission der Auffassung, dass unsere kürzlich vorgelegte Mitteilung über die Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik die Erwartungen des Parlaments weitgehend erfüllt. Die ENP unterscheidet sich vom EU-Erweiterungsprozess und verläuft parallel dazu. Zudem beeinträchtigt die Europäische Nachbarschaftspolitik nicht die künftige Entwicklung der Beziehungen dieser Länder zur Europäischen Union, was im Einklang mit den Bestimmungen unseres Vertrags steht.

Von einigen wurde vorgeschlagen, die Kriterien von Kopenhagen durch kulturelle Kriterien zu ergänzen. Die Kommission befürwortet diesen Vorschlag nicht.

Abschließend möchte ich Sie auf einige Betrachtungen des Soziologen und Philosophen Ulrich Beck in der gestrigen Ausgabe von Le Monde hinweisen. Sie beziehen sich auf den kürzlichen Besuch des Papstes in der Türkei. Hier kommentiert also ein Soziologe von Rang und Namen die Aktivitäten eines geachteten Kirchenoberhaupts.

(FR)

Meine Damen und Herren, dies sind kluge Worte, die es verdienen, über Weihnachten und im neuen Jahr überdacht zu werden.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. – Danke, Herr Kommissar, für diese abschließenden Worte auf Französisch. Im Übrigen wird jeder von uns den Inhalt dieser Ausführungen für sich beurteilen, die ich für meinen Teil interessant finde.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet heute um 12.00 Uhr statt.

(Die Sitzung wird um 11.55 Uhr unterbrochen und um 12.05 Uhr zur Abstimmungsstunde wieder aufgenommen.)

 
  
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  Gábor Harangozó (PSE). Nachdem nun die Verpflichtung, die Thessaloniki-Agenda vollständig umzusetzen, und die Absicht, den bestehenden Versprechen an die Beitrittsländer und potenziellen Beitrittsländer hinsichtlich einer künftigen Erweiterung nachzukommen, bestätigt worden sind, müssen wir immer noch die Funktionsfähigkeit der Union gewährleisten.

Durch die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten muss sich die Union den daraus erwachsenden politischen, finanziellen und institutionellen Herausforderungen stellen. Der Vertrag von Nizza bietet keine geeignete Grundlage für neue Erweiterungen, während die Verfassung Lösungen für die meisten benötigten Reformen liefert und einen greifbaren Ausdruck der sich vertiefenden Erweiterungsbeziehung darstellt. Daher muss die Verfassungsfrage vor den Europawahlen 2009 geklärt werden. Es sind Reformen nötig, bevor irgendeine neue Erweiterung stattfindet. Der Erweiterungsprozess ist ein Prozess, der Demokratie und Wohlstand weiter über den europäischen Kontinent und dessen Grenzen hinaus verbreitet. Wir tragen daher eine Verantwortung gegenüber unseren Nachbarn und insbesondere gegenüber Beitrittsländern und potenziellen Beitrittsländern. Schließlich teilen wir bei der Behandlung der Frage der „Aufnahmefähigkeit“ der Union den Standpunkt des Berichterstatters, der den positiven Ausdruck „Integrationsfähigkeit“ bevorzugt.

 
  
  

VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES
Präsident

 
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