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Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : RC-B6-0190/2007

Eingereichte Texte :

RC-B6-0190/2007

Aussprachen :

PV 09/05/2007 - 12
PV 09/05/2007 - 13
CRE 09/05/2007 - 12
CRE 09/05/2007 - 13

Abstimmungen :

PV 10/05/2007 - 7.7
CRE 10/05/2007 - 7.7
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P6_TA(2007)0178

Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 9. Mai 2007 - Brüssel Ausgabe im ABl.

12. Gipfel EU/Russland (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zum Gipfel EU/Russland.

 
  
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  Günter Gloser, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Europäischen Kommission, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich unserem eigentlichen Thema widme, möchte ich ganz kurz auf die vorangegangene Diskussion eingehen. Der Ratsvorsitz und damit auch die Europäische Union hat angesichts des Konflikts – auch vor dem Hintergrund der Souveränität eines Mitgliedstaats der Europäischen Union – rechtzeitig reagiert, aber auch gleichzeitig Solidarität gezeigt und – was Frau Kollegin Zimmer angesprochen hat – zur Deeskalation beigetragen. Dies wird natürlich auch weiterhin unsere Aufgabe sein.

Wir feiern heute, am 9. Mai, den Europatag. Der 9. Mai steht symbolisch für die europäische Einigung. Seit dem Vorschlag Robert Schumans, eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu schaffen, hat Europa einen langen, schwierigen, aber meines Erachtens erfolgreichen Weg zurückgelegt bis hin zur heutigen Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten. Heute hat die Europäische Union ein Maß an Stabilität und Wohlstand verwirklicht, um das uns die Welt beneidet. Ohne politische Weitsicht und strategische Geduld wäre dieser historische Erfolg nicht möglich gewesen.

Beides ist auch gefordert, wenn es um die Gestaltung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland geht. Zu Recht sieht die Europäische Union Russland als Partner und Nachbarn, mit dem sie eine strategisch angelegte Zusammenarbeit verbindet. Mit kaum einem anderen Land unterhält die Europäische Union so umfassende und intensive Beziehungen wie mit Russland. Es ist eine grundlegende Erkenntnis der europäischen Geschichte, dass Stabilität und Wohlstand in Europa auf Dauer nur mit Russland zu sichern sind. Auch die großen globalen Herausforderungen können wir letztlich nur gemeinsam bewältigen: den Kampf gegen den internationalen Terrorismus ebenso wie die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Gefahr eines globalen Klimawandels. Bei den internationalen Konflikten – ob im Kosovo, im Iran oder im Nahen Osten – ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland unverzichtbar, wenn wir denn Erfolg haben wollen.

Unsere gemeinsamen Interessen, aber auch die gegenseitigen Abhängigkeiten sind im Zeitalter der Globalisierung weitaus bedeutender als das, was uns trennt. Das gilt etwa für den Bereich der Energie. Hier wird oft vergessen, dass Russland bei seinen Gasexporten zu 80 % von der EU als Konsument abhängt. Russland braucht für die dringend erforderliche Modernisierung seiner Wirtschaft die Kooperation mit der Europäischen Union. Und die Europäische Union selbst hat ein überragendes Interesse daran, Russland weiter an sich zu binden. Umgekehrt ist die Europäische Union, wie Präsident Putin zu Recht immer wieder gesagt hat, Russlands Wunschpartner. Mit Europäischer Union sind natürlich alle 27 Mitgliedstaaten gemeint.

Die mit Russland vereinbarte Politik der vier Räume bildet die Grundlage für diese auf Vernetzung angelegte Zusammenarbeit. Die deutsche EU-Präsidentschaft will den EU-Russland-Gipfel am 18. Mai in Samara deshalb nutzen, um die Partnerschaft mit Russland weiter zu festigen und auszubauen. Wir wollen uns dabei nicht auf einen bloßen Meinungsaustausch beschränken, vielmehr sollen von diesem Gipfel positive Signale für eine Verstärkung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland ausgehen. Wir setzen uns deshalb weiter mit Nachdruck dafür ein. Wir wissen, dass wir spätestens auf dem Gipfel mit den Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen für das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen beginnen müssen.

Zusammen mit der Kommission bemüht sich der deutsche Ratsvorsitz weiter nach Kräften um eine Lösung der noch offenen Frage des russischen Einfuhrverbots für polnische Agrarprodukte. Nach den zahlreichen Gesprächen, die zwischen der Kommission, Polen und Russland stattgefunden haben, ist nunmehr die Zeit gekommen, dass Russland ein Datum für die Aufhebung des Einfuhrverbots nennt. Die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues, strategisch angelegtes Abkommen wäre ein wichtiges politisches Signal, dass beide Seiten weiter engagiert an der Fortentwicklung ihrer Partnerschaft arbeiten. Dies darf letztlich nicht an einer technischen Frage scheitern.

Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland auf eine neue Grundlage zu stellen und neue gemeinsame Perspektiven zu formulieren. Das gilt etwa für die Entwicklung einer Energiepartnerschaft zwischen der EU und Russland auf der Grundlage verlässlicher Regeln und Rahmenbedingungen. Präsident Putin hat in Lahti im Oktober letzten Jahres zugesichert, dass diese Grundsätze in das neue Abkommen aufgenommen werden. Schon auf dem EU-Russland-Gipfel möchten wir mit der russischen Regierung darüber sprechen, wie wir auch in Zukunft Irritationen im Bereich der Energiebeziehungen vermeiden und Unterbrechungen in der Versorgung verhindern können. Die Einrichtung eines Frühwarnmechanismus wäre hierfür eine wichtige Voraussetzung.

Die Energiepolitik ist eng mit der Klimapolitik verbunden. Daher sind auch Klimawandel und Sicherheit Themen, die auf dem Gipfeltreffen behandelt werden sollten. Wie Sie wissen, ist die Europäische Union bereit, bis zum Jahr 2020 ihre Treibhausgasemissionen um 30 % zu reduzieren, wenn andere Industriestaaten vergleichbare Verpflichtungen übernehmen. Es wäre daher ein großer Erfolg, wenn wir Russland dafür gewinnen könnten.

Die Partnerschaft zwischen der EU und Russland geht aber über Energie- und Wirtschaftsthemen hinaus. In Bildung, Forschung und Kultur liegt ein großes, noch bei weitem nicht ausgeschöpftes Potenzial für eine Intensivierung der Beziehungen zwischen der EU und Russland. Gerade in diesen Zukunftsfeldern können beide Seiten von mehr Verflechtung und Vernetzung profitieren. Hier bietet sich für die Europäische Union in besonderer Weise die Chance, die Transformation Russlands im Sinne europäischer Werte zu begleiten. Wir möchten deshalb den Gipfel dafür nutzen, eine vertiefte Zusammenarbeit auf diesen Gebieten auf den Weg zu bringen, etwa durch die Verstärkung des akademischen Austauschs und der Forschungskooperation.

Die Stärkung der Sicherheit in Europa verlangt eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland. Wir wissen, dass das Gespräch mit Russland über dieses Thema in jüngster Zeit nicht immer einfach war. Mit Besorgnis haben wir die russischen Äußerungen über ein Moratorium des KSZE-Vertrags vernommen. Hier – wie auch bei der Diskussion über die Raketenabwehr – muss alles getan werden, um eine neue Spirale des Misstrauens zu vermeiden, denn nur durch gegenseitiges Vertrauen und praktische Kooperation wird es uns gelingen, dauerhaft Sicherheit in Europa zu verankern.

Deshalb werden wir Russland auch weiterhin davon zu überzeugen versuchen, dass es eine Lösung für den künftigen Status des Kosovo auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans mitträgt. Das wäre ein entscheidender Beitrag Russlands zur europäischen Sicherheit. Auf die konstruktive Mitarbeit Russlands kommt es maßgeblich auch für die Fortschritte bei den so genannten frozen conflicts in Moldau und im südlichen Kaukasus an.

Wirkliche Partnerschaft schließt den Dialog über kontroverse Fragen ein. Deshalb – ich möchte das hier unterstreichen – werden wir in Samara auch über die innere Entwicklung Russlands sprechen. Sie hat in der EU gerade in jüngster Zeit zu kritischen Fragen und auch Sorgen geführt. Das gilt vor allem für die Lage der Medien und der Zivilgesellschaft. Das harte Vorgehen der russischen Behörden gegen die Demonstrationen in Moskau, St. Petersburg und Nischni Nowgorod ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die viele insgesamt als problematisch empfinden und die so auch nicht akzeptiert werden kann.

Am 3. Mai fanden die fünften Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland in Berlin statt. Die Europäische Union äußerte ihre Bedenken insbesondere hinsichtlich des Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, speziell im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Russland. Die EU brachte ihre Sorge in Bezug auf die Situation der russischen Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und des Extremismusgesetzes deutlich zum Ausdruck. Natürlich wurden auch einzelne Fälle von Menschrechtsverletzungen und die Lage in Tschetschenien sowie die Bekämpfung von Folter und Misshandlung thematisiert. Auch hier gilt: Wir üben nicht Kritik um der Kritik willen, sondern weil uns eine gute und gedeihliche Entwicklung Russlands am Herzen liegt.

Die EU hat ein überragendes Interesse an einem stabilen, starken Russland, das sich in seiner Entwicklung an europäischen Werten orientiert, ohne seine eigenen Traditionen zu verleugnen. Dazu gehört auch ein gedeihliches Verhältnis zu Russlands Nachbarn, das von offenem Dialog und guter Zusammenarbeit, aber nicht von Druck geprägt ist. In diesem Sinne haben wir uns als Ratspräsidentschaft – auch zu Gunsten unseres EU-Partners Russland – für eine erfolgreiche Deeskalation eingesetzt. So konnten durch unsere Vermittlung die unhaltbaren Zustände um die estnische Botschaft in Moskau beendet werden. Wir werden mit Russland diesen gerade in Bezug auf seine baltischen Nachbarn nicht immer einfachen Dialog auch weiterhin führen.

Die Modernisierung Russlands wird letztendlich nur dann erfolgreich sein, wenn auch jene demokratischen und rechtsstaatlichen Werte und Prinzipien gestärkt werden, zu denen sich die EU und Russland in den Vereinten Nationen, im Europarat und in der OSZE gemeinsam bekennen. Es ist eine europäische Erfahrung, dass Rechtsstaatlichkeit und eine kritische und lebendige Zivilgesellschaft Voraussetzungen für gutes Regieren sind. Die künftige Entwicklung ganz Europas hängt also entscheidend davon ab, dass die Entwicklung einer umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland gelingt.

Es ist ein historisches Projekt, das strategische Geduld und Realismus auf beiden Seiten verlangt. Zu diesem Realismus gehören die Einsicht in das Machbare und das Bemühen, Erfolge Schritt für Schritt zu erarbeiten. Das wird – wie in vielen anderen Bereichen auch – nicht ohne Schwierigkeiten gehen. Dennoch: Weder die Europäische Union noch Russland haben eine realistische Alternative zu diesem Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Ihn zu gehen, ist unsere gemeinsame europäische Verantwortung.

(Beifall)

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Abgeordneten! Angesichts des wenig befriedigenden Zustands der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union hält die Kommission es für erforderlich, einige prinzipielle Bemerkungen in dieser Debatte zu machen.

Erstens: Russland ist unser strategischer Partner Nummer 1 in Europa. Zweitens: Wir haben jedes Interesse an Russland als einem stabilen und zuverlässigen Partner, so wie wir Russland ein ebensolcher Partner sein wollen. Drittens: Wir sind davon überzeugt, dass unsere Partnerschaft am besten gedeihen kann, wenn sie auf beiden Seiten getragen ist von einem unzweideutigen Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sowie dem beständigen Bestreben, sie zu verwirklichen. Viertens: Unsere Beziehungen zu Nachbarn und anderen Völkern außerhalb Europas sind nicht wertfrei, sondern sie sind gegründet auf unseren Wertekonsens und unser Wertesystem. Das ist der Grund, warum Europa für so viele außerhalb unserer eigenen Grenzen zu einem Kontinent der Hoffnung geworden ist. Wir wollen daran festhalten.

Das Gipfeltreffen findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen zur Staatsduma und auf die Präsidentschaftswahlen ist das Augenmerk Moskaus auf eine reibungslose Machtübergabe gerichtet. Deshalb stecken die Beziehungen zum Westen im Allgemeinen und auch die Beziehungen zur EU in einer schwierigen Phase.

In vielen Punkten der aktuellen Agenda vertreten wir unterschiedliche Standpunkte. Ich erinnere an die Frage der Zukunft des Kosovo, die Frage der Raketenabwehr sowie der konventionellen Streitkräfte in Europa. Das alles sind Themen, die im Augenblick hoch oben auf der Tagesordnung stehen. Natürlich geht es auch immer wieder um die sichere Energieversorgung für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

In dieser Situation ist es wichtig, dass wir die längerfristigen Interessen der Europäischen Union in ihren Beziehungen zu Russland im Auge behalten. Wir sind nicht nur Nachbarn mit einer langen gemeinsamen Geschichte, sondern auch auf vielen Gebieten aufeinander angewiesen. Wir sind bei weitem der größte Exportmarkt Russlands, und Russland ist unser wichtigster Energielieferant. Keine wichtige außenpolitische Frage in Europa kann ohne unser gemeinsames Einvernehmen gelöst werden. Dazu brauchen wir den ständigen und konstruktiven Dialog, innerhalb dessen wir unsere Interessen und Werte entschlossen vertreten, wobei wir uns aber gleichzeitig um eine Übereinkunft bemühen müssen.

Wir streben auf dem Gipfeltreffen weiterhin an, die Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland einzuleiten. Dieses Abkommen soll das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ersetzen. Beide Seiten sollten ein starkes gemeinsames Interesse an diesem Abkommen haben. Es kann und soll unsere Beziehungen auf eine neue, höhere Stufe heben und diesen Beziehungen die volle Entfaltung ermöglichen.

Die Kommission hat sich intensiv bemüht, die Aufhebung des russischen Einfuhrverbots für polnische Fleisch- und Pflanzenerzeugnisse zu erreichen. Ich möchte dazu sagen, dass die Kommission die Position vertritt, dass das russische Importverbot unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt ist. Wir erwarten deshalb jetzt von Russland ein eindeutiges, konstruktives Signal, d. h. einen klaren Zeithorizont für die vollständige Aufhebung dieser Maßnahmen, auch wenn dazu mehrere Schritte erforderlich sein sollten.

Das Gipfeltreffen wird kein Schlusspunkt sein. Es ist Teil einer langen Entwicklung, und wir werden uns weiter darum bemühen, Fortschritte bei der Realisierung der gemeinsamen Räume zu erzielen, die wir schon vor Jahren miteinander beschlossen haben. Wir werden auf dem Gipfeltreffen unsere Besorgnis über den Zustand der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Russland ausdrücken müssen. Die Einschränkung der Medienfreiheit und die Angriffe auf Journalisten, die Beschränkung der Handlungsfreiheit von Nichtregierungsorganisationen und von Oppositionspolitikern sowie die Lage in Tschetschenien und im Nordkaukasus wurden in der vergangenen Woche bei den Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland eingehend zur Sprache gebracht. Besonders wichtig ist, dass Russland Beobachter der OSZE zu den Wahlen einlädt.

Die freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind Eckpfeiler der Demokratie, und zwar einer Demokratie ohne weitere qualifizierende Attribute. Wir erwarten, dass Russland als Mitglied der Familie demokratischer Nationen diese Freiheiten garantiert.

Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu der Diskussion sagen, die hier soeben zur Krise in den Beziehungen zwischen Russland und Estland stattgefunden hat. Es ist von vielen Rednern dargestellt worden, was geschehen ist. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Estland kann sich in dem Konflikt der Auseinandersetzung mit Russland auf die Solidarität seiner Partner in der Europäischen Union und auf die Solidarität der EU-Institutionen verlassen. Ich denke, wir haben das auch gezeigt. Diese Solidarität gilt es aufrechtzuerhalten, falls es zu weiteren Einmischungen in die inneren Angelegenheiten Estlands kommen sollte, sei es über Computerattacken, sei es über den Ruf nach dem Rücktritt des estnischen Ministerpräsidenten durch Delegationen der Duma.

Wir werden es nie wieder gestatten, dass irgendjemand einen Keil zwischen die Europäische Union und einen ihrer Mitgliedstaaten zu treiben versucht. Die Krise zeigt, dass die europäischen Kriege der Vergangenheit immer noch ihren Schatten auf uns werfen. Alle Völker Europas haben ihre historischen Erfahrungen und ihre jeweils eigene Art, damit umzugehen. Man kann nur wünschen, dass dies immer im Respekt vor den Erfahrungen der anderen geschieht. Wo die Auffassungen auseinander gehen, hilft in der Tat nur das Gespräch und sonst nichts.

Der Gipfel bietet eine Gelegenheit, dem Prozess des WTO-Beitritts Russlands zusätzliche Impulse zu verleihen. Die EU ist ein führender Verfechter dieses Ziels, das eindeutig im beiderseitigen Interesse liegt. Im Energiebereich streben wir auf dem Gipfeltreffen eine Einigung über die Einrichtung eines Frühwarn- und Konsultationsmechanismus an, mit dem sichergestellt wird, dass Informationen über das Risiko einer möglichen Unterbrechung der Energielieferungen früh genug ausgetauscht werden, so dass eine Versorgungskrise vermieden wird. Hier sollen – soweit erforderlich – die Transitländer einbezogen werden.

Es sollte auf dem Gipfel auch vereinbart werden, der Bekämpfung des Klimawandels Priorität einzuräumen. Wichtig ist, dass Russland so schnell wie möglich gemeinsame Durchführungsprojekte mit Investoren aus der Europäischen Union im Rahmen des Kyoto-Protokolls genehmigt und in Angriff nimmt. Wir wollen auch erreichen, dass wir auf der Konferenz in Bali im Dezember zusammenarbeiten, um die Aufnahme internationaler Verhandlungen über ein umfassendes Klimaabkommen für die Zeit nach 2012 zu erreichen. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass Länder mit großem Schadstoffausstoß – wie die USA, China und Indien – in diesen wichtigen Verhandlungsprozess einbezogen werden, damit die globale Herausforderung angenommen werden kann.

Russland ist ein bedeutender Partner bei der Lösung schwieriger außenpolitischer Fragen. Die Diskussionen über internationale Fragen auf dem Gipfeltreffen dürften sich auf die Thematik des Kosovo, des Iran und des Nahen Ostens konzentrieren. Hier müssen sich beide Seiten konstruktiv in den jeweiligen multilateralen Foren einbringen, um dauerhafte Lösungen zu finden.

Was unsere gemeinsame Nachbarschaft betrifft, so wollen wir deutlich machen, dass die Republik Moldau und Georgien Nachbarn der Europäischen Union sind. Wir haben ein größeres Interesse denn je daran, dass Lösungen für die so genannten eingefrorenen Konflikte gefunden werden, wobei die internationalen Rahmen genutzt werden sollten, indem sowohl Russland als auch die EU und viele ihrer Mitgliedstaaten mitwirken. Insbesondere hoffen wir, dass im Fall von Transnistrien und Nagorny-Karabach Fortschritte gemacht werden.

Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass die Kommission einer Politik der konstruktiven Zusammenarbeit mit Russland als unserem strategischen Partner und Nachbarn verpflichtet bleibt. Diese Politik muss sich auf gemeinsame Interessen und Werte gründen. Wir glauben, dass es im wohlverstandenen eigenen Interesse Russlands ist, auf dieser Basis sowohl mit der Europäischen Union als auch mit ihren Mitgliedstaaten konstruktiv zusammenzuarbeiten.

 
  
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  Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Gloser, Herr Verheugen, meine Damen und Herren! Können wir einerseits fest zu unseren Werten und Grundsätzen stehen und gleichzeitig eine enge Zusammenarbeit bei solch wichtigen Themen wie Energie, Klimawandel, WTO-Beitritt, Visapolitik oder Zusammenarbeit innerhalb unserer gemeinsamen Nachbarschaft ins Auge fassen? Die Antwort auf diese Frage sollte nicht je nach Partner, um den es geht, wenn wir über die Beziehungen der Europäischen Union zu diesem Partner sprechen, unterschiedlich ausfallen. Ja, in seinen Beziehungen zu Russland muss Europa eine offene und auf den Dialog orientierte Haltung einnehmen, es muss aber auch seine – oftmals sehr ernsten – Sorgen in Bezug auf die Menschenrechte und insbesondere auf die Meinungsfreiheit oder den Umgang mit Minderheiten zum Ausdruck bringen.

An diesem 9. Mai gedenken wir des Jahrestages der Schuman-Erklärung. Welche Bedeutung haben diese Feierlichkeiten, wenn das wieder vereinte Europa nicht in der Lage ist, seine humanistischen Rechte geltend zu machen? In unseren Beziehungen mit solch einem strategischen Partner wie Russland geben die jüngsten Entwicklungen in diesem Land Anlass zu großer Beunruhigung. So betrachtet meine Fraktion die Haltung Moskaus nach dem Umsetzen eines sowjetischen Monuments durch die estnischen Behörden als völlig inakzeptabel. Von Seiten Russlands handelt es sich hierbei um eine echte Verletzung der Souveränität eines Mitgliedstaates der EU, die unsererseits eine sehr deutliche Reaktion erfordert. Dies haben wir heute getan. Russland darf nicht glauben, dass es ihm mit einer solchen Haltung gelingen wird, uns zu spalten: Heute sind wir alle Esten.

Des Weiteren hat meine Fraktion die scharfe Vorgehensweise gegen die Demonstrationen in Moskau vorbehaltlos verurteilt. Sie hat die Ermordung der Journalistin Anna Politkovskaja Ende 2006, die Vergiftung von Alexander Litvinenko und die wiederholten Angriffe auf die Meinungsfreiheit und auch auf die Pressefreiheit verurteilt. Die schwerwiegenden Menschenrechtsrechtsverletzungen in der Tschetschenischen Republik, die Ermordungen, Zwangsverschleppungen, Folterungen, Geiselnahmen und willkürlichen Verhaftungen sind letztendlich Realitäten, die die Europäische Union nicht hinnehmen darf.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Europäische Union hat die Pflicht, alle diese Themen offen anzusprechen und eine Klärung sowie vor allem eine Änderung der Haltungen und Politiken herbeizuführen. Unsere gemeinsame Pflicht besteht darin, die Bedingungen für ausgewogene Beziehungen zu schaffen und auf eine stabile geopolitische Umgebung hinzuwirken, die so harmonisch wie möglich ist. Die Welt hat sich verändert. Wir leben nicht mehr in der Ära des Kalten Krieges, sondern der Zusammenarbeit und der Umsetzung konkreter Politiken. Diese können für Wachstum und Beschäftigung und für die langfristige Stabilität unseres Kontinents nur von Nutzen sein.

Ich fordere die Kommission und den Rat auf, mit Russland gemeinsame Initiativen zu entwickeln, um die Sicherheit in der Nachbarschaft zu stärken: gemeinsame Krisenbewältigung in der Ukraine und in Belarus, gemeinsame Anstrengungen zur Beilegung der Konflikte in Nagorny-Karabach, in Moldau und in Georgien bei gleichzeitiger Gewährleistung der absoluten territorialen Integrität der Staaten. Ferner wünsche ich mir, dass die Verhandlungen zu einem neuen Rahmenabkommen EU-Russland so bald wie möglich wieder aufgenommen werden, sofern Russland akzeptiert, sich als echter Partner zu verhalten. Ich beglückwünsche die Deutsche Ratspräsidentschaft zu ihren intensiven Bemühungen in diesem Zusammenhang und fordere unsere russischen Partner auf, den wirtschaftlichen Druck auf unsere Mitgliedstaaten zu beenden.

Ich möchte die Bedeutung eines Beitritts Russlands zur WTO in naher Zukunft unterstreichen. Dieser Betritt wird für die Investoren ein wichtiges Signal des Vertrauens aussenden, er wird das Wachstum in Russland stimulieren und auch unseren Handelsaustausch stärken, und er wird Russland zwingen, die Regeln einzuhalten. Die Union kann diese Entwicklung jedoch nur dann unterstützen, wenn sie eine deutlichere Verbesserung und eine Gelassenheit in den Beziehungen feststellt. Lassen Sie uns diese Chance nicht verpassen!

Des Weiteren möchte ich betonen, dass die strategische Frage der Energiegespräche mit Russland von größter Bedeutung ist. Ich gratuliere Kommissar Piebalgs und dem russischen Energieminister zur jüngsten Vereinbarung über die Neuorganisation dieser Gespräche. Es ist unsere Pflicht und es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Sicherheit von Energieversorgung und -nachfrage vor dem Hintergrund einer gewachsenen gegenseitigen Abhängigkeit zu gewährleisten. Diese Zusammenarbeit – und darauf bestehen wir – muss auf den Grundsätzen beruhen, die in der Energiecharta und insbesondere im Durchleitungsprotokoll in deren Anhang festgeschrieben sind.

Durch diese konkreten Maßnahmen im Dienste der Völker Russlands und Europas werden wir unsere Unstimmigkeiten überwinden. Mit Hilfe eines echten Dialogs werden wir die Herausforderungen der Globalisierung meistern, deren Schlüsselaspekte eine Stärkung erfahren werden. Ich hoffe, dass wir sie gemeinsam stärken können.

 
  
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  Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Ist der 9. Mai als Tag für unsere Aussprache über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland nicht in gewissem Sinne symbolisch? Er ist ein Tag des Nachdenkens über die Geschichte und der Tag, an dem wir in der Europäischen Union den Europatag feiern. In diesem Jahr können wir insbesondere auf 50 Jahre europäische Zusammenarbeit zurückblicken, und der 9. Mai ist der Tag, an dem Russland das Ende des Zweiten Weltkriegs feiert – eines Krieges, der Europa teilte, zugleich aber der Beweggrund für die europäische Einigung war. Der 9. Mai sollte eigentlich ein Tag sein, an dem wir uns auf die gemeinsamen Erfahrungen besinnen, die uns verbinden und die uns darüber hinaus als Grundlage für eine gemeinsame Zukunft dienen können.

Leider ist die Situation nicht so rosig. Wenn wir den Blick nach vorn auf den halbjährlichen Gipfel EU-Russland richten, der Freitag nächste Woche in Samara stattfindet, müssen wir zu dem Schluss gelangen, dass die Aussichten auf einen konstruktiven Dialog – den wir uns alle wünschen – nicht gut sind. Selbstverständlich gibt es genügend Gesprächsstoff, und wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass – wie von meinen Vorrednern bereits betont wurde – die enge Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland angesichts der gemeinsamen Interessen auf beiden Seiten unseres Kontinents wirklich die einzig mögliche Zukunftsoption ist.

Es gibt durchaus auch Bereiche, in denen wir in den letzten Jahren gemeinsame Bemühungen unternommen haben und die wir ausdrücklich erwähnen möchten, beispielsweise die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, die Nuklearambitionen Irans und Nordkoreas und die Frage, wie dagegen vorzugehen ist, sowie die Zusammenarbeit beim Kyoto-Protokoll.

Was die Geschäfts- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union anbelangt, bekomme ich oft zu hören, sie würden sich planmäßig entwickeln. Die Frage nach der Weiterentwicklung unseres Partnerschaftsverhältnisses indes bleibt mehr oder minder offen.

Auf einigen wichtigen Gebieten haben wir noch keine Fortschritte zu erzielen vermocht. Wie können wir z. B. die von uns gewünschten zuverlässigen und transparenten Energiebeziehungen sicherstellen? Wie fügen sich unsere gemeinsamen Werte Demokratie und Achtung der Menschenrechte in die strategische Partnerschaft EU-Russland? Diese Themen sind für uns und meine Fraktion von grundlegender Bedeutung und dürfen bei dem Dialog nicht Gegenstand von Konzessionen sein. Meiner Ansicht nach muss die Europäische Union in Samara unseren Standpunkt klar und deutlich machen, insbesondere auch im Vorfeld der neuen Verhandlungen über ein künftiges Partnerschaftsabkommen. Wir sind, wie andere, besorgt, dass dieser Gipfel weniger erbringen wird, als wir vor einiger Zeit eigentlich erwartet hätten.

Ich könnte noch eine Fülle weiterer Punkte aufzählen, die ebenfalls in dem gemeinsamen Entschließungsantrag genannt sind. Was ich, nicht zuletzt im Namen meiner Fraktion, hervorheben möchte, ist unsere Besorgnis in Bezug auf die zunehmende Polarisierung im Vorfeld der Wahlen zur Duma Ende des Jahres. Von entscheidender Wichtigkeit ist, dass die Europäische Union unserer Forderung nach einem freien und demokratischen Ablauf der Wahlen Nachdruck verleiht und unmissverständlich zu verstehen gibt, dass die Schikanen, mit denen den Oppositionsparteien derzeit Hindernisse in den Weg gelegt werden, inakzeptabel sind.

Ich möchte nicht wiederholen, was zur Estland-Frage gesagt worden ist, und stimme den diesbezüglichen Ausführungen meiner Vorredner praktisch uneingeschränkt zu. Russlands Standpunkt und Verhalten in dieser Angelegenheit mögen hoffentlich nicht symptomatisch sein, und es gilt in aller Deutlichkeit klarzumachen, dass ein erneutes Vorkommen der Ereignisse für uns nicht hinnehmbar wäre.

Bis 1991 war Samara eine verschlossene Stadt, weil ein Teil davon in einer strategischen Zone der Sowjetunion lag. Wir hoffen, dass dies kein Vorzeichen dafür sein wird, was wir von dem Treffen nächste Woche erwarten können. Für beide Partner wäre es nach meinem Dafürhalten von Vorteil, unser gemeinsames Interesse nochmals zu bedenken, nicht zuletzt mit Blick auf die EU, ohne dabei die Werte aus dem Auge zu verlieren, auf die unsere Partnerschaft gegründet sein muss, nämlich Demokratie, Menschenrechte und Achtung anderer Länder.

 
  
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  Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Heute vor 62 Jahren, im Jahr 1945, feierte Europa Russlands День Победы – seinen Tag des Sieges – und den Sieg der Freiheit, des Rechts und der Menschenwürde über die Macht des von den Nazis verbreiteten Hasses. Damals hat uns eine gemeinsame Sache geeint. Nun hat uns ein Symbol genau dieses Krieges, das uns geeint hat, zu einem uns schwächenden Streit geführt.

Ich weiß, dass die Kommission zu einem Dialog rät, um den Stillstand zwischen Tallinn und Moskau im Hinblick auf das russische Kriegerdenkmal zu beenden. Aber „ein Dialog ist besser als zwei Monologe“ – wie Max Kampelman, der ehemalige US-Botschafter bei der KSZE, einmal sagte.

Wenn Einschüchterung über Verhandlungen triumphiert, können die Europäische Union und Russland nicht mehr wie gewohnt weitermachen. Daher hat meine Fraktion heute Morgen beschlossen, ihre Unterstützung für den Entschließungsantrag zum Gipfel EU-Russland zurückzuziehen. Problematisch ist in unseren Augen nicht, was in dem Antrag steht, sondern was nicht in ihm steht. Russland braucht ein unmissverständliches Zeichen, dass genug genug ist.

Herr Gloser, Herr Verheugen! Sie haben uns schöne Worte geliefert, aber nur weiche Worte, keine Aktion!

(Beifall)

(EN) Lassen Sie mich Ihnen also einen direkten Vorschlag unterbreiten: Verschieben wir den Gipfel, bis Russland bereit ist, eine konstruktive Beziehung zur Union einzugehen und alle Gewalt gegen Personal und Eigentum der EU zu verurteilen.

(Beifall)

Wir müssen Estland zur Seite stehen. Wir müssen Polen zur Seite stehen. Demokratische Solidarität ist wichtiger als bilaterale Öl- und Gasverträge.

(Beifall)

Und wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, wenn wir die pragmatische Zusammenarbeit mit der Regierung Putin wirklich fortsetzen und einen Konsens über den endgültigen Status des Kosovo erzielen wollen.

Besonders am Herzen liegt den Liberalen und Demokraten die russische Menschenrechtsbilanz. Nur wenn Politiker von einer unabhängigen Justiz, Meinungsfreiheit und Demokratie nicht mehr nur sprechen und Journalisten, Oppositionsparteien und NRO ohne Angst vor Repressalien arbeiten können, wird Russland sein Engagement für einen gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unter Beweis gestellt haben, den seine Mitgliedschaft im Europarat mit sich bringt und dem es sich auf dem Gipfeltreffen in Sankt Petersburg verpflichtet hat.

Die Verhaftung und Inhaftierung von Oppositionellen wie Kasparow oder Chodorkowski deuten nicht darauf hin, dass die Zeiten sich ändern. Die Duma-Wahlen im Dezember, ganz zu schweigen von den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, werden hier ebenso wie Russlands Vorgehen in Tschetschenien, wo Folter und geheime Inhaftierungen nach wie vor Anlass zur Sorge geben, eine Bewährungsprobe darstellen.

Ein Dialog erfordert Forschritte bei der Energiesicherheit, bei der in Bezug auf das Unternehmen Gasprom, bei dem es mehr um Politik als um Profit geht, die Gefahr weiterer brutaler Taktiken fortbesteht. Wir sind es Mitgliedstaaten wie Lettland und Litauen, die Opfer der Energiepolitik geworden sind, schuldig, eine Antwort zu geben, die keine Zweifel lässt. Das bedeutet, dass wir darauf bestehen müssen, dass künftige Abkommen zwischen der Europäischen Union und Russland an die Grundsätze des Energiecharta-Vertrags und des Kyoto-Abkommens geknüpft sind, um zu gewährleisten, dass die Zukunft sicherer und nachhaltiger ist.

Ja, es gibt tatsächlich einige Anzeichen für Fortschritte im Bereich Justiz und Inneres, in dem wir Grenzabkommen mit den baltischen Staaten, Visafreiheit und die Rückübernahme illegaler Einwanderer gemäß unserer gemeinsamen Strategie aushandeln.

Aber die Früchte des konstruktiven Dialogs sind Mangelware. Der heutige „Tag des Sieges“ sollte uns daran erinnern, dass die gegenseitige Abhängigkeit uns vor nur 60 Jahren dabei geholfen hat, gemeinsame Herausforderungen energisch zu bewältigen. Sie kann es wieder schaffen, wenn wir couragiert genug sind, zu handeln!

(Beifall)

 
  
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  Hanna Foltyn-Kubicka, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Als souveräner Staat hat Estland das uneingeschränkte Recht, selbst zu entscheiden, wie es mit seiner Geschichte umgeht. Es hat auch das Recht – unter Wahrung des nötigen Respekts für die Toten –, das Denkmal für die Sowjetsoldaten und ihre sterblichen Überreste auf einen Friedhof umzusetzen, wo sie im Grunde genommen hingehören. Russlands hysterische Reaktion auf die souveräne Entscheidung der estnischen Regierung ist ein wohldurchdachtes Manöver. Auf der einen Seite will der Kreml sehen, inwieweit er Druck auf Europa ausüben kann, auf der anderen Seite provoziert er Konflikte beispielsweise mit Polen, Georgien und der Ukraine. Damit soll der Eindruck einer belagerten Festung vermittelt werden, und so versucht man, die Russen um Putin zu scharen. Der bevorstehende Gipfel in Samara wird deshalb ein Test für die Einheit Europas sein. Ich habe das von diesem Podium aus schon oft gesagt und möchte es heute wiederholen: Die Europäische Union muss geeint sein und mit einer Stimme sprechen, sie muss sich mit all ihrer Kraft für ihre Mitglieder einsetzen und sich den wie auch immer gearteten Herausforderungen Putins stellen.

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kollegen! Ich glaube, dass Kollege Daul zwar das Richtige versucht hat, aber einfach nicht zum Ziel gekommen ist. Wie unterhält man eine Beziehung zu einer politischen Macht wie Russland, die im Grunde genommen Beziehungen nur instrumentell versteht. Russland ist nicht mehr die Sowjetunion, aber Russland will in vielen Bereichen die gleiche Politik machen wie die Sowjetunion. Und zwar Machtpolitik, jedoch keine militärische, sondern eine ökonomische Machtpolitik, und eines ihrer Instrumente sind beispielsweise ist Energielieferungen.

Das heißt nicht, dass wir nicht in politische Beziehungen zu Russland treten sollen, es heißt nur, dass wir die Dinge nicht verwechseln sollen. Politische Beziehungen mit Russland durch die Kommission und den Rat sind kein Dialog. Dialog findet dann statt, wenn Menschen miteinander sprechen können, wenn sie reisen können, wenn es einen Austausch zwischen den Zivilgesellschaften gibt. Politische Strukturen führen keinen Dialog, sie führen politische Verhandlungen. Das sollte man nicht verwechseln! Ich finde, dass Graham Watson einen richtigen Ansatz gewählt hat. Gibt es eine Möglichkeit, dass wir als Europäische Union angesichts der jetzigen russischen Machtpolitik, die nur auf die Interessen Russlands — uns zwar nicht des Landes, sondern der Machtstruktur, des Putin-Systems und des ökonomischen Systems — ausgerichtet ist, ein Zeichen setzen, dass das nicht die Art von Politik ist, die wir haben wollen?

Es ist schwierig. Ich behaupte nicht, dass ich die Lösung in der Tasche habe, aber eines steht fest: Wenn ein ehemaliger Bundeskanzler behaupten kann, Russland wäre eine lupenreine Demokratie, dann ist das im Ansatz der Schwachsinn, der unsere Politik so schwächt: Wir sind nämlich nicht in der Lage zu sehen, was für ein System in Russland herrscht. Wir müssen politische Beziehungen zu Russland oder zu Saudi-Arabien haben. Es würde doch kein vernünftiger Politiker erklären, Saudi-Arabien sei eine lupenreine Demokratie, in der einem nur eine Hand abgehackt wird, wenn man etwas Falsches macht, im Gegensatz zu zwei Händen in anderen islamisch-fundamentalistischen Staaten.

Das bedeutet, dass wir nur dann eine richtige Beziehung zu Russland zustande bringen werden, wenn wir hier zusammen zu einer richtigen Einschätzung Russlands gelangen. Zu einer richtigen Einschätzung der Machtpolitik Russlands und der autoritären Politik Putins. Nur dann werden wir uns richtig verhalten können, und das bedeutet nicht, dass wir nicht verhandeln sollen, sondern es bedeutet, dass unsere Position keine Freundschaftsposition ist.

Ich will keine politische Freundschaft mit einer solchen autoritären, diktatorischen Führung wie der von Putin! Wir können und müssen politische Beziehungen zu Russland unterhalten, aber es kann keine freundschaftliche Beziehung sein, in der wir sagen: Okay Putin, mach so weiter mit deinem Volk. Da müssen wir Nein sagen!

(Beifall)

 
  
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  Esko Seppänen, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Irgendwie geht es doch hier um den Versuch der Quadratur des Kreises, da einige EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig gute und schlechte Beziehungen zu Russland aufrechterhalten möchten. Gute Beziehungen braucht man für billiges Gas und Öl, schlechte für die Innenpolitik.

Unsere Fraktion will, dass die EU über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland verhandelt. Da es 27 Mitgliedstaaten gibt, werden diese bei den Verhandlungen unterschiedliche Interessen zu verfolgen haben. Dennoch ist es schwierig, jene Art von Nationalismus zu verstehen, die unsere Gemeinschaft von einer halben Milliarde Menschen daran hindert, die Beziehungen mit dem direkten Nachbarn der EU auf eine geregelte Art und Weise zu organisieren.

Gewisse Mitgliedstaaten sollten Russland nicht mit Wut begegnen und auf die Solidarität der anderen Mitgliedstaaten vertrauen, wenn sie zugleich andere Länder daran hindern, gemeinsame Interessen in den Beziehungen zu Russland zu fördern. Europa darf nicht polarisiert werden, auch wenn das eine Stimmung ist, die in diesem Hause spürbar ist. Für unsere Fraktion ist die gemeinsame Entschließung annehmbar.

 
  
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  Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Ich möchte mich mit der jüngsten Initiative der Kommission für ein für die Schwarzmeerregion aufgestelltes Programm befassen, das in den Beziehungen mit Russland eine äußerst wichtige Rolle spielt und in dessen Mittelpunkt harte und weiche Sicherheitsrisiken stehen, da es bei der Kommissionsinitiative für eine Schwarzmeersynergie um die „eingefrorenen“ Konflikte in Transnistrien, in Südossetien, in Abchasien und in Nagorny-Karabach sowie um solche Themen wie Waffen- und Drogenschmuggel, Menschenhandel und Migration geht, die allesamt bedeutsam sind. Insofern handelt es sich um eine sinnvolle Initiative seitens der Kommission und des Rates, über die noch unter dem deutschen Vorsitz weitere Beratungen stattfinden werden.

Die Initiative der Kommission kann jedoch auch vor dem Hintergrund der Bemühungen Europas um eine Diversifizierung der Energieversorgung und der Pipelines gesehen werden. Die russische Regierung ist dem Vernehmen nach über das vorliegende Programm für die Schwarzmeerregion ganz und gar nicht begeistert. Das Dokument des deutschen Vorsitzes zeigt übrigens – die „Frankfurter Allgemeine“ brachte einen interessanten Artikel zu diesem Thema –, dass Moskaus Zusammenarbeit für ein Gelingen der europäischen Pläne unerlässlich ist. Kurzum, Moskau ist alles andere als angetan, aber seine Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Wie gedenken der Rat und die Kommission mit diesem geopolitischen Dilemma in Samara umzugehen?

 
  
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  Jean-Marie Le Pen, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, es versteht sich von selbst, dass die Rechte Estlands gewahrt bleiben müssen. Allerdings sind die schärfsten Kritiker des heutigen Russlands oftmals diejenigen, die gegenüber der Sowjetunion am nachsichtigsten waren.

Jahrzehntelang haben sie einerseits die Gefahr, die der Sowjetimperialismus für den Frieden und die Unabhängigkeit unserer Nationen darstellte, und anderseits den totalitären Charakter des Kommunismus geleugnet. Die Kommunisten, aber auch viele führende Politiker Westeuropas würdigten den Gründer dieses monströsen Systems, Lenin, als Wohltäter der Menschheit. Die Herren Giscard d'Estaing und Chirac gingen sogar soweit, Blumen vor seinem Mausoleum niederzulegen. Die Antikommunisten, die vor allem ihre Solidarität mit den Völkern Europas und dem Osten demonstrierten, wurden hingegen verteufelt. Diese Nachsichtigkeit ist leider nicht mit der UdSSR verschwunden. Eine große Anzahl unserer Abgeordneten, wie beispielsweise Herr Cohn-Bendit, wollen so den Polen verbieten, die „Entkommunisierung“ ihres Landes vorzunehmen.

Heute ist Russland eine freie Nation und nicht weniger demokratisch als das Europa von Brüssel, das einen Verfassungstext aufdiktieren will, der 2005 in den Niederlanden und in Frankreich von den Wählern abgelehnt wurde. Andererseits sind die Russen im Gegensatz zu den Türken, die dasselbe Europa von Brüssel in die Union aufnehmen will, eine große europäische Nation, die den gleichen Gefahren ausgesetzt ist, die auf allen europäischen Völkern lasten: Einwanderung und Geburtenrückgang, Islamismus und Globalisierung. Diese Herausforderungen können wir meistern, wenn wir ein anderes Europa schaffen, das große Europa der Nationen, das von Brest bis Wladiwostok auf dem Grundsatz der nationalen Souveränität gegründet ist.

Vor fast 18 Jahren war der Fall des Eisernen Vorhangs die erste Etappe der Vereinigung unseres Kontinents. Eine weitere Trennung muss überwunden werden: jene, die seit über tausend Jahren beiderseits der Theodosiuslinie die Erben des Heiligen Benedikt im Westen und die des Heiligen Kyrill im Osten voneinander trennt.

 
  
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  Gunnar Hökmark (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Wir können den 9. Mai nicht besser feiern, als ganz unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass die Europäische Union sich für jedes ihrer Mitglieder einsetzt, wenn es bedroht und drangsaliert wird.

Das muss ein Hauptthema sein, wenn wir den bevorstehenden Gipfel diskutieren. Es gibt keine andere Möglichkeit, da Estland bei der Umwandlung des alten Europa in das neue, friedliche, demokratische Europa eines der führenden Länder war, wofür wir ihm alle Dankbarkeit schulden. Aber das ist nicht alles, weil seine Freiheit und Unabhängigkeit heute einen untrennbaren Bestandteil unserer Freiheit und Unabhängigkeit bildet. Ohne seine Unabhängigkeit sind auch wir nicht unabhängig. Auch dieser Punkt muss ein Hauptthema sein, wenn wir die Beziehungen zwischen Europa und Russland erörtern.

Der bevorstehende Gipfel ist wichtig, aber es gibt vier Dinge, die die Europäische Union sicherstellen muss: Erstens die Einsicht, dass, wenn Estland nicht respektiert wird, auch die Europäische Union nicht respektiert wird, und dass dadurch alle möglichen Abkommen, die wir erreichen können, untergraben werden. Bei allen erdenklichen Diskussionen muss gegenseitiges Verständnis herrschen, da ansonsten die Ziele, die wir verwirklichen können, nicht das Papier wert sein werden, auf dem sie geschrieben stehen.

Zweitens kann man nicht einen Mitgliedstaat bedrohen und drangsalieren und zugleich Beziehungen zu anderen Ländern aufbauen. Es können keine Einigungen in Energie- und Handelsfragen und anderen Bereichen erzielt werden, wenn sie nicht alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt und mit den gleichen Chancen betreffen. Wir müssen dafür sorgen, dass Russland nicht im Geringsten glauben kann und auch gar nicht die Möglichkeit hat, zu glauben, dass es uns diesbezüglich spalten kann, indem es einem Land Energie liefert und ein anderes schikaniert.

Drittens geht es bei der Diskussion um Russland und Estland nicht um Estland, sondern um die politischen Entwicklungen in Russland. Wir müssen dafür sorgen, dass in Russland Fortschritte gemacht werden, damit auch die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland Fortschritte machen können. Wenn wir unsere Unabhängigkeit nicht verteidigen, werden wir einen Teil von ihr verlieren.

 
  
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  Reino Paasilinna (PSE).(FI) Herr Präsident! Soweit ich es verstanden habe, soll die Aussprache zu Estland auf der nächsten Sitzung in Straßburg geführt werden. Ich möchte mich daher auf die wirtschaftlichen Themen der Tagesordnung von Samara konzentrieren.

Erstens ist es Russlands Ziel, sich von einem Verkäufer von Rohstoffen zu einem Käufer von verarbeiteten Produkten zu entwickeln. Zuallererst muss in die Modernisierung des Energiesektors investiert werden, und das schafft Russland nicht allein: Es braucht unsere Hilfe. Zweitens muss die Exportindustrie auf internationales Niveau gebracht werden, und auch dazu benötigt es unsere Hilfe. Zudem muss die Infrastruktur modernisiert werden, ebenfalls ein Bereich, in dem wir die natürlichen Partner sind.

Das sind also die Ziele Russlands, aber ohne die Europäische Union wird es sie nicht schnell genug erreichen, im Gegenteil: Es wird sogar noch weiter hinter der internationalen Entwicklung zurückbleiben. Darüber hinaus wollen wir, dass Russland unsere gemeinsamen Werte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie annimmt. Das ist unser Anliegen, und Russland braucht einen wohlhabenden Abnehmer, und der sind wir. Wir brauchen Energie. Die gegenseitige Abhängigkeit hat zu- und nicht etwa abgenommen.

Ich glaube nicht, dass die Modernisierung Russlands ohne Zivilgesellschaft und ohne Weiterentwicklung der Demokratie gelingen wird. Warum nicht? Weil moderne Technologie und eine Gesellschaft, deren Triebkraft die Informationstechnik ist, ziemlich viel Kreativität erfordern, und Kreativität funktioniert nicht, wenn das politische Klima schlecht ist oder unter einer Diktatur leidet.

Kreativität, Demokratie und freie Medien sind für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft lebensnotwendig, und das ist genau das, was Russland will. Ich schlage daher vor, dass dieses Zielbündel in unseren Beziehungen sehr deutlich herausgestellt wird, und dies auch in Samara, wohin Kommissar Verheugen reisen wird, hoffentlich mit der Botschaft, dass die Entwicklung, wie Russland sie sich vorstellt, mit unseren Zielen übereinstimmt und dass sie entscheidend dafür ist, dass diese Entwicklung erfolgreich ist.

 
  
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  Toomas Savi (ALDE).(ET) Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf Russlands Verhalten gegenüber der Europäischen Union in den letzten Jahren lenken. Was in Estland stattgefunden hat, also die Verlegung des „Bronzenen Soldaten“ sowie die Umbettung von zwölf gefallenen Soldaten, stand im Einklang mit der Genfer Konvention und war eine innere Angelegenheit Estlands.

Die Russische Föderation hat darauf mit einem Propagandafeldzug mit Online-Attacken und Handelsbeschränkungen reagiert. Erklärungen russischer Politiker haben Gewalt sowohl in Tallinn als auch vor der estnischen Botschaft in Moskau ausgelöst, was im tätlichen Angriff auf unseren Botschafter gipfelte.

Besonders beunruhigend ist die Forderung der Delegation der russischen Duma, die Estland besuchte, die estnische Regierung solle zurücktreten. Ein solches Verhalten ist nur ein weiteres Anzeichen für die europafeindliche Außenpolitik Russlands, die sich in der Auffassung Putins äußert, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion im 20. Jahrhundert die größte geopolitische Katastrophe war.

In seiner Münchner Rede verwies Putin auf die Versuche Russlands, sich ungeachtet der Europäischen Union als Supermacht zu etablieren, insbesondere im Rahmen der Beziehungen zu den neuen Mitgliedstaaten.

Herr Präsident, wenn tatsächlich am 18. Mai in Samara ein Gipfel EU/Russland stattfindet, dann muss die Europäische Union die Interessen aller ihrer Mitgliedstaaten vertreten, also mit einer Stimme sprechen.

 
  
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  Inese Vaidere (UEN). – (LV) Meine Damen und Herren! Heute vor 62 Jahren atmete das von der Nazi-Besetzung befreite Europa auf, doch für die drei baltischen Staaten begann zur gleichen Zeit eine weitere, fünfzig Jahre währende Periode sowjetischer Besatzung, und ihre Folgen sind noch heute zu spüren.

In Russland, dem Nachfolger in den Rechten und Pflichten der Sowjetunion, wird die Demokratie heute ständig unterdrückt. Verletzungen der Bürgerrechte und die Unterdrückung der Redefreiheit gehören zunehmend zum täglichen Leben. Russlands Innenpolitik wird immer aggressiver. Gleiches lässt sich von der russischen Außenpolitik sagen, insbesondere in Bezug auf jene Staaten, die Russland seit langem als Bestandteile seines Empires anzusehen wünscht. Das bestätigen der Besuch einer Delegation der russischen Duma in Estland, die den Rücktritt der estnischen Regierung forderte, sowie die russischen Sicherheitskräfte, mit deren Segen die estnische Botschaft umzingelt und angegriffen wurde. Tatsache ist, dass es in Estland Menschen gibt, die in Aktivitäten und Aktionen der so genannten Paneuropäischen Russischen Partei verwickelt sind, die aktive Gegner der Unabhängigkeit der baltischen Staaten sind. Das sind Chauvinisten, die sich als Minderheiten und Antifaschisten bezeichnen und damit diese Begriffe abwerten. Das erweckt Verdacht hinsichtlich der wahren Ziele der Partei und ihrer Rolle beim Anheizen von Chaos.

Die von den Russen angefachte Situation in Estland ist ein Test: Kann die Europäische Union ihren Mitgliedstaat schützen? Wenn die europäischen Institutionen, der Ratsvorsitz der EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten nicht rasch und entschlossen genug reagieren – und dazu gehört, dass sie Russland daran erinnern, die Tatsache der Okkupation der baltischen Staaten anzuerkennen –, und wenn sie nicht in der Lage sind, mit einer Stimme zu sprechen, dann können wir mit einer Wiederholung derartiger Vorkommen auch in anderen Staaten rechnen. Ich danke Ihnen.

 
  
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  Bart Staes (Verts/ALE).(NL) Herr Präsident! Als Mitglied und ehemaliger Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu Russland bedauere ich die schwache, halbherzige und bisweilen rückgratlose Haltung der Europäischen Union gegenüber den russischen Machthabern. Obwohl wir für Menschen- und Völkerrechte, für mehr Pressefreiheit, für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eintreten, blicken wir oft weg, oder wir schrecken vor harten Maßnahmen zurück. Wie zurückhaltend ist doch die Kritik des Rates und der Kommission an der Gewalt gegen die Teilnehmer der Demonstrationen des Oppositionsbündnisses „Ein anderes Russland“ in Moskau und St. Petersburg. Ob sich auf dem Gipfel daran etwas ändern wird, ist zu bezweifeln.

Nehmen wir beispielsweise Tschetschenien. Die prekäre Lage in dieser Region wird in dem Entschließungsantrag, über den wir morgen abstimmen werden, zwar thematisiert, für einen echten Friedensprozess und einen ernsthaften Dialog mit allen Elementen der tschetschenischen Gesellschaft, mithin auch den so genannten Rebellen, sprechen wir uns jedoch nicht aus und treten nicht dafür ein.

Unter keinen Umständen kann der Pöbel, der sich um einen kriminellen und korrupten Strohmann wie Kadirov schart, als gesetzmäßiger Vertreter des tschetschenischen Volkes angesehen werden. Zu den Aufgaben der amtierenden Ratsvorsitzenden und des Kommissars auf dem Gipfel in Samara gehört, solche Themen zur Sprache zu bringen.

 
  
  

VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS
Vizepräsident

 
  
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  Vladimír Remek (GUE/NGL).(CS) Meine Damen und Herren! Es ist sicher unstrittig, dass die Beziehungen zwischen der EU und Russland zum Vorteil beider Seiten vorankommen müssen. Deshalb wäre es gut, wenn man diese Beziehungen weiter pflegen würde, und zwar in sorgfältig abgewogenen Schritten, die frei von Emotionen und nicht Hals über Kopf vollzogen werden.

Wenn wir auf Signale aus Russland, die vor allem auf die nationale politische Szene zielen, übereilt reagieren, dann demonstrieren wir damit weder gesunden Menschenverstand noch Stärke, sondern nur unsere Unsicherheit und Schwäche.

Mit einem Partner zu verhandeln heißt doch nicht nur, am Verhandlungstisch zu sitzen, sondern auch, einen sinnvollen Dialog zu führen. Solche Verhandlungen werden sicher nicht einfacher, wenn der eine Partner Forderungen stellt, bevor versucht wird, echte Probleme auf vernünftige Weise zu klären.

So vertreten wir beispielsweise im Fall der Lösung – oder vielmehr Nichtlösung – der Frage der Nicht-Staatsangehörigen, wie sie in einigen EU-Mitgliedstaaten genannt werden, nicht so einen kompromisslosen Standpunkt wie dann, wenn wir Druck auf Russland ausüben. Meiner Meinung nach sollten wir unsere Beziehungen mit Russland endlich auf ein festes Fundament stellen, ohne Vorurteil und unbelastet von der Vergangenheit.

 
  
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  Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Ich habe allen Rednern sehr aufmerksam zugehört. Was in Estland geschieht, ist wirklich schlimm, und es ist gut, dass wir Estland verteidigen.

Warum zeigen wir nicht die gleiche Sensibilität gegenüber dem, was in Zypern passiert? Auch dort hat ein autokratischer Staat eine Invasion vorgenommen, und niemand sagt etwas. Vor einigen Tagen haben sogar die Sozialdemokraten gefordert, dass der Status der Invasoren aufgewertet werden soll. Dasselbe ist bei China und Taiwan der Fall. Taiwan kann nicht der Welthandelsorganisation beitreten und die Medikamente bekommen, die es benötigt. Auch dort haben wir wieder einmal nicht reagiert. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben dasselbe getan, als sie, ohne uns zu fragen, in den Irak einmarschierten und uns dann vor ein ernsthaftes Dilemma stellten, indem sie sagten, wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Auch hier haben wir nichts zu diesem faschistischen Gebaren von Präsident Bush gesagt. Und ich möchte Sie daran erinnern, was sich einige der politischen Führer, die sich von der Invasion distanzierten, anhören mussten, als Herr Bush seinen Einfluss geltend machte. Vielleicht sollte ich Sie daran erinnern, was Präsident Chirac gemacht hat, oder vom deutschen Kanzler sprechen? Warum haben wir so eine einseitige Sicht auf die Dinge?

Wie soll Russland zufrieden sein, wenn wir den Amerikanern gestatten, Raketen an ihren Grenzen zu stationieren? Werden sie da nicht Verdacht schöpfen? Wie wir in Griechenland sagen, sei nett zu deinem Nachbarn, dann wird er auch nett zu dir sein. Tun wir das Richtige oder dienen wir – jedenfalls im Moment – den Wünschen Amerikas? Amerika will Russland als seinen Feind und will uns zwingen, ebenfalls sein Feind zu sein. Nein, wir müssen in einen Dialog treten, wir müssen den Staat, die Regierung und die Bevölkerung dieses Landes respektieren. Alles Andere hat meines Erachtens mit Demokratie nichts zu tun.

 
  
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  Dumitru Gheorghe Mircea Coşea (ITS). – Fără îndoială, relaţia cu Federaţia Rusă nu poate să nu aibă în vedere faptul că 60% din exporturile ruse de petrol şi 50% din exporturile ruse de gaze ajung în Uniunea Europeană. În pofida acestei situaţii, ţin să subliniez necesitatea eliminării din politica Uniunii şi mai ales din politica unor state membre a concepţiei conform căreia Europa este condamnată să fie dependentă de Rusia şi obligată, ca, în schimbul aprovizionării cu energie, să accepte unele compromisuri sau cedări în faţa unor tendinţe hegemonice ale Rusiei, în exterior, sau a încălcării unor drepturi democratice în interior.

Am convingerea că Uniunea Europeană are capacitatea tehnică şi de inovaţie pentru a micşora din ce în ce mai mult nivelul aprovizionării din Rusia. De aceea, relaţia de energie nu trebuie să depăşească limitele cadrului relaţiilor comerciale şi de cooperare tehnică În niciun caz ea nu trebuie să fie privită ca un argument politic în acceptarea de către Uniune a încălcării de către Rusia a unor principii şi valori europene dedicate libertăţii, democraţiei şi toleranţei.

În relaţia cu Rusia, nu trebuie uitat că Europa nu are petrol, dar are principii iar principiile nu se schimbă niciodată pe petrol.

 
  
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  Charles Tannock (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Die Beziehungen zwischen der EU und Russland befinden sich im Vorfeld des bevorstehenden Gipfels in einer kritischen Phase: Es zeichnet sich eine ernstzunehmende Krise bezüglich der Umsetzung der sowjetischen Gedenkstatue in Tallinn ab.

Für mich, der ich aus dem Vereinigten Königreich komme, das die sowjetische Vorherrschaft glücklicherweise nie direkt zu spüren bekam, ist es leicht zu fragen, ob die politische Entscheidung klug war, die Statue umzusetzen und mit ihr die gefallenen russischen Soldaten auf einen Militärfriedhof zu verlegen. Dennoch handelt es sich definitiv um ein souveränes Recht der estnischen Regierung, das rechtmäßig entsprechend dem Völkerrecht ausgeübt wurde. Es ist weder annehmbar, dass Russland den Rücktritt der estnischen Regierung fordert, noch dass es – durch die extremistische nationalistische Organisation Naschi – Unruhen gegenüber der estnischen Vertretung in Moskau schürt. Ich persönlich habe mich vor einigen Wochen in Moskau beim stellvertretenden Außenminister über dieselbe Behandlung des britischen Botschafters Anthony Brenton beschwert, der schikaniert wurde, weil er an der Kundgebung von Herrn Kasparow teilgenommen hatte.

Russland muss sich der neuen geopolitischen Realität bewusst werden, dass das so genannte nahe Ausland, in dem es das Sagen hat, nicht mehr existiert. Es muss nun die Souveränität dieser neuen Länder wie Estland, Ukraine, Republik Moldau, Georgien usw. respektieren.

Ich betrachte mich als Freund Russlands und vor allem seiner sehr reichen Kultur und bin davon überzeugt, dass die EU ein starkes, geeintes Russland ebenso braucht wie Russland uns, aber dass sie auch ein Russland braucht, das seinen internationalen Verpflichtungen als Mitglied der OSZE und des Europarates nachkommt, Demokratie und Menschenrechte, vor allem in Tschetschenien, sowie die Pressefreiheit zu achten. Es ist nicht hilfreich, seine Nachbarn zu tyrannisieren, vor allem, wenn sie jetzt auf die Unterstützung der EU und der NATO zählen können, die fest entschlossen sind, in Fragen wie dem Einfuhrverbot für polnisches Fleisch und dem Problem mit der Statue in Tallinn, mit dem wir uns heute befassen, eindeutige Solidarität zu zeigen.

Wir brauchen Russland, nicht nur als verlässlichen Handelspartner für Öl und Gas, sondern auch für seine Unterstützung im Sicherheitsrat, um die Verbreitung von Atomwaffen durch den Iran und Nordkorea einzudämmen. Außerdem brauchen wir es, um den arabisch-israelischen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, annehmbare Lösungen für die schlummernden Konflikte von Transnistrien über Georgien bis hin zu Nagorny-Karabach zu finden und das despotische Regime in Belarus in Zaum zu halten. Wir brauchen Russland auch für die Verpflichtung zu einer Emissionsbegrenzungsstrategie als Unterzeichner des Kyoto-Protokolls, da wir alle der Gefahr der Erderwärmung ausgesetzt sind, und Russland natürlich in der Arktis sehr präsent ist, die stark von der globalen Erwärmung betroffen wäre.

Wir unterstützen den Wunsch Russlands, der WTO beizutreten, da wir davon überzeugt sind, dass, wenn es einem geregelten multilateralen Handelssystem unterworfen wird, Beschwerden eingereicht werden können, wenn es erneut versuchen sollte, willkürlich Einfuhrverbote auszusprechen, wie es bei Wein aus der Republik Moldau und Mineralwasser aus Georgien der Fall war.

Ich habe Verständnis für die Sorgen Russlands. Bezüglich einer demografischen Krise in Zukunft verhält es sich geradezu paranoid – es verliert jährlich rund 700 000 Einwohner –, und auch viele EU-Mitgliedstaaten müssen sich künftig dieser demografischen Herausforderung stellen. Aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass es nicht in unserem langfristigen Interesse ist, zuzulassen, dass Russland unsere Schwächen testet, indem es die EU-Mitgliedstaaten aufspaltet.

 
  
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  Andres Tarand (PSE). (ET) Ich möchte kurz etwas zu Ziffer 4 der Entschließung sagen. Einige Abgeordnete nannten die Verlegung der Statue in Tallinn einen Akt der Provokation gegen Russland. Ich muss feststellen, dass es sich in der Tat um einen Akt der Provokation handelte, aber von russischer Seite. Lassen Sie mich kurz die Beweise anführen.

Erstens, die Vorbereitungen Russlands begannen vor fünf Jahren, doch erst vor einem Jahr wurde die Feier des russischen Sieges im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai an der Statue in Tallinn in ein Spektakel umgewandelt, bei dem Wodka getrunken und die sowjetische Flagge geschwenkt wurde, um Schlägereien zu provozieren, zu denen es dann ja in gewissem Umfang kam. Bis dahin hatte die Statue jahrzehntelang dort gestanden, ohne irgendwelche Probleme zu verursachen, und wenn unser Nachbarland nicht Akte der Provokation angezettelt hätte, befände sie sich möglicherweise immer noch am selben Platz.

Zweitens, die Demonstrationen vom 26. und 27. April waren von Mitarbeitern der russischen Botschaft in Tallinn organisiert. Es gibt Belege für zahlreiche Zusammenkünfte in den letzten Monaten, bei denen die Organisatoren der jüngsten Demonstrationen mit Mitarbeitern der russischen Botschaft zusammentrafen, offensichtlich, um Anleitung von Fachleuten auf dem Gebiet des Unruhestiftens zu erhalten.

Drittens, die Demonstrationen von Jugendlichen vor der estnischen Botschaft in Moskau wurden vom Kreml direkt organisiert und ausgerüstet. Russland hat die Wiener Konvention bewusst ignoriert und kein Bedürfnis gezeigt, die estnischen Diplomaten in Moskau zu schützen.

Viertens, die Spuren von mehreren Online-Attacken gegen die estnischen Informationssysteme führten direkt in den Kreml und zu russischen Regierungsstellen.

Fünftens, es wurden Wirtschaftssanktionen gegen Estland eingeleitet. Während Russland bisher 25 % seines Öls unter Benutzung der estnischen Schienenwege und Häfen ausgeführt hat, wurde letzte Woche bekannt, dass auf der Bahnstrecke zwischen Russland und Estland unvorgesehene Reparaturen notwendig sein würden. Diese durchsichtige Ausrede ist natürlich ein Deckmantel für den Wunsch, Estland auf wirtschaftlichem Wege zu beeinflussen. Eine solche Sanktion könnte zudem unmittelbare Auswirkungen auf die Energieversorgung der Europäischen Union haben. Wir sollten auch die Frage stellen, wessen Interessen es diente, die Bahnverbindung St. Petersburg-Tallinn zu unterbrechen.

Abschließend möchte ich gern allen danken, die Estland so zahlreich zur Seite stehen.

 
  
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  Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Herr Verheugen, Sie haben eben gesagt, dass Russland unser strategischer Partner Nummer 1 in Europa ist. Die Voraussetzungen für eine strategische Partnerschaft sind allerdings gemeinsame Interessen, Ziele und Werte. Ich glaube, dass wir hier einen eklatanten Mangel zu verzeichnen haben. Was bedeutet überhaupt eine strategische Partnerschaft aus russischer Sicht, wenn man derartige Bedingungen stellt? Hat die russische Seite überhaupt eine Vorstellung von einer konstruktiven strategischen Partnerschaft mit der Europäischen Union, wenn sie sich gegenüber Estland so verhält, wie sie es im Kosovo und in Moldau getan hat? Was ist die konstruktive außenpolitische Agenda Russlands?

Des Weiteren verlangen Sie von einem strategischen Partner der EU ein unzweideutiges Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten und das ständige Bestreben, diese auch zu verwirklichen. Haben Sie die Bilder von den Demonstrationen in Moskau und Petersburg nicht gesehen? Sie führen mit der russischen Seite auch die Gespräche zum Menschenrechtsdialog. Der Menschenrechtsdialog ist inzwischen vom regulären Gipfel abgetrennt worden, weil es zu schwierig ist und die normale Gipfelagenda zu sehr belastet würde, spräche man mit den Russen beim normalen Gipfel über Menschenrechte.

Sie sagen, dass wir in Russland einen starken Partner wollen. Genau wie Charles Tannock bin auch ich ein Freund Russlands und wünsche mir ein starkes Russland, aber ein wirklich starkes Russland: ein Russland, das Menschenrechte respektiert, Minderheitenrechte, Versammlungsrechte, Pressefreiheit und nicht ein Potemkinsches Russland, dessen Stärke auf Öl und Autoritarismus gebaut ist. Wenn wir es mit der Werteorientierung der europäischen Außenpolitik ernst meinen, dann müssen wir zumindest die beiden Gipfel wieder zusammenführen, also den richtigen Gipfel zwischen der EU und Russland und den EU-Russland-Menschenrechtsdialog, der bisher ja immer, schamhaft versteckt, zwei Wochen vor dem eigentlichen Gipfel stattfindet.

Ich wünsche mir den Dialog. Auch die russische Opposition, die letzte Woche hier im Parlament war, wünscht sich den Dialog zwischen der EU und Russland. Ich hoffe, dass dieser Dialog fruchtbringend sein wird. Die bisherigen Erfahrungen machen mich allerdings eher skeptisch. Lassen Sie mich abschließend sagen, dass ich froh darüber bin, dass wir diese Debatte in Brüssel und nicht in Straßburg führen.

 
  
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  Gintaras Didžiokas (UEN).(LT) Wann werden wir in der Europäischen Union endlich verstehen oder einsehen, dass das Problem des polnischen Fleisches (seine Ausfuhr nach Russland) kein tiermedizinisches oder handelspolitisches Problem, sondern rein politisch motiviert ist? Ebenso geht es doch auch bei dem geschürten Konflikt in Estland nicht um die Verlegung von Denkmälern. Das alles sind lediglich politische Werkzeuge, mit denen versucht wird, die Solidarität der Europäischen Union aufzubrechen. Einigen Ländern versprechen wir ein Bonbon in Form einiger wirtschaftlicher Vorteile, während wir andere Länder als Bösewichte hinstellen, indem wir sie beschuldigen, die Entwicklung von Partnerschaften zu behindern. Ziel ist die Schwächung der Europäischen Union.

Wann werden die Politiker der Europäischen Union verstehen, was Russland wirklich tut? Eine Möglichkeit, sich solch dreisten Taktiken zu widersetzen, ist ein ganz klar geschlossenes Auftreten. Wir müssen eine echte Solidarität der Europäischen Union zeigen, nicht nur Lippenbekenntnisse darüber ablegen. Wir müssen Russland ganz klar sagen, dass die Europäische Union keine Manipulation ihrer Einheit zulassen wird, dass die Europäische Union nicht ihre Ideale verraten wird und dass Russland einen großen Fehler begeht, wenn es versucht, sie dazu zu bringen. Wir wollen eine Partnerschaft, die zivilisiert ist und auf beiderseitiger Achtung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht.

 
  
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  Angelika Beer (Verts/ALE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will an drei Punkten erläutern, warum meine Fraktion den gemeinsamen Entschließungsantrag, über den morgen abgestimmt wird, nicht unterstützen wird. Wir werden noch entsprechende Änderungsanträge einbringen. Als sicherheitspolitische Sprecherin meiner Fraktion der europäischen Grünen möchte ich darauf hinweisen, dass es aus unserer Sicht höchste Zeit ist, Tacheles zu reden. Es geht eben nicht um eine strategische Partnerschaft, sondern es geht allenfalls darum, eine pragmatische Partnerschaft zu vereinbaren und zu vertiefen.

Wenn ich mir ansehe, wie Russland in diesen schweren Zeiten ohne Not eine friedliche Lösung im Kosovo durch die Androhung eines Vetos im UN-Sicherheitsrat blockiert, dann ist das genauso wenig hinnehmbar wie die jetzt angedrohte Kündigung des KSZE-Vertrags, der ein wichtiges Element der Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa darstellt.

Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der mich ausgesprochen besorgt macht, und wo ich von Rat und Kommission erwarte, dass sie sich um eine Klärung bemühen. Wenn die Augenzeugenberichte, die schriftlichen Berichte von Amnesty International und die Stimmen anderer, die vor Ort, also in Darfur tätig sind, zutreffen, dann hat Russland allein im Jahr 2005 Kriegswaffen in Höhe von 15,4 Milliarden Euro an den Sudan geliefert. Es gibt Augenzeugenberichte darüber, dass Teile dieser Waffen in Darfur eingesetzt werden.

Wir sind zwar ratlos in der Frage, wie wir den Völkermord in Darfur beenden können; dennoch gilt es, all unsere Anstrengungen auf eine Intensivierung der Gespräche und Verhandlungen, auf die Stärkung der Menschenrechte und die Beendigung des Genozids sowie darauf zu richten, dass einzelne Mitgliedstaaten nicht länger ihre Ölinteressen durchsetzen können. Ich appelliere an uns alle, das nicht zuzulassen, und Russland in diesem Punkte die rote Karte zu zeigen. Es ist nicht zu akzeptieren!

 
  
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  Gerard Batten (IND/DEM).(EN) Herr Präsident! Vorhin äußerte jemand, Russland sei ein führender strategischer Partner– aber sollte es das wirklich sein? Russland ist ein Gangsterstaat, der auf eine vollständige Diktatur zusteuert. Außer seinen Energieressourcen besitzt Russland nichts, was großen internationalen Wert hätte, aber diese Ressourcen setzt es geschickt ein, um sein Comeback als Weltmacht in die Wege zu leiten. Es nutzt diese Energievorräte, um seine internationalen geopolitischen Bestrebungen zu befördern, indem es den Westen in diese Vorräte einbindet und internationale Lieferbündnisse mit Staaten schließt, die dem Westen nicht freundlich gesonnen sind.

Der demokratische, energiehungrige Westen tappt mit schlafwandlerischer Sicherheit in eine russische Falle, in die er durch die russischen Energielieferungen gelockt wird. Hören wir uns an, was Präsident Putin im Jahre 2003 gegenüber der Nowaja Gaseta äußerte: „Die Europäische Kommission sollte sich von ihren Illusionen lieber verabschieden. Was das Gas betrifft, so wird sie mit dem russischen Staat verhandeln müssen.“ Wir sollten uns große Sorgen machen, um welche Art Staat es sich hier handelt: um einen Staat, in dem die Sicherheitsdienste sich selbst zu einer Gangsterklasse gemacht haben, die ungehindert herrscht; einen Staat, in dem mehr als 300 Journalisten ermordet wurden, damit diejenigen, die noch übrig sind, davor zurückschrecken, die Wahrheit zu berichten. Russland ist ein Staat, dessen Bürger einen kritischen britischen Staatsbürger auf britischem Boden ermorden können und in Russland dennoch geschützt werden, ohne die Justiz fürchten zu müssen.

Die europäische Fliege sollte sich nicht in das Empfangszimmer der russischen Spinne einladen lassen. Das Vereinigte Königreich sollte seine eigenen unabhängigen Energievorräte sichern, indem es unverzüglich weiter in die Atomenergie investiert.

 
  
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  Jacek Saryusz-Wolski (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Wir müssen uns wirklich konstruktiv mit Russland befassen, aber nicht um jeden Preis, auch nicht um den Preis der Souveränität der EU oder eines Mitgliedstaats. Wir müssen über umfangreiche Kooperationssysteme und reine Rhetorik hinausgehen. Vor allem sollten wir nicht in Selbstgefälligkeit verfallen und die Schaffung eines falschen äußeren Scheins vermeiden. Wir sollten die Wahrheit sagen, die darin besteht, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den Schwerpunkt nicht allein auf wirtschaftliche Interessen setzen und dabei die sich verschlimmernde Lage der Demokratie und Menschenrechte in Russland und die Diskriminierung seiner Nachbarn, auch einiger Mitgliedstaaten, außer Acht lassen.

Wir alle möchten, dass Russland demokratisch wird. Russland ist ein echter Partner. Wir müssen Vertrauen schaffen, das jedoch darauf beruht, die Werte und Pflichten, denen wir uns verschrieben haben, einzuhalten. Russland muss vor allem klar werden, dass seine Bemühungen, einige EU-Mitgliedstaaten gegen andere auszuspielen, völlig kontraproduktiv sind. Seine Strategie, die EU zu spalten, wird nicht funktionieren. Die Union beruht auf dem Grundsatz der Solidarität, was „einer für alle und alle für einen“ bedeutet. Der „eine“ ist heute Estland. Russland wendet ihm gegenüber eine Reihe nicht tragbarer Praktiken an – und vielleicht müssen wir noch mit weiteren rechnen. Die Union steht hinter Estland und an seiner Seite. Rat und Kommission sollten klarer, viel deutlicher und aktiver vorgehen.

In einem können wir uns sicher sein: Wenn ein Mitgliedstaat in welchem Bereich auch immer – Handel, Energie oder politische Diskriminierung – anders behandelt wird, als es die Regeln der internationalen Gemeinschaft gebieten –, wird unsere gesamte Union in seinem Namen einschreiten. Unser Parlament ist der Hüter dieser Solidarität. Hier wird nicht nur die Union als politisches Projekt auf die Probe gestellt, sondern auch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – und wir werden diesen Test bestehen!

Wenn Russland als wichtiger Akteur und große Nation behandelt werden will, die in Europa verwurzelt ist, muss es lernen, all seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, die sich dadurch ergeben, dass es Mitglied im Europarat ist, die Energiecharta und verbindliche Abrüstungsabkommen unterzeichnet hat und möglicherweise – und das ist mit einem Fragezeichen versehen – Mitglied der WTO wird. Wenn wir eine nutzbringende und sinnvolle Zusammenarbeit mit Russland wollen – was wir wirklich anstreben –, müssen wir eine neue Ära mit einem neuen Russland einleiten und dürfen nicht wieder einen Kalten Krieg wie zu sowjetischen Zeiten beginnen.

 
  
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  Justas Vincas Paleckis (PSE).(LT) Auch im 21. Jahrhundert ist Papier immer noch der Grundbaustein für die Errichtung von Brücken zwischen Nationen. Doch das Fehlen dieses Bausteins und die Schwierigkeiten, eine neue Partnerschaft zwischen der EU und Russland zu konzipieren, spiegeln die bedrückende Realität wider. Aus Moskau hören wir Äußerungen, ein solches Abkommen sei im Grunde nicht notwendig. Die mutwillige Krise in den Beziehungen zwischen Estland und Russland und damit auch in den Beziehungen zwischen der EU und Russland zeugt von einem erheblichen Mangel an Einsicht darin, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowohl gleichgestellt als auch gleichermaßen souverän sind. Dennoch – Dialog ist jetzt notwendiger denn je, weil die Alternative eine Rückkehr in die immer noch nicht geschlossenen Gräben des Kalten Krieges wäre. Eine solche Option würde in der heutigen ohnehin schon so instabilen Welt niemandem helfen. Die schwierigen Gespräche in Samara sollten ein Schritt hin zur eindeutigeren und offeneren Standortbestimmung und zur Formulierung politischer Spielregeln sein, die den neuen Gegebenheiten entsprechen.

In dem Text, den wir gerade prüfen, wird ganz richtig betont, dass ein neues Abkommen sehr wichtig für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und eine Stärkung der Sicherheit und Stabilität in Europa wäre. Die strategische Partnerschaft mit Russland bleibt ein Ziel der Europäischen Union, wie im Entschließungsentwurf betont wird. Doch beide Seiten müssen dieses Ziel verfolgen, indem sie die Menschenrechte, Demokratie und Redefreiheit stärken und auf Großmachts- und Großherrschaftsansprüche verzichten.

 
  
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  Jeanine Hennis-Plasschaert (ALDE).(NL) Herr Präsident! „Moskau stellt sich quer, weil es sich Querköpfigkeit leisten kann“, lautete unlängst der Titel eines Artikels in einer bekannten niederländischen Zeitung, und in der Tat: Man tanzt uns auf der Nase herum! Bei unserem letzten Besuch in Moskau wurde mir wieder bewusst, dass Europa seine Wahrheit hat, die Russen aber ihre eigene Wahrheit verkündigen, bestärkt unter anderem durch das Unvermögen der Union, laut und deutlich mit einer Stimme zu sprechen, wodurch wir den Eindruck mangelnden Selbstvertrauens und gar der Uneinigkeit erwecken.

Die Vorbildfunktion, die wir in der EU wahrnehmen könnten, scheinen wir nach und nach preiszugeben. Niemand veranlasst uns dazu, wir tun es aus Selbstverzicht. Herr Putin, gestützt durch die rasant wachsende Wirtschaft seines Landes, macht sich dies zunutze. Wenn es ihm zupass kommt, macht er die EU zur Karikatur. Russland ist wieder eine Macht, mit der gerechnet werden muss, und dessen sollte sich die EU bewusst sein. Russland sagt den Kampf an.

Die Liste der kontroversen Fragen, die alle erwähnt worden sind, wird immer länger, und sie umfasst die Pläne der USA für ein Raketenabwehrsystem in Polen und in der Tschechischen Republik, die von Herrn Putin angekündigte Absicht, den Abrüstungsvertrag auszusetzen, die großen internationalen Probleme wie das Kosovo, aber auch der Nahe Osten und Sudan, die Energiepolitik als geopolitisches Instrument, das Demokratiedefizit, die Verletzung der Menschenrechte, Tschetschenien und, nicht zu vergessen, selbstverständlich die Krise in Estland und das Verbot der Einfuhr von polnischem Fleisch sowie schließlich und endlich die Souveränität von Drittländern. Die Liste wächst und ebenso das Misstrauen.

Auch wenn die Wünsche und Erwartungen sehr unterschiedlich sind, machen die zunehmende gegenseitige Abhängigkeit und Russlands Nähe die Festlegung von Prioritäten zu einem Gebot. Dabei kommt es entscheidend darauf an – und dies ist gleichzeitig ein ausdrücklicher Appell an die Ratspräsidentin –, dass die EU ihre interne Geschlossenheit wahrt. Wir sollten Russland keine Gelegenheit geben, die EU der Lächerlichkeit preiszugeben. Wir sollten unser eigenes Haus in Ordnung bringen. Nur dann ist eine effiziente und konsequente Politik der Union gegenüber diesem Land möglich.

 
  
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  Mirosław Mariusz Piotrowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Uns ist inzwischen allen klar, dass der Wirbel, den Russland um das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch veranstaltet, ausschließlich politisch motiviert ist. Es besteht kein Zweifel daran, dass die polnische Seite alle hygienischen Anforderungen erfüllt hat.

Die russische Regierung will keinen Kompromiss, sondern vertieft ganz methodisch die Spaltung in der Europäischen Union. Sie hat sich außerdem das Recht herausgenommen, sich in die inneren Angelegenheiten Estlands, eines souveränen Staates und EU-Mitglieds, einzumischen. Russland verfährt in gleicher Weise auch mit anderen Nachbarländern – den ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten.

Dialog und Verhandlung sind wichtige Werte. Unter den gegebenen Umständen würde jedoch ein Verhandlungsmandat für den EU-Russland-Gipfel nicht nur eine Rückkehr zu den politischen Praktiken des Kalten Krieges bedeuten, sondern auch einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft schaffen.

 
  
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  Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Fortschritte bei den Beziehungen zu Russland und deren Vertiefung stellen für die Europäische Union eine absolute Notwendigkeit dar. Eine gute Partnerschaft bedeutet jedoch auch, dass Probleme und Meinungsverschiedenheiten in aller Offenheit besprochen werden können und dass die Partner bereit sind, daraus Lehren zu ziehen, um weiterhin ein erträgliches Verhältnis zueinander zu bewahren. In einer Beziehung müssen die Kommunikationskanäle jederzeit offen gehalten werden. Ich hoffe in unserem Interesse, dass die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen unverzüglich beginnen können – ein neues Partnerschaftsabkommen, das sich auf die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts stützen, aber zugleich den Weg für einen neuen Dialog in den nächsten Jahren ebnen muss.

Wir müssen aufhören, in Form abgegebener Erklärungen zu sprechen, und stattdessen Gespräche im Rahmen eines strukturierten Dialogs führen, ohne dabei den Problemen im Geringsten aus dem Weg gehen zu wollen, an denen es in Russland ja nun wirklich nicht mangelt; die Medienfreiheit, das Funktionieren der Demokratie, die Art der Festlegung von Bestimmungen für Wahlen und Wählbarkeitsvoraussetzungen in Russland, die Stellung der NRO sowie die Menschenrechtslage – und ich verweise das Haus auf den Bericht des Europarats über Tschetschenien – all dies muss auf der Tagesordnung stehen.

Auch auf internationaler Ebene sind Europa und Russland aufeinander angewiesen; ein treffendes Beispiel ist das Kosovo. Russland kann hier nicht einfach sein Veto einlegen; das läge nicht im Interesse der Region. Aufeinander angewiesen sind wir jedoch ebenso beim Thema Iran und Nordkorea.

Schließlich und endlich möchte ich auf den Konflikt zwischen Estland und Russland zu sprechen kommen, denn die Spannung steigt nicht nur in beiden Ländern, sondern ist nunmehr, nicht zuletzt aufgrund der Reaktion Russlands, auch zu einem europäischen Problem geworden. Die Liste der Probleme zwischen den baltischen Staaten und Russland wird immer länger. Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden, doch fehlt es vollkommen an jeglicher Behutsamkeit und an Taktgefühl beim Umgang miteinander.

Ich bin entschieden für eine aktive Osteuropapolitik, doch lässt sich eine solche Politik nur betreiben, wenn wir uns in der EU darüber einig sind. Dies bedeutet mithin, dass ihr auch die baltischen Staaten zustimmen müssen, weshalb es nicht angehen kann, dass wir in der Europäischen Union Maßnahmen in Form von Sanktionen gegen ein Mitglied unserer Familie hinnehmen. Eine Eskalation der Krise läge gewiss weder in unserem Interesse noch im Interesse Russlands.

Es ist nun Sache der Europäischen Union, endlich einen Schritt zu tun. Der Rat und die Kommission müssen sich dem Parlament anschließen und mit einer Stimme klar zum Ausdruck bringen, dass die Europäische Union die Bedrohung von EU-Mitgliedstaaten zurückweist, dass wir aber auch bereit sind, uns so weit wie möglich für eine Verbesserung des Dialogs und den Aufbau einer konstruktiven Zusammenarbeit einzusetzen. Der deutsche Vorsitz hat die richtige Basis dafür geschaffen, und ich denke, der Gipfel wird eine gute Gelegenheit bieten, weiter darauf aufzubauen.

 
  
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  Józef Pinior (PSE). – (PL) Herr Präsident! Die heutige Plenarsitzung findet an einem Tag statt, an dem sich das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt. Als Pole möchte ich an alle sowjetischen Soldaten erinnern, die während des Krieges im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben ließen. Wir werden ihre Selbstaufopferung nicht vergessen, jene einfachen Soldaten, jene grauen Infanteristen, die Bulat Okudschawa so wunderbar in seinem Song beschrieben hat.

Uns Mitglieder der Europäischen Union eint der Wunsch nach guten Beziehungen zu Russland. Diese guten Beziehungen sind eine wirtschaftliche, strategische und geopolitische Notwendigkeit. Russland ist allerdings kein einfacher Partner für die Europäische Union. Selbstverständlich dürfen und werden wir die neoimperialistische Politik Russlands, wie sie das Land in jüngster Zeit Estland gegenüber verfolgt, nicht tolerieren, wie immer sie sich auch äußern mag. Deshalb müssen wir die Regierung und das Volk Estlands in der nächsten Zeit uneingeschränkt unterstützen und sie unserer rückhaltlosen Solidarität versichern.

Herr Kommissar, Herr Minister! Ich möchte Sie an das Schreiben erinnern, mit dem sich Amnesty International vor dem Samara-Gipfel an die politisch Verantwortlichen in der Europäischen Union gewandt hat. Darin war von der Notwendigkeit die Rede, im Gespräch mit Präsident Putin das Thema Menschenrechtsverletzungen wie die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit und vor allem der Pressefreiheit und auch die wachsende Zahl der in Russland ermordeten Journalisten zur Sprache zu bringen. Auf diese Probleme muss die russische Regierung auf dem Samara-Gipfel direkt angesprochen werden.

 
  
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  Guntars Krasts (UEN). – (LV) Die Europäische Union betrachtet Russland als einen guten langfristigen Partner, aber nutzt sie ihren Einfluss, um Russland zu bewegen, ein demokratischer und berechenbarer Nachbar zu werden? Seit Russland den Status eines großen Players im Energiebereich erlangt hat, nimmt seine Außenpolitik zunehmend unattraktive Formen an. Die Europäische Union, konfrontiert mit Russlands neuer Politik, wirkt jedoch nicht als geeinte Kraft, sondern als einzelne Mitgliedstaaten, und in Situationen des Konflikts mit Russland werden die EU-Mitgliedstaaten angehalten, die Konflikte bilateral zu lösen. Das jüngste Beispiel dafür ist Russlands grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten des EU-Mitgliedstaats Estland, wo sich Russland gar zu Forderungen versteigt, dass Estlands gewähltes Parlament und gewählte Regierung zurücktreten mögen. Die Europäische Union ließ die Gelegenheit nicht verstreichen, das schweigend zu übergehen, im Gegensatz zum Beispiel zum Präsidenten und zum Senat der USA, die ihre nachdrückliche Unterstützung für Estland zum Ausdruck brachten. Der Ratsvorsitz der Europäischen Union ist bemüht, den Konflikt zu einem Problem zu machen, das bilateral zwischen Estland und Russland zu lösen ist. Russland würde damit die Europäische Union in kleine und große Staaten, neue und alte Staaten, Partnerstaaten und undankbare Staaten jenseits seiner Grenze einteilen dürfen. Der nächste Gipfel zwischen der Europäischen Union und Russland wird in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Test für die Fähigkeit der Europäischen Union sein, als Union zu wirken. Ich danke Ihnen.

 
  
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  József Szájer (PPE-DE).(HU) Russland ist ein europäisches Land, mit dem wir eine Kultur sowie soziale, kulturelle und geistige Werte teilen, die mehr als tausend Jahre zurückreichen. Die Europäische Union braucht ein demokratisches Russland. Was die Europäische Union braucht, ist ein demokratisches Russland. Die wichtigste Bedingung für eine Partnerschaft müssen allerdings Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sein, ebenso eine verlässliche Achtung der Prinzipien der Gleichberechtigung.

Dies ist unvereinbar mit dem, was Russland unseren estnischen Brüdern gegenwärtig antut. Es ist unvereinbar mit Russlands Einmischung in die Angelegenheiten Estlands unter Verstoß gegen internationale Normen und Gesetze. Estland ist die Union, und die Union ist Estland. Dies ist nicht nur die Angelegenheit eines Landes, sondern eine der gesamten Union. Dies ist nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch der Souveränität.

Meine Damen und Herren! Ist es denn nicht absurd, dass sich die Union zur Stunde auf ein hochrangiges Treffen mit den führenden Köpfen eines solchen Landes vorbereitet und von einer Beziehung mit einer gleichberechtigten Partnerschaft redet, sich um eine Lockerung der Visabestimmungen bemüht und die Mitgliedschaft eines Landes in der Welthandelsorganisation unterstützt, das sich auf diese Weise gegenüber einem anderen EU-Mitgliedstaat verhält, als ob es sich ungestraft in dessen innere Angelegenheiten mischen dürfte. Das ist unannehmbar, und ich muss sagen, eine grundsätzliche Sache, eine grundsätzliche Sache, bei der wir uns auf keine Kompromisse einlassen dürfen.

Deshalb rufe ich, fordere ich die Europäische Kommission und den Rat dringend auf, die Vorbereitungen für den Gipfel EU/Russland zu unterbrechen, bis Russland aufhört, auf Estland Druck auszuüben. Die Union muss ein klares Zeichen setzen: Bis hierher und nicht weiter.

 
  
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  Monika Beňová (PSE).(SK) 1945 wurden wir von der Roten Armee befreit. Ich meine, dass wir dafür eine gewisse Achtung und Dankbarkeit empfinden sollten.

Die Probleme begannen jedoch, als Teile dieser Armee in unseren Ländern verblieben, auch in meinem, und das unter allen möglichen edlen Vorwänden wie ‚Wirtschaftshilfe’ oder ‚Schutz’, und diese Vorwände endeten schließlich damit, dass unsere Länder mit Stacheldraht umzäunt wurden und unsere Volkswirtschaften so weit hinterherhinkten, dass wir sie Anfang der neunziger Jahre von Grund auf erneuern mussten.

Der Grund, weshalb ich diesen kurzen Exkurs in die Geschichte mache, ist der, dass wir, wenn wir heute vom Gipfel EU-Russland sprechen, dazu neigen, viele hochtrabende Worte zu machen, doch wir müssen uns dessen bewusst sein, dass das, was die Europäische Union in den vergangenen zehn Jahren auf der Haben-Seite verbuchen konnte, für Russland im selben Zeitraum verloren ging. Russland ist sich völlig im Klaren und ganz und gar nicht erfreut darüber. Wenn wir also von einer gleichberechtigten Partnerschaft mit Russland reden, dann sind wir gut beraten, darauf zu achten, dass diese Partnerschaft wirklich gleichberechtigt ist und dass wir uns nicht von hehren Worten verleiten lassen, wie es den Generationen vor uns vor 62 Jahren erging.

 
  
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  Wojciech Roszkowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind schwieriger geworden, seit Russland zu seiner alten imperialen Politik zurückgekehrt ist, wie die jüngsten Ereignisse in Estland wohl am besten zeigen. Die souveräne Regierung in Estland hat das Recht, ja sogar die Pflicht, die Spuren sowjetischer Unterdrückung zu beseitigen, und mit seiner Reaktion stellt Russland sich ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.

Der Kreml hat auch gegen Polen eine Verleumdungskampagne angezettelt, und bedauerlicherweise sind einige Mitglieder dieses Hohen Hauses in Straßburg darauf hereingefallen. Obwohl Polen alles in seinen Kräften Stehende getan hat, um seinen guten Willen zu zeigen, wurde das russische Importverbot für polnisches Fleisch nicht aufgehoben, ja es wird sogar noch ausgedehnt.

Präsident Putin will sogar eine Verordnung zum Schutz der Gedenkstätten außerhalb Russlands erlassen. Wird damit russisches Recht auf das Hoheitsgebiet der Europäischen Union ausgeweitet? Diese Aussprache hat gezeigt, dass die Europäische Union auf dem Gipfel in Samara mit weit größerer Entschlossenheit auftreten muss, vor allem wenn es darum geht, sich für die Interessen aller und nicht nur einiger weniger Mitgliedstaaten einzusetzen.

 
  
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  Christopher Beazley (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Ich habe zwei Bitten an Minister Gloser, die seine Antwort auf diese Aussprache betreffen.

Es ist ganz klar, dass Rat, Ratspräsidentschaft – seine Kollegen also – und die Bundeskanzlerin beim Gipfel in Samara, wenn er überhaupt stattfindet, auch die Meinungen dieses Parlaments wiedergeben müssen. Mit Präsident Putins Russland kann keinesfalls einfach so umgegangen werden wie immer. Könnte der Herr Ratspräsident in seiner Antwort bitte erläutern, wie auf dem Gipfel unsere Besorgnis und unsere Weigerung zum Ausdruck kommen werden, zuzustimmen, dass Estland der Grund für diese Krise ist?

Uns wurde gesagt, dass wir die Krise nicht eskalieren lassen dürfen, sondern sie deeskalieren müssen. Aber wir, die EU, haben sie nicht herbeigeführt. Wenn Sie sich das Transkript des Films über die so genannten Unruhen in Tallinn ansehen, sieht man, wie vereinzelte Gruppen von Jugendlichen Fenster einschlagen und Luxusgüter stehlen. Was um Himmels willen hat das mit der Achtung gegenüber Millionen toten Russen im Zweiten Weltkrieg zu tun? Wir können die Version von Präsident Putin, die der seiner Vorgänger Jelzin und Gorbatschow widerspricht, die die Reformbewegung innerhalb Russlands auf den Weg gebracht haben, einfach nicht akzeptieren.

Herr Minister, könnten Sie in Ihrer Antwort also bitte erläutern, welche konkreten Demarchen die Präsidentschaft auf dem Gipfel vornehmen wird, um herauszustreichen, dass die Verhandlungen ohne gegenseitiges Verständnis keinen Erfolg haben können? Es geht hier, wie bereits gesagt wurde, nicht um Estland: Präsident Putin hat auch Lettland angegriffen, ebenso die Tschechische Republik, Polen und den Botschafter meines Heimatlandes. Könnten wir bitte genauer erläutert bekommen, inwiefern der Gipfel in Anbetracht dessen, wie die russische Regierung dieses Problem vorgestellt hat, anders sein wird?

 
  
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  Marianne Mikko (PSE).(ET) Der von russischem Territorium ausgehende Hackerangriff auf die IT-Infrastruktur eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Estland, dauert nun schon fast zwei Wochen. Diese Online-Attacke bedeutet, dass estnische Medienwebsites entweder völlig blockiert oder ernsthaft gestört werden. Die Hacker haben auch versucht, die Websites der estnischen Ministerien zu blockieren. Am 3. Mai liefen auf dem Server des Büros des Premierministers 90 000 Anfragen pro Stunde auf. Estland konnte den Angriff abwehren, aber Russlands Duldung des Vorkommnisses ist ein Akt der Aggression, der eine Reaktion verlangt.

Die russischen Geheimdienste benutzen seit dem Kalten Krieg Informationsausfälle als Instrument, um die Massen zu manipulieren. Im 21. Jahrhundert wiegt es schwerer, wenn die Internetkommunikation mit einem Land nicht möglich ist, als wenn ein Fenster der Botschaft dieses Landes in Moskau eingeworfen wird. Ich begrüße es, dass unserer Entschließung ein deutlich formulierter Artikel hinzugefügt wurde.

Das Thema der Online-Sicherheit muss auf jeden Fall mit Russland auf dem Gipfel in Samara diskutiert werden. Unsere Strategie muss sein, einen Online-Krieg mit unserem strategischen Partner Russland zu vermeiden. Die Europäische Union muss die Online-Attacke gegen einen Mitgliedstaat als Angriff gegen die gesamte Europäische Union behandeln. Dies muss den Russen unmissverständlich klar gemacht werden.

 
  
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  Jan Tadeusz Masiel (UEN). – (PL) Herr Präsident! Möge der EU-Russland-Gipfel dazu beitragen, unsere Beziehungen zu verbessern und die Integration innerhalb der EU zu vertiefen, indem wir Estland und Polen gegenüber Solidarität zeigen. Wir müssen Russland den gebührenden Respekt zollen und seine Leistungen anerkennen, aber wir müssen das Land auch für seine Ungerechtigkeit kritisieren. Wir dürfen uns nicht scheuen, uns gegen Russland zu stellen, wenn die Wahrheit auf unserer Seite ist. Wir üben heftige Kritik an der belarussischen Regierung, von der sich die russische Regierung im Grunde genommen nicht wesentlich unterscheidet. Russland muss die Besetzung Estlands, Lettlands und Litauens und – wenn auch auf anderer Ebene – aller Länder des Sowjetblocks anerkennen. Ich fordere diejenigen, die auf dem Gipfel die Verhandlungen führen, auf, Russland endlich klar zu machen, dass Polen ein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist wie Deutschland und Großbritannien auch.

Abschließend, Herr Kommissar, möchte ich Ihnen für Ihre Bemühungen danken, aber es ist mehr Entschlossenheit vonnöten. Russland muss das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch unverzüglich – und nicht schrittweise über einen längeren Zeitraum – aufheben. Bitte geben Sie Präsident Putin den Willen dieses Hohen Hauses zur Kenntnis.

 
  
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  Der Präsident. Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge(1) eingereicht.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 11.00 Uhr statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Aussprache über die Ereignisse in Estland am 9. Mai, dem Tag des Sieges über den Faschismus, stellt nicht nur eine Missachtung des Gedenkens von zig Millionen Menschen dar, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus geopfert haben. Dies ist nicht nur ein Versuch, die Geschichte zu verfälschen und zu verzerren. Dies sind nicht die nur die heutzutage vertrauten Schmähreden der Sprachrohre der kapitalistischen Barbarei.

Es handelt sich hier um eine bewusste Politik, mit der die Wiederbelebung des Faschismus in den baltischen Staaten und in anderen europäischen Staaten unterstützt werden soll und bei der sich die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament, die Neoliberalen und die Grünen alle zusammen auf die Seite der ultrarechten Fraktion stellen.

Die Rechten, die Sozialdemokraten, die Grünen und Le Pen haben in einvernehmlicher Weise einen verabscheuenswürdigen antikommunistischen Angriff auf die Sowjetunion und die heldenhafte Rote Armee gestartet. Gemeinsam brachten sie ihre Solidarität mit der estnischen Regierung zum Ausdruck, die nunmehr seit Jahren die Stelle der Faschisten einnimmt, indem sie gegen die Kommunisten und Antifaschisten hetzt.

Gemeinsam haben sie unter Beweis gestellt, was historisch und politisch verbürgt ist: dass der Faschismus ein echtes Kind des Kapitalismus ist. In dieser Debatte kam auch das formell zum Ausdruck und offenbarte sich der Charakter der EU als eine Union, die die Interessen des Kapitals vertritt.

Zudem stellt der Faschismus die gleiche Macht wie das Kapital dar, allerdings ohne die parlamentarische Bemäntelung.

Wir möchten betonen, dass je mehr die Menschen die imperialistische Barbarei in Frage stellen, je mehr sie sie verurteilen, sich gegen sie auflehnen und sie bekämpfen, desto mehr wird der Antikommunismus zunehmen.

Die Geschichte hat bewiesen, dass diejenigen, die zwischenzeitlich als außerordentlich stark erscheinen, durch den Kampf des Volkes vernichtet werden.

Der 9. Mai 1945 wird stets ein solches symbolisches Datum bleiben.

 
  
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  Alexander Stubb (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Man kann den Streit um das Denkmal nicht ignorieren.

Heute haben wir den Europa-Tag begangen. Wir haben die Europäische Union und den Friedensprozess gefeiert, den die europäische Integration mit sich gebracht hat.

Dennoch hat dieser Tag zwei Seiten. Für die Russen ist es die Feier des Sieges im Zweiten Weltkrieg. Das umgesetzte Denkmal ist ein Symbol dafür. Für viele der gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten symbolisieren die Feier des Sieges und das Denkmal in Tallinn jedoch den Beginn einer langen Periode der Unterdrückung in der Sowjetunion.

Es ist also kein Wunder, dass sie das Denkmal in Tallinn entfernen wollten. Man muss kein Faschist sein, um ein Symbol der Unterdrückung, das noch frisch in der Erinnerung ist, versetzen zu wollen.

Hier geht es nicht mehr um eine innere Angelegenheit Estlands. Russland und die Position, die es mit seiner „unmittelbaren Nachbarschaftspolitik“ eingenommen hat, haben den Streit um das Denkmal zu einer EU-Angelegenheit gemacht.

Wir sprechen viel von Solidarität. Es wäre eine Schande für uns, wenn wir die Angelegenheit unter Berufung auf die Tagesordnung bis zur Straßburg-Sitzung vertagen würden. Die Regeln wurden für uns gemacht, nicht wir für die Regeln. Wenn wir uns wegen der Regeln nicht unverzüglich damit befassen können, dann möchte ich, dass die Regeln geändert werden.

Wir können viel über Solidarität reden, aber jetzt muss gehandelt werden: „Estlands sak är vår sak!“

 
  

(1) Siehe Protokoll.

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