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Ausführliche Sitzungsberichte
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Mittwoch, 9. Mai 2007 - Brüssel Ausgabe im ABl.
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
 2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
 3. Zusammensetzung des Nichtständigen Ausschusses zum Klimawandel (Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen): siehe Protokoll
 4. Tagesordnung
 5. Erklärung der finanziellen Interessen: siehe Protokoll
 6. Schriftliche Erklärungen (Vorlage): siehe Protokoll
 7. Schriftliche Erklärungen (Artikel 116 GO): siehe Protokoll
 8. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat: siehe Protokoll
 9. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll
 10. Stärkung der europäischen Rechtsvorschriften im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll
 11. Erklärung des Präsidenten (Estland)
 12. Gipfel EU/Russland (Aussprache)
 13. Reformen in der arabischen Welt: Welche Strategie für die Europäische Union? (Aussprache)
 14. Nachrüstung von schweren Lastkraftwagen mit Spiegeln (Aussprache)
 15. Öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (Aussprache)
 16. Ausführungen von einer Minute (Artikel 144 GO)
 17. Nennfüllmengen für Erzeugnisse in Fertigpackungen (Aussprache)
 18. Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten (Aussprache)
 19. Horn von Afrika: Regionale politische Partnerschaft der EU zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung (Aussprache)
 20. Bewertung von Euratom – 50 Jahre europäische Atomenergiepolitik (Aussprache)
 21. Gesundheitliche Folgen des Flugzeugabsturzes 1968 bei Thule (Petition 720/2002) (Aussprache)
 22. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll
 23. Schluss der Sitzung


  

VORSITZ: HANS-GERT PÖTTERING
Präsident

(Die Sitzung wird um 16.30 Uhr eröffnet.)

 
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
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  Der Präsident. Ich erkläre die am Donnerstag, dem 26. April 2007, unterbrochene Sitzungsperiode für wieder aufgenommen.

 

2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
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  Paul Rübig (PPE-DE). – Herr Präsident! Für die heutige Sitzung war eigentlich vorgesehen, dass wir die Debatte über den Roaming-Bericht führen. Das Europäische Parlament hat ja im Trilog am 2. Mai dem Rat ein Kompromisspaket präsentiert – übrigens mit Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses und sämtlicher Länder, die in diesem Trilog vertreten waren. Leider hat es bis heute keine Zustimmung des Rates gegeben. Deshalb können wir heute die Debatte nicht führen und morgen die Abstimmung nicht durchführen.

 
  
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  Brian Crowley (UEN). – A Uachtaráin, ba mhaith liom comhghairdeas a dhéanamh le Rialtas na hÉireann, le Rialtas na Breataine, agus leis an Rialtas nua i mBéal Feirste.

(EN) Herr Präsident! Gestern kam in Nordirland eine neue Regierung an die Macht und wurde die dezentralisierte Versammlung wieder eingesetzt, wodurch das, was man früher als extreme Auffassung von Unionismus und extreme Auffassung von Nationalismus bezeichnet hätte, nun gemeinsam eine neue nordirische Regierung bildet. Wie die Nobelpreisträger verlauten ließen, bietet sich uns hier die hervorragende Gelegenheit, nicht nur diejenigen zu beglückwünschen, die daran beteiligt waren, und sie zu ermutigen, neue Lösungsmöglichkeiten für den Konflikt und die Schwierigkeiten zu finden, zu denen es bei Gemeinschaften mit unterschiedlichen Auffassungen kommt, sondern auch der Europäischen Union zu ihrem anhaltenden Engagement und der kontinuierlichen Unterstützung zu gratulieren, die sie den Menschen in Nordirland in den letzten 20 Jahren zuteil werden ließen.

So etwas Großartiges konnte gestern nur geschehen, weil die daran beteiligten Personen auf den Schultern von Giganten standen – und zwar nicht nur auf den Schultern von John Hume und Lord Trimble, die heute hier anwesend sind, sondern auch auf den Schultern von Jacques Delors, der als allererster den Plan und die Idee hatte, ein Friedensprogramm für Nordirland auszuarbeiten, sowie den Schultern von Helmut Kohl und anderen.

Daran sollten wir heute denken, indem wir sicherstellen, dass wir in unserem Engagement nicht nachlassen. Als Vorsitzender der UEN-Fraktion und Vertreter einer Regierungspartei gilt mein Dank all meinen Kollegen in diesem Hohen Hause und meinen Kollegen aus Irland, die zusammen auf diese gemeinsame Sache und dieses gemeinsame Ziel hingearbeitet haben.

Nicht vergessen sollten wir auch die Todesopfer und das Leid, die Beeinträchtigung und Verletzungen, die so vielen Menschen zugefügt wurden. Statt zuzulassen, dass diese Verluste unseren Dialog weiterhin negativ beeinflussen und vergiften, sollte uns jedoch klar sein, dass diese Zeit nun endgültig vorbei ist. Unsere Aufgabe und Rolle besteht nun darin sicherzustellen, dass unsere Enkel in Nordirland bessere Zukunftsaussichten haben.

Erinnern wir uns auch an die Worte des alten Dichters, die da lauteten: „Auch wenn meine Knochen brechen und mein Körper bluten mag, besteht in meinem Herzen noch immer die Hoffnung, dass die Menschheit ihre Bedürfnisse erkennt und stillt.“

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank für diesen Beitrag, Herr Crowley. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich dem Ersten Minister und seinem Stellvertreter ein Glückwunschschreiben übermittelt habe. Wir sehen einer guten Zukunft für Nordirland, Irland, Großbritannien und die Europäische Union mit Freude entgegen.

 

3. Zusammensetzung des Nichtständigen Ausschusses zum Klimawandel (Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen): siehe Protokoll

4. Tagesordnung
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  Der Präsident. Zu unserem Arbeitsplan von heute und morgen wurde im Einvernehmen mit allen politischen Fraktionen ein Korrigendum zu der in der Sitzung von Montag, 23. April, angenommenen Tagesordnung verteilt. Zu diesem Korrigendum habe ich folgende Anträge erhalten:

Mittwoch:

Die EVP-Fraktion beantragt, den Bericht des Kollegen Brok zum Jahresbericht 2005 über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (A6-0130/2007) auf die Mai-Tagung in Straßburg zu verschieben.

 
  
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  Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. (FR) Unser Kollege, Herr Brok, musste sich einer Operation unterziehen. Er glaubte, dass er diese Woche hier sein könne, aber dies ist nicht der Fall. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass es ihm gut geht – wie wir ihn kennen, gibt er Acht auf seine Gesundheit – und dass er während der Tagung in Straßburg wieder bei uns sein wird. Aus diesem Grund bitte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache zu diesem Bericht zu vertagen.

(Das Parlament nimmt den Antrag an.)

 
  
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  Der Präsident. – Die Sozialdemokratische Fraktion beantragt, den Bericht von Frau Lulling über die Annäherung der Verbrauchersteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke (A6-0148/2007) auf die Mai-Tagung in Straßburg zu verschieben.

 
  
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  Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Zuerst wünsche ich namens unserer Fraktion dem Kollegen Brok alles Gute und gute Gesundung!

Zum Bericht Lulling: Ich habe heute mit Frau Lulling gesprochen. Es gibt eine Reihe von Problemen – ich sage ganz offen, vor allem auch in Bulgarien – im Zusammenhang mit Veränderungen, die der Bericht Lulling mit sich bringen würde. Wir wollen gern nochmals mit der Kollegin Lulling und auch den Vertretern der anderen Fraktionen darüber reden, ob wir in dieser heiklen Frage nicht einen Konsens finden können. Daher beantragen wir eine Verschiebung der Debatte auf die nächste Straßburg-Tagung. Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun, denn alle Gruppierungen in Bulgarien sind davon betroffen. Es wäre ungut, jetzt ein negatives Signal zu senden, wenn wir eine oder zwei Wochen später doch eine Lösung im Konsens finden können.

 
  
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  Astrid Lulling (PPE-DE), Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident! Es gibt keinen objektiven Grund dafür, dass wir die Aussprache zu meinem Bericht heute nicht durchführen sollten, um ihn morgen zur Abstimmung zu bringen. Dieser Bericht wurde im Ausschuss für Wirtschaft und Währung nach mehrmonatigen Beratungen angenommen, denn der Vorschlag der Kommission wurde uns ja, wie angegeben, am 28. September 2006 vorgelegt. Wir haben den Vorschlag im Ausschuss für Wirtschaft und Währung mindestens fünf Mal diskutiert. Jeder konnte seinen Standpunkt einbringen. Die Änderungsanträge wurden fristgemäß eingereicht. Sie wurden übersetzt.

So, wie die Dinge liegen, ist mir klar, warum die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament diesen Aufschub vorschlägt: Die Sozialdemokraten sind für eine Anhebung der Verbrauchsteuermindestsätze, während man in Bulgarien dagegen ist. Daher scheuen sich die Sozialdemokraten davor, vor den Europawahlen Stellung zu beziehen. Dieser Antrag auf Vertagung ist somit recht fadenscheinig, in Wirklichkeit hat er einen politischen und keinen objektiven Grund. Daher bitte ich die Abgeordneten, dagegen zu stimmen.

 
  
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  Nils Lundgren (IND/DEM). (SV) Herr Präsident! Wir sollten nicht eine solche Verachtung gegenüber der Demokratie an den Tag legen, die eine Verschiebung der Behandlung dieses Berichts auf die Zeit nach den bulgarischen Wahlen bedeuten würde. Es ist ein außerordentlich wichtiges demokratisches Prinzip, dass die Bürger, in diesem Fall die Bulgaren, dann möglichst viele Informationen erhalten, wenn sie an die Wahlurnen gehen. Der vorgeschlagene Aufschub verfolgt den gegenteiligen Zweck, nämlich, dass wir diese Frage erst diskutieren, nachdem die Bulgaren gewählt haben. Dem widersetze ich mich entschieden, und alle guten Demokraten sollten das Gleiche tun.

 
  
  

(Das Parlament nimmt den Antrag an.)

(Die Tagesordnung wird so festgelegt.)

 

5. Erklärung der finanziellen Interessen: siehe Protokoll

6. Schriftliche Erklärungen (Vorlage): siehe Protokoll

7. Schriftliche Erklärungen (Artikel 116 GO): siehe Protokoll

8. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat: siehe Protokoll

9. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll

10. Stärkung der europäischen Rechtsvorschriften im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll

11. Erklärung des Präsidenten (Estland)
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  Der Präsident. Ich bin gebeten worden, eine kurze Erklärung zu Estland abzugeben, und ich bin informiert worden, dass die Fraktionsvorsitzenden danach auch eine kurze Erklärung abgeben wollen. Ich sehe, dass dies der Fall ist. Die Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 gab Europa das Fundament, auf dem sich Partnerschaft in Frieden und Freiheit zwischen ehemals verfeindeten Nationen entwickeln konnte. Die Europäische Union wurde nach dem friedlichen Zusammenwachsen unseres ehemals geteilten Kontinents zum Garanten für Frieden, Freiheit und Wohlstand in ganz Europa. Wir sind stolz darauf, den Schuman-Tag heute mit 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsam feiern zu können. Aber der 9. Mai ist aus anderen Gründen auch ein kontroverses Datum, wie wir zuletzt in der Auseinandersetzung um das sowjetische Soldatendenkmal in Estlands Hauptstadt Tallinn gesehen haben. Wir erinnern deshalb an unsere Entschließung vom 12. Mai 2005, in der das Europäische Parlament festgestellt hat, dass für manche Nationen das Ende des Zweiten Weltkrieges eine erneute Tyrannei durch die Sowjetunion bedeutete. Wir erinnern daran, dass kontroverse Positionen über historische Ereignisse niemals mit Gewalt ausgetragen werden dürfen. Ausschreitungen und Plünderungen verurteilen wir entschieden.

Unser früherer Kollege Toomas Hendrik Ilves, der jetzige Präsident der Republik Estland, hat anlässlich der Ereignisse vor der estnischen Botschaft in Moskau etwas sehr Richtiges gesagt: „Es ist nicht üblich in Europa, den Rücktritt der demokratisch gewählten Regierung eines Nachbarlandes zu fordern. In Europa ist es undenkbar, die Wiener Konvention über den Schutz diplomatischer Vertretungen zu missachten.“

Wir erinnern an unsere Entschließung vom 8. Juni 2005 zum Schutz von Minderheiten und gegen deren Diskriminierung, in der wir unter anderem erklärt haben, dass nationale Minderheiten Europa bereichern. Die Europäische Union ist auf Werte gegründet. Diese Werte zu schützen, ist unsere gemeinsame Aufgabe. Wo ein Land der Europäischen Union unter Druck gesetzt werden soll, sind wir alle gefordert. Estland kann sich auf unsere Solidarität verlassen.

(Beifall)

 
  
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  Tunne Kelam, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Ihnen für Ihre Unterstützung und Solidarität danken.

Mein Dank gilt ferner allen Kollegen, die ihre Unterstützung und Solidarität mit Estland auf außergewöhnliche Weise unter Beweis gestellt haben, da dass, was zwischen Estland, einem EU-Mitgliedstaat, und der Russischen Föderation geschieht, keine bilaterale Angelegenheit ist, sondern die gesamte EU angeht. Dies ist ein Testfall, ob die EU eine echte politische Union ist, in der Solidarität und Einigkeit tief verwurzelt sind. Heute werden Deutlichkeit, Timing und Einigkeit des Reaktionsvermögens der EU einem Test unterzogen. Wir erwarten eine deutliche Verpflichtung der EU zu bedingungsloser Solidarität.

Vor allem darf es bei uns kein Wunschdenken geben. Die Art und Weise, wie die Russische Föderation einen EU-Mitgliedstaat behandelt, ist keinesfalls ungewöhnlich. Präsident Putin hat in seiner Münchner Rede ein Programm einer neuen, wesentlich selbstsicheren russischen Außenpolitik vorgestellt. Diesen Ansatz könnte man neoimperialistisch oder revanchistisch nennen. Sein Ziel besteht darin, seinen früheren Einfluss auf die ehemaligen baltischen Kolonien und dann auf den ehemals dem Warschauer Pakt angehörenden Teil Europas zumindest teilweise zurückzugewinnen, wobei er sich auf den aktuellen Energieboom stützt, durch den der Einfluss Russlands stark gestiegen ist, und Teile der außerhalb Russlands lebenden Russen missbraucht.

Ich möchte ganz unmissverständlich klar machen, dass Präsident Putin diese Russen als seine Landsleute betrachtet, was ich ganz stark bezweifeln möchte. In Estland lebende Russen sind meine Landsleute, auf die ich stolz bin, weil 99 % von ihnen nicht loyal gegenüber Präsident Putin, sondern gegenüber dem Staat Estland geblieben sind.

(Beifall)

Daher geht es hier nicht nur um Solidarität, denn das Schlüsselwort ist die „Souveränität“ der neuen Mitgliedstaaten der europäischen Familie. Diese können wir nur erreichen, wenn wir mit einer Stimme sprechen und in unserem Handeln Einigkeit an den Tag legen. Wenn ein Mitgliedstaat, der beschließt, eine unmissverständlichere Haltung zu seiner Vergangenheit einzunehmen und dies offen und würdig tut, plötzlich Zielscheibe des Drucks vonseiten seines riesigen Nachbarn wird; wenn seine Botschaft in Moskau eine ganze Woche lang praktisch in Geiselhaft genommen wird; wenn Aufstände zur Destabilisierung von Recht und Ordnung organisiert werden, die von einem anderen Staat ganz klar angeregt und unterstützt wurden; wenn russische Beamte den Rücktritt einer demokratisch gewählten Regierung fordern; wenn eine Wirtschaftsblockade verhängt wird; wenn Webseiten staatlicher estnischer Einrichtungen noch immer durch massive Angriffe blockiert werden – eine innovative Form von Propagandakrieg –, dann muss man sich um die Souveränität des betreffenden Staates wirklich ernsthaft Sorgen machen.

Abschließend sei gesagt, dass es noch eine andere Form von Souveränität gibt, die wir verteidigen müssen: unser Recht, über unsere Vergangenheit zu entscheiden und sie zu beurteilen. Sie nannten hier die Entschließung des Europäischen Parlaments von vor zwei Jahren, in der es um die vielen europäischen Länder ging, die Opfer der erneuten Diktatur der stalinistischen Sowjetunion wurden. In Europa gibt es noch immer eine Trennlinie – zwischen all den westlichen Demokratien, die die rechtswidrige Annexion und Besetzung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion infolge des Hitler-Stalin-Pakts im Jahr 1940 nie anerkannt haben, und der Russischen Föderation, die diesen Pakt noch immer verleugnet und auch versucht, das Recht der ehemaligen Opfer dieses Paktes auf Beurteilung ihrer Vergangenheit zu leugnen. Daher brauchen wir Ihre Solidarität, und ich danke Ihnen allen sehr dafür, dass Sie sie unter Beweis stellen.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, Herr Kelam. Ich habe Ihnen als Bürger und geschätzte Persönlichkeit Estlands doppelt so viel Redezeit gegeben als Ihnen zugeteilt wurde, aber daran sollten sich andere kein Beispiel nehmen.

 
  
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  Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich hoffe, ich bin honorable, wenn auch nicht aus Estland. Ich habe den Kollegen Tarand, unseren Delegationsleiter aus Estland, gebeten zu sprechen. Weil er später noch sprechen wird, hat er mich gebeten klarzustellen, dass die gesamte sozialdemokratische Fraktion voll zu Estland, zu unseren Kolleginnen und Kollegen aus Estland und zur Bevölkerung Estlands steht und dass wir jegliche Intervention von außen, jegliche Intervention Russlands ablehnen.

Wir stehen nicht nur klar zum Grundsatz des Respekts von Botschaften und diplomatischen Einrichtungen, sondern auch zum Grundsatz der Achtung der Souveränität eines Landes und der Souveränität einer Bevölkerung.

Wenn ich eine persönliche Bemerkung anfügen darf: Ich bin wenige Monate nach Ende des Krieges in einer damals sowjetisch besetzten Zone im östlichen Gebiet Österreichs geboren worden. Ich habe miterlebt, wie meine Eltern, Verwandten und Bekannten erzählt haben, dass sie froh waren, dass russische Soldaten gekommen sind, um uns vom Naziregime zu befreien. Ich habe auch miterlebt, dass dieselben Leute Angst hatten, dass die sowjetischen Soldaten als Besatzer dableiben würden. Es war unser Glück in Österreich – Glück aus der Geschichte heraus –, dass unser Land befreit worden ist. Viele andere, etwa die Menschen nur 20 km östlich von meinem Heimatort, haben nicht die Befreiung, sondern die Besatzung erlebt.

Daher meinen wir, dass Russland endlich anerkennen sollte, dass auf der einen Seite viele russische Soldaten als Befreier gekommen sind, aber dass es das Regime mit sich gebracht hat, dass dieselben Befreier als Besatzungsmacht geblieben und viele Völker unterdrückt worden sind – in der Sowjetunion und auch in vielen Nachbarländern. Wenn sich diese Erkenntnis durchsetzen würde, wäre auch der Dialog viel einfacher. Ich hoffe, dass alle Bürger jenseits und diesseits der ehemaligen Grenze zum Ostblock diese Dialektik, die es nun einmal gegeben hat, anerkennen.

Unsere Fraktion war sehr traurig, als wir Toomas Ilves als Mitglied unserer Fraktion verloren haben, aber wir sind heute sehr froh, dass ein so besonnener Mann wie Toomas Ilves Präsident von Estland ist. Zwei kurze Zitate: Er hat auf die Webseite einer jungen russischen Estin hingewiesen, die es so ausgedrückt hat: We are Russians, but our homeland is Estonia. Er hat hinzugefügt: Thank you, Maria. Der letzte Satz in seiner Rede, die wirklich sehr bemerkenswert ist, lautet:

(EN) „It is customary in Europe that differences that occur now and then between states are solved by diplomats and politicians, not on the streets or by computer attacks. Those are the ways of other countries, or, I would add, other times, somewhere else, not in Europe. „

In Europa brauchen wir den Dialog, das Gespräch, aber keine Attacken, keine Demonstrationen vor Botschaften, sondern genau dieser Dialog ist das, was Europa ausmacht.

 
  
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  Siiri Oviir, im Namen der ALDE-Fraktion. – (ET) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst antworten, in der Hoffnung, dass ich als Sprecher für meine Fraktion nicht wesentlich weniger Redezeit erhalte als mein Vorredner.

Wir debattieren heute über die Beziehungen zwischen Estland und Russland, und wenn wir darüber sprechen, müssen wir unbedingt auch über die Ereignisse sprechen, die sich Ende April in Estland zutrugen. Dabei dürfen wir auch nicht den Anlass dieser Ereignisse vergessen: den „Bronzenen Soldaten“. Diese Statue wurde von den sowjetischen Behörden zu Ehren der Befreier von Tallinn errichtet. Tatsächlich bestand die Befreiung Tallinns in der Bombardierung der Stadt am 9. März 1944, durch die 40 % ihrer Wohngebiete zerstört wurden und Hunderte Menschen starben.

Dies nannte man Befreiung, aber es gab Deportationen von Esten nach Sibirien, eine Welle nach der anderen, und keine Familie blieb von diesen Repressionen verschont. Mein Vater wurde 1941 nach Sibirien deportiert und kehrte erst 21 Jahre später wieder nach Hause zurück. Nach dem Tod Stalins machte sich meine Urgroßmutter, die ebenfalls nach Sibirien deportiert worden war, allein zu Fuß auf den Weg in ihr Heimatland Estland. Als meine Familie eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, fanden sie sie auf den Stufen unseres Hauses sitzend, aber leider war meine Urgroßmutter da schon tot. Ich kann mich an diese Zeit immer noch erinnern.

Als Denkmal für einen Befreier errichtet war der „Bronzene Soldat“ ein Symbol für sehr schmerzliche Erfahrungen vieler Esten. Dennoch stand er noch weitere 15 Jahre auf dem zentralen Platz unserer Hauptstadt, das heißt, 15 Jahre, nachdem Estland seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte.

Was geschah nun am 26. April? Was geschah in jener Nacht? Die Krise um das Denkmal begann im Grunde etwa vor einem Jahr, als eine Ansammlung von Extremisten, die die sowjetische Flagge schwenkten, dieses Monument von einem Ehrenmal für die Toten in ein Symbol für den Sieg der sowjetischen Besatzung umfunktionierte, und damit wurde es zu einem ständigen Spannungsherd. Bis dahin hatten sich jedes Jahr Veteranen dort versammelt, und obwohl am Grab gelegentlich Alkohol getrunken wurde und die Anwesenden manchmal auf dem Grab tanzten, griff die Polizei nie ein.

In der Nacht des 26. April allerdings brachen in der Innenstadt Unruhen aus, die sich dann später auf einige Grenzstädte ausbreiteten, wo sie aber nicht so massiv waren. Die Unruhestifter zerstörten alles, was ihnen in den Weg kam, auch Autos und Bushaltestellen, aber vor allem Fenster. Gruppen von Jugendlichen brachen in Geschäfte ein und stahlen alles. Besonders häufig wurden Spirituosengeschäfte ins Visier genommen, aber es betraf auch einige andere Läden. So wurden zum Beispiel Geschäfte von „Armani“ und „Hugo Boss“ sowie Schmuckläden geplündert.

Da wir im Medienzeitalter leben, wurde all dies aufgezeichnet und auch live im Fernsehen gesendet. Es gibt heute jede Menge Videomaterial, das diese Vorfälle dokumentiert. Die Polizei griff erst ein, als die Jugendbanden zu aggressiv wurden. Es wurden Knüppel und Wasserwerfer eingesetzt, aber keine Schusswaffen. In jener Nacht wurde der „Bronzene Soldat“ von Tõnismäe auf den Militärfriedhof gebracht, wo er gestern wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Danach begannen die Angriffe Russlands: die von meinen Vorrednern angesprochenen Propagandaoffensiven, die in der Forderung der Duma nach einem Regierungswechsel in Estland gipfelten. Ich höre jetzt auf. Bitte entschuldigen Sie, Herr Präsident.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

Zum Abschluss möchte ich noch all denen danken, die Estland bisher unterstützt haben und weiterhin unterstützen. Das ist eine große Ehre und eine große Hilfe für uns. Danke, Herr Präsident, und ich bitte nochmals um Entschuldigung.

 
  
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  Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich meinen Kollegen anschließen und zunächst unsere Solidarität und Unterstützung der estnischen Regierung und Bevölkerung zum Ausdruck bringen und zweitens die Einschüchterungstaktik der russischen Regierung verurteilen, die versucht, Unsicherheit und Instabilität herbeizuführen, und zwar nicht nur in Estland, sondern in allen baltischen Staaten.

Was hier geschieht, ist in vielerlei Hinsicht eine neue Form des Totalitarismus oder Autoritarismus: In Moskau werden Menschenmengen mobilisiert, um eine Botschaft anzugreifen; es wird die Kraft oder Stärke von Energie genutzt, um Menschen dazu zu bringen, vor dem Einfluss der russischen Regierung niederzuknien, und vor allem ist man nach wie vor bestrebt, Symbole der Vorherrschaft und Unterwerfung in Gebieten beizubehalten, die ihre Unabhängigkeit von totalitären Regimes erreicht haben.

Unsere Aufgabe und Rolle besteht heute darin, unseren estnischen Kollegen zuzuhören und ihre Hilferufe und Bitten um Unterstützung und Solidarität zu vernehmen. Am allerwichtigsten ist es aber, weil wir Russland als Partner für künftige Entwicklungen schätzen, dass wir es dazu auffordern sollten, die richtigen Schritte einzuleiten, so dass die Rechte aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch für alle gleichermaßen eingehalten werden – unabhängig davon, ob sie groß oder klein, Nachbarstaat oder ehemaliges Herrschaftsgebiet sind oder nicht.

Unsere leidenschaftlichste Botschaft sollten wir schließlich an die Bürger Estlands richten, um ihnen zu zeigen, dass sie nun, da sie Teil der Europäischen Union sind, nicht im Stich gelassen werden, wie es früher der Fall war.

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kollegen! Wir hatten diese Auseinandersetzung über die Geschichte Europas schon öfter. Letztes Mal haben wir eine Diskussion über die Einschätzung der Sudetenproblematik in Tschechien geführt. Damals haben wir schon gesagt – ich wiederhole –, dass wir eine europäische Interpretation des Krieges brauchen und dass wir mit nationalen Interpretationen aufhören müssen. Die europäische Interpretation ist in diesem Fall einfach: Die Rote Armee hat ihren Beitrag zur Befreiung Europas vom Nazi-Faschismus geleistet. Dies ist wahr, und dieser Beitrag hat große Opfer gefordert. Es sei dahingestellt, welche Verantwortung Stalin für das Emporkommen Hitlers gehabt hat. Das ist eine andere Debatte.

Danach war die Rote Armee aber eine Besatzungsarmee! Eine Armee, die Freiheit unmöglich gemacht hat. Auch das ist europäische Geschichte. Wenn man hässliche Bronzestatuen entfernt, ist das für die Kulturlandschaft einer Stadt auch kein Problem, sondern es trägt eher zur Verschönerung dieser Stadt bei. Wir müssen in dieser Diskussion jedoch mit aller Klarheit sagen – und ich hoffe, dass wir das dann in der Debatte über Russland auch hören werden: In der Tat versucht die russische Führung, versucht Putin hier mit aller Macht, eine Spaltung herbeizuführen. Wir müssen uns alle mit den Regierungen Lettlands und Estlands solidarisch erklären.

Gleichzeitig müssen wir aber bei aller Solidarität sagen, dass wir klar erkennen, dass es in den drei baltischen Staaten ein Problem gibt, nämlich das Recht der russischen Minderheit. Wir wissen alle aus der Geschichte: Wenn eine Minderheit – und das sind 30 % der Bevölkerung – dazugehören will, sich aber entrechtet fühlt, entsteht ein sozialer Konflikt!

Ich weiß, dass alle Mehrheiten dies immer negieren. Die Türken haben uns auch immer gesagt, dass es in der Türkei kein Kurdenproblem gibt. Es gibt ein Kurdenproblem in der Türkei, und es gibt ein Problem der russischen Minderheit und ihrer Rechte! Das heißt nicht, dass die russische Minderheit gut ist, sondern dass sie als Minderheit Rechte haben muss. Wenn diese Rechte nicht anerkannt werden, ist es schwer, einen Konsens in der Gesellschaft herzustellen.

 
  
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  Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig: Heute vor 62 Jahren haben die Vertreter Hitlerdeutschlands die bedingungslose Kapitulation unterschrieben. Damit ging eines der dunkelsten Kapitel Europas zu Ende. Die Völker der damaligen Sowjetunion haben zu diesem Sieg einen entscheidenden Beitrag geleistet und auch einen ungeheuerlichen Preis bezahlt. Das alles sollten wir mit der entsprechenden Würdigung und natürlich auch mit Nachdenklichkeit betrachten. Deshalb stimme ich dem Leiter des Simon-Wiesenthal-Center in Jerusalem, Efraim Zuroff, durchaus zu, der zu diesen Ereignissen in Tallinn Folgendes sagte, was mich sehr bewegt hat:

(EN) „Obwohl das Center die Verbrechen, die während der Sowjetherrschaft gegen die Esten aller Glaubensrichtungen und Nationalitäten begangen wurden, unmissverständlich verurteilt, dürfen wir nie vergessen, dass es die Rote Armee war, die den Massenmorden seitens der Nazis und ihrer örtlichen Kollaborateure auf estnischem Boden, die bis zum letzten Tag der Besetzung durch Nazideutschland begangen wurden, ein Ende bereitet hat. Daher lässt die Entfernung des Denkmals aus dem Stadtzentrum von Tallinn durch die Regierung auf ein bedauerlicherweise fehlendes Verständnis für das Ausmaß der Nazi-Verbrechen schließen und stellt eine Beleidigung der Opfer dar.“

Meine Fraktion bedauert die Zuspitzung der innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen in Tallinn außerordentlich, und wir rufen alle Beteiligten zur Mäßigung und auch zum Dialog auf. Die Tatsache, dass in der Hauptstadt Estlands eine friedliche Demonstration in Krawalle ausartet und die Polizei in einer Art und Weise vorgeht, die einen Toten und auch zahlreiche Verletzte zur Folge hat, ist sehr beunruhigend. Sie weist schon auf den fehlenden Dialog zwischen der estnischen Mehrheit und der russischen Minderheit hin. Deshalb mache ich darauf aufmerksam, dass auch wir als Europäisches Parlament dafür Verantwortung tragen, weil wir uns dieser Benachteiligung der russischen Minderheit in den baltischen Staaten zu wenig entgegengestellt haben.

Ebenso bedauerlich sind die unverhältnismäßigen Reaktionen aus Russland. Meine Fraktion unterstützt nachdrücklich die Forderung an Russland, seinen internationalen Verpflichtungen gemäß den entsprechenden Konventionen nachzukommen und das Personal sowie auch das Gelände der estnischen Vertretung zu schützen sowie einen ungestörten Zugang zu der Vertretung zu ermöglichen. Ebenso fordern wir die deutsche Ratspräsidentschaft auf, zur Deeskalation und zum Dialog zwischen Estland und Russland beizutragen. Im Vorfeld des EU-Russland-Gipfels sollten keine Barrieren errichtet, sondern Brücken gebaut werden.

 
  
  

VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS
Vizepräsident

 
  
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  Nils Lundgren, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Zunächst einmal sei festgestellt, dass Estland eine unabhängige Nation ist und kein russischer Satellitenstaat. Das bedeutet, wir dürfen nicht anfangen, etwas vom Verständnis für Russland und seine Geschichte zu murmeln. Wir müssen auch nicht die Blockade Russlands gegenüber Estland und dessen Forderung nach Rücktritt der Regierung eines anderen Landes usw. verstehen. Wir sollten keinerlei Verständnis für so etwas zeigen! Die russische Regierung, die russischsprachige Minderheit in Estland und alle anderen haben natürlich das Recht, Aktivitäten wie die Umsetzung eines Bronzedenkmals zu kritisieren. Estland ist jedoch kein russischer Satellitenstaat in der Interessensphäre Russlands, sondern eine freie und unabhängige Nation.

Die vom Kollegen Cohn-Bendit angebrachten Beispiele, wenn er hier über völlig andere Fragen, wie die der Minderheiten in den drei baltischen Republiken, redet, sind wenig hilfreich. Das ist eine ganz andere, obschon lohnenswerte, Diskussion. Jetzt sprechen wir jedoch darüber, welches Recht Russland hat, das zu tun, was es getan hat – gar keins. Die – an sich hervorragende – Tatsache, dass die Rote Armee, Hitler besiegt hat, spielt hier keine Rolle. Diesen Sieg können wir feiern. Dann aber hat sich die Rote Armee daran gemacht, Estland lange Zeit zu schikanieren.

1939 lag Finnland nördlich des Finnischen Meerbusens und Estland südlich davon. Die Länder hatten in etwa den gleichen Lebensstandard und waren auch sonst in vieler Hinsicht recht ähnlich. Am Ende der russischen Okkupation war Finnland eines der reichsten und erfolgreichsten Länder der Welt, während Estland einen Tiefstand erreicht hatte, aus dem es sich jetzt jedoch sehr erfolgreich wieder hocharbeitet. Dieser Preis darf nicht vergessen werden und kann also kein Verständnis für Russland mit sich bringen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier nicht von einem russischen Satellitenstaat sprechen, sondern von der selbstständigen Nation Estland.

 
  
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  Bruno Gollnisch, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Die Geschichte wurde noch nie mit dem alleinigen Ziel geschrieben, die Wahrheit getreu wiederzugeben. Bis jetzt wurde sie stets nach ideologischen Gesichtspunkten geschrieben. Infolgedessen lässt sie permanent diesen wesentlichen Fakt aus, dass nämlich die ruchlose Allianz zwischen Molotow und Ribbentrop, zwischen Stalin und Hitler, das heißt, zwischen dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus, die gewaltsame Invasion Estlands zur Folge hatte, wo die Anwesenheit der Roten Armee Inhaftierungen, Deportationen, willkürliche Exekutionen und die jahrzehntelange Verweigerung der bürgerlichen Rechte bedeutete.

Heute ist jeder für die Freiheit der baltischen Länder, als jedoch Herr Le Pen und die Mitglieder der unter seinem Vorsitz stehenden Fraktion im Oktober 1987 die baltischen Länder – deren Annexion wir als illegal betrachteten, da sie mit Gewalt erfolgte – aus dem Anwendungsbereich der mit Russland geschlossenen Verträge ausschließen wollten, waren alle anderen Parteien dagegen. In Wirklichkeit, meine Damen und Herren, waren die Esten ebenso wie die Russen Opfer des Kommunismus. Zugegebenermaßen ist angesichts der großen Verluste, die die russische Armee in der Folge erlitten hat, die Demütigung der russischen Minderheit, und vor allem der ehemaligen Kämpfer, verständlich. Baudelaire, der große französische Dichter, sagte einst: Die Toten, die armen Toten haben große Schmerzen.

Überlassen wir es Estland, selbst geeignete Modalitäten zu finden, um jene zu ehren, deren Opfer letztendlich keinen anderen legitimen Grund hatte, als ihre jeweiligen Nationen – die Unabhängigkeit, die Souveränität und die Identität einer jeden dieser Nationen – verteidigt zu haben.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

 

12. Gipfel EU/Russland (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zum Gipfel EU/Russland.

 
  
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  Günter Gloser, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Europäischen Kommission, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich unserem eigentlichen Thema widme, möchte ich ganz kurz auf die vorangegangene Diskussion eingehen. Der Ratsvorsitz und damit auch die Europäische Union hat angesichts des Konflikts – auch vor dem Hintergrund der Souveränität eines Mitgliedstaats der Europäischen Union – rechtzeitig reagiert, aber auch gleichzeitig Solidarität gezeigt und – was Frau Kollegin Zimmer angesprochen hat – zur Deeskalation beigetragen. Dies wird natürlich auch weiterhin unsere Aufgabe sein.

Wir feiern heute, am 9. Mai, den Europatag. Der 9. Mai steht symbolisch für die europäische Einigung. Seit dem Vorschlag Robert Schumans, eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu schaffen, hat Europa einen langen, schwierigen, aber meines Erachtens erfolgreichen Weg zurückgelegt bis hin zur heutigen Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten. Heute hat die Europäische Union ein Maß an Stabilität und Wohlstand verwirklicht, um das uns die Welt beneidet. Ohne politische Weitsicht und strategische Geduld wäre dieser historische Erfolg nicht möglich gewesen.

Beides ist auch gefordert, wenn es um die Gestaltung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland geht. Zu Recht sieht die Europäische Union Russland als Partner und Nachbarn, mit dem sie eine strategisch angelegte Zusammenarbeit verbindet. Mit kaum einem anderen Land unterhält die Europäische Union so umfassende und intensive Beziehungen wie mit Russland. Es ist eine grundlegende Erkenntnis der europäischen Geschichte, dass Stabilität und Wohlstand in Europa auf Dauer nur mit Russland zu sichern sind. Auch die großen globalen Herausforderungen können wir letztlich nur gemeinsam bewältigen: den Kampf gegen den internationalen Terrorismus ebenso wie die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder die Gefahr eines globalen Klimawandels. Bei den internationalen Konflikten – ob im Kosovo, im Iran oder im Nahen Osten – ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland unverzichtbar, wenn wir denn Erfolg haben wollen.

Unsere gemeinsamen Interessen, aber auch die gegenseitigen Abhängigkeiten sind im Zeitalter der Globalisierung weitaus bedeutender als das, was uns trennt. Das gilt etwa für den Bereich der Energie. Hier wird oft vergessen, dass Russland bei seinen Gasexporten zu 80 % von der EU als Konsument abhängt. Russland braucht für die dringend erforderliche Modernisierung seiner Wirtschaft die Kooperation mit der Europäischen Union. Und die Europäische Union selbst hat ein überragendes Interesse daran, Russland weiter an sich zu binden. Umgekehrt ist die Europäische Union, wie Präsident Putin zu Recht immer wieder gesagt hat, Russlands Wunschpartner. Mit Europäischer Union sind natürlich alle 27 Mitgliedstaaten gemeint.

Die mit Russland vereinbarte Politik der vier Räume bildet die Grundlage für diese auf Vernetzung angelegte Zusammenarbeit. Die deutsche EU-Präsidentschaft will den EU-Russland-Gipfel am 18. Mai in Samara deshalb nutzen, um die Partnerschaft mit Russland weiter zu festigen und auszubauen. Wir wollen uns dabei nicht auf einen bloßen Meinungsaustausch beschränken, vielmehr sollen von diesem Gipfel positive Signale für eine Verstärkung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland ausgehen. Wir setzen uns deshalb weiter mit Nachdruck dafür ein. Wir wissen, dass wir spätestens auf dem Gipfel mit den Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen für das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen beginnen müssen.

Zusammen mit der Kommission bemüht sich der deutsche Ratsvorsitz weiter nach Kräften um eine Lösung der noch offenen Frage des russischen Einfuhrverbots für polnische Agrarprodukte. Nach den zahlreichen Gesprächen, die zwischen der Kommission, Polen und Russland stattgefunden haben, ist nunmehr die Zeit gekommen, dass Russland ein Datum für die Aufhebung des Einfuhrverbots nennt. Die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues, strategisch angelegtes Abkommen wäre ein wichtiges politisches Signal, dass beide Seiten weiter engagiert an der Fortentwicklung ihrer Partnerschaft arbeiten. Dies darf letztlich nicht an einer technischen Frage scheitern.

Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland auf eine neue Grundlage zu stellen und neue gemeinsame Perspektiven zu formulieren. Das gilt etwa für die Entwicklung einer Energiepartnerschaft zwischen der EU und Russland auf der Grundlage verlässlicher Regeln und Rahmenbedingungen. Präsident Putin hat in Lahti im Oktober letzten Jahres zugesichert, dass diese Grundsätze in das neue Abkommen aufgenommen werden. Schon auf dem EU-Russland-Gipfel möchten wir mit der russischen Regierung darüber sprechen, wie wir auch in Zukunft Irritationen im Bereich der Energiebeziehungen vermeiden und Unterbrechungen in der Versorgung verhindern können. Die Einrichtung eines Frühwarnmechanismus wäre hierfür eine wichtige Voraussetzung.

Die Energiepolitik ist eng mit der Klimapolitik verbunden. Daher sind auch Klimawandel und Sicherheit Themen, die auf dem Gipfeltreffen behandelt werden sollten. Wie Sie wissen, ist die Europäische Union bereit, bis zum Jahr 2020 ihre Treibhausgasemissionen um 30 % zu reduzieren, wenn andere Industriestaaten vergleichbare Verpflichtungen übernehmen. Es wäre daher ein großer Erfolg, wenn wir Russland dafür gewinnen könnten.

Die Partnerschaft zwischen der EU und Russland geht aber über Energie- und Wirtschaftsthemen hinaus. In Bildung, Forschung und Kultur liegt ein großes, noch bei weitem nicht ausgeschöpftes Potenzial für eine Intensivierung der Beziehungen zwischen der EU und Russland. Gerade in diesen Zukunftsfeldern können beide Seiten von mehr Verflechtung und Vernetzung profitieren. Hier bietet sich für die Europäische Union in besonderer Weise die Chance, die Transformation Russlands im Sinne europäischer Werte zu begleiten. Wir möchten deshalb den Gipfel dafür nutzen, eine vertiefte Zusammenarbeit auf diesen Gebieten auf den Weg zu bringen, etwa durch die Verstärkung des akademischen Austauschs und der Forschungskooperation.

Die Stärkung der Sicherheit in Europa verlangt eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland. Wir wissen, dass das Gespräch mit Russland über dieses Thema in jüngster Zeit nicht immer einfach war. Mit Besorgnis haben wir die russischen Äußerungen über ein Moratorium des KSZE-Vertrags vernommen. Hier – wie auch bei der Diskussion über die Raketenabwehr – muss alles getan werden, um eine neue Spirale des Misstrauens zu vermeiden, denn nur durch gegenseitiges Vertrauen und praktische Kooperation wird es uns gelingen, dauerhaft Sicherheit in Europa zu verankern.

Deshalb werden wir Russland auch weiterhin davon zu überzeugen versuchen, dass es eine Lösung für den künftigen Status des Kosovo auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans mitträgt. Das wäre ein entscheidender Beitrag Russlands zur europäischen Sicherheit. Auf die konstruktive Mitarbeit Russlands kommt es maßgeblich auch für die Fortschritte bei den so genannten frozen conflicts in Moldau und im südlichen Kaukasus an.

Wirkliche Partnerschaft schließt den Dialog über kontroverse Fragen ein. Deshalb – ich möchte das hier unterstreichen – werden wir in Samara auch über die innere Entwicklung Russlands sprechen. Sie hat in der EU gerade in jüngster Zeit zu kritischen Fragen und auch Sorgen geführt. Das gilt vor allem für die Lage der Medien und der Zivilgesellschaft. Das harte Vorgehen der russischen Behörden gegen die Demonstrationen in Moskau, St. Petersburg und Nischni Nowgorod ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die viele insgesamt als problematisch empfinden und die so auch nicht akzeptiert werden kann.

Am 3. Mai fanden die fünften Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland in Berlin statt. Die Europäische Union äußerte ihre Bedenken insbesondere hinsichtlich des Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, speziell im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Russland. Die EU brachte ihre Sorge in Bezug auf die Situation der russischen Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und des Extremismusgesetzes deutlich zum Ausdruck. Natürlich wurden auch einzelne Fälle von Menschrechtsverletzungen und die Lage in Tschetschenien sowie die Bekämpfung von Folter und Misshandlung thematisiert. Auch hier gilt: Wir üben nicht Kritik um der Kritik willen, sondern weil uns eine gute und gedeihliche Entwicklung Russlands am Herzen liegt.

Die EU hat ein überragendes Interesse an einem stabilen, starken Russland, das sich in seiner Entwicklung an europäischen Werten orientiert, ohne seine eigenen Traditionen zu verleugnen. Dazu gehört auch ein gedeihliches Verhältnis zu Russlands Nachbarn, das von offenem Dialog und guter Zusammenarbeit, aber nicht von Druck geprägt ist. In diesem Sinne haben wir uns als Ratspräsidentschaft – auch zu Gunsten unseres EU-Partners Russland – für eine erfolgreiche Deeskalation eingesetzt. So konnten durch unsere Vermittlung die unhaltbaren Zustände um die estnische Botschaft in Moskau beendet werden. Wir werden mit Russland diesen gerade in Bezug auf seine baltischen Nachbarn nicht immer einfachen Dialog auch weiterhin führen.

Die Modernisierung Russlands wird letztendlich nur dann erfolgreich sein, wenn auch jene demokratischen und rechtsstaatlichen Werte und Prinzipien gestärkt werden, zu denen sich die EU und Russland in den Vereinten Nationen, im Europarat und in der OSZE gemeinsam bekennen. Es ist eine europäische Erfahrung, dass Rechtsstaatlichkeit und eine kritische und lebendige Zivilgesellschaft Voraussetzungen für gutes Regieren sind. Die künftige Entwicklung ganz Europas hängt also entscheidend davon ab, dass die Entwicklung einer umfassenden strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland gelingt.

Es ist ein historisches Projekt, das strategische Geduld und Realismus auf beiden Seiten verlangt. Zu diesem Realismus gehören die Einsicht in das Machbare und das Bemühen, Erfolge Schritt für Schritt zu erarbeiten. Das wird – wie in vielen anderen Bereichen auch – nicht ohne Schwierigkeiten gehen. Dennoch: Weder die Europäische Union noch Russland haben eine realistische Alternative zu diesem Weg der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Ihn zu gehen, ist unsere gemeinsame europäische Verantwortung.

(Beifall)

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Abgeordneten! Angesichts des wenig befriedigenden Zustands der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union hält die Kommission es für erforderlich, einige prinzipielle Bemerkungen in dieser Debatte zu machen.

Erstens: Russland ist unser strategischer Partner Nummer 1 in Europa. Zweitens: Wir haben jedes Interesse an Russland als einem stabilen und zuverlässigen Partner, so wie wir Russland ein ebensolcher Partner sein wollen. Drittens: Wir sind davon überzeugt, dass unsere Partnerschaft am besten gedeihen kann, wenn sie auf beiden Seiten getragen ist von einem unzweideutigen Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sowie dem beständigen Bestreben, sie zu verwirklichen. Viertens: Unsere Beziehungen zu Nachbarn und anderen Völkern außerhalb Europas sind nicht wertfrei, sondern sie sind gegründet auf unseren Wertekonsens und unser Wertesystem. Das ist der Grund, warum Europa für so viele außerhalb unserer eigenen Grenzen zu einem Kontinent der Hoffnung geworden ist. Wir wollen daran festhalten.

Das Gipfeltreffen findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen zur Staatsduma und auf die Präsidentschaftswahlen ist das Augenmerk Moskaus auf eine reibungslose Machtübergabe gerichtet. Deshalb stecken die Beziehungen zum Westen im Allgemeinen und auch die Beziehungen zur EU in einer schwierigen Phase.

In vielen Punkten der aktuellen Agenda vertreten wir unterschiedliche Standpunkte. Ich erinnere an die Frage der Zukunft des Kosovo, die Frage der Raketenabwehr sowie der konventionellen Streitkräfte in Europa. Das alles sind Themen, die im Augenblick hoch oben auf der Tagesordnung stehen. Natürlich geht es auch immer wieder um die sichere Energieversorgung für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

In dieser Situation ist es wichtig, dass wir die längerfristigen Interessen der Europäischen Union in ihren Beziehungen zu Russland im Auge behalten. Wir sind nicht nur Nachbarn mit einer langen gemeinsamen Geschichte, sondern auch auf vielen Gebieten aufeinander angewiesen. Wir sind bei weitem der größte Exportmarkt Russlands, und Russland ist unser wichtigster Energielieferant. Keine wichtige außenpolitische Frage in Europa kann ohne unser gemeinsames Einvernehmen gelöst werden. Dazu brauchen wir den ständigen und konstruktiven Dialog, innerhalb dessen wir unsere Interessen und Werte entschlossen vertreten, wobei wir uns aber gleichzeitig um eine Übereinkunft bemühen müssen.

Wir streben auf dem Gipfeltreffen weiterhin an, die Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland einzuleiten. Dieses Abkommen soll das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ersetzen. Beide Seiten sollten ein starkes gemeinsames Interesse an diesem Abkommen haben. Es kann und soll unsere Beziehungen auf eine neue, höhere Stufe heben und diesen Beziehungen die volle Entfaltung ermöglichen.

Die Kommission hat sich intensiv bemüht, die Aufhebung des russischen Einfuhrverbots für polnische Fleisch- und Pflanzenerzeugnisse zu erreichen. Ich möchte dazu sagen, dass die Kommission die Position vertritt, dass das russische Importverbot unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt ist. Wir erwarten deshalb jetzt von Russland ein eindeutiges, konstruktives Signal, d. h. einen klaren Zeithorizont für die vollständige Aufhebung dieser Maßnahmen, auch wenn dazu mehrere Schritte erforderlich sein sollten.

Das Gipfeltreffen wird kein Schlusspunkt sein. Es ist Teil einer langen Entwicklung, und wir werden uns weiter darum bemühen, Fortschritte bei der Realisierung der gemeinsamen Räume zu erzielen, die wir schon vor Jahren miteinander beschlossen haben. Wir werden auf dem Gipfeltreffen unsere Besorgnis über den Zustand der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Russland ausdrücken müssen. Die Einschränkung der Medienfreiheit und die Angriffe auf Journalisten, die Beschränkung der Handlungsfreiheit von Nichtregierungsorganisationen und von Oppositionspolitikern sowie die Lage in Tschetschenien und im Nordkaukasus wurden in der vergangenen Woche bei den Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland eingehend zur Sprache gebracht. Besonders wichtig ist, dass Russland Beobachter der OSZE zu den Wahlen einlädt.

Die freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind Eckpfeiler der Demokratie, und zwar einer Demokratie ohne weitere qualifizierende Attribute. Wir erwarten, dass Russland als Mitglied der Familie demokratischer Nationen diese Freiheiten garantiert.

Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu der Diskussion sagen, die hier soeben zur Krise in den Beziehungen zwischen Russland und Estland stattgefunden hat. Es ist von vielen Rednern dargestellt worden, was geschehen ist. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Estland kann sich in dem Konflikt der Auseinandersetzung mit Russland auf die Solidarität seiner Partner in der Europäischen Union und auf die Solidarität der EU-Institutionen verlassen. Ich denke, wir haben das auch gezeigt. Diese Solidarität gilt es aufrechtzuerhalten, falls es zu weiteren Einmischungen in die inneren Angelegenheiten Estlands kommen sollte, sei es über Computerattacken, sei es über den Ruf nach dem Rücktritt des estnischen Ministerpräsidenten durch Delegationen der Duma.

Wir werden es nie wieder gestatten, dass irgendjemand einen Keil zwischen die Europäische Union und einen ihrer Mitgliedstaaten zu treiben versucht. Die Krise zeigt, dass die europäischen Kriege der Vergangenheit immer noch ihren Schatten auf uns werfen. Alle Völker Europas haben ihre historischen Erfahrungen und ihre jeweils eigene Art, damit umzugehen. Man kann nur wünschen, dass dies immer im Respekt vor den Erfahrungen der anderen geschieht. Wo die Auffassungen auseinander gehen, hilft in der Tat nur das Gespräch und sonst nichts.

Der Gipfel bietet eine Gelegenheit, dem Prozess des WTO-Beitritts Russlands zusätzliche Impulse zu verleihen. Die EU ist ein führender Verfechter dieses Ziels, das eindeutig im beiderseitigen Interesse liegt. Im Energiebereich streben wir auf dem Gipfeltreffen eine Einigung über die Einrichtung eines Frühwarn- und Konsultationsmechanismus an, mit dem sichergestellt wird, dass Informationen über das Risiko einer möglichen Unterbrechung der Energielieferungen früh genug ausgetauscht werden, so dass eine Versorgungskrise vermieden wird. Hier sollen – soweit erforderlich – die Transitländer einbezogen werden.

Es sollte auf dem Gipfel auch vereinbart werden, der Bekämpfung des Klimawandels Priorität einzuräumen. Wichtig ist, dass Russland so schnell wie möglich gemeinsame Durchführungsprojekte mit Investoren aus der Europäischen Union im Rahmen des Kyoto-Protokolls genehmigt und in Angriff nimmt. Wir wollen auch erreichen, dass wir auf der Konferenz in Bali im Dezember zusammenarbeiten, um die Aufnahme internationaler Verhandlungen über ein umfassendes Klimaabkommen für die Zeit nach 2012 zu erreichen. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass Länder mit großem Schadstoffausstoß – wie die USA, China und Indien – in diesen wichtigen Verhandlungsprozess einbezogen werden, damit die globale Herausforderung angenommen werden kann.

Russland ist ein bedeutender Partner bei der Lösung schwieriger außenpolitischer Fragen. Die Diskussionen über internationale Fragen auf dem Gipfeltreffen dürften sich auf die Thematik des Kosovo, des Iran und des Nahen Ostens konzentrieren. Hier müssen sich beide Seiten konstruktiv in den jeweiligen multilateralen Foren einbringen, um dauerhafte Lösungen zu finden.

Was unsere gemeinsame Nachbarschaft betrifft, so wollen wir deutlich machen, dass die Republik Moldau und Georgien Nachbarn der Europäischen Union sind. Wir haben ein größeres Interesse denn je daran, dass Lösungen für die so genannten eingefrorenen Konflikte gefunden werden, wobei die internationalen Rahmen genutzt werden sollten, indem sowohl Russland als auch die EU und viele ihrer Mitgliedstaaten mitwirken. Insbesondere hoffen wir, dass im Fall von Transnistrien und Nagorny-Karabach Fortschritte gemacht werden.

Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass die Kommission einer Politik der konstruktiven Zusammenarbeit mit Russland als unserem strategischen Partner und Nachbarn verpflichtet bleibt. Diese Politik muss sich auf gemeinsame Interessen und Werte gründen. Wir glauben, dass es im wohlverstandenen eigenen Interesse Russlands ist, auf dieser Basis sowohl mit der Europäischen Union als auch mit ihren Mitgliedstaaten konstruktiv zusammenzuarbeiten.

 
  
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  Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Gloser, Herr Verheugen, meine Damen und Herren! Können wir einerseits fest zu unseren Werten und Grundsätzen stehen und gleichzeitig eine enge Zusammenarbeit bei solch wichtigen Themen wie Energie, Klimawandel, WTO-Beitritt, Visapolitik oder Zusammenarbeit innerhalb unserer gemeinsamen Nachbarschaft ins Auge fassen? Die Antwort auf diese Frage sollte nicht je nach Partner, um den es geht, wenn wir über die Beziehungen der Europäischen Union zu diesem Partner sprechen, unterschiedlich ausfallen. Ja, in seinen Beziehungen zu Russland muss Europa eine offene und auf den Dialog orientierte Haltung einnehmen, es muss aber auch seine – oftmals sehr ernsten – Sorgen in Bezug auf die Menschenrechte und insbesondere auf die Meinungsfreiheit oder den Umgang mit Minderheiten zum Ausdruck bringen.

An diesem 9. Mai gedenken wir des Jahrestages der Schuman-Erklärung. Welche Bedeutung haben diese Feierlichkeiten, wenn das wieder vereinte Europa nicht in der Lage ist, seine humanistischen Rechte geltend zu machen? In unseren Beziehungen mit solch einem strategischen Partner wie Russland geben die jüngsten Entwicklungen in diesem Land Anlass zu großer Beunruhigung. So betrachtet meine Fraktion die Haltung Moskaus nach dem Umsetzen eines sowjetischen Monuments durch die estnischen Behörden als völlig inakzeptabel. Von Seiten Russlands handelt es sich hierbei um eine echte Verletzung der Souveränität eines Mitgliedstaates der EU, die unsererseits eine sehr deutliche Reaktion erfordert. Dies haben wir heute getan. Russland darf nicht glauben, dass es ihm mit einer solchen Haltung gelingen wird, uns zu spalten: Heute sind wir alle Esten.

Des Weiteren hat meine Fraktion die scharfe Vorgehensweise gegen die Demonstrationen in Moskau vorbehaltlos verurteilt. Sie hat die Ermordung der Journalistin Anna Politkovskaja Ende 2006, die Vergiftung von Alexander Litvinenko und die wiederholten Angriffe auf die Meinungsfreiheit und auch auf die Pressefreiheit verurteilt. Die schwerwiegenden Menschenrechtsrechtsverletzungen in der Tschetschenischen Republik, die Ermordungen, Zwangsverschleppungen, Folterungen, Geiselnahmen und willkürlichen Verhaftungen sind letztendlich Realitäten, die die Europäische Union nicht hinnehmen darf.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Europäische Union hat die Pflicht, alle diese Themen offen anzusprechen und eine Klärung sowie vor allem eine Änderung der Haltungen und Politiken herbeizuführen. Unsere gemeinsame Pflicht besteht darin, die Bedingungen für ausgewogene Beziehungen zu schaffen und auf eine stabile geopolitische Umgebung hinzuwirken, die so harmonisch wie möglich ist. Die Welt hat sich verändert. Wir leben nicht mehr in der Ära des Kalten Krieges, sondern der Zusammenarbeit und der Umsetzung konkreter Politiken. Diese können für Wachstum und Beschäftigung und für die langfristige Stabilität unseres Kontinents nur von Nutzen sein.

Ich fordere die Kommission und den Rat auf, mit Russland gemeinsame Initiativen zu entwickeln, um die Sicherheit in der Nachbarschaft zu stärken: gemeinsame Krisenbewältigung in der Ukraine und in Belarus, gemeinsame Anstrengungen zur Beilegung der Konflikte in Nagorny-Karabach, in Moldau und in Georgien bei gleichzeitiger Gewährleistung der absoluten territorialen Integrität der Staaten. Ferner wünsche ich mir, dass die Verhandlungen zu einem neuen Rahmenabkommen EU-Russland so bald wie möglich wieder aufgenommen werden, sofern Russland akzeptiert, sich als echter Partner zu verhalten. Ich beglückwünsche die Deutsche Ratspräsidentschaft zu ihren intensiven Bemühungen in diesem Zusammenhang und fordere unsere russischen Partner auf, den wirtschaftlichen Druck auf unsere Mitgliedstaaten zu beenden.

Ich möchte die Bedeutung eines Beitritts Russlands zur WTO in naher Zukunft unterstreichen. Dieser Betritt wird für die Investoren ein wichtiges Signal des Vertrauens aussenden, er wird das Wachstum in Russland stimulieren und auch unseren Handelsaustausch stärken, und er wird Russland zwingen, die Regeln einzuhalten. Die Union kann diese Entwicklung jedoch nur dann unterstützen, wenn sie eine deutlichere Verbesserung und eine Gelassenheit in den Beziehungen feststellt. Lassen Sie uns diese Chance nicht verpassen!

Des Weiteren möchte ich betonen, dass die strategische Frage der Energiegespräche mit Russland von größter Bedeutung ist. Ich gratuliere Kommissar Piebalgs und dem russischen Energieminister zur jüngsten Vereinbarung über die Neuorganisation dieser Gespräche. Es ist unsere Pflicht und es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Sicherheit von Energieversorgung und -nachfrage vor dem Hintergrund einer gewachsenen gegenseitigen Abhängigkeit zu gewährleisten. Diese Zusammenarbeit – und darauf bestehen wir – muss auf den Grundsätzen beruhen, die in der Energiecharta und insbesondere im Durchleitungsprotokoll in deren Anhang festgeschrieben sind.

Durch diese konkreten Maßnahmen im Dienste der Völker Russlands und Europas werden wir unsere Unstimmigkeiten überwinden. Mit Hilfe eines echten Dialogs werden wir die Herausforderungen der Globalisierung meistern, deren Schlüsselaspekte eine Stärkung erfahren werden. Ich hoffe, dass wir sie gemeinsam stärken können.

 
  
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  Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Ist der 9. Mai als Tag für unsere Aussprache über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland nicht in gewissem Sinne symbolisch? Er ist ein Tag des Nachdenkens über die Geschichte und der Tag, an dem wir in der Europäischen Union den Europatag feiern. In diesem Jahr können wir insbesondere auf 50 Jahre europäische Zusammenarbeit zurückblicken, und der 9. Mai ist der Tag, an dem Russland das Ende des Zweiten Weltkriegs feiert – eines Krieges, der Europa teilte, zugleich aber der Beweggrund für die europäische Einigung war. Der 9. Mai sollte eigentlich ein Tag sein, an dem wir uns auf die gemeinsamen Erfahrungen besinnen, die uns verbinden und die uns darüber hinaus als Grundlage für eine gemeinsame Zukunft dienen können.

Leider ist die Situation nicht so rosig. Wenn wir den Blick nach vorn auf den halbjährlichen Gipfel EU-Russland richten, der Freitag nächste Woche in Samara stattfindet, müssen wir zu dem Schluss gelangen, dass die Aussichten auf einen konstruktiven Dialog – den wir uns alle wünschen – nicht gut sind. Selbstverständlich gibt es genügend Gesprächsstoff, und wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass – wie von meinen Vorrednern bereits betont wurde – die enge Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland angesichts der gemeinsamen Interessen auf beiden Seiten unseres Kontinents wirklich die einzig mögliche Zukunftsoption ist.

Es gibt durchaus auch Bereiche, in denen wir in den letzten Jahren gemeinsame Bemühungen unternommen haben und die wir ausdrücklich erwähnen möchten, beispielsweise die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, die Nuklearambitionen Irans und Nordkoreas und die Frage, wie dagegen vorzugehen ist, sowie die Zusammenarbeit beim Kyoto-Protokoll.

Was die Geschäfts- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union anbelangt, bekomme ich oft zu hören, sie würden sich planmäßig entwickeln. Die Frage nach der Weiterentwicklung unseres Partnerschaftsverhältnisses indes bleibt mehr oder minder offen.

Auf einigen wichtigen Gebieten haben wir noch keine Fortschritte zu erzielen vermocht. Wie können wir z. B. die von uns gewünschten zuverlässigen und transparenten Energiebeziehungen sicherstellen? Wie fügen sich unsere gemeinsamen Werte Demokratie und Achtung der Menschenrechte in die strategische Partnerschaft EU-Russland? Diese Themen sind für uns und meine Fraktion von grundlegender Bedeutung und dürfen bei dem Dialog nicht Gegenstand von Konzessionen sein. Meiner Ansicht nach muss die Europäische Union in Samara unseren Standpunkt klar und deutlich machen, insbesondere auch im Vorfeld der neuen Verhandlungen über ein künftiges Partnerschaftsabkommen. Wir sind, wie andere, besorgt, dass dieser Gipfel weniger erbringen wird, als wir vor einiger Zeit eigentlich erwartet hätten.

Ich könnte noch eine Fülle weiterer Punkte aufzählen, die ebenfalls in dem gemeinsamen Entschließungsantrag genannt sind. Was ich, nicht zuletzt im Namen meiner Fraktion, hervorheben möchte, ist unsere Besorgnis in Bezug auf die zunehmende Polarisierung im Vorfeld der Wahlen zur Duma Ende des Jahres. Von entscheidender Wichtigkeit ist, dass die Europäische Union unserer Forderung nach einem freien und demokratischen Ablauf der Wahlen Nachdruck verleiht und unmissverständlich zu verstehen gibt, dass die Schikanen, mit denen den Oppositionsparteien derzeit Hindernisse in den Weg gelegt werden, inakzeptabel sind.

Ich möchte nicht wiederholen, was zur Estland-Frage gesagt worden ist, und stimme den diesbezüglichen Ausführungen meiner Vorredner praktisch uneingeschränkt zu. Russlands Standpunkt und Verhalten in dieser Angelegenheit mögen hoffentlich nicht symptomatisch sein, und es gilt in aller Deutlichkeit klarzumachen, dass ein erneutes Vorkommen der Ereignisse für uns nicht hinnehmbar wäre.

Bis 1991 war Samara eine verschlossene Stadt, weil ein Teil davon in einer strategischen Zone der Sowjetunion lag. Wir hoffen, dass dies kein Vorzeichen dafür sein wird, was wir von dem Treffen nächste Woche erwarten können. Für beide Partner wäre es nach meinem Dafürhalten von Vorteil, unser gemeinsames Interesse nochmals zu bedenken, nicht zuletzt mit Blick auf die EU, ohne dabei die Werte aus dem Auge zu verlieren, auf die unsere Partnerschaft gegründet sein muss, nämlich Demokratie, Menschenrechte und Achtung anderer Länder.

 
  
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  Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Heute vor 62 Jahren, im Jahr 1945, feierte Europa Russlands День Победы – seinen Tag des Sieges – und den Sieg der Freiheit, des Rechts und der Menschenwürde über die Macht des von den Nazis verbreiteten Hasses. Damals hat uns eine gemeinsame Sache geeint. Nun hat uns ein Symbol genau dieses Krieges, das uns geeint hat, zu einem uns schwächenden Streit geführt.

Ich weiß, dass die Kommission zu einem Dialog rät, um den Stillstand zwischen Tallinn und Moskau im Hinblick auf das russische Kriegerdenkmal zu beenden. Aber „ein Dialog ist besser als zwei Monologe“ – wie Max Kampelman, der ehemalige US-Botschafter bei der KSZE, einmal sagte.

Wenn Einschüchterung über Verhandlungen triumphiert, können die Europäische Union und Russland nicht mehr wie gewohnt weitermachen. Daher hat meine Fraktion heute Morgen beschlossen, ihre Unterstützung für den Entschließungsantrag zum Gipfel EU-Russland zurückzuziehen. Problematisch ist in unseren Augen nicht, was in dem Antrag steht, sondern was nicht in ihm steht. Russland braucht ein unmissverständliches Zeichen, dass genug genug ist.

Herr Gloser, Herr Verheugen! Sie haben uns schöne Worte geliefert, aber nur weiche Worte, keine Aktion!

(Beifall)

(EN) Lassen Sie mich Ihnen also einen direkten Vorschlag unterbreiten: Verschieben wir den Gipfel, bis Russland bereit ist, eine konstruktive Beziehung zur Union einzugehen und alle Gewalt gegen Personal und Eigentum der EU zu verurteilen.

(Beifall)

Wir müssen Estland zur Seite stehen. Wir müssen Polen zur Seite stehen. Demokratische Solidarität ist wichtiger als bilaterale Öl- und Gasverträge.

(Beifall)

Und wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, wenn wir die pragmatische Zusammenarbeit mit der Regierung Putin wirklich fortsetzen und einen Konsens über den endgültigen Status des Kosovo erzielen wollen.

Besonders am Herzen liegt den Liberalen und Demokraten die russische Menschenrechtsbilanz. Nur wenn Politiker von einer unabhängigen Justiz, Meinungsfreiheit und Demokratie nicht mehr nur sprechen und Journalisten, Oppositionsparteien und NRO ohne Angst vor Repressalien arbeiten können, wird Russland sein Engagement für einen gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts unter Beweis gestellt haben, den seine Mitgliedschaft im Europarat mit sich bringt und dem es sich auf dem Gipfeltreffen in Sankt Petersburg verpflichtet hat.

Die Verhaftung und Inhaftierung von Oppositionellen wie Kasparow oder Chodorkowski deuten nicht darauf hin, dass die Zeiten sich ändern. Die Duma-Wahlen im Dezember, ganz zu schweigen von den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, werden hier ebenso wie Russlands Vorgehen in Tschetschenien, wo Folter und geheime Inhaftierungen nach wie vor Anlass zur Sorge geben, eine Bewährungsprobe darstellen.

Ein Dialog erfordert Forschritte bei der Energiesicherheit, bei der in Bezug auf das Unternehmen Gasprom, bei dem es mehr um Politik als um Profit geht, die Gefahr weiterer brutaler Taktiken fortbesteht. Wir sind es Mitgliedstaaten wie Lettland und Litauen, die Opfer der Energiepolitik geworden sind, schuldig, eine Antwort zu geben, die keine Zweifel lässt. Das bedeutet, dass wir darauf bestehen müssen, dass künftige Abkommen zwischen der Europäischen Union und Russland an die Grundsätze des Energiecharta-Vertrags und des Kyoto-Abkommens geknüpft sind, um zu gewährleisten, dass die Zukunft sicherer und nachhaltiger ist.

Ja, es gibt tatsächlich einige Anzeichen für Fortschritte im Bereich Justiz und Inneres, in dem wir Grenzabkommen mit den baltischen Staaten, Visafreiheit und die Rückübernahme illegaler Einwanderer gemäß unserer gemeinsamen Strategie aushandeln.

Aber die Früchte des konstruktiven Dialogs sind Mangelware. Der heutige „Tag des Sieges“ sollte uns daran erinnern, dass die gegenseitige Abhängigkeit uns vor nur 60 Jahren dabei geholfen hat, gemeinsame Herausforderungen energisch zu bewältigen. Sie kann es wieder schaffen, wenn wir couragiert genug sind, zu handeln!

(Beifall)

 
  
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  Hanna Foltyn-Kubicka, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Als souveräner Staat hat Estland das uneingeschränkte Recht, selbst zu entscheiden, wie es mit seiner Geschichte umgeht. Es hat auch das Recht – unter Wahrung des nötigen Respekts für die Toten –, das Denkmal für die Sowjetsoldaten und ihre sterblichen Überreste auf einen Friedhof umzusetzen, wo sie im Grunde genommen hingehören. Russlands hysterische Reaktion auf die souveräne Entscheidung der estnischen Regierung ist ein wohldurchdachtes Manöver. Auf der einen Seite will der Kreml sehen, inwieweit er Druck auf Europa ausüben kann, auf der anderen Seite provoziert er Konflikte beispielsweise mit Polen, Georgien und der Ukraine. Damit soll der Eindruck einer belagerten Festung vermittelt werden, und so versucht man, die Russen um Putin zu scharen. Der bevorstehende Gipfel in Samara wird deshalb ein Test für die Einheit Europas sein. Ich habe das von diesem Podium aus schon oft gesagt und möchte es heute wiederholen: Die Europäische Union muss geeint sein und mit einer Stimme sprechen, sie muss sich mit all ihrer Kraft für ihre Mitglieder einsetzen und sich den wie auch immer gearteten Herausforderungen Putins stellen.

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kollegen! Ich glaube, dass Kollege Daul zwar das Richtige versucht hat, aber einfach nicht zum Ziel gekommen ist. Wie unterhält man eine Beziehung zu einer politischen Macht wie Russland, die im Grunde genommen Beziehungen nur instrumentell versteht. Russland ist nicht mehr die Sowjetunion, aber Russland will in vielen Bereichen die gleiche Politik machen wie die Sowjetunion. Und zwar Machtpolitik, jedoch keine militärische, sondern eine ökonomische Machtpolitik, und eines ihrer Instrumente sind beispielsweise ist Energielieferungen.

Das heißt nicht, dass wir nicht in politische Beziehungen zu Russland treten sollen, es heißt nur, dass wir die Dinge nicht verwechseln sollen. Politische Beziehungen mit Russland durch die Kommission und den Rat sind kein Dialog. Dialog findet dann statt, wenn Menschen miteinander sprechen können, wenn sie reisen können, wenn es einen Austausch zwischen den Zivilgesellschaften gibt. Politische Strukturen führen keinen Dialog, sie führen politische Verhandlungen. Das sollte man nicht verwechseln! Ich finde, dass Graham Watson einen richtigen Ansatz gewählt hat. Gibt es eine Möglichkeit, dass wir als Europäische Union angesichts der jetzigen russischen Machtpolitik, die nur auf die Interessen Russlands — uns zwar nicht des Landes, sondern der Machtstruktur, des Putin-Systems und des ökonomischen Systems — ausgerichtet ist, ein Zeichen setzen, dass das nicht die Art von Politik ist, die wir haben wollen?

Es ist schwierig. Ich behaupte nicht, dass ich die Lösung in der Tasche habe, aber eines steht fest: Wenn ein ehemaliger Bundeskanzler behaupten kann, Russland wäre eine lupenreine Demokratie, dann ist das im Ansatz der Schwachsinn, der unsere Politik so schwächt: Wir sind nämlich nicht in der Lage zu sehen, was für ein System in Russland herrscht. Wir müssen politische Beziehungen zu Russland oder zu Saudi-Arabien haben. Es würde doch kein vernünftiger Politiker erklären, Saudi-Arabien sei eine lupenreine Demokratie, in der einem nur eine Hand abgehackt wird, wenn man etwas Falsches macht, im Gegensatz zu zwei Händen in anderen islamisch-fundamentalistischen Staaten.

Das bedeutet, dass wir nur dann eine richtige Beziehung zu Russland zustande bringen werden, wenn wir hier zusammen zu einer richtigen Einschätzung Russlands gelangen. Zu einer richtigen Einschätzung der Machtpolitik Russlands und der autoritären Politik Putins. Nur dann werden wir uns richtig verhalten können, und das bedeutet nicht, dass wir nicht verhandeln sollen, sondern es bedeutet, dass unsere Position keine Freundschaftsposition ist.

Ich will keine politische Freundschaft mit einer solchen autoritären, diktatorischen Führung wie der von Putin! Wir können und müssen politische Beziehungen zu Russland unterhalten, aber es kann keine freundschaftliche Beziehung sein, in der wir sagen: Okay Putin, mach so weiter mit deinem Volk. Da müssen wir Nein sagen!

(Beifall)

 
  
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  Esko Seppänen, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Irgendwie geht es doch hier um den Versuch der Quadratur des Kreises, da einige EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig gute und schlechte Beziehungen zu Russland aufrechterhalten möchten. Gute Beziehungen braucht man für billiges Gas und Öl, schlechte für die Innenpolitik.

Unsere Fraktion will, dass die EU über ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland verhandelt. Da es 27 Mitgliedstaaten gibt, werden diese bei den Verhandlungen unterschiedliche Interessen zu verfolgen haben. Dennoch ist es schwierig, jene Art von Nationalismus zu verstehen, die unsere Gemeinschaft von einer halben Milliarde Menschen daran hindert, die Beziehungen mit dem direkten Nachbarn der EU auf eine geregelte Art und Weise zu organisieren.

Gewisse Mitgliedstaaten sollten Russland nicht mit Wut begegnen und auf die Solidarität der anderen Mitgliedstaaten vertrauen, wenn sie zugleich andere Länder daran hindern, gemeinsame Interessen in den Beziehungen zu Russland zu fördern. Europa darf nicht polarisiert werden, auch wenn das eine Stimmung ist, die in diesem Hause spürbar ist. Für unsere Fraktion ist die gemeinsame Entschließung annehmbar.

 
  
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  Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Ich möchte mich mit der jüngsten Initiative der Kommission für ein für die Schwarzmeerregion aufgestelltes Programm befassen, das in den Beziehungen mit Russland eine äußerst wichtige Rolle spielt und in dessen Mittelpunkt harte und weiche Sicherheitsrisiken stehen, da es bei der Kommissionsinitiative für eine Schwarzmeersynergie um die „eingefrorenen“ Konflikte in Transnistrien, in Südossetien, in Abchasien und in Nagorny-Karabach sowie um solche Themen wie Waffen- und Drogenschmuggel, Menschenhandel und Migration geht, die allesamt bedeutsam sind. Insofern handelt es sich um eine sinnvolle Initiative seitens der Kommission und des Rates, über die noch unter dem deutschen Vorsitz weitere Beratungen stattfinden werden.

Die Initiative der Kommission kann jedoch auch vor dem Hintergrund der Bemühungen Europas um eine Diversifizierung der Energieversorgung und der Pipelines gesehen werden. Die russische Regierung ist dem Vernehmen nach über das vorliegende Programm für die Schwarzmeerregion ganz und gar nicht begeistert. Das Dokument des deutschen Vorsitzes zeigt übrigens – die „Frankfurter Allgemeine“ brachte einen interessanten Artikel zu diesem Thema –, dass Moskaus Zusammenarbeit für ein Gelingen der europäischen Pläne unerlässlich ist. Kurzum, Moskau ist alles andere als angetan, aber seine Zusammenarbeit ist unverzichtbar. Wie gedenken der Rat und die Kommission mit diesem geopolitischen Dilemma in Samara umzugehen?

 
  
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  Jean-Marie Le Pen, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, es versteht sich von selbst, dass die Rechte Estlands gewahrt bleiben müssen. Allerdings sind die schärfsten Kritiker des heutigen Russlands oftmals diejenigen, die gegenüber der Sowjetunion am nachsichtigsten waren.

Jahrzehntelang haben sie einerseits die Gefahr, die der Sowjetimperialismus für den Frieden und die Unabhängigkeit unserer Nationen darstellte, und anderseits den totalitären Charakter des Kommunismus geleugnet. Die Kommunisten, aber auch viele führende Politiker Westeuropas würdigten den Gründer dieses monströsen Systems, Lenin, als Wohltäter der Menschheit. Die Herren Giscard d'Estaing und Chirac gingen sogar soweit, Blumen vor seinem Mausoleum niederzulegen. Die Antikommunisten, die vor allem ihre Solidarität mit den Völkern Europas und dem Osten demonstrierten, wurden hingegen verteufelt. Diese Nachsichtigkeit ist leider nicht mit der UdSSR verschwunden. Eine große Anzahl unserer Abgeordneten, wie beispielsweise Herr Cohn-Bendit, wollen so den Polen verbieten, die „Entkommunisierung“ ihres Landes vorzunehmen.

Heute ist Russland eine freie Nation und nicht weniger demokratisch als das Europa von Brüssel, das einen Verfassungstext aufdiktieren will, der 2005 in den Niederlanden und in Frankreich von den Wählern abgelehnt wurde. Andererseits sind die Russen im Gegensatz zu den Türken, die dasselbe Europa von Brüssel in die Union aufnehmen will, eine große europäische Nation, die den gleichen Gefahren ausgesetzt ist, die auf allen europäischen Völkern lasten: Einwanderung und Geburtenrückgang, Islamismus und Globalisierung. Diese Herausforderungen können wir meistern, wenn wir ein anderes Europa schaffen, das große Europa der Nationen, das von Brest bis Wladiwostok auf dem Grundsatz der nationalen Souveränität gegründet ist.

Vor fast 18 Jahren war der Fall des Eisernen Vorhangs die erste Etappe der Vereinigung unseres Kontinents. Eine weitere Trennung muss überwunden werden: jene, die seit über tausend Jahren beiderseits der Theodosiuslinie die Erben des Heiligen Benedikt im Westen und die des Heiligen Kyrill im Osten voneinander trennt.

 
  
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  Gunnar Hökmark (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Wir können den 9. Mai nicht besser feiern, als ganz unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass die Europäische Union sich für jedes ihrer Mitglieder einsetzt, wenn es bedroht und drangsaliert wird.

Das muss ein Hauptthema sein, wenn wir den bevorstehenden Gipfel diskutieren. Es gibt keine andere Möglichkeit, da Estland bei der Umwandlung des alten Europa in das neue, friedliche, demokratische Europa eines der führenden Länder war, wofür wir ihm alle Dankbarkeit schulden. Aber das ist nicht alles, weil seine Freiheit und Unabhängigkeit heute einen untrennbaren Bestandteil unserer Freiheit und Unabhängigkeit bildet. Ohne seine Unabhängigkeit sind auch wir nicht unabhängig. Auch dieser Punkt muss ein Hauptthema sein, wenn wir die Beziehungen zwischen Europa und Russland erörtern.

Der bevorstehende Gipfel ist wichtig, aber es gibt vier Dinge, die die Europäische Union sicherstellen muss: Erstens die Einsicht, dass, wenn Estland nicht respektiert wird, auch die Europäische Union nicht respektiert wird, und dass dadurch alle möglichen Abkommen, die wir erreichen können, untergraben werden. Bei allen erdenklichen Diskussionen muss gegenseitiges Verständnis herrschen, da ansonsten die Ziele, die wir verwirklichen können, nicht das Papier wert sein werden, auf dem sie geschrieben stehen.

Zweitens kann man nicht einen Mitgliedstaat bedrohen und drangsalieren und zugleich Beziehungen zu anderen Ländern aufbauen. Es können keine Einigungen in Energie- und Handelsfragen und anderen Bereichen erzielt werden, wenn sie nicht alle Mitgliedstaaten gleichberechtigt und mit den gleichen Chancen betreffen. Wir müssen dafür sorgen, dass Russland nicht im Geringsten glauben kann und auch gar nicht die Möglichkeit hat, zu glauben, dass es uns diesbezüglich spalten kann, indem es einem Land Energie liefert und ein anderes schikaniert.

Drittens geht es bei der Diskussion um Russland und Estland nicht um Estland, sondern um die politischen Entwicklungen in Russland. Wir müssen dafür sorgen, dass in Russland Fortschritte gemacht werden, damit auch die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland Fortschritte machen können. Wenn wir unsere Unabhängigkeit nicht verteidigen, werden wir einen Teil von ihr verlieren.

 
  
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  Reino Paasilinna (PSE).(FI) Herr Präsident! Soweit ich es verstanden habe, soll die Aussprache zu Estland auf der nächsten Sitzung in Straßburg geführt werden. Ich möchte mich daher auf die wirtschaftlichen Themen der Tagesordnung von Samara konzentrieren.

Erstens ist es Russlands Ziel, sich von einem Verkäufer von Rohstoffen zu einem Käufer von verarbeiteten Produkten zu entwickeln. Zuallererst muss in die Modernisierung des Energiesektors investiert werden, und das schafft Russland nicht allein: Es braucht unsere Hilfe. Zweitens muss die Exportindustrie auf internationales Niveau gebracht werden, und auch dazu benötigt es unsere Hilfe. Zudem muss die Infrastruktur modernisiert werden, ebenfalls ein Bereich, in dem wir die natürlichen Partner sind.

Das sind also die Ziele Russlands, aber ohne die Europäische Union wird es sie nicht schnell genug erreichen, im Gegenteil: Es wird sogar noch weiter hinter der internationalen Entwicklung zurückbleiben. Darüber hinaus wollen wir, dass Russland unsere gemeinsamen Werte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie annimmt. Das ist unser Anliegen, und Russland braucht einen wohlhabenden Abnehmer, und der sind wir. Wir brauchen Energie. Die gegenseitige Abhängigkeit hat zu- und nicht etwa abgenommen.

Ich glaube nicht, dass die Modernisierung Russlands ohne Zivilgesellschaft und ohne Weiterentwicklung der Demokratie gelingen wird. Warum nicht? Weil moderne Technologie und eine Gesellschaft, deren Triebkraft die Informationstechnik ist, ziemlich viel Kreativität erfordern, und Kreativität funktioniert nicht, wenn das politische Klima schlecht ist oder unter einer Diktatur leidet.

Kreativität, Demokratie und freie Medien sind für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft lebensnotwendig, und das ist genau das, was Russland will. Ich schlage daher vor, dass dieses Zielbündel in unseren Beziehungen sehr deutlich herausgestellt wird, und dies auch in Samara, wohin Kommissar Verheugen reisen wird, hoffentlich mit der Botschaft, dass die Entwicklung, wie Russland sie sich vorstellt, mit unseren Zielen übereinstimmt und dass sie entscheidend dafür ist, dass diese Entwicklung erfolgreich ist.

 
  
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  Toomas Savi (ALDE).(ET) Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf Russlands Verhalten gegenüber der Europäischen Union in den letzten Jahren lenken. Was in Estland stattgefunden hat, also die Verlegung des „Bronzenen Soldaten“ sowie die Umbettung von zwölf gefallenen Soldaten, stand im Einklang mit der Genfer Konvention und war eine innere Angelegenheit Estlands.

Die Russische Föderation hat darauf mit einem Propagandafeldzug mit Online-Attacken und Handelsbeschränkungen reagiert. Erklärungen russischer Politiker haben Gewalt sowohl in Tallinn als auch vor der estnischen Botschaft in Moskau ausgelöst, was im tätlichen Angriff auf unseren Botschafter gipfelte.

Besonders beunruhigend ist die Forderung der Delegation der russischen Duma, die Estland besuchte, die estnische Regierung solle zurücktreten. Ein solches Verhalten ist nur ein weiteres Anzeichen für die europafeindliche Außenpolitik Russlands, die sich in der Auffassung Putins äußert, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion im 20. Jahrhundert die größte geopolitische Katastrophe war.

In seiner Münchner Rede verwies Putin auf die Versuche Russlands, sich ungeachtet der Europäischen Union als Supermacht zu etablieren, insbesondere im Rahmen der Beziehungen zu den neuen Mitgliedstaaten.

Herr Präsident, wenn tatsächlich am 18. Mai in Samara ein Gipfel EU/Russland stattfindet, dann muss die Europäische Union die Interessen aller ihrer Mitgliedstaaten vertreten, also mit einer Stimme sprechen.

 
  
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  Inese Vaidere (UEN). – (LV) Meine Damen und Herren! Heute vor 62 Jahren atmete das von der Nazi-Besetzung befreite Europa auf, doch für die drei baltischen Staaten begann zur gleichen Zeit eine weitere, fünfzig Jahre währende Periode sowjetischer Besatzung, und ihre Folgen sind noch heute zu spüren.

In Russland, dem Nachfolger in den Rechten und Pflichten der Sowjetunion, wird die Demokratie heute ständig unterdrückt. Verletzungen der Bürgerrechte und die Unterdrückung der Redefreiheit gehören zunehmend zum täglichen Leben. Russlands Innenpolitik wird immer aggressiver. Gleiches lässt sich von der russischen Außenpolitik sagen, insbesondere in Bezug auf jene Staaten, die Russland seit langem als Bestandteile seines Empires anzusehen wünscht. Das bestätigen der Besuch einer Delegation der russischen Duma in Estland, die den Rücktritt der estnischen Regierung forderte, sowie die russischen Sicherheitskräfte, mit deren Segen die estnische Botschaft umzingelt und angegriffen wurde. Tatsache ist, dass es in Estland Menschen gibt, die in Aktivitäten und Aktionen der so genannten Paneuropäischen Russischen Partei verwickelt sind, die aktive Gegner der Unabhängigkeit der baltischen Staaten sind. Das sind Chauvinisten, die sich als Minderheiten und Antifaschisten bezeichnen und damit diese Begriffe abwerten. Das erweckt Verdacht hinsichtlich der wahren Ziele der Partei und ihrer Rolle beim Anheizen von Chaos.

Die von den Russen angefachte Situation in Estland ist ein Test: Kann die Europäische Union ihren Mitgliedstaat schützen? Wenn die europäischen Institutionen, der Ratsvorsitz der EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten nicht rasch und entschlossen genug reagieren – und dazu gehört, dass sie Russland daran erinnern, die Tatsache der Okkupation der baltischen Staaten anzuerkennen –, und wenn sie nicht in der Lage sind, mit einer Stimme zu sprechen, dann können wir mit einer Wiederholung derartiger Vorkommen auch in anderen Staaten rechnen. Ich danke Ihnen.

 
  
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  Bart Staes (Verts/ALE).(NL) Herr Präsident! Als Mitglied und ehemaliger Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu Russland bedauere ich die schwache, halbherzige und bisweilen rückgratlose Haltung der Europäischen Union gegenüber den russischen Machthabern. Obwohl wir für Menschen- und Völkerrechte, für mehr Pressefreiheit, für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eintreten, blicken wir oft weg, oder wir schrecken vor harten Maßnahmen zurück. Wie zurückhaltend ist doch die Kritik des Rates und der Kommission an der Gewalt gegen die Teilnehmer der Demonstrationen des Oppositionsbündnisses „Ein anderes Russland“ in Moskau und St. Petersburg. Ob sich auf dem Gipfel daran etwas ändern wird, ist zu bezweifeln.

Nehmen wir beispielsweise Tschetschenien. Die prekäre Lage in dieser Region wird in dem Entschließungsantrag, über den wir morgen abstimmen werden, zwar thematisiert, für einen echten Friedensprozess und einen ernsthaften Dialog mit allen Elementen der tschetschenischen Gesellschaft, mithin auch den so genannten Rebellen, sprechen wir uns jedoch nicht aus und treten nicht dafür ein.

Unter keinen Umständen kann der Pöbel, der sich um einen kriminellen und korrupten Strohmann wie Kadirov schart, als gesetzmäßiger Vertreter des tschetschenischen Volkes angesehen werden. Zu den Aufgaben der amtierenden Ratsvorsitzenden und des Kommissars auf dem Gipfel in Samara gehört, solche Themen zur Sprache zu bringen.

 
  
  

VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS
Vizepräsident

 
  
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  Vladimír Remek (GUE/NGL).(CS) Meine Damen und Herren! Es ist sicher unstrittig, dass die Beziehungen zwischen der EU und Russland zum Vorteil beider Seiten vorankommen müssen. Deshalb wäre es gut, wenn man diese Beziehungen weiter pflegen würde, und zwar in sorgfältig abgewogenen Schritten, die frei von Emotionen und nicht Hals über Kopf vollzogen werden.

Wenn wir auf Signale aus Russland, die vor allem auf die nationale politische Szene zielen, übereilt reagieren, dann demonstrieren wir damit weder gesunden Menschenverstand noch Stärke, sondern nur unsere Unsicherheit und Schwäche.

Mit einem Partner zu verhandeln heißt doch nicht nur, am Verhandlungstisch zu sitzen, sondern auch, einen sinnvollen Dialog zu führen. Solche Verhandlungen werden sicher nicht einfacher, wenn der eine Partner Forderungen stellt, bevor versucht wird, echte Probleme auf vernünftige Weise zu klären.

So vertreten wir beispielsweise im Fall der Lösung – oder vielmehr Nichtlösung – der Frage der Nicht-Staatsangehörigen, wie sie in einigen EU-Mitgliedstaaten genannt werden, nicht so einen kompromisslosen Standpunkt wie dann, wenn wir Druck auf Russland ausüben. Meiner Meinung nach sollten wir unsere Beziehungen mit Russland endlich auf ein festes Fundament stellen, ohne Vorurteil und unbelastet von der Vergangenheit.

 
  
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  Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Ich habe allen Rednern sehr aufmerksam zugehört. Was in Estland geschieht, ist wirklich schlimm, und es ist gut, dass wir Estland verteidigen.

Warum zeigen wir nicht die gleiche Sensibilität gegenüber dem, was in Zypern passiert? Auch dort hat ein autokratischer Staat eine Invasion vorgenommen, und niemand sagt etwas. Vor einigen Tagen haben sogar die Sozialdemokraten gefordert, dass der Status der Invasoren aufgewertet werden soll. Dasselbe ist bei China und Taiwan der Fall. Taiwan kann nicht der Welthandelsorganisation beitreten und die Medikamente bekommen, die es benötigt. Auch dort haben wir wieder einmal nicht reagiert. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben dasselbe getan, als sie, ohne uns zu fragen, in den Irak einmarschierten und uns dann vor ein ernsthaftes Dilemma stellten, indem sie sagten, wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Auch hier haben wir nichts zu diesem faschistischen Gebaren von Präsident Bush gesagt. Und ich möchte Sie daran erinnern, was sich einige der politischen Führer, die sich von der Invasion distanzierten, anhören mussten, als Herr Bush seinen Einfluss geltend machte. Vielleicht sollte ich Sie daran erinnern, was Präsident Chirac gemacht hat, oder vom deutschen Kanzler sprechen? Warum haben wir so eine einseitige Sicht auf die Dinge?

Wie soll Russland zufrieden sein, wenn wir den Amerikanern gestatten, Raketen an ihren Grenzen zu stationieren? Werden sie da nicht Verdacht schöpfen? Wie wir in Griechenland sagen, sei nett zu deinem Nachbarn, dann wird er auch nett zu dir sein. Tun wir das Richtige oder dienen wir – jedenfalls im Moment – den Wünschen Amerikas? Amerika will Russland als seinen Feind und will uns zwingen, ebenfalls sein Feind zu sein. Nein, wir müssen in einen Dialog treten, wir müssen den Staat, die Regierung und die Bevölkerung dieses Landes respektieren. Alles Andere hat meines Erachtens mit Demokratie nichts zu tun.

 
  
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  Dumitru Gheorghe Mircea Coşea (ITS). – Fără îndoială, relaţia cu Federaţia Rusă nu poate să nu aibă în vedere faptul că 60% din exporturile ruse de petrol şi 50% din exporturile ruse de gaze ajung în Uniunea Europeană. În pofida acestei situaţii, ţin să subliniez necesitatea eliminării din politica Uniunii şi mai ales din politica unor state membre a concepţiei conform căreia Europa este condamnată să fie dependentă de Rusia şi obligată, ca, în schimbul aprovizionării cu energie, să accepte unele compromisuri sau cedări în faţa unor tendinţe hegemonice ale Rusiei, în exterior, sau a încălcării unor drepturi democratice în interior.

Am convingerea că Uniunea Europeană are capacitatea tehnică şi de inovaţie pentru a micşora din ce în ce mai mult nivelul aprovizionării din Rusia. De aceea, relaţia de energie nu trebuie să depăşească limitele cadrului relaţiilor comerciale şi de cooperare tehnică În niciun caz ea nu trebuie să fie privită ca un argument politic în acceptarea de către Uniune a încălcării de către Rusia a unor principii şi valori europene dedicate libertăţii, democraţiei şi toleranţei.

În relaţia cu Rusia, nu trebuie uitat că Europa nu are petrol, dar are principii iar principiile nu se schimbă niciodată pe petrol.

 
  
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  Charles Tannock (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Die Beziehungen zwischen der EU und Russland befinden sich im Vorfeld des bevorstehenden Gipfels in einer kritischen Phase: Es zeichnet sich eine ernstzunehmende Krise bezüglich der Umsetzung der sowjetischen Gedenkstatue in Tallinn ab.

Für mich, der ich aus dem Vereinigten Königreich komme, das die sowjetische Vorherrschaft glücklicherweise nie direkt zu spüren bekam, ist es leicht zu fragen, ob die politische Entscheidung klug war, die Statue umzusetzen und mit ihr die gefallenen russischen Soldaten auf einen Militärfriedhof zu verlegen. Dennoch handelt es sich definitiv um ein souveränes Recht der estnischen Regierung, das rechtmäßig entsprechend dem Völkerrecht ausgeübt wurde. Es ist weder annehmbar, dass Russland den Rücktritt der estnischen Regierung fordert, noch dass es – durch die extremistische nationalistische Organisation Naschi – Unruhen gegenüber der estnischen Vertretung in Moskau schürt. Ich persönlich habe mich vor einigen Wochen in Moskau beim stellvertretenden Außenminister über dieselbe Behandlung des britischen Botschafters Anthony Brenton beschwert, der schikaniert wurde, weil er an der Kundgebung von Herrn Kasparow teilgenommen hatte.

Russland muss sich der neuen geopolitischen Realität bewusst werden, dass das so genannte nahe Ausland, in dem es das Sagen hat, nicht mehr existiert. Es muss nun die Souveränität dieser neuen Länder wie Estland, Ukraine, Republik Moldau, Georgien usw. respektieren.

Ich betrachte mich als Freund Russlands und vor allem seiner sehr reichen Kultur und bin davon überzeugt, dass die EU ein starkes, geeintes Russland ebenso braucht wie Russland uns, aber dass sie auch ein Russland braucht, das seinen internationalen Verpflichtungen als Mitglied der OSZE und des Europarates nachkommt, Demokratie und Menschenrechte, vor allem in Tschetschenien, sowie die Pressefreiheit zu achten. Es ist nicht hilfreich, seine Nachbarn zu tyrannisieren, vor allem, wenn sie jetzt auf die Unterstützung der EU und der NATO zählen können, die fest entschlossen sind, in Fragen wie dem Einfuhrverbot für polnisches Fleisch und dem Problem mit der Statue in Tallinn, mit dem wir uns heute befassen, eindeutige Solidarität zu zeigen.

Wir brauchen Russland, nicht nur als verlässlichen Handelspartner für Öl und Gas, sondern auch für seine Unterstützung im Sicherheitsrat, um die Verbreitung von Atomwaffen durch den Iran und Nordkorea einzudämmen. Außerdem brauchen wir es, um den arabisch-israelischen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, annehmbare Lösungen für die schlummernden Konflikte von Transnistrien über Georgien bis hin zu Nagorny-Karabach zu finden und das despotische Regime in Belarus in Zaum zu halten. Wir brauchen Russland auch für die Verpflichtung zu einer Emissionsbegrenzungsstrategie als Unterzeichner des Kyoto-Protokolls, da wir alle der Gefahr der Erderwärmung ausgesetzt sind, und Russland natürlich in der Arktis sehr präsent ist, die stark von der globalen Erwärmung betroffen wäre.

Wir unterstützen den Wunsch Russlands, der WTO beizutreten, da wir davon überzeugt sind, dass, wenn es einem geregelten multilateralen Handelssystem unterworfen wird, Beschwerden eingereicht werden können, wenn es erneut versuchen sollte, willkürlich Einfuhrverbote auszusprechen, wie es bei Wein aus der Republik Moldau und Mineralwasser aus Georgien der Fall war.

Ich habe Verständnis für die Sorgen Russlands. Bezüglich einer demografischen Krise in Zukunft verhält es sich geradezu paranoid – es verliert jährlich rund 700 000 Einwohner –, und auch viele EU-Mitgliedstaaten müssen sich künftig dieser demografischen Herausforderung stellen. Aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass es nicht in unserem langfristigen Interesse ist, zuzulassen, dass Russland unsere Schwächen testet, indem es die EU-Mitgliedstaaten aufspaltet.

 
  
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  Andres Tarand (PSE). (ET) Ich möchte kurz etwas zu Ziffer 4 der Entschließung sagen. Einige Abgeordnete nannten die Verlegung der Statue in Tallinn einen Akt der Provokation gegen Russland. Ich muss feststellen, dass es sich in der Tat um einen Akt der Provokation handelte, aber von russischer Seite. Lassen Sie mich kurz die Beweise anführen.

Erstens, die Vorbereitungen Russlands begannen vor fünf Jahren, doch erst vor einem Jahr wurde die Feier des russischen Sieges im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai an der Statue in Tallinn in ein Spektakel umgewandelt, bei dem Wodka getrunken und die sowjetische Flagge geschwenkt wurde, um Schlägereien zu provozieren, zu denen es dann ja in gewissem Umfang kam. Bis dahin hatte die Statue jahrzehntelang dort gestanden, ohne irgendwelche Probleme zu verursachen, und wenn unser Nachbarland nicht Akte der Provokation angezettelt hätte, befände sie sich möglicherweise immer noch am selben Platz.

Zweitens, die Demonstrationen vom 26. und 27. April waren von Mitarbeitern der russischen Botschaft in Tallinn organisiert. Es gibt Belege für zahlreiche Zusammenkünfte in den letzten Monaten, bei denen die Organisatoren der jüngsten Demonstrationen mit Mitarbeitern der russischen Botschaft zusammentrafen, offensichtlich, um Anleitung von Fachleuten auf dem Gebiet des Unruhestiftens zu erhalten.

Drittens, die Demonstrationen von Jugendlichen vor der estnischen Botschaft in Moskau wurden vom Kreml direkt organisiert und ausgerüstet. Russland hat die Wiener Konvention bewusst ignoriert und kein Bedürfnis gezeigt, die estnischen Diplomaten in Moskau zu schützen.

Viertens, die Spuren von mehreren Online-Attacken gegen die estnischen Informationssysteme führten direkt in den Kreml und zu russischen Regierungsstellen.

Fünftens, es wurden Wirtschaftssanktionen gegen Estland eingeleitet. Während Russland bisher 25 % seines Öls unter Benutzung der estnischen Schienenwege und Häfen ausgeführt hat, wurde letzte Woche bekannt, dass auf der Bahnstrecke zwischen Russland und Estland unvorgesehene Reparaturen notwendig sein würden. Diese durchsichtige Ausrede ist natürlich ein Deckmantel für den Wunsch, Estland auf wirtschaftlichem Wege zu beeinflussen. Eine solche Sanktion könnte zudem unmittelbare Auswirkungen auf die Energieversorgung der Europäischen Union haben. Wir sollten auch die Frage stellen, wessen Interessen es diente, die Bahnverbindung St. Petersburg-Tallinn zu unterbrechen.

Abschließend möchte ich gern allen danken, die Estland so zahlreich zur Seite stehen.

 
  
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  Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Herr Verheugen, Sie haben eben gesagt, dass Russland unser strategischer Partner Nummer 1 in Europa ist. Die Voraussetzungen für eine strategische Partnerschaft sind allerdings gemeinsame Interessen, Ziele und Werte. Ich glaube, dass wir hier einen eklatanten Mangel zu verzeichnen haben. Was bedeutet überhaupt eine strategische Partnerschaft aus russischer Sicht, wenn man derartige Bedingungen stellt? Hat die russische Seite überhaupt eine Vorstellung von einer konstruktiven strategischen Partnerschaft mit der Europäischen Union, wenn sie sich gegenüber Estland so verhält, wie sie es im Kosovo und in Moldau getan hat? Was ist die konstruktive außenpolitische Agenda Russlands?

Des Weiteren verlangen Sie von einem strategischen Partner der EU ein unzweideutiges Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten und das ständige Bestreben, diese auch zu verwirklichen. Haben Sie die Bilder von den Demonstrationen in Moskau und Petersburg nicht gesehen? Sie führen mit der russischen Seite auch die Gespräche zum Menschenrechtsdialog. Der Menschenrechtsdialog ist inzwischen vom regulären Gipfel abgetrennt worden, weil es zu schwierig ist und die normale Gipfelagenda zu sehr belastet würde, spräche man mit den Russen beim normalen Gipfel über Menschenrechte.

Sie sagen, dass wir in Russland einen starken Partner wollen. Genau wie Charles Tannock bin auch ich ein Freund Russlands und wünsche mir ein starkes Russland, aber ein wirklich starkes Russland: ein Russland, das Menschenrechte respektiert, Minderheitenrechte, Versammlungsrechte, Pressefreiheit und nicht ein Potemkinsches Russland, dessen Stärke auf Öl und Autoritarismus gebaut ist. Wenn wir es mit der Werteorientierung der europäischen Außenpolitik ernst meinen, dann müssen wir zumindest die beiden Gipfel wieder zusammenführen, also den richtigen Gipfel zwischen der EU und Russland und den EU-Russland-Menschenrechtsdialog, der bisher ja immer, schamhaft versteckt, zwei Wochen vor dem eigentlichen Gipfel stattfindet.

Ich wünsche mir den Dialog. Auch die russische Opposition, die letzte Woche hier im Parlament war, wünscht sich den Dialog zwischen der EU und Russland. Ich hoffe, dass dieser Dialog fruchtbringend sein wird. Die bisherigen Erfahrungen machen mich allerdings eher skeptisch. Lassen Sie mich abschließend sagen, dass ich froh darüber bin, dass wir diese Debatte in Brüssel und nicht in Straßburg führen.

 
  
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  Gintaras Didžiokas (UEN).(LT) Wann werden wir in der Europäischen Union endlich verstehen oder einsehen, dass das Problem des polnischen Fleisches (seine Ausfuhr nach Russland) kein tiermedizinisches oder handelspolitisches Problem, sondern rein politisch motiviert ist? Ebenso geht es doch auch bei dem geschürten Konflikt in Estland nicht um die Verlegung von Denkmälern. Das alles sind lediglich politische Werkzeuge, mit denen versucht wird, die Solidarität der Europäischen Union aufzubrechen. Einigen Ländern versprechen wir ein Bonbon in Form einiger wirtschaftlicher Vorteile, während wir andere Länder als Bösewichte hinstellen, indem wir sie beschuldigen, die Entwicklung von Partnerschaften zu behindern. Ziel ist die Schwächung der Europäischen Union.

Wann werden die Politiker der Europäischen Union verstehen, was Russland wirklich tut? Eine Möglichkeit, sich solch dreisten Taktiken zu widersetzen, ist ein ganz klar geschlossenes Auftreten. Wir müssen eine echte Solidarität der Europäischen Union zeigen, nicht nur Lippenbekenntnisse darüber ablegen. Wir müssen Russland ganz klar sagen, dass die Europäische Union keine Manipulation ihrer Einheit zulassen wird, dass die Europäische Union nicht ihre Ideale verraten wird und dass Russland einen großen Fehler begeht, wenn es versucht, sie dazu zu bringen. Wir wollen eine Partnerschaft, die zivilisiert ist und auf beiderseitiger Achtung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht.

 
  
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  Angelika Beer (Verts/ALE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will an drei Punkten erläutern, warum meine Fraktion den gemeinsamen Entschließungsantrag, über den morgen abgestimmt wird, nicht unterstützen wird. Wir werden noch entsprechende Änderungsanträge einbringen. Als sicherheitspolitische Sprecherin meiner Fraktion der europäischen Grünen möchte ich darauf hinweisen, dass es aus unserer Sicht höchste Zeit ist, Tacheles zu reden. Es geht eben nicht um eine strategische Partnerschaft, sondern es geht allenfalls darum, eine pragmatische Partnerschaft zu vereinbaren und zu vertiefen.

Wenn ich mir ansehe, wie Russland in diesen schweren Zeiten ohne Not eine friedliche Lösung im Kosovo durch die Androhung eines Vetos im UN-Sicherheitsrat blockiert, dann ist das genauso wenig hinnehmbar wie die jetzt angedrohte Kündigung des KSZE-Vertrags, der ein wichtiges Element der Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa darstellt.

Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der mich ausgesprochen besorgt macht, und wo ich von Rat und Kommission erwarte, dass sie sich um eine Klärung bemühen. Wenn die Augenzeugenberichte, die schriftlichen Berichte von Amnesty International und die Stimmen anderer, die vor Ort, also in Darfur tätig sind, zutreffen, dann hat Russland allein im Jahr 2005 Kriegswaffen in Höhe von 15,4 Milliarden Euro an den Sudan geliefert. Es gibt Augenzeugenberichte darüber, dass Teile dieser Waffen in Darfur eingesetzt werden.

Wir sind zwar ratlos in der Frage, wie wir den Völkermord in Darfur beenden können; dennoch gilt es, all unsere Anstrengungen auf eine Intensivierung der Gespräche und Verhandlungen, auf die Stärkung der Menschenrechte und die Beendigung des Genozids sowie darauf zu richten, dass einzelne Mitgliedstaaten nicht länger ihre Ölinteressen durchsetzen können. Ich appelliere an uns alle, das nicht zuzulassen, und Russland in diesem Punkte die rote Karte zu zeigen. Es ist nicht zu akzeptieren!

 
  
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  Gerard Batten (IND/DEM).(EN) Herr Präsident! Vorhin äußerte jemand, Russland sei ein führender strategischer Partner– aber sollte es das wirklich sein? Russland ist ein Gangsterstaat, der auf eine vollständige Diktatur zusteuert. Außer seinen Energieressourcen besitzt Russland nichts, was großen internationalen Wert hätte, aber diese Ressourcen setzt es geschickt ein, um sein Comeback als Weltmacht in die Wege zu leiten. Es nutzt diese Energievorräte, um seine internationalen geopolitischen Bestrebungen zu befördern, indem es den Westen in diese Vorräte einbindet und internationale Lieferbündnisse mit Staaten schließt, die dem Westen nicht freundlich gesonnen sind.

Der demokratische, energiehungrige Westen tappt mit schlafwandlerischer Sicherheit in eine russische Falle, in die er durch die russischen Energielieferungen gelockt wird. Hören wir uns an, was Präsident Putin im Jahre 2003 gegenüber der Nowaja Gaseta äußerte: „Die Europäische Kommission sollte sich von ihren Illusionen lieber verabschieden. Was das Gas betrifft, so wird sie mit dem russischen Staat verhandeln müssen.“ Wir sollten uns große Sorgen machen, um welche Art Staat es sich hier handelt: um einen Staat, in dem die Sicherheitsdienste sich selbst zu einer Gangsterklasse gemacht haben, die ungehindert herrscht; einen Staat, in dem mehr als 300 Journalisten ermordet wurden, damit diejenigen, die noch übrig sind, davor zurückschrecken, die Wahrheit zu berichten. Russland ist ein Staat, dessen Bürger einen kritischen britischen Staatsbürger auf britischem Boden ermorden können und in Russland dennoch geschützt werden, ohne die Justiz fürchten zu müssen.

Die europäische Fliege sollte sich nicht in das Empfangszimmer der russischen Spinne einladen lassen. Das Vereinigte Königreich sollte seine eigenen unabhängigen Energievorräte sichern, indem es unverzüglich weiter in die Atomenergie investiert.

 
  
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  Jacek Saryusz-Wolski (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Wir müssen uns wirklich konstruktiv mit Russland befassen, aber nicht um jeden Preis, auch nicht um den Preis der Souveränität der EU oder eines Mitgliedstaats. Wir müssen über umfangreiche Kooperationssysteme und reine Rhetorik hinausgehen. Vor allem sollten wir nicht in Selbstgefälligkeit verfallen und die Schaffung eines falschen äußeren Scheins vermeiden. Wir sollten die Wahrheit sagen, die darin besteht, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den Schwerpunkt nicht allein auf wirtschaftliche Interessen setzen und dabei die sich verschlimmernde Lage der Demokratie und Menschenrechte in Russland und die Diskriminierung seiner Nachbarn, auch einiger Mitgliedstaaten, außer Acht lassen.

Wir alle möchten, dass Russland demokratisch wird. Russland ist ein echter Partner. Wir müssen Vertrauen schaffen, das jedoch darauf beruht, die Werte und Pflichten, denen wir uns verschrieben haben, einzuhalten. Russland muss vor allem klar werden, dass seine Bemühungen, einige EU-Mitgliedstaaten gegen andere auszuspielen, völlig kontraproduktiv sind. Seine Strategie, die EU zu spalten, wird nicht funktionieren. Die Union beruht auf dem Grundsatz der Solidarität, was „einer für alle und alle für einen“ bedeutet. Der „eine“ ist heute Estland. Russland wendet ihm gegenüber eine Reihe nicht tragbarer Praktiken an – und vielleicht müssen wir noch mit weiteren rechnen. Die Union steht hinter Estland und an seiner Seite. Rat und Kommission sollten klarer, viel deutlicher und aktiver vorgehen.

In einem können wir uns sicher sein: Wenn ein Mitgliedstaat in welchem Bereich auch immer – Handel, Energie oder politische Diskriminierung – anders behandelt wird, als es die Regeln der internationalen Gemeinschaft gebieten –, wird unsere gesamte Union in seinem Namen einschreiten. Unser Parlament ist der Hüter dieser Solidarität. Hier wird nicht nur die Union als politisches Projekt auf die Probe gestellt, sondern auch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – und wir werden diesen Test bestehen!

Wenn Russland als wichtiger Akteur und große Nation behandelt werden will, die in Europa verwurzelt ist, muss es lernen, all seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, die sich dadurch ergeben, dass es Mitglied im Europarat ist, die Energiecharta und verbindliche Abrüstungsabkommen unterzeichnet hat und möglicherweise – und das ist mit einem Fragezeichen versehen – Mitglied der WTO wird. Wenn wir eine nutzbringende und sinnvolle Zusammenarbeit mit Russland wollen – was wir wirklich anstreben –, müssen wir eine neue Ära mit einem neuen Russland einleiten und dürfen nicht wieder einen Kalten Krieg wie zu sowjetischen Zeiten beginnen.

 
  
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  Justas Vincas Paleckis (PSE).(LT) Auch im 21. Jahrhundert ist Papier immer noch der Grundbaustein für die Errichtung von Brücken zwischen Nationen. Doch das Fehlen dieses Bausteins und die Schwierigkeiten, eine neue Partnerschaft zwischen der EU und Russland zu konzipieren, spiegeln die bedrückende Realität wider. Aus Moskau hören wir Äußerungen, ein solches Abkommen sei im Grunde nicht notwendig. Die mutwillige Krise in den Beziehungen zwischen Estland und Russland und damit auch in den Beziehungen zwischen der EU und Russland zeugt von einem erheblichen Mangel an Einsicht darin, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowohl gleichgestellt als auch gleichermaßen souverän sind. Dennoch – Dialog ist jetzt notwendiger denn je, weil die Alternative eine Rückkehr in die immer noch nicht geschlossenen Gräben des Kalten Krieges wäre. Eine solche Option würde in der heutigen ohnehin schon so instabilen Welt niemandem helfen. Die schwierigen Gespräche in Samara sollten ein Schritt hin zur eindeutigeren und offeneren Standortbestimmung und zur Formulierung politischer Spielregeln sein, die den neuen Gegebenheiten entsprechen.

In dem Text, den wir gerade prüfen, wird ganz richtig betont, dass ein neues Abkommen sehr wichtig für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und eine Stärkung der Sicherheit und Stabilität in Europa wäre. Die strategische Partnerschaft mit Russland bleibt ein Ziel der Europäischen Union, wie im Entschließungsentwurf betont wird. Doch beide Seiten müssen dieses Ziel verfolgen, indem sie die Menschenrechte, Demokratie und Redefreiheit stärken und auf Großmachts- und Großherrschaftsansprüche verzichten.

 
  
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  Jeanine Hennis-Plasschaert (ALDE).(NL) Herr Präsident! „Moskau stellt sich quer, weil es sich Querköpfigkeit leisten kann“, lautete unlängst der Titel eines Artikels in einer bekannten niederländischen Zeitung, und in der Tat: Man tanzt uns auf der Nase herum! Bei unserem letzten Besuch in Moskau wurde mir wieder bewusst, dass Europa seine Wahrheit hat, die Russen aber ihre eigene Wahrheit verkündigen, bestärkt unter anderem durch das Unvermögen der Union, laut und deutlich mit einer Stimme zu sprechen, wodurch wir den Eindruck mangelnden Selbstvertrauens und gar der Uneinigkeit erwecken.

Die Vorbildfunktion, die wir in der EU wahrnehmen könnten, scheinen wir nach und nach preiszugeben. Niemand veranlasst uns dazu, wir tun es aus Selbstverzicht. Herr Putin, gestützt durch die rasant wachsende Wirtschaft seines Landes, macht sich dies zunutze. Wenn es ihm zupass kommt, macht er die EU zur Karikatur. Russland ist wieder eine Macht, mit der gerechnet werden muss, und dessen sollte sich die EU bewusst sein. Russland sagt den Kampf an.

Die Liste der kontroversen Fragen, die alle erwähnt worden sind, wird immer länger, und sie umfasst die Pläne der USA für ein Raketenabwehrsystem in Polen und in der Tschechischen Republik, die von Herrn Putin angekündigte Absicht, den Abrüstungsvertrag auszusetzen, die großen internationalen Probleme wie das Kosovo, aber auch der Nahe Osten und Sudan, die Energiepolitik als geopolitisches Instrument, das Demokratiedefizit, die Verletzung der Menschenrechte, Tschetschenien und, nicht zu vergessen, selbstverständlich die Krise in Estland und das Verbot der Einfuhr von polnischem Fleisch sowie schließlich und endlich die Souveränität von Drittländern. Die Liste wächst und ebenso das Misstrauen.

Auch wenn die Wünsche und Erwartungen sehr unterschiedlich sind, machen die zunehmende gegenseitige Abhängigkeit und Russlands Nähe die Festlegung von Prioritäten zu einem Gebot. Dabei kommt es entscheidend darauf an – und dies ist gleichzeitig ein ausdrücklicher Appell an die Ratspräsidentin –, dass die EU ihre interne Geschlossenheit wahrt. Wir sollten Russland keine Gelegenheit geben, die EU der Lächerlichkeit preiszugeben. Wir sollten unser eigenes Haus in Ordnung bringen. Nur dann ist eine effiziente und konsequente Politik der Union gegenüber diesem Land möglich.

 
  
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  Mirosław Mariusz Piotrowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Uns ist inzwischen allen klar, dass der Wirbel, den Russland um das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch veranstaltet, ausschließlich politisch motiviert ist. Es besteht kein Zweifel daran, dass die polnische Seite alle hygienischen Anforderungen erfüllt hat.

Die russische Regierung will keinen Kompromiss, sondern vertieft ganz methodisch die Spaltung in der Europäischen Union. Sie hat sich außerdem das Recht herausgenommen, sich in die inneren Angelegenheiten Estlands, eines souveränen Staates und EU-Mitglieds, einzumischen. Russland verfährt in gleicher Weise auch mit anderen Nachbarländern – den ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten.

Dialog und Verhandlung sind wichtige Werte. Unter den gegebenen Umständen würde jedoch ein Verhandlungsmandat für den EU-Russland-Gipfel nicht nur eine Rückkehr zu den politischen Praktiken des Kalten Krieges bedeuten, sondern auch einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft schaffen.

 
  
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  Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Fortschritte bei den Beziehungen zu Russland und deren Vertiefung stellen für die Europäische Union eine absolute Notwendigkeit dar. Eine gute Partnerschaft bedeutet jedoch auch, dass Probleme und Meinungsverschiedenheiten in aller Offenheit besprochen werden können und dass die Partner bereit sind, daraus Lehren zu ziehen, um weiterhin ein erträgliches Verhältnis zueinander zu bewahren. In einer Beziehung müssen die Kommunikationskanäle jederzeit offen gehalten werden. Ich hoffe in unserem Interesse, dass die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen unverzüglich beginnen können – ein neues Partnerschaftsabkommen, das sich auf die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts stützen, aber zugleich den Weg für einen neuen Dialog in den nächsten Jahren ebnen muss.

Wir müssen aufhören, in Form abgegebener Erklärungen zu sprechen, und stattdessen Gespräche im Rahmen eines strukturierten Dialogs führen, ohne dabei den Problemen im Geringsten aus dem Weg gehen zu wollen, an denen es in Russland ja nun wirklich nicht mangelt; die Medienfreiheit, das Funktionieren der Demokratie, die Art der Festlegung von Bestimmungen für Wahlen und Wählbarkeitsvoraussetzungen in Russland, die Stellung der NRO sowie die Menschenrechtslage – und ich verweise das Haus auf den Bericht des Europarats über Tschetschenien – all dies muss auf der Tagesordnung stehen.

Auch auf internationaler Ebene sind Europa und Russland aufeinander angewiesen; ein treffendes Beispiel ist das Kosovo. Russland kann hier nicht einfach sein Veto einlegen; das läge nicht im Interesse der Region. Aufeinander angewiesen sind wir jedoch ebenso beim Thema Iran und Nordkorea.

Schließlich und endlich möchte ich auf den Konflikt zwischen Estland und Russland zu sprechen kommen, denn die Spannung steigt nicht nur in beiden Ländern, sondern ist nunmehr, nicht zuletzt aufgrund der Reaktion Russlands, auch zu einem europäischen Problem geworden. Die Liste der Probleme zwischen den baltischen Staaten und Russland wird immer länger. Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden, doch fehlt es vollkommen an jeglicher Behutsamkeit und an Taktgefühl beim Umgang miteinander.

Ich bin entschieden für eine aktive Osteuropapolitik, doch lässt sich eine solche Politik nur betreiben, wenn wir uns in der EU darüber einig sind. Dies bedeutet mithin, dass ihr auch die baltischen Staaten zustimmen müssen, weshalb es nicht angehen kann, dass wir in der Europäischen Union Maßnahmen in Form von Sanktionen gegen ein Mitglied unserer Familie hinnehmen. Eine Eskalation der Krise läge gewiss weder in unserem Interesse noch im Interesse Russlands.

Es ist nun Sache der Europäischen Union, endlich einen Schritt zu tun. Der Rat und die Kommission müssen sich dem Parlament anschließen und mit einer Stimme klar zum Ausdruck bringen, dass die Europäische Union die Bedrohung von EU-Mitgliedstaaten zurückweist, dass wir aber auch bereit sind, uns so weit wie möglich für eine Verbesserung des Dialogs und den Aufbau einer konstruktiven Zusammenarbeit einzusetzen. Der deutsche Vorsitz hat die richtige Basis dafür geschaffen, und ich denke, der Gipfel wird eine gute Gelegenheit bieten, weiter darauf aufzubauen.

 
  
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  Józef Pinior (PSE). – (PL) Herr Präsident! Die heutige Plenarsitzung findet an einem Tag statt, an dem sich das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt. Als Pole möchte ich an alle sowjetischen Soldaten erinnern, die während des Krieges im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben ließen. Wir werden ihre Selbstaufopferung nicht vergessen, jene einfachen Soldaten, jene grauen Infanteristen, die Bulat Okudschawa so wunderbar in seinem Song beschrieben hat.

Uns Mitglieder der Europäischen Union eint der Wunsch nach guten Beziehungen zu Russland. Diese guten Beziehungen sind eine wirtschaftliche, strategische und geopolitische Notwendigkeit. Russland ist allerdings kein einfacher Partner für die Europäische Union. Selbstverständlich dürfen und werden wir die neoimperialistische Politik Russlands, wie sie das Land in jüngster Zeit Estland gegenüber verfolgt, nicht tolerieren, wie immer sie sich auch äußern mag. Deshalb müssen wir die Regierung und das Volk Estlands in der nächsten Zeit uneingeschränkt unterstützen und sie unserer rückhaltlosen Solidarität versichern.

Herr Kommissar, Herr Minister! Ich möchte Sie an das Schreiben erinnern, mit dem sich Amnesty International vor dem Samara-Gipfel an die politisch Verantwortlichen in der Europäischen Union gewandt hat. Darin war von der Notwendigkeit die Rede, im Gespräch mit Präsident Putin das Thema Menschenrechtsverletzungen wie die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit und vor allem der Pressefreiheit und auch die wachsende Zahl der in Russland ermordeten Journalisten zur Sprache zu bringen. Auf diese Probleme muss die russische Regierung auf dem Samara-Gipfel direkt angesprochen werden.

 
  
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  Guntars Krasts (UEN). – (LV) Die Europäische Union betrachtet Russland als einen guten langfristigen Partner, aber nutzt sie ihren Einfluss, um Russland zu bewegen, ein demokratischer und berechenbarer Nachbar zu werden? Seit Russland den Status eines großen Players im Energiebereich erlangt hat, nimmt seine Außenpolitik zunehmend unattraktive Formen an. Die Europäische Union, konfrontiert mit Russlands neuer Politik, wirkt jedoch nicht als geeinte Kraft, sondern als einzelne Mitgliedstaaten, und in Situationen des Konflikts mit Russland werden die EU-Mitgliedstaaten angehalten, die Konflikte bilateral zu lösen. Das jüngste Beispiel dafür ist Russlands grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten des EU-Mitgliedstaats Estland, wo sich Russland gar zu Forderungen versteigt, dass Estlands gewähltes Parlament und gewählte Regierung zurücktreten mögen. Die Europäische Union ließ die Gelegenheit nicht verstreichen, das schweigend zu übergehen, im Gegensatz zum Beispiel zum Präsidenten und zum Senat der USA, die ihre nachdrückliche Unterstützung für Estland zum Ausdruck brachten. Der Ratsvorsitz der Europäischen Union ist bemüht, den Konflikt zu einem Problem zu machen, das bilateral zwischen Estland und Russland zu lösen ist. Russland würde damit die Europäische Union in kleine und große Staaten, neue und alte Staaten, Partnerstaaten und undankbare Staaten jenseits seiner Grenze einteilen dürfen. Der nächste Gipfel zwischen der Europäischen Union und Russland wird in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Test für die Fähigkeit der Europäischen Union sein, als Union zu wirken. Ich danke Ihnen.

 
  
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  József Szájer (PPE-DE).(HU) Russland ist ein europäisches Land, mit dem wir eine Kultur sowie soziale, kulturelle und geistige Werte teilen, die mehr als tausend Jahre zurückreichen. Die Europäische Union braucht ein demokratisches Russland. Was die Europäische Union braucht, ist ein demokratisches Russland. Die wichtigste Bedingung für eine Partnerschaft müssen allerdings Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sein, ebenso eine verlässliche Achtung der Prinzipien der Gleichberechtigung.

Dies ist unvereinbar mit dem, was Russland unseren estnischen Brüdern gegenwärtig antut. Es ist unvereinbar mit Russlands Einmischung in die Angelegenheiten Estlands unter Verstoß gegen internationale Normen und Gesetze. Estland ist die Union, und die Union ist Estland. Dies ist nicht nur die Angelegenheit eines Landes, sondern eine der gesamten Union. Dies ist nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch der Souveränität.

Meine Damen und Herren! Ist es denn nicht absurd, dass sich die Union zur Stunde auf ein hochrangiges Treffen mit den führenden Köpfen eines solchen Landes vorbereitet und von einer Beziehung mit einer gleichberechtigten Partnerschaft redet, sich um eine Lockerung der Visabestimmungen bemüht und die Mitgliedschaft eines Landes in der Welthandelsorganisation unterstützt, das sich auf diese Weise gegenüber einem anderen EU-Mitgliedstaat verhält, als ob es sich ungestraft in dessen innere Angelegenheiten mischen dürfte. Das ist unannehmbar, und ich muss sagen, eine grundsätzliche Sache, eine grundsätzliche Sache, bei der wir uns auf keine Kompromisse einlassen dürfen.

Deshalb rufe ich, fordere ich die Europäische Kommission und den Rat dringend auf, die Vorbereitungen für den Gipfel EU/Russland zu unterbrechen, bis Russland aufhört, auf Estland Druck auszuüben. Die Union muss ein klares Zeichen setzen: Bis hierher und nicht weiter.

 
  
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  Monika Beňová (PSE).(SK) 1945 wurden wir von der Roten Armee befreit. Ich meine, dass wir dafür eine gewisse Achtung und Dankbarkeit empfinden sollten.

Die Probleme begannen jedoch, als Teile dieser Armee in unseren Ländern verblieben, auch in meinem, und das unter allen möglichen edlen Vorwänden wie ‚Wirtschaftshilfe’ oder ‚Schutz’, und diese Vorwände endeten schließlich damit, dass unsere Länder mit Stacheldraht umzäunt wurden und unsere Volkswirtschaften so weit hinterherhinkten, dass wir sie Anfang der neunziger Jahre von Grund auf erneuern mussten.

Der Grund, weshalb ich diesen kurzen Exkurs in die Geschichte mache, ist der, dass wir, wenn wir heute vom Gipfel EU-Russland sprechen, dazu neigen, viele hochtrabende Worte zu machen, doch wir müssen uns dessen bewusst sein, dass das, was die Europäische Union in den vergangenen zehn Jahren auf der Haben-Seite verbuchen konnte, für Russland im selben Zeitraum verloren ging. Russland ist sich völlig im Klaren und ganz und gar nicht erfreut darüber. Wenn wir also von einer gleichberechtigten Partnerschaft mit Russland reden, dann sind wir gut beraten, darauf zu achten, dass diese Partnerschaft wirklich gleichberechtigt ist und dass wir uns nicht von hehren Worten verleiten lassen, wie es den Generationen vor uns vor 62 Jahren erging.

 
  
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  Wojciech Roszkowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind schwieriger geworden, seit Russland zu seiner alten imperialen Politik zurückgekehrt ist, wie die jüngsten Ereignisse in Estland wohl am besten zeigen. Die souveräne Regierung in Estland hat das Recht, ja sogar die Pflicht, die Spuren sowjetischer Unterdrückung zu beseitigen, und mit seiner Reaktion stellt Russland sich ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.

Der Kreml hat auch gegen Polen eine Verleumdungskampagne angezettelt, und bedauerlicherweise sind einige Mitglieder dieses Hohen Hauses in Straßburg darauf hereingefallen. Obwohl Polen alles in seinen Kräften Stehende getan hat, um seinen guten Willen zu zeigen, wurde das russische Importverbot für polnisches Fleisch nicht aufgehoben, ja es wird sogar noch ausgedehnt.

Präsident Putin will sogar eine Verordnung zum Schutz der Gedenkstätten außerhalb Russlands erlassen. Wird damit russisches Recht auf das Hoheitsgebiet der Europäischen Union ausgeweitet? Diese Aussprache hat gezeigt, dass die Europäische Union auf dem Gipfel in Samara mit weit größerer Entschlossenheit auftreten muss, vor allem wenn es darum geht, sich für die Interessen aller und nicht nur einiger weniger Mitgliedstaaten einzusetzen.

 
  
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  Christopher Beazley (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Ich habe zwei Bitten an Minister Gloser, die seine Antwort auf diese Aussprache betreffen.

Es ist ganz klar, dass Rat, Ratspräsidentschaft – seine Kollegen also – und die Bundeskanzlerin beim Gipfel in Samara, wenn er überhaupt stattfindet, auch die Meinungen dieses Parlaments wiedergeben müssen. Mit Präsident Putins Russland kann keinesfalls einfach so umgegangen werden wie immer. Könnte der Herr Ratspräsident in seiner Antwort bitte erläutern, wie auf dem Gipfel unsere Besorgnis und unsere Weigerung zum Ausdruck kommen werden, zuzustimmen, dass Estland der Grund für diese Krise ist?

Uns wurde gesagt, dass wir die Krise nicht eskalieren lassen dürfen, sondern sie deeskalieren müssen. Aber wir, die EU, haben sie nicht herbeigeführt. Wenn Sie sich das Transkript des Films über die so genannten Unruhen in Tallinn ansehen, sieht man, wie vereinzelte Gruppen von Jugendlichen Fenster einschlagen und Luxusgüter stehlen. Was um Himmels willen hat das mit der Achtung gegenüber Millionen toten Russen im Zweiten Weltkrieg zu tun? Wir können die Version von Präsident Putin, die der seiner Vorgänger Jelzin und Gorbatschow widerspricht, die die Reformbewegung innerhalb Russlands auf den Weg gebracht haben, einfach nicht akzeptieren.

Herr Minister, könnten Sie in Ihrer Antwort also bitte erläutern, welche konkreten Demarchen die Präsidentschaft auf dem Gipfel vornehmen wird, um herauszustreichen, dass die Verhandlungen ohne gegenseitiges Verständnis keinen Erfolg haben können? Es geht hier, wie bereits gesagt wurde, nicht um Estland: Präsident Putin hat auch Lettland angegriffen, ebenso die Tschechische Republik, Polen und den Botschafter meines Heimatlandes. Könnten wir bitte genauer erläutert bekommen, inwiefern der Gipfel in Anbetracht dessen, wie die russische Regierung dieses Problem vorgestellt hat, anders sein wird?

 
  
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  Marianne Mikko (PSE).(ET) Der von russischem Territorium ausgehende Hackerangriff auf die IT-Infrastruktur eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Estland, dauert nun schon fast zwei Wochen. Diese Online-Attacke bedeutet, dass estnische Medienwebsites entweder völlig blockiert oder ernsthaft gestört werden. Die Hacker haben auch versucht, die Websites der estnischen Ministerien zu blockieren. Am 3. Mai liefen auf dem Server des Büros des Premierministers 90 000 Anfragen pro Stunde auf. Estland konnte den Angriff abwehren, aber Russlands Duldung des Vorkommnisses ist ein Akt der Aggression, der eine Reaktion verlangt.

Die russischen Geheimdienste benutzen seit dem Kalten Krieg Informationsausfälle als Instrument, um die Massen zu manipulieren. Im 21. Jahrhundert wiegt es schwerer, wenn die Internetkommunikation mit einem Land nicht möglich ist, als wenn ein Fenster der Botschaft dieses Landes in Moskau eingeworfen wird. Ich begrüße es, dass unserer Entschließung ein deutlich formulierter Artikel hinzugefügt wurde.

Das Thema der Online-Sicherheit muss auf jeden Fall mit Russland auf dem Gipfel in Samara diskutiert werden. Unsere Strategie muss sein, einen Online-Krieg mit unserem strategischen Partner Russland zu vermeiden. Die Europäische Union muss die Online-Attacke gegen einen Mitgliedstaat als Angriff gegen die gesamte Europäische Union behandeln. Dies muss den Russen unmissverständlich klar gemacht werden.

 
  
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  Jan Tadeusz Masiel (UEN). – (PL) Herr Präsident! Möge der EU-Russland-Gipfel dazu beitragen, unsere Beziehungen zu verbessern und die Integration innerhalb der EU zu vertiefen, indem wir Estland und Polen gegenüber Solidarität zeigen. Wir müssen Russland den gebührenden Respekt zollen und seine Leistungen anerkennen, aber wir müssen das Land auch für seine Ungerechtigkeit kritisieren. Wir dürfen uns nicht scheuen, uns gegen Russland zu stellen, wenn die Wahrheit auf unserer Seite ist. Wir üben heftige Kritik an der belarussischen Regierung, von der sich die russische Regierung im Grunde genommen nicht wesentlich unterscheidet. Russland muss die Besetzung Estlands, Lettlands und Litauens und – wenn auch auf anderer Ebene – aller Länder des Sowjetblocks anerkennen. Ich fordere diejenigen, die auf dem Gipfel die Verhandlungen führen, auf, Russland endlich klar zu machen, dass Polen ein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist wie Deutschland und Großbritannien auch.

Abschließend, Herr Kommissar, möchte ich Ihnen für Ihre Bemühungen danken, aber es ist mehr Entschlossenheit vonnöten. Russland muss das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch unverzüglich – und nicht schrittweise über einen längeren Zeitraum – aufheben. Bitte geben Sie Präsident Putin den Willen dieses Hohen Hauses zur Kenntnis.

 
  
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  Der Präsident. Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge(1) eingereicht.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 11.00 Uhr statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Aussprache über die Ereignisse in Estland am 9. Mai, dem Tag des Sieges über den Faschismus, stellt nicht nur eine Missachtung des Gedenkens von zig Millionen Menschen dar, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus geopfert haben. Dies ist nicht nur ein Versuch, die Geschichte zu verfälschen und zu verzerren. Dies sind nicht die nur die heutzutage vertrauten Schmähreden der Sprachrohre der kapitalistischen Barbarei.

Es handelt sich hier um eine bewusste Politik, mit der die Wiederbelebung des Faschismus in den baltischen Staaten und in anderen europäischen Staaten unterstützt werden soll und bei der sich die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament, die Neoliberalen und die Grünen alle zusammen auf die Seite der ultrarechten Fraktion stellen.

Die Rechten, die Sozialdemokraten, die Grünen und Le Pen haben in einvernehmlicher Weise einen verabscheuenswürdigen antikommunistischen Angriff auf die Sowjetunion und die heldenhafte Rote Armee gestartet. Gemeinsam brachten sie ihre Solidarität mit der estnischen Regierung zum Ausdruck, die nunmehr seit Jahren die Stelle der Faschisten einnimmt, indem sie gegen die Kommunisten und Antifaschisten hetzt.

Gemeinsam haben sie unter Beweis gestellt, was historisch und politisch verbürgt ist: dass der Faschismus ein echtes Kind des Kapitalismus ist. In dieser Debatte kam auch das formell zum Ausdruck und offenbarte sich der Charakter der EU als eine Union, die die Interessen des Kapitals vertritt.

Zudem stellt der Faschismus die gleiche Macht wie das Kapital dar, allerdings ohne die parlamentarische Bemäntelung.

Wir möchten betonen, dass je mehr die Menschen die imperialistische Barbarei in Frage stellen, je mehr sie sie verurteilen, sich gegen sie auflehnen und sie bekämpfen, desto mehr wird der Antikommunismus zunehmen.

Die Geschichte hat bewiesen, dass diejenigen, die zwischenzeitlich als außerordentlich stark erscheinen, durch den Kampf des Volkes vernichtet werden.

Der 9. Mai 1945 wird stets ein solches symbolisches Datum bleiben.

 
  
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  Alexander Stubb (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Man kann den Streit um das Denkmal nicht ignorieren.

Heute haben wir den Europa-Tag begangen. Wir haben die Europäische Union und den Friedensprozess gefeiert, den die europäische Integration mit sich gebracht hat.

Dennoch hat dieser Tag zwei Seiten. Für die Russen ist es die Feier des Sieges im Zweiten Weltkrieg. Das umgesetzte Denkmal ist ein Symbol dafür. Für viele der gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten symbolisieren die Feier des Sieges und das Denkmal in Tallinn jedoch den Beginn einer langen Periode der Unterdrückung in der Sowjetunion.

Es ist also kein Wunder, dass sie das Denkmal in Tallinn entfernen wollten. Man muss kein Faschist sein, um ein Symbol der Unterdrückung, das noch frisch in der Erinnerung ist, versetzen zu wollen.

Hier geht es nicht mehr um eine innere Angelegenheit Estlands. Russland und die Position, die es mit seiner „unmittelbaren Nachbarschaftspolitik“ eingenommen hat, haben den Streit um das Denkmal zu einer EU-Angelegenheit gemacht.

Wir sprechen viel von Solidarität. Es wäre eine Schande für uns, wenn wir die Angelegenheit unter Berufung auf die Tagesordnung bis zur Straßburg-Sitzung vertagen würden. Die Regeln wurden für uns gemacht, nicht wir für die Regeln. Wenn wir uns wegen der Regeln nicht unverzüglich damit befassen können, dann möchte ich, dass die Regeln geändert werden.

Wir können viel über Solidarität reden, aber jetzt muss gehandelt werden: „Estlands sak är vår sak!“

 
  

(1) Siehe Protokoll.


13. Reformen in der arabischen Welt: Welche Strategie für die Europäische Union? (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Michel Rocard im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über die Reformen in der arabischen Welt: Welche Strategie verfolgt die Europäische Union? (2006/2712(INI)) (A6-0127/2007).

 
  
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  Michel Rocard (PSE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident! Ich möchte die Willenskraft des Ministers und des Kommissars loben. Ich weiß, was es heißt, an einer Aussprache teilzunehmen, ohne den Saal verlassen zu dürfen, und ich hoffe, dass sie sich nicht allzu sehr langweilen werden. In dieser Aussprache komme ich nun zu einem Thema, das relativ neu für uns ist.

Der Titel des Berichts ist nicht zutreffend. Es geht dabei weniger um die Beziehung der Europäischen Union zu den Reformen in der arabischen Welt, sondern vielmehr um einen Prozess des Umgangs der Europäischen Union mit der arabischen Welt zur Erleichterung von Reformen.

Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, werde ich meine Anmerkungen in Punkte untergliedern. Erster Punkt: Wie Sie alle wissen, steht es in den verschiedenen arabischen Staaten nicht zum Besten. Wir alle erhalten eine Fülle von Informationen und hören Klagen über Menschenrechtsverletzungen, über oftmals diktatorische Regierungen, über gewaltige und skandalöse finanzielle Ungleichheiten in den diversen Ländern und über das Ausbleiben des wirtschaftlichen Aufschwungs, selbst dort, wo es Erdöl gibt. In der Tat herrschen in der arabischen Welt Missstände. Ein arabisch-libanesischer Schriftsteller sprach sogar von einem arabischen Übelstand. Hinter dieser Malaise steht eine lange Geschichte der Demütigung: Kolonialismus, Unabhängigkeit, mangelnde Kontrolle über die Ressourcen, insbesondere über das Erdöl, Niedergang der Intelligenz und als Folge eine entsprechende Zunahme des religiösen Fundamentalismus.

Punkt zwei: Vor eben diesem Hintergrund hat sich durch die Zugehörigkeit zur arabischen Welt in der Mehrzahl dieser Länder ein Identitätsgefühl und ein Streben nach kollektiver Stärkung herausgebildet. Dies hat sich in der zweiten Hälfte und vor allem gegen Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt. Heute bezieht die Liga der Arabischen Staaten im Auftrag der verschiedenen Staaten international Position und wird respektiert. Die Entschließungen der Liga brachten einige Fortschritte im so genannten Friedensprozess im Mittleren Osten mit sich, der noch immer kein Friedensprozess ist, bei dem man sich jedoch durch den Gipfel der Arabischen Liga einige Ergebnisse erhofft. Zudem ist dank der Medien eine arabische öffentliche Meinung im Entstehen begriffen, die ungleich homogener ist als die diplomatischen Positionen der verschiedenen Staaten. Viele Intellektuelle, vor allem Ägypter, aber auch Libanesen und sogar Algerier, äußern sich eher auf panarabischer Ebene als in ihrem nationalen Umfeld. Letztlich ist festzustellen, dass sich die Arabische Liga noch nie mit religiösen Problemen zu befassen hatte. Diese werden an die Organisation der Islamischen Konferenz verwiesen, die eine ganz andere Welt ist. Die Arabität ist ein säkulares Konzept, was unsere Beziehungen erleichtern kann.

Punkt drei: Wie gehen wir, die Europäische Union, mit dieser Arabität um? Wir ignorieren sie. Wir haben zum Irak eine starke, enge Beziehung, über die wir viel reden. Wir befassen uns mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt und nehmen dabei wenig auf den vorausgehenden Bezug. Wir reden über Algerien. Wir haben intensive bilaterale Beziehungen zu Algerien, Marokko, Tunesien und auch Ägypten. Kurz gesagt, wir haben mit all diesen Ländern Beziehungen öffentlicher, staatlicher und bilateraler Natur, bei denen wir jedoch deren Arabität außer Acht lassen.

Die Frage, die dieser Initiativbericht an die Kommission und an den Rat stellt, ist folgende: Gibt es nicht gute Gründe, sich davon zu lösen und im Lichte meiner unter Punkt zwei gemachten Anmerkungen ein wenig mehr zu tun? In der arabischen Welt gibt es jetzt ein geistiges Leben, ein politisches Leben, ein diplomatisches Leben auf der Ebene ihrer Gemeinschaft. Liegt es nicht im Interesse der Europäischen Union, auch auf dieser Ebene Beziehungen herzustellen? Der Stillstand, den wir überall in der arabischen Welt auf selbstverständlich wirtschaftlicher, finanzieller, politischer, institutioneller und religiöser Ebene antreffen, herrscht verbreitet auch auf intellektueller und kultureller Ebene.

Über die intellektuellen und kulturellen Beziehungen werden sich die anderen Beziehungen entwickeln, und dieser Bericht möchte dazu anregen, dies zur Kenntnis zu nehmen. Zunächst durch die Anerkennung der Tatsache, dass die arabische Identität mit der Demokratie, mit der Moderne vereinbar ist, auch wenn die Tatsachen nicht dafür sprechen. Intellektuell und politisch sowie in den Reden der Liga besteht dafür eine echte Chance. Im Übrigen hat die Arabische Liga mit etwas Druck auf viele ihrer Mitgliedstaaten eine Arabische Charta der Menschenrechte verfasst. Wir alle wissen, dass dies kein allzu großer Fortschritt ist und dass sie es nicht mit unserer Europäischen Menschenrechtskonvention oder mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufnehmen kann. Dennoch ist dies ein erheblicher Fortschritt, verglichen mit der Situation vor noch nicht allzu langer Zeit. Angesichts des großen Problems unserer Zeit, des Kampfes gegen den Terrorismus, glaube ich, dass wir uns alle wünschen, zu den arabischen Völkern eine Beziehung des Zusammenwirkens und des Miteinander gegen die Extremisten und Mörder aufzubauen, anstatt sie insgesamt zu verurteilen und diesen Kampf unmöglich zu machen.

Vor diesem Hintergrund schlägt der Bericht vor, dass wir, die Europäische Union, unsere Beziehungen mit allem, was in dieser Sache kollektiven Charakter hat, zu intensivieren: natürlich mit der Liga der Arabischen Staaten, aber warum nicht auch mit dem Golf-Kooperationsrat und sogar mit der Union des Arabischen Maghreb, falls diese wiederbelebt würde. Über diese Instanzen ist es möglich, ein Netzwerk kultureller und intellektueller Beziehungen zu entwickeln, Diskussionsseminare zu organisieren, die unsere Unterstützung der Reformen untermauern.

Dieser Bericht ist ein wenig heikel. Wir reichen Staaten die Hand zur Freundschaft, an denen es viel Kritik zu üben gäbe. Unsere Aussprache zu den Änderungsvorschlägen wird von extremer Verurteilung bis hin zur ausgestreckten Hand reichen, die es trotz zahlreicher Kritikpunkte vorziehen würde, diese zu ignorieren, so lange diese ausgestreckte Hand zu einem Reformprozess beitragen kann, den wir alle brauchen.

 
  
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  Günter Gloser, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Kommission, und vor allem sehr geehrter Herr Rocard, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die aktuelle Debatte darüber, wie sich die arabische Welt in der internationalen Politik aufstellt, findet zur rechten Zeit statt. Dabei geht es für uns auch um die Frage, wie der Westen mit den arabischen Staaten noch besser zusammenarbeiten kann, damit beide Seiten hiervon profitieren. Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Rocard, ganz herzlich bedanken. Mit diesem Bericht unterstreicht auch das Europäische Parlament die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt.

Bereits seit einigen Jahren hat das regionale Engagement der Arabischen Liga an Dynamik gewonnen – ich nenne nur die Beiruter Friedensinitiative vom März 2002. Gerade in den letzten Wochen manifestiert sich ein massives Interesse der arabischen Welt, auch selbst die Hand zur engeren Koordinierung und Kooperation – über die Grenzen der Region hinaus – auszustrecken.

Diese Entwicklung scheint mir einerseits das Ergebnis einer gewissen arabischen Rückbesinnung auf die Arabische Liga als ein zwischenzeitlich vernachlässigtes Instrument der Zusammenarbeit. Andererseits sehe ich darin aber auch die Antwort auf die Suche nichtarabischer Staaten und Organisationen nach einem verlässlichen regionalen Partner in einer instabilen Region.

Das anhaltende Engagement der Arabischen Liga im Libanon, welches unmittelbar nach dem Krieg im vergangenen Sommer einsetzte, ist sehr wertvoll. Wir ermutigen die Arabische Liga daher, an den bisherigen Bemühungen festzuhalten.

Aber die eigentlich neue Qualität des internationalen Engagements der Arabischen Liga unter der kraftvollen Regie Saudi-Arabiens kommt meines Erachtens am deutlichsten in der Bekräftigung der Arabischen Friedensinitiative auf dem Gipfel von Riad Ende März zum Ausdruck. Die Initiative zeigt die Perspektiven für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten auf. Die fortgesetzte Debatte innerhalb der Arabischen Liga gibt berechtigten Anlass zu der Einschätzung, dass auf arabischer Seite der Wille zu echten Fortschritten vorhanden ist.

Auch die EU hat in den vergangenen Jahren und Monaten ihr Engagement im Nahen Osten verstärkt. Dabei bleibt für die EU das Nahostquartett der zentrale Akteur.

In der jüngsten Zeit haben beide Seiten – arabische Welt und Europa – ihre Ideen für eine Intensivierung der politischen Zusammenarbeit verstärkt diskutiert. Ich darf hier nur hinweisen auf das Treffen der EU-Troika mit einer Delegation der Arabischen Liga in Sharm el-Sheikh, zum Anderen aber auch darauf, dass der amtierende Ratspräsident, Frank-Walter Steinmeier, in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident eine Ministerdelegation der Arabischen Liga für den 14. Mai zu einem Treffen mit allen EU-Außenministern nach Brüssel eingeladen hat.

Die internen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen, mit denen sich die arabische Welt konfrontiert sieht, werden allein dadurch natürlich nicht weniger. Aber – ich unterstreiche das ausdrücklich – Europa bietet den arabischen Ländern und Gesellschaften die Zusammenarbeit in allen Bereichen an. Meine Hoffnung ist, dass diese Zusammenarbeit ihren Beitrag zu mehr Verständigung und Toleranz zwischen Europa und der arabischen Welt leisten kann. Diese beiden Werte, Verständigung und Toleranz – Eigenschaften, die die Ratsvorsitzende Angela Merkel zu Beginn der Präsidentschaft in Straßburg als die „Seele Europas ausmachend“ beschrieb – sind die entscheidenden Ziele, die wir für einen erfolgreichen Dialog erreichen müssen.

Ich begrüße daher, dass Sie, Herr Rocard, in Ihrem Bericht auch kulturelle Aspekte berücksichtigt haben. Sie spielen eine große Rolle bei der Frage nach den Möglichkeiten der Europäischen Union, Reformprozesse in der Arabischen Welt zu unterstützen. Auf beiden Seiten behindern Unkenntnis, Stereotypen und Feindbilder eine fruchtbare, zukunftsorientierte Partnerschaft. Dialog und Verständnis für die Kultur des jeweils anderen sind Voraussetzung dafür, dass die Europäische Union Reformprozesse in der gewünschten Form fördern kann.

Im letzten Jahr – Stichwort „Karikaturenstreit“ – war viel davon die Rede, dass wir mehr „Dialog der Kulturen“ brauchen. Wir müssen bei dem Begriff aber etwas vorsichtig sein. Die Vorstellung von einem Dialog der Kulturen kann, ohne dass wir es wollen, den Kulturrelativismus fördern. Die Vorstellung, Normen und Werte seien grundsätzlich kulturell bedingt, läuft unserem Verständnis von universellen Menschenrechten zuwider. Ich stimme hier mit dem Bericht völlig überein: Er betont die Wichtigkeit des interkulturellen Dialogs und bezieht gleichzeitig klar Stellung für die Universalität der Menschenrechte.

Wir müssen nicht nur bezüglich der Menschenrechte, sondern in jeder Hinsicht die „Kulturalismusfalle“ vermeiden. Die Identität von Menschen ist vielfältig. Man ist nicht nur Muslim oder Christ oder Atheist, sondern auch Angehöriger einer Berufsgruppe, Student, Familienvater, Mitglied in einem Verein und vieles mehr. Das Problem beim islamischen – wie bei jedem anderen – Fundamentalismus ist, dass ein Element der eigenen Identität – das religiöse – über alle anderen gestellt und die Komplexität der Welt letztlich auf das Bild eines Gegensatzes von „Islam“ und „Westen“ reduziert wird. Unsere Politik muss alles vermeiden, was diese Reduktion fördert. Wir müssen das Gemeinsame, nicht das Trennende in den Vordergrund stellen. Für Diskussionen und Projekte müssen wir Foren wählen, die von der EU und den arabischen Staaten gemeinsam getragen werden, insbesondere die Anna-Lindh-Stiftung.

Der politische Islamismus ist – worauf auch Ihr Bericht hinweist – Ausdruck der Modernisierungskrise der arabischen Gesellschaften. Die Auseinandersetzung mit ihm ist in erster Linie eine Aufgabe der arabischen Gesellschaften selbst. Auch dort gibt es säkulare und liberale Kräfte. Was häufig fehlt, ist jedoch der innergesellschaftliche Dialog über die Frage, wie das Verhältnis von Staat, Religion und Gesellschaft politisch gestaltet werden soll.

Wenn ein solcher innergesellschaftlicher Dialog stattfindet, wird auch deutlich, dass die religiöse Neutralität des Staates und die Durchsetzung der Menschenrechte kein Reformprogramm sind, das „der Westen“ der arabischen Welt aufzwingen will, sondern dass sie im eigenen Interesse der arabischen Gesellschaften sind. Wir können diese innergesellschaftlichen Dialogprozesse dadurch unterstützen, dass wir Dialogforen zur Verfügung stellen. Dies ist z. B. eine wichtige Aufgabe verschiedener politischer Stiftungen, wie wir sie beispielsweise in Deutschland kennen.

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kommission begrüßt den Bericht des Abgeordneten Rocard, der sich im Grunde genommen mit der Frage beschäftigt, welche Rolle die Entwicklungen in der arabischen Welt für uns spielen und was wir tun können, um diese Entwicklungen in der arabischen Welt in unserem Sinne zu beeinflussen.

In einer Zeit, in der wir unser gemeinsames kulturelles und historisches Erbe wiederentdecken, ist es wichtig, dass das Europäische Parlament einmal mehr eine Schlüsselrolle bei der Förderung engerer Beziehungen mit unseren arabischen Nachbarn einnehmen will. Die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Reformen in der arabischen Welt unterstreicht sehr deutlich, dass wir Völker und Länder rund um den Mittelmeerraum aufeinander angewiesen sind: In politischer Hinsicht als Partner, die versuchen, den Nahen Osten zu befrieden, und darauf hinarbeiten, Pluralität und Demokratie zu fördern; in kultureller Hinsicht, um den dringend erforderlichen tief greifenden Dialog zwischen den Kulturen und Religionen voranzutreiben; in umweltpolitischer Hinsicht, weil bei einer gemeinsamen Mittelmeerküste von über 46 000 Kilometern Länge Probleme wie Klimawandel oder Meeresverschmutzung und die Herausforderungen für die Entlastung der Umwelt für alle dieselben sind; in energiepolitischer Hinsicht wegen der Erdöl- und Erdgasströme, die aus dem Mittelmeerraum kommen oder durch das Mittelmeer hindurchgeleitet werden, und nicht zuletzt in demografischer Hinsicht, da es eines Dialogs mit den Ländern Nordafrikas über die Lösung von Fragen im Zusammenhang mit der legalen und illegalen Migration bedarf.

Als Antwort auf die Tatsache, dass wir aufeinander angewiesen sind, haben wir gemeinsam den Barcelona-Prozess ins Leben gerufen, der inzwischen von der Europäischen Nachbarschaftspolitik ergänzt wird. Ein weiterer Ausbau der Beziehungen erfolgt darüber hinaus im Rahmen des Kooperationsabkommens mit dem Golf-Kooperationsrat, im Rahmen des Abkommens mit dem Jemen und im Rahmen des Abkommens von Cotonou mit den arabischen Staaten südlich der Sahara.

Dank des Barcelona-Prozesses und dank der Nachbarschaftspolitik sind in letzter Zeit Fortschritte gemacht worden. Ich nenne deren zwei: Mit fast allen Ländern der Region wurden Assoziierungsabkommen geschlossen und Nachbarschaftsaktionspläne begründet. Eine Freihandelszone Europa-Mittelmeer nimmt allmählich Gestalt an, die als Schnittstelle zwischen einer zunehmend globalisierten Welt und dem von Europa praktizierten offenen, integrierenden Regionalismus fungieren soll.

2007 wird ein Jahr sein, das für unsere Beziehungen mit einer im Umbruch befindlichen Region durchaus Signalwirkung haben kann. Diese Region hegt große Erwartungen für eine tief greifende Partnerschaft mit der Europäischen Union. Unsere Arbeiten mit unseren Partnern wird von der Überzeugung getragen, dass Veränderungen nur dann von Dauer sein werden, wenn sie aus dem Inneren einer Gesellschaft heraus kommen, und im Rahmen der Nachbarschaftspolitik ebnet die allmähliche Einführung politischer und wirtschaftlicher Reformen einer weiteren Annäherung zwischen Europa und den Mittelmeerländern den Weg.

Im Mittelpunkt unserer Beziehungen mit unseren arabischen Partnern steht unser Wunsch, die Sicherheit, das Wachstum und die Stabilität in der Region zu fördern. Darüber hinaus sind wir der festen Überzeugung, dass es noch um weitaus mehr geht, nämlich um die gemeinsame Schaffung eines Raumes der Zusammenarbeit und der Stabilität und um das Eintreten für unsere gemeinsamen Ziele und Wertvorstellungen.

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  
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  Antonio Tajani, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Beziehungen zwischen Europa und der arabische Welt sind der Schlüssel, um Frieden im Mittelmeerraum und im Nahen Osten zu schaffen. Wir alle müssen uns in den nächsten Jahren für den Dialog zwischen den Kulturen und Religionen einsetzen, getragen von der Überzeugung, dass freundschaftliche Beziehungen auf Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Verständnisbereitschaft gegenüber den anderen beruhen, ohne jedoch der eigenen Identität zu entsagen. In dem Bericht Rocard wird bekräftigt, wie wichtig es ist, eine Strategie für die Europäische Union im Hinblick auf die Reformen in der arabischen Welt zu entwickeln, und es werden einige unverzichtbare Grundsätze für die zukünftigen Beziehungen dargelegt.

Aufgabe des Europäischen Parlaments wird es sein, alle Entscheidungen zu fördern, mit denen die Demokratie, die Achtung der Menschenrechte und der Rolle der Frau, die Schaffung einer Freihandelszone, Informationsfreiheit, Finanzhilfen und die Achtung der Religionsfreiheit gestärkt werden.

In dem Rocard-Bericht – dem, wie ich ankündigen kann, die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten zustimmen wird – wird die Gegenseitigkeit als ein Grundprinzip definiert: So wie jedermann in Europa das Recht hat, sich zu seiner Religion zu bekennen, müssen auch die Menschen in allen arabischen Ländern dasselbe Recht haben. In diesem Zusammenhang wird an die in der Europäischen Union lebenden Araber appelliert, über ihre Erfahrungen zu berichten. Allerdings ist die Europäische Union in dieser wie auch in anderen Fragen noch weit von ihren eigenen Zielsetzungen entfernt.

Wenn wir diese Grundsätze geltend machen und die arabischen Länder unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit bei ihren Reformen unterstützen, werden wir durch unseren Beitrag mit verhindern, dass der Fundamentalismus mehr Zuspruch findet. Die Gefahr des Fanatismus schwebt nämlich nicht nur über Europa, sondern auch über der ganzen arabischen Welt. Der Terrorismus ist ein Abkömmling des Fundamentalismus, und aus diesem Grund müssen Europa und die arabischen Staaten zusammenarbeiten, um dieses Übel des 20. Jahrhunderts auszumerzen. Die jüngsten Anschläge machen deutlich, dass es gegenwärtig für Al-Qaida Priorität hat, die gemäßigten arabischen Länder zu treffen, die den Dialog suchen und die Reformen erleichtern. Europa darf nicht länger in Schweigen und Untätigkeit verharren.

 
  
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  Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Mein Kollege und Freund Michel Rocard wird mir verzeihen, dass ich zu Beginn ein sehr wichtiges Thema anspreche, für das Véronique De Keyser in den letzten Monaten und Jahren sehr intensiv gearbeitet hat. Es ist das Thema Palästina. Ich glaube, dass wir ohne eine andere Politik der Europäischen Union in der palästinensischen Frage sowie hinsichtlich vieler von Michel Rocard mit Recht erhobenen Forderungen nicht weiterkommen werden.

Meine Fraktion hat heute einstimmig beschlossen, Kommission und Rat aufzufordern, ihre Palästina-Politik grundsätzlich zu ändern. Die Politik der Europäischen Union – vertreten durch Rat und Kommission – ist unhaltbar, zynisch und für die arabische Bevölkerung inakzeptabel. Einige Regierungen mögen dies vielleicht akzeptieren, doch die Bevölkerung der arabischen Länder kann nicht gutheißen, was wir derzeit an Politik gegenüber der palästinensischen Regierung betreiben.

Wir haben freie Wahlen gefordert: Es haben freie und faire Wahlen stattgefunden – Véronique De Keyser ist die Hauptzeugin dafür. Dann haben wir gesagt, dass wir das Resultat nicht akzeptieren können. Sehr demokratisch! Dann haben wir gesagt: Bildet wenigstens eine Einheitsregierung! Eine Einheitsregierung ist gebildet worden. Und Ihr müsst Euch klar zum Friedensprozess und zu den Grenzen von 1967 bekennen! Die heutige palästinensische Regierung bekennt sich zu den Grenzen von 1967. Israel bekennt sich nicht dazu, aber das ist kein Problem für uns.

Noch immer weigern sich viele unserer Funktionäre etwa, den palästinensischen Außenminister zu empfangen, wie kürzlich die Ratsvorsitzende. Es geht nicht an, dass die Ratsvorsitzende, Frau Merkel, erklärt, den israelischen Außenminister empfange ich, aber den Außenminister Palästinas, der nichts mit der Hamas zu tun hat, empfange ich nicht, das ist unter meiner Würde.

Daher verlangen wir angesichts der konkreten Situation in Palästina von Rat und Kommission eine drastische Änderung ihrer Haltung. Mag sein, dass einzelne Mitglieder von Rat und Kommission anders denken. Nur die Politik ist falsch und zynisch. Wissen denn die Damen und Herren, wie es in Palästina aussieht? Wissen die Damen und Herren, dass unsere Politik dazu führt, dass Palästina in einem Chaos versinkt, dass Mafia-Gruppen die Macht übernehmen? Wissen die Damen und Herren, dass eine Fortsetzung dieser Politik der beste Beitrag zur Unsicherheit Israels ist?

Daher müssen wir gerade im Zusammenhang mit diesem Bericht, aber auch im Zusammenhang mit der Sicherheit Israels – die Sicherheit Israels ist mit der Sicherheit der arabischen Länder und der Sicherheit Europas eng verbunden – zu einer anderen Haltung kommen, indem wir den Versuch unternehmen, mit der palästinensischen Regierung, die aufgrund der von uns verlangten Wahlen zustande gekommen ist, wirklich zusammenzuarbeiten, wenn diese palästinensische Regierung zumindest genauso wie Israel bereit ist, den Friedensprozess zu unterstützen. Dies wollte ich zu Beginn der Debatte über einen sehr guten Bericht sagen, der jedoch Gefahr läuft, nicht umgesetzt werden zu können, wenn wir unsere Politik für Palästina und gegenüber der palästinensischen Regierung nicht ändern.

 
  
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  Marco Cappato, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Rocard beglückwünschen, dessen Bericht seinem eigenen Bekunden nach darauf abzielt, Unterstützung für die Einleitung eines Dialogs und einer Debatte anzubieten. Ich glaube jedoch, wenn man eine solche Erklärung abgibt, muss zuerst klargestellt werden – weil das eine Sache ist, die uns und unsere Politik in der Europäischen Union betrifft –, dass wir diesen Dialog und diese Debatte nicht mit den Staaten, sondern mit der Bevölkerung, mit den Bürgern einleiten wollen.

Dies gilt umso mehr, wenn wir von hauptsächlich kulturellen – und somit auch politischen und institutionellen – Bemühungen sprechen, denn in diesem Fall müssen die Gespräche zuerst mit den Bürgern und später dann mit der Arabischen Liga und einzelnen Staaten geführt werden, nicht zuletzt, weil ich glaube, dass zwei der größten Probleme der arabischen Welt – Nationalismus und Fundamentalismus – inzwischen auch unsere europäischen Städte betreffen, die unter demografischen Gesichtspunkten ebenfalls immer mehr zu Städten der arabischen Welt werden. Deshalb müssen diese Probleme von der Europäischen Union selbst in Angriff genommen werden. Diese Situation tangiert auch unsere institutionellen Systeme und die Art und Weise, wie Religion innerhalb der Europäischen Union wahrgenommen wird.

Es besteht kein Zweifel, dass es islamischen Fundamentalismus gibt. Wir haben uns erlaubt, diesbezüglich zwei Änderungsanträge zur Frage der Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und zur Trennung der politischen Macht von den religiösen Autoritäten einzubringen. Ich glaube nicht, dass das eine Provokation ist. Lassen sie mich in der mir verbleibenden Redezeit nur noch hervorheben, dass wir z. B., als wir zusammen mit anderen Kollegen wegen der Homosexuellen-Parade in Jerusalem waren, beobachteten, dass sich in den bisweilen gewalttätigen Demonstrationen, deren Ziel es war, die Durchführung der Parade zu verhindern, jüdisch-orthodoxe Fundamentalisten, islamische Fundamentalisten und christliche Fundamentalisten zusammentaten. Das ist demnach ein Thema, das auch uns angeht, und das ist der Sinn, der sich hinter den Änderungsanträgen verbirgt, von denen ich hoffe, dass sie angenommen werden.

 
  
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  Mario Borghezio, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die in diesem Bericht bekundeten guten Absichten ebnen einen Weg, der meiner Befürchtung nach in die falsche Richtung führen könnte. Beispielsweise können die Zugeständnisse, oder sogar das Liebäugeln mit der Perspektive des Panarabismus, zu dem führen, was mein Vorredner zu Recht als eine Gefahr herausgestellt hat: den arabischen Nationalismus. Ich für meinen Teil würde dem nicht so wohlwollend und ruhig entgegensehen.

Mich begeistert es keineswegs, dass wir hinter diesem Dialogangebot die Pläne für etwas erkennen können, was ein einflussreicher arabischer Intellektueller argwöhnisch als „Projekt Eurabien“ bezeichnete, ein Ausdruck, der später sehr wirkungsvoll von der italienischen Schriftstellerin Oriana Fallaci übernommen wurde. Doch was mich in dem Bericht am meisten beunruhigt ist die Art und Weise, in der Verwunderung über die Arabische Charta der Menschenrechte zum Ausdruck gebracht und festgestellt wird, dass einige der Bestimmungen der Charta so formuliert sind, dass sie beliebig interpretiert werden können. Daran gibt es doch herzlich wenig beliebig zu interpretieren! Die islamische Menschenrechtscharta ist sehr deutlich: Darin wird betont, dass die Menschenrechte für die Moslems der Scharia unterworfen sind. Das wird in der Präambel und in allen anschließenden Artikeln klar und deutlich erklärt.

Für die arabischen Länder, die diese Charta – die Menschenrechtscharta von 1948, auf die wir uns beziehen – unterzeichnet haben, gilt die Charta nur insoweit sie mit Allahs Geboten im Einklang steht. Anders als in dem Bericht ausgesagt wird, müssen wir indessen nicht nur der Bevölkerung, sondern auch den arabischen Regierungen, mit denen wir Gespräche führen – obwohl nicht klar ist, mit welcher Begeisterung sie den sehr optimistisch dargestellten Barcelona-Prozess angehen und unterstützen, da sie nicht an den Tagungen teilnehmen –, deutlich machen, dass religiöse Gebote eine Sache sind, Gesetze jedoch eine andere und der Grundsatz der Gewissensfreiheit noch eine andere. Die Charta der Menschenrechte beruht nämlich auf dem philosophischen Prinzip der Trennung zwischen Gesetzen und geistlichen und religiösen Geboten.

Das ist ein Konzept, das ganz klar bekräftigt werden muss, andernfalls wird Europa weiterhin so tun, als sähe es keine ernsten Gefahren, wie zum Beispiel die von Hamas ausgestrahlten Fernsehprogramme, in denen Mickey Mouse die arabischen Kinder über den Kampf gegen den Terrorismus, den Kampf gegen Israel und das Opfer, das die Selbstmordattentäter bringen, belehrt. Das ist es, was die Völker der arabischen Welt sehen.

 
  
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  Caroline Lucas, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Auch ich muss Herrn Rocard um Entschuldigung bitten, dass ich mich auf ein Thema – Palästina – konzentriere. Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass wir, solange die EU ihren derzeitigen Standpunkt nicht ändert und die nationale Einheitsregierung in Palästina nicht anerkennt, die Chancen für gute Beziehungen zur arabischen Welt untergraben, Armut und Leid in den besetzten Gebieten noch vergrößern, Gefahr laufen, die Palästinensische Autonomiebehörde zu zerstören und mit Sicherheit bereits die Hoffnungen des palästinensischen Volkes zunichte machen.

Wir verhalten uns darüber hinaus völlig inkonsequent und heuchlerisch, weil die Palästinenser, die ich getroffen habe, mich zu Recht fragten: Behauptet die EU nicht, dass Demokratie besser ist als Gewalt? Ja, das tun wir in der Tat. Haben die Wahlbeobachter der EU nicht verkündet, dass die palästinensischen Wahlen frei und gerecht abliefen? Ja, das haben sie. Hat sich die rechtmäßig gewählte Hamas-Regierung nicht dennoch, als sie darum gebeten wurde, zu einer echten Regierung der nationalen Einheit gewandelt? Ja, das hat sie. Hat diese Regierung nicht den drei Forderungen des Quartetts, auf Gewalt zu verzichten, frühere Abkommen einzuhalten und den Staat Israel anzuerkennen, stattgegeben? Ja, das hat sie. Die Palästinenser, mit denen ich gesprochen habe, haben mich das gefragt, und nun frage ich wiederum heute hier den Rat, worauf die EU noch wartet?

Ich bin gerade von dem Besuch einer Delegation dieses Parlaments in Palästina zurückgekommen, bei dem wir mit Ministerpräsident Hanija und vielen seiner Minister zusammentrafen, die alle dieselbe Botschaft verlauten ließen: Sie haben die Forderungen des Quartetts erfüllt, sie akzeptieren eine Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und sind bereit und erpicht auf Friedensverhandlungen. Sie können nicht verstehen, warum die EU nicht reagiert und warum wir beispielsweise darauf bestehen, die Hilfe über den vorläufigen internationalen Mechanismus laufen zu lassen, der zwar einigen der Ärmsten hilft, aber die zunehmende humanitäre und politische Krise nicht aufhalten kann: Er unterminiert den palästinensischen Staatsapparat und seine Autorität und, was besonders bedeutend ist, beraubt die EU ihres Einflusses, den wir auf die israelischen Behörden haben könnten – und sollten –, um dahingehend Druck auf sie auszuüben, dass sie die palästinensischen Steuereinnahmen freigibt, die sie noch immer illegal einbehält. Wir haben den Informationsminister Mustafa Barghouti getroffen, der uns nicht im Unklaren ließ, als er sagte: „Wenn die EU will, dass die Palästinensische Autonomiebehörde zusammenbricht, sollte sie das sagen.“ Sagen wir es rundheraus: Genau dahin führt unsere Politik. Ich bin mir sicher, dass weder wir noch der Rat möchte, dass sie zusammenbricht, weswegen ich den Rat noch einmal frage: Worauf wartet er noch?

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Wenn ich ein palästinensischer Bürger wäre und voller Hoffnung auf die Europäische Union blickte, damit sie mich aus der Sackgasse errettet, in der ich mich befinde, dann würde ich Herrn Swoboda und Frau Caroline Lucas Recht geben und außerordentlich beunruhigt über einige Aspekte des Berichts Rocard sein.

Das erste Problem bei dem Bericht besteht darin, dass er die Strategie aufwertet, die der Europäische Rat und die Europäische Kommission im Nahen Osten verfolgen, die von uns allen verlangen, dass wir nur mit der Hälfte der Abgeordneten der palästinensischen Regierung sprechen und die Tatsache ignorieren, dass diese Regierung aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist, dass sie eine Regierung der nationalen Einheit ist und von 96 % der palästinensischen Bevölkerung unterstützt wird.

Wir haben alle das Ergebnis dieser katastrophalen Politik gesehen. Es gibt eine legitime Regierung auf palästinensischem Territorium, die der Europäische Rat und die Europäische Kommission in Quarantäne gesteckt haben, wodurch sie uns jedwede Möglichkeit nehmen, mit dieser Regierung legitime Gespräche aufzunehmen. Wenn die Union diese entscheidende Kreuzung verpasst, dann wird der Weg, der in die Zukunft führt, sehr schwierig sein.

In einer anderen Ziffer des Berichts wird festgestellt, dass jede Vertiefung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt von der Tatkraft und dem Talent Europas abhängig sei, seine historische Verpflichtung und Verantwortung gegenüber dem Staat Israel und dem jüdischen Volk miteinander in Einklang zu bringen; doch was ist mit seiner historischen Verpflichtung und Verantwortung gegenüber den Palästinensern? Wir müssen damit aufhören, unsere Köpfe in den Sand zu stecken. Es gibt eine rechtmäßige, gewählte Regierung auf palästinensischem Territorium, die wir nicht in die Isolation treiben dürfen und mit der die Europäische Union unverzüglich in einen direkten Dialog treten muss.

 
  
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  Philip Claeys, im Namen der ITS-Fraktion.(NL) Herr Präsident! Der Bericht Rocard enthält zahlreiche positive Punkte. In diesen Zeiten der politischen Korrektheit zeugt es beispielsweise von einem gewissen Mut, offen über ein arabisches Übel zu sprechen. In dem Bericht wird zu Recht eine Reihe neuralgischer Punkte hervorgehoben. Erforderlich sind mehr Demokratie, mehr freie Marktwirtschaft, Achtung der Menschenrechte, Gleichbehandlung für Frauen, während es Nichtmuslimen möglich sein muss, ihre Religion frei zu praktizieren.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist hier absolut angebracht, und es ist richtig, dies in dem Bericht ausdrücklich zu erwähnen. Die Europäische Union kann und muss bei der Förderung dieser Grundsätze in der arabischen Welt eine wichtige Rolle spielen. Ob es Früchte tragen wird, ist eine andere Sache, aber wir sollten zumindest den Versuch unternehmen.

In dem Bericht heißt es – und ich zitiere –, dass die Verwestlichung der arabischen Gesellschaft nicht der geeignetste Weg ist, die notwendigen Reformen herbeizuführen ist. Damit kann ich konform gehen, doch möchte ich betonen, dass die Arabisierung oder Islamisierung Europas ebenso wenig eine Option sein sollte. Als Folge der Demonstrationen aufgrund der dänischen Karikaturen mussten wir beispielsweise feststellen, dass einige wesentliche Freiheiten wie das Recht auf freie Meinungsäußerung auch in Europa unter Druck geraten sind. Die Reaktion der Europäischen Union darauf war etwas – um nicht zu sagen sehr – schwach. Lassen Sie mich daher in aller Ruhe und Gelassenheit bemerken, dass unsere Freiheiten und das Recht, in Europa und in allen Mitgliedstaaten unsere Identität zu wahren, unangetastet bleiben müssen.

 
  
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  Francisco José Millán Mon (PPE-DE).(ES) Herr Präsident! Es ist keine leichte Aufgabe, einen Bericht über die Reformen in der arabischen Welt zu erarbeiten, da sie sich aus einer recht heterogenen Gruppe von Ländern zusammensetzt.

Einigkeit besteht jedoch in der Notwendigkeit von Reformen in den arabischen Ländern, eine Auffassung, die sich schon im Titel des Berichts widerspiegelt. Auch die arabischen Führer sind auf dem Gipfel von Tunis 2004 zu diesem Schluss gekommen. Und der jüngste Gipfel von Riad drängte ebenfalls auf Modernisierung, obwohl ich feststelle, dass sein Text weniger Nachdruck auf den Reformgedanken legt.

Die arabischen Länder stehen vor einer Reihe von Herausforderungen, die sie mithilfe substanzieller Verbesserungen auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet bewältigen müssen. Das bedeutet Reformen, die zur Demokratie und einer größeren Achtung der Menschenrechte führen, denn diese hat der Westen nicht für sich gepachtet, sondern sie tragen universellen Charakter.

In vielen Fällen wird zur Demokratisierung die Aufgabe gehören, die gemäßigten islamischen Strömungen, die gegen Gewaltanwendung sind, in das politische Leben einzubinden.

Auch wirtschaftliche und soziale Reformen sind notwendig. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Präsenz des Staates zu ausgeprägt, die Beteiligung am Welthandel gering und die Diversifizierung der Wirtschaften minimal. Allgemein weisen die meisten dieser Länder ein niedriges wirtschaftliches Entwicklungsniveau und geringe Wachstumsraten auf, die keine Möglichkeit bieten, für die schnell wachsende Bevölkerung Arbeitsplätze zu schaffen. Die hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven führen zu sozialer Unzufriedenheit, aus der sich die radikalen politischen Kräfte nähren.

Für die Europäische Union sind Stabilität und Wohlstand der arabischen Länder sehr wichtig. Wir brauchen mit ihnen gute Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil; wir müssen die Bedeutung ihrer Erdöl- und Erdgasvorkommen für die Europäische Union, die einen großen Teil ihrer Energieressourcen von außen importiert, in Betracht ziehen. Zudem haben einige Mitgliedstaaten arabische Länder zum Nachbarn, und viele arabische Bürgerinnen und Bürger leben in unseren Städten.

Ferner hat sich in den letzten Jahren eine äußerst ernste Bedrohung durch den Terrorismus der Djihadisten herausgebildet, der sich gegen unsere Länder und auch die moslemischen Staaten selbst wendet.

Kurz, es gibt viele Gebiete, auf denen wir zusammenarbeiten müssen. Es gilt auch, sie zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen zu ermuntern und ihnen bei deren Umsetzung zu helfen. Die Aufrechterhaltung des Status quo ist – wie der Bericht selbst erklärt – langfristig keine Garantie für Stabilität, ganz im Gegenteil.

 
  
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  Véronique De Keyser (PSE) . – (FR) Herr Präsident! Beim Lesen dieses Berichts haben einige gesagt, dass er merkwürdig sei. Er ist merkwürdig, da er die regionale und internationale Politik in diesem Teil der Welt, die im Mittleren Osten grassierenden Konflikte, den Terrorismus, den Radikalislamismus und die illegale Einwanderung gar nicht oder in nur geringem Umfang erwähnt. Er äußert sich ebenso wenig zur kolonialen Vergangenheit gewisser Großmächte und zum Einfluss, den diese weiterhin ausüben möchten. Wozu also dient dieser wohlwollende Bericht, der übrigens ein echtes Gegenmittel gegen die Mohammed-Karikaturen ist?

Zunächst ist dies kein wohlwollender Bericht, sondern eine mutige Stellungnahme und eine starke Botschaft des Vertrauens in das demokratische Potenzial der arabischen Welt, in die Vielfalt ihrer nichtstaatlichen Akteure, in die Kraft ihrer Zivilgesellschaft und in ihre Kultur. Er verdeutlicht die Rolle, die Europa einnehmen muss: lokale, endogene demokratische Prozesse stärken und fördern, die Bedeutung der Menschenrechte hervorheben, ohne sich selbst jemals als herrschende Macht aufzudrängen.

Diese Botschaft mag banal erscheinen. Sie ist jedoch von wesentlicher Bedeutung für eine echte Allianz der Zivilisationen, da sie die arabische Welt letztendlich zu einem Partner für den Frieden, zu einem Partner für die Entwicklung und die Kultur werden lässt. Viele Berichte, die von diesem Europäischen Parlament ausgegangen sind, beschreiben die Bedrohungen, die für uns aus dem Orient kommen. Michel Rocard hat sich dafür entschieden, die Gründe zur Hoffnung aufzuzeigen, und ich danke ihm dafür.

Es gibt dennoch ein Thema, das Michel Rocard nicht vollständig abgehandelt hat. Der Bericht verweist zu Recht auf die Verantwortung Europas gegenüber Israel und dessen Sicherheit. Wir übernehmen diese Verantwortung und werden sie auch weiterhin übernehmen, allerdings muss sie untrennbar mit unserer Verantwortung gegenüber Palästina verbunden sein, das gegenwärtig eine beispiellose Krise durchlebt. Wir dürfen niemals den Einen dem Anderen opfern. Die Balfour-Erklärung von 1917 verwies bereits darauf, dass durch „die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina die Rechte der nicht-jüdischen Gemeinschaften in Palästina nicht beeinträchtigt werden dürfen“. Wo sind wir heute, ein Jahrhundert nach dieser Erklärung?

Deshalb unterstütze und befürworte ich mit Nachdruck die Forderung nicht nur der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, sondern auch all jener, die sich heute Abend geäußert haben, um uns zu sagen: Wir müssen die Sanktionen gegen Palästina aufheben, wir müssen mit seiner Regierung der Nationalen Einheit verhandeln, die die arabische Friedensinitiative akzeptiert, die auch eine sichere Garantie für die Sicherheit Israels gegenüber der arabischen Welt darstellt. Dies ist ein gewaltiger Schritt nach vorn, der Grund zur Hoffnung gibt. Und diese Hoffnung erhebt sich für all jene, die beiderseits der Grenze von 1967 noch an die internationale Gerechtigkeit glauben und die Hoffnung nicht aufgeben wollen.

Was also werden wir in Europa im Namen dieser Werte, im Namen dieser aufrechten Menschen beiderseits der Grenze tun? Warten? Ich sage es Ihnen, meine Damen und Herren, und ich sage es dem Rat und der Kommission: Lassen Sie uns nicht länger warten! Morgen wird es zu spät sein, und wir werden die erdrückende Schuld dafür tragen.

 
  
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  Luisa Morgantini (GUE/NGL). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will nicht über Palästina sprechen, weil ich den Standpunkt von Herrn Swoboda, Herrn Triantaphyllides, Frau Lucas und Frau De Keyser vollkommen teile; deshalb werde ich mir diesmal meine Bemerkungen über Palästina sparen.

Vielmehr möchte ich Herrn Rocard danken, dass er einen Bericht ausgearbeitet hat, der viele wichtige Elemente enthält – und hoffnungsvoll stimmt, wie Frau De Keyser sagte. Zu diesen Elementen gehört auch die Feststellung, dass viele arabische Intellektuelle eine klare Analyse der Missstände in der arabischen Welt vorgenommen haben. Ich bin allerdings der Ansicht, dass der Bericht Rocard eine klare Analyse der Missstände in der europäischen Gesellschaft vermissen lässt, und zwar nicht nur im Hinblick auf die notwendigen Reformen in der arabischen Welt, sondern auch in Bezug auf unsere Politik.

Die von Herrn Rocard selbst eingebrachten Änderungsanträge enthalten einige Korrekturen, die ich vollkommen unterstütze, obwohl ich glaube, dass wir nicht über Reformen in der arabischen Welt sprechen können, ohne die Tragödien zu berücksichtigen, die zwar nicht durch die europäische Politik, jedoch z. B. durch den Krieg im Irak und das Fehlen einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts verursacht wurden. Deshalb sollten wir meiner Auffassung nach auch damit beginnen, Kritik daran zu üben, wie verheerend und hemmend unsere Politik im Irak war, indem sie beispielsweise einen Reformprozess verhindert hat, der nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch für uns unerlässlich ist, wenn es darum geht, unsere Politik zu verändern.

 
  
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  Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Danke, Herr Präsident! Der Gegenstand der Reform in der arabischen Welt ist außerordentlich komplex. Man braucht nur Herrn Rockars Bericht zu lesen, um diese Komplexität zu begreifen. Der Berichterstatter stellt faktisch die Frage, ob es überhaupt eine arabische Gemeinschaft als solche gibt und weist darauf hin, dass es einen Grund hat, warum wir von der arabischen Welt, nicht aber von der arabischen Nation oder der arabischen Union sprechen. Das heißt eindeutig, dass wir, ehe wir über die arabische Welt diskutieren und Lösungen anbieten, ein besseres Verständnis brauchen. Deshalb ist es notwendig, nicht von oben herab zu sprechen, wenn wir von Reformen in der arabischen Welt reden, und nicht Lösungen diktieren, als seien wir besser informiert als jeder andere. Zweifellos sind Reformen notwendig, um die arabischen Länder in die Lage zu versetzen, größeren Vorteil aus dem Prozess der Modernisierung und Globalisierung zu ziehen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Erfahrungen anzubieten, die wir in unserer Union gesammelt haben, und im Geist der Partnerschaft zwischen zwei gleichen Parteien unsere Unterstützung zu gewähren. Wir dürfen kein Umfeld schaffen, in dem wir anderen vorschreiben, was sie tun sollten.

Der Barcelona-Prozess ist auf Partnerschaft angelegt, aber wie wir alle wissen, haben wir nun eine Situation, in der die Europäische Union diktierte, was zu geschehen hat und wann und wie es zu geschehen hat. Auch müssen wir unsere Gesprächspartner in der arabischen Welt wie die Arabische Liga besser nutzen, die trotz ihrer eigenen Probleme genügend Glaubwürdigkeit erlangt hat, um der arabischen Welt eine Stimme zu verleihen. Malta hat die Initiative ergriffen und einen strukturierten Dialog zwischen der Europäischen Union und der Arabischen Liga vorgeschlagen, einen Dialog, der zum Ziel hat, das Thema der Reformen in Angriff zu nehmen, die auf beiden Seiten des Mittelmeers durchgeführt werden müssen. Dies ist eine gute Initiative, eine, die in der Arabischen Liga gut aufgenommen worden ist, und ich hoffe, dass sowohl der Ministerrat als auch der Herr Kommissar sie unterstützen können. Ich danke Ihnen.

 
  
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  Libor Rouček (PSE).(CS) Ich möchte Herrn Rocard zu seinem herausragenden Bericht beglückwünschen, der nach meiner Ansicht sowohl für die arabische Welt als auch für Europa dringend benötigt wird. Wie nötig er ist, kann man meines Erachtens daran ermessen, wie in den letzten Jahren die arabische und islamische Welt in gewisser Weise mit Scheuklappen, nur unter dem Blickwinkel der Bekämpfung des Terrorismus, gesehen wurde, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa.

In den europäisch-arabischen Beziehungen darf nicht nur die Bekämpfung des Terrorismus eine Rolle spielen, sondern es müssen auch Themen wie wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Beschäftigung, die verantwortungsvolle Staatsführung, die Stärkung der Zivilgesellschaft, der Bereich Menschenrechte sowie ein Austausch und Dialog zwischen Glaubensrichtungen Berücksichtigung finden. Die europäisch-arabischen Beziehungen sollten von einem wirklichen Dialog getragen werden, den beide Seiten auf Augenhöhe führen, ohne dass Überlegenheits- oder Minderwertigkeitsgefühle entstehen.

Der Dialog und die Partnerschaft mit der EU könnten meines Erachtens stärker auf die Zusammenarbeit mit der arabischen Welt insgesamt ausgerichtet sein. Mit anderen Worten, zusätzlich zu den bilateralen Beziehungen sollten wir uns auch bestimmten Organisationen zuwenden, von denen einige ja bereits genannt wurden, beispielsweise die Liga der Arabischen Staaten, der Golf-Kooperationsrat und die Union des arabischen Maghreb.

Weil wir uns hier im Europäischen Parlament befinden, möchte ich abschließend auch auf die wichtige Funktion der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer (EMPA) als demokratische Institution hinweisen, die Parlamentsabgeordnete von beiden Seiten des Mittelmeers zusammenführt. Die EMPA sollte meiner Meinung nach eine wesentlich größere Rolle spielen, auch im Bemühen um eine Lösung des arabisch-israelischen Konflikts.

 
  
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  Pierre Schapira (PSE) . – (FR) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich Herrn Rocard für diesen Bericht, in dem die ausschließlich bilateralen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt sehr objektiv darlegt werden, danken. Gefordert wird darin jedoch besonders ein neuartiger Dialog, der die Problematik der Entwicklung und der verantwortungsvollen Staatsführung einbeziehen muss. Auf dieses Thema möchte ich zurückkommen.

In ihrer Entwicklungspolitik hat die Europäische Union die arabische Welt in zwei Teile untergliedert: in den Mittelmeerraum und den Kaukasus als so genanntes Nachbarschaftsgebiet, und in den Nahen Osten, der unter die Entwicklungspolitik fällt. Durch diese künstliche Unterscheidung ist ein ausgewogenerer globaler Ansatz, der grundlegende Reformen gestatten würde, unmöglich.

Was die Frage der Governance anbelangt, so unterstreicht Michel Rocard den partnerschaftlichen Ansatz und die Rolle der Zivilgesellschaft. Dies ist eine neuartige Sichtweise, bei der – und deshalb gehe ich darauf ein – die Rolle der lokalen Behörden berücksichtigt werden muss. Tatsächlich hat sich in der arabischen Welt zwischen den Städten ein sehr dichtes Netz der Zusammenarbeit im Rahmen einer Organisation der arabischen Städte entwickelt, die wiederum einer größeren Organisation, der Weltorganisation der Städte und Gemeinden, angehört und in der die miteinander kooperierenden palästinensischen Städte und israelischen Städte vereint sind. Es laufen dort Zusammenarbeitsprojekte für den Frieden, für den kulturellen und religiösen Austausch, für die Menschenrechte und für den Kampf gegen jegliche Art von Diskriminierung.

Diese transnationalen Aktivitäten sind Ausdruck einer Beziehung zwischen Europa und der arabischen Welt auf subnationaler Ebene, der Ebene der sich herausbildenden Zivilgesellschaften. Zudem bieten diese weitaus umfassendere Analysestrukturen als jene, die uns nach dem 11. September zur Bekämpfung des Terrorismus auferlegt worden sind.

 
  
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  Richard Howitt (PSE).(EN) Herr Präsident! Ich möchte meinem verehrten Kollegen Michel Rocard zu seinem Bericht gratulieren. Wie er betont, kann die einzige gültige Antwort in Bezug auf unseren Wunsch nach Reformen in der arabischen Welt nur allumfassend sein und auf gemeinsamen Werten basieren – was bei den Gesprächen über die Terrorismusbekämpfung nur allzu oft nicht zur Sprache kommt.

Wie mehrere sozialdemokratische Kollegen bereits sagten, müssen wir bei der Suche nach einer friedlichen und langfristigen Lösung der Probleme des Konflikts, nicht zuletzt zwischen den Israelis und Palästinensern, echte Fortschritte machen. Lassen Sie mich jedoch betonen, dass es absolut unerlässlich ist, die Auswirkungen jedweder direkter oder indirekter Unterstützung des Autoritarismus in der Region seitens der EU oder unserer Mitgliedstaaten zu begrenzen. Die Beziehungen zwischen den europäischen Sicherheitsdiensten und ihrem Gegenüber müssen neu bewertet werden, wobei zu gewährleisten ist, dass sie weiterhin zusammenarbeiten, um gemeinsame Gefahren, einschließlich des Terrorismus, zu bekämpfen, und dass sämtliche Maßnahmen eindeutig mit den internationalen Menschenrechtsnormen, so auch den Bestimmungen zur Folter, übereinstimmen. Es muss strengere Kontrollen der Transfers von Waffen oder militärischen Geräten in die Region geben, um sicherzustellen, dass diese nicht für interne Repressalien oder Angriffe nach außen benutzt werden. In allen Außenhilfeprogrammen der EU muss die Bereitstellung von Hilfe für Länder in der Region weiter neu beurteilt werden, um die Entwicklung und wirtschaftliche Gerechtigkeit zu fördern und die Reformer im Reformprozess zu unterstützen.

 
  
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  Michel Rocard (PSE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident, Herr Gloser, Herr Verheugen! In nur zwei Minuten werde ich nicht allen antworten können.

Zunächst möchte ich die Bedeutung des Problems unterstreichen, die vier unserer Redner dazu bewogen hat, nicht direkt zum Thema zu sprechen, sondern darauf zu verweisen, dass diesem Thema der ungelöste dramatische Konflikt zwischen Israel und Palästina, die Nichtanerkennung der neuen palästinensischen Regierung und die verschiedenen von uns verursachten Hindernisse zugrunde liegen und gute Beziehungen zwischen Europa und der arabischen Welt verhindern. Sie haben Recht. Dies war jedoch nicht mein Thema. Ich möchte diesen Standpunkt nachdrücklich unterstützen. Bei anderen Gelegenheiten habe ich ihn des Öfteren vertreten. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass darin der Schlüssel liegt.

Ich möchte ebenfalls das große Verständnis für den Ansatz des Berichts würdigen, das sowohl in der Rede von Herrn Gloser als auch von Herrn Verheugen zum Ausdruck kam, und glaube nicht, dass sein Nachfolger eine andere Meinung dazu haben wird: Es gibt eine Übereinstimmung der Auffassungen zwischen dem Ansatz des Parlaments, das ich hier vertrete, und der Wahrnehmung sowohl im Ministerrat als auch in der Kommission. Für mich ist dies außerordentlich wichtig.

Unseren Abgeordneten auf den verschiedenen Bänken möchte ich lediglich sagen, dass mir der Beitrag von Herrn Busuttil, der den Gedanken der Partnerschaft aufgreift, wichtig erscheint. Meiner Meinung nach betont Herr Cappato zu Recht, dass wir durch all diese Bemühungen mit den Zivilgesellschaften und letztendlich natürlich mit den einzelnen Personen ins Gespräch kommen wollen. Allerdings können wir nicht einzelne Personen ansprechen, wir müssen dies über die Institutionen, über die Medien usw. tun, und dies ist die Absicht dieses Berichts.

Herr Tajani legte besonderen Wert auf die Gegenseitigkeit. Auch ich bin besorgt um die Gegenseitigkeit. Ich möchte darauf verweisen, dass die Klugheit unseres Vorgehens von unserer Fähigkeit abhängen wird, die Gegenseitigkeit dem unterschiedlichen Stand der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung anzupassen. Es geht genau darum, einen Prozess zu unterstützen, der die arabischen Länder den Werten unserer Demokratien näher bringen soll, ohne Heuchelei, ohne ihnen vorzuwerfen, dass sie diese Werte nicht bereits zu Beginn des Prozesses teilen. Dies bringt mich dazu, und Herr Cappato weiß das sehr gut, bestimmte Änderungsanträge aufzuschieben, nicht, weil ich mit gewissen Kritiken nicht einverstanden wäre, sondern weil ich eher der Meinung bin, dass es nicht zweckmäßig wäre, sie heute anzubringen, zu einem Zeitpunkt, da wir einen Prozess der ausgestreckten Hand in Gang bringen, um Menschen zu helfen, die in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte noch lange nicht so weit sind wie wir.

Ein Prozess der Unterstützung setzt nicht voraus, dass das Problem im Voraus gelöst ist. Wir werden unsere Anforderungen nicht erhöhen. In diesem Sinne wäre ich sogar versucht, Sie aufzufordern, gegen einen Änderungsantrag meiner eigenen Fraktion zu stimmen. Wir haben uns dazu ausführlich geäußert. In Bezug auf einige unumstößliche Grundsätze, für die ich seit fünfzig Jahren eintrete, zeigt sich meine Fraktion unflexibel. In dieser Sache müssen wir maßvoller vorgehen. Ich schlage vor, bei unseren diplomatischen Beziehungen Feingefühl walten zu lassen. In der Politik ist Feingefühl zwar selten, trotzdem möchte ich dazu anregen.

(Heiterkeit)

 
  
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  Günter Gloser, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur auf einige Punkte eingehen: Was haben wir denn eigentlich für eine andere Alternative als einen Dialog mit unseren Nachbarn?

Die Europäische Union hat in den letzten Jahren eine breite Palette an Maßnahmen festgelegt, und zwar nicht einseitig, sondern in Kooperation mit vielen arabischen Ländern. Die Stichworte sind genannt worden: der Barcelona-Prozess beispielsweise, aber auch der derzeitige Ausbau der Nachbarschaftspolitik. Trotzdem stellen wir unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Ländern fest.

Wer hätte etwa gedacht, dass der König von Marokko eine Wahrheitskommission einsetzt, die versucht aufzuarbeiten, was in der Vergangenheit an Verbrechen begangen worden ist? Natürlich erfüllt dieser Untersuchungsausschuss nie die Kriterien, die wir in den europäischen Mitgliedstaaten an Untersuchungsausschüsse knüpfen. Oder wer hätte gedacht, dass in bestimmten Ländern weit weg von uns das Wahlrecht ausgebaut wird?

Es ist viel geschehen, doch müssen wir feststellen, dass wir in bestimmten Punkten mehr erreicht hätten. Die Bevölkerung in den arabischen Ländern hätte sich auch erhofft, stärker an wirtschaftlichen Entwicklungen teilhaben zu können als dies der Fall ist. Aber es gibt keine andere Alternative als den Dialog, als das Gespräch.

Wenn Sie, Herr Rocard, davon sprachen, dass wir eine Strategie entwickeln müssen, dann kann dies immer nur zusammen mit den arabischen Ländern funktionieren. Möglicherweise unterscheidet sich die Strategie gegenüber einem bestimmten Land von der Strategie gegenüber einem Land, das zu den Golfstaaten gehört. Wichtig ist aber auch festzustellen, dass die Arabische Liga wieder an Stärke gewonnen hat. Es wird oft auf die Europäische Union geschaut, auf den Zusammenschluss europäischer Staaten. Die Arabische Liga hat jedoch keine solche Klammerfunktion, sondern man denkt oft sehr national und will alles für sich regeln. Doch mittlerweile hat man festgestellt, dass gerade bei der Lösung von Konflikten ein Zusammenschluss besser ist, um auch seine Interessen entsprechend besser durchsetzen zu können.

Ich möchte noch auf die verschiedenen Äußerungen in der Debatte in Bezug auf den Konflikt Israel-Palästina eingehen. Natürlich ist mir klar, dass viele der Gespräche, der Dialogforen, oft beeinträchtigt sind durch den ungelösten Konflikt zwischen Israel und Palästina. Aber ich sage auch ganz bewusst: Manches Problem in den arabischen Ländern hätte auch gelöst werden können, ohne dass zuvor dieser Konflikt beigelegt wird.

Bei der ganzen Debatte – auch mit Blick auf die Äußerungen des Kollegen Swoboda und anderer – sollten wir allerdings die Chronik der Entwicklungen beachten. Wir haben nie davon gesprochen, dass die Wahlen in den palästinensischen Gebieten unfair gewesen waren. Im Gegenteil! Sie sind, wie wir feststellen konnten, fairer abgelaufen als in manchen anderen Ländern. Aber ein wichtiger Aspekt war doch auch, dass die neu gewählte Regierung nicht erklärt hat, dass sie die von der Vorgängerregierung eingegangenen Verpflichtungen einhält – zumindest nicht zu Beginn, Herr Swoboda, sondern stufenweise, und jetzt erst eigentlich auch durch die Initiative von Saudi-Arabien!

Vielen arabischen Staaten ist es gelungen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.

Weil das gelegentlich verwischt wird und damit Sie mir am Ende des Prozesses keinen Vorwurf machen, sage ich ganz klar, dass in der Zeit der Blockade die Europäische Union – die für die Außenbeziehungen zuständige Kommissarin, Frau Ferrero-Waldner, hat das immer deutlich gemacht – eine große finanzielle Unterstützung für die Palästinenser geleistet hat. Die Beträge, die ausbezahlt wurden, waren oftmals höher als in der Zeit, als die so genannte Blockade noch nicht bestand.

Uns muss jetzt daran gelegen sein, dass wir mit der Arabischen Liga und natürlich mit den beiden Akteuren Israel und Palästina in der Wiederbelebung des Friedensprozesses – die auch ein Verdienst der Europäischen Union und des Nahostquartetts ist – Fortschritte erzielen und das erreichen, was wir heute gefordert haben.

 
  
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  Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. (FR) Herr Präsident! Ich möchte lediglich dem Parlament und vor allem seinem Berichterstatter, Herrn Rocard, für die Arbeit zu einem für uns alle so wichtigen Thema danken. Ich werde Herrn Verheugen, der den Standpunkt der Kommission dargelegt hat, über die Qualität der Aussprache, an der ich an seiner Stelle teilnehmen durfte, berichten. Aus meiner Sicht gereicht es dem Parlament zur Ehre, wenn es sich zu einem so wichtigen Thema Gedanken macht. Ich möchte natürlich der deutschen Ratspräsidentschaft Anerkennung zollen und hoffe, dass es dieser Bericht ermöglichen wird, diese Strategie des Friedens, die wir alle so dringend brauchen, zu erarbeiten.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 11.00 Uhr statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Eija-Riitta Korhola (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Herr Präsident! Ich denke, dass der Bericht von Herrn Rocard recht beachtenswert ist: Er betont die Tatsache, dass die Rolle der Union darin besteht, die arabischen Länder bei ihren Reformbemühungen zu ermutigen und zu unterstützen. Diese Rolle erfordert einen aktiven interkulturellen Dialog.

Wir müssen unsere Aufmerksamkeit darauf richten, was die Grundlage dieses Dialogs sein sollte. In dem Bericht heißt es, „dass sich die Wiederbelebung des interkulturellen Dialogs über das Bekenntnis zu einem gemeinsamen und universellen Fundament humanistischer Werte vollzieht, das über Dogmen und den Kommunitarismus hinausgeht“. Dieses Fundament sollte nicht als eine rein säkulare Grundlage verstanden werden, die in der Tat kulturelle Spannungen ausweiten könnte.

Eine liberalisierte Gesellschaft stellt eine Mischung aus zwei Denkweisen dar: eines ethischen Pluralismus und eines kulturellen Relativismus, den man auch als säkularen Relativismus bezeichnen könnte.

Während der Relativismus auf der Annahme beruht, dass es keine religiöse Wahrheit gibt, behauptet der pluralistische Ansatz lediglich, dass wir mit verstandesmäßigen Mitteln nicht in der Lage sind, Konsens darüber zu erzielen. Relativismus besagt daher, dass Werte- und Glaubenssysteme vollständig aus politischen Entscheidungen herausgelassen werden müssen.

Der Pluralismus strebt seinerseits einen Dialog über Werte an, und er vertritt die Ansicht, dass man versuchen muss, die unterschiedlichen Werte- und Glaubenssysteme bei der Entscheidungsfindung zu verstehen, aus dem einfachen Grund, da sie ein wichtiger Teil des menschlichen Lebens sind. Man muss begreifen, dass ein solcher Dialog nicht nur Verständnis und Interaktion, sondern auch Kritik möglich macht.

Der Relativismus führt in der Tat zu einer Zunahme der Spannungen, weil er den schwierigen Problemen ausweicht und sie übergeht. Der Pluralismus kann dazu beitragen, Spannungen abzubauen, da er von Grund auf die menschlichen Werte und ihre Unterschiede berücksichtigt.

Religion verursacht nicht notwendigerweise Spannungen, stellt also nicht zwingend ein Problem dar. Sie kann auch Teil der Lösung sein.

 
  
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  Glyn Ford (PSE), schriftlich. – (EN) Ich werde diesen Bericht über die EU-Strategie für die arabische Welt unterstützen. Obwohl auf beiden Seiten des arabisch-israelischen Konflikts Fehler gemacht werden, begrüße ich die Tatsache, dass die EU in diesem Konflikt einen viel ausgeglicheneren Standpunkt vertritt als die Regierung Bush in den USA.

Was wir möglicherweise tun können, wurde vor Kurzem im Hinblick auf den relativ ähnlichen Konflikt in Aceh in Indonesien bewiesen – dem viertgrößten Land der Welt und größten muslimischen Staat. Hier haben die Bemühungen der EU zu einer friedlichen Lösung und einem Friedensprozess geführt, der einen 30 Jahre währenden Bürgerkrieg beendet hat, und zwar zu Kosten, die denen nur einiger weniger Stunden im Irak entsprechen. Dieses Beispiel sollte als Vorbild für künftige Maßnahmen der EU innerhalb unserer aufstrebenden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik dienen.

 

14. Nachrüstung von schweren Lastkraftwagen mit Spiegeln (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Paolo Costa im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Nachrüstung von in der Gemeinschaft zugelassenen schweren Lastkraftwagen mit Spiegeln (KOM(2006)0570 – C6-0332/2006 –2006/0183(COD) (A6-0124/2007).

 
  
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  Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. (FR) Herr Präsident, meinen Damen und Herren! Die Kommission hat am 5. Oktober 2006 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachrüstung von schweren Lastkraftwagen mit Rückspiegeln verabschiedet.

In Europa werden jährlich 400 Personen getötet, weil sie von den Lastwagenfahrern nicht gesehen wurden. Bei den Opfern handelt es sich in der Regel um die schwächeren Verkehrsteilnehmer: Kinder auf Fahrrädern, Fußgänger, Motorradfahrer. Bereits 2003 wurde vom Europäischen Parlament und vom Rat die Richtlinie 2003/97 verabschiedet, die für neu zugelassene Lastkraftwagen bessere Rückspiegel mit einer erheblichen Reduzierung des toten Winkels vorschreibt. Sämtliche ab Januar 2007 neu zugelassenen schweren Lastkraftwagen sind mit diesen Spiegeln ausgerüstet. Dies ist eine sehr gute Maßnahme, was aber geschieht mit den Millionen vorhandener Lastwagen, die nicht über diese Rückspiegel verfügen und die noch viele Jahre auf unseren Straßen unterwegs sein werden und dabei eine erhebliche Gefahr für die Straßenverkehrssicherheit darstellen?

Die Kommission war der Ansicht, dass man nicht 15 bis 20 Jahre warten darf, bis der Lastwagenbestand vollkommen erneuert ist. Wir haben daher vorgeschlagen, alle ab 1998 zugelassenen Lastkraftwagen von über 3,5 Tonnen nachträglich mit den gleichen Rückspiegeln wie neue Lastkraftwagen auszurüsten. Wenn dies aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist, können Alternativlösungen ins Auge gefasst werden. Die Mitgliedstaaten, die bereits Vorkehrungen für die Ausrüstung bestehender Lastkraftwagen mit besseren Rückspiegeln getroffen haben, werden gemäß unserem Vorschlag von den Verpflichtungen der Richtlinie befreit. Schließlich hat die Kommission für die Umsetzung und das Inkrafttreten der Richtlinie relativ kurze Fristen vorgeschlagen, um die Wirksamkeit der Maßnahme zu erhöhen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist klar, dass wir hier über ein Mittel verfügen, mit dem wir es in der Hand haben, Menschenleben zu retten, und wir alle täten Unrecht, wenn wir nicht alles daran setzen würden, um diese Maßnahmen rasch zu verwirklichen. Ich danke dem Parlament für all seine Anstrengungen in diesem Sinne.

 
  
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  Engelbert Lütke Daldrup, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Herr Vizepräsident Barrot, sehr geehrte Damen und Herren! Wir freuen uns sehr, dass wir in einem wichtigen Dossier im Bereich der Straßenverkehrssicherheit — dem Richtlinienvorschlag zur Nachrüstung von Lkw mit verbesserten Seitenspiegeln — im Vorfeld eine Einigung erzielen konnten. Wir möchten uns bei Herrn Costa, dem Berichterstatter für dieses Dossier, und bei seinen Kollegen herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken.

Die Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Personen bis zum Jahr 2010 nach Möglichkeit zu halbieren. Um diesem Ziel näher zu kommen, müssen wir so schnell wie möglich alle sinnvollen Maßnahmen ergreifen.

Die Ausrüstung von Lkw mit verbesserten Spiegeln zur Bekämpfung des Problems des so genannten toten Winkels ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

Mit dem 31. März 2009 als Enddatum für die Nachrüstung der Lkw haben wir den bestmöglichen Kompromiss zwischen den Forderungen nach einer raschen Umsetzung der Richtlinie im Sinne der Verkehrssicherheit und den Bedenken einiger Mitgliedstaaten wegen möglicherweise zu kurzer Fristen für die Nachrüstung gefunden.

Wir bauen auf Ihre Zustimmung bei der morgigen Abstimmung und wollen die Richtlinie dann so schnell wie möglich in einer der nächsten Ratstagungen verabschieden.

 
  
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  Paolo Costa (ALDE), Berichterstatter. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident, meine Damen und Herren! Vor uns liegt eine jener Maßnahmen, die, so unbedeutend sie auch scheinen mögen, einen der vielen positiven Beiträge darstellen, die die Europäische Union jeden Tag leistet, und die unter den Europäern vielleicht besser bekannt gemacht werden sollten.

Die Erörterung des Vorschlags ging meines Erachtens sehr schnell. Kommissar Barrot erinnerte daran, dass die betreffende Vorlage dem Parlament und dem Rat im September 2006 übermittelt wurde, und wir werden zweifelsohne in der Lage sein, das Verfahren schon morgen in erster Lesung, mit anderen Worten, extrem schnell, abzuschließen. In der Tat hatten wir keine Zeit zu verlieren, waren wir uns doch dessen bewusst, dass es uns eine rasche Implementierung ermöglichen würde, jährlich 400 Menschenleben zu retten. Und eben darauf konzentrierte sich das Parlament, wobei es auf eine schnellstmögliche Umsetzung und Übernahme der Richtlinie zu drängen versuchte.

Ich denke, wir haben ein positives Ergebnis erzielt. Faktisch ging es darum, die Zahl der Lastkraftwagen festzulegen, die letztendlich mit Weitwinkelspiegeln ausgerüstet werden müssen, mit deren Hilfe die Kraftfahrer Fußgänger und Radfahrer sehen können und somit vermeiden, dass sie umgefahren werden. Diese Maßnahme gilt für alle Lastkraftwagen, die in Europa ab 2000 zugelassen wurden, und bis spätestens 31. März 2009 wird sich das Problem erledigt haben. Ich betone, dass es um die Modernisierung vorhandener Lastkraftwagen geht, denn seit dem 26. Januar dieses Jahres gelten bereits die Vorschriften für alle neu zugelassenen LKW.

Es handelt sich hier also um ein zweckdienliches Ergebnis, einen Fortschritt auf dem Weg zur Sicherheit im Straßenverkehr, wie sie auf europäischer Ebene gewährleistet sein muss. Das ist einer jener Fälle, in denen meiner Auffassung nach behauptet werden kann, dass der Subsidiaritätsgrundsatz in umgekehrter Richtung als üblich angewendet wird. Schließlich ist es doch viel besser, über eine gemeinsame Rechtsvorschrift auf europäischer Ebene zu verfügen, als Zeit zu vergeuden und somit Menschenleben zu opfern, indem 27 individuelle Regelungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten getroffen werden.

 
  
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  Georg Jarzembowski, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Kommission, sehr geehrter Herr Staatssekretär als Vertreter der Ratspräsidentschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EVP-ED-Fraktion begrüßt die Einigung mit dem Rat in erster Lesung. Das ist ein gutes Beispiel für exzellente Kooperation. Wir bedanken uns natürlich auch bei dem Berichterstatter, Paolo Costa, für seine äußerst engagierte Arbeit.

Es ist wichtig, dass wir einen praktischen Schritt zur Verminderung der Zahl der Verkehrstoten tun, denn es reicht eben nicht aus, nur die neuen Lkw mit neuen Spiegeln auszurüsten, die den seitlichen toten Winkel verkleinern, sondern es gilt vor allen Dingen – wie der Vizepräsident zu Recht gesagt hat –, auch die vielen sich bereits im Verkehr befindenden Lkw nachzurüsten.

Bedauerlich, Herr Staatssekretär, ist allerdings, dass sich der Rat einer schnellen Lösung, wie sie das Parlament gefordert hat, widersetzt hat. Wir haben – an sich sehr zu Recht – den 30. Juni 2008 gefordert. Ich bin ja ein Vertreter des Landes, das auch Sie vertreten, und wir müssen uns überlegen, wie im Rahmen des Föderalismus Dinge schneller zu realisieren sind. Es kann nicht sein, dass wir aufgrund des Bestehens von Bundestag und Bundesrat keine zügigen Maßnahmen ergreifen können. Ich will jetzt gar nicht über den Bußgeldkatalog für Ruhe- und Lenkzeiten reden, aber wir müssen uns doch überlegen, wie wir schnell reagieren können. Die Maßnahmen sind unbestritten. Meiner Meinung nach wäre es natürlich viel schöner gewesen, wenn wir uns auf den Termin 30. Juni 2008 hätten verständigen können. Aber wir haben uns aus praktischen Gründen entschieden, den Kompromiss 31. März 2009 mit Ihnen einzugehen. Denn hätten wir uns nicht in erster Lesung geeinigt, sondern wären zur zweiten Lesung gekommen, hätten wir wiederum Zeit verloren. Insofern ist der Kompromiss eine sehr praktische Lösung.

Schließlich will ich an das private Gewerbe appellieren: Sie müssen die Frist nicht ausnutzen! Das private Gewerbe kann vorzeitig, rechtzeitig und schnell seine Lkw mit den neuen Spiegeln nachrüsten, denn auch das private Gewerbe dürfte ein großes Interesse daran haben, Unfälle – zudem Unfälle mit Toten – zu vermeiden. Insofern wollen wir hoffen, dass wir uns morgen schnell einigen, dass all dies schnell im Gesetz- und Verordnungsblatt steht und dass die Privatwirtschaft schneller handelt als wir.

 
  
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  Silvia-Adriana Ţicău, în numele grupului PSE. – Postechiparea cu oglinzi retrovizoare la vehiculele grele pentru transportul de mărfuri înregistrate pe teritoriul comunităţii va contribui la creşterea siguranţei rutiere. Anual, în Uniunea Europeană, 40 000 de persoane mor în accidente de circulaţie şi această cifră reprezintă populaţia unui oraş european de mici dimensiuni. Asta înseamnă că un mic oraş european moare anual datorită accidentelor de circulaţie. Nu ne mai putem permite acest lucru. De asemenea, anual la nivel european, există 400 de victime ale accidentelor rutiere provocate de camioane de dimensiuni mari. Uniunea Europeană şi-a propus ca, până în 2010, numărul accidentelor de circulaţie să fie redus cu 50%, adică cu aproape 25 000 de victime.

Directiva 97/2003 a impus ca, începând cu 1 ianuarie 2007, toate camioanele de peste 3,5 tone să fie înmatriculate doar dacă sunt echipate cu dispozitive de vizualizare indirectă, ce reduc aşa-numitul „unghi mort” care este cauza multor accidente. Această directivă însă nu rezolvă şi problema celor aproximativ 5 milioane de camioane grele care erau deja înmatriculate în Uniunea Europeană.

Noul proiect de directivă obligă ca, până în 2009, toate camioanele grele înmatriculate după anul 2000, să fie echipate cu astfel de echipamente ce măresc câmpul vizual pe care şoferii îl au datorită oglinzilor retrovizoare. Evident, aceste dotări înseamnă investiţii, dar consider că o investiţie de aproximativ 150 de euro pentru un camion merită atunci când vorbim de salvarea de vieţi omeneşti. Nu trebuie să uităm însă că multor accidente de camion le-au căzut victimă copiii. De altfel, un studiu arată că dacă aşezăm 20 de copii în jurul unui camion care nu este dotat cu oglinzi retrovizoare corespunzătoare, în imediata vecinătate a acestuia, aceştia nu intră în câmpul vizual al şoferului şi pot fi victime ale accidentelor. Alte victime sunt bicicliştii sau pietonii aflaţi la mică înălţime întrucât aceştia intră în unghiul mort al oglinzii retrovizoare.

Consider că acest document la contribui la salvarea de vieţi omeneşti, dar nu trebuie să uităm că siguranţa circulaţiei rutiere presupune şi o infrastructură mai sigură a drumurilor, un comportament preventiv al şoferilor şi mai ales un sistem de semnalizare corespunzător.

Felicit autorul raportului şi Comisia Europeană pentru importanţa acordată subiectului. Atunci când vorbim de victime omeneşti, niciun cost nu este prea mare şi nu avem timp de pierdut.

 
  
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  Marian Harkin, im Namen der ALDE-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Costa, zu seiner ausgezeichneten und zeitgerechten Arbeit gratulieren. Es ist ihm gelungen, ein Kompromisspaket zu erzielen, wodurch nun eine sehr schnelle Annahme dieses Vorschlags möglich ist. Und das ist außerordentlich wichtig, denn je eher diese Richtlinie umgesetzt wird, desto mehr Leben können gerettet werden.

Dies ist ein Beispiel dafür, wie wir bereits geltende Rechtsvorschriften verbessern können. Jeder neue Lkw muss ab 1. Januar dieses Jahres mit einem Tote-Winkel-Spiegel ausgestattet werden. Dieser Vorschlag geht sogar noch weiter und wird sicherstellen, dass alle vor dem 1. Januar 2000 zugelassenen Lkw bis spätestens 31. März 2009 ebenfalls diese Vorschriften erfüllen müssen. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn diese Richtlinie für sämtliche schwere Nutzfahrzeuge auf den europäischen Straßen gelten würde. Nun ist sie jedoch nach ihrem Inkrafttreten erst einmal auf sämtliche schwere Nutzfahrzeuge anwendbar, die neun Jahre alt oder älter sind. Das macht einen beträchtlichen Teil dieser Straßenverkehrsfahrzeuge aus, der Jahr für Jahr zunehmen wird.

Ebenso wäre mir lieber gewesen, wenn in diesen Vorschlag auch Spiegel der Klasse 6 Eingang gefunden hätten. Doch meinen Informationen zufolge hat sich ja Kommissar Barrot verpflichtet, die Nachrüstung mit Spiegeln der Klasse 6 weiter zu prüfen – das hat mir jedenfalls der Ständige Vertreter Irlands gesagt. Natürlich steht es jedem Land frei, höhere Standards einzuführen. Auch können Lkw-Fahrer und Spediteure schon jetzt, da wir diese Aussprache führen, ihre Lkw auf freiwilliger Basis mit diesen Spiegeln ausstatten. Ich bin der Ansicht, dass wir als Abgeordnete des Europäischen Parlaments auch selbst versuchen können, auf die Kraftverkehrsverbände in unseren Heimatländern Einfluss zu nehmen, damit sie ihre Fuhrparks schnellstmöglich nachrüsten. Denn letztendlich möchte kein Lkw-Fahrer in einen Unfall verwickelt werden, schon gar nicht in einen vermeidbaren Unfall.

Ich persönlich freue mich ganz besonders über diesen Bericht, da ich vor zwei Jahren einen Änderungsantrag zum Bericht Vatanen über die Straßenverkehrssicherheit einreichte, in dem ich die Nachrüstung mit diesen Spiegeln gefordert hatte. Seitdem habe ich mich bei Verkehrsministern, Kraftverkehrsverbänden und der Kommission immer wieder dafür stark gemacht, dass ein solcher Vorschlag endlich auf den Tisch gebracht wird. Wie ich vorhin bereits sagte, handelt es sich hierbei um eine vernünftige Rechtsvorschrift, denn dadurch können die Zahl der Radfahrer und Fußgänger, die durch Lkws verletzt werden, erheblich verringert und jedes Jahr hunderte Leben gerettet werden.

 
  
  

VORSITZ: MIGUEL ANGEL MARTÍNEZ MARTÍNEZ
Vizepräsident

 
  
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  Michael Cramer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Vizepräsident Barrot, Herr Staatssekretär Lütke Daldrup, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank an Paulo Costa für sein beispielhaftes Engagement und seinen ausgezeichneten Bericht. Mit dem nachgerüsteten Lkw-Spiegel können pro Jahr 400 Menschenleben gerettet werden. Der bisherige tote Winkel — in ihm kann eine ganze Schulklasse verschwinden — ist insbesondere für die Fußgänger und Fahrradfahrer lebenswichtig.

Das Europäische Parlament — insbesondere die großen Fraktionen — haben sich bei dieser Regelung blamiert, weil es unseren Änderungsantrag zur Nachrüstung im letzten Jahr abgelehnt hat. Der Rat — üblicherweise ein Bremsklotz in Europa — hat unseren Antrag übernommen und erreicht, dass wir morgen auch die Nachrüstung der alten Lkw beschließen. Dafür möchte ich mich beim Rat recht herzlich bedanken. Natürlich wäre uns Grünen ein früheres Datum lieber gewesen, wir akzeptieren aber den gefundenen Kompromiss.

 
  
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  Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. (NL) Herr Präsident! 2001 und erneut im Jahr 2005 habe ich in Anfragen an die Kommission auf den unzureichenden Schutz von Fußgängern und Radfahrern insbesondere vor in Dörfern und Städten nach rechts abbiegenden Lastkraftwagen hingewiesen.

Die bisherigen Sicherheitsmaßnahmen sind auf neue Lastkraftwagen ausgerichtet; alte Lastkraftwagen dürfen indes noch bis 2023 ohne Spiegel fahren, und sie müssen auch nicht mit den neuesten technischen Möglichkeiten auf dem Gebiet von Spiegeln und akustischem Gerät ausgerüstet werden.

Nur die Niederlande, Belgien und Dänemark haben eigene Vorkehrungen getroffen, die im Vergleich zu den europäischen Lösungen fortschrittlicher sind, währenddessen Deutschland – ein viel größeres Land – beschlossen hat, eine abwartende Haltung einzunehmen. Infolge der wachsenden Zahl von Lastkraftwagen auf unseren Straßen bedeutet jegliche Verzögerung eine immer größer werdende Gefahr für die Verkehrssicherheit.

Heute machen wir endlich einen Schritt nach vorn, wiewohl er nach Ansicht meiner Fraktion später erfolgt, als es möglich gewesen wäre. Aufgrund dieser unnötigen Verzögerung hat meine Fraktion die Kompromissänderungsanträge auch nicht unterschrieben, wenngleich wir es begrüßen, dass durch diesen Kompromiss eine zweite Lesung überflüssig wird, die zu einer weiteren Verzögerung geführt hätte. Erweisen sich die vorgeschlagenen Maßnahmen auch künftig als unzulänglich, müssen sie unverzüglich geändert werden.

 
  
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  Dieter-Lebrecht Koch (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen war ich erst erneut als Gesprächspartner bei einem der regelmäßig in Deutschland stattfindenden Fernfahrerstammtische. Im Ergebnis habe ich eine ganze Reihe von Erwartungen der Fernfahrer bezüglich dessen mitgenommen, was sie sich a) für einen funktionierenden Binnenmarkt und b) für ein Mehr an Straßenverkehrssicherheit vorstellen können.

Ich gewann den Eindruck, unsere Fernfahrer bauen mehr auf Europa als der Durchschnitt unserer Bevölkerung. Bus- und LKW-Fahrer sind stets bemüht, unfallfrei zu fahren. Dafür heute und an dieser Stelle ein Dank an sie! Doch damit sie dies auch tun können, müssen sie unter anderem die Chance haben, das Geschehen rund um ihre Fahrzeuge herum zu überschauen. Das heißt nichts anderes, als dass wir ihnen die technischen Möglichkeiten, rücksichtsvoll zu fahren, notfalls gesetzlich zur Verfügung stellen müssen. Genau das wollen wir mit der jetzt zur Diskussion stehenden Richtlinie erreichen.

Gut, dass seit Januar 2007 alle neuen schweren LKW mit Spiegeln ausgestattet sein müssen, die den seitlichen toten Winkel verkleinern. Doch diesen Winkel mit Spiegeln allein völlig auszuschließen, ist illusorisch. Deshalb warne ich vor einem übertriebenen neuen Sicherheitsgefühl, insbesondere bei Fußgängern, Zweirad- und Rollstuhlfahrern.

Fahrer neuer wie älterer Fahrzeuge sollten die gleichen Rechte und Chancen haben, solche Spiegel zu nutzen. Insofern ist die Nachrüstpflicht längst überfällig. Sie tritt hoffentlich zum 31.3.2009 in Kraft, was bedeutet, dass in der Zwischenzeit noch ca. 800 Menschen ihr Leben verlieren werden, weil wir eine so lange Übergangszeit zulassen. Vielleicht ergreifen aber auch die Transportunternehmer die Initiative und warten nicht bis zum Stichtag, sondern rüsten ihre Fahrzeuge ganz im Sinne der Europäischen Charta für Straßenverkehrssicherheit noch weit vor dem Inkrafttreten der Richtlinie nach. All denen gilt schon jetzt meine Anerkennung für einen Akt sozialer Verantwortung.

 
  
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  Zita Gurmai (PSE). – (HU) Die Ausrüstung von Lastkraftwagen mit Spiegeln zur Ausschaltung des toten Winkels verbindlich vorzuschreiben ist Teil der Verkehrsstrategie der Gemeinschaft für eine höhere Verkehrssicherheit für die europäischen Bürger und vor allem zum Schutz unseres Lebens.

Der Schutz von Menschenleben und die Sicherheit des Verkehrs sind grundlegende Überlegungen. Wegen ungenügender Rückspiegel verlieren in Ungarn jedes Jahr 400 Menschen ihr Leben – wie mein Kollege erklärt hat –, ganz zu schweigen von der Zahl der Verletzten. Mit dieser Maßnahme könnten jährlich mehrere Hundert Menschenleben gerettet werden, und deshalb müssen wir handeln. Dabei sind zwei wesentliche Probleme zu lösen. Das erste ist, eine 100%-ige Sicht zu erreichen. Das andere ist, dass alte und veraltete Lastkraftwagen mit geeigneten Spiegeln nachgerüstet oder sonst durch neue Fahrzeuge ersetzt werden sollten. Das ist vor allem von Bedeutung für die 12, in denen eine Übergangszeit nötig ist, weil die sofortige Einführung der durch die Richtlinie erforderlichen Maßnahmen für unsere Spediteure eine schwere finanzielle Belastung darstellen würde.

Für wichtig halte ich, dass der Anwendungsbereich der Maßnahmen, mit denen Unfälle verhindert werden sollen, die durch den toten Winkel auf der Beifahrerseite von Lastkraftwagen verursacht werden, auf die Mehrheit der Lastkraftwagen ausgedehnt werden soll. Im Interesse des Erfolgs und der Wirksamkeit müssen wir die Maßnahmen mit einer angemessenen Flexibilität innerhalb realistischer Fristen verwirklichen und dabei die technischen Möglichkeiten und Gegebenheiten berücksichtigen. Ferner müssen wir dafür sorgen, dass Folgen der Maßnahmen vermieden werden, die möglicherweise zu Marktverzerrungen führen.

Ich danke unserem Ausschussvorsitzenden und Berichterstatter für seine Arbeit; ich freue mich, dass unsere Änderungsanträge auch angenommen wurden.

 
  
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  Engelbert Lütke Daldrup, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion hat gezeigt, dass das Anliegen der Verkehrssicherheit von allen Rednerinnen und Rednern geteilt wird. Ich danke für die Unterstützung, und auch für den gemeinsamen Entschluss, das Gesetzgebungsverfahren in erster Lesung schnell auf den Weg zu bringen. Es liegt in unser aller Interesse, die neuen Maßnahmen für die Verkehrssicherheit im Bereich der Lkw-Spiegel möglichst schnell in ein Gesetz umzuwandeln.

 
  
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  Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. (FR) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Costa, der eine entscheidende Rolle gespielt hat, um zu dieser Verabschiedung in erster Lesung zu gelangen, herzlich danken. Zeit zu verlieren, hieße, Menschenleben zu verlieren, so sagte er. Ich bin Herrn Costa und ebenfalls dem Parlament, das es ermöglicht hat, die Fristen für die Umsetzung der Maßnahme zu verkürzen, sehr dankbar. Ich möchte mich Herrn Jarzembowski anschließen und hinzufügen, dass die Gewerbetreibenden nichts daran hindert, sich vorzeitig mit diesen Rückspiegeln auszurüsten. Ich glaube, dies ist der Mühe wert, um weitere Opfer zu vermeiden.

Frau Harkin möchte ich sagen, dass die Kommission die gegenwärtig laufenden Studien zu den Rückspiegeln der Klasse VI selbstverständlich berücksichtigen wird. Wir müssen genau prüfen, ob der Einsatz dieser Rückspiegel der Klasse VI effektiv ist.

Ich muss ebenfalls der deutschen Ratspräsidentschaft dafür danken, dass auch sie diese Einigung angestrebt hat. Sie ist in der Tat sehr wichtig, da sie uns eine rasche Umsetzung dieser neuen Bestimmungen ermöglicht.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

 

15. Öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Empfehlung für die zweite Lesung betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und Nr. 1107/70 des Rates (13736/1/2006 – C6-0042/2007 – 2000/0212(COD)) – Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr. Berichterstatter: Erik Meijer (A6-0131/2007).

 
  
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  Erik Meijer (GUE/NGL), Berichterstatter.(NL) Herr Präsident! Der öffentliche Verkehr ist unerlässlich, um den vom Pkw-Verkehr in Anspruch genommenen Raum einzudämmen, die Umwelt gegen Fahrzeuge zu schützen sowie Arbeitsstellen und Einrichtungen, die heutzutage von den eigenen Wohnstätten oftmals weit entfernt liegen, für jeden erreichbar zu machen.

Dieses Szenario könnte gegenüber den Anfangszeiten, als Erfinder und Spekulanten den kaufkräftigsten Kundenkreis für ihre neuen Transportmittel zu gewinnen suchten, unterschiedlicher nicht sein. Seit der Einführung des Autos ist dieses Verkehrsmittel weitgehend zu einem Verlustgeschäft geworden, weshalb viele Privatunternehmer inzwischen ausgestiegen sind. Anstelle einer kommerziellen Tätigkeit ist der öffentliche Verkehrssektor nunmehr zu einer staatlichen Kernaufgabe geworden. In vielen Fällen befinden sich Verkehrsbetriebe in staatlichem Besitz, im Besitz von regionalen Verwaltungsebenen oder von Gemeinden, und in anderen Fällen werden Dienstleistungen externer Unternehmen mit Steuergeldern abgegolten.

Vor sieben Jahren schlug die Kommission vor, die Zuteilung von Verkehrsgebieten und Verträgen in einer neuen Verordnung zu regeln. Neu war nicht, dass die Europäische Union Vorschriften auferlegen würde, denn dies erfolgte bereits seit über 30 Jahren, sondern vielmehr, dass eine schon jahrelang angekündigte drastische Maßnahme, nämlich die Marktöffnung, tatsächlich ergriffen würde. Für den gesamten, aus staatlichen Mitteln finanzierten Verkehr sollten öffentliche Verträge mit einer Laufzeit von jeweils fünf Jahren über Ausschreibungen vergeben werden. Um sich solche zeitlich befristeten Verträge und die entsprechende Zahlung staatlicher Ausgleichsleistungen zu sichern, sollten interessierte Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen.

Drei Argumente spielten dabei eine wichtige Rolle. Erstens die erwartete Kostensenkung, beispielsweise infolge niedrigerer Lohnkosten durch den Wegfall von Arbeitsplatzgarantien für das Personal. Zweitens das Auftreten neuer großer internationaler Unternehmen, die sich anbieten, die Organisation des öffentlichen Verkehrs gegen Zahlung durch den Staat zu übernehmen. Drittens die Vermeidung von Vetternwirtschaft und Rechtsstreitigkeiten.

Bei der Vorbereitung meines ersten Berichts bekam ich im Jahr 2000 zu hören, die bestehende Situation stünde seit langem im Widerspruch zu den europäischen Verträgen, alle Auswirkungen seien eingehend untersucht worden und die Durchführung dieser Reform sei von äußerster Dringlichkeit. Meine Gespräche mit Großstadtverwaltungen, Gemeindevereinigungen, Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen und Umweltorganisationen ergaben ein ganz anderes Bild. Kleine Unternehmen, darunter alle Stadt- und Bezirksunternehmen, liefen Gefahr, nach einigen Ausschreibungsrunden Bankrott zu gehen. An die Stelle kleiner staatlicher Monopolbetriebe würden dann große private Monopolbetriebe treten, mit der Folge, dass der Staat und die Verbraucher langfristig für weniger Leistungen mehr zu zahlen hätten, während Schritte in Richtung der Einführung eines kostenlosen öffentlichen Verkehrs und des Baus neuer Straßenbahnnetze in Gefahr geraten könnten.

Nach einjährigen Konsultationen mit allen Beteiligten habe ich dem Parlament am 14. November 2001 vorgeschlagen, dass neben der auf europäischer Ebene zu regelnden Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge die öffentlichen Behörden weiterhin frei entscheiden können sollten, wie sie ihren öffentlichen Personenverkehr organisieren. Diese Entscheidungsfreiheit ist die beste Möglichkeit für das Durchsetzen des öffentlichen Verkehrs im Wettbewerb mit dem Auto. Das Hohe Haus unterstützte mich in erster Lesung mit 317 gegen 224 Stimmen.

Nach mehr als fünf Jahren interner Beratungen hat der Rat der Verkehrsminister am 11. Dezember 2006 einen Gemeinsamen Standpunkt verabschiedet, der mit dieser ersten Lesung in Einklang steht. Da die Kommission ihren ursprünglichen Vorschlag angepasst hat, wurde zwischen den drei Organen der Europäischen Union eine Einigung erzielt, die neben öffentlichen Dienstleistungsverträgen auch die Möglichkeit vorsieht, Aufträge ohne Ausschreibung an staatliche Unternehmen zu vergeben sowie Dritte zu beteiligen.

Selbstredend stößt der jetzt vorgeschlagene Text bei einem Teil dieses Hauses, der einem Maximum an Markkräften und einem Minimum an staatlichen Diensten seine Zustimmung gegeben hatte, auf Einwände. Das hat zu Änderungsvorschlägen geführt, wonach die anderen Formen der Auswahl, nämlich Erbringung der Verkehrsleistung durch ein eigenes Unternehmen oder Direktvergabe, nur noch in Ausnahmefällen möglich sein sollen. Ich stelle fest, dass diese Einschränkungen nicht Bestandteil des informellen Kompromisses in zweiter Lesung sind, über den im April mit dem deutschen Ratsvorsitz verhandelt worden ist.

Dieser Kompromiss kommt in den 17 Änderungsanträgen zum Ausdruck, die zum großen Teil gemeinsam von sechs Fraktionen eingereicht wurden und die zuvor vom Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr angenommenen 42 Änderungsanträge ersetzen sollen. Diese breite Übereinstimmung erübrigt die Notwendigkeit einer dritten Lesung. Ich danke den Schattenberichterstattern, der Kommission und dem Rat, insbesondere dem deutschen Vorsitz, für ihren Beitrag zum Zustandekommen dieser Vereinbarung, die sich von dem Vorschlag aus dem Jahr 2002 wesentlich unterscheidet.

Abschließend weise ich darauf hin, dass dieses Kompromisspaket nicht vorsieht, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, im Falle des Übergangs von Verträgen an andere Unternehmen die Arbeitnehmer vor Entlassung und Lohnkürzungen zu schützen. Des Weiteren fehlen das Verbot zu niedriger Zahlungen an staatliche Unternehmen für die von ihnen erbrachten Dienstleistungen, die zu ihrer Auflösung führen, oder angemessene Maßnahmen zum Schutz vor der Nichterbringung von Leistungen durch Vertragsunternehmen. Ich weiß, dass zumindest meine Fraktion diesbezügliche Vorschläge unterstützen wird.

Ich erwarte nicht, dass der Rat dagegen ein Veto einlegen wird, bezweifle aber, ob dies für die berechtigte Forderung der Mehrheit, den bei der Vergabe von Unteraufträgen zu erbringenden Teil auf die Hälfte eines Auftrags zu beschränken, ebenfalls gilt. Das werden wir morgen sehen.

 
  
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  Engelbert Lütke Daldrup, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, Herr Vizepräsident Barrot, meine sehr geehrten Abgeordneten! Für den öffentlichen Personennahverkehr ist die heutige Sitzungswoche eine sehr wichtige. Wir stehen nach siebenjähriger Diskussion kurz vor dem Abschluss eines sehr wichtigen Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der zweiten Lesung. Die Einigung, vor der wir stehen, liegt zu allererst im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger. Ihnen können wir versichern, dass sie auch in Zukunft einen attraktiven und leistungsfähigen öffentlichen Personennahverkehr haben werden. Ein integriertes Angebot mit einem einzigen Ticket und einem abgestimmten Fahrplan ist der Standard, an dem wir uns orientieren und den die Bürger auch zu Recht erwarten.

Die Einigung liegt aber auch im Interesse aller öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen, die nun endlich einen neuen Rechtsrahmen erhalten, der ihnen mehr Rechtssicherheit und damit auch Planungssicherheit für die Zukunft bietet. Schließlich liegt die Einigung im Interesse der für den öffentlichen Personennahverkehr zuständigen Behörden. Mit der neuen Verordnung wird nämlich die kommunale Selbstverwaltung gestärkt.

Es gibt noch einen Gewinner, und das ist unsere Umwelt. Ein attraktiver, leistungsfähiger öffentlicher Personennahverkehr bedeutet eine nachhaltige Verbesserung der Verkehrssituation in unseren Städten ebenso wie der Klimabilanz in unseren Ballungsgebieten.

Wenn es Ihnen bei der morgigen Abstimmung gelingt, das Kompromisspaket mit den erforderlichen Mehrheiten anzunehmen, wäre das für uns alle ein großer Erfolg.

Dass wir nun kurz vor einer Einigung stehen, ist insbesondere das Verdienst des Berichterstatters Erik Meijer. Doch auch der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Paolo Costa sowie die Schattenberichterstatter Mathieu Grosch, Willi Piecyk und Michael Cramer haben bei dem Ringen um einen Gesamtkompromiss wichtige Beiträge geleistet.

Einer Verständigung steht eigentlich nichts mehr im Wege. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass der Rat in seinem Gemeinsamen Standpunkt vom Dezember 2006 bereits eine Reihe von Änderungen des Europäischen Parlaments berücksichtigt hat. Hierzu gehören insbesondere die folgenden drei Punkte: erstens die Stärkung des Handlungsspielraums der kommunalen Ebene. Die für den Personenverkehr zuständigen Behörden haben nunmehr die Wahl zwischen einem wettbewerblichen Verfahren, der Erbringung der Verkehrsleistung durch ein eigenes Unternehmen oder aber der Direktvergabe. An diesem fundamentalen Prinzip wurde nicht mehr gerüttelt. Zweitens: die Berücksichtigung von Qualitäts- und Sozialstandards. Auch hier besteht Einvernehmen darüber, dass die zuständige Behörde ihrer Verantwortung gerecht werden muss. Drittens: der Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen. Hier wollen wir sicherstellen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen auch künftig ihre Dienstleistungen bürgernah erbringen können und nicht von großen, international orientierten Konzernen möglicherweise geschluckt werden.

Besonders hilfreich für die Einigung ist, dass wir als Europäisches Parlament, die Kommission und der Rat ein gemeinsames politisches Grundverständnis über den öffentlichen Personennahverkehr entwickelt haben. Der öffentliche Personennahverkehr kann nicht dem Markt allein überlassen bleiben. Er gehört vielmehr zum Bereich der Daseinsvorsorge. Deshalb brauchen wir eine Marktordnung, die die Entscheidungsverantwortung vor Ort stärkt und einen kontrollierten Wettbewerb garantiert. Angemessene Leistungen der Daseinsvorsorge – auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs – sind Grundvoraussetzung für das Funktionieren des europäischen Sozialmodells. Dazu gehört auch der soziale und territoriale Zusammenhalt in Europa. Dies ist ohne einen leistungsfähigen Personennahverkehr nicht zu bewahren.

Ferner besteht Gemeinsamkeit in der Frage, dass wir dringend Rechtssicherheit benötigen. Zahlreiche strittige Vergabeentscheidungen haben gezeigt, dass das bestehende Recht nicht klar und eindeutig genug ist. Das wird sich mit der neuen Verordnung bald ändern.

Schließlich schafft die neue Verordnung Klarheit über die finanziellen Beziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Wer etwas bestellt, muss dafür auch bezahlen. Dabei darf es weder zu Über- noch zu Unterkompensationen kommen.

Vor diesem Hintergrund ergab sich für uns alle folgende Frage: Wie kommen wir trotz der kurzen Beratungszeit noch während der zweiten Lesung zu einem Konsens und vermeiden auf diese Weise ein Vermittlungsverfahren? Das Ergebnis der Gespräche im Rahmen des informellen Trilogs zwischen Parlament, Kommission und Rat liegt Ihnen jetzt vor. Danach besteht die große Chance, diesen Konsens in der zweiten Lesung tatsächlich zu erreichen.

Bis zum Schluss haben wir noch bezüglich dreier politischer Forderungen gerungen: Verkürzung der Übergangsfristen, weitere Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen und Einführung einer Selbsterbringungsquote für den Fall einer Unterauftragsvergabe an Dritte.

Zum ersten Punkt: Hier haben wir uns in den Vorstellungen angenähert. Die Übergangsfrist wurde von zwölf auf zehn Jahre verkürzt, ebenso wie die Frist des Inkrafttretens der Verordnung von drei Jahren auf 24 Monate.

Beim zweiten Punkt haben wir ebenfalls eine Einigung erzielt. Der Schwellenwert für die kleinen und mittleren Unternehmen wurde etwas angehoben. Damit ist der Rat den Forderungen des Parlaments ein Stück weit entgegengekommen.

Bis zum Schluss war der dritte Punkt umstritten, die so genannte Selbsterbringungsquote. Ich hoffe, ich spreche hier in der Vergangenheitsform. Bei diesem wichtigen Punkt, bei dem es darum ging, Sozialdumping zu vermeiden, sind sich Parlament und Rat in letzter Sekunde näher gekommen. Die Kompromissformel lautet jetzt, dass bei einer Unterauftragsvergabe ein substanzieller Teil – a substantial part – vom Hauptauftraggeber selbst zu tragen ist. Dies trifft die Änderungsvorschläge 66 zu Artikel 4 und 67 zu Artikel 5.

Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Vielen Dank allen, die daran mitgewirkt haben.

Der Weg für die Verabschiedung des Gesetzes in zweiter Lesung ist damit bereitet. Wenn Sie morgen zum Kompromisspaket ja sagen, wird auch der Rat seine Zustimmung erteilen.

 
  
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  Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. (FR) Herr Präsident, Herr Meijer, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir bereit sind, in zweiter Lesung zu einer Übereinstimmung über einen so sensiblen Vorschlag zu gelangen, ist dies weitgehend der Beharrlichkeit und konstruktiven Haltung Ihres Berichterstatters, Herrn Erik Meijer, geschuldet, dem ich meinen ganz besonderen Dank aussprechen möchte.

Was den wesentlichen Inhalt des Berichts betrifft, möchte ich lediglich zwei Punkte erwähnen. Erstmals wird in diesem Text anerkannt, dass die örtlichen Behörden frei entscheiden können, wie sie ihren öffentlichen Personenverkehr organisieren. So ermöglichen wir den dezentralen Körperschaften mehr Spielraum, was bei einem Gemeinschaftstext hervorgehoben werden sollte. Diese wichtige Entwicklung entspricht dem vom Parlament in erster Lesung unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Wunsch.

Zweitens ist die derzeit gültige Verordnung mehr als 35 Jahre alt und überhaupt nicht mehr zeitgemäß. Auf dem gesamten öffentlichen Verkehrssektor herrscht daher erhebliche Rechtsunsicherheit. Diese Rechtsunsicherheit führt zu Rechtsstreitigkeiten. Sie beeinträchtigt die Weiterentwicklung des Sektors, da die Gemeindeverwaltungen und Betreiber industrielle und finanzielle Investitionen, die oftmals recht erheblich sind, ohne Klarheit und Sicherheit tätigen müssen.

Nach einem siebenjährigem Verfahren und drei informellen Trilogen ist eine tragfähige Vereinbarung in Reichweite gerückt. Der zwischen dem Rat und dem Berichterstatter geschlossene Kompromiss wahrt das Gleichgewicht und die Zielsetzungen des geänderten Vorschlags der Kommission und entspricht den wichtigsten Forderungen des Europäischen Parlaments. Dies gilt insbesondere für die Verkürzung der Zeiträume des Inkrafttretens und der Übergangszeiträume. Ferner sieht dieser Text eine Sonderregelung für Klein- und Familienbetriebe vor, indem die Möglichkeiten für die Vergabe von Unteraufträgen festgelegt werden.

Wie mir soeben mitgeteilt wurde, sind zur Unterauftragsvergabe zwei mündliche Änderungsanträge eingereicht worden, in denen eine Kompromissformulierung vorgeschlagen wird, Herr Präsident. Anstelle von „überwiegender Teil“ soll es heißen „wesentlicher Teil“. Das Ziel dieser Änderungsanträge besteht offensichtlich darin, in zweiter Lesung eine Einigung mit dem Rat zu ermöglichen. Die Kommission kann dieses Ziel nur befürworten. Was den Wortlaut dieser Änderungsanträge anbelangt, so ist die Kommission selbstverständlich flexibel. Zu diesem in letzter Minute erreichten Kompromiss kann sie ihre Zustimmung erteilen, wenn damit eine Vereinbarung unter Dach und Fach gebracht werden kann.

Ich danke dem Parlament nochmals für die Arbeit ebenso wie dem Ratsvorsitz und hoffe sehr, dass wir diesen fundamentalen Bericht endlich zu einem Abschluss bringen können. Da ich derzeit ein Grünbuch zur Förderung der städtischen Mobilität vorbereite, erfüllt es mich mit großer Genugtuung, dass solche Fortschritte zu verzeichnen sind.

 
  
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  Mathieu Grosch, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Öffentlicher Personenverkehr betrifft Millionen von Bürgern, und wir hoffen, morgen noch einige mehr. Das Europäische Parlament, auch unsere Fraktion, hat sich dieses Thema nicht leicht gemacht. Wir waren uns einerseits des Spannungsfelds zwischen Traditionen und Strukturen verschiedener Art in vielen Ländern, und andererseits auch der neuen Herausforderungen der Mobilität bewusst.

Einen Punkt möchte ich zu bedenken geben: Gemeinsamer Standpunkt 2006, erste Lesung 2001 — wenn in Zukunft über Diskontinuität gesprochen wird, nimmt sich der Rat dies hoffentlich zu Herzen, sonst werden in Zukunft bestimmte Dossiers die Frage einer Generation und nicht mehr die Frage einer Legislaturperiode.

Wir haben aber einen Trost: In der ersten Lesung wurde meines Erachtens vielen Aspekten und Vorschlägen des Parlaments Rechnung getragen. Die Warnfreiheit der lokalen und regionalen Behörden ist eben angesprochen worden. Es war wichtig, diese Akzente dort einfließen zu lassen und auch die Kontrolle über interne Betreiber und endlich auch das Prinzip der Reziprozität zu berücksichtigen.

In der zweiten Lesung hat das Parlament zusätzliche Akzente setzen wollen. Ich möchte eines vorausschicken: Was für uns gilt, soll auch für den Rat gelten. Der gute Kompromiss, der im Moment vorliegt, darf nicht für beide Seiten an einem Wort scheitern. Egal, wie die Abstimmung morgen ausgehen wird – ich bin davon überzeugt, dass sich die vernünftige Ansicht durchsetzen wird, dass dieser Kompromiss mit oder ohne Abänderung gut ist. Wir haben die Übergangsfristen verkürzt. Sie verstehen warum: Die Zeit war schon lang genug.

Wir haben für besseren Rechtsschutz gesorgt, wir haben die kleinen und mittleren Unternehmen besser schützen wollen. Warum? Weil sie Dienstleistungen erbringen, aber auch in bestimmten Regionen zum Aufbau wirtschaftlicher Strukturen beitragen, und weil sie einem allgemeinen Wettbewerb nicht einfach Stand halten können. Zum Thema Unteraufträge: Wir wollen, dass diese nicht zu Sozialdumping oder zur Umgehung der Wettbewerbsregeln genutzt werden.

Das waren unsere Zielsetzungen. Ich glaube, das Europäische Parlament hat mit unserem Vorschlag Rechtssicherheit geschaffen und einen sehr guten und vernünftigen Weg zwischen Monopolen einerseits und unkontrolliertem Liberalismus andererseits gefunden. Ich hoffe, dass die drei Partner — und so sieht es auch aus — morgen dementsprechend ihre Zustimmung dazu geben.

 
  
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  Brian Simpson, im Namen der PSE-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Ich möchte dem Berichterstatter nicht nur für seine Arbeit an diesem Dossier, sondern auch für seine Beharrlichkeit danken, mit der er diesen Bericht zur zweiten Lesung gebracht hat. Es steht außer Frage, dass dieser Prozess für die Schaffung fairer und gleicher Wettbewerbsbedingungen notwendig ist, die für die Auftragsvergabe im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gelten. Die PSE-Fraktion hegt aber noch immer einige Bedenken, vor allem was die Qualität der Dienstleistungen von Verkehrsunternehmen und den Busverkehr in einigen Mitgliedstaaten betrifft.

Wir sind nämlich der Auffassung, dass das Parlament bei der angestrebten Liberalisierung in diesem Bereich möglicherweise vergessen hat, wie wichtig auch die Qualität der angebotenen Dienstleistungen ist. Ich hoffe, dass bei späteren Überprüfungen dieser Verordnung auch der Frage der Qualität und der Durchsetzung der Qualität eingehend Rechnung getragen wird. Mir ist klar, dass das vorliegende Dossier einen ersten Schritt darstellt und dass es ein langer Weg bis zu dieser zweiten Lesung gewesen ist. Wir müssen aber auch die erzielten Fortschritte anerkennen und auf eine schnelle Einigung zwischen dem Rat und dem Parlament hoffen. Meine Fraktion wird trotz ihrer Bedenken alles daran setzen, nur für die Änderungsanträge zu stimmen, die unter den mit dem Rat erzielten Kompromiss fallen. Die Alternative wäre unseres Erachtens ein Konzertierungsverfahren.

Was die Menschen brauchen, ist ein effizientes, zuverlässiges, erschwingliches und sicheres Nahverkehrssystem, wobei die staatlichen Behörden für die Erfüllung dieser Kriterien verantwortlich sind. Aber auch die Verkehrsunternehmen müssen verpflichtet werden, sich an diese Kriterien zu halten, und – offen gesagt – genau hier werden die Probleme anfangen. Es ist ja richtig, dass ein Rahmen für die Auftragsvergabe im öffentlichen Nahverkehr geschaffen wird. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass dadurch die Standards sinken, und wir müssen für faire und transparente Verfahren sorgen. Der Regelungsrahmen wird hoffentlich bald in Kraft treten. Nun sollten wir an der Qualität der angebotenen Dienstleistungen arbeiten.

 
  
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  Paolo Costa, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident, meine Damen und Herren! Fast sieben Jahre hat es gedauert, um den vorliegenden Bericht auszuarbeiten. Wurden diese Jahre richtig genutzt? Sieben Jahre sind ins Land gegangen, nach denen Herr Simpson immer noch von unserer Hoffnung sprechen muss, es bei der nächsten Revision besser zu machen, und nach denen wir in letzter Minute einen Änderungsantrag benötigen, um zu versuchen, einen Kompromiss zu finden. Sieben Jahre brauchte es, oder vielmehr sieben Jahre und zwei Monate, um das Problem zu lösen. Ich glaube nicht, dass es sich hier um eine Sache auf Leben und Tod handelt. Selbstverständlich wird das Parlament ein Wort mitzureden haben, und ich hoffe, dass einige der Dinge, die das Parlament hoffentlich morgen zum Ausdruck bringen wird, vom Rat akzeptiert werden können, um somit die Notwendigkeit eines Vermittlungsverfahrens zu vermeiden.

Ich muss zugeben, dass ich mich außerstande sehe zu behaupten, dass wir durch und durch gut gearbeitet hätten. Können wir angesichts einer so weit gehenden Ausnahmeregelung der Direktvergabe, die de facto die Auftragsvergabe im Rahmen eines echten wettbewerblichen Verfahrens ausschließt oder enorm einschränkt, wirklich behaupten, gute Arbeit geleistet zu haben? Werden wir wirklich auch für Dienstleistungen, die aufgrund einer Monopolstellung auf nationaler Ebene erbracht werden, die Möglichkeit der internen Auftragsvergabe haben? Ist es möglich, dass der interne Auftragnehmer oder Betreiber „wesentlich“ oder „maßgeblich“ Unteraufträge vergibt, wobei diese Begriffe rechtlich nicht definiert sind? Ist es möglich, dass so ein Unterauftragnehmer, auch ohne Ausschreibung, seine Tätigkeit um mehr als die Hälfte der Laufzeit seines Vertrags verlängert, nur weil er Investitionen verspricht? Haben wir vielleicht einen zu geringen Ausgleich für Schienenverkehrsdienste in Drittstaaten erhalten, der es erschwert, diese Dienstleistungen zu erbringen? Bestand wirklich keine Möglichkeit, auch dieses Problem zu erörtern und Lösungen dafür zu finden? Sollen wir es uns wirklich entgehen lassen, auch für diese Aspekte angemessene Lösungen zu finden?

Lassen Sie mich deshalb einen letzten aufrichtigen Appell nicht nur an alle meine Kollegen, sondern auch an den Rat und an die Kommission richten: Warum können wir nicht versuchen, diese letzte Anstrengung zu unternehmen, um eine durch und durch echte, glaubwürdige und sachdienliche Lösung zu finden, die über die vagen Begriffe „wesentlich“ oder „maßgeblich“, die meiner Meinung nach der Rechtsgrundlage des Themas wirklich nicht angemessen sind, hinaus zu gehen vermag? Wir respektieren in keinerlei Hinsicht das vierte Kriterium des Altmark-Urteils. In alledem erkenne ich eine Hast und eine Eile, die mir nach sieben verlorenen Jahren wirklich unbegründet scheinen.

Wir haben einige Änderungsanträge eingereicht, mit denen diese Strukturen korrigiert werden sollen. Wir denken nicht, dass sie alle angenommen werden müssen, doch wenn einige von ihnen durchkämen, würde es uns gelingen, nach sieben Jahren und zwei Monaten ein sicherlich besseres Ergebnis zu erreichen als mit den Dokumenten, die uns vorliegen.

 
  
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  Leopold Józef Rutowicz, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Die neue Verordnung des Europäischen Parlaments über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße ist vor allem für die örtlichen Gemeinschaften von großer Bedeutung. Ich möchte Herrn Erik Meijer für seinen Beitrag zu diesem Bericht danken.

Die Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sollte zu Transparenz, Wettbewerb und einer angemessenen Verteilung der Kosten und der hierfür erforderlichen Mittel beitragen. Das betrifft in erster Linie den öffentlichen Verkehr und die von kleinen und mittleren Unternehmen für die örtlichen Gemeinschaften erbrachten Dienstleistungen, die mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden müssen. Die Verlängerung der Vertragslaufzeit auf acht Jahre für Busverkehrsdienste und 15 Jahre für Personenverkehrsdienste mit der Eisenbahn ist positiv, denn die damit verbundenen Investitionen wären für die kleinen und mittleren Dienstleister ansonsten zu risikoreich und unrentabel.

Auch müssen noch die Begriffe „interner Betreiber“ bzw. „interner Dienstleister“ präzisiert werden. Das vorgeschlagene System der Ausgleichsleistungen ist recht kompliziert, und es wird großer Anstrengungen bedürfen, um es ordnungsgemäß umzusetzen. Wenn wir die Verordnung annehmen, werden wir, wie ich meine, alle davon profitieren.

 
  
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  Michael Cramer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Der morgige Beschluss ist – so der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude – eine tiefe Verbeugung der EU vor den verkrusteten Strukturen. Der schwere Eisenbahnverkehr von Regional- und S-Bahnen wird aus der Verordnung herausgenommen, die großen kommunalen Verkehrsbetriebe in den Großstädten ebenfalls. Die Marge für die kleinen und mittleren Unternehmen ist um ein Vielfaches höher als der Schwellenwert nach dem europäischen Vergaberecht. So werden z. B. in Deutschland mehr als 80 % der Verkehrsdienste von dieser Verordnung nicht erfasst. Unser Änderungsantrag, wonach bei Ausschreibungen soziale, ökologische und Qualitätsstandards ausschlaggebend sein sollten, wurde abgelehnt. Das ist weder im Interesse der Fahrgäste, noch – Herr Daldrup – der Umwelt.

Warum eine europäische Verordnung, die nur für eine Minderheit gilt? Das hätte auch per Subsidiarität erledigt werden können. Wer auf 30 Jahre Übergangszeit eingeht – so war der ursprüngliche Entwurf –, sieht offensichtlich keine Notwendigkeit zum Handeln. Auch wenn das Europäische Parlament diesen Zeitraum halbiert hat, haben wir Grünen im Ausschuss gegen diese Verordnung gestimmt. Sie ist kein Kompromiss, sie ändert nicht viel, deshalb waren wir dagegen.

 
  
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  Johannes Blokland, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Wir stehen kurz vor dem Abschluss eines Prozesses, der über sechs Jahre gedauert hat. Über die Einigung mit dem Rat bin ich erfreut. Trotz einiger Aspekte, die zu wünschen übrig lassen, ist der jetzt erzielte Kompromiss annehmbar.

Besonders freut es mich, dass Mitgliedstaaten und Regionen in gewissem Grade selbst entscheiden können, wie sie ihren öffentlichen Personenverkehr organisieren. Dadurch wird es den zuständigen Behörden ermöglicht, den Kompromiss in der für ihre eigene Situation am besten geeigneten Form anzuwenden, was sich auf die Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrs positiv auswirken kann.

Um den vorliegenden Vorschlag verwirklichen zu können, werden wir uns auf die mit dem Rat vereinbarten Elemente beschränken müssen. Daher möchte ich alle eindringlich auffordern, nur diese spezifischen Änderungsanträge zu unterstützen und die übrigen Punkte zu einem anderen Zeitpunkt zu regeln.

Abschließend möchte ich Herrn Meijer für seinen Einsatz und das Engagement, das er bei diesem Dossier in der letzten Zeit gezeigt hat, danken. Damit wird unsere Zusammenarbeit im Verkehrsbereich in den vergangenen 25 Jahren erfolgreich zu Ende geführt.

 
  
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  Georg Jarzembowski (PPE-DE). – Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident, sehr geehrter Herr Staatssekretär! Erlauben Sie mir, auch im Namen meiner Kollegin Elisabeth Jeggle zunächst allen Beteiligten – dem Rat, der Kommission und dem Parlament – dafür zu danken, dass sie diesen guten Kompromiss nach sieben Jahren zustande gebracht haben. Besonders danke ich Willi Piecyk, der heute nicht hier sein kann, der aber sehr wesentlich an den Verhandlungen beteiligt war.

Ich persönlich glaube, dass wir Rechtssicherheit schaffen und einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der öffentlichen Verkehrsbetriebe und jenen der privaten Verkehrsbetriebe zustande bringen. Den Städten und Regionen steht es frei, Aufträge ohne Ausschreibung an ihre eigenen Unternehmen zu vergeben. Aber andererseits machen wir ihnen zur Auflage, dass sie nicht als Monopolbetriebe – mit eventuellen Monopolgewinnen auf anderen Gebieten – dem privaten Wettbewerb die Aufträge streitig machen. Insofern ist dies meines Erachtens ein ausgewogener Kompromiss.

Herr Staatssekretär, es geht nicht nur um qualitativ hochwertigen Personenverkehr, es geht auch um hochwertigen Personenverkehr zu tragbaren Preisen für die Fahrgäste. In manchen Städten und Kommunen hat man diesen Aspekt in den letzten Jahren ein wenig vergessen. Mit dieser neuen Regelung werden wir dem besser Rechnung tragen.

Von den unterschiedlichen Punkten, die wir noch durchgesetzt haben, möchte ich nur auf zwei Punkte hinweisen. Sie haben vorhin gesagt, nach Ihrer Auffassung sei der substanzielle Teil, der bei Unteraufträgen zu erbringen ist, eine Frage des Schutzes vor Sozialdumping. Wenn Sie wirklich Sozialdumping vor Augen haben, dann müssen Sie darauf bestehen, dass interne Betreiber die Dienstleistung zu 100 % erbringen und sich nicht billiger Unterauftragnehmer bedienen. Aber gut. Meine Fraktion steht zu dem gefundenen Kompromiss, einschließlich des substanziellen Teils. Wir werden sehen, was das Parlament morgen entscheidet. Aber wir stehen zu unserem Wort, sonst kann man untereinander keine Kompromisse eingehen. Ich persönlich halte es auch für besonders wichtig, dass wir den Rechtsschutz verbessert haben, dass die Unternehmen, die glauben, benachteiligt zu sein, eine schnelle, effektive Möglichkeit haben, diesen Rechtsschutz zu erlangen.

Abschließend noch eine persönliche Bemerkung an den Herrn Staatssekretär als Vertreter des deutschen Ratsvorsitzes: Ich hoffe, dass Sie das, was wir morgen beschließen, auch im deutschen Gesetzgebungsverfahren in vollem Umfang im Personenbeförderungsgesetz umsetzen und nicht aufgrund des Drucks bestimmter öffentlicher Betriebe abzuweichen versuchen. Was wir beschlossen haben, ist gut, und wir sollten es auch so umsetzen!

 
  
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  Gilles Savary (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich werde nicht die persönliche Verantwortung übernehmen, mich gegen den Kompromiss zu stellen, denn die erste Lesung hat sieben Jahre gedauert. Nach einem recht chaotischen Verfahren sollte es nicht zu einer zweiten Lesung kommen, die genauso lange dauert.

Zunächst möchte ich sagen, dass ich mit diesem Text insgesamt zufrieden bin. Wir brauchten Rechtssicherheit und keine Entscheidungen, die ständig den Richtern überlassen werden. Ferner haben wir erreicht, dass erstmals die Selbstverwaltung öffentlicher Körperschaften anerkannt wurde.

Ansonsten handelt es sich um einen gleichwohl sehr komplizierten Text auf der Grundlage eines Kompromisses, der den Schutz des Schienenverkehrs für die einen und den des lokalen und regionalen öffentlichen städtischen Personenverkehrs für die anderen gewährleistet. Ich bin mir nicht sicher, ob sich dies so einfach erklären lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob es sich einfach um eine Win-Win-Situation handelt. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir nicht schon bald darauf zurückkommen müssen, um beispielsweise das so genannte Blocksystem, die so genannten privatwirtschaftlichen Partnerschaften und die so genannte Vergabe von Unteraufträgen ohne Ausschreibung näher zu erklären, die lauter Hintertürchen für die Möglichkeit schaffen, sich nicht an die gemeinsamen Spielregeln halten zu müssen.

 
  
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  Jeanine Hennis-Plasschaert (ALDE).(NL) Herr Präsident! Seit Jahren wird kräftig dazwischengefunkt, wenn in Europa gefordert wird, mehr Marktkräfte im öffentlichen Personennahverkehr einzuführen. Europa war im Begriff, eine öffentliche Ausschreibungspflicht festzulegen, doch so weit ist es nie gekommen. Wie zahlreiche Mitglieder bereits ausführten, wurde nicht weniger als sieben Jahre lang diskutiert und gestritten und, schlimmer noch, gelegentlich geriet das Thema völlig in Vergessenheit. Nur wenige Mitgliedstaaten waren geneigt, sich bei diesem Dossier die Finger zu verbrennen. Die zunehmende Rechtsunsicherheit auf dem Sektor beeindruckte offensichtlich kaum.

Um einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden, legte die Kommission einen neuen Vorschlag vor, und zwar mit gutem Grund. Der europäische Markt für den öffentlichen Personenverkehr hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert, und auch die Urteile des Gerichtshofs haben gezeigt, dass ein neuer Rechtsrahmen schlichtweg unerlässlich ist.

Aus liberaler Sicht wird die zur Diskussion stehende Vereinbarung kein allgemeines Glücksgefühl aufkommen lassen. Der Kampf um Leistungsfähigkeit wird nach wie vor nicht energisch genug geführt, und die Rechtssicherheit ist ganz sicherlich noch mit einigen Fragezeichen zu versehen.

Wiewohl ich dem Berichterstatter für sein Engagement selbstverständlich danke, stimme ich mit dem, was er zu den Markkräften gesagt hat, ganz eindeutig nicht überein. Gerade in den Fällen, in denen die Marktkräfte eingeführt wurden, kann mehr Verkehr, mehr Qualität zu günstigeren Preisen angeboten werden. Die Zahlen sprechen für sich. Jedenfalls lässt sich das Rad jetzt nicht mehr zurückdrehen.

Positiv an diesem Vorschlag ist, dass das Erbringen öffentlicher Verkehrsdienste und die Direktvergabe von Aufträgen an strenge Bedingungen und Kriterien geknüpft sind, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Kurzum, entweder man ist Marktteilnehmer und stellt sich dem Wettbewerb oder man ist Monopolist und beschränkt sich auf den geschützten heimischen Markt. Das erscheint mir vorerst als eine klare Arbeitsgrundlage.

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident! Was lange währt, wird endlich gut, so lautet jedenfalls das Sprichwort. Wie weit das für unseren Fall zutrifft, gilt es wohl noch zu klären. Lange gedauert hat es. Es ist mehrfach davon gesprochen worden, dass es zwischen sechs und sieben Jahren gedauert hat, und wir sollten nicht vergessen, dass es auch noch lange Übergangsfristen gibt. Medial ist daher dieser Gesetzgebungsprozess schwer zu vermarkten. Dieser Tatsache sollten wir uns bewusst sein. Vielleicht behandeln wir dieses Thema deshalb auch in der Nachtsitzung, aber das ist ja für Gesetzgebungsprojekte schon zur Regel geworden. Trotzdem haben wir vielleicht ein gutes Ergebnis, wenigstens in einigen wichtigen Schlüsselpunkten.

Grundsätzlich ist es uns darum gegangen, die Vorschriften zu vereinfachen, sie flexibler zu gestalten und eine stärkere Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips und der Transparenz in das Verfahren zu bringen. Wichtig ist aus meiner Sicht auch die zeitliche und inhaltliche Einbindung in den Rahmen des dritten Eisenbahnpakets. Wichtig ist ferner die Grundsatzentscheidung, dass beim öffentlichen Personennahverkehr nicht alles anders sein soll als im normalen Eisenbahnverkehr. Schlüsselregelungen sind hier insbesondere die Gewährung von Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auf der einen Seite, sowie auf der anderen Seite die Tatsache, dass örtliche Behörden vor Ort entscheiden können sollen, wie sie ihren öffentlichen Personenverkehr organisieren, ob sie ihn weitervergeben wollen, oder ob sie ihn tatsächlich selbst durchführen wollen.

Positiv war auch — und dies hat im Europäischen Parlament eine gute Tradition — dass wir den tatsächlichen kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Bereich eine besondere Chance gegeben haben. Ich kann daher nur hoffen, dass wir uns morgen auch auf eine vernünftige Lösung für das Thema der Unterauftragsvergabe verständigen werden. Dann steht einem erfolgreichen Abschluss des europäischen Gesetzgebungsprozesses nichts mehr im Wege. Dann sind die nationalen Gesetzgeber gefordert, und hoffentlich tun sie das, was sie tun sollen, rasch.

 
  
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  Silvia-Adriana Ţicău (PSE). – Regulamentul privind serviciile publice de transport va avea implicaţii asupra tuturor celor 490 de milioane de cetăţeni ai Uniunii Europene. Importanţa subiectului a generat dezbateri timp de şapte ani şi îmbunătăţiri succesive ale propunerii din anul 2000. Având în vedere că doar aplicarea principiilor de piaţă ar putea duce la reducerea numărului de rute şi a frecvenţei acestora, competiţia reglementată introdusă de regulament în domeniul serviciilor publice feroviare şi rutiere va permite atât sectorului public, cât şi celui privat, să îmbunătăţească calitatea şi securitatea serviciilor în transportul public de călători.

Referitor la regulile de compensare financiară pentru obligaţiile privind serviciul public de transport de călători, este important ca autorităţile competente să finanţeze în mod corespunzător obligaţiile privind serviciul universal de transport public de călători şi costul utilizării infrastructurii de transport aferente. În acest domeniu, este nevoie de investiţii şi, de aceea, se impune o durată minimă a contractelor. În acest context, este important să se asigure condiţii egale de competiţie între companiile private şi autorităţile publice şi operatorii interni ai acestora prin definiţii riguroase şi condiţii clare privind calitatea şi frecvenţa serviciilor publice de transport de călători.

Autorităţile publice responsabile trebuie, însă, să introducă şi garanţii suplimentare pentru subcontractori, pentru a evita discriminarea în favoarea principalului contractor, în special în cazurile în care contractorul principal a primit un contract direct, fără organizarea unei licitaţii. Închei prin a sublinia importanţa competiţiei şi, mai ales, a calităţii serviciilor de transport public de călători. Felicit autorul raportului şi Comisia Europeană pentru importanţa acordată acestui subiect.

 
  
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  Gabriele Albertini (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, über die wir abzustimmen haben werden, betrifft 80 % des Schienenpersonenverkehrs und ist äußerst wichtig für die Entwicklung des europäischen Eisenbahnverkehrs, der durch sehr unterschiedliche Situationen in den einzelnen Ländern gekennzeichnet ist.

Nachdem die Verordnung fast sieben Jahre lang im Rat blockiert wurde, kann ich den Wunsch vieler meiner Kolleginnen und Kollegen verstehen, in zweiter Lesung zum Abschluss zu kommen, um somit das Vermittlungsverfahren und die dazu geführten informellen Gespräche mit dem Rat zu vermeiden.

Ich möchte meinen Kollegen, Herrn Grosch, und unseren Koordinator, Herrn Jarzembowski, zu den bemerkenswerten Ergebnissen, die sie erzielt haben, beglückwünschen. Allerdings bedauere ich die Tatsache, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit, den unsere Fraktion bereits anlässlich des dritten Eisenbahnpakets entschlossen vertreten hatte, nicht in die Kompromisse aufgenommen wurde. In meinem Land, Italien, sind nämlich die öffentlichen Schienenverkehrsdienste liberalisiert und werden im Rahmen von Ausschreibungen vergeben. In verschiedenen europäischen Ländern funktioniert der Landes- und Regionalverkehr stattdessen nach einem legalen Monopolsystem, was auch nach der Annahme der vorliegenden Verordnung so weitergehen kann.

Demzufolge wird es Marktasymmetrien und unangemessene Vorteile für die Unternehmen geben, die einerseits in Märkten operieren, die dem Wettbewerb verschlossen sind, andererseits jedoch in den offenen Märkten am Wettbewerb teilnehmen können. Diesbezüglich haben ich, mein Kollege de Grandes Pascual und andere spanische und italienische Mitglieder unserer Fraktion zwei Änderungsanträge – Änderungsantrag 43 und 45 – eingereicht, durch die Gegenseitigkeitsklauseln in Bezug auf Unternehmen eingefügt werden, die auf der Grundlage einer nationalen Monopolstellung tätig sind. Damit wird den Änderungsanträgen, die den Vorschlag in diesem Sinne abändern, unmöglich die Unterstützung versagt werden können. Abgesehen vom Ergebnis der Abstimmung über die einzelnen Änderungsanträge möchte ich es jedoch nicht versäumen, meine Zustimmung zu dem Bericht bei der Schlussabstimmung zuzusichern.

 
  
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  Christine De Veyrac (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Barrot, Herr Lütke Daldrup, meine Damen und Herren! Wie mehrere unserer Kolleginnen und Kollegen hervorgehoben haben, wird in den EU-Institutionen über diesen Text seit nunmehr fast sieben Jahren beraten, und das ist viel zu lang. Wir müssen heute zu einer Einigung gelangen: für die Organisation des öffentlichen Nahverkehrs in der Europäischen Union ist dies unerlässlich.

Gestatten Sie mir, dem Berichterstatter, Herrn Meijer, sowie den Schattenberichterstattern, Herrn Grosch und Herrn Piecyk – auch wenn Letzterer heute Abend nicht anwesend ist –, herzlich zu gratulieren. Ich beglückwünsche sie zu den Verhandlungen, die sie in den letzten Monaten mit den Mitgliedstaaten geführt haben, und zu der Einigung, die sie mit dem Rat über diesen Text erzielen konnten. Ich denke, durch den erreichten Kompromiss wird ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen einer kontrollierten, schrittweisen Öffnung für den Wettbewerb und den Anforderungen des öffentlichen Dienstleistungssektors sichergestellt. Deshalb sollten wir dieser Vereinbarung zustimmen, um somit eine sinnlose Fortführung der Beratungen, die im Falle eines Vermittlungsverfahrens unausweichlich wäre, zu vermeiden.

Diese Vereinbarung ist selbstverständlich nicht perfekt, doch handelt es sich um einen tragfähigen Kompromiss, mit dem es möglich sein müsste, allen betroffenen Verkehrsbetreibern wirkliche Rechtssicherheit zu bieten und eine aktualisierte Reglung zu treffen, die für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs in Europa förderlich ist. Ich hoffe aufrichtig, dass wir diesen Kompromiss im Hinblick auf die Schaffung eines harmonisierten und ausgewogenen Rahmens für die öffentlichen Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße morgen mit großer Mehrheit verabschieden können.

 
  
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  Engelbert Lütke Daldrup, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr geehrten Abgeordneten, Herr Kommissar Barrot! Es war eine ermutigende Diskussion, nach der wir darauf hoffen können, nach einer langen Zeit der Debatten und Verhandlungen morgen ein Einvernehmen zu erzielen. Wir haben einen guten Kompromiss auf dem Tisch liegen. Jeder hat sich hier vielleicht in der einen oder anderen Ecke etwas anderes, etwas mehr gewünscht oder aber etwas weniger. Es ist immer so bei Kompromissen, dass man sich aufeinander zu bewegen muss. Wir müssen den Blick dafür haben, dass die Unternehmen, die Städte und vor allen Dingen die Bürgerinnen und Bürger auf Rechtssicherheit und Planungssicherheit warten, damit sie wissen, wie wir im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs in den Städten und Regionen weiter vorankommen.

Ich möchte mich ganz herzlich bei dem Berichterstatter, Herrn Meijer, den Schattenberichterstattern Grosch und Piecyk und den vielen anderen, die mitgewirkt haben, bedanken. Es war eine lange, teilweise mühsame Debatte. Ich glaube, wir haben ein gutes Ergebnis erreicht, das wir auch nach draußen vertreten können, und ich hoffe, dass morgen beide Beschlüsse gefasst werden und wir in der zweiten Lesung eine einvernehmliche Lösung auf den Weg bringen.

 
  
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  Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. (FR) Herr Präsident! Auch ich möchte dem Parlament für seine Arbeit danken und ebenso dem Ratsvorsitz meinen Dank aussprechen. Wir nähern uns meines Erachtens einer Lösung, dank derer wir über eine präzisere und ausgewogenere Regelung für diesen öffentlichen Verkehrssektor verfügen werden. Jeder Kompromiss ist zwar nur ein Schritt, aber es ist ein wichtiger Schritt insofern, als damit eine stufenweise Öffnung ermöglicht und zugleich eine Rechtsgrundlage für öffentliche Dienstleistungsaufträge geschaffen wird, um so eine schädliche Rechtsunsicherheit zu beenden. Außerdem wird damit, wie ich am Anfang hervorgehoben habe, den örtlichen Behörden ein größerer Spielraum eingeräumt, so dass das Subsidiaritätsprinzip zum Tragen kommt.

Ich möchte hinzufügen, dass es die Kommission aufgrund des Subsidiaritätsprinzips nicht für erforderlich hielt, in ihrem ursprünglichen Vorschlag Qualitätskriterien festzulegen. Nichts wird jedoch die Genehmigungsbehörden an der Festlegung von Kriterien hindern, die der Verkehrsbetreiber, der an dem Vergabeverfahren teilnimmt, erfüllen muss.

Wir sollten jetzt meiner Meinung nach diese Politik der Stadtmobilität nutzen, um die Qualität der Verkehrsdienste in unseren Städten und Ballungsräumen sicherzustellen. Deshalb hoffe auch ich, dass wir morgen zu einer Einigung gelangen werden, um zu diesem nächsten Schritt übergehen zu können. Und ich danke nochmals Herrn Meijer sowie den Schattenberichterstattern, Herrn Piecyk und Herrn Grosch.

 
  
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  Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142 der Geschäftsordnung)

 
  
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  Gábor Harangozó (PSE), schriftlich. (EN) Der derzeit geltende Regelungsrahmen der Gemeinschaft, der im Jahr 1969 zustande kam, wurde auf einen öffentlichen Verkehrssektor zugeschnitten, der sich noch nicht mit den Herausforderungen und Möglichkeiten eines EU-Binnenmarktes in diesem Bereich konfrontiert sah. Daher ist dieser Rahmen völlig überholt. Trotz des Scheiterns der Reform im Jahr 2000 kann dieser neue Vorschlag als echter Schritt nach vorn im öffentlichen Nahverkehrssektor angesehen werden. Die jüngste Öffnung dieses Sektors für den Wettbewerb muss zweifelsohne auf EU-weiter Ebene erfolgen. Es ist in der Tat höchste Zeit, dass klare Gemeinschaftsvorschriften festgelegt werden, die einen fairen und transparenten Wettbewerb in einem modernisierten Schienen- und Straßenverkehrssektor sicherstellen. Jetzt, da die wichtigsten Aspekte harmonisiert wurden und die Interessen der Betreiber und Fahrgäste geschützt sind, sollten wir mehr Wettbewerb in diesem Bereich zulassen. Aber dieser Sektor sollte nicht nur wettbewerbsfähiger werden, sondern wir sollten uns bei der Überarbeitung des Regelungsrahmens auch bemühen, die Qualität und die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs in der gesamten Union zu verbessern, indem ein kontrollierter Wettbewerb eingeführt wird. Insofern befürworte ich nachdrücklich den Vorschlag der Kommission und die Verbesserungen, die in den Änderungsanträgen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr enthalten sind.

 

16. Ausführungen von einer Minute (Artikel 144 GO)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen.

 
  
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  György Schöpflin (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Die sich zuspitzende Krise zwischen Estland und Russland betrifft uns alle. Wir haben es hier eindeutig mit einem Fall zu tun, bei dem ein großes Land unangemessenen Druck auf ein kleines Land ausübt. Vor genau solch einem Verhalten sollte die Europäische Union eigentlich die kleinen Staaten schützen. Russland hat Estland immer wieder vorgeworfen, es würde eine so genannte faschistische Strömung unterstützen, ohne auch nur den kleinsten Beweis dafür vorzulegen. Diese Kampagne bringt die antifaschistische Bewegung in Verruf, vor allem, weil sich Russland selbst wie ein faschistisches Land aufführt. Durch diese Kampagne wird die Erinnerung an all jene befleckt, die wirklich den Faschismus bekämpft und dies mit ihrem Leben bezahlten haben. Dazu gehören auch Millionen von Russen. Antifaschismus bedeutet Demokratie und gegenseitige Achtung. Da sich Russland nicht daran hält, lässt es den Faschismus wiederaufleben und wird somit zu einer Bedrohung für ganz Europa.

 
  
  

VORSITZ: DIANA WALLIS
Vizepräsidentin

 
  
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  Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte auf eine ernsthafte Angelegenheit zu sprechen kommen. Es geht darum, dass EU-Fördermittel meines Erachtens für die Zerstörung des archäologischen Erbes in Irland missbraucht werden. Ich fordere Kommissar Dimas auf, direkt mit Minister Roche in Irland Kontakt aufzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Fördermittel, die für den Bau der N3-Autobahn in der Grafschaft Meath bereitgestellt wurden, nicht zur Zerstörung einer gerade erst entdeckten neolithischen Fundstätte – einem Holztempel – beitragen. Hierbei handelt es sich um eine ganz wichtige Fundstätte, die in der Nähe der historischen Tempelanlage „Tara Hill“ liegt. Der Direktor des irischen Nationalmuseums hat gefordert, dass umfassende archäologische Ausgrabungen durchgeführt werden. Aber da sich Minister Roche gegen die Ratschläge sämtlicher Fachleute taub stellt, besteht durchaus die Gefahr, dass diese einzigartige neolithische Fundstätte verloren geht. Angesichts der Tatsache, dass dieses Autobahnprojekt von der EU bezuschusst wird, muss die Kommission hier unbedingt eingreifen. Sie sollte sicherstellen, dass ein bedeutender Teil nicht nur des irischen Erbes, sondern auch per definitionem des europäischen Erbes fachmännisch ausgegraben wird und dass die Baupläne für die N3-Autobahn gegebenenfalls an dieses Ziel angepasst werden.

 
  
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  Marco Pannella (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir erleben gerade einen unehrenhaften – ich wiederhole, unehrenhaften – Vorfall in der Europäischen Union, wobei die Verantwortung dafür hauptsächlich beim Rat und bei der untätig gebliebenen Kommission liegt, die somit gegen die imperativen Mandate, die wir ihnen erteilt haben, verstoßen. Im Dezember 1994 unterlagen wir mit nur acht Stimmen, als es um die Einführung eines allgemeinen Moratoriums für die Vollstreckung der Todesstrafe ging. Seitdem, d. h. seit 13 Jahren, ist die überwiegende Mehrheit in der UNO bereit, dieses wichtige Grundprinzip der Zivilisation anzunehmen. Seitdem hat die Europäische Union die Abstimmung verhindert.

Das Parlament hat in dieser Sitzung darauf hingewiesen, dass sich der am Montag, dem 14. Mai, tagende Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ (CAG-RE) wahrscheinlich einmal mehr anschickt, gegen das ihm erteilte Mandat zu verstoßen und den sicheren Sieg um ein weiteres Jahr aufzuschieben.

Frau Präsidentin, ich bitte Sie, beim Parlamentspräsidenten nachdrücklich darauf zu dringen, sich umgehend mit dieser Frage zu befassen.

 
  
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  Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Polens Obstbauern haben einen weiteren Rückschlag erlitten. Zu dem mangelhaften Schutz des Binnenmarkts vor übermäßigen Importen und Dumping ist noch der Frost hinzugekommen, der ca. 90 % der diesjährigen Ernte vernichtet hat. Die auf etwa 1,5 Milliarden Euro bezifferten Verluste können weder von der polnischen Regierung noch von den Versicherungen ausgeglichen werden. Wegen der geringen Rentabilität des Obstbaus – insbesondere bei Beerenobst –, die sich vor allem seit dem Beitritt Polens zur EU bemerkbar macht, wird die Ernte kaum versichert; das gilt sowohl für die Versicherungsgesellschaften als auch die Landwirte selbst, die sich das einfach nicht leisten können. Hier ist unverzügliche Hilfe der Europäischen Union vonnöten – als Soforthilfe und auch als langfristige Hilfe für die nächsten Jahre. Andernfalls stehen die polnischen Landwirte vor dem Bankrott, und die EU wird gezwungen sein, ihr Obst aus Drittländern einzuführen.

 
  
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  Gerard Batten (IND/DEM). – (EN) Frau Präsident! Die Europäische Kommission hat klugerweise ihre Pläne fallen gelassen, in Großbritannien die vollständige Umstellung auf das metrische System durchzusetzen. Sie hat erkannt, dass die Bevölkerung wahrscheinlich durch nichts mehr gegen die Europäische Union aufzubringen ist, als wenn man ihr das Pfund, das Pint und die Meile wegnimmt. Dies ist ein Sieg für Großbritannien, aber leider nur ein Etappensieg. Die Europäische Union hat aus taktischen Gründen einen Rückzieher gemacht, um dann später strategischere Schlachten auszutragen. Der Kampf um die Unabhängigkeit Großbritanniens dauert noch an, und der endgültige Sieg – nämlich wenn Großbritannien aus der Europäischen Union austritt – ist noch nicht in Reichweite gerückt. Die nächste große Auseinandersetzung wird es um die überarbeitete Europäische Verfassung geben. An dieser Stelle möchte ich mich all jenen anschließen, die eine königliche Entschuldigung für den verstorbenen „metrischen Märtyrer“ Steve Thoburn fordern, der im Jahr 2000 für die schreckliche Straftat verurteilt wurde, Bananen in Pfund und Unzen zu verkaufen.

 
  
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  Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Ich möchte der Öffentlichkeit und den zuständigen Stellen einen empörenden Fall von Arbeitsbehinderung eines unabhängigen Europaparlamentariers vortragen. Der österreichische Spitzenkandidat des Liberalen Forums bei den letzten Hochschülerschaftswahlen, Martin Ehrenhauser, hat am 20. April 2007 ein Schreiben erhalten: „Sie bekommen von uns ein Anstellungsangebot als Vertragsbediensteter, beginnend mit dem 15. Mai 2007, für die politische Gruppe der Fraktionsfreien im Europäischen Parlament.“ Herr Ehrenhauser ist angereist. Plötzlich gilt das Schreiben nicht mehr. Grund: eine politische Weisung von ganz oben, vom neuen Generalsekretär Harald Rømer.

So geht das nicht. Das wurde plötzlich veranlasst, und es trifft in diesem Fall mich. Sie wissen, dass jeder Abgeordnete das Recht hat, zumindest mit einem Parlamentsmitarbeiter in seiner Gruppe in seiner Muttersprache zu arbeiten. Nur mir wird das verweigert, weil man einem unliebsamen Kritiker die Arbeit erschweren will. Dabei gewähren sich gerade die großen Fraktionen hier Heerscharen von parteitreuen Mitarbeitern. Insgesamt beschäftigt das Parlament Tausende von Mitarbeitern.

Ich fordere das Präsidium und die zuständigen Stellen auf, diesen Fall zu untersuchen. Etwas Derartiges schadet dem Parlament, und es schadet auch dem Demokratieverständnis.

 
  
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  Jaroslav Zvěřina (PPE-DE).(CS) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In diesen postmodernen Zeiten verliert die Ehe immer mehr an Popularität, vor allem bei jungen Leuten, doch sie bleibt das Fundament der Familie. Deshalb liegt es im Interesse der Mitgliedstaaten und der EU insgesamt, die Ehe zu fördern. Seit unserem Beitritt zur EU höre ich immer wieder Klagen über die langwierigen Komplikationen, mit denen Menschen zu kämpfen haben, wenn sie Bürger anderer Mitgliedstaaten heiraten wollen.

Es ist für die EU-Bürger schwer nachzuvollziehen, dass zwischen den EU-Mitgliedstaaten keine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung amtlicher Dokumente besteht. Männer und Frauen, die heiraten wollen, müssen Zeit und Mühe mit dem Weg durch zahlreiche Ämter aufwenden, um bürokratische Formalitäten zu erledigen, damit die Eheschließung möglich wird. Auch mir als Europaabgeordnetem fällt es schwer zu verstehen, warum die Ämter eines Mitgliedstaates sich weigern, Eheurkunden oder Bestätigungen der Staatsbürgerschaft in üblichen Dokumenten anzuerkennen. Junge Menschen finden das Verfahren der Beschaffung aktueller Dokumente, und sie immer wieder beglaubigen lassen zu müssen, besonders mühsam. Ich hege keine Illusionen bezüglich unserer Fähigkeit, Gesetze zu harmonisieren. Doch unsere Bürger verdienen sicher einige einfache Maßnahmen zur Vereinfachung solcher Vorschriften.

 
  
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  Eugenijus Gentvilas (ALDE).(LT) Russland legt in Estland ein schändliches Verhalten an den Tag und versucht noch nicht einmal, es zu verbergen. Die Russen haben eine Wirtschaftsblockade gegen einen Mitgliedstaat der Europäischen Union eingeleitet. Gegenüber Lettland oder Litauen oder auch anderen Ländern hat sich Russland bisher diskreter verhalten, was vielleicht der Grund dafür ist, warum die Europäische Union bei den meisten Aktionen Russlands Nachsicht walten lässt. Nach den Ereignissen in Estland möchte ich Sie dringend auffordern, die Beziehungen der Europäischen Union mit Russland zu überdenken. Die strategische Partnerschaft sollte durch eine von Prinzipien getragene, ehrenhafte und pragmatische Zusammenarbeit ersetzt werden.

Meiner Meinung nach sollte das Treffen am 18. Mai in Samara unbedingt verschoben werden. Wir müssen Russland den Standpunkt der Europäischen Union darlegen, zu welchen Bedingungen solche Treffen künftig dann wieder stattfinden können. Javier Solana muss nach Moskau fahren und die Haltung der Europäischen Union deutlich machen. Europa hat genügend Argumente. Ich befürchte nur, dass einige führende Politiker der Europäischen Union nur wieder auf einen neuen Fototermin mit dem demokratiefeindlichen Putin aus sind, statt sich für die demokratischen Werte der Europäischen Union einzusetzen.

 
  
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  Malcolm Harbour (PPE-DE).(EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Ihnen zunächst sagen, dass mir die Initiative des Präsidenten, verschiedene Nobelpreisgewinner heute Nachmittag hierher einzuladen, außerordentlich gut gefallen hat. Und ich hoffe, Sie werden das an den Präsidenten weiterleiten. Ich habe es sehr genossen, den Redebeiträgen dieser herausragenden Wissenschaftler hier im Plenum zu lauschen. Werte Kolleginnen und Kollegen, wir beschäftigen uns mit etlichen wissenschaftlichen und technologischen Fragen, aber es findet kein ausreichender Dialog mit Wissenschaftlern und Technologen statt. Mit diesem Redebeitrag heute Abend möchte ich all meine Kolleginnen und Kollegen auf die Großveranstaltung mit dem Titel „STOA Experience“ aufmerksam machen, die während der Sitzungswoche im Juni in Straßburg stattfindet. Sie wird vom STOA-Büro des Parlaments organisiert, das von meinem Kollegen Herrn Busquin geleitet wird und in dem ich die Ehre habe, als dessen Stellvertreter tätig zu sein. Es wird Ausstellungen über die jüngsten Arbeiten geben, und viele herausragende Wissenschaftler werden sich mit den Abgeordneten treffen und über die laufenden Projekte berichten. Ich hoffe, viele Kolleginnen und Kollegen werden die Chance nutzen, den Dialog zwischen uns hier im Parlament und führenden Wissenschaftlern und Technologen der Europäischen Union auszubauen.

 
  
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  Der Präsident. Vielen Dank, dass Sie uns darauf aufmerksam gemacht haben, Herr Harbour.

 
  
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  John Attard-Montalto (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte einen Punkt ansprechen, der in der Europäischen Union nicht allgemein bekannt ist. Es geht darum, dass Kraftfahrzeuge in meinem Land – dem kleinsten EU-Land – am teuersten sind, von Dänemark einmal abgesehen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass eine außergewöhnliche Steuer – die so genannte Zulassungssteuer – erhoben wird, die manchmal sogar den eigentlichen Wert des Fahrzeugs übersteigt. Das hat zur Folge, dass in einem Land, wo das Gehaltsniveau höchstens dem der EU-Länder mit mittlerem Einkommen entspricht, der Preis für einen neuen oder gebrauchten Pkw übertrieben hoch ist. Dadurch sehen sich Familien mit einem mittleren oder geringen Einkommen unnötigen Problemen gegenüber, wenn sie sich einen neuen Pkw zulegen möchten. Hier spielt auch das Konzept des globalen Klimawandels mit hinein. Denn obwohl Malta nur ein kleines Land ist, stehen Pkw-Besitzer vor enormen Schwierigkeiten, wenn sie ihre Pkw durch energieeffizientere und abgasärmere Fahrzeuge ersetzen möchten.

 
  
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  Marian Harkin (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Als irischer Abgeordneter freue ich mich über diese eine Minute Redezeit, in der ich mich all jenen anschließen möchte, die die Geschehnisse gestern in Belfast feiern und bejubeln. Da passt es ganz gut, dass wir heute bereits Betty Williams, Mairead Corrigan, David Trimble und John Hume – allesamt Nobelpreisträger – für ihren Beitrag zum Friedensprozess in Nordirland gratuliert haben. Betty Williams und Mairead Corrigan haben sich in ihren Gemeinden engagiert, und genau dort findet auch der eigentliche Friedensaufbau statt – zwischen Menschen, Familien, Nachbarn und Gemeinden. Aber wir brauchen auch Führungsstärke seitens der Politiker, um diesen Prozess voranzutreiben. Heute haben wir zwei dieser Politiker geehrt, nämlich David Trimble and John Hume. Es gab auch viele andere Politiker auf verschiedenen Ebenen, die in diesem Friedensprozess einige Risiken auf sich genommen haben, und auch sie verdienen unsere Anerkennung.

Da wir nunmehr den 50. Jahrestag der EU begehen, sollte auch einmal anerkannt werden, dass die EU bei diesem Friedensprozess in Nordirland ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt hat, indem sie moralische und finanzielle Unterstützung leistete. Daher kann ich meiner Meinung nach in meinem eigenen Namen und im Namen des irischen Volkes sagen: Wir sind der EU sehr dankbar dafür, dass sie an uns geglaubt und uns auf dem Weg hin zum Frieden unterstützt hat.

 
  
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  Antonio De Blasio (PPE-DE). (HU) Seit sechs Jahren verschmutzen Fabriken auf österreichischem Hoheitsgebiet kontinuierlich das Wasser der Raab. Wenn sie dann als Rába die ungarische Grenze überquert, ist ihr Wasser bereits schmutzig und schaumig. Der ungarische Umweltschutzminister, der gestern zurückgetreten ist, hatte den österreichischen Fabriken eine Frist zur Beendigung der Verschmutzung bis zum 1. Mai gesetzt, aber bisher gibt es keine Fortschritte. Am 1. April habe ich zusammen mit meinem Kollegen den österreichischen Behörden persönlich die Petition der ungarischen Delegation der Volkspartei übergeben und die Bezirks- und die Bundesregierung aufgefordert, die notwendigen Schritte zu unternehmen. Bis heute haben wir keine Antwort auf unsere Petition erhalten.

Die österreichisch-ungarische Gewässerkommission, die den Fabriken vor Jahren eine Betriebserlaubnis erteilt hatte, hält momentan ihre Jahrestagung ab. Dieser Kommission gehören Delegierte der Regierungen beider Staaten an, und die Aufhebung der Lizenzen für die Gewässernutzung fällt ebenfalls in ihre Zuständigkeit. Wir müssen alles Erdenkliche tun, um diese schädliche grenzüberschreitende Umweltverschmutzung zu stoppen. Deshalb fordere ich die österreichisch-ungarische Gewässerkommission und damit indirekt auch die Regierungen der beiden betreffenden Mitgliedstaaten – und bitte dazu um die Unterstützung des Parlaments – auf, die Lizenzen für die Gewässernutzung dieser Fabriken, die den Fluss verschmutzen, mit sofortiger Wirkung aufzuheben.

 
  
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  Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Während wir den 50. Jahrestag der EU und ihre Werte und Grundprinzipien feiern, ist die Demokratie in einem Kandidatenland in Gefahr. Die gewählte türkische Regierung wird ganz offen vom größten Feind des Landes – seinen Armeegenerälen – bedroht. Anstatt die demokratische Ordnung zu schützen, ist die türkische Armee wild entschlossen, die Demokratie zu zerstören. Ganz gleich, wie wir zum EU-Beitritt der Türkei stehen mögen – es liegt in unserem Interesse und im Interesse des türkischen Volkes, dass der Reformprozess in der Türkei fortgeführt wird. Es ist unsere Pflicht, die politischen Kräfte in der Türkei, die derzeit durch die Regierung Erdogan vertreten werden, in ihrem Kampf gegen die anachronistischen Streitkräfte – angeführt durch den Chef des Generalstabs Buyukanit – zu unterstützen. Ich rufe den Präsidenten dieses Hauses auf, schnellstmöglich eine Erklärung abzugeben, in der zum Ausdruck kommt, dass wir die türkische Regierung nachdrücklich unterstützen und die Einmischung der Armee in die Politik des Landes verurteilen.

Die Botschaft des Europäischen Parlaments an die türkischen Armeegeneräle sollte laut und deutlich sein: „Bleibt in euren Kasernen und hört auf, die Demokratie zu bekämpfen.”

 
  
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  Milan Gaľa (PPE-DE).(SK) Ich habe die Lage im Zusammenhang mit den politischen Gefangenen in Kuba seit einiger Zeit verfolgt. Mit Freuden habe ich zur Kenntnis genommen, dass mehrere oppositionelle Gruppen kürzlich eine gemeinsame Erklärung herausgegeben haben, in der sie sich dem gemeinsamen Kampf für einen friedlichen Übergang zur Demokratie auf der Insel verschreiben.

Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören solche bekannten Dissidenten wie Oswaldo Payá von der Christdemokratischen Befreiungsbewegung, Elizardo Sánchez von der kubanischen Kommission für Menschenrechte und Nationale Versöhnung sowie Martha Beatriz Roque und René Gómez Manzano von der Versammlung zur Förderung der Zivilgesellschaft. Unterzeichnet wurde das Dokument ferner von den Mitgliedern der von den Ehefrauen politischer Gefangener gegründeten Organisation, die unter dem Namen Frauen in Weiß bekannt ist.

Eine geeinte friedliche Opposition wird gebraucht, um die Veränderungen herbeizuführen, die das Volk braucht. Man darf nicht übersehen, dass diese Gruppen trotz gewisser politischer und philosophischer Differenzen dieselben Ziele verbindet, darunter die Achtung der Menschenrechte, Versöhnung, die Freilassung politischer Gefangener, Nichtanwendung von Gewalt und Zusammenarbeit.

 
  
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  Zita Pleštinská (PPE-DE).(SK) Mit meinem Redebeitrag will ich die europäischen Verbraucher warnen, chinesische Textilerzeugnisse zu tragen. Leider sind viele dieser Produkte mit Azofarbstoffen gefärbt, die nicht den Standards der Richtlinie 2002/61/EG über Azofarbstoffe entsprechen.

Beim Tragen dieser Textilien dringen die Azofarbstoffe wie stille Killer in den Körper ein und verursachen Krebs. Erst im Mai 2006 wurde in den Labors einer zuständigen Stelle in der Stadt Svit, in der Slowakei, eine Probe von neunzig Textilerzeugnissen für Kinder nach dem Zufallsprinzip vom slowakischen Markt genommen, die meisten von ihnen aus China, wo man feststellte, dass jedes fünfzehnte Erzeugnis schädlich war.

Man kann vernünftigerweise davon ausgehen, dass große Posten von im Wesentlichen identischen Textilwaren auch auf den Märkten anderer EU-Mitgliedstaaten zu finden sind. Da es sich hier um äußerst gefährliche Produkte handelt, fordere ich die Kommission auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Zeit zwischen der Probennahme und der Herausgabe einer Warnung im Rahmen des RAPEX-Systems möglichst kurz zu halten. Die dreieinhalb und mehr Monate, die es derzeit dauert, reichen aus, damit das schädliche Erzeugnis ausverkauft ist und vom Markt verschwindet. Mich beunruhigt das, und ich bin fest davon überzeugt, dass wir nicht untätig bleiben dürfen.

 
  
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  Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Es gibt das Sprichwort: „Wahre Freunde erkennt man in der Not“. Zurzeit befinden sich die polnischen Beerenobsterzeuger aufgrund der Fröste, die Polen in den letzten Wochen heimgesucht haben, in einer solchen Notlage. Die polnischen Landwirte und ihre Familien werden schon bald Not leiden müssen. Sie hoffen auf Unterstützung von der EU und darauf, dass jemand seine helfende Hand ausstreckt. Das sollte auch wirklich geschehen, denn darin besteht doch das Wesen der Solidarität, des Zusammenlebens und der gegenseitigen Unterstützung in schwierigen Zeiten. Lech Wałęsa, der heute hier anwesend ist, könnte Ihnen viel mehr zu diesem Thema sagen. Hilfe von der Europäischen Union wird zu einer guten Atmosphäre beitragen und die Wertschätzung unserer Bürger für die EU erhöhen. Wir müssen hier im Parlament, in den Institutionen der Union Gemeinschaftsinstrumente entwickeln, um den von Naturkatastrophen betroffenen Ländern, Regionen und Wirtschaftszweigen zu helfen.

 
  
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  Der Präsident. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt geschlossen.

 

17. Nennfüllmengen für Erzeugnisse in Fertigpackungen (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Empfehlung für die zweite Lesung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Nennfüllmengen für Erzeugnisse in Fertigpackungen, zur Aufhebung der Richtlinien 75/106/EWG und 80/232/EWG des Rates und zur Änderung der Richtlinie 76/211/EWG des Rates (13484/1/2006 – C6-0039/2007 – 2004/0248(COD)) (Berichterstatter: Jacques Toubon) (A6-0144/2007).

 
  
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  Jacques Toubon (PPE-DE), Berichterstatter. (FR) Frau Präsidentin, Herr Verheugen, meine Damen und Herren! Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz empfiehlt Ihnen die Annahme des Gemeinsamen Standpunkts des Rates, der durch einige Abänderungen geändert wurde: eine Abänderung, die eine Schutzklausel nach Ablauf der Übergangszeiträume vorsieht; eine Bestimmung, die zur Ausdehnung der Preisauszeichnung je Maßeinheit auffordert; ein System, das gewährleistet, dass britisches Brot weiterhin in seinen jetzigen Verpackungsgrößen vermarktet werden kann; sowie schließlich eine Erklärung der Kommission, aus der genau hervorgeht, wie Flaschen, die nicht mehr den Normen entsprechen, langsam aber sicher aus dem Verkehr gezogen werden. Das Kernstück dieser Richtlinie bilden jedoch einerseits die freie Wahl der Verpackungsgrößen und andererseits verbindliche Verpackungsgrößen während eines Zeitraums von fünf Jahren für Milch, Teigwaren, Butter und Kaffee sowie von sechs Jahren für Weißzucker. Das ist der Vorschlag, der Ihnen unterbreitet wird.

Wie sind wir bis zu diesem Punkt gelangt? Das Europäische Parlament hatte in erster Lesung auf der Grundlage seiner eigenen Studie verbindliche Verpackungsgrößen für bestimmte Erzeugnisse beibehalten und war damit von der von der Kommission vorgeschlagenen allgemeinen Liberalisierung der Verpackungsgrößen abgewichen. Letztere beharrte jedoch auf ihrem grundsätzlichen Standpunkt und legte einen überarbeiteten Vorschlag vor, der in völligem Gegensatz zu dem Parlamentstext stand. An dieser Stelle gelang es mir, die Gespräche mit der Kommission und dem finnischen Ratsvorsitz wieder aufzunehmen. Dieser konnte die Annahme eines Gemeinsamen Standpunktes erreichen, in dem einige der vom Europäischen Parlament geforderten Ausnahmeregelungen übernommen wurden, allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum, für einen Übergangszeitraum.

Ich habe vorgeschlagen, diesem Standpunkt im Wesentlichen zuzustimmen unter der Voraussetzung, dass darin zwei zusätzliche Garantien aufgenommen werden. Erstens, dass die Kommission die weitere Beibehaltung einer Reihe verbindlicher Verpackungsgrößen für bestimmte Grunderzeugnisse vorschlagen kann, wenn es am Ende der Übergangszeit zu Störungen für die Verbraucher kommt, und zweitens, dass die Mitgliedstaaten ermuntert werden, die Preisauszeichnung je Maßeinheit auch auf lokale Einzelhandelsgeschäfte anzuwenden. So hat es der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz auf meinen Vorschlag hin beschlossen, und so wurde es auch mit dem Rat und der Kommission am Ende der beiden Triloge, die während der letzten Wochen stattfanden, vereinbart.

Aus diesem Legislativverfahren, meine Damen und Herren, werde ich im Übrigen drei Lehren ziehen. Erstens haben wir bei dieser Gelegenheit erstmals eine Folgenabschätzung durchgeführt. Diese haben wir einem unabhängigen Büro in Auftrag gegeben, und es war das erste Mal, dass dieses Verfahren vom Parlament angewandt wurde, das meines Erachtens eine große Zukunft hat. Zweitens bedeutet unser Vorgehen, dass bessere Rechtsetzung nicht zwangsläufig in gar keiner Rechtsetzung besteht. Denn durch diese Aussprache haben wir – und dies ist die dritte Lehre, die ich daraus gezogen habe – den Bedürfnissen der Verbraucher, vor allem der schutzbedürftigsten Gruppen unter ihnen, sehr sorgfältig Rechnung getragen.

Daher, meine Damen und Herren, schlage ich vor, dass unser Parlament morgen für die drei Änderungsanträge stimmt, die im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz angenommen wurden.

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst Herrn Toubon für seine konstruktive Arbeit an diesem sehr schwierigen Gesetzgebungsvorhaben danken und ihm in allem zustimmen, was er eben gesagt hat, vor allen Dingen auch, was die lessons to be learnt angeht, also das, was wir aus diesem Vorgang lernen können. Dazu möchte ich eine Bemerkung machen: Ich wünsche mir sehr, dass der Rat dem Vorbild des Parlaments folgen möge und in Zukunft, wenn er Änderungen an Gesetzgebungsvorschlägen macht, auch ein impact assessment vornimmt. Das würde uns auf dem von uns eingeschlagenen Weg hin zu einer besseren Rechtsetzung sicherlich sehr helfen.

In der Tat geht es um ein Teilstück aus dem großen Projekt der Kommission und aller anderen Institutionen: bessere Rechtsetzung. Wir sind mit dem klaren politischen Ziel angetreten, den Rechtsbestand der Europäischen Union zu verbessern und zu vereinfachen. Herr Toubon hat völlig Recht: Verbesserung heißt nicht Abschaffung. Verbesserung heißt einfacher, transparenter, leichter handhabbar machen. Aber selbstverständlich sollen die Schutzniveaus, die wir erreicht haben, bestehen bleiben. Im Prinzip stimmen dem alle Institutionen und sicher auch die Verbraucher und Unternehmer zu. Diese grundsätzliche Zustimmung weicht jedoch immer dann spezifischen Bedenken, sobald ein Vorschlag konkret erarbeitet und vorgelegt wird. Dann zeigt sich, dass ein politischer Kompromiss nötig ist, und ich bin zufrieden, dass wir in diesem Fall gemeinsam zu einer guten Lösung gekommen sind.

Worum geht es eigentlich? Wir haben es hier mit Regelungen aus den 70er und 80er Jahren zu tun. Damals wurde die Größe von Fertigpackungen für eine große Zahl von Produkten festgelegt. Dabei handelt es sich um so unterschiedliche Güter wie Zahnpasta, Waschmittel, Fischstäbchen, Tomatenmark, Lösungsmittel oder auch Trocken- und Feuchtfutter für Hunde und Katzen.

Diese Art des Vorgehens war zu der Zeit ihrer Verabschiedung vor rund 30 Jahren die beste Möglichkeit, um zwei Ziele zu erreichen: Erstens wollte man den Binnenmarkt für Güter ein Stück weiter öffnen, so wie dies in den Römischen Verträgen vorgesehen war. Und zweitens wollte man auf diesem Weg den nötigen Verbraucherschutz beim grenzüberschreitenden Handel mit diesen Gütern sicherstellen.

Seitdem haben wir jedoch den Binnenmarkt wie auch den Verbraucherschutz innerhalb der Europäischen Union ganz bedeutend weiterentwickelt.

Es geht nun darum, die Regelungen zu den Packungsgrößen entsprechend zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Weniger europäische Reglementierung bedeutet hier mehr Innovation und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

Ich bin überzeugt, dass sich dieser Vorschlag insbesondere für die Verbraucher positiv auswirken wird. Die Verbraucher werden mehr Wahlfreiheit erhalten. Und im Rahmen der bestehenden Richtlinie zu Preisangaben per Maßeinheit (Kilo/Liter) werden sie Preise unterschiedlicher Packungsgrößen auch in Zukunft ohne weiteres vergleichen können.

Ich bedanke mich beim Berichterstatter für sein Engagement. Ich bin auch damit einverstanden, dass wir uns auf Übergangsregelungen verständigt haben. Dem Wunsch des Parlaments entsprechend wird die Kommission in einigen Jahren die dann eingetretene Lage überprüfen. Einer Einigung in zweiter Lesung steht somit nichts mehr im Wege.

 
  
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  Malcolm Harbour, im Namen der PPE-DE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Da ich jetzt etwas mehr Zeit zur Verfügung habe, möchte ich Ihnen zu Ihrer Ernennung als Vizepräsidentin gratulieren. Sie sind ein geschätztes Mitglied des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, und es ist mir ein großes Vergnügen, mich bei dieser Sitzung heute Abend an sie als Vizepräsidentin zu wenden.

Mein Dank gilt auch Jacques Toubon, der meiner Meinung nach eine ausgezeichnete Überprüfung der geltenden Rechtsvorschriften durchgeführt hat, wie der Kommissar bereits ausführte. Ich möchte mich zudem den Äußerungen des Kommissars über unsere Herangehensweise anschließen. Meines Erachtens waren wir einer der ersten parlamentarischen Ausschüsse, der eine Folgenabschätzung zu seinen Änderungsanträgen in Auftrag gegeben hat. Einige der dabei aufgeworfenen Fragen haben nun Eingang in die Änderungsanträge gefunden, die wir morgen unterstützen werden. Das gilt insbesondere für die – wie ich sagen würde – Sicherheitsklauseln, die die Kommission nutzen wird, um das Marktverhalten genau zu beobachten.

Alles in allem befürworten wir Ihre Ziele nachdrücklich, Herr Kommissar. Denn auch wir möchten die Abschaffung unnötiger Rechtsvorschriften vorantreiben, die größtenteils – wie Sie sagten – schon 20 bis 30 Jahre alt sind. Nun, da die Verbraucher besser aufgeklärt sind, sollten sie ihre Möglichkeiten auch nutzen und Informationen über Preisangaben einholen.

Wir möchten den Herstellern flexible Rahmenbedingungen bieten, damit sie verschieden große Erzeugnisse produzieren können, die den Bedürfnissen unterschiedlich großer Familien gerecht werden. Ich muss sagen, in meinem eigenen Land – und ich vermute auch in anderen Ländern – sind die Menschen völlig überrascht, dass die Kommission eine Deregulierungsmaßnahme trifft. Wie aus einigen ausgeschmückten Zeitungsgeschichten in meinem Heimatland hervorgeht, wird diese Richtlinie – wie so oft – völlig falsch ausgelegt. Angeblich könnten die britischen Verbraucher nicht mehr auf ihre bevorzugten Produktgrößen zurückgreifen. Meiner Meinung nach müssen Sie sich als Kommission darum kümmern, dass momentan die Tatsachen so leicht verdreht werden können, weil es sich noch um einen recht ungewöhnlichen Vorschlag handelt. Daher bin ich sowohl Ihnen als auch dem Rat dankbar, dass sie den britischen Käufern von Brot in Fertigpackungen – d. h. über 80 % derjenigen, die jeden Tag Brot essen – versichert haben, dass ihre herkömmlichen Brotgrößen, die sie durch diesen Vorschlag in Gefahr sahen, nicht angetastet werden. Sie können sich nach wie vor jeden Morgen ihren Marmeladentoast schmecken lassen, der aus Brot in Fertigpackungen besteht, die in herkömmlichen Größen erhältlich sind.

 
  
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  Evelyne Gebhardt, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident! Ich denke, wir reden heute über ein ganz wichtiges Gesetzeswerk, denn der Grund, warum diese Richtlinie früher geschaffen wurde, war ja die Öffnung des Marktes für Waren.

Die Öffnung des Marktes und die Produktion von Nennfüllmengen haben sich zu einem Verbraucherschutzelement gewandelt. Es ist deswegen von besonderer Bedeutung, was wir daraus machen, und deswegen hat das Europäische Parlament klar gesagt, dass die bloße Abschaffung aller Vorschriften in diesem Bereich zu Schwierigkeiten führen könnte, vor allem für Menschen mit Behinderungen, besonders für sehbehinderte Menschen. Wenn wir uns etwa in großen Kaufhäusern umschauen, stellen wir fest, dass es manchmal an einer deutlichen Preisauszeichnung mangelt.

Es ist für das Parlament von großer Wichtigkeit, einen Appell an die Mitgliedstaaten zu richten, dass es nicht ausreicht, in großen Kaufhäusern eine Preisauszeichnung in Liter- oder Kilopreisen vorzunehmen, sondern dass es auch sinnvoll wäre, dies auch in anderen Bereichen einzuführen und diesbezüglich Möglichkeiten zu finden, die für schwächere Verbraucher von besonderer Bedeutung sind. Dieser Appell war uns ein großes Anliegen, und es ist gut, dass er Gehör gefunden hat.

Der zweite Punkt, der uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr am Herzen liegt, wurde gerade von meinem Kollegen Harbour angesprochen. Es geht um den loaf, den Brotleib in Großbritannien. Weder die Kommission, noch der Rat, noch das Europäische Parlament wollten diese Verpackungsgrößen in Großbritannien jemals in Frage stellen, doch die Diskussion in Großbritannien hat sich verselbständigt. Um den Bürgerinnen und Bürgern in Großbritannien dies klarzumachen, war es wichtig, einen entsprechenden Erwägungsgrund in dieses Gesetzeswerk aufzunehmen, so dass wir auch wirklich dafür sorgen konnten – und meine britischen Kollegen, insbesondere von der Labour Party, haben mich darum gebeten, dies nochmals zu betonen –, dass das Brot in Großbritannien in keiner Weise angetastet wird, sondern weiterhin so verkauft werden darf wie die Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien es gewohnt sind.

Ein drittes Anliegen in diesem Zusammenhang betraf die Tatsache, sicherzustellen, dass die Abschaffung dieser Nennfüllmengen nach einer gewissen Zeit nicht ohne weiteres erfolgt, sondern dass die Europäische Kommission vorher die Auswirkungen und die Möglichkeiten prüfen und im Rahmen eines impact assessment überlegen muss, ob dies sinnvoll ist, welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten und wie wir auf eventuelle „Marktausrutscher“ reagieren. Am Beispiel des Waschmittelmarktes sehen wir, was passiert, wenn man keine Nennfüllmengen hat, und da könnte man sich überlegen, was man unternehmen kann.

 
  
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  Janelly Fourtou, im Namen der ALDE-Fraktion. (FR) Frau Präsidentin, Herr Verheugen, Herr Lütke Daldrup, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich unseren Berichterstatter beglückwünschen und mich bei ihm auch bedanken, denn Herr Tourbon hat mit all seinen Kolleginnen und Kollegen in sehr kooperativer Weise zusammengearbeitet. So wurden wir nach jeder Besprechung mit der Kommission und dem Ratsvorsitz über seine Standpunkte und die Fortschritte bei der Erarbeitung des Dossiers informiert. Herr Toubon hat uns um unsere Stellungnahme ersucht und uns rechtzeitig klare und präzise Mitteilungen zukommen lassen, so dass wir uns in voller Sachkenntnis entscheiden konnten.

Bei der Abstimmung in erster Lesung hatte sich die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa insofern gegen die Beibehaltung von Verpackungsgrößen ausgesprochen, als diese obligatorischen Kategorien nicht in den 27 Mitgliedstaaten bestanden und sich diese Verpflichtungen durch die Einschränkung der Auswahl der Verbraucher innovations- und wettbewerbshemmend auswirken konnten. Die ALDE-Fraktion hat jedoch dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates zugestimmt und unterstützt die Idee von Übergangszeiträumen für bestimmte Produktgruppen.

Die ALDE-Fraktion war andererseits nicht unbedingt dafür, eine Revisionsklausel in den eigentlichen Richtlinientext aufzunehmen, da sie es für ausreichend hielt, auf diese Revisionsklausel in einem Erwägungsgrund hinzuweisen. In Anerkennung der Überzeugungskraft des Berichterstatters wird die ALDE-Fraktion ihn jedoch in diesem Punkt unterstützen, so wie sie übrigens alle seine Änderungsanträge befürworten wird.

Gestatten Sie mir jedoch am Rande dieser Abstimmung meinem Bedauern darüber Ausdruck zu verleihen, dass die Idee einer Tabelle der Entsprechungen in Artikel 8 des ursprünglichen Vorschlags von keiner der Institutionen wieder aufgegriffen wurde. Gemäß der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ werden die Mitgliedstaaten nämlich ermuntert, für sich selbst und im Interesse der Gemeinschaft eigene Tabellen der Entsprechungen zwischen den Richtlinien und den Umsetzungsmaßnahmen zu erstellen und sie vor allem zu veröffentlichen. Für die ALDE-Fraktion, die sich sehr stark für die Verbesserung der Verbraucherinformation einsetzt und darüber hinaus für eine bessere Aufklärung der europäischen Bürger kämpft, ist dieser Punkt besonders wichtig.

 
  
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  Charlotte Cederschiöld (PPE-DE).(SV) Frau Präsidentin! Die schwedischen Mitglieder der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten sind gegen eine Verpackungsrichtlinie und würden sie am liebsten ganz abschaffen. Ich habe mich für die Rettung der schwedischen Milchverpackungen, für Bürokratieabbau und die Verhinderung einer Aussprache über Milchräuberei eingesetzt.

Der Berichterstatter Toubon hat verhandelt und einen Kompromiss mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und mit dem Rat erreicht. Dieser Kompromiss sieht jetzt anders aus.

Heute ist der 9. Mai, ein Tag des Friedens in Europa. Die Devise ist: Verhandlungen statt Krieg. In diesem Geiste will ich versuchen meinen persönlichen Beitrag zu leisten. Verhandlungen setzen Kompromisse voraus. Wer Kompromisse schließen kann, trägt zur Entwicklung Europas bei. Es ist schwerer, an der richtigen Stelle Ja anstatt Nein zu sagen. Ich persönlich befürworte den Kompromiss des Kollegen Toubon, unabhängig davon, was meine schwedischen Kollegen tun. Das ist meine Art, den 9. Mai zu feiern, d. h. durch ein wenig mehr Kompromissbereitschaft in der Frage der Verpackungsrichtlinie, denn so wird das moderne Europa gebaut – Stein für Stein, Kompromiss für Kompromiss. Dazu möchte ich auch beitragen und stimme daher dem Vorschlag zu. Lassen Sie mich abschließend noch sagen:

(FR) Meine Hochachtung, Herr Toubon.

 
  
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  Der Präsident. Herr Toubon ist genau hinter Ihnen auf der anderen Seite, Frau Cederschiöld. Die Aussprache ist jedenfalls geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

 

18. Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten (Aussprache)
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  Der Präsident. Als nächster Punkt folgt die Empfehlung für die zweite Lesung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge („Rahmenrichtlinie“) (09911/3/2006 – C6-0040/2007 – 2003/0153(COD)) (Berichterstatter: Malcolm Harbour) (A6-0145/2007).

 
  
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  Malcolm Harbour (PPE-DE), Berichterstatter. (EN) Frau Präsidentin! Es ist mir eine Freude, diesen Bericht heute Abend im Namen des Ausschusses vorstellen zu können. Ich möchte die Arbeit meines Kollegen, Herrn Gargani, würdigen, der für diesen Bericht in erster Lesung zuständig war – damals wurde vom Parlament bereits ein erheblicher Teil der Arbeit erledigt. Mein Dank gilt auch der Kommission und dem Rat, da wir gemeinsam unermüdlich an einem äußerst komplexen und technischen Vorschlag gearbeitet haben. Insgesamt umfasst der Bericht nahezu 400 Seiten. Das muss einer der umfangreichsten Berichte sein, die dem Parlament jemals vorgelegt wurden. Vor allem aber, Herr Kommissar, möchte ich Ihren Mitarbeitern danken – Herrn Schulte-Braucks und Herrn Delneufcourt –, die meines Wissens für viele dieser 400 Seiten hauptsächlich verantwortlich sind. Meines Erachtens haben sie eine besondere Erwähnung heute Abend verdient.

Dieser Bericht ist für die Vollendung des Binnenmarktes im Kfz-Bereich ausgesprochen wichtig. Die gesamte Rechtsgrundlage für die technische Regulierung von Kraftfahrzeugen war einer der ersten harmonisierten Bereiche im EU-Binnenmarkt. Wir haben es aber erst jetzt geschafft, ein umfassendes Typgenehmigungsverfahren für alle Kategorien von Kraftfahrzeugen, Anhängern, großen Bauteilsystemen und wesentlichen Komponenten zu schaffen. Daher denke ich, dass wir dies gerade heute – am Europatag – als bemerkenswerte Errungenschaft feiern können, die wir in dieser Phase erreicht haben. Dies heißt natürlich, dass wir von besseren Umwelt- und Sicherheitsstandards für Fahrzeuge, einheitlichen und unabhängigen Überprüfungen und wirklich gleichen Wettbewerbsbedingungen profitieren werden, von denen die Unternehmen so oft reden. In diesem Fall ist uns das wirklich gelungen. Ein ganz besonders großer Schritt nach vorn wurde meines Erachtens dadurch gemacht, dass allen kleinen und großen Herstellern die Möglichkeit eingeräumt wurde, ihre Fahrzeuge von einer nationalen Typgenehmigungsbehörde auf ihre Übereinstimmung mit einer europäischen Verordnung hin prüfen zu lassen und diese Fahrzeuge auf jedem Markt innerhalb der Europäischen Union anzubieten.

Für die zweite Lesung wurden ungewöhnlich viele Änderungsanträge eingereicht, die morgen zur Abstimmung kommen. Dies zeigt, dass wir hier viel Arbeit hineingesteckt und weitere Verbesserungen vorgenommen haben. Ich möchte nur einige dieser Punkte heute Abend hervorheben. Besonderer Dank gilt auch dem Rat. Ich freue mich, dass Herr Deldrup ebenfalls einen Redebeitrag halten wird, was meiner Meinung nach deutlich macht, dass der Rat diesem wichtigen Dossier große Bedeutung beimisst.

Zunächst einmal fanden verschiedene Diskussionen statt, um diverse Fragen im Zusammenhang mit der Typgenehmigung von Bussen und dem entsprechenden Zeitrahmen zu klären. Der Bussektor ist außerordentlich wichtig, denn die Typgenehmigungsrichtlinie spielt auch in die Busrichtlinie mit hinein, an der viele von uns mitgearbeitet haben. Die Typgenehmigungsrichtlinie bringt erhebliche Verbesserungen im Sicherheitsbereich mit sich und wirft wichtige Fragen wie behindertengerechte Zugänge zu allen Bustypen auf. Mit dieser Richtlinie wird im Wesentlichen ein einheitlicher Rahmen für die Typgenehmigung von Bussen in der ganzen Europäischen Union geschaffen.

Der zweite Aspekt, der der Richtlinie zwischen der ersten und zweiten Lesung erst neu hinzugefügt wurde, war die Einrichtung eines neuen Typgenehmigungsverfahrens für Zubehör und Ersatzteile, die sich auf die Umweltwerte und die Sicherheit eines Fahrzeugs auswirken. Es ist wichtig, dass wir ein Genehmigungsverfahren für diese Kategorie von Bauteilen haben, damit in diesem Bereich ein umfassender Verbraucherschutz gewährleistet werden kann. Doch damit gerät das gesamte Typgenehmigungsverfahren auch in den Blickwinkel vieler kleiner und mittlerer Unternehmen. Deshalb habe ich zusammen mit den anderen Einrichtungen hart daran gearbeitet, ein äußerst effektives Verfahren auf die Beine zu stellen, um die entsprechenden Bauteile erst einmal zu ermitteln und dabei auch die Hersteller dieser Bauteile mit einzubeziehen. Außerdem haben wir uns eingehend mit der Entwicklung neuer Prüfstandards beschäftigt, die für die Genehmigung benötigt werden. Damit haben die Hersteller dieser Bauteile und insbesondere Tuning-Unternehmen und andere Firmen jetzt natürlich die Möglichkeit, sich mit einer einzigen Genehmigung Zugang zum gesamten Binnenmarkt zu verschaffen. Das ist meines Erachtens ein großer Vorteil, über den sie sehr froh sein werden.

Ein weiterer Aspekt, mit dem wir uns befasst haben, war das Genehmigungsverfahren für Kleinserienfahrzeuge. Herr Gargani hatte ja gefordert, dass der Grenzwert für Fahrzeuge mit geringem Volumen angehoben werden sollte. Es wurde ein Kompromiss erzielt, diesen Wert auf tausend Fahrzeuge zu erhöhen, für die ein vereinfachtes Typgenehmigungsverfahren gilt. So wird den Herstellern von Kleinserienfahrzeugen das Leben erheblich erleichtert. Wir haben ferner auch eine wichtige Kategorie behindertengerechter Fahrzeuge definiert – nämlich „rollstuhlgerechte Fahrzeuge“. Dies sind Kleinserienfahrzeuge, die für den Zugang von Rollstuhlfahrern in ihren eigenen Rollstühlen umgerüstet wurden. Im Einvernehmen mit der Kommission und dem Rat schlage ich vor, dass wir für diesen Fahrzeugtyp eine neue Kategorie einrichten. Die Hersteller dieser Fahrzeuge, die immer mehr Bedeutung erlangen, sind sehr froh darüber, dass ihren Belangen in dieser Weise Rechnung getragen wird. Sie sind zuversichtlich, dass dadurch mehr Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse behinderter Nutzer sowie die Vorteile und die Ausstattung von Rollstühlen gelenkt wird. Wir werden morgen hier in Brüssel ein Fahrzeug dahaben, um die von uns erzielten Verbesserungen zu demonstrieren.

Abschließend kann man sagen, dass diese Richtlinie im Hinblick auf den Binnenmarkt einen äußerst bedeutenden Schritt nach vorn darstellt. Es ist mir eine Ehre gewesen, mich im Namen des Parlaments damit zu befassen. Ich empfehle den Abgeordneten, morgen für diese Richtlinie zu stimmen.

 
  
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  Engelbert Lütke Daldrup, amtierender Ratspräsident. Frau Präsidentin, Herr Vizepräsident Verheugen, meine sehr verehrten Abgeordneten! Morgen werden Sie über eine neue wichtige Richtlinie zur Typgenehmigung von Pkw, Lkw und Bussen, sowie deren Anhängern abstimmen. Als amtierende Ratspräsidentschaft freuen wir uns, dass wir zu dieser Richtlinie im Vorfeld eine Einigung mit dem Europäischen Parlament über die letzten noch offenen Fragen erzielen konnten.

Wir möchten uns herzlich bei Ihnen, Herr Harbour, und Ihren Kollegen für die gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und der Fahrzeugsicherheit in der Gemeinschaft sowie zur Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes im Kfz-Bereich. Mit der neuen Richtlinie wird die bisher nur für die Pkw vorgesehene europäische Typgenehmigung auf Lkw, Busse sowie deren Anhänger ausgedehnt. Damit können künftig auch die Hersteller dieser Fahrzeuge die Vorteile der europäischen Typgenehmigung nutzen. Zugleich wird sichergestellt, dass alle Neufahrzeuge in der Europäischen Union in Zukunft die gleichen hohen Sicherheitsstandards erfüllen. Damit dient die neue Richtlinie nicht nur der europäischen Automobilindustrie, sondern auch allen Bürgern der Gemeinschaft.

Wir zählen auf Ihre Zustimmung in der morgigen Abstimmung und werden danach die Richtlinie auf einer der nächsten Ratstagungen verabschieden, damit sie so schnell wie möglich in Kraft treten kann.

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte dem Berichterstatter, Herrn Harbour, ganz besonders herzlich zu seinem Bericht gratulieren und ihm für seine Arbeit danken, die zu einem wirklich ausgezeichneten Ergebnis geführt hat.

Bei diesem Richtlinienvorschlag handelt es sich um ein ganzes Paket von Vorschriften, die das Inverkehrbringen von Fahrzeugen in den Mitgliedstaaten beschleunigen sollen. Das ist in der Tat – wie der Vertreter der Präsidentschaft gerade hervorgehoben hat – mit großen Vorteilen für Hersteller, Spediteure und Nutzer verbunden.

Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist unbestritten eine der größten Erfolgsgeschichten der europäischen Politik. Was allerdings die Nutzfahrzeuge angeht, so haben die Hersteller bislang vergeblich auf eine vollständige Öffnung der Grenzen gewartet.

Seit 1996 ist die Richtlinie über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen das wichtigste Rechtsinstrument der Europäischen Gemeinschaft zur Schaffung des Binnenmarktes in der Automobilbranche. Damals erhielten alle Fahrzeugklassen Zugang zum Binnenmarkt. Ausgenommen davon waren nur die Nutzfahrzeuge, also Omnibusse, LKW und ihre Anhänger. Dabei stellen diese eine Branche mit großer wirtschaftlicher Bedeutung dar. Allein für das Jahr 2006 wurden in der Gemeinschaft zwei Millionen neue Leichtlastkraftwagen und mehr als eine Viertelmillion neue Schwerlastkraftwagen mit mehr als 16 Tonnen zugelassen. Zum überwiegenden Teil wurden diese Fahrzeuge in der Europäischen Union gebaut. 2007 werden diese Zahlen sogar weit übertroffen werden, wenn man von den für das erste Quartal verfügbaren Daten ausgeht.

Durch diese neue Rahmenrichtlinie soll vor allem das Prinzip des gemeinschaftsweit einheitlichen Typgenehmigungsverfahrens auf alle Fahrzeuge ausgeweitet werden. Zudem brauchen die Automobilhersteller die Fahrzeuge nicht mehr nach den Vorschriften jedes einzelnen Mitgliedstaats zu konstruieren, um sie verkaufen zu dürfen. Vielmehr gelten harmonisierte technische Spezifikationen, so dass Mengenvorteile zum Tragen kommen und überholte Verwaltungsverfahren vermieden werden. Auch davon profitieren die Transportunternehmen und letztlich die Verbraucher.

Ein weiterer wesentlicher Punkt dieser Richtlinie ist, dass Neufahrzeuge eine ganze Reihe von Richtlinien zur technischen Harmonisierung im Bereich der Sicherheit erfüllen müssen. Gerade in einer Zeit, in der die Nutzfahrzeuge keinen guten Ruf in der Öffentlichkeit haben, wird dies ganz entscheidend zur Straßenverkehrssicherheit in der gesamten Europäischen Union beitragen.

Natürlich wurden die kleinen und mittleren Unternehmen nicht vergessen. Auch sie erhalten leichteren Zugang zum Binnenmarkt. Den Herstellern von Fahrzeugen mit besonderer Zweckbestimmung oder von Kleinserien bzw. den Aufbauherstellern, die meist im Auftrag von Transportunternehmen arbeiten, kommen nun vereinfachte Verfahren zugute, die sie ohne großen Papierkrieg abwickeln können.

Ich teile genau das, was Herr Harbour über das Anliegen jener Betriebe gesagt hat, die Fahrzeuge behindertengerecht umbauen. Es war sehr wichtig, dass wir dieses Problem gemeinsam lösen konnten. Ich freue mich, dass die Empfehlungen der auf meine Initiative hin eingerichteten Hochrangigen Gruppe CARS 21 in diesen Richtlinienvorschlag unverändert eingeflossen sind. CARS 21 hat es uns ermöglicht, den gesetzgeberischen Rahmen festzulegen, in dem wir uns künftig bei der technischen Reglementierung bewegen werden.

Hier ist noch ein wichtiger Punkt zu erwähnen: Internationale Regelungen erlangen immer mehr Bedeutung, und zwar handelt es sich hier um Regelungen, die laufend im Rahmen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa erarbeitet werden. Dazu gehört auch, dass wir in vielerlei Hinsicht veraltetes Gemeinschaftsrecht abschaffen und den Herstellern ermöglichen, zur Erlangung einer Typgenehmigung selbst Prüfergebnisse vorzulegen.

Zum Spannungsverhältnis zwischen der Sprachenregelung der Gemeinschaft und dem direkten Bezug auf internationale Standards und Regelungen möchte ich sagen, dass die Kommission dem Änderungsantrag 25 zustimmt, da sie der Auffassung ist, dass in diesem speziellen Industriesektor eine direkte und zeitnahe Bezugnahme auf solche Standards die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors deutlich verbessern kann. Das gilt sowohl auf globaler Ebene wie auch innerhalb der EU. Die Automobilbranche ist weltweit tätig. Sie braucht daher internationale Standards mehr und dringender als manche andere Branche.

Die Kommission unterstützt die Änderungsanträge für eine Einigung in zweiter Lesung und ist der Überzeugung, dass dieser Vorschlag in ausgewogener Weise den Interessen von Industrie, Transportunternehmen und Verbrauchern sowie den Erfordernissen der Mitgliedstaaten gerecht wird.

 
  
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  Anja Weisgerber, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Auch ich möchte zunächst dem Berichterstatter, Malcolm Harbour, für seine ausgezeichnete und sehr professionelle Arbeit an diesem Dossier danken. Den mit der Ratspräsidentschaft ausgehandelten Kompromiss kann ich voll und ganz unterstützen.

Ich möchte daher nur kurz zu einem Punkt Stellung nehmen, der uns bereits bei der Debatte zu Euro-5 beschäftigt hat, und der mir ganz besonders wichtig ist, nämlich zum Zugang zu Reparaturinformationen für freie Werkstätten. Dieser Zugang zu Informationen ist von entscheidender Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger in Europa. Jeder Urlauber, der mit seinem Pkw in Europa unterwegs ist, kann im Ausland eine Autopanne haben. Oft ist die nächste Vertragswerkstatt aber Hunderte von Kilometern entfernt. Daher müssen wir sicherstellen, dass auch freie, unabhängige Werkstätten ein Kraftfahrzeug reparieren können. Zudem sollte sich jeder Autofahrer auch zuhause aussuchen können, in welcher Werkstatt er sein Fahrzeug reparieren lässt. Dieser Wettbewerb wird bestimmt auch den Verbrauchern nutzen. Dies werden wir durch die neuen Regelungen gewährleisten.

So haben wir in die neue Typprüfungsrahmenrichtlinie explizit aufgenommen, dass die Automobilhersteller den unabhängigen Werkstätten alle nötigen Informationen zugänglich machen müssen, um die Reparatur und Wartung eines Kraftfahrzeugs durchführen zu können. Diese Vorschrift steht mit der entsprechenden Regelung in der Euro-5-Verordnung in Einklang, die wir letztes Jahr in erster Lesung verabschiedet haben. Unser Ziel ist es, den Zugang zu Reparaturinformationen für freie Werkstätten zu gewährleisten. Dies soll übergangsweise in Euro-5, letztlich aber in der Typprüfungsrahmenrichtlinie geregelt werden.

Abschließend möchte ich noch an Herrn Kommissar Verheugen appellieren, in den Verhandlungen über die technische Umsetzung den politischen Willen des Parlaments und des Rats durchzusetzen, denn der Zugang zu Reparaturinformationen muss auch in der Praxis funktionieren.

 
  
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  Evelyne Gebhardt, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Herr Ratsvertreter, Herr Kommissar Verheugen! Auch ich bin ganz froh, dass wir in der zweiten Lesung zu einer Vereinbarung zwischen den drei Organen der Europäischen Union gekommen sind, so dass wir morgen abstimmen und dann sehr schnell eine Umsetzung erzielen können.

Für die Sozialdemokratische Fraktion waren drei Punkte von besonderer Wichtigkeit: Erstens, dass wir uns in Artikel 31 darauf verständigen konnten, dass bei Genehmigungsverfahren für Teile oder Ausrüstungen, von denen ein hohes Risiko für das einwandfreie Funktionieren von Systemen ausgeht, ein hohes Verbraucherschutzniveau beibehalten werden kann.

Zweitens bringt der im Ausschuss angenommene Text im Großen und Ganzen eine Klarstellung der verwaltungstechnischen Vorschriften für die Typgenehmigung und weitet sie auf Gemeinschaftsebene auf alle Kraftfahrzeuge einschließlich Busse und Nutzfahrzeuge aus. Indem wir dies auch durchsetzen, können wir zu einer wesentlichen Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit beitragen.

Drittens möchte ich besonders hervorheben, dass – insbesondere mit Hilfe des Berichterstatters – auch eine wesentliche Verbesserung bezüglich der Vorschriften für die Anpassung von Fahrzeugen an den spezifischen Bedarf von Menschen mit Behinderungen durchgesetzt wurde. Dabei denke ich besonders an Menschen im Rollstuhl. Hier sind wir einen großen Schritt vorangekommen, und hier liefern wir den Bürgerinnen und Bürgern ein positives Bild von einem Europa, das die Besorgnisse der Bürger und Menschen in den Mittelpunkt stellt.

 
  
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  Die Präsidentin. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

 

19. Horn von Afrika: Regionale politische Partnerschaft der EU zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung (Aussprache)
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  Die Präsidentin. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Filip Kaczmarek im Namen des Entwicklungsausschusses über das Horn von Afrika: regionale politische Partnerschaft der EU zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung (2006/2291(INI)) (A6-0146/2007).

 
  
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  Filip Kaczmarek (PPE-DE), Berichterstatter. (PL) Frau Präsidentin! Der Bericht über die Strategie der Europäischen Union für Afrika und die politische Partnerschaft der EU für das Horn von Afrika ist die Antwort des Europäischen Parlaments auf die Mitteilung der Europäischen Kommission vom November vergangenen Jahres. Ziel der Mitteilung ist die Konzeption einer regionalen politischen Partnerschaft, bei der die somalische Halbinsel als Ausgangsbasis für einen umfassenden Ansatz der Konfliktprävention in der Region dienen soll, und zwar ausgehend von der Annahme, dass es ohne dauerhaften Frieden keine Entwicklung und ohne Entwicklung keinen dauerhaften Frieden geben kann.

Zwei Überlegungen haben dazu geführt, diese Region als Testfall für die Afrikastrategie der EU auszuwählen: ihre strategische Bedeutung für die EU und die enorme politische Komplexität der drei größten und ineinander verzahnten Konflikte in der Region (Sudan, Äthiopien-Eritrea und Somalia), wo ein regionaler Ansatz die einzig gangbare Strategie zur Konfliktbewältigung darstellt. Mit anderen Worten: nichts wird gelöst sein, bis alles gelöst ist.

Die von der Kommission vorgeschlagene Strategie basiert auf einem umfassenden Ansatz zur Konfliktverhütung am Horn von Afrika, der darauf abzielt, die Ursachen für die Instabilität auf nationaler wie auf regionaler Ebene kurz- und mittelfristig anzugehen und die regionale Zusammenarbeit zu vertiefen. Man mag sich jedoch zu Recht fragen, ob das in einer Region möglich ist, in der fünf von sieben Staaten mit ihren Nachbarn in Konflikt stehen, wo jeder Konflikt weitere hervorbringt, wo ein Land seit 15 Jahren nicht mehr normal funktioniert und ein extrem hoher Prozentsatz der Bevölkerung in Armut lebt. Ist Zusammenarbeit im Rahmen einer regionalen Partnerschaft das Allheilmittel für solch komplizierte Problemverflechtungen? Nach meiner festen Überzeugung ist dies jedoch einen Versuch wert. Bei allen – teils unvermeidlichen – Unzulänglichkeiten der Kommissionsmitteilung, mit denen sich der Bericht befasst (z. B. die stärkere Einbeziehung der Mitglieder des Europäischen Parlaments und der Afrikaner selbst in die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie) sollten wir den vier Annahmen zustimmen, die die Grundlage für diese Strategie bilden: ohne Frieden ist keine nachhaltige Entwicklung möglich und umgekehrt, und ohne wirksame Einbeziehung der afrikanischen Regionalinstitutionen kein dauerhafter Frieden; eine regionale Perspektive bzw. eine gesamtregionale Vereinbarung ist erforderlich, um Lösungen für Einzelkonflikte zu finden; Initiativen für die Regionalintegration werden erfolgreich sein, wenn sie gemeinsame Herausforderungen angehen und sich nicht ausschließlich auf bestehende Konflikte beschränken; bei der regionalen Integration sollten Themen wie Wasser, Wüstenbildung und Ernährungssicherheit und nicht ethnische Spaltungen oder Konflikte im Mittelpunkt stehen. Außerdem hat die EU als solche eine wichtige Rolle in der Region. Sie muss ihr eigenes bewährtes Modell der Integration als Garant für dauerhaften Frieden exportieren, dem meiner Ansicht nach anlässlich des 50. Jahrestages der EU besondere Bedeutung zukommt.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass die Mitteilung der Kommission und auch der Bericht des Europäischen Parlaments nur der Beginn des Prozesses sind und das erklärte Ziel darin besteht, eine Regionalstrategie für dieses Gebiet zu entwickeln. Es sei daran erinnert, dass einige Mitgliedstaaten ihre eigenen Aktivitäten am Horn von Afrika durchführen, und deshalb wendet sich der Bericht nicht nur an die Europäische Kommission, sondern ebenso an die Mitgliedstaaten.

Ziel des Berichts ist es, den Gedanken der Kommissionsmitteilung weiter auszubauen, doch möchte ich nachdrücklich unterstreichen, dass wir Wunschdenken und Ad-hoc-Institutionen unbedingt vermeiden müssen. Wir sollten meines Erachtens auf bestehende Initiativen und erprobte Konzepte aufbauen. Wir müssen einen Sonderbeauftragten der Europäischen Union für das Horn von Afrika ernennen, der sich mit den im Bericht behandelten Themen befasst. Dies würde helfen, Doppelarbeit zu vermeiden, sowie fundiertere Analysen und die Realisierung von politischen Mindestzielsetzungen in den einzelnen Ländern ermöglichen. Wir müssen den Dialog entsprechend Artikel 8 des Cotonou-Abkommen voll ausschöpfen, Parlament und Kommission müssen bei der Konzipierung einer gemeinsamen Strategie unter Einbeziehung von Afrika zusammenarbeiten, wir sollten afrikanische Lösungen anstreben und die afrikanischen Organisationen stärken.

Ich möchte auch all jenen danken, die ihren Beitrag zu diesem Bericht geleistet haben – den Abgeordneten aus dem Entwicklungsausschuss, dem Sekretariat des Entwicklungsausschusses, dem Schattenberichterstatter, dem deutschen Ratsvorsitz sowie den Experten und Nichtregierungsorganisationen, mit denen wir in ständigem Dialog standen.

 
  
  

VORSITZ: RODI KRATSA-TSAGAROPOULOU
Vizepräsidentin

 
  
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  Louis Michel, Mitglied der Kommission. (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kaczmarek schließt sich in seinem Bericht weitgehend der Analyse der Kommission an, wonach ein umfassender regionaler Ansatz erforderlich ist. Die Vorschläge von Herrn Kaczmarek für den einzuschlagenden Weg stimmen größtenteils mit den von der Kommission vorgeschlagenen Schwerpunkten überein, vor allem was die funktionale und regionale Zusammenarbeit betrifft.

Die Beilegung und Prävention der Konflikte am Horn von Afrika sind unserer Ansicht nach nur möglich, wenn auf zwei Ebenen vorgegangen wird. Erstens auf der klassischen Ebene der Vermittlung und der Diplomatie. Die gegenwärtige Situation am Horn von Afrika erfordert ganz offenkundig ein weitaus entschlosseneres und im Übrigen weitaus einmütigeres Handeln seitens der gesamten internationalen Gemeinschaft. Zweitens auf der Ebene von strukturellen Maßnahmen zur mittelfristigen Konfliktprävention. Das Ziel besteht darin, die Probleme, von denen die Länder der Region betroffen sind, an der Wurzel anzupacken, indem gemeinsame Entwicklungsprobleme, die sich auch auf die Sicherheit und Stabilität auswirken, angegangen werden.

Dieser zweite Weg wird auch in der regionalen Strategie für das Horn von Afrika vorgeschlagen, die die Kommission in ihrer Mitteilung vom Oktober 2006 darlegte. Ich möchte klarstellen, dass das vorrangige Ziel der Mitteilung in der Schaffung eines strategischen Rahmens besteht, der die Art der Herausforderungen am Horn von Afrika berücksichtigt und die wichtigsten Aktionslinien festlegt, die für die Europäische Union möglich sind.

In der Mitteilung werden drei Interventionsschwerpunkte festgelegt. Erstens, Bewältigung der auf Länderebene bestehenden Probleme mit Auswirkungen auf die Region; zweitens, Angehen der regionalen Querschnittsthemen und der grenzübergeifenden Probleme, die Quellen für Konflikte und Instabilität sind; sowie drittens Förderung der regionalen Integration. Wie in dem Bericht zu Recht hervorgehoben wird, ist eine echte Eigenverantwortung erforderlich – eine wirkliche politische Eigenverantwortung, die nicht nur von den Ländern am Horn von Afrika, sondern auch auf europäischer Ebene für diese Strategie übernommen wird. Deshalb finden die Einbeziehung des Europäischen Parlaments bei diesem Thema sowie der Bericht von Herrn Kaczmarek unsere entsprechende Wertschätzung.

Seit der Vorlage der Mitteilung der Kommission im Oktober letzten Jahres habe ich die Debatten des Europäischen Parlaments über die regionale Strategie für das Horn von Afrika mit großem Interesse verfolgt und an der Aussprache im Entwicklungsausschuss im Februar dieses Jahres auch persönlich teilgenommen. Seit Oktober letzten Jahres fanden außerdem auf der Ebene der Arbeitsgruppen des Rates konstruktive Gespräche statt.

Was wir bewerkstelligen, aber nicht aufzwingen wollen, ist in Wirklichkeit ein dynamischer Prozess. Wichtig ist, dass dieser Prozess jetzt in Gang gesetzt wurde, und zwar mit Unterstützung der Staats- und Regierungschefs der Region. Die Kommission hat am 23. April bereits eine Konferenz mit den persönlichen Vertretern der Staats- und Regierungschefs veranstaltet. Dieses Treffen war sehr positiv und viel versprechend.

Dieser umfassende und intensive Konsultationsprozess ermöglicht es uns, zuversichtlich und gut vorbereitet in die Umsetzungsphase einzutreten. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Der Bericht, den Sie morgen annehmen werden, wird eine sehr wichtige Stütze darstellen und selbstverständlich bei dem Dialog in den nächsten Monaten impulsgebend und richtungsweisend sein.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Regionalplanung für den 10. Europäischen Entwicklungsfonds für das Horn von Afrika natürlich weitgehend von den Ergebnissen dieses Prozesses abhängen wird, in dessen Verlauf die prioritären Maßnahmen festgelegt werden. Ferner möchte ich deutlich machen, dass die von der Kommission vorgeschlagene Strategie für das Horn von Afrika nicht die im Rahmen des 10. Europäischen Entwicklungsfonds erarbeiteten Strategien ersetzen soll. Sie dient gewissermaßen ihrer Ergänzung. Ebenso wenig wird sie an die Stelle der notwendigen parallelen Maßnahmen zur Krisen- und Konfliktlösung treten, die, wie ich zu Beginn meiner Ausführungen betont habe, auf politischer und diplomatischer Ebene weitergeführt werden müssen.

Die Empfehlungen des Berichts zur Staatsführung und zur Stärkung des politischen Dialogs finden daher meine volle Zustimmung. Zwei Punkte in dem Bericht erscheinen mir ebenfalls überaus bedeutsam, gehen aber über den regionalen Rahmen des Horns von Afrika und der vorgeschlagenen Strategie hinaus: die gemeinsame Strategie EU-Afrika und die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur.

Auf diese beiden Punkte könnte ich ebenfalls eingehen sowie weitere Themen ansprechen, die das Horn von Afrika und mögliche Maßnahmen in dieser Region betreffen, doch meine Redezeit erlaubt es mir nicht. Vielleicht werde ich aber später, wenn ich auf Ihre Stellungnahmen antworten werde, Gelegenheit haben, auf diese Punkte zurückzukommen.

 
  
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  Glenys Kinnock, im Namen der PSE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Herrn Kaczmarek und dem Kommissar für seine Ausführungen zu diesem Bericht recht herzlich danken.

Am Horn von Afrika weiß man kaum, wo man eigentlich anfangen soll, da wir es mit einem tödlichen Cocktail aus Konflikten und Armut zu tun haben. Es handelt sich um eine Region, wo kaum Rechtsstaatlichkeit herrscht, wo Konzepte wie Demokratie und Menschenrechte unbekannt sind und wo fünf von sieben Ländern mit ihren Nachbarn in Konflikt stehen. Daher kann es – wie der Berichterstatter meinte – keine wirkliche Sicherheit und keine Entwicklung ohne Frieden geben. Die vordringlichsten Aufgaben sind Friedensaufbau, Konfliktprävention und Konfliktbeilegung. Diese stehen auch im Mittelpunkt des Berichts.

Es sollte nicht vergessen werden, dass sich – wie dem Kommissar wohl bekannt ist – in anderen afrikanischen Regionen, beispielsweise in Westafrika – ich war gerade erst an der Elfenbeinküste – und in der Region der Großen Seen, nunmehr langsam Frieden ausbreitet. Das Horn von Afrika hebt sich jedoch als die Region heraus, wo wir die Probleme mithilfe des Konfliktmanagements und der Konfliktprävention nicht in den Griff bekommen haben. Die Idee eines Beauftragten und die anderen Vorschläge sind sicherlich äußerst begrüßenswert.

Am Horn von Afrika sind die schlimmsten Beispiele für Konflikte zu beobachten. Seit dem Ausbruch des Darfur-Konflikts im Jahr 2003 sind der UNO zufolge ungefähr 200 000 Menschen ums Leben gekommen und zwei Millionen Bürger auf der Flucht. Die Regierung des Sudan will noch immer nichts von den Vermittlungsbemühungen, einschließlich denen des UN-Generalsekretärs, wissen. Die Grenzstreitigkeiten zwischen Eritrea und Äthiopien bleiben ebenfalls ungelöst. Insofern verstößt die Regierung Äthiopiens nach wie vor gegen das Völkerrecht. Die politische Führung Eritreas und Äthiopiens weigert sich, den Menschen das Recht auf freie Wahl ihrer Regierung zuzugestehen und – wie im Falle Äthiopiens – die Wahlergebnisse zu achten. Nun sind in Somalia schwere Kampfhandlungen ausgebrochen, wobei ungefähr tausend Menschen ihr Leben verloren haben und äthiopische Truppen an vorderster Front mitmachen. Sie kämpfen im Namen der somalischen Übergangsregierung, erhalten aber natürlich auch – wie wir alle zur Kenntnis nehmen müssen – verdeckte Unterstützung durch die Amerikaner. Die Eritreer wiederum stellen sich hinter die islamistischen Milizen.

Ich habe den Kommissar in dieser Angelegenheit bereits angeschrieben und möchte ihn noch einmal fragen, warum wir die Übergangsregierung in Somalia so stark unterstützen und warum wir nicht den blutigen Prozess hinterfragen, den wir offenbar in vielerlei Hinsicht weiterhin tolerieren. In Somalia droht eine humanitäre Katastrophe, und wir ziehen die Verantwortlichen in der Übergangsregierung für ihr Vorgehen noch immer nicht zur Rechenschaft. Warum, Herr Kommissar, stellen wir keine Fragen? Hält uns politisches Kalkül davon ab? Warum ziehen sich die Äthiopier nicht zurück? Warum kann nicht für Sicherheit gesorgt werden? Warum gibt es keine wirkliche Gewaltenteilung? Und besteht die EU darauf, dass die Gemäßigten in den islamischen Gerichten an einer möglichen Lösung für Somalia beteiligt werden?

Schließlich bleibt noch die Frage, ob die EU wirklich am Aufbau staatlicher Strukturen am Horn von Afrika interessiert ist oder ob wir im Grunde genommen andere Prioritäten verfolgen. Dürfte ich vorschlagen, dass die anderen Prioritäten am Horn von Afrika auf den so genannten Kampf gegen den Terror ausgerichtet werden?

 
  
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  Danutė Budreikaitė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) In ihrer Mitteilung „Strategie für Afrika: Eine regionale politische Partnerschaft der EU zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung am Horn von Afrika“, die 2006 veröffentlicht wurde, zeigt die Kommission ihr Unvermögen, Wege zur Lösung der Probleme am Horn von Afrika zu finden, wenn sie erklärt, dass es ohne dauerhaften Frieden keine Entwicklung und ohne Entwicklung keinen dauerhaften Frieden geben wird. Das ist doch ein Teufelskreis. Beide Faktoren müssen gleichzeitig eintreten; aber wie wir sehen, ist das in der Realität nicht glaubwürdig. Am Horn von Afrika funktionieren weder die Strategie für Afrika noch die Artikel 8 und 11 des Abkommens von Cotonou. Regionale Instabilität und militärische Konflikte, an denen mehr als ein Land beteiligt ist, vor allem die grausame Situation in Darfur, zeigen, dass für das Horn von Afrika ein besonderes Modell des Krisenmanagements gebraucht wird, das die Beseitigung von Gefahrenherden für militärische Konflikte und die Begründung eines friedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens beinhaltet.

Die EU stellt mehr als 55 % der weltweiten humanitären Hilfe für die Entwicklungszusammenarbeit bereit. Aufgrund der militärischen Aktivitäten am Horn von Afrika lässt sich nicht wirklich einschätzen, wie viel humanitäre Hilfe benötigt wird, wann sie einsetzen und wann sie aufhören sollte und wann es möglich sein wird, die eigentlichen Ziele der Entwicklungszusammenarbeit weiter zu verfolgen, nämlich die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele und die Armutsminderung in den Ländern am Horn von Afrika. Betonen möchte ich, dass die EU ihre Unterstützung und Aktionen am Horn von Afrika mit anderen Länder abstimmen muss, beispielsweise mit China, Indien und den USA, die wirtschaftliche Interessen in den Ländern am Horn von Afrika haben. Andernfalls sind kaum echte Fortschritte bei der Herstellung von Frieden und Sicherheit in der Region zu erwarten. Diese Länder, ebenso die Vereinten Nationen und andere Organisationen, müssen zusammen mit der EU ein besonderes Modell für das Krisenmanagement für das Horn von Afrika schaffen.

 
  
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  Józef Pinior (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Vor allem möchte ich Herrn Kaczmarek zu diesem Bericht gratulieren. Es ist ein schwieriger und wichtiger Bericht über eine Region, in der die Europäische Union noch keine allzu großen Fortschritte erzielt hat. Es geht um die somalische Halbinsel, deren Länder sich in einem ständigen Konflikt befinden, eine Region, in der es schwierig ist, über Rechtsstaatlichkeit, demokratische Institutionen oder Menschenrechte zu sprechen. Es ist eine der am wenigsten entwickelten Regionen der Welt.

Was die Europäische Union jetzt vor allem erreichen muss, ist, Institutionen aufzubauen, die dem bewaffneten Konflikt auf der Halbinsel wirklich eine Ende setzen, ein Mindestmaß an Achtung der Menschenrechte garantieren und die Bildung von Regierungen unterstützen, die auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit basieren.

Frau Präsidentin! Ich möchte an die großen politischen Traditionen, die großen Traditionen des Entwicklungsmodells erinnern, das nach dem Zweiten Weltkrieg den Kampf der Länder Europas sowie der Vereinigten Staaten gegen den Kolonialismus, für die Errichtung neuer Staaten und Demokratien in den ehemals kolonialisierten Teilen der Welt begleitet hat. Vielleicht sollte die Europäische Union es sich grundsätzlich zur Aufgabe machen, den Aufbau von Staaten, nationalen Institutionen und starken Regierungen zu unterstützen, die Rechtsstaatlichkeit zu garantieren vermögen.

Ich stimme völlig mit Herrn Kaczmareks Vorschlägen wie der Ernennung eines EU-Sonderbeauftragten für die somalische Halbinsel und der Unterstützung der afrikanischen Länder bei der Errichtung regionaler Institutionen der Zusammenarbeit durch die EU überein.

 
  
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  Louis Michel, Mitglied der Kommission. (FR) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Antwort wird relativ kurz ausfallen, wenngleich natürlich eine umfassende Aussprache nötig wäre, um das Thema zu behandeln.

Selbstverständlich pflichte ich den Analysen und Beurteilungen bei, die ich zur demokratischen Glaubwürdigkeit einiger Länder am Horn von Afrika gehört habe. Etwas zurückhaltender hingegen bin ich in der Frage nach einer Mitverantwortung der Kommission und der Europäischen Union.

Das Horn von Afrika ist eine Region, von der heute gesagt werden kann, dass die Kommission dort sehr stark engagiert ist. Und es ist zweifellos die Region, der ich selbst die meist Zeit widme. Frau Kinnock sprach selbstverständlich über Äthiopien, und zwar völlig zu Recht. Denn bei diesem Land geht es um ein völkerrechtliches Problem, das ich übrigens gegenüber seinem Ministerpräsidenten stets zur Sprache bringe, wenn ich im Rahmen unserer bilateralen Beziehungen mit ihm zu tun habe. Im Grunde genommen beschäftige ich mich sogar fast täglich mit diesem Problem. Ich übermittle die Botschaften, die es zu übermitteln gilt, insbesondere was die politischen Häftlinge betrifft. Ich weiß auch, dass derzeit sehr ranghohe Personen darum bemüht sind, Bewegung in diese Angelegenheit zu bringen.

Zum Thema Somalia möchte ich sagen, dass ich über die Äußerungen erstaunt bin, wir hätten keinerlei Fragen an die Übergangsregierung gestellt. Ich möchte darauf hinweisen, dass man mich buchstäblich gezwungen hat, der ugandischen Stabilisierungstruppe in Somalia 15 Millionen Euro – praktisch bedingungslos – bereitzustellen. Dabei war ich absolut dagegen, sofern nicht von Anfang an das Integrationsprinzip eingehalten wird. Nachdem wir unseren Standpunkt deutlich gemacht hatten und ich diese Bedingung gestellt hatte, versprach uns Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed, eine Nationale Versöhnungskonferenz einzuberufen. Darauf warten wir noch immer. Da eine Aussprache wie diese ja dazu da ist, muss ich Ihnen sagen, dass es zwei wesentliche Gründe gibt, wenn die Entwicklung in Somalia unbefriedigend verläuft bzw. die Dinge nicht richtig vorankommen.

Erstens werden der Konflikt in Somalia und das Somalia-Problem nicht im Zusammenhang mit der allgemeinen politischen Lage am Horn von Afrika betrachtet. Somalia ist in vielen Fällen zum Schlachtfeld für Stellvertreterkriege geworden. Das ist die Wahrheit! Der Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea tangiert auch die Somalia-Frage.

Wenn es keine Fortschritte gibt, wenn keine Lösung gefunden wird, so liegt dies auch an einem zweiten Grund, für den Frau Kinnock Beispiele genannt hat. In der internationalen Gemeinschaft gibt es zwei Standpunkte. Man kann noch so tun, als gebe es nur einen. Tatsache ist, dass in der Völkergemeinschaft zwei Standpunkte vorherrschen, wobei ersterer eher von der Europäischen Union vertreten wird und der zweite von den USA. Sobald sich einer der großen Akteure der internationalen Gemeinschaft vorzugsweise für eine so genannte privilegierte Partnerschaft mit einem anderen Akteur entscheidet und wenn wir dann von unseren eigenen Mitgliedstaaten aufgefordert werden – wie es soeben jemand tat –, dementsprechend genauso mit den anderen internationalen Partnern zu verfahren, befinden wir uns in manchen Fällen in einer Position von Mitläufern. Dadurch können wir, wie ich sagen würde, nicht wirklich autonom, auf der Grundlage unserer eigenen Sichtweise und nach unserem eigenen Gutdünken, handeln. Das ist die Wahrheit. Ich werde das nicht mehr tolerieren, denn es ist wirklich zu einfach, zu sagen: „Sie tun nicht genug, Sie müssen für die Koordinierung mit unserem Partner, sprich den USA, sorgen“. Ich kritisiere nicht die Vereinigten Staaten, die Anspruch auf ihre eigene Strategie haben. Doch ich bin der Meinung, dass, wäre die Europäische Union von Zeit zu Zeit zu einer eigenständigeren und unabhängigeren Strategie in diesen Fragen imstande, wir zweifellos weitaus effizienter wären.

Das wollte ich Ihnen sagen. Vielleicht darf ich Ihnen ferner mitteilen, dass meine Arbeit in den vergangenen Monaten, insbesondere in puncto politischer Dialog, hauptsächlich dem Horn von Afrika gewidmet war. Ich unterbreite diese Strategie – im Rahmen eines, übrigens ausgezeichneten, Berichts – ja gerade deshalb, weil sich die Europäische Union meiner Meinung nach in diese Angelegenheit nicht die Zügel aus der Hand nehmen lassen darf. Und ich sage mir, die Situation ist so komplex und so schwierig, dass zunächst versucht werden muss, alle Beteiligten an den Verhandlungstisch zu bringen. Dort können sie dann ihre gemeinsamen Probleme regeln und gemeinsame Lösungen finden. Das allgemeine Ziel ist, ihnen ein Forum zu bieten, in dem Aussicht auf einen Dialog besteht – einen Dialog, der etwas anderes ist als pausenloses Diskutieren über ihre Konflikte. Mit anderen Worten, eröffnen wir die Perspektive darauf, dass in der Frage der Infrastrukturen, der Ernährungssicherheit, der Dürre, des Hirtennomadismus, des Wassers, dass bei all diesen Themen, an denen sie ein gemeinsames Interesse haben, etwas unternommen wird: möglicherweise besteht dann die Chance zur schrittweisen Regelung politischer Angelegenheiten.

Das ist es, was ich sagen wollte. Es stimmt, wir müssen unsere Maßnahmen mit den anderen wichtigen Entscheidungsträgern koordinieren. Das ist meine aufrichtige Meinung, aber ich bin gleichermaßen der Ansicht, dass wir zu solchen Fragen wie Somalia gelegentlich unseren eigenen Standpunkt vertreten sollten. Wenn wir bis zur letzten Konsequenz hätten durchhalten und sagen können „wir geben keinen Cent für diese Stabilisierungstruppe, bis die Nationale Versöhnungskonferenz in Gang gekommen ist“, wären wir meiner Auffassung nach in einer viel stärkeren Position gewesen.

Lassen Sie mich noch sagen – und damit komme ich zum Schluss –, dass ich auch einen Brief in unmissverständlicher Deutlichkeit und kategorischem Ton an den Präsidenten der somalischen Übergangsregierung geschrieben habe, um ihn an die Einhaltung des Integrationsprinzips bei der Lösung dieses Konflikts zu erinnern.

 
  
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  Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen, am Donnerstag, statt.

 

20. Bewertung von Euratom – 50 Jahre europäische Atomenergiepolitik (Aussprache)
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  Die Präsidentin. – Der nächste Punkt ist der Bericht von Eugenijus Maldeikis im Namen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie über die Bewertung von Euratom – 50 Jahre europäische Kernenergiepolitik (2006/2230(INI)) (A6-0129/2007).

Die Aussprache über dieses Thema am heutigen Tage ist von symbolischer Bedeutung, da wir heute den Europatag begehen.

 
  
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  Eugenijus Maldeikis (UEN), Berichterstatter. – (LT) Wir begehen heute tatsächlich voller Hochachtung und feierlich den 50. Jahrestag der Römischen Verträge. Ich bedauere nur, dass der 50. Jahrestag eines der wichtigsten europäischen Verträge, des Euratom-Vertrags, kaum Beachtung findet, obwohl doch dieser Vertrag erheblich zur Erschließung europäischer Energieressourcen beigetragen hat und beiträgt.

Die Europäische Union wurde zum weltweiten Marktführer im Bereich der Kernindustrie und einer der wichtigsten Akteure der Forschung im Bereich der kontrollieren Kernspaltung und Kernfusion. Nach Angaben von Ende 2006 arbeiteten 152 Kernreaktoren in der Europäischen Union, und die Kernindustrie erzeugte 32 % unseres Stroms. Kernenergie ist eine der wettbewerbsfähigsten Energiequellen.

Ich will kurz etwas zu den wichtigsten Erfolgen des Euratom-Vertrags sagen. Erstens, das erste Programm für wissenschaftliche Forschung wurde im Rahmen des Euratom-Vertrags aufgelegt, brachte eine Reihe Programme für wissenschaftliche Forschung hervor und legte den Grundstein für die Schaffung der Gemeinsamen Forschungsstelle. Aufgrund von Kapitel III des Euratom-Vertrags zum Gesundheitsschutz hat die Europäische Union Rechtsvorschriften erlassen, um zu gewährleisten, dass die grundlegenden Normen für den Schutz der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit eingehalten und Umweltschutznormen eingeführt werden. Ein weiteres Kapitel, dem wichtige Erfolge bei der Umsetzung des Euratom-Vertrags zuzuschreiben sind, ist Kapitel VII zur Sicherheitsüberwachung. Dies ist eine der wichtigsten Errungenschaften des Vertrags, denn es ermöglicht der Kommission und der Öffentlichkeit, die Kernmaterialvorräte und deren Fluss zu verfolgen, wobei die Europäische Union die Kontrolle über dieses sensible Marktsegment hat. Seit Euratom vielen internationalen Abkommen beigetreten ist, darunter auch dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit, sind viele Fortschritte im Bereich der Außenbeziehungen zu verzeichnen. Ich möchte darauf hinweisen, dass Euratom aktiv an gemeinsamen Projekten im Rahmen internationaler Programme zur wissenschaftlichen Forschung und mit einzelnen Ländern, die auf dem Gebiet weltweit führend sind, teilnimmt.

Hervorzuheben ist ferner, dass sich die Euratom-Gründungsländer in diesem Zeitraum bemüht haben, die Entwicklung der Kernenergie in der Europäischen Union sehr streng zu kontrollieren und zu regeln, und sie haben den Euratom-Vertrag um neue Rechtsvorschriften ergänzt. Unbedingt erwähnenswert ist meines Erachtens, dass während der Beratungen im Ausschuss und in der Fragestunde, auch bei Zusammenkünften mit verschiedenen Vertretern des Gemeinschaftssektors, viele Abgeordnete dieses Parlaments die Meinung vertraten, dass die Rolle des Parlaments grundlegend neu geregelt werden muss. Das Problem des Demokratiedefizits des Euratom-Vertrags wird immer drängender, und ich denke, viele Abgeordnete des Europäischen Parlaments stimmen mir da zu. Das Europäische Parlament muss in den umfassenderen Entscheidungsprozess bei Euratom-Rechtsvorschriften einbezogen werden. Wir sind der Auffassung und schlagen nach umfangreichen Beratungen vor, dass es am besten wäre, Artikel 203 des Euratom-Vertrags heranzuziehen, um eine gründliche, konstruktive und schrittweise Lösung für konkrete Problem im Zusammenhang mit der Ausweitung der Befugnisse des Parlaments und der Beteiligung des Parlaments an der Überwachung der Euratom-Aktivität zu ermöglichen.

Ich möchte noch kurz einige andere wichtige Dinge ansprechen. Es wird oft gesagt, man solle den Euratom-Vertrag abschaffen, da er veraltet sei und seiner Funktion bei Energiefragen in der heutigen Zeit nicht mehr gerecht werden könne. Dies hätte jedoch gefährliche Rechtsunsicherheit im gesamten Hoheitsgebiet der Europäischen Union zur Folge, weil dieser Vertrag eine Vielzahl technischer Belange regelt und seine Abschaffung wirklich die Bedrohung und Gefahr einer Nationalisierung der Kernenergieressourcen heraufbeschwören würde. Auch Vorschläge zur Abschaffung bestimmter Kapitel oder der Auflösung der gesamten Struktur bergen diese Gefahr. Im Wesentlichen würde dadurch die Überwachung der Nutzung der Kernenergie in der Europäischen Union geschwächt. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die aktiv an den Beratungen teilgenommen haben, und bitte Sie um Unterstützung für diesen Bericht.

 
  
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  Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Die Kommission begrüßt den Bericht von Herrn Maldeikis nachdrücklich.

Meiner Ansicht nach enthält dieser Bericht eine äußerst gründliche Analyse und bietet eine umfassende und sehr ausgewogene Bewertung des Euratom-Vertrags, wobei seine positiven Errungenschaften herausgestellt werden, gleichzeitig aber seine Unzulänglichkeiten nicht verborgen bleiben. In dem Bericht werden die gleichen Schlussfolgerungen gezogen, die auch in der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „50 Jahre Euratom-Vertrag“ zum Ausdruck kommen, die wir am 20. März verabschiedet haben.

Ich bin überzeugt, dass sich der Euratom-Vertrag als nützliches Instrument erwiesen hat sowohl für die Mitgliedstaaten, die die Kernenergie zur Stromerzeugung nutzen, als auch für diejenigen, die darauf verzichten.

Die Umsetzung der Bestimmungen des Euratom-Vertrags hat ein einheitliches europäisches Herangehen an die Weiterentwicklung und Nutzung der Kernenergie möglich gemacht. Am sichtbarsten ist dieser Ansatz bei der Umsetzung der Forschungspolitik, der Anwendung der nuklearen Sicherheitsvorschriften, der Versorgungspolitik und den internationalen Beziehungen.

Vorrangiges Ziel der Kommission wird in der ihr verbleibenden Amtszeit zweifelsohne weiterhin die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für die nukleare Sicherheit sein. Nachdem der Europäische Rat im vergangenen März eine Einigung über den Vorschlag der Kommission erzielt hat, möchten wir nun eine hochrangige Gruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten einrichten, die sich mit Fragen der nuklearen Sicherheit und der Abfallbehandlung beschäftigen soll. Ich weiß, dass wir auf die kontinuierliche Unterstützung des Parlaments zählen können, wenn es darum geht, praktische Maßnahmen zur Verbesserung der nuklearen Sicherheit umzusetzen.

Die Richtlinien über die nukleare Sicherheit und die Behandlung nuklearer Abfälle liegen noch immer beim Rat. Es ist höchste Zeit, dass wir hier vorankommen.

Es steht außer Frage, dass im Euratom-Vertrag die Rolle des Europäischen Parlaments nicht ausreichend berücksichtigt wird. Die Kommission versteht voll und ganz, dass das Parlament unzufrieden damit ist, nicht über die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens beschließen zu dürfen. Dazu ist lediglich eine Regierungskonferenz befugt.

Ich möchte jedoch daran erinnern, dass die Kommission im Zuge der Erarbeitung des Verfassungsentwurfs einen Vorschlag über die Zukunft des Euratom-Vertrags gemacht hatte. In diesem Vorschlag empfahl die Kommission die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens. Wie Ihnen bekannt ist, wurde dieser Vorschlag aber nicht aufgegriffen, und der Euratom-Vertrag blieb somit ein Protokoll, das dem Verfassungsentwurf beigefügt ist.

Zugleich möchte ich unterstreichen, dass die Kommission weiterhin dafür sorgen wird, dass die Ansichten des Europäischen Parlaments vom Rat berücksichtigt werden.

Ich möchte auch auf den letzten Punkt des Berichterstatters zu sprechen kommen. Der Euratom-Vertrag spielt eine bedeutende Rolle. Er enthält Vorschriften über die Nutzung der Kernenergie durch bestimmte Vertragsparteien und legt trotz all seiner Unzulänglichkeiten die verschiedenen Rollen fest. Daher ist es wichtig, dass er auch in Zukunft erhalten bleibt.

 
  
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  Johannes Voggenhuber (Verts/ALE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für konstitutionelle Fragen. – Frau Präsidentin! Der Berichterstatter hat sich darüber verwundert gezeigt, dass die 50 Jahre Euratom-Vertrag nicht gefeiert und in den Geburtstagswünschen nicht erwähnt werden. Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen hat sich mit den Gründen dafür eigentlich sehr eingehend beschäftigt.

Vielleicht sollte daran erinnert werden, dass sich der Euratom-Vertrag heute doch eher wie ein futuristisches Gedicht liest, mit technologischen Heilserwartungen, die niemand mehr teilt; dass die Hälfte der Mitgliedstaaten nicht mehr an der Atomnutzung interessiert ist oder sie aufgeben möchte; dass es riesige Bevölkerungsbewegungen zum Ausstieg aus der Atomenergie gibt; dass es den europäischen Konsens zur Atomkraft — wie er 1957 beschworen wurde — nicht mehr gibt, weil sich moderne Energiepolitik auf andere Energieformen konzentriert; dass der Euratom-Vertrag in einem unerträglichen Ausmaß undemokratisch ist. All dies hat den Verfassungskonvent dazu bewogen, die Herauslösung des Euratom-Vertrages vorzuschlagen. Er sollte eben nicht mehr konstitutionelles Element der Europäischen Union sein.

Dieses Haus — und ich war sehr verwundert, dass der Berichterstatter und der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie das nicht aufnehmen — hat ausdrücklich eine Revisionskonferenz mit dem Ziel einer Gesamtrevision des Vertrages gefordert. Dieses Haus hat ausdrücklich unterstützt, dass der Euratom-Vertrag in einem Energiekapitel aufgeht, und es ist mir völlig unerklärlich, warum der Industrieausschuss gegen die Mehrheit des Hauses an diesem futuristischen Gedicht und an diesen ideologischen Bekenntnissen festhält.

 
  
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  Romana Jordan Cizelj, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (SL) Fünfzig Jahre nach der Unterzeichnung des EURATOM-Vertrags ist es nunmehr an der Zeit – und heute ist der ideale Zeitpunkt –, uns zu den Ergebnissen der gemeinschaftlichen europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie zu befragen. Hat der EURATOM-Vertrag unsere Erwartungen erfüllt? Hat er zu höherer Sicherheit in der Energieversorgung beigetragen? Hat er die Forschung befördert? Hat der Vertrag geholfen, Kenntnisse und Informationen über die Kernenergienutzung zu verbreiten?

Ich bin fest davon überzeugt, dass man das bejahen kann. Darüber hinaus hat der EURATOM-Vertrag eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Gewährleistung eines angemessenen Schutzes der Menschen vor Strahlung, im Umweltschutz durch Verhinderung des Missbrauchs von Kernmaterial und bei der Förderung von Forschung und Innovation gespielt.

Die Ergebnisse des Vertrags zeugen davon, dass durch enge und transparente Zusammenarbeit auf europäischer Ebene viel erreicht werden kann. Ein Beispiel dafür ist der Fusionsreaktor ITER, gegenwärtig das größte wissenschaftliche Forschungsprojekt der Welt, an dem Europa führend beteiligt ist. Von keinem einzelnen Mitgliedstaat hätte das erreicht werden können.

Am 50. Jahrestag des EURATOM-Vertrags müssen wir auch in die Zukunft schauen und dabei die heutigen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigen. Aus diesem Grund lenken wir die Aufmerksamkeit auf das so genannte Demokratiedefizit, das sich aus den begrenzten Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments im Entscheidungsprozess herleitet.

Auch möchte ich die Notwendigkeit betonen, gemeinsame europäische Standards auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit zu schaffen, wozu auch Leitlinien für die Stilllegung kerntechnischer Anlagen und die entsprechende Behandlung von radioaktivem Abfall gehören. Ich meine, wir sollten auch der abgestimmten und wirksamen Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergie-Organisation mehr Aufmerksamkeit widmen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der EURATOM-Vertrag bisher seiner Rolle gut gerecht geworden ist. Man muss darauf aufbauen und gewiss keine revolutionären Änderungen aufnehmen oder ihn gar streichen. Abschließend möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Maldeikis, für seine ausgenommen gute Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung dieses Berichts danken.

 
  
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  Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Britta Thomsen, unsere Schattenberichterstatterin, hat mich gebeten, für sie einzuspringen, da sie heute leider nicht anwesend sein kann. Natürlich gibt es auch in unserer Fraktion — so wie in diesem Hause insgesamt — unterschiedliche Meinungen zur Bedeutung der Atomenergie: pro und contra, sehr dagegen, sehr dafür, mittlere Positionen. Das werden wir nicht aus der Welt schaffen.

Aber in einigen Punkten herrscht Einigkeit. Erstens: Sicherheit ist das oberste Gebot, und zwar sowohl im Sinne von safety, also Sicherheit der einzelnen Anlagen, als auch im Sinne von security, also Maßnahmen gegen die Weiterverbreitung atomaren Materials. Das mag vielleicht in Europa selbst kein allzu großes Problem sein. Aber insgesamt müssen wir mit dem besten Beispiel vorangehen. Da die Zusammenarbeit mit der Atomenergiebehörde erwähnt worden ist, möchte ich betonen, dass wir hier sicherlich eine stärkere Multilateralisierung brauchen.

Zweitens: Informationspflicht. Ich bin nicht ganz davon überzeugt, dass die Informationspflicht so toll geregelt ist. Wir haben hier einige Probleme, auch im Zusammenwirken von mehreren Staaten, weil die Informationspflicht eben nicht so gut und so rasch funktioniert. Der dritte Punkt betrifft die Mitbestimmung des Parlaments.

Ich danke dem Kommissar für seine klaren Worte. Ich würde mir vom Berichterstatter wünschen – ich anerkenne seinen Fleiß und seine Arbeit –, dass er nicht sofort ein Schreckgespenst an die Wand malt. Wir brauchen eine grundlegende Revision des Vertrags. Es ist doch selbstverständlich, dass die Revision erst dann in Kraft tritt, wenn sie ausgehandelt ist, und bis dahin gilt der bestehende Vertrag. Daher brauchen wir keine Angst zu haben vor eventuellen Lücken oder einer Renationalisierung.

Aber die Zeichen der Zeit müssen so aufgefasst werden, dass wir gerade im Sinne der Sicherheit einfach mehr tun als im bestehenden Vertrag angelegt ist. Ich würde mir wünschen, dass dieses Haus morgen ein klares Bekenntnis zur Mitbestimmung des Parlaments abgibt. Denn eine so wichtige Frage wie pro oder contra ohne die Mitbestimmung des Parlaments, der Vertretung der Bevölkerung Europas, zu klären, ist für uns inakzeptabel, und ich hoffe, dass es ein klares Votum des Parlaments dafür gibt.

 
  
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  Anne Laperrouze, im Namen ALDE-Fraktion. (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Bericht, der morgen zur Abstimmung gestellt wird, ist ein ausgewogener Bericht, der die sonst bei Kernenergiedebatten üblichen Klippen umgangen hat. Bei der Überprüfung der aktuellen Lage wird dargelegt, welchen Platz die Kernenergie innerhalb des Spektrums der zu Gebote stehenden Optionen einnimmt, und zu ihrer Zukunft in Europa wird eine neutrale Position bezogen.

Der Euratom-Vertrag ist ein Instrument zur rechtlichen Regelung der Nutzung der Kernenergie in Europa, ohne dass sie dadurch gefördert werden soll. Die Kapitel des Euratom-Vertrags sind fast allesamt noch aktuell und nützlich, und dies ist einer der Gründe, weshalb er nicht geschwächt werden darf. Der zweite Grund ist, dass er einen kohärenten Rechtsrahmen für die Kontrolle der Nutzung der Kernenergie in der Europäischen Union darstellt, und zwar zu Gunsten aller Mitgliedstaaten. Er ermöglicht die Übernahme eines soliden gemeinschaftlichen Besitzstands durch die neuen Mitgliedstaaten, der alle Aspekte der Kernenergie – Forschung, Wissensaustausch, Sicherheit, Abfallbewirtschaftung, Strahlenschutz, gemeinsame Unternehmen, Materialüberwachung, Versorgungsagentur, Außenbeziehungen – umfasst. Und obwohl es in das Ermessen jedes einzelnen Mitgliedstaates gestellt ist, sich für oder gegen die Nutzung von Kernenergie zu entscheiden, enthält der Vertrag für die Staaten, die nicht dafür optiert haben, zahlreiche nützliche Bestimmungen, beispielsweise betreffend den Schutz der Arbeitskräfte oder die strikte Kontrolle von Kernmaterial in der Europäischen Union.

Was die Zukunftsvorgaben anbelangt, werden in dem Bericht europäische Rechtsvorschriften in den Bereichen Sicherheit der Kerntechnik und Abfallbehandlung gefordert. Ferner wird auf das Demokratiedefizit des Vertrags hingewiesen und vorgeschlagen, wie es behoben werden kann. Während somit die Zweckmäßigkeit eines Rechtsrahmens für die Nutzung der Kernenergie in Europa anerkannt wird, ist der Bericht gleichzeitig offen für gewisse Anpassungen, ohne sich bereits auf die Instrumente festzulegen. Ich möchte jedoch sagen, dass sich ein Teil meiner Fraktion in dem Bericht einen Hinweis darauf wünscht, dass die Regierungskonferenz das geeignetste Forum darstellt, um dieses Demokratiedefizit abzubauen und dem Parlament eine Mitentscheidungsbefugnis bei einigen Kapiteln einzuräumen.

Abschließend möchte ich meine Zustimmung zu diesem Bericht bekunden und Herrn Maldeikis zu seiner exzellenten Arbeit sowie dazu beglückwünschen, dass er ein solch guter Zuhörer ist.

 
  
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  Rebecca Harms, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin ehrlich gesagt empört über die Behauptung, dass diese Debatte über den Euratom-Vertrag ausgewogen verläuft. Wenn wir uns klarmachen, dass schon ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Euratom-Vertrags in Winscale ein Atomunfall passiert ist, der dazu geführt hat, dass man große Mengen von Lebensmitteln vernichten musste, weil dieses Feuer katastrophale Auswirkungen hatte, dann finde ich es sensationell, dass man heute – 50 Jahre später – behauptet, alles sei in Ordnung.

Der Unfall von Tschernobyl hätte nicht passieren müssen, wenn man zehn Jahre vorher aus der Kernschmelze von Three Mile Island in den USA Konsequenzen gezogen hätte.

Schauen wir nach Europa: In Brunsbüttel in Norddeutschland, in Tihange in Belgien, in Civaux in Frankreich, in Kosloduj und in Pacs – zwei osteuropäische Atomkraftwerke, in Barsebeck und in zuletzt in Forsmark sind Störfälle passiert. Das sind nur einzelne Beispiele von Hunderten oder Tausenden von Störfällen, die sich jährlich ereignen. Aber bei diesen einzelnen Beispielen waren wir nahe an einem großen Unfall von der Dimension von Tschernobyl.

Wenn man heute – 50 Jahre nach Unterzeichnung des Euratom-Vertrags – behauptet, alles sei in Ordnung; wir brauchten keine Revision des Vertrags, wir brauchten keine Transparenz, und wir brauchten keine Mitsprache des Parlaments, dann ist das ein Skandal!

Die Forderung nach einer Überprüfungskonferenz des Euratom-Vertrags ist vom Konvent sowie vom Parlament getragen, und zwar mehrfach. Bevor für einen angeblichen Neubau in Osteuropa nach sowjetischem Design wieder Euratom-Mittel fließen, sollten wir dringend eine Euratom-Vertragskonferenz einfordern.

 
  
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  Vladimír Remek, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (CS) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Zuallererst möchte ich dem Berichterstatter zu einem Dokument gratulieren, das für die Zukunft der EU vielleicht größere Bedeutung hat als uns derzeit bewusst ist.

Die Energiesituation in der EU ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der Union. Bei einem so sensiblen Thema wie die Nutzung der Kernenergie, das die Mitgliedstaaten, unser Parlament und sogar meine Fraktion spaltet, ist es schwierig, aber wirklich notwendig, einen vernünftigen Weg und eine gemeinsame Stimme im Interesse aller EU-Mitgliedstaaten zu finden.

Der Euratom-Vertrag hat ohne Zweifel die Notwendigkeit eines solchen Rahmens bewiesen, und unsere nächsten Schritte, wie auch immer sie aussehen mögen, dürfen dieses bestehende Gefüge unter keinen Umständen in Gefahr bringen. Ich glaube nicht, dass der Vertrag so undemokratisch ist; jeder Mitgliedstaat hat ein Mitspracherecht, wenn es darum geht, wie wir bei der Kernenergie weiter verfahren wollen. Ich persönlich unterstütze den Gedanken eines Europäischen Nuklearforums als Plattform für den praktischen Meinungsaustausch, denn wir sollten in der EU deutlich machen, wie nützlich die Kernenergie für die Lösung der komplexen Probleme der Energie und des Klimawandels sein könnte.

 
  
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  Jana Bobošíková (NI).(CS) Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, dass im Bericht der positive Einfluss der Kernenergie auf die Verringerung der CO2-Erzeugung hervorgehoben wird. Beängstigend ist jedoch, dass das vor fünfzig Jahren im Vertrag von Rom verankerte Einvernehmen zur Kernenergie verschwunden ist.

Die Meinungsverschiedenheiten gehen so weit, dass einige Mitgliedstaaten sich nicht einmal mehr an die eindeutig vereinbarte Regel halten, dass jedes Land das Recht hat zu entscheiden, ob es Kernenergie nutzen will. Am Freitag werden österreichische Gegner des tschechischen Atomkraftwerks Temelín Grenzübergänge zwischen den beiden Ländern blockieren. Sie werden erneut die Sicherheit von Temelín in Frage stellen, obwohl die Anlage allen von der Kommission und der Internationalen Atomenergiebehörde festgelegten Normen entspricht. Deshalb werden sie sich – unter Verstoß gegen den Euratom-Vertrag – erneut in die Nuklearpolitik der Tschechischen Republik einmischen und zugleich Ärgernis erregen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die österreichischen Aktivisten gegen ein europäisches Abkommen verstoßen, ohne dass es dafür einen gewichtigen Grund gäbe. Ich halte es für gefährlich und kontraproduktiv, die Kernenergie zum Gegenstand politischer Kämpfe innerhalb der EU zu machen.

 
  
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  Alejo Vidal-Quadras (PPE-DE).(ES) Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass wir in diesem Jahr, da wir den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags von Rom begehen, den Euratom-Vertrag nicht vergessen haben.

Die Europäische Union, wie wir sie kennen, entstand ursprünglich auf Beschluss der Länder zur Verstärkung der Zusammenarbeit im Energiebereich. Bereits damals war den Staats- und Regierungschefs bewusst, dass ihnen die gegenseitige Abhängigkeit in Wirtschaft und Energiefragen Gelegenheit bieten würde, die Grundlagen für Verständigung und Wohlstand auf unserem Kontinent zu legen. Ein halbes Jahrhundert danach kann niemand leugnen, dass die Bilanz dieses Integrationsprozesses sehr positiv ausfällt.

Die Kernenergie – mit ihren 145 Reaktoren, 5 200 Reaktorbetriebsjahren und einer großartigen Erfolgsgeschichte im Hinblick auf Produktion und Sicherheit – beschäftigt rund 400 000 Arbeitnehmer in der Union und erzeugt 31 % unseres Stroms. Diese Energiequelle setzt keine Treibhausgase frei und vermeidet durchschnittlich 720 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent pro Jahr, eine Menge, die dem kompletten europäischen Automobilpark entspricht. Ich stelle fest, dass Frau Harms mir sehr aufmerksam zuhört.

Ohne Kernenergie würden die Emissionen der Union aus der Stromerzeugung um 50 % steigen. Diese Daten nenne ich aus einem ganz einfachen Grund: Sie verdeutlichen ganz klar, dass die Kernenergie diejenige Quelle in unserem Energiemix ist, die den drei Anforderungen unserer Energiepolitik gerecht wird: Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

Jene, die sich aus ausschließlich ideologischen Gründen für den völligen Abbau unserer Kernkraftanlagen einsetzen, führen uns einfach in den wirtschaftlichen und ökologischen Selbstmord.

In den letzten 50 Jahren stellte der Vertrag stets einen entscheidenden Rahmen für Stabilität und Wohlstand in der Union dar.

Ich möchte nicht schließen, ohne Herrn Maldeikis zu seinem ausgezeichneten Bericht zu beglückwünschen, der natürlich die Unterstützung der Mehrheit unserer Fraktion erhalten wird, wie Frau Jordan Cizelj sagte.

 
  
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  Reino Paasilinna (PSE).(FI) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Vor- und Nachteile der Kernenergie sind allgemein bekannt, gleichwohl gehen die Meinungen über das Thema auseinander, und das ist auch bei den Beschlussgremien auf nationaler Ebene der Fall.

Die vielleicht wichtigste Errungenschaft von Euratom ist die Ausdehnung der Zusammenarbeit. Damals, als der Vertrag unterzeichnet wurde, arbeitete jeder für sich allein. Es gibt in unserer Fraktion zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen, das hat Herr Swoboda bereits gesagt, aber wir sind bemüht, in diesem Zusammenhang hochgradig ideologische Ansichten zu vermeiden. Wir betonen den Wert der Sicherheit, der Forschung, der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz sowie der Endlagerung, aber wir sollten im Hinblick auf diesen Vertrag selbstverständlich das Mitentscheidungsverfahren anwenden, wie es der Kommissar vorhin gesagt hat, und auch eine entsprechende Euratom-Konferenz wäre angebracht.

Vorgestern haben einige der hier anwesenden Mitglieder des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie zusammen mit mir eine Fusionsanlage in Deutschland besichtigt, und die dortigen Forscher haben behauptet, dass sie es in ungefähr 14 bis 15 Jahren schaffen würden, ein Kraftwerk zu errichten, das Fusionsenergie produziert und dass sie auf dieser Grundlage ein funktionsfähiges Fusionskraftwerk industriellen Ausmaßes errichten könnten. Ich zumindest war erstaunt über die Geschwindigkeit, mit der die Forschung heutzutage vorankommt, wenn denn der Plan in der Weise verwirklicht wird, wie es diese Forscher gesagt haben.

Das letzte Wort über die Kernenergie ist noch nicht gesprochen. Die entsprechenden Entwicklungen gehen auch heute weiter, und das gleich nebenan.

 
  
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  Paul Rübig (PPE-DE). – Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kommissar, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst kürzlich haben die Zeitungen den 100. Störfall im Kernkraftwerk Temelin gemeldet. Ich habe daraufhin einen Brief an Kommissar Piebalgs geschrieben und ihn um Auskunft darüber gebeten, wie die Störfälle in Temelin von fachlicher Seite her zu beurteilen sind. Er hat mir – und dafür danke ich ihm – in einem Brief mitgeteilt, dass er die tschechische Regulierungsbehörde um Auskunft darüber ersuchen wird, wie sie diese Störfälle beurteilt.

Hier sind wir genau beim springenden Punkt. Es ist notwendig – und ich danke der Kommission –, dass wir uns in Zukunft über Sicherheit, Endlagerung und Dekommissionierung, aber auch über die Sicherung von Kernkraftwerken auf europäischer Ebene Gedanken machen und uns überlegen, wie wir hier zu einheitlichen technischen Normen, zu den neuesten technischen Vorschriften kommen. Wenn die Sicherheitsnormen nicht eingehalten werden, muss es das Recht geben, gefährliche Atomkraftwerke per Gerichtsentscheid vom Netz zu nehmen. Dafür brauchen wir unabhängige Experten, die auf europäischer Ebene in der Lage sind, Störfälle objektiv zu beurteilen. Wenn ein solcher Störfall auftritt, muss ein Kraftwerk sofort vom Netz genommen werden.

Wir leben im Zeitalter der Liberalisierung; Kostensenkung steht im Mittelpunkt. Ich hoffe, dass nicht in einigen Kernkraftwerken die Kosten für Sicherheit, Sicherung oder für Endlagerung und Dekommissionierung gesenkt werden, um im Wettbewerb besser bestehen zu können.

Es ist auch wichtig, dass wir in den Bereichen Forschung für Sicherheit sowie Aus- und Weiterbildung verstärkt Anstrengungen unternehmen, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Kommission und meinen Kollegen, die sich bei diesem Thema für die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments einsetzen.

 
  
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  Silvia-Adriana Ţicău (PSE). – De la intrarea sa în vigoare la 1 ianuarie 1958, Tratatul Euratom nu s-a modificat substanţial. Uniunea Europeană a investit continuu în cercetarea privind energia nucleară iar Programele cadru 7 şi 6 totalizează 3,7 miliarde de euro pentru perioada 2002-2011. În prezent, energia nucleară asigură 32% din electricitatea europeană, iar cele 152 de reactoare europene reprezintă practic o treime din capacitatea de producţie mondială. În România, de exemplu, energia electrică nucleară reprezintă 9,3% din producţia de energie electrică naţională şi de aceea siguranţa acestui tip de energie ne interesează.

Se consideră că energia nucleară este cea mai puţin poluantă după energia eoliană şi centralele hidraulice de mică capacitate. De aceea, în contextul schimbărilor climatice, se estimează că utilizarea energiei nucleare va permite reducerea, până în 2010, cu 7% a emisiilor europene de gaze cu efect de seră. Cu toate acestea, Tratatul european nu poate da răspunsuri satisfăcătoare unor întrebări actuale cum ar fi gestionarea deşeurilor nucleare sau retragerea din activitate a instalaţiilor nucleare. De asemenea, având în vedere importanţa energiei nucleare pentru politica energetică a Uniunii Europene, pentru strategia europeană pentru o energie sigură, competitivă şi durabilă, pentru siguranţa aprovizionării energetice, afirmăm cu tărie că există un deficit de democraţie prin faptul că, pentru Euratom, Parlamentul European nu are putere de colegislator. Considerăm că un Tratat Euratom adus la zi ar permite fixarea unor standarde armonizate pentru siguranţa energiei nucleare, a deşeurilor nucleare şi a demontării instalaţiilor de energie.

 
  
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  Ján Hudacký (PPE-DE).(SK) Zunächst möchte ich dem Berichterstatter für einen sehr guten Bericht danken. Ich halte es nicht für notwendig zu wiederholen, was über die Bedeutung und den Nutzen des EURATOM-Vertrags für die Entwicklung und die Sicherheit des Kernenergiesektors in den fünfzig Jahren seines Bestehens gesagt wurde.

Die Tatsache, dass der Kernenergiesektor fast 32 % der in 15 EU-Mitgliedstaaten erzeugten Elektrizität liefert, und das bei hohen Sicherheitsstandards, wodurch 320 Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermieden werden, zeugt nur von der Lebensfähigkeit dieser Technologie, die rasche Reaktionen auf die Veränderungen und den Bedarf im Energiebereich sowie auf Gesundheits- und Umweltschutz ermöglicht.

Der Vertrag bietet einen umfassenden, einheitlichen und noch immer gültigen Rechtsrahmen für die sichere Nutzung von Kernenergie durch alle Mitgliedstaaten; daher halte ich es nicht für erforderlich, eine größere Überprüfung des Vertrags vorzunehmen. Natürlich sollte uns das nicht davon abhalten, neue Rechtsvorschriften zur noch weiteren Verbesserung der Sicherheit von Nuklearanlagen, zur Behandlung nuklearer Abfälle und zur Stilllegung von Kernreaktoren sowie zu Forschung und Entwicklung zu erlassen.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf Artikel 203 des Vertrags verweisen und die von der Europäischen Kommission und einer Reihe von Mitgliedstaaten vorgeschlagene Initiative, inzwischen bekannt als Nuklearforum, erwähnen. Die Einrichtung eines solchen Forums hätte viele Vorzüge im Hinblick auf die objektive Überprüfung von kerntechnischen Anlagen, ihrer Sicherheit und ihrer Entwicklung sowie auf die Zusammenarbeit der betreffenden Gremien. Das Forum könnte eine ausgezeichnete Plattform für den Austausch von Informationen und bewährten Praktiken bilden und alle relevanten Gruppen, auch die Bürgerinnen und Bürger, einbeziehen.

Es ist kein Geheimnis, dass mehrere zentraleuropäische Länder den Ehrgeiz hegen, Gastgeber eines solchen Forums zu sein, welche Struktur oder Gestalt es auch annehmen mag. Die Slowakei besitzt kerntechnische Anlagen, die sich in unterschiedlichen Phasen ihres Lebenszyklus befinden; eine wurde stillgelegt, zwei werden zurzeit stillgelegt, zwei weitere werden gebaut, und mehrere Anlagen sind derzeit in Betrieb; das Land kann daher auf einen reichen Erfahrungsschatz verweisen und hat einen großen und berechtigten Ehrgeiz, sich in die vorderste Front dieser Initiative einzureihen.

 
  
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  Atanas Paparizov (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Diese Diskussion wird zwangsläufig davon beeinflusst werden, wie man generell zur Erzeugung von Kernenergie steht. Ich möchte jedoch in diesem Zusammenhang betonen, dass ich mit dem Dokument des ITRE-Ausschusses und natürlich mit der Arbeit des Berichterstatters äußerst zufrieden bin, auf der dieses ausgewogene Dokument beruht.

Ich befürworte natürlich die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens und bin mir ziemlich sicher, dass dies mithilfe des Artikels 203 des Vertrags auch erreicht werden kann. Vor allem möchte ich aber Ihre Aufmerksamkeit auf den Teil des Berichts lenken, in dem die Notwendigkeit der Schaffung gemeinschaftlicher Sicherheitsvorschriften unterstrichen wird. Denn gerade jetzt ist eine umweltfreundliche Entwicklung der Energiewirtschaft in der Europäischen Union erforderlich, damit eine Verringerung des CO2-Ausstoßes und eine größere Unabhängigkeit der Gemeinschaft erzielt werden kann. Insofern bin ich mit den Ausführungen von Kommissar Piebalgs sehr zufrieden und hoffe wirklich, dass die Vorschläge der Kommission, die sie dem Rat seit dem Jahr 2002 vorgelegt hat, wieder aufgegriffen und ernsthaft erörtert werden. Dies ist im Zusammenhang mit den Beschlüssen vom 8. und 9. März unbedingt erforderlich.

 
  
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  Teresa Riera Madurell (PSE).(ES) Frau Präsidentin! Wir dürfen die Kernspaltungsenergie nicht dämonisieren, aber wir dürfen auch kein Loblied auf sie singen, als wäre sie die Antwort auf alle unsere Probleme. Sie hat ihre Vor- und Nachteile. Das Hauptproblem besteht in der Behandlung der Abfälle, obgleich niemand leugnet, dass durch die Förderung der laufenden Forschungsprojekte in der Zukunft eine tragfähige technologische Lösung für diese Frage gefunden werden kann, ebenso wie bei den fossilen Brennstoffen Fortschritte in der Frage der sauberen Verbrennungsformen und der Technologien für die CO2-Abscheidung erzielt werden.

Heute nehmen wir jedoch eine Bewertung des seit 50 Jahren bestehenden Euratom-Vertrags und seiner Zukunftsfähigkeit vor. In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass ich zu jenen gehöre, die die 50 Jahre Euratom-Vertrag positiv sehen. Doch ich glaube auch, dass die Zeit gekommen ist, um ihn zu überprüfen, ihn in einigen seiner Aspekte, wie den Beschlussfassungsverfahren, zu korrigieren, um sie praktikabler und demokratischer zu gestalten.

Einstimmigkeit im Rat ist in einem Europa mit 27 Mitgliedstaaten nicht zu erreichen, und ich stimme jenen zu, die erklärten, der Vertrag müsse für das Mitentscheidungsverfahren geöffnet werden, damit sein demokratisches Defizit überwunden wird.

 
  
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  Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Die Frage der Kernenergie ist vielleicht eine der größten Streitfragen zwischen den EU-Bürgern und den Mitgliedstaaten. Das ist auch in der heutigen Aussprache an vielen Stellen zum Ausdruck gekommen.

Wenn wir den Euratom-Vertrag allerdings objektiv betrachten, was der Bericht tut, dann sehen wir, dass er im Grunde viele wichtige Punkte regelte. Zunächst einmal herrschte vor 50 Jahren die Ansicht vor, die Kernerzeugung würde dermaßen billige Energie liefern, dass man auf Stromzähler gänzlich verzichten könnte. Der Euratom-Vertrag hat den Rahmen für die Unterstützung von Forschungsarbeiten geboten, die zweifelsohne dazu beitrugen, Sicherheitsvorschriften und Verfahren zur Behandlung von nuklearem Abfall zu entwickeln. Ferner diente der Euratom-Vertrag als Grundlage für die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen. Nirgendwo sonst in der Welt gelten strengere Sicherheitsvorschriften als in der Europäischen Union, und das haben wir dem Euratom-Vertrag zu verdanken.

Wenn wir in die Zukunft schauen, dann wissen wir, dass Kernkraftwerke weiterhin gebaut werden, auch in der Europäischen Union. Die Streitigkeiten um das Kernkraftwerk Temelín werden kein Einzelfall bleiben. Daher müssen wir unbedingt einen größeren Konsens darüber erzielen, wie wir die Kernenergie in der Europäischen Union nutzen wollen. Herr Hudacký kam in diesem Zusammenhang auf das Nuklearforum zu sprechen. Dies ist ein wichtiges Instrument für die Erzielung eines Konsenses in diesem Schlüsselbereich, vor allem was die weltweiten Herausforderungen betrifft.

Ich habe viele Vertreter nicht nur aus den Mitgliedstaaten, sondern auch aus Drittländern getroffen, die lebhaftes Interesse an der Nutzung der Kernenergie haben. Dabei möchten sie diese Energie nicht nur für die Endnutzung bereitstellen, sondern den vollständigen Kreislauf beherrschen. Wenn die Europäische Union keinen festen Standpunkt einnimmt, was all die Fragen im Zusammenhang mit dem nuklearen Brennstoffkreislauf betrifft, dann wird die Welt nach meinem Dafürhalten ein wesentlich gefährlicherer Ort werden. Daher bietet der Bericht meines Erachtens eine solide Grundlage, um Überlegungen in dieser Richtung anzustellen und eine Antwort auf die vor uns liegenden Herausforderungen zu finden.

Ich danke dem Berichterstatter für einen sehr ausgewogenen Ansatz und die vielen Vorschläge für unser weiteres Vorgehen. Dies wird allerdings kein Zuckerschlecken sein.

 
  
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  Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen, am Donnerstag, statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  András Gyürk (PPE-DE), schriftlich. – (HU) Bei nur wenigen Wirtschaftszweigen ist die öffentliche Meinung so geteilt wie zum Sektor Kernenergie. Kernkraftwerke gelten einerseits als Flaggschiffe der technologischen Entwicklung, andererseits als erstrangige Beispiele für das Eingehen von Sicherheitsrisiken für Menschenleben. Ein Grund mehr, warum wir uns unbedingt für Bewertungskonzepte einsetzen müssen, bei denen Für und Wider verschiedener Verfahren der Energieerzeugung leidenschaftslos gegeneinander abgewogen werden. Gerade jetzt, da immer intensiver über die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den globalen Klimawandel debattiert wird, spielen die außerordentlich niedrigen Kohlendioxidemissionen von Kernkraftwerken kaum eine zentrale Rolle in der Argumentation.

Nach meiner Überzeugung wird es mit dem Wachstum eines vereinheitlichten und freien europäischen Energiemarktes, mit der Internalisierung der bisher externen Kosten der Energieerzeugung und dem Abbau von Hindernissen für das effektive Funktionieren des Marktes auch möglich sein, rationale Investitionsentscheidungen zur Kernenergieerzeugung in Betracht zu ziehen. Was die Risiken für Umwelt und menschliche Gesundheit anbelangt, so müssen wir auf jeden Fall Lösungen für eine sichere Langzeitlagerung von Abfällen aus kerntechnischen Tätigkeiten im großen Maßstab und für die derzeit ungelösten Probleme des sicheren Betriebs von Kernkraftwerken finden. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass Forschung und Entwicklung für die sichere Nutzung von Kernenergie möglichst viel Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten.

 
  
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  Alessandro Battilocchio (NI), schriftlich. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der 50. Jahrestag des Euratom-Vertrags kam zum richtigen Zeitpunkt. Im Wesentlichen ins Leben gerufen, um sich mit Energiefragen zu befassen, hat die EU später im Laufe der Jahrzehnte diesen wichtigen Politikbereich vernachlässigt, um ihre Aufmerksamkeit auf andere, gleichwohl ebenso wichtige Themen, zu konzentrieren.

Die Phase des Nachdenkens über die Zukunft der Union fällt demnach mit einem umfassenden Prozess zusammen, der die Bedeutung einer gemeinsamen und ehrgeizigen Energiepolitik ins Bewusstsein rückt. Die beiden Aspekte sind eng miteinander verbunden: Die EU, die wir anstreben – eine Wirtschaftsmacht, ein sicheres Zuhause für unsere Bürger, eine Königin auf dem internationalen Schachbrett, und eine Institution, die unabhängig ist von äußerem Druck –, wird ohne eine Strategie, die eine sichere und nachhaltige interne Energieversorgung gewährleistet, nicht möglich sein. Europa muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.

Die Revision des Euratom-Vertrags ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, denn sie würde den notwendigen Rechtsrahmen für einen Sektor schaffen, der sich bereits umfassend bewährt hat und produktiv ist, und dies im Lichte der neuen Technologien und der Erfolge, die in Bezug auf die Sicherheit und die Effizienz erzielt worden sind. Allerdings kommt es darauf an, die Tür für andere Komponenten des Energiemix wie „saubere“ Kohle und andere, erneuerbare Energieträger nicht zu verschließen, die, obgleich sie gegenwärtig noch nicht in der Lage sind, die üblichen Energiequellen vollständig zu ersetzen, sich eines Tages als erfolgreiche Alternative erweisen können.

 

21. Gesundheitliche Folgen des Flugzeugabsturzes 1968 bei Thule (Petition 720/2002) (Aussprache)
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  Die Präsidentin. – Der nächste Punkt ist der Bericht von Diana Wallis im Namen des Petitionsausschusses zu den gesundheitlichen Folgen des Flugzeugabsturzes 1968 bei Thule (Petition 720/2002) (2006/2012(INI)) (A6-0156/2007).

 
  
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  Diana Wallis (ALDE), Berichterstatterin. (EN) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Dieser Bericht schließt sich recht gut an die vorhergehende Aussprache an, in der es um eine allgemeine Betrachtung der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft des Euratom-Vertrags ging. Wir haben es hier mit einem tatsächlichen, konkreten, individuellen Fall zu tun, der die Notwendigkeit einer Überprüfung des Vertrags ganz deutlich macht, damit die Sicherheit der EU-Bürger im Falle eines atomaren Zwischenfalls künftig geschützt werden kann.

Dieser atomare Zwischenfall und seine dramatischen Langzeitfolgen für etliche Personen haben weiter gehende Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit all unserer Bürger. Die große Stärke unseres Petitionssystems besteht ja darin, dass uns einzelne Personen auf derartige Fälle aufmerksam machen können, wenn die europäischen Organe oder der Rechtsrahmen nicht die Unterstützung geboten haben, die sie sich gewünscht bzw. erwartet hätten. Unsere Bürger sagen uns, dass der Euratom-Vertrag nicht richtig funktioniert, und wir sollten ihnen Gehör schenken.

Ich möchte Sie zurück in eine arktische Nacht im Januar 1968 nehmen, als der Kalte Krieg noch tobte – die Fakten dieser Geschichte hören sich wirklich wie ein internationaler Thriller an. Ein amerikanischer B-52-Bomber gerät in Schwierigkeiten, die Mannschaft bringt sich hastig in Sicherheit und das Flugzeug stürzt mit einer schweren Ladung an waffenfähigem Plutonium über Grönland ab. Einige Bewohner Grönlands, die auf dem US-amerikanischen Stützpunkt Thule arbeiteten, machten sich sofort mit ihren Husky-Schlitten auf den Weg, um über das Eis zu dem abgestürzten Flugzeug zu gelangen. Die Amerikaner versuchten verzweifelt, vor allen anderen am Absturzort anzukommen. In den folgenden Wochen waren viele Arbeitskräfte vom Stützpunkt Thule an den Säuberungsarbeiten beteiligt, die nicht gerade unter Laborbedingungen stattfanden. Die Helfer besaßen keinerlei Schutzkleidung, außer ihren Sachen gegen die Kälte. Die Kleidung, die viele von ihnen trugen, war nachher sogar dermaßen verstrahlt, dass sie vernichtet werden musste. In den folgenden Monaten und Jahren begannen die Arbeitskräfte von Thule unter allen möglichen schrecklichen Krankheiten zu leiden. Einer von ihnen war Herr Carswell, der Petent in diesem Fall.

Dies ist eine lange Geschichte, die durch sämtliche dänische Rechtsinstanzen ging und Gegenstand zahlreicher Berichte, Debatten und Diskussionen war. Wir prüfen hier einen ganz spezifischen Aspekt dieser unendlichen Geschichte, nämlich die Rechte der Arbeitskräfte von Thule gemäß der Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen. Es wurden ja jede Menge Rechtsargumente gegen die Forderungen der Petenten angeführt. Ich möchte hier nicht im Einzelnen darauf eingehen, sondern lediglich erwähnen, dass sie in den Bericht aufgenommen und einer eingehenden Prüfung unterzogen wurden – sowohl was die Frage der zeitlichen und räumlichen Geltung des Vertrags für Grönland als auch die Frage der Anwendbarkeit auf militärische Zwischenfälle angeht. Im Hinblick auf den betroffenen Mitgliedstaat handelt es sich allerdings nicht um einen militärischen Zwischenfall. Der militärische Aspekt berührt schließlich nur einen Drittstaat, so dass wir der Rechtssprechung des EGH folgend der Meinung sind, dass die Richtlinie hier sehr wohl anwendbar ist.

Aber dies ist nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem auch eine politische Frage – eine Frage, die sogar unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention vorgebracht werden könnte, wobei es um die Pflicht eines Staates ginge, geeignete Schritte zu tun, um das Leben der Personen innerhalb seiner Zuständigkeit zu sichern. Fest steht jedenfalls, dass in der Richtlinie das Recht auf ärztliche Betreuung der Überlebenden sowie auf angemessene Überwachungs- und Interventionsmaßnahmen vorgesehen ist – und nicht bloß die statistische Aufbereitung, wie sie bisher erfolgte. Vielmehr ist eine umfassende ärztliche Überwachung erforderlich, die nicht nur den Überlebenden zugute kommen würde, sondern bei künftigen Zwischenfällen auch für die Gesundheit und Sicherheit aller EU-Bürger von Bedeutung wäre. Wenn dies nicht möglich ist, dann ist klar, dass der Vertrag einfach nicht funktioniert. Daher müssen wir uns mit dem Vertrag befassen und eine Überprüfung vornehmen.

Ich fürchte, ich muss die Kolleginnen und Kollegen auffordern, die Änderungsanträge abzulehnen. Sie sind irreführend oder beziehen sich auf unkonkrete Vorfälle, die gar nicht in der Petition enthalten sind. Oder es wird versucht, die in dem Bericht enthaltenen Argumente zu unterwandern. Daher empfehle ich im Namen der Überlebenden von Thule und in Erwartung einer künftigen Überarbeitung des Vertrags, für den Bericht in seiner unveränderten Form zu stimmen.

 
  
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  Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Zunächst einmal möchte ich der Berichterstatterin für ihre Arbeit an dieser äußerst wichtigen Petition danken. Die Kommission ist voller Mitgefühl für die Petenten, die im Anschluss an die Rettungsmaßnahmen nach dem Flugzeugabsturz im Jahr 1968 sehr schwere Zeiten durchgemacht haben. Zugleich möchte ich erwähnen, dass die Kommission diesen Fall seit fünf Jahren sehr genau verfolgt. Sie hat die rechtlichen Aspekte eingehend geprüft und mit dem Petitionsausschuss und seiner Berichterstatterin zusammengearbeitet.

Die Kommission kam zu dem Schluss, dass sich die Petenten vor den dänischen Behörden und Gerichten nicht auf das Gemeinschaftsrecht, sondern lediglich auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften Dänemarks berufen können. Angesichts dessen verlangt dieser Fall nicht nach einer rechtlichen, sondern nach einer politischen Lösung. Meiner Ansicht nach könnte die vorgeschlagene Entschließung des Europäischen Parlaments zur Erzielung einer solchen politischen Lösung beitragen.

Damit die Euratom-Rechtsvorschriften künftig auch Situationen abdecken, die dem Sachverhalt in dieser Petition ähneln, wird die Kommission die Möglichkeit prüfen, eine entsprechende Bestimmung über die Anwendbarkeit der Strahlenschutzvorschriften auf militärische Zwischenfälle aufzunehmen. Dies könnte im Rahmen der kommenden Überprüfung und Novellierung der Richtlinie 96/29/Euratom des Rates zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen geschehen. Allerdings müsste noch im Einzelnen geprüft werden, ob eine solche Bestimmung mit der ständigen Rechtssprechung vereinbar wäre.

 
  
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  Michael Cashman, im Namen der PSE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Ich werde nicht von meinem Zettel ablesen. Vielmehr werde ich sagen, was ich denke, und nicht, was ich sagen sollte.

Der Kommissar bekundet sein Mitgefühl, aber wir brauchen kein Mitgefühl. Was wir brauchen, ist die Durchsetzung der Grundrechte, die hier auf dem Spiel stehen: das Recht auf Zugang zu Informationen, damit man ganz sicher sein kann, dass der Vorfall für einen selbst nicht lebensbedrohlich ist.

Das Einfachste wäre, die Regierung eines Mitgliedstaates an den Pranger zu stellen. Das möchte ich aber nicht tun. Vielmehr möchte ich im Namen der Petenten eine Lösung erreichen.

Herr Kommissar, Sie reden von einer politischen Lösung. Nun, ich möchte Sie darüber unterrichten, dass dies hier eine politische Einrichtung ist. Und genau deshalb wenden wir uns auch an die Europäische Kommission, damit sie uns bei der Erzielung einer solchen Lösung hilft.

Die Lösung wird nicht durch Mitgefühl, sondern durch entschlossenes Handeln zustande kommen. Die dänische Regierung sollte unter Berufung auf eine gute und loyale Zusammenarbeit – so wie dies in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam verankert ist – aufgefordert werden, dem Informationsersuchen der Petenten und Arbeitskräfte stattzugeben, die nach dieser Tragödie an den Säuberungsarbeiten beteiligt waren und sich zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben. Daher schenken Sie sich ihre Mitleidsbekundungen und machen Sie lieber den politischen Einfluss der Kommission geltend. Diese sollte sich bei dem betreffenden Mitgliedstaat erkundigen, ob er Zugang zu den Informationen gewähren wird, die für diese Menschen außerordentlich wichtig sind. Denn nur so werden sie Gewissheit haben, dass sie sich nicht in Gefahr befinden und ihr Leben sicher und in guten Händen ist. Mehr verlangen wir gar nicht.

Ich möchte das Parlament nicht länger aufhalten. Ich habe einfach die Antwort der Kommission satt, dass „dies nichts mit uns zu tun hat“. Damit verstärkt man doch nur das Misstrauen gegenüber der Europäischen Union, das in allen Mitgliedstaaten zunimmt und leider auch in Dänemark vorherrscht.

 
  
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  Marios Matsakis, im Namen der ALDE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Dies ist ein einzigartiger Bericht zu einer einzigartigen Petition, und Frau Wallis hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Abgesehen von den rechtlichen Fragen wirft die Petition, die diesem Bericht zugrunde liegt, einige wichtige Punkte auf. Drei davon möchte ich kurz erwähnen.

Erstens: Selbst wenn die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, ist ein Atomwaffenunfall immer möglich. In gewisser Weise haben wir ganz schön Glück gehabt, dass der US-amerikanische B-52-Bomber über Grönland abstürzte. Stellen Sie sich nur vor, welche Auswirkungen ein solcher Absturz in einer dicht besiedelten Region, beispielsweise in der Nähe eines US-Stützpunktes in Mitteleuropa, gehabt hätte. Jeder, der behauptet, dass Atomwaffen in Friedenszeiten absolut sicher seien, sagt daher nicht die ganze Wahrheit.

Zweitens: Nach einem Atomunfall sollten unverzüglich ausgeklügelte Pläne zur Anwendung kommen, mit denen die Kurzzeit- und die Langzeitfolgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt eingedämmt werden. Es hat den Anschein, dass die zuständigen Behörden – in diesem Fall die US-amerikanischen Luftstreitkräfte und die dänische Regierung – schlecht vorbereitet waren und das Problem nicht richtig angingen. Damit meine ich insbesondere den Schutz der Zivilbeschäftigten und die langfristige Überwachung und Kontrolle ihres Gesundheitszustandes. Diese Versäumnisse haben dazu geführt, dass zahlreiche Personen frühzeitig an Krebs gestorben sind, deren Überlebenschancen durch eine Früherkennung erheblich gestiegen wären. Jeder, der behauptet, dass die zuständigen Behörden bestens mit den Spätfolgen eines Atomwaffenunfalls zurechtkommen, sagt daher ebenfalls nicht die ganze Wahrheit.

Drittens: Nach einem Atomwaffenunfall erwartet man eigentlich, dass die jeweilige Regierung einen transparenten und kooperativen Umgang mit der betroffenen Bevölkerung pflegt. Dies war bei dem Absturz über Grönland nicht der Fall. So hat sich die dänische Regierung geweigert, Zugang zu den relevanten Aufzeichnungen über die Strahlenbelastung der Umwelt zu gewähren, mit denen man die Strahlendosis der betroffenen Arbeitskräfte feststellen könnte. Außerdem waren die Informationen der dänischen Behörden völlig irreführend. Folglich sind noch nicht einmal die wissenschaftlichen Berichte, die von einer Regierung nach einem Atomwaffenunfall herausgegeben werden, vertrauenswürdig.

Die allgemeine Botschaft ist also ganz klar. Atomwaffen können selbst in Friedenszeiten Tod und Leiden verursachen. Daher ist es am besten, wenn man sie gar nicht erst besitzt. Nach den Ausführungen des Kommissars kann ich abschließend nur feststellen, dass Petenten, die jahrelang gelitten und gekämpft haben, offenbar nur eine Menge Mitgefühl, aber keine praktische Unterstützung von der EU erhalten.

 
  
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  Marcin Libicki, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich Diana Wallis für ihren wie immer ausgezeichneten Bericht danken sowie meiner Freude und Genugtuung darüber Ausdruck verleihen, dass es hier in diesem Hohen Hause eine Berichterstatterin gibt, die – vor allem was den rechtlichen Aspekt anbelangt – stets außerordentlich präzise Berichte liefert, was hier im Parlament überaus wichtig ist.

1968 stürzte ein US-amerikanisches Flugzeug mit Atomwaffen an Bord ab. Der Verfasser einer Petition, die bei unserem Ausschuss einging, hat gesundheitliche Schäden davongetragen und meint, nicht angemessen entschädigt worden zu sein.

Für viele Menschen, denen nirgends sonst Gerechtigkeit zuteil wurde, war der Petitionsausschuss einmal mehr die letzte Hoffnung. Dies wirft eine interessante rechtliche Frage auf, die Frau Wallis mit Bravour gemeistert hat. Der Unfall ereignete sich im Jahr 1968. 1973 trat Dänemark einschließlich Grönland der Europäischen Union bei, die Grönland 1985 wieder verließ. Die Richtlinie 96/29/EURATOM des Rates, in der die grundlegenden Sicherheitsnormen für solche Unfälle festgelegt sind, datiert vom 13. Mai 1996. Obwohl der Petent allein von diesen Daten her kaum auf Gerechtigkeit hoffen dürfte, hat Diana Wallis nachgewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die neuen Gemeinschaftsvorschriften grundsätzlich auf die künftigen Auswirkungen von Ereignissen anwendbar sind, die sich – wie der Austritt Grönlands aus der Europäischen Union – vor Inkrafttreten der vorangegangenen Rechtsakte zugetragen haben.

Wenn die Staaten die einschlägigen Richtlinien tatsächlich anwenden würden, gäbe es für den Petitionsausschuss weniger Probleme. Ich möchte nur drei Fälle nennen: den Fall Lloyds, den Fall Equitable Life und die Fehler bei der Raumordnungspolitik in Spanien, Fälle, die es nur deshalb gegeben hat, weil die einschlägigen Richtlinien in den betreffenden Ländern nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurden. Die Geschädigten haben Anspruch auf Schadenersatz, und wir alle haben Anspruch darauf, dass uns für die Zukunft Sicherheit garantiert wird.

 
  
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  Margrete Auken, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (DA) Frau Präsidentin! Das ist eine schlimme Angelegenheit. Es ist doch absurd und ganz und gar unentschuldbar, dass man während des Kalten Krieges auf solch fahrlässige Weise mit Kernwaffen herumgeflogen ist. Das ist das eigentlich Skandalöse am Fall Thule. Doch so inakzeptabel ein so sorgloser Umgang mit Kernwaffen auch ist, es ist keine Entschuldigung dafür, dass wir etwas vorbringen, was sich als unwahr erwiesen hat. Wir haben keine Unterlagen darüber, dass jemand von den Arbeitskräften in Thule infolge von Verstrahlung gestorben ist. Wir können auch nicht behaupten, die entsprechenden medizinischen Untersuchungen seien nicht durchgeführt worden. Sie wurden nämlich durchgeführt, und die Ergebnisse zeigen das Gegenteil dessen, was vom Petenten und jetzt auch im Bericht behauptet wird. Das müssen wir doch respektieren.

Die Änderungsanträge der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz stellen darauf ab, Fehler und unbegründete Aussagen zu beseitigen. Abgesehen davon stimmen wir Frau Wallis zu, dass Dänemark nicht darum herumkommt, dass die EU in dieser Angelegenheit Befugnisse wahrnehmen kann. Was mit dem B-52-Bomber geschah, ist ja nicht die einzige nukleare Aktivität, die das Gebiet von Thule verseucht hat. Hier muss jeder Gesichtspunkt überprüft werden, und die EU muss sicherstellen, dass die entsprechenden Untersuchungen stattfinden. Wenn aber der Bericht von Bedeutung sein soll, dann darf er keine inhaltlichen Fehler enthalten. Wenn wir einen fehlerhaften Bericht annehmen, erreichen wir nur, dass unsere Glaubwürdigkeit Schaden nimmt. Ich habe kein Interesse daran, mich in dieser Sache vor die dänische Regierung zu stellen. Im Gegenteil. Sie hat Frau Wallis schlecht behandelt, und sie hat die Ergebnisse der vielen Untersuchungen viel zu langsam an das Parlament weitergeleitet. Wir hoffen dennoch sehr, dass der Bericht ordentlich angenommen wird, sodass er praktisch und effektiv genug ist, um dann tatsächlich etwas zu bewirken, und nicht nur einfach abgetan wird, weil man sich nicht an die Fakten gehalten hat.

 
  
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  Søren Bo Søndergaard, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (DA) Frau Präsidentin! Der Flugzeugabsturz am 21. Januar 1968 im Nordwesten Grönlands entfachte nicht nur 850 Meter hohe Flammen, sondern führte auch zu einer weit reichenden radioaktiven Verseuchung. Die dänischen Behörden wollten die Angelegenheit unter Verschluss halten. Sie wussten, dass ihre stillschweigende Akzeptanz eines US-amerikanischen Flugzeugs mit Kernwaffen an Bord im grönländischen Luftraum bei den Bevölkerungen sowohl Dänemarks als auch Grönlands nicht gut ankommen würde. Deshalb vergingen 18 Jahre, bis sich die Behörden für die Gesundheit der betroffenen Grönländer und der an der Säuberungsaktion beteiligten Zivilbeschäftigten zu interessieren begannen. Bis heute haben die Betroffenen nicht die volle Wahrheit über das erfahren, was mit ihnen geschah. Das liegt zum Teil daran, dass die verschiedenen dänischen Regierungen sich bisher geweigert haben, die Bestimmungen des Euratom-Vertrages einzuhalten, den sie dennoch unterzeichneten.

Nach Ansicht der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke ist das der ausschlaggebenden Punkt im Vorschlag von Frau Wallis. Wir können die ersten vier der fünf Änderungsanträge der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz unterstützen, werden aber bei der Schlussabstimmung auf jeden Fall für den Vorschlag stimmen.

 
  
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  Jens-Peter Bonde, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (DA) Frau Präsidentin! Zum ersten Mal seit 28 Jahren werde ich morgen für Kritik an meiner Regierung in Dänemark stimmen. Ich schäme mich dafür, wie wir uns gegenüber den einigen Hundert Überlebenden des US-amerikanischen Nuklearunfalls 1968 in Grönland verhalten haben. Um zu verbergen, dass es sich um einen nuklearen Unfall handelt, haben die Behörden ihnen keine persönlichen Schutzvorrichtungen zur Verfügung gestellt, als sie sie zu den Aufräumarbeiten danach holten. Viele sind seither an Krebs gestorben, Tiere sind mit Defekten geboren worden, die sich vermutlich auf den Unfall zurückführen lassen. Herr Carswell hat diese Angelegenheit beim Petitionsausschuss vorgebracht. Er selbst ist wegen der Folgen des Unfalls fünfzig Mal im Krankenhaus gewesen. Frau Wallis hat in den letzten drei Jahren eine gewissenhafte Arbeit für den Ausschuss geleistet, einschließlich Anhörungen und Besuchsreisen, und jetzt kommt Frau Auken genau in der Sitzung, in der wir nun abstimmen sollen, daher und verlangt, dass alles wieder neu aufgerollt wird. Die Sache ist jedoch ganz einfach, und es geht nicht um das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Strahlung. Es geht darum, dass die Überlebenden nach dem Euratom-Vertrag Anspruch auf jährliche medizinische Untersuchungen haben, unabhängig davon, wie sehr oder wenig ihre Gesundheit vielleicht beeinträchtigt ist, und sie haben Anspruch auf Zugang zu ihren eigenen medizinischen Unterlagen. Dänemark sollte sich jetzt an diese beiden Bedingungen halten.

Ich möchte Frau Wallis und dem Ausschuss für die verantwortungsbewusste Arbeit danken, die sie zu dieser Sache geleistet haben. Ich habe selbst an allen Sitzungen teilgenommen, und wenn Frau Auken ihr Interesse an der Angelegenheit gezeigt hätte, als darüber beraten wurde, dann hätte sie nicht in letzter Minute Änderungsanträge eingereicht. Man stelle sich vor, alle anderen Berichte des Parlaments müssten neu beraten werden, nur weil Frau Auken nicht an der Lesung im Ausschuss teilgenommen hat. Ich bitte Sie dringend, morgen ohne Änderungen in letzter Minute für den Bericht zu stimmen.

Die Kommission erklärt nun, eine politische Lösung sei notwendig. Einige von uns haben sich um eine solche Lösung bemüht. Ich habe privat mehrmals an den Ministerpräsidenten geschrieben, damit diese Sache auf politischem Wege geklärt wird. Er zeigte sich sehr verständnisvoll, aber eine Lösung kam nicht zustande, weil das Beamtentum in dieser Sache nicht nachgeben will. Nur gut, dass die Bürger einen Petitionsausschuss haben, an den sie sich wenden können, wenn die Beamten nicht geneigt sind, ihnen zuzuhören.

 
  
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  Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin, werte Abgeordnete! Die Durchsetzung der Rechte ist auf der Grundlage der geltenden Gesetze möglich. Die Kommission hat dies gründlich geprüft. Leider kann ich dem nichts mehr hinzufügen – selbst nach dieser äußerst sachlichen Aussprache.

Zugleich möchte ich erwähnen, dass der Bericht als Referenzdokument für weitere Gemeinschaftsmaßnahmen in diesem Bereich dienen wird.

 
  
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  Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen, am Donnerstag, statt.

 

22. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll

23. Schluss der Sitzung
  

(Die Sitzung wird um 23.25 Uhr geschlossen.)

 
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