Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Erklärung der Kommission zu Gewaltspielen auf Video.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den wenigen, vielleicht nicht einmal zehn Abgeordneten besonders dankbar, die in diesem Saal anwesend sind, um ein Thema zu erörtern, das Dutzende Millionen junger und sehr junger Menschen – unsere Kinder – in der Europäischen Union betrifft.
Der Schutz des Rechts und der Grundrechte von Kindern und Jugendlichen muss weiterhin größte Priorität für die EU haben. Er hat Vorrang für die Europäische Kommission, und ich muss ganz offen sagen, dass die brutalen und sadistischen Handlungen, die in einigen besonders blutrünstigen Videospielen dargestellt werden, für uns ein Grund zu großer Besorgnis sind.
Die neuen Technologien, die Kinder und Jugendliche in die Lage versetzen, das Internet und technische Spiele zu nutzen, haben die Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern verändert. Die jungen Menschen, unsere Kinder, sind oft wesentlich vertrauter mit diesen Technologien als die Erwachsenen. Deshalb bedarf es vor allem einer größeren Verantwortung und eines stärkeren Bewusstseins der Erwachsenen und Eltern, aber auch der Aufmerksamkeit und Aufklärung, um in erster Linie den Eltern die Gefahren voll bewusst zu machen und sie zu befähigen, sachkundige Entscheidungen zu treffen.
Es gibt ein Klassifikationssystem zur Kennzeichnung des Inhalts von Filmen, aber auch von Spielen und Videospielen, das hilfreich sein kann. Selbstverständlich muss es mit einem wirksameren Erziehungsmechanismus kombiniert werden. Diese Komponenten sind notwendig, wenn wir eine tragfähige Lösung erreichen wollen.
Die Europäische Union verfügt bereits über Instrumente zur Bekämpfung dieser Besorgnis erregenden Probleme, und zwar im Rahmen der Politikbereiche Justiz und Sicherheit, aber auch Informationsgesellschaft und Binnenmarktvorschriften.
Ich muss aufrichtig sagen, meine Damen und Herren, dass ich stark beeindruckt bin von bestimmten Initiativen zur Überwachung und Verstärkung des Kinderschutzes, die mir einige Innenminister vor und nach der Ministerratstagung angekündigt haben und die von manchen nationalen politischen Parteien einiger Mitgliedstaaten aufgegriffen wurden. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die verstärkte Kontrolle des Verkaufs besonders brutaler Spiele und Videospiele an Minderjährige.
Meiner Ansicht nach ist es ebenso wichtig, die Hersteller von Videospielen in die Verantwortung zu nehmen. 2003 wurde ein europäisches Selbstregulierungssystem, bekannt als Pan-European Game Information, eingeführt, um Eltern bei der Auswahl zu helfen, wenn sie Videospiele für Minderjährige kaufen. Dieses Selbstregulierungssystem wird von der breiten Mehrheit der Hersteller getragen. Es wurde nach Konsultationen mit der Industrie, den Elternverbänden und Verbraucherorganisationen entwickelt. Das System wird in 27 Ländern angewandt und besteht aus der Angabe eines Mindestalters, ab dem ein bestimmtes Spiel empfohlen wird, und einer obligatorischen Inhaltsangabe zum Spiel oder Videospiel, das in den Handel gebracht wird. Dieses System, meine Damen und Herren, erleichtert den Eltern die Auswahl − sofern es die Eltern sind, die darüber entscheiden, welche Spiele ihre Kinder kaufen −, doch es betrifft nicht den Inhalt des Videospiels und enthält auch keinen Hinweis darauf. Diese Selbstregulierung wurde zum einen eingeführt, um die Minderjährigen zu schützen, zum anderen aber auch, um ein anderes Grundprinzip zu wahren: die freie Meinungsäußerung.
Ich will mich in Kürze mit den Herstellern und den sie vertretenden Organisationen treffen, um zu prüfen, inwiefern die in dem Selbstregulierungsschema verwendeten Indikatoren sachdienlich oder, ich würde sagen, aktuell sind. Meines Erachtens wird es Zeit zu bewerten, ob diese Indikatoren vielleicht nicht so funktioniert haben, wie wir es uns gewünscht hätten.
Was hingegen den Inhalt von Spielen oder Videospielen angeht, die im Internet zugänglich sind, so gibt es zwar weltweite Systeme, die jedoch auf Initiative einiger angesehener Organisationen angewandt und umgesetzt werden. Die erste ist bekannt als Platform for Internet Content Selection, und die zweite ist der so genannte Recreational Software Advisory Council, die beide im Wesentlichen in den Vereinigten Staaten ansässig sind. Ich muss allerdings hervorheben, dass weder in der Studie der Vereinten Nationen über Gewalt gegen Kinder noch in dem Bericht der Weltgesundheitsorganisation über Gewalt und Gesundheit dieses Problem analysiert wird; es wird lediglich beiläufig erwähnt, als wäre es überhaupt nicht notwendig, es eingehender zu untersuchen.
2005 führte die Kommission eine im Rahmen des Daphne-Programms finanzierte Erhebung durch. Diese Untersuchung, die auf einer Reihe von Studien zum Thema Gewaltspiele auf Video beruhte, machte die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes deutlich, der gegenwärtig nicht existiert. Ein Ergebnis dieser Untersuchung war, dass Gewalt verherrlichende Bilder einen unleugbaren Einfluss auf Jugendliche haben. Dieser Einfluss kann sich jedoch auf unterschiedliche Art und Weise manifestieren, was von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Das sind zum Beispiel Wohlstand; die Situation der Jugendlichen; der Ort, wo sie leben; ob sie einen aktiven Elternteil haben, der ihnen zur Seite steht, oder ob sie keine Eltern haben, die ihnen nahe sind; die Kontrolle über den Zugang von Jugendlichen zu den Medien und zum Internet, mit anderen Worten, ob ihre Eltern irgendeine Kontrolle ausüben oder ob sie völlig freien Zugang zum Internet haben; das Bildungsniveau, das ihnen vermittelt wird; sowie der soziale und der wirtschaftliche Standard ihrer Familie. All diese Faktoren wirken sich darauf aus, inwieweit Gewalt die Denkweise und Geisteshaltung von Jugendlichen und Kindern beeinflussen kann.
Es sind noch andere wichtige Elemente zu berücksichtigen. Erstens handelt es sich nicht um ein technisches, sondern um ein Erziehungsproblem, das die Kontrolle zu präventiven Zwecken betrifft. Wenn ich Kontrolle des Verkaufs von Gewaltspielen auf Video sage, meine ich eine effektive Kontrolle, denn gegenwärtig gibt es keine verbindlichen Instrumente, um zu überprüfen, ob ein Jugendlicher unter 16 Jahren tatsächlich Videospiele kaufen kann, in denen Gewalt oder sogar regelrechte Verbrechen verherrlicht werden oder dazu aufgefordert wird.
Ich denke, diesem Parlament wird zumindest daran gelegen sein, sich mit diesem Problem zu befassen, u. a. eingedenk der Tatsache, dass die unter Daphne finanzierten Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder just auf dem Gedanken beruhten, wie Kinder und Jugendliche geschützt werden können.
Schlussendlich möchte ich, in Anknüpfung an die im Juli auf den Weg gebrachte Kinderschutzstrategie, das Europäische Forum für die Rechte des Kindes mit diesem Problem befassen. Wie Sie wissen, wurde dieses Forum geschaffen, um Anfang 2007 seine Arbeit aufzunehmen. Auf seiner ersten Arbeitssitzung will ich eine öffentliche, transparente Debatte mit allen betroffenen Akteuren anstoßen: Nichtregierungsorganisationen, Mitgliedstaaten, Elternverbänden, Jugendlichen, Kindern und auch den nationalen Beauftragten für Kinderrechte.
Die vier Schlüsselwörter dieses Themas lauten: Eltern, Kommunikations- und Erziehungsfachleute, Hersteller − denn wir werden dieses Problem nicht bei der Wurzel packen können, wenn wir nicht die Herstellung dieser Gewaltspiele verhüten können − und schließlich Politik. Es muss geprüft werden, inwiefern die Politik eine Strategie ausarbeiten kann, um die Kinder tatsächlich zu schützen, ohne in die Zensur zu flüchten. Das sind die Säulen, auf die wir uns bei der Inangriffnahme des Problems, das ich Ihnen heute Abend dargelegt habe, stützen müssen.
Im Frühjahr werde ich Ihnen eine Mitteilung über Cyberkriminalität vorlegen. Meiner Auffassung nach finden Straftäter, Gesetzesbrecher und Internetkriminelle in Jugendlichen und Kindern besonders wehrlose Opfer. Es ist unsere politische, institutionelle und moralische Pflicht, streng darauf zu reagieren, mit einer europäischen Strategie gegen die Aufforderung zur Gewalt, gegen die Verherrlichung und Verklärung von Gewalt.
Der Präsident. Vielen Dank, Herr Frattini. Ich schließe mich Ihrer taktvollen Bemerkung zu Beginn Ihrer Ausführungen an, die bestätigt, dass einige Überlegungen sowie einige Änderungen in der Organisation unserer Arbeiten notwendig sind, insbesondere, was die Plenardebatten anbelangt.
Mary Honeyball, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich bei Herrn Frattini für seine sehr hilfreiche und lobenswerte Einführung in dieses wichtige Thema bedanken. Wir haben dieser Frage im Parlament wahrscheinlich nicht genügend Beachtung geschenkt. Ich bin froh, dass wir nun diese Aussprache führen, denn es deutet vieles darauf hin, dass Gewalt in Videospielen auf Minderjährige, die sie ansehen, Auswirkungen hat – sehr schädliche Auswirkungen, die wir in den Griff bekommen müssen.
Meines Erachtens zeigt sich immer deutlicher, dass die von Herrn Frattini angesprochene Selbstregulierung wohl nicht mehr ausreicht. Wir müssen diese Frage weiter prüfen, um zu gewährleisten, dass Jugendliche einen kontrollierten Zugang erhalten und die Videospiele selbst nicht unnötig gewalttätig sind. Diese Art von Gewalt, die uns umgibt, sehen wir auf unseren Fernsehschirmen, und wir akzeptieren immer mehr ein Ausmaß von Gewalt, das wir eigentlich nicht akzeptieren sollten und das so nicht hinnehmbar ist. Deshalb ist dies eine gute Initiative, die wir hoffentlich werden voranbringen können.
Es freut mich sehr, dass die Kommission die Untersuchung durchgeführt hat und dies im Rahmen des Daphne-Programms geschah, denn wir sehen in Videospielen nicht nur unnötige Gewalt, sondern auch eine Darstellung von Frauen, die nicht hinnehmbar ist. Jugendliche bekommen also nicht nur Gewalt als solche zu sehen, sondern sie sehen auch Gewalt gegen Frauen und ihnen wird ein Bild von Frauen vermittelt, das nicht in unserem Sinne sein kann. Wir müssen uns also um zwei Dinge kümmern: Kinder und Jugendliche schützen und dafür sorgen, dass Frauen in diesen Videoproduktionen nicht in inakzeptabler Weise dargestellt werden.
Natürlich wollen wir uns nicht vorwerfen lassen, einen Ammenstaat zu schaffen. Das Ganze muss auf vernünftige Weise eingeführt werden, die für alle akzeptabel ist. Besonders berücksichtigen müssen wir hierbei auch das Internet, was der Kommissar angesprochen hat. Das ist schwierig, denn bei der Regulierung des Internets stecken wir noch in den Kinderschuhen, aber wir dürfen davor nicht zurückschrecken. Wir müssen Wege finden, wie wir das Internet im Interesse aller sinnvoll regulieren.
Roberta Angelilli, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Frattini wirklich sehr für die äußerst praktischen Vorschläge, die er uns heute Abend unterbreitet hat, danken.
Es steht außer Frage, dass Europa eine Besorgnis erregende und exponentielle Zunahme der Fälle von Gewalt, von Quälereien und Gewalt unter Minderjährigen erlebt, und das Fernsehen und das Internet beeinflussen zweifellos die Verhaltensweisen unserer Kinder gleichermaßen wie die Verbreitung von Gewaltspielen auf Video, die immer zahlreicher und immer brutaler werden. Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel nennen: Es gibt ein brandneues Videospiel namens „Rule of Rose“, das wirklich ein ernstes Problem darstellt, weil die Hauptfiguren in diesem Spiel Kinder sind und viele Bilder bis an die Grenzen der sexuellen Perversion und des Sadismus gehen.
Deshalb begrüßen wir diese Debatte sehr, auch wenn sie – wie der Herr Präsident erwähnte – auf den späten Abend anberaumt wurde und nur wenige daran teilnehmen. Das ist wirklich schade. Trotzdem fordern wir, dass in dieser Frage etwas unternommen wird, und zwar gewiss nicht durch Zensurmaßnahmen, wie bereits Frau Kommissarin Reding betonte. Wir unterstützen Ihren Entschluss, Herr Frattini, ein Schreiben an die EU-Innenminister zu übermitteln, um sie zu einer sorgfältigen Überprüfung der Kontrollen aufzufordern, die in Bezug auf Gewalt in Videospielen bestehen. Nach den Worten von Frau Reding erwarten wir, dass das PEGI (Pan-European Game Information) wirklich zu einer Einrichtung wird, die imstande ist, eine wirksamere Kontrolle auszuüben.
Schlussendlich fordern wir nachdrücklich praktische Maßnahmen zur Kontrolle und zum Verbot des Vertriebs brutaler Videospiele und zur Schaffung einer Art Europäischer Beobachtungsstelle für Kinder und Jugendliche, nicht zuletzt, um den Inhalt von Spielen und Videospielen vorbeugend zu überwachen und wenn möglich einen einheitlichen Kodex für die Vermarktung und den Vertrieb von Videospielen für Kinder auszuarbeiten.