Index 
Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 14. März 2007 - Straßburg Ausgabe im ABl.
1. Eröffnung der Sitzung
 2. Rüge eines Abgeordneten
 3. Berlin-Erklärung (Aussprache)
 4. Tagung des Europäischen Rates (8./9. März 2007) (Aussprache)
 5. Abstimmungsstunde
  5.1. Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz (Abstimmung)
  5.2. Anzahl und zahlenmäßige Zusammensetzung der interparlamentarischen Delegationen (Abstimmung)
  5.3. Europäische Agentur für Flugsicherheit (Abstimmung)
  5.4. Vermarktung von Rindfleisch, das von höchstens zwölf Monate alten Tieren stammt (Abstimmung)
  5.5. Ratifizierung des IAO-Seearbeitsübereinkommens von 2006 (Abstimmung)
  5.6. Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union (Abstimmung)
  5.7. Abkommen EU/USA über Luftverkehrsdienste (Abstimmung)
  5.8. Nichtverbreitung von Kernwaffen und atomare Abrüstung (Abstimmung)
 6. Stimmerklärungen
 7. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
 8. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
 9. Beziehungen Europa-Mittelmeer – Errichtung der Freihandelszone Europa-Mittelmeer (Aussprache)
 10. Bosnien und Herzegowina (Aussprache)
 11. Zukunft der europäischen Flugzeugindustrie (Aussprache)
 12. Fragestunde (Anfragen an den Rat)
 13. Benennung in die interparlamentarischen Delegationen (Vorschlag der Konferenz der Präsidenten): siehe Protokoll
 14. Hepatitis C (schriftliche Erklärung): siehe Protokoll
 15. Reform der handelspolitischen Instrumente der EU (Aussprache)
 16. Achtung der Grundrechte-Charta in den Legislativvorschlägen der Kommission: systematische und rigorose Überwachung (Aussprache)
 17. Verhandlungsmandat für ein Assoziierungsabkommen EU/Länder Mittelamerikas – Verhandlungsmandat für ein Assoziierungsabkommen EU/ Andengemeinschaft (Aussprache)
 18. In Zypern verschwundene Personen (Aussprache)
 19. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll
 20. Schluss der Sitzung


  

VORSITZ: HANS-GERT PÖTTERING
Präsident

 
1. Eröffnung der Sitzung
  

(Die Sitzung wird um 9.00 Uhr eröffnet.)

 

2. Rüge eines Abgeordneten
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  Der Präsident. Ich möchte Ihnen zunächst eine Mitteilung machen. Sie erinnern sich, dass es eine Veröffentlichung des Abgeordneten Giertych gibt, die das Symbol des Parlaments trug und trägt. Dies hat weltweite Reaktionen hervorgerufen. Ich bin der Sache sofort nachgegangen, als ich davon Kenntnis bekam. Das Präsidium des Parlaments hat am 1. März den Inhalt dieser Broschüre – was einen bestimmten Teil anging – einstimmig verurteilt. Ich habe das Verfahren nach Artikel 9 und 147 unserer Geschäftsordnung eingeleitet. Nach diesem Verfahren kann eine Sanktion ausgesprochen werden. Erfordernis dieses Verfahrens ist aber, dass der Betreffende angehört wird. Ich habe sofort versucht, den Kollegen Giertych zu erreichen, was nicht möglich war, da sein Büro einige Tage nicht besetzt war. Wir haben dann aber den Kontakt per E-Mail hergestellt, um auch für uns den Nachweis erbringen zu können, dass wir uns um den Kontakt bemüht haben. In der letzten Woche war der Kollege in Brüssel nicht anwesend, so dass ich erst gestern das Gespräch nach Artikel 147 mit ihm in Anwesenheit des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments geführt habe.

Der zweite Teil meiner Mitteilung ist dem Kollegen Giertych gestern Abend um 19.30 Uhr auf mehreren technischen Wegen übermittelt worden. Ich werde Ihnen gleich meine Schlussfolgerung dazu vortragen. Heute morgen um 8.30 Uhr ist diese Mitteilung auch an das Präsidium des Parlaments, an die Fraktionsvorsitzenden und an die Organe, in denen der Kollege Mitglied ist – also den auswärtigen Ausschuss und die Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika – übermittelt worden.

Ich trage Ihnen jetzt den zweiten Teil des Inhalts meines Briefes an den Kollegen vor, der sich auf das gestrige Gespräch mit dem Abgeordneten Giertych bezieht:

„Ich habe bei dieser Gelegenheit zutiefst bedauert, was zweifelsfrei eine schwerwiegende Verletzung der Grundrechte und insbesondere der Würde des Menschen darstellt, zu denen sich unsere Institution mit allem Nachdruck bekennt. Auf dieser Grundlage habe ich in Übereinstimmung mit dem Verfahren nach Artikel 147 der Geschäftsordnung entschieden, eine Rüge gegen Sie auszusprechen, die die erste einer Reihe von Maßnahmen ist, die in dem genannten Artikel aufgeführt sind. Das Plenum und die anderen relevanten politischen Gremien des Hauses werden ordnungsgemäß unterrichtet, sobald Sie über diese Rüge in Kenntnis gesetzt worden sind. Ich habe die Absicht, in meiner Amtszeit sowohl die Meinungsfreiheit und die Verhaltensregeln von Abgeordneten als auch die Würde dieses Hauses aufrechtzuerhalten. Wie ich am 13. Februar 2007 in meiner Antrittsrede im Plenum erklärte, sind Toleranz und gegenseitiger Respekt wichtige europäische Werte, die im Mittelpunkt meiner politischen Prioritäten stehen und denen das Europäische Parlament zutiefst verpflichtet ist. Ich gehe davon aus, dass Sie verstehen, dass das Europäische Parlament, das lebendige politische Debatten braucht und das alle Formen der Fremdenfeindlichkeit scharf verurteilt, unter keinen Umständen mit den Meinungen, die in dieser Broschüre veröffentlicht wurden, in Verbindung gebracht werden darf.“

... und dann meine Unterschrift.

(Beifall)

 

3. Berlin-Erklärung (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Erklärung von Berlin.

Ich möchte aber zunächst noch eine kurze Erklärung abgeben, um die mich der Vorsitzende des Ausschusses für konstitutionelle Fragen und die Obleute in diesem Ausschuss gebeten haben.

Die Erklärung zur Zukunft Europas, die am 25. März 2007 in Berlin verabschiedet werden soll, könnte ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg hin zu einem stärkeren und zukunftsorientierten Europa sein. Die Konferenz der Präsidenten hat mich beauftragt, das Europäische Parlament in den Verhandlungen über die Erklärung von Berlin zu vertreten. Ich tat und tue dies im engen Austausch mit und ständiger Information gegenüber dem Präsidium des Parlaments, gegenüber den Fraktionsvorsitzenden, insbesondere aber gegenüber dem Vorsitzenden des Ausschusses für konstitutionelle Fragen und den Obleuten im Ausschuss für konstitutionelle Fragen, und ich werde heute den Vorsitzenden des Ausschusses für konstitutionelle Fragen und die Obleute zum dritten Mal treffen, um über diese Fragen zu beraten.

Die Debatte heute im Plenum zielt darauf ab, das Thema mit allen Abgeordneten sowie mit Rat und Kommission zu erörtern. Es wäre für mich auch sehr wichtig, dass ich aus dieser heutigen Debatte einige Anregungen und Hinweise für die noch folgenden Gespräche mit der deutschen Präsidentschaft mitnehmen könnte.

Die sich noch in Verhandlung befindende Erklärung von Berlin soll aus vier Kapiteln bestehen. Am Beginn soll eine kurze Würdigung dessen stehen, was seit 1957 erreicht wurde, unter besonderer Erwähnung der Kernerrungenschaften: Frieden, Wohlstand und Stabilität sowie Konsolidierung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit im Zuge der Erweiterung und der Überwindung der Teilung des Kontinents.

Das zweite Kapitel soll den Hauptmerkmalen der europäischen Einigung und Zusammenarbeit gewidmet sein: gleiche Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten sowie Transparenz und Subsidiarität als Grundelemente der Gemeinschaftsmethode.

Das dritte Kapitel soll von ausschlaggebender Bedeutung im Hinblick auf unsere zentralen Werte sein, auf die sich die europäische Einigung gründet. Insbesondere soll betont werden, dass der Mensch, dessen Würde unantastbar ist, im Mittelpunkt jeglichen politischen Handelns steht. Darauf habe ich auch beim Abendessen auf dem Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs, auf dem wir letzte Woche Donnerstagabend darüber beraten haben, großes Gewicht gelegt. Der Mensch ist Ausgangspunkt und Ziel der Politik. Darüber hinaus soll das Solidaritätsprinzip ein wichtiges Merkmal sein. Es ist unverzichtbares Element des europäischen Einigungswerkes und in aktueller Sicht auch im Energiebereich eine gegenwärtige und aktuelle Herausforderung.

Schließlich sollen in einem vierten Kapitel die Zukunftsherausforderungen benannt werden wie Energiepolitik, Klimaschutz, die europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die innere Sicherheit und die Bürgerrechte und die Bewahrung einer von sozialer Verantwortung geprägten Gesellschaftsauffassung durch stärkeren wirtschaftlichen Erfolg.

In Hinsicht auf die Erklärung von Berlin und die darauf folgende Diskussion zur Zukunft des Verfassungsvertrags dürfen wir als Europäisches Parlament keinen Zweifel aufkommen lassen: Das Europäische Parlament steht zum Verfassungsvertrag. Wir wollen, dass die Substanz des Verfassungsvertrags einschließlich des Kapitels über die Werte rechtliche und politische Realität wird.

(Beifall)

Ich möchte zum Schluss noch betonen, dass der Gipfel in Berlin nicht nur eine Veranstaltung der Regierungen ist, wie es vor fünfzig Jahren der Fall war. Es ist eine Konferenz, an der sowohl das Europäische Parlament als auch die Kommission beteiligt sind. Alle drei Institutionen werden durch ihre Präsidenten vertreten, die die Erklärung zur Zukunft der Union unterschreiben und sich auf der Konferenz mit Redebeiträgen äußern.

Die Errungenschaften der letzten fünfzig Jahre sind außerordentlich. Fünfzig Jahre danach braucht Europa aber einen neuen Aufbruch. Wir müssen jetzt gemeinsam den Mut und den Willen aufbringen, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

(Beifall)

 
  
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  Frank-Walter Steinmeier, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, Frau Kommissarin! Ich freue mich und es ist mir eine besondere Ehre, heute zum ersten Mal als Vertreter der Präsidentschaft im Plenum des Europäischen Parlaments vor Ihnen zu sprechen.

Sie haben darauf hingewiesen: Am 25. März begeht die Europäische Union den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, und ich finde, dass das ein besonderer Tag ist, ein Tag, an dem wir für einige Stunden innehalten sollten: Innehalten im politischen Tagesgeschäft, innehalten, um zurückzublicken auf eine – wie ich finde – einzigartige Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung, innehalten aber auch, um den Blick nach vorne zu richten und uns zu fragen: Wie gelingt es uns Europäern, Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden?

Wir können stolz darauf sein, was die Menschen in Europa in den vergangenen 50 Jahren erreicht haben. Der 25. März sollte deshalb vor allen Dingen ein Tag der Zuversicht sein. Das Europäische Parlament hat den europäischen Einigungsprozess ganz wesentlich mitgeprägt. Viele Erfolge wären nicht möglich gewesen, wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht beharrlich und engagiert für mehr Integration, für mehr Demokratie und Transparenz innerhalb der Europäischen Union eingetreten wären.

Als Präsidentschaft setzen wir auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament. Bisher haben Sie uns nach Kräften unterstützt, und dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle ganz ausdrücklich danken. Wenn ich sage „unterstützt“, dann meine ich das auch für die Vorbereitung der Berliner Erklärung, die wir am 25. März verabschieden wollen, und zwar als eine gemeinsame Erklärung der drei europäischen Institutionen Europäischer Rat, Europäisches Parlament und Europäische Kommission. Das Europäische Parlament und die Kommission haben von Anfang an engagiert und aktiv an der Erarbeitung dieser Erklärung mitgewirkt.

Ihnen, Herr Präsident, wie dem gesamten Haus möchte ich für das Vertrauen danken, das Sie der Präsidentschaft in dieser wichtigen Frage entgegenbringen, und ich danke Ihnen für die Zustimmung zu dem von uns vorgeschlagenen Verfahren. Nach meinen Gesprächen und Diskussionen im Ausschuss für konstitutionelle Fragen und im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten weiß ich, wie schwer manchem von Ihnen gerade diese Zustimmung zu diesem Verfahren fiel. Deshalb ganz herzlichen Dank für das Vertrauen in das Verfahren.

Für unsere Präsidentschaft haben wir uns vorgenommen, das Vertrauen und die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu Europa zu stärken. Dazu brauchen wir den Dialog, dazu haben wir in den letzten Wochen und Monaten sehr genau zugehört, und zwar nicht nur in sehr erfolgreichen nationalen Konferenzen in Berlin mit Beteiligung von Bürgern, die nach Zufallsprinzip ausgewählt wurden und von denen wir wissen wollten, was sie sich von der EU erhoffen. Eines scheint mir bei all dem klar zu sein: Wenn wir die Menschen für Europa gewinnen wollen, müssen wir an konkreten Beispielen zeigen, dass ihnen die europäische Einigung nützt. Wir müssen daran arbeiten, dass sich die Europäische Union den Aufgaben der Zukunft stellt, und überzeugende Lösungen anbieten.

Der Europäische Rat am 8. und 9. März – Sie haben eben darauf hingewiesen – hat gezeigt, dass die EU auch mit 27 Mitgliedstaaten handlungsfähig sein kann, auch in den Bereichen, wo die Bürger dies von uns in besonderem Maße erwarten: bei Energie und Klimaschutz zum Beispiel. Der Erfolg des Frühjahrsgipfels gibt uns Zuversicht für den weiteren Verlauf der Präsidentschaft. Wir wollen den Rückenwind auch für die Berliner Erklärung nutzen. Wenn die Botschaft des Gipfels ist: „Wenn wir Europäer die Kraft zum gemeinsamen Handeln finden, dann können wir auch Zukunft aktiv gestalten“, dann ist das die richtige Botschaft.

Die Bundeskanzlerin hat am 8. März beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs – Kommissionspräsident Barroso und Sie, Herr Präsident, waren dabei – unsere Vorstellungen dargelegt, so wie wir sie in den ausführlichen Gesprächen mit den Beauftragten des Parlaments, der Kommission und den nationalen Regierungen entwickelt haben. Natürlich ist der Text für die Erklärung noch nicht endgültig fertiggestellt, und ich kann Ihnen versichern, dass das, was in der heutigen Diskussion hier zu hören ist, natürlich in unsere Überlegungen für die Endfassung eingehen wird.

Wir möchten – und das habe ich in den Ausschüssen bereits berichtet – einen kurzen Text aus einem Guss, der unsere Erklärung zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge für die Bürger in verständliche Sprache fasst. Was sollen die zentralen Aussagen sein? In einem ersten Teil der Erklärung wollen wir würdigen, was wir in den vergangenen 50 Jahren in Europa gemeinsam erreicht haben. Dazu gehören natürlich Frieden, Stabilität, Wohlstand, dazu gehört auch die Überwindung der Teilung des Kontinents. Ohne den Freiheitswillen der Menschen in Mittel- und Osteuropa – und das wollen wir in der Erklärung ausdrücklich würdigen – wäre all das nicht möglich gewesen.

(Beifall)

Zu den Erfolgen der europäischen Einigung gehören aus meiner Sicht auch die Formen und Prinzipien unserer Zusammenarbeit hier in Europa: Demokratie und Rechtstaatlichkeit, Gleichheit der Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, Transparenz und Subsidiarität. Diese Prinzipien – und auch darauf können wir ein wenig stolz sein – haben durchaus Vorbildcharakter für regionale Zusammenarbeit in anderen Teilen der Welt. Der darauf folgende Teil der Erklärung wird ein gemeinsames Bekenntnis zu den wichtigsten Werten enthalten: Würde des Menschen, Freiheit und Verantwortung, gegenseitige Solidarität, Vielfalt und Toleranz und Respekt im gegenseitigen Umgang. Denn wir wissen: Die EU ist mehr als nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Sie ist auch Wertegemeinschaft, und dieses Fundament aus gemeinsamen Werten und vielleicht auch einer gemeinsamen Lebensauffassung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Europa als politische Einheit handlungsfähig bleibt.

Das Herzstück der Erklärung wird sich dann natürlich mit den Zukunftsaufgaben befassen, die wir in Europa im 21. Jahrhundert gemeinsam angehen und bewältigen müssen. Dazu gehören Energie und Klimaschutz, hierzu gehört eine handlungsfähige europäische Außen- und Sicherheitspolitik und natürlich auch, dass wir den Bedrohungen durch Terrorismus und organisierte Kriminalität wirksam begegnen, ohne dabei Menschen- und Bürgerrechte einzuschränken. Natürlich gehört auch dazu, dass wir im Umgang mit illegaler Einwanderung gemeinsame Lösungen finden.

Eine Botschaft erscheint mir aber besonders wichtig, wenn wir das Vertrauen der Menschen in Europa wieder stärken wollen: Europa steht für ein Gesellschaftsmodell, das wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit mit sozialer und ökologischer Verantwortung verbindet. Unternehmerische Freiheit ist genauso Teil der europäischen Erfahrung wie die Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die EU hat ein soziales Gesicht, und auch die soziale Dimension Europas wollen wir in der Erklärung deutlich machen. Die europäischen Regierungschefs haben sich in den Schlussfolgerungen vom vergangenen Freitag ausdrücklich auch dazu bekannt.

Wir wissen alle, dass der Reform- und Erneuerungsprozess der Europäischen Union weitergeführt werden muss. In gut zwei Jahren finden die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt, und die Wählerinnen und Wähler haben ein Anrecht darauf, zu wissen, über welche Instrumente und Handlungsmöglichkeiten die Europäische Union dann verfügen soll. Wir wünschen uns daher, dass die Erklärung auch eine gemeinsame Verpflichtung enthält, hierfür an den notwendigen Voraussetzungen zu arbeiten.

Gestatten Sie mir ein abschließendes Wort: Der 50. Jahrestag ist für uns alle eine Chance, eine Gelegenheit, um Kraft für die Aufgaben zu schöpfen, die vor uns liegen. Lassen Sie uns an diesem Tag das in den Vordergrund stellen, was uns verbindet! Nutzen wir die Symbolik dieses Tages für ein Signal der Geschlossenheit! „Europa gelingt gemeinsam!“ Unter diesen Wahlspruch haben wir unsere Präsidentschaft gestellt. Die Menschen in Europa erwarten von der europäischen Politik den Willen, den Mut und die Entschlossenheit, gemeinsam zu handeln.

In diesem Geist wollen wir auch die zweite Hälfte unserer Präsidentschaft angehen. Dafür bitte ich um ihre fortgesetzte Unterstützung.

(Beifall)

 
  
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  Margot Wallström , Vizepräsidentin der Kommission. – (EN) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Tagung am 25. März in Berlin ist ein wichtiges Ereignis. Fünfzig Jahre europäische Integration sind zweifellos ein Grund zum Feiern. Dieses Ereignis bietet die Gelegenheit, all das hervorzuheben, was uns verbindet, und unsere gemeinsamen Werte und Grundsätze zu unterstreichen.

Wir können die Bedeutung dieses Ereignisses jedoch noch erhöhen, wenn wir nicht nur zurückschauen, sondern gleichermaßen in die Zukunft blicken. Dies ist eine Gelegenheit, unsere gemeinsamen Ziele und Wünsche zu erläutern, unseren gegenseitigen Respekt und unsere Solidarität hervorzuheben und erneut unsere Entschlossenheit zu bekräftigen, zum Nutzen aller Europäer eine bessere und stärkere Gemeinschaft aufzubauen.

Aus diesem Grund hat die Kommission im Mai vergangenen Jahres die Initiative ergriffen und vorgeschlagen, anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge eine Interinstitutionelle Erklärung herauszugeben. Der deutsche Ratsvorsitz hat sich sehr engagiert darum bemüht, einen Text zu erarbeiten, der mehreren unterschiedlichen Zielen gerecht wird. Wir sind uns alle darin einig, dass der Text kurz und allgemein verständlich gehalten werden sollte, dass er leicht zu lesen sein und länger als ein paar Tage oder Wochen Bestand haben sollte. Darin sollten natürlich die Erfolge von 50 Jahren europäischer Integration gewürdigt werden, aber auch der Blick nach vorne darf nicht fehlen, um die Bürger Europas für die Zukunft zu motivieren. Wir alle möchten, dass in diesem Text das herausgestellt wird, was die Besonderheit Europas für uns ausmacht, welche Werte wir haben und wie wir arbeiten. Das ist keine leichte Aufgabe, aber bei Bundeskanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier und ihren kompetenten Mitarbeitern sind wir in den besten Händen.

Ich bin der Meinung, dass es die richtige Entscheidung war, sowohl das Europäische Parlament als auch die Europäische Kommission direkt einzubinden. Die Gespräche zwischen dem Parlament und der Kommission sowie mit Vertretern der Zivilgesellschaft haben uns wertvolle Denkanstöße geliefert, die einen Beitrag zu den allgemeinen Überlegungen und zur wichtigen Arbeit des Ratsvorsitzes leisten können. In den bilateralen Gesprächen und beim Meinungsaustausch von letzter Woche im Europäischen Rat hat sich ein breiter Konsens über die Ziele, den Umfang und den Tenor der Erklärung abgezeichnet. Das Ergebnis wird letztlich ein aufrichtiges europäisches Bekenntnis zur Weiterentwicklung Europas sein.

Bei vielen der Gespräche in diesen letzten Tagen wird es um die Frage gehen, wie der Text im Hinblick auf die künftigen Ziele der Union den richtigen Tenor erhält. Im Januar hat Präsident Barroso hier in diesem Haus unsere Vorstellungen über einige zentrale Punkte erläutert. Die Tagung des Europäischen Rates in der vergangenen Woche sollte uns neues Selbstvertrauen geben und uns zeigen, dass wir nicht zaghaft zu sein brauchen. Wir können ehrgeizige Ziele verfolgen und dabei trotzdem glaubwürdig bleiben. Die Europäische Union kann und wird ein Motor für positive Veränderungen in Europa und in der ganzen Welt sein.

Wir glauben, dass der Text konkret, aber nicht zu speziell sein sollte. Er sollte den Geist der Europäischen Union widerspiegeln, indem er das richtige Maß zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen, dem Gemeinsamen und dem Individuellen findet. Wir fördern das Wachstum und die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb eines starken sozialen Rahmens. Wir erhöhen die Sicherheit und wir stärken die Rechte des Einzelnen. Wir treten sehr engagiert für die Wahrung der europäischen Interessen ein, aber wir sind uns dabei stets auch unserer Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft bewusst, wie Minister Steinmeier vorhin ebenfalls hervorgehoben hat. Dies wird zuweilen als Rezept für den kleinsten gemeinsamen Nenner Europa missverstanden. Das ist falsch. Es handelt sich vielmehr um die praktische Anerkennung der Tatsache, dass wir in einer komplexen, sich schnell verändernden Welt leichtfüßig sein müssen und dass wir neue Lösungen für tief verwurzelte Probleme finden müssen. Genau das tun wir jetzt beim Klimawandel und im Bereich der Energie.

Wichtig ist auch, dass wir zeigen, dass sich die Europäische Union nicht nur darüber definiert, was Europa tut, sondern auch darüber, wie die Union arbeitet. Demokratie, Transparenz und Rechenschaftspflicht sind wichtige Leitprinzipien für die Union von heute. Es wäre ein wichtiges Signal für die Mitgliedstaaten und die Institutionen, wenn wir die Verpflichtung der Union zu einer demokratischen Arbeitsweise erneut bekräftigen würden.

Die Tagung in Berlin findet zur Halbzeit der deutschen Ratspräsidentschaft statt und ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Wiederaufnahme der Überprüfung des Vertrags, mit dem die Organe der Europäischen Union gestärkt werden sollen. Sie findet im Anschluss an die außergewöhnlich erfolgreiche Tagung des Europäischen Rates in der letzten Woche statt, eine Tagung, die allen Unkenrufen zum Trotz gezeigt hat, dass eine Europäische Union mit 27 Mitgliedern ebenso stark und mutig ist, wie sie es in jeder bisherigen Form war. Die Erweiterung hat unsere Arbeit mit neuen Zielen und einer neuen Dynamik belebt, und ich bin davon überzeugt, dass das auch weiterhin der Fall sein wird.

Die als Nächstes anstehende Tagung des Europäischen Rates im Juni wird ein weiterer wichtiger Prüfstein sein. Wird es uns gelingen, einen Fahrplan für die Weiterführung der Debatte über die Verfassung und der institutionellen Debatte festzulegen? Die Arbeit der letzten Woche wird dabei sicher hilfreich sein. Sie hat auf jeden Fall dazu beigetragen, mit der Vorstellung aufzuräumen, dass die Europäische Union nur mit der eigenen Nabelschau beschäftigt ist und die wirklichen Sorgen und Nöte ihrer Bürger nicht kennt. Wir sollten laut und deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir uns vor allem deshalb mit unseren Institutionen befassen, weil wir wollen, dass sie reibungslos funktionieren, so dass wir den Erwartungen unserer Bürger gerecht werden und die hohen Standards der Demokratie erfüllen können.

Abschließend möchte ich noch sagen, dass wir meiner Ansicht nach auf dem richtigen Weg sind und am 25. März in Berlin eine Erklärung verabschiedet werden kann, die im Einklang mit den Zielen steht, die von der Kommission im Mai letzten Jahres festgelegt, vom Europäischen Rat gebilligt und von diesem Haus unterstützt wurden. Sie wird den Anstrengungen, die unternommen werden, um die konstitutionelle und institutionelle Debatte zum Abschluss zu bringen, neuen Schwung verleihen und dazu beitragen, dass die weiteren Schritte zügig vorangetrieben werden. Sie wird die Anstrengungen im Bereich der allgemeinen Kernprioritäten mobilisieren, sie wird das Bild einer Europäischen Union vermitteln, in der alle gewillt sind, für die Interessen ihrer Bürger einzutreten und die zukünftige Arbeit der Union ebenso dynamisch und erfolgreich weiterzuführen, wie dies in den vergangenen 50 Jahren des europäischen Abenteuers der Fall war.

(Beifall)

 
  
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  Jo Leinen (PSE), Vorsitzender des Ausschusses für konstitutionelle Fragen. – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen hat drei Mal über die Berliner Erklärung diskutiert. Wir haben Ihnen die Ergebnisse für Ihre Verhandlungen mit der deutschen Präsidentschaft schriftlich zugesandt.

Ich glaube, von den fünf Kapiteln ist eine Einigung über drei Kapitel leicht möglich. Die Erfolge und Errungenschaften der Vergangenheit sind selbstredend. Die EU ist ein großes Friedensprojekt, ein großes Freiheitsprojekt und ein Rezept, um Wohlstand und Sicherheit für die Bürger zu garantieren, und das sollte in der Erklärung auch zum Ausdruck kommen.

Auch über die Werte kann man sich wohl schnell einigen. Sie sind ja im Verfassungsvertrag festgeschrieben, und neben den klassischen Werten Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat, sind uns die Solidarität und die Gleichheit besonders wichtig. Hier sollte in der Berliner Erklärung nicht vom European Way of Life die Rede sein, sondern vom europäischen Sozialmodell, das wir erhalten und in der Zukunft fortführen wollen. Dieses besondere Modell der individuellen Freiheit, gekoppelt mit kollektiver Sicherheit, ist das Spezifische, das die Gesellschaftsmodelle in Europa ausmacht.

Ich denke, auch die Herausforderungen der Zukunft liegen auf der Hand. Sie sind genannt worden, und man braucht sie auch nicht alle zu nennen. Eine Handvoll wichtiger Megaprobleme stehen vor uns, die Frage des Klimaschutzes ist ja letzte Woche auf dem Gipfel hervorragend beantwortet worden.

Schwieriger wird es bei der Beschreibung dessen, was die EU an Besonderheiten hat. Hier möchten der Ausschuss für konstitutionelle Fragen und das Parlament, dass in der Berliner Erklärung ein Bekenntnis zur Gemeinschaftsmethode erfolgt. Die Gemeinschaftsmethode unterscheidet diese EU von allen internationalen Organisationen, weil sie diesem Parlament als direkt gewählter Vertretung von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ein gleichberechtigtes Mitspracherecht mit dem Ministerrat gibt, wann immer wir Gesetze, Normen und Regeln für die Bevölkerungen unserer Mitgliedstaaten machen. Wir möchten, dass die Gemeinschaftsmethode zur Regelmethode wird, auch im zweiten und im dritten Pfeiler, dass es nicht mehr so ist, dass Regierungen Gesetze machen, sondern dass die Bürgervertretung beteiligt ist.

Der Lackmustest für die Berliner Erklärung liegt im fünften Teil der Verpflichtungen, die die Regierungen eingehen. Hier wird sich zeigen, ob alles, was vorher geschrieben steht, auch ernsthaft gemeint ist, und die Öffentlichkeit wird das besonders aufmerksam registrieren. Ich glaube, wir brauchen ein Bekenntnis dazu, dass die bisherigen Verträge nicht ausreichen, dass wir eine neue Grundlage, neue Mittel und Möglichkeiten für die Europäische Union brauchen. Wir müssen uns bekennen zu dem neuen Vertrag. Dieser Globalkompromiss ist das Minimum.

Die Ratspräsidentin hatte beim Klimaschutzgipfel letzte Woche Mut. Ich hoffe, sie hat denselben Mut für die Berliner Erklärung, denn der Mut im März wird sich für den Gipfel im Juni auszahlen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in der deutschen Präsidentschaft.

(Beifall)

 
  
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  Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Kommissionsvizepräsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Seit ihrer Gründung hat sich die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten stets um mehr Integration und Einheit in Europa bemüht. Wir haben uns immer für eine Stärkung Europas und für ein politisches und ehrgeiziges Europa eingesetzt. Die gemeinsame Verteidigung von Werten und die Förderung von Freiheiten, insbesondere der Freiheit, unternehmerisch tätig zu sein, zu arbeiten und die Früchte seiner Arbeit zu ernten, aber auch die Gewährleistung von Sicherheit haben uns geeint.

Die Römischen Verträge bilden den Grundstein des europäischen Einigungswerks. Sie haben sichergestellt, dass ein Krieg zwischen unseren Staaten fürderhin nicht nur unmöglich, sondern auch undenkbar wurde. In meiner Kindheit gehörte der Krieg für mich zum Alltag. Es stimmt mich glücklich und stolz, dass in unserem Teil der Welt und dank unserer Bemühungen Krieg nur noch eine abstrakte Größe darstellt. Ich sage jungen Menschen immer wieder, dass nichts von Dauer, aber auch nichts für immer verloren ist.

Doch nicht alle von uns konnten diesen Erfolg in vollen Zügen genießen. Zwar haben alle europäischen Nationen für Freiheit, Frieden und Wohlstand gekämpft, doch einige von ihnen mussten unter dem Joch des Kommunismus 50 Jahre lang Diktatur, Freiheitsentzug und Unsicherheit über sich ergehen lassen. Die Länder Mittel- und Osteuropas haben sich unermüdlich dafür eingesetzt, diese künstliche Kluft zu überwinden, damit ihre ursprüngliche Familie erneut integriert und sich Europa wieder zu voller Größe entfalten konnte.

Ich möchte an dieser Stelle den Nationen und den Bürgern dieser Staaten meine Bewunderung und mein Mitgefühl aussprechen. Ohne sie und ohne die Revolutionen von 1956, 1968 und 1980 hätte es in Europa niemals die „samtene Revolution“ gegeben, die sich Ende der 1980er Jahre vollzogen hat. Und die Berliner Mauer würde zweifellos noch immer der Schandfleck unseres Kontinents sein.

Wir dürfen ebenfalls nicht vergessen, dass wir im Jahr 2007 nicht nur den 50. Jahrestag der Römischen Verträge, sondern auch den 60. Jahrestag des Marshallplans begehen. Ohne die Hilfe der Amerikaner, ohne ihren entschlossenen Einsatz für die Europäer wären die Schuman-Erklärung und die Römischen Verträge auf weitaus größere Hindernisse gestoßen. Die vergangenen fünfzig Jahre waren von Erfolg gekrönt, und mit der Wiedervereinigung unseres Kontinents hat diese Episode auch ein glückliches Ende gefunden. Doch meiner Meinung nach kann auch das neue Jahrhundert für Europa ausgesprochen prägend sein, wenn wir dies denn wollen. Als Grundstein der Europäischen Union stellen die Römischen Verträge den erfolgreichsten Versuch der Geschichte dar, Menschen zum Zusammenleben zu bewegen. Damit hat sich unser Kontinent von einem Ort der Teilung zu einem Raum der Gemeinsamkeiten und der Annäherung entwickelt.

Tatsächlich geht die Bedeutung der Europäischen Union über die Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen hinaus. Wir geben auch unsere Werte weiter und treten als stabilisierende Kraft auf. Waren es nicht die Aussichten auf eine engere Zusammenarbeit, die in Südosteuropa zur Wiederherstellung des Friedens beigetragen haben? Dennoch werden die kommenden fünfzig Jahre für alle Mitgliedstaaten reich an neuen Aufgaben sein. Doch wir fangen eindeutig nicht bei Null an.

Die erste Voraussetzung für Erfolg besteht darin, unser Selbstvertrauen wieder herzustellen, uns unserer Stärken bewusst zu werden und unser Potenzial voll auszuschöpfen. Zweitens müssen wir in einer unbeständigen, globalisierten Welt realistisch sein und uns energisch und unverzüglich darum bemühen, nicht den Anschluss zu verlieren. Anpassung bedeutet allerdings nicht, dass wir uns unterwerfen und verbiegen. Reformen sind nicht zwangsläufig mit Selbstaufgabe und Identitätsverlust verbunden. Europäer verfügen über ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für die Würde des Menschen und die Achtung des Einzelnen. Zudem hat sich Europa mit der sozialen Marktwirtschaft eine gesellschaftliche Organisationsform gegeben, die von dem Ansatz des „jeder für sich“ und einer konsumorientierten Überschussgesellschaft weit entfernt ist.

Auf der Tagung des Europäischen Rates in der vergangenen Woche wurde beschlossen, gemeinsame, engagierte Ziele für die Energie- und Klimapolitik festzulegen.

Gegenwärtig stehen wir vor fünf großen Herausforderungen: demografische Entwicklung, Globalisierung, Multipolarität, Energie und Klimawandel. Doch auch der Kampf gegen den Klimawandel darf dabei natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Europa muss in einer globalisierten Welt, in der es immer wieder neue Schwerpunkte gibt – ich denke hier an Asien, aber auch an Brasilien – mit wirtschaftlichen und sozialen Reformen reagieren. Es muss sein historisches Potenzial nutzen und sein Sozialmodell stärken. In einer Welt der Unsicherheiten, in der Terrorismus mittlerweile zum Alltag gehört, muss Europa sowohl Engagement als auch Entschlossenheit an den Tag legen, und darf sich nicht vom Terror in Geiselhaft nehmen lassen.

Sehr verehrte Damen und Herren, diese Werte geben wir nach 50 Jahren europäischer Integration weiter. Und diesen Aufgaben müssen wir uns aus einer neuen Perspektive stellen. Die PPE-DE-Fraktion vertritt die Auffassung, dass sich künftige Generationen nur dann in dieser neuen Welt entwickeln und entfalten können, wenn sie Vertrauen in ihre Schöpfungs- und Anpassungskraft haben. Unser Einfluss ist zwar sicherlich begrenzt, doch wir sind anspruchsvoll. In den heutigen Zeiten des Wandels sollten wir Stillstand vermeiden, den richtigen Weg wählen und gemeinsam solide Grundlagen schaffen. Eine solche Aufgabe erfordert nicht nur klares Denken, sondern auch politischen Mut.

(Beifall)

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen den Text der Berliner Erklärung noch nicht. Deshalb ist es sinnvoll, nicht über den Text, sondern über den Kontext der Berliner Erklärung zu reden. Wenn man der Rede des Herrn Ratspräsidenten, der von Frau Wallström und auch der von Joseph Daul oder von Jo Leinen zugehört hat, dann merken wir alle, dass eine bestimmte Unsicherheit mit diesem Text verbunden ist, weil die Erwartungshaltung an diesen Text sehr hoch ist. Warum ist das so? Warum wird so viel an Erwartungshaltung in einen Text hineingelegt, der vielleicht einer unter vielen anderen ist? Ganz einfach. Weil wir alle die Empfindung haben, dass wir an einer Wegscheide stehen. Vielleicht geht es mit der europäischen Integration so erfolgreich weiter wie in den letzten fünfzig Jahren oder wir gehen einen anderen Weg, weg von der europäischen Integration in eine ungewisse Zukunft der Renationalisierung und der damit verbundenen Risiken.

Wir alle haben ein Gefühl der Unsicherheit. Deshalb muss diese Berliner Erklärung etwas leisten, was man möglicherweise mit einem ganz kurzen Text leisten kann, nämlich eine Hoffnungsbotschaft zu vermitteln, dass das, was wir in den letzten fünfzig Jahren erfolgreich bewältigt haben, auch in Zukunft möglich ist. Aber eines geht sicher nicht mehr: Wir werden uns nicht mit dem Beschreiben der Erfolge der letzten fünfzig Jahre begnügen können. Das ist bedauerlich, aber es ist die Realität. Ich sage Ihnen, warum ich glaube, dass es bedauerlich ist, und ich zitiere den luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, der bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen gesagt hat: Für meine Kinder ist Adolf Hitler so weit weg wie Wilhelm II. für mich. Darin liegt eine Gefahr! Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr verblassen die Risiken der Intoleranz, des Hasses, der ethnischen Ausgrenzung, aller Gefahren der territorialen Machtansprüche, die wir überwunden glaubten, die übrigens nicht überwunden sind. Sie sind alle noch da. Auch in diesem Hause sitzen sie, die Propagandisten dieses Ungeistes. Dennoch müssen wir uns fragen, warum die junge Generation nicht so enthusiastisch für das Integrationswerk kämpft, das diesen Hass überwunden hat, wie dies Joseph Daul tut. Weil es eben Geschichte ist.

Wenn wir verhindern wollen, dass sich all das wiederholt, dann müssen wir gerade der jungen Generation sagen: Okay, das haben wir erreicht, und die Ansprüche, die ihr an uns stellt, dass der Frieden selbstverständlich ist, sind in Ordnung. Aber um ihn langfristig garantieren zu können, brauchen wir neue Methoden. Langfristig den Frieden zu garantieren bedeutet, das Klima in dieser Welt zu bewahren. Wenn immer mehr Zonen dieser Erde unbewohnbar werden, dann gibt es immer größere Migrationsströme, die den Frieden immer mehr destabilisieren. Frieden sichern in der Vergangenheit hieß Integration. Frieden sichern in der Zukunft ist, den Klimawandel umkehren. Soziale Stabilität heißt, dass junge Menschen wissen: Es gibt für mich eine reale Chance, eine würdige Arbeit zu finden mit einem würdigen Einkommen, von dem ich ein würdiges Leben leben kann. Auch die junge Generation hofft nicht, Millionär zu werden. Das ist ein schöner Traum. Aber heiraten zu können oder in einer Lebensgemeinschaft zusammenleben zu können, Kinder bekommen zu können, von denen man weiß, dass sie in Frieden aufwachsen können und eine soziale Perspektive haben, so wie ich auch – das ist das, was die Menschen wollen. Sie wollen, dass Europa ihnen das in dieser globalisierten Welt bietet.

Sie wollen ein Drittes, nämlich Bildung und Qualifizierung, denn wir alle wissen: Wenn in der Vergangenheit die Sicherung einer würdigen Rente, die Sicherung einer würdigen Krankenversicherung als Lebensbasis galt, die abgesichert sein muss, so ist dies in Zukunft der Zugang zu Qualifizierung und Bildung. Wenn Europa der wissensbasierte Kontinent mit der größten Wettbewerbsfähigkeit werden will, dann muss er gut ausgebildete und ein Leben lang lernende Menschen haben. Sonst funktioniert das nicht. Dann wird aber Qualifizierung und Bildung zum Baustein für eine sichere soziale Zukunft. Das heißt, was die Integrationsleistung – territorial und geographisch, ökonomisch und sozial – in den letzten fünfzig Jahren war, muss der Klimawandel, die Qualifizierung und Bildung und würdige Arbeit in den nächsten fünfzig Jahren sein. Das kann man in einem kurzen Text zusammenfassen. Je kürzer und prägnanter er ist, desto leichter ist die Botschaft vermittelbar. Der Erfolg der letzten fünfzig Jahre ist auf seine Art zustande gekommen, der Erfolg der nächsten fünfzig Jahre muss mit neuen Methoden zustande kommen. – Wenn es gelingt, dies gestützt vom Integrationswillen von 27 Staaten in dieser Erklärung zu formulieren, dann gehen wir an der Wegscheide, an der wir nun stehen, in die richtige Richtung.

(Beifall)

 
  
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  Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ein runder Geburtstag bietet immer eine gute Gelegenheit zu einer Bestandsaufnahme. Was ging in den Köpfen der europäischen Bürger vor, als die Römischen Verträge vor fünfzig Jahren unterzeichnet wurden? Zweifellos war damit ein Gefühl der Hoffnung verbunden, vielleicht auch des Optimismus, aber ganz sicher nicht die Gewissheit, dass dieses Experiment zum Erfolg führen würde. Und doch ist die Europäische Union das Fundament für die Sicherheit, den Wohlstand und die Chancen, die unsere Bürger heute genießen.

Wir leben in einem Europa, in dem Freiheit und Sicherheit herrschen, das Wohlstand und Chancen bietet, und in dem Gesellschaften und Volkswirtschaften offener sind als jemals zuvor. Unsere Generation hat mehr erhofft und erreicht als unsere Eltern jemals zu träumen gewagt hätten. Doch die Berliner Erklärung muss weniger unseren Stolz auf die Vergangenheit als vielmehr unsere Entschlossenheit für die Zukunft widerspiegeln.

Herr Ratspräsident, es ist bedrückend, dass dieser Prozess so undurchsichtig ist. An seinem Geburtstag freut sich jeder über eine Geburtstagsüberraschung, aber eine Aussprache über eine Erklärung zu führen, für die nicht einmal ein Entwurf vorliegt, ist grotesk! Sie haben Andeutungen über den möglichen Inhalt dieser Erklärung gemacht, Herr Ratspräsident. Sie haben uns versichert, dass die Strategen im Bundeskanzleramt noch mit Hochdruck daran arbeiten, aber es wird bestenfalls eine sehr beschränkte Möglichkeit bestehen, den Text zu erörtern. Es darf Sie also nicht überraschen, wenn sich viele von uns vor den Kopf gestoßen fühlen.

Wir wollen eine Erklärung, in der auf die zukünftigen Herausforderungen eingegangen wird, die wir bewältigen müssen, eine Erklärung, die uns die Möglichkeit gibt, unsere Verpflichtung gegenüber den Werten, den Zielen, der Zukunft der Europäischen Union zu bekräftigen – eine Erklärung, die unsere Bürger wieder in das europäische Aufbauwerk einbindet in einer Zeit, in der unsere Nationen mehr als je zuvor gemeinsam handeln müssen.

Ein erweitertes und offenes Europa braucht mehr Solidarität zwischen seinen Nationen und seinen Bürgern; wirtschaftliche Reformen, wie auf der Tagung des Europäischen Rates erklärt wurde; und einen erweiterten Auftrag zur Förderung unserer Werte in der Welt. Angesichts der globalen Herausforderungen einer wachsenden Weltbevölkerung und einer zunehmenden Migration, des Klimawandels, der international organisierten Kriminalität und des Terrorismus, bietet die Erklärung den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Bürgern zu erklären, weshalb die EU, jetzt mehr als je zuvor, so wichtig ist, weshalb wir mit Ländern außerhalb unserer Grenzen und mit Kulturen, die uns fremd sind, zusammenarbeiten müssen.

Die Europäer sollten davor keine Angst haben. Was Europa stark gemacht hat, ist seine Offenheit. Ein Rückzug in die Festung Europa, das überholte Konzept der Nationalstaaten und abgeschotteter Volkswirtschaften oder eines christlichen Fundamentalismus würden uns nur in die Vergangenheit zurückbefördern: in eine Zeit, in der Europäer nur eine Staatsbürgerschaft und nur eine nationale Identität besaßen.

Wir empfehlen dem deutschen Ratsvorsitz, die Erklärung kurz und einfach zu halten – was wir brauchen ist ein Text, der in Wittenberg an eine Kirchentür genagelt werden könnte. Oder, wenn die Kanzlerin zu beschäftigt ist, um diesen weiten Weg zu machen, wenigstens an eine Kirchentür am Wittenbergplatz!

Wie ich gehört habe, hat der Text derzeit einen Umfang von zwei Seiten. Wenn das zutrifft, ist er bereits eine Seite zu lang. Meine Kollegen von der Allianz der Liberalen und Demokraten im Ausschuss der Regionen haben eine Erklärung über den Auftrag der Europäischen Union verfasst, die eine Seite lang ist und die ich Ihnen empfehlen kann. In neun Punkten wird alles gesagt, was gesagt werden muss: dass die europäische Integration ein Erfolg ist und dass wir sie fortsetzen müssen.

(Beifall)

 
  
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  Cristiana Muscardini, im Namen der UEN-Fraktion. (IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! In seiner historischen Presseerklärung im Salon de l’Horloge in Paris am 9. Mai 1950 sagte Robert Schuman: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“

In den fünfzig Jahren seit Unterzeichnung der Verträge ist viel erreicht worden und sind zahlreiche gemeinsame Politiken zu Stande gekommen. Das politische Europa, dessen notwendige Verwirklichung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Nationalstaaten gleichwohl immer offenkundiger wird, fehlt jedoch. Ohne eine Außen- und Verteidigungspolitik wird die Union geschwächt bleiben: Ihre Verhandlungsmacht in den internationalen Beziehungen entspricht nicht der Größe und Bedeutung unserer Wirtschaft. Unser primäres Ziel besteht heute nach wie vor darin, die Debatte für einen neuen Vertrag – für den neuen Vertrag – wieder in Gang zu setzen, ohne zu vergessen, dass er durch zwei Gründerstaaten abgelehnt und von der Mehrheit der Mitgliedstaaten bereits ratifiziert worden ist.

Eine Union mit 27 Mitgliedstaaten ist mit Regeln, die für die Fünfzehn bereits kaum ausreichend waren, nicht funktionsfähig. Vonnöten sind eine bessere Rechtsetzung, Abhilfen für Blockierungen des Beschlussfassungsprozesses, Vereinfachung der höchst komplizierten Rechtsvorschriften sowie eine klare Rollenverteilung. Des Weiteren bedarf es einer Überprüfung und erneuten Bekräftigung unserer Werte und ihrer historischen und kulturellen Wurzeln, von der griechisch-römischen Geschichte über die jüdisch-christlichen Traditionen bis hin zur Errichtung des säkularen und liberalen Staates. Garantien für die Zukunft können nur aus dem Dialog zwischen den Kulturen erwachsen, um jedoch in einen Dialog mit anderen eintreten zu können, müssen wir zunächst uns selbst kennen und erkennen.

Die Zukunft Europas ist nicht möglich, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass die Gegenwart anders ist als vor fünfzig Jahren. Das Problem der Einwanderung, insbesondere der illegalen Einwanderung, nimmt gefährliche Ausmaße an und hat das Gesicht unserer Städte verändert. Aufgrund des Nebeneinanders unterschiedlicher Kulturen müssen wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um den Dialog sicherzustellen und die Einhaltung der Regeln zu verlangen. Erforderlich sind eine gemeinsame Politik und die gleichzeitige Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Sicherung der Grenzen, der inneren Ordnung und der Achtung der Menschenrechte. Das Einwanderungsproblem muss im Rahmen der Demokratie und Rechtmäßigkeit, unter Achtung der Menschenwürde sowie durch gemeinsame Bestimmungen angegangen werden: Ohne Anerkennung der Würde des Menschen gibt es keine echte Zivilisation.

Ein weiterer Aspekt unserer Zukunft betrifft die gegenseitige Achtung der Handelsvorschriften. Phänomene wie Fälschungen und Dumping, die Frage der Ursprungskennzeichnung und die gegenseitige Achtung der Grundsätze stellen Probleme dar, die entschlossen in Angriff genommen und gelöst werden müssen. Denn nur so kann verhindert werden, dass durch einen unfairen Markt die Produktionssektoren der Union zerstört werden und auch den aufstrebenden Ländern und den Entwicklungsländern langfristiger Schaden zufügt wird, was verheerende Folgen für die Beschäftigung und die Sozialpolitiken hätte.

Die Liberalisierung des Welthandels muss Hand in Hand gehen mit der Aufrechterhaltung der Wohlstandspolitiken, die eine Errungenschaft der europäischen Arbeitnehmer sind, und der Möglichkeit ihrer schrittweisen, aber unerlässlichen Anwendung auch in jenen Ländern, in denen sie heute noch nicht bestehen.

„Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen“, erklärte Schuman 1950, und er mahnte: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen“. Die ganze Welt ist durch den vom Dschihad-Fundamentalismus genährten Terror bedroht: Unsere Anstrengungen müssen mehr denn je mutig und schöpferisch sein.

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin, meine Herren Präsidenten, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ratspräsident, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zuversicht nehmen. Man kann jedoch auch über Zuversicht reden, aber sie nicht haben. Es wird über die Erfolge Europas gesprochen, einverstanden! Aber wenn wir schon über Reichtum und Stabilität reden, dann müssen wir auch über Armut reden, die es in Europa ja auch gibt. Davon habe ich heute noch nichts gehört.

Und wenn wir über den Rechtsstaat reden, dann müssen wir auch über die Bürgerinnen und Bürger reden, die kein Recht haben in Europa. Das wird oft vergessen, darauf komme ich noch zurück. Zum Thema Vertrauen zum Verfahren: Ja, ich gehöre zur Fraktion derer, die kein Vertrauen in das Verfahren haben. Geheimniskrämerei reimt sich nicht mit Dialog und demokratischer Öffentlichkeit. Das geht nicht. Und ich will Ihnen sagen: Ich glaube nicht an diese Sherpas, ich glaube nicht an die Beichtstühle, ich glaube nicht an all diese Mätzchen, denn am Ende muss in der Öffentlichkeit auch dargestellt werden, wo die Widersprüche zwischen den Einzelnen in Europa liegen.

Wir haben es doch beim Referendum in Frankreich gesehen. Wir haben es in den Niederlanden gesehen. Wenn wir nicht die Menschen in Europa mitnehmen, d. h. öffentlich diskutieren, wo wir Probleme haben, dann werden sie nicht mitgehen. Ich sage Ihnen: Kurz soll der Text sein, einfach soll er sein, aber nicht banal. Das ist die Gefahr Ihrer Strategie: die Banalität, die am Ende herauskommen wird. Deswegen schlage ich Ihnen vor: Sie haben über Klima geredet, dann seien Sie mutig in diesem Bereich! Formulieren Sie die Ziele ganz eindeutig, so dass wir sie verstehen! Die Ziele sind Folgende: Als Klimaziel maximal zwei Grad Erwärmung, das muss drin sein für die nächsten 50 Jahre. Ressourcen effizienter nutzen, aber nicht nur Energie — auch Wasser, Papier, Kupfer, Aluminium. Und: In fünfzig Jahren soll die Europäische Union ihre Energie zu 100 % aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen. Das wären Ziele, wo die Menschen sagen würden: Hoppla! Sie haben sich was vorgenommen! Ich bin gespannt, was in Ihrem Text steht.

Und wenn Sie schon vom Klima sprechen, dann müssen Sie sagen: Wir brauchen einen Stabilitätspakt. Wir müssen die Kommission befähigen, in den Ländern, die sich nicht an die Regeln halten, einzuschreiten — wie beim Stabilitätspakt für die gemeinsame Währung. Verbindliche Ziele ohne Sanktionen, das gibt es nicht einmal in meiner Pädagogik, und meine Pädagogik ist nun wirklich freiheitlich. Das ist sonst alles nicht einzuhalten.

Dann habe ich bei einem Punkt gezuckt, Herr Präsident. Sie haben gesagt, einer der Punkte ist der Kampf gegen die illegale Einwanderung. Bevor Sie ein Wort zu den 50 Millionen hier lebenden legalen Einwanderern gesagt haben, die die gleichen Rechte in Europa brauchen wie alle Europäer, haben Sie gleich über die illegalen Einwanderer geredet. Das ist das Problem Europas, dass wir diese Menschen nicht anerkennen, dass wir diese Menschen immer unter dem Begriff illegal subsumieren! Glauben Sie nicht, dass das ein kleines Problem ist! Es gibt ein kleines europäisches Land, was so stolz auf die französische Revolution ist. Einer der Hauptkandidaten hat gerade vorgeschlagen, ein Ministerium für Einwanderer und nationale Identität zu schaffen. Das ist die Gefahr, die Europa droht, nämlich dass wir die Einwanderer als Gefahr für unsere europäische Identität sehen. Sie schütteln den Kopf — reisen Sie einmal nicht nur in die Ministerien, sondern hören Sie zu, wie dieses Thema in den Cafés und den Kneipen Europas diskutiert wird! Dort sind die Menschen Europas. Wir liegen falsch, wenn wir immer nur von der illegalen Einwanderung sprechen und nicht von den Menschen, die hier integriert werden können. Da habe ich gezuckt, weil ich dachte „Oh la la, was kommt jetzt?“

Zum Schluss möchte ich Ihnen nur eines ganz klipp und klar sagen: Seien wir stolz auf die Grundwerte, die wir in der Grundwertecharta formuliert haben! Dazu gehört auch stolz zu sein, auf das, was wir gesagt haben: Freiheit der sexuellen Orientierung, Freiheit für Minderheiten, Freiheit für die Menschen. Das sind Dinge, die ich in der Berliner Erklärung wiederfinden will, und nicht irgendeinen Bezug auf Gott oder irgendwen, der uns hier nichts angeht.

(Beifall)

 
  
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  Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Kommissionsvizepräsidentin! Es ist meines Erachtens nicht nur folgerichtig, dass die Union den 50. Jahrestag ihres Einigungswerks begehen will, es kann sich zudem auch als nützlich erweisen, wenn wir diese Gelegenheit nutzen, um unsere bisherigen Fortschritte zu analysieren und die zwangsläufig widersprüchlichen Lehren aus dieser Geschichte zu ziehen. Wenn sich dies jedoch als simple Jubelfeier erweisen sollte, auf der alle Entscheidungen, die das europäische Aufbauwerk geprägt haben, hoch gelobt und alle ihre Ergebnisse kritiklos glorifiziert werden sollen, dann wären diese Feierlichkeiten aus Sicht der Geschichtsanalyse von geringer Bedeutung und mit Blick auf ihre politische Wirkung völlige Zeitverschwendung.

Alles deutet allerdings darauf hin, dass sich die Urheber der berühmten Berliner Erklärung für die letzte Möglichkeit entschieden haben. Das beginnt bereits bei den Vorbereitungen: Anstatt eine weitgehend öffentliche Konsultation durchzuführen, hat man sich dazu entschlossen, die Debatte der Staats- und Regierungschefs größtenteils hinter verschlossenen Türen zu führen. Dies ist in meinen Augen ein Fehler. Ein zweites Anzeichen geht aus dem Inhalt der Erklärung hervor. Wir werden offensichtlich einen ausgesprochen allgemein gehaltenen Text zu hören bekommen, der sich darauf beschränkt, eine zwangsläufig hervorragende und vorbildliche Bilanz des 50jährigen Aufbauwerks zu ziehen sowie die schlechterdings besonders selbstlosen gemeinsamen Werte und gewiss engagierten Zielsetzungen, vor allem im sozialen Bereich, aufzuzählen.

Glauben Sie denn wirklich, dass unsere Bürgerinnen und Bürger die Realität so rosig sehen? Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass eine Debatte zu Europa heute nur dann Wirkung zeigen kann, wenn sie auch ein angemessenes Maß an Kritik mit Blick auf die Vertrauenskrise beinhaltet, die seit einigen Jahren in nahezu allen Bereichen der Öffentlichkeit und in den europäischen Institutionen um sich greift.

Und diese Feststellung kommt nicht mehr allein nur aus meiner Fraktion. Ranghohe politische Entscheidungsträger, die mit den Gemeinschaftsgeschäften betraut sind, räumen privat oder in kleinem Kreise ein, dass es ein Problem zwischen dem Europa, wie es sich gegenwärtig entwickelt, und den Europäern gibt. Der letzte Vertreter dieser Gruppe war kein geringerer als ihr Kollege, Herr Präsident, der amtierende Vorsitzende des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister, Herr Steinbrück, der sich jüngst zu der Gefährdung – und ich zitiere – der „Legitimation der sozialen Marktwirtschaft“ in Europa geäußert hat, und dies nur zu Recht. Wir müssen uns also mit diesem Problem befassen, wenn wir unserem großen europäischen Vorhaben wieder mehr Bedeutung einhauchen wollen.

Weil sich die Union nach meinem Dafürhalten dafür rüsten soll, diese Krise unbeschadet zu überstehen, fordern meine Fraktion und ich ein Umdenken, damit wir uns bei den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge auf die notwendigen Veränderungen konzentrieren, um den Weg für eine tatsächlich Neubelebung des europäischen Einigungswerks zu ebnen.

(Beifall)

 
  
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  Nigel Farage, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Dies ist ein ganz normaler Vormittag in Euroland: Alle sind damit beschäftigt, sich auf die Schulter zu klopfen und einander zu versichern, was für ein fantastischer Erfolg die letzten 50 Jahre gewesen sind. Es herrscht ein schon fast religiös anmutender Glaube daran, dass diese Institutionen die Probleme der ganzen Welt lösen können, und das geht so weit, dass einige Redner hier davon überzeugt sind, dass die Berliner Erklärung in Zukunft sogar das Wetter bestimmen könnte!

Allerdings ist mir eine gewisse Verlagerung der Schwerpunkte aufgefallen: Sie alle reden jetzt viel mehr über Freiheit, Demokratie, Rechte und Werte, so als ob die Europäische Union diese Dinge erfunden hätte. Ich vermute Ihren Beweggrund darin, dass Sie auf diese Weise eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit der Frage, ob dieses Projekt funktioniert, vermeiden wollen.

Sehen wir uns nur einmal die Volkswirtschaften an. In den USA lag das BIP pro Einwohner bereits 1985 auf dem Niveau, das die EU heute erreicht hat. Was aber noch wichtiger sein dürfte ist die Tatsache, dass in den USA schon 1978 dieselbe Summe pro Kopf in die Forschung und Entwicklung investiert worden ist, wie derzeit in der EU. Wirtschaftlich gesehen, haben wir gegenüber den USA einen Rückstand von einer ganzen Generation. Das Sozialmodell funktioniert nicht und trotzdem scheint die Lösung darin zu bestehen, dass wir es weiter ausbauen wollen – mehr Regulierung, mehr Vorschriften –, und ich fürchte, dass dieses Projekt auch wirtschaftlich noch weiter zurückfällt.

Was die Politik betrifft, muss ich einräumen, dass Sie Ihre großen, glänzenden Gebäude in Brüssel, Straßburg und Luxemburg haben und dass es Ihnen gelungen ist, den Nationalstaaten über drei Viertel ihrer Gesetzgebungskompetenz wegzunehmen. Aber Sie haben etwas vergessen: Sie haben die Bürger vergessen und Sie haben die öffentliche Meinung vergessen. Bei den Volksabstimmungen ist Ihnen die Rote Karte gezeigt worden und Sie haben beschlossen, die Ergebnisse zu ignorieren. Dieser hinterlistige Versuch der deutschen Ratspräsidentschaft, hinter verschlossenen Türen ein Paket zu schnüren, das ohne eine Volksabstimmung bei den Mitgliedstaaten durchgedrückt werden kann, ist zum Scheitern verurteilt. Wenn Sie diese Vorgehensweise beibehalten, werden Sie genau die Intoleranz und den Extremismus erzeugen, dem Sie angeblich Einhalt gebieten wollen. Ich bitte Sie eindringlich darum, die Völker Europas zu fragen, ob sie dieses Projekt wollen oder nicht.

(Beifall von der Fraktion der IND/DEM)

 
  
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  Bruno Gollnisch, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Die Unterzeichnung der Römischen Verträge zwischen den sechs Gründerstaaten der Union vor fünfzig Jahren wurde von nahezu allen Seiten begeistert aufgenommen. Damals war der Zweite Weltkrieg, ein echter europäischer Bürgerkrieg, gerade vorüber und die Menschen sehnten sich nach Frieden und Aufschwung. Doch wo stehen wir fünfzig Jahre später?

In einem nach meinem Dafürhalten ausgesprochen interessanten Buch mit Gesprächen zwischen Michel Rocard und Kommissar Bolkestein ist zu lesen, dass sich die Union nach Meinung von Michel Rocard nicht länger europäisch nennen solle. In der Tat wurde Europa von dieser Union betrogen: Der freie Kapital-, Waren- und Personenverkehr in Europa verlangte nach sicheren Außengrenzen. Die Opfer, die die Menschen in den Mitgliedstaaten erbracht haben, setzten im Gegenzug ein Funktionieren des Präferenzsystems der Gemeinschaft voraus, das gegenseitige Zollpräferenzen für Waren aus den Mitgliedstaaten vorsieht. Doch das Gegenteil ist geschehen, denn ganz Europa ist nun in die Fänge der Globalisierung geraten; die Auswirkungen sind allgemein bekannt. Wir dürfen nicht länger die Augen vor dieser Realität verschließen. Entweder sind wir für einen weltweiten Freihandel oder wir schaffen einen regionalen Block innerhalb von Europa; beides ist nicht möglich.

Die Folgen sind bekannt: Unsere Industriezweige werden nach und nach in den Ruin getrieben, unsere Landwirtschaft stirbt bis 2013 einen langsamen Tod und selbst die Tage unserer Dienstleistungen sind gezählt. Europa hat mit der unüberlegten Öffnung seiner Grenzen zu Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Armut beigetragen. Herr Schulz hat etwas ganz Entscheidendes gesagt: Europa muss dafür Sorge tragen, dass junge Menschen über einen Arbeitsplatz verfügen, um eine Familie gründen und sich einen gewissen Wohlstand erarbeiten zu können. Doch wenn sogar Herr Schulz dies sagt und als Ziel für die Europäische Union definiert, dann ist es schon so, dass die Union diesem Mindestziel, das in allen anderen Teilen der Welt, die sich weitaus besser entwickeln als die Union, viel erfolgreicher umgesetzt wird, seit 50 Jahren nicht gerecht geworden ist.

Wir sollten also wieder stolz auf unsere Wurzeln, unsere Traditionen und unsere eigenständigen Nationen sein! Dies hat nichts mit Hass zu tun, Herr Schulz. Lassen Sie uns auf allen Ebenen und in allen Bereichen wieder zu einer gesunden und fruchtbaren Zusammenarbeit zurückfinden. Der Name unserer Fraktion – Tradition, Identität und Souveränität – ist in diesem Zusammenhang ein erstes Anzeichen, dass Europa ein neuer politischer Frühling bevorsteht.

 
  
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  Roger Helmer (NI). – (EN) Herr Präsident! In dieser Berliner Erklärung wird nicht berücksichtigt, dass uns die EU ärmer, undemokratischer und unfreier macht. Darin wird versucht, das eine große Thema auszuklammern, das die Staats- und Regierungschefs der ganzen EU wirklich bewegt: Dieses alles beherrschende Thema namens Europäische Verfassung.

Vor zwei Jahren haben die Bürger Frankreichs und der Niederlande die EU-Verfassung klar und deutlich abgelehnt und nun sollte diese Verfassung begraben, am Ende und endgültig vom Tisch sein. Doch genau wie Dracula oder Frankenstein ist sie nicht totzukriegen. Unsere Ratspräsidentin, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist fest entschlossen, die Verfassung mit allen ihren wesentlichen Elementen wiederzubeleben, ohne zurückzublicken und das Votum der Wähler in Frankreich oder den Niederlanden zu berücksichtigen. Wir kennen die geplante Vorgehensweise, und wir werden dafür sorgen, dass die Bürger davon erfahren.

Als Erstes wird der Rat alle die Elemente herausnehmen, die Probleme verursachen, mit denen aber lediglich der Status quo neu formuliert wird. Warum soll man die Wähler mit Diskussionen über die Vorrangstellung des EU-Rechts beunruhigen, wenn diese Vorrangstellung in der Praxis längst existiert? Schon allein das Wort „Verfassung“ hat Unruhe ausgelöst und deshalb wird man sagen, dass es sich lediglich um einen Vertrag oder eine abgeschwächte Form eines Vertrags handelt. Der Rat wird jedes verfahrenstechnische Mittel, alle nationalen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und alle zeitlichen Möglichkeiten nutzen, um sicherzustellen, dass keine Volksabstimmungen stattfinden, oder nur in kleinen Ländern durchgeführt werden, nachdem alle größeren Länder bereits ratifiziert haben. Schon jetzt können wir beobachten, wie die Labour-Regierung in Großbritannien versucht, die Öffentlichkeit einzulullen, bevor sie ihr feierliches Versprechen, ein Referendum durchzuführen, bricht. „Es geht lediglich um verwaltungstechnische Details“, so wird die Regierung argumentieren, „die die Durchführung einer Volksabstimmung nicht rechtfertigen“.

Wir rühmen uns, eine Union der Werte zu sein, deren Fundamente Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind, und doch zeigen wir in diesem Verfahren, wie sehr wir unsere Bürger und ihre Meinung missachten. Wir trampeln auf ihrer Identität und ihren Interessen herum. Wir setzen uns über die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie hinweg, aber es wird Ihnen nicht gelingen, alle Bürger ständig an der Nase herumzuführen. Wenn die Gegenreaktion kommt, und sie wird kommen, wird von diesem gescheiterten europäischen Projekt nichts mehr übrig bleiben.

 
  
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  Der Präsident. – Herr Helmer, wir wünschen Ihnen ein langes Leben, und Ihre Erfahrungen im Europäischen Parlament werden sicherlich zu einem langen Leben beitragen. Also, wie gesagt, alles Gute für Sie.

 
  
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  Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident! Es tut mir leid, dass ich die Aussprache an dieser Stelle unterbreche, aber vor den Erklärungen der Kommission und des Rat zur Aussprache von heute Morgen möchte ich darauf hinweisen, dass von keinem einzigen Redner die religiöse Toleranz der Europäischen Union erwähnt worden ist. Niemand hat darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass in der Erklärung klar zum Ausdruck gebracht wird, dass die Europäische Union alle Religionen respektiert, dass sie eine säkulare Einrichtung ist und dass sie ihren demokratischen und säkularen Charakter erhalten muss, wenn sie ihren Zusammenhalt sichern will.

 
  
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  Der Präsident. Herr Kollege! Das war keine Bemerkung zur Geschäftsordnung, aber wir nehmen es gleichwohl zur Kenntnis!

 
  
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  Frank-Walter Steinmeier, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident! Herzlichen Dank, dass ich noch einmal die Gelegenheit habe, diese Diskussion kurz aufzunehmen. Ich will sie nicht sehr umfangreich kommentieren, sondern mich in erster Linie für Ihre Beiträge bedanken.

Die Diskussion hat aber gleichzeitig deutlich gemacht, Herr Leinen, dass die gemeinsame Verständigung über den Inhalt der Werte innerhalb dieser Berliner Erklärung eben doch nicht so einfach ist. Die Spannbreite, die sich hier in der Diskussion gezeigt hat – von eher auf das Verfahren bezogenen Erwartungen wie der Gemeinschaftsmethode auf der einen Seite bis hin zu Erwartungen an anspruchsvolle Klimaziele und Freiheit der sexuellen Orientierung, Herr Cohn-Bendit auf der anderen Seite –, zeigt eben, wie schwierig es ist, in einer Berliner Erklärung die gesamte Spannbreite dieser Diskussion auf zwei Seiten zu erfassen.

Ich kann Ihnen aber versichern: Wenn wir uns darum bemühen, die Spannbreite der Diskussion einigermaßen fair und mit Blick auf die Geschichte der Europäischen Union abzubilden, startet niemand bei Null. Wir haben in diesen 50 Jahren gemeinsame Dokumente geschaffen, auf die wir uns beziehen können. Diskussionen zwischen Europäischem Parlament, Kommission und den Mitgliedstaaten finden ja auch nicht nur zum Zwecke der Verfertigung einer Berliner Erklärung statt, sondern wir greifen diese Erfahrung auch auf für den anspruchsvollen Versuch, den Stand der Europäischen Union und die Herausforderungen an die Zukunft festzuhalten.

Herr Cohn-Bendit, an Ihre Adresse gerichtet würde ich gerne noch eines richtig stellen. Das war ja ein kleines Lehrstück für Demagogie, das Sie hier geliefert haben. Aber natürlich bin ich nicht ganz so einfältig, dass ich in meinem Wortbeitrag vom Kampf gegen illegale Migration gesprochen hätte. Ich habe zwar verstanden, dass Sie sozusagen diese Folie brauchten, um Ihren Vortrag danach auszurichten, aber ich habe über die Freiheit der Menschen und Bürgerrechte gesprochen, und ich habe in diesem Zusammenhang von einem gemeinsamen Umgang mit illegaler Migration gesprochen und das ist nicht nur eine Nuance. Ich bitte Sie also, dies auch in Zukunft wahrzunehmen. Sie können jemandem, der nicht nur zufällig, sondern mit dem Herzen in Berlin wohnt, schon zutrauen, dass er auch ein bisschen etwas versteht von den Problemen, die Migration und Einwanderung mit sich bringen und etwas spürt von der Verpflichtung, die wir in den Nationalstaaten haben, unsere Politik in diesem Sinne auszurichten.

(Beifall)

Allen anderen will ich sagen, dass die Diskussion, die ich hier heute noch einmal gehört habe, gar nicht so weit entfernt ist von der Diskussion, die Sie, Herr Präsident, mit den Regierungschefs der Mitgliedstaaten beim Abendessen in der vergangenen Woche geführt haben. Nach meinem Eindruck deckt sich das, was an Wünschen und Erwartungen an uns herangetragen wird, zu 90% mit dem, was wir an Stichworten und Zurufen auch in der Diskussion am vergangenen Donnerstagabend gehört haben. Insofern müssen Sie jedenfalls nicht befürchten, dass bei unserem anspruchsvollen Versuch, daraus eine Berliner Erklärung zu formulieren, all zu vieles aus der Diskussion verloren geht. Aber wir haben natürlich die Aufgabe, das in eine Form zu bringen, die der Erwartung der allgemeinen Verständlichkeit noch Rechnung trägt.

Was also, Herr Leinen, die Gemeinschaftsmethode betrifft: So sehr ich weiß, dass sie im Gespräch zwischen Europrofis ein Stichwort darstellt, das Konnotationen freisetzt, die uns etwas sagen – Stichwörter wie „Gemeinschaftsmethode“ müssen dennoch umgesetzt werden und dürfen sich nicht als solche im Text wiederfinden. Aber wir werden gewährleisten, dass solche Erwartungen ihrem Sinn nach erfasst werden.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, Herr Ratspräsident! Wenn Sie von der Stärke der Europäischen Institutionen sprechen, dann würde das in etwa das auch wiedergeben.

 
  
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  Margot Wallström , Vizepräsidentin der Kommission. – (EN) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe zwei kurze zusätzliche Anmerkungen zu diesem interessanten Beitrag zur Aussprache über den Inhalt der Berliner Erklärung.

Die Erste hat damit zu tun, dass das europäische Bauwerk oder das europäische Projekt nicht „fertig“ ist – und niemals völlig fertig sein wird. Es ist ein Bauwerk, an dem wir kontinuierlich weiterbauen, und ich glaube, unsere derzeitige Arbeit ist ein Beispiel dafür. Mit all den Erfolgen und Fehlschlägen, die es dabei gegeben hat, arbeiten wir weiter an diesem Bauwerk. Wir ergänzen dieses Puzzle oder dieses Bauwerk Europa um ein weiteres Stück und ich halte es für wichtig, dass wir, wie viele von Ihnen hervorgehoben haben, nicht nur zurückblicken, sondern uns vielmehr auf das konzentrieren, was wir für die Zukunft erreichen wollen. Wie sieht es mit den heute Zwanzigjährigen und ihren Zukunftsträumen aus? Wie können wir diese Träume beschreiben? Wie können wir eine Vision für die Zukunft entwerfen?

Sie sind die direkt gewählten Vertreter der Völker Europas. Ihre Aufgabe ist es, aufmerksam zu registrieren, was die Menschen bewegt, und darüber haben Sie in der heutigen Aussprache berichtet: Sie haben uns über das informiert, was Sie gehört haben, über Ihren Eindruck von dem, was wichtig ist und in diese Erklärung aufgenommen werden muss.

Meine zweite Anmerkung ist, dass wir den Aufbau des europäischen Projekts, die europäische Zusammenarbeit, nicht weiterführen können, wenn wir die Bevölkerung nicht hinter uns haben, wenn wir nicht demokratisch, offen und transparent arbeiten. Dies ist völlig klar und so sehr Sie das auch kritisieren, das ist genau der springende Punkt, nicht wahr? Was Sie hier sagen, wird gehört – diese Aussprache ist offen, sie ist öffentlich und darüber wird in den Medien berichtet. Wir wissen, dass es unmöglich ist, 450 Millionen Menschen in die Erarbeitung des Inhalts eines zwei Seiten langen Texts einzubeziehen, aber wir können sicherstellen, dass das, was Sie gehört haben und das, was unserer Ansicht nach und von verschiedenen politischen Standpunkten aus betrachtet am Wichtigsten ist, an diejenigen weitergegeben wird, die diesen Text jetzt erarbeiten. Darum geht es in dieser Aussprache.

Deshalb muss eine unserer grundlegenden Aufgaben darin bestehen, den Kampf für die Demokratie fortzusetzen, und die Suche nach zeitgemäßen Wegen zur Einbeziehung unserer Bürger muss ein wichtiges Element der Erklärung sein, um zu zeigen, dass dies möglich ist.

So sehr wir alle unsere nationale Identität als etwas außerordentlich Wichtiges betrachten, sehen wir doch keinen Widerspruch darin, uns auch als Europäer zu fühlen oder als Weltbürger oder Globetrotter oder was immer Sie wollen. Wir meinen, dass es möglich ist, unsere Augen aufzumachen und unseren Horizont zu erweitern und aus diesem Grund glauben wir an diese Zusammenarbeit im europäischen Projekt. Ich hoffe, dass wir deshalb hier zusammengekommen sind und dass wir nicht nur das zusammenfassen, worauf wir in der Geschichte der Europäischen Union stolz sind, sondern auch unsere Hoffnungen für die nächsten 50 Jahre der europäischen Zusammenarbeit und Integration formulieren.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Alexandra Dobolyi (PSE), schriftlich. (HU) Wir müssen in der Lage sein, den Bürgern Europas eine Perspektive für die Zukunft zu geben. Die Berliner Erklärung muss enormes politisches Gewicht tragen. Heute reicht es nicht mehr, über die großartigen Erfolge der vergangenen 50 Jahre zu sprechen, sondern wir müssen nach vorne schauen und wir müssen fähig sein, den Bürgern Europas eine Richtung für die Zukunft zu zeigen.

Die Integration der EU muss weitergeführt werden. Ungarn kann von einem stärker integrierten Europa profitieren, einem Europa, das in der Lage ist, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen und Frieden, Entwicklung und Sicherheit auf dem Kontinent langfristig zu garantieren.

Europa steht vor zunehmend schwierigen Herausforderungen, innerhalb wie außerhalb, die unsere Zukunft und die unserer Kinder bedrohen. Armut, demographische Probleme, globaler Klimawandel, internationaler Terrorismus, organisiertes Verbrechen, Energiefragen: Dies alles sind Gefahren, die angemessene und komplexe Antworten und Lösungen verlangen. Wir können dies nur erreichen, wenn wir Europäer auch stärker und vereinter sind.

Abschließend ist zu sagen, dass die Erklärung die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten für eine gemeinsame Zukunft, den inneren Zusammenhalt der Union zu stärken und vor allem die Sicherheit und das Wohl ihrer Bürger zu berücksichtigen, unbedingt zum Ausdruck bringen muss.

 
  
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  Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom März sind ein weiterer unwiderlegbarer Beweis für die Rolle der EU als Mechanismus zur Förderung der Optionen des Kapitals. Anstatt Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen, werden Maßnahmen eingeleitet, um Unternehmen zu schützen und die Monopole zu stärken.

Die räuberische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch das Kapital ist die Hauptursache für die signifikanten Klimaänderungen und die reale Gefahr der ökologischen Zerstörung des Planeten. Doch anstatt mutige Maßnahmen zu ergreifen, um zumindest die Zügellosigkeit der Monopole einzuschränken, werden Beschlüsse gefasst, um den Wettbewerb auf den Strom- und Erdgasmärkten zu stärken, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Privatsektor den gesamten strategischen Bereich der Erzeugung, Übertragung und Verteilung der Energie zu überlassen.

Die Mitte-Rechts- und die Mitte-Links-Regierungen haben sich einhellig verpflichtet, die Umsetzung der volksfeindlichen Lissabon-Strategie zu beschleunigen. Ihre primären Zielsetzungen sind dabei die Kommerzialisierung von Bildung und Gesundheit und der Angriff auf die Versicherungsfonds, die Renten- und Lohnansprüche sowie die sozialen Rechte der Arbeitnehmer. Zugleich wird die Förderung härterer arbeitnehmerfeindlicher Maßnahmen sowie die Förderung der „Anpassungsfähigkeit“ des Arbeitsmarktes und der „flexiblen Sicherheit“ noch stärker vorangetrieben mit dem Ziel, die Lohnkosten niedrig zu halten, um die Profite des EU-Kapitals zu steigern.

Die Kommunistische Partei Griechenlands kämpft gegen diese Optionen, sie propagiert die gerechtfertigten Forderungen der Arbeitnehmer und setzt sich zusammen mit ihnen dafür ein, die gegenwärtigen Bedürfnisse der breiten Volksschichten zu befriedigen.

 

4. Tagung des Europäischen Rates (8./9. März 2007) (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht des Europäischen Rates und Erklärung der Kommission (Tagung des Europäischen Rates 8./9. März 2007).

 
  
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  Frank-Walter Steinmeier, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine Damen und Herrn, Herr Kommissar! Gestatten Sie mir, dass ich im Anschluss an unsere Debatte zur Berliner Erklärung das Hohe Haus über die Ergebnisse des Frühjahrsgipfels unterrichte. Ich tue das gern und lassen Sie mich gleich — obwohl eben bemerkt wurde, dass wir uns zu häufig loben — vorwegnehmen: Aus der Sicht des Vorsitzes — aus meiner Sicht — war das in der Tat eine erfolgreiche Ratstagung, ein Gipfel, der Antworten gegeben hat in Bereichen, in denen die Bürgerinnen und Bürger, wie ich finde, mit Recht ein entschlossenes europäisches Handeln erwarten, ein Gipfel, der gezeigt hat, dass die Europäische Union allen Unkenrufen zum Trotz auch im erweiterten Kreis handlungsfähig sein kann und dass die Mitgliedstaaten — unterstützt und vorangetrieben durch die Kommission und das Parlament — in der Lage sind, ihre Differenzen zu überwinden und sich ehrgeizige gemeinsame Ziele zu setzen, auch wenn die Entscheidungen natürlich im Einzelnen nicht immer leicht fallen mögen.

Es war auch ein Gipfel, der gezeigt hat, dass die Union bereit ist, sich den drängenden Aufgaben der Zukunft zu stellen, ein Gipfel, der Schwung verleiht, der Mut macht, dass es uns gelingen kann, auch den ins Stocken gekommenen Reform- und Erneuerungsprozess der Europäischen Union in den kommenden Monaten mit neuem Leben zu erfüllen.

Das ist neben den konkreten internen Ergebnissen, auf die ich natürlich gleich zu sprechen komme, die Botschaft, die von unserem letzten Gipfeltreffen ausgeht, das ist das Signal, das wir in zwei Wochen — wir sprachen gerade darüber — aufgreifen wollen, wenn wir in Berlin und in ganz Europa den 50. Jahrestag der Union begehen. Das ist der Impuls, den wir auch in die zweite Hälfte unserer Präsidentschaft mit hinüber nehmen möchten.

Im Mittelpunkt der Frühjahrstagung — Sie wissen es — standen die Energie- und die Klimapolitik. Beide Themen sind zu Recht sehr weit oben auf der Sorgenliste der Menschen in Europa, und gerade die letzten Jahre und Monate — zuletzt der Erdölstreit zwischen Weißrussland und Russland — haben uns doch noch einmal eindringlich vor Augen geführt, wie abhängig wir von Energieimporten sind, wie verwundbar die europäische Wirtschaft in Fragen wie diesen ist.

Ebenso offenkundig — Sie haben es eben auch angemerkt — sind die Folgen des Klimawandels. Umweltkatastrophen, das Abschmelzen der Gletscher, der Anstieg des Meeresspiegels, Dürre — das sind alles keine abstrakten Schlagworte mehr, es sind sehr reale Bedrohungen geworden. Internationale Studien belegen, welchen Preis es hat, wenn wir jetzt nicht handeln, welche Kosten wir unseren Kindern und Enkeln aufbürden, wenn wir untätig bleiben.

Sie kennen das Ergebnis der Gipfelberatungen, und ich hoffe, Sie stimmen mir in meiner Einschätzung zu: Mit ihren Beschlüssen haben die Staats- und Regierungschefs die Tür aufgestoßen zu einer ambitionierten und — wie ich finde — verantwortungsvollen Klima- und Energiepolitik in Europa, zu einer Politik, die das Ausmaß der Probleme, vor denen wir stehen, nicht mehr beschönigt, sondern wirksame Strategien sucht, um diesen Problemen zu begegnen.

Wir sind einen großen Schritt in Richtung einer integrierten Klima- und Energiepolitik gegangen — integriert deshalb, weil das eine ohne das andere nicht möglich ist; weil das weitaus größte Klimarisiko heute die Erzeugung, der Verbrauch von Energie durch den Menschen ist. Das gilt natürlich insbesondere für die Treibhausgasemissionen. Mit den Beschlüssen von Brüssel bleibt die EU Vorreiter beim internationalen Klimaschutz. Sie ermöglichen uns einen glaubwürdigen Einstieg in die anstehenden Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll.

Die EU verpflichtet sich einseitig und unabhängig, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, und es wird großer Anstrengungen aller Mitgliedstaaten bedürfen, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Staats- und Regierungschefs sind aber noch weiter gegangen: Wir haben sogar eine Reduktion um 30 % im selben Zeitraum versprochen, sofern andere Industrieländer und wirtschaftlich fortgeschrittene Entwicklungsländer mitziehen. Erreichen können wir diese Ziele nur, wenn wir uns auch energiepolitisch auf den Weg in die Zukunft machen. Deshalb wurde in Brüssel, zusammen mit den Klimazielen, ein umfassender energiepolitischer Aktionsplan beschlossen.

Herzstück dieses Aktionsplan sind zwei Zielvorgaben: Der Energieverbrauch innerhalb der Europäischen Union soll, gemessen an der erwarteten Entwicklung bis 2020, durch mehr Energieeffizienz um 20 % gesenkt werden, und, entscheidend, der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch soll auf mindestens 20 % erhöht werden.

Sie erinnern sich, dass wir gerade um die Verbindlichkeit des letzten Ziels sehr gerungen haben. Einige Mitgliedstaaten hatten Vorbehalte, dass diese Vorgabe möglicherweise zu ehrgeizig sein könnte. Ich bin sehr froh, dass wir uns am Ende auf die Verbindlichkeit einigen konnten, denn gerade an diesen drei Zielen, die ich eben genannt habe, wird deutlich, wie sehr Klima- und Energiepolitik zusammenhängen. Ohne die Anstrengungen bei erneuerbaren Energien und bei Energieeffizienz könnte die EU das selbstgesteckte Klimaziel ganz eindeutig nicht erreichen.

So wie wir uns gemeinsam auf die Verbindlichkeit des Ziels bei erneuerbaren Energien verständigt haben, so gemeinschaftlich und fair werden wir auch nun vorgehen, wenn es darum geht, das europäische Ziel in nationale Vorgaben aufzuteilen. Wir werden dabei die unterschiedliche Ausgangslage, die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen haben, und die Kommission ist aufgefordert — und hat diese Aufgabe angenommen —, noch in diesem Jahr für diese Aufteilung einen Vorschlag vorzulegen.

Das ist jetzt nicht der Ort, um den Energieaktionsplan in allen Teilen wiederzugeben. Wichtiger ist aus meiner Sicht eine Gesamtwürdigung hier in diesem Hohen Haus, und da bleiben eben neben den genannten Zielen, wie ich sie eben vorgestellt habe, vor allen Dingen auch die strategischen Weichenstellungen festzuhalten, die z. B. in den Bereichen der Ausgestaltung des Energiebinnenmarktes, der Versorgungssicherheit, der internationalen Energiepolitik, der Energieforschung und der neuen Energietechnologien getroffen wurden.

Einen Aspekt aus diesen fünf Beispielen möchte ich herausgreifen: Versorgungssicherheit werden wir auf mittlere und lange Sicht nur gewährleisten können, wenn es uns gelingt, Energiequellen und Transportrouten zu diversifizieren. Das heißt konkret: Intensivierung der Beziehungen zu den wichtigen Erzeugerländern, Gestaltung tragfähiger Energieaußenbeziehungen, auch mit den Ländern Zentralasiens und den Anrainerstaaten des Schwarzen und des Kaspischen Meeres, und natürlich auch Pflege unserer Energiebeziehungen zu den Golfstaaten und zu Nordafrika. Es heißt aber auch zuverlässige und transparente Energiebeziehungen, auch zu Russland. Deshalb setzen wir uns als Präsidentschaft weiterhin für den baldigen Beginn der Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen auch mit Russland ein.

Gewiss, die Ergebnisse beim Klimaschutz und bei der Energiepolitik sind besonders wichtig. Der Europäische Rat hat sich aber — Sie sehen das in den Schlussfolgerungen — nicht nur darauf beschränkt. Der Frühjahrsgipfel ist traditionell eine Bestandsaufnahme der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung, und wichtig ist zunächst: Die reformierte Lissabon-Strategie greift. Es gibt sichtbare Erfolge, die sich europaweit in gestiegenen Wachstumszahlen und sinkenden Arbeitslosenzahlen niederschlagen, aber die Botschaft lautet eben auch, es ist jetzt nicht die Zeit, um die Hände in den Schoß zu legen. Ganz im Gegenteil! Wir wollen das positive Momentum nutzen: Die Fortsetzung der Strukturreformen und die konsequente Konsolidierung der öffentlichen Haushalte sind aus meiner Sicht alternativlos.

Der europäische Binnenmarkt muss in wichtigen Bereichen — ich nenne an dieser Stelle noch einmal Strom und Gas, Postdienstleistungen, aber auch Finanzmärkte — ausgebaut und vollendet werden. Dazu gehört auch — zu den Schlussfolgerungen vom vergangenen Freitag — der Abbau des Defizits bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht. Hier sind wir zwar in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Ich erinnere daran, dass das Umsetzungsdefizit noch im Jahr 2000 3 % betrug, heute nur noch 1,2 %, und wir wissen, dass die Anstrengungen fortgesetzt werden müssen. Deshalb hat der Europäische Rat am vergangenen Freitag eine weitere Minderung dieses Defizits auf 1 % bis 2009 beschlossen.

Die Lissabon-Strategie wird in den Augen der Bürgerinnen und Bürger aber nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, auch die soziale Dimension weiterzuentwickeln — das gilt gerade auch angesichts der positiven Entwicklung auf den Arbeitsmärkten. In diesem Zusammenhang haben die Staats- und Regierungschefs betont, wie wichtig angemessene Arbeitsbedingungen, die Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie eine familienfreundliche Arbeitsorganisation sind.

Ein weiteres Element der Beschlüsse will ich kurz hervorheben: bessere Rechtsetzung und Abbau von Bürokratielasten. Auch hier haben wir in der Vergangenheit mühsam einige Fortschritte erzielt, aber natürlich dürfen auch — und gerade — hier die Anstrengungen in Zukunft nicht nachlassen. Insbesondere wollen wir den durch EU-Vorschriften verursachten Verwaltungsaufwand, die so genannten Bürokratielasten, bis 2012 um 25 % verringern, und die Mitgliedstaaten sind aufgerufen, sich im Laufe des nächsten Jahres ähnlich ambitionierte nationale Ziele zu setzen.

Kommissionspräsident Barroso hat in der abschließenden Pressekonferenz am Freitag ein — wie ich finde — sehr freundliches, geradezu schmeichelndes Wort zur Einschätzung der gerade erst beendeten Ratstagung gefunden: In Bezug auf die Ergebnisse und formulierten Ziele sei das, so Barroso, der bedeutendste Gipfel gewesen, an dem er in seiner Amtszeit teilgenommen hat. Ich sage auch vor diesem Hohen Hause. Dieser Erfolg, sehr geehrter Herr Kommissar, wäre nicht möglich gewesen ohne die ausgezeichneten Vorarbeiten der Kommission, aber auch nicht ohne die Unterstützung aus dem Europäischen Parlament, für das Sie, sehr geehrter Herr Pöttering, als neu gewählter Präsident erstmals an einer Tagung des Rates teilgenommen haben.

Die Europäische Union ist auf dem Weg zu einer modernen und zukunftsgerechten Klima- und Energiepolitik. Die Staats- und Regierungschefs haben gezeigt, dass Europa in wichtigen globalen Fragen eine Vorreiterrolle übernehmen kann. Das Signal des Gipfels ist aus meiner Sicht: Wenn wir Europäer unsere Kräfte bündeln, wenn wir gemeinsam handeln, dann können wir Zukunft erfolgreich gestalten. Ganz im Sinne des Mottos der deutschen Ratspräsidentschaft, das wir auch als Leitsatz den Schlussfolgerungen vorangestellt haben und das ich in der Debatte bereits einmal erwähnt habe: Europa gelingt gemeinsam!

(Beifall)

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die Kommission dankt dem Europäischen Rat und der deutschen Ratspräsidentschaft für die weit reichenden und mutigen Ziele, die der Europäische Rat in der vergangenen Woche anvisiert hat, und wir danken Ihnen für das unmissverständliche Signal, das Sie der übrigen Welt gegeben haben und das mit großer Aufmerksamkeit in der ganzen Welt registriert worden ist: Das Signal nämlich, dass wir es in Europa ernst meinen mit dem Klimaschutz, mit der Entwicklung einer gemeinsamen Energiepolitik und mit der Verteidigung unserer Wettbewerbsfähigkeit. Und nicht zuletzt war ein wichtiges Ergebnis dieses Rates, dass diejenigen ins Unrecht gesetzt worden sind, die behauptet haben, eine Union von 27 Mitgliedstaaten sei nicht mehr handlungsfähig. Das war die erste große Herausforderung für die Union der 27 und ich glaube, sie hat sie bestanden.

Es war ein guter Gipfel für unsere europäische Politik der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung im Rahmen der Lissabon-Strategie. Die Staats- und Regierungschefs haben anerkannt, dass die neue Strategie die erhofften Ergebnisse bringt und einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung geleistet hat, eine Erholung, die sich darstellt in einem Aufwärtstrend des Bruttoinlandsprodukts mit einem Wachstum von 2,9 % im Jahre 2006. Wir erwarten nun, dass allein in den nächsten zwei Jahren in der Europäischen Union sieben Millionen neue Arbeitsplätze entstehen und wir tatsächlich der Erreichung der ursprünglichen Lissabon-Ziele aus dem Jahr 2000 doch sehr nahe kommen werden.

Die Staats- und Regierungschefs haben klargestellt, dass wir uns mit den ersten Anzeichen einer stärkeren wirtschaftlichen Dynamik nicht zufrieden geben dürfen. Ich stimme dem zu, was Herr Steinmeier eben gesagt hat: Europa hat jetzt die große Chance, das Reformtempo noch einmal zu erhöhen. Wir haben die Trendwende noch nicht geschafft. Der Negativtrend hat sich verlangsamt, das ist wahr, aber wir haben es noch nicht geschafft. Wir können nur sagen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Das zeigt sich auch darin, dass der Europäische Rat die länderspezifischen Empfehlungen unterstützt hat, die die Kommission zum ersten Mal abgegeben hat. Sie sollten bitte nicht unterschätzen, dass die Mitgliedstaaten auf einem Gebiet, für das sie allein zuständig sind, akzeptiert haben, dass die Kommission länderspezifische Empfehlungen für ihre nationale Agenda vorgelegt hat, und dass diese Empfehlungen ohne Auseinandersetzung vom Europäischen Rat einstimmig angenommen worden sind. Das zeigt, dass wir zum ersten Mal einen funktionierenden Mechanismus der wirtschaftspolitischen Koordinierung in Europa haben.

In diesem Jahr werden wir uns nun bereits der Vorbereitung des nächsten, also des zweiten Dreijahreszyklus der Wachstums- und Beschäftigungspolitik zuwenden, und die Kommission sieht heute bereits drei klare Notwendigkeiten.

Wir werden erstens die Klima- und Energiepolitik vollständig in die europäische Wachstums- und Beschäftigungspolitik integrieren müssen. Das muss eine Politik aus einem Guss sein.

Zweitens wird es absolut erforderlich sein, den dritten Pfeiler dieser Strategie zu stärken, nämlich den Beschäftigungspfeiler, die soziale Dimension, mit Schwerpunkt insbesondere auf der Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der Menschen in Europa. Was wir vor uns sehen, ist ja eine ganz neue Entwicklung. Wir werden zunehmend Mangel haben in bestimmten Regionen und Sektoren an ausreichend ausgebildeten Arbeitskräften. Wir müssen die Beschäftigungsfähigkeit vor allem dadurch erhöhen, dass Bildung und Ausbildung verstärkt werden.

Die dritte große Aufgabe im Zusammenhang mit der Überprüfung der Lissabon-Strategie wird die Erhöhung ihrer Sichtbarkeit sein. Es heißt ja: „Tu Gutes und rede darüber“. Vielleicht reden wir ein bisschen zu wenig darüber, dass wir eine europäische Antwort haben auf die globale ökonomische Herausforderung, und es sollte viel stärker in die nationale politische Debatte einbezogen werden, dass europäische Integration, gemeinsames europäisches wirtschaftliches Handeln die Antwort ist, die wir brauchen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wettbewerb zu behalten.

Zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau — ein Thema, dass mir besonders am Herzen liegt — nur ein kurzes Wort: Es ist wichtig, dass dazu aufgefordert wurde, dass Parlament und Rat in Zukunft noch stärker auf die Folgeabschätzungen zurückgreifen sollten. Die Qualität der Gesetzgebung ist das A und O des gesamten Projekts.

Die Voraussetzung dafür sind gute Folgekostenabschätzungen. Das gesamte Projekt der Rechtsvereinfachung und des Bürokratieabbaus ist jetzt in allen seinen Teilen wirklich in Schwung gekommen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Rat das Ziel der Kommission unterstützt, 25 % der auf europäischen Unternehmen lastenden Bürokratiekosten, die durch europäische Gesetzgebung induziert sind, bis 2012 abzubauen. Aber es ist mindestens genauso wichtig, dass die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, dasselbe auch in ihrem eigenen Verantwortungsbereich zu tun. Das war ja die Auseinandersetzung, um die es ging. Es ist ein großer Erfolg, dass das erreicht wurde. Nun scheint das Ziel wirklich greifbar nahe zu sein, bis zum Jahr 2012 insgesamt einen Abbau der Bürokratiekosten für Unternehmen um 25 % zu erreichen.

Ich möchte gerade hier vor dem Europäischen Parlament noch einmal klarstellen: Wenn wir vom Abbau von Bürokratiekosten reden, dann ist nichts anderes gemeint als weniger Papierkrieg für die Unternehmen. Es geht um Berichtspflichten, Statistikpflichten, Informationspflichten und Dokumentationspflichten. In keinem einzigen Fall werden Verbraucherschutzstandards, Qualitätsstandards, Umweltstandards, Sicherheitsstandards oder Sozialstandards auch nur berührt. Es geht nicht darum, die Substanz zu verändern, es geht darum, es so zu machen, dass es die Unternehmen nicht unnötig belastet, sondern Energien freisetzt.

(Beifall)

Als Tony Blair vor einiger Zeit sagte, wenn es die Europäische Union nicht gäbe, dann müsste man sie erfinden, hat er wohl genau solche Beschlüsse gemeint, wie sie der Europäische Rat nur wenige Wochen nach Bekanntwerden der alarmierenden Fakten des letzten UN-Klimaberichts gefasst hat.

Unterstützt vom Europäischen Parlament und basierend auf den Vorschlägen der Kommission vom Januar ist es gelungen, Klimawandel und Energiewende zu einer Priorität der europäischen Politik zu machen und einen Aktionsplan für die kommenden drei Jahre zu beschließen.

Die Stärke der Beschlüsse liegt darin, dass es gelungen ist, die Klima- und Energiepolitik eng miteinander zu verzahnen. Die Verringerung der Treibhausgasemissionen geht Hand in Hand mit einer wettbewerbsfähigen, sicheren und nachhaltigen Energiepolitik. Die Stärke der Beschlüsse liegt auch in ihrer Glaubwürdigkeit, denn sie hängen nicht im luftleeren Raum, sondern sie sind mit einem konkreten Maßnahmenpaket verknüpft.

Verpflichtende Ziele für erneuerbare Energien, ebenso wie die gezielte Förderung von Energieeinsparungen und der neuen Technologie der Kohlenstoffabscheidung und der Kohlenstoffspeicherung, werden die europäische Wirtschaft klimapolitisch auf die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts einstellen. Wir werden die bestehenden Hindernisse für erneuerbare Energien und Energieeffizienz in allen Industriesektoren weiter abbauen, um einen 20 %-Anteil der erneuerbaren Energie allgemein sowie einen Biokraftstoffanteil von mindestens 10 % bis 2020 zu erreichen.

Ich habe wohl gehört, was Herr Außenminister Steinmeier als Ratspräsident gerade gesagt hat in Bezug auf den Auftrag der Kommission, bis zum Jahresende einen Vorschlag vorzulegen. Ich kann Ihnen zusichern, dass die Kommission einen fairen und ausgewogenen Vorschlag vorlegen wird, wie die Lasten innerhalb der Europäischen Union verteilt werden, und dass dabei berücksichtigt wird, was einzelne Mitgliedsländer bereits geleistet haben, wie ihre Startpositionen sind und wie ihre Voraussetzungen sind, dieses Ziel überhaupt zu erfüllen. Ich bin sicher, dass wir das schaffen können.

Wichtig ist, dass wir den funktionierenden Binnenmarkt für Strom und Gas zum Vorteil der Verbraucher endlich zustande bringen, das wird Investitionen stimulieren und ein echtes europäisches Verbundnetz schaffen.

Mit diesen Schritten werden sich neue, globale Märkte für uns öffnen. Die Energierechnung jedes einzelnen Bürgers und jedes einzelnen Wirtschaftsbetriebs wird entlastet. Wir zahlen heute in Europa zuviel für die Energie, und das nicht nur als Folge der globalen Situation, sondern als Folge der falschen Organisation unserer eigenen Energieversorgung. Deshalb ist die konsequente Umsetzung der neuen EU-Klimapolitik auch Teil der Erfüllung der Lissabon-Agenda.

Wir schlagen vor, dass die hoch entwickelten Staaten im Vergleich zu 1990 zusammen eine Reduktion der CO2-Emissionen um 30 % bis 2020 vereinbaren. Darüber hinaus geht die EU bereits jetzt die Selbstverpflichtung ein, mindestens 20 % der CO2-Emissionen bis 2020 zu reduzieren. Damit sind wir für die kommenden Klimaverhandlungen hervorragend aufgestellt.

Ich glaube, dass dieser Klima-Doppelbeschluss global zu einer neuen Dynamik führen wird, die wir auch dringend brauchen. Wir können nicht länger zuschauen, wie etwa die USA und China gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen und erste Schritte einfordern. Einer muss jetzt endlich einmal anfangen! Das wäre sicher auch ein wichtiger Punkt für den EU-USA-Gipfel am 30. April diesen Jahres, den die Staats- und Regierungschefs – wie die anderen außenpolitischen Themen – auch angesprochen haben.

Lassen Sie mich ein Wort an die europäische Industrie sagen: Die Vorgaben des Rates stecken unserer Industrie einen klaren Rahmen und geben ihr Investitionssicherheit auf Jahre hinaus. Sie können jetzt ihre Investitionen planen, sie wissen, was die Politik von ihnen verlangt und können ihre Strategien entwickeln. Wir wollen, dass Europa die besten und saubersten Produkte exportiert, aber nicht seine Arbeitsplätze. Von der europäischen Industrie möchte ich nicht immer nur hören, was sie nicht kann und was in ihren Augen nicht geht. Ich möchte endlich einmal von der europäischen Industrie hören, was sie kann und was geht. Und es wird sich zeigen, dass viel mehr geht, als sie selber glaubt.

Bei aller Zufriedenheit sollten wir nicht vergessen, dass es allerdings bisher nur um ein Startsignal geht. Diese Strategie muss durch konkrete Gemeinschaftsvorhaben und gesetzliche Einzelvorhaben noch während dieser Legislaturperiode vorangebracht werden. Dazu haben wir die Unterstützung der Bürger Europas. Wir wissen aus der aktuellen Eurobarometer-Umfrage, dass Europas Bürger sehr genau wissen, dass ein Umsteuern unumgänglich ist. Sie sind sich wohl auch der Tatsache bewusst, dass entschlossenes Handeln nicht umsonst zu haben sein wird.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Lissabon-Strategie ist ein offener und dynamischer Prozess. Wir brauchen einen Marktplatz der Ideen, der dann in konkrete politische Beschlüsse mündet.

Lassen Sie mich in diesem Sinne einen Bericht des Centre for European Reform zitieren: „Es gibt kaum ein europäisches Land, das nicht das dänische Modell der Flexicurity, den finnischen Weg der Hochschulausbildung, oder die britische Liberalisierungsstrategie genau untersucht.“ Ich kann noch mehr Beispiele hinzufügen, etwa die französischen „Pôles de Compétitivité“, das niederländische Standardkostenmodell, Steuerreformen in einigen neuen Mitgliedsländern. Gegenseitiges Lernen ist ein Schlüsselelement dieses Reformprozesses.

Es geht jetzt darum, gemeinsam klar zu machen, dass die europäische Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung die europäische Antwort auf die beiden großen Fragen unserer Zeit ist: Nämlich die große soziale Frage, wie wir es schaffen, im Zeitalter der Globalisierung gute und in ausreichender Zahl vorhandene Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, und die große ökologische Frage, wie wir es schaffen, unseren Planeten bewohnbar zu erhalten.

Wir wissen ja, dass die Menschen genau diese Fragen stellen: Werde ich meinen Job behalten? Werde ich noch Leistungen bekommen, wenn ich krank bin? Werde ich meine Kinder ausbilden lassen können? Werde ich im Alter versorgt sein? Wir wissen auch, dass sie die Frage stellen: Wie werden die Lebensbedingungen für meine Kinder und Enkelkinder in Zukunft sein?

Hier ist die Antwort auf diese Fragen, es kommt aber darauf an, dass Sie den Bürgerinnen und Bürgern Europas auch zeigen, dass diese Antwort nur eine europäische Antwort sein kann! Wenn es jemals der Notwendigkeit bedurft hätte zu demonstrieren, wozu wir europäische Integration brauchen, hier sind die beiden Themen, die zeigen, dass europäische Integration auch im 21. Jahrhundert eine unterlässliche Notwendigkeit ist! Vielen Dank.

(Beifall)

 
  
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  Marianne Thyssen, im Namen der PPE-DE-Fraktion. (NL) Herr Präsident, Herr Steinmeier, Herr Kommissar Verheugen, werte Kolleginnen und Kollegen! Einem Gipfeltreffen folgen in der Regel langatmige Schlussfolgerungen, die eingehend durchforscht werden müssen, um die von den 27 Mitgliedstaaten gemeinsam getragenen Ziele herauszufinden. Diesmal sind die Schlussfolgerungen jedoch verhältnismäßig kurz und stellen zweifellos wesentliche Fortschritte dar. Der europäische Frühjahrsgipfel hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen. Weitsicht war gepaart mit politischem Mut, und Zielstrebigkeit mit Realisierbarkeit, Glaubwürdigkeit sowie – was nicht unbeachtlich ist – Entschlossenheit.

Wir in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten möchten an erster Stelle der Ratsvorsitzenden, der deutschen Bundeskanzlerin, Frau Merkel, und ihrer Mannschaft sowie der Kommission unter ihrem Präsidenten, Herrn Barroso, insbesondere Kommissar Dimas und Kommissar Piebalgs, die das Energie- und Klimapaket auf den Weg gebracht und alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um zu positiven Ergebnissen zu gelangen, Anerkennung zollen. Wir sind wirklich stolz, muss ich sagen, dass sich durch die gemeinsamen Anstrengungen unserer eigenen Fraktion an der Spitze unserer Institutionen, die selbstredend zusammen mit anderen Partnern unternommen wurden, erfreuliche Perspektiven ergeben haben.

Auf reiche Belohnungen warten wir allerdings noch. Verpflichtungen sind zwar eingegangen worden, die Verteilung der Freuden und Lasten steht aber noch bevor, und ich wünsche der Kommission viel Erfolg bei dieser schwierigen Aufgabe. Hoffentlich werden alle Mitgliedstaaten und sämtliche Teile der Gesellschaft bereit sein, ihren Part bei den unermüdlichen Bemühungen, die erforderlich sind, zu übernehmen.

Mit Blick auf Europa kann die Welt feststellen, dass es sich seiner Verantwortung stellt und sich entschieden hat, eine glaubwürdige Vorreiterfunktion zu erfüllen. Als europäische Partner müssen wir unisono größtmöglichen Druck auf unsere weltweiten Partner ausüben, damit sie sich an diesem anspruchsvollen, vor allen Dingen jedoch notwendigen Kapitel beteiligen.

Bei einem Vergleich zwischen den Ausgangspunkten unserer Fraktion vor dem Frühjahrsgipfel und den erzielten Ergebnissen komme ich zu dem Schluss, dass wir realisierbare, verbindliche Vereinbarungen unrealistischen, hochfliegenden Wunschträumen vorgezogen hätten. Da mit der Entscheidung 20-20-20 eine solche Vereinbarung getroffen wurde, bedeutet dies einen großartigen Erfolg.

Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet erneuerbarer Energien und die Bekämpfung des Klimawandels gehen Hand in Hand mit den Lissabon-Zielen Wachstum und Beschäftigung. Sie sollten, Herr Kommissar Verheugen, ausdrücklich mit einbezogen werden. Nach Ansicht der Mehrheit unserer Fraktion hat die Kernenergie ihren Platz im Energiemix, wenngleich wir, ebenso wie der Europäische Rat, uns diesbezüglich voll und ganz an das Subsidiaritätsprinzip halten. Da wir nicht möchten, dass das Europäische Parlament beim Thema Klimawandel im Abseits steht, findet die Einsetzung eines effektiv funktionierenden Nichtständigen Ausschusses zum Klimawandel unsere uneingeschränkte Unterstützung.

Bei diesem Frühjahrsgipfel lag der Nachdruck auf den Bereichen Energie und Klima, doch ging es selbstverständlich um weitaus mehr, denn nach wie vor ist es dringend erforderlich, die sozioökonomischen Reformen mit unverminderter Kraft weiterzuführen. Der Lissabon-Prozess beginnt unseres Erachtens Früchte zu tragen, aber es besteht keinerlei Anlass, uns jetzt auf unseren Lorbeeren auszuruhen, jedenfalls nicht in den Mitgliedstaaten mit hohen Staatsschulden, niedriger Arbeitsbeteiligung oder nicht vollkommen gesicherten Rentensystemen.

Wir in der PPE-DE-Fraktion wollen jede Form von Selbstzufriedenheit vermeiden. Da sich die Wirtschaftsprognosen leicht gebessert haben, dürfen die nationalen Reformen nicht verschoben, sondern müssen vielmehr beschleunigt werden. Wir erwarten, dass die Kommission weiterhin Führungsstärke demonstrieren und erforderlichenfalls den Mitgliedstaaten ihre Betrügereien und Mängel frei und offen vor Augen halten wird.

Die Beschlüsse, die Verwaltungslasten spürbar zu verringern, und die in Aussicht gestellten unabhängigen Folgeabschätzungen bei neuen Rechtsakten werden von uns nachdrücklich begrüßt.

Visionen und Ziele für eine vernünftige Politik sind eine Sache, die Menschen davon überzeugen, und sie dafür gewinnen, ist eine andere. Die entscheidende Frage, auf die Kommissar Verheugen ebenfalls zu Recht verwiesen hat, bleibt, wie die Europäer an diesem ganzen Lissabon-Prozess stärker beteiligt werden können. Die in den Schlussfolgerungen des Gipfels enthaltene Forderung nach weiteren Anstrengungen zur Verbesserung der Kommunikation ist zwar erfreulich, bringt uns aber nicht weiter. Die Dinge müssen einfach angepackt werden, und in diesem Bereich wurden in den letzten Jahren zahlreiche Gelegenheiten verpasst.

Deshalb fordere ich die Präsidenten unserer drei politischen Organe auf, diesen 500 Millionen Europäern, die für ihre Kinder und Enkelkinder auf eine wohlhabende und soziale Zukunft unter angenehmen Lebensbedingungen hoffen, einen Platz in der Berlin-Erklärung einzuräumen, ihnen neues Vertrauen und neuen Glauben in den Mehrwert unseres gemeinsamen europäischen Projekts zu geben.

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Das war ein erfolgreicher Gipfel! Und das muss man auch unterstreichen, wir haben nämlich in den letzten Jahren nicht immer erfolgreiche Gipfel gehabt. Aber das, was jetzt am vergangenen Wochenende geschehen ist, ist das, was der Vizepräsident der Kommission richtig beschrieben hat: Die Handlungsfähigkeit Europas ist bewiesen worden! Ja, es geht, wenn man will!

Die 27 Staats- und Regierungschefs, die sich da am Wochenende zusammengerauft haben, haben einen richtungsweisenden Beschluss gefasst, über den ich nicht im Detail reden will. Das werden die Experten unserer Fraktion in ihren Redebeiträgen machen. Deshalb kann ich mich darauf konzentrieren, festzustellen, dass das, was wir brauchen – nämlich, dass die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass dies kein Stagnationsclub ist, der da rumhängt –, tatsächlich machbar ist, dass die großen Herausforderungen nicht nur beschrieben werden, sondern dass die notwendigen Antworten definiert, beschlossen und hoffentlich auch in die Tat umgesetzt werden!

Ich habe oft, wenn ich hier stand und über europäische Räte reden musste, darüber nachgedacht, was eigentlich den Zustand des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs am besten beschreiben könnte. Irgendwann ist mir Matthäus eingefallen – Herr Präsident, Sie kennen sich ja auch gut aus – 6. Kapitel, 26. Vers: „Seht die Vögel unter dem Himmel an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen; und euer himmlischer Vater ernähret sie doch.“ Das muss ich nicht mehr zitieren: Sie säen, ich hoffe, dass Sie ernten, ich hoffe, dass wir in die Scheunen fahren, und was der himmlische Vater dann mit Ihnen macht, das werden wir ja sehen.

In jedem Fall ist es so, dass dieser Fortschritt erreicht worden ist. Wir alle gemeinsam, Frau Kollegin Thyssen, müssen ein großes Interesse daran haben, das als ein Gemeinschaftswerk der europäischen Institutionen zu beschreiben. Ich habe nicht den Eindruck, dass Frau Merkel als EVP-Vertreterin gehandelt hat. Mir ist gesagt worden, sie sei dort als Ratspräsidentin gewesen. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Herr Präsident dieses Hauses als EVP-Vertreter da war, sonst würde er nämlich sein Amt missverstehen, und Herr Barroso darf schon von Amts wegen gar nicht wissen, was die EVP ist. Also, lassen Sie es sein, das hier als den Erfolg irgendeiner Partei zu reklamieren.

(Beifall)

Worum geht es in der Sache? Europa hat eine riesige Herausforderung beschrieben und angepackt. Wir haben außerdem etwas gelernt, was wir bis dato nicht wussten – vielleicht wussten Sie es, Herr Außenminister –, nämlich dass Kernenergie jetzt zu den erneuerbaren Energien zählt! Das ist sozusagen das Chirac’sche Theorem zum Abschluss seiner Amtszeit. Aber immerhin, es ist ja auch ein Lernerfolg!

Die Herausforderung anzunehmen und Druck auszuüben, dass das, was jetzt beschlossen wurde, auch umgesetzt wird, ist auf jeden Fall viel wichtiger als alles andere. In jedem Fall muss man auch Tony Blair einmal loben! Dass jetzt unmittelbar nach dem Rat die britische Regierung hingeht und sagt: 20 % sind gut, aber wir wollen noch ehrgeiziger sein! Davon brauchen wir mehr in Europa!

(Beifall)

Ich will noch etwas hinzufügen: Der G8-Gipfel wird sich mit der Situation in Afrika beschäftigen. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch einmal sehen, dass der Klimawandel auch ein signifikantes Beispiel für Ungerechtigkeiten in der Welt ist. Der Kontinent, der am wenigsten zur Verschmutzung unserer Umwelt beiträgt, nämlich Afrika, ist zugleich der Kontinent, der unter dem Klimawandel am stärksten leidet. Das heißt, wenn wir zum Beispiel darüber reden, dass wir Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt herstellen wollen, dann ist es auch eine moralische Verpflichtung für uns Europäerinnen und Europäer, das Problem des Klimawandels tatsächlich anzupacken und – wie richtigerweise gesagt worden ist – Druck auszuüben auf andere Regionen dieser Welt.

Die Absicherung der menschlichen Existenz, der Lebensfähigkeit auf dieser Erde, ist das große Ziel, dem wir alle verpflichtet sind, auch die Vereinigten Staaten von Amerika, auch Japan, Australien und China – wir alle gemeinsam. Nur können wir es nicht von ihnen verlangen, wenn wir selbst nicht mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist der historische Schritt, der am Wochenende geleistet worden ist! Dazu auch Dank an Sie, Herr Steinmeier, denn es ist in einem großen Maße auch Ihr Werk. Sicher ist es auch das Werk von Frau Merkel, aber wie Sie als Ratspräsident mit Beharrlichkeit und Ausdauer arbeiten, sollte hier nicht unerwähnt bleiben!

(Beifall von links)

 
  
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  Der Präsident. Herr Kollege Martin Schulz! Ich stelle mit großer Freude fest, dass Ihre Bibelfestigkeit sehr viel größer ist als meine.

 
  
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  Alexander Lambsdorff, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich war nicht ganz sicher, als Matthäus erwähnt wurde, ob nicht vielleicht Lothar Matthäus gemeint gewesen sein kann. Ich freue mich, dass das nicht der Fall war.

Kollege Schulz hat völlig Recht: Das war ein erfolgreicher Ratsgipfel. Sie wollen den Binnenmarkt für Energie voranbringen, Sie wollen die Erderwärmung bremsen, CO2-Emissionen senken, die erneuerbaren Energien ausbauen, und Sie wollen die Energiesolidarität stärken. Das entspricht den Forderungen dieses Parlaments. Diese waren in Teilen noch etwas ehrgeiziger, dennoch: Ihnen gebührt Applaus, und den bekommen Sie aus der Fraktion der Liberalen und Demokraten auch.

Anlass zu Selbstzufriedenheit gibt es allerdings noch nicht, denn der weitaus beschwerlichere Teil liegt jetzt noch vor Ihnen. Ob der Gipfel wirklich ein Erfolg war, werden wir sehen, wenn die schnelle Umsetzung der Vorhaben angegangen wird und noch in diesem Jahr hoffentlich greifbare Ergebnisse liefert. Das ist auch die zentrale Botschaft meiner Fraktion: Wir wollen eine zügige Umsetzung der verabredeten Ziele. Hierzu kommen aus der Kommission bereits die richtigen Botschaften. Der Rat ist gefordert, hier Farbe zu bekennen, wenn die Kommissionsvorschläge auf dem Tisch liegen.

Lassen Sie mich konkret etwas zu dem einen oder anderen Thema sagen. Zunächst zum Klimaschutz: Sie haben völlig Recht. Klimaschutz funktioniert europäisch oder gar nicht. Bei näherer Betrachtung gilt: Klimaschutz funktioniert aber auch nicht nur europäisch, sondern er funktioniert im globalen Rahmen. Erst wenn wir die anderen großen CO2-Emittenten mit an Bord holen, erreichen wir die globale Veränderung, die notwendig ist, um tatsächlich den Klimawandel zu bremsen. Sich hier im Glanz einer Vorreiterrolle zu sonnen, bringt nicht viel. Ein Vorreiter ohne Nachreiter erinnert mich ein bisschen an Don Quichotte, dem sollten wir nicht nacheifern.

Der Klimapolitik in Europa muss jetzt also die Klimadiplomatie aus Europa folgen, denn an deren Erfolg hängt letztlich der gesamte Erfolg des Vorhabens. Manche erwähnen die G8 als das geeignete Forum dafür und sehen eine Lösung, wenn man das Thema in die G8 trägt. Nehmen Sie es nach Heiligendamm mit, aber wir müssen auch eines sehen: Die G8 sind denkbar ungeeignet. China und Indien sind nicht dabei. Das ist vielleicht auch ein Grund, einmal über die Architektur der globalen Institutionen nachzudenken.

Zum Thema Energiebinnenmarkt: Dieser ist für uns kein Selbstzweck, sondern wir brauchen ihn wirklich. Das Marktversagen ist eine Sache – Kommissar Verheugen hat es erwähnt –, die die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betrifft. Ich freue mich sehr darüber, dass der Aktionsplan der Kommission angenommen worden ist, und will Sie ausdrücklich beglückwünschen, insbesondere neben Herrn Verheugen auch die Kollegen Kroes und Piebalgs, die hier nicht nachgelassen haben. Hier gilt es jetzt nachzulegen, und meine Fraktion ermutigt die Kommission ausdrücklich, das schnell zu tun.

Bürokratie erfordert bessere Rechtsetzung. Die Vorschläge, die Kommissar Verheugen gemacht hat, sind richtig, und dass sie angenommen worden sind, ebenso. Deswegen freuen wir uns hier über Fortschritte, sehen allerdings die Mitgliedstaaten in der Pflicht, nachzuziehen. Es ist eine Mär, dass alle Bürokratie aus Brüssel kommt.

Der Rat hat gezeigt, dass er sich bei einem wirklich wichtigen Thema einigen kann. Glückwunsch hierzu! Jetzt gilt es, beim zweiten wichtigen Thema der Präsidentschaft auch erfolgreich zu sein. Die Berliner Erklärung und der Juni-Gipfel warten auf uns. Unsere Unterstützung haben Sie dafür.

 
  
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  Michał Tomasz Kamiński, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich feststellen, dass es mir wirklich ein Vergnügen sein wird, die beiden hier dargelegten Standpunkte miteinander in Einklang zu bringen. Mit großer Freude werde ich die Auffassungen unserer Freunde von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten in Übereinstimmung bringen.

Wir sind dem deutschen Ratsvorsitz für den Erfolg auf diesem Gipfel dankbar. Damit meine ich sowohl die Abgeordneten der SPD als auch die der CDU. Dieses positive Ergebnis lässt auf einen Erfolg Deutschlands und der deutschen Ratspräsidentschaft hoffen, und darüber sind wir froh. Wir freuen uns, dass der sachliche und pragmatische Ansatz des deutschen Ratsvorsitzes zum Erfolg geführt hat.

Ich möchte auch dem Präsidenten dieses Parlaments für seine positive und aktive Rolle auf dem Gipfel danken. Vielen Dank, Herr Parlamentspräsident! Das ist ein gutes Beispiel für die bedeutende Rolle, die das Parlament bei der europäischen Integration spielen will, und das berechtigt zu Hoffnungen. Der Gipfel war ein Erfolg und sendet in zweierlei Hinsicht ein wichtiges Signal an die übrige Welt: ein Signal unserer Einheit und ein Signal unseres pragmatischen, zukunftweisenden Handelns.

Alle Länder außerhalb der Europäischen Union konnten sich davon überzeugen, dass wir in der Lage sind, in Energiefragen Einigkeit zu zeigen. Die Union sendet ein deutliches Signal aus, dass wir Solidarität wollen und es unser Bestreben ist, die Zukunft der Union in der Frage der Energieversorgungssicherheit auf einen einheitlichen Ansatz zu gründen.

Was in den letzten knapp anderthalb Jahren geschehen ist, hat meiner Ansicht nach jedem in der Europäischen Union vor Augen geführt, wie wichtig die Energiesicherheit nicht nur für unsere Volkswirtschaften, sondern letztendlich auch für den Lebensstandard jedes einzelnen Bürgers ist.

Von dem Gipfel ist auch eine klare Botschaft in puncto Klimawandel ausgegangen. Es ist uns gelungen, in dieser Frage Einigkeit zu erzielen, und ich unterstütze die Ergebnisse dieses Gipfels voller Genugtuung. Die Europäische Union hat recht daran getan, sich in dieser für die Zukunft Europas so entscheidenden Frage ehrgeizige Ziele zu setzen.

Abschließend möchte ich unterstreichen, dass der erste Gipfel der nochmals erweiterten Europäischen Union auch gezeigt hat, dass die Erweiterung kein Problem darstellt. Nach meinem Dafürhalten neigen unsere Freunde aus den alten Mitgliedstaaten dazu, die Probleme der Erweiterung überzubetonen. Die letzten Erweiterungen der Europäischen Union, also die vor zweieinhalb Jahren und die jüngste, sind – und das sage ich als Pole – ein gemeinsamer Erfolg für uns alle. So empfinden das die Bürger der neuen Mitgliedstaaten, und ich wünschte, jeder von uns würde das ebenso sehen.

Die europäische Erweiterung ist ein Erfolg, und wir täten gut daran, das nicht zu vergessen. Der Gipfel hat gezeigt, dass wir erfolgreich sind, wenn wir zusammenarbeiten.

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, Herr Kollege Kamiński, auch für Ihre freundlichen an mich gerichteten Worte.

 
  
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  Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Zwischen der vorhergehenden Aussprache über die Berliner Erklärung und der jetzigen Debatte besteht ein offenkundiger Zusammenhang, da das Europa der Ergebnisse handlungsfähig sein muss, und ohne Verfassung wird es keine wirklich effektive Handlungsfähigkeit besitzen. Herr Präsident, wir erkennen die Tatsache an, dass der deutsche Vorsitz den Rat dazu gebracht hat, ganz präzise, eindeutige Verpflichtungen zur Emissionsverringerung und den erneuerbaren Energien einzugehen und die proatomare Offensive von Präsident Chirac zurückzuweisen. Herrn Chiracs Ära geht zu Ende, und Sie können sicher sein, dass wir ihn in keiner Weise vermissen werden.

Wenngleich wir die auf dem Gipfel erzielten Ergebnisse begrüßen – es hätte nämlich viel schlimmer ausgehen können –, stehen wir unseres Erachtens erst am Anfang der Schwierigkeiten. Denn wenn es darum geht, unseren Worten Taten folgen zu lassen, wird es zweifellos problematische Grauzonen bei der Verwirklichung der Ziele geben. Schon jetzt sollten wir uns beispielsweise dessen bewusst sein, dass es uns mit einer einseitigen Emissionsreduktion um 20 % bis 2020 nicht möglich sein wird, das Ziel zu erreichen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf höchstens 2°C zu begrenzen. Herr Verheugen, nach meinem Dafürhalten stellt dies keine große, mutige Anstrengung dar, denn wenn wir uns an unsere Verpflichtungen zur Steigerung der Energieeffizienz und zu den erneuerbaren Energiequellen hielten, würden die Emissionen damit bereits um 24 % verringert. Das einseitige Ziel einer Emissionssenkung um 30 % wäre also durchaus realisierbar gewesen und hätte unsere Glaubwürdigkeit auf der Weltbühne drastisch erhöht.

Darüber hinaus, Herr Kommissar, klang, wenn ich an Ihre Rolle in der Frage der Emissionsverringerung, der erneuerbaren Energien und der Kraftfahrzeuge sowie an die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Kommission bei allen diesen Themen denke, Ihre heutige Rede offen gesagt ein wenig nach Greenwash.

Um diese Ziele zu verwirklichen, muss eine Vielzahl von Gegnern überwunden werden, in erster Linie zahlreiche Verwaltungen unserer nationalen Regierungen, die die eigentliche Bürokratielast der Europäischen Union darstellen, sowie die Bediensteten der Kommission. Sodann natürlich die Interessengruppen der großen europäischen Industrieunternehmen, die allen Lippenbekenntnissen zum Trotz entschieden gegen jegliche wirkliche Förderung umwelteffizienter erneuerbarer Energieträger sind, weil Enel, E.ON und EdF allzu gut wissen, dass die Verringerung unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen für die europäischen Verbraucher wesentlich mehr Freiheit auch ihnen gegenüber bedeutet.

Wir erwarten die Kommissionsvorschläge selbstverständlich mit Interesse, aber auch mit gewissem Bangen, denn unserer Überzeugung nach ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, revolutionär und radikal zu sein. Dies ist der Grund für unser Treffen in Berlin – und ich hoffe, Herr Steinmeier, Sie werden mit dabei sein können –, auf dem ein solider Plan ausgearbeitet werden soll, der auf zehn Vorschlägen beruht, die wir schon mehrfach unterbreitet haben. Der Wichtigste ist ein Klimapakt, der die gleichen Eigenschaften wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt aufweist und in dem klare Regeln, strikte und schnelle Sanktionen sowie sehr realistische Anreize festgelegt werden.

Abschließend, Herr Präsident, möchte ich noch sagen, dass wir über die im Rat und in der Kommission zirkulierenden Gerüchte äußerst besorgt sind, wonach die neuen Vorschriften als Folge der vom Rat in Brüssel eingegangenen Verpflichtungen nach dem Verfahren von Artikel 175 Absatz 2 erlassen werden könnten, bei dem das Europäische Parlament ausgeschlossen und Einstimmigkeit im Rat erforderlich ist. Sollte dies der Fall sein, wäre dies ein Schlag ins Gesicht für alle europäischen Bürger, deren Begeisterung heute so groß ist. Ich hoffe, dies wird nicht der Fall sein.

 
  
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  Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Alle reden zuerst über die historische Bedeutung des letzten Gipfels für den Klimaschutz und den Umweltschutz und übersehen dabei, dass in anderen wichtigen Feldern wie der Beschäftigungspolitik und des europäischen Sozialmodells eben keine Weichenstellungen vorgenommen worden sind und damit auch Chancen vergeben wurden.

Die Lissabon-Strategie mit ihrer Orientierung an globaler Konkurrenzfähigkeit der Europäischen Union bzw. der global player verhindert aus meiner Sicht sowohl eine wirksame Ausrichtung im Kampf um Klimaschutz als auch im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Dabei weiß ich sehr wohl zu würdigen, dass beim Klimaschutz Schritte in die richtige Richtung getan wurden.

Allerdings liegt auf der Hand, dass diese Schritte zu knapp bemessen sind und dass dennoch ihre Verlangsamung und ihr Abbruch drohen. Die EU steht sich wieder einmal selbst im Wege, wenn sie ihre eigenen Studien beiseite schiebt, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine Reduktion von Treibhausgasen um 30% notwendig ist, um tatsächlich eine irreversible Erwärmung und damit bis zu 86 000 zusätzliche Klimatote pro Jahr in der EU zu vermeiden. Der Unterschied zwischen den 30% und den 20% besteht eben darin, ob wir die Chance nutzen, die Klimakatastrophe zu verhindern, oder ob wir dennoch weiter marschieren.

Das Problem ist nicht, dass es der linken Opposition prinzipiell zu wenig wäre, was Regierende auch an Richtigem tun. Das Problem liegt darin, dass der falsche politische Kurs beibehalten wird bzw. die entscheidenden Weichenstellungen nicht tatsächlich vorgenommen werden.

Es verwundert auch nicht, dass die Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und sozialen Spaltungen auf dem Gipfel weiter marginalisiert blieb und schon gar nicht mit einem konsequenten Vorgehen gegen globale Erwärmung und Umweltzerstörung verbunden wurde.

Herr Verheugen, genau diese enge Verzahnung von sozialer und ökologischer Fragestellung hat der Gipfel trotz Ihrer heutigen Ausführungen eben nicht thematisiert. Dabei wurden seitens der Europäischen Kommission seit Jahren Studien vorgelegt, die das Beschäftigungspotential im Zusammenhang mit der Nutzung erneuerbarer Energiequellen aufzeigen, die externen Kosten aufzeigen, aber eben auch die Lenkungswirkung von Ökosteuern verdeutlichen. Deren Erhebung könnte die Einnahmen der Europäischen Union erhöhen, was für dringend gebotene soziale und ökologische Maßnahmen notwendig ist.

Diese Logik der Märkte macht deutlich, warum beispielsweise im Aktionsplan Energiepolitik für Europa die Bekämpfung des Klimawandels erst als letztes Hauptziel mit aufgenommen worden ist. Sie erklärt ferner, warum der Europäische Rat trotz der Klage des Gipfels über den wachsenden Anteil der Treibhausgasemissionen aus den Entwicklungsländern bei den EPA-Verhandlungen aufs Tempo drückt. Diese Freihandelsabkommen sind aus meiner Sicht ein brutaler Neokolonialismus, sie sind sozial und ökologisch zerstörerisch.

Es gibt zumindest drei Schlussfolgerungen: Erstens brauchen wir die Priorität zeitgemäßer Politik zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung und Klimaerwärmung, dann brauchen wir einen Stopp der EPA und schließlich brauchen wir die Streichung der Passagen aus dem Entwurf der Verfassung, die auf wirtschaftspolitische Deregulierung, Privatisierung und Aufrüstung abzielen.

 
  
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  Nils Lundgren, in Namen der IND/DEM-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Die Treibhausgasemissionen sind Grund zur Beunruhigung, denn sie scheinen zu einer schnellen Veränderung des Erdklimas zu führen. Es ist schwer einzuschätzen, was die EU allein dagegen tun kann. Indem wir uns an die Spitze stellen, sollten wir unsere Möglichkeiten verbessern, Druck auf China, Indien, die USA und Russland auszuüben, wobei Europa dadurch einen Vorsprung auf dem Gebiet der Umwelttechnik erreichen kann. Aber wir dürfen auch nicht zu schnell vorgehen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht zu unterminieren.

Der Rat hat sich in dieser Frage auf einen sehr ausgewogenen Standpunkt geeinigt. Ein seltener Erfolg in der EU, in der die meisten Beschlüsse Untergrabung der Freiheit, Schwächung der Demokratie, Gefährdung der Selbstständigkeit der Länder und Bürokratisierung des Lebens bedeuten. Gleichzeitig sollte aber auch festgehalten werden, dass dieser Erfolg das offizielle Argument für den Verfassungsentwurf außer Kraft setzt, dem zufolge die Demokratie der Effizienz weichen muss. Gemäß diesem Argument müsse es möglich sein, in der Beschlussfassung der EU über einzelne Mitgliedstaaten hinwegzugehen, da ansonsten die EU handlungsunfähig würde. Das ist offensichtlich nicht der Fall und hat bei der Dienstleistungsrichtlinie ebenso wenig gestimmt.

Das versteckte Argument für den Verfassungsentwurf ist, dass dieser notwendig sei zur Schaffung eines EU-Staates, einer Machtbasis für eine neue europäische Elite. Dazu muss den Nationalstaaten, dem Ursprung und der Grundlage der europäischen Demokratie, die politische Macht entrissen werden. Jetzt hat der Rat wieder einmal gezeigt, dass es möglich ist, wichtige Beschlüsse auch dann zu fassen, wenn alle Mitgliedstaaten ein Vetorecht haben. Vielen Dank dafür. Praeterea censeo constitutionum esse repudiendam [Außerdem finde ich, dass die Verfassung abgelehnt werden sollte].

 
  
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  Andreas Mölzer, im Namen der ITS-Fraktion. – Herr Präsident! Auch von unserer Seite wird der EU-Gipfel zum Klimaschutz als positiv bewertet, allerdings eher, was sein Wollen betrifft als seine Ergebnisse. Einerseits ist es gut und für unser aller Zukunft wichtig, dass beim EU-Gipfel Klimaschutzziele vereinbart wurden, aber dass derartige Bekenntnisse leider oft nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen, ist andererseits eine traurige Tatsache. Was nützt es etwa, eine Vereinbarung darüber zu schließen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um ein Fünftel zu senken, wenn die Konkretisierung problematischer Details in gängiger EU-Manier auf später verschoben wird. Außerdem sind wir im Bereich der Atomkraft meines Erachtens keinen Schritt weitergekommen. Die Entsorgung radioaktiver Abfälle bleibt weiterhin ebenso ungelöst, wie die Sicherheit von Atomkraftwerken nicht gegeben ist und die Auswirkungen atomarer Verstrahlung keineswegs gänzlich geklärt sind. Dennoch hat man es auf dem EU-Gipfel nicht geschafft, mit einer Reduzierung der Nuklearenergie ein deutliches Zeichen zu setzen. Stattdessen soll die Gefahr der Klimaerwärmung mit atomarem Risiko bekämpft werden – meines Erachtens eine riskante Sache.

Es ist natürlich auch schön und gut, wenn die EU im Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnehmen will. Aber da sie nur 15 % der weltweiten Kohlendioxidemissionen verursacht, sind das nur kleine Fische. Im Alleingang, ohne die großen Klimasünder Indien, China, Südkorea, Japan, Australien und die USA, die für fast die Hälfte der weltweiten Treibhausgasproduktion verantwortlich sind, werden wir im Kampf gegen den Klimawandel kaum vorwärts kommen. Wir werden vielmehr trotz all unserer Bemühungen herbe Rückschläge einstecken müssen. Um das vorauszusehen, muss man keineswegs ein Prophet sein.

Dass die Entwicklungsländer, vor allem aber auch der Energieverschleuderer USA, sich keinen Deut um die Umwelt scheren, ist längst bekannt. Dass selbst auf US-Armee-Stützpunkten in Europa in keiner Weise auf die Umwelt geachtet wurde und aufgelassene US-Basen fast Sondermülldeponie-Charakter haben, ist eine Schande. Nicht nur für die Amerikaner, die man diesbezüglich anscheinend wirklich an der Hand nehmen muss, sondern vor allem für die EU-Mitgliedstaaten, die hier keinerlei umwelttechnische Auflagen vorgeschrieben haben. Auch in dieser Hinsicht müssen die transatlantischen Beziehungen kritisch hinterfragt werden ebenso wie im Hinblick auf die CIA-Überflüge und auf die Tendenz insgesamt, allzu freudig-blind, die Vasallen der US-Amerikaner zu spielen.

Bereits 1997 haben sich die Industriestaaten verpflichtet, die Treibhausgasproduktion zu verringern. Bei der Weltkonferenz 2005 hat man einmal mehr gelobt, fortan mehr auf Sonne, Wind und Wasserkraft zu setzen. Natürlich sind den hehren Worten wiederum fast keine Taten gefolgt. Die EU hat von der selbst verordneten Steigerung des Anteils an erneuerbarer Energie auf 12 % gerade einmal 8 % geschafft. Da braucht man erneute Lippenbekenntnisse, wie wir sie diesmal wieder gehört haben, nicht als allzu großen Erfolg zu feiern. Da fühlt man sich eher an andere, vorläufig gescheiterte EU-Projekte wie die Lissabon-Ziele erinnert, von deren Erreichung man ebenfalls noch Lichtjahre entfernt ist, einmal ganz abgesehen von der kaum umgesetzten Alpenkonvention, die ein weiterer Teil dieses Trauerspiels ist. Um den Klimawandel zu verlangsamen und die drohenden schwerwiegenden Folgen abzumildern müssen wir das Ziel unserer gemeinsamen Anstrengungen diesbezüglich ausrichten.

 
  
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  Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Seit ich in dieses Parlament gewählt worden bin, habe ich mehrfach das Versprechen gehört, sei es nun von Seiten der Kommission, des Rates oder des Parlaments selbst, dass der Bürokratieabbau vorangetrieben werden soll.

Auf diesem Gipfeltreffen wurde der Bürokratie nun erneut der Kampf angesagt. Das ist begrüßenswert. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Vorhaben mit der viel gerühmten deutschen Effizienz vorangetrieben wird. Ich befürchte allerdings, dass diese Hoffnung vergebens sein wird, denn ich vermute, dass diese Versprechen wie schon in der Vergangenheit nicht eingelöst werden. Der Grund ist, dass wir hier über EU-Einrichtungen sprechen, in denen geradezu am laufenden Band neue Vorschriften und Verordnungen produziert werden. Gerade auf diesem Gipfel wurde eine umfassende neue Regulierungsoffensive eröffnet unter dem Vorwand, den Klimawandel bekämpfen zu wollen. Das geht so weit, dass vorgeschrieben werden soll, welche Glühbirnen in den Nationalstaaten und von den Bürgern verwendet werden dürfen! Wo, so könnte man fragen, werden diese Glühbirnen wohl hergestellt? Wahrscheinlich in China, was zum Teil auch eine Folge der Überregulierung ist, die unsere Hersteller zur Abwanderung Richtung Osten treibt, wo diese Glühbirnen dann in Fabriken produziert werden, für die keine strengen Auflagen gelten und die noch größere Mengen an CO2-Emissionen ausstoßen. Es ist kein Geheimnis, dass Auflagen über solche Dinge in unseren Handelsabkommen mit China nie durchgesetzt werden. Wie es scheint, behalten wir uns solche Strafmaßnahmen stattdessen lieber für unsere eigenen Industrien vor. So sieht das selbstzerstörerische Karussell aus, das diese regelungswütige Europäische Union in Gang gesetzt hat.

Beim Stichwort Karussell muss ich an das Herumlavieren denken, das wir auf dem Gipfeltreffen beobachten konnten, als es um die abgelehnte Verfassung ging. Bundeskanzlerin Merkel glaubt, dass man die Bürger der EU übergehen und täuschen kann: Wenn die Bezeichnung „Verfassung“ fallen gelassen wird, können wir sogar darauf verzichten, die Wähler zu befragen. Welch ein Schlag gegen die Demokratie! Was für eine erbärmliche Farce! Dieses Vorgehen sagte einiges aus über die EU-Elite und ihre arrogante Missachtung der Menschen, deren Interessen sie angeblich vertritt. Die Tatsache, dass sich die EU immer weiter von ihren eigenen Bürgern entfernt, sagt uns alles, was wir angesichts des bevorstehenden 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge über ihren Wert und ihre Werte wissen müssen. Dieses Ereignis trägt natürlich auch dazu bei, dass diese unersättliche Gier Brüssels nach Dominanz und Kontrolle noch weiter angeheizt wird.

 
  
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  Werner Langen (PPE-DE). – Herr Präsident! Vielen Dank an den Ratspräsidenten für seinen Bericht. Es war in der Tat ein erfolgreicher Gipfel, und wie immer hat der Erfolg viele Väter, der Misserfolg ist ein Findelkind. In diesem Fall war es in erster Linie ein Erfolg von Bundeskanzlerin Merkel, die ja immerhin vor vielen Jahren vier Jahre lang Umweltministerin war und den europäischen Umweltministerrat kennt.

Schwerpunkt Energie- und Klimapolitik: Leider hat die öffentliche Debatte nach diesem erfolgreichen Gipfel nur die interne Auseinandersetzung um die erneuerbaren Energien dargestellt. Es ist ja in der Tat – das Gipfeldokument dokumentiert das – viel mehr beschlossen worden zum Thema Energieversorgungssicherheit und zur Klimaverträglichkeit. Wichtig ist auch die Sozialverträglichkeit der vorgelegten Vorschläge, und wenn wir Ziele vorgeben, z. B. 20% oder 30%, dann müssen diese Ziele realistisch sein.

Kollege Schulz hat Herrn Blair gelobt für 60%. Herr Blair wird das nicht mehr umsetzen müssen, wie wir alle wissen, und ich bin sicher, dass sein konservativer Herausforderer spätestens morgen 70% fordern wird. Diese Ziele müssen also realistisch sein, sonst haben sie keinen echten Wert.

Zweitens bleiben bei allem Erfolg noch Fragen offen, etwa die Frage nach dem burden sharing. Ich hoffe, dass Kommission und deutsche Ratspräsidentschaft vor Jahresmitte etwas dazu sagen.

Wie ist die Rolle der Kernenergie? Man kann nicht so verfahren, wie in der innerdeutschen Diskussion gesagt wurde. Es ist ein Faktum, dass für eine Kilowattstunde aus der Kernenergie 15 Gramm CO2 anfallen, für eine Kilowattstunde aus Braunkohle 970 Gramm. Das heißt, wir müssen die Diskussion darüber offen führen.

Ich glaube schon, dass der Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft sich am Ende daran messen lassen wird, ob es gelingt, diese europäischen Benchmark, die beschlossen wurde, in den internationalen Verhandlungen mit den USA, Russland, Indien und China zu einem internationalen Standard zu machen. Dann wird die deutsche Ratspräsidentschaft ein dauerhafter Erfolg sein.

 
  
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  Linda McAvan (PSE). – (EN) Herr Präsident! Vor einigen Monaten habe ich mich mit mehreren jungen Leuten in meinem Wahlkreis unterhalten, die mich fragten, was die EU gegen den Klimawandel tut. Ich habe die einzelnen Rechtsvorschriften aufgezählt und erläutert, mit welchen Maßnahmen wir den Klimawandel bekämpfen, aber ich hatte das Gefühl, dass das alles etwas dürftig klingt, und ich konnte an den Gesichtern dieser jungen Leute sehen, dass auch sie dachten, dass das alles nicht gerade überwältigend ist.

Würde man mich heute fragen, könnte ich viel selbstsicherer auf diese Frage antworten. Europa hat heute bei der Bekämpfung des Klimawandels einiges vorzuweisen. Wir haben eine zweckmäßige Politik, mit der wir das Problem in Angriff nehmen können. Auch ich möchte dem Rat zu seiner erfolgreichen Tagung von letzter Woche gratulieren, ebenso der Kommission – den Kommissionsmitgliedern Verheugen und Dimas –, die ein umfassendes Paket geschnürt hat.

Jetzt müssen wir dieses Paket umsetzen und das wird nicht einfach werden. Die Ziele, die wir festgelegt haben, sind ehrgeizig. Es gibt noch viele Probleme, für die eine Lösung gefunden werden muss. Die Lastenverteilung wurde bereits erwähnt. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es Schwierigkeiten im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die Ziele für erneuerbare Energien. Ich möchte hervorheben, dass dieses Parlament umfassend in alle Gespräche über diese Ziele einbezogen werden möchte.

Zum Thema Biokraftstoffe möchte ich sagen, dass wir diese Kraftstoffe wollen, aber nicht auf Kosten der Entwicklungsländer. Die Bekämpfung des Klimawandels muss die Armutsbekämpfung unterstützen, statt sie zu erschweren. Außerdem brauchen wir mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Deshalb müssen wir unsere Maßnahmen abstimmen, wir müssen zusammenarbeiten und wir müssen beharrlich an diesen Aufgaben arbeiten. Ich bin der Meinung, dass sich die EU letzte Woche wieder auf ihre gemeinsamen Ziele besonnen hat. Sie hat gezeigt, dass sie in der Lage ist, bei einem zentralen Problem, das unseren Bürgern am Herzen liegt, entschlossen zu handeln. Ich denke, dass sie auf diese Weise begonnen hat, diese schwer zu erreichende Verbindung zu den Bürgern herzustellen, über die so viel geredet wird.

Wir feiern in diesem Jahr den 50. Jahrestag unseres Bestehens. Ich hoffe, dass künftige Generationen bei der Feier des 100. Geburtstags der Europäischen Union zurückblicken werden auf das Gipfeltreffen der letzten Woche und es als Wendepunkt betrachten werden, an dem die EU begonnen hat zusammenzuarbeiten, die schwierigen Probleme unserer Zeit in Angriff zu nehmen und das Vertrauen ihrer Bürger zurückzugewinnen.

 
  
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  Der Präsident. Frau Kollegin Linda McAvan, Sie haben ja noch die Chance, den hundertsten Jahrestag zu erleben.

 
  
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  Karin Riis-Jørgensen (ALDE). – (DA) Herr Präsident! Das Ergebnis des Gipfels in der vergangenen Woche war ein historischer Durchbruch. Wir befinden uns nun auf dem Weg hin zu einem umweltfreundlicheren Europa. Noch vor wenigen Wochen erschien es ziemlich unrealistisch, an solch verbindliche Ziele zu glauben, wie die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch der EU bis 2020 auf 20 %. Wir sind wirklich ein Stück vorangekommen. Nun ist der politische Rahmen vorhanden, und jetzt geht es an die praktische Umsetzung. Aber genau hier werden die Probleme anfangen, und genau hier müssen wir für unsere Überzeugung kämpfen. Jeder muss eine konstruktive Rolle spielen – die Industrie ebenso wie wir als Gesetzgeber. Wir sollten aber auch noch weitergehen und höhere Umweltanforderungen an beispielsweise Kraftfahrzeuge und Flugzeuge stellen. Die Kommission muss in diesem Bereich vorangehen und einen festen Standpunkt vertreten. Oder nicht, Herr Verheugen? Auch müssen wir äußerst ehrgeizig sein, um die vollständige Liberalisierung des europäischen Energiemarktes durchzusetzen. Wir brauchen einen echten Energiebinnenmarkt, und genau hier ist die deutsche Präsidentschaft gefragt.

Es gibt allen Grund zur Freude, dass Europa in diesem Bereich weltweit die Führung übernimmt. Wir wirken an vorderster Front mit, eine Nachfolgeregelung für das Kyoto-Abkommen zu finden. Wenn wir Europäer Seite an Seite stehen, dann sollte es uns auch gelingen, ein weltweites Übereinkommen zur Klimapolitik zu erzielen, dem sich auch widerwillige Staaten wie die USA und die sich rasch entwickelnden asiatischen Länder wie China und Indien anschließen werden. Mit dem Durchbruch auf dem Gipfel findet die EU nach einigen trägen Jahren endlich wieder zu ihrer alten Form zurück. Diese trägen Jahre begannen mit dem Nein der Franzosen und Dänen zum Verfassungsvertrag, wodurch die EU ihre Entschlossenheit verlor. Aber das gehört nun zum Glück der Vergangenheit an. Die EU zeigt jetzt, dass sie in der Lage ist, politische Maßnahmen zu ergreifen. Wir können nun wieder nach gemeinsamen Nennern suchen, die uns verbinden, was sogar für Bereiche gilt, in denen starke nationale Interessen auf dem Spiel stehen. Und dies verdanken wir größtenteils einer tüchtigen deutschen Präsidentschaft. Die EU hat ihren Optimismus zurückgewonnen, was von ausschlaggebender Bedeutung ist, wenn wir den Verfassungsvertrag wieder zum Leben erwecken wollen.

 
  
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  Guntars Krasts (UEN). – (LV) Vielen Dank, Herr Präsident! Ich möchte die Präsidentschaft zu dem erfolgreichen Ergebnis der Arbeit des Rates beglückwünschen. Es wurde ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm erstellt, und dies wurde nahezu vollständig realisiert, auch dazu mein Glückwunsch.

Zunächst möchte ich über das sprechen, was nicht erreicht wurde. Es ist eine große Schande, dass der Vorschlag der Kommission für eine Aufsplittung vertikal integrierter Unternehmen blockiert wurde. Die großen Energieunternehmen, die den nationalen Regierungen ihre Bedingungen diktieren, haben bisher wenig Interesse an grenzüberschreitenden Verbindungen gezeigt. Offenbar wurde die Schaffung eines wirklichen europäischen Energiemarktes erneut verschoben.

Jetzt möchte ich über die gefassten Beschlüsse sprechen. Ehrgeizige Ziele für eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien und für eine Senkung der Emissionen sind ein mutiger und begrüßenswerter Schritt. Sehr wichtig ist jetzt, dass die Regierungsvertreter verstehen, was sie sich vorgenommen haben. Dies wird verhindern, dass dasselbe geschieht wie bei den Lissabon-Aufgaben. Die Entscheidung wurde nicht auf der Basis von Berechnungen der Verfügbarkeit von erneuerbaren Energiequellen oder ihres Standorts in den Mitgliedstaaten oder der Zugänglichkeit von Technologie getroffen, und sie wurde ungeachtet ihrer Kosten getroffen. Dies erfordert ein in hohem Maße verantwortungsbewusstes Handeln der Mitgliedstaaten, eine enge Zusammenarbeit und gegenseitige Solidarität. Dies ist eine derjenigen Entscheidungen, in die die Bevölkerung Europas Vertrauen hat und die sie unterstützt. Dieses Vorhaben, ebenso wie die Lissabon-Pläne, muss umgesetzt werden, und die Politiker dürfen nicht vom Wege abweichen, wenn sie die Aufgaben zum Erreichen dieses Zieles festlegen. Vielen Dank.

 
  
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  Claude Turmes (Verts/ALE). – Herr Präsident! Herr Steinmeier, neben der Euphorie, die ja teilweise berechtigt ist, ist hier und heute genau der richtige Ort und Zeitpunkt, um zu prüfen, ob diesen hehren Zielen auch ein Unterbau zugrunde liegt.

Als europäische grüne Partei werden wir dieses Wochenende in Berlin einen Zehn-Punkte-Maßnahmenkatalog vorschlagen, um Europa klimafreundlich zu gestalten. Wir werden das mit größerer Begeisterung tun als Herr Verheugen, der den Klimaschutz heute Morgen schon wieder als eine Bürde für die EU-Wirtschaft und nicht als einen Innovationsmotor betrachtet hat.

Versorgungssicherheit ist wichtig, gerade was Erdgas betrifft. Aber nicht der Bau neuer Pipelines ist die beste Maßnahme, die wir in Europa treffen können, am besten wäre es, das erfolgreiche Modell der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau zu übernehmen, also die Kredite für die Modernisierung des Häuserbestands auf die Europäische Investitionsbank zu übertragen! Mehr als 40 % der europäischen Energie wird in schlecht isolierten Gebäuden verpulvert, und mehr als 70 % des russischen Erdgases wird in europäischen Gebäuden verbraucht. Deshalb ist eine Maßnahme zur Effizienz beim Gebäudebestand viel wichtiger als alles, was wir auf der Angebotsseite machen können.

Bei Erdöl ist es genauso. Nicht Pipelines helfen uns weiter, sondern modernere Autos. Ich weiß nicht, ob Herr Juncker Kinder hat. Herr Schulz scheint da mehr zu wissen. Ich weiß, dass er jetzt eine neue Staatskarosse bekommt, und er als überzeugter Europäer hat am Montag zur Luxemburger Presse gesagt, er würde sich demnächst ein japanisches Hybrid-Auto kaufen, wenn die europäische Automobilindustrie nicht umweltfreundlichere Autos baut.

Wir brauchen daher Effizienzstandards für 2020, weil die Autos, in denen wir 2020 fahren werden, schon jetzt entworfen werden. Wir brauchen auch ein Tempolimit in Deutschland, weil die vielen Hundert Kilometer „Freie Fahrt für freie Bürger“ nicht nur ein deutsches Problem sind, sondern ein weltweites, da die Autos in der ganzen Welt dadurch übermotorisiert werden, und nicht effizient genug sind.

 
  
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  Umberto Guidoni (GUE/NGL).(IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen einseitig um 20 % zu reduzieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung, doch hätten wir das ehrgeizigere Ziel einer verbindlichen Reduktion um 30 % bis 2020 anvisieren müssen. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix der Europäischen Union liegt heute bei nur 7 %, und das freiwillige Ziel von 12 % bis zum Jahr 2010 hat ganz offenkundig nicht funktioniert. Daher sind obligatorische Zielsetzungen erforderlich und müssen präzise Bestimmungen für ihre Umsetzung angepeilt werden.

Denjenigen, die sich über die Kosten für die Entwicklung sauberer Technologien beklagen, sei gesagt, dass Europa durch diese Investition zum Branchenführer wird und dass damit neue und bessere Arbeitsplätze gemäß der Lissabon-Strategie geschaffen werden. Fünfzig Jahre nach den Römischen Verträgen ist nunmehr die Zeit gekommen, eine gemeinsame Energiepolitik auf den Weg zu bringen, nicht zuletzt um Europas Abhängigkeit von anderen Ländern zu verringern. Wir haben eine Entscheidung getroffen: Jetzt müssen wir bereit sein, an dieser Entscheidung festzuhalten, auch wenn wir wissen, dass der Weg schwierig sein wird. Nichts zu unternehmen, würde jedoch sowohl für Europa als auch für die übrige Welt wesentlich höhere Kosten bedeuten, und gezahlt würden sie vor allem von den schwächsten Teilen der Gesellschaft.

 
  
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  Johannes Blokland (IND/DEM). – (NL) Herr Präsident! Die Tatsache, dass der Europäische Rat einen Frühjahrsgipfel im Winter veranstaltet hat, zeigt, dass der Klimawandel vom Rat anerkannt wird. Erfreulicherweise hat der Rat die Kommissionsvorschläge zur Bekämpfung des Klimawandels übernommen. Allerdings ist der Rat zu einer Reduktion um 30 % nur bereit, wenn die anderen entwickelten Länder ihren Teil leisten, um dieses Ziel zu erreichen. Um sicherstellen zu können, dass der Temperaturanstieg 2°C nicht überschreitet, ist jedoch eine weltweite Verringerung der Treibhausgasemissionen um 30 % bis zum Jahr 2020 notwendig.

Vor einigen Wochen hat sich das Europäische Parlament daher für diese 30 % entschieden, und dies ist ein erster Schritt. Mir ist durchaus bewusst, dass eine Reduktion um 30 % nicht einfach ist. Dem Planbüro für Umwelt und Natur in den Niederlanden zufolge ist dieser Prozentsatz nur durch wesentliche technologische Veränderungen sowie durch ein anderes Verhalten von Bürgern und Unternehmen erreichbar. Die niederländische Regierung besitzt jedoch den Ehrgeiz dazu, und zwar zu Recht. Um diese ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen, muss von den zahlreich zu Gebote stehenden Möglichkeiten gleichzeitig Gebrauch gemacht werden, denn wir dürfen uns nicht auf eine einzige Lösung fixieren.

Die Schlussfolgerungen des Rates enthalten keine genauen Angaben, mit welchen Energiequellen die Versorgungssicherheit gewährleistet werden soll. Damit besteht die Gefahr, dass weiterhin nur der Bedarf an Gas, Erdöl und Kohle in Betracht gezogen wird. Wenn wir an fossilen Brennstoffen festhalten, wird die Entwicklung erneuerbarer Energieträger dadurch behindert.

 
  
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  Timothy Kirkhope (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Ich möchte allen Beteiligten zu dem erfolgreichen Gipfeltreffen gratulieren. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass der Vorsitzende der Delegation der britischen Konservativen nach einer Tagung des Europäischen Rates voll des Lobes ist, aber diesmal ist das gerechtfertigt und ich freue mich, dass ich dieses Lob aussprechen kann.

Mit der erreichten Einigung über die Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der EU hat der Rat seine Führungskompetenz bei einem der sicherlich schwerwiegendsten Probleme unseres Planeten, nämlich dem drohenden Klimawandel, unter Beweis gestellt. Ich hoffe sehr, dass die Führungskompetenz, die die Mitgliedstaaten hier gezeigt haben, den Anstoß zu einer breiter angelegten internationalen Initiative geben wird.

Der Vorsitzende meiner Partei, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass dieses Thema im Vereinigten Königreich in den Mittelpunkt der Debatte gerückt worden ist, begrüßt diese Vereinbarung ebenfalls und freut sich über den neuen Eifer von Herrn Blair und Herrn Brown. Indem Europa eine Führungsrolle in diesem Bereich einnimmt, gibt es nicht nur der Weltgemeinschaft ein klares Signal, sondern zeigt auch unserer eigenen Bevölkerung, dass die EU tatsächlich etwas bewirken kann. Die Neuigkeiten aus Brüssel betreffen leider allzu oft schwer verständliche institutionelle Themen, die keinen Bezug zum Leben der Bürger haben. Diese Vereinbarung über den Klimaschutz ist eine gute Vereinbarung, und ich hoffe, dass die Mitglieder des Parlaments dies berücksichtigen werden, wenn wir das nächste Mal eine Aussprache über institutionelle Mechanismen führen werden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang die Frage stellen, welche Vorschläge zur Verbesserung des EU-Systems für den Handel mit Emissionen vorliegen und ob bestätigt werden kann, dass die Umsetzung dieser Vorschläge ohne grundlegende institutionelle Reformen möglich sein wird. Wann werden wir eine Aufstellung erhalten, aus der die für die einzelnen Länder festgelegten Zielvorgaben für den Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch zu ersehen sind?

Was die Schlussfolgerungen anbelangt, begrüße ich auch die erzielten Fortschritte im Bereich der besseren Rechtsetzung. Ich möchte dazu lediglich anmerken, dass ich mir insbesondere bei der Deregulierung mehr Aktivitäten wünschen würde. Der Präsident der Kommission, Herr Barroso, verdient Anerkennung dafür, dass er dieses für die Wettbewerbsfähigkeit Europas so wichtige Thema weiter vorantreibt.

Abschließend möchte ich meine Unterstützung dafür zum Ausdruck bringen, dass in den Schlussfolgerungen die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen in Wirtschaft und Politik hervorgehoben worden ist und dass ich insbesondere das persönliche Engagement von Bundeskanzlerin Merkel für eine neue transatlantische Wirtschaftsbeziehung begrüße.

 
  
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  Poul Nyrup Rasmussen (PSE). – (EN) Herr Präsident, Herr Ratspräsident! Als Erstes möchte ich Ihnen meine Anerkennung für die Bewältigung einer durchaus nicht leichten Aufgabe aussprechen. Herr Steinmeier, der für seine Hartnäckigkeit und seine Entschlossenheit bekannt ist, hat gute Arbeit geleistet. Ich begrüße dieses Ergebnis, das meiner Ansicht nach ein sehr wichtiger Meilenstein für die Europäische Union ist und Europa weltweit zu einem Vorreiter bei der Bekämpfung des Klimawandels macht.

Jetzt hoffe ich natürlich, dass dies nicht nur ein Text ist, der vom Europäischen Rat gebilligt worden ist, sondern dass der Inhalt in den Mitgliedstaaten auch umgesetzt wird. Ich gehe davon aus, dass die Vereinbarung, wie der Abgeordnete der britischen Konservativen versichert hat, auch im Vereinigten Königreich umgesetzt wird, gemeinsam mit der britischen Wirtschaft und den Konservativen unter der Führung von Toni Blair – man höre und staune!

(Heiterkeit)

Mein zweiter Punkt ist, dass die Klima- und Energiepolitik kein Kostenfaktor ist, sondern eine neue Wettbewerbsgröße und eine neue Chance zur Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, wie dies in der Lissabon-Agenda gefordert wird. Ich möchte hervorheben, dass ein neues, intelligentes, grünes Wachstum zu einem neuen Motor für den Lissabon-Prozess werden könnte und sollte, wie Kommissar Verheugen bereits sagte, und wie Sie, Herr Ratspräsident ebenfalls betont haben.

Ich stimme den Aussagen von Herrn Verheugen zu, aber ein kleines Wort hat gefehlt und dieses Wort lautet „Koordinierung“: Koordinierung der Wirtschaftsinvestitionen in diesen Bereichen, damit wir den enormen Investitionsbedarf, den wir haben, bewältigen können. Der gesamte Investitionsbedarf in den kommenden Jahren wird auf eine Milliarde Euro geschätzt und hier ist eine Koordinierung notwendig, um die zusätzliche Synergie zu erreichen, die die Europäische Union schaffen kann.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei dieser Aufgabe. Wir von der Sozialdemokratischen Partei Europas bieten Ihnen unsere Unterstützung an.

 
  
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  Chris Davies (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Die Beschlüsse des Rates waren ehrgeizig und die Einmütigkeit, mit der sie getroffen wurden, bemerkenswert. Es wird sich allerdings noch zeigen, dass der Teufel im Detail steckt, und ich vermute, dass alles andere als Einmütigkeit herrschen wird, wenn die Vorschläge über die Lastenverteilung bekannt gegeben werden. Im Übrigen sind einige der spezifischen Ziele nicht unumstritten, nicht zuletzt bei Umweltschützern.

Die Festlegung des Ziels für Biokraftstoffe wird sich beispielsweise als Fehler erweisen, da es zahlreiche Belege dafür gibt, dass es sinnvoller ist, die für die Gewinnung von Biokraftstoffen für Autos verwendeten Pflanzen zur Erzeugung von Elektrizität zu nutzen. Wir sollten nicht so tun, als ob unsere Nachfrage nach Biokraftstoffen keine Auswirkungen auf tropische Regenwälder haben wird. Wir können noch nicht einmal die Einfuhr von Holz aus illegaler Abholzung in die EU verhindern, und es wird uns schon gar nicht gelingen, die Ausweitung von Palmölplantagen zu stoppen. Unsere Nachfrage wird Auswirkungen haben und ich hoffe, dass alle Vorschläge in diesem Paket, die den Bereich Energie betreffen, das Mitentscheidungsverfahren durchlaufen werden, um sicherzustellen, dass die Abgeordneten hier eine Möglichkeit zur Einflussnahme haben.

Doch ungeachtet aller Kritik ist die allgemeine Richtung begrüßenswert und die Ziele verdienen Anerkennung. Die Europäische Union hat hier gewissermaßen die Rolle eines Predigers übernommen, der versucht, den Rest der Welt vor den Gefahren des Klimawandels zu warnen und den Weg für eine internationale Vereinbarung für die Zeit nach 2012 zu ebnen, die zumindest China, Indien und die Vereinigten Staaten einbeziehen muss.

Diese Vereinbarung für die Zeit nach 2012 muss spätestens bis zur Konferenz der Vertragsparteien 2009 fertig gestellt sein und es wird eine grundlegende Änderung in der Haltung dieser anderen Länder notwendig sein, wenn wir dieses Ziel erreichen wollen. Wir müssen versuchen, alle Meinungsbildner zu erreichen, die Medien, jeden Abgeordneten, die Wirtschaftsbosse, aber auch die Minister der Regierungen, damit wir dies sicherstellen können. Ich glaube nicht, dass diese Ressourcen vorhanden sind, sicher nicht in der Generaldirektion Umwelt, vielleicht noch nicht einmal in der gesamten Kommission. In Europa jedoch sind sie vorhanden, wenn wir unsere Ressourcen in allen 27 Mitgliedstaaten bündeln, wenn wir unsere Diplomaten, unsere Politiker und unsere Unternehmen in einer konzertierten Kampagne zusammenbringen, um einen Bewusstseinswandel herbeizuführen und den Erfolg zu sichern.

So sollten wir an diese Aufgabe herangehen, und wir sollten die Situation in dieser drastischen Form beschreiben, damit sich alle Kräfte auf die Suche nach einer Lösung konzentrieren. Wir haben weniger als 1 000 Tage Zeit, um die Welt zu retten und eine solche internationale Vereinbarung zustande zu bringen. Dies ist unsere Aufgabe und dafür werden wir all unsere Ressourcen brauchen. Wir müssen auf den Beschluss des Rates aufbauen und unsere Arbeit mit Eifer, Leidenschaft und der gebotenen Eile vorantreiben, wenn wir dies erreichen wollen.

 
  
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  Mario Borghezio (UEN).(IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Europa stellt nicht nur die richtigen Fragen, sondern beginnt auch, konkrete Antworten zu geben, sich zur Energieeinsparung und zu alternativen Energiequellen zu verpflichten sowie zu überlegen, wie das Problem des Klimawandels zu bewältigen ist. Unterdessen werden jedoch von einem riesigen Hightechgebiet inmitten Europas, das für die soziale und wirtschaftliche Zukunft eines der Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung ist – ich spreche von der Poebene –, seit Langem vergeblich Infrastrukturmaßnahmen zur Lösung des Problems der Umweltverschmutzung gefordert, deren Ursache in der Überlastung des Verkehrsnetzes liegt – eine Situation, die nunmehr kritische Ausmaße angenommen hat.

In den morgendlichen und abendlichen Stoßzeiten erscheint die Poebene auf den Satellitenbildern als eine riesige Schlange von Personen- und Lastkraftwagen, die tonnenweise schmutzige Abgase ausstoßen und irre Mengen an Treibstoff verbrauchen. Seit Jahrzehnten hält diese Situation an und werden von uns die besagten Maßnahmen gefordert, doch Rom, das sich aus der Verantwortung stiehlt – nicht dass seine Einwohner Gauner wären, denn sie sind großartige, rechtschaffene Menschen, wohl aber die Hallen der zentralistischen Macht des alten Staates –, konzentriert sich, wie in Byzanz, auf die Reform des Wahlsystems und lässt zu, dass sich diese Situation noch weiter verschlimmert.

Der zweite Aspekt der Klimakrise betrifft das Wasser. Nicht nur für Süditalien, sondern auch für die Poebene besteht die Gefahr, zu verdursten. Ich möchte Europa auf die Wassersituation in der Poebene aufmerksam machen, weil sich daraus äußerst schwerwiegende Folgen für Europas Kornkammer ergeben könnten, wie diese Großregion genannt wird, die für die Zukunft der Produktion in unserem Lande so wichtig ist.

 
  
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  Ian Hudghton (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Auf der Tagung des Rates wurde festgestellt, dass die erneuerte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung „Früchte zu tragen beginnt“. Es wird auch langsam Zeit, denn die bis jetzt erreichten Ergebnisse sind keineswegs so spektakulär wie der Auftakt dieser mit großem Trara auf den Weg gebrachten Strategie. Die meisten Unternehmen, insbesondere kleinere Unternehmen, die den überwiegenden Teil der Arbeitgeber ausmachen, beklagen zu Recht, dass die übermäßige Bürokratie ihre Geschäftstätigkeit und ihre Entwicklung behindert. Ich begrüße es daher, dass auf dem Gipfeltreffen vereinbart worden ist, dass der durch EU-Rechtsvorschriften verursachte Verwaltungsaufwand bis zum Jahr 2012 um 25 % verringert werden soll, und ich hoffe, dass dieses Ziel erreicht wird. Schade ist allerdings, dass die Mitgliedstaaten selbst sich nicht zu einer ähnlichen Verringerung des durch nationale Rechtsvorschriften verursachten Verwaltungsaufwands verpflichtet haben.

Die meiste Aufmerksamkeit wurde den auf dem Gipfeltreffen eingegangenen Verpflichtungen zur Energieeffizienz und zu den erneuerbaren Energien gewidmet. Die Energieeinsparziele, die festgelegt worden sind, verdienen Anerkennung. Ich hoffe jedoch, dass bei neuen Rechtsvorschriften die örtlichen Gegebenheiten in angemessener Form berücksichtigt werden. Beim Verkehr beispielsweise muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es in meiner Heimatregion ebenso wie im größten Teil der ländlichen Gebiete Schottlands keine realistische Alternative zum Straßengüterverkehr gibt.

 
  
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  Vladimír Remek (GUE/NGL).(CS) Meine Damen und Herren! Die Lösung für das Problem der globalen Erwärmung ist nicht nur eng mit der Nutzung erneuerbarer Energiequellen, sondern auch mit unserer Einstellung zu herkömmlichen Energiequellen verbunden. Ich freue mich jedenfalls, dass auf dem EU-Gipfel ein Durchbruch erzielt wurde, was die Haltung der EU zur Kernenergie betrifft. Bisher wollte sich ja die deutsche Präsidentschaft beim Thema Kernenergie nicht eindeutig festlegen. Sie will sich um die Frage herummogeln aus Angst, sie könnte sich die Finger verbrennen. Dabei weiß die Präsidentschaft ganz genau, dass sie sich früher oder später den wirtschaftlichen Notwendigkeiten beugen und Maßnahmen ergreifen muss. Je länger wir jedoch warten, desto gravierender wird dieses Problem.

Der Richtungswechsel ist daran erkennbar, dass die Delegierten auf dem Gipfel letztendlich einsahen, dass die Mitgliedstaaten im Interesse der Energiesicherheit und der Emissionssenkung von der Kernenergie Gebrauch machen können. Ich vertrete jedoch die Ansicht, dass wir nicht nur einen gut ausgewogenen Energiemix brauchen, sondern auch – wie es sich für Demokraten gehört – offen für alle verfügbaren Energiequellen sein sollten. Dabei müssen wir natürlich alles in unserer Macht Stehende tun, um höchste Sicherheitsstandards zu gewährleisten.

 
  
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  Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Natürlich hat sich der Europäische Rat nicht nur mit der Klima-Thematik beschäftigt. Das war richtig. Wir Europäer werden die Mühen und die Kosten tragen. Das heißt, sofern wir nicht die Vereinigten Staaten, China und Indien dazu bringen, mit uns am gleichen Strang zu ziehen, dann ist es mit den Maßnahmen, die wir ergreifen, so, als ob wir unser eigenes Auto herstellen und dafür einen großen Teil des Geldes selber zahlen, während unser nächster Nachbar mit einem defekten Auspuff herumfährt. Was versuchen wir zu tun? Ein Loch in einen Teich zu graben? Wir brauchen daher ein neues Kyoto-Protokoll, das von diesen drei Ländern unterzeichnet wird, die zusammen die Hälfte der Erdbevölkerung stellen und 65 % der Energie verbrauchen. So müssen wir die Sache sehen.

Andererseits reden wir über Entwicklungen im Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialsektor. Das verstehe ich nicht. Von welcher gesellschaftlichen Schicht reden wir denn? Von der, die nach Lissabon ihren BMW gegen einen Mercedes eingetauscht hat? 100 Millionen Europäer leben unterhalb der Armutsgrenze. Was tun wir für sie? Was werden wir tun? Sie sind die arbeitslosen Bürger. Sie sind es, die jedes Referendum, das wir möglicherweise später für die Verfassung brauchen, blockieren werden. Lassen Sie uns also auf die Armen schauen und uns nicht nur an ein Wunschdenken und an Worte klammern, die letztendlich niemanden überzeugen.

 
  
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  Antonio Tajani (PPE-DE).(IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Dies war ein positiver Europäischer Rat, denn er hat die Probleme, von denen unsere Bürger betroffen sind, an der Wurzel angepackt. In diesem Zeitalter der Globalisierung brauchen unsere Völker immer dringender ein Europa, von dem die Fragen, auf die die Mitgliedstaaten keine Antworten mehr zu geben vermögen, zufriedenstellend behandelt werden können.

Nur die Union kann sich nämlich den wichtigen Themen widmen wie Klimawandel, Kampf gegen den Terrorismus und das organisierte Verbrechen, Einwanderung, Energiesicherheit, einschließlich der Neubelebung der Atomenergie, Arbeitslosigkeit, unserem Umgang mit den neu aufstrebenden ostasiatischen Wirtschafts- und Handelsgroßmächten, ganz zu schweigen vom Frieden in der Mittelmeerregion und im Nahen Osten. Aus diesem Grund benötigen wir einen neuen Verfassungsvertrag, in dem Kompetenzen und Handlungsfähigkeiten definiert werden sollen.

Daher, Herr Präsident, befürworte ich den Vorschlag zur Ausarbeitung eines Textes, durch den die Substanz des in Rom unterzeichneten und in Frankreich sowie den Niederlanden abgelehnten Dokuments gewahrt bleibt und der darin verankerte Wertekatalog übernommen wird, eines Textes, der sich auf die jüdisch-christlichen Wurzeln bezieht, die das Fundament des Handelns der Union bilden, in dessen Mittelpunkt die Menschen- und Bürgerrechte stehen.

Herr Steinmeier, ich möchte dem deutschen Vorsitz einen konkreten Vorschlag unterbreiten und einen eindringlichen Appell an ihn richten. Ich schlage vor, dass die Mitgliedstaaten zusammen mit dem Parlament und der Kommission in den kommenden Monaten eine groß angelegte Medienkampagne starten, um die Bürger darüber aufzuklären, was die Europäische Union wirklich bedeutet, um ihnen bewusst zu machen, dass Europa nicht die kostspielige, erdrückende Brüsseler Bürokratie ist, sondern, wie sich auf dem Gipfel vom 8. und 9. März gezeigt hat, eine Institution, die die Gewissheit einer besseren Zukunft für eine halbe Milliarde Menschen verkörpert.

 
  
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  Harlem Désir (PSE).(FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar! Aus den Debatten und Schlussfolgerungen zur Lissabon-Strategie lässt sich schließen, dass der Rat auch seinen sozialpolitischen Ansatz überdacht hat.

Darüber bin ich erfreut, und wie Sie glaube auch ich, dass sich die Staats- und Regierungschefs der Tatsache bewusst werden, dass wir das Vertrauen der Bürger nur dann zurückgewinnen können, wenn wir beweisen, dass sich Europa um einen Fortbestand des Europäischen Sozialmodells bemüht. In den Schlussfolgerungen wird daher nicht nur auf die Notwendigkeit verwiesen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum zu fördern, sondern auch die Arbeitsplatzqualität, gute Arbeitsbedingungen, die Beteiligung der Arbeitnehmer sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. Dies verlangt geradezu nach zwei Anmerkungen.

Erstens, wenn wir wollen, dass dieser neue sozialpolitische Ansatz nicht nur auf dem Papier besteht, dann muss es auch einen entsprechenden Aktionsplan geben, die Europäische Sozialagenda muss wiederbelebt werden, und womöglich muss sich sogar der Rat für die Umsetzung dieser sozialpolitischen Ziele einsetzen, so wie es auch der vorherige Rat für die Ziele im Bereich der Energiepolitik und der erneuerbaren Energien getan hat. Die Zielsetzungen sollten beziffert werden, unter anderem auch in den Bereichen, die in der Lissabon-Strategie vorgesehen sind: Jugendbeschäftigung, Beschäftigung der über 50-Jährigen, Zugang zu lebenslanger Bildung. Die Mitgliedstaaten müssten dazu verpflichtet werden, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um tatsächliche Ergebnisse zu erzielen, beispielsweise durch den Austausch bewährter Praktiken und die Einführung von Sanktionen für diejenigen, die ein Vorhaben nicht zu Ende führen. Außerdem sollten wir endlich einige Dokumente verabschieden, die von demselben Rat zurückgehalten werden, der sich auch einer Stärkung der sozialen Dimension der Union verschrieben hat: die Arbeitszeitrichtlinie, die Revision der Richtlinie über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats und die Richtlinie zur Leiharbeit.

Zweitens muss die neue Stärkung der sozialen Dimension mit den politischen Strategien in allen anderen Bereichen in Einklang gebracht werden. Lässt sich der Schutz des europäischen Sozialmodells uneingeschränkt mit unserem Ziel vereinbaren, die Postdienste sowie auch die Strom- und Gasmärkte vollständig zu liberalisieren? Können wir in diesen Sektoren aus einer rein binnenmarktorientierten Perspektive vorgehen? Hält die Liberalisierung Garantien für die öffentlichen Dienstleistungen, die Versorgung aller Regionen und die Kontrolle der Gebühren bereit? Meines Erachtens müssen wir auch in diesem Bereich für ein neues Gleichgewicht sorgen. Wie Sie wissen, hat die Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament aus diesem Grund gefordert, den Entwurf einer Rahmenrichtlinie zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu prüfen.

 
  
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  Bronisław Geremek (ALDE). – (PL) Herr Präsident, Herr amtierender Ratspräsident, Herr Kommissar! Gestatten Sie mir die Anmerkung, dass der jüngste Gipfel unter deutschem Ratsvorsitz nicht nur ein Beispiel für wirksames Handeln ist, sondern auch gezeigt hat, wie Axiologie, also das Festhalten an Werten, mit einer pragmatischen Politik verbunden werden kann.

Europa bedeutet Freiheit, Solidarität und Innovation – Ziele, auf die auch unsere Energiepolitik ausgerichtet sein sollte. Solidarität in der Energiefrage wird und kann die Freiheit befördern. Wie können Innovation und Solidarität in der Energiepolitik miteinander verbunden werden? Ich möchte darauf hinweisen, dass die Länder, die sich nach einer langen Zeit der Trennung Europa kürzlich wieder angeschlossen haben, arm sind und das 3 x 20-Programm nicht bewältigen können. Die Umsetzung dieses Programms könnte daher rasch zu einer Verstärkung der Diskrepanzen innerhalb der Union führen.

Ich appelliere an Kommissar Verheugen, sich stets vor Augen zu halten, dass die Gemeinschaftspolitik den Zielen der Gemeinschaft dienen sollte.

 
  
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  Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Der Gipfel ist ein weiterer Schritt in Richtung des Aufbauwerks Europa. Um jedoch nicht übermütig zu werden, sollten wir uns den Status quo in ausgewählten Bereichen etwas genauer ansehen. Das Ziel der Lissabon-Strategie, bis zum Jahr 2010 3 % des BIP für die Wissenschaft bereitzustellen, reicht, auch wenn es einen Fortschritt darstellt, nicht aus, um zu den USA aufzuschließen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, ehe Europa sein geistiges Potenzial in vollem Umfang nutzen kann.

In puncto Energiepolitik sollte uns das Ziel, 20 % unseres Bedarfs aus erneuerbaren Energiequellen zu decken und den Bergbau einschließlich der Kohleförderung zu nutzen, nicht den Blick für unsere gegenwärtigen Energieprobleme verstellen. Im Anhang ist von einer gemeinsamen europäischen Politik die Rede, die das Handeln der Mitgliedstaaten koordiniert. Diese sollten jedoch nicht zum Nachteil des europäischen Zusammenhalts agieren, wie wir das erst kürzlich beobachten konnten.

Die derzeitige Lage in Bezug auf die Gaslieferungen aus Russland – die Gaskrise in Belarus und der Ukraine – ist ein weiterer Test für unsere Energiepolitik und die Sicherheit insgesamt, und wir sollten das als Lehre begreifen und nicht als vorübergehende Erscheinung. Russland stellt uns vor eine große Herausforderung, aber Europa kann verhindern, zum Prügelknaben zu werden, wenn es mit einer Stimme spricht, was selten der Fall ist. Dieser Gipfel wird hoffentlich zu einer Änderung der Lage beitragen.

Die jüngsten Maßnahmen der Kommission zum Schutz der Umwelt im Rospuda-Tal – in Bezug auf den Bau der Ostseepipeline gab es eine solche Initiative nicht – machen deutlich, wie selektiv, uneinheitlich und inkonsequent diese Maßnahmen sind. Ein Meer von Tränen wird vergossen, wenn eine Rose vertrocknet oder unsere Wälder brennen, während Ereignisse von strategischer Bedeutung mit Stillschweigen übergangen werden und wir uns statt dessen auf Spitzfindigkeiten konzentrieren.

Abschließend möchte ich Europas größte Schwäche erwähnen, nämlich den fortgesetzten Mangel an Solidarität auf der Ebene der Regierungen und auf nationaler Ebene. Das ist weniger eine Frage von Vorschriften als vielmehr der Erkenntnis, dass wir ein gemeinsames Schicksal haben, das in der Tradition – vor allem der christlichen Tradition – verwurzelt ist und auf gemeinsamen Zielen basiert, die immer wieder neu bestimmt werden müssen. Im Moment ist die Energiefrage ein Test für die europäische Solidarität, und diese Solidarität wird Europas künftiger Entwicklung Schwung verleihen.

 
  
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  Gianni Pittella (PSE).(IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem letzten Europäischen Rat kann fairerweise gesagt werden, dass dies das Europa ist, das uns gefällt: das Europa der Weichenstellungen, das Europa der Weitsicht, das Europa, das seine Interessen vertritt und als globaler Akteur auftritt. Dies war ein dringend notwendiger, wenngleich unerwarteter Endspurt, der wirklich zu begrüßen ist. Es ist nicht das erste Mal, dass wir im Begriff waren, zurückgeworfen zu werden, und dass wir wieder aus der Talsohle herausgekommen sind, indem wir unser Bestes gaben: Wir taten es bei der Zollunion, beim Binnenmarkt und beim Euro. Heute tun wir es im Energiebereich und bei der Bekämpfung des Klimawandels. Wir dürfen jetzt nicht innehalten: Das wäre ein unverzeihliches Eigentor.

Die Kommission muss ihren Part übernehmen und die Ratsbeschlüsse in Legislativvorschläge umsetzen, damit sich das Parlament eingehend mit ihnen befassen kann. Die Bewertung der einzelstaatlichen Pläne durch den Rat sollte auf Mehrheitsbasis erfolgen. Vor allem dürfen wir nicht auf dem Weg zu einem politischen Europa Halt machen. Wie der Präsident der italienischen Republik, Giorgio Napolitano, auf der letzten Tagung in diesem Saale ausgeführt hat, ist die Verfassung keine Laune, keine Marotte und auch keine bloße Dekoration. Ohne neue Regeln, ohne Rechtspersönlichkeit, ohne politische und soziale Seele und ohne eine Charta der Rechte besteht für Europa die Gefahr eines erneuten Rückgangs.

Deshalb sehen wir erwartungsvoll der Erklärung vom 25. März entgegen. Frau Merkel sagte gestern, in der Erklärung werde nicht über Gott gesprochen, und das ist richtig so, denn jeder aufrichtige Katholik und Christ trägt Gott in seinem Herzen. In der Erklärung muss aber unbedingt die Verfassung zur Sprache gebracht werden. Nach den Erfolgen der vergangenen Woche wäre es enttäuschend, wenn nur eine allgemein gehaltene Erklärung vorgelegt würde, in der nicht Europas Erfolge herausgestellt werden, in der die bedeutenden Errungenschaften der letzten 50 Jahre unerwähnt blieben und in der vor allen Dingen nicht jenes wichtige Ziel der europäischen Verfassung gesteckt würde.

 
  
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  Anneli Jäätteenmäki (ALDE).(FI) Herr Präsident! Ich nutze jetzt die Zeit, die für mich zur Erörterung der Berliner Erklärung vorgesehen war. Zunächst einmal ist die fünfzigjährige Partnerschaft zwischen den europäischen Staaten ein Grund zu feiern. Die Partnerschaft hat Ergebnisse erbracht, wenngleich es natürlich auch Bereiche gibt, in denen wir noch unzufrieden sind.

Deutschland hat zu Ehren dieses Ereignisses eine spezielle Erklärung vorbereitet. Leider wurde diese Erklärung hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet. Als die Vorsitzenden unserer Fraktionen heute Morgen sprachen, mussten sie einräumen, dass sie den Text gar nicht zu Gesicht bekommen hatten. Das sagt viel über den gegenwärtigen Zustand der EU, über die Offenheit und die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen der EU.

Die Erklärung muss allein ein Ziel haben: Sie muss klipp und klar erklären, warum wir die europäische Zusammenarbeit in diesem Jahrtausend brauchen. Das heißt, sie muss deutlich definieren, worin unsere gemeinsamen europäischen Ziele bestehen.

 
  
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  Markus Ferber (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Vizepräsident der Kommission, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst einmal möchte ich meine Überraschung darüber zum Ausdruck bringen, wie intensiv und auf welchem Niveau hier manche Diskussionen, wie man CO2-Reduktionen wirklich erreichen kann, geführt werden. Ich habe in meinem Mitgliedstaat den Eindruck, dass man die Klimakatastrophe in den Griff bekommen könnte, wenn man etwas langsamer fährt, die Glühbirnen auswechselt und bei jeder Urlaubsreise in Afrika drei Bäume pflanzt. Wer so etwas vorgaukelt, der belügt die Menschen.

Es ist schon notwendig, dass wir sehr intensiv darüber nachdenken, wo die meisten CO2-Emissionen stattfinden. Sie finden bei der Erzeugung von Strom statt. Deswegen ist es wichtig, dass darüber auch nachgedacht wird, wie dort, wo am meisten CO2 emittiert wird, auch entsprechend eingespart werden kann. Es ist interessant festzustellen, dass der Vorsitzende der deutschen SPD jetzt auch noch als Naturwissenschaftsexperte durch die Lande geht und ausrechnet, wie viel CO2-Emissionen durch Kernenergie verursacht werden. Das sollte er lieber einer Physikerin überlassen wie der Bundeskanzlerin. Dann wären wir auf dem richtigen Wege.

Wir werden also als erstes darüber nachdenken müssen, wie wir im Autoverkehr auch bei der Energieerzeugung Zielvorgaben machen können. Wie viel Gramm CO2 darf pro Kilowattstunde emittiert werden? Dann ist man auf dem richtigen Weg, und dann erst kann über weitere Maßnahmen nachgedacht werden. Ich sage mit Nachdruck: Wir werden darüber nachdenken müssen, welche Rolle die Kernenergie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu spielen hat. Hier ist es wichtig, dass wir als Europäer ideologiefrei, unter dem Gesichtspunkt unserer Verantwortung, die wir hier zu übernehmen haben, auch das Stichwort Kernenergie sachlich diskutieren und damit auch einen Beitrag leisten, dass diese Diskussion in den Mitgliedstaaten wieder sachlich geführt werden kann.

 
  
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  Adrian Severin (PSE). – (EN) Herr Präsident! Die Energiesicherheit und die Bekämpfung des Klimawandels sind die beiden schwierigsten Aufgaben unserer Zeit. Der Europäische Rat hat mit seinem klaren und umfassenden Ansatz zur Bewältigung dieser Aufgaben deutlich gemacht, dass globale Herausforderungen globales Handeln erfordern, ebenso wie grenzüberschreitende Bedrohungen grenzüberschreitende Maßnahmen erfordern. Dies sind Themen, die die Bürger betreffen, und der Rat macht, indem er sich mit diesen Themen befasst, deutlich, dass die Europäische Union auf die Erwartungen der europäischen Bürger reagiert. Auf diese Weise wird die Loyalität der Bürger gegenüber den europäischen Institutionen gestärkt. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Ein gemeinsamer Energiemarkt erfordert die Vergemeinschaftung der Energiepolitik, die gemeinsame Anstrengungen für die Technologieentwicklung beinhalten oder mit einer solchen Initiative verbunden sein sollte, ebenso wie koordinierte politische Maßnahmen in den Bereichen Investitionen, Beschäftigung und Wachstum.

Der in diesem Frühjahr zum Ausdruck gebrachte politische Wille wird ohne eine europäische Rechtsgrundlage weder nachhaltig noch wirksam sein. Eine gemeinsame Politik erfordert auch einen speziellen Haushalt, und es muss für die Bereitstellung der Mittel zur Finanzierung dieses Haushalts gesorgt werden, beispielsweise durch die Besteuerung bestimmter Energiegeschäfte und durch die Schaffung finanzieller Eigenmittel der Europäischen Union. Die Gestaltung der Erweiterungs-, Nachbarschafts- und Entwicklungsstrategien der Europäischen Union sollte sich danach richten, in welchem Umfang und auf welche Weise unsere ausländischen Partner – seien sie nun Nachbarn oder nicht – bei der Förderung der europäischen Energie- und Umweltstrategien mit uns zusammenarbeiten. Außerdem sollten die bilateralen Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Drittstaaten im Energiebereich so angelegt werden, dass sie zur Verbesserung unserer gemeinsamen Energiestrategie beitragen.

In diesem Frühjahr hat der Europäische Rat bewiesen, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt. Auf dem Gipfeltreffen in Berlin muss noch unter Beweis gestellt werden, dass es auch einen Tunnel gibt, der zu diesem Licht führt.

 
  
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  Elizabeth Lynne (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich freue mich, dass der Rat übereingekommen ist, den durch EU-Rechtsvorschriften verursachten Verwaltungsaufwand bis zum Jahr 2012 um 25 % zu verringern, wie von einem anderen Redner bereits erwähnt worden ist.

Ich begrüße ferner, dass der Rat die Einsetzung einer unabhängigen Expertengruppe gefordert hat, die die Organe bei ihren Bemühungen um eine bessere Rechtsetzung berät. Das ist sehr wichtig. Ich möchte aber noch weiter gehen und die Forderung erheben, dass grundsätzlich bei allen Rechtsvorschriften unabhängige Folgenabschätzungen durchgeführt werden sollten.

Im Bereich der Beschäftigung sollten nur dann Rechtsvorschriften auf EU-Ebene geschaffen werden, wenn eine erfolgreiche Regelung auf lokaler oder nationaler Ebene nicht möglich ist. Eigentümer kleiner Unternehmen verbringen bereits heute im Durchschnitt rund 28 Stunden im Monat damit, die aufgrund von Rechtsvorschriften erforderlichen Formulare auszufüllen. Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit sollten nur dann erlassen werden, wenn medizinisch und wissenschaftlich die Notwendigkeit solcher Vorschriften nachgewiesen ist. Dies ist zum Beispiel bei der Änderung der Richtlinie 2000/54/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit der Fall, mit der Arbeitnehmer vor Verletzungen durch Nadeln geschützt werden sollen.

 
  
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  Othmar Karas (PPE-DE). – Sehr geehrte Herren Präsidenten! Meine Damen und Herren! Der erste Schritt in die richtige Richtung einer gemeinsamen Energie- und Klimaschutzpolitik ist gesetzt, es wurde keine heiße Luft produziert, das begrüßen wir. Das Umfeld für politische Entscheidungen hat sich verbessert, wir sind aber noch lange nicht am Ziel. Die meisten Hürden stehen noch vor uns. Die erste ist die volle Integration der beschlossenen Ziele in die wachstums-, beschäftigungs- und wettbewerbspolitischen Programme bzw. deren Ergänzung. Klima- und Energiepolitik müssen die Lissabon-Strategie stärken, sie dürfen nicht davon ablenken.

Zweitens: Die Vorlage der konkreten europäischen Programme, Projekte, Maßnahmen und die Erarbeitung überprüfbarer notwendiger Aktionspläne lässt noch auf sich warten. Jeder muss wissen, wer macht was bis wann und wie, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Darauf kommt es an, denn Gipfelziele machen zwar Hoffnung, doch nur konkrete Ergebnisse schaffen Vertrauen. Daher fordere ich, dass wir jährlich einen Bericht der Mitgliedstaaten an die nationalen Parlamente, und der Kommission an das Europaparlament über die Umsetzungsergebnisse erhalten.

Drittens: Bis wann bekommen wir das dazugehörige Forschungsprogramm, die notwendigen Förderungskonzepte, den Energieeinsparungsfahrplan von der Kommission und den nationalen Regierungen? Die Bewährungsprobe steht uns intern und international noch bevor. Sie ist noch nicht erbracht. Katharina von Siena hat schon gesagt, nicht der Beginn wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.

 
  
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  Riitta Myller (PSE).(FI) Herr Präsident! Wir sollten froh darüber sein, dass die Europäische Union einen wichtigen Schritt zum Schutz des Lebens auf der Erde unternommen und ihre globale Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel bekräftigt hat.

Nun, da wir uns über das Ziel und die Verpflichtung einig sind, müssen wir uns näher damit befassen, wie die Ziele umgesetzt werden können. Es war absolut wichtig, sich zur Nutzung erneuerbarer Energieträger zu bekennen, um unseren zukünftigen Energiebedarf zu decken. Viele erneuerbare Energieträger sind aber noch in der Entwicklungsphase, und gleichzeitig wartet ein ziemlich großer Teil der energieeffizienten Verfahren erst auf seine Einführung. Jetzt sind die Mitgliedstaaten an der Reihe. Wir müssen jetzt verstärkt in die Energieeffizienz investieren.

Auch Biokraftstoffe und Bioenergie bedürfen des weiteren Ausbaus, während wir zugleich sicherstellen müssen, dass die Umweltfreundlichkeit des gesamten Lebenszyklus solcher Energiequellen auch auf globaler Ebene berücksichtigt wird, wie es hier bereits gesagt worden ist. Dafür brauchen wir ein Zertifizierungssystem, das uns den Weg zu den richtigen Produktionsmethoden weist.

Alles in allem haben wir Europäer die Chance, zu einem Führer in der Energietechnologie aufzusteigen. Kommissar Verheugen hat es gesagt: Wir brauchen Antworten von der Industrie auf die Frage, was möglich ist. Weil nämlich vieles möglich ist.

 
  
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  Françoise Grossetête (PPE-DE).(FR) Herr Präsident! Der Umweltkommissar, Herr Dimas, hat zum Abschluss dieses Gipfels von revolutionären Entscheidungen gesprochen. Ich möchte seinen Enthusiasmus teilen, in seinen Lobgesang allerdings auch einige skeptische Töne einfließen lassen.

Es stimmt, dass die Klimapolitik endlich in die Wirtschaftspolitik der EU integriert wurde. Das ist zu begrüßen. Ich erinnere mich allerdings an den Lissabonner Gipfel im März 2000, als sich die Europäische Union das Ziel setzte, bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu werden. Fünf Jahre später konnten wir sehen, zu welchen mittelmäßigen Ergebnissen dies geführt hat. Ich hoffe, dass nicht auch dieser Gipfel zu einer Farce und einer großen Enttäuschung wird.

Ich begrüße die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen, doch sie liefern nur eine Teillösung für die Probleme der Klimaerwärmung. Natürlich müssen wir uns über Energieeffizienz und Gebäudeisolierung Gedanken machen. Die Windkraft muss gefördert werden, doch ihr Einfluss ist nur gering, und wir können uns nicht darauf verlassen: bei schwachem oder auch bei zu starkem Wind wird kein Strom erzeugt. Die Solarenergie muss gefördert werden, doch wir haben nicht genügend Handwerker, die in diesen neuen Technologien ausgebildet sind.

Mit Bedauern nehme ich die übertriebene Vorsicht des Rates zur Kenntnis, der nur zögernd einräumt, dass die Nuklearenergie zu den wirksamen Möglichkeiten gehört, die Treibhausgasemissionen zu verringern. Frau Merkel will, dass die Europäische Union eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel einnimmt. Damit sind alle einverstanden, doch dies ist pure Heuchelei, wenn man bedenkt, dass einige Mitgliedstaaten, die heute gegen Atomstrom sind, diese Energie kaufen, wenn das Überleben ihrer Wirtschaft davon abhängt. Und es ist ebenfalls heuchlerisch, wenn sich Frau Merkel dem Kampf gegen CO2-Emissionen verschreibt und gleichzeitig ihre Strategie zugunsten von Kohlekraftwerken für die Stromerzeugung weiterverfolgt, wo doch bekannt ist, welche verheerenden Folgen dies für die Umwelt hat. Es ist außerdem Heuchelei, wenn Deutschland, das im eigenen Land den Atomausstieg plant, seine zivile Nukleartechnologie an China verkauft. Und schließlich ist es verlogen, Herr Kommissar, von der Industrie Anstrengungen zu fordern, wenn der deutsche Ratsvorsitz Kraftfahrzeuge mit großen Motoren, viel zu hohem Verbrauch und viel zu hohem CO2-Ausstoß schützt.

Ja, ich stimme mit den Schlussfolgerungen dieses Gipfels überein, allerdings müssen auf die Worte auch Taten folgen, denn was wir heute tun, wird sich erst in dreißig Jahren bemerkbar machen. Die Europäische Union muss endlich ihren Einfluss zurückerlangen und eine grüne Diplomatie durchsetzen.

 
  
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  Marek Siwiec (PSE). – (PL) Herr Präsident! Eine solche Übereinstimmung in Bezug auf einen EU-Gipfel hat es schon lange nicht mehr gegeben. Er wurde von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und auch von den Mitgliedern dieses Parlaments gelobt. Eine angeborene Vorsicht lässt uns jedoch fragen, was da politisch geschehen ist. Wie ist es möglich, dass nach so vielen Monaten schließlich ein Erfolg erzielt wurde, über den wir alle des Lobes voll sind?

Die Antwort lautet, dass ein starker Wunsch nach einem solchen Erfolg bestand und ein starkes Bedürfnis, Einigkeit zu demonstrieren. Es muss jedoch ganz klar gesagt werden, dass der Gipfel vom 8. März einer überaus wichtigen Debatte über die Verfassung vorausgegangen ist, einer Debatte, die noch immer nicht abgeschlossen ist und nun im Schatten des Erfolgs dieses Gipfels stattfindet. Das Dilemma des vorangegangenen Gipfels, die Frage also, was denn die Europäische Union sein soll, besteht trotz des dort erzielten Erfolgs fort.

Wir sollten uns deshalb fragen, ob die in der Energiefrage erzielte Einigkeit all jenen, die die schwere Entscheidung über die Zukunft Europas auf sich nehmen wollen, Kraft und Mut gegeben hat oder ob eher das Gegenteil der Fall ist. Oder könnte es sein, dass nun – wie einige der politisch Verantwortlichen in Europa behaupten –, da mittels der alten Mechanismen Übereinstimmung erzielt wurde, diese nicht mehr ersetzt zu werden brauchen?

Ich möchte all jene, die die Berliner Erklärung und Verfassungslösungen erarbeiten, warnen, nicht zuzulassen, dass, während jeder das Gleiche sagt und den Erfolg begrüßt, jedes Land oder die Mehrheit der Länder in Wirklichkeit einen anderen Standpunkt vertritt. Sollte sich herausstellen, dass dieser Gipfel der letzte Erfolg der Europäischen Union war, weil dann nur noch Probleme folgen, werden all die großen Worte, die hier in diesem Hohen Haus gesprochen wurden, leider bedeutungslos sein.

 
  
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  Malcolm Harbour (PPE-DE).  – (EN) Herr Präsident! Der Rat hat heute viel Lob erhalten, besonders für das Energiepaket. Ich möchte jedoch einen anderen wichtigen Meilenstein erwähnen, der für mich persönlich von großer Bedeutung ist. Seit ich 1999 in dieses Haus gewählt wurde, melde ich mich regelmäßig nach jedem Gipfeltreffen in Brüssel mit der Forderung zu Wort, dass dem Binnenmarkt und seiner Vollendung oberste Priorität eingeräumt werden muss. Ich danke Ihnen dafür, Herr Ratspräsident, dass Sie den Binnenmarkt auf der ersten Seite Ihrer Schlussfolgerungen als erste Maßnahme genannt haben. Als noch wichtigeren Schritt begrüße ich aber, dass vom Rat die Bedeutung hervorgehoben worden ist, die die Vollendung des Binnenmarkts im Zusammenhang mit Europas Antwort auf die Globalisierung hat.

Warum ist dies aus meiner Sicht von so großer Bedeutung? Herr Ratspräsident, bei der Sitzung mit den Abgeordneten der nationalen Parlamente, an der Sie ebenfalls teilnahmen und auf der es um die Lissabon-Agenda im Allgemeinen ging, hatte ich die ehrenvolle Aufgabe des Berichterstatters. Diese Abgeordneten sagten uns, dass dies die Botschaft sei, die wir unseren Wählern vermitteln müssen. Von unseren Regierungen und unseren Staats- und Regierungschefs erhalten wir allerdings keine große Unterstützung, wenn wir versuchen, den Bürgern die grundlegende Bedeutung des Binnenmarkts deutlich zu machen. Dasselbe sagten uns die Abgeordneten der nationalen Parlamente auch über die vier Freiheiten des Binnenmarkts, und dies ist hier ebenfalls bereits erwähnt worden. Herr Ratspräsident, ich bitte Sie, folgenden Appell an die Minister zu richten: „Unterstützen Sie Ihre Abgeordneten, damit sie ihren Wählern diese wichtige Botschaft vermitteln können“.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf zwei wichtige Vorschläge eingehen, die hier erwähnt worden sind. Ein Vorschlag bezieht sich auf ein Thema, über das ich sehr gut informiert bin: die Dienstleistungsrichtlinie. Der zweite Vorschlag ist ein sehr wichtiger Vorschlag von Herrn Verheugen über den Umgang mit Problemen, die die Warenmärkte betreffen. Herr Ratspräsident! Bitte fordern Sie die Staats- und Regierungschefs auf, sich nach diesem Gipfel die Unterlagen aller Fälle vorlegen zu lassen, mit denen sich derzeit der Gerichtshof befassen muss, weil einzelne Länder ihre vertraglichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen nicht einhalten. Sie brauchen nichts weiter zu tun, als all diese Fälle zu regeln. Dies ist in der Zeit bis zum nächsten Gipfeltreffen zu schaffen, und eine solche Aktion würde die umfangreichste Verbesserung des Binnenmarkts bewirken, ohne dass wir weitere Rechtsvorschriften erlassen müssten. Was wir hier brauchen, sind Taten statt Worte.

 
  
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  Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Harbour. Ich freue mich über Ihren engagierten und leidenschaftlichen Beitrag.

 
  
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  Marianne Mikko (PSE). – (ET) Vergangene Woche hat der Rat auf seiner Tagung einen bedeutenden Wendepunkt eingeleitet. Das europäische Energiesystem ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Mehr als 20 % der Generatoren sind über 30 Jahre alt und müssen ersetzt werden. Dies ist eine historische Chance für Europa, sich von überholten Ansichten zu befreien, die unsere Energiepolitik bisher geprägt haben.

Anstatt diese überalterten 20 % durch unzeitgemäße, aber neue Generatoren zu ersetzen, hatten wir unter der deutschen Präsidentschaft den Mut, unserer Verpflichtung nachzukommen, stattdessen auf die Verwendung erneuerbarer Energien zu drängen. Noch besser gefällt mir jedoch die Idee des energiesparenden anstatt energieintensiven Verbrauchs.

Energie und Sicherheit gehen Hand in Hand. Jedes Kilowatt, das wir nicht einem undemokratischen Regime abkaufen müssen, stellt einen Beitrag zur globalen Sicherheit dar. Doch die Tatsache, dass die geplante Ostseepipeline nach wie vor politische Unterstützung genießt, macht leider deutlich, dass aus der Geschichte keine Lehren gezogen wurden.

Wir dürfen Russland nicht ermutigen, seine stalinistische Politik der Einflusssphären fortzusetzen. Dies mag vielleicht ein recht hartes Urteil sein, aber die Ostseepipeline ist für Estland wie ein Schlag ins Gesicht, wie ein Molotow-Ribbentrop-Pakt des 21. Jahrhunderts.

Europa braucht unbedingt eine gemeinsame Energiepolitik und einen Verfassungsvertrag. Mit dem Amt des EU-Außenministers können wir sicherstellen, dass in der Union Hinterzimmerkungeleien künftig der Vergangenheit angehören werden.

Deshalb glaube ich, dass Deutschland, das nun den EU-Ratsvorsitz innehat und diese Ratstagung erfolgreich leitete, diesem wichtigen Vertrag wieder neues Leben einhauchen wird. Und die Bürger der Europäischen Union werden einsehen, dass dies auch für sie von Vorteil ist und dem Geist des dritten Jahrtausends entspricht.

 
  
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  Josef Zieleniec (PPE-DE).(CS) Herr Präsident! Es ist eine gute Sache für Europa, dass der Rat den energiepolitischen Aktionsplan für die Jahre 2007 bis 2009 angenommen hat. Damit hat er einen ersten Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik getan – wenn auch in aufgeweichter Form.

Auf dem Gipfel wurde zwar der Tatsache Rechnung getragen, dass Europa noch einen weiten Weg vor sich hat, bis ein wettbewerbsfähiger und einheitlicher Energiebinnenmarkt zustande kommt. Aber dennoch hat man nicht die Forderung unterstützt, eine vollständige eigentumsrechtliche Entflechtung der Energieverbünde vorzunehmen, obwohl dies eigentlich ein entscheidender Faktor ist.

Eine vollkommen uneingeschränkte Integration in diesem Sektor wird zur Entstehung riesiger Energiekonzerne führen, die in allen Ländern enormen wirtschaftlichen und politischen Einfluss ausüben werden. Damit wären sie in der Lage, politische Angelegenheiten sowohl auf nationaler als auch – wie wir vor kurzem feststellen mussten – auf internationaler Ebene zu beeinflussen. Außerdem ist der Energiesektor weniger wettbewerbsfähig und somit weniger effizient, als er eigentlich sein sollte.

Eine ähnlich gefährliche Konsequenz wäre das höhere Sicherheitsrisiko. Sollten russische Staatsunternehmen ihre Fühler nach diesen großen und mächtigen Konzernen ausstrecken, dann wäre dies insbesondere für die neuen Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa eine wirtschaftliche und vor allem politische Katastrophe.

Wenn uns die eigentumsrechtliche Entflechtung der Energieverbünde gelingt, wenn wir transparente, allgemein gültige EU-Vorschriften annehmen und wenn alle EU-Länder eine gemeinsame Herangehensweise an die Energieaußenpolitik verfolgen, dann wäre es möglich, die Funktionsweise des Energiemarktes zu verbessern, die Innenpolitik in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten transparenter zu gestalten und die außen- und sicherheitspolitischen Risiken nicht nur in den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch in der gesamten Union wesentlich einzudämmen.

 
  
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  Frank-Walter Steinmeier, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident! Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre überwiegend positive Beurteilung des Frühjahrsgipfels der Staats- und Regierungschefs. Herr Lambsdorff, Ihnen will ich sagen, für mich und für die deutsche Regierung ist weder der Gipfel noch die positive Kommentierung Anlass zu Selbstzufriedenheit. Ich will mir aber nicht ausreden lassen, dass dennoch für den weiteren Verlauf, für die zweite Hälfte unserer Präsidentschaft, etwas Zuversicht notwendig — jedenfalls nicht schädlich — ist. Oder umgekehrt gesagt: Wer in dieser Lage einer doch gewissen europäischen Agonie, oder sagen wir besser einer Stagnation — nachdem der Erneuerungsprozess zum Stillstand gekommen ist — ohne Ehrgeiz, ohne Willen, ohne Glauben an die Reform und Veränderungsfähigkeit Europas an die Arbeit geht, der sollte aus meiner Sicht eine solche Arbeit gar nicht erst beginnen.

Ich kann Ihnen versichern: Ich bin schon vor Beginn und erst recht nach Beginn unserer Ratspräsidentschaft vielfach, insbesondere auch von Journalisten, immer wieder gefragt worden: Wie wollt Ihr dieses Programm eigentlich schaffen? Und mit Blick auf den ersten Gipfel: Wie soll das eigentlich gelingen, bei so weit auseinander liegenden Positionen der europäischen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Ergebnis zu bringen?

Ich glaube, das Geheimnis ist gar nicht so furchtbar groß. Sie kennen das alle aus Ihrer Arbeit. Man braucht viel Geduld — auch gerade mit jenen Partnern, die Zweifel haben, die zögern mit Blick auf bestimmte Ergebnisse. Man braucht den notwendigen Ehrgeiz, und man braucht vor allen Dingen Fairness, um auch mit denen umzugehen, die sich den gemeinsam verabredeten Zielen nur mit größeren Schwierigkeiten nähern können als andere. Das hat beim letzten Gipfel geklappt. Nun werden natürlich dieselben Fragen gestellt mit Blick auf den 25. März. Wie soll das eigentlich gehen bei einer so unterschiedlich interpretierten Geschichte der Europäischen Union, bei so unterschiedlichen Erwartungen an den Inhalt der Berliner Erklärung? Ich sage Ihnen, es wird genau so geschehen.

Wir haben in der Vergangenheit mit Geduld zugehört. Ich glaube, wir wissen ungefähr, wo die Erwartungen liegen. Ich sage dies nur deshalb, weil vorhin jemand gesagt hat, das Ergebnis werde dann ja notwendigerweise sehr generell sein. Wenn die Berliner Erklärung gelingt, muss das Gelingen nicht notwendigerweise Ursache für Banalität sein. Es kann tatsächlich auch ein gutes Ergebnis sein, das für diese Berliner Erklärung herauskommt. Wenn dieser Schritt gelingt, dann ist das noch nicht die Lösung, auch nicht das Ende unserer Präsidentschaft und auch nicht das Ende unseres Ehrgeizes. Aber es ist ein wichtiger zweiter Schritt hin zu der im Juni-Gipfel hoffentlich zustande kommenden Lösung, bei der wir versuchen, den Knoten zu zerschlagen, der uns gegenwärtig bei dem europäischen Erneuerungsprozess noch im Wege liegt. Ich kann Ihnen versichern, wir werden dazu bei der Vorbereitung des Juni-Gipfels tun, was möglich ist.

Zu Energie und Klima einige abschließende Worte: Viele haben zu Recht darauf hingewiesen, dass mit diesem Gipfel natürlich noch nicht die ganze Arbeit getan ist. Ich komme nicht umhin, das zu bestätigen, und zu sagen: Jawohl, in vielen Bereichen ist weitere Arbeit erforderlich. Ich habe die Energieforschung genannt, ich habe die Festigung unserer Energieaußenbeziehungen genannt, das gilt natürlich auch, Günther Verheugen, für das ehrgeizige Ziel der erneuerbaren Energien. Die 20 % haben wir jetzt als europäisches Ziel und wir haben immer — auch nach draußen — gesagt, dass es jetzt darauf ankommt, dass wir dieses europäische Ziel in nationale Ziele umsetzen.

Davon abgesehen, dass ich davon überzeugt bin, Günther Verheugen, dass uns das miteinander gelingen wird, will ich Ihnen hier nur sagen: Kommission und Präsidentschaft haben natürlich miteinander diskutiert, ob man den umgekehrten Weg hätte gehen sollen um zunächst eine Verständigung über nationale Ziele zu erreichen, und daraus dann das europäische Ziel abzuleiten.

Wir waren uns nur beide — Kommission und Präsidentschaft — gewiss, dass wir wahrscheinlich noch fünf Jahre diskutiert und kein gemeinsames Ziel gefunden hätten. Deshalb haben wir uns auf diesen Weg verständigt. Es wurde darauf hingewiesen, dass wir Europäer letztlich allein das Weltklima nicht retten können. Wir müssen im Auge haben, wie sich die Energie- und Klimapolitik in wichtigen Staaten wie den USA, China und Indien weiterentwickelt. Es ist der Verdacht geäußert worden, wir würden uns gerade darum nicht kümmern. Ich will nur sagen: Das Gegenteil ist richtig, und das sage ich für Europa, das sage ich für unsere nationale deutsche Politik und das sage ich insbesondere auch für unsere G8-Präsidentschaft.

Ich werde am kommenden Montag in Washington sein und nach Absprache mit der amerikanischen Kollegin dort eine gemeinsame größere Veranstaltung unter Beteiligung deutscher und amerikanischer Unternehmen eröffnen, mit denen wir uns darüber unterhalten werden, wie wir die transatlantische Technologiepartnerschaft, gerade auch im Bereich der Energiewirtschaft, stärken können. Ich weise mit Blick auf die Anstrengungen in den USA darauf hin, wie jenseits von der Bundesebene in vielen Staaten der USA bereits vorbildliche Arbeit im Bereich der Klima- und Energiepolitik geleistet wird.

Zu China will ich Ihnen nur sagen: Das haben wir fest im Blick. Es wird im G8-Zusammenhang, sowohl auf der Gipfelebene wie auf der Außenministerebene, so genannte Outreach-Treffen geben, zu denen nicht nur China und Indien eingeladen sind, sondern auch Mexiko, Südafrika und Brasilien, und auf beiden Tagungen — sowohl auf der Außenministerebene als auf der Gipfelebene — wird das Thema Energie und Klima eine zentrale Rolle spielen. Sie sehen, wir kümmern uns auch um diejenigen, die nicht zur Europäischen Union gehören.

Wir müssen zeigen — der zurückliegende Gipfel hat das getan, und da bin ich mit Günther Verheugen einer Meinung —, dass die Europäische Union kein historisches Seminar ist, sondern eine Zukunftswerkstatt. Und ein Beispiel dafür haben wir geliefert.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank Herr Ratspräsident! Nach dem erfolgreichen Brüsseler Gipfel brauchen wir jetzt ein erfolgreiches Ergebnis in Form der Berliner Erklärung. Das Europäische Parlament wird alles tun, damit wir gemeinsam erfolgreich sind.

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident! Ich möchte nur einen einzigen Gedanken, ja eher eine Bitte äußern.

In dem Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, hohen sozialen Standards und Schutz unserer Umwelt sollten wir mit der konfrontativen, polarisierenden Betrachtungsweise der Vergangenheit aufhören, die Ökonomie gegen Ökologie und Ökologie gegen Ökonomie ausspielt. Es ist einfach nicht wahr, dass jemand gegen Klimaschutz und gegen Umweltschutz ist, wenn er sagt, wir haben auch eine Verantwortung für die Arbeitsplätze. Es ist einfach nicht wahr, wenn jemand, der sagt, wir müssen mehr für den Schutz unserer Umwelt tun, damit sagt, ich interessiere mich nicht für die Arbeitsplätze.

Die Wahrheit ist, dass wir doch inzwischen gelernt haben, dass wir beides miteinander verbinden können. Die Wahrheit ist, dass eine europäische Industrie, die weltweit als die führende Industrie vorangeht – nicht nur in der Umwelttechnologie, sondern auch was umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen betrifft –, am ehesten in der Lage sein wird, den Menschen Arbeitsplätze zu schaffen und eine Zukunft zu geben.

Um was es hier geht – und das ist die Auffassung der Politik dieser Kommission: Solidarität mit der heute lebenden Generation, der es darum geht, heute zu leben und heute Arbeitsplätze zu haben, und Solidarität mit den Generationen, die folgen werden, die einen Planeten vorfinden wollen, auf dem sie leben können, ist kein Gegensatz. Genau das wollen wir mit dieser Politik beweisen!

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet in einigen Minuten statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Der Europäische Rat bekräftigte auf seiner jüngsten Tagung die Positionen der so genannten Lissabon-Strategie mit den Liberalisierungen und Privatisierungen, der Beschäftigungsflexibilität und den geplanten Angriff auf die Rechte der Arbeitnehmer, und in diesem Zusammenhang möchte ich auch die angekündigte Mitteilung über die Flexicurity hervorheben.

In den Schlussfolgerungen des Rates heißt es ausdrücklich: „Der Europäische Rat ersucht die Kommission, mit Blick auf ihren Vorschlag für integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2008-2011) im Herbst 2007 einen Zwischenbericht vorzulegen, damit der nächste Dreijahreszyklus der erneuerten Lissabon-Strategie vorbereitet werden kann. Er ersucht darüber hinaus die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Berichte über die Durchführung der nationalen Reformprogramme rechtzeitig vorzulegen“.

Mit anderen Worten, es wird weiter Druck gemacht, um mit den Privatisierungen und den Angriffen auf die Arbeitsrechte fortzufahren.

Zu der so genannten Europäischen Verfassung gibt es keine Informationen, obwohl ja bekannt ist, dass auch hier immer weiter Druck gemacht wird, damit während der portugiesischen Ratspräsidentschaft eine Regierungskonferenz stattfinden kann. Somit bekundet der Rat erneut seine stillschweigende Unterstützung für den von der Zentralisierung der Macht, des Föderalismus und des Militarismus flankierten Plan der Verankerung dieses Neoliberalismus in der Verfassung.

 
  
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  Gyula Hegyi (PSE), schriftlich. (HU) Seit den letzten Monaten sind auch in Ungarn immer mehr Menschen besorgt über den globalen Klimawandel. Viele erfassen das Wesen dieses Phänomens noch nicht; andere streiten ab, dass der Klimawandel das Ergebnis menschlichen Handelns sein könnte. Immer mehr Menschen jedoch werden sich bewusst, dass die derzeitigen Gewohnheiten unserer Zivilisation, unsere Transport- und unsere Verbrauchsgewohnheiten, ungesund sind. Fortschritt ist nicht nachhaltig, weil es nicht genug natürliche Ressourcen gibt, um unsere laufende Nachfrage zu befriedigen, während Abgasemissionen und Müll eine nicht wiederherstellbare Verschmutzung der Umwelt verursachen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat zu Recht die Notwendigkeit von Maßnahmen erkannt, um das Tempo des Klimawandels zu verlangsamen. Die Erhöhung des Anteils nachhaltiger Energiequellen am europäischen Gesamt-Energiemix ist lobenswert. Es wäre jedoch ein schwerer Fehler zu vergessen, dass der globale Klimawandel nicht die einzige Quelle für Bedrohungen der Umwelt ist. Luftverschmutzung, die Präsenz Krebs erregender Substanzen in unserem Alltag, übermäßiger Gebrauch von Insektiziden und Pestiziden, die Auslöschung bestimmter Tier- und Pflanzenarten, die Anhäufung von Abfall, all das stellt eine Bedrohung für unsere Zukunft und eine nachhaltige Entwicklung dar. Wenn wir eine menschlichere Zukunft für uns selbst und für unsere Nachkommen wollen, müssen wir uns aktiv für eine umweltfreundliche, gesunde und nachhaltige Zukunft einsetzen.

 
  
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  Magda Kósáné Kovács (PSE) , schriftlich. – (HU) Wir, die Mitglieder der sozialistischen Delegation, bestätigen gerne, dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem März-Gipfel die ersten Errungenschaften der neuen Lissabon-Strategie anerkannt haben. Ihre bedeutendsten Ergebnisse waren wirtschaftliches Wachstum in Verbindung mit einer Senkung der Arbeitslosigkeit. Wir sind besonders erfreut, dass neun Mitgliedstaaten, darunter Ungarn, dieser positiven Tendenz einen kräftigen Impuls verliehen haben, indem sie die Erklärung, die für eine weitere Entwicklung eines sozialen Europas eintritt und seine Rolle fördert, unterzeichneten.

Reformen sind von wesentlicher Bedeutung, um die positiven Aspekte der Globalisierung voll auszunutzen, sowie für Innovation, wirtschaftliche Umstrukturierung und das weitere Vorwärtskommen der EU-Politiken. Unser gemeinsames Ziel ist das Wohlergehen der europäischen Bürger und eine Vertiefung ihres Vertrauens. Der Weg zu diesem Ziel führt über Beschäftigungswachstum, bessere Arbeitsqualität und Schutz der sozialen Rechte. Diese einzigartigen europäischen Traditionen bedeuten jedoch nicht den Erhalt bestehender rechtlicher Strukturen, sondern die Bewahrung europäischer Grundsätze.

Was die Beschäftigung betrifft, ist es wichtig, dass Flexibilität einhergeht mit Sicherheit. Die relevanten Rechtsvorschriften müssen geändert werden, damit wir in der Lage sind, künftige Arbeitnehmer nicht nur mit angemessenen Gehältern auszustatten, sondern ihnen auch nützliches Wissen zu vermitteln. Zugleich müssen wir Hindernisse beseitigen, die Unternehmen bei ihren Anstrengungen, die Anforderungen der Globalisierung zu erfüllen, unnötig behindern. Bei der Umsetzung des Begriffs Flexicurity in die Praxis müssen wir dafür sorgen, dass dies den Beschäftigten wirklich praktischen Nutzen und Sicherheit bringt. Darauf müssen wir Sozialisten bei jeder Phase der Reform der Arbeitsrechte ganz besonders achten.

 
  
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  David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Ich begrüße die Erklärung der Kommission, in der die ehrgeizigen Ziele festgelegt werden, die Kohlenstoffemissionen bis zum Jahr 2020 um 20 % zu verringern und den Einsatz erneuerbarer Energien zu erhöhen. Der Klimawandel ist ein globales Problem, und wir müssen nicht nur innerhalb Europas, sondern auch mit Nordamerika und Asien zusammenarbeiten, damit wir die globale Erwärmung eindämmen können. Ich glaube, dass diese Ziele erreichbar sind, aber die Fortschritte auf dem Weg dahin müssen regelmäßig überprüft werden. Die beste Möglichkeit dazu bieten meiner Ansicht nach eine strenge Überwachung und die Vorlage jährlicher Berichte. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, detaillierte Aktionspläne vorzulegen, in denen erläutert wird, wie sie diese Ziele erreichen wollen.

 
  
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  Péter Olajos (PPE-DE), schriftlich. (HU) Nach Durchsicht des Protokolls des Frühjahrsgipfels von vergangener Woche stelle ich als ungarischer Abgeordneter des Europäischen Parlaments mit Bedauern fest, dass die ungarische Regierung – die sich selbst in ihren Werbekampagnen gerne als progressiv bezeichnet – erneut ihren kurzsichtigen Provinzialismus unter Beweis gestellt hat. In diesem Falle jedoch erweist sie mit ihrer Haltung nicht nur Ungarn einen schlechten Dienst, sondern der gesamten Europäischen Union.

Die Äußerungen von Premierminister Ferenc Gyurcsány in Brüssel zeigen, dass die ungarische Regierung sich für eine Aufweichung der für die Klima- und Energiepolitik gesetzten Ziele ausgesprochen hat. Es hat nämlich keinen Sinn, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 auf 20 % des Gesamtenergieverbrauchs der EU festzusetzen, wenn dies nicht für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist. Auf diese Weise können Staaten mit einem guten Energieergebnis die schlechte Leistung von schwachen oder nachlässigen Staaten kompensieren. Leider hat sich auch die ungarische Regierung hierfür eingesetzt.

Ich bin überzeugt, dass die Auswirkungen des globalen Klimawandels nur mit einer internationalen Zusammenarbeit erfolgreich abgebremst werden können. Diese Zusammenarbeit verspricht jedoch eher mühsam zu werden.

Europa könnte jedoch als politischer Akteur eine Vorreiterrolle in diesem Prozess übernehmen. Wie aber könnte die EU ein Vorbild für die ganze Welt sein, wenn wenige kleine Mitgliedstaaten der Kooperation sogar innerhalb Europas den Wind aus den Segeln nehmen können?

Kein europäischer Staat kann sich darüber freuen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen kaum überhaupt etwas tun zu müssen.

Auf diese Weise gewinnen sie keine Zeit, sondern sie verpassen eine Chance. Eine Chance für ein modernes, wettbewerbsfähiges Europa.

Vielen Dank.

 
  
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  Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom März sind ein weiterer unwiderlegbarer Beweis für die Rolle der EU als Mechanismus zur Förderung der Optionen des Kapitals. Anstatt Umweltschutzmaßnahmen zu ergreifen, werden Maßnahmen eingeleitet, um Unternehmen zu schützen und die Monopole zu stärken.

Die räuberische Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch das Kapital ist die Hauptursache für die signifikanten Klimaänderungen und die reale Gefahr der ökologischen Zerstörung des Planeten. Doch anstatt mutige Maßnahmen zu ergreifen, um zumindest die Zügellosigkeit der Monopole einzuschränken, werden Beschlüsse gefasst, um den Wettbewerb auf den Strom- und Erdgasmärkten zu stärken, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Privatsektor den gesamten strategischen Bereich der Erzeugung, Übertragung und Verteilung der Energie zu überlassen.

Die Mitte-Rechts- und die Mitte-Links-Regierungen haben sich einhellig verpflichtet, die Umsetzung der volksfeindlichen Lissabon-Strategie zu beschleunigen. Ihre primären Zielsetzungen sind dabei die Kommerzialisierung von Bildung und Gesundheit und der Angriff auf die Versicherungsfonds, die Renten- und Lohnansprüche sowie die sozialen Rechte der Arbeitnehmer. Zugleich wird die Förderung härterer arbeitnehmerfeindlicher Maßnahmen sowie die Förderung der „Anpassungsfähigkeit“ des Arbeitsmarktes und der „flexiblen Sicherheit“ noch stärker vorangetrieben mit dem Ziel, die Lohnkosten niedrig zu halten, um die Profite des EU-Kapitals zu steigern.

Die Kommunistische Partei Griechenlands kämpft gegen diese Optionen, sie propagiert die gerechtfertigten Forderungen der Arbeitnehmer und setzt sich zusammen mit ihnen dafür ein, die gegenwärtigen Bedürfnisse der breiten Volksschichten zu befriedigen.

 
  
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  Richard Seeber (PPE-DE), schriftlich. – Das Ergebnis des EU-Gipfels ist sicherlich als ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zu bezeichnen. Es ist für unsere Zukunft und insbesondere für die unserer Kinder von größter Bedeutung, einer durchschnittlichen Temperaturerhöhung von mehr als 2 Grad Celsius vehement entgegenzuwirken. Daher halte ich den erzielten Beschluss, 20 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Ressourcen zu gewinnen sowie eine 20-prozentige CO2-Reduzierung in der EU bis 2020 zu erreichen, für unerlässlich. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass sich nunmehr auch unsere Staatschefs zu einer derartigen Entscheidung durchringen haben können.

Ich bin mir bewusst, und ich glaube, meine Kollegen werden mir beipflichten, dass diese Schritte erst ein Anfang sind, und es werden noch weitere Anstrengungen folgen müssen, um einen dauerhaften und nachhaltigen Klimaschutz zu gewährleisten. Selbstverständlich ist hierbei auf die Erarbeitung eines ausgeglichenen Gesamtansatzes Bedacht zu nehmen. Ich bin aber der Überzeugung, dass neue und strenge Umweltstandards keinen volkswirtschaftlichen Nachteil für Europa bedeuten, sondern im Gegenteil Europa eine Führerschaft bei neuen Technologien einnehmen wird. Hierdurch werden wir sowohl unserer Umwelt helfen als auch langfristig hochwertige Arbeitsplätze in Europa sichern.

Weiters fordere ich vermehrte Anstrengungen, die großen Umweltsünder, wie beispielsweise die USA oder China, von der Bedeutung des Klimaschutzes zu überzeugen, denn nur gemeinsam ist ein nachhaltiger Erfolg erzielbar.

 
  
  

VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS
Vizepräsident

 

5. Abstimmungsstunde
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.

(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll.)

 

5.1. Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz (Abstimmung)
  

– Vor der Abstimmung:

 
  
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  Ewa Klamt (PPE-DE), Berichterstatterin. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 1999 berät das Europäische Parlament über Legislativvorschläge im Bereich Migration, ohne dass eine Entscheidungsgrundlage in Form von Zahlenmaterial vorliegt. Der Anwendungsbereich der Zuwanderungspolitik hat sich erheblich ausgeweitet. Deshalb benötigen wir mehr und auch bessere Informationen, um politische Maßnahmen wirksam planen, umsetzen, bewerten und beobachten zu können. Die Kommission unter der Führung von Franco Frattini ist dem Drängen des Europäischen Parlaments nachgekommen und hat einen Verordnungsentwurf zur statistischen Erfassung von Wanderungsbewegungen vorgelegt. Das ist notwendig, weil die Mitgliedstaaten auf der bisherigen, freiwilligen Basis nicht bzw. nur teilweise statistisches Material liefern.

Zusätzlich werden Daten unterschiedlich erhoben und sind dadurch bisher nicht vergleichbar. Mit der vorliegenden Verordnung werden unsere Mitgliedstaaten verpflichtet, unbedingt notwendiges Zahlenmaterial zu liefern. Zusätzlich erreichen wir eine Harmonisierung, so dass Zahlen vergleichbar sind. Die Annäherung im Rat war relativ schwierig, während im Europäischen Parlament alle Beteiligten grundsätzlich von der Notwendigkeit der Verordnung überzeugt waren.

Aufgrund der weitgehenden Geschlossenheit aller Fraktionen konnte auch die Position des Parlaments im Komitologiebereich durchgesetzt werden. Die hervorragende Zusammenarbeit mit allen Schattenberichterstattern, denen ich hiermit ausdrücklich danken möchte, hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir dieses wichtige Dossier zu einem befriedigenden Abschluss bringen konnten. Dafür möchte ich mich noch einmal bedanken.

 
  
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  Geoffrey Van Orden (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich bitte das Haus um Nachsicht. Die beängstigende Situation in Simbabwe ist ein Thema, auf das ich die Aufmerksamkeit des Parlaments lenken möchte. Wir sehen mit Entsetzen und großer Enttäuschung die Bilder, die das brutale Vorgehen gegen ein friedliches Parlament in dem von Mugabe regierten Land zeigen. Soviel ich weiß, ist Oppositionsführer Morgan Tsvangirai aus der Haft entlassen worden, aber er hat einen Schädelbruch erlitten. Grace Kwinjeh, der Vertreterin der Opposition in Brüssel, wurde während der Untersuchungshaft ein Teil ihres Ohrs abgeschnitten.

Mir ist bekannt, dass der Ratspräsident diese Vorfälle verurteilt hat, aber können wir nicht mehr konkrete Maßnahmen unternehmen? Ich fordere insbesondere den Ratsvorsitz auf, seinen Einfluss zu nutzen und die südafrikanische Regierung und andere Regierungen der SADC dazu zu bewegen, eindeutiger Stellung zu beziehen und zu handeln, um die dringend erforderliche Wende zum Besseren in Simbabwe herbeizuführen. Die Hände zu ringen, genügt nicht.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, Herr Van Orden, wir nehmen Ihre Bemerkungen zur Kenntnis.

 

5.2. Anzahl und zahlenmäßige Zusammensetzung der interparlamentarischen Delegationen (Abstimmung)

5.3. Europäische Agentur für Flugsicherheit (Abstimmung)
  

– Vor der Abstimmung:

 
  
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  Jörg Leichtfried (PSE), Berichterstatter. – Herr Präsident! Es geht um eine Anmerkung zur Übersetzung bei Änderungsantrag 10 betreffend Artikel 1 Nummer 5 zu Artikel 6 b Absatz 4. Hier ist anscheinend ein Fehler bei der Übertragung der Abstimmung im Ausschuss in den endgültigen Bericht zur Abstimmung im Plenum passiert. Im Originaldokument heißt es in dem Änderungsantrag – ich zitiere auf Englisch:

(EN) „those involved in commercial operations shall hold an attestation as referred to in“

Der im Ausschuss angenommene Text lautet aber:

(EN) „those involved in commercial operations shall hold an attestation as initially described in“

usw., und ersuche, das zu berücksichtigen.

 
  
  

(Das Parlament nimmt den Antrag an.)

– Vor der Abstimmung über Anhang II:

 
  
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  Jaromír Kohlíček (GUE/NGL).(CS) Herr Präsident! Bei der Übertragung ist offenbar eine Zeile aus Anhang II Buchstabe e, nämlich die Ziffer 7, übersehen worden. Ich zitiere: „600 kg im Fall nicht gewerblicher Tätigkeit mit einem Ultraleicht-Luftfahrzeug“.

 
  
  

(Der mündliche Änderungsantrag wird angenommen.)

 

5.4. Vermarktung von Rindfleisch, das von höchstens zwölf Monate alten Tieren stammt (Abstimmung)

5.5. Ratifizierung des IAO-Seearbeitsübereinkommens von 2006 (Abstimmung)

5.6. Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union (Abstimmung)

5.7. Abkommen EU/USA über Luftverkehrsdienste (Abstimmung)

5.8. Nichtverbreitung von Kernwaffen und atomare Abrüstung (Abstimmung)
  

– Vor der Abstimmung:

 
  
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  Monica Frassoni (Verts/ALE).(IT) Herr Präsident! Meine Fraktion beging einen Fehler, indem sie zwei namentliche Abstimmungen nicht rechtzeitig beantragt hat. Ich bitte Sie höflich, unserem Antrag, sofern es keine Einwände dagegen gibt, jetzt stattzugeben, auch wenn die Frist abgelaufen ist.

Im Originaltext ginge es um Ziffer 1, zweiter Teil der getrennten Abstimmung auf der Abstimmungsliste, und um Ziffer 9, ebenfalls im Originaltext, worüber eine Abstimmung nach getrennten Teilen vorgesehen ist: Auch in diesem Fall beantragen wir eine namentliche Abstimmung, wenn Sie damit einverstanden sind und unseren Fehler bitte entschuldigen wollen.

 
  
  

(Das Parlament nimmt den Antrag an.)

– Vor der Abstimmung über Ziffer 2:

 
  
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  Vytautas Landsbergis (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Wir können den Inhalt von Ziffer 2 mit einigen wenigen Worten verbessern.

Es geht um unsere „Forderung an alle Staaten, die den NVV nicht unterzeichnet haben, diesem Vertrag beizutreten“. Das ist die normale und übliche Vorgehensweise. Wir könnten die betreffenden Staaten aber auch auffordern, zunächst „freiwillig den Vertrag einzuhalten“ und zu einem späteren Zeitpunkt dem Vertrag beizutreten. Auf diese Weise könnten wir diese Staaten neu motivieren.

 
  
  

(Der mündliche Änderungsantrag wird angenommen.)

 
  
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  Der Präsident. Damit ist die Abstimmungsstunde beendet.

 

6. Stimmerklärungen
  

– Bericht Klamt (A6-0004/2007)

 
  
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  Carlos Coelho (PPE-DE), schriftlich. (PT) Die Art und Weise der Entwicklung der Politiken und Rechtsvorschriften der Gemeinschaft in den Bereichen Migration und Asyl macht es notwendig, statistische Informationen in einer sehr viel höheren Qualität als die derzeit vorhandenen zu bekommen.

Ich unterstütze deshalb diese Initiative als Folgemaßnahme des Europäischen Rates von Thessaloniki im Jahr 2003, auf dem anerkannt wurde, dass wirksamere Mechanismen für die Erhebung und Analyse von Informationen über Wanderung und Asyl in der Europäischen Union benötigt werden.

Ich begrüße den Bericht von Frau Klamt, mit dem ein gemeinsamer Rahmen für die Erhebung und Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken in diesem Bereich geschaffen werden soll. Dieser soll es den Mitgliedstaaten erlauben, die zur Verfügung stehenden Daten besser für die Erstellung von Statistiken zu nutzen, die möglichst den harmonisierten Definitionen entsprechen sollten.

Damit sollen der Austausch von Statistiken verbessert und gemeinsame Analysen machbar werden, die wiederum die Entwicklung gerechter und wirksamer gemeinschaftlicher Politiken in den Bereichen Migration und Freizügigkeit der Personen ermöglichen.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Der Bericht ist als weiterer Schritt in Richtung auf eine vollständige Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts zu betrachten. Die Schaffung einer Behörde zur Überwachung und Registrierung von Migrationsströmen in die und aus der EU ist unserer Ansicht nach völlig überflüssig und stellt nur eine weitere Belastung des EU-Haushalts dar. Die Berichterstatterin hat ohne Achtung vor dem existierenden nationalen Recht, juristische Begriffe wie „Staatsbürgerschaft“ und „illegale Einwanderer“ definiert. Es gibt jedoch bereits gründliche und zuverlässige wissenschaftliche Untersuchungen und Daten über die Migration, nicht nur in der EU, sondern in der ganzen Welt, die von der UNO vertreten wird. Staatsbürgerschaft, Flüchtlingseigenschaft und Zu- bzw. Abwanderer sind weitere Begriffe, die in der UNO-Menschenrechtscharta genau definiert sind.

Die Juniliste will nicht zum Aufbau einer Überwachungsgesellschaft beitragen, in der die Freizügigkeit der Menschen durch auf überstaatlicher Ebene gefasste Beschlüsse beeinträchtigt werden kann und hat darum gegen den Bericht in seiner Gesamtheit gestimmt.

 
  
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  Martine Roure (PSE), schriftlich. – (FR) Die Umsetzung einer europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik setzt voraus, dass wir in Europa über allgemeine und vergleichbare statistische Angaben zu zahlreichen Migrationsfragen verfügen. Dieser Vorschlag zur Aufstellung gemeinsamer Regeln für die Erhebung und Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken in diesem Bereich zielt darauf ab, diese vergleichbaren Angaben bereitzustellen, damit wir uns ein Bild von den Wanderungsströmen in Europa verschaffen können.

Es war mir ein besonderes Anliegen, dass Zahlen im Zusammenhang mit den so genannten beschleunigten Verfahren in diesem Vorschlag Berücksichtigung finden. Europa muss sicherstellen, dass beschleunigte Verfahren nicht systematisch und allgemein zur Anwendung kommen und dass der Bedarf an internationalem Schutz, das Recht auf Asyl und der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung geachtet werden.

Schließlich haben wir gemäß der Dublin-II-Verordnung zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, gesonderte Statistiken für überstellte Personen gefordert. In der Tat werden die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der Union mit dieser Verordnung unverhältnismäßig hohen Belastungen ausgesetzt. Da uns die ursprünglich für Ende 2006 angekündigte Beurteilung der Kommission noch nicht vorliegt, werden wir diese Entwicklung anhand statistischer Daten nachweisen.

 
  
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  Carl Schlyter (Verts/ALE), schriftlich. (SV) Eine Richtlinie ist nicht die beste Methode zur Regelung des komplizierten Vorgangs der Datenerhebung, die besser durch Übereinkommen zwischen den zuständigen Behörden erfolgt, die die erforderliche Kompetenz dafür besitzen. Darum enthalte ich mich bei der Abstimmung über diesen Bericht der Stimme.

 
  
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  Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. (PL) Ich habe für den Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz gestimmt.

Frau Klamt hat einen ausgezeichneten Bericht vorgelegt, in dem wichtige Fragen im Zusammenhang mit wirksamen Mechanismen für die Erhebung und Analyse von Informationen über Wanderung und Asyl in der Europäischen Union behandelt werden. Mit der Erweiterung der Union sind harmonisierte und vergleichbare statistische Daten umso notwendiger geworden. Für die Ausarbeitung von gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit Zuwanderung und Asyl sowie für die Überwachung ihrer Durchführung sind präzise Informationen unentbehrlich.

 
  
  

– Bericht Leichtfried (A6-0023/2007)

 
  
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  Hubert Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich habe für den Bericht gestimmt, möchte aber die Gelegenheit wahrnehmen, um auf die Situation der Agenturen aufmerksam zu machen. Wir haben in der Europäischen Union mittlerweile 33 Agenturen, eine vierunddreißigste ist von der Kommission bereits angekündigt worden. Die Kosten betragen mittlerweile mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr. 2 700 Mitarbeiter sind beschäftigt und 60-70% der Kosten für die Agenturen sind reine Verwaltungskosten. Hier scheint eine Fehlentwicklung im Gange, auf die ich aufmerksam machen möchte.

Ich fordere, eine Überprüfung der Arbeitsleistung, der Effizienz und der Sinnhaftigkeit aller Agenturen vorzunehmen und dann zu überlegen, welche Agenturen geschlossen werden können, sofern sie keinen Mehrwert für die Leistungen der Europäischen Union darstellen. Erst dann kann wieder über die Eröffnung einer weiteren Agentur, sofern notwendig, nachgedacht werden.

 
  
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  Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht Leichtfried zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit gestimmt.

Meines Erachtens stellt der Vorschlag, die Rolle der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) auszuweiten, um gemeinsame Flugsicherheitsnormen aufzustellen, die von allen Luftfahrtunternehmen in Europa mit Sitz inner- und außerhalb der Europäischen Union erfüllt werden müssen, einen Fortschritt dar. Die europäischen Bürger haben heutzutage ein gesteigertes Interesse daran, dass Normen eingehalten werden, die ihnen eine möglichst große Sicherheit gewährleisten.

Die EASA hat in diesem Zusammenhang die Befugnis erhalten, Strafen und vorübergehende finanzielle Sanktionen zu verhängen, wenn die Sicherheitsvorschriften nicht ordnungsgemäß umgesetzt werden.

Darüber hinaus habe ich die Vorschläge unterstützt, die Zuständigkeiten der Europäischen Agentur für Flugsicherheit mit Blick auf die Vergabe von Pilotlizenzen auszuweiten, um zu prüfen, ob Piloten die Ausbildungskriterien sowie die Anforderungen an ihre beruflichen und sprachlichen Kompetenzen erfüllen.

Außerdem habe ich für einen vergleichbaren Änderungsantrag gestimmt, in dem eine solche Lizenz auch für Flugbegleiter gefordert wird.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Gemeinsame Regeln für die Luftfahrt sind notwendig und wünschenswert, nicht zuletzt von Standpunkt der Sicherheit aus. Damit gibt es gute Gründe für eine Diskussion über die Fortführung und Weiterentwicklung der gegenwärtigen Zusammenarbeit in Luftfahrtsfragen. Wie immer versucht jedoch das Europäische Parlament, andere Vorschläge mit einzubringen, die auf eine Ausweitung der Macht der EU auf Gebieten abzielt, die den Mitgliedstaaten vorbehalten sein sollten. Unserer Ansicht nach wird im vorliegenden Bericht jedoch ein zu weit reichendes Mandat für die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) vorgeschlagen. Wir vertrauen darauf, dass die zuständigen nationalen Behörden sicherstellen können, dass die Piloten über ausreichende berufliche Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen. Ebenso wenig teilen wir die Auffassung, dass die EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Vertretung in der UN-Agentur für weltweite Luftfahrtthemen (ICAO) benötigen. Wir haben daher gegen den Bericht gestimmt.

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in der Zivilluftfahrt wurden nach und nach der „Gemeinschaft“ übertragen; die vorgeschlagene Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Dieser Prozess der Übertragung und Abtretung von Zuständigkeiten ist umso negativer, als ein Rahmen geschaffen wird, dessen Grenzen nicht eindeutig festgelegt sind.

In diesem Fall würde die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) auch für die Zertifizierung von Flugzeugen und Piloten zuständig sein. Dies fällt derzeit noch unter die Zuständigkeit der einzelstaatlichen Behörden.

Die einzelstaatlichen Behörden erfüllen derzeit die in der Zivilluftfahrt geltenden und sich aus internationalen Abkommen ergebenden Anforderungen und gewährleisten die Einhaltung dieser Abkommen. Die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten ist bereits Realität. Sie könnte sogar noch gefördert und ausgebaut werden, wobei aber die Achtung der Souveränität jedes Landes, der Beschäftigten und ihrer Rechte – bei Gewährleistung einer sozialen Harmonisierung durch Schaffung günstigerer Arbeitsbedingungen – und der Rechte der Nutzer sichergestellt werden muss.

Im Grunde bedeutet diese Initiative einen weiteren Schritt vorwärts zur faktischen Errichtung des so genannten gemeinsamen europäischen Luftraums, den wir ablehnen. Da jetzt der Verhandlungsprozess über die Änderung dieser Verordnung beginnt, werden wir diese Frage im Auge behalten, um dafür zu sorgen, dass die nationale Souveränität stets gewahrt wird.

 
  
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  Fernand Le Rachinel (ITS), schriftlich. – (FR) In der Tat ereignen sich noch immer viel zu häufig Katastrophen im Luftverkehr, die nicht nur auf den schlechten Zustand einiger Flugzeuge, sondern auch auf die Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften zurückzuführen sind.

Dieser Vorschlag von Parlament und Rat hat den Nutzen, dass damit die Überprüfungspflichten der Mitgliedstaaten nicht nur für Flugzeuge aus Drittstaaten, sondern auch aus Mitgliedstaaten verschärft werden.

Wenn darüber hinaus eine Überprüfung der Fluggesellschaften oder der Aktivitäten der Luftfahrtbehörden ergibt, dass Unregelmäßigkeiten bestehen oder die gängigen Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten wurden, kann die Europäische Agentur für Flugsicherheit einen Sanktionsmechanismus einleiten und den zuwiderhandelnden Fluggesellschaften die Beförderungsgenehmigung für die Union entziehen. Dies stellt meines Erachtens einen bedeutenden Fortschritt für die Vermeidung des Risikos von Flugzeugunfällen dar.

Schließlich wird die Agentur mit ihrer Arbeit und ihren Zuständigkeiten dazu beitragen, die europäische schwarze Liste der schlechten Fluggesellschaften auf wie ich hoffe sinnvolle Weise zu vervollständigen.

Auch wenn noch nicht alle offenen Fragen im Bereich der Flugsicherheit geklärt werden konnten, so wurden die Verhütung und die strafrechtliche Verfolgung in diesem Dokument doch auf sinnvolle Weise zusammengebracht. Wir werden dafür stimmen.

 
  
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  Luca Romagnoli (ITS), schriftlich. (IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ziel des Berichts Leichtfried ist die Erweiterung der Befugnisse der Europäischen Agentur für Flugsicherheit, der die Kontrolle nicht nur der Luftfahrt, sondern auch des Verhaltens der Luftfahrtunternehmen übertragen werden soll. Die Agentur wird für die Ausstellung und Verlängerung von Zeugnissen und Zulassungen sowie für die Überwachung der Umsetzung einheitlicher Sicherheitsstandards zuständig sein. Sie ist des Weiteren befugt, bei Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften Sanktionen zu verhängen.

In dem Bericht wird ferner der von der Agentur seit 2002 gewonnenen Erfahrung mit Einstellungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet; aufgrund verschiedener Faktoren, zu denen auch Sprachkompetenzen gehören, hatte die EASA Schwierigkeiten bei der Rekrutierung des benötigten qualifizierten, erfahrenen Personals. Der Berichterstatter fordert daher vernünftigerweise, das Problem mit neuartigen Lösungen anzugehen, beispielsweise unter Einsatz der Möglichkeiten, die das Statut der EU-Beamten bietet.

Zu meiner großen Überraschung habe ich jedoch heute erfahren, dass nur vier Italiener in der EASA beschäftigt sind, während es 45 französische und 37 deutsche Mitarbeiter gibt. Ich fordere die EASA und die Kommission zur Inangriffnahme und Lösung auch dieses Problems auf, bei dem es um eine ungerechtfertigte ungleiche Vertretung Italiens geht.

 
  
  

– Bericht Bourzai (A6-0006/2007)

 
  
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  Jim Allister (NI), schriftlich. – (EN) Ich habe bei der heutigen Abstimmung für den Änderungsantrag 12 des oben genannten Berichts gestimmt, nach dem Fleisch von acht bis zwölf Monate alten Rindern, das unter der Bezeichnung Rindfleisch vermarktet wird, von den Bestimmungen dieser Verordnung ausgenommen werden soll. Ziel einer solchen Ausnahmeregelung ist die Entlastung der Fleischerzeuger im Vereinigten Königreich durch eine Verringerung der Kosten und eine Befreiung von aufwändigen Verfahren, die sich aus der Aufhebung der Anforderung ergibt, dass die Partien in jeder Phase des Produktionsverfahrens getrennt zu verarbeiten sind. Aus meiner Sicht ist diese zusätzliche Anforderung keineswegs gerechtfertigt und deshalb hoffe ich, dass eine Ausnahmeregelung gewährt wird.

 
  
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  Jörg Leichtfried (PSE), schriftlich. Ich stimme gegen den Bericht von Bernadette Bourzai über die Vermarktung von Rindfleisch, das von höchstens zwölf Monate alten Tieren stammt. Der Endverbraucher muss nicht nur in die Lage versetzt werden, das Schlachtalter eines Tieres und die üblichen Angaben wie Produkt, Gewicht, Preis, Ablaufdatum der Etikettierung entnehmen zu können, er muss auch über die Kilometerzahl informiert werden, welche die Tiere in lebendem Zustand zur Schlachtung zurückgelegt haben. Die europäischen Konsumentinnen und Konsumenten müssen beim Einkauf in die Lage versetzt werden, rasch und einfach erkennen zu können, wie lange das gewünschte Fleisch vor der Schlachtung lebend transportiert wurde, um dann ihre individuelle Kaufentscheidung treffen zu können.

 
  
  

– Bericht McDonald (A6-0019/2007)

 
  
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  Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Die Annahme dieses Berichts ist ein wichtiger Schritt, um die Achtung der Rechte der Beschäftigten des Seeverkehrssektors sicherzustellen.

Das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) von 2006 verfolgt das Ziel, menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen zu gewährleisten. Das Übereinkommen fasst alle bestehenden Übereinkommen und Empfehlungen der IAO zur Seearbeit seit 1919 in einem einzigen Text zusammen, der als Grundlage für das erste allgemeine Arbeitsgesetzbuch für die Seeschifffahrt dienen soll.

Die Ratifizierung des Übereinkommens durch die Mitgliedstaaten ist von grundlegender Bedeutung, damit alle Anstrengungen unternommen werden können, um zu gewährleisten, dass es wirklich erfüllt wird.

Angesichts der strategischen Bedeutung des Sektors, über den 90 % des Welthandels und 40 % des innergemeinschaftlichen Handels abgewickelt werden, und der Zahl der betroffenen Beschäftigten ist diese Maßnahme längst überfällig gewesen. Deshalb haben wir für den Bericht gestimmt. Wir hoffen, dass das Übereinkommen von den Mitgliedstaaten umgehend ratifiziert und eingehalten wird.

 
  
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  David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, mit dem alle bestehenden Übereinkommen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) seit 1919 zu einem einzigen Text zusammengefasst werden. Ich freue mich, dass als mögliche Frist für die Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten das Jahr 2010 festgelegt worden ist, da die Europäische Gemeinschaft weder zu den Mitgliedern der IAO noch zu den Unterzeichnern dieses Übereinkommens gehört und es wichtig ist, dass die Empfehlungen der IAO von jedem Mitgliedstaat ratifiziert werden.

 
  
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  Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation legt die Arbeitsrechte der Seeleute auf dem kleinstmöglichen Niveau fest. Sie liegen weit unter dem Standard ihrer gegenwärtigen Rechte und unter den Forderungen der Gemeinschaft der Seeleute. Wir haben Vorbehalte gegenüber einigen der darin enthaltenen Bestimmungen, wie beispielsweise solcher, die das Recht anerkennen, Sklavenhändlerbüros zu unterhalten und zu betreiben, die angeblich Arbeit für Seeleute suchen.

Der Bericht des Europäischen Parlaments und der Vorschlag der Kommission, die die Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten ermöglichen, spiegeln die Widersprüche und den intensiven Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Gruppen des Reedereikapitals wider.

Das Übereinkommen hat den leidenschaftlichen Widerstand der griechischen Schiffseigner hervorgerufen, die gegen die Gewährleistung selbst unzureichender Arbeits- und Lohnbedingungen opponieren, damit sie den neokolonialen Rechtsrahmen für die Schifffahrt, der von den Regierungen der Nea Dimokratia und der PASOK geschaffen wurde, „unangetastet“ lassen und auch in Zukunft ungehindert griechische und ausländische Seeleute auf schändliche Weise ausbeuten und ihre Profite steigern können.

Angesichts der volksfeindlichen Politik der EU, der Nea Dimokratia und der PASOK, der politischen Sprachrohre des Kapitals, sowie der Kräfte des Einbahnstraßen-Europas ruft die Kommunistische Partei Griechenlands die Seeleute auf, die klassenbewussten kämpferischen Kräfte unter den Seeleuten zu stärken, ihren Kampf zu intensivieren und zum Gegenangriff überzugehen, um ihre Rechte wieder zu erringen und ihre gegenwärtigen Bedürfnisse zu befriedigen.

 
  
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  José Albino Silva Peneda (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, da auch ich der Auffassung bin, dass es notwendig ist, das erste allgemeine Arbeitsgesetzbuch für die Seeschifffahrt auszuarbeiten.

Mit der Verabschiedung des IAO-Übereinkommens von 2006 wurden Mindestnormen für die Bereiche Gesundheit, Ausbildung, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit der Beschäftigten des Seeverkehrssektors festgeschrieben, die menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord internationaler Schiffe sicherstellen.

Nun müssen die Mitgliedstaaten dieses Übereinkommen ratifizieren. Ich fordere deshalb die portugiesischen Behörden zur Ratifizierung dieses IAO-Übereinkommens auf, damit einheitlichere Mindestbeschäftigungsbedingungen sichergestellt werden.

Ich begrüße die in diesem Übereinkommen eingeführten innovativen Verfahren wie z. B. das Seearbeitszeugnis, das ein Staat für Schiffe unter seiner Flagge ausstellt, nachdem überprüft wurde, dass die Arbeitsbedingungen an Bord der innerstaatlichen Gesetzgebung und den aus dem Übereinkommen resultierenden Vorschriften genügen.

Ich hoffe, dass dieses Übereinkommen zur Stabilisierung der Seeverkehrsbranche beitragen wird, die dem weltweiten Wettbewerbsdruck der Wirtschaftsbeteiligten mit den niedrigsten Sozialstandards und der drohenden Verlagerung der Anwerbung von Seeleuten zu Lasten europäischer Arbeitsplätze, auch im innergemeinschaftlichen Verkehr, ausgesetzt ist.

 
  
  

– Bericht Hasse Ferreira (A6-0057/2007)

 
  
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  Zita Pleštinská (PPE-DE). – (SK) Die Überalterung unserer Bevölkerung, sprich der zunehmende Anteil an älteren Menschen, und das Problem der sozialen Verelendung zählen zu den größten Herausforderungen, denen sich die Europäische Union in den nächsten Jahren stellen muss.

Ich begrüße den engagierten Bericht von Herrn Hasse Ferreira, der auf die Festlegung klarer Vorschriften für Sozialdienstleistungen in der gesamten EU abzielt. Dies gilt umso mehr, als diese Dienstleistungen aufgrund ihres spezifischen Charakters vom Geltungsbereich der kürzlich verabschiedeten Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen wurden. Ich befürworte nachdrücklich die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Da bei der Erbringung und Finanzierung der Sozialdienstleistungen 27 verschiedene Modelle und Konzepte zum Einsatz kommen, muss den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, den Umfang der Sozialdienstleistungen gemäß der üblichen Praxis in jedem Mitgliedstaat festzulegen und diese Dienstleistungen bestmöglich auf die Bedürfnisse des einzelnen Bürgers abzustimmen.

Unsere Bürger erwarten eine deutliche Botschaft von uns, in der wir bekräftigen, dass die Union jedem Bürger und insbesondere den Hilfsbedürftigen und sozial Schwachen ein Leben mit angemessenem Komfort und frei von finanziellen Ängsten ermöglicht. Mit diesem Bericht wird das Parlament meiner Ansicht nach außerdem dazu beitragen, ein nachhaltiges europäisches Sozialmodell zu entwickeln.

 
  
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  Andreas Mölzer (ITS). – Herr Präsident! Ich habe gegen den Bericht Hasse Ferreira gestimmt, da wir kurz vor einer sozialen Bruchlandung stehen. Während immer weniger Geld in die Sozialkassen kommt, steigt die Zahl jener, die trotz Arbeit vom Staat abhängig sind.

Wenn wir Mütter zu Dauersozialhilfeempfängerinnen degradieren, wenn es nicht möglich ist, von ehrlicher Arbeit zu leben, und Kinder ein sicherer Weg in die Armut sind, dann brauchen wir uns weder über schwindende EU-Begeisterung noch über das Gespenst der Kinderlosigkeit wundern. Eine Erhebung und Offenlegung der tatsächlichen innerhalb der EU durch Wirtschaftsmigration, Wirtschaftsasylanten und illegale Einwanderer entstehenden Kosten, insbesondere der diesbezüglichen Belastung unserer Sozialsysteme, ist meines Erachtens längst überfällig.

Die illusorische Hoffnung, dass ausländische Migranten unsere Kinderlosigkeit ausgleichen und unsere Alten betreuen würden, müssen Multi-Kulti-Träumer endlich über Bord werfen, damit die autochthone europäische Bevölkerung nicht langsam, aber sicher in der Flutwelle der sozialen Kostenexplosion untergeht.

 
  
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  Jan Andersson, Göran Färm, Anna Hedh, Inger Segelström und Åsa Westlund (PSE), schriftlich. (SV) Wir haben den Bericht unterstützt. Sozialdienstleistungen sind von besonderem Charakter und unterscheiden sich von kommerziellen Dienstleistungen. Wie solche Dienstleistungen finanziert und bereitgestellt werden, liegt in der Entscheidung der Mitgliedstaaten selbst, aber es ist wichtig, dass diese von hoher Qualität und allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sind.

Zum Schutz der Sozialdienstleistungen vor den Vorschriften des Binnenmarktes wäre eine sektorale Richtlinie wünschenswert, in der Sozialdienstleistungen und kommerzielle Dienstleistungen eindeutig definiert sind, um sie voneinander zu unterscheiden.

Wir sind jedoch etwas irritiert über den Begriff „Frauenerwerbstätigkeit“, der uns unbekannt ist. Wir vermuten, dass der Berichterstatter damit zum Ausdruck bringen will, dass viele Frauen im sozialen Dienstleistungssektor arbeiten und die Förderung ihrer Teilnahme am Arbeitsmarkt wichtig ist, wobei gleichzeitig jedoch gegen unsichere Beschäftigungsverhältnisse vorgegangen werden muss. Was die „Teilzeitarbeit“ betrifft, meinen wir, dass Vollzeitarbeit ein Recht und Teilzeitarbeit eine Möglichkeit sein sollte. Wir wollen ferner darauf hinweisen, dass es im öffentlichen Sektor keine „ehrenamtliche Tätigkeit“ gibt, diese aber in einer ergänzenden Sozialwirtschaft existieren kann. Ehrenamtliche Heimarbeit gehört jedoch nicht zu den Sozialdienstleistungen.

Wir verstehen den Begriff „öffentlich-private Partnerschaften“ dahingehend, dass es im sozialen Dienstleistungssektor verschiedene Dienstleistungen gibt, die öffentlich finanziert und von verschiedenen Akteuren, wie GmbH, gemeinnützige Organisationen, Genossenschaften und Privatunternehmen ausgeführt werden.

 
  
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  Roselyne Bachelot-Narquin (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Es war höchste Zeit! Endlich liegt uns ein Bericht vor, in dem die spezifischen Besonderheiten der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse Berücksichtigung finden. Die Aufgaben und organisatorischen Aspekte dieser Sozialdienstleistungen, die nicht mit anderen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu verwechseln sind, mussten dringend näher definiert werden. Außerdem bilden die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse einen wesentlichen Bestandteil des europäischen Sozialmodells, das wir nicht nur mit aller Kraft verteidigen, sondern auch voranbringen wollen. Es ist daher zu begrüßen, dass sich das Europäische Parlament mit diesem wichtigen Sachverhalt befasst.

Wir konnten in diesem Haus einen zufrieden stellenden Kompromiss erzielen. Ich habe daher für den Bericht Hasse Ferreira gestimmt.

Diese Entscheidung geht offensichtlich mit dem Votum des Europäischen Parlaments seit dem Kompromiss Gebhardt/Harbour zur Dienstleistungsrichtlinie und dem aktuelleren Kompromiss Rapkay/Hokmark zum Bericht Rapkay konform. Ich möchte an diesem Punkt nochmals klarstellen, dass wir uns mit dieser Entscheidung keinesfalls zu einer Rahmenrichtlinie zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse verpflichten.

Allerdings reicht dieser Bericht nicht aus; ich verweise damit auf die erforderliche sektorbezogene Richtlinie zu Gesundheitsdienstleistungen.

 
  
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  Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht über Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse gestimmt.

Es freut mich, dass das Parlament konsequent an seinem Votum festhält und Rechtssicherheit sowie die Klarstellung des Gemeinschaftsrahmens für Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse fordert.

Meines Erachtens kann mit diesem Bericht ein Ausgleich zwischen einer strengen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Erfüllung der Gemeinwohlaufgaben der Sozialdienste geschaffen werden.

Dies ist in der Tat eine notwendige Voraussetzung für die Schaffung einer sektorbezogenen Richtlinie zu Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, die das Parlament im Bericht Rapkay zum Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eindeutig gefordert hat.

Darüber hinaus begrüße ich den Vorschlag, auf Initiative des Parlaments ein Forum zu Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse einzuberufen, und spreche mich dafür aus, dieses Vorhaben im Verlauf der portugiesischen Ratspräsidentschaft in die Tat umzusetzen.

 
  
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  Edite Estrela (PSE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht gestimmt, da es sich um eine wichtige Frage für die europäischen Bürger handelt und weil ich die Auffassung des Berichterstatters teile. Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse sind einer der Grundpfeiler, auf die sich das europäische Sozialmodell stützt, und ein angemessenes Instrument, um die soziale Dimension der Lissabon-Strategie zu stärken und um sich den Herausforderungen der Globalisierung, des industriellen Wandels, des technologischen Fortschritts, des demografischen Wandels, der Migrationsbewegungen und der Änderung der Sozial- und Arbeitsmodelle zu stellen.

 
  
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  Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Das Hornissennest, in das mit der Richtlinie über die Errichtung des Dienstleitungsbinnenmarktes (der berüchtigten Bolkestein-Richtlinie) gestochen wurde, welche den Weg für den Angriff auf die öffentlichen Dienste ebnete, wird in diesem Bericht über Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse weiter ausgebaut.

Der Beweis dafür ist sofort in der Teilung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse sichtbar.

Zudem wird in dem Bericht nicht das Recht jedes Mitgliedstaates eindeutig vertreten, die öffentlichen Dienstleistungen nach ihren Vorstellungen zu definieren, zu organisieren und zu finanzieren.

Darüber hinaus wird zugelassen, dass Privatunternehmen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erbringen dürfen, womit der Privatisierung von zentralen Sozialdienstleistungen der Weg geebnet wird. Das wird zur Folge haben, dass die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Universalität, des sozialen Zusammenhalts und, was am allerwichtigsten ist, die Möglichkeit der Verteidigung der grundlegenden Menschenrechte in der Praxis in Frage gestellt werden.

Schließlich möchte ich darauf verweisen, dass alle von uns eingereichten Änderungsanträge abgelehnt wurden, z. B. unser Appell an die Mitgliedstaaten, erstens die so genannten Reformen zu revidieren, durch die ihre marktorientierten Sozialschutzmodelle, die dem Wettbewerb und Ausschreibungsverpflichtungen unterliegen, institutionalisiert wurden, und zweitens die Förderung öffentlich-privater Partnerschaften bzw. das Outsourcing von Sozialdienstleistungen zum privaten Sektor zu stoppen, weil diese Strategien irreführend sind.

 
  
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  Bruno Gollnisch (ITS), schriftlich. – Unter Ziffer 6 dieses Berichts über die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Hinteresse wird gemäß dem Subsidiaritätsprinzip die „Freiheit der Behörden der Mitgliedstaaten bekräftigt, die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse nach ihrem eigenen Verständnis zu definieren, zu organisieren und zu finanzieren“.

Mit diesem einen Satz wird der restliche Text, ungeachtet der so genannten „Mitverantwortung“ der Union, seiner Bedeutung beraubt: Die Verantwortung für die öffentlichen Dienste liegt bei den Mitgliedstaaten und muss auch in Zukunft bei ihnen verbleiben. Und jeder Mitgliedstaat muss selbst darüber befinden, ob diese Dienstleistungen vom Markt oder von der nationalen Solidarität als Garantin für das Gemeinwohl oder aber von einer gesunden Mischung dieser beiden Elemente gesteuert werden sollen.

Mit anderen Worten ist es weder Aufgabe der Kommission noch des Gerichtshofs in Luxemburg, die öffentlichen Dienstleistungen zu definieren oder gar über sie zu bestimmen. Wir wissen nur zu gut, was ansonsten geschieht: Im Namen des Ultraliberalismus und des Wettbewerbs werden die Gewinne zum eindeutigen Vorteil des internationalen Kapitals privatisiert und die Verluste ohne Rücksicht auf die Interessen der Allgemeinheit oder der Bürger und insbesondere der Ärmsten unter ihnen verstaatlicht.

Es kann nicht zu oft betont werden, welchen entscheidenden Einfluss diese Strategien auf den sozialen Verfall haben, den unsere Länder derzeit erleben.

 
  
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  Carl Lang (ITS), schriftlich. – (FR) Herr Hasse Ferreira stellt äußerst treffend fest, dass die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse einen wesentlichen Bestandteil des europäischen Sozialmodells bilden, das auf den Schutz der Schwächsten, also von Kindern, alten Menschen, Kranken, Menschen mit Behinderungen, Arbeitslosen usw. ausgerichtet ist.

Dieses Sozialmodell wird gegenwärtig durch drei Entwicklungen in Frage gestellt. Erstens die unkontrollierte Einwanderung, die über kurz oder lang unsere Sozialsysteme in den Ruin treiben wird. In Frankreich erhalten illegale Einwanderer kostenlose medizinische Versorgung, die den Staat alljährlich 600 Millionen Euro kostet. Zweitens das Niederreißen der Grenzen, mit der unsere Unternehmen dem internationalen Wettbewerb und dem Sozialdumping insbesondere durch China ausgeliefert werden und das die wirtschaftlichen Grundlagen dieses Sozialmodells zunichte macht. Drittens der 2000 auf dem Gipfel von Lissabon beschlossene schrittweise Abbau der öffentlichen Dienstleistungen.

Der Bericht unseres Kollegen Hasse Ferreira enthält keine Lösungsvorschläge, weil diese Entwicklungen das Ergebnis der ultraliberalen Ideologie sind, die das Brüsseler Europa durchsetzt.

Nur mit einem anderen Europa, einem Europa der Nationen, das sich auf die Achtung der nationalen Souveränitäten, die Gemeinschaftspräferenz und auf Grenzen stützt, die es vor einer ungezügelten Einwanderung und einem unfairen internationalen Wettbewerb schützen, werden unsere Staaten in der Lage sein, das europäische Sozialmodell wiederzubeleben.

 
  
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  David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, in dem die Kommission aufgefordert wird, den Vorschlag für eine sektorspezifische Richtlinie für Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse zu prüfen, weil diese Dienstleistungen nicht durch die Vorschriften für kommerzielle Dienstleistungen in der EU geregelt werden können. Sozialdienstleitungen müssen auch weiterhin qualitativ hochwertig und für alle zugänglich sein, und die Vorschriften für die Erbringung dieser Dienstleistungen müssen gesetzlich verankert werden.

 
  
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  Bairbre de Brún und Mary Lou McDonald (GUE/NGL), schriftlich. (EN) Trotz unserer Vorbehalte gegenüber bestimmten Aspekten des Berichts sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir alles in allem für den Bericht stimmen können. Wir sind weder davon überzeugt, dass ein Rechtsrahmen erforderlich ist, noch sind wir glücklich über die Art und Weise, in der bestimmte Sozialdienstleistungen zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erklärt werden, aber wir begrüßen es, dass der Bericht die Werte der Gleichheit und der Solidarität sowie die Grundsätze der Zugänglichkeit und des Universaldienstes ausdrücklich unterstützt.

Unsere Zustimmung zu diesem Bericht sollte keinesfalls als Unterstützung für die Schaffung öffentlich-privater Partnerschaften verstanden werden.

 
  
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  Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Neben den Gratis-Äußerungen über den „besonderen Charakter“ der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ebnet der Bericht den Weg für ihre Privatisierung und Einbeziehung in die Richtlinie über die Liberalisierung von Dienstleistungen (Bolkestein-Richtlinie).

Im Rahmen kapitalistischer Umstrukturierungen werden entscheidende Bereiche der Sozialschutzdienstleistungen dem „freien Markt“ und dem „freien Wettbewerb“, also der Zügellosigkeit des Großindustriekapitals, überlassen, damit sie nun nicht einmal mehr nach den derzeit geltenden beschränkten sozialen Kriterien funktionieren, sondern der Plutokratie Profite einbringen.

Sowohl die Mitteilung der Kommission als auch der Bericht des Europäischen Parlaments über die Sozialdienstleistungen sind im Grunde auf die Förderung dieser volksfeindlichen Veränderungen ausgerichtet.

Sie nehmen drastische Einschränkungen am Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vor. Sie setzen sich für die Umverteilung von Aufgaben vom öffentlichen auf den privaten Sektor (wodurch die öffentlichen Behörden zu „Dienern“ des „freien Wettbewerbs“ werden) sowie die Entwicklung öffentlich-privater Partnerschaften ein, die den „Rammbock“ für das Eindringen der Monopolgruppen in den Sektor der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse bilden.

Die Arbeitnehmer müssen sich dieser alptraumhaften Zukunft widersetzen, indem sie die Arbeiter- und Volksbewegung stärken und ihren Kampf intensivieren, um auf diese Weise dazu beizutragen, dem politischen Wechselspiel der Kräfte in unserem Land und in Europa eine andere Richtung zu geben und dadurch diese reaktionäre und extrem volksfeindliche Politik zu überwinden.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Mit einem starren Modell zur Definition der Wirtschaftstätigkeiten und zur Bestimmung ihres öffentlichen oder privaten Charakters kann die EU ganz bestimmt nichts gewinnen. Die moderne Wirtschaft – und insbesondere die europäische – braucht Flexibilität. Zum anderen ist das beste europäische Integrationsmodell dasjenige, das jedem Mitgliedstaat Freiraum lässt, den Weg zu wählen, den seine Bürger beschreiten wollen und das ihnen selbst auch Raum lässt, um Fehler zu begehen. Die Möglichkeit, einmal Fehler zu begehen, gehört untrennbar zur Freiheit der Wahl.

Deshalb befürworte ich, dass eine juristisch eindeutige Definition dessen benötigt wird, was unter Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse zu verstehen ist. Ihre richtige Feststellung ist wichtig, damit die Europäische Union bei der Annahme von Vorschriften weder etwas durchsetzt noch verbietet, wofür sie nicht zuständig ist. In diesem Sinne bin ich noch für viel mehr als in dem vorliegenden Bericht gesagt wird. Gleichermaßen stimme ich dem Berichterstatter dahingehend zu, dass die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse mit einer ausreichenden Finanzierung ausgestattet sein müssen. Das ist unbestritten, auch wenn unsere Meinungen in Bezug auf die Art der Finanzierung auseinandergehen und jeder Mitgliedstaat eine andere Auffassung von seinen Pflichten gegenüber seinen Bürgern hat.

 
  
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  Bernadette Vergnaud (PSE), schriftlich. – (FR) Die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse sind ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Sozialmodells.

Die Kommission kündigt in ihrer diesbezüglichen Mitteilung an, ihre Rolle in der Europäischen Union im Zusammenhang mit sozialen Aspekten, mit Konzepten und mit der für diese Dienstleistungen geltenden Rechtssicherheit zu verdeutlichen. In der Tat sind die Organisations- und Verwaltungsmodelle der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in den einzelnen Mitgliedstaaten äußerst unterschiedlich.

Neben anderen Aspekten sollte sich die Kommission auf die Schaffung eines Rechtsinstruments sowie vor allem auf die Ausarbeitung einer sektorbezogenen Richtlinie konzentrieren, um politische Eindeutigkeit in den Verfahren und Rechtssicherheit für die beteiligten sozialen Organisationen zu gewährleisten. Die Veranstaltung eines vom Parlament geleiteten Forums im Verlauf der portugiesischen Ratspräsidentschaft und in Zusammenarbeit mit allen sozialen Akteuren wird zu dieser Zielsetzung beitragen.

Die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse verfügen über alle Voraussetzungen, um die Verwirklichung der sozialen Dimension der Lissabon-Strategie zu untermauern. Dies ist möglich durch die Zahl der Arbeitsplätze, die sie schaffen können, und durch den sozialen Zusammenhalt, zu dessen Gewährleistung sie in der Europäischen Union in unterschiedlicher Form beitragen. Ich habe aus allen genannten Gründen für den Bericht von Herrn Hasse Ferreira gestimmt.

 
  
  

Entschließungsantrag (B6-0077/2007)

 
  
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  Robert Evans (PSE). (EN) Herr Präsident! Meine Kollegen von der britischen Labour-Partei und ich können einige Punkte dieses Entschließungsantrags nicht unterstützen und haben in der Schlussabstimmung dagegen gestimmt, weil wir glauben, dass der Entwurf des Abkommens viel zu unausgewogen ist und die USA begünstigt.

Wenn dieser Entwurf in der vorliegenden Form vom Rat angenommen wird, erhalten US-amerikanische Luftfahrtunternehmen praktisch uneingeschränkten Zugang zum inländischen Markt der EU, während europäische Luftfahrtunternehmen weiterhin keine Möglichkeit auf Zugang zum inländischen Markt der USA haben. Zudem können amerikanische Investoren bis zu 49 % der Stimmrechtsaktien an EU-Luftfahrtunternehmen erwerben, während EU-Investoren lediglich 25 % der stimmberechtigten Anteile oder Aktien an US-Luftfahrtunternehmen besitzen dürfen. Deshalb ist der Entwurf dieses Abkommens meiner Ansicht nach nicht viel besser als die Fassung vom November 2005, die sowohl vom Rat als auch von der Kommission als unausgewogen bezeichnet wurde.

Da die amerikanische Seite mit diesem Abkommensentwurf ihre wichtigsten Verhandlungsziele erreicht hat, gehe ich davon aus, dass für sie kein großer Anreiz für eine zukünftige weitere Liberalisierung mehr bestehen wird. Ich fürchte, dass letztlich das Vereinigte Königreich den Preis für dieses Abkommen zahlen wird. Das Vereinigte Königreich gewährt US-Luftfahrtunternehmen Verkehrsrechte (so genannte „hard rights“) mit uneingeschränktem Zugang zum Flughafen Heathrow und damit zu bereits 40 % des transatlantischen Marktes, ungeachtet der Tatsache, dass vier – nicht nur amerikanische – Luftfahrtunternehmen bereits Transatlantikflüge von Heathrow aus durchführen. Deshalb glaube ich, dass dies für das Vereinigte Königreich und für die gesamte Europäische Union ein sehr schlechtes Abkommen ist.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Die Juniliste akzeptiert, dass die EU die Mitgliedstaaten in handelspolitischen Fragen vertritt. Dazu gehört das aktuelle Luftverkehrsabkommen mit den USA, das es Fluggesellschaften der EU ermöglichen soll, alle Orte in den USA anzufliegen.

Wir sind dagegen, dass sich das Europäische Parlament zur Eigentumsstruktur amerikanischer Fluggesellschaften äußert, denn dies ist eine Frage für die zuständigen amerikanischen Behörden. Allerdings teilen wir die generellen Standpunkte des Entschließungsantrags. Das Luftverkehrsabkommen wirkt sich darüber hinaus positiv auf den Binnenmarkt aus, einem Gebiet, das wir schützen und ausbauen wollen. Wir haben daher bei der Schlussabstimmung für den Entschließungsantrag gestimmt.

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Eines der Ziele, die mit dem Abschluss dieses Vorabkommens über den Luftverkehr zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika verfolgt werden, besteht darin, die zurzeit auf verschiedenen Ebenen zwischen den Fluggesellschaften in Ländern der EU und denen der USA bestehenden Ungleichheiten auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Wir sehen jedoch den Abschluss dieses Vorabkommens mit Sorge. Da davon ausgegangen wird, dass der Abschluss derartiger Abkommen unter die Zuständigkeit der Gemeinschaft und nicht der Mitgliedstaaten fällt, wird die Souveränität eines jeden Mitgliedstaates in einem Bereich von enormer strategischer Bedeutung untergraben, und das umso mehr, als das erklärte Leitprinzip dieses Abkommens darin besteht, dass es als Musterbeispiel für die weitere weltweite Liberalisierung und Annäherung der Rechtsvorschriften gelten soll. Das ist für uns inakzeptabel.

Die mit dem Abschluss multilateraler Abkommen verbundenen Vorteile sind hinreichend belegt. Sie bringen dann Vorteile, wenn sie sowohl zur Verbesserung der Bedingungen für die Erbringung der Dienste – vor allem für die Passagiere –, der verfügbaren Flugrouten und der von ihnen geforderten Preise als auch zur Vereinfachung der Verfahren und zur Minimierung der Umweltauswirkungen beitragen und wenn sie auch die Rechte der Beschäftigten dieses Sektors schützen und fördern und die Wahrung der Rechtsvorschriften und der Souveränität jedes Landes sicherstellen.

 
  
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  Stanisław Jałowiecki (PPE-DE), schriftlich. (PL) Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, die Luftverkehrsabkommen zwischen der Europäischen Union und Drittländern zu überprüfen, hat uns vor völlig neue Herausforderungen gestellt, vor allem im Hinblick auf Länder wie Russland und die USA und ganz besonders in Bezug auf Letztere. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die Entscheidungen des EuGH für eine Seite, nämlich die Europäische Union, bindend sind. Die EU ist deshalb aufgefordert, ein neues Abkommen auszuhandeln. Wir sind dazu verpflichtet, und das bringt die Verhandlungsführer der EU von Anfang an in eine schwierigere Lage.

Umso erfreulicher ist es, dass es der Europäischen Kommission vor zwei Wochen nach einer weiteren schwierigen Verhandlungsrunde gelungen ist, teilweise Übereinstimmung zu erzielen, auch wenn das noch keine völlig befriedigende Lösung ist. Das ist immerhin ein bedeutender erster Schritt nach vorn. Wir dürfen uns jedoch keine unrealistischen Ziele setzen, wenn wir weiter vorankommen wollen. Die Forderung nach einer Harmonisierung der Sozialpolitik im Luftverkehrssektor auf beiden Seiten des Atlantik ist meiner Ansicht nach ein Beispiel für einen solchen unrealistischen Ansatz, wird damit de facto doch versucht, den Vereinigten Staaten das europäische Sozialmodell aufzuzwingen. Machen wir uns in diesem Falle nicht der Sünde des Hochmuts schuldig?

Ich unterstütze allerdings nachdrücklich die Forderung nach einem Austausch bewährter Konzepte im Bereich Umweltschutz. Selbst wenn sich die globale Erwärmung als globaler Mythos herausstellen sollte, ist schließlich die Umwelt selbst ein unschätzbares Gut.

 
  
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  Timothy Kirkhope (PPE-DE), schriftlich. – (EN) Die britischen Konservativen befürworten eine Öffnung des Luftverkehrsmarkts für mehr Wettbewerb und die Vereinbarung einer „Open-Sky“-Politik mit den Vereinigten Staaten. Mit den vorliegenden Vorschlägen, die bei den jüngsten Verhandlungen erarbeitet wurden, wird jedoch ein Ungleichgewicht zugunsten der Vereinigten Staaten aufrechterhalten. Derartige Abkommen sollten auf uneingeschränkter Gegenseitigkeit beruhen und europäischen Luftfahrtunternehmen auf der anderen Seite des Atlantiks dieselben Rechte garantieren wie sie amerikanischen Luftfahrtunternehmen in der Europäischen Union gewährt werden. Die Kommission hat Fortschritte erreicht, aber sie reichen noch nicht aus – und die Zeit drängt. Aus diesem Grund hat sich die Delegation der britischen Konservativen bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

 
  
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  David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Ich habe für diesen Entschließungsantrag gestimmt, in dem Sicherheit und Nachhaltigkeit als zwei wichtige Ziele für das Abkommen zwischen der EU und den USA hervorgehoben werden. Ich halte es für wichtig, dass nach der Entscheidung des amerikanischen Verkehrsministeriums, seinen Regelungsvorschlag über die tatsächliche Kontrolle von US-Luftfahrtunternehmen zurückzuziehen, die notwendige Ausgewogenheit zwischen den Interessen der EU und den Interessen der USA wiederhergestellt wird.

 
  
  

Entschließungsantrag (RC-B6-0078/2007)

 
  
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  Hubert Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich habe die Entschließung unterstützt, weil die Vorbereitungsarbeiten für die Überprüfungskonferenz zwingend notwendig und zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnvoll sind. Die Qualität des Atomwaffensperrvertrags und aller Zusatzprotokolle werden aber an den Erfolgen gemessen. Daher sollten wir die Chance nutzen, die sich jetzt mit der Wiederaufnahme der Sechs-Parteien-Gespräche in Richtung der Denuklearisierung in Nordkorea ergeben hat. Die Europäische Union hat wesentlich dazu beigetragen – und insbesondere auch wir als Europäisches Parlament –, dass es diese Gespräche wieder gibt, dass es dazu ein so genanntes Peking-Übereinkommen mit konkreten Maßnahmen gibt.

Jetzt geht es aber darum, dass wir die Umsetzung dieser beschlossenen Maßnahmen im Sinne einer Denuklearisierung Nordkoreas tatsächlich unterstützen, und ich erwarte mir, dass die Europäische Union Maßnahmen zur food security, das heißt landwirtschaftliche Entwicklungshilfe, zur regional security, das heißt Verbesserung der diplomatischen Beziehungen in der Region, und Maßnahmen in Richtung Umsetzung der Menschenrechte voll unterstützt.

Ziel muss es sein, dass Nordkorea ohne atomare Rüstung in kürzester Zeit das Auslangen findet und dass es generell zu einer Änderung des Regimes in Nordkorea im Interesse des Friedens und der Stabilität der gesamten Region kommt.

 
  
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  Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. (SV) Kernwaffen stellen eine weltweite Bedrohung für die Bevölkerung der Erde dar. Die jetzt zu beobachtende Entwicklung, dass sich immer mehr Länder Zugang zu Kernwaffentechnologie verschaffen, ist sehr Besorgnis erregend. Jeder souveräne Staat hat natürlich das Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen, aber rein prinzipiell sind wir der Ansicht, dass Kernwaffen keine Berechtigung haben. Die Geschichte hat gezeigt, welche Zerstörungen diese Waffen anrichten können.

Der vorliegende Entschließungsantrag, enthält gute, wie auch schlechte Passagen. So sollten unserer Ansicht nach z. B. alle Verweise auf die europäische Sicherheitsstrategie gestrichen werden. Tatsache ist, dass diese Frage ein hervorragendes Beispiel dafür ist, warum es in der EU keine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) geben sollte. Mehrere Mitgliedstaaten verfügen über bedeutende Kernwaffenarsenale, während andere ihr Territorium außereuropäischen Kernwaffenmächten überlassen. In einer zukünftigen EU mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik könnten Mitgliedstaaten ohne Kernwaffen unabsichtlich in Konflikte mit dieser Art von Waffen hineingezogen werden.

Außerdem ist die Welt größer als die EU, und ein internationales Problem muss auf internationaler Ebene gelöst werden. Die UNO verfügt über das dafür erforderliche Wissen und die Erfahrung und ist die zuständige Institution, die die Verbreitung von Kernwaffen in der Welt verhindern kann.

Unseres Erachtens liegt dem Entschließungsantrag die Absicht zugrunde, die GASP und den Einfluss des Parlaments in dieser Frage zu stärken. Wir haben darum gegen den Entschließungsantrag gestimmt.

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Die Nichtverbreitung von Kernwaffen und die atomare Abrüstung gehören zu den Kernfragen der Gegenwart in einem internationalen Umfeld, das von Instabilität und Unsicherheit, deren Ursachen die zunehmende Aggressivität und der Interventionismus des von den USA angeführten und von den kapitalistischen Großmächten unterstützten Imperialismus sind, geprägt wird.

Der Rüstungswettlauf wird von den USA angeheizt, einem Land, das seine Atomwaffen weiterentwickelt und bestrebt ist, in Europa neue Systeme zu installieren, die ihrem Wesen nach Angriffszielen dienen. Beispiele dafür sind die neuen Antiraketensysteme in Polen und in der Tschechischen Republik.

In ihrer zunehmend militärischen Ausrichtung bedrohen die USA zugleich andere souveräne Staaten mit ihrer Einmischung und militärischen Aggression.

Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung der Vorschläge unserer Fraktion durch die Mehrheit des EP äußerst aufschlussreich. Unsere Fraktion:

- besteht auf einer friedlichen politischen Lösung des Streits über das Atomprogramm des Iran und bekräftigt seine Ablehnung militärischen Maßnahmen sowie der Androhung von Waffengewalt;

- ist gegen die Stationierung neuer ballistischer Flugkörper und Raketenabwehrsysteme in EU-Mitgliedstaaten;

- und fordert die Nuklearwaffen besitzenden Staaten auf, die höchste Alarmstufe für ihre Arsenale aufzuheben und sich zu verpflichten, nuklearwaffenfreie Staaten nicht mit Nuklearwaffen anzugreifen.

 
  
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  David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Ich habe für diesen Entschließungsantrag gestimmt, weil die Gefahr einer Verbreitung von Kernwaffen große Besorgnis auslöst und es wichtig ist, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) wieder zu beleben und zu stärken. Die EU hat einen gemeinsamen Standpunkt zur Nichtverbreitung angenommen, der eine positive Plattform für verstärkte Anstrengungen in diesem Bereich bietet, insbesondere durch die Verfolgung eines wirksamen Multilateralismus.

 
  
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  Mary Lou McDonald (GUE/NGL), schriftlich. – (EN) Sinn Fein lehnt die Weiterverbreitung von Kernwaffen grundsätzlich ab und begrüßt die klare Ablehnung, die das Europäische Parlament heute zum Ausdruck gebracht hat.

Irland ist ein atomwaffenfreies Land, und daran darf sich auch in Zukunft nichts ändern. Dennoch hat die Atomindustrie Auswirkungen auf unsere Umwelt und unsere Gesundheit, da ausländische Kernkraftwerke unsere Meere und unser Land belasten und dadurch Gesundheitsprobleme bei unserer Bevölkerung verursachen.

Alle Länder, sollten unabhängig von ihrer Größe, ihrem Einfluss oder ihrer Regierungsform so bald wie möglich mit der Beseitigung ihrer Atomwaffenarsenale beginnen. Wir lehnen es ab, dass weitere Länder den Kreis der Atommächte erweitern oder die Mächte, die bereits über Kernwaffen verfügen, ihr atomares Potenzial vergrößern.

 
  
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  Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Während es über seine fest etablierte jährliche Wunschliste zur Nichtverbreitung von Kernwaffen abstimmt, versäumt es das Europäische Parlament, die Installation neuer ballistischer Flugkörper und Raketenabwehrsysteme in Europa zu verurteilen.

Dieser Beschluss kommt im Grunde einer Akzeptanz und Mitwirkung am nationalen Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten gleich, dessen Ziel darin besteht, ein globales Atomraketenangriffsnetzwerk aufzubauen. In der Tschechischen Republik und in Polen werden bereits Vorbereitungen zur Errichtung neuer US-Militärstützpunkte getroffen, und das Europäische Parlament gibt dazu seine Zustimmung in den Entschließungsanträgen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten sowie der überwältigenden Mehrheit der Sozialdemokraten und Liberalen.

Wir, die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Griechenlands im Europäischen Parlament, haben uns der Stimme enthalten, weil wir es ablehnen, uns an der Selbsttäuschung über den Charakter der EU zu beteiligen, die auch in diesem Bereich aggressiv ist und bleibt. Die politischen Kräfte, die sie unterstützen, bemühen sich darum, sie als „Anti-Atommacht“ darzustellen. Es gibt Mitgliedstaaten (Großbritannien und Frankreich), die über Atomwaffen verfügen. Dazu kommen noch amerikanische Atomwaffen, die sich ebenfalls auf EU-Territorium befinden. Jetzt bereitet sich die EU darauf vor, sich am nationalen Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten zu beteiligen, das ein neues Wettrüsten und neue Feindschaften schürt.

Trotz der hübschen Phrasen zeigt die Entschließung wieder einmal, dass sich die EU in strategischen Fragen auf die Seite der Vereinigten Staaten und gegen die Völker stellt. Ziel des nationalen Raketenabwehrsystems der Vereinigten Staaten ist es, mithilfe von nuklearem Terrorismus die imperialistische Souveränität zu etablieren.

 
  
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  Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich stimme dem Inhalt dieser gemeinsamen Entschließung rückhaltlos zu. Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ist unsere beste Waffe gegen die Ausbreitung von Nuklearwaffen – einer ernsthaften Bedrohung für die weltweite Sicherheit. Es muss gesagt werden, dass es nicht nur wichtig ist, welche Atomwaffen es gibt, sondern auch, wer sie besitzt. Wie wir sehen, verhalten sich in dieser Frage nicht alle Staaten gleich.

Mit meinem Ja und mit meiner Zustimmung zur Entschließung möchte ich den Gedanken hervorheben, dass wir neben dem rein formellen Vorgehen noch weitere Verpflichtungen haben. Am meisten interessiert uns in der Weltpolitik die Gewährleistung umfassender und dauerhafter Sicherheit. In dieser Frage bin ich mir nicht mehr so sicher, was genau wir getan haben. Hoffen wir, dass die im Augenblick zwar kaum sichtbaren, aber Besorgnis erregenden Anzeichen sich als unbegründet erweisen.

 
  
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  Geoffrey Van Orden (PPE-DE), schriftlich. – (EN) Der Besitz von Nuklearwaffen war in den vergangenen 54 Jahren ein zentraler Bestandteil der Verteidigungsstrategie des Vereinigten Königreichs. Angesichts der Gefahren in der heutigen Welt und der Unvorhersehbarkeit künftiger Bedrohungen wäre es unklug, Entscheidungen zu treffen, durch die unsere Fähigkeit zur Aufrechterhaltung einer unabhängigen britischen Nuklearabschreckung oder die Glaubwürdigkeit unserer Abschreckungspolitik beeinträchtigt würde. Mit der relativ geringen Investition einer Summe, die über einen Zeitraum von 20 Jahren gerechnet nur knapp 3 % des Verteidigungshaushalts des Vereinigten Königreichs ausmacht, kann das Vereinigte Königreich seine unverzichtbare Verteidigungsfähigkeit erhalten. Das Vereinigte Königreich ist nach dem Nichtverbreitungsvertrag (NVV) als rechtmäßiger Kernwaffenstaat anerkannt, und die Konservativen unterstützen das Ziel einer weltweiten nuklearen Abrüstung gemäß Artikel VI des NVV.

Eine unilaterale nukleare Abrüstung, die unsere Nation und ihre Bevölkerung gefährden und mit der wir unsere strategische Verteidigung vollständig in andere Hände legen würden, lehnen wir jedoch mit allem Nachdruck ab. Entscheidungen, die sich auf die Sicherheit des Vereinigten Königreichs, sein Hoheitsgebiet und seine Bürger auswirken, fallen in den Zuständigkeitsbereich der Regierung Ihrer Majestät und nicht in den der Europäischen Union. Über den größten Teil des vorliegenden Entschließungsantrags besteht eine sonst nur selten anzutreffende Einmütigkeit und die extremen Änderungsanträge, die von der Linken eingebracht wurden, haben keine Mehrheit gefunden.

Wir konnten jedoch einem Text nicht zustimmen, in dem die Anstrengungen begrüßt werden, die von Parlamentariern aus allen Ländern im Rahmen der so genannten Kampagne für nukleare Abrüstung, zum Beispiel im weltweiten Parlamentarischen Netzwerk für nukleare Abrüstung (Erwägung E), unternommen werden. Aus diesem Grund haben wir uns bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag als Ganzes der Stimme enthalten.

 

7. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
  

(Die Sitzung wird um 13.10 Uhr unterbrochen und um 15.00 Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: MECHTILD ROTHE
Vizepräsidentin

 

8. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll

9. Beziehungen Europa-Mittelmeer – Errichtung der Freihandelszone Europa-Mittelmeer (Aussprache)
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  Die Präsidentin. Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über EuroMed mit den folgenden Punkten

– Erklärungen des Rates und der Kommission über die Beziehungen Europa-Mittelmeer und

– Bericht von Kader Arif im Namen des Ausschusses für internationalen Handel über die Errichtung der Freihandelszone Europa-Mittelmeer (2006/2173(INI)) (A6-0468/2006).

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, heute über die euromediterranen Beziehungen sprechen zu können sowie bei der Debatte über den Bericht des Ausschusses für internationalen Handel über die Errichtung der Freihandelszone Europa-Mittelmeer anwesend zu sein. Der Bericht von Herrn Arif enthält viele interessante Aussagen zu den Beziehungen EU-Mittelmeerländer.

Die EU hat ein Interesse an einem sicheren, politisch stabilen und wirtschaftlich entwickelten Mittelmeerraum. Historische und geographische Gründe spielen dabei eine Rolle, aber auch aktuelle Entwicklungen wie die steigende Terrorismusgefahr und die engen wirtschaftlichen Verflechtungen. Fast täglich werden wir damit konfrontiert, dass die Regionen Nordafrika sowie Nah- und Mittelost noch nicht zu politischer und wirtschaftlicher Stabilität gefunden haben.

Ihr Entschließungsentwurf nennt die wichtigsten Probleme, die dem zugrunde liegen, deutlich beim Namen.

Der Nahostkonflikt hinterlässt Spuren im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben, die die Region nachhaltig prägen. Der starke Anstieg der Bevölkerungszahl in den südlichen Mittelmeerländern und eine damit nicht Schritt haltende wirtschaftliche Entwicklung führen dazu, dass immer mehr Menschen keinen Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen haben. Gerade junge Menschen sehen keine Lebensperspektive in ihrer Heimat. Sie versuchen, nach Europa auszuwandern und/oder werden leichte Beute für die vermeintlich „einfachen Lösungen“, die ihnen radikales Gedankengut vorspiegelt. Die Regierungen in einigen Mittelmeerstaaten scheuen vor den erforderlichen politischen Reformen zurück und versagen ihrer Bevölkerung politische Mitwirkung.

Aber der Entschließungsentwurf erkennt auch an, dass der Barcelona-Prozess durch — ich zitiere — „Schaffung … politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Beziehungen zwischen dem nördlichen und dem südlichen Mittelmeerraum … erhebliche Fortschritte in dieser Region gebracht“ hat.

Der Barcelona-Prozess konnte den Nahostkonflikt nicht lösen, aber das ist auch nicht seine Aufgabe. Er hat aber einen anderen, nicht zu unterschätzenden Mehrwert: Als eines der wenigen Foren bringt er Israel und seine arabischen Nachbarn regelmäßig an einen Tisch! Unter dem Dach von „Barcelona“ besteht auch in Zeiten politischer Differenzen die Chance für praktizierten Austausch und Kooperation. Es liegt an den teilnehmenden Ländern selbst, in welchem Umfang sie diese Möglichkeit nutzen.

Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: Trotz der Auseinandersetzungen wegen des Wahlergebnisses in den palästinensischen Gebieten gab es eine konstruktive Teilnahme von palästinensischen und israelischen Vertretern an der Sitzung der Hohen EuroMed-Beamten und dem EuroMed-Komitee im März 2006.

Das zweite Beispiel: Bei der Sondersitzung der Hohen EuroMed-Beamten und des EuroMed-Komitees am 22. Februar 2006 anlässlich des „Karikaturenstreits“ gab es konstruktive Vorschläge sowohl von Seiten der EU als auch der arabischen Gruppe. Auch hier war die Anwesenheit sowohl der israelischen als auch der arabischen Delegationen bemerkenswert.

Deshalb gilt: Auch wenn die 1995 in der Erklärung von Barcelona feierlich verankerten ehrgeizigen Ziele — Schaffung eines gemeinsamen Raumes von Frieden und Stabilität, Schaffung einer Zone allgemeinen Wohlstands, Entwicklung einer engen Partnerschaft im sozialen, kulturellen und zwischenmenschlichen Bereich — nicht erreicht wurden, bleibt der Barcelona-Prozess ein Instrument, das wir nicht aufgeben dürfen.

Er kann nämlich trotz aller seiner Defizite dazu beitragen, dass die Mittelmeerregion sich von einem „Meer der Konfrontation“ zu einem „Meer der Kooperation“ wandelt, wie es der ehemalige deutsche Außenminister Fischer einmal formuliert hat.

Der Barcelona-Prozess sorgt dafür, dass nicht nur Regierungsvertreter und akademische Eliten regelmäßig zusammentreffen, sondern dass auch die Bevölkerungen, die Zivilgesellschaften auf beiden Seiten des Mittelmeers sich näher kommen. Hierzu trägt die „Anna-Lindh Stiftung für den Dialog zwischen Kulturen“ bei, und dieses Engagement soll in der Zukunft noch intensiviert werden.

Ein wichtiges Organ der euromediterranen Zusammenarbeit ist des Weiteren die „Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer (EMPV)“, die sich schon 2003 konstituierte und die zunehmend Einfluss auf die Förderung demokratischer Strukturen und der Menschenrechte in allen EuroMed-Ländern nehmen soll.

Das Gipfeltreffen anlässlich des 10. Jahrestages des Barcelona-Prozesses im November 2005 zeigte, dass trotz unterschiedlicher Auffassungen über Ausmaß und konkrete Ausgestaltung der Wille von EU und Mittelmeerländern zur engen Kooperation fortbesteht. Das vom Gipfel verabschiedete Arbeitsprogramm für die nächsten fünf Jahre enthält konkrete Ziele in allen Bereichen des Barcelona-Prozesses, etwa bei der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit sowie bei der Migration. Die Voraussetzungen für eine weitere Kooperation sind also gegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stabilität ohne wirtschaftlichen Fortschritt gibt es nicht. Das wissen wir alle, und das gilt auch für den EuroMed-Rahmen. Deshalb haben die EuroMed-Außenminister bei ihrem Gipfeltreffen in Tampere Ende November 2006 nochmals bekräftigt, dass die Schaffung einer EuroMed-Freihandelszone bis 2010 weiterhin gemeinsames Ziel aller EuroMed-Partner ist. Ist dieses Festhalten an einem vor über zehn Jahren vereinbarten Ziel vernünftig oder nur halsstarrig?

Zunächst einmal scheint mir „2010“ ein Symbol geworden zu sein für die Bedeutung, die die EuroMed-Partner einer Freihandelszone beimessen. Darüber hinaus hat sich gerade im wirtschaftlichen Bereich Vieles getan, was eine Freihandelszone machbar erscheinen lässt: Die bilateralen Freihandelszonen der Assoziationsabkommen, die zwischen der EU und fast allen Mittelmeerländern — im Augenblick nur mit Ausnahme Syriens — in Kraft sind, werden zufriedenstellend umgesetzt.

Ziel ist es, die Mittelmeeranrainer schrittweise weiter in die europäische Wirtschaft zu integrieren. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird die EU-Kommission nach Kräften unterstützen, damit die laufenden Verhandlungen an Fahrt gewinnen und weitere Fortschritte erreicht werden. Ich nenne insbesondere folgende Bereiche: Die schrittweise Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs und des Niederlassungsrechts; die schrittweise Liberalisierung des Handels mit Agrarprodukten, landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen und Fischereierzeugnissen; die Schaffung eines Streitbeilegungsmechanismus und die Konvergenz der Rechtsvorschriften mit besonderem Gewicht auf der Angleichung der technischen Rechtsvorschriften.

Ziel ist es, den Mittelmeerländern erleichterten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu verschaffen, denn die EU ist mit über 50 % Anteil ihr wichtigster Handelspartner. Diese Entwicklung ist natürlich verknüpft mit den Fortschritten bei der Umsetzung der oben erwähnten Assoziationsabkommen. Danach werden sich andere Herausforderungen einstellen, etwa die Frage, ob die Wirtschaftsunternehmen der mediterranen Partner wettbewerbsfähig sind. Auch unter den Mittelmeerländern selbst hat der Integrationsprozess mit dem seit 2004 bestehenden Agadir-Abkommen, das eine Freihandelszone zwischen den Mittelmeeranrainern schaffen soll, einen wichtigen Impuls erhalten. Die EU fördert diese Süd-Süd-Kooperation, indem sie z. B. das Sekretariat finanziell unterstützt. Wir hoffen, dass sich neben Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien bald auch weitere Länder dem Agadir-Abkommen anschließen.

Liberalisierungen und wirtschaftliche Reformen bleiben nicht ohne Wirkung auf die sozioökonomische Situation eines Landes. Wie sich Veränderungen in diesem Bereich auswirken, ist vor allem abhängig davon, dass die nötigen Strukturveränderungen kontrolliert und zielgerichtet ablaufen. Die EU unterstützt die Mittelmeerländer dabei tatkräftig. Sie stellt beispielsweise im Rahmen des Barcelona-Prozesses seit Jahren beträchtliche Mittel für Umstrukturierungen und Modernisierungen im Beschäftigungs- und Ausbildungssektor sowie zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung.

Die regionalen EU-Förderprogramme wie EuroMed-Market, ANIMA, EuroMed-Innovation helfen bei der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und unternehmerische Initiativen und stärken so den privaten Sektor. Darüber hinaus steht vor allem kleinen und mittleren Unternehmen mit der Mittelmeer-Fazilität der Europäischen Investitionsbank (FEMIP) ein gut ausgestattetes und bewährtes Förderinstrument zur Verfügung. Die FEMIP unterstützt außerdem Umweltvorhaben, Infrastruktur- und Ausbildungsprojekte.

Wie Sie wissen, ist die große Hürde für sich entwickelnde Marktwirtschaften, Investoren davon zu überzeugen, dass sie ein stabiles, lohnendes Umfeld erwartet. Dies ist besonders wichtig, weil ausländische Direktinvestitionen dringend gebraucht werden. Dies ist eine Thematik, zu der die Mittelmeerländer besondere Unterstützung von unserer Seite benötigen. Sie haben das auch wiederholt eingefordert.

Deshalb freue ich mich besonders, dass sich während der deutschen Präsidentschaft am 23. April dieses Jahres eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe zu Investitionen konstituieren wird. Die EuroMed-Partner werden dort gemeinsam die wichtigsten Probleme identifizieren und nach Mitteln und Wegen suchen, die Investitionsströme in den Mittelmeerraum zu verbessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich abschließend betonen: Ich bin wie Sie der Meinung, dass unkontrolliertes wirtschaftliches Wachstum nicht alles ist, sondern dass soziale und ökologische Aspekte ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Dies gilt natürlich auch in Bezug auf die Beziehungen EU-Mittelmeer. Die deutsche Präsidentschaft wird daher zu beiden Themen attraktive Konferenzen mit hochrangiger Beteiligung durchführen.

So wird Ende dieser Woche der Ratsvorsitzende, Außenminister Steinmeier, in Berlin die EuroMed-Konferenz zu Beschäftigung und Sozialdialog eröffnen. Der gemeinsame Raum von Sicherheit und Prosperität, den der Barcelona-Prozess anstrebt, kann ohne funktionierenden Sozialdialog und neue Arbeitsplätze nicht nachhaltig entstehen. Eher wächst das Risiko, dass die soziale Stabilität durch hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere bei jungen Leuten, gefährdet wird und sich die Aussichten für soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den südlichen Anrainerstaaten verschlechtern.

Zweitens: Am 19. April 2007 findet ebenfalls in Berlin eine Konferenz zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien statt. Eine zukunftsgerichtete Energiepolitik ist unerlässlich für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und sparsamen Umgang mit Ressourcen. Minister aus den südlichen und östlichen Nachbarstaaten der EU sowie Vertreter aus Wirtschaft und internationalen Finanzinstitutionen werden sich mit der Frage befassen, wie eine gesicherte und umweltverträgliche Energieversorgung im EuroMed-Raum erreicht werden kann.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, wir sind auch mit unseren Aktivitäten ganz auf der Linie des Entschließungsentwurfs und wollen die drei Hauptziele des Barcelona-Prozesses gleichzeitig weiterverfolgen. Nämlich: Schaffung eines gemeinsamen Raums von Frieden und Stabilität, Schaffung einer Zone allgemeinen Wohlstands durch wirtschaftliche Partnerschaft und Errichtung einer Freihandelszone Europa-Mittelmeer bis 2010 sowie Schaffung eines Raums des Dialogs zwischen den Kulturen durch Zusammenarbeit im sozialen, kulturellen und zwischenmenschlichen Bereich.

Es ist in unserer Aller Interesse, dass wir in unseren Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen, nicht nachlassen. Wir alle — Regierungen, Parlamente und sonstige politisch Verantwortliche — sind hier gefordert und können mit vereinten Kräften sicherlich viel erreichen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

 
  
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  Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Im Mittelpunkt aller Gespräche über die Beziehungen zwischen Europa und der Mittelmeerregion muss unser gemeinsamer politischer Auftrag stehen. Gegenwärtig bilden die Mittelmeerregion und Europa einen strategischen und wirtschaftlichen Raum, der noch in der Entwicklung begriffen ist. Indem wir uns unseres gemeinsamen kulturellen und politischen Erbes wieder bewusst werden, festigen wir unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit für die Zukunft, denn wir wollen wieder eine führende Rolle bei der Schaffung eines Raums der Stabilität, des Friedens und des Wohlstands spielen.

Der große Europa-Mittelmeer-Raum besteht aus zwei voneinander abhängigen Einheiten: aus der 27 Mitglieder umfassenden Europäischen Union und der Mittelmeerregion mit ihren mehr als 250 Millionen Einwohnern. Wir sind als Partner politisch in dem Bemühen voneinander abhängig, im Nahen Osten und im restlichen Mittelmeerraum Frieden zu schaffen und Pluralismus und Demokratie zu fördern.

Zudem sind wir wirtschaftlich voneinander abhängig: Die Handelsbeziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum sind positiv und nehmen stetig zu. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2006 ist das Ausfuhrvolumen der Mittelmeerländer in die EU der 27 jährlich um durchschnittlich 10 % gestiegen. Bei den Einfuhren aus den 27 EU-Mitgliedstaaten ist gleichsam ein Anstieg, wenn auch ein etwas langsamerer, um 4 % zu verzeichnen. Der Handelsüberschuss der EU ist deutlich zurückgegangen, so dass die beiden Regionen im Jahr 2006 im Grunde einen ausgeglichenen Handel aufweisen konnten.

Doch auch in anderen Bereichen gibt es eine gegenseitige Abhängigkeit, beispielsweise in Umweltfragen, da wir gemeinsam über mehr als 46 000 Kilometer Mittelmeerküste verfügen und durch den Klimawandel, die Wasserversorgung und die Umweltsanierung des Mittelmeers vor gemeinsamen Herausforderungen stehen. Auch in Energiefragen sind wir dank der Öl- und Gasreserven, die sich im Mittelmeerraum befinden oder durch ihn transportiert werden, voneinander abhängig. Zudem besteht angesichts der Notwendigkeit, einen Dialog mit den nordafrikanischen Staaten über die Verwaltung der legalen und illegalen Einwanderung zu führen, auch eine gegenseitige Abhängigkeit im demografischen Bereich. Und schließlich ist unsere gegenseitige kulturelle Abhängigkeit der dringenden Notwendigkeit geschuldet, einen umfassenden Dialog zwischen den Kulturen und den Religionen zu führen.

Die Union hat die Nachbarschaftspolitik und den Barcelona-Prozess in die Wege geleitet, um auf diese gegenseitige Abhängigkeit zu reagieren. Dabei handelt es sich um einander ergänzende und einheitliche Rahmenbedingungen für Politik und Zusammenarbeit. Innerhalb dieser Rahmen gibt es Assoziierungsabkommen und Nachbarschafts-Aktionspläne mit nahezu allen Ländern der Region. Auf der Tagung des Assoziationsrates EU-Ägypten am 6. März wurde das jüngste dieser Abkommen mit Ägypten geschlossen.

Wie bereits erwähnt, nimmt die Freihandelszone Europa-Mittelmeer langsam Formen an und wird als Schnittstelle zwischen einer immer stärker globalisierten Welt und dem offenen, umfassenden Regionalismus Europas dienen. Gestützt auf die Liberalisierung des Warenverkehrs wollen wir auch den Dienstleistungs- und Geschäftsverkehr liberalisieren, um die viel beschworene regionale wirtschaftliche Integration zu fördern.

Es wurden aktive gemeinsame Institutionen wie die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer errichtet. Das Jahr 2007 wird für unsere Beziehungen zu einer Region, die einen grundlegenden Wandel durchmacht, hohe Erwartungen in Europa setzt und engen Beziehungen mit der Union höchste Priorität einräumt, von entscheidender Bedeutung sein.

Im Jahr 2007 wird das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument in Kraft treten. Unsere Zusammenarbeit mit unseren Partnern wird von der Überzeugung genährt, dass Veränderungen aus der Gesellschaft kommen müssen, wenn sie von Dauer sein sollen.

Im Rahmen der Nachbarschaftspolitik wird mit einer schrittweisen Verwirklichung der politischen und wirtschaftlichen Reformen der Weg für eine Annäherung zwischen Europa und den Mittelmeerländern geebnet.

Wenn wir unsere Nachbarn bei der Umsetzung ihrer anspruchsvollen Reformprogramme unterstützen wollen, dann müssen wir Reformanreize schaffen. Wir haben bereits einen Ausbau unserer Handelsbeziehungen in Aussicht gestellt. Zudem konnten wir uns um eine Erleichterung der Visavergabe bemühen. Die Vorschläge in der Kommissionsmitteilung setzen einen entschiedenen politischen Willen voraus, aber auch ein entsprechendes wirtschaftliches und finanzielles Engagement.

Das Europäische Parlament wird entscheidend dazu beitragen können, dass Europa gegenüber der Region eine konsequente Politik aufrechterhalten und politische und finanzielle Unterstützung gewähren kann, um die Kooperationsstrategien im Mittelmeerraum zu verwirklichen.

Wie bereits gesagt wurde, werden sich der deutsche und der portugiesische Vorsitz im Rahmen des Barcelona-Prozesses in enger Zusammenarbeit mit der Kommission darum bemühen, den Aktionsplan voranzubringen, der im November 2005 auf dem Gipfel von Barcelona angenommen wurde.

Für das Jahr 2007 sind folgende Aktivitäten geplant: eine Konferenz zu sozialen Fragen, die im März in Berlin stattfinden und unserer Partnerschaft eine soziale Dimension verleihen soll; eine von der portugiesischen Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte organisierte Konferenz zur Migration – die erste Konferenz dieser Art in der Region, die ein Forum für die Erörterung gemeinsamer Ansätze zur wirksameren Bekämpfung der illegalen Einwanderung bieten wird; eine Konferenz zu Forschung und Hochschulbildung, auf der die Kommission die Einführung von Stipendien für Hochschulstudenten in der Region ankündigen wird, und schließlich eine vom portugiesischen Vorsitz in Lissabon veranstaltete Tagung der Handelsminister Europas und des Mittelmeerraums, auf der Bilanz über unsere Fortschritte bei der Schaffung einer Freihandelszone Europa-Mittelmeer gezogen werden soll.

2007 wird außerdem von Bedeutung sein, weil wir in diesem Jahr weit reichende Aktionspläne festlegen und durchführen werden, die der Region den Weg in eine bessere Zukunft ebnen sollen: die Initiative Horizont 2020 zur Reinhaltung des Mittelmeerraums; den Aktionsplan von Istanbul zur Rolle der Frau in der Gesellschaft, der im November 2006 verabschiedet wurde; die praktische Durchführung des Tampere-Programms, die im Verlauf der Konferenz der Außenminister Europas und des Mittelmeerraums beschlossen wurde, und den Aktionsplan zur Errichtung der Freihandelszone, der Gegenstand des Berichts von Herrn Arif ist, auf den ich nun eingehen möchte.

Meine Anerkennung gilt dem Berichterstatter und den Abgeordneten, die dazu beigetragen haben, einen relevanten und umfassenden Entschließungsantrag vorzulegen. In diesem Antrag wird darauf hingewiesen, dass der Barcelona-Prozess mit Blick auf die Handelsliberalisierung und die wirtschaftliche Integration zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat. Gleichzeitig wird unterstrichen, wie vielschichtig diese Aufgabe und die sozioökonomischen Zwänge sowohl in struktureller Hinsicht als auch im gegenwärtigen internationalen Kontext sind, der diese Nachbarregion der EU geprägt hat.

Tatsächlich lassen sich die uneinheitlichen konjunkturellen Ergebnisse der Schaffung einer Freihandelszone nicht immer auf den Prozess an sich oder seine Schwächen zurückführen, sondern sind häufig zahlreichen strukturellen Hemmnissen geschuldet, die für diese Region charakteristisch sind und auf die eine oder andere Art verhindert haben, dass sich der wirtschaftliche Integrationsprozess voll entfalten konnte.

Ungeachtet dieser Hemmnisse ist jedoch eine Zunahme des Handels im Anschluss an die Liberalisierung im Rahmen des Barcelona-Prozesses zu verzeichnen: Die Ausfuhren aus den Mittelmeerländern in die EU haben sich seit 1995 verdoppelt; die EU-Ausfuhren sind um 60 % gestiegen und das bilaterale Handelsdefizit der Mittelmeerländer ist im gleichen Zeitraum von 20 auf 10 % gesunken. Der Barcelona-Prozess und unsere Nachbarschaftspolitik haben nach wie vor die Einrichtung einer Freihandelszone Europa-Mittelmeer zum Ziel.

In beiden Zusammenhängen wurden zahlreiche Initiativen entwickelt, um die Liberalisierung sowohl im Bereich der Zölle als auch der Beseitigung von nicht tarifären Maßnahmen weiter zu vertiefen und zu fördern.

Seit der Konferenz der Handelsminister im vergangenen Jahr in Marrakesch wurden neue Verhandlungen in den Bereichen Landwirtschaft, Dienstleistungen und Investitionen eingeleitet, und unsere Aktionspläne der Europäischen Nachbarschaftspolitik sehen prioritäre Maßnahmen insbesondere zum Abbau regelungsbedingter und nicht-tarifärer Hemmnisse vor.

Von Anfang an waren im Barcelona-Prozess Begleit- und Auffangmaßnahmen zur Errichtung der Freihandelszone Europa-Mittelmeer vorgesehen, darunter ein asymmetrischer Zollabbau, eine schrittweise Liberalisierung – die beispielsweise im Agrarsektor erst jetzt erfolgt, nachdem die Wirtschaftsliberalisierung lange genug zurückliegt – sowie nicht zuletzt die Bereitstellung umfangreicher Mittel zur Unterstützung von Wirtschafts- und Strukturreformen und der nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raums, die bisher im Rahmen von MEDA und derzeit durch das neue ENP-Instrument gewährt werden.

Wir legen weiterhin unseren Schwerpunkt darauf, die nachhaltige Entwicklung und den Wettbewerb im Mittelmeerraum durch den Abbau von Handelshemmnissen und die Förderung von regionaler Integration, Investitionen, einer Annäherung der Rechtsvorschriften an die Binnenmarktvorschriften der EU, von Forschung, Innovation und der Verbesserung der Infrastruktur und der Netze in der Region zu unterstützen. Alles in allem heißt dies, dass wir nach dem gemeinsamen Wohlstand streben, der eine Zielsetzung des Barcelona-Prozesses und unserer Nachbarschaftspolitik darstellt. Wir werden uns nach besten Kräften darum bemühen, diese Vorstellungen in die Tat umzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt unseren Beziehungen zu unseren Partnerstaaten im Mittelmeerraum steht unser erklärter Wunsch, Sicherheit, Wachstum und Stabilität in der Region zu fördern. Doch wir sind darüber hinaus auch der festen Überzeugung, dass wir an einem weitaus anspruchsvolleren Projekt teilhaben: Wir wollen eine Region formen und unsere gemeinsamen Ziele und Werte bekräftigen. Die Europäische Kommission hofft auf die Unterstützung des Europäischen Parlaments, um diesen großen Aufgaben mit Hilfe der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer gewachsen zu sein, und ich freue mich auf unsere weitere Zusammenarbeit.

(Beifall)

 
  
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  Kader Arif (PSE), Berichterstatter. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem, was ich soeben gehört habe, freue ich mich noch viel mehr, Ihnen diesen Bericht heute vorzustellen.

Er zeugt davon, dass unsere Institution der Mittelmeerpolitik der Union einen hohen Stellenwert einräumt und auch weiterhin einräumen muss. In dem Ihnen vorliegenden Bericht werden die Ergebnisse einer über zwölfjährigen Zusammenarbeit analysiert, die in den Zielsetzungen der Konferenz von Barcelona festgeschrieben wurde. Er enthält einige Vorschläge zur Schaffung einer für beide Seiten vorteilhaften Europa-Mittelmeer-Freihandelszone. Meine Arbeit, die mehrere Monate in Anspruch genommen hat, wurde durch die Zusammenarbeit mit zahlreichen Fachleuten, NRO, Regierungsvertretern aus den Mittelmeerstaaten und natürlich Kollegen aus dem Parlament ermöglicht. Ich möchte ihnen für ihre Unterstützung danken.

Aufgrund dieses fundierten gemeinsamen Wissens und der konstruktiven Arbeit der Schattenberichterstatter – denen ich zu großem Dank verpflichtet bin – war es mir meines Erachtens möglich, einen ausgewogenen Text zu erstellen, in dem alle Bedenken und Fragen zur Sprache kommen. Dieser Geist und diese allgemeine Ausgewogenheit, die durch die Abstimmung im Ausschuss gestärkt wurde, müssen auch bei der morgigen Abstimmung im Plenum vorherrschen.

Wir müssen vor allem eines feststellen: Auch wenn jede Region der Welt über ihre spezifischen Besonderheiten verfügt, sind die Beziehungen zwischen der Union und dem südlichen Mittelmeer von einer langen Geschichte der Konflikte, des Unverständnisses und der Instabilität, von einer bewegten und sogar tragischen Vergangenheit geprägt.

Aus diesem Grund war es mir ein Anliegen, diesen Bericht vor allem aus einer politischen Perspektive zu verfassen. Mit dem Gipfel von Barcelona im Jahr 1995 waren große Hoffnungen verbunden. Damals kam der politische Wille zum Ausdruck, eine globale Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Mittelmeeranrainern zu errichten, um aus dieser Region einen Raum des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands zu machen. Heute allerdings müssen wir feststellen, dass die Ergebnisse den Hoffnungen und Erwartungen nicht gerecht werden.

Seit 1995 haben wir es mit instabilen politischen Rahmenbedingungen zu tun: der Krieg im Libanon, fehlende Aussichten auf Frieden im Nahen Osten, problematische Beziehungen zwischen dem Westen und den arabisch-muslimischen Ländern seit dem 11. September 2001 und Spannungen zwischen unseren Partnern im Süden. Dazu kommt noch der Eindruck – den ich für falsch halte –, dass Europa seinen Beziehungen zu den südlichen Mittelmeerländern keine Priorität beimisst.

Zu dieser Liste der Besorgnisse ließe sich noch die Furcht vor einer Schwächung der Philosophie von Barcelona und der neuen Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union hinzufügen. Dann wären die Zeiten der Annäherung vorüber, und mit dem Wettbewerb zwischen den Staaten würden unsere Interessen immer weiter auseinander driften.

Außerdem haben wir es mit ungleichen Voraussetzungen in wirtschaftlicher, sozialer und demografischer Hinsicht zu tun. Dieses offensichtliche Missverhältnis zwischen den beiden Beteiligten der Freihandelszone, also der Union und den Mittelmeerländern, ist gleichermaßen ausgeprägt zwischen den südlichen Mittelmeerländern und sogar innerhalb einiger dieser Länder, zwischen Küsten und Städten sowie in ländlichen Gebieten.

Angesichts all dieser Schwierigkeiten bedarf es eines starken politischen Willens, aber auch einer realistischen Herangehensweise. Aus diesem Grund und mit Blick auf die zuweilen umfangreichen Verzögerungen bei der Umsetzung der wirtschaftlichen und politischen Reformen, die für die Einrichtung eines echten Europa-Mittelmeer-Marktes erforderlich sind, halte ich es für notwendig, den vorgesehenen Termin für das Inkrafttreten dieser Freihandelszone im Jahr 2010 zu verschieben.

Die Auswirkungen einer solchen Zone und die damit verbundenen Veränderungen erfordern einen umsichtigeren Ansatz von allen und insbesondere von ungleichen Partnern. Die Einrichtung dieser Freihandelszone muss immer von dem Grundgedanken geleitet werden, den Handel in den Dienst der Entwicklung und der Armutsminderung zu stellen, vor allem in einer Region, in der 30 % der Bevölkerung von zwei Dollar am Tag leben und in der immer mehr junge Menschen lediglich vor der Wahl zwischen Massenarbeitslosigkeit und illegaler Einwanderung stehen.

Wir müssen uns an erster Stelle darauf konzentrieren, einen echten sozioökonomischen Europa-Mittelmeer-Raum zu schaffen und alle sozialen und ökologischen Belange in die wirtschaftliche Dimension zu integrieren.

Ich setze mich daher für die schrittweise, kontrollierte, allmähliche und gemeinsame Einrichtung einer Freihandelszone ein, die außerdem den sozialen und wirtschaftlichen Realitäten der einzelnen Länder gerecht werden muss.

Die Öffnung der Märkte darf sich nicht zum Nachteil der Länder des Südens auswirken, weil damit die Gefahr besteht, dass einige der schon heute gefährdeten Schlüsselsektoren durch den Wettbewerb weiter geschwächt werden.

Wir alle wissen, dass die Landwirtschaft dieser Länder dem Wettbewerb nicht standhalten kann und kaum diversifiziert ist. Es gibt zahlreiche dringend modernisierungsbedürftige Kleinbetriebe, und wir müssen uns unbedingt ausführlich mit der Möglichkeit einer Form der integrierten Agrarpolitik befassen, in deren Mittelpunkt die Ernährungssicherung steht.

Außerdem wissen wir, dass sich in einigen Ländern eine auf Low-Tech-Produkte mit geringem Mehrwert konzentrierte Industrie entwickelt hat, die durch Investitionen in den Bereichen Ausbildung und Forschung, aber auch durch eine Modernisierung der Produktionsstrukturen unterstützt werden muss; wir wissen, dass wir diese Länder nicht zur sofortigen Öffnung ihrer Dienstleistungsmärkte zwingen dürfen und dass die öffentlichen Dienste nicht Gegenstand der Verhandlungen sein dürfen.

All dies dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, weil wir sonst die gewünschte Entwicklung in ihr Gegenteil kehren und dem Sozialwohl der betroffenen Bevölkerungen schaden. Es erscheint mir daher dringend geboten, unseren Partnern Kontrolle über das Tempo der Öffnung des Handels und ihre Entwicklungsstrategien zuzugestehen.

Es erweist sich demzufolge als unverzichtbar, die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaften der Mittelmeerländer zu stärken, um ihre wirtschaftliche Diversifizierung, ihre erfolgreiche Einbindung in den Welthandel und eine gerechte Verteilung der zu erwartenden Vorteile zu gewährleisten, ein asymmetrisches System beizubehalten, das sich auf Handelspräferenzen und auf den weiteren Einsatz von Instrumenten zur Angebotssteuerung stützt, Anreize für Investitionen zu schaffen, an denen es dieser Region mangelt, einen stabilen Investitionsraum sowie regionale Europa-Mittelmeer-Infrastruktur- und Verkehrsnetze zu errichten, sowie eine politische und wirtschaftliche Annäherung der Länder des südlichen Mittelmeers zu fördern, um zu einer tatsächlichen Stärkung der Zusammenarbeit und der Integration beizutragen.

Abschließend möchte ich die dringende Notwendigkeit hervorheben, dass alle Partner ihren politischen Willen bekräftigen und eine echte Zusammenarbeit erneut zu den Prioritäten der Union gehört. Dies sind unerlässliche Voraussetzungen, um den Prozess von Barcelona und zur Schaffung eines sozialen und wirtschaftlichen Europa-Mittelmeer-Raums wiederzubeleben und zum Abschluss zu bringen. Anderenfalls besteht das Risiko, dass die Freihandelszone zum Symbol für die Differenzen zwischen Europa und dem Mittelmeer wird. Für meine Generation muss unbedingt die Zeit der Versöhnung eingeleitet werden; dieser Aufgabe müssen wir uns stellen, werte Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir uns um Stabilität und die Entwicklung dieser Zone bemühen, dann sichern wir damit auch gleichzeitig die Entwicklung von Demokratie und Stabilität.

 
  
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  Antonio Tajani (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. (IT) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hat mit überwältigender Mehrheit eine Stellungnahme zum Bericht Arif angenommen, die sich vor allem auf die politischen Fragen konzentriert und mithin auch das umfassendere Thema der Lage im Mittelmeerraum behandelt.

Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hat sich namentlich mit sechs Punkten befasst. Erstens mit dem mit der Schaffung einer Freihandelszone untrennbar verknüpften politischen Einsatz zur Gewährleistung des Friedens, der Demokratisierung, der Achtung der Menschenrechte, der Gleichstellung der Geschlechter und der Förderung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs.

Zweitens mit der von der Europäischen Union dringend zu fördernden Errichtung einer Zone der Sicherheit und Stabilität in der gesamten Region, einschließlich der Anerkennung der vollen Souveränität des Libanons sowie des Einsatzes für die friedliche Koexistenz des israelischen und eines künftigen palästinensischen Staates. Drittens müssen unserer Ansicht nach angemessene Finanzhilfen für den Wiederaufbau dieser Gebiete gewährt werden, die bisweilen wirklich schlimme Zeiten heftiger Konflikte oder gar eines richtigen Krieges durchgemacht haben. Wir erwarten selbstverständlich, dass die Einrichtung einer Freihandelszone den ersten Schritt hin zur Beendigung der Kriege und des Terrorismus im Nahen Osten darstellen wird.

Bei dem vierten Punkt geht es um die Notwendigkeit, die politischen, demokratischen und sozioökonomischen Reformen in den Partnerländern der Europäischen Union zu unterstützen und zu fördern, um zusammen einen Raum des gemeinsamen Wohlstands zu schaffen, auch angesichts der neuen Präsenz Chinas in Afrika.

Fünftens weist der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten nachdrücklich auf die notwendige Schaffung einer von der EIB unabhängigen Europa-Mittelmeer-Bank hin, um den kontinuierlichen und wachsenden Darlehens- und Finanzierungsnachfragen seitens unserer Partnerländer entsprechen zu können.

Der sechste und letzte Punkt betrifft das recht heikle Einwanderungsthema. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten fordert den Abschluss von Abkommen mit den Partnerländern im Hinblick auf die Überwachung der Migrationsströme auch an der Quelle, wodurch verhindert werden soll, dass sich unter der Vielzahl der Arbeitskräfte, die eine Beschäftigung in Europa suchen und für unseren Kontinent wichtige Humanressourcen bilden können, Personen verbergen, die die Stabilität der Europäischen Union gefährden sowie dem Image der Länder, aus denen sie kommen, schaden könnten.

 
  
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  Jean-Claude Fruteau (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Eingangs möchte ich unserem Berichterstatter, Herrn Kader Arif, meinen Dank für seine treffenden Analysen aussprechen.

Für die Landwirtschaft ist es von entscheidender Bedeutung, dass bei einer Öffnung der Märkte, die heute tatsächliche Aussichten auf eine wirtschaftliche Entwicklung auf beiden Seiten des Mittelmeers bietet, die Erfahrungen der lokalen Bevölkerungen und Akteure berücksichtigt werden. Dieser Prozess muss unbedingt gemessenen Schrittes, produktgebunden und nach einem abgestuften Zeitplan erfolgen, um den Kleinbetrieben gerecht zu werden, die besonders anfällig und zahlreich sind und die besten Voraussetzungen bieten, um eine multifunktionale Landwirtschaft unter Beachtung natürlicher Ressourcen und der lokalen Entwicklung aufzubauen.

Diese Regulierung erfordert eine Stärkung der Handelspräferenzen auf der Grundlage asymmetrischer Beziehungen, die den besonders benachteiligten Ländern zugute kommen sollen. Darüber hinaus sind begleitende Maßnahmen erforderlich, die es diesen Ländern ermöglichen, ihre Produktionsstrukturen zu modernisieren, und die auf dem Wege der technischen und finanziellen Zusammenarbeit zwischen Fachleuten sowie mittels gemeinsamer Kennzeichnungsstrategien Synergieeffekte bewirken können.

 
  
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  Vito Bonsignore, im Namen der PPE-DE-Fraktion.(IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In wenigen Tagen tritt endlich die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer (PVEM) zusammen. Das Ziel ist ihre Neubelebung, um dem Dialog und der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum eine parlamentarische Dimension zu verleihen.

Der Standpunkt des Europäischen Parlaments findet seinen vollen Ausdruck in dem gemeinsamen Entschließungsantrag, aus dem ich drei Punkte herausstellen möchte: die Forderung nach der Schaffung einer Europa-Mittelmeer-Entwicklungsbank, die Forderung, den Umwelt- und Energieproblemen größere Aufmerksamkeit zu schenken, sowie vor allem die Frage des Status der Frauen.

Wir erwarten, dass die Organe der Europäischen Union zusammenarbeiten, und wir fordern die Kommission zur aktiven Unterstützung der Bemühungen des Europäischen Parlaments und seines Präsidenten, Herrn Pöttering, um eine Neubelebung der PVEM auf. Diese Unterstützung muss meines Erachtens daran deutlich zu erkennen sein, dass sie in Tunis auf höchster Ebene teilnehmen wird.

Der heutigen Debatte über die Freihandelszone kommt insofern besondere Bedeutung zu, als, wie wir wissen, im Falle ihrer Errichtung damit ein konkretes Betätigungsfeld für politische und parlamentarische Aktivitäten geschaffen werden kann. Dem Barcelona-Prozess haben wir seinerzeit zugestimmt, um den Tätigkeiten im Mittelmeerraum größere Effizienz zu verleihen. Wir sind uns dessen bewusst, dass es heute Verzögerungen beim Erreichen der erwarteten Ziele gibt.

Die Europäische Union vermochte ihre ehrgeizigen Zielsetzungen nicht zu erfüllen, und deshalb muss der Integrationsprozess Europa-Mittelmeer wieder eine Priorität der politischen Agenda der Europäischen Union werden. In dem Bewusstsein, dass sich die Welt geändert hat, müssen wir unsere Strategie anpassen, ohne in unseren Bemühungen nachzulassen: Wir müssen den Nord-Süd-Handel intensivieren und beim Ausbau des Süd-Süd-Handels behilflich sein. In dieser Richtung sollten konkrete und handfeste Schritte unternommen werden.

Im Einvernehmen mit den anderen Organen sollte sich die Europäische Kommission für ein bedeutendes, symbolkräftiges Projekt entscheiden und dieses ausführen. Präsident Barroso sowie die Kommissionsmitglieder Ferrero-Waldner und Mandelson verfügen über alle notwendigen Informationen, um einen Vorschlag zu unterbreiten. Wichtig ist, in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten – von Israel bis zu den Palästinensern und von Syrien bis zum Iran –, mit der aktiven Unterstützung der Europäischen Union in ihrer neuen Rolle sowie mit der intensiven Tätigkeit des Quartetts Frieden in der Region zu erreichen. Die Europäische Union sollte weniger zaghaft sein und mehr Mut besitzen: Wir müssen so schnell wie möglich zu einer Friedenskonferenz gelangen.

 
  
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  Pasqualina Napoletano, im Namen der PSE-Fraktion.(IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht Arif ist meines Erachtens von historischer Bedeutung für das Europäische Parlament. In ihm wird die handelspolitische Dimension der Beziehungen Europa-Mittelmeer neu und vollständig behandelt. Die Fraktionen haben sich jedoch für eine Aussprache zu diesem Bericht mit Verabschiedung einer Entschließung entschieden; die Aussprache erstreckt sich selbstverständlich auf den Bericht, gleichzeitig geht es aber auch darum, Bilanz dieser Politik zu ziehen.

Ich verhehle nicht, dass uns die Aussichten auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Mittelmeerländern mit gewisser Sorge erfüllen, weil die Nachbarschaftspolitik, die diesen Beziehungen eine bewusst kontinentale Dimension hätte verleihen sollen, zu einer Fragmentierung dieser Politik zu führen droht. Die von der Kommission geleistete Arbeit bei der Aushandlung der Aktionspläne für jedes einzelne Land findet unsere hohe Anerkennung und Wertschätzung, doch möchten wir darauf hinweisen, dass die Aktionspläne nur einen Teil dieser Politik bilden und dass die großen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armutsbekämpfung, Umwelt sowie die Wiederherstellung der Mittelmeerregion nicht nur als physischer, sondern auch ökologischer, kultureller, politischer und wirtschaftlicher Raum einen umfassenderen Ansatz, eine multilaterale Politik und ein substanzielleres politisches Engagement seitens der Europäischen Union erfordern.

Aus diesem Grund möchten wir den Rat und insbesondere den deutschen Vorsitz, der sich an diesem Thema sehr interessiert gezeigt hat, darum ersuchen, einen weiteren Schritt nach vorn zu tun, den die Parlamentarische Versammlung, die nächste Woche in Tunis tagen wird, hoffentlich unterstützen wird. Ich erinnere daran, dass die Parlamentarische Versammlung das einzige politische Forum für die Diskussion zwischen Nord und Süd bildet und auch das einzige politische Forum für den weiteren Dialog zwischen Israelis und Palästinensern.

 
  
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  Philippe Morillon, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin! Unsere Kollegen, Herr Bonsignore und Frau Napoletano, haben soeben daran erinnert, dass am Ende dieser Woche Vertreter der Küstenanrainer auf beiden Seiten des Mittelmeers erneut in dem besagten Forum – das mittlerweile treffenderweise eine parlamentarische Versammlung ist – zusammenkommen werden. Seit seiner Gründung werden in diesem Rahmen Anstrengungen unternommen, ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, dessen Bedeutung Sie, Herr Ratspräsident, zu Recht betont haben.

Dies wird unsere erste Plenarversammlung nach den dramatischen Ereignissen im Libanon sein, zu denen Europa meines Erachtens viel zu lange geschwiegen und letztendlich auf unkoordinierte Weise und auf Initiative einzelner Mitgliedstaaten reagiert hat. Doch wir wissen nur zu gut, dass von der Union, die als Garantin der uns bekannten humanistischen und kulturellen Werte gilt, aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht und demografischen Struktur erwartet wurde, dass sie zunächst eingreift und anschließend vermittelt. Womöglich war es damals noch nicht an der Zeit, dass die Union ihre Stimme erhebt; dafür vielleicht heute umso mehr.

Unser Hoher Vertreter, Herr Solana, war vorgestern in Beirut. Gestern wurde er von König Abdullah von Saudi-Arabien empfangen, und heute wird er mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zusammentreffen.

Ich würde mir wünschen, dass damit die aus den jüngsten diplomatischen Initiativen erwachsenden Hoffnungen gestärkt werden, die endlich auf eine Beruhigung der Lage hindeuten, also auf ein Abebben des Konflikts im Libanon nach dem Treffen zwischen dem Premierminister und dem Parlamentspräsidenten, auf eine Entspannung in den Palästinensergebieten nach der in Mekka erzielten Einigung zwischen Fatah und Hamas sowie auf erste Anzeichen für eine Beruhigung der Lage im gesamten Nahen Osten nach der ersten internationalen Konferenz, die am vergangenen Samstag in Bagdad stattgefunden hat.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns auch weiterhin um die Entwicklung der parlamentarischen Diplomatie in Tunis bemühen. Eine solche Diplomatie wird hoffentlich dazu beitragen, unsere Amtskollegen aus Israel und den Palästinensergebieten an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, denn seit unserer letzten Sitzung vor einem Jahr hatten sie so gut wie nie die hervorragende Gelegenheit, zusammenzukommen und einen Gedankenaustausch zu führen, um diese krankhafte Angst vor dem Anderen zu besiegen, aufgrund derer ihre beiden Völker bereits so großes Leid erfahren mussten.

 
  
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  Adriana Poli Bortone, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Verstärkung der Nachbarschaftspolitik mit dem Süden muss als strategische Priorität gelten. Der Barcelona-Prozess war und ist eine wichtige Etappe in unseren Beziehungen zu den Mittelmeerländern.

Die Pessimisten werden behaupten, die Ergebnisse seien hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die wirtschaftliche Süd-Süd-Zusammenarbeit stecke noch in den Anfängen und bei der gemeinsamen Steuerung der Migrationsströme seien noch längst keine nennenswerten Resultate erzielt worden. Selbstverständlich hätte man wesentlich mehr tun können, aber ohne die Barcelona-Konferenz und den anschließenden Barcelona-Prozess wäre sicherlich nicht erreicht worden, was wir erreicht haben.

Erreicht worden ist ein intensiver politischer Dialog zwischen den zwei Seiten über eine breite Skala von Themen. Ein Beleg dafür sind die häufigen Euromed-Ministertreffen und der Abschluss einer Reihe bilateraler Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Partnern, die als Grundlage für den Ausbau zu einer umfassenderen wirtschaftlichen Integration angesehen werden können. Die neue Nachbarschaftspolitik bietet die Instrumente für eine engere Zusammenarbeit in der Mittelmeerregion. Die Aktionspläne ermöglichen uns gezieltere und stärker auf den Bedarf jedes einzelnen Partners zugeschnittene Maßnahmen. Diese Pläne dürfen allerdings keine Alternative zum Barcelona-Prozess bilden, sondern müssen zusätzliche Instrumente darstellen, durch die eine wirksamere Umsetzung und Erreichung der Barcelona-Ziele ermöglicht werden sollen.

Es geht hier um gemeinsame Probleme, die sich mit der Zeit und in dem Maße ändern, wie sich neue Erfordernisse ergeben, die im Interesse aller Akteure in der Region ein gemeinsames Vorgehen erfordern. Beispielsweise die in Aussicht genommene schrittweise Integration der Energiemärkte Europa-Mittelmeer, um gemeinsame Energieprogramme durchzuführen und nachhaltige Energiequellen zu fördern, und zwar im Rahmen einer aktiven Zusammenarbeit, durch die außerdem die Energieversorgungssicherheit, die Diversifizierung dieser Energiequellen, die Förderung der Energieeffizienz, die Entwicklung neuer Technologien, Forschungsprogramme sowie gemeinsame Projekte in diesem Bereich gewährleistet werden sollen.

Eines der Ergebnisse all dessen war die Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses, das zu breiteren, offeneren Kontakten sowie dazu führen sollte, eventuell begangene Fehler korrigieren zu können, damit Stabilität, Frieden, Demokratie und Fortschritt für uns alle das gemeinsame Resultat sein mögen.

 
  
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  Hélène Flautre, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin! Im Mittelpunkt der Europa-Mittelmeer-Beziehungen sowie aller Entschließungen und Erklärungen in diesem Zusammenhang stehen der Friedensprozess im Nahen Osten, die Terrorismusbekämpfung, die Zusammenarbeit im Bereich der Asyl- und Einwanderungspolitik sowie die Förderung der Demokratie und der Menschenrechte. Doch zwischen den Erklärungen und den Ergebnissen zeichnet sich eine tiefe Kluft ab, und es liegt noch ein langer Weg vor uns!

Die Europäische Union steht im Nahen Osten vor großen Schwierigkeiten, das Völkerrecht wirklich objektiv durchzusetzen. Seit dem Bericht Fava zur Einwanderung hat sich die Europäische Union nur sehr widersprüchlich zur Achtung der Grundrechte im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung geäußert. Die Politik der Europäischen Union hat zum unmittelbaren Ergebnis, dass Migranten und Flüchtlinge in ihren Herkunfts- und Transitländern unter Verletzung ihrer Grundrechte inhaftiert werden. Zudem stehen den mittelmäßigen Bemühungen im Bereich der Demokratisierung und der Menschenrechte Tag für Tag die Namen der Menschenrechtsaktivisten – Journalisten, Oppositionspolitiker, Häftlinge aus Gewissensgründen oder Gewerkschaftler – gegenüber, die in den Gefängnissen vor sich hin vegetieren.

Die parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer, PVEM, wird ihre Plenartagung mit Tunesien in einem Land abhalten, in dem alle von der Europäischen Union finanzierten Vorhaben zur Förderung der Zivilgesellschaft auf Eis liegen. Kein Journalist kann dort seine Meinung frei äußern. Der Tunesischen Menschenrechtsliga, der Journalistengewerkschaft und weiteren Verbände wird nach wie vor das Versammlungsrecht verwehrt. Der Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Mohammed Abou, dessen Freilassung wir bereits im Juni 2006 gefordert haben, befindet sich mittlerweile in seinem dritten Haftjahr.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaften an diesem Prozess und die demokratische und parlamentarische Kontrolle der Europa-Mittelmeer-Politik der Schlüssel zur Wiederbelebung einer positiven Dynamik für Frieden, nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte ist.

Die parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer muss daher alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die Netzwerke und Akteure der Zivilgesellschaft zu unterstützen und in ihre Arbeit einzubinden, und sie muss ein wirklich autonomes, regierungsunabhängiges Gremium bilden, das die Europa-Mittelmeer-Politik überwacht und voranbringt und Vorschläge vorlegt.

 
  
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  Luisa Morgantini, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. (IT) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich beglückwünsche Herrn Arif zu seinem umfassenden und hervorragend aufgebauten Bericht. In meiner einminütigen Redezeit werde ich mich nur mit einer Frage befassen: Ohne die rasche und entschlossene Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts werden die Ziele und Ergebnisse des Barcelona-Prozesses nicht zu erreichen sein.

Wir haben jetzt das Jahr 2007. Die palästinensischen Gebiete sind seit 1967 besetzt, und dies bedeutet 40 Jahre ohne Freiheit und Gerechtigkeit sowie 40 Jahre, in denen gegen die UN-Resolutionen und Menschenrechte verstoßen wurde. Wie der deutsche Ratsvorsitzende sagte, ist der Dialog vonnöten, und jede den Dialog fördernde Initiative ist zu begrüßen. Notwendig sind Verhandlungen, die zu einer Lösung des Konflikts führen können, um Palästinensern und Israelis eine Koexistenz in gegenseitiger Sicherheit zu ermöglichen.

Die arabische Initiative und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit müssen unverzüglich als Chance genutzt werden, um Palästinenser und Israelis im Rahmen einer internationalen Konferenz wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Eine solche Konferenz müssen wir ermöglichen, soll der Barcelona-Prozess nicht nur in rhetorischen Erklärungen bestehen, sondern in tatsächlichen, konkreten Maßnahmen in einem Mittelmeerraum, in dem es um gegenseitige Beziehungen und um Handel geht. Deshalb halte ich eine Politik der echten Partnerschaft im Rahmen des freien Personen- und Güterverkehrs für erforderlich.

 
  
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  Derek Roland Clark, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Meine Partei spricht sich für den Freihandel und den Aufbau guter Beziehungen aus. Dies wünschen sich die Europäer ohne Zweifel für die Mittelmeerländer, und heute Vormittag hat der amtierende Ratspräsident, Frank-Walter Steinmeier, angemerkt, dass die EU mit ihren Maßnahmen auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen sollte. Die Bürger sollten jedoch auch hinterfragen dürfen, wie ihre Steuergelder ausgegeben werden, darunter auch die 5,35 Milliarden Euro, die im Zeitraum bis 2007 für Euromed veranschlagt wurden. Angesichts der weiteren Mittelvergabe könnten sie sich die Frage nach dem Sinn stellen, insbesondere dann, wenn Mittel für den Kampf gegen den Klimawandel aufgenommen werden. Hier werden Unsummen dafür ausgegeben, Hirngespinste zu verfolgen, denn die wissenschaftlichen Nachweise sind doch äußerst zweifelhaft und werden zudem durch ihre unwissenschaftliche, emotionale und theatralische Präsentation weiter diskreditiert.

Wenn ich nun als Ketzer gelte, dann erleide ich hoffentlich nicht dasselbe Schicksal wie Abdel Kareem, der in Ägypten zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil er sowohl seine Regierung als auch die gewalttätigen Fundamentalisten in seinem Land kritisiert hat.

Angesichts der Tatsache, dass wir heute bereits dazu aufgefordert wurden, EU-Maßnahmen gegen das entsetzliche Mugabe-Regime zu unterstützen, könnten die Verwalter der Euromed-Mittel vielleicht einmal darüber nachdenken, dass ein Teil der Gelder auch in Länder fließt, die einflussreichen Gruppen, die der Gewalt noch nicht abgeschworen haben, Unterschlupf gewähren.

 
  
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  Philip Claeys, im Namen der ITS-Fraktion. (NL) Frau Präsidentin! Ein wichtiges, bei den Debatten über die Partnerschaft Europa-Mittelmeer viel zu wenig behandeltes Thema betrifft die Einwanderungsproblematik. Da die Einwanderer in der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten zumeist aus den EUROMED-Ländern kommen, ist es nur logisch, dass im Rahmen von EUROMED auch einige spezifische Probleme zur Sprache gebracht und eingehender diskutiert werden müssen. Etwa das Problem der illegalen Einwanderung, der Asylbewerber, die abgewiesen wurden, aber nur mit großen Schwierigkeiten wieder Zugang zu ihren Herkunftsländern – in manchen Fällen EUROMED-Partner – erhalten. Erörtert werden muss ferner die Zusammenarbeit, die wir eigentlich von der anderen Seite des Mittelmeers erwarten dürfen sollten, um diese illegale Einwanderung zu erschweren und zu entmutigen.

Sodann muss das sowohl für unsere EUROMED-Partner als auch in Europa selbst bestehende Problem des zunehmenden muslimischen Fundamentalismus auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ein weiteres Diskussionsthema ist die mangelnde Integration zahlreicher Immigranten in Europa, und auch diesbezüglich sollte von den Herkunftsländern etwas unternommen werden. Zum Beispiel müsste über die Frage der Einwanderer diskutiert werden, die die Staatsangehörigkeit ihres Gastlandes annehmen, gleichzeitig aber ihre ursprüngliche Nationalität behalten wollen oder, besser gesagt, behalten müssen.

Kommissar Mandelson sprach vorhin über die Steuerung und Bewältigung der legalen Einwanderung. Nun, meines Erachtens ist es höchste Zeit, den Mut aufzubringen und zu sagen, dass wir keine weitere Einwanderung benötigen und die Rückwanderung von Personen mit Anpassungsschwierigkeiten kein Tabuthema mehr sein darf.

 
  
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  José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE).(ES) Frau Präsidentin! Ich glaube, wir alle sollten uns freuen, dass wir diese Debatte am Vorabend der Konferenz der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer in Tunis führen, und gleichzeitig die vorliegende Entschließung verabschieden, die von allen Fraktionen des Parlaments und vom Ausschuss für internationalen Handel angenommen wurde.

Ich begrüße die Auffassung der Kommission, dass wir vor einer gemeinsamen politischen Herausforderung stehen. Neben den kommerziellen, Energie-, Wasser-, kulturellen und Migrationsaspekten liegt meiner Ansicht nach dieser Debatte ein prinzipielles Problem zugrunde: das politische.

Die Europäische Union muss den kommenden Gipfel der Arabischen Liga, der Ende dieses Monats in Riad stattfindet, meiner Meinung nach sehr aufmerksam verfolgen. Auf ihm wird der Vorschlag zu einem neuen Plan für die Region unterbreitet werden. Die Europäische Union sollte durch ihre Institutionen sehr wachsam sein, Herr Kommissar, und alles tun, damit unsere Bemerkungen und unsere Standpunkte zu dieser Frage Gehör finden.

Große Aufmerksamkeit müssen wir meines Erachtens auch der gegenwärtigen aktiven Position saudischer Diplomaten, den Besuchen der Außenministerin der Vereinigten Staaten und anderer internationaler führender Persönlichkeiten, dem jüngsten Treffen in Mekka zwischen dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde und den Führern der Hamas zur Frage der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit sowie dem Besuch des irakischen Präsidenten schenken.

Deshalb, Frau Präsidentin, ist es völlig richtig, alle Faktoren, die die euromediterrane Politik der Europäischen Union ausmachen – unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten, die uns die Instrumente der neuen Nachbarschaftspolitik bieten, und insbesondere der uns zur Verfügung stehenden erheblichen Finanzmittel –, in Betracht zu ziehen, doch nach meiner Ansicht, Herr Kommissar, muss die Politik Priorität haben. Und in diesem Zusammenhang sollten die Beschlüsse des letzten Gipfels von Barcelona und speziell der Verhaltenskodex zur Bekämpfung des Terrorismus einen grundlegenden Faktor bilden, der in der Arbeit des kommenden Gipfels der Arabischen Liga Ende des Monats in Riad zum Tragen kommen sollte.

 
  
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  Carlos Carnero González (PSE).(ES) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir wollen eine Botschaft des Optimismus aussenden, denn immer, wenn wir über den Mittelmeerraum diskutieren, vermitteln wir den Eindruck, die Lage in dieser Region sei völlig düster, und das ist nicht so. Natürlich haben wir viele Probleme, aber auch viele Chancen. In Wahrheit ist der Mittelmeerraum ein „Test“, um zu sehen, ob wir imstande sind, das Beste aus diesen Möglichkeiten zu machen. Beispielsweise bei Konflikten wie im Nahen Osten, doch in diesem Fall müssen wir eine internationale Friedenskonferenz Madrid II ins Leben rufen und die sich bietenden Spielräume nutzen, wie die teilweise Akzeptanz der Initiative der Arabischen Liga und die Treffen dieser Organisation, die in Kürze stattfinden werden.

Wir haben das Problem der Armut, das den Ausgangspunkt für die Zuwanderung bildet. Ebenso stehen wir vor einem Entwicklungsproblem, wenngleich es, um es zu bewältigen, die Doha-Runde gibt, die wieder belebt werden muss, ferner die multilateralen Übereinkommen, die Partnerschaftsabkommen und die Millenniumsziele.

Wir sind mit den Problemen Energie, Umwelt und Klimawandel konfrontiert. Aber wir haben auch den Barcelona-Prozess, um mit diesen Themen fertig zu werden.

Wir müssen gegen den Terrorismus vorgehen, doch es existiert ein von Barcelona+10 angenommener Verhaltenskodex zur Bekämpfung des Terrorismus.

Wir haben Demokratie und Menschenrechte, aber wir verfügen auch über Assoziationsabkommen und Vereinbarungen als Teil der Nachbarschaftspläne, die für diese Zwecke herangezogen werden können.

Somit bestehen Probleme und Chancen. Der Mittelmeerraum ist kein Problem und kein Schwachpunkt der Europäischen Union. Er ist Teil der Lösung vieler unserer Probleme. Wir müssen den Europa-Mittelmeer-Prozess daher aus politischer, wirtschaftlicher, sozialer, umweltpolitischer, menschlicher und kultureller Sicht mit neuem Leben erfüllen und stärken. Wir müssen die Barcelona+10-Schlussfolgerungen umsetzen und sicherstellen, dass die europäische Nachbarschaftspolitik den Barcelona-Prozess nicht beiseite drängt.

Diese Region kann eine Lösung als Region finden. Es geht nicht darum, jedes Land zu ermuntern, eine individuelle Lösung zu suchen. Das ist unmöglich, schlecht für die Menschen und zudem schlecht für die Union als Partner.

Deshalb bin ich der Ansicht, dass die Partnerschaft zwischen Gleichen, die unweigerlich asymmetrisch ist, eine gute Arbeitsgrundlage bildet, und das ist die Basis des Barcelona-Prozesses, der einen politischen Dialog vorsieht und einen Rahmen für einen Wirtschaftsdialog bietet, wie in dem ausgezeichneten Bericht von Kader Arif und in der Entschließung, die wir annehmen werden, deutlich zum Ausdruck kommt.

Die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer, die in Tunis tagen wird, wird in dieser Hinsicht ein Grundelement darstellen, und dieses Parlament, das an ihrer Entstehung mitgewirkt hat, muss auch künftig in ihre Arbeiten voll eingebunden sein.

 
  
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  Gianluca Susta (ALDE).(IT) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst, Herrn Arif dafür zu danken, wie er die Ausarbeitung des uns zur Abstimmung vorliegenden Berichtsentwurfs geleitet hat.

Sechstausend Jahre nach dem Entstehen der ersten großen Zivilisationen im Mittelmeerraum steht dieser Teil der Welt noch im Mittelpunkt von Spannungen, Möglichkeiten und Problemen, die eines sorgfältigen Managements bedürfen. Mit der Erklärung von Barcelona vor 12 Jahren haben die Europäische Union und die 12 Mittelmeerländer, die Empfängerländer im Rahmen des MEDA-Programms sind, das Fundament für einen echten politischen Pakt gelegt, dessen Ziel – die Errichtung einer Freihandelszone – Teil der allgemeineren Zielsetzung der Schaffung eines Raums des Friedens und der Stabilität war. Die Erreichung dieses Ziels heißt auch Stabilisierung des Nahen Ostens und Lösung des Palästinaproblems gemäß dem Grundsatz „zwei Völker, zwei Staaten“. Dies ist unerlässlich, wenn die Beziehungen nicht nur zwischen diesen Ländern und der Europäischen Union, sondern auch unter ihnen selbst liberalisiert werden sollen.

In dem Bericht Arif wird dargelegt, wie im Hinblick auf die Errichtung einer Freihandelszone vorgegangen werden soll, in der Europas Streben nach Wettbewerbsfähigkeit mit den Erwartungen der Völker Nordafrikas und des Nahen Ostens in Einklang gebracht werden kann und in der sich die Anstrengungen der Europäischen Union nicht in der egoistischen Verteidigung der eigenen Interessen erschöpfen.

 
  
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  Tokia Saïfi (PPE-DE).(FR) Frau Präsidentin! Ich möchte zunächst meinem Kollegen, Herrn Arif, zu dem hervorragenden Bericht gratulieren, den er uns heute vorlegt. Wie meine Kolleginnen und Kollegen bereits angemerkt haben, tritt Ende der Woche die parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer in Tunis zusammen. Die PVEM hat mit ihrer Arbeit in den vergangenen drei Jahren den Weg für eine besonders konstruktive politische Zukunft geebnet. Dennoch steht der Nahostkonflikt im Mittelpunkt des Problems. Die PVEM wird zu diesem Thema im Juni in Kairo eine außerordentliche Sitzung abhalten.

Die in der PVEM vertretenen Abgeordneten zu beiden Seiten des Mittelmeers wollen zur Schaffung eines dauerhaften Friedens beitragen. Es steht jedoch außer Zweifel, dass Europa aktiver in diesen Konflikt eingreifen und dringend die Finanzhilfe für die Palästinenser wieder aufnehmen muss, wie die Weltbank in ihrem jüngsten Bericht empfiehlt.

Mit Blick auf die Einrichtung von Freihandelszonen müssen Europa und seine Partner ihre Anstrengungen verdoppeln. Die Europäische Union muss die Reformbemühungen im Süden durch einen wirksamen Einsatz des neuen Nachbarschaftsinstruments stützen; sie muss die Europa-Mittelmeer-Fazilität für Investitionen und Partnerschaft, die FEMIP, unterstützen und sich für ihre notwendige Umwandlung in eine echte Entwicklungsbank für das Mittelmeer einsetzen. Die Länder des Südens müssen ihrerseits die Partnerschaft annehmen und auf eine verstärkte regionale Integration hinarbeiten, um zum gegenseitigen Nutzen eine Region des Wohlstands aufzubauen.

Die Europäische Union und ihre Partner sind daher zum Handeln aufgerufen, wenn sie sich der Aufgabe einer engagierten und wirksamen Handelsliberalisierung stellen wollen. Vor diesem Hintergrund muss Europa auch zum Abbau eines der Hauptursachen für die Ungleichgewichte, nämlich der Arbeitslosigkeit in den südlichen Mittelmeerländern beitragen. Alljährlich finden vier Millionen Berufsanfänger in den Ländern des Südens keinen Arbeitsplatz. Gleichzeitig beträgt das Handelsdefizit gegenüber Europa mehrere zehn Milliarden Euro, eine Situation, die sich alljährlich verschärft und nicht der Logik des Freihandels entspricht, sondern Armut und Unruhe schafft.

Abschließend möchte ich betonen, dass wir gemeinsam den Dialog der Zivilisationen in einer Region stärken müssen, die über einen außergewöhnlichen historischen und menschlichen Reichtum verfügt. Kulturelle Fragen stehen hier zweifellos im Mittelpunkt, denn der Wunsch nach Krieg oder Frieden entwickelt sich in den Herzen der Menschen.

 
  
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  Jamila Madeira (PSE).(PT) Zunächst möchte ich Herrn Arif für den umfassenden Bericht danken, den er uns heute vorgelegt hat und der ein bedeutsamer Beitrag zu dieser Aussprache ist.

Die Zusammenarbeit Europa-Mittelmeer muss in ihrem mediterranen Ansatz zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele als ein Ganzes beitragen. Wie meine Vorredner bereits betont haben, ist Null-Armut kein utopisches Ideal, sondern ist in dieser Region in greifbare Nähe gerückt. In diesem Zusammenhang wird die Schaffung eines speziellen Plans zur administrativen, sozialen und wirtschaftlichen Umstrukturierung, die zu einer effizienten Bekämpfung der Armut – ob nun absolut oder relativ – im Mittelmeerraum führt, das Hauptziel des Vorschlags sein, den ich als stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses am kommenden Wochenende in Tunis vorlegen werde.

2010 könnte uns ein Gebiet des Wohlstands bringen, der von rund 750 Millionen Bürgern genau hier, vor unserer Tür geteilt wird. Doch die politische Stabilität dieses Gebiets ist nicht nur für die EU, sondern auch für die Welt von entscheidender Bedeutung. Wir alle kennen die Empfindlichkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf diese Fragen und die Verantwortung der Ratspräsidentschaft im Hinblick auf die Fähigkeit, diese Empfindlichkeiten zu berücksichtigen. Genau das hat Herr Mandelson uns gesagt, als er sein unbestrittenes Engagement als Vertreter der Kommission hervorhob.

Wir wissen aber auch, dass uns ohne ernsthaftes technisches und politisches Engagement seitens der Kommission keiner der betroffenen Akteure in dieser Hinsicht helfen würde. Zumindest würden sie die von uns ausgehandelten Aktionspläne zu leeren Worten machen und einen rein individuellen Ansatz einfordern.

Herr Mandelson! Die Entwicklung dieses Gebiets und seine politische Stabilität liegen in unseren Händen. Das bedeutet ganz klar, dass wir unsere Rolle übernehmen müssen bei der Bereitstellung neuer sozialer und finanzieller Instrumente, bei der Gewährung von mehr und absolut eindeutigen Hilfen für Mikrokredite und bei unserem unbeirrbaren Engagement, diese Partnerschaft – und die Schlüsselabkommen, die Bestandteil dieser Partnerschaft sind – zur Geltung zu bringen. Wir müssen hundertprozentig an unseren Werten festhalten.

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE).(ES) Frau Präsidentin! Mit dem Prozess von Barcelona wurde ein äußerst ehrgeiziges Projekt ins Leben gerufen, das, wie dieser Bericht ganz klar zeigt, noch einen langen Weg vor sich hat. Es ist in vieler Hinsicht nach wie vor unzulänglich. Ohne Zweifel ist die Errichtung einer Freihandelszone im Mittelmeerraum eine wichtige logische Konsequenz dessen ist, was mit diesem Barcelona-Prozess bezweckt wurde.

Wir müssen diese Entschließung begrüßen und ihren Berichterstatter beglückwünschen, da es ihm gelungen ist, über wohlklingende politische Erklärungen hinauszugehen und eine realistische, vernünftige und konstruktive Analyse der Lage und der vorhandenen Schwierigkeiten zu erstellen. Unsere Entschließungen enthalten häufig zu viele blumige Erklärungen, was hier jedoch nicht der Fall ist.

Von allen interessanten Fragen, die er anspricht, möchte ich nur eine hervorheben: die Notwendigkeit, den Süd-Süd-Handel zu stärken, und die Aufgabe der Kommission, direkt an den Bemühungen zur Förderung des Süd-Süd-Handels mitzuwirken. Wir haben das Abkommen von Agadir, das ausgebaut werden muss, und auf dieser Grundlage wurde es unterzeichnet, aber wir müssen die Intensivierung des Süd-Süd-Handels zu einer spezifischen Zielsetzung machen, sonst werden wir unmöglich in dieser Hinsicht vorankommen.

 
  
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  Edward McMillan-Scott (PPE-DE).(EN) Frau Präsidentin! Ich möchte dem Berichterstatter zur Vorlage dieses Berichts im Plenum gratulieren.

Der Handel mit dem Mittelmeerraum ist natürlich eine wichtige und historische Angelegenheit, und der Kommissar hat zu Recht auf die größere Dimension unserer Beziehungen zu den Ländern an der Südküste des Mittelmeers verwiesen. Allerdings bereitet es mir große Sorgen, dass wir mit Ägypten, dem wichtigsten Land der Region, das besagte Abkommen geschlossen haben, obwohl dort große Unterdrückung herrscht.

Ende Januar habe ich versucht, Dr. Ayman Nour im Gefängnis zu besuchen. Er ist einer von zwei Abgeordneten, die sich derzeit in Kairo im selben Gefängnis in Haft befinden. Dies ist wohl ein Beleg dafür, dass die EU nicht in der Lage ist, für die Grundsätze einzutreten, die wir hier in diesem Hohen Hause angeblich repräsentieren. Ich erwähne dies, weil bereits darauf hingewiesen wurde, dass am kommenden Wochenende in Tunis eine Sitzung der Parlamentarischen Versammlung der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft stattfinden soll und ich die Ehre habe, mich als Vizepräsident des Parlaments mit diesem Thema zu befassen.

Im Rahmen dieser Versammlung könnten wir uns unter anderem darüber Gedanken machen, wie wir eine Parlamentarische Versammlung entwickeln können, die diesen Namen auch wirklich verdient. Ich bin Vorsitzender einer Arbeitsgruppe, die sich mit der Finanzierung und Organisation der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer befasst, und auf der Sitzung in Tunis werden Reformvorschläge vorgelegt. Einer der Bereiche, in denen wir allerdings noch keine Fortschritte erzielen konnten, betrifft die Schaffung von Fraktionen in der Versammlung, um die politische Debatte von der sicher wichtigen und existenziellen Nahostfrage auf die vergleichsweise banalen, aber ebenfalls belangreichen Themen Handel, Umwelt, Wirtschaft, Verkehr zu verlagern – zahlreiche Alltagsprobleme, mit denen wir uns meines Erachtens bei unseren gemeinsamen Bemühungen, unseren Beziehungen im Mittelmeerraum mehr Gehalt zu verleihen, befassen sollten.

Auf diese Weise könnten wir den Einfluss der radikalislamischen Parteien schmälern, die in diesem Teil der Welt gegenwärtig so viel Aufmerksamkeit auf sich lenken.

 
  
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  Béatrice Patrie (PSE).(FR) Frau Präsidentin! Im Zusammenhang mit dem Barcelona-Prozess stellt die Einwanderung ein schwieriges Problem dar, weil es sich um ein komplexes Phänomen handelt, das von allen Seiten und nicht nur aus der Sicherheitsperspektive beleuchtet werden muss, die viel zu häufig in den Vordergrund gerückt wird.

Doch viel zu häufig hat Europa die Themen der Europa-Mittelmeer-Agenda vorgeschrieben und dabei einen Mischmasch aus Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, Drogenhandel und Einwanderung in den Mittelpunkt gestellt. So dürfen wir nicht länger verfahren: Migrationsströme und Bevölkerungsbewegungen stellen für die Aufnahmeländer eine wirtschaftliche Notwendigkeit und eine Quelle für Humanressourcen dar. Ich möchte in diesem Zusammenhang drei Vorschläge unterbreiten. Wir müssen legale Zuwanderungskanäle öffnen und die illegalen bekämpfen, die sich die Not der Menschen zunutze machen und eine neue Form der modernen Sklaverei erzeugen. Die politische Dimension der Partnerschaft muss gestärkt werden, denn Demokratie, die Achtung der Grundfreiheiten, der Status von Frauen sowie eine verantwortliche Staatsführung tragen ganz entscheidend zur Entwicklung bei und verhindern zudem, dass sich die Armut auf andere Regionen ausweitet.

Schließlich ist dringend geboten, eine operationelle Zusammenarbeit zwischen den für die Steuerung der Migrationsströme zuständigen Behörden zu beiden Seiten des Mittelmeers aufzubauen, und ich begrüße in dieser Hinsicht die europäische Frontex-Agentur, deren Haushalt aufgestockt werden muss.

 
  
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  Francisco José Millán Mon (PPE-DE).(ES) Frau Präsidentin! In den letzten Jahren richtete die Europäische Union ihr besonderes Augenmerk auf den Osten des Kontinents. Denken wir an den Balkan, die fünfte Erweiterung, die politischen Veränderungen in der Ukraine und in Georgien und die nicht immer einfachen Beziehungen zu Russland. Zum anderen waren wir oft geneigt, unsere Diskussionen über die Beziehungen zum Mittelmeerraum auf den Nahost-Konflikt zu beschränken. Es gilt jedoch, dem gesamten Mittelmeerbecken Priorität einzuräumen und dafür einzutreten, dass es zu einer Region des Friedens, des Wohlstands, der Freiheit und der Stabilität wird.

Wir sprechen von Nachbarländern mit zahlreichen und langjährigen Beziehungen zu den Staaten der Europäischen Union und von Ländern, die vor ernsten Problemen stehen. Beispielsweise ihre unzureichende demokratische und institutionelle Entwicklung und ihr niedriges Wirtschaftswachstum sowie ihr daraus resultierendes Unvermögen, der stetig anwachsenden jungen Bevölkerung Beschäftigung zu bieten. Sie sind Ursprungs- und Transitländer für die illegale Einwanderung.

So haben alle diese Probleme, mit denen unsere Nachbarn konfrontiert sind, jetzt Auswirkungen auf die Länder der Union. Wir sind voneinander abhängig. Deshalb müssen wir zum Nutzen aller zusammenarbeiten und unsere wirtschaftlichen und kommerziellen Beziehungen ausbauen, wozu auch die letztendliche Errichtung einer Freihandelszone gehört.

Unsere Nachbarn müssen auch in der Lage sein, wichtige Reformen durchzuführen, um ihre Probleme zu bewältigen. Die Aufrechterhaltung des Status quo wird keine Stabilität bringen. Es sind politische, soziale und wirtschaftliche Reformen erforderlich, auch um entscheidende ausländische Investitionen anzuziehen. Dazu ist es notwendig, den Süd-Süd-Handel wesentlich zu intensivieren.

Leider war der Gipfel von 2005, der 10 Jahre Barcelona-Prozess markierte, eine verpasste Gelegenheit, um die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zu veranschaulichen, besonders für die Öffentlichkeit in den Mittelmeerländern. Der Repräsentationsgrad der Länder des südlichen Mittelmeerraums war entmutigend. Doch wir müssen unsere Anstrengungen fortsetzen. Die 12 Milliarden Euro für die europäische Nachbarschaftspolitik sind eine bescheidende Summe im Vergleich zu anderen im Unionshaushalt eingestellten Beträgen und angesichts der riesigen Erfordernisse unserer südlichen Nachbarn. Für ihre Bürger wird es immer schwieriger, sich in den Kontrast zwischen dem Wohlstand ihres europäischen Nachbarn und den gravierenden Defiziten, unter denen sie leiden, zu fügen.

Kurz gesagt, die Europa-Mittelmeer-Beziehungen müssen für die Europäische Union zu einer Priorität werden. Davon werden beide Seiten profitieren.

 
  
  

VORSITZ: MIGUEL ANGEL MARTÍNEZ MARTÍNEZ
Vizepräsident

 
  
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  Panagiotis Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Herrn Kader Arif zu seiner exzellenten Analyse und zu den Vorschlägen gratulieren, die er in seinem Bericht unterbreitet.

Wir sollten die Ergebnisse von Barcelona sicher nicht in manichäistischer Weise betrachten. Doch wir müssen ehrlich und realistisch sein. Zwölf Jahre nach der Erklärung von Barcelona, wenn wir heute resümieren wollen, ist meines Erachtens nichts Positives erreicht worden und sind wir leider weit davon entfernt, die im November 1995 festgelegten Ziele umzusetzen.

Meiner Ansicht nach hat die Europäische Union derzeit keine glaubwürdige und integrierte Mittelmeer-Strategie, die es ihr ermöglicht, in der breiteren Nahost- und Maghreb-Region eine führende Rolle zu spielen. Dafür gibt es einen besonderen Grund: Kommissar Mandelson hat gesagt, dass die Nachbarschaftspolitik die Europa-Mittelmeer-Politik der Europäischen Union ergänzt. Mit Verlaub, hier bin ich anderer Meinung. Ich glaube, dass einer der Gründe, warum es bei der Europa-Mittelmeer-Kooperation keine Fortschritte, sondern nur negative Ergebnisse gibt, eben genau diese europäische Nachbarschaftspolitik ist. Waren wir früher strategische Partner mediterraner Drittländer, so sind wir jetzt ihre Nachbarn. Unsere strategische Partnerschaft wird somit zu einer Nachbarschaftsstrategie. Das Problem ist nicht nur semantischer Art, es besteht vielmehr darin, dass die Europäische Union in der gesamten Region im Grunde politisch nicht präsent ist.

Ich möchte noch etwas sagen: Durch die europäische Nachbarschaftspolitik haben wir die regionale politische, wirtschaftliche und soziale Dimension der Europa-Mittelmeer-Kooperation gänzlich vernachlässigt, und das ist etwas, was für die Präsenz Europas in der Region von entscheidender Bedeutung ist.

 
  
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  Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Wie Kommissar Mandelson richtig sagte, stellt die Mittelmeerregion eine gemeinsame Herausforderung für uns alle dar. Meines Erachtens hat der Kommissar den Nagel auf den Kopf getroffen mit der Feststellung, dass wir ohne Anerkennung der Tatsache, dass wir vor einer gemeinsamen Herausforderung stehen, nicht einmal damit beginnen können, uns dieser Herausforderung zu stellen, geschweige denn sie zu bewältigen.

Ich denke, unsere für den Bau Europas verfolgte Strategie muss auch für die Mittelmeerregion gelten. Daher müssen wir die Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Integration weiter stärken, dann werden die anderen Dinge fast automatisch folgen. Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren, müssen wir natürlich größere Anstrengungen unternehmen, um unser Ziel einer Freihandelszone bis 2010 zu erreichen. Wir können uns jedoch nicht einfach um die Realisierung einer Freihandelszone bemühen, ohne die negativen Auswirkungen zu berücksichtigen, die diese für verschiedene Sektoren haben könnte, einschließlich Beschäftigung, Lebensqualität, soziale Entwicklung und Umwelt. Um diese Folgen zu minimieren, müssen wir weitere Verpflichtungen eingehen, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch was eine bessere Zugänglichkeit für Mittelmeerländer betrifft, beispielsweise durch die Mittelmeerbank-Initiative. Ich stimme dieser Initiative voll und ganz zu, und ich hoffe, in naher Zukunft bessere Entwicklungen in diesem Bereich zu sehen. Durch diese Initiative sollten wir nicht nur finanzielle Unterstützung leisten, sondern auch ein wichtiges politisches Signal aussenden.

Es gibt zahlreiche weitere Fragen, die ich aus Zeitgründen nicht vertiefen kann, Einwanderung und Wasserressourcen in der Region sind zwei dieser Punkte. Es ist allgemein bekannt, dass das Leben ohne Wasser zum Stillstand kommt, dennoch gibt es bedauerlicherweise keine langfristigen Investitionen in diesem Sektor. Auch die Verbesserung der Beziehungen in der Mittelmeerregion erfordert von uns viel Geduld und Beharrlichkeit. Ich bin optimistisch, dass es uns allen Herausforderungen zum Trotz gelingen wird, eine Zone des Wohlstands zu errichten, genauso wie wir Europa Stein für Stein nach dem Krieg aufgebaut haben. Nun müssen wir weiterhin geduldig und beharrlich sein.

 
  
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  John Attard-Montalto (PSE).(MT) Es ist richtig, dass der Barcelona-Prozess zu ehrgeizig war. Es ist jedoch auch wahr, dass wir viele Jahre lang der Mittelmeerregion nicht die Bedeutung beigemessen haben, die sie verdiente. Nun sieht es so aus, als ob wir plötzlich die verlorene Zeit aufholen wollen, daher war dieses Projekt vermutlich zu ehrgeizig. Ich war sehr erfreut zu hören, wie Kommissar Mandelson so eloquent ein positives Bild der Situation der Mittelmeerregion zeichnete und die Aufmerksamkeit auf einige wichtige Aspekte lenkte, darunter Export und Handel.

Bei Durchsicht des Berichts erscheint jedoch ein ganz anderes Bild. Es gibt Probleme in jedem Sektor. Finanzen, Industrie und Entwicklung sind nur einige Beispiele. Dennoch gibt es sicherlich Fragen wie Energie und Einwanderung, in deren Zusammenhang wir versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden, um in konstruktiverer Weise zusammenleben zu können. Abschließend möchte ich sagen, dass es zweifellos unerlässlich ist, dass wir einander vertrauen. Wenn wir das Vertrauen auf beiden Seiten des Mittelmeers gegenseitig erwidern, werden wir sicherlich in der Lage sein, damit zu beginnen, auf den positiven Elementen, die es zwischen uns gibt, aufzubauen und auch weiterhin darauf zu bauen.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident! Ich bin in der glücklichen Lage, meine fünf Minuten nicht ausnutzen zu müssen. Ich habe das Gefühl, dass hier ein breiter Konsens herrscht, ein Konsens darüber, mit großem Respekt und Dankbarkeit den Bericht von Herrn Kader Arif entgegenzunehmen, auch ein starkes Verständnis dafür, dass der Barcelona-Prozess mit seinem Bestreben, einen Raum des Friedens und der Stabilität zu schaffen, ohne Alternative ist, dass er aber die friedenspolitischen Aufgaben der Region alleine nicht lösen kann und dies auch nicht seine Aufgabe ist. Ich weise darauf hin, wie intensiv die Ratspräsidentschaft sich darum bemüht hat, dass hier die Wiederaufnahme eines formalen Friedensprozesses stattfindet und dass Verhandlungen im Rahmen des Quartetts näher rücken.

Es gab auch einen breiten Konsens darüber, dass wir unbedingt an dem Ziel „Freihandelszone“ bis 2010 festhalten sollten. Aber gerade weil das nur ein Erfolg werden kann, wenn am Ende auch Wettbewerbsfähigkeit die Grundlage eines solchen Freihandelskonzepts ist, muss man sehen, wie wichtig auch die Europäische Nachbarschaftspolitik mit ihren konkreten Aktionsplänen sein kann, wie wertvoll die Übertragung der durch diese neue europäische Nachbarschaftspolitik gewonnenen Erfahrung auf den Barcelona-Prozess werden kann. Darauf wollte ich abschließend noch einmal hinweisen. Es gibt ja eine enge Zusammenarbeit zwischen der jetzigen Ratspräsidentschaft und der kommenden von Portugal. Wir wollen diese verschiedenen Regionen auf keinen Fall in einen Gegensatz bringen, sondern das an Erfahrung auf die südliche Region übertragen, was wir in Osteuropa gemacht haben und machen werden. Hierin liegt die große Chance für einen guten Fortschritt des Barcelona-Prozesses.

 
  
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  Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte allen Abgeordneten, die sich zu Wort gemeldet haben, für ihre Anmerkungen und Vorschläge zur Frage der Beziehungen Europa-Mittelmeer danken. Sie zeugen von Ihrem Interesse sowie von dem Stellenwert, den dieses Haus, wie auch die Kommission, der Partnerschaft und ihrer zukünftigen Entwicklung einräumen.

Im Rahmen der Aussprache wurden die Bedeutung der Freihandelszone Europa-Mittelmeer und insbesondere ihr Potenzial, bei einer schrittweisen Einrichtung den Nord-Süd-, aber auch den Süd-Süd-Handel zu fördern, bekräftigt und hervorgehoben.

Trotz der Schwierigkeiten und Rückschläge des Nahostfriedensprozesses sind für den Barcelona-Prozess weiterhin deutliche Fortschritte zu verzeichnen. Der andauernde Konflikt konnte unsere Überzeugung von der Notwendigkeit der Partnerschaft Europa-Mittelmeer und der Nachbarschaftspolitik nicht ins Wanken bringen. Seit der Tagung der Außenminister im Mai 2005 in Luxemburg ist es uns gelungen, gemeinsame Schlussfolgerungen auf allen Europa-Mittelmeertagungen auf Ministerebene zu erzielen. Dies zeugt von dem gemeinsamen politischen Willen, Fortschritte zu machen und den Barcelona-Prozess voranzubringen.

Mehrere Abgeordnete sind auf die Frage der Migration eingegangen. Ich möchte Sie auf die Europa-Mittelmeer-Ministertagung zur Migration verweisen, die im November 2007 stattfinden soll. Auf dieser Ministertagung soll der Entwurf eines Aktionsplans angenommen werden, der sich auf die drei Themenbereiche legale Migration, illegale Migration und Entwicklung bezieht.

Die Ereignisse in Nordafrika und dem Nahen Osten sind für die Zukunft Europas von entscheidender Bedeutung. Wo heute Unsicherheit herrscht, wollen wir morgen für Chancen sorgen, indem wir unsere Partnerschaft auf die gegenseitige Achtung gründen, unser Engagement in einer Region bekräftigen, die uns sowohl nahe als auch von strategischer Bedeutung für Europa ist, und nicht zuletzt gewährleisten, dass den politischen Strategien auch immer Taten folgen.

 
  
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  Der Präsident. Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sieben Entschließungsanträge(1) eingereicht.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.

Schriftliche Erklärungen (Art. 142 der Geschäftsordnung)

 
  
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  Alessandro Battilocchio (NI), schriftlich. (IT) Die Idee der Errichtung einer Freihandelszone (FHZ) bedeutet für die Länder in der Mittelmeerregion eine echte Entwicklungschance. Die Stärkung der Rolle des Mittelmeerraums stellt tatsächlich eines der wichtigsten gemeinschaftsweit zu verfolgenden Ziele dar, da sich diese Region im Zentrum eines bedeutenden Schmelztiegels verschiedener Kulturen befindet und im Mittelpunkt mächtiger internationaler Wirtschaftsinteressen steht.

In diesem Sinne hat das Gipfeltreffen von Barcelona 1995 einen ehrgeizigen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den zwei Seiten des Mittelmeers festgelegt, dessen Grundlage die Verwirklichung der folgenden drei Hauptziele bildet:

- politischer Dialog und Sicherheit;

- wirtschaftliche Partnerschaft;

- Zusammenarbeit im sozialen, kulturellen und zwischenmenschlichen Bereich.

Im Hinblick auf die Effizienz ihres Vorgehens sollte die EU durch Förderung der Wirtschaftstätigkeiten auf lokaler Ebene verstärkte technische und finanzielle Hilfe leisten, einen Rahmen für die langfristige wirtschaftliche und soziale Entwicklung schaffen, die Freihandelszone so regulieren, dass keine Ungleichgewichte zwischen den verschiedenen Arbeitsmärkten entstehen, und einen für die Unternehmen geltenden Verhaltenskodex einführen.

Förderung der Entwicklung im Mittelmeerraum bedeutet die Ermutigung des Dialogs zwischen verschiedenen Kulturen, die Prägung eines Geists des Friedens und des gegenseitigen Verständnisses sowie die gleichzeitige Achtung der Menschenrechte.

 
  
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  Bogdan Golik (PSE), schriftlich. (PL) Ich unterstütze die Idee der Partnerschaft Europa-Mittelmeer und der Errichtung einer Freihandelszone Europa-Mittelmeer bis zum Jahr 2010, wie in der Erklärung von Barcelona vereinbart worden war. Als Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung möchte ich auf einige Aspekte der Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit den EUROMED-Ländern aufmerksam machen. Meiner Ansicht nach sollte die Öffnung der Märkte zwischen der Europäischen Union sowie dem südlichen und östlichen Mittelmeerraum schrittweise und geregelt erfolgen, und die Verhandlungen über den Marktzugang müssen von Fall zu Fall, Produkt für Produkt geführt werden. Außerdem gilt es, die spezifischen Merkmale des Agrarsektors der Euromed-Länder zu berücksichtigen. Wichtig ist, dass empfindliche Waren wie Obst und Gemüse, Zucker, Äthylalkohol und Tomatenmark von der geplanten Liberalisierung ausgenommen werden. Die Europäische Union muss sich auch die Möglichkeit vorbehalten, besondere Schutzklauseln anzuwenden, um mögliche Gefahren durch übermäßige und zu billige Importe abzuwenden. Außerdem müssen die EUROMED-Länder ermutigt werden, die Qualität ihrer Exportprodukte zu verbessern und die von der EU geforderten Qualitäts- und Pflanzenschutznormen einzuhalten.

 
  
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  Dominique Vlasto (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Da sich die Einrichtung der Europa-Mittelmeer-Freihandelszone verzögert hat, wird das Vorhaben voraussichtlich nicht mehr bis 2010 zum Abschluss gebracht werden können. Nichtsdestotrotz ist dieser Teil der Welt, in dem die Union weitaus mehr Präsenz zeigen muss, dringend auf Initiativen angewiesen.

Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik muss unsere oberste Priorität darin bestehen, einen zielgerichteteren und auf die einzelnen Länder abgestimmten Ansatz zu verfolgen. Dieser Ansatz muss nicht aufgrund des kollektiven Interesses allgemein gehalten werden. Wir müssen eine Art maßgeschneiderte Zusammenarbeit entwickeln, damit jedes Land wirtschaftlich in der Lage ist, sich an der Freihandelszone zu beteiligen. Diese Zusammenarbeit muss den lokalen Behörden auf beiden Seiten des Mittelmeers offen stehen, um solide Beziehungen auf allen politischen Ebenen aufzubauen.

Außerdem müssen wir den bisher noch unzureichenden Süd-Süd-Handel weiter ausbauen. Die Union verfügt aufgrund ihrer Erweiterungen über ein einzigartiges Fachwissen, das sie an ihre Partnerländer weitergeben kann, damit sich diese in den Schlüsselbereichen ihrer wirtschaftlichen Transformation wie Aus- und Weiterbildung, Forschung, Vorbereitung der Wirtschaftsakteure und der Behörden und Annäherung der Rechtsvorschriften rüsten können.

Die Europa-Mittelmeer-Freihandelszone werden wir vor allem dann einrichten können, wenn wir die Schaffung eines wirklichen gemeinsamen Marktes im Mittelmeerraum voranbringen.

 
  

(1)Siehe Protokoll.


10. Bosnien und Herzegowina (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Doris Pack im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu Bosnien und Herzegowina (2006/2290(INI)) (A6-0030/2007).

 
  
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  Doris Pack (PPE-DE), Berichterstatterin. – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar Rehn! Wir erinnern uns an die Verfassungsreform, die im vergangenen Jahr gescheitert ist, wir erinnern uns an die schrillen, oft nationalistischen Wahlkampfslogans, den Ausgang der Wahlen, den geplanten Rückzug des Hohen Repräsentanten. All das führte uns im Dezember letzten Jahres dazu, einen Bericht über Bosnien und Herzegowina auszuarbeiten.

Aber seit Anfang dieses Jahres hat sich einiges schneller geändert, als wir zu hoffen wagten: Es gibt eine funktionierende Gesamtstaatsregierung und ein arbeitendes Parlament; die EU hat die Reduzierung der EUFOR-Truppen beschlossen und die Frage des Verbleibs des Hohen Repräsentanten und der „Bonn-Power“ wird wieder diskutiert; für die Umsetzung der Polizeireform – noch bis vor kurzem von der Republika Srpska bekämpft – wird hoffentlich bald ein Weg gefunden. Wir lassen daher alle Anschuldigungen beiseite und vertrauen mit den Vernünftigen des Landes auf Besserung und Erfolge in der Politik.

Die schrillen Töne des Wahlkampfs mit der Androhung eines Referendums sind verklungen, sie waren offensichtlich anders gemeint, als wir sie verstehen mussten.

Unser Bericht versucht, Probleme beim Namen zu nennen. Zu diesen Problemen zählt eine längst fällige Verfassungsrevision, die zur Stärkung der Zuständigkeiten des Gesamtstaates unumgänglich ist. Es kann nicht angehen, dass dort eine Nullsummenmentalität herrscht im Sinne von „Mir schadet, was anderen nützt“. So kann es nie zu einer gemeinsamen Politik kommen.

Die Verfassung von Dayton ist ein Monstrum – da sie nicht praktikabel ist. Daran sind aber nicht die Politiker dort schuld, sondern andere, die die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in zwei Entitäten nach dem Krieg vollzogen haben, als offenbar einzigen Ausweg zum Frieden. Aber heute ist diese Aufteilung nur gerechtfertigt, wenn beide Teile wirklich in der Lage sind, den Gesamtstaat mitzutragen und nicht seine Funktionalität behindern. Ich stelle daher ausdrücklich fest, dass eine Verfassungsreform unabdingbar ist, um Bosnien und Herzegowina in die EU zu führen.

Klar ist auch: Nicht wir oder irgendwelche so genannten Internationalen sollen diese Verfassungsreform anpacken, sondern die gewählten Politiker aller drei Nationalitäten müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Hilfestellung kann gegeben werden von der Venedig-Kommission oder von amerikanischen und europäischen Experten, aber das Parlament muss – auch nach der Vorstellung des neu gewählten bosnisch-herzegowinischen Premierministers – die Plattform dafür darstellen. In der Agenda des Verfassungsreformprozesses müssen klare Schritte und Ziele formuliert sein. Es gibt auch eine offene Diskrepanz zwischen der Funktionsfähigkeit der einen Entität, nämlich der Republika Srpska, und der anderen Entität, der Föderation. Dieses muss im Interesse des Gesamtstaates behoben werden.

Das Europäische Parlament nimmt großen Anteil an der Entwicklung von Bosnien und Herzegowina, wir wünschen, dass Bosnien und Herzegowina ein wirklich funktionierender Gesamtstaat wird, der für seine Bürger sorgen kann und der die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schafft, auf die vor allem die Jugend in Bosnien und Herzegowina angewiesen ist. Nur darauf kann sie ihre Zukunft bauen. Dies ist außerdem auch eine Vorraussetzung für die noch rückkehrwilligen Vertriebenen.

Ich appelliere ausdrücklich an die Republika Srpska, zusammen mit der kroatischen Regierung nach gangbaren Wegen zu suchen, um die Rückkehr in die noch immer vom Krieg zerstörte, unbesiedelte Posavina im Norden Bosniens zu ermöglichen.

Die augenblicklichen Spannungen in Srebrenica wurden im Bericht nicht angesprochen. Ich möchte sie hier ansprechen. Sie sollten aber bitte nicht in Abspaltungsbestrebungen enden. Ich appelliere an alle, Wege der Versöhnung zu suchen, um gerade für die Heranwachsenden ein friedliches Miteinander ohne Hass zu schaffen. Separierung und Absonderung helfen niemandem! Eine Vorraussetzung für eine gelungene Versöhnung ist aber auch die immer noch ausstehende Auslieferung des Kriegsverbrechers Karadzic an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Es ist höchste Zeit, dieses Kapitel zu schließen, und ich erhoffte mir eigentlich schon von der ESFOR, dann von der EUFOR, dass sie – mehr als sie es getan hat –, hier eine wirklich wichtige Rolle spielt!

Meine Damen und Herren, Bosnien-Herzegowina liegt mitten in der EU. Sein Schicksal ist eng mit uns und seinen Nachbarn verbunden. Darum muss unsere Politik für dieses Land und seine Nachbarn im Mittelpunkt unseres Engagements stehen. Die Mitgliedschaft in der EU ist der Anreiz, bald viele schwierige Entscheidungen vor Ort zu treffen.

Ich möchte am Ende meiner Ausführungen alle Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina darauf hinweisen, dass unsere Bildungsprogramme ab jetzt für die Teilnahme der jungen Bosnierinnen und Bosnier geöffnet sind und die Regierung deswegen alles tun muss, die dafür notwendigen administrativen Schritte zu unternehmen. Es bedarf nämlich einer nationalen Agentur, die die Programme verwaltet. Je schneller diese geschaffen wird, desto schneller können junge Menschen an ERASMUS, LEONARDO oder an COMENIUS teilnehmen.

Wir wünschen uns alle sehr, dass Bosnien und Herzegowina in den nächsten Monaten das Heft des Handelns in die Hand nimmt, d. h. die notwendigen Reformen anpackt. Ich danke meinen Kollegen, dass sie mich unterstützt haben.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen die Initiative des Europäischen Parlaments zum Vorschlag für eine Empfehlung zu Bosnien und Herzegowina an den Rat. Wir haben den ausführlichen Bericht und die Empfehlung mit großem Interesse gelesen und sehen weitgehende Übereinstimmung in der Analyse der Lage in Bosnien und Herzegowina und darüber, welche Schritte Sarajewo und die internationale Gemeinschaft als nächstes in Angriff nehmen sollten.

Der Rat für allgemeine Angelegenheiten hat auf seiner letzten Tagung am 5. März die Bildung der neuen Regierung in Bosnien und Herzegowina begrüßt. Sie wurde nach schwierigen Verhandlungen am 9. Februar als breite Koalition großer Parteien der drei Volksgruppen unter dem neuen Premierminister Nikola Spiric, einem bosnischen Serben, gebildet. Außerdem hat der Rat Premierminister Spiric aufgefordert, für eine rasche und wirksame Umsetzung des gesamten Komplexes der noch ausstehenden Reformen zu sorgen. Dies sei nicht zuletzt eine Voraussetzung für den Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens.

Die Verhandlungen über das SAA konnten Ende 2006 auf Fachebene erfolgreich abgeschlossen werden. Die vier noch ausstehenden Vorbedingungen für den Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens sind drei Reformen, nämlich des Polizeiwesens, des öffentlichen Rundfunks und der öffentlichen Verwaltung. Die vierte Vorbedingung ist die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das Ehemalige Jugoslawien. Mit den entsprechenden Fortschritten hätte die neue Regierung von Premierminister Spiric die Möglichkeit, das Tor zur EU weiter zu öffnen.

Insbesondere die Polizeireform steht jetzt im Zentrum der Aufmerksamkeit der Europäischen Union. Das Polizeireformabkommen vom Oktober 2005 bestätigte die Grundprinzipien der angestrebten Änderungen, nämlich Gesamtstaatsverantwortung für Polizeifragen, Ausschluss politischer Einflussnahme sowie die Notwendigkeit funktionaler Polizeibezirke. Das Polizeireformdirektorat legte am 27. Dezember letzten Jahres seinen Abschlussbericht vor, der nun auf politischer Ebene durch die Regierungen und Parlamente des Gesamtstaates und der Entitäten gebilligt werden muss.

Hauptstreitpunkte sind die Forderung der Republika Srpska nach Erhalt ihres Polizei- bzw. Innenministeriums und von Polizeibezirken, die die Entitätsgrenzen überschreiten. Der Rat hat die neue Regierung aufgefordert, die derzeitige Dynamik zu nutzen, um die Polizeireform voranzubringen. Sie ist und bleibt eine Vorbedingung für die Unterzeichnung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens.

Die EU begrüßt die Gespräche über den Bericht des Polizeidirektorats. Sie ist jedoch weiterhin besorgt, weil der angepeilte Termin 2. März, zu dem eine Einigung über die Polizeireform erzielt werden sollte, nicht eingehalten wurde. Die Europäische Union erwartet, dass alle Beteiligten ihre Zusagen, die sie in der politischen Vereinbarung vom Oktober 2005 gegeben haben, einhalten.

Wir rufen die Parteien nachdrücklich dazu auf, eine Einigung herbeizuführen, die die drei von der Europäischen Kommission genannten Grundsätze beachtet. Erstens: die Ansiedlung der Kompetenzen im Polizeirecht und die Finanzierung der Polizei auf der Ebene des Gesamtstaats. Zweitens: funktionierende Polizeibezirke auf der Grundlage technischer Kriterien für die Polizeiarbeit. Drittens: keine politische Einmischung in die operative Polizeiarbeit.

Auch bei der Verfassungsreform – die Kollegin Doris Pack hat eben deutlich darauf hingewiesen – sind Fortschritte wichtig, um die Funktionsfähigkeit des Staates zu stärken und die geltende Verfassung in Übereinstimmung mit EU-Standards zu bringen. Nach der Regierungsbildung ist der Weg für Fortschritte wieder frei.

Die rasche Annahme des von sechs politischen Parteien im März 2006 vereinbarten Pakets von Verfassungsänderungen würde einen positiven ersten Schritt darstellen. Er würde die Grundlage dafür bilden, bis Mitte 2007 einen weiter reichenden Prozess einzuleiten, der Bosnien und Herzegowina dazu verhelfen würde, ein in seinen Funktionen noch effektiverer Staat zu werden.

Der Rat hat aus diesem Grund beschlossen, das Mandat des EU-Sonderbeauftragten in Bosnien und Herzegowina auszuweiten. Ab dem 1. März wird der Sonderbeauftragte Dr. Schwarz-Schilling auf der Grundlage eines erweiterten Mandats im Prozess der Verfassungsreform beratend und vermittelnd tätig sein.

Im Juni letzten Jahres hatte der Dayton-Friedensimplementierungsrat (PIC) grundsätzlich beschlossen, das Büro des Hohen Repräsentanten zum 30. Juni 2007 zu schließen und die Funktion des Hohen Repräsentanten zu beenden. Diese Entscheidung musste jedoch bei der Überprüfung durch den PIC, den so genannten Review-Prozess, Ende Februar revidiert werden, da die Entwicklung seit dem Sommer 2006 bedauerlicherweise nicht den Erwartungen entsprochen hat.

Das Wiederaufflammen nationalistischer Rhetorik und der zu verzeichnende Reformstillstand erleichtern den Beginn eines nachhaltigen Prozesses nicht. Hinzu kommen auch regionale Unwägbarkeiten nach den Verzögerungen im Prozess über den Status des Kosovos. Gerade Letztere haben den Friedensimplementierungsrat dazu bewogen, das Übergangsdatum zu verschieben. Der Friedensimplementierungsrat bewertet die Situation in Bosnien und Herzegowina also genauso wie der Empfehlungsvorschlag des Europäischen Parlaments, wie ich der Ziffer 32 Ihres Vorschlags für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat entnehme. Im Oktober 2007 und Februar 2008 sollen dann neue Überprüfungen stattfinden mit dem Ziel, den Übergang vom Büro des Hohen Repräsentanten zum EU-Sonderbeauftragten zum 30. Juni 2008 zu realisieren.

Russland sah sich bislang allerdings nicht in der Lage, dieser Haltung zu folgen, soweit die Entscheidung über den November 2007 hinausgeht. Es kündigte an, eigene Schlussfolgerungen ziehen zu wollen.

Zum Abschluss gestatten Sie mir, noch auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Sachen Srebrenica hinzuweisen. Es hat hier natürlich unterschiedliche Reaktionen darauf gegeben, dass die Ansprüche von Bosnien und Herzegowina gegen Serbien nicht zum Zuge kommen. Das hat bei den Serben unter Ignorierung der Ermahnungen des Gerichtshofs teilweise zu Erleichterung geführt, bei den Bosniaken dagegen eher zu Enttäuschung und Frustration.

Unser Wunsch und unsere Hoffnung ist, dass trotz dieser unterschiedlichen Reaktionen das Urteil des IGH letzten Endes doch dazu führt, dass dieses schmerzliche Kapitel in einer fairen Weise abgeschlossen werden kann, weil auch das eine ganz wichtige Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der Zukunft von Bosnien und Herzegowina ist.

 
  
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  Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Eingangs möchte ich Frau Pack zu ihrem hervorragenden Bericht gratulieren, der einen wichtigen Beitrag zu unseren gemeinsamen Bemühungen zugunsten von Bosnien und Herzegowina leistet.

2006 war kein Erfolgsjahr für Bosnien und Herzegowina. Die Reformagenda kam aufgrund einer ausgedehnten Wahlkampagne ins Stocken und das politische Klima hat sich verschärft, was nach den Worten von Frau Pack auf eine Nullsummenspiel-Mentalität zurückzuführen sei und zu nationalistischer Rhetorik und Spannungen führte. Um ganz ehrlich zu sein, haben wir nun genug davon!

Ich möchte Sie über den aktuellen Stand der Verhandlungen über das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen unterrichten. Bosnien und Herzegowina konnte – wenn auch nur langsam – Fortschritte verbuchen. Im Dezember konnten wir die technischen Gespräche zum Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen zum Abschluss bringen.

Wir werden jedoch die Verhandlungen über das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen erst dann abschließen können, wenn greifbare Fortschritte zu Schlüsselfragen wie insbesondere der Polizeireform und der Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal vorgewiesen werden können. Dies wird im Mittelpunkt meiner Botschaft stehen, wenn ich morgen und am Freitag Sarajewo besuchen werde.

Erstens benötigen Bosnien und Herzegowina und seine Bürger eine leistungsfähige und effektive Polizei. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die Behörden auf Ebene des Gesamtstaates und der beiden Entitäten mit den politischen Parteien endlich auf eine Reform einigen, die mit dem Vorschlag der Direktion für die Umstrukturierung der Polizei sowie mit den drei von Herrn Ehler genannten Grundsätzen der Gemeinschaft konform geht.

Zweitens muss Bosnien und Herzegowina auch unter Beweis stellen, dass es sich ernsthaft um eine Zusammenarbeit mit dem IStGHJ bemüht. Die jüngsten Maßnahmen der Republika Srpska, einige Netzwerke zur Unterstützung der gesuchten Personen zu zerschlagen, bieten in dieser Hinsicht Anlass zu Hoffnung. Die Behörden müssen sich nun konstruktiv zeigen und ihre Bemühungen fortsetzen, um greibare Ergebnisse, Festnahmen und Überstellungen zu erzielen.

Das jüngste Urteil des Internationalen Gerichtshofs im Falle Bosnien und Herzegowina gegen Serbien muss von allen Seiten akzeptiert und respektiert werden. Im Urteil wird auf die Selbstverantwortung für den Völkermord und damit auf die dringende Notwendigkeit verwiesen, uneingeschränkt mit dem IStGHJ zusammenzuarbeiten, wozu auch die Festnahme und Überstellung der noch gesuchten Personen gehört.

Es hat einige Versuche gegeben, das Urteil des IStGHJ politisch auszuschlachten. Dies ist bedauernswert, weil damit die Versöhnung behindert und die Aufmerksamkeit von wichtigeren strategischen und politischen Fragen wie beispielsweise der Umsetzung der Polizeireform gelenkt wird, die eigentlich im Zentrum des Interesses stehen sollte. Dies nützt weder dem Land noch seinen Bürgern.

Außerdem verlangen wir greifbare Fortschritte bei der Reform des öffentlichen Rundfunks und der öffentlichen Verwaltung, bevor wir das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterzeichnen können. Darauf hat auch der amtierende Ratspräsident soeben verwiesen.

Eine Verfassungsreform ist für die Zukunft von Bosnien und Herzegowina unerlässlich, um das Land für seine Bürger funktionsfähig, leistungsfähig und finanziell tragbar zu machen. Diesen Prozess muss Bosnien und Herzegowina selbst überwachen und dabei auf den Konsens und die Unterstützung der Entitäten und der Menschen zählen. Mit der Annahme des Pakets vom April letzten Jahres wäre ein wichtiger Schritt in Richtung ehrgeizigerer Zielsetzungen verbunden. Die Kommission ist bereit, die Bemühungen um eine Verfassungsreform sowohl inhaltlich als auch finanziell zu unterstützen.

Auch in Zukunft wird sich die Kommission für Kontakte zwischen den Menschen in Bosnien und Herzegowina und der EU einsetzen. Die Verhandlungen zu den Visa-Erleichterungen schreiten schnell voran, und wir sollten sie in Kürze zum Abschluss bringen können. Unser Ziel besteht darin, mit allen Ländern des Westlichen Balkans vor Jahresende Visumerleichterungen und Rückübernahmeübereinkommen zu schließen.

Weitere Maßnahmen umfassen Stipendien im Rahmen des Programms Erasmus Mundus sowie eine verstärkte Unterstützung von Forschung, Bildung, Kultur und zivilgesellschaftlichem Dialog.

Die internationale Präsenz ist und sollte nicht von Dauer sein. Die Kommission kann dem Beschluss des Ausschusses zur Umsetzung des Friedens zustimmen, die Schließung des Amtes des Hohen Repräsentanten um weitere 12 Monate zu verschieben, wenn es sich dabei um eine Übergangslösung handelt.

In Bosnien und Herzegowina stehen entscheidende Monate bevor, auch was die Gespräche über den Status des Kosovo anbelangt. Die politischen Entscheidungsträger des Landes müssen sich über engstirnige Parteiinteressen hinwegsetzen und zum Wohle ihres Landes und ihrer Bürger wirkliche Staatskunst unter Beweis stellen.

Das Jahr 2007 wird und sollte von Bosnien und Herzegowina als Jahr der Chancen betrachtet werden. So lange alle ihren Aufgaben gerecht werden, können wir Bosnien und Herzegowina erfolgreich in seine europäische Zukunft führen. Ich bin froh, dass ich bei der Verwirklichung dieser wichtigen Zielsetzungen auf die grundlegende Unterstützung des Europäischen Parlaments zählen kann.

 
  
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  Alojz Peterle, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (SL) Dieser Bericht, zu dem ich meine Kollegin Doris Pack herzlich beglückwünschen möchte, reicht Bosnien und Herzegowina die Hand der Partnerschaft und zeigt unseren klaren Wunsch und unsere Erwartung, im Gefolge der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Fortschritte in diesem Land zu sehen, das derzeitig in zahlreichen Gebieten ungenügende Leistungen zeigt.

Ich halte es für sehr wichtig, dass Bosnien und Herzegowina sein politisches Potenzial nach den Wahlen freisetzt und seinen Teil der Verantwortung für den Fortschritt übernimmt, den es auf seinem Weg zum Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen machen muss.

Verantwortung zu übernehmen bedeutet jedoch, die Tür für Reformen zu öffnen. Dies wird nur möglich sein, wenn sich das Land weiter für das einsetzt, was es vereint, und weniger für das, was es trennt. Ohne Verfassungsreform kann es keinen Fortschritt auf diesem Weg geben.

Ich unterstütze den Bericht auch deshalb, weil er auf ganzheitliche Weise an die bestehenden Probleme herangeht und weil er realistisch, konstruktiv und sehr versöhnlich ist. Die Vorschläge für das Bildungssystem erscheinen mir außerordentlich nützlich. Sie sollen selbstverständlich der neuen Generation helfen, politische Verantwortung zu übernehmen.

Ich begrüße insbesondere, dass die Dringlichkeit der Annahme und Umsetzung eine Polizeireform herausgestellt wurde. Dies kann auch als Modell dienen, um Differenzen zwischen Einheiten in anderen Bereichen zu überbrücken.

Abschließend möchte ich wiederholen, was im zusammenfassenden Teil des Berichts hervorgehoben wurde: Fortschritt ist ohne Einigkeit in der internationalen Gemeinschaft und unter ihren Vertretern unmöglich. Ich halte es für sehr wichtig, dass das Mandat des Hohen Vertreters verlängert wurde, da er selbstverständlich einstimmige Unterstützung für seine Überwachung von Bosnien und Herzegowina haben muss.

 
  
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  Libor Rouček, im Namen der PSE-Fraktion. – (CS) Als Schattenberichterstatter möchte ich Frau Pack zu ihrem hervorragenden Bericht gratulieren. Dies ist ein objektiver und ausgewogener Text, der darauf abzielt, die politischen und sozialen Reformen in Bosnien und Herzegowina weiter voranzutreiben und das Land näher an die EU heranzuführen.

In dem Bericht werden die Fortschritte in den verschiedenen Bereichen genannt, aber es wird auch vor den zahlreichen Problemen gewarnt, die vor dem Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens gelöst werden müssen. Eines dieser Probleme ist – wie einige Redner bereits erwähnt haben – die Verfassungsreform. Insofern vertrete ich die feste Überzeugung, dass die EU – vor allem über ihren Sonderbeauftragten – Bosnien und Herzegowina unterstützen sollte, indem der politische Dialog zwischen den einzelnen Teilnehmern gestärkt, technische Hilfe geleistet und Know-how weitergegeben wird.

Eine weitere Bedingung für den Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens besteht – wie einige Vorredner bereits sagten – darin, dass eine Einigung über die Durchführung von Reformen im Polizeiapparat zustande kommt. Wichtig ist meines Erachtens auch, dass in dem Bericht eine Vielzahl von Fragen im Zusammenhang mit dem Schul- und Bildungswesen berücksichtigt und schwerpunktmäßig behandelt werden. Die Erfahrungen im Nachkriegseuropa haben gezeigt, dass ein Bildungssystem, das auf Werten wie Menschenrechte, Bürgerrechte, Gleichheit, Toleranz und Demokratie beruht, allmählich dazu beitragen wird, religiöse, nationale und ethnische Feindseligkeiten zu überwinden und eine Aussöhnung herbeizuführen.

Meine Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft von Bosnien und Herzegowina trotz der vielen schwierigen Probleme dieses Landes in der europäischen Integration liegt. Als Abgeordneter eines Staates, der erst seit kurzem der EU angehört, möchte ich abschließend unseren Freunden in Bosnien und Herzegowina einige Ratschläge mit auf den Weg geben. Eine entscheidende Grundvoraussetzung für die Verwirklichung dieses Ziels ist die Zusammenarbeit aller politischen Kräfte, unabhängig von ihrem ethnischen, politischen und religiösen Hintergrund. Ich möchte nicht nur den Bosniern, sondern auch den Serben und Kroaten viel Erfolg auf diesem beschwerlichen Weg wünschen.

 
  
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  Philippe Morillon, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Ich bin vor fast genau 15 Jahren am Vorabend der dramatischen Ereignisse in Sarajevo angekommen, die aus dieser Stadt eine Märtyrerin gemacht haben, an deren Überleben wir bisweilen nicht mehr geglaubt haben. Dieses Sarajevo, das ich damals besuchte, war ein Modell für das Zusammenleben dreier Kulturen, von Kroaten, Serben und Muslimen. In dieser Stadt klangen die Glocken der katholischen Kathedrale mit denen der orthodoxen Kirche und dem Ruf des Muezzins im Chor. Sie war multikulturell geprägt, es gab keine Gettos, und die serbischen, kroatischen und muslimischen Bewohner lebten in denselben Vierteln und Häusern zusammen, ohne überhaupt zu wissen, wer Serbe, Kroate oder Moslem war.

Am 4. April 1992 wurde ich in dieser Stadt Zeuge, wie eine ganze Bevölkerung, Männer und Frauen, junge und alte Menschen, Serben, Kroaten und Muslime in ihrer Verzweiflung auf die Straße gingen, um die Barrikaden niederzureißen, die von den Anhängern der ethnischen Säuberung errichtet wurden. Sie rissen eine Barrikade nach der anderen nieder, bevor sie am Ende der Demonstration – Sie werden sich wahrscheinlich daran erinnern – von den wahnsinnigen Milizen von Radovan Karadžić attackiert wurden. Ich mag diese Stadt, diese Provinz, diese Republik, weil sie sich ihrer Vorzüge bewusst war und vor allem ihr Leid geteilt hat, das aus der Angst vor dem Anderen, der Angst vor der Vernichtung und der Angst vor Identitätsverlust erwachsen ist. All diese Ängste wurden dort von skrupellosen Verbrechern gesät.

Angesichts dieser Erinnerungen kann ich nicht häufig genug betonen, wie erfreut ich über den Bericht unserer Kollegin Doris Pack bin, der das Parlament Anerkennung für ihr Engagement und für die Aufopferung zollt, mit der sie sich seit jeher um eine Aussöhnung in diesem Land bemüht, das, wie sie in ihrem Bericht betont, einstmals friedlich und multiethnisch war. Wir müssen dieses Land auf seinem Weg der europäischen Integration unterstützen und es zu Verfassungsänderungen bewegen, die, wie Sie gesagt haben, Herr Ratspräsident, unverzichtbar sind, auch wenn in gewissen politischen Kreisen nach wie vor radikale und übermäßig ultranational geprägte Diskurse geführt werden.

 
  
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  Ryszard Czarnecki, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Ich möchte Frau Pack für den sachkundigen Bericht danken, über den wir heute sprechen. Darin werden deutlich die Fortschritte aufgezeigt, die Bosnien und Herzegowina bei der Einhaltung der demokratischen Standards gemacht hat.

Damit diese Fortschritte weitergeführt werden können, muss den Bürgern und den politisch Verantwortlichen der drei Nationalitäten dieses Landes eine klare Perspektive für eine Mitgliedschaft in der EU gegeben werden. Nicht heute, nicht morgen oder übermorgen, sondern zu einem realistischen Zeitpunkt in der Zukunft. Selbstverständlich muss Bosnien und Herzegowina zunächst die grundlegenden Standards in Bezug auf die Menschenrechte, die Bekämpfung von Korruption sowie die Justiz- und Verwaltungsreform erfüllen. Vor allem aber muss das Land, das Schauplatz des größten bewaffneten Konflikts in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg war, einen echten Dialog zwischen den Religionen und den Nationalitäten, die dort leben, in Gang setzen.

Unsere interne Debatte über die institutionelle Reform darf Bosnien und Herzegowina nicht zum Nachteil gereichen. Wir sollten Frau Packs Bericht als grünes Licht für dieses Land auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft verstehen.

 
  
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  Gisela Kallenbach, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Dank an Doris Pack für den exzellenten Bericht. Um ehrlich zu sein, haben auch nichts anderes erwartet. Meine Fraktion begrüßt den wahrnehmbaren Entwicklungsprozess in Bosnien-Herzegowina, und dafür ist es 12 Jahre nach Dayton auch höchste Zeit. Höchste Zeit ist es auch, dass die lokalen Politiker mehr Verantwortung übernehmen und – egal, welcher ethnischer Herkunft – für ein gemeinsames Bosnien-Herzegowina eintreten und endlich aufhören, nicht erreichte Kriegsziele durch verbale Attacken einzufordern.

Im Lichte einer gemeinsamen demokratischen und friedlichen rechtsstaatlichen Zukunft sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sich endlich einem gewiss schmerzlichen, aber heilsamen Prozess zur Bewältigung der schweren gemeinsamen Vergangenheit zu stellen. Daher begrüßen wir – wie im Bericht genannt – die Einrichtung einer nationalen Kommission für Wahrheit und Versöhnung. Ein wichtiger Schritt dazu war die Anerkennung des Genozids an bosnischen Muslimen durch das Parlament der Republika Srpska. Es ist heute mehrfach gesagt worden, dass wir eine Zusammenarbeit mit Den Haag erwarten und nicht nur Worte. Ich wünschte mir auch, dass die Zivilgesellschaft in diesen Diskussionsprozess einbezogen wird. Als Deutsche weiß ich ganz genau, wovon ich spreche.

Schließlich erwarte ich von der internationalen Gemeinschaft, dass sie ein verlässlicher und wirklich wichtiger Partner ist und bleibt. Ein ständiger Personalwechsel im Büro des hohen Repräsentanten ist dazu eher wenig geeignet. Herr Kommissar Rehn, ich wünsche Ihnen wirklich Erfolg bei dem Visa-Problem. Auch da brauchen wir dringend eine Lösung.

 
  
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  Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Wer gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit Bosnien und Herzegowina ein Verwaltungsmodell aufoktroyieren möchte, benötigt dazu starke Mittel. Die einzige Möglichkeit bestünde darin, dass dieses Land zu einem Dauerprotektorat mit einem mächtigen Hohen Vertreter der Europäischen Union und einer fortgesetzten Militärpräsenz wird.

Meine Fraktion strebt die Entwicklung in eine andere Richtung, in die Richtung einer friedlichen und demokratischen Lösung an, bei der die Tatsache anerkannt wird, dass Bosnien Jugoslawien im Kleinformat darstellt und sich die Bevölkerung mehrheitlich nicht als Bosnier, sondern als Serben oder Kroaten fühlt. Die Türkenzeit erwies sich für die Bosnier, die österreichische Periode für die Kroaten und der jugoslawische Zeitraum für die Serben als vorteilhaft. Die Menschen wollen nunmehr von den ehemaligen ungleichen Verhältnissen und davon abkommen, dass eine Volksgruppe das Sagen zum Nachteil der anderen hat.

Eine föderale Struktur nach belgischem oder schweizerischem Modell ist der beste Weg, um die drei Bevölkerungsteile dieses Landes unter Anerkennung ihrer Unterschiede und unter Aufrechterhaltung freundlicher gegenseitiger Beziehungen zusammenzuhalten. Dies steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass die Verfügungsgewalt über die regionale Polizei bei den Körperschaften und auf keinen Fall beim Zentralstaat liegt. Mit dem vorgeschlagenen Entschließungsantrag werden die wirklichen Probleme leider nicht gelöst und wird noch immer keine bessere Perspektive geboten als durch das Abkommen von Dayton.

 
  
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  Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Wie die Berichterstatterin ganz richtig feststellt, sind grundlegende Verfassungsänderungen unabdingbare Voraussetzung für ein Gelingen der europäischen Integration von Bosnien und Herzegowina. Ebenso richtig wird von der Berichterstatterin betont, dass interne Probleme, wie die ethnische Teilung des Landes, eine Gefahr für die nationale Stabilität bilden.

Externe Gefahren werden in dem Bericht hingegen mit keinem Wort erwähnt, doch dürfen frühere Vorfälle sowie die jüngsten, durch eine Handvoll radikaler Wahabiten hervorgerufenen Unruhen in der Stadt Kalesija in Zentralbosnien nicht übersehen werden. Nicht von ungefähr warnte der oberste Polizeibeamte der muslimisch-kroatischen Föderation, Zlatko Miletic, am 10. März dieses Jahres vor dem Einfluss dieser radikalen, verhältnismäßig jungen Strömung unter den Muslimen in Bosnien und Herzegowina.

Dem Rat und der Kommission stelle ich infolgedessen die Frage, inwieweit ihnen dieser Trend einer anhaltenden Islamisierung bekannt ist. Ich hoffe, Sie werden sowohl in Bezug auf die interne als auch externe Problematik alle Anstrengungen unternehmen, damit in Bosnien und Herzegowina nationale Stabilität ermöglicht wird. Die 2003 in der Agenda von Thessaloniki zum Ausdruck gebrachte europäische Perspektive für die Länder des westlichen Balkans ist nämlich klar und eindeutig. Wie aber kann der Assoziierungs- und Stabilisierungsprozess gelingen, wenn nicht allen Problemen, internen wie externen, sorgfältige Aufmerksamkeit gewidmet wird? Hier liegt eine Aufgabe für den neuen, hoffentlich entschlusskräftigen, Hohen Vertreter.

 
  
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  Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Präsident! Auch ich war in Sarajewo und in Mostar, als dort jede Sekunde ein Schuss fiel. Deshalb bin ich dankbar, dass dort heute dank Dayton kein Krieg herrscht. Aber kein Krieg ist noch kein Friede, und für den Frieden fehlen noch entscheidende Voraussetzungen. Deshalb sehe ich mit Sorge, dass der bewährte internationale Beauftragte Schwarz-Schilling abgelöst werden soll, weil er die richtige Politik gemacht hat.

Ich sehe mit Sorge die voreilige Reduzierung unserer Truppenpräsenz, die im Moment noch das falsche Signal ist, und ich sehe vor allem mit Sorge, dass man beginnt, sich für die Entwicklung in Bosnien und Herzegowina zu „desinteressieren“.

Dabei stehen wir erst am Anfang eines mühsamen Aufbauprozesses. Und wir brauchen zuerst eine Verfassungsreform, die aus dem Lande selbst kommt, und die wir nur begleiten und unterstützen können. Aber wenn das Land nicht in eine gleichberechtigte Föderation dreier gleichberechtigter Völker verwandelt wird, wird es dort auf Dauer keine Stabilität geben. Der Weg dorthin ist lang und steinig, er führt nur über geduldige Gespräche sowie Kultur und Bildung.

Ich danke dem Kollegen Rouček, dass er diesen Schwerpunkt gesetzt hat, den auch die Berichterstatterin Pack und Herr Schwarz-Schilling setzen. Nur durch multireligiöse, multikonfessionelle Schulen und Universitäten können wir weiterkommen. Vielleicht gibt es eines Tages in Sarajewo die große, multireligiöse Europa-Universität, die auch ein Signal für einen europäischen Islam setzen würde. Vielleicht könnte das das Ergebnis des im Mai stattfindenden großen Treffens der EU mit den Religionsgemeinschaften sein, das weit über den leidgeprüften südosteuropäischen Raum hinausstrahlen würde.

Wir brauchen eine Europa-Universität, Europaschulen, die intensive Zusammenarbeit der Nationalitäten, und wir brauchen vor allem Geduld. Deshalb müssen wir das Amt des Hohen Beauftragten und des Europäischen Beauftragten in einer Art und Weise fortsetzen, wie sie jetzt praktiziert wird, nämlich mit Augenmaß, ohne eine Diktatur à la Ashdown, sondern durch vernünftige Ausgleichsversuche, die dazu führen, dass die Wunden heilen, dass die Völker und Volksgruppen zusammenwachsen und dass im Land selbst endlich jene Erneuerungs- und Selbstheilungskräfte entstehen, ohne die Bosnien und Herzegowina keine Zukunft hat. Und wenn Bosnien und Herzegowina in die Krise geraten sollte, droht es auch seine Nachbarn wieder mit sich zu reißen.

Ich gebe dem Kommissar Recht: Wir schreiben das Jahr 2007, und es ist ein echtes Schicksalsjahr für diesen Raum. Wir müssen den Kosovo international kontrolliert in die Unabhängigkeit begleiten, Kroatien verstärkt hin zur EU-Mitgliedschaft führen, Bosnien und Herzegowina stabilisieren und gleichzeitig Serbien demokratisieren sowie demokratisch stabilisieren. Das ist die große Herausforderung unserer Epoche.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort).

 
  
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  Hannes Swoboda (PSE). – Herr Präsident! Ich möchte natürlich der Kollegin Doris Pack sehr herzlich zu ihrem sehr engagierten und letztendlich ausgewogenen Bericht gratulieren, der die Meinung des Parlaments insgesamt zum Ausdruck bringt.

Seien wir doch ehrlich: Wir haben heute zwei starke Männer in Bosnien und Herzegowina, Herrn Dodik und Herrn Silajdžić. Herr Dodik hat Schwierigkeiten bei der Polizeireform gemacht – mit vielleicht auch manchen richtigen Argumenten. Herr Silajdžić hat Schwierigkeiten bei der Verfassungsreform gemacht – auch vielleicht mit manchen richtigen Argumenten. Jetzt müssen beide starken Männer gemeinsam mit allen anderen dafür sorgen, dass wir eine Polizeireform und eine Verfassungsreform bekommen. Ich bin sicher, dass der Herr Kommissar gerade in den nächsten Tagen ihnen und allen anderen – auch dem neuen Ministerpräsidenten – ganz klar machen wird, dass dies die Aufgaben sind, die sie zu erfüllen haben, wenn sie vor der Geschichte positiv dastehen wollen.

Zweitens: Ich glaube – und dabei wende ich mich insbesondere an Minister Erler –, dass wir in Bosnien und Herzegowina mit einer klaren Stimme reden müssen, wenn es darum geht, auch seitens der Europäischen Union einen Hohen Beauftragten zu ernennen. Aber ich wende mich in diesem Zusammenhang natürlich auch an den Kommissar, weil für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort nicht erkennbar ist, wer hier für die Europäische Union spricht. Vom Vertreter der Europäischen Union soll eine klare Botschaft vermittelt werden.

Schließlich zum Thema Visa: Wenn wir für die Menschen in der Region nicht die Möglichkeit schaffen, durch Visa-Erleichterungen auch die europäischen Werte, europäisches Verhalten, europäisches Miteinander-Reden kennen zu lernen, dann können wir viel beschließen, aber werden die Dinge nicht umsetzen. Daher sollten wir rasch zu Visa-Erleichterungen kommen, damit wir die Menschen dieser Region wirklich mit Herz und Hirn an Europa heranführen.

 
  
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  Jelko Kacin (ALDE).(SL) Ich möchte Frau Doris Pack meinen herzlichen Glückwunsch zu ihrem ausgezeichneten Bericht aussprechen und ihr gleichzeitig für ihren konstruktiven Ansatz danken.

Das vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag im vergangenen Monat gesprochene Urteil hat alte Wunden wieder aufgerissen und das Schreckgespenst eines Krieges und anderer Feindschaften in der politischen Arena Bosniens wieder aufleben lassen. Der Gerichtshof hat Recht. Es kann keine kollektive Verantwortung geben, nur eine individuelle, konkrete Verantwortung von Politikern und Befehlshabern. Aus diesem Grunde fordere ich als EP-Berichterstatter für Serbien die Mitglieder des serbischen Parlaments auf, dem Aufruf ihres Präsidenten Boris Tadić zu folgen, sich der Vergangenheit zu stellen und den Völkermord in Srebrenica zu verurteilen. Durch eine öffentliche Verurteilung des Völkermords würde Belgrad einen bedeutenden Beitrag dazu leisten, die Spannungen in Bosnien abzudämpfen und einen Schritt in die Zukunft zu machen. Es ist inakzeptabel und schockierend, dass die beiden des schlimmsten Verbrechens in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Angeklagten noch immer auf freiem Fuß sind.

Die Behörden der Republika Srpska müssen daher eine weitaus konstruktivere Haltung zur Polizeireform einnehmen, einschließlich der Billigung der neuen Verantwortungsbereiche der Polizei. Wie bereits mehrfach in diesem Hause gesagt wurde, kann das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen ohne eine solche Partizipation nicht unterzeichnet werden.

Abschließend möchte ich Sie alle darüber informieren, dass Neil Parish, mein Kollege von der Europäischen Volkspartei, und ich die Initiative ergriffen haben, eine zwischenparteiliche parlamentarische Mission für Sarajevo und Srebrenica zu bilden, wohin wir nächste Woche reisen werden. Unser Besuch ist dem Problem der Flüchtlinge gewidmet, die in diese zerbrechliche Region unseres Kontinents zurückkehren.

 
  
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  Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Präsident! Sie haben bei mir und auch bei anderen nicht geklopft. Das ist der Grund, warum wir die Redezeit überzogen haben. Ich bitte Sie darum, kurz vor Ende zu klopfen, wie das die anderen Vizepräsidenten auch tun.

 
  
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  Der Präsident. Herr Posselt, erstens ist dies keine Frage zur Geschäftsordnung, und zweitens leite ich seit vielen Jahren Institutionen und habe meinen Kollegen immer zugetraut, selbst zu erkennen, wenn das Signal aufleuchtet, da sie gewöhnlich auf ihre Uhren schauen.

Von jetzt an werde ich stets den Hammer benutzen, wenn Sie sprechen, denn Ihre Reden sind doppelt so lang wie vorgesehen. Doch lassen Sie mich hier abbrechen, da ich nicht das Mikrofon in Anspruch nehmen will. Wenn Sie das Wort ergreifen, werde ich aber an Ihre Worte denken.

 
  
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  Bogusław Rogalski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Nachdem Bosnien und Herzegowina den blutigsten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, strebt es nun die Integration mit Europa an, wofür dieses multiethnische Land in vielen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens einschließlich der Verfassungsreform Veränderungen vornehmen muss. Erst dann wird es die für die Umsetzung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens erforderlichen Kriterien erfüllen und sich in der Zukunft auch um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union bewerben können.

Um das zu erreichen, muss die politische Führung in Bosnien und Herzegowina rasche und grundlegende Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen durchführen.

Der Rat wiederum muss Bosnien und Herzegowina auffordern, alle Grenzkonflikte mit den Nachbarländern unverzüglich beizulegen und vor allem das Abkommen über die Festlegung von Land- und Flussgrenzen zu ratifizieren. Bosnien und Herzegowina muss außerdem die Trennung der ethnischen Gruppen in den Schulen aufheben. Diese Veränderungen sind nur zu erreichen, wenn der Rat hier starken Druck ausübt.

Vergessen wir nicht, dass die internationale Gemeinschaft gegenüber Bosnien und Herzegowina mit einer Stimme sprechen muss, wenn sie auf dem Balkan dauerhaften Frieden gewährleisten will.

 
  
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  Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – În primul rând, daţi-mi voie să mă alătur tuturor celorlalţi colegi pentru a o felicita pe dna Doris Pack pentru munca depusă la realizarea acestui raport şi, de ce nu, pentru oportunitatea de a avea o discuţie despre Bosnia-Herţegovina în plenul Parlamentului European.

Iată că, la 4 luni de la alegeri, Bosnia-Herţegovina a reuşit să instaleze un nou guvern. Cabinetul condus de prim-ministrul Nikola Špirić şi-a propus să semneze, în prima jumătate a anului 2007, acordul de asociere şi stabilizare şi să finalizeze reforma constituţională. Astfel, Consiliul de miniştrii şi-a asumat o agendă care conţine reforme importante şi sperăm ca, în cel mai scurt timp, să înregistreze rezultate concrete.

Bosnia-Herţegovina trebuie să-şi asume treptat întreaga responsabilitate asupra politicii interne. Din nefericire, naţionalismul etnic încă se manifestă puternic şi, de aceea, prelungirea mandatului Biroului Înaltului Reprezentant cu încă un an reprezintă o opţiune corectă care oglindeşte realitatea.

Uniunea Europeană trebuie să acorde o atenţie specială modului în care autorităţile din Bosnia-Herţegovina implementează reformele asumate. Finalizarea reformei constituţionale, încetarea segregării educaţionale, crearea unui spaţiu economic comun, restructurarea poliţiei şi întreaga cooperare cu Tribunalul Internaţional sunt obiective care astăzi nu pot fi atinse fără o prezenţă europeană puternică.

Trebuie să subliniem una din provocările căreia trebuie să-i facă faţă Bosnia-Herţegovina în următoarea perioadă: decizia finală asupra statutului provinciei Kosovo va reprezenta un test pentru soliditatea construcţiei politice a acesteia. Situaţia din Bosnia-Herţegovina, ca şi aceea din Kosovo, nu pot fi privite separat, ci doar în contextul regional. De aceea, eforturile noastre trebuie continuate în direcţia consolidării stabilităţii regiunii.

În concluzie, Bosnia-Herţegovina se află pe drumul european, susţinerea noastră fiind absolut necesară pentru dezvoltarea economică şi socială si pentru stabilitatea politică a ţării.

 
  
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  Justas Vincas Paleckis (PSE).(LT) In Unterstützung der Berichterstatterin Doris Pack möchte ich hinzufügen, dass Bosnien und Herzegowina noch immer durch ethnische und andere Konflikte zerrissen wird und Parteirhetorik das Land in eine nationalistische Sackgasse drängt.

Was das Land aus dem Strudel des Konflikts herausholt, ist die Anziehungskraft der Europäischen Union. Eben diese Kraft kann die Reform beschleunigen und Demokratie und Menschenrechte stärken und zugleich das Leben der Bürger verbessern. Dies sollte klar gesagt werden: Die Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft würde das Abgleiten des Landes in Zersplitterung und Nationalismus aufhalten.

In Sarajevo und Mostar habe ich gesehen, welch wichtige Rolle die Friedenstruppen der EU in dem Land spielen. Die Bürger selbst, nicht die Friedenstruppen, müssen eine landesweite Verwaltung, Polizeikräfte sowie gute Gesetze schaffen.

Nur die jungen Leute werden in der Lage sein, ein starkes, vereintes Land aufzubauen. Schulen und Universitäten, an denen Bosnier, Serben und Kroaten gemeinsam studieren würden, sollten die Schmiede der Versöhnung zwischen ethnischen Gemeinschaften werden. Man muss sehr vorsichtig beim Umgang mit der jüngsten blutigen Geschichte des Landes sein. Dennoch muss die Wahrheit ohne Verdrehung der Tatsachen und ohne Emotionen gesagt werden.

Durch eine intensivere regionale Zusammenarbeit kann Bosnien und Herzegowina die europäische Ausrichtung seiner Außenpolitik unter Beweis stellen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, Konflikte beizulegen und Grenzziehungsabkommen zu ratifizieren.

Ich möchte dazu anregen, so bald wie möglich zu einer Entschließung über eine Erleichterung der Visumbestimmungen zu gelangen. Bessere Reisemöglichkeiten in Länder der Europäischen Union würden nachahmenswerte Vorbilder verschaffen und die innere Einheit fördern.

Seine Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen und das Lernen aus den Erfahrungen der neuen EU-Länder sollten Bosnien und Herzegowina dabei helfen, den europäischen Wind in seinen Segeln aufzufangen. Dies wäre eine Bestätigung der Anziehungskraft der Europäischen Union, der es gelingt, Nationalismus und Hass zu ersticken und die Koexistenz und das Wohlergehen der Nationen zu fördern.

 
  
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  Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Doris Pack, herzlichen Glückwunsch, ein Super-Bericht! Die können da unten langsam anfangen, am Sockel für dein Denkmal zu bauen. In dieser schwierigen Situation wirklich noch so viele konstruktive Elemente in den Bericht einzubauen, ist richtig. Es ist ja ein Paradox — die EU bekennt sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Thessaloniki-Erklärung, und in Bosnien fährt der Zug genau in die entgegengesetzte, eine eher nationalistische Richtung, jedenfalls den Äußerungen der führenden Politiker zufolge. Ich glaube, auch diese Debatte ist ein Weckruf. Wenn selbst der so vorsichtige und verantwortungsbewusste Kommissar Olli Rehn sagt „We have had enough of it !“, dann sollte das wirklich ein Weckruf sein.

Was im Bericht steht, ist richtig: Ja zur Kommission für Wahrheit und Versöhnung, Ja zur Einigkeit der Internationalen Gemeinschaft. Wir sollten den Hohen Vertreter belassen. Der Fokus auf Visaerleichterung und besonders auf Bildung und Jugend ist genau richtig. Die Jugend muss Europa kennen lernen, darum geht es. Der Bericht ist wirklich ein konstruktiver Beitrag, und ich hoffe, dass er im Land entsprechend wahrgenommen wird, aber dass auch diese Debatte hier wahrgenommen wird. Das wäre mir wichtig.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir auch diese Debatte in Brüssel führen sollten, und nicht in Straßburg.

 
  
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  Brian Crowley (UEN).(EN) Herr Präsident! Auch ich möchte mich meinen Kolleginnen und Kollegen anschließen und Frau Pack für ihren Bericht, dem Ratspräsidenten für seine Anmerkungen und Kommissar Rehn für seine unermüdlichen Bemühungen in dieser wichtigen Frage danken.

Ich möchte auf drei Schlüsselbereiche eingehen. Erstens zum Hohen Repräsentanten: Wie einige meiner Kollegen habe auch ich Bosnien und Herzegowina und der Republika Srpska einen Besuch abgestattet und mir einen Eindruck über die Maßnahmen des aktuellen und des bisherigen Hohen Repräsentanten, Lord Ashdown, verschaffen können. In vielerlei Hinsicht wurden die Politiker in Bosnien und Herzegowina aus der Verantwortung genommen, indem gesagt wurde: wenn ihr diese Veränderungen nicht herbeiführt, dann werden wir es für euch tun. Wenn also Politiker zu bestimmten Veränderungen nicht in der Lage waren, kam eben der Hohe Repräsentant zu Hilfe.

Eines möchte ich hervorheben: Wenn wir wirklich ein friedliches und stabiles Bosnien und Herzegowina anstreben, in dem die verschiedenen Bevölkerungsgruppen dieses vereinigten Landes geachtet und toleriert werden, dann müssen wir auch sicherstellen, dass das Land Verantwortung für sich selbst und für die benötigten Gesetze und Entscheidungen übernimmt.

Zweitens spielt die Gewaltenteilung in einem Staat immer eine entscheidende Rolle, insbesondere was die Polizei und die Justiz anbelangt. Es kann nur eine Polizeigewalt in Bosnien und Herzegowina geben. Dies muss ein zentraler Punkt sein.

Was schließlich die Visumerleichterungen betrifft, sollten wir zunächst junge Menschen, Studenten und Absolventen von Schulen und Universitäten in Bosnien und Herzegowina zu uns holen. Sie sollen zuerst kommen, bevor ein weiter reichendes Visasystem eingeführt wird, denn junge Menschen sind die Zukunft für die Entwicklung eines friedlichen Bosnien und Herzegowina und eines befriedeten Balkans.

 
  
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  Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Zehn Jahre sind seit Dayton vergangen, aber leider ist Bosnien und Herzegowina noch immer kein stabiler Staat. Es steht nicht kurz vor der Explosion, aber die scheinbare Ruhe sollte niemanden täuschen. Stillstand bei der Polizeireform, stockende Reformen, ein schwankender Beschlussfassungsprozess und tägliche verbale Aggressionen zwischen bosnischen Serben und Bosniern sind Warnzeichen. Es ist wichtig, dass das Mandat des Hohen Vertreters der internationalen Gemeinschaft bis 2008 verlängert wurde. Eine Beendigung des Mandats wäre sehr vorschnell gewesen. Ich stimme dem Grundsatz zu, dass die Bürger von Bosnien und Herzegowina diejenigen sind, die selbst über ihr Schicksal entscheiden sollen. Unter bestimmten Umständen muss die internationale Gemeinschaft eingreifen. Ich hoffe, die Reduzierung der ALTEA-Mission war nicht verfrüht, da ihr noch immer eine wichtige Rolle in dieser angespannten Situation zukommt. Das Erreichen einer dieses Jahr in Gang befindlichen Normalisierung im Kosovo ist ein weiterer Test, eine weitere Herausforderung. Die EU muss Bosnien und Herzegowina unter sehr genauer Beobachtung behalten.

 
  
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  Димитър Стоянов, от името на групата ITS. – През 1878 г. Берлинският договор определи 30-годишен протекторат над Босна и Херцеговина като част от Австро-Унгария. След като този срок изтече, Австро-Унгария анексира Босна и Херцеговина. Според Парижкия мир, сложил край на Първата световна война, тези територии бяха прехвърлени в рамките на Югославия.

С тази кратка ретроспекция исках да ви кажа, че всички проблеми на Балканите се дължат на слепотата на Великите сили, които защитават собствените си интереси. Ние не можем да налагаме на суверенната босненска нация как да си изменя конституцията. Не можем пряко волята на народа да им налагаме чужд генерал-губернатор, който да насочва пътя на тази държава. Освен това, искам да ви напомня, че този доклад е за Босна и Херцеговина и насилието, което беше там преди десет години, беше и от двете страни. Не са само сърбите виновни. Имаше насилие и атентати от страна на босненците. Ние трябва да бъдем обективни и да виждаме всички страни на един конфликт, ако наистина искаме да направим разликата.

 
  
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  Olli Rehn, Mitglied der Kommission. – (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, Ihnen zunächst für diese sehr sachliche und verantwortungsvolle Debatte zu danken, ebenso auch für Ihre deutliche Zustimmung zu dem ausgezeichneten Bericht von Frau Pack. Danken möchte ich Ihnen auch für Ihre Unterstützung der Politik der Kommission auf dem Westbalkan, die auf einem langfristigen Engagement zur Förderung des europäischen Transformationsprozesses in den Ländern der Region basiert. Ich bin froh darüber, dass diese Politik die deutliche Zustimmung des Europäischen Rates vom Dezember erhalten hat. Der Europäische Rat hat beschlossen, die Türen der Europäischen Union für die Länder Südosteuropas offen zu halten, und diese dürfen eintreten, sobald jedes einzelne von ihnen alle Bedingungen für die Mitgliedschaft erfüllt.

Bei meinem Sarajevo-Besuch morgen und am Freitag werde ich besonders jene Fragen ansprechen, die Sie in dieser Debatte hervorgehoben haben und denen das Europäische Parlament in seinen eigenen Stellungnahmen selbst großen Wert beimisst. Die Einheit von Bosnien und Herzegowina ist für einen erfolgreichen Weg des Landes hin zur EU unerlässlich, wie es in Ihrer Debatte betont worden ist. Wir brauchen Zusammenarbeit über das gesamte politische Spektrum hinweg. Das ist eine der wasserdichten Schlussfolgerungen, die man im Hinblick auf den Erfolg der kleinen Länder in der Europäischen Union im Allgemeinen ziehen kann, und das gilt mit Sicherheit auch für Bosnien und Herzegowina.

Am allerwichtigsten ist jetzt, dass die politischen Führer Bosniens und Herzegowinas ihre Verantwortung begreifen und diese lebenswichtigen Reformen umsetzen, damit das Land Fortschritte auf seinem Weg hin zur Europäischen Union erzielen und seinen Bürgern bessere Lebensbedingungen bieten kann.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.

 
  
  

VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS
Vizepräsident

 

11. Zukunft der europäischen Flugzeugindustrie (Aussprache)
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  Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die Erklärungen des Rates und der Kommission über die Zukunft der europäischen Flugzeugindustrie.

 
  
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  Peter Hintze, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Herr Vizepräsident Verheugen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich, dass das Thema „Zukunft der europäischen Luftfahrtindustrie“ heute Gegenstand der Debatte ist. Diese Branche verkörpert Zukunftsfähigkeit, Hochtechnologie und Wachstumspotenziale für Europa, und sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erfüllung der Ziele der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Airbus ist dabei das herausragende Projekt. Airbus steht für eine großartige Idee, die technologischen Kompetenzen mehrerer europäischer Nationen zu bündeln und ein starkes Unternehmen der Luftfahrtindustrie zu schaffen, das sich auf dem Weltmarkt behauptet. Airbus hat eine atemberaubende Erfolgsgeschichte geschrieben. Die Flugzeuge von Airbus – 4.600 sind bis heute ausgeliefert worden – repräsentieren europäische Hochtechnologie auf allen Flughäfen der Welt. Airbus leistet damit einen wichtigen Beitrag zur europäischen Identität.

Airbus hat aber auch gravierende Probleme. Im Jahr 2006 gaben sich Erfolg und Krise bei Airbus die Hand. Auf der einen Seite war Airbus 2006 die Nummer 1 auf dem Weltmarkt, ein stolzer Erfolg. Auf der anderen Seite gab es durch die starke Auslieferungsverzögerung beim A380, dem neuen Großraumflugzeug, einen massiven Ertragseinbruch beim Unternehmen. Probleme ergeben sich auch aus dem schwachen Dollar. Airbus wird für Euro produziert und für Dollar verkauft.

Auch der Entwicklungsrückstand des A350 XWB zum amerikanischen Konkurrenzmodell muss verkürzt werden. Der Flugzeugbau steht ja vor einer technologischen Revolution. Es geht dabei um den Übergang vom Metall- ins Kunststoff-Zeitalter. Jenseits des Atlantiks hat man das schneller erkannt als bei uns. Der Markt verlangt nach solchen Flugzeugen.

Airbus will nun neue Kraft gewinnen. Airbus muss seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, seine Zukunftsfähigkeit sichern. Garantie auf die Zukunft gibt es nur durch stets neue Anstrengungen und die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Innovation. Bei Airbus steht ein Restrukturierungsprozess an, der bei allem Interesse der Politik eine Aufgabe des Unternehmens selbst ist. Dabei ist das Management von Airbus gut beraten, im intensiven Dialog mit seinen Mitarbeitern die notwendigen Maßnahmen zu erörtern. Schließlich sind die Mitarbeiter das wichtigste Kapital eines Unternehmens. Eine Chance für eine höhere Arbeitsplatzsicherheit kann durchaus in der Gewinnung starker industrieller Partner liegen, die eigenes Kapital und eigenes Know-how mit einbringen und sich das Risiko, aber auch die Chancen mit Airbus teilen. Die Entscheidung darüber liegt aber einzig und allein beim Unternehmen selbst.

Die Politik ist für die Rahmenbedingungen zuständig. Sie sollte dafür sorgen, dass eine faire Balance mit Blick auf die Chancen und Lasten zwischen den beteiligten europäischen Nationen herrscht. Es geht hierbei um Arbeitsplätze und technologische Kompetenzen. Diese faire Chancen- und Lastenverteilung zwischen den beteiligten europäischen Nationen scheint zu gelingen.

Es gibt auch eine Reihe von anderen europäischen Projekten, wie z. B. Augusta Westland, Eurofighter oder Eurocopter, bei denen es ebenfalls gelungen ist, in länderübergreifender Zusammenarbeit die technologischen Kompetenzen der einzelnen Partner zu nutzen, um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln und zu produzieren. Die europäische Zusammenarbeit besteht nicht nur auf Ebene der Systemhersteller, sondern auch auf der Ebene der Zulieferer, Triebwerkshersteller, wie z. B. Thales, Diehl, Rolls Royce, MTU, Snecma, Alenia oder andere – um hier nur einige beispielhaft zu nennen. All diese Unternehmen mit ihren Beschäftigten tragen dazu bei, dass sich die europäische Luftfahrtindustrie in dem sich verschärfenden internationalen Wettbewerb gut positioniert.

Lassen Sie mich zum Schluss noch das Thema Klimaschutz und Umweltverträglichkeit ansprechen. Für mich ist das eine Frage an die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die damit verbundene technologische Herausforderung hat die europäische Luftfahrtindustrie bereits im Jahr 2000 angenommen. In der Vision 2020 haben Industrie, Wissenschaft und Politik gemeinsam ehrgeizige Ziele und Herausforderungen für ein nachhaltiges Luftverkehrssystem definiert. So soll bis zum Jahr 2020 der spezifische Treibstoffverbrauch und der Kohlendioxidausstoß um 50% gesenkt, der spezifische Stickoxidausstoß um 80% reduziert und der Fluglärm bei An- und Abflug halbiert werden.

Um diese ehrgeizigen Ziele in wenig mehr als einer Dekade zu erreichen, ist eine gemeinsame Anstrengung aller Akteure notwendig.

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Luft- und Raumfahrtindustrie trägt entscheidend dazu bei, dass Europa in den Bereichen Verkehr, Kommunikation, Erdbeobachtung, Sicherheit und Verteidigung seine industrielle und technologische Leistungsfähigkeit behält. Nur mit einer weltweit wettbewerbsfähigen Luft- und Raumfahrtindustrie kann Europa seine wirtschaftlichen und politischen Ziele erreichen.

Die Europäische Luft- und Raumfahrtindustrie ist in mehreren wichtigen Marktsegmenten weltweit führend. Ihr Anteil am Weltmarkt beträgt mehr als ein Drittel. Im Jahr 2005, dem letzten Jahr, für das Zahlen vorliegen, erzielte sie einen Umsatz von 86 Milliarden Euro und beschäftigte 457.000 Arbeitnehmer. Trotz der in jüngster Zeit aufgetretenen Schwierigkeiten wächst die Branche weiter. Insbesondere wächst der Markt für große Zivilflugzeuge.

Airbus lieferte im vergangenen Jahr 434 neue Flugzeuge aus, ein Rekordergebnis, wie Staatssekretär Hintze bereits betont hat. Airbus hat einen Auftragsbestand von mehr als 2.500 Flugzeugen, das ist Arbeit für mehr als fünf Jahre. Bei dem prognostizierten Wachstum des Personen- und Luftverkehrs um 5 % jährlich, und des Luftfrachtverkehrs um 6 % jährlich, werden in den nächsten zwanzig Jahren über 22.500 neue große Zivilflugzeuge zum Gesamtwert von 2 Billionen Euro zu heutigen Preisen benötigt.

Allerdings hat Airbus in den letzten Wochen und Monaten Schlagzeilen eher unerwünschter Art gemacht. Wir würden alle lieber von weiteren großen Airbus-Markterfolgen lesen als von Verlusten und von Entlassungen. Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie operiert in einem von scharfem Wettbewerb geprägten globalen Markt und stößt in allen Marktsegmenten auf gut aufgestellte Konkurrenz, wie etwa Boeing. Die Industrie muss laufend investieren und innovieren, um mit ihren Produkten den Anforderungen ihrer Kunden zu entsprechen. Airbus ist ein bedeutender Teil der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie, ein wahrhaft europäisches Unternehmen, das zurzeit 57.000 eigene Mitarbeiter und 30.000 externe Mitarbeiter beschäftigt und von zahlreichen großen und kleinen Unternehmen Produkte und Dienstleistungen bezieht.

Dieses Unternehmen muss sich, wie alle anderen, laufend an veränderte Bedingungen anpassen, und seine Abläufe und Strukturen so gestalten, dass es die vom Markt verlangten Produkte rentabel herstellen kann. Es kommt in der Tat erschwerend hinzu, dass Airbus seine Produkte in Dollar verkaufen muss, während es seine Kosten in der stärkeren Euro-Währung tragen muss. Deswegen ist es umso wichtiger für Airbus, dass es schwierige unternehmerische Entscheidungen rational treffen kann, um seine Position am Markt wiederherzustellen.

Leider wird die Entscheidung von Airbus, zur Verbesserung seiner Effizienz einige seiner Tätigkeiten auszulagern — als Einspar- und Restrukturierungsprogramm —, eine Reduzierung der Belegschaft zur Folge haben, und das schafft Unsicherheit und führt zum Ruf nach politischer Intervention.

Zwar können und sollen Politiker nicht in Entscheidungen eingreifen, die die Unternehmen treffen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen — die Politik ist nicht zuständig für Managemententscheidungen von Unternehmen —, aber es gibt Möglichkeiten und vielleicht sogar eine moralische Pflicht, entlassenen Arbeitnehmern zu helfen, sich umschulen zu lassen und in anderen Unternehmen, womöglich in anderen Branchen, neue Arbeit zu finden. Die Mitgliedstaaten können dafür beispielsweise Hilfe aus dem Europäischen Sozialfonds in Anspruch nehmen.

Die Kommission stellt mit Befriedigung fest, dass Airbus schon einige Zeit vor der jetzt in Gang befindlichen Umstrukturierung Arbeitnehmervertreter an den dafür zu treffenden Entscheidungen beteiligt hat. Ganz besonders ist zu betonen, dass die europäischen Arbeitnehmervertreter in vollem Umfang beteiligt wurden und dass auch die Auswirkungen der Umstrukturierung auf die Unterauftragnehmer von Airbus erörtert wurden.

In Anbetracht des zu erwartenden Wachstums, das viele andere Branchen neidisch macht, ist es ferner wichtig, dass heute die Schritte unternommen werden, die den langfristigen Erfolg der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie sichern und die uns damit allen nützen. Das ist einer der Gründe, warum die Kommission tätig wird, wo immer das möglich ist — etwa indem sie ein europäisches Raumfahrtprogramm aufstellt oder einen europäischen Markt für Rüstungsgüter und einen einheitlichen europäischen Luftraum schafft, um günstige Voraussetzungen für freien Wettbewerb herzustellen.

Außerdem stellt die EU in ihrem 7. Forschungsrahmenprogramm erhebliche Mittel für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Luftfahrt und Weltraumforschung bereit. Alle mit solchen Forschungsarbeiten beschäftigten Unternehmen werden aufgefordert, Vorschläge für Projekte auf Kostenteilungsbasis einzureichen, die dann im Wettbewerb zur Förderung ausgewählt werden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders auf die herausragende Bedeutung der Joint Technology Initiative Clean Sky hinweisen. Diese Joint Technology Initiative wird der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie ermöglichen, die Herausforderung anzunehmen, die die Klimaschutzdebatte an die Luftfahrtindustrie stellt. Ich möchte hier sehr deutlich an die Adresse der europäischen Flugzeughersteller und auch der Luftverkehrsunternehmen appellieren, sie sollten sehr darauf bedacht sein, dass sie nicht denselben Imageschaden erleiden, den die Automobilindustrie in Europa in den letzten Wochen erlitten hat, weil sie zu spät auf die Anforderungen unserer Zeit reagiert. Es ist dringend notwendig, gerade in diesem Bereich modern zu sein, innovativ zu sein, zu forschen und zu entwickeln, und die Europäische Union bietet mit Clean Sky dazu eine wirkungsvolle und starke Plattform an.

 
  
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  Christine De Veyrac, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Als stellvertretende Bürgermeisterin von Toulouse kann ich nach mehreren Besuchen bei Airbus bestätigen, dass der Umstrukturierungsplan des Unternehmens jeden einzelnen der betroffenen Mitarbeiter vor eine harte Probe stellt, und für eine Lösung des Problems müssen die Ursachen klar herausgestellt werden.

Natürlich spielen die Aufwertung des Euro und die Verzögerungen aufgrund von Fehlern bei der Fabrikation des A380 eine Rolle, doch das Hauptproblem bestand wohl eher im zwischenstaatlichen als im industriellen Management, und daraus müssen wir für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen.

Uns allen ist bekannt, dass Airbus nicht unter zu wenig staatlichem Einfluss gelitten hat, sondern unter der Einmischung von Politikern in das Management des Konzerns, der letzten Endes mehr wie eine internationale Organisation denn als integriertes Unternehmen funktioniert hat. In Zukunft benötigt Airbus einen neuen Aktionärspakt, um den Aktionären aus der Wirtschaft einen höheren Stellenwert einzuräumen. Dies bedeutet, dass die derzeitigen Aktionäre ihre Absichten klar zum Ausdruck bringen müssen. Wollen sie an ihrer Beteiligung festhalten oder muss nach neuen Finanz- und Wirtschaftspartnern gesucht werden?

Doch soll dies heißen, dass sich die staatlichen Behörden fortan nicht weiter in diese Angelegenheit einmischen sollen? Natürlich nicht, und ich freue mich, dass Europa tätig geworden ist. Kommissar Barrot und Sie selbst, Kommissar Verheugen, haben angekündigt, dass die Union die Bemühungen von Airbus durch eine Förderung der Forschungsprogramme unterstützen will.

Allerdings würde ich mir wünschen, Herr Kommissar, dass Sie uns über die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme des Globalisierungsanpassungsfonds und des Europäischen Sozialfonds zugunsten der Mitarbeiter aufklären. Auch die Mitgliedstaaten können Airbus und insbesondere seinen Unterauftragnehmern mit Forschungs- und Ausbildungsbeihilfen für die Mitarbeiter zu Hilfe kommen.

Stellen Sie sich dagegen vor, dass Airbus durch die Kapitalbeteiligungen einiger französischer Regionen gerettet würde – ich denke, 0,6 % des Kapitels könnten aufgebracht werden. Das ist doch völlig unrealistisch!

Ich möchte zum Ende kommen. Keiner sollte vergessen, dass Airbus zwar derzeit eine schwierige Phase durchläuft, aber auch zahlreiche Erfolge verbuchen konnte. Ich habe Vertrauen in seine Zukunft, in den Erfolg des A380 sowie des A350. In Zeiten der Krise und der Schwierigkeiten müssen wir nationale Egoismen überwinden und uns konsequent und solidarisch zeigen – das eine bedingt das andere.

 
  
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  Matthias Groote, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Tagesordnungspunkt wurde heute sehr neutral unter dem Titel „Zukunft der europäischen Flugzeugindustrie“ abgehandelt. Der Hauptpunkt ist jedoch heute die Krise bei Airbus.

Das nun vom Management vorgesehene Sanierungsprogramm Power 8, welches die Finanzierungslücke des Unternehmens schließen soll, sieht Massenentlassungen und Werksverkäufe vor. Airbus als eine Perle der europäischen Industrielandschaft hat hoch qualifizierte Mitarbeiter, volle Auftragsbücher, ausgelastete Werke und gute Produkte. Dies steht im Widerspruch zu Werksverkäufen. Werksverkäufe sind das falsche Signal, um die Finanzierungslücke zu schließen. Es hat sich gezeigt – Stichwort BenQ Deutschland –, dass der Werksverkauf meistens ein Sterben auf Raten für einen Standort bedeutet und zu Vernichtung von Arbeitsplätzen und Know-how führt.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Hintze, ich bitte Sie darum, sich als Ratsvertreter und Koordinator der deutschen Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt dafür einzusetzen, dass die Airbus-Standorte in Europa erhalten bleiben und dass das Sanierungskonzept Power 8 so nicht in Kraft treten wird. Die Airbus-Krise und die Fehleinschätzungen des Managements dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden und zu Lasten des Industriestandortes Europa gehen.

 
  
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  Anne Laperrouze, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Man kann davon ausgehen, dass der A380 ein Erfolg wird. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, dass sowohl Los Angeles als auch New York sich bei Airbus darum beworben haben, als erste Stadt den europäischen Jumbo empfangen zu können. Doch Airbus steckt aufgrund von Managementfehlern in einer Krise, die den bekannten Sanierungs- und Umstrukturierungsplan „Power 8“ zur Folge hatte.

Die Airbus-Manager müssen Lehren aus ihrem wirtschaftlichen Missmanagement ziehen, das zu Auslieferungsverzögerungen geführt hat. Die Mitgliedstaaten ihrerseits müssen die Zukunft des europäischen Luftfahrzeugbaus sichern. Mit Blick auf das Unternehmensmanagement müssen die Mitgliedstaaten, die Anteile an dem Konzern halten, die dualen Organisationsstrukturen prüfen und das Shareholders’ Agreement neu aushandeln. Außerdem müssen sie sich solidarisch zeigen, um die europäische Flugzeugindustrie zu schützen und auszubauen. Dies erfordert insbesondere zusätzliche Forschungsmittel, die Vergabe öffentlicher Aufträge, rückzahlbare Vorschüsse für notwendige Investitionen an Wirtschaftsstandorten oder sogar eine Aufstockung der Staatsanteile. Genau diese Strategie hat auch der amerikanische Staat mit Boeing verfolgt.

Aus Sicht der Industrie muss der „Power 8“-Plan mit den Gewerkschaften neu ausgehandelt werden, um ihre strategischen Argumente zu berücksichtigen. Warum sollte man die in diesem Plan vorgeschlagene unausgewogene Arbeitsteilung zwischen den französischen und den deutschen Standorten hinnehmen? Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die Fabrikation in Toulouse auf 14 Flugzeuge pro Monat begrenzt werden soll, obwohl dort an zwei Produktionslinien in derselben Zeit 20 Flugzeuge gebaut werden können, während die restliche Produktion des A320 nach Hamburg verlegt wird, wo in eine neue Linie investiert werden muss. Die Arbeitsplatzverluste bei den Lieferanten und Subunternehmern und die wirtschaftlichen Folgen für die Regionen sind nicht hinzunehmen, genauso wenig wie der Verlust an Know-how und Fachwissen, wenn Standorte stillgelegt werden. Warum soll anderen das Innovations- und Entwicklungspotenzial überlassen werden?

Das Auftragsheft von Airbus ist mit 2 589 Flugzeugen gut gefüllt, das Unternehmen hat also in den kommenden Jahren genug zu tun, und aufgrund der Qualität seiner Flugzeuge sollte es diese Krise überwinden können. Doch eigentlich gibt es nur ein Ziel: Airbus muss als europäisches Vorhaben gefördert haben, das Arbeitsplätze schafft und in den Augen der gesamten Welt Innovationen und exzellente Produkte hervorbringt, die das Werk europäischer Männer und Frauen sind.

 
  
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  Gérard Onesta, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Airbus steckt offenkundig in einer Krise, doch diese Krise hat sich bereits angekündigt. Seit Jahren schon habe ich in Toulouse Alarm geschlagen, weil ich dort in nächster Nähe zu Airbus wohne, doch es hat nichts genützt. Seit Jahren schon habe ich vor den gewählten Vertretern gewarnt, die ihre Managementaufgaben dem Kult um den A380 geopfert haben und nun in den Chor der Trauernden einstimmen, die die Folgen ihres eigenen Handels beklagen.

Seit Jahren warne ich vor Managern, die jeden Bezug zur Realität verloren haben. Ein Beispiel – Sie werden sich sicher daran erinnern – ist Herr Forgeard, der das Unternehmen mit mehreren Millionen Euro in der Tasche verlassen hat und selbst nie Zweifel an den Preisen und den Terminen hatte. Ich möchte dem Kommissar in Erinnerung rufen, dass ich die Kommission seit Jahren gewarnt habe und Alternativen wie den Transport von Airbus-Flügeln auf dem Luftweg vorgeschlagen habe, doch ich habe niemals Unterstützung aus der Kommission erhalten.

Nun haben wir es mit einer wirtschaftlichen, aber vor allem mit einer menschlichen Katastrophe für die Airbus-Mitarbeiter und die Subunternehmer zu tun. Europa muss seine Ambitionen in der Luftfahrt ohne Zweifel weiterverfolgen, und auf keinen Fall darf der Luftraum durch den militärisch-industriellen Komplex der Amerikaner und damit durch Boeing kontrolliert werden.

Es gibt fünf Voraussetzungen für einen möglichen Aufschwung. Erstens muss das Flugzeug als Produkt wieder den Stellenwert erhalten, der ihm zusteht, und darf nicht einer wirtschaftlichen Logik und Umweltgesetzen unterworfen werden. Zweitens muss Airbus mit öffentlichen Mitteln saniert werden. Drittens müssen seine Organisationsstrukturen erneuert werden; es muss sich vom Joch des deutsch-französischen Managements befreien, das sowohl bei Airbus als auch in diesem Hause jede Entwicklung hemmt. Viertens müssen die industriellen Strukturen gestrafft werden, indem die Herstellung eines einzigen Flugzeugs nicht mehr auf Dutzende Standorte verteilt wird. Fünftens und letztens muss die Luftfahrttechnik auf die Herstellung anderer Verkehrsmittel und Energiequellen diversifiziert werden, weil dieser Sektor anfällig und risikoreich ist.

Airbus ist reich, sehr reich, doch nur dank des Könnens seiner Mitarbeiter, also lassen Sie uns diesen Reichtum bitte nicht vergeuden.

 
  
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  Jacky Henin, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Airbus wurde uns als Hightech-Unternehmen und als Ersatz für unsere Eisen- und Stahlindustrie sowie für den Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen in der Textilindustrie präsentiert. Dasselbe Unternehmen steht nun vor dem Ruin und ist bereit, seine Mitarbeiter und Subunternehmer zu opfern. Eine beachtliche Leistung für ein Unternehmen, dessen Auftragsbücher für die kommenden sechs Jahre gefüllt sind und das über Gelder in Höhe von 4 Milliarden Euro verfügt.

Airbus könnte hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, würde nicht die Seuche des Wirtschaftsliberalismus um sich greifen. Ich kann dem Haus bestätigen, dass sich Arbeitsplätze und Entwicklung nicht gut mit einer Politik vertragen, die den Euro stärken will, und vor allem nicht mit der für Privataktionäre so charakteristischen Gier nach Dividenden. Sie wollen personelle und materielle Investitionen kürzen und vertrauen eher auf ihre Finanzberater als auf das Können der Mitarbeiter.

Tatsache ist, dass „Power 8“ mit der Vernichtung von 10 000 Arbeitsplätzen und der Reduzierung der Subunternehmer um ein Sechstel genau das zerstört, was den Reichtum von Airbus ausmacht: das Know-how seiner Mitarbeiter und das Netzwerk seiner Subunternehmer, auf deren Zusammenarbeit sich Airbus gestützt hat. Ebendiese Zusammenarbeit hat aus Airbus ein leistungsfähiges Unternehmen gemacht, und diesen Status quo wird „Power 8“ zunichte machen, indem er Konkurrenz zwischen den Mitarbeitern, Standorten und Ländern schafft. Dagegen wehren sich die Arbeitnehmer zu Recht. Dieses Programm wird weder den gegenwärtigen noch den künftigen Bedürfnissen des Unternehmens gerecht und muss daher zurückgezogen werden. Wenn Airbus seine Schwierigkeiten überwinden soll, dann muss es wieder weitgehend in Staatsbesitz übergehen und öffentlich finanziert werden, denn nur die Mitgliedstaaten sind in der Lage, Luftfahrtvorhaben dieser Größenordnung zu bewältigen.

Darüber hinaus muss die Kommission das System der rückzahlbaren Vorschüsse vor der WTO konsequent verteidigen, denn nur auf diesem Wege können wir die Finanzierung von A350 und NSR sicherstellen. Außerdem muss sie sich dafür einsetzen, dass das Unternehmen niedrig verzinste Darlehen von der EIB erhält. Wenn unsere Luftfahrtindustrie eine Zukunft haben soll, müssen wir dringend einen Europäischen Forschungs-, Beschäftigungs- und Ausbildungsfonds einrichten. In den kommenden zehn Jahren werden sich 30 % der EADS-Mitarbeiter in den Ruhestand begeben; wenn ihr Fachwissen nicht verloren gehen soll, benötigen wir einen umfassenden Neueinstellungs- und Ausbildungsplan. Die Luftfahrtindustrie wird große Herausforderungen bewältigen müssen, die von der Revolution der Verbundstoffe bis zum Ende der Erdölversorgung reichen, und es ist unsere Pflicht, sie dabei zu unterstützen.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Paul Marie Coûteaux, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Die EADS-Affäre ist symptomatisch für das, was wir als die betrügerische Natur der Idee des europäischen Einigungswerks betrachten.

Es ist schon erstaunlich, wenn einige behaupten, dass der Gedanke der Zusammenarbeit in Europa – wie er von den Befürwortern der nationalen Souveränität verfochten wird – gescheitert ist, wenn wir doch gleichzeitig miterleben, wie die Idee der Zusammenarbeit, die den ersten Airbus-Modellen einen solchen Erfolg beschert hat, nach der Übernahme von Airbus durch EADS zugunsten eines integrativen Ansatzes aufgegeben wurde, der durch Privatisierungen, Zusammenschlüsse und schließlich Fusionen zur Gründung von EADS geführt hatte. Als erstes Ergebnis wurden das Airbus-Programm und die vielen damit zusammenhängenden Arbeitsplätze vor allem in Frankreich aufs Spiel gesetzt.

Im Übrigen hat sich Frankreich gefügt und eingewilligt, mit dem deutschen Partner sowohl das Fachwissen, das es seit vielen Jahren, man könnte sogar sagen seit Beginn der Luftfahrt erworben hat, als auch die zahlreichen öffentlichen Investitionen in den Sektor zu teilen. Auf diese Weise konnte Europa verhindern, dass das Monopol in der Luftfahrt den beiden Riesen der Weltmächte, der US-amerikanischen Boeing und der russischen Tupolew überlassen wird.

Außerdem sei darauf verwiesen, dass Deutschland im Gegenzug seine Vormachtstellung im Bereich des Maschinenbaus nicht aufgegeben hat. Nichtsdestotrotz hat diese Zusammenarbeit zu positiven Ergebnissen geführt, bis nicht der Liberalismus, sondern die weit verbreitete Ideologie des Freihandels besonders in Frankreich zur Privatisierung der großen Flaggschiffe der Wirtschaft und vor allem der Flugzeugindustrie geführt hat. Profitiert haben davon Unternehmen, in denen Englisch gesprochen wurde, die ihren Sitz in den Niederlanden hatten und die niederländischem Recht unterlagen. Danach begannen die Schwierigkeiten. Zum Abschluss möchte ich eines sagen: Wenn etwas gescheitert ist, dann der integrative Ansatz von EADS.

 
  
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  Gunnar Hökmark (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Am heutigen Abend geht es um zwei Themen, die wir nicht miteinander verwechseln sollten. Erstens um das Problem der Arbeitslosigkeit, dessen sich die Mitgliedstaaten mit der erforderlichen Unterstützung der Union und der einzelnen Sozialfonds – worauf der Kommissar bereits verwiesen hat –, aber nicht durch eine größere politische Einmischung in die europäische Flugzeugindustrie annehmen sollten.

Zweitens geht es um die Zukunft der europäischen Flugzeugindustrie. Wenn es eine Zukunft geben soll, dann muss sie sich auf wirtschaftliche Entscheidungen und Marktbedingungen und nicht auf politische Diskussionen in Parlamenten oder Regierungen stützen. Gerade die Einmischung zu vieler Regierungen und zu vieler Parlamente und zu viel Politik führt zu Problemen und hemmt die Entscheidungen, mit denen der europäischen Flugzeugindustrie die größten Chancen eröffnet werden könnten.

Die Aufgabe von Airbus muss darin bestehen, die weltweit besten Flugzeuge herzustellen und zu liefern, und nicht darin, politische Versprechen bestimmter Länder oder Regierungen zu erfüllen. Meines Erachtens können wir dazu nur auf eine Weise beitragen. Natürlich müssen wir Forschung und Wissenschaft so gut wie möglich fördern, aber wir müssen auch sicherstellen, dass wir über einen funktionsfähigen Markt verfügen – und, was ganz entscheidend ist, über einen funktionsfähigen transatlantischen Markt. Wir müssen bei unseren Gesprächen unbedingt darauf achten, dass die Verantwortung der Flugzeugindustrie und von Airbus innerhalb des Unternehmens und des Managements bleibt, weil anderenfalls die Entscheidungsfindung gespalten, kompliziert und bürokratisch wird und neue Pleiten mit sich bringen kann. Meines Erachtens sollten wir uns für eine neue Erfolgsbilanz entscheiden und dem Unternehmen einen größeren Handlungsspielraum einräumen, indem wir seine Unabhängigkeit wahren und es nicht an der politischen Entscheidungsfindung beteiligen.

 
  
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  Karin Jöns (PSE). – Herr Präsident! Volle Auftragsbücher und die Tatsache, dass Airbus mit Boeing um Platz 1 auf dem Weltmarkt konkurriert, sprechen für die hohe Kompetenz der Beschäftigten und ihre Identifikation mit dem Produkt. Die gemachten Fehler fallen nicht in die Verantwortung der Arbeitnehmer. Sie haben gute Arbeit geleistet und sie tun es weiterhin.

Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie kann auch in Zukunft nicht auf dieses Know-how aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Spanien und Deutschland verzichten. Tragflächen für Hightechflugzeuge zu entwickeln und zu montieren, wie das bei mir in Bremen geschieht, erfordert ein besonderes Können. Mit einem Flugzeug kann man nicht einfach rechts ran fahren.

Wir haben es hier mit gravierenden Managementfehlern zu tun. Kurzsichtigkeit hochbezahlter Manager darf nicht dazu führen, dass jetzt Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Auch geht es nicht an, dass die Airbus-Entscheidungen weder den Beschäftigten noch dem europäischen Betriebsrat plausibel erklärt wurden. Für mich wird hier einmal mehr deutlich, wie dringend wir eine Novellierung der europäischen Betriebsräterichtlinie brauchen. Sie ist mehr als überfällig.

Herr Hintze, Ihnen sei auch noch einmal gesagt: Entwicklungszeiten für neue Flugzeugtechnologien beliebig zu verkürzen, geht nicht. Sich allein von Marketinggesichtspunkten leiten zu lassen, rächt sich bitter.

 
  
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  Gabriele Zimmer (GUE/NGL). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie lange wollen Kommission und Rat es schweigend hinnehmen, dass Konzernleitungen ihr eigenes Versagen durch den Abbau von Arbeitskräften kompensieren wollen? Sowohl die französische als auch die deutsche Regierung müssen zum Jagen getragen werden. Auch jetzt sind ihre Bekenntnisse gegen den Stellenabbau nur halbherzig und dienen letztendlich mehr der Eigendarstellung als einer tatsächlichen Lösung.

Wir fordern deshalb, dass Power 8, das so genannte Sanierungsprogramm, zurückgenommen werden muss. Die Airbus-Beschäftigten in Frankreich und in Deutschland dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. In einem so wichtigen Bereich wie der Luft- und Raumfahrt muss neben der Finanzierung endlich auch die öffentliche Kontrolle gesichert werden.

Die EU sollte sich entschieden für Airbus einsetzen. Niedrig verzinste Kredite könnten über die EIB sichergestellt werden und dazu dienen, dass Beschäftigung, Qualifizierung, Entwicklung und Forschung gestärkt werden. Wir unterstützen jedenfalls den am 16. März stattfindenden europäischen Aktionstag der Beschäftigten und der Gewerkschaften vor Ort und erklären uns mit ihrem Kampf solidarisch.

 
  
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  Kader Arif (PSE).(FR) Herr Präsident! Eingangs möchte ich meine Verbundenheit mit all denen zum Ausdruck bringen, die für Airbus oder seine Subunternehmer tätig sind und denen ihre Entlassung angekündigt wurde. Sie zahlen heute für die Management- und Verwaltungsfehler und für die Fehler desinteressierter Aktionäre, die finanziellen Erwägungen den Vorrang vor den Interessen der Branche gegeben haben. Doch die Solidarität der Arbeitnehmer in ganz Europa wird stark genug sein, um eine Änderung des Umstrukturierungsplans zu bewirken.

Dieser Fall zeigt auch die Mängel des sozialen Dialogs in Europa auf. Die Arbeitnehmervertreter werden vollständig aus den Entscheidungsstrukturen ausgeschlossen. Europa trägt zwar nicht die Verantwortung für diese Situation, doch da Airbus ein Flaggschiff und ein Symbol für die europäische und die Weltwirtschaft ist, wird von Europa eine Antwort erwartet. Wir sollten einer öffentlichen Sanierung dieser Unternehmen, rückzahlbaren Vorschüssen, Forschungs- und Entwicklungsmitteln, einer Berücksichtigung der Probleme, die sich aus dem Wechselkurs zwischen Euro und US-Dollar ergeben, sowie einer Reform des Unternehmensmanagements und des Aktionärspakts zustimmen. Wir müssen mit Hilfe der EIB und des Globalisierungsanpassungsfonds eingreifen. Der Fortbestand des Unternehmens wird heute durch die Fähigkeiten seiner Angestellten gesichert. Dies verdient unsere Unterstützung.

(Beifall)

 
  
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  Inés Ayala Sender (PSE).(ES) Herr Präsident! Ich möchte unsere tiefe Besorgnis über die gegenwärtige Airbuskrise und unsere Solidarität mit den betroffenen Arbeitnehmern zum Ausdruck bringen, die unsere uneingeschränkte Unterstützung verdienen.

Wir hoffen, dass das Umstrukturierungsprogramm „Power 8“ das Unternehmen erneut flott machen und die Wettbewerbsfähigkeit eines europäischen Projekts, das bisher die Zukunft der industriellen Innovation in der Europäischen Union repräsentiert hat, wiederherstellen kann.

Wir empfehlen ebenfalls, aus den Managementfehlern, dem unlauteren Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Streitigkeiten zu lernen. Wir müssen dafür sorgen, dass die industrielle und unternehmerische Effizienz sowie die fortschrittlichsten Innovationen Vorrang vor überholten politischen Querelen haben.

Weiterhin möchten wir den Airbus-Mitarbeitern in ganz Europa – auch jenen in Puerto Real, Getafe und Illescas – sagen, dass das Europäische Parlament bereit ist, mit den Gewerkschaften und dem Management zusammenzuarbeiten, um ihnen alle erforderliche Unterstützung zu leisten und sie zu ermuntern, nicht aufzugeben.

Wir fordern die Kommission und den Rat auf, die Kräfte zu vereinen, um eine klare und dauerhafte Lösung für sie zu finden.

 
  
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  Peter Hintze, amtierender Ratspräsident. – Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe mit Interesse die Debatte verfolgt. Es geht hier um ein ernstes Thema. Das Thema lautet: Wie können wir uns in Europa eine starke Luft- und Raumfahrtindustrie erhalten? Da muss der Grundsatz gelten, dass die Wirtschaft die Wirtschaft macht und die Politik die Politik, und diese Unterscheidung ist wichtig, wenn wir unserem Thema gerecht werden wollen.

Hier haben verschiedene Rednerinnen und Redner darauf hingewiesen, dass es Airbus einerseits im Moment gut geht, andererseits jedoch Probleme zu bewältigen sind. Das ist richtig. Aber wir müssen auch einen Blick in die Zukunft tun. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben im Flugzeugbau Europa lange Zeit unterschätzt. Aus ihrer Sicht hat sich das gerächt. Man hat hier eine ganze Zeit lang einen Wettbewerbsvorteil verspielt. Wir in Europa müssen aufpassen, dass wir Asien nicht unterschätzen und dass uns das Gleiche passiert. Das heißt, gerade in Zeiten, wo die europäische Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie noch eine gewisse Kraft hat, eine innovative und finanzielle Kraft, muss sie sich auch so weiterentwickeln, dass sie wettbewerbsfähig bleibt und dass sie auch zukünftige Herausforderungen bewältigt und auch mit den aktuellen Problemen fertig wird, die sich aus der Auslieferungsverzögerung beim A380, der Entwicklungsverzögerung beim A350 und aus der Dollarschwäche heraus ergeben.

Die Entscheidung, was richtig und was falsch ist, muss das Unternehmen treffen. Ich käme nie auf die Idee, Frau Abgeordnete, zu sagen, die Politiker sollen vorschreiben, wie lange die Entwicklungszeit für ein Flugzeug dauert. Das wäre absurd. Das muss das Unternehmen entscheiden. Das ist eine technologische Frage und eine unternehmerische Entscheidung, aber absolut keine politische Frage. Ich würde auch nie einem Unternehmen vorschreiben, was es am Markt anbieten soll oder nicht. Aber klar ist: Wenn man den Markt nicht richtig einschätzt, wenn das nicht ständig überprüft wird, dann kommt ein Unternehmen in Schwierigkeiten.

Weil hier viele von den Beschäftigten gesprochen haben, möchte ich darauf hinweisen, dass das Unternehmen uns gegenüber erklärt hat, dass es das, was es an Verschlankung vornehmen will, sozialverträglich vornehmen will, dass es keine direkten Entlassungen plant und dass sich dieser Prozess über mehrere Jahre erstreckt. Ich füge hinzu: Es liegt im Interesse von Airbus, mit seinen hochqualifizierten Mitarbeitern intensive Gespräche über die notwendige Restrukturierung zu führen.

Das Unternehmen kann nur gewinnen, wenn es das Projekt als ein gemeinsames Projekt von Management und Arbeitnehmerschaft versteht und diesen Dialog sucht und weiterführt.

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Kommission teilt die hier geäußerte Sorge, dass es für die Zukunft der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie nicht gut sein kann, wenn im größten Unternehmen dieses Sektors Arbeitsplätze abgebaut werden und damit Kompetenz und Erfahrung verloren geht. Wir haben ja schon gesagt, dass die Kommission die Instrumente einsetzen wird, die uns auf europäischer Ebene zur Verfügung stehen, um den Betroffenen zu helfen, die Folgen des Strukturwandels zu bewältigen.

Es ist vollkommen richtig, was hier gesagt worden ist: Die Probleme, die dieses Unternehmen hat, haben wirklich gar nichts mit der Qualifikation der Mitarbeiter zu tun. Dies steht außerhalb jedes Zweifels.

Neben den Maßnahmen, die wir ergreifen können — und auch ergreifen werden, falls dies notwendig sein sollte —, sind wir im Augenblick dabei, einen sehr entscheidenden Schritt zu tun, um gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen für die europäische Luftfahrtindustrie zu schaffen.

Die Kommission wird am 22. März die schriftliche Klage gegen die USA bei der Welthandelsorganisation einreichen, um gegen die maßlose Subventionierung von Boeing durch den amerikanischen Staat vorzugehen, die in die zig Milliarden geht. Auch das ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass wir die Zukunft der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie sichern wollen.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

 

12. Fragestunde (Anfragen an den Rat)
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  Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0012/2007).

Wir behandeln die folgenden Anfragen an den Rat.

Anfrage Nr. 1 von Laima Liucija Andrikiene (H-0174/07)

Betrifft: Weitere Ratifizierung der Verfassung für Europa

Eine der Prioritäten der deutschen EU-Präsidentschaft ist die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses zur Verfassung der EU.

Hat die deutsche Präsidentschaft bereits einen Fahrplan für den weiteren Verfassungsprozess, um eine Verfassung noch vor den nächsten Europawahlen im Jahr 2009 annehmen zu können?

Welche konkreten Schritte unternimmt die deutsche Präsidentschaft, um ihr Ziel einer rechtzeitigen Ratifizierung der Verfassung zu erreichen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Entsprechend dem Auftrag, den der Rat auf seiner Tagung im Juni 2006 erteilt hatte, wird der deutsche Vorsitz im ersten Halbjahr 2007 einen Bericht vorlegen. Der Europäische Rat hatte darum ersucht, in diesem Bericht den Stand der Beratungen über den Verfassungsvertrag einer Bewertung zu unterziehen und mögliche künftige Entwicklungen aufzuzeigen.

Als Teil der Vorarbeiten zu diesem Bericht hat der Vorsitz erste Gespräche mit Vertretern aller Mitgliedstaaten geführt. In den nächsten Wochen wird es auf verschiedenen Ebenen weitere Kontakte geben. Da diese Bemühungen noch andauern, ist der Vorsitz zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage anzugeben, welche Punkte der Bericht gegebenenfalls enthalten wird, und er möchte diesem in keiner Weise vorgreifen.

 
  
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  Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Ich danke dem Mitglied des Rates für seine Antwort, diese Antwort befriedigt mich jedoch nicht, denn dies ist eine der deutschen Prioritäten. Ich habe einige sehr spezifische Fragen gestellt und hätte trotzdem gern, dass das Ratsmitglied das heute vorbereitete Dokument kommentiert (zumindest die wichtigsten, wesentlichen Punkte).

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Verehrte Frau Kollegin! Ich kann hier nichts anderes antworten, als auf das Verfahren hinzuweisen. Wir sind beauftragt worden, einen solchen Bericht auf der Grundlage intensiver Konsultationen mit allen Mitgliedstaaten zu erstellen.

Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Der Bericht wird dem Gipfel im Juni vorgelegt und die letzten Arbeiten an diesem Bericht werden auch erst im Juni dieses Jahres gemacht werden können. Es wäre eine große Beeinträchtigung der Chancen, wirklich weiterzukommen, wenn ich hier irgendwelche Einzelheiten unserer Ideen, die wir in den Bericht einfügen können, bekannt gäbe. Ich kann nur sagen, wir sind im Konsultationsprozess, wir werden ihn bis Juni fortsetzen, und wir werden dann einen umfassenden Bericht vorlegen. Aus diesem Bericht wird sich natürlich auch ergeben, welches die möglichen weiteren Schritte sind. Aber darüber muss dann natürlich der Europäische Rat entscheiden.

 
  
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  Der Präsident. Meine Damen und Herren! Zunächst muss meines Erachtens eine Frage zur Anwendung der Geschäftsordnung geklärt werden: Zu dieser Anfrage lagen uns fünf Zusatzfragen vor. Mit liegen etwa 100 Anfragen an den Rat vor, die nicht alle beantwortet werden können. Ich werde aber versuchen, dass der Rat so viele Anfragen wie möglich beantwortet. Deshalb kann ich nur zwei Abgeordneten pro Anfrage das Wort erteilen. Dabei werde ich selbstverständlich auf das übliche Rotationskriterium zurückgreifen und mich bemühen, dass alle Fraktionen an die Reihe kommen.

 
  
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  Philip Bushill-Matthews (PPE-DE).(EN) Ich danke Ihnen für Ihre Antwort, Herr Ratspräsident. Ich für meinen Teil war damit sehr zufrieden, habe aber absichtlich nicht viel dazu gesagt.

Können Sie, da Sie nun aber von einem Konsultationsprozess sprechen, akzeptieren, dass es zu dieser Konsultation auch gehört, denjenigen Gehör zu schenken, die eine Wiederaufnahme der Verfassung oder gar eines Verfassungsvertrags nicht für eine gute Idee halten? Wir freuen uns auf Ihren Bericht, doch bitte seien Sie bereit, bestimmte Dinge sowohl auszuschließen als auch zu berücksichtigen. Können Sie dem zustimmen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Wir sind in diesem Konsultationsprozess auf eine ganz breite Meinungsbildung angewiesen und akzeptieren alle Vorschläge und alle Berichte, die wir von den einzelnen Ländern bekommen. Die Frage ist nur, was davon in unseren Gesamtbericht aufgenommen wird, aber das können wir erst entscheiden, wenn wir den vollen Überblick haben.

 
  
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  Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Beim letzten Gipfel der Staats- und Regierungschefs brachte Polen seine Unzufriedenheit über das Beschlussfassungsverfahren zum Ausdruck, da dieses seiner Ansicht nach nicht Polens Interessen diene. Es gibt auch bestimmte Länder, die mit der Art und Weise, in der die Mitglieder der Kommission ernannt werden, und mit der Zahl der Kommissare nicht glücklich sind. Kann dies geprüft werden und wird dies einen Einfluss auf die weitere Überarbeitung und Änderung der Verfassung haben?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Selbstverständlich arbeiten wir viel lieber in einem Rahmen von allseits zufriedenen Mitgliedern, aber in diesem Punkt, den ich zu beantworten habe, geht es ja um die Frage der Konsultationen und des Berichts. Da haben wir ein einhelliges Mandat bekommen, ein Mandat, an dem nach meiner Information Polen auch mitgewirkt hat. Hier gibt es keine Schwierigkeiten mit dem Mandat und auch keine Unstimmigkeiten.

Wir hoffen, dass wir auf der Basis dieses Berichts, den wir abzugeben haben, im Kreise aller 27 Mitglieder zusammenfinden und uns über die weiteren Schritte austauschen, die dann zu einem akzeptablen Verfassungsprozess führen werden.

 
  
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  Der Präsident.

Anfrage Nr. 2 von Claude Moraes (H-0077/07)

Betrifft: Fortschritte beim Rahmenbeschluss über die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit

Über welche Fortschritte beim Rahmenbeschluss über die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kann der Rat berichten?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehört zu den Prioritäten des deutschen Vorsitzes im Bereich Justiz und Inneres. Der Ausschuss nach Artikel 36 hat dieses Instrument im Januar 2007 auf der Grundlage eines deutschen Kompromissvorschlages erörtert. Der deutsche Kompromissvorschlag beruht weitgehend auf dem Luxemburger Kompromissvorschlag aus dem Jahr 2005, der für die große Mehrheit der Delegation eine gute Grundlage für eine Einigung über den Rahmenbeschluss darstellen könnte. Darüber hinaus kam dieses Thema am Rande der Tagung des Rates vom 15. Februar 2007 in Brüssel während des Mittagessens zur Sprache. Der Vorsitz beabsichtigt, auf der Grundlage dieser Beratungen einen überarbeiteten Text zu erstellen und dem Rat auf seiner Tagung am 19. April 2007 vorzulegen.

 
  
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  Emine Bozkurt (PSE), in Vertretung des Verfassers. (NL) Vielen Dank für die Beantwortung der Anfrage. Ich möchte von Ihnen jedoch noch Folgendes wissen: Sie sagten, das Thema käme am 19. April erneut zur Sprache, doch könnten Sie uns einen kurzen Überblick über die konkreten Schritte geben, die wir in den nächsten drei Monaten des deutschen Vorsitzes erwarten dürfen? Was wird ferner, sollten solche Schritte nicht zu erwarten sein, die Weitergabe des Dossiers an Portugal nach Ihrem Dafürhalten im Hinblick auf den weiteren Verlauf bedeuten?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Ich kann eigentlich nur noch einmal wiederholen, dass der konkrete Schritt, den wir am 19. April zu machen beabsichtigen, nämlich einen überarbeiteten Text des Rahmenbeschlusses vorzulegen, ein wichtiger Schritt vorwärts ist. Aus dem Text dieses Rahmenbeschlusses werden sich dann die entsprechenden Aufgaben für die Länder ergeben, was die Verstärkung des Kampfes gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit angeht.

 
  
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  Jörg Leichtfried (PSE). – Ich habe eine eher konkrete Frage, die sich im Zuge unserer Diskussion zu dieser Thematik gestellt hat. Sie betrifft das Aufeinanderprallen zweier Philosophien: Einerseits — wie bei uns in Österreich und bei Ihnen auch — das Vorhandensein eines so genannten Verbotsgesetzes, das gewisse Äußerungen unter Strafe stellt, auf der anderen Seite das Primat der freien Meinungsäußerung, das in anderen europäischen Ländern sozusagen über derartigen Regelungen steht. Wie ist der Stand der Diskussionen im Rat über diese Frage?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Kollege, ich glaube, Sie haben Recht. Man kann Ihnen nicht widersprechen, dass es hier diesen schwer auflösbaren Gegensatz zwischen diesen beiden Rechtsgütern gibt. Insofern wird der Rahmenbeschluss den einzelnen Mitgliedstaaten einen breiten Spielraum lassen, um ihre konkreten Entscheidungen entsprechend der Rechtskultur im jeweiligen Land zu treffen.

Zum Beispiel wird der Rahmenbeschluss nicht irgendwelche Aussagen bezüglich einzelner historischer Ereignisse machen, deren Leugnung dann unter Strafe zu stellen wäre. Das ist dann eine Angelegenheit, die jedes Land selbst entscheiden muss. Der Rahmenbeschluss muss jedoch sicherlich eine Aussage darüber machen, dass das öffentliche Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von Völkermorden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe gestellt werden soll.

Wie nun im Einzelnen ausgeführt und begründet wird, was genau einen solchen Straftatbestand auslöst und was womöglich nach Auffassung des einzelnen Landes noch dazu kommen muss, wird sicherlich eine Angelegenheit der Mitgliedstaaten bleiben und in diesem Rahmenbeschluss nicht im Einzelnen geregelt werden können.

 
  
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  Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Ich versuche noch immer ein klares Bild davon zu erhalten, was unter der deutschen Präsidentschaft erreicht werden soll. Während der luxemburgischen Präsidentschaft war es nicht möglich, eine Einigung zu erzielen. Verstehe ich es richtig, dass Anstrengungen unternommen werden, um zumindest eine minimale Harmonisierung der für die Bestrafung der Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Informationen geltenden Rechtsvorschriften zu erreichen, oder wird es etwas anderes sein?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Zu dem, was wir vorhaben, darf ich nochmals auf meine Antwort von eben verweisen. Ich kann nur noch einmal sagen, dass es im Bereich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit um die Definition von eher abstrakten Tatbeständen geht, über die in diesem Rahmenbeschluss Einigung erzielt werden soll. Ich möchte nicht nochmals darauf eingehen, was ich eben gesagt habe. Die Ausführung und die Entscheidung im Einzelnen wird weiterhin Sache der Länder bleiben.

 
  
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  Der Präsident.

Anfrage Nr. 3 von Marie Panayotopoulos-Cassiotou (H-0080/07)

Betrifft: Altersgrenze für elektronische Spiele mit Gewaltszenen

Welche direkten Initiativen wird die deutsche Präsidentschaft ergreifen, um die Verbreitung von Videos und elektronischen Spielen mit Gewaltszenen zu stoppen, da in der gesamten europäischen Gesellschaft deswegen Besorgnis herrscht und da die Gefahren durch die Verbreitung dieser Videos und Spiele zunehmen?

Ist die Präsidentschaft der Auffassung, dass Maßnahmen zur Eingrenzung von Gewalt und zur Einschränkung der Verbreitung von Video- und Elektronikspielen, die Gewalt transportieren, mit den Regeln des freien Wettbewerbs und der freien Meinungsäußerung in Widerspruch stehen könnten?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Auf dem informellen Treffen der Justiz- und Innenminister vom 14. bis 16. Januar in Dresden haben sich die Minister darauf verständigt, sich beim Thema Gewaltvideos und Gewaltspiele zunächst einen Überblick über die verschiedenen nationalen Regeln in diesem Bereich zu verschaffen. Die angestrebte Bestandsaufnahme der geltenden nationalen Regelungen soll sie Grundlage für einen Vergleich der Schutzstandards, Interventionsmöglichkeiten und Sanktionen sowie für eine Orientierung der Mitgliedstaaten am besten System bilden.

Die Ratspräsidentschaft hat in der Folgezeit einen Fragebogen erarbeitet, auf dessen Grundlage die Rechtslage in den Mitgliedstaaten zu Gewalt verherrlichenden Medien — insbesondere Video- und Computerspiele sowie Filme — erfasst werden soll. Der Fragebogen ist umfassend angelegt und erstreckt sich auch auf die Vorschriften zum Jugendschutz. Er bezieht sich auf allgemeine Verbote im Strafrecht und in anderen Rechtsvorschriften, auf speziell dem Schutz Minderjähriger dienende Verbote sowie auf Alterskennzeichnungssysteme.

Der Fragebogen wird auch das Problem aufgreifen, inwiefern das Recht der freien Meinungsäußerung in den jeweiligen nationalen Rechtssystemen sichergestellt wird. Gegenstand der Abfrage sollen schließlich die in den Mitgliedstaaten verbotenen Gewaltspiele sein, die auf einer gesonderten Liste erfasst werden sollen. Angestrebt ist eine kurzfristige Übermittlung des Fragebogens an die Mitgliedstaaten, von denen Rückmeldungen bis April erbeten werden sollen. Auf der Grundlage der noch im Anschluss an das erste Halbjahr 2007 vorgesehenen Auswertung der Abfrage soll das Ziel, in diesem Bereich einen EU-weiten Schutzstandard zu schaffen, weiterverfolgt werden.

 
  
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  Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich danke dem amtierenden Ratspräsidenten für seine Antwort. Ich wünsche ihm bei der Erfassung der Antworten für den Fragebogen viel Glück und gratuliere ihm zu dem kurzfristigen Zeitplan.

Meine Frage betrifft nicht die Altersgrenzen, wie der Ratspräsident sagte; sie betrifft das Verhältnis zwischen dem Verbot einerseits und dem Binnenmarkt andererseits. Als Beispiel möchte ich mein Land anführen, das Glücksspiele verboten hat und das vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften auf der Grundlage von Binnenmarktbestimmungen verurteilt wurde. Sie haben ebenfalls das Thema Meinungsfreiheit angesprochen, das auch ein Thema ist, das einem Verbot hinderlich sein wird.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Frau Kollegin! Ich glaube, Sie haben ganz richtig verstanden, was wir machen wollen. Wir wollen einen gemeinsamen EU-Schutzstandard erreichen. Im Augenblick konnte ich Ihnen aber nur schildern, wie wir das machen. Im Grunde genommen ist das die Abfrage von best practice. Wir haben bisher in der Tat in der EU sehr verschiedene Regelungen, und unsere Idee ist, mit diesem Fragebogen zu ermitteln, was wie funktioniert, welche Erfahrungen wo gemacht worden sind, um dann zu einem gemeinsamen EU-Schutzstandard zu kommen, indem wir einfach vergleichen und schauen, was als Gemeinsamkeit dabei herauskommen kann.

Wir sehen angesichts der großen Unterschiede in der Praxis in den verschiedenen Ländern eigentlich keine andere vernünftige Möglichkeit als zunächst einmal eine solche Abfrageaktion durchzuführen und dann nach den best practice-Beispielen zu suchen.

 
  
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  Inger Segelström (PSE). – (SV) Die Fragestellerin verlangt eine Altersgrenze für Spiele. Es gibt bereits eine teilweise von der EU finanzierte PG-Kennzeichnung. In meinem Heimatland Schweden werden alle Computerspiele in Zusammenarbeit zwischen der Branche und dem Staat mit einer Altersgrenze versehen, das heißt +3, +7, +12, +16, +18 Jahre. Darüber hinaus liegt allen Computerspielen eine Inhaltsbeschreibung bei, aus der das Vorhandensein von Diskriminierung, Drogen, derber Sprache, Sex, Nacktheit, Gewalt oder erschreckender oder abscheulicher Inhalte hervorgehen. Es existiert also ein sehr gutes System, an dessen Finanzierung, wie gesagt, die EU beteiligt ist. Rat und Parlament sollten sich mit diesem System vertraut machen, so dass wir es diskutieren können, wenn wir den gegenwärtig von der Kommission erarbeiteten Kinderbericht behandeln.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Sie haben praktisch in einem Zuge den Fragebogen beantwortet und für das schwedische System geworben. Das ist natürlich zulässig, das nehmen wir gerne mit. Nur werden wir uns eben — und das werden Sie verstehen — auch die Informationen über andere funktionierende oder auch nicht funktionierende Systeme holen müssen, bevor wir zu einer Entscheidung über einen vernünftigen gemeinsamen Ansatz der EU kommen. Aber wir werden mit großer Aufmerksamkeit auch Ihre Erfahrungen studieren.

 
  
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  Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte darauf hinweisen, dass bei der Übersetzung der Überschrift meiner Anfrage ein Fehler vorliegt. Meine Frage betrifft nicht die Altersgrenzen, sondern das Verhältnis zwischen dem Verbot und den Binnenmarktregelungen.

 
  
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  Der Präsident. – Die Klarstellung wird natürlich ins Protokoll aufgenommen.

 
  
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  Paul Rübig (PPE-DE). – Mich würde interessieren, ob es möglich wäre, auf europäischer Ebene eine Meldestelle einzurichten, wo man elektronisch jene Dinge übermitteln kann, die uns als besonders anstößig erscheinen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Da ich ja geschildert habe, dass wir uns im Augenblick sozusagen im Stadium der Bestandsaufnahme befinden, nehme ich Ihren Vorschlag einfach als eine Ergänzung zu den verschiedenen Beispielen hinzu, die wir gerade sammeln, und danke Ihnen herzlich.

 
  
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  Der Präsident.

Anfrage Nr. 4 von Sarah Ludford (H-0083/07)

Betrifft: Korruptionsbekämpfung

Gemäß Artikel 9 des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI(1) des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor hatten die Mitgliedstaaten dem Rat und der Kommission bis Juli 2005 den Wortlaut der Bestimmungen mitzuteilen, mit denen sie die aus diesem Rahmenbeschluss ergehenden Verpflichtungen in ihr innerstaatliches Recht umgesetzt hatten. Auf der Grundlage eines anhand dieser Angaben erstellten Berichts und eines schriftlichen Berichts der Kommission sollte der Rat vor dem 22. Oktober 2005 überprüfen, inwieweit die Mitgliedstaaten den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses nachgekommen waren. Hat der Rat diese Überprüfung vorgenommen?

Hat der Rat insbesondere umfassende Angaben über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses von 2003 in das Recht des Vereinigten Königreiches erhalten, und warum gab es seines Erachtens im Vereinigten Königreich keine Verfahren wegen Bestechung ausländischer Amtsträger? Inwieweit ist der Rat der Auffassung, dass der im Dezember 2006 gefasste Beschluss der Regierung des Vereinigten Königreichs, die Untersuchung der Bestechungsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Al Yamamah-Waffengeschäft von BAE Systems mit Saudi-Arabien einzustellen, a) mit den Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs laut dem EU-Rahmenbeschluss vereinbar, b) mit den Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs gemäß dem OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr von 1997 vereinbar und c) hilfreich bei den Versuchen der EU war, der Korruption bei Handelsgeschäften weltweit ein Ende zu machen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Der Rat hat den Bericht der Kommission über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor in das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten noch nicht erhalten. Deshalb hat der Rat die Frage, ob die Mitgliedstaaten den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses nachgekommen sind, auch noch nicht geprüft.

Der Rat hat jedoch Informationen über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses von 2003 zur Bestechung im privaten Sektor in britisches Recht erhalten. Gemäß Artikel 9 des Rahmenbeschlusses überprüft der Rat, inwieweit die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses angenommen haben.

Der Rat ist dagegen nicht verpflichtet, zu überprüfen, auf welche Weise in den Mitgliedstaaten Verfahren durchgeführt werden. Es ist auch nicht Aufgabe des Rates, sich zu den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des von der Frau Abgeordneten genannten OECD-Übereinkommens zu äußern.

 
  
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  Chris Davies (ALDE), in Vertretung des Verfassers. – (EN) Dem britischen Unternehmen BAE Systems wird vorgeworfen, sich der Bestechung schuldig gemacht zu haben, um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber europäischen Waffenhändlern in Saudi-Arabien zu erlangen. Außerdem sollen unabhängige Ermittlungen in diesem Fall von der britischen Regierung unterbunden worden sein. Damit werden nicht nur unzählige Grundsätze der Europäischen Union, sondern auch Wettbewerbsregeln verletzt. Hat der Rat erwogen, die Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die britischen Regierung aufzufordern, und wenn nicht, warum nicht? Was muss erst passieren, damit der Rat mit dem Finger auf eines seiner Mitglieder zeigt?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Kollege! Wir müssen sehr genau darauf achten, welche Rechte der Rat hier hat. Soweit wir informiert sind, geht es in dem von Ihnen angesprochenen Fall von BAE Systems um die mögliche Bestechung von ausländischen Amtsträgern. Das ist nun aber genau der Bereich, der nicht geregelt ist. Geregelt sind Fälle von Bestechung im privaten Bereich, und nicht von Amtsträgern und schon gar nicht von ausländischen Amtsträgern. Insofern ist der Rat nicht gehalten, hier tätig zu werden.

 
  
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  Justas Vincas Paleckis (PSE). – Ich möchte Sie fragen, Herr Minister, ob die Präsidentschaft die Meinung vertritt, dass es vielleicht zweckmäßig wäre, zusammen mit der europäischen Kommission neue Maßnahmen zu erörtern, wie der Kampf gegen Korruption verstärkt werden könnte.

Wir wissen, dass der Korruptionsindex in den verschiedenen EU-Ländern sehr unterschiedlich ist, und es wäre gut, wenn wir gemeinsam ein niedrigeres Niveau erreichen könnten.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Lieber Kollege Paleckis, selbstverständlich ist auch die jetzige Präsidentschaft sehr daran interessiert, insgesamt den Kampf und den Einsatz gegen Korruption, egal in welchem Land, zu verstärken.

Aber ich hatte hier in meinem ersten Teil der Antwort berichtet, dass uns der Bericht der Kommission für die Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses schriftlich noch nicht vorliegt. Ich glaube, es macht Sinn abzuwarten und diesen Bericht dann zu prüfen und zu analysieren, um zu sehen, wo hier eventuell noch Handlungslücken bestehen oder Handlungsbedarf vorliegt, und dann zu entscheiden. Ich glaube aber, dass das ein wichtiger Hinweis ist und dass es durchaus möglich erscheint, dass wir solche Lücken entdecken und dann handeln müssen.

 
  
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  Der Präsident.

Anfrage Nr. 5 von Glenis Willmott (H-0084/07)

Betrifft: Europäische Erklärung zum Gebärmutterhalskrebs

Im Januar hat die europäische Woche zur Verhütung von Gebärmutterhalskrebs stattgefunden. Dabei wurde in einer Erklärung dem Gebärmutterhalskrebs der Kampf angesagt. Inhaltlich umfasst die Erklärung vier Elemente.

Erstens soll die Umsetzung eines wirksamen bevölkerungsbezogenen Gebärmutterhalskrebs-Screening-Programms entsprechend den EU-Leitlinien für die Qualitätssicherung der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs sorgfältig vorbereitet werden, in Abstimmung mit professionell organisierten Aufklärungsprogrammen für die öffentliche Gesundheit, um zu gewährleisten, dass alle Frauen die ihnen angebotenen Dienstleistungen auch uneingeschränkt in Anspruch nehmen.

Zweitens sollen beispielhafte Methoden zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden, damit das Fachwissen, das in einigen Mitgliedstaaten Weltniveau erreicht, EU-weit einheitliche Anwendung findet.

Drittens sollen unabhängige bevölkerungsbezogene Forschungsarbeiten unterstützt werden, in deren Rahmen ermittelt wird, wie die verfügbaren neuen Technologien am besten in die Programme der öffentlichen Gesundheit eingebaut werden können, damit der Rückgang von Gebärmutterhalskrebs EU-weit auf möglichst wirksame Art und Weise sichergestellt wird.

Viertens soll der maßgebliche Anteil, den gemeinnützige, nichtstaatliche und Freiwilligenorganisationen daran haben, dass Gebärmutterhalskrebs inzwischen rückläufig ist, anerkannt und unterstützt werden.

Unterstützt der deutsche Vorsitz diese Erklärung, und falls ja, wird er sich für deren wirksame Umsetzung in der gesamten EU einsetzen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Ich danke der Frau Abgeordneten dafür, dass sie auf diese wichtige Frage aufmerksam gemacht hat. Ich verweise die Frau Abgeordnete ferner auf die Antwort des Rates auf die schriftliche Anfrage E-2552/06 von Jolanta Dičkutė.

In seinen Schlussfolgerungen über die Gesundheit bei Frauen vom 2. Juni 2006, niedergelegt im Amtsblatt C 146 vom 22. Juni 2006, hat der Rat anerkannt, dass der Gebärmutterhalskrebs eine Krankheit ist, die ausschließlich bei Frauen auftritt, was auch in dem Text der Erklärung zum Ausdruck kommt. Der Rat hat betont, wie wichtig spezifische Ansätze für den Umgang mit Frauenkrankheiten sind, und hat die Kommission ersucht, den Austausch von Informationen und Erfahrungen betreffend bewährte Praktiken im Rahmen einer gender-sensitiven Gesundheitsförderung und Vorbeugung zu unterstützen.

Die Erhebung von Daten und der Austausch von Informationen und bewährten Praktiken in Bezug auf den Gebärmutterhalskrebs gehören zu den Maßnahmen, für die im Rahmen des Aktionsprogramms der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit für die Jahre 2003-2008, über das derzeit beraten wird, eine Finanzierung vorgesehen ist. Der deutsche Vorsitz ist entschlossen, eine endgültige Einigung zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament herbeizuführen, die sicherstellt, dass das Programm ab dem 1. Januar 2008 umgesetzt wird.

 
  
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  Glenis Willmott (PSE).(EN) Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Ratspräsident.

Dem Rat wird bekannt sein, dass es mittlerweile einen neuen Impfstoff gibt, mit dem Tausende von Frauen vor Gebärmutterhalskrebs geschützt werden können. Schätzungen gehen sogar davon aus, dass mit diesem Impfstoff bis zu 32 000 Krebserkrankungen bei Frauen verhindert werden könnten.

Kann der Rat vor diesem Hintergrund zusichern, dass ein möglichst umfassendes Impfprogramm in allen 27 EU-Mitgliedstaaten eingeleitet wird, und können Sie ebenfalls zusagen, eine umfassende Informationskampagne durchzuführen, damit alle Eltern ausführlich über die Vorteile eines solchen Programms in Kenntnis gesetzt werden?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Sie haben Recht. Es trifft zu, dass die Zulassung dieses Impfstoffs gegen humane Papillomaviren ein wichtiger Fortschritt bei der Prävention von Gebärmutterhalskrebs ist. Es soll ja so sein, dass durch diese Impfung in 96 bis 100 % der Fälle ein Schutz gegen den Krebs entsteht. Allerdings ist diese Impfung noch sehr neu und die Entwicklung möglicher Impf- und Informationsstrategien — das haben Sie ja auch erwähnt — steht erst am Anfang. Insofern steht in diesem Bereich im Augenblick noch der Austausch von Wissen und Erfahrung im Vordergrund.

Allerdings glauben wir auch, dass über Informationsmaßnahmen, auch über die Umsetzung von entsprechenden Früherkennungsleitlinien, die es hier ja schon gibt, der Schutz wesentlich verbessert werden kann.

 
  
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  Der Präsident.

Anfrage Nr. 6 von Bernd Posselt (H-0086/07)

Betrifft: Beitrittsverhandlungen mit Kroatien

Wie beurteilt der Rat den aktuellen Stand der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, und welche Fortschritte sind für das laufende Jahr noch vorgesehen, wie etwa das Öffnen und Schließen neuer Kapitel?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Kollege Posselt! Der Rat hat Kroatien in seinen Schlussfolgerungen vom 11. Dezember 2006 seine Anerkennung für die erzielten Fortschritte ausgesprochen. Er betonte dabei, dass die Beitrittsverhandlungen gut begonnen haben und erste Ergebnisse erzielt wurden. Gleichzeitig hob der Rat hervor, dass Kroatien nunmehr auf den bisherigen Fortschritten aufbauen muss. Das Tempo der Beitrittsverhandlungen richtet sich weiterhin nach den Fortschritten des Kandidaten. Wie die Präsidentschaft auch im Rahmen der dritten Tagung des Stabilisierungs- und Assoziierungsrates am 6. März gegenüber Kroatien erklärt hat, sollte die kroatische Regierung die Beschleunigung der Reform im Justizwesen und in der öffentlichen Verwaltung besonders aufmerksam vorantreiben.

Im Bereich der Verpflichtungen aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, die von Kroatien noch zu erfüllen sind, hat der Rat die staatlichen Beihilfen und den Erwerb von Immobilieneigentum hervorgehoben. Der Rat begrüßt, dass Kroatien auch weiterhin uneingeschränkt mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zusammenarbeitet, und betont, dass diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden muss. Gleichzeitig sind Verbesserungen bei der Verfolgung und Verurteilung von Kriegsverbrechern durch die kroatische Justiz notwendig. Außerdem muss Kroatien verstärkte Anstrengungen zugunsten gutnachbarlicher Beziehungen unternehmen, wozu auch die erforderlichen Bemühungen um eine Beilegung offener bilateraler Fragen, besonders von Grenzstreitigkeiten, gehören.

Der Rat hat das Screening in Bezug auf 22 Verhandlungskapitel bereits abgeschlossen. Für sieben Kapitel wurden Benchmarks festgelegt, die Kroatien erfüllen muss, damit die Verhandlungen eröffnet werden können. Bezüglich der restlichen 15 Kapitel wurde Kroatien direkt aufgefordert, der Beitrittskonferenz seine jeweilige Verhandlungsposition zu unterbreiten.

Was die Eröffnung und Schließung von Verhandlungskapiteln in den Beitrittsverhandlungen betrifft, so sind zwei Kapitel, nämlich Wissenschaft und Forschung und Bildung und Kultur, eröffnet und vorläufig geschlossen worden. Drei weitere Verhandlungskapitel – Wirtschaft- und Währungspolitik, Unternehmens- und Industriepolitik sowie Zollunion – sind eröffnet worden. Darüber hinaus liegen die Verhandlungspositionen beider Parteien zu Kapitel 7 – das sind die Vorschriften über geistiges Eigentum – vor, das voraussichtlich in Kürze eröffnet wird. Kroatien hat der Konferenz seine Verhandlungsposition zu fünf weiteren Kapiteln übermittelt.

 
  
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  Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Staatsminister! Als EVP-Berichterstatter für den Beitritt Kroatiens hoffe ich, dass die Verhandlungen spätestens vor der nächsten Europawahl abgeschlossen werden können und Kroatien dann schon mitwählt.

Meine konkrete Frage: Halten Sie es für denkbar, dass unter der deutschen Präsidentschaft noch etwa acht Kapitel eröffnet werden, und können Sie mir wirklich zusichern, dass man mit Kroatien nicht strenger umgeht als mit anderen Beitrittskandidaten? Wir im Europäischen Parlament haben nämlich manchmal den Eindruck, als würde man gegenüber Kroatien manches in früheren Erweiterungsrunden an Genauigkeit Versäumte nachholen.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Posselt, Sie können zumindest versichert sein, dass wir einen absolut fairen Umgang mit Kroatien vorantreiben werden. Natürlich haben Sie Recht, dass sich, wenn Sie etwa die Rahmenbedingungen der Verhandlungen mit der Türkei betrachten, im Laufe der Zeit auch das Instrument der Verhandlungen verändert hat, und wenn Sie etwa an die Benchmarks denken, die neu eingeführt worden sind, dann ist es in der Tat so, dass sich der Rahmen und die Instrumente weiterentwickelt haben.

Das ist aber jetzt keine Sache, die speziell Kroatien betrifft, sondern es ist natürlich klar, dass dies bei allen künftigen Beitrittsverhandlungen gelten wird, etwa auch mit den Staaten des Westbalkan, die ja ebenfalls hoffen, dass diese Verhandlungen irgendwann einmal begonnen werden. Das ist also sozusagen keine Lex Croatia, die hier angewandt wird, sondern das ist die Weiterentwicklung der Instrumente im Rahmen der ganzen europäischen Erweiterung.

Was Ihre Bitte um Prognosen angeht, muss ich sagen, dass Prognosen schwierig sind. Ich kann Ihnen eigentlich nur generell sagen, dass wir den Eindruck haben, dass Kroatien insgesamt ein sehr gewissenhafter und sehr engagierter Partner in diesen Verhandlungen ist und dass wir unbeschadet anderer politischer Rahmen- oder Zeitvorstellungen versuchen, die Verhandlungen zügig voranzubringen.

Ich habe ja den Verhandlungsstand, der sehr beachtlich ist, genannt. Wenn Sie sich überlegen, dass Kroatien erst 2003 einen Antrag gestellt hat, 2004 dann den Status eines Beitrittskandidaten bekommen hat, und dass seit letztem Oktober verhandelt wird, dann ist das — auch im Vergleich zu den letzten Verhandlungsprozessen mit den 12 Ländern, die inzwischen in die EU aufgenommen wurden — ein ganz erstaunlich schneller Fortschritt. Wir gehen davon aus, dass beide Seiten hier an einem weiteren schnellen Fortschritt interessiert sind.

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). – Sie haben selbst im direkten Vergleich auch die Türkei angesprochen. Hier wurden einige Verhandlungskapitel ausgesetzt bzw. beschlossen, keine weiteren zu eröffnen. Ist aus der Sicht des Rates hier tatsächlich eine unterschiedliche Geschwindigkeit im Verhandlungsprozess festzustellen, oder ist es im Grunde genommen nur eine formale Maßnahme, die sich irgendwann einmal auswirken wird?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Kollege, Sie wissen ja, dass es einen konkreten politischen Hintergrund für diese zeitweilige Aussetzung der Verhandlungen über bestimmte Kapitel gibt. Es ist in der Hand der Türkischen Republik, dieses Problem zu lösen, so dass man dann wieder zum normalen Rhythmus zurückfinden könnte.

Aber eines gilt natürlich: Wir wissen, dass bei der ganzen Verhandlungsstrategie mit der Türkei ja noch einmal andere Regeln gelten als bei den bisherigen Verhandlungen – auch bei denen, die jetzt parallel dazu laufen –, indem jedes Mal wieder ein Konsensbeschluss nötig ist, um ein Kapitel zu eröffnen oder ein Kapitel abzuschließen. Der Beschluss vom Oktober 2005 gibt allen Mitgliedstaaten die Chance, bei den Verhandlungen eine besonders starke eigene Rolle und auch eine kontrollierende Rolle zu spielen. Das war auch die Basis für den Konsens, Verhandlungen überhaupt erst zu eröffnen. Das ist der türkischen Seite auch klar, und sie hat diesem Ansatz und Prozedere auch zugestimmt.

Insofern kann man nicht sagen, dass hier eine Negativbehandlung stattfindet, sondern der Konsens war anders überhaupt nicht zu erzielen. Beide Seiten haben dem zugestimmt.

 
  
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  Justas Vincas Paleckis (PSE). – Bekanntlich gehören regionale Zusammenarbeit und gute nachbarliche Beziehungen zur europäischen Politik. Sie haben erwähnt, dass es manche Schwierigkeiten in den Beziehungen zu anderen Staaten gibt, z. B. Grenzstreitigkeiten. Liegt es Ihrer Einschätzung nach mehr an Kroatien oder an Nachbarstaaten, dass diese Grenzverträge noch nicht unterzeichnet sind?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Ich möchte eigentlich eine Schuldzuweisung, verehrter Justas Paleckis, vermeiden. Das haben wir bei allen anderen Beitrittsprozessen auch nicht gemacht. Wir haben immer gesagt, dass es unter den Kopenhagener Kriterien eines gibt, das besagt, dass die gutnachbarschaftlichen Beziehungen organisiert sein müssen. Die Probleme mit den Nachbarn – das ist eine Voraussetzung – müssen gelöst sein. Solange uns ein Land nicht bittet, in irgendeiner Weise tätig zu werden, gehen wir davon aus, dass das Land selbst versucht, diese Probleme zu lösen, weil dies eine Voraussetzung für den Erweiterungsprozess und den Beitrittsprozess überhaupt ist. Wir sollten jetzt in diesem Stadium mit Kroatien auch keine andere Politik verfolgen als das, was wir in der Vergangenheit mit den zwölf Staaten gemacht haben, die auch alle in eigener Verantwortung diese Nachbarschafts- und Grenzprobleme gelöst haben. Das gilt ja auch für die baltischen Staaten, obwohl da leider jetzt auch noch einige Dinge nachträglich zu regeln sind. Von dieser guten Übung sollte man jedoch nicht abweichen.

 
  
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  Der Präsident. Da sie dasselbe Thema betreffen werden die folgenden Anfragen gemeinsam behandelt:

Anfrage Nr. 7 von Sajjad Karim (H-0089/07)

Betrifft: Simbabwe

Die derzeitigen Sanktionen der EU gegen das Regime von Robert Mugabe enden am 20. Februar 2007.

Nach der „Operation Murambatsvina“, in deren Zuge 2005 im ganzen Land illegal erbaute Häuser, in denen Hunderttausende von Menschen lebten, zwangsweise geräumt wurden, hat die Regierung von Simbabwe wiederholt Bemühungen der Vereinten Nationen zur Bereitstellung von Notunterkünften behindert und die schutzbedürftigsten Menschen immer wieder gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben.

Kann der Rat daher, auch angesichts der nachweislichen Verletzungen der Menschenrechte der Gegner von Herrn Mugabes Regime zusichern, dass die Tatsache, dass die EU diese Verletzungen nicht hinzunehmen gedenkt, durch eine Verlängerung der Sanktionen deutlich gemacht wird?

Anfrage Nr. 8 von Eoin Ryan (H-0169/07)

Betrifft: Beziehungen der EU zu Simbabwe

Kann der Europäische Rat mitteilen, welche Maßnahmen er angesichts der flagranten Verletzung von Menschenrechten in Simbabwe gegen die Regierung dieses Landes ergreifen wird? Ist sich der Rat darüber im Klaren, dass sich Simbabwe am Rande einer Hungersnot befindet, und ist er sich der Tatsache bewusst, dass die südafrikanische Regierung seit Jahren die Regierung von Simbabwe sowohl politisch als auch wirtschaftlich unterstützt?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Vielen Dank, Herr Präsident, für die Möglichkeit, diese Fragen, die in der Tat sachlich zusammengehören, gemeinsam zu beantworten.

Die Antwort lautet wie folgt: Der Rat kann bestätigen, dass die gegen die Führung Simbabwes verhängten restriktiven Maßnahmen in ihrer gegenwärtigen Form fortgesetzt werden. Am 19.2.2007 ist eine Verlängerung um ein weiteres Jahr erfolgt. Der Rat hat das letzte Jahr hindurch die Lage in Simbabwe aufmerksam verfolgt. Er konnte dabei in Bezug auf die Kriterien, die er als Vorbedingung für eine Wiederaufnahme des Dialogs aufgestellt hat, keine Verbesserungen feststellen.

Die humanitäre und soziale Situation in Simbabwe wird vom Rat mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Humanitäre Hilfe unter Einschluss von Nahrungsmittelhilfe wird im notwendigen Umfang geleistet. Der Lage der Menschenrechte in Simbabwe gilt das besondere Augenmerk des Rates. Im September 2006 wurden gewaltsame Übergriffe auf demonstrierende Gewerkschaftler zum Anlass genommen, in einer Erklärung die Regierung von Simbabwe aufzufordern, „die Einschüchterung und die Übergriffe einzustellen und die Menschenrechte und Grundfreiheiten der Bürger zu achten“. In diesem Zusammenhang hat die EU ausdrücklich auf die afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker hingewiesen, die auch Simbabwe unterzeichnet hat.

Auf die am 11. März 2007 gewaltsam aufgelöste friedliche und unter christlicher Schirmherrschaft stehende Kundgebung in Harare, bei der ein Teilnehmer getötet, mehrere verletzt und viele festgenommen wurden, hat die Präsidentschaft umgehend mit einer Erklärung reagiert. Sie hat ihre Besorgnis über die Kriminalisierung dieser friedlichen Veranstaltung durch die simbabwischen Organe ausgedrückt und die umgehende Freilassung der Festgenommenen, deren Zugang zu rechtlichem Beistand und die Gewährung medizinischer Hilfe gefordert.

Die Krise in Simbabwe hat seit Jahren unbestritten negative wirtschaftliche und soziale Auswirkungen für die gesamte Region. Was die Rolle Südafrikas betrifft, so geht der Rat davon aus, dass dieses Land die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in Simbabwe genauestens verfolgt und auf den Südafrika zur Verfügung stehenden Wegen an einer Lösung des Problems arbeitet.

 
  
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  Fiona Hall (ALDE), in Vertretung des Verfassers. – (EN) Herr Präsident! Die Verlängerung der restriktiven Maßnahmen gegen Simbabwe ist ausdrücklich zu begrüßen, doch wie will der Rat angesichts der langen Liste der Menschenrechtsverletzungen, die jüngst um die Misshandlung von Morgan Tsvangirai und einigen seiner Parteikollegen erweitert wurde, und angesichts der Möglichkeit, dass das gegenwärtige Regime auch nach den Wahlen Ende dieses Monats noch im Amt sein wird, auf die nachdrückliche Forderung der Afrikanischen Union reagieren, dass alle ihre Mitgliedstaaten an dem im Dezember in Lissabon geplanten EU/Afrika-Gipfel teilnehmen?

 
  
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  Brian Crowley (UEN), in Vertretung des Verfassers. – (EN) Herr Ratspräsident, vielen Dank für Ihre Antwort.

Nach seiner Festnahme am vergangenen Sonntag konnte Morgan Tsvangirai erst am Dienstag vor einem Gericht Anklage erheben und Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten.

Uns allen sind die bisherigen Menschenrechtsverletzungen bekannt – sie wurden in den vergangen Monaten ausführlich aufgelistet –, doch wir dürfen auch die Folgen für die Bevölkerung nicht vergessen: 3,5 Millionen Flüchtlinge haben Simbabwe verlassen. Zudem lag der Preis für ein Brot am vergangenen Samstag bei 3 000 Simbabwe-Dollar, heute liegt er bei 9 000. Die Arbeitslosenquote beträgt 80 %. Ist es nicht höchste Zeit, dass Nachbarländer wie Südafrika eine kompromisslosere Haltung gegenüber dem korrupten Regime von Robert Mugabe einnehmen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Vielen Dank für Ihre Rückfragen. Ich möchte vielleicht — da das sehr aktuell ist — mit dem Schicksal von Oppositionsführer Morgan Tsvangirai beginnen. Neuesten Informationen zufolge wurden die vierzehn unverletzten Verhafteten — nachdem sie wie gefordert vor Gericht erschienen sind —, inzwischen wieder nach Hause geschickt, weil das Gericht offenbar erkannt hat, dass es überhaupt keinen Handlungsgrund hat.

Dies gilt noch nicht für Morgan Tsvangirai, der offensichtlich schwer verletzt worden ist. Nach den neuesten Informationen hat er einen Schädelbruch erlitten und starke Blutverluste gehabt. Im Augenblick liegt er auf der Intensivstation. Weitere elf Verhaftete sind ebenfalls verletzt worden und konnten deswegen bei der Haftprüfung — wenn man das einmal so modern ausdrückt — nicht erscheinen. Ihr Schicksal ist noch unklar. Wir gehen natürlich davon aus, dass sie genauso wie die anderen Unverletzten ebenfalls frei gelassen werden.

Ich will hier noch einmal betonen, dass die Ratspräsidentschaft ihre große Sorge angesichts dieser Misshandlungen und der schweren Verletzungen von führenden Oppositionellen zum Ausdruck gebracht hat: „Die Präsidentschaft unterstreicht erneut die Verantwortung der simbabwischen Regierung für die Sicherheit und Unversehrtheit der Verhafteten, die Präsidentschaft wird weiterhin die Ereignisse in Simbabwe aufmerksam beobachten“. Wir sind also entschlossen, angesichts dieser dramatischen Entwicklungen hier weiterhin aktiv zu bleiben.

In diesem Zusammenhang will ich noch auf zwei andere Punkte zu sprechen kommen. Der eine ist tatsächlich das Verhalten der anderen afrikanischen Staaten. Natürlich gibt es auch in den anderen afrikanischen Staaten Informationen über das Regime Mugabe, und man ist sich auch darüber im Klaren, dass diese dramatische Entwicklung in Simbabwe, — 80 % Arbeitslosigkeit und eine Inflation, die 5 000 % überschritten hat –, einen gefährlichen Einfluss auf die ganze Region hat.

Gerade aber, weil diese Entwicklung so gefährlich ist, reagieren verschiedene Staaten sehr unterschiedlich. Wir haben hier keine einheitliche Reaktion seitens der afrikanischen Staatenwelt. Zum Beispiel setzt auch das in der Frage angesprochene Südafrika nach wie vor auf stille Diplomatie und will auf diese Weise einen Bruch zwischen den Staaten — gerade mit einem so wichtigen Nachbarstaat — vermeiden. Dahinter stehen sicherlich auch wirtschaftliche Interessen.

Wir bemerken auch, dass es hier einen reziproken Prozess gibt. Je stärker der internationale Druck und die Verurteilung des Regimes Mugabe in Simbabwe ist, desto zurückhaltender werden die afrikanischen Staaten, desto mehr üben sie etwas, was sie selbst vielleicht afrikanische Solidarität nennen. Wir müssen das einfach zur Kenntnis nehmen und versuchen, klug mit dieser Situation umzugehen. Das bringt mich zu der anderen Zusatzfrage, die sich auf die Vorbereitung des für Dezember geplanten EU-Afrika-Gipfels in Lissabon bezieht.

Im Augenblick — und darin sehen wir für unsere Ratspräsidentschaft die wichtigste Aufgabe — steht die inhaltliche Vorbereitung dieses wichtigen Gipfels im Vordergrund. Wir haben ja noch einige andere schwierige afrikanische Themen, die sicherlich auch noch unsere Aufmerksamkeit in diesem Jahr erfordern werden, und deswegen glauben wir, dass wir in diesem ersten Halbjahr vor allem eine substanzielle, eine inhaltliche Vorbereitung dieses Afrikagipfels leisten müssen.

Die Entscheidung, wer zu dem Gipfel eingeladen wird, wird deutlich später fallen, und deswegen werden wir sehr sorgfältig beobachten, was gerade in Simbabwe passiert. Aber eine Entscheidung darüber, wer eigentlich eingeladen werden soll, ist bisher nicht gefallen. Deshalb kann ich diese Frage derzeit auch nicht beantworten.

 
  
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  Jim Allister (NI).(EN) Herr Minister! Ich denke, wir alle begrüßen die Verlängerung der Sanktionen gegen Simbabwe, doch nicht allein angesichts der eklatanten Menschenrechtsverletzungen, die mit den Maßnahmen gegen die Opposition in der vergangenen Woche verbunden waren, reicht dies bei weitem nicht aus. Wird der Rat insbesondere den Druck auf die Nachbarstaaten Simbabwes erhöhen? Sind sie nicht der Schlüssel zur Lösung dieses Problems? Sie sprechen beschönigend von der stillen Diplomatie Südafrikas, doch die Wahrheit ist doch, dass Südafrika dieses Regime jahrelang unterstützt hat, dass Ihre Reaktion auf dieses Verhalten viel zu zurückhaltend ausfällt und Sie hier wirklichen Druck ausüben müssen.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Ich habe dieses Thema eben ziemlich ausführlich angesprochen, allerdings eher in einer beschreibenden Form, indem ich dargestellt habe, mit welchen Befindlichkeiten wir es in der Welt der afrikanischen Staaten zu tun haben, vor allem auch im Kreis der SADC, die in der Region zuständig ist. Wir führen einen Dialog mit den SADC-Staaten darüber, den wir auch fortsetzen werden. Aber unsere Erfahrung ist, dass eine mechanische Erhöhung des Drucks nicht dazu führt, dass die afrikanischen Staaten ihren Umgang mit Simbabwe ändern, sondern es ist fast umgekehrt, dass nämlich dann Reflexe von afrikanischer Solidarität aufkommen.

Wir haben bisher noch keine Antwort gefunden, wie wir damit umgehen, aber wir werden selbstverständlich unseren intensiven Dialog mit den SADC-Staaten, natürlich auch mit Südafrika, fortsetzen. Wir wissen ja noch gar nicht, wie die Reaktion auf diese neuen Vorfälle ist. Im Hintergrund steht da auch die Ankündigung von Mugabe, nun möglicherweise noch einmal zu kandidieren. Darauf fehlen uns bisher die Antworten aus der afrikanischen Umgebung, die sehr wichtig sein werden, um zu entscheiden, wie man darauf reagiert.

 
  
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  Der Präsident.

Anfrage Nr. 9 von Dimitrios Papadimoulis (H-0090/07)

Betrifft: Artikel 301 des Türkischen Strafgesetzbuchs

Während des gesamten Trauerzuges für den armenischen Journalisten Hrant Dink (Istanbul 23.1.2007) haben Tausende von Demonstranten, die den Sarg des Ermordeten begleitet haben, die Abschaffung von Artikel 301 des Türkischen Strafgesetzbuches gefordert, in dem die Verunglimpfung des Türkentums unter Strafe gestellt wird. Egal welcher Druck auch immer bis heute diesbezüglich ausgeübt wurde, er konnte noch keine Änderung dieses Artikels herbeiführen.

Stimmt der Rat dem zu, dass Personen, die aufgrund des besagten Artikels angeklagt werden, automatisch zur Zielscheibe für eine bestimmte Sache werden – wie die jüngste Ermordung von Hrant Dink gezeigt hat? Welche Direktmaßnahmen wird der Rat ergreifen, um eine Änderung des Artikels 301 des Türkischen Strafgesetzbuchs herbeizuführen?

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Die Europäische Union hat umgehend auf die tragische Nachricht von der Ermordung Hrant Dinks reagiert. In seiner Erklärung hat der Vorsitz seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die türkischen Behörden, die für diesen verabscheuungswürdigen Mord Verantwortlichen schnellstmöglich identifizieren und festnehmen werden, und dass die Türkei ihren Weg zur vollständigen Verwirklichung der Meinungsfreiheit unbeirrt fortsetzt.

Wie dem Fragesteller bekannt sein dürfte, hat der Rat wiederholt betont, wie wichtig für ihn die Frage der Meinungsfreiheit ist. Weitere kontinuierliche Bemühungen sind erforderlich, damit die freie Meinungsäußerung in der Türkei in Einklang mit der europäischen Menschenrechtskonvention und der einschlägigen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewährleistet ist.

Die spezielle Frage des Artikels 301 des türkischen Strafgesetzbuches sowie anderer Artikel, die vage Formulierungen enthalten, ist von der EU auf allen Ebenen im Rahmen des laufenden Reformprozesses in der Türkei systematisch zur Sprache gebracht worden.

Auf der letzten Tagung des Assoziationsrates EU-Türkei wurde von Seiten der EU klargestellt, dass die Türkei die vage formulierten Artikel gemäß einschlägigen EU-Standards ändern müsse, falls Richter und Staatsanwälte an einer restriktiven Auslegung dieser Bestimmungen festhalten sollten. Wir erwarten, dass die tragische Ermordung Hrant Dinks einen Wendepunkt darstellt, der mit substanziellen Änderungen des Strafgesetzbuches einhergeht.

Im Übrigen kann der Fragesteller versichert sein, dass die Union die Entwicklung in diesem Bereich auch weiterhin aufmerksam verfolgen und gegebenenfalls auf allen Ebenen zur Sprache bringen wird. Fortschritte in diesem Schlüsselbereich sind von allergrößter Bedeutung für den allgemeinen Fortgang der Beitrittsverhandlungen.

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL), in Vertretung des Verfassers. – (EL) Herr Präsident! Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass der Staatsanwalt erst gestern ein Verfahren wegen Verunglimpfung des Türkentums gegen Attila Yayla, Professor der Politikwissenschaften, eingeleitet hat, der von der Universität Gazi in Ankara vom Dienst suspendiert wurde, weil er den Kemalismus als rückwärtsgerichtete Ideologie bezeichnet hat. Die strafrechtliche Verfolgung macht die Angeklagten ganz klar zur Zielscheibe. Im Falle von Herrn Dink hat die Tatsache, dass er vom Gericht freigesprochen wurde, Fanatiker nicht davon abgehalten, ihn zu ermorden. Deshalb darf der Rat nicht erst Gerichtsurteile abwarten, um eine Änderung des Türkischen Strafgesetzbuchs zu fordern.

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Kollege, Sie werden Verständnis haben, dass ich auf einen Vorgang von gestern hier jetzt nicht im Detail eingehen kann. Allerdings wird durch das, was Sie sagen, leider bestätigt, dass das, was ich hier vorgetragen habe, weiter notwendig ist. Es ist ganz offensichtlich notwendig, auf allen Ebenen – und ich habe geschildert, dass wir das tun – diesen Dialog zu führen, aber auch auf die türkische Seite Druck auszuüben, hier ihre Standards und Gesetze an die europäischen Normen anzupassen.

Das ist ganz entscheidend für die Erfolgschancen der Beitrittsverhandlungen. Das ist im Augenblick der wichtigste Hebel, den der Rat zur Verfügung hat, und wir nutzen diesen Hebel.

 
  
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  Panagiotis Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ich habe aufmerksam zugehört, was der Herr Ratspräsident dem Herrn Papadimoulis geantwortet hat. Ich fürchte, dass wir das Thema ausschließlich auf den tragischen Fall der Ermordung von Hrant Dink reduzieren. Meiner Ansicht nach müssen die Europäische Union und die Mitgliedstaaten – und hier ist der deutsche Ratsvorsitz aufgerufen, seine Rolle wahrzunehmen –, müssen wir alle uns die gefährlichen Ausmaße bewusst machen, die die Entwicklung des nationalistischen Klimas in der Türkei annimmt.

In der Region von Trapezunt, um damit zu beginnen, macht sich derzeit quer durch die politischen Parteien hindurch ein weit gefächertes nationalistisches Klima breit, das nicht nur das Leben von Intellektuellen, Journalisten, Schriftstellern und Künstlern, sondern auch die empfindlichen demokratischen Gleichgewichte im Inland und natürlich die Fortschritte der Türkei auf dem Weg in die Europäische Union gefährdet.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Gernot Erler, amtierender Ratspräsident. Herr Kollege! Was Sie gesagt haben, illustriert noch einmal das Problem mit der Vagheit der türkischen Gesetze. Dazu gehört nicht nur der Paragraph 301 im türkischen Strafgesetzbuch, sondern dazu gehören auch die Antiterrorgesetze. Diese Vagheit ist nicht nur ein rechtspolitisches, sondern auch ein politisches Problem, weil je nach Stimmung, nach politischer Entwicklung plötzlich ein anderer Gebrauch davon gemacht werden kann. Deswegen drängen wir bei den Kontakten mit unseren türkischen Kollegen darauf, dass exakt dort Änderungen stattfinden, damit eine gewisse Rechtsverlässlichkeit entsteht, und sich nicht dann, wenn bestimmte Aufregungen oder bestimmte Tendenzen in der türkischen Politik vorkommen, die Rechtssicherheit der Menschen verändert. Das ist unser wichtiges Ziel. Sie können sich darauf verlassen, dass wir an diesem Ziel sehr engagiert weiter arbeiten werden.

 
  
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  Der Präsident. – Die Anfragen, die aus Zeitgründen nicht behandelt wurden, werden schriftlich beantwortet (siehe Anlage).

Die Fragestunde ist geschlossen.

(Die Sitzung wird um 19.05 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  

(1) ABl. L 192 vom 31.7.2003, S. 54.


13. Benennung in die interparlamentarischen Delegationen (Vorschlag der Konferenz der Präsidenten): siehe Protokoll

14. Hepatitis C (schriftliche Erklärung): siehe Protokoll

15. Reform der handelspolitischen Instrumente der EU (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission über „Grünbuch der Kommission und öffentliche Konsultation über eine mögliche Reform der handelspolitischen Instrumente der EU“ von Enrique Barón Crespo im Namen des Ausschusses für internationalen Handel (O-0002/2007 – B6-0009/2007).

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE), in Vertretung des Verfassers. – (EN) Herr Präsident! Wir haben um diese Aussprache gebeten, um Hintergrund und Zweck des von der Kommission am 6. Dezember 2006 verabschiedeten Grünbuchs näher zu beleuchten.

Die Kommission will mit dem Grünbuch eine Debatte über den Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente wie Ausgleich- oder Antidumpingmaßnahmen sowie Schutzklauseln in Europa auslösen. Diese Initiative ist meines Erachtens zu begrüßen, und ich halte diese Debatte für ausgesprochen sinnvoll. Wir müssen uns viel ausführlicher mit handelpolitischen Fragen und mit den Entscheidungen der Europäischen Kommission und des Rates befassen und sicherstellen, dass diese Entscheidungen von unserem Parlament sorgfältig erörtert werden. Das Parlament muss größere Befugnisse erhalten und die Handelspolitik einer stärkeren demokratischen Kontrolle unterziehen können.

Wir alle erleben derzeit eine Phase, die von vielen als Krise bezeichnet wird. Gegenwärtig fragen sich die Europäer, wofür Europa steht und warum wir überhaupt ein so kompliziertes Konstrukt wie die Europäische Union benötigen. Und angesichts dieser berechtigten Bedenken müssen wir uns unbedingt zentrale Faktoren wie den Stellenwert einer vereinten EU in der globalisierten Welt sowie die grundlegende Tatsache vor Augen führen, dass wir mit einer Stimme die Interessen von 500 Millionen Bürgern in den Verhandlungen mit anderen Handelspartnern auf dem Weltmarkt vertreten und verteidigen können.

Der Welthandel mit seinen Folgen für das Leben unserer Bürger und die Zukunft unserer großen, mittleren und kleinen Unternehmen ist eine wichtige Ursache für die Ängste, die viele Menschen vor der so genannten Globalisierung empfinden. Und auch, wenn viele von uns einen Teil der Kritik für billige Demagogie halten, müssen wir diese Ängste verstehen und uns der angeblichen Unvermeidlichkeit widersetzen, mit der sich diese neue Welt entwickelt, Handel getrieben wird und Wohlstand und Armut verteilt werden.

Es reicht nicht aus, wenn wir Europäern, die ihre Arbeitsplätze verlieren, weil ein Unternehmen plötzlich aus Gründen des Profitstrebens beschließt, in den Osten zu gehen, sagen, dass sich die Zeiten eben geändert hätten und sie sich nicht dem Fortschritt in den Weg stellen dürften. Sie wollen wissen, was vor sich geht, und müssen bei den endgültigen Entscheidungsträgern Gehör finden.

Wir dürfen nicht vergessen, dass es mehr als ein Rezept für Wirtschaftswachstum und Handelsentwicklung gibt. Es ist eine Frage der politischen Entscheidungen, ob die Zukunft Europas großen Handelskonzernen und Importeuren gehören wird oder wir ein Modell aufrechterhalten können, das mit unseren wichtigsten sozialen und ökologischen Belangen vereinbar ist.

Unser Festhalten am Freihandel steht keinesfalls im Widerspruch zu der notwendigen Forderung nach gleichen Spielregeln für alle. Selbst die friedfertigsten Länder der Welt – und Europa gehört in diesen Kreis – wissen, dass ein Eintreten für den Frieden nicht zwangsläufig bedeutet, dass Armeen abgeschafft und Verteidigungsmittel zerstört werden müssen.

Wir sagen also Ja zu den umfangreichen Vorteilen des Freihandels in unserer offenen Welt, und wir sagen Ja zu einer gerechten Durchsetzung der Regeln, auf denen dieser Welthandel beruht.

Wir begrüßen das Grünbuch, mit dem dankenswerterweise eine Debatte zu diesem Thema ausgelöst wird. Aus dem Text und den darin enthaltenen Fragestellungen geht bereits hervor, dass etwas unternommen werden muss, um das gegenwärtige System handelspolitischer Schutzmaßnahmen der Gemeinschaft zu ändern.

Dies mag stimmen. Der aktuelle Fall im Zusammenhang mit Schuhimporten hat gezeigt, dass die Gefahr eines Stillstands nicht von der Hand zu weisen und natürlich für keine der Seiten von Vorteil ist. Niemand hier verteidigt blind ineffektive europäische Produktionsmethoden oder unterstützt in dieser schwierigen Frage einen protektionistischen Ansatz. Eine Reform der handelspolitischen Schutzinstrumente ist denkbar, um sie wirksamer und transparenter zu gestalten.

Das Grünbuch kann als guter Ausgangspunkt dienen, wenn die Ansichten aller Akteure ausreichend berücksichtigt werden und sich Kommission und Rat nicht hinter vorgefassten ideologischen Positionen verschanzen. Außerdem lässt sich der Entscheidungsprozess optimieren, und wir müssen sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten Entscheidungen auf der Grundlage fundierter Studien durch unabhängige Gemeinschaftsgremien und nicht unter Berücksichtigung nationaler Interessen oder, wenn Sie so wollen, nationaler Egoismen treffen.

Es ist daher wichtig, die handelspolitischen Schutzinstrumente zu verbessern und zu stärken, anstatt sie zu verwässern. Andererseits ist auch ein neuer Ansatz bei weniger herkömmlichen Bedrohungen für einen ausgewogenen und freien Welthandel denkbar. Zudem müssen wir uns Praktiken wie dem so genannten Sozial- oder Umweltdumping entgegenstellen, und falls erforderlich sollten im Gemeinschaftsinteresse neue Gegenmaßnahmen ernsthaft in Betracht gezogen werden.

Ich wünsche mir von Herrn Mandelson heute Abend Antworten auf die folgenden Fragen: Erstens wurden die Doha-Verhandlungen wieder aufgenommen, und ich hoffe inständig, dass sie zu einem klaren Erfolg führen werden. Wäre es in diesem Zusammenhang nicht besser gewesen, vor der Wiederaufnahme, mit der unsere Position in Genf womöglich geschwächt wird, den erfolgreichen Abschluss der multilateralen Verhandlungen abzuwarten?

Zweitens, kann Herr Mandelson erklären, warum seine Dienststellen bereits vor Abschluss der öffentlichen Konsultation und ohne Erörterungen im Rat oder hier im Parlament einige fragwürdige Neuerungen umsetzen, die im Grünbuch erwähnt werden?

Drittens, sind Sie nicht der Auffassung, dass es an der Zeit ist, den Gewerkschaften die Möglichkeit einer Beschwerde gemäß dem WTO-Dumpingübereinkommen einzuräumen, da mit dem von der Kommission vorgeschlagenen neuen System handelspolitischer Schutzmaßnahmen allen denkbaren Akteuren, auch denjenigen, die nichts mit der Herstellung von Erzeugnissen zu tun haben, die für diese Untersuchung von Belang sind, eine Rolle zufällt?

Abschließend möchte ich Herrn Mandelson offiziell um seine Zusage bitten, dass das Europäische Parlament in allen Etappen des Prozesses auf dem Laufenden gehalten wird und dass die von seinen Mitgliedern geäußerten Meinungen uneingeschränkt berücksichtigt werden.

 
  
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  Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich denke, ich wurde noch nie in einem Parlament, dessen Vorsitz ich bekleidet habe, um Antworten auf eine einleitende Frage gebeten, mit der ich mehr übereingestimmt habe als mit der Rede, der ich soeben lauschen durfte. Der Abgeordnete hat in seiner Beschreibung meines Erachtens Geist, Zweck und Inhalt unserer Aufgabe in jeder Hinsicht zutreffend und erstklassig erfasst.

Lediglich in einem Punkt kann ich ihm nicht folgen, und zwar wenn er mich fragt, warum unsere Dienststellen in der GD Handel bereits neue Vorschriften umsetzen, bevor die Reform abgeschlossen ist. Es ist mir ein Rätsel, auf welche Vorfälle oder Fragen er sich damit bezieht, und ich würde mich freuen, wenn er mich darüber in Kenntnis setzen könnte, denn mir ist in dieser Hinsicht nichts bekannt.

Am 29. Mai des vergangenen Jahres habe ich das Europäische Parlament über die Notwendigkeit unterrichtet, unsere handelspolitischen Schutzinstrumente zu überarbeiten. Es freut mich, nun wieder hier zu sein und Sie über den aktuellen Stand dieses Prozesses zu informieren. Die Konsultation, die wir im Dezember eingeleitet haben, steht kurz vor dem Abschluss. Im Rahmen dieser Konsultation wurden die Stellungnahmen von Mitgliedstaaten, Unternehmen, NRO, Einzelpersonen und natürlich dem Europäischen Parlament eingeholt, in keiner Weise jedoch die Bedeutung der handelspolitischen Schutzinstrumente in Frage gestellt. Diese Instrumente sind notwendig, um missbräuchlichen Praktiken in einer Weltwirtschaft entgegenzuwirken, in der es keine internationale Entsprechung zu den Wettbewerbsvorschriften gibt, die wir in unseren eigenen nationalen Wirtschaftssystemen für selbstverständlich erachten. Meines Erachtens bilden diese Schutzinstrumente das notwendige Gegenstück zu einer offenen Wirtschaft und stellen sicher, dass diese Offenheit nicht von anderen durch missbräuchliche Handelspraktiken ausgenutzt wird. Im Grünbuch wird die Frage gestellt, ob wir diese handelspolitischen Schutzinstrumente besser einsetzen könnten, ob wir unsere Instrumente an die Veränderungen im globalen Wirtschaftssystem angepasst haben und ob unsere Vorschriften eindeutiger verfasst und transparenter umgesetzt werden könnten.

Ich denke, die Beweggründe für ein solches Vorgehen liegen auf der Hand. Wir haben unsere handelspolitischen Schutzinstrumente zum letzten Mal im Jahr 1996 überarbeitet, und seitdem hat sich mit Blick auf die Geschäftstätigkeit der Gemeinschaftsunternehmen und die Bedeutung der weltweiten Zulieferketten für unsere Wirtschaft viel geändert. Eine weitaus höhere Zahl von EU-Unternehmen produziert vollständig oder teilweise außerhalb der Union für die Einfuhr in die EU. Diese Veränderungen stellen das gängige Verständnis der EU-Produktion und der wirtschaftlichen Interessen der EU in Frage. Sie erschweren eine Definition der Interessen der europäischen Arbeitnehmer, da die Fälle vielschichtiger geworden sind. Doch gerade weil die handelspolitischen Schutzmaßnahmen auf diesen Interessen beruhen, gibt es gute Gründe, unser Vorgehen und die Funktionsweise dieser Vorschriften zu überprüfen.

Allerdings wurde mit dem Grünbuch eine Konsultation eingeleitet; es enthält keinerlei Reformempfehlungen. Dies ist auch nicht sein Zweck. Es wirft eine Reihe von Fragen auf. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich um einen offenen Vorgang handelt und ich keinerlei vorgefasste Meinungen vertrete. Ich wurde gefragt, welche Absichten sich hinter den sechs Fragenkategorien im Konsultationspapier verbergen. Sie wurden lediglich vorgesehen, um die unterschiedlichen Fragestellungen miteinander in Zusammenhang zu bringen. Einige beziehen sich auf die Folgen der Globalisierung für unser System handelspolitischer Schutzmaßnahmen. Andere, insbesondere im Zusammenhang mit der Transparenz, wurden von Akteuren und Fachleuten aufgeworfen, mit denen ich im Juli des vergangenen Jahres informelle Gespräche geführt habe.

Abgesehen von dem Wunsch nach einer intelligenten Debatte und der Wiedererlangung des Konsenses und der Solidarität, auf denen die Schutzinstrumente beruhten und die in einigen aktuellen Fällen unter Druck geraten sind, verbergen sich hier also keinerlei Absichten. Der einleitenden Anmerkung des Abgeordneten, dass wir nationalen Egoismus durch europäische Solidarität ersetzen müssen, schließe ich mich uneingeschränkt an, und diesen Status können wir hoffentlich mit dieser Überarbeitung wieder herstellen.

Ich will Ihnen heute keine grundlegenden Vorschläge unterbreiten, weil dies in diesem Stadium nicht meiner Aufgabe entspricht. Im Moment hören wir noch zu. Wie weit unsere vorgeschlagenen Änderungen gehen, hängt davon ab, was wir hören. Es wurde die Frage gestellt, wie sich diese Überarbeitung mit unseren Bemühungen vereinbaren lässt, die Antidumpingregeln in der WTO zu reformieren. Dies ist in der Tat eine gute Frage, die mein Vorredner noch einmal wiederholt hat. Wir müssen die WTO unbedingt dazu bewegen, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Standards auch von anderen eingehalten werden. Darum bemühen wir uns und werden es auch weiterhin in den Verhandlungen über die Entwicklungsagenda von Doha tun.

Allerdings gehen die Gemeinschaftsvorschriften zu den handelspolitischen Schutzinstrumenten bereits in vielerlei Hinsicht über die Erfordernisse im Rahmen der WTO hinaus. Zu den offenkundigsten Beispielen gehören der zwingende Grundsatz des niedrigeren Zolls sowie die Prüfung des Gemeinschaftsinteresses, die wir in allen Untersuchungen durchführen. Wir haben diese Regeln eingeführt, weil damit das System im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft besser funktioniert. Natürlich werden wir auch andere dazu drängen, vergleichbare Vorschriften einzuführen, doch eine Reform auf internationaler Ebene ist kein leichtes Unterfangen und einige unserer Schlüsselpartner zeigen sich offen gestanden ausgesprochen unerbittlich. Warum sollten wir eine Reform nicht weiterverfolgen, so lange mit unseren Verbesserungen keine Wettbewerbsnachteile verbunden sind und sie die Wirtschaftsinteressen der Gemeinschaft widerspiegeln?

Dieser Punkt steht in Zusammenhang mit der Frage nach der allgemeinen Haltung der EU zu Antidumpingmaßnahmen. Verhalten wir uns protektionistisch oder verfolgen wir eine „Strategie der Reaktion und des Schutzes“? Meines Erachtens ist Protektionismus die Abschirmung eines einheimischen Wirtschaftszweigs vom ausländischen Wettbewerb, von einem fairen Wettbewerb – der Wettbewerb kann hart, muss jedoch auch fair sein. Dieser Zweck wird mit der Gemeinschaftsstrategie der handelspolitischen Schutzinstrumente nicht verfolgt, und darüber werde ich natürlich auch weiterhin wachen. Wir werden nicht zulassen, dass sich unsere handelspolitischen Schutzinstrumente zu Maßnahmen entwickeln, mit denen die Wirtschaft in der Gemeinschaft vor fairem, lauteren Wettbewerb geschützt wird. Ein Protektionist macht keinen Unterschied zwischen harter Konkurrenz und unlauterem Wettbewerb. Wir schon, und auch unser System sieht diese Unterscheidung vor. Dies ist der Unterschied zwischen Schutz und Protektionismus.

Der Gemeinschaftsprozess ist an Beschwerden gebunden. Wir reagieren lediglich, wenn uns aus der Wirtschaft ausreichende Nachweise geliefert werden können, dass eine Gefahr durch unlautere Handelspraktiken besteht, doch wir schützen die europäischen Hersteller ausschließlich vor unlauteren Handelspraktiken, und wir sind gesetzlich dazu verpflichtet sicherzustellen, dass die handelspolitischen Schutzmaßnahmen nicht dem allgemeinen wirtschaftlichen Interesse Europas zuwiderlaufen. Wir gehen umsichtig und vorsichtig, aber vor allem objektiv und unparteiisch vor. Einige Fragen haben sich genau auf diese Erwägung bezogen, nämlich zu gewährleisten, dass die handelspolitischen Schutzinstrumente wirksam sind und der europäischen Agenda für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit dienen.

Wie Sie wissen, fügt sich diese Reform in die europäische Rahmenstrategie ein, die ich im vergangenen Jahr eingeleitet habe und die ausdrücklich dazu bestimmt ist, die EU-Handelspolitik in den Dienst dieser Wachstums- und Beschäftigungsstrategie zu stellen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass die handelspolitischen Schutzinstrumente Teil unserer allgemeineren Strategie sein können und sollten, für Unternehmen gleiche Ausgangsbedingungen im internationalen Wettbewerb zu schaffen. Ich denke, die Akteure sollten sich dazu äußern, wie gut das System diesem Ziel gerecht wird, und dies ist der Zweck dieser Reform.

Die Frage nach der Wirksamkeit unserer Maßnahmen ist angebracht. Es besteht immer die Möglichkeit, die handelspolitischen Schutzmaßnahmen zu überarbeiten, und die Maßnahmen können nur dann ausgedehnt werden, wenn der eindeutige Nachweis erbracht wird, dass sie ihre Funktion erfüllen. Zudem führt die Kommission interne Studien durch, um die Wirksamkeit ihrer Arbeit zu gewährleisten. Die GD Handel hat kürzlich eine Untersuchung eingeleitet, um die Folgen handelspolitischer Schutzmaßnahmen für einige Unternehmen und Sektoren zu analysieren. Ein zuverlässiges System handelspolitischer Schutzmaßnahmen muss sich auf eine solche Untersuchung stützen können.

Es wurde die Frage nach der Information der Öffentlichkeit und nach den Ergebnissen des Konsultationsprozesses gestellt. Wie Sie wissen, verfügt die Kommission über eindeutige Vorschriften für die Transparenz der Entscheidungsfindung. Einige von Ihnen haben womöglich gestern in Brüssel an dem Seminar zum Grünbuch teilgenommen. Diese Veranstaltung war öffentlich und wurde auf der Website angekündigt. Sofern ein Teilnehmer nicht wünscht, anonym zu bleiben, werden wir alle Reaktionen auf das Grünbuch auf der Webseite der GD Handel veröffentlichen. Der Prozess ist in jeder Phase völlig transparent verlaufen.

Abschließend noch ein Wort zur Zusammenarbeit und zum Dialog mit dem Parlament: Sie wissen, dass ich mich in allen wichtigen handelspolitischen Fragestellungen immer wieder an Sie gewandt habe, und dies werde ich auch weiterhin tun. Dem Parlament fällt in dieser Reflexionsphase zu den handelspolitischen Schutzinstrumenten eine entscheidende Rolle zu. Ihr Bericht wird im Mittelpunkt des laufenden Reformprozesses stehen, und ich werde die darin enthaltenen Empfehlungen gründlich prüfen.

Ich danke Ihnen dafür, dass ich mich heute erneut zu Wort melden konnte, und ich freue mich auf meinen nächsten Besuch, um alle erdenklichen Fragen der Handelspolitik mit Ihnen zu erörtern, denen ich mich in diesem Hohen Haus stets bereitwillig stelle.

 
  
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  Christofer Fjellner, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Kommissar Mandelson! Handelspolitische Schutzinstrumente – dieser Name ist recht bezeichnend: ein Instrument, um uns vor dem Handel zu schützen. Uns vor dem Handel zu schützen, ist jedoch sowohl teuer als auch dumm, weshalb es nur wenige Wirtschaftswissenschaftler gibt, die die Nutzung dieses Instruments befürworten. Ich selbst habe hier in diesem Hause mehr als einmal darüber berichtet, wie beispielsweise Verbraucher aufgrund begrenzter Produzenteninteressen zur Zahlung astronomischer Preise gezwungen werden. Tatsache ist jedoch, dass wir auch in Zukunft in irgendeiner Form handelspolitische Schutzinstrumente haben werden. Bis wir ein gemeinsames Wettbewerbsrecht auf der ganzen Welt haben, werden wohl alle Länder das Bedürfnis haben, sich davor zu schützen, was sie als unfairen Handel ansehen. Deshalb müssen wir meines Erachtens das Instrument jetzt so entwickeln, dass es legitim ist und von allen – Produzenten, Importeuren, Verbrauchern und allen Mitgliedstaaten – als solches verstanden wird.

Wir müssen von den vorhersehbaren Konflikten Norden gegen Süden und Produzenten gegen Importeure und Verbraucher wegkommen, denn die Konflikte an sich untergraben das Vertrauen in das Instrument und letztendlich in die Handelspolitik der EU. Wenn wir einen Konsens in Bezug auf diese handelspolitischen Schutzinstrumente erzielen wollen, müssen wir mehr tun, um mit dem Wettbewerbsrecht gleichzuziehen. Alle, die ich treffe, fordern beispielsweise mehr Transparenz, Vorhersehbarkeit und vor allem weniger politischen Kuhhandel in dieser Frage. Ich kann sie verstehen, denn es ist ehrlich gesagt lächerlich, dass die Mitgliedstaaten nur einige Tage Zeit erhalten sollen, um vor dem Beschluss über Antidumpingzölle Tausende Seiten auszuwerten. Dass wir in Brüssel eine Armee von Beratern herumlaufen haben, die auf der Jagd nach Gerüchten über Vorschläge von der Kommission über neue Schutzinstrumente sind, ist auch lächerlich, ebenso wie der politische Kuhhandel, bei dem Schuhzölle gegen Ausnahmen von der Arbeitszeitrichtlinie getauscht werden können, und die wiederum gegen norwegischen Lachs. Das alles zeigt, dass wir eine gründliche Überprüfung benötigen.

Außerdem hat sich die Welt verändert. Da die globalen Zölle gebunden und niedriger werden, wenden immer mehr unserer Handelspartner Instrumente an, um Warenimporte auf traditionelle Weise zu verhindern, und da Europa der größte Akteur auf dem Weltmarkt ist, müssen wir uns an die Spitze stellen. Ich möchte Sie daher abschließend fragen, wie wir sicherstellen können, dass diese Reform nicht ernsthaft zu einer Reform wird, von der Frédéric Bastiat beispielsweise sagen würde, dass wir uns damit ins eigene Fleisch schneiden.

 
  
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  David Martin, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße das Grünbuch, denn es liegt auf der Hand, dass unsere handelspolitischen Schutzinstrumente reformiert werden müssen.

Die überwiegende Mehrheit der Akteure des Sektors ist mit dem Status quo unzufrieden. Den gegenwärtigen Untersuchungen über Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen fehlt es an Transparenz, Konsequenz und Objektivität, sie sind übermäßig politisch geprägt und werden den Gegebenheiten in einer modernen Wirtschaft, die sich mit den Kräften der Globalisierung messen will, nicht gerecht.

Auch wenn es wohl vermutlich unmöglich ist, diesen Prozess völlig objektiv zu gestalten, kann und muss es Verbesserungen des gegenwärtigen Untersuchungsverfahrens geben, um es zu entpolitisieren und sicherzustellen, dass die Interessen aller Unionsbürger bestmöglich gewahrt werden.

Dafür müssen wir, wie der Herr Kommissar angedeutet hat, das Gemeinschaftsinteresse neu definieren und ihm mehr Gewicht verleihen. Wenn die Europäische Union für das Leben der Menschen an Bedeutung gewinnen soll, müssen wir uns wirklich darum bemühen, ihren Interessen gerecht zu werden. Dazu gehört natürlich der Schutz von Arbeitsplätzen vor unfairem und wettbewerbswidrigem Verhalten. Doch viel zu oft haben die spezifischen Interessen einer einflussreichen Gruppe von Herstellern Vorrang vor den Interessen von Millionen von Verbrauchern erhalten, die von dem Prozess der Globalisierung profitieren sollen und sich in vielen Fällen kein Gehör verschaffen konnten.

Außerdem muss im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsinteresses auch daran gedacht werden, welchen möglichen Schaden europäische Unternehmen erleiden können, die weltweite Zulieferketten aufgebaut haben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft zu bewahren. Was die Untersuchungen über Antidumpingmaßnahmen anbelangt, besteht bei den Akteuren allgemeine Unzufriedenheit über den Zugang, den sie gegenwärtig selbst zu nicht vertraulichen Dokumenten und Informationen erhalten.

Die Heranziehung von Vergleichsländern ist ebenfalls zu hinterfragen. Dabei denke ich vor allem an das Beispiel des vergangenen Jahres im Zusammenhang mit Schuhimporten, als die brasilianische Wirtschaft für Vergleiche mit China herangezogen wurde, obwohl sich diese beiden Wirtschaftssysteme in Wirklichkeit genau so gut vergleichen lassen wie ihre Fußballnationalmannschaften.

Ich möchte die Kommission außerdem darum ersuchen, die Möglichkeit einer Ausweitung der handelspolitischen Schutzinstrumente zur Vermeidung von Umwelt- und Sozialdumping zu prüfen, damit unfaire Wettbewerbsvorteile nicht zum Preis von Umweltschäden oder durch die Nichteinhaltung der Standards für menschenwürdige Arbeit erlangt werden.

 
  
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  Gianluca Susta, im Namen der ALDE-Fraktion.(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die mündliche Anfrage, die wir jetzt behandeln und die ich inhaltlich befürworte, stellt eine eindringliche Aufforderung an die europäische Exekutive dar, sicherzustellen, dass die Union nicht von ihrer Verpflichtung zur Neubelebung des multilateralen Dialogs, zur Öffnung der Märkte und zur Festlegung von Bestimmungen, durch die die Entwicklung gefördert und nicht etwa durch nichttarifäre Hemmnisse behindert wird, abrückt und dass sie keine einseitigen Maßnahmen ergreift, die uns gegenüber den aufstrebenden Ländern, aber auch gegenüber den großen Industrienationen, in erster Linie den USA, ungebührlich benachteiligen.

Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Übereinstimmung mit der Lissabon-Strategie, Öffnung der Märkte, Verbraucherschutz, unter anderem durch Einführung der zwingenden Ursprungskennzeichnung auf Importwaren, zielführende Maßnahmen zur Verteidigung der Effektivität des freien Wettbewerbs, alle diese Elemente sind untrennbar miteinander verbunden. Wir sind entschieden gegen die missbräuchliche Anwendung von Antidumpingmaßnahmen sowie gegen Formen des verdeckten, nicht verabredeten Protektionismus, die als Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs dargestellt und deren wir von unseren internationalen Konkurrenten bezichtigt werden. Wir fordern jedoch, dass die Überarbeitung der Antidumping-Bestimmungen durch die Europäische Union keine indirekte Unterstützung derer bedeutet, die nicht für die Liberalisierung eingetreten sind.

Meines Erachtens bedarf es in dieser Phase und noch für geraume Zeit im Interesse des Marktes selbst mehr denn je eines engen Zusammenhangs zwischen Liberalisierung und Regulierung. Vonnöten sind allerdings objektive Vorschriften, wie seinerzeit bei der Festlegung der Wettbewerbsregeln, die klar definiert, leicht verständlich, wirksam und problemlos umzusetzen sind. Aus diesem Grund muss der Ermessensspielraum bei der Anwendung von Schutzmaßnahmen auf ein Minimum begrenzt werden und müssen sich die Klein- und Mittelbetriebe bei abnormalen Preisänderungen auch tatsächlich auf die Vorschriften berufen können.

Herr Kommissar, wir hoffen, dass die europäische Exekutive diesen Überlegungen Rechnung tragen wird, in dem Bewusstsein, dass sich die reale Wirtschaft Europas als Teil einer starken Gemeinschaft fühlen muss, durch die sie ermutigt und gedrängt wird, sich den Herausforderungen einer zunehmend globalisierten Welt zu stellen, durch die sie jedoch vor denen geschützt wird, die gegen die Vorschriften verstoßen, um in ungerechter Weise ihre eigene Entwicklung auf Kosten anderer voranzutreiben.

 
  
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  Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich begrüße es, dass eine Debatte über die Reform der handelspolitischen Instrumente in Gang gesetzt wurde.

Das derzeitige System handelspolitischer Instrumente, das mehrere Jahrzehnte lang keine Veränderung erfahren hat, ist nicht mehr wirksam genug, um den negativen Auswirkungen der fortschreitenden Globalisierung entgegenwirken zu können. Da dieses umfassende Thema hier nicht im Detail erörtert werden kann, möchte ich die reformbedürftigen Punkte ansprechen.

Erstens: Antidumpingzölle werden von der Kommission auferlegt, wenn der Preis eines Produkts auf dem EU-Markt dessen Herstellungskosten nachgewiesenermaßen nicht übersteigt. Hierfür legt die Kommission hauptsächlich Produktionsfaktoren wie etwa Löhne, Material- und Energiekosten zugrunde. Sie prüft jedoch nicht, ob das Unternehmen für seine Beschäftigten Sozialabgaben abführt oder Umweltschutzmaßnahmen finanziert. Auf diese Weise lässt sich nur schwer feststellen, ob die ausgewiesenen Kosten unvollständig sind und auch ob der Preis eines Produkts, der diese Kosten nicht berücksichtigt, künstlich herabgesetzt wurde.

Zweitens: Oftmals ist der relativ hohe Preis eines Produkts aus der Europäischen Union, der dazu führt, dass dieses auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig ist, auf die überaus hohen Standards wie beispielsweise im Tierschutz zurückzuführen. Die Europäische Union muss fordern, dass Erzeugnisse aus Drittstaaten, die auf ihrem Markt verkauft werden, ebenfalls diesen Standards genügen.

Drittens: Die Europäische Kommission ist sehr vorsichtig, was die Anwendung so genannter Schutzklauseln angeht, die den Markt der Europäischen Union davor bewahren sollen, dass er plötzlich von einem bestimmten Produkt überschwemmt wird. Diese Instrumente sind jedoch viel schneller einsetzbar und leichter zu handhaben als Antidumpingzölle.

Schließlich sollte die Kommission bemüht sein, den Zeitraum zwischen der Einleitung eines bestimmten Verfahrens und der Umsetzung des betreffenden Schutzinstruments auf ein Minimum zu begrenzen. Im Moment dauert das viele Monate und im Falle der Antidumpingzölle bis zu neun Monate, was für die europäischen Hersteller hohe Verluste bedeutet.

 
  
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  Carl Schlyter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Der Freihandel ist untauglich, wenn er nicht fair ist, und handelspolitische Schutzinstrumente sind ein Versuch, ihn gerechter zu gestalten. Ich meine, die Kommission legt etwas zu sehr den Schwerpunkt auf multinationale Unternehmen, und ich bin etwas beunruhigt, was eine Neudefinierung des Gemeinschaftsinteresses betrifft. Lassen Sie mich das deutlich machen: Wenn ein transnationales Unternehmen mit Sitz in der EU sich an Sozial- oder Umweltdumping beteiligt, sei es direkt oder über Tochtergesellschaften und Zulieferer, dann kann dies nicht als Gemeinschaftsinteresse betrachtet werden, nur weil dieses Unternehmen in der EU registriert ist. Es muss dafür bestraft werden.

Im Übrigen stellt das Grünbuch zahlreiche interessante Fragen zur Diskussion, beispielsweise größere Transparenz und mehr Einfluss für kleine Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. Eine wichtige Dimension fehlt jedoch: Das Grünbuch ist nicht grün genug. Es fehlt die gesamte Dimension des Umweltdumpings. Lassen Sie mich an Ziffer 11 des Berichts Muscardini vom Oktober erinnern: „Das Europäische Parlament fordert die Kommission auf zu eruieren, ob im Rahmen der WTO eine gründliche Überprüfung der Regeln für die Inanspruchnahme handelspolitischer Schutzmaßnahmen ... angezeigt ist“, um die Nichteinhaltung von globalen Abkommen über den Sozial- oder Umweltschutz oder internationaler Übereinkünfte zu einer Form von Dumping oder Subvention zu machen.

Es muss nämlich davon ausgegangen werden, dass Länder mit schwachem Umweltrecht oder ohne die Umweltsteuern, die ihre Wettbewerber haben, Subventionen oder ein Dumping ihrer Produktionskosten durchführen, was mit traditionellem Dumping gleichzusetzen ist. Das wird mit der Verstärkung der globalen Ambitionen zu einem wachsenden Problem werden. Es darf keine Freizonen für Umweltzerstörung geben, die die internationale Umweltarbeit unterminieren. Wir müssen beispielsweise einen Kyoto-Tarif für die Länder einführen, die das Kyoto-Abkommen nicht erfüllen. Andere Länder müssen vor die WTO gebracht werden, wobei wir vielleicht gewinnen oder auch verlieren. Viele halten die WTO für eine mächtige Organisation, aber eines ist sicher: Das Klima kümmert sich keinen Deut um die WTO und wird sich verändern, wenn wir keine Klimamaßnahmen in die Handelspolitik aufnehmen, unabhängig davon, was diese Organisation denkt.

Noch eine letzte Anmerkung: Wenn wir nun Solidarität üben und eine Ein-Prozent-Grenze einhalten sollen, wann wird Malta diese Schutzinstrumente einführen können und wann erreicht dieses Land mehr als ein Prozent des Binnenhandels?

 
  
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  Béla Glattfelder (PPE-DE).(HU) Freihandel funktioniert gut, wenn seine Regeln beachtet werden. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. Unfaire Handelspraktiken und Dumping werden in zunehmendem Maße gegen die EU und ihre Hersteller eingesetzt. In mehreren Fällen von Dumping wurde nachgewiesen, dass eher die Verkäufer als die Verbraucher davon profitieren. Es gibt keinen Grund für die EU, die bestehenden Handelsgesetze aufzuweichen. Es ist nicht akzeptabel, dass wir die Unternehmen, die in Europa geblieben sind, die europäische Arbeitsplätze aufrechterhalten haben, bestrafen und diejenigen, die ihre Produktion ins außereuropäische Ausland verlegt haben, belohnen.

Wir brauchen einen Schutz vor unlauterem Wettbewerb. Wir sollten die Vorschriften gegen unfairen Handel nicht lockern, sondern eher verschärfen. Dies gilt insbesondere im Falle von Ländern, die keine Marktwirtschaften sind, wo beispielsweise der Staat komplexe und nicht transparente Methoden der Subventionierung von Unternehmen, die für den Export produzieren, gebraucht. Darüber hinaus verwendet China seine steigenden Handelseinnahmen nicht zum Ausbau der Demokratie, zur Senkung der Armut, zum Schutz der Umwelt oder zur Reduzierung von CO2-Emissionen, sondern vielmehr zum Kauf von Waffen. Dieses Jahr erhöht China seine Militärausgaben um 18 %. Offiziellen Statistiken zufolge werden sie 45 Milliarden USD erreichen. Außerdem wird der wirkliche Betrag, den China für Waffen aufwendet, nach Angaben einiger Experten für Sicherheitspolitik dreimal so hoch sein.

Herr Kommissar, wir haben wirklich keinen Grund, durch die Beseitigung von europäischen Arbeitsplätzen den militärischen Aufbau Chinas zu unterstützen.

 
  
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  Kader Arif (PSE).(FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst Herrn Barón Crespo und Herrn Guardans Cambó dafür danken, dass sie diese mündliche Anfrage an die Kommission vorgelegt haben.

Die Frage unserer Handelsschutzinstrumente ist in der Tat von großer Bedeutung, nicht nur um den wirksamen Schutz der europäischen Produzenten gegen bestimmte Formen des unfairen Wettbewerb zu gewährleisten, sondern auch im Zusammenhang mit der allgemeineren Debatte über die Stellung der Europäischen Union in einer globalisierten Wirtschaft und über die Vorschriften, die sie zu ihrer Regulierung unterstützen will.

Auch wenn die Europäische Union stets das multilaterale System der WTO verteidigt hat, finde ich es höchst verwunderlich, dass die Kommission eine öffentliche Konsultation zu diesem Thema durchführen will und möglicherweise eine weit reichende Reform unserer Handelsschutzinstrumente plant, obwohl die Verhandlungen in der WTO über die Antidumping-, Antisubventions- und Schutzmaßnahmen noch nicht abgeschlossen sind und sich ihre Ergebnisse auf die Anwendung dieser Instrumente auswirken werden.

Ich möchte die Kommission daran erinnern, dass sie selbst eine Studie zur Evaluierung der europäischen Handelsschutzinstrumente in Auftrag gegeben hat, aus der hervorgegangen ist, dass der Status quo sowohl die vernünftigste als auch die geeignetste Lösung darstellt, um eine für alle Seiten befriedigende Lösung zu finden. In dieser Studie wird zudem die Auffassung unterstützt, dass gegenwärtig keine offensichtliche und dringende Notwendigkeit besteht, die derzeitigen Handelsschutzinstrumente der Gemeinschaft zu überarbeiten oder zu ändern.

Aus diesem Grund würde ich gerne wissen, welche konkreten Veränderungen die Kommission plant und wie sie das Parlament in alle Phasen des Prozesses einzubinden gedenkt. Ich fordere die Kommission auf, in ihren bevorstehenden Gesprächen mit dem Rat diese Gesichtspunkte, die Ansichten der Abgeordneten dieses Hauses sowie die Ergebnisse der öffentlichen Konsultation, die sie selbst eingeleitet hat, um ihre künftigen Vorschläge auszuarbeiten, nicht außer Acht zu lassen.

 
  
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  Leopold Józef Rutowicz (UEN). – (PL) Das Grünbuch und die Aussprache über die handelspolitischen Instrumente sind für unsere Wirtschaft außerordentlich wichtig und könnten uns einen beträchtlichen zusätzlichen Nutzen bringen.

Die europäische Außenhandelspolitik muss auf jede Veränderung bei der Herstellung und beim Verkauf von Gütern auf dem Binnenmarkt und den Außenmärkten angemessen reagieren. So kann unser Markt im Rahmen von Abkommen den Ankauf von Komponenten für Biokraftstoffe fördern, für deren Verkauf gute Aussichten bestehen, und er kann Importe beschränken und damit beispielsweise die Produktion der Zuckerindustrie verringern. Im Rahmen unserer gegenseitigen Beziehungen sollten wir diejenigen unserer Lieferanten unterstützen, die auf der Grundlage von Förder- und Assoziierungsabkommen eine an unserem Bedarf ausgerichtete Produktion aufbauen könnten.

Wir reagieren zu langsam und unentschlossen auf Dumpingfälle, was uns mehr schadet als nützt. Im Falle der Tiefkühlerdbeeren aus China beispielsweise brauchte es mehrere Jahre, ehe Antidumpingmaßnahmen zum Tragen kamen. Unterdessen haben viele Betriebe aufgegeben und sind bankrott gegangen. Eine Analyse der Effizienz der Arbeitsweise und die drastische Reduzierung bürokratischer Verfahren könnten dazu beitragen, klare Regeln für die Arbeit und die Zuständigkeit aufzustellen, was eine rasche Bearbeitung der Anträge ermöglichen würde.

Ein weiteres Problem besteht für die Europäische Union darin, die Grundsätze unserer gemeinsamen Handelspolitik festzulegen, um unlauteren Wettbewerb auf dem Außenmarkt zu verhindern. Alle von mir angesprochenen Punkte bedürfen einer ständigen Kontrolle. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an der Aussprache über dieses Thema beteiligt haben.

 
  
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  Daniel Caspary (PPE-DE). – Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzter Herr Kommissar, geschätzte Kollegen! Die Europäische Union muss sich genau überlegen, wie sie ihre eigenen Interessen besser durchsetzen kann. Die Strategie, sich durch verfrühte Zugeständnisse spätere Vorteile zu verschaffen, führt sicherlich nicht zum Erfolg. Vielmehr muss es im Sinne eines freien und fairen Wettbewerbs sein, dass die Regeln eingehalten werden. Unfaire Handelspraktiken dürfen deshalb nicht geduldet werden. Wirksame Handelsschutzinstrumente sind deshalb zweifelsohne unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Strategie zur Steigerung unserer Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Sinne möchte ich auch dem Kollegen Glattfelder ganz herzlich zustimmen: Die Schutzinstrumente dürfen nicht weiter verwässert werden.

Aus meiner Sicht, Herr Kommissar, ist der Zeitpunkt des Grünbuchs sehr ungünstig, da den Ergebnissen der derzeitigen multilateralen Verhandlungen über die Handelsschutzinstrumente nicht vorgegriffen werden sollte. Es sollte vor dem Abschluss dieser Verhandlungen — egal, ob erfolgreich, was ich mir wünsche, oder erfolglos — keine Reformen in Europa geben.

Das Zweite: Die bisherigen Instrumente haben sich grundsätzlich bewährt. Die Reformen sollten daher an der Verbesserung des bestehenden Systems orientiert sein, sofern Reformen überhaupt sein müssen.

Wir brauchen eine klare Unterscheidung — wie Sie zu Recht angesprochen haben — zwischen echtem Dumping und wettbewerbskonformer Preisgestaltung. Antidumpingmaßnahmen dürfen nicht zu protektionistischen Zwecken missbraucht werden. Aber andererseits sollte der langfristige Erhalt europäischer Produktion nicht scheinbaren kurzfristigen Konsumenteninteressen geopfert werden. Es muss auf der Verfahrensseite sichergestellt sein, dass eine möglichst objektive Bewertung der Fälle erfolgt und diese frei von nationalen Sonderinteressen im Rat ist. Ich bin der festen Überzeugung: Während Drittländer intensiv und oft missbräuchlich Handelsschutzinstrumente gegen uns einsetzen, dürfen wir unsere nicht lockern.

Das alles geht mit den bestehenden Regeln, wenn sie denn nur richtig angewendet werden. Ich bitte Sie deshalb, in diesem Sinne sehr sensibel zu sein, und ich empfehle die anregende Lektüre meines jüngsten Berichtsentwurfs zum Thema externe Handelsstrategie, in dem ich ebenfalls auf das Thema der Handelsschutzinstrumente eingehe.

 
  
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  Panagiotis Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Mein besonderer Dank gilt Kommissar Mandelson.

Meiner Ansicht nach zeigt diese Aussprache am heutigen Abend die strategische Spaltung, die innerhalb der Europäischen Union besteht. Auf der einen Seite haben wir, wie Herr Fjellner in seinem Beitrag gesagt hat und was ich ebenso sehe, das Europa der großen kommerziellen Verbraucherschutznetze und auf der anderen Seite das Europa der produktiven Mächte, des Schutzes des Produktions- und Industriesektors, der Beschäftigung und der Verteidigung der Arbeitnehmer. Wir müssen diese beiden strategischen Konzepte zum Wohle der Europäischen Union miteinander in Einklang bringen. Natürlich möchte niemand die Europäische Union in eine protektionistische Festung verwandeln. Andererseits wäre es aber eine Illusion zu glauben, dass die Europäische Union angesichts der Herausforderungen und der negativen Folgen der Globalisierung, der unfairen internationalen Handelspraktiken und des Sozial- und Umweltdumpings bestimmter sich rasch entwickelnder Volkswirtschaften in den Entwicklungsländern unbewaffnet bleiben kann.

Ich glaube, dass das von Herrn Mandelson vorgestellte Grünbuch eine solide Grundlage für weitere Diskussionen bilden kann. Die Grundvoraussetzungen der von uns benötigten handelspolitischen Schutzmaßnahmen müssen darin bestehen, dass sie effektiv sind und dazu beitragen, die Handelsinteressen der Europäischen Union zu schützen und den Grundsatz der Transparenz und der schnelleren Entscheidungsfindung zu wahren. Sofern Ihre Vorschläge, Herr Mandelson, darauf ausgerichtet sind, die handelspolitischen Schutzinstrumente der Europäischen Union zu verbessern, können wir tatsächlich in eine Diskussion treten und einen positiven Beitrag zu dieser Aussprache leisten.

 
  
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  Danutė Budreikaitė (ALDE).(LT) Wir diskutieren heute über das Grünbuch der Kommission, das Europas Handelsschutzinstrumente in einer sich wandelnden Weltwirtschaft zum Gegenstand hat. In der Mitteilung wurden Sorgen um Handelsschutzinstrumente zum Ausdruck gebracht, die sich nicht auf die Hochproduktivität auswirken würden. Auch wird die Frage der Koordinierung der Interessen der Gemeinschaft und der Interessen der Hochproduktivität, der Importeure, der Verbraucher und sogar der Entwicklungsländer erwähnt.

Die vorgelegten Zahlen zeigen, dass die USA und Indien beim Schutz ihrer Märkte mehr Studien über die Anwendung von Schutzinstrumenten initiiert haben als die EU. Die EU hat Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie und der Schaffung neuer Arbeitsplätze, und es besteht ein katastrophaler Mangel an qualifizierten Kräften in Ingenieurberufen sowie an Wissenschaftlern, die neue wettbewerbsfähige Technologien entwickeln können.

In der aktuellen Situation sollten Schutzinstrumente keinesfalls gelockert werden, da dies die derzeitige Produktivität der EU, insbesondere der KMU und vor allem in den neuen Mitgliedstaaten, ersticken würde.

Darüber hinaus möchte ich die Kommission dringend auffordern, unverzüglich Anti-Dumping-Untersuchungen durchzuführen, da eine Verzögerung hier bereits zum Bankrott der litauischen Teleskop-Manufaktur „Ekranas“ geführt hat.

 
  
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  Francisco Assis (PSE).(PT) Herr Mandelson! Das Verdienst dieser sachdienlichen Initiative der Kommission besteht direkt darin, dass sie die Diskussion über ein Thema fördert, zu dem es keine einfachen Antworten gibt. Es gibt Sektoren in Europa, die stärker zu den demagogischen und populistischen Antworten jener tendieren, die der Meinung sind, einfache Antworten auf diese Frage zu haben. Die Antworten mögen einfach sein, aber sie sind falsch.

Die Kernfrage ist, wie die Europäische Union die ihr zur Verfügung stehenden handelspolitischen Schutzinstrumente nutzen soll, um die Einhaltung der Regeln des gerechten Handels zu garantieren und eine aktive Rolle im Prozess der Regulierung des internationalen Handels zu spielen.

Das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell muss verteidigt werden, es darf aber niemals die Grenze zum Protektionismus überschreiten. Das ist die wichtigste Frage, mit der die EU heute konfrontiert ist.

Wir konnten bereits sehen, dass es natürliche Meinungsverschiedenheiten und widersprüchliche Interessen in der EU selbst gibt. Die Interessen der Hersteller müssen nicht unbedingt mit den Interessen der großen Importeure übereinstimmen, und die unmittelbaren Interessen der einzelnen Verbraucher müssen ebenso wenig miteinander übereinstimmen. Es muss aber eine Leitlinie geben, mit der stets ein Schlüsselprinzip betont wird: Wie kann die EU aktiv, ernsthaft und klug am Prozess der Regulierung des internationalen Handels teilnehmen. In diesem Zusammenhang muss sie versuchen, einigen Grundwerten, die sie auszeichnen, und zwar einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und zugleich einer solidarischeren, kohärenteren und sich der Wahrung bestimmter umweltpolitischer Schlüsselwerte widmenden Gesellschaft, internationale Geltung zu verschaffen, sie in den Rahmen der Welthandelsorganisation zu projizieren.

Das ist die Herausforderung, vor der die EU heute steht, und deshalb hat die Kommission meiner Auffassung nach recht daran getan, diese Aussprache zu fördern.

 
  
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  Benoît Hamon (PSE).(FR) Herr Präsident! Herr Kommissar! Auch ich möchte der Kommission dafür danken, dass sie diese Debatte über die handelspolitischen Schutzinstrumente der EU angestoßen hat. Mein Dank gilt außerdem Herrn Guardans Cambó, der uns die Möglichkeit eröffnet hat, dieses Thema heute zu debattieren.

An dem Fragenkatalog der Kommission oder allgemeiner betrachtet an ihrer gesamten Einstellung zur Handelspolitik überrascht mich, dass sie mit keinem Wort auf den Wechselkurs zwischen dem Euro und den Währungen unserer wichtigsten Handelspartner eingeht. Ich möchte Kommissar Mandelson fragen, wie seiner Meinung nach die Handelsinteressen der Europäischen Union angesichts des Euro-Dollar-, Euro-Yuan- und Euro-Yen-Kurses wirksam verteidigt werden können?

Ich möchte in diesem Zusammenhang das Beispiel der Luftfahrtindustrie anführen, die mit ihren Plänen für Stellenkürzungen und Einsparungen und ihren Drohungen von Outsourcing und Standortverlagerungen gegenwärtig im Mittelpunkt des Interesses steht; eine Schwankung des Euro-Dollar-Wechselkurses um 10 Cent bedeutet im Jahresabschluss von Airbus einen Verlust oder einen Gewinn in Höhe von einer Milliarde Euro. Ist es nicht so, dass der Abwertungswettlauf von Seiten unserer Wettbewerber eines der besten Beispiele für Dumping darstellt, das zum Ergebnis hat, dass Airbus, das Flaggschiff der europäischen Industrie, es heute vorzieht, einen Teil seiner Flugzeuge außerhalb des Euro-Währungsgebiets zu produzieren, um dem Wettbewerb mit Boeing standhalten zu können. Das haben wir uns doch immer gewünscht!

Ich möchte Sie dringend darum ersuchen, Kommissar Mandelson, ihren Blick auf die Europäische Zentralbank zu richten und sich unverzüglich darum zu bemühen, dass sie nicht nur für eine Abwertung, sondern auch für eine Aufwertung des Euro verantwortlich gemacht wird. Ist es nicht an der Zeit, dass sich Rat und Kommission gemäß ihren Zuständigkeiten aus Artikel 111 EG-Vertrag endlich ihrer Verantwortung bewusst werden und uns mit den unverzichtbaren allgemeinen Leitlinien einer Wechselkurspolitik ausstatten?

 
  
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  Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Nach meinem Dafürhalten haben 85 % der Redner diese Überprüfung begrüßt, und ich bin daher froh, die Initiative ergriffen und der Kommission diese Reform vorgeschlagen zu haben. Ich hoffe, dies und Ihre intelligenten und größtenteils ausgewogenen Anmerkungen werden vom Rat und dem Vorsitz zur Kenntnis genommen. Mir ist nicht bekannt, ob sie heute Abend hier vertreten sind. Offensichtlich nicht. Nichtsdestotrotz bin ich mir sicher, dass diese Tatsache nicht unbemerkt bleiben wird.

Trotz der allgemeinen Zustimmung zu dieser Überprüfung gehen die Meinungen darüber, inwieweit damit die bestehenden handelspolitischen Schutzinstrumente abgeschwächt werden sollten, jedoch auseinander. Ich werde die Verfechter beider Positionen enttäuschen müssen, sowohl die Befürworter einer Abschwächung als auch deren Gegner, denn das Ziel dieser Überprüfung besteht nicht darin, unsere gegenwärtigen handelspolitischen Schutzinstrumente zu stärken oder zu schwächen. Ganz im Gegenteil. Es geht darum, für eindeutige, einheitliche und gemeinschaftsweit konsensfähige Vorschriften zu sorgen. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir dieser Zielsetzung im Moment gerecht werden. Daher rühren auch die Kontroversen, die fehlende Kompromissbereitschaft und die mangelnde Solidarität in und zwischen den Mitgliedstaaten, die in jüngster Zeit zu beobachten waren. Ich trage die Verantwortung dafür, sofern dies möglich ist, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Solidarität und den Konsens wieder herzustellen.

Natürlich stehen wir bei der Umsetzung dieser Vorschriften immer wieder vor Schwierigkeiten. Was der eine als berechtigten Schutz betrachtet, sieht der andere als Protektionismus, und hier müssen wir auf der Grundlage der objektiven Untersuchung der Kommission eine Entscheidung fällen.

Allerdings haben viele in diesem Hohen Haus gefordert, dass unser Antidumpingsystem eindeutig, transparent und objektiv sein muss. Mir ist nicht entgangen, dass Bedenken über die Langwierigkeit und die mangelnde Effizienz des Prozesses geäußert wurden, und dass sich einige Abgeordnete eine bessere Berücksichtigung von Umweltbelangen wünschen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals ein Instrumentarium zusammenstellen kann, das es uns erlaubt, handelspolitische Schutzmaßnahmen gegen die Erderwärmung und für den weltweiten Klimaschutz einzusetzen. Doch wenn uns die Abgeordneten dieses Parlaments diese Aufgabe stellen wollen, dann werden wir uns ihrer annehmen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob wir dabei Erfolg haben werden, und genauso wenig, ob wir handelspolitische Schutzinstrumente nutzen können, um die Wechselkurspolitik anzugehen.

Ich möchte allen Rednern danken, die wichtige Aspekte angesprochen haben. Ich persönlich vertrete die Auffassung, und möchte mich dabei dem Eröffnungsredner dieser Aussprache anschließen, dass man als Verfechter eines offenen Wirtschaftssystems in Europa – und zu dieser Gruppe gehöre ich – dafür Sorge tragen muss, dass die Unionsbürger sicher sein können, jemanden an ihrer Seite zu haben, wenn sie durch das wettbewerbsfeindliche Verhalten anderer auf ungerechte Weise bedroht werden oder ihnen Schaden zugefügt wird: Dieser Jemand sind wir. Darin besteht die wesentliche und immer mehr an Bedeutung gewinnende Rolle der Europäischen Kommission in unserem globalen Zeitalter. Unsere Aufgabe wird dadurch nicht erleichtert, aber umso notwendiger und wichtiger, und dieser Verantwortung sollten wir meines Erachtens auf faire, objektive und sachliche Weise gerecht werden.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Tokia Saïfi (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Die Europäische Kommission hat heute ein Grünbuch angenommen, das eine öffentliche Konsultation über die Anwendung der handelspolitischen Schutzinstrumente der EU in einer sich wandelnden globalen Wirtschaft anstoßen soll. Mit dieser öffentlichen Konsultation soll der Weg für Vorschläge der Kommission zur Reform ihrer Handelsschutzinstrumente (Antidumping-, Antisubventions- und Schutzmaßnahmen) geebnet werden.

Dieses Reformvorhaben ist allerdings mit Vorsicht zu betrachten. Die Europäische Union darf nicht unilateral oder überstürzt vorgehen, denn jede Änderung dieser Instrumente muss sich innerhalb des Rechtsrahmens der laufenden Verhandlungen über die multilateralen Disziplinen der Handelsschutzinstrumente im Rahmen der Doha-Runde stützen. Neben der Notwendigkeit, den Zeitplan der WTO einzuhalten, muss die Kommission außerdem unbedingt bedenken, dass die Handelsschutzinstrumente mit der Handelsliberalisierung unverzichtbar werden.

Die Handelsschutzinstrumente kommen normalerweise nur maßvoll zum Einsatz und stellen keinesfalls die von den Verfechtern des Freihandels gefürchteten Zwangsjacken oder das Rüstzeug der Protektionisten dar. Es handelt sich um wirksame Regeln, um auf den internationalen Handelsmärkten wieder faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und die negativen Folgen illegaler Praktiken auf die Industrie, das Wachstum und die Beschäftigung in der Europäischen Gemeinschaft einzudämmen.

 

16. Achtung der Grundrechte-Charta in den Legislativvorschlägen der Kommission: systematische und rigorose Überwachung (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Johannes Voggenhuber im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über die Achtung der Grundrechte-Charta in den Legislativvorschlägen der Kommission: Vorgehensweise für eine systematische und rigorose Überwachung (2005/2169(INI)) (A6-0034/2007).

 
  
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  Johannes Voggenhuber (Verts/ALE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Vormittag zur besten Medienzeit haben wir im Rahmen der Debatte zur Berliner Erklärung die Union als eine Rechtsgemeinschaft gefeiert, und wir waren uns alle einig, dass das, was diese Rechtsgemeinschaft im Innersten zusammenhält, die Würde des Menschen und die Grund- und Freiheitsrechte sind.

Heute Abend zu später Stunde diskutieren wir über den Alltag dieser Rechtsgemeinschaft, über die mühselige Durchsetzung und den Schutz dieser Grund- und Freiheitsrechte. Demjenigen, der sich lange mit diesem Alltag der Grundrechte in Europa beschäftigt, fallen drei Irritationen auf. Die erste: Die Union hat zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und geldpolitischen Ziele harte Gesetze, konkrete Ziele, zur Not Sanktionen, sehr viel Geld, harte Maßnahmen, hard law. Die Grund- und Freiheitsrechte auf der Ebene der Europäischen Union sind immer auf soft law angewiesen.

Die Grundrechtecharta ist bis heute nicht verbindlich. Einige Mitgliedstaaten verlangen sogar ihre Herausnahme aus der Verfassung. Die EU ist nicht Mitglied der Europäischen Menschenrechtskommission. Europol, Eurojust, Frontex usw. fallen nicht unter die europäische Menschenrechtskonvention. Die polizeiliche Zusammenarbeit ist immer noch kein Gemeinschaftsrecht und sie entzieht sich der Kontrolle der nationalen Parlamente wie auch des Europäischen Parlaments. Eine Grauzone der Grundrechte entsteht in Europa.

Die zweite Irritation – ich sehe es in meinen Debatten über die Verfassung mehr und mehr: Es sind Bruchlinien entstanden im Urvertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger, in die Fähigkeit und den Willen dieser Union, die Grund- und Freiheitsrechte kompromisslos durchzusetzen. Die CIA-Affäre, die illegalen Entführungen, die illegalen Überflüge, die mangelnde Kooperation der Regierungen haben dazu ebenso beigetragen wie die negativen EuGH-Urteile zur Weitergabe von Passagierdaten und von SWIFT-Bankdaten oder die fehlenden Rechtsgrundlagen für Maßnahmen der Union. Dies alles beschädigt das Urvertrauen der Menschen in die Fähigkeit und den Willen der Union, diese Grundrechte kompromisslos zu verteidigen.

Die dritte Irritation betrifft die Kontrolle der Kommission. Herr Kommissar, ich weiß nicht, wie oft wir in diesem Parlament noch fordern sollen, dass die Kommission in ihrer Arbeit und in ihren Vorschlägen zum Grundrechteschutz systematischer sein soll, weniger restriktiv, öffentlicher. Dass sie die Zivilgesellschaft ebenso wie die unabhängigen Sachverständigen und Organisationen verstärkt einbeziehen soll. Wir haben das bei dem Bericht zu Artikel 7 gemacht. Wir haben das bei den Berichten zur Menschenrechtsagentur gemacht. Wir haben das bei den Beitrittsverträgen gemacht. Nein, die Kommission wirkt in diesem Bereich unsicher, wenig entschlossen. Ihre Abwägungen sind oft nicht nachvollziehbar, und der Druck auf den Rat und die Mitgliedstaaten ist allzu oft allzu schwach. Das Verfahren zur Durchsetzung der Grundrechtecharta im Rahmen der Gesetzesinitiativen der Kommission begrüßen wir. Es ist ein Fortschritt. Aber er reicht nicht, und er krankt an all den Dingen, die dieses Parlament schon so oft aufgezeigt hat.

Die Grundrechteprüfung kann nicht in die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien eingeschmuggelt werden. Sie muss ein eigenes Kriterium sein. Jede Gesetzesinitiative der Kommission muss einer Grundrechteprüfung unterzogen werden, und jede Prüfung muss begründet und dokumentiert werden. Wie oft haben wir eingefordert – wir tun es wieder –, dass die Kommission die besondere Verantwortung des Europäischen Parlaments als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger Europas zum Schutz der Grundrechte mehr respektiert. Wir haben das bei Artikel 7, bei der Agentur und bei den Beitrittsverhandlungen getan. Wir haben eine stärkere Einbeziehung der NGO, der internationalen Organisationen, der Menschenrechtsagentur gefordert. Wie oft sollen wir es noch einklagen? Oder wie oft sollen wir den ständigen Dialog zwischen den Institutionen noch fordern?

Mit Recht – und das ist wohl der hervorragende Teil Ihres Vorschlags – spricht die Kommission von der Entwicklung einer Grundrechtekultur in Europa. Wir teilen diese Ambition und unterstützen sie. Aber dazu bedarf es eines systematischen, ständigen und offenen Dialogs zwischen den Institutionen. Dazu bedarf es aber auch der entsprechenden Berichte dazu. Dazu bedarf es auch des Rechts der Institutionen, Missstände und Fehlentwicklungen in den Mitgliedstaaten aufzuzeigen. Auch die Ausdehnung Ihres Systems der Kontrolle auf die Regierungszusammenarbeit und auf die Komitologie ist unerlässlich.

Herr Kommissar, wir erheben unsere Forderungen noch einmal. Wir tun es zu später Stunde, ohne Öffentlichkeit, ohne alles. Aber ich denke, es ist wirklich an der Zeit, dass die Kommission auf diesem Gebiet die Wünsche und Forderungen des Parlaments erfüllt.

 
  
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  Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich begrüße diesen Bericht ganz außerordentlich und möchte dem Parlament für seine positive Aufnahme der Mitteilung der Kommission vom 27. April 2005 über die Berücksichtigung der Charta der Grundrechte in den Rechtsetzungsvorschlägen der Kommission danken.

Ich darf kurz zusammenfassen, weshalb die Kommission diese Mitteilung über die Berücksichtigung der Charta der Grundrechte in den Rechtsetzungsvorschlägen der Kommission angenommen hat, das erste Arbeitsergebnis der Gruppe der Kommissionsmitglieder, die sich für die Grundrechte, die Bekämpfung von Diskriminierungen und Chancengleichheit einsetzt.

Wir, die Organe der Union, müssen jederzeit beweisen, dass wir die Grundrechte achten, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, vor allem bei unseren eigenen Legislativvorschlägen. Für die Union ist dies absolut entscheidend, um in den Augen ihrer Bürger ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität zu bewahren. Die Charta, der sich die Institutionen im Jahre 2000 verschrieben haben, soll uns helfen, die Freiheit des Einzelnen in all ihren Facetten stärker zu respektieren. Dazu gehört die Achtung der klassischen bürgerlichen Freiheiten, speziell im Rahmen unserer gegenwärtigen Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus. Auch die ökonomischen und sozialen Rechte zählen dazu sowie nicht zuletzt die Rechte der neuen Generation wie Datenschutz, das Recht auf eine gute Verwaltung und bioethische Garantien. Kurz gesagt muss unseren Bürgern bewusst werden, dass die Europäische Union ihre eigene Politik auf der Basis realer Grundrechte gestaltet. Die Kommission sieht daher mit großer Genugtuung und Ermutigung, dass unsere Mitteilung von 2005 einen so deutlichen Niederschlag in Ihrer heutigen Entschließung gefunden hat und dass sich dieses Parlament in gleicher Weise einsetzt, um interne Vorschriften zur Überwachung der Grundrechte anzuwenden. Diese Rechte ernst zu nehmen muss ein gemeinsames Leitmotiv für alle Einrichtungen sein, die am Rechtsetzungsverfahren der EU beteiligt sind.

Ich möchte dem Parlament für einige konstruktive praktische Vorschläge danken, die im Bericht Voggenhuber an die Kommission enthalten sind, um unsere Verfahren zur Prüfung der Vereinbarkeit aller Rechtsetzungsvorschläge mit den Menschenrechten weiterzuentwickeln. Wie Sie wissen, planen wir eine Überprüfung unserer Verfahren noch in diesem Jahr, und die Kommission wird dem Parlament die Ergebnisse dieser Prüfung vorstellen. Die Kommission ist sehr stark daran interessiert, ihre Erfahrungen mit dem Parlament in dieser Hinsicht auszutauschen.

Im Rahmen dieser Prüfung wird die Kommission Ihren Vorschlägen natürlich sehr große Aufmerksamkeit widmen. Wir haben z. B. bemerkt, dass wir uns nicht nur auf die Charta beziehen sollten, sondern auch auf europäische und internationale Menschenrechtsübereinkommen, und dass das Parlament auf das Recht der Kommission verweist, Vorschläge zurückzuziehen, wenn im Rechtsetzungsverfahren Änderungen vorgenommen werden, die ein Grundrecht verletzen würden. Wir sind auch dafür, den Grundrechten in unseren Folgenabschätzungen eine bessere Sichtbarkeit zu verleihen.

Ein Schwerpunkt der geplanten Prüfung wird schließlich sein, wie die neu gegründete Agentur für die Grundrechte in die Vorbereitung neuer politischer Initiativen, die die Grundrechte betreffen, einbezogen werden kann.

Was die Aufforderung zu einem neuen Jahresbericht der Kommission zu den Grundrechten in der EU betrifft, so halten wir eine jährlich stattfindende allgemeine Aussprache zu diesem Thema für nützlich. Diese könnte im Kontext unserer jährlichen Aussprache zum Thema Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erfolgen. Weniger überzeugt sind wir von der Notwendigkeit eines neuen formellen, spezifischen Jahresberichts, insbesondere da die kürzlich gegründete Agentur für die Grundrechte einen solchen Jahresbericht zu Grundrechtsfragen in der EU als vielleicht wichtigste Aufgabe veröffentlichen wird. Dieser Bericht, und damit unsere neue Agentur für die Grundrechte, sollte all die öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, die er verdient. Er sollte daher in allen drei Institutionen im Mittelpunkt der Gespräche zu Grundrechtsfragen stehen, und wir sollten von etwaigen Dopplungen Abstand nehmen.

Mit diesem Vorbehalt möchte ich jedoch anmerken, wir sehr wir den Inhalt dieses Berichts schätzen und wie ernst wir ihn nehmen.

 
  
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  Riccardo Ventre (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für konstitutionelle Fragen. – (IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich beglückwünsche die Kommission zu diesem neuen Ansatz im Bereich des Schutzes der Grundrechte. Dem Kommissar möchte ich dafür danken, uns heute Abend mitgeteilt zu haben, dass die Kommission den Vorschlag des Ausschusses für konstitutionelle Fragen zu einem wesentlichen Teil in den geänderten Text aufnehmen wird.

Wir hoffen, dass das Europäische Parlament in zunehmendem Maße beteiligt wird, wenn es um den Schutz dieser Rechte geht, und vor allem unterstützen wir gern die Idee einer ständigen Überwachung der gesamten zu einem solchen Schutz führenden Rechtsetzungsverfahren, die, wie der Kommissar ausführte, in einem Abschlussbericht gipfeln könnte. Im Falle eines rigorosen, systematischen und permanenten Monitoring wird dies jedoch von geringer Bedeutung sein.

Was zweitens die Beteiligung der neu eingerichteten Agentur für Grundrechte anbelangt, so sollten nach meinem Dafürhalten ihre Tätigkeiten – wie im Ausschuss bereits betont wurde – ebenfalls diversifiziert werden, um unnütze Überlagerungen oder Doppelarbeiten zu vermeiden. Deshalb bin ich der Auffassung, dass der vollen Beteiligung der Agentur sowie von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden, wie der Berichterstatter hervorhob, zunehmende Bedeutung zukommen sollte, da es einige sehr wichtige Verbände gibt, die sich mit dem Schutz der Menschenrechte befassen.

Schließlich sollte unserer Ansicht nach in der Phase der Ausarbeitung von Legislativvorschlägen eine systematische interne Kontrolle auf allen Ebenen durchgeführt werden. Daher hoffe ich, dass diese Empfehlungen in dem klaren, sachlichen Bericht des Berichterstatters, wie er ihn heute Abend erläutert hat, in die Arbeit der Kommission selbst Eingang finden werden.

 
  
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  Kinga Gál, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (HU) Die Achtung unserer Grundrechte und aller Menschenrechte sowie ihre Umsetzung ist unbedingt der Eckstein jedes europäischen demokratischen Rechtsstaates. Sie können nicht umgangen oder außer Kraft gesetzt werden. Wenn problematische, konfliktbeladene Situationen entstehen, wird besonders deutlich, dass wir stets aufs Neue diese nun scheinbar selbstverständlichen Rechte bestätigen müssen und dass ihre Beachtung nicht automatisch erfolgt, und wir müssen immer und immer wieder dafür kämpfen, dass unsere Grundrechte geachtet werden.

Die Wahrung und Verteidigung unserer grundlegenden Menschenrechte war der Ausgangspunkt und die Errungenschaft der Europäischen Union, aber bis heute wurde die Erklärung von wenigen konkreten gesetzlichen und praktischen Maßnahmen begleitet. Eine der konkreten Errungenschaften ist die Geburt der Charta der Grundrechte selbst, und obwohl die Charta bei weitem nicht vollständig ist, wäre es dennoch ein dringend erforderlicher Fortschritt bei der Verteidigung der Grundrechte durch die Gemeinschaft, wenn die Charta Rechtsverbindlichkeit erlangen würde – beispielsweise durch den Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Die täglich sichtbaren Probleme im Zusammenhang mit Menschenrechten und die Komplexität dieser Probleme zeigen, dass in diesem Bereich noch viel zu tun ist.

Aus diesem Grund kann ich Herrn Voggenhubers Bericht, und das heißt die Initiative der Kommission, nur begrüßen, da er unser aller Aufmerksamkeit auf die Schlüsselfrage lenkt, dass die wirksame Achtung der Grundrechte erst beginnt, wenn die Grundrechtecharta in die Legislativvorschläge der Kommission einbezogen wird, wenn regelmäßige und strikte Kontrollen der Einhaltung der Menschenrechte entwickelt werden und wenn die EU-Agentur für Grundrechte in der Lage ist, effektiv zu arbeiten. Und obwohl es einige wenige Ziffern gibt, die Gegenstand einer rechtlichen Debatte sind, unterstütze ich als Schattenberichterstatterin den Bericht, ebenso wie es die PPE-DE-Fraktion in der morgigen Abstimmung tun wird.

 
  
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  Giovanni Claudio Fava, im Namen der PSE-Fraktion. (IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! In den anderthalb Minuten meiner Redezeit möchte ich zunächst das ungute Gefühl zur Sprache bringen, das einen bei jeder Aussprache, die dieses Parlament über die Menschenrechte zu führen hat, beschleicht, nämlich dass es sich letztlich um eine bloße rhetorische Übung handeln wird. Das sage ich auch eingedenk der Tatsache, dass ungeachtet der vor einem Monat in diesem Hohen Haus geführten Aussprache über das Ergebnis der einjährigen Tätigkeit des Nichtständigen Ausschusses zur behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen weder die Kommission noch der Rat die vom Europäischen Parlament geleistete Arbeit in irgendeiner Weise anerkannt und dazu Stellung genommen haben.

Wir möchten nicht, dass der uns vorliegenden exzellenten Mitteilung zur – worauf von Herrn Voggenhuber hingewiesen wird – Vertiefung und besseren Sichtbarkeit eines in dieser Institution seit 2001 üblichen Verfahrens, nämlich der Sicherstellung der Übereinstimmung aller Rechtsetzungsprozesse der Organe mit der EU-Grundrechtecharta, das gleiche Schicksal widerfährt. Die Anerkennung dieses Verfahrens ließ lange auf sich warten, und hoffentlich wird seine Umsetzung nicht toter Buchstabe bleiben.

Eines muss klar sein: Von der Kommission verlangen wir, dass sie dem Parlament einen jährlichen Bericht über den Stand der Umsetzung der Grundrechte in den EU-Politiken vorlegt. Es erscheint uns sehr eigenartig, dass ein Jahresbericht über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts und ein Jahresbericht über die Wettbewerbspolitik vorgesehen sind, nicht aber die Vorlage eines Berichts der Kommission an das Europäische Parlament über die Grundrechte.

Diese Ansicht vertreten wir nicht zuletzt aufgrund der Auswirkungen, die diese Politiken für 500 Millionen Unionsbürger haben, und weil es sich hier unseres Erachtens um ein heikles Thema handelt, dessen sich die EU-Organe annehmen müssen, wenn den Menschenrechten, mit denen wir uns häufig zu befassen haben, wieder Würde und Substanz verliehen werden soll.

 
  
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  Sophia in ‘t Veld, im Namen der ALDE-Fraktion.(EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich sagen, dass ich nicht näher auf den ausgezeichneten Bericht von Herrn Voggenhuber eingehen werde und lediglich bemerken, dass meine Fraktion ihn von ganzem Herzen unterstützen wird.

Grundsätzlich begrüßen wir die Vorschläge der Kommission nachdrücklich, doch sehe ich das Problem, dass sie Gefahr laufen, zu des Kaisers neuen Kleidern zu werden. Sie enthalten jede Menge guter Vorsätze, aber es besteht die große Gefahr, dass sie zu passiven, bürokratischen Übungen werden, da eine beträchtliche Lücke zwischen der Realität und den Vorschlägen in Ihrem Papier klafft, Herr Kommissar.

Ich habe ein Problem, Herr Mandelson. Wie erkläre ich Ihre wunderbaren Vorschläge meinen Wählern, wenn die Kommission sich nicht dazu äußert, wenn der Bildungsminister eines EU-Mitgliedstaates eine Kampagne gegen Homosexuelle führt? Warum bleibt die Kommission stumm im Falle der CIA-Flüge, wie uns Herr Fava gerade erinnert hat? Warum findet sie keine Worte im Fall der offenkundigen Diskriminierung und verabscheuungswürdigen Behandlung des Roma-Volkes? Es passieren viele Dinge, bei denen die Kommission sich passiv verhält und sich in einigen Fällen sogar hinter den Vorschriften versteckt. In letzter Zeit bekommen wir jedes Mal, wenn wir diese Dinge ansprechen, zu hören: „Warten wir einfach ab, bis die Agentur für Grundrechte gegründet ist“. Herr Kommissar, warum schöpft die Kommission, der Champion der Grundrechte, wie Herr Barroso uns im Oktober 2004 versprach, ihre Befugnisse nicht vollständig aus? Warum verstecken Sie sich hinter den Vorschriften? Die Menschen erwarten von Ihnen, dass Sie ihre Grundrechte schützen und fördern. Auch ich bin zwar für den Jahresbericht, doch halte ich es, offen gesagt, für viel wichtiger, dass Sie handeln und Ihre Meinung kundtun. Das ist politische Führung.

Zu den Lieblingswendungen von Herrn Barroso zählt „das Europa der Resultate“ und mir gefällt diese Wendung sehr. Doch warum beschränkt sie sich auf den wirtschaftlichen Bereich? Warum gilt sie nicht auch für den Bereich der Grundrechte? Bald werden wir 50 Jahre europäische Integration begehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, dass Menschen nie mehr um ihr Leben fürchten müssten, dass jedermann frei, sicher, gleichberechtigt sei und in einer Demokratie lebe. Daher sollten die Grundrechte die erste Priorität der Kommission darstellen und ein „Europa der Resultate“ ausmachen. Ich hoffe, dass diese Kommission in den kommenden beiden Jahren dieses Europa der Resultate und der Grundrechte schafft. Ich betrachte diesen Vorschlag nur als eine Grundlage dafür, jetzt halte ich vielmehr konkrete Maßnahmen für notwendig.

 
  
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  Sylvia-Yvonne Kaufmann, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Über sechs Jahre gibt es die Grundrechtecharta nun schon. Sie ist für die Wahrung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger überaus wichtig, doch sie ist immer noch nicht rechtsverbindlich. Daher bleibt nur zu hoffen, dass es der Ratspräsidentschaft gelingt, dem Verfassungsprozess neuen Schwung zu verleihen, denn die individuellen Rechte der Bürgerinnen und Bürger gehören zweifellos zur Substanz der Verfassung. Die Charta ist ihre Kernsubstanz.

Gerade vor diesem Hintergrund ist die Initiative der Kommission nur zu unterstützen. Hier ist davon die Rede, eine echte Grundrechtekultur zu schaffen. Diesen Ansatz möchte ich ausdrücklich unterstützen und zwei Fragen in diesem Zusammenhang hervorheben.

Zum Ersten muss systematische Grundrechteüberwachung auf jeden Fall bedeuten, sich auf die jeweils spezifisch betroffenen Grundrechte zu konzentrieren und diese Prüfung in jedem Legislativvorschlag auch genau nachzuweisen.

Zum Zweiten brauchen wir mehr als eine ausschließliche Prüfung auf mögliche Rechtsfehler bei der Abwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen und den Erfordernissen des Allgemeininteresses. Was wir brauchen ist eine grundrechtspolitische Optimierung, das heißt eine politische Analyse, um unter den verschiedenen abwägungsfehlerfreien Lösungen diejenige zu identifizieren, die das beste Verhältnis zwischen Zielbestimmung und Grundrechtsbeschränkung herstellt.

Ein solches Herangehen könnte die Grundrechtekultur, von der die Rede ist, ausmachen. So könnte die Identität der Europäischen Union als Union der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden.

 
  
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  Johannes Blokland, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Die Gewährleistung der Grundrechte aller Bürger ist grundsätzlich von entscheidender Bedeutung, wenngleich unsere Ansichten darüber, wie dies geschehen soll, divergieren. Bemerkenswerterweise möchte sich die Europäische Union im Bereich der Grundrechte erneut hervortun. Mittlerweile verfügt die Union über eine Grundrechte-Charta und über eine Agentur für Grundrechte, die beide nicht einstimmig zu Stande gekommen sind.

Eine nicht unbeachtliche Minderheit, auch in diesem Parlament, hegt schwere Bedenken gegen die Grundrechte-Charta und die Art ihrer weiteren Ausgestaltung. Darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Grundrechte-Charta ein unnötiges Duplikat der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist? Gleiches gilt für die Agentur für Grundrechte. Beide Duplikate ließen sich vermeiden, ohne damit die Bürgerrechte zu beeinträchtigen.

Dafür kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hier in Straßburg bürgen, sofern er über die dazu erforderlichen Human- und finanziellen Ressourcen verfügt. Außerdem wird von ihm die Individualität nationaler Rechtssysteme geachtet. Dies erscheint mir als ausreichende Garantie für unserer Freiheiten und Grundrechte. Deshalb bin ich dafür, die Aufgaben der Union auf dem Gebiet der Grundrechte zu begrenzen. Die Union sollte der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten; zweifellos wird darauf eine Debatte über die Einhaltung der Grundrechte und deren Kontrolle bei der gesetzgeberischen Tätigkeit der Kommission folgen.

 
  
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  Daniel Hannan (PPE-DE).(EN) Herr Präsident, liebe Kollegen! Sie haben verloren. Die Charta der Grundrechte hätte durch die EU-Verfassung Rechtskraft erlangt, jedoch wurde diese Verfassung, woran man dieses Hohe Haus regelmäßig erinnern muss, abgelehnt. 55 % der französischen Wähler und 62 % der niederländischen Wähler sagten „Nein“. Es ist eine Schande, diese Ergebnisse einfach zu ignorieren und so weiterzumachen, als ob die Verfassung in Kraft wäre, doch genau dies schlagen Sie vor. Das ist tatsächlich Ihre Vorgehensweise. Wie im Bericht Voggenhuber fröhlich festgestellt wird, fahren die Institutionen der EU mit ihrer Arbeit fort, als ob die Charta bereits geltendes Recht wäre. Dieser Bericht lässt sich in der Tat als ein Versuch beschreiben, eine illegale und undemokratische Erweiterung der EU-Rechtsprechung zu regularisieren.

Ich hoffe, wir können es als selbstverständlich voraussetzen, dass jeder von uns hier an die grundlegenden Bürgerrechte glaubt. Wir alle unterstützen die Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Versammlungsfreiheit und so weiter. Doch einige von uns sind dagegen, wie diese wichtigen Fragen unseren zuständigen einzelstaatlichen Regierungen aus der Hand genommen und den Launen europäischer Richter ausgesetzt werden.

Die EU weist Defizite auf, nicht in ihrer Achtung der grundlegenden Menschenrechte, sondern in ihrem Respekt für die Demokratie. Ansprüche auf Papier, die nicht durch demokratische Verantwortung untermauert werden, sind bedeutungslos. Die in der Charta der Grundrechte skizzierten Grundsätze könnten genau so gut beispielsweise in der Verfassung Ostdeutschlands oder der Sowjetunion gestanden haben, aber wie die Menschen in diesen unglücklichen Staaten wussten, sind schriftliche Chartas wertlos, wenn man die Herrschenden nicht zur Rechenschaft ziehen kann.

Müssen wir diese Erfahrung in der EU wirklich auch machen?

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE).(EN) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Voggenhuber zu seinem Bericht gratulieren.

Mutter Teresa sagte immer, der Teufel stecke im Detail. Es liegt auf der Hand, dass die Europäische Kommission eines Tages nicht etwa ein Gesetz verabschieden wird, das die Grundrechte eklatant verletzt: Davon geht niemand aus. Aber es gibt zum Beispiel Situationen, wie im Falle der Beschränkungen von Flüssigkeiten in Flugzeugen, wo die Komitologie auf schmachvolle Weise benutzt wurde, um über ein geheimes Gesetz – und ich betone, ein geheimes Gesetz – Bürger mit Pflichten zu belegen, die von keinem Gericht Europas, ob nun national oder europäisch, überprüft werden können.

In diesem Fall hat die Europäische Kommission keine Verletzung der Menschenrechte beobachtet, sondern etwas selbst in einer Weise gesetzlich regelt, die sich sowohl gegen den Respekt der Grundrechte richtet als auch die meisten Grundregeln der Transparenz verletzt. Solche Dinge passieren, daher sollten wir die Phrasendrescherei beenden und endlich damit anfangen, das auf uns selbst anzuwenden, was wir auch auf alle anderen, unsere Nachbarn und Partner in der ganzen Welt anwenden wollen.

 
  
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  Giusto Catania (GUE/NGL).(IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Notwendigkeit der stetigen Übereinstimmung der Legislativvorschläge mit den Grundrechten kann geeignet sein, den Weg dazu ebnen, dass die Debatte über den eigentlichen europäischen Verfassungsprozess ernsthaft wieder aufgenommen wird, das heißt ohne den plumpen Versuch der Wiederbelebung eines Vertrags, der nach seiner Berührung mit der Öffentlichkeit nunmehr gestorben ist. Am Vorabend der bevorstehenden, noch geheimnisumwitterten Berliner Erklärung bietet sich meiner Meinung nach damit eine echte Möglichkeit zur Wiedereröffnung der Debatte und zu erneuter Sinngebung Europas, und dafür bin ich Herrn Voggenhuber dankbar.

In den letzten Jahren erlebten wir CIA-Flüge und Entführungen durch die CIA auf europäischem Hoheitsgebiet, die systematische Überwachung europäischer Bürger und die Verletzung ihrer Privatsphäre sowie das Festhalten von Migranten an unmenschlichen und entwürdigenden Orten. All dies dient als eklatantes Beispiel für die Schwierigkeiten der Europäischen Union beim Schutz der Grundrechte. Nach unserem Dafürhalten müssen die Rechtsetzungsvorschläge der Europäischen Union stets nicht nur mit der Charta der Grundrechte in vollem Einklang stehen, sondern auch mit den anderen europäischen und internationalen Instrumenten im Bereich der Grundrechte. Ich denke an die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie an die Europäische Sozialcharta.

Dies erscheint uns die richtige Vorgehensweise für den Beginn einer eingehenden Debatte zur Neubelebung Europas.

 
  
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  Maria da Assunção Esteves (PPE-DE).(PT) Herr Präsident! Die Grundrechte sind das Rückgrat des gesamten politischen Handelns der EU. Seit den Römischen Verträgen ist die Demokratie eine Voraussetzung für diese Union von Nationen und die Grundlage für den Konsens. Demokratie setzt unbestreitbar voraus, dass sämtliche Institutionen sich zu einer Rechtsethik bekennen und dass die Demokratie selbst aus einer Rechtsethik entsteht.

Die formell im Vertrag von Nizza bekräftigte Charta der Grundrechte ist nicht Anderes als der klare Ausdruck dieser genetischen Matrix der EU, womit jeder Zweifel und jede Unklarheit zerstreut wird.

Die EU war immer aufs Engste mit den Grundrechten verbunden. Nur durch diese Verbindung konnte die Union sich selbst treu bleiben. Deshalb ist die Methode der Selbstkontrolle der Rechtsvorschriften, die uns die Kommission vorlegt, begrüßenswert: Dazu gehören die Achtung der Grundrechte als Bestandteil der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der legislativen Vorschläge und eine völlig neue Bewertung der Auswirkung dieser Rechtsvorschriften auf die Grundrechte. Das bringt frischen Wind und mehr Transparenz in die Büros der Kommission. Das ist eine besser strukturierte und begrüßenswertere Lösung als die neue Agentur für Grundrechte, da diese von der Kommission vorgeschlagene Methode voraussetzt, dass Menschenrechte über die Politiken der Union – sämtliche Politiken der Union – hinausgehen. Genau darin liegt ihre Stärke.

In einer demokratischen Gesellschaft beginnt die Kontrolle der Rechte damit, dass die Institutionen ihre eigene politische Praxis kontrollieren. Dennoch ist der Nutzen dieser Methode insofern begrenzt, da sie weder den EU-Rat noch die Beschlüsse im Bereich der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, bei denen die Kommission kein Initiativrecht besitzt, einschließt. Wenn es heute Bereiche gibt, die im Lichte einer Rechtskultur nicht genügend Beachtung finden, dann sind es die Bereiche des dritten Pfeilers – das Strafrecht und der Strafprozess.

Terroristische Bedrohungen und öffentliche Sorge lassen in den Mitgliedstaaten die Versuchung aufkommen, zu einem übertriebenen Sicherheitsdenken abzugleiten, wobei bisweilen die Grenzen von Freiheit und Gerechtigkeit überschritten werden. Die Methode der Kommission öffnete zwar die Tür, aber das Fenster muss auch geöffnet werden.

 
  
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  Paul Rübig (PPE-DE). – Herr Präsident! Zuerst möchte ich Herrn Voggenhuber zu seinem Bericht gratulieren und ihn auch in seinem Kampf für mehr Rechte für unsere Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Als Vertreter der Wirtschaft muss ich sagen: Es stimmt, im Binnenmarkt haben wir die Rechte des Europäischen Parlaments, der europäischen Institutionen voll durchgesetzt. Hier können wir für die 27 Mitgliedstaaten, für 500 Millionen Bürger einen Rationalisierungsprozess durchführen und sicherstellen, dass nicht 27 verschiedene Regelungen gelten, sondern eine Regelung, die in einer guten Zusammenarbeit beschlossen wurde.

Ich möchte aber auch betonen, dass es mir ein echtes Anliegen ist, im Bereich der Grundrechte eine ebenso solide Grundlage zu bekommen. Und wenn Herr Hannan gesagt hat, dass Frankreich und Holland dagegen gestimmt haben, dann kann ich nur dagegen halten, dass Spanien in einer direkten Volksbefragung dieses Projekt mit einer eindeutigen Mehrheit befürwortet hat. Und wenn man die Bevölkerungsgruppen der drei Länder zusammenrechnet, ist eine eindeutige Mehrheit entstanden.

Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung steht hinter uns. Eine überwiegende Mehrheit des Europäischen Parlaments hat sich dafür ausgesprochen, und alle Regierungen Europas haben sich einstimmig dafür ausgesprochen. Welches Votum brauchen wir noch, um Demokratie in Europa durchzusetzen und nicht an einer geographischen Grenze Halt zu machen und die Demokratie nur mehr nach Kilometern zu messen und nicht an ihren Prinzipien?

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

 

17. Verhandlungsmandat für ein Assoziierungsabkommen EU/Länder Mittelamerikas – Verhandlungsmandat für ein Assoziierungsabkommen EU/ Andengemeinschaft (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über

- den Bericht von Willy Meyer Pleite im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu dem Verhandlungsmandat für ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den Ländern Mittelamerikas andererseits (2006/2222(INI)) (A6-0026/2007) und

- den Bericht von Luis Yañez-Barnuevo García im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu den Richtlinien zur Verhandlung eines Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Andengemeinschaft und ihren Mitgliedsländern andererseits (2006/2221(INI)) (A6-0025/2007).

 
  
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  Luis Yañez-Barnuevo García (PSE), Berichterstatter.(ES) Herr Präsident! Das IV. Gipfeltreffen Europäische Union-Lateinamerika und Karibik, das im vergangenen Frühjahr in Wien stattfand, gab grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen über ein strategisches Assoziierungsabkommen zwischen Europa und der Andengemeinschaft. In diesem Bericht schlage ich etwa 30 Empfehlungen vor, die der Rat und die Kommission bei der Festlegung ihrer Verhandlungsrichtlinien berücksichtigen sollten. Wir wollen eine anspruchsvolle, breite und weitreichende Partnerschaft, von gleicher Art wie in den Assoziierungsabkommen mit dem Mercosur und Mittelamerika, da wir sie als strategisches Erfordernis für beide Regionen betrachten.

Lateinamerika und Europa sind aufgrund ihrer Geschichte, Sprache, Kultur, ihrer Glaubensbekenntnisse und ihrer Werte sowie ihres gemeinsamen Weltbilds und ihrer Unterstützung des Multilateralismus und des Systems der Vereinten Nationen zu strategischen Verbündeten in einer globalisierten Welt bestimmt. Das betrifft besonders die Andenländer, wo es Gebiete mit extremer Armut gibt und wo die größten Ungleichheiten des Kontinents herrschen.

Das Abkommen muss auf drei Säulen beruhen. Einer politisch-institutionellen Säule, einer Säule der Zusammenarbeit und einer handelspolitischen. Im politischen und Sicherheitsbereich sollte es um die Erarbeitung einer europäisch-andinen Charta für Frieden und Sicherheit, die Errichtung eines ständigen politischen Dialogs, die Förderung der Qualität der Demokratie, die soziale Kohäsion, die Unterstützung der Regierbarkeit, die Verringerung der Armut, den Austausch von Menschen, die Bekämpfung des Terrorismus, die Verhütung von Konflikten und die Abstimmung bei der Reform der Vereinten Nationen sowie um Operationen zur zivilen und militärischen Krisenbewältigung gehen.

Die zweite Säule besteht in der Unterstützung der nachhaltigen menschlichen Entwicklung und dem fortschreitenden Zugang der Andenprodukte zu den europäischen Märkten unter Wettbewerbsbedingungen. Dabei sind die sehr großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte und der Integrationsgrad zwischen den europäischen und den Andenstaaten zu berücksichtigen, was die Überprüfung der GAP und der Beihilfen seitens der Union notwendig macht.

Die dritte Säule betrifft den Handel an sich, doch im Gegensatz zu anderen Modellen mit Drittstaaten, wie den Abkommen der Andenländer mit den USA, sollen sie keine Freihandelsabkommen im strengen Sinne oder bloße, einfache Freihandelsabkommen sein, sondern sie müssen die gewaltige Kluft berücksichtigen, die beide Regionen trennt. Ohne wirtschaftliche Maßnahmen zur Unterstützung, Zusammenarbeit und Finanzierung würden die reinen handelspolitischen Maßnahmen ihrer Aufgabe, zur Entwicklung beizutragen, nicht gerecht werden können.

Die Arbeitnehmerrechte, insbesondere für indigene und in Stämmen lebende Völker, der Schutz würdiger Arbeitsbedingungen, die Nichtdiskriminierung und Gleichstellung im Bereich der Beschäftigung von Männern und Frauen sowie die Abschaffung der Kinderarbeit müssen ebenfalls Bestandteil des Abkommens sein. Besondere Betonung verdienen auch europäische Investitionen als wesentlicher Faktor der Entwicklung dieser Länder sowie die Forderung an die europäischen Unternehmen, dieselben Standards für Arbeitsbedingungen wie in den europäischen Ländern anzuwenden.

Es ist notwendig, die Einwanderung als Phänomen und Chance sowie den Schutz der Rechte der Einwanderer in das Abkommen einzubeziehen, und die Geldüberweisungen müssen leichter, billiger, transparenter und sicherer werden.

Das Umweltkapitel, dem ein herausragender Platz in dem Abkommen gebührt, muss die Etablierung gemeinsamer Politiken zur Energieeinsparung und -diversifizierung, zur Förderung von alternativen und erneuerbaren Energiequellen und zur Senkung des Schadstoffausstoßes in Übereinstimmung mit der Linie des letzten Europäischen Rates vorsehen.

Insgesamt, Herr Präsident, Herr Kommissar, muss das Ziel für uns meines Erachtens darin bestehen, dieses anspruchsvolle strategische Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sowie der Andengemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten auf dem V. Gipfeltreffen Europäische Union-Lateinamerika und Karibik 2008 in Lima zu unterzeichnen.

 
  
  

VORSITZ: MARIO MAURO
Vizepräsident

 
  
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  Willy Meyer Pleite (GUE/NGL), Berichterstatter.(ES) Herr Präsident! Jedem ist klar, dass diese Aussprache, die wir gleich im Parlament führen werden, zu einem für ganz Lateinamerika wichtigen Zeitpunkt stattfindet. Es ist ein Moment, da die Völker dieser Region offenbar nachdrücklich die Politik in Frage stellen, die sie arm gemacht hat, die neoliberal orientierte Politik. Der Besuch von Präsident Bush in Lateinamerika ist ein mehr als deutlicher Beweis dafür.

Besonders im Hinblick auf das Assoziierungsabkommen mit Mittelamerika hat die Europäische Union eine historische Pflicht gegenüber dieser Region. Wir waren in den Achtzigerjahren ganz maßgeblich am mittelamerikanischen Befriedungs- und Demokratisierungsprozess beteiligt – dem Übereinkommen von San José und dem Abkommen von Esquipulas –, bei dem sich die Europäische Union von den USA löste, eine eigenständige Position einnahm und eine entscheidende Rolle spielte.

Die gegenwärtige Lage Mittelamerikas ist mehr als klar: ein sehr schwaches Wirtschaftswachstum – derzeit 0,6 % –, die Armut auf einem Niveau ähnlich dem der Neunzigerjahre und wachsende Ungleichheiten.

Die Friedensabkommen sind noch nicht verifiziert worden. Das Gleiche gilt für die Bereiche Menschenrechte, Straflosigkeit und Korruption, und die regionale Integration ist noch sehr schwach.

Vor diesem Hintergrund habe ich mich zur Erarbeitung eines Berichts entschlossen, um festzustellen, welche Art von Partnerschaft wir wollen. Ich habe ihn auf drei Hauptsäulen gegründet: den politischen Dialog mit Blick auf eine verantwortungsvolle Regierungsführung, Entwicklungszusammenarbeit, um zur Beseitigung der strukturellen Ursachen von Armut und Ungleichheit beizutragen, und einen Handel im Geiste von Gerechtigkeit und gegenseitigem Vorteil, basierend auf Komplementarität und Solidarität. Ein Abkommen, das nach regionaler Integration strebt, um zur gerechten und ausgewogenen Verteilung des Einkommens und Reichtums in Mittelamerika beizutragen. Das war der Kontext. Wir wollten eine Übereinkunft, die nicht zu einem Freihandelsabkommen oder einem Abkommen über die Privatisierung der öffentlichen Dienste führte. Mit einem Wort, wir wollten politischen Dialog und Zusammenarbeit nicht den Freihandelsformeln unterordnen.

Ich bin überzeugt, dass ein Freihandelsabkommen mit ausgeprägtem neoliberalen Charakter zwischen ungleichen Regionen – ungleich in jeder Bedeutung des Wortes – einfach die Ungleichheit verstärken, die Ausbeutung durch eine Unternehmenselite fördern und zu einem noch größeren Zyklus von Abhängigkeit, Ausgrenzung, Armut und extrem hohen Sozial- und Umweltkosten führen würde.

Meiner Ansicht nach müssen Handel und Zusammenarbeit auf eine nachhaltige Entwicklung auf regionaler Ebene orientiert sein, die den Menschen zugute kommt, und nicht auf eine Reihe von Projekten, von denen das transnationale Kapital profitiert, wie der Puebla-Panama Plan oder die Europäische Investitionsbank.

In dieser Absicht habe ich den vorliegenden bescheidenen Bericht mit Unterstützung vieler Organisationen der Zivilgesellschaft aus Europa und Mittelamerika erarbeitet. Der Entwicklungsausschuss und der Ausschuss für internationalen Handel gaben dann naturgemäß ihre Stellungnahmen zum Bericht ab. Natürlich möchte ich Ihnen allen für die Beiträge danken, die den Text im Hinblick auf das Konzept, das ich während dieses gesamten Prozesses beibehalten wollte, verbessert haben.

Mein besonderer Dank gilt Miguel Ángel Martínez für seine stets fairen und kooperativen Beiträge, in diesem Fall vom Entwicklungsausschuss. In der Stellungnahme des Ausschusses für internationalen Handel unterbreitete Herr Susta einige ganz erhebliche Änderungsanträge zum Text, die den Bericht, den ich dem Haus vorlegen wollte, nachgerade entstellen.

Die eigentliche Absicht war, einen ausgewogenen Bericht zu präsentieren, der auf diesen drei zuvor genannten Säulen basierte, doch praktisch führten die Änderungsanträge in ihrer Gesamtheit zu einem Dokument, das im Wesentlichen die Errichtung einer Freihandelszone anstrebte.

Bei diesem Punkt bemühte ich mich, dieses Konzept so weit wie möglich abzuschwächen. Ich meine hier den Versuch, Mittelamerika den Eindruck zu vermitteln, dass wir Europäer vor allem eine Freihandelszone wollen. Wir haben uns mit Herrn Salafranca von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, Herrn Obiols von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und Herrn Susta von der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa auf sieben Kompromissänderungsanträge geeinigt, und ich möchte ihnen nochmals aufrichtig für ihre Bereitschaft danken, einen Weg zu finden, um den Bericht zu entschärfen und ihn nicht zu verderben.

Doch ich möchte natürlich auch Herrn Obiols und Frau De Kayser von der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und Herrn Romeva von der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz meinen Dank für ihre Änderungsanträge aussprechen, denn sie verbessern den Bericht und präzisieren diesen Wunsch, das Mandat klar in die Richtung eines Assoziierungsabkommens zu lenken, das keine Freihandelszone einbezieht.

Bis zu einem gewissen Grad war dies eine gute Sache, denn wir konnten, wie ich sagte, so wichtige Punkte wie den Buchstaben v) abschwächen, der ausdrücklich empfiehlt, dass die Freihandelszone ein prioritäres strategisches Ziel sein sollte, und auf den CAFTA-Plan Bezug nimmt. Es ist uns gelungen, diesen Punkt zu entschärfen, aber nicht genug.

Ich weiß nicht, ob es so etwas schon früher gab, aber ich werde meiner Fraktion empfehlen, sich bei der Abstimmung über diesen Bericht zu enthalten, da ich nicht der Ansicht bin, dass damit das von mir angestrebte Ziel, einen ausgewogenen Bericht vorzulegen, erreicht wurde.

Auf jeden Fall bin ich sehr interessiert, die Meinung des PARLACEN, des Zentralamerikanischen Parlaments, und der mittelamerikanischen politischen Organisationen zu hören, und ich hoffe, dass die Europäische Kommission bei Aufnahme der Verhandlungen feststellen wird, dass Mittelamerika keine Kopie der Position der USA will, sondern einen Standpunkt, der anders, unabhängig und auf gleicher Augenhöhe ist.

 
  
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  Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Zunächst darf ich, auch im Namen meiner Kollegin, Benita Ferrero-Waldner, die bemerkenswerte Arbeit der beiden Berichterstatter sowie die konstruktive Analyse und die Hinweise von Seiten des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, des Entwicklungsausschusses und des Ausschusses für internationalen Handel in Bezug auf die einzelnen Aspekte und Perspektiven für künftige Vereinbarungen mit diesen Regionen begrüßen.

Der Abschluss von Assoziationsabkommen mit Mittelamerika und der Andengemeinschaft ist ein lang angelegtes strategisches Ziel für beide Regionen, das mehrfach von den Staats- und Regierungschefs auf den Gipfeln in Guadalajara und Wien bekräftigt wurde.

Mit der Verhandlung dieser Übereinkommen demonstriert die EU ihr Engagement für diese Region und ihre Entschlossenheit, ihre Beziehungen mit allen lateinamerikanischen Ländern zu intensivieren. Europa und Lateinamerika sind seit jeher Partner, und engere Bande zu Mittelamerika und der Andengemeinschaft werden zu einer stärkeren Partnerschaft beitragen, sowohl politisch als auch ökonomisch.

Die Abkommen werden auf regionenabhängiger Basis verhandelt, um den regionalen Integrationsprozessen sowohl in Mittelamerika als auch in der Andengemeinschaft stärkere Impulse zu verleihen. Wie bereits mehrfach betont wurde, auch durch das Europäische Parlament, ist die regionale Integration der Schlüssel zu politischer und sozialer Stabilität. Sie wird auch dazu beitragen, diese Regionen erfolgreicher in die Weltwirtschaft zu integrieren, indem größere und stabilere Volkswirtschaften aufgebaut werden, die attraktiv für Investoren sind. Nichtsdestoweniger sollte sich die EU von dem Versuch verabschieden, ihr eigenes Modell durchzusetzen: Die regionale Integration sollte von jeder Region auf der Grundlage ihrer eigenen Pläne und Vorhaben entwickelt werden.

Die Assoziationsabkommen sind als umfassende Verträge gedacht, die die gesamte Palette der vielschichtigen Beziehungen der EU mit beiden Regionen widerspiegeln: politischer Dialog, Zusammenarbeit und Handel.

Die Achtung und Förderung demokratischer Grundsätze, grundlegender Menschenrechte, von Rechtsstaatlichkeit und verantwortungsvoller Staatsführung werden das Herzstück unserer Beziehungen mit Mittelamerika und der Andengemeinschaft bilden. Außerdem vertritt die Kommission die Auffassung, dass in den Assoziationsabkommen insbesondere auf die effektive Umsetzung international geltender Standards bei den Menschenrechten, sozialen Themen sowie in den wichtigen Bereichen Beschäftigung und Umwelt geachtet werden sollte, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Was den politischen Dialog betrifft, so soll mit diesen Abkommen ein großer Themenbereich abgedeckt werden, beispielsweise der Klimawandel, Energie, Migration und der Kampf gegen Drogen. Diese Themen sind nicht nur für diese beiden Regionen von Bedeutung, sondern für den ganzen Planeten. Ein verbesserter Dialog mit Mittelamerika und der Andengemeinschaft zielt auf ein konstruktives Engagement zum Zwecke eines wirksamen Multilateralismus und internationaler verantwortungsvoller Staatsführung ab, die auf die weltweiten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagieren kann.

Der politische Teil der Assoziationsabkommen wird ergänzt durch Maßnahmen, die auf die Verbesserung des biregionalen Handels und entsprechender Investitionen in ausgewogener und fairer Weise abzielen. Dies lässt sich nicht nur durch die schrittweise und gegenseitige Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungshandels erreichen, sondern auch durch die Schaffung eines gerechten und transparenten Rechtsrahmens. Es müssen auch Ungleichgewichte zwischen unseren Regionen berücksichtigt werden. Der handelspolitische Teil des Abkommens wird mit den WTO-Vorschriften und –Verpflichtungen vollständig kompatibel sein und über deren Grundanforderungen hinausreichen, um den gegenseitigen und langfristigen Nutzen der biregionalen Handelsliberalisierung zu maximieren.

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Seiten soll grundsätzlich auf den globalen Zielen und Grundsätzen beruhen, die sich aus unserer Entwicklungspolitik ergeben, wie z. B. dem Europäischen Konsens zur Entwicklungspolitik, oder den internationalen Abkommen, die wir unterzeichnet haben, einschließlich die Millenniums-Entwicklungsziele sowie die Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Hilfe. Sozialer Zusammenhalt wird ein Schwerpunkt sein. Das Kapitel zur Zusammenarbeit sollte die Bereitschaft widerspiegeln, gemeinsam zu arbeiten und Erfahrungen auszutauschen, aber auch Solidarität gegenüber den ärmsten und am meisten ausgegrenzten Menschen zeigen.

Ich möchte mit einem Überblick über die Vorbereitung dieser Verhandlungen schließen: Der Entwurf der Verhandlungsleitlinien wurde von der Kommission am 6. Dezember 2006 angenommen und wird gegenwärtig mit den Mitgliedstaaten verhandelt. Die Kommission hofft, dass die Verhandlungsleitlinien noch in dieser Jahreshälfte angenommen werden und, wenn es die Bedingungen erlauben, mit diesen beiden lateinamerikanischen Teilregionen Verhandlungen aufgenommen werden können. Wenn wir diesen ehrgeizigen Zeitplan einhalten können, dann vor allem dank Ihrer Unterstützung und Entschlossenheit, die Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika zu verbessern, insbesondere mit diesen beiden Regionen.

 
  
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  Miguel Angel Martínez Martínez (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Entwicklungsausschusses. – (ES) Herr Präsident! Der ursprüngliche Bericht, den uns Herr Meyer über das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Mittelamerikas vorlegte, diente dem Entwicklungsausschuss als Grundlage für seine Stellungnahme. Wir stimmten im Großen und Ganzen seinen Vorschlägen zu und einigten uns auch auf eine Reihe von Empfehlungen unseres Entwicklungsausschusses zu diesen Fragen. Herr Meyer war sehr aufgeschlossen, und wir unterzeichneten gemeinsam sieben Änderungsanträge, in denen die spezifischen Anliegen des Entwicklungsausschusses zum Ausdruck kamen.

Ich muss darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass ich den Text, der jetzt dem Haus unterbreitet wird, sehr farblos im Vergleich zu den ursprünglichen Vorschlägen finde. Sie wurden in einer weitgehend neoliberalen Form umgearbeitet, wobei sie vielleicht die Ansicht der Mehrheit des Parlaments wiedergeben.

Die Wahrheit ist, dass wir dank der Kompromisse mit diesen Texten leben können. Wir werden für sie stimmen, doch ohne jede Begeisterung, da sie nicht auf die Bedürfnisse Mittelamerikas oder die Erwartungen seiner Völker zugeschnitten sind und weil dieser Text das Ansehen der Europäischen Union in diesen Gesellschaften nicht verstärken wird.

Von den sieben Änderungsanträgen, die der Entwicklungsausschuss vorgeschlagen hatte, sind drei akzeptiert worden. Sie betonen, dass das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mittelamerika die Dimension der Entwicklungszusammenarbeit einbeziehen und deshalb, wie der Kommissar sagte, die im europäischen Konsens über die Zusammenarbeit festgelegten Prioritäten aufgreifen muss: die Beseitigung der Armut und die Erreichung der Millenniumsziele. Dessen eingedenk und angesichts der Bedeutung, die wir dem Zustandekommen dieses Abkommens beimessen, enthält der Text, über den wir abstimmen werden, nur die für uns erforderlichen Mindestvoraussetzungen, um ihn unterstützen zu können.

 
  
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  Małgorzata Handzlik (PPE-DE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für internationalen Handel. (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte dem Berichterstatter für seinen umfassenden und ausgewogenen Bericht danken, der unter den heutigen Bedingungen von außerordentlicher Bedeutung ist. Er ist ein wichtiger Wegweiser und eine Hilfe bei den Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft zu einem für den politischen und wirtschaftlichen Wandel in dieser Region entscheidenden Zeitpunkt.

Die Andengemeinschaft ist ein leistungsfähiges und geschlossenes System, das mehrere Länder Lateinamerikas in sich vereint. Beide Seiten – die Europäische Union und die Andengemeinschaft – werden von einer Vertiefung der gegenseitigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen profitieren. Die Richtlinien für den Rat sind ein in sich geschlossenes umfassendes Dokument, das alle für eine zufrieden stellende Zusammenarbeit erforderlichen Elemente enthält. Der Berichterstatter hebt die große Bedeutung hervor, die dem politischen Dialog, der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, der Bildung und den Menschenrechten zukommt. Er betont ferner, wie wichtig der Kampf gegen Drogen, Waffenhandel und organisierte Kriminalität ist, und unterstreicht, dass diese Zusammenarbeit auf dem freien Handel basieren muss. Mit dem Assoziierungsabkommen müssen der Handel schrittweise liberalisiert und die politischen Beziehungen ausgebaut werden. Gleichzeitig gilt es, die Demokratie sowie die für die Region charakteristischen sozialen und kulturellen Rechte zu fördern.

Ich freue mich, dass die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen im Assoziierungsprozess in den Verhandlungsrichtlinien berücksichtigt wurde, ein Punkt, dessen Bedeutung ich in meiner Stellungnahme für den Ausschuss für internationalen Handel unterstrichen habe. Wir alle sind uns dessen wohl bewusst, dass der KMU-Sektor eine der Hauptquellen wirtschaftlichen Wachstums darstellt und maßgeblichen Einfluss auf den Lebensstandard und die Minderung der Armut hat. Deshalb muss, wie ich meine, unser besonderes Augenmerk der Förderung dieses Sektors gelten, indem wir den KMU den Zugang zu Darlehen erleichtern, unnötige Handelshemmnisse beseitigen sowie Innovations- und Entwicklungsprogramme umsetzen.

 
  
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  Gianluca Susta (ALDE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für internationalen Handel. (IT) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde mich auf den Bericht Meyer konzentrieren, in dem es um eine wichtige Initiative für die Europäische Union geht, die Mittelamerika erneut als Chance betrachten, den Handel fördern sowie die Zollschranken, nicht aber den freien Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehr, mit der Zeit schrittweise abbauen muss, wobei gleichzeitig die spezifischen Besonderheiten dieser Länder voll genutzt werden sollten.

Dies bedeutet Intensivierung der Zusammenarbeit und der Entwicklung, Schutz der sozialen und individuellen Würde der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft sowie die allmähliche Öffnung unserer Märkte vor allem für die typischen Agrarerzeugnisse dieser Länder, die nach wie vor einen wesentlichen Teil ihres BIP ausmachen.

Der Ausschuss für internationalen Handel hat, wie gewöhnlich, einen seinem Zuständigkeitsbereich entsprechenden Beitrag geleistet, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der mittelamerikanischen Länder ist jedoch zweifellos eine Grundvoraussetzung für die politische Stabilisierung einer Region, die noch immer unter den Folgen der heftigen Konflikte leidet, die vor einigen Jahren zwischen den tyrannischen Institutionen und den revolutionären Kräften ausgetragen wurden und die Hunderttausende von Todesopfern gefordert sowie zur Erschütterung dieses geopolitischen Gebiets geführt haben.

Der kulturelle und politische Ansatz des Berichts ist daher positiv und wurde meines Erachtens durch den Vorschlag des Ausschusses für internationalen Handel nicht verwässert. Darüber hinaus hat die Tatsache, dass einige der empfohlenen Leitlinien im Wesentlichen übernommen wurden, dazu beigetragen, die Frage der Schaffung einer Freihandelszone mit der allgemeineren Problematik im Zusammenhang mit der Förderung der Demokratie in diesem geopolitischen Raum zu verknüpfen.

 
  
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  José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-DE-Fraktion.(ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die Berichte von Herrn Yañez und Herrn Meyer tragen der seit langem erhobenen Forderung unseres Parlaments Rechnung, auch mit der Anden- und der mittelamerikanischen Gemeinschaft Assoziierungsabkommen abzuschließen, wie wir sie schon mit anderen Teilen der Region haben, damit diese ebenfalls von den gut abgestimmten und entwickelten Instrumenten, die die Europäische Union für ihre Beziehungen mit Drittländern besitzt, profitieren können.

Natürlich sind dies nicht die einzigen Regionen, mit denen die Europäische Union derzeit über Assoziierungsabkommen verhandelt, Herr Präsident. Da der Handelskommissar heute Abend anwesend ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, ihn zu bitten, sich besonders für Verhandlungen der Europäischen Union einzusetzen, die sich schon zu lange hinziehen, nämlich die mit dem Mercosur.

Ich verstehe die Schwierigkeiten bei diesen Verhandlungen. Sie sind natürlich nicht nur dem Willen der Europäischen Union zuzuschreiben, doch ich glaube, wir sollten Anstrengungen unternehmen, um ihnen einen Impuls zu verleihen, damit sie fortgeführt werden.

Herr Präsident, ich möchte darauf verweisen, dass in den Abkommen der ersten und zweiten Generation zwischen der Europäischen Union und den Ländern Lateinamerikas der Akzent auf Forschung und Entwicklung gesetzt wurde, in denen der dritten Generation wurde die Demokratieklausel betont, und in den Assoziierungsabkommen der vierten Generation wird das Gewicht auf eine schrittweise und gegenseitige Liberalisierung des Handels gelegt.

Natürlich bedeutet dies nicht, dass die kommerziellen Aspekte am wichtigsten sind. Wie der Kommissar vor ein paar Minuten sagte, legt diese Partnerschaft die Grundlagen für die Beziehungen in Fragen des politischen Dialogs, der Achtung der Menschenrechte, der demokratischen Werte, der Respektierung der Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung der Korruption.

Es ist jedoch klar, dass wir die Bedeutung des Freihandels nicht ignorieren dürfen. Er ist eine Forderung der mittelamerikanischen und Andenländer, und in dieser Hinsicht lautet meine einzige Empfehlung, Herr Präsident, diesen ehrgeizigen Zeitplan, von dem der Kommissar gesprochen hat – zumal die Kommission die Verhandlungsleitlinien angenommen hat und das Parlament ihnen morgen ebenfalls zustimmen wird –, so bald wie möglich mit Inhalt zu füllen, denn wir haben schon zu lange auf den Abschluss von Assoziierungsabkommen mit der Anden- und der mittelamerikanischen Gemeinschaft gewartet, wie sie mit Mexiko und Chile bestehen, die im Übrigen hervorragende Ergebnisse gezeitigt haben.

 
  
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  Raimon Obiols i Germà, im Namen der PSE-Fraktion.(ES) Herr Präsident! Unsere Fraktion hat einen Konsens im Zusammenhang mit den Berichten unserer Kollegen Yañez und Meyer gesucht. Wir haben Kompromissänderungsanträge angestrebt, weil es nach meiner Ansicht wichtig ist, eine Botschaft an die betreffenden lateinamerikanischen Subregionen zu richten und ihnen zu sagen, dass die Vorschläge der Europäischen Union nicht nur in einem Freihandelsabkommen bestehen, sondern dass wir ein Abkommen mit einem breiteren Geltungsbereich wollen, in dem vor allem die politische Abstimmung und die Entwicklungszusammenarbeit Berücksichtigung finden.

Wenn ich die wesentlichen Punkte der Diskussion über die beiden Berichte hier im Parlament richtig verstanden habe, sieht es so aus, als hätten die Vertreter der Europäischen Volkspartei größeren Nachdruck auf die Aspekte des freien Marktes in diesen Verhandlungen gelegt, während andere, auch die Sozialdemokratische Fraktion, der politischen Abstimmung, der Solidarität, der Unterstützung der demokratischen Institutionen, der Bekämpfung der Armut und der Gewalt mehr Bedeutung beigemessen haben.

Betrachten wir den gegenwärtigen Kontext der kommerziellen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Mittelamerika, erkennen wir beispielsweise, dass der Handel der Europäischen Union mit Mittelamerika etwa 0,3 % unseres Außenhandels ausmacht und dass auch der Handel Mittelamerikas mit der Europäischen Union nicht mehr als 9 oder 10 % seines Außenhandelsvolumens beträgt.

Wenn wir die klassische Maxime primum vivere, deinde philosophare [zuerst leben, dann philosophieren] anwenden, werden wir bald zu dem Schluss gelangen, dass der entscheidende Aspekt unserer Beziehungen angesichts der Situation in diesen Ländern nicht so sehr im Handel als im Kampf gegen die Armut, das Sicherheitsdefizit und die Gewalt und in einigen Ländern in der Bekämpfung des sich immer mehr verschärfenden Problems des Drogenhandels und des organisierten Verbrechens liegt. Das ist das Hauptthema.

Vor kurzem sagte ein großer europäischer Journalist, der Pole Kapucinski, dass wir diese Länder nur zur Kenntnis nehmen, wenn es dort zu Blutvergießen kommt, und er fügte hinzu: „Das ist traurig, aber wahr“. Ganz offensichtlich stehen wir jetzt vor einer Situation, in der wir, nachdem wir zehn Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen in Mittelamerika dieser Region keine Beachtung mehr geschenkt haben, ihr jetzt erneut unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Es gilt, die sich bietenden Möglichkeiten durch die Aufnahme von Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen maximal zu nutzen, ein Abkommen, das nach unserer Meinung den größtmöglichen Konsens und die mehrheitliche Unterstützung dieses Parlaments erhalten muss.