Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Ich habe nicht die Absicht, fünf Minuten zu sprechen. Da Sie ein großes Herz besitzen und die Region, um die es mir geht, genau kennen, möchte ich Sie nur bitten, mir einige Worte zu einer Geschäftsordnungsfrage zu gestatten.
Frau Präsidentin, ich frage mich, ob der Präsident dieser Institution, wenn er es noch nicht getan hat, seine Unterstützung für den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Herrn Ban Ki-moon, zur Einstellung der Feindseligkeiten im Libanon, die viele Menschenleben kosten, zum Ausdruck bringen könnte.
Ich halte das für sehr wichtig, es würde die Empfindungen jedes einzelnen Mitglieds dieses Parlaments widerspiegeln. Ich weiß, dass wir über die Lage in Palästina heute Nachmittag eine Aussprache führen werden, doch Tatsache ist, dass gerade in diesem Moment immer noch unschuldige Zivilisten im Libanon sterben.
Das ist meine Bitte.
Die Präsidentin. Ihr Antrag wird an den Parlamentspräsidenten weitergeleitet, der ihn sicher auch der Konferenz der Präsidenten unterbreiten wird.
4. Vorlage von Dokumenten: siehe Protokoll
5. Aussprache über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit (Bekanntgabe der eingereichten Entschließungsanträge): siehe Protokoll
6. Europa im Zeitalter der Globalisierung – externe Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit (Aussprache)
Die Präsidentin. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Daniel Caspary im Namen des Ausschusses für internationalen Handel über Europa im Zeitalter der Globalisierung – externe Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit (2006/2292(INI)) (A6-0149/2007).
Daniel Caspary (PPE-DE), Berichterstatter. – Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kommissar, geschätzte Kollegen! Als weltgrößter Binnenmarkt haben wir als Europäische Union ein besonderes Gewicht in der Welt. Um international weiter erfolgreich sein zu können, müssen wir nach innen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, aber auch nach außen unsere Handelspolitik so aufstellen, dass sie unseren wirtschaftlichen Interessen gerecht wird.
Die Kommission hat im Oktober 2006 in ihrer Mitteilung „Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ ihre Vorstellungen für eine solche Handelsstrategie vorgelegt. Der vorliegende Bericht des Handelsausschusses soll kein Gegenentwurf sein, sondern einige Schwerpunkte entsprechend justieren, denn die Kommission und auch Sie, Herr Kommissar, müssen die richtigen Prioritäten setzen, statt kurzfristige Ergebnisse zu suchen.
Die Öffnung der Märkte unserer Handelspartner ist ein Gewinn für alle. Die Europäische Union ist ein sehr gutes Beispiel für offene Märkte und deren Erfolg. Das derzeit beste vorhandene Instrumentarium dazu bietet die Welthandelsorganisation WTO. Trotz aller Schwierigkeiten in der aktuellen Handelsrunde muss das Ziel einer multilateralen Handelsliberalisierung im WTO-Rahmen darin bestehen, hier ambitioniert voranzukommen. Auch wenn die Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss sicher nicht die besten sind, sollten gerade wir als Europäische Union nach wie vor alles daran setzen, doch noch zum Erfolg zu kommen, denn bilaterale oder regionale Freihandelsabkommen sind allenfalls eine zweitbeste Option oder gar Notlösungen, da mit ihnen vielfältige Nachteile verbunden sind. Wenn Freihandelsabkommen abzuschließen sind, dann unter folgenden Einschränkungen: Einerseits ist die Auswahl der Freihandelsabkommen auf die Staaten oder Wirtschaftsregionen zu beschränken, mit denen unsere Wettbewerber ein Abkommen aushandeln oder bereits abgeschlossen haben. Andererseits sollte der Umfang dieser Freihandelsabkommen aber deutlich über die Themen der WTO hinausgehen. Zusätzlich sollten wir uns als Europäische Union darum bemühen, Standards in diesen Freihandelsabkommen zu verankern, die plurilateral auf einer möglichst breiten Grundlage vereinbart werden. Ich denke zum Beispiel an Ursprungsregelungen, die in jedem Freihandelsabkommen unterschiedlich ausgehandelt werden und die gerade für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen, die zunehmend die Chancen der Globalisierung nutzen und in den Export gehen, kaum anzuwenden sind.
Leider wurden in der Vergangenheit oft andere Politikziele auf Kosten der Handelspolitik durchgesetzt. Wir sollten deshalb die Handelspolitik in Zukunft nicht mit sachfremden Fragen überfrachten. Wir müssen gleichzeitig darauf achten, dass die bestehenden Regeln, auf die unsere Handelspartner und wir eingegangen sind, auch eingehalten werden. Dies gilt insbesondere für den Bereich des geistigen Eigentums, in dem vielfach bestehendes Recht und eingegangene Verpflichtungen nur unzureichend angewandt werden oder die Anwendung sogar aktiv behindert wird. Einen Schutz vor unfairen Handelspraktiken bieten die Handelsschutzinstrumente der Europäischen Union, insbesondere die Antidumpingregeln.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass eine sehr breite Mehrheit im Handelsausschuss wie ich der Meinung war, dass die von der Kommission angeregte Revision der Handelsschutzinstrumente derzeit nicht geboten ist. Wir sollten den Ergebnissen der Gespräche auf WTO-Ebene so schwierig sie im Moment auch sind, nicht vorgreifen. Die Handelsschutzinstrumente der Europäischen Union haben sich im Großen und Ganzen bewährt. Es besteht derzeit kein Änderungsbedarf.
Angesichts sinkender Zollsätze gewinnen die nichttarifären Handelshemmnisse immer mehr an Bedeutung. Zum Beispiel dürfen Antiterrormaßnahmen in allen Wirtschaftsräumen nicht zum nichttarifären Handelshemmnis des 21. Jahrhunderts werden. In diesem Zusammenhang spielt auch die Frage der Regulierung eine wichtige Rolle. Wir müssen unsere internen Regulierungen deswegen stärker nach ihrer Vereinbarkeit mit den Regeln unserer Haupthandelspartner ausrichten. Vor allem die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und die Bemühungen der vergangenen Wochen unterstütze ich deswegen ausdrücklich.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Chancen der globalen Märkte für uns und vor allem auch für andere – Entwicklungsländer, aber auch Industrienationen – sinnvoll nutzen können, wenn die die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Dies wird positive Auswirkungen auf die Menschen in Europa und auf die Menschen insgesamt in der Welt haben, und ich bin den Kollegen, dem Ausschusssekretariat und den Fraktionsmitarbeitern sehr dankbar, dass wir in den vergangenen Wochen einen Bericht auf die Beine gestellt haben, der aus meiner Sicht in der anschließenden Abstimmung eine breite Mehrheit im Parlament finden könnte. Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit und herzlichen Dank auch der Kommission für die Berücksichtigung unserer Anregungen.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Das ist ein sehr wichtiger Bericht. Lassen Sie mich kurz auf den Hintergrund des Themas „Europa im Zeitalter der Globalisierung“ eingehen. Das Tempo, mit dem sich die globale Wirtschaft verändert, stellt uns in Europa vor enorme Herausforderungen. Das schafft neue Möglichkeiten, ist aber auch mit einer gewissen Unsicherheit und verständlichen Sorgen verbunden.
Unsere Kernaussage ist klar: Ablehnung von Protektionismus zu Hause und aktive Maßnahmen zur Öffnung der Märkte im Ausland. Wir müssen über eine Senkung der Zölle hinausblicken und uns auf die Handelshemmnisse jenseits der Grenzen konzentrieren. Wir müssen zudem verstärkt auf die großen Volkswirtschaften der nächsten Generation zugehen, insbesondere – aber nicht nur – in Asien, wo das Wachstumspotenzial riesig ist, wo aber Europa noch nicht so markant in Erscheinung tritt, wie es das sollte.
Für uns liegt der Schwerpunkt nach wie vor auf der WTO und der Doha-Entwicklungsagenda (DDA), und dazu möchte ich etwas sagen. Für die globale Wirtschaft und für die Entwicklungsländer steht viel auf dem Spiel, und ich werde selbstverständlich in den kommenden Wochen sämtliche Möglichkeiten prüfen, um eine Einigung zu ermöglichen.
In der letzten Woche war die Europäische Union an zwei Tagen am Rande von Brüssel Gastgeber für die ministeriellen Unterhändler aus Brasilien, Indien und den USA. Wir hatten ein konstruktives Treffen, bei dem Zahlen und Ergebnisse im Mittelpunkt standen. Diese Ergebnisse zu erreichen, das wird alles andere als einfach sein. Insgesamt glaube ich aber, dass wir diese Verhandlungen erfolgreich bewältigen und die Doha-Runde, so wie im April in Delhi vereinbart, noch in diesem Jahr abschließen können. Dazu müssen die G4 im Verlaufe der nächsten Wochen ihre Standpunkte annähern. Diesem Ziel hat man sich auch auf höchster politischer Ebene verschrieben.
Noch sind die Diskrepanzen zwischen uns groß, und zwar sowohl innerhalb des Bereichs Agrarwirtschaft als auch zwischen Agrarwirtschaft und Industrie sowie Dienstleistungsgewerbe. Sie können jedoch überbrückt werden, wenn sich alle Beteiligten darauf einigen können, Zielstrebigkeit mit ausreichend Flexibilität zu paaren. Ich werde auf dem Grundsatz bestehen, dass von allen wichtigen Akteuren in allen wichtigen Bereichen echte Kürzungen und effektive Senkungen vorzunehmen sind. Echter Marktzugang in der Agrarwirtschaft ist echte Senkungen bei den Agrarsubventionen und echte Kürzungen bei den Zöllen für Industriegüter wert.
Die Zielsetzungen für das endgültige Paket in der Agrarwirtschaft und bei den Industriezöllen sind untrennbar miteinander verbunden. Europa ist bereit, eine Menge zu tun – und zwar mehr als andere –, aber wir sind nicht bereit, bei unseren Bestrebungen bis an die Grenze zu gehen, wenn andere nicht ebenfalls dazu bereit sind. Natürlich müssen die Bemühungen der Industrie- und der Entwicklungsländer in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Mehrzahl der ökonomischen Vorteile der Doha-Runde nicht aus dem Zugang zu Agrarmärkten oder auch Nichtagrarmärkten resultieren wird, sondern aus Verpflichtungen der WTO-Mitglieder bezüglich der Öffnung ihrer Dienstleistungsmärkte sowie dem Abbau der Bürokratie und der Senkung des zeitlichen und finanziellen Aufwandes, von dem die Handelsströme weltweit betroffen sind. Die Verhandlungen zum Dienstleistungssektor und zur Erleichterung des Handels folgen einem anderen Zeitplan als die Verhandlungen über den Marktzugang, aber sie dürfen nicht durch die noch bestehenden Lücken fallen.
Jeder von uns Hauptverhandlungsführern muss seinen Beitrag leisten und die erforderliche Verantwortung übernehmen, damit ein ausgewogenes Ergebnis in dieser Runde möglich wird. Wir alle müssen nach vorn schauen und uns auf die Wirtschaftsformen konzentrieren, die wir schaffen wollen, anstatt zurückzublicken, um die Strukturen der Vergangenheit zu verteidigen. Natürlich sollten wir die Vorzüge der Marktöffnung der Vergangenheit konsolidieren, aber gleichzeitig gilt es, auf die Öffnung weiterer Märkt hinzuarbeiten, die für die Ankurbelung des Handels in der Zukunft notwendig ist. Das ist die einzige Grundlage, auf der diese Verhandlungen zu Ende gebracht werden können, und uns bleibt nur noch reichlich ein Monat Zeit.
Wir können und sollten jedoch auf der von der WTO geschaffenen Plattform aufbauen, um durch die bilaterale Öffnung der Märkte für Handel und Investitionen neue Wachstumschancen zu schaffen, und zwar nicht als Alternative zur DDA, sondern als Ergänzung.
Vor uns liegt eine ehrgeizige Agenda: Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Korea, Indien und der ASEAN, Intensivierung unserer Zusammenarbeit mit China und den USA, Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum, Erneuerung der Marktzugangsstrategie, Folgemaßnahmen zum Grünbuch über handelspolitische Schutzmaßnahmen sowie weitere Maßnahmen im Bereich der Handels- und Entwicklungsagenda. All das tun wir vor dem Hintergrund dieser komplexen multilateralen Handelsrunde. Dabei ist ein umsichtiges Vorgehen gefragt. Doch die ersten sechs Monate unserer Strategie für ein Europa im Zeitalter der Globalisierung zeigen, dass wir parallele Fortschritte erzielen können: Wir haben konkrete Initiativen im Gefolge unserer Initiative für ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt eingeleitet und wir haben die DDA wieder angeschoben.
Ich möchte Herrn Caspary, dem Berichterstatter, für seine ausgezeichnete Arbeit danken. Ich bin sehr zufrieden mit der Art und Weise, in der all diese Fragen im Bericht behandelt werden. Ich freue mich über das große Interesse des Parlaments an diesem Bericht, das in den fast 200 Änderungsanträgen zum Ausdruck kommt. Ich freue mich angesichts der Verbindung zur Lissabon-Strategie zudem über die Einbeziehung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir das Parlament in die Entwicklung der Agenda für ein Europa im Zeitalter der Globalisierung einbezogen haben und auch weiterhin einbeziehen werden. Wir haben den Ausschuss für internationalen Handel im Verlaufe der Vorarbeiten über unsere allgemeine Mitteilung informiert, die ich dem Ausschuss für internationalen Handel unmittelbar nach deren Verabschiedung durch die Kommission vorgelegt habe. Die mir unterstehenden Bereiche oder auch ich haben sämtliche Initiativen im Zuge der Agenda für ein globales Europa – d. h. die Mitteilung zu China, das Grünbuch über handelspolitische Schutzmaßnahmen, die Mitteilung über Marktzugang – zu verschiedenen Zeiten mit dem Parlament diskutiert.
Für die neuen Freihandelsabkommen hat der Ausschuss für internationalen Handel die Verhandlungsrichtlinien vorgegeben – was ein Novum darstellt –, und meine Dienststellen haben den Ausschuss kürzlich über den Stand der Dinge informiert. Ich werde den Ausschuss für internationalen Handel Anfang Juni über den aktuellen Stand der gerade erst aufgenommenen Verhandlungen über die Freihandelsabkommen informieren.
Die Kommission wird die vom Parlament in seinem Entschließungsentwurf unterbreiteten Empfehlungen und Vorschläge sorgfältig prüfen. Doch als Hüterin der Verträge werden wir dies unter Beachtung des existierenden Rahmens tun.
Wir setzen auch künftig auf Ihre umfassende Mitarbeit und Ihren geschätzten Beitrag zu dieser Thematik, damit wir auf diesem ehrgeizigen Weg die richtigen Entscheidungen für Europa im Zeitalter der Globalisierung treffen können. Ich freue mich sehr, dass wir dabei heute mit dem Bericht Caspary gute Fortschritte erzielen konnten.
Benoît Hamon (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft und Währung. – (FR) Frau Präsidentin! Ich gratuliere dem Berichterstatter Daniel Caspary. Ich werde mich in meiner einminütigen Redezeit darauf beschränken, die wichtigsten Punkte im Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung zu nennen, der für Fragen der Währungspolitik zuständig ist.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung befasste sich mit der Frage der Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Landeswährungen unserer wichtigsten Partner und Mitwettbewerber und stellte fest, dass die bei Ausfuhren aus einer Zollsenkung erwarteten Vorteile bzw. die Marktanteile, auf die man bei strengeren Kontrollen im Bereich der nicht tarifären Hemmnisse hoffen würde, eindeutig durch eine ungünstige Änderung des Wechselkurses zunichte gemacht werden können. Deshalb empfehlen wir, dass die Kommission neue Instrumente zum Schutz des Handels vorlegt, die es den europäischen Herstellern erlauben, sich im Falle einer übermäßigen Währungsabwertung bei unseren Wettbewerbern zu schützen, und dass wir in Richtung USA blicken, wo einige unserer Kollegen Gesetzgeber im US-Senat ein System konzipiert haben, bei dem auf Einfuhren aus Ländern mit einer künstlich unterbewerteten Währung ein entsprechender Zoll erhoben wird. Auch ohne so weit zu gehen, halten wir die Passivität, die in dieser Hinsicht an den Tag gelegt wird, doch für unverständlich.
Der andere Punkt, den ich schnell aus der Vielzahl der Beiträge des Ausschusses für Wirtschaft und Währung herausgreifen will, ist die Frage der Umwelt. Ich halte es für ungerecht, dass europäischen Hersteller, die Kosten im Zusammenhang mit umweltfreundlichen Herstellungsverfahren tragen müssen, mit Billigeinfuhren aus Ländern konkurrieren müssen, die es ablehnen, ihren Teil zu den Bemühungen im Kampf gegen die globale Erwärmung beizutragen. Deshalb schlägt der Ausschuss für Wirtschaft und Währung die Einführung einer Kohlenstoffsteuer vor.
Syed Kamall, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte dem Berichterstatter, Herrn Caspary, zu einem Bericht von so großer Tragweite – schließlich geht es ja um Europa im Zeitalter der Globalisierung – gratulieren. Obwohl ich den Bericht generell begrüße, bereiten mir einige potenzielle Widersprüche Sorge.
Ich habe im Bericht gelesen, dass alle so genannten öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich von Mediendiensten, aus den Handelsverhandlungen ausgeklammert werden sollen. Aber läuft diese Konzentration auf Mediendienste nicht der Lissabonagenda gänzlich zuwider, deren Ziel es doch ist, die EU zur führenden digitalen Wirtschaft zu entwickeln? Doch lassen wir die Mediendienste beiseite. Werden wir wirklich die Bürger in ärmeren Ländern ignorieren, die sich mit einer mangelhaften oder nicht vorhandenen Versorgung im Bereich Gesundheit, Bildung, Wasser und Verkehr durch leistungsschwache staatliche Monopole oder Unternehmen abfinden müssen, hinter denen vielfach korrupte oder ineffiziente Politiker stehen? Ich fordere meine Kollegen Abgeordneten auf, auf die Bürger und nicht die Politiker dieser Länder zu hören.
Ich stelle ferner fest, dass in Ziffer 80 der Standpunkt, dass die handelspolitischen Schutzinstrumente keiner Überprüfung bedürfen, befürwortet wird, aber ich bitte die Kommission, nicht länger den protektionistischen Bestrebungen nicht konkurrenzfähiger Unternehmen nachzugeben. So haben handelspolitische Schutzinstrumente zur Verteuerung von Schuhen für arme Familien, vor allem jene mit Kindern, geführt und jene EU-Unternehmen bestraft, die die Chancen, welche die Globalisierung und globale Lieferketten bieten, genutzt und in der EU hochwertige Arbeitsplätze in Forschung, Design und Marketing geschaffen und weniger hochwertige Arbeitsplätze nach Asien verlagert haben. In Wirklichkeit bedeuten diese Schutzinstrumente, dass die Kommission stärker auf nicht wettbewerbsfähige europäische Unternehmen hört als auf Verbraucher, Einzelhändler und globale EU-Lieferanten, und ich glaube nicht, dass damit langfristig auch nur ein einziger Arbeitsplatz im verarbeitenden Gewerbe in Europa erhalten werden kann.
Ich möchte aber nicht zu lange bei meinen Bedenken verweilen. Der Bericht bestätigt zu Recht, dass die Vorteile der Liberalisierung mögliche Nachteile wettmachen und dass jene Länder, die tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse beseitigen und ihre Märkte öffnen, am meisten profitieren. Das wirft auch ein Schlaglicht auf das Problem, mit dem der französische Präsident zu kämpfen haben wird, dass nämlich Protektionismus den Verlust von Arbeitsplätzen zur Folge haben wird. Aus diesen Gründen befürworte ich den Bericht.
Elisa Ferreira, im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst dem Berichterstatter gratulieren. Europa muss heute klären, wo es in der globalisierten Wirtschaft steht.
Als Sozialisten – und ich war Schattenberichterstatterin der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament – treten wir ohne jeden Zweifel für einen multilateralen Rahmen der Welthandelsorganisation ein. Die relative Sackgasse, in der sich die Doha-Verhandlungen befinden, hat jedoch dazu geführt, dass die Kommission wie auch unsere wichtigsten Partner durch bilaterale oder regionale Handelsabkommen Übergangslösungen finden mussten. Dies ist gewiss keine ideale Strategie und nur dann akzeptabel, wenn die Abkommen mit dem Erfolg der Doha-Verhandlungen vereinbar sind und wenn sie soziale und umweltpolitische Mindestbedingungen einschließen, die den international anerkannten Normen, z. B. der menschenwürdigen Arbeit, entsprechen.
Gleichwohl möchte ich unterstreichen, dass, wie der Berichterstatter erklärte, die einseitige Revision der Handelsschutzinstrumente gänzlich unzweckmäßig ist. Außerdem muss man zu der Einsicht kommen, dass wirtschaftlich aufstrebende Partner mit einer Verhandlungskapazität ähnlich der der EU anders zu behandeln sind als weniger entwickelte Länder oder Länder mit ernsthaften Entwicklungsproblemen.
In Bezug auf Erstere, also Korea, Indien, Brasilien, Mexiko, China und Indonesien, ist es an der Zeit, dass die EU eine gewisse Gegenseitigkeit einfordert, insbesondere was den Marktzugang, die Achtung der Urheberrechte, die Handelsregeln, die Investitionspolitik und den Wettbewerb angeht. Das wird von den europäischen Bürgern so gefordert. Jedoch darf diese Gegenseitigkeit niemals von schwächeren Ländern oder von Ländern mit Entwicklungsproblemen gefordert werden. In Bezug auf diese Länder fällt der EU mit dieser Strategie im Gegenteil doppelte Verantwortung zu; sie muss es ermöglichen, dass der internationale Handel zur Beschleunigung der Entwicklung in diesen Ländern genutzt werden kann.
Es wird natürlich nicht leicht sein, immer das richtige Verhältnis zwischen diesen einzelnen Zielen zu finden. Jedoch hoffe ich, dass es möglich sein wird, Kompromissbereitschaft und einen zufrieden stellenden Konsens zwischen den verschiedenen Fraktionen zu erreichen, damit die europäischen Bürger, die wir hier vertreten, sich angesichts der Unsicherheiten der Globalisierung sicherer fühlen können.
Ignasi Guardans Cambó, im Namen der ALDE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Wenn wir über die Wettbewerbsfähigkeit des globalen Europas sprechen, geht es nicht um eine theoretische oder akademische Frage, sondern um die Schaffung von Vermögen und Arbeitsplätzen, um Wohlstand für unsere Bürger, die Rolle Europas in der Welt, seine Verantwortung und darum, wie es ihr nachkommt, gegenüber seinen europäischen Nachbarn, seinen Handelspartnern, aber auch gegenüber den Schwächsten, die am meisten unter der Erscheinung zu leiden haben, die als Globalisierung bekannt geworden ist.
Im Namen meiner Fraktion möchte ich den Bericht von Herrn Caspary begrüßen, zu dem wir in der nachfolgenden Abstimmung einige Änderungsanträge einreichen werden, die manche seiner Aussagen verbessern und erweitern werden. Wir wollen nichts streichen, sondern bestimmte Ideen zur Unterstützung der Änderungsanträge anderer Fraktionen beitragen.
Handel und freier Markt sind kein Dogma. Sie stellen keine unumstößliche Wahrheit dar, die unter allen Umständen verteidigt werden muss.
Es ist eine Realität, eine Tatsache, dass nur der freie Handel mit eindeutigen und gerechten Regeln für alle helfen kann, Vermögen, Wohlstand und Entwicklung zu schaffen. Protektionismus ist dazu nicht in der Lage, und es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass er jemals irgendwas beigetragen hätte. Freier Handel und weltweite Öffnung der Märkte führen indirekt zu größeren individuellen Freiheiten für jene, die Nutznießer dieser Freiheit sind. Daher treten wir für die Öffnung der Märkte und die Liberalisierung ein, nicht weil wir ein Dogma, eine unumstößliche Wahrheit oder ein Prinzip verteidigen, dem wir politisch verbunden sind, sondern weil ihre Vorteile ganz klar auf der Hand liegen.
Wenn sich die Europäische Union für dieses Prinzip einsetzt, befürwortet sie in der neuen Strategie des globalen Europas diese weltweite Öffnung der Märkte und muss auch ihren eigenen Pflichten nachkommen. Die Europäische Union trägt eine große Verantwortung. Sie tut es, wenn sie uns repräsentiert, wenn sie für uns eintritt.
Aus diesem Grund, und meine Fraktion stimmt dem zu, was andere Sprecher dazu sagten, ist dies nicht der Zeitpunkt für eine Revision der Handelsschutzinstrumente, es ist vielleicht der Moment, sie anzupassen, aber nicht, sie zu beseitigen oder zu ändern, denn die Europäische Union darf die noch vorhandenen Beschränkungen nicht aus den Augen verlieren in vielen Fällen sind es nichttarifäre Beschränkungen, die schrittweise auferlegt werden. Ich möchte eine hervorheben, über die wir schon gesprochen haben: die kommerzielle Verunglimpfung europäischer Produkte in einigen Ländern.
Die Europäische Union trägt ebenfalls eine Verantwortung, wenn sie in unserem Namen verhandelt, wenn sie den Zugang zum Dienstleistungsmarkt fordert und wenn sie auf dem Gebiet öffentlicher Ausschreibungen verhandelt.
Es ist sehr wichtig, dass unsere Handelspolitik nicht nur einfach mit unserer Entwicklungspolitik vereinbar ist, sondern dass sie mit ihr genau übereinstimmt. Ich sage nicht, dass dies nicht schon der Fall wäre, doch es besteht die Gefahr einer Handelspolitik, die nicht parallel zu unseren Pflichten im Entwicklungsbereich verläuft. Deshalb ergänzen wir den Bericht auch um einige Änderungsanträge, damit dieser Gedanke deutlich wird.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Grundsätzlich stellt die Globalisierung für Europa eine Chance dar. Ich möchte dem Berichterstatter dafür danken, dass er diese Idee in seinem Bericht klar gemacht hat. Ich möchte sie ganz besonders unseren Kolleginnen und Kollegen von der Linken vor Augen halten, die hauptsächlich dafür verantwortlich dafür sind, dass freier Handel mit Arbeitslosigkeit und sozialer Katastrophe assoziiert wird.
Wenn wir die negativen Folgen des globalen Handels vermeiden und die Oberhand im globalen Wettbewerb gewinnen wollen, dann müssen wir unser eigenes System, nach welchem wir die Ressourcen einsetzen, in Ordnung bringen. Gegenwärtig verzerren eine übermäßige Regulierung und Kontrolle des gemeinsamen Marktes innerhalb der Europäischen Union selbst diesen Markt. Wir lassen allmählich die Chance entgleiten, was Dienstleistungen und den Arbeitsmarkt in der Europäischen Union angeht.
Wir nutzen noch nicht alle die Wettbewerbsvorteile, die sich aus einem gemeinsamen Euro-Atlantischen Markt erlangen ließen. Statt Alarm wegen billigerer Dienstleistungen, Arbeitskräfte und steuerlichen Wettbewerbs zu schlagen, sollten wir gemeinsamen Nutzen aus der Situation ziehen. Wir müssen in diesem Wettbewerb unsere Kräfte messen und alles tun, um daraus als Sieger hervorzugehen.
Pierre Jonckheer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Im November 2006 haben die Regierungen unabhängig von ihrer jeweiligen politischen Ausrichtung die von der Kommission vorgeschlagenen allgemeinen Leitlinien angenommen. Inzwischen hat die Kommission auf der Grundlage der von ihr vorgeschlagenen und vom Rat beschlossenen Verhandlungsmandate vor allem mit Südkorea und den ASEAN-Staaten offiziell Verhandlungen aufgenommen.
Es sei daran erinnert, dass das Europäische Parlament in solchen Angelegenheiten lediglich das Recht hat, seine Meinung zu äußern, und dass es sich mit einem Zustimmungsverfahren in der Schlussphase zufrieden geben muss. Das gilt übrigens auch für die nationalen Parlamente. Die Handelsgespräche sind nach wie vor Sache der Exekutive der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft, was wir seit 25 Jahren kritisieren.
Unser Wunsch ist es, dass insbesondere das Europäische Parlament zur Ausarbeitung der Verhandlungsmandate im Rahmen eines Mitentscheidungsverfahrens hinzugezogen wird und dass dann auch wirklich ein Überwachungsverfahren eingerichtet werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt bin ich der Ansicht, dass die – sicherlich interessanten – Auftritte von Peter Mandelson vor unserem Ausschuss nicht ausreichen.
Mein zweiter Punkt betrifft die Regeln. Seit dem Brundtland-Bericht fordern wir, dass die internationalen Handelsregeln an die grundsätzlichen Anforderungen eines neuen Entwicklungsinstruments angepasst werden, das allen Völkern unseres kleinen Planeten zugute kommt.
Ich muss wohl kaum daran erinnern, Herr Kommissar, dass der „ökologische Fußabdruck“ unserer derzeitigen Lebensweise hier in Europa das Dreifache der Kapazität der Erde darstellt. Daher wäre nicht hinnehmbar, wenn dieser Zustand weiter um sich greift. Aus diesem einfachen Grunde müssen bei diesen Handelsgesprächen dringend internationale Standards für die Umwelt- und Sozialbedingungen durchgesetzt statt nur angeregt werden. Leider teilen weder die Kommission noch die Mehrheit dieses Parlaments diese Einstellung, weil sie sich von kurzfristigen Interessen blenden lassen.
Aus diesen und vielen anderen Gründen und vor allem angesichts der Auswirkungen, die diese Gespräche auf die künftige Entwicklung der EU-Rechtsvorschriften haben könnten, wird meine Fraktion diesen Bericht geschlossen ablehnen.
Helmuth Markov, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Der Bericht meines Ausschusskollegen Daniel Caspary ist im Wesentlichen die Wiederholung dessen, was auch in der Global-Europe-Strategie der Kommission zum Ausdruck kommt. Diese Lissabon-Strategie der Außenhandelspolitik kann ich nicht befürworten, wie auch die im April veröffentlichte Marktzugangsstrategie und die Politik der neuen Freihandelsabkommen, die sich nahtlos daran anreiht. Strategie und Umsetzung zielen vordringlich auf verbesserte Marktzugangsmöglichkeiten europäischer Unternehmen in Drittländern ab. Dagegen ist a priori nichts zu sagen.
Es wird angestrebt, durch die Abschaffung möglichst aller Handelsschranken nicht nur die Zölle, sondern auch verbraucher-, umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Maßnahmen ganz im Sinne der Freihandelslogik dem Primat der Wettbewerbsfähigkeit unterzuordnen. Gleichzeitig sollen die handelspolitischen Schutzinstrumente der Europäischen Union konsequenter angewendet und der Schutz des geistigen Eigentums – Stichwort Patente – ausgeweitet werden. Weil es innerhalb der WTO offensichtlich kaum zu einer multilateralen Einigung über eine solche einseitige Bevorteilung vor allem größerer europäischer Unternehmen kommen wird, streben Kommission und Rat immer deutlicher die Durchsetzung europäischer Wirtschaftsinteressen über bilaterale und regionale Abkommen an, die weit über das hinausgehen, was in der Doha-Runde eigentlich zur Debatte steht. Stichworte sind Deregulierung von Investitionen des öffentlichen Auftragswesens und der Wettbewerbspolitik. Einer solchen Politik, die nichts mehr mit der Schaffung eines fairen multilateralen Handelssystems zu tun hat, kann meine Fraktion nicht zustimmen. Starke und Schwache gleich zu behandeln heißt nicht, sie gerecht zu behandeln, und es geht um ein faires Handelsabkommen.
Einen wichtigen und richtigen Punkt im Bericht Caspary möchte ich aber dennoch hervorheben. Es kann nicht hingenommen werden, dass fast alle wichtigen europäischen Entscheidungen auf europäischer Ebene ohne die Mitbestimmung des Europäischen Parlaments getroffen werden. Wir werden heute Nachmittag bzw. im Anschluss noch über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen reden. Es stimmt, Herr Kommissar, im Ausschuss findet ein reger Austausch mit der DG Handel und Ihnen statt, das ist wahr, aber die Textentwürfe liegen uns als Handelsausschuss nicht vor. Solange es innerhalb des Europäischen Parlaments eine solche Geheimdiplomatie gibt, ist es verständlich, dass viele EU-Bürger den Maßnahmen der Europäischen Union immer skeptischer gegenüberstehen.
Graham Booth, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich glaube an den freien Handel. Er ist meinem Land zugute gekommen, und er ist ein wichtiges Instrument, das den ärmsten Ländern der Welt hilft, der Armut zu entfliehen. Doch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) schaden der Sache des freien Handels mehr als sie ihr nützen, und das hängt mit der Heuchelei der Europäischen Union zusammen.
Auf den ersten Blick klingt die Öffnung unserer Märkte für Importe aus diesen Ländern sehr gut, da dies deren Wirtschaft ankurbelt, aber die Medaille hat so wie immer eine Kehrseite. Die Entwicklungsländer müssen ihre Märkte für Waren aus Europa öffnen, ihre Einfuhrzölle senken – dem Zeitplan der EU zufolge bis Jahresende – und wenn sie das nicht tun, werden sofort europäische Handelsschranken errichtet und der Umfang der europäischen Hilfe wird zurückgefahren. Man darf nichts überstürzen. Wie der Berichterstatter feststellt, verfügen viele AKP-Länder noch nicht über Systeme zur Einnahmenerfassung, um Zölle als Hauptfinanzierungsquelle des Staates abzulösen.
Meines Erachtens richten wir mit einer Forcierung des Tempos für den freien Welthandel mehr Schaden als Nutzen an. Und überhaupt, was bilden wir uns eigentlich ein, wenn wir versuchen, diese Länder zum Abbau der Zölle zu zwingen? Wir sollten nicht vergessen, dass die Kommission erst letztes Jahr Zölle für Schuhe aus China eingeführt hat. Aber das hatte nichts mit freiem oder auch fairem Handel zu tun. Man hat uns erzählt, China würde uns mit subventionierten Waren überfluten. Und was machen wir mit unseren von der GAP subventionierten landwirtschaftlichen Überschüssen? Genau dasselbe: wir werfen sie billig auf den Markt in armen Ländern und treiben deren Landwirte damit in die Armut.
Der Berichterstatter stellt fest, dass zwischen der EU und vielen AKP-Ländern WPA abgeschlossen werden sollen. Das mag ja stimmen, aber nur, weil die EU die Peitsche schwingt. Auch wenn von „Partnerschaft“ die Rede ist, so handelt es sich um eine höchst ungleiche Partnerschaft. Sie kommt dem „Big Business“ entgegen, aber nicht den Entwicklungsländern. Die Gesundheits- und Umweltnormen in Europa sind so hoch, dass es vielen AKP-Ländern schwer fallen dürfte, ihre Agrarerzeugnisse zu exportieren.
Noch schlimmer ist, dass eine eigene Folgenabschätzung der Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass der Abschluss derartiger Verträge durchaus dem verarbeitenden Gewerbe in Westafrika den Todesstoß versetzen könnte. Als Bürger eines Landes, das sich historisch für den echten freien Handel eingesetzt und ihn propagiert hat, möchte ich mich nicht zum Handlanger einer solchen Entwicklung machen. Das stärkt meine Entschlossenheit, mich dafür einzusetzen, dass mein Land eigene Handelsverträge abschließt und aus dieser unerträglichen Europäischen Union ausscheidet, die entgegen ihrem frommen Geschwätz über die Linderung der Armut und Förderung der Entwicklung direkt dafür verantwortlich ist, dass die Armut in den Entwicklungsländern weltweit massiv zunimmt.
Dumitru Gheorghe Mircea Coşea, în numele grupului ITS. – Îl felicit pe raportor pentru munca excelentă pe care a depus-o, dar subliniez şi susţin în acelaşi timp remarca pe care raportorul o face în legătură cu faptul că este regretabilă situaţia în care cetăţenii Uniunii Europene stabilesc o paralelă între, pe de o parte, mondializare, iar, pe de altă parte, scăderea producţiei europene şi pierderea de locuri de muncă. În acest context se înscrie şi reacţia negativă pe care cetăţenii europeni o au faţă de procesul delocalizării unor întreprinderi productive spre noile state membre în scopul utilizării unei forţe de muncă mai ieftine. Am remarcat o astfel de reacţie negativă şi în timpul campaniei electorale prezidenţiale din Franţa, şi m-a deranjat faptul că România este prezentată ca o ţară care ar atrage aceste delocalizări, prejudiciind situaţia locurilor de muncă în alte ţări membre ale Uniunii. Se vorbeşte chiar de o politică de dumping social pe care ar practica-o România. Constat, cu regret, lipsa de informaţii pe care o au cetăţenii europeni şi insist pe nevoia unei informări nu numai ample, dar şi mai corecte.
În acest sens ar trebui ştiut că România, prin strategia sa de postaderare, nu încurajează delocalizarea, deoarece, în multe cazuri, prin aceasta se produc dezechilibre majore din punctul de vedere al protecţiei mediului, se dezvoltă ramuri industriale energofage şi utilizatoare de muncă slab calificată. Interesul actual al României este dezvoltarea unor ramuri industriale moderne, care să ridice gradul de competitivitate al economiei, şi nu aglomerarea pe teritoriul ţării a unui amalgam de întreprinderi, deplasate tehnic şi tehnologic. Iată de ce consider că delocalizarea este un proces care nu avantajează pe nimeni în interiorul Uniunii şi apare ca fiind extrem de necesară adoptarea unei strategii care să permită ca într-adevăr mondializarea să contribuie la respectarea interesului, nu numai al Uniunii, dar şi al diferitelor ţări membre în parte.
Roger Helmer (NI) . – (EN) Frau Präsidentin! Der Bericht enthält einige gute Elemente – die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen, die schrittweise Senkung von Zöllen im transatlantischen Handel, die Bedeutung der Handelsliberalisierung und die Tatsache, dass Protektionismus Arbeitslosigkeit zur Folge hat. Dennoch ist der Bericht in Bezug auf den Zollabbau nachgerade schizophren. Einerseits lobt er trotz der im Vergleich zu Asien und den USA wirtschaftlich rückläufigen Entwicklung den so genannten Erfolg der EU-Zollunion, andererseits fordert er zur schrittweisen Senkung der Zölle auf.
Wir müssen uns entscheiden. Handelsschranken sind entweder etwas Gutes oder etwas Schlechtes – sie können nicht gleichzeitig beides sein. Tatsache ist, dass Zollunionen ein Bismarcksches Konzept aus dem 19. Jahrhundert sind, die im 21. Jahrhundert keinen Platz haben. Es ist an der Zeit, den gemeinsamen EU-Außenzoll aufzugeben und eine europäische Freihandelszone zu schaffen.
Der Bericht lobt ferner das europäische Sozialmodell und die aktualisierte Lissabon-Agenda, dabei wissen wir doch alle, dass die Lissabon-Agenda tot ist. Wir reden darüber, schaffen es aber nicht, sie in die Tat umzusetzen, während die Wettbewerbsfähigkeit der EU immer weiter hinter der unserer Wettbewerber zurückbleibt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Tony Blair, unser Premierminister, hier in diesem Saal die Frage stellte: Was ist das für ein Sozialmodell, das für 20 Millionen Arbeitslose in ganz Europa sorgt? Antwort: das europäische Sozialmodell. Ich erinnere mich auch an eine Reise nach Singapur, während der Herr Goh Chok Tong, der damalige Ministerpräsident, von unserem Kollegen Herrn Corbett gefragt wurde, weshalb in einem prosperierenden Land wie Singapur die Sozialleistungen und Arbeitslosenunterstützung so niedrig sind. Herr Goh Chok Tong erwiderte: „Wir haben festgestellt, dass wir viele Arbeitslose haben, wenn wir die Menschen für ihre Arbeitslosigkeit bezahlen. Deshalb tun wir das nicht.“ Das ist die Weisheit des Orients, und wir täten gut daran, sie zu beherzigen.
Es gibt nur einen Weg für ein wettbewerbsfähiges Europa: Wir brauchen Konrad Adenauers Lagerfeuer der Verordnungen. Wir brauchen eine drastische Senkung der Steuern sowie Sozial- und Arbeitskosten. Dann können wir uns vielleicht auch auf dem Weltmarkt behaupten.
Georgios Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Frau Präsidentin! Der Zugang zu den Märkten zahlreicher wichtiger Handelspartner der Union ist für Exporteure und Unternehmen nicht immer leicht. Es gibt hohe Tarife und technische Hindernisse, nicht transparente und unfaire Handelspraktiken, verwaltungstechnische und steuerliche Hürden, und generell werden die Grundsätze der Inländerbehandlung nur unvollständig angewandt.
Ferner möchte ich – wie bereits vom Berichterstatter, Herrn Caspary, erwähnt – darauf hinweisen, dass die Rechte des geistigen Eigentums und die gewerblichen Schutzrechte weltweit nicht wirksam geschützt sind.
Ein weiterer Aspekt, der sich auf die geringere Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte und Dienstleistungen auswirkt, ist die Verpflichtung, strengere Produkt-, Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sowie Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften einhalten zu müssen.
Ich bin nicht dafür, dass der europäische Rechtsrahmen abgeschwächt wird, spreche mich aber für Gegenseitigkeit im Verhältnis zu unseren Handelspartnern aus.
Αußerdem müssen wir sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene sicherstellen, dass nicht nur Wirtschaftsdumping, wie wir es heute kennen, sondern auch Dumping auf sozialem und ökologischem Gebiet verhindert wird.
In dieser Hinsicht tritt die Europäische Union richtigerweise im Rahmen der laufenden WTO-Verhandlungen für die Abschaffung von Einfuhrzöllen für so genannte ökologische Erzeugnisse ein. Gleichzeitig sollte allerdings auch die Möglichkeit geprüft werden, eine „Ökosteuer“ auf Einfuhren aus Staaten zu erheben, die nicht zu den Unterzeichnern des Kyoto-Protokolls gehören, um die Nachteile auszugleichen, die europäische Unternehmen im Wettbewerb haben, und zu verhindern, dass sie ihre Produktion in Gebiete verlagern, in denen flexiblere Umweltbestimmungen bestehen.
Das Gleichgewicht des Welthandelssystems hängt von konvergierenden Systemen, institutioneller Transparenz und übereinstimmenden Sozial- und Umweltnormen ab.
Erika Mann (PSE). – Frau Präsidentin! Ich möchte gerne einige Punkte zum Bericht des Kollegen Daniel Caspary und zum Vorschlag der Kommission ansprechen, die für meine Fraktion wichtig sind.
Ich möchte dem Kommissar ausdrücklich danken, dass er den Mut hatte, diese Themen überhaupt aufzugreifen und einen Strategiewechsel in der Europäischen Union vorzuschlagen. Das ist ein Vorgang, den das Parlament bereits 2002 gefordert hatte, wobei ich damals selbst vorgeschlagen hatte, dass wir im Bereich der Abkommen verstärkt nach Asien schauen. Insofern erst einmal meinen ausdrücklichen Dank!
Das Problem besteht allerdings darin, dass wir seit 2002 eine gravierende Veränderung im Bereich der weltwirtschaftlichen Entwicklung vorfinden. Mit China haben wir andere Spieler bekommen, und die vorgeschlagenen Länder, wie z. B. Korea und einige ASEAN-Staaten, aber auch Indien, haben nicht mehr klassischen Entwicklungscharakter, sondern sind bereits Schwellenländer und extrem wettbewerbsfähig geworden. Dennoch herrscht in ihrem eigenen Land zum Teil große Armut, und das stellt die Europäische Union vor Herausforderungen. Das bedeutet: Wir werden eine kluge Handelsstrategie verfolgen müssen, die Fairness im Handel mit diesen Ländern fordert.
Wir werden eine Balance schaffen müssen, indem wir auf der einen Seite eine Marktöffnung in einem Fall-zu-Fall-Entscheidungsbereich den Ländern gegenüber verfolgen und auf der anderen Seite natürlich auch Standards fordern, etwa in den Bereichen Umwelt und Arbeitsschutz, aber natürlich auch im Bereich geistiges Eigentum. Das wird eine schwierig zu erzielende Balance sein!
Herr Kommissar, Sie haben davon gesprochen, dass Sie dem Parlament bereits weitere Rechte zugebilligt haben, indem Sie uns die Mandatsentscheidung überstellt haben. Das ist korrekt und ich möchte ausdrücklich dafür danken. Ich würde Sie trotzdem bitten, dass Sie uns weiterhin unterstützen, wenn wir vom Rat fordern, dass wir zukünftig auch das Zustimmungsrecht bekommen, das wesentlich dazu beitragen wird, eine vernünftige Handelspolitik zu entwickeln.
Ich möchte ausdrücklich dem Kollegen Daniel Caspary und meiner als Schattenberichterstatterin zuständigen Kollegin Elisa Ferreira für den Bericht danken sowie für ihre Bereitwilligkeit, mit uns zu kooperieren.
Gianluca Susta (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das stetige Engagement Europas zur Förderung einer zunehmenden Öffnung der Märkte darf Europa selbst nicht daran hindern, seine Interessen in der globalen Welt durchzusetzen. Die Lissabon-Strategie stellt ein ehrgeiziges und unterstützenswertes Ziel dar und macht es möglich, dass wir die Herausforderung annehmen, mit der uns die Konkurrenten der Europäischen Union konfrontieren.
Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass das große Spiel um Handel und Entwicklung oft nicht nach gleichen Bedingungen ausgetragen wird, und dieser Mangel an Gegenseitigkeit, der durch die verspätete Entwicklung vieler Länder gerechtfertigt sein mag, benachteiligt unsere Produktionssysteme und hat schwerwiegende soziale Folgen. Wir halten an unserem Bekenntnis zu einem multilateralen Ansatz fest, müssen jedoch erforderlichenfalls auch bilaterale Abkommen weiterverfolgen. Wir verfechten eine Politik der Marktöffnung, des schrittweisen Zollabbaus und der Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen. In diesem Rahmen muss unsere Strategie der Innovation, Marktöffnung und Förderung der Produktionsumstellung in traditionellen, nicht mehr wettbewerbsfähigen Bereichen Hand in Hand gehen mit den Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums und ganz allgemein mit den Handelsschutzinstrumenten, wie es in dem Grünbuch aufgezeigt und in den Bericht von Herrn Caspary explizit übernommen wurde.
Seán Ó Neachtain (UEN). – A Uachtaráin, ba mhaith liom a dheimhniú ar an gcéad dul síos nach n-aontaíonn mise beag ná mór leis an gcur chuige oibre atá ag Peter Mandelson, Coimisinéir Trádála an AE, maidir le comhráití DOHA ar thrádáil Domhanda.
Dealraíonn sé domsa go bhfuil an tUasal Mandelson ag iarraidh margadh trádála ilshleasach a bhaint amach, is cuma cé a ghortófar sa phroiseas. Tá an iomarca géillte ag an Aontas Eorpach cheana féin sna cainteanna seo. Tá ciorraithe móra déanta ag an AE ar an tacaíocht a thugtar d'fheirmeoirí na hÉireann agus na hEorpa, agus táimid fós ag feitheamh go gcuirfeadh Meiriceá agus Grúpa Cairns na leasaithe a gheall siad féin i gcrích.
Ba chóir go mbeadh Rialtais na mBallstát uilig an-soiléir agus an-chúramach maidir leis an gcineál margaíochta ar mian leo a dhéanfadh an Coimisinéir Mandelson ar a son. Níor chóir dúinn ár bhfoinse beatha a bheith chomh fada ó bhaile le Meiriceá Theas. Ba chóir dúinn é a chothú anseo ag baile agus bá chóir dúinn é a dhéanamh ar na bunphrionsabail ar bunaíodh an tAontas Eorpach orthu, agus bá chóir go dtuigfeadh an tUasal Mandelson é sin. Is Sasanach é, agus ba chóir go mbeadh ciall ceannaithe ag Sasana sa phróiséis seo anois.
Jacky Henin (GUE/NGL). – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie uns wagen, dem Mythos ein Ende zu bereiten! Freihandel wirkt nicht mehr armutsmindernd und entwicklungsfördernd. Nach jüngsten von der Weltbank veröffentlichten Untersuchungen wird eingeschätzt, dass der Nutzen gegen Null tendiert und von diesem kaum vorhandenen Nutzen der wesentliche Teil China zufällt.
Berücksichtigt man den Wegfall der Zölle, fällt das Ergebnis für die Entwicklungsländer besonders negativ aus. Die kapitalistische Globalisierung bewirkt keinen Wettbewerb zwischen den großen multinationalen Unternehmen, sondern schützt diese Unternehmen. Andererseits erzeugt sie einen scharfen Wettbewerb zwischen den Sozialsystemen und den Steuersystemen, die das Ergebnis demokratischer Entscheidungen der Bürger der jeweiligen Nationen sind. Eine Folge des freien Handels ist außerdem die massive Verlagerung der Steuerlast der Unternehmen auf die Haushalte. Insofern sind die großen Worte in dem Bericht über die Wahrung des europäischen Sozialmodells lediglich theatralische Floskeln, mit denen auf die Tränendrüsen gedrückt werden soll. Wenn wir davon wegkommen wollen, müssen wir den Grundsatz des freien Handels durch den Grundsatz des gerechten Handels ersetzen.
Der Fall des Dollars und des Yen blutet die Beschäftigung im produzierenden Gewerbe im Euro-Währungsgebiet aus. Und der Bericht fordert die Kommission auf .... aufzufordern! Tartuffe hätte es nicht besser sagen können! Kein Wort zu der unbilligen Absicht, die Antidumpingregelungen unter dem Vorwand außer Kraft zu setzen, sie würden gewissen Finanzinteressen schaden, also den europäischen. Weil wir den europäischen Bürgern und nicht den spekulativen Investmentgesellschaften dienen, sollten wir der Kooperation vor der Wettbewerbsfähigkeit Vorrang geben und uns für einen vernünftigen Protektionismus entscheiden, der sich auf Zölle stützt, die von sozialen und ökologischen Kriterien bestimmt werden, und wir sollten für Kontrolle über Geldwechsel und Kapitalbewegungen sorgen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin fest überzeugt, dass die EU ungebremst und mit lautem Geschrei geradewegs gegen die Wand fährt, wenn wir weiter zielgerichtet auf den freien Handel zusteuern!
Bastiaan Belder (IND/DEM). – (NL) Frau Präsidentin! Als Erstes möchte ich den Berichterstatter zu seinem ausgewogenen Bericht, der bei der morgigen Abstimmung mit meiner Unterstützung rechnen kann, beglückwünschen.
Als Berichterstatter für die Beziehungen EU-China galt mein besonderes Interesse den Ziffern zu den Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik, doch war ich über den Wortlaut von Ziffer 44 überrascht, da ich China keineswegs als ein eindeutiges Beispiel für die positiven Auswirkungen einer Handelsliberalisierung und einer aktiven Teilnahme an globalen und wettbewerbsorientierten Märkten betrachte. Der nachfolgenden langen Liste von Bedenken und Meinungsunterschieden nach zu urteilen, teilt der Berichterstatter übrigens meine diesbezügliche Ansicht.
Neben den Problemen im Sozial- und Umweltbereich und unseren Besorgnissen hinsichtlich des Schutzes des europäischen geistigen Eigentums möchte ich noch den unangemessenen Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Markt sowie die Dumpingpraktiken in China erwähnen, womit der europäischen Wirtschaft ebenfalls Schaden zugefügt wird. Die Chinesen schotten nämlich den eigenen Markt vor ausländischer Konkurrenz ab und räumen gleichzeitig den eigenen Herstellern ungebührliche Vorteile ein.
Eine offene Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt wird oft – und fälschlicherweise – mit einer Wirtschaft ohne Schranken verwechselt. Zum Glück hat sich der Berichterstatter nicht für diese Position entschieden. In Ziffer 17 seines Berichts erwähnt Herr Caspary zu Recht den Schaden, der der europäischen Wirtschaft durch das Verhalten von Ländern entsteht, die sich nicht an die Handelspraktiken halten. Die Europäische Union muss sich als Gegenmaßnahme gegen unfaire Handelspraktiken schützen.
Ich fordere die Kommission daher auf, innerhalb und außerhalb des WTO-Rahmens klarzustellen, dass die Union unfaires Verhalten nicht zulässt. Das bedeutet allerdings, dass die EU auch bereit sein muss, mittels angemessener Instrumente zum Schutz des Handels konkrete Sanktionsmaßnahmen zu ergreifen, und zwar nicht aufgrund eines protektionistischen Reflexes, sondern in dem Bewusstsein, dass in manchen Fällen nur mithilfe von Zwang gleiche Wettbewerbsbedingungen für die EU-Wirtschaft gewährleistet werden können.
Jean-Marie Le Pen (ITS). – (FR) Frau Präsidentin! Der Bericht unseres deutschen Kollegen aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten, Daniel Caspary, über Europa im Zeitalter der Globalisierung stellt auf beinahe ironische Weise die Vorzüge der Globalisierung und der Handelspolitik der Europäischen Union dar.
Denn er schreibt ihm ausschließlich Vorteile zu: Öffnung der Märkte, insbesondere für öffentliche Aufträge, verstärkter Wettbewerb, die Vorzüge des Wettbewerbs und eines weltweiten freien Handels, allerdings mit einem kleinen Wermutstropfen im Hinblick auf die Rechte an geistigem Eigentum.
Umgekehrt wird Protektionismus gnadenlos verurteilt und die Zölle werden wie unzumutbare Schmähungen des Gottes namens Handel öffentlich angeprangert. Angesichts der allmächtigen ultraliberalen Kräfte des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission wird es interessant sein zu beobachten, was die Regierung von Nicolas Sarkozy tun wird, um unsere Unternehmen, insbesondere unsere KMU und KMI, unsere Landwirte und unsere öffentlichen Dienstleistungen zu schützen.
Da ja Europa weltweit schon der offenste Wirtschaftsraum ist, ist es paradox, noch weiter gehen zu wollen, es sei denn, man will unsere Landwirtschaft und unsere Industrie absichtlich und endgültig opfern. Doch gerade das tut das Brüsseler Europa – im Namen des Wettbewerbs und des Freihandelsdogmas oder um unsere amerikanischen Verbündeten zufrieden zu stellen. Was kann Europa unter diesen Bedingungen – keine Schutzmaßnahmen im Handel, die diese Bezeichnung verdienen, keine wirksamen Schutzinstrumente, keine von der angelsächsischen Lobby unabhängigen europäischen Beamten – tun, um Standortverlagerungen und die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften und von Kapital zu verhindern? Es könnte auf die seit Jahrtausenden bestehenden Nationen bauen statt auf das von Herrn Caspary vertretene europäische Trugbild, das den europäischen Bürgern garantiert schwere Enttäuschungen bereiten wird.
Alessandro Battilocchio (NI). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der WTO hat Europa von jeher – oft ganz allein und ungeachtet seiner eigenen unmittelbaren Wirtschaftsinteressen – die strikte Auslegung der Regeln des Systems verteidigt und eventuelle Praktiken, die Verzerrungen auf dem Binnen- oder Weltmarkt bewirken könnten, streng überwacht. Damit diese Regeln jedoch einen Sinn ergeben, muss die EU energisch darauf bestehen, dass sie auch von anderen Mitgliedern, insbesondere von ihren unmittelbaren Konkurrenten, angewendet werden.
Außerdem müssen diese Normen regelmäßig an die ständigen Veränderungen der Handelspraktiken und des Produktionssystems, wie jüngst die Standortverlagerungen, angepasst werden, um nicht nur die Qualität und die Anzahl der Arbeitsplätze in der Union, sondern auch die Achtung der Sozial- und Umweltschutznormen in außereuropäischen Ländern zu gewährleisten. In diesem Sinne müssen die gegenwärtigen Verfahren zur Einführung eines europäischen Gütezeichens und zum Schutz des geistigen Eigentums unterstützt und beschleunigt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, vor allem der kleineren, und die Qualität unserer Produktion sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer Grenzen zu sichern.
Ich fühle mich als Mitglied des Entwicklungsausschusses verpflichtet, daran zu erinnern, dass ein flexibles und allmähliches Vorgehen auf jeden Fall für jene Entwicklungsländer notwendig ist, die sich bemühen, zunächst die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen, ehe der Markt vollständig geöffnet wird: beispielsweise einen gleichberechtigten Zugang zu sauberem Trinkwasser, Bildung und effizienten Gesundheitssystemen, die unabdingbare Voraussetzungen für eine spätere nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sind.
Christofer Fjellner (PPE-DE). – (SV) Ich möchte zunächst dem Kollegen Caspary danken. Ich muss sagen, dies ist einer der besten handelspolitischen Berichte, die ich hier im Parlament gesehen habe. In ihm wird deutlich gemacht, dass freier Handel zu Wohlstand führt und Protektionismus zu Armut. Es ist ein guter Schritt nach vorn, dass wir dies gemeinsam im Europäischen Parlament konstatieren können! Auch die Initiative Global Europe der Kommission im Hinblick auf die externe Dimension der Wettbewerbsfähigkeit ist außerordentlich positiv. Die Handelspolitik hätte eigentlich von Beginn an Teil der Lissabon-Agenda sein sollen, denn von Europas Wettbewerbsfähigkeit zu sprechen, ohne unseren Handel mit der uns umgebenden Welt einzubeziehen, ist nur leeres Gerede.
Wo Sie nun einmal hier sind, Herr Mandelson, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen zwei Hinweise mit auf den Weg geben.
Erstens habe ich festgestellt, dass die Kommission oft von Wettbewerbsfähigkeit spricht, aber dann geht es fast ausschließlich darum, unseren Marktzugang zu verbessern und die Zölle in anderen Ländern zu senken. Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, den Zugang anderer Länder zu erleichtern und ihre Möglichkeiten zu verbessern, auf unsere Märkte zu gelangen, sowie unsere eigenen Zölle zu senken. Das würde nicht nur Waren für europäische Verbraucher und Unternehmen billiger machen, sondern auch den Wettbewerb verstärken und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Umwelt verbessern. Das Senken unserer eigenen Zölle ist mindestens ebenso wichtig wie die Senkung der Zölle anderer Länder.
Zweitens möchte ich die Notwendigkeit einer Reform der handelspolitischen Schutzinstrumente ansprechen. Darin stimme ich dem vorliegenden Bericht nicht ganz zu. Ich verstehe, dass der Druck auf die Kommission nach Vorlage dieser Initiative sehr groß war. Leider scheint dieser Druck zu niedrigeren Ambitionen bei der Kommission geführt zu haben. Jetzt ist nicht mehr von einer Reform, sondern von einer Überprüfung die Rede, aber ich erwarte von der Kommission, dass sie eine Reform der handelspolitischen Schutzinstrumente vorlegt, die diesen Namen auch verdient. Dass die EU uns vor dem Handel schützen sollte, ist natürlich ebenso dumm wie es sich anhört.
Lassen Sie mich auch noch eines meiner Lieblingsbeispiele für absurde Handelshindernisse anführen, nämlich die merkwürdigen Zölle der EU auf Energiesparlampen. Wir sind zwar beunruhigt wegen des Treibhauseffekts und erwägen ein Verbot gewöhnlicher Glühlampen, schützen uns aber gleichzeitig durch hohe Zölle vor dem Import von Energiesparlampen!
Nein, Herr Mandelson, wir müssen eine durchgreifende Reform der handelspolitischen Schutzinstrumente vornehmen!
Harlem Désir (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf vier Bemerkungen beschränken.
Erstens, Herr Kommissar, haben Sie meines Erachtens zu Recht betont, dass die Strategie eines globalen Europas nicht bedeuten muss, auf den Vorrang der multilateralen Verhandlungen zu verzichten. Es gibt große Begeisterung, aber auch viele Illusionen darüber, was die bilateralen Freihandelsabkommen zu leisten vermögen. Man erzählt uns, wir müssten solche Abkommen schließen, weil andere, zum Beispiel die USA, auch diesen Weg gehen. Tatsächlich aber haben die USA nur sechs oder sieben Freihandelsabkommen unterzeichnet, was kaum 5 % ihres Außenhandels ausmacht. Die übrigen Abkommen sind gescheitert, weil die gleichen Probleme wie im multilateralen Rahmen bestehen, mit – im Allgemeinen – der gleichen Art von Partnern. Ich möchte hinzufügen, dass diese Verhandlungen häufig mit Abkommen enden, die im Verhältnis zu den Entwicklungsländern unausgewogen sind, natürlich zum Vorteil der Industrieländer.
Das führt mich zu meiner zweiten Bemerkung: Im Zuge des Übergangs vom multilateralen zum bilateralen Rahmen dürfen die Entwicklungsziele der Handelspolitik nicht über Bord geworfen werden. Unter diesem Gesichtspunkt, Herr Caspary, kann man meiner Meinung nach nicht sagen, dass die Handelspolitik nicht auch mit anderen Aspekten, wie Entwicklung, Armutsbekämpfung, Umwelt und Sozialpolitik verknüpft ist. Die Verknüpfung zwischen Handel und Entwicklung oder Handel und Verringerung der Armut ergibt sich schließlich nicht automatisch. So heißt es, dass Afrika arm bleiben wird, wenn es keinen Handel betreibt. Das stimmt. Aber bedeutet das denn, dass deshalb jedes Handelsabkommen zwangsläufig gut für Afrika ist? Bestimmt nicht. Hier muss eine stärker differenzierte, gesteuerte Öffnung erfolgen, die die sensiblen Sektoren in den betreffenden Ländern berücksichtigt. Das gilt nicht nur für die ärmsten Länder, sondern auch für die Schwellenländer, Länder wie Indien, die zu jenen gehören, die als die ärmsten Länder der Welt gelten.
Drittens darf diese Strategie eines globalisierten Europas nicht bedeuten, dass Themen wieder Eingang finden, die bereits im multilateralen Rahmen verworfen worden sind. Ich denke an die Themen von Singapur und die Verhandlungen über Investitionen, öffentliches Auftragswesen und öffentliche Dienstleistungen. Die Wiedereinführung dieser Themen ist nicht gerechtfertigt. Sie würde zu den gleichen Problemen, den gleichen Stockungen führen, oder diese Themen werden gewaltsam durchgesetzt, wenn sie über die Handelsregeln hinausgehen und die innere Regulierung sensibler Sektoren betreffen, wie den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, zu öffentlichen Dienstleistungen.
Viertens – und damit möchte ich schließen – bin ich wie Herr Jonckheer der Ansicht, dass man nicht außer Acht lassen darf, dass die EU über ihre Handelspolitik auch die Umsetzung von Sozial- und Umweltvorschriften verfolgt. Diese Vorschriften werden über das verstärkte Allgemeine Präferenzsystem, nicht mehr im Rahmen von Freihandelsabkommen umgesetzt, was ich bedauere, denn wir müssen auch dafür sorgen, dass vor allem die Einhaltung der Regeln der IAO gefördert wird.
Jan Tadeusz Masiel (UEN). – (PL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Die Europäische Kommission sollte mehr Informationen über ihre vorgeschlagene Handelspolitik bereitstellen, nicht nur für das Parlament, sondern auch und insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger. Gegenwärtig fürchten Europäer in vielen verschiedenen Ländern die WTO und ihre Handlungen.
Es müssen größere Anstrengungen unternommen werden, um den Bürgerinnen und Bürgern klarzumachen, dass eine Politik des freien Handels zu wirtschaftlichem Wachstum, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltiger Entwicklung überall in der Welt führt, sofern die Politik auf Partnerschaft gegründet und in wachsendem Maße ausgewogen und ehrlich ist. Darüber hinaus sollte eine solche Politik von unseren eigenen europäischen Sozial- und Umweltstandards getragen sein. Dem messen wir große Bedeutung bei. Einerseits sollte es einen freien Markt und freien Wettbewerb und andererseits europäische Umwelt- und Sozialstandards geben.
Zurzeit ist das noch Wunschdenken, aber diese beiden Wertmaßstäbe werden einmal zusammengehen müssen. Dafür sollten Sie sich einsetzen, Herr Kommissar.
VORSITZ: ADAM BIELAN Vizepräsident
Tokia Saïfi (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident! Zunächst möchte ich meinen Kollegen Caspary zu seinem sehr guten Bericht beglückwünschen.
Gerade weil die Globalisierung noch nie da gewesene Änderungen verlangt, muss die Europäische Union heute Reformen durchführen, die notwendig sind und es ihr erlauben, umfassenden Nutzen daraus zu ziehen. Eine dieser Reformen beruht auf der Anpassung der europäischen Handelspolitik an die Anforderungen der Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen die Auffassung überwinden, Globalisierung sei mit dem Rückgang der europäischen Produktion und dem Verlust von Arbeitsplätzen gleichzusetzen.
Europa soll künftig in der Lage sein, einen Raum für die Entfaltung von Synergien und der industriellen Zusammenarbeit zu bilden. Unter diesem Gesichtspunkt ist alles eine Frage der Attraktivität, der Spezialisierung und der Verteidigung. Deshalb benötigt Europa Konzepte zur Förderung eines günstigen Umfelds für unternehmerisches Denken, für die Produktion und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die KMU müssen als Hauptakteure dieser Konzepte daher leichteren Zugang zu öffentlichen Beschaffungsverträgen erhalten, wie man es in den USA bereits beobachten kann. Im Interesse der Vollständigkeit dieser Konzepte, ihrer besseren Integration und Ausrichtung auf die Zukunft, darf der Agrarsektor, der ein strategisches Handelsinstrument der Europäischen Union und kein Druckmittel ist, in diesen Politiken nicht vernachlässigt werden. Zudem wäre es angebracht gewesen, wenn in dieser Mitteilung der Agrarsektor genannt worden wäre, wie ja auch der Dienstleistungssektor und Produkte mit hohem Mehrwert genannt wurden.
Parallel zu diesem vorausschauenden Ansatz muss Europa auch eine Schutzfunktion wahrnehmen. Die Leistung der Europäischen Union im Vergleich mit den aufstrebenden Volkswirtschaften wird durch einen Mangel an Gegenseitigkeit bei den Marktzugangsbedingungen und das Umsichgreifen unfairer Handelspraktiken beeinträchtigt. Angesichts dieses Tempoverlustes muss Europa eine entschiedenere Haltung einnehmen und sich so in die Lage versetzen, sich mittels handelspolitischer Schutzinstrumente vor wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Dumping zu schützen. Diese Instrumente stellen derzeit das einzige Mittel dar, um das Fehlen international vereinbarter Wettbewerbsregeln auszugleichen. Wie man sieht, wird die Wettbewerbsfähigkeit der EU nach außen gewährleistet, und zwar durch ihre Fähigkeit, anzugreifen und sich zu verteidigen.
Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Herr Präsident! Es ist eine Tatsache, dass wir mit der Globalisierung konfrontiert sind, und es bestehen zwei Möglichkeiten, auf sie zu reagieren: sich von den Ereignissen treiben zu lassen oder zu versuchen, sie zu meistern, in sie einzugreifen und sie letztendlich zu lenken.
Ich glaube, darin liegt die Absicht unserer Handelspolitik und meiner Meinung nach auch der Gedanke der Mitteilung der Europäischen Kommission und im Allgemeinen auch des Berichts von Herrn Caspary.
Wir müssen in unserer heutigen Aussprache eine ganz klare Botschaft an unsere Bürgerinnen und Bürger richten. Es geht uns nicht einfach darum, unseren Marktanteil zu sichern, ungeachtet anderer Kriterien. Wir wollen auf dem Weltmarkt präsent sein, doch dabei wollen wir zur Stärkung des europäischen Sozialmodells und der Ausbreitung von Wohlstand beitragen und damit die Armut in der Welt bekämpfen.
Das muss zuallererst auf multilaterale Weise geschehen. Die Welthandelsorganisation ist noch immer das bevorzugte Mittel der Europäischen Union, in die Globalisierung einzugreifen. Hier gilt es, weiterhin alle erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, um die Doha-Entwicklungsrunde zum Abschluss zu bringen.
Solange dies nicht der Fall ist, müssen wir aufgrund unserer Verantwortung gegenüber unseren Bürgern und auch gegenüber den Bürgern jener Länder, mit denen wir Freihandelsabkommen vereinbaren wollen, dieses zweite Instrument voranbringen.
Der Bericht von Herrn Caspary bezieht sehr wichtige Elemente für die Sozialisten und Sozialdemokraten ein. Sie sind in Ziffer 20 enthalten, wo es um die Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation geht, oder in Ziffer 65, wo deutlich zwischen kommerziellen und öffentlichen Dienstleistungen unterschieden wird.
Wenn der Bericht Caspary zudem unsere Änderungsanträge 43 und 52 aufgreifen würde, entspräche er viel besser unseren Absichten. Doch auch so leistet dieser Bericht meiner Ansicht nach einen positiven Beitrag.
Als Mitglied des Ausschusses für konstitutionelle Fragen möchte ich ebenfalls meine Hoffnung und inständige Bitte aussprechen, der Rat möge zustimmen, das in Gang zu setzen, was die Verfassung, die sich im Ratifizierungs- oder Änderungsprozess befindet, vorsieht: nicht nur Zustimmung sondern auch Mitwirkung am Mandat, an der Begleitung der Verhandlungen und damit volle Vertretung der Bürgerinnen und Bürger in Fragen, die sich letztendlich ganz deutlich auf ihr Alltagsleben auswirken.
Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk (UEN). – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte in meinem Beitrag zu dieser Aussprache auf drei Fragen eingehen.
Der Gegenstand des uns vorliegenden Berichts ist die Entwicklung des Handels, und zuerst möchte ich erklären, dass er nicht als Selbstzweck betrachtet werden darf. Er ist hinsichtlich seiner Wirkung auf wirtschaftliches Wachstum, einschließlich der Produktion in Europa, und hinsichtlich seiner Wirkung auf Trends auf dem europäischen Arbeitsmarkt und auf die ausgewogene Entwicklung der gesamten Europäischen Union zu verstehen.
Zweitens, die Feststellungen im Bericht zur Offenheit des Marktes sind richtig, vorausgesetzt sie gründen sich auf Gegenseitigkeit und die Achtung der Prinzipien des fairen Wettbewerbs. Die EU öffnet oft ihren Markt, wenn ihre auswärtigen Partner nicht die Absicht haben, die Gegenseitigkeit und schon gar nicht die Prinzipien des fairen Wettbewerbs einzuhalten.
Drittens ist die Einhaltung dieser Prinzipien besonders wichtig, wenn es um den Handel mit Nahrungsgütern geht. Einige Partner der Union haben es versäumt, sich hierbei an die Prinzipien des fairen Wettbewerbs zu halten, was in vielen Bereich der europäischen Landwirtschaft zu Produktionsrückgängen führt. In einigen Fällen ist die Erzeugung sogar völlig zum Erliegen gekommen. Für Europa wird sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein, künftig eine Tätigkeit wiederzubeleben, wenn auswärtige Partner in der Lage sind, die Preise vorzugeben.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich zu drei Punkten äußern. Erstens möchte ich Herrn Caspary danken, der mit diesem Bericht ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, und ihn dazu beglückwünschen, dass auch er einen begrüßenswert liberalen und auf den freien Handel ausgerichteten Standpunkt vertritt.
Zweitens möchte ich feststellen, dass ich ein Anhänger des freien Handels und des Multilateralismus bin. Mir ist jedoch klar, dass wir im Rahmen der aktuellen Doha-Runde einige bilaterale Maßnahmen ergreifen müssen, die uns nicht notwendigerweise gefallen werden, aber an denen wir nicht vorbeikommen werden.
An Herrn Mandelsons Adresse möchte ich feststellen, dass es mich sehr freut, dass er uns zu einer Supermacht des Handels erklärt: mehr als 20 % des Welthandels werden mit uns abgewickelt, 20 % mit den USA. Wenn wir über Handel reden, dann hört man uns zu, und deshalb ist es sehr wichtig, das richtige Maß zwischen freiem Handel und Protektionismus zu finden.
Was die handelspolitischen Schutzinstrumente angeht, so habe ich damit ein kleines Problem, ich mag nämlich chinesische Tennisschuhe. Deshalb möchte ich den Kommissar zur Vorsicht mahnen und ihn bitten, die Sache nicht zu übertreiben. Wir wollen uns nicht zu einem europäischen Staat à la Colbert entwickeln.
Mein letzter Punkt betrifft die Globalisierung, und zwar vor allem die Darstellung der Globalisierung. Ich werde ganz traurig, wenn ich Jean-Marie Le Pen zuhöre, – was ich nicht sehr oft tue. Es hat den Anschein, als sei die Globalisierung inzwischen der Sündenbock für alles: Alles, was schlecht ist, ist auf die Globalisierung zurückzuführen, und alles, was gut ist, haben wir dem Mitgliedstaat selbst zu verdanken. Das ist der falsche Ansatz. Ich möchte wirklich nicht, dass sich die Europäische Union zu einem modernen Colbert, also zu einem Merkantilisten, entwickelt, der an die eigenen Exporte glaubt, aber Einfuhren verhindern will. Darum geht es uns nicht. Unser Grundanliegen ist der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Menschen und Geld, und dafür müssen wir uns auch weltweit einsetzen.
Kader Arif (PSE). – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte hier auf einige wesentliche Grundsätze verweisen und verschiedene Bedenken im Hinblick auf die neue Handelsstrategie äußern, die jetzt von der Kommission empfohlen wird und die im Bericht unseres Kollegen Daniel Caspary aufgegriffen wird.
Der erste Grundsatz, auf den zu verweisen wäre, besteht darin, dass dem Multilateralismus stets Vorrang einzuräumen ist. Wir wissen, dass die übermäßige Zunahme bilateraler Abkommen der regulierten multilateralen Struktur, die wir verfechten, großen Schaden zufügt. Der zweite Grundsatz lautet, dass wir das Engagement der EU für eine Handelspolitik, die der Entwicklung dient, einer Politik, die auch nichtkommerzielle Aspekte, wie menschenwürdige Arbeit, Zugang zu Arzneimitteln, die Umwelt oder die Beseitigung der Armut einschließt, nicht schwächen dürfen.
Meine Bedenken betreffen drei Punkte. Der erste ist, dass der Entwicklungsaspekt der Doha-Verhandlungsrunde in den künftigen Freihandelsabkommen und der neuen Handelsagenda der EU nun keinen Vorrang mehr hat, obwohl die handelspolitischen Ziele der EU stets uneingeschränkt im Einklang mit ihrer Entwicklungspolitik stehen und sie – vor allem im Hinblick auf soziale und ökologische Belange – sinnvoll ergänzen sollten.
Der zweite Punkt, der mir Sorgen bereitet, ist der Geltungsbereich dieser Abkommen, die weit über die derzeitigen WTO-Vorschriften hinausgehen. So ist beispielsweise der Grundsatz der uneingeschränkten Gegenseitigkeit, den wir in den Vordergrund stellen wollen – auch für die in hohem Maße von Armut betroffenen Schwellenländer –, nicht zu akzeptieren. Wir müssen den Entwicklungsländern ermöglichen, die instabilen und sensiblen Sektoren ihrer Wirtschaft in einem Übergangszeitraum zu schützen. Kurz, wir dürfen anderen nicht etwas auferlegen, was wir uns nicht selbst auferlegen können.
Meine letzte Sorge schließlich betrifft die Vorschläge zur Aushandlung der so genannten Singapur-Themen. Diese äußerst umstrittenen Fragen wurden nach der umfassend bekundeten Ablehnung seitens der Entwicklungs- und Schwellenländer aus der Doha-Runde ausgeklammert. Dieser Streit hatte zuvor zum Scheitern von Cancún geführt.
Uns ist bewusst, dass diese komplexen Themen sowohl für die Union als auch für unsere Partner heikle innenpolitische und dementsprechend auch die Souveränität der Mitgliedstaaten betreffende Fragen aufwerfen. Diese Themen könnten darüber hinaus erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialmodelle und damit auch auf die Entwicklung unserer Partner haben.
Es ist sehr wichtig, dass die EU nicht darauf drängt, dass diese Fragen in die Verhandlungen einbezogen werden. Es ließe sich durch nichts rechtfertigen, dass etwas, das in einer multilateralen Verhandlungsrunde zur Tür hinausbefördert wurde, nun durch das enge Fenster eines bilateralen Abkommens wieder Eingang findet. Es geht um unseren Zusammenhalt, unsere Glaubwürdigkeit und um ein bestimmtes Entwicklungsmodell, das zu fördern stets unser Anliegen war.
Glyn Ford (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Caspary meine Anerkennung für die Mühe, die er sich mit der Erarbeitung dieses Berichts gemacht hat, aussprechen. Wie Kommissar Mandelson ganz richtig sagte, geht es uns dieses Jahr in erster Linie darum, die multilaterale Doha-Entwicklungsrunde abzuschließen. Daneben finden ergänzende Verhandlungen über bilaterale Freihandelsabkommen mit Südkorea, der ASEAN und Indien statt.
Herrn Casparys Bericht gibt eine Schablone vor, an die wir uns bei diesen Verhandlungen nach Möglichkeiten halten sollten, und zwar nicht wegen Herrn Caspary, sondern wegen unseres Ausschusses. Der Bericht weist allerdings einige Widersprüche auf, und er ist, wie Herr Helmer sagte, definitiv schizophren.
Einige Abgeordnete meiner Fraktion beschweren sich, der Bericht sei nicht entwicklungsfreundlich. Ich bin nicht sicher, ob das überhaupt die Intention war, denn die jetzt anstehenden Verhandlungen betreffen Länder wie Singapur und Südkorea, Thailand und Indien, also Länder, die inzwischen wohl kaum jemand zu den weniger entwickelten Ländern zählen würde. Bei der ASEAN fallen Laos und Kambodscha unter die EU-Politik „Alles außer Waffen“ und genießen daher ein gewisses Maß an Schutz.
Ich begrüße Ziffer 30 des Berichts, in der die Interessen der kleinsten und schwächsten Länder berücksichtigt werden. Ich begrüße natürlich Ziffer 32, in der gefordert wird, dass künftige Freihandelsabkommen die IAO-Normen über menschenwürdige Arbeit umfassen müssen.
Ich habe ein gewisses Verständnis für Herrn Kamalls Feststellungen zu den audiovisuellen Diensten, aber ich muss sagen, dass die Privatisierung der Bereiche Gesundheit, Bildung, Trinkwasser und Energie den armen Menschen in Entwicklungsländern nur selten zugute kommt; davon profitiert allenthalben die reiche Minderheit.
Ich begrüße Ziffer 33, die eine Aussetzung von Freihandelsabkommen im Falle der Nichterfüllung – vor allem von sozialen Bestimmungen – erleichtert. Doch für einige Abgeordnete der PSE-Fraktion ist Ziffer 29 der alles entscheidende Absatz. Darin wird eine weit reichende Liberalisierung der Dienstleistungen gefordert. Auf ihrer gestrigen Sitzung hat meine Fraktion mit knapper Mehrheit entschieden, dass sie diesen Bericht nicht befürworten kann, wenn dieser oder ähnliche Absätze darin enthalten sind.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Wir haben einige sehr sachkundige und intelligente Beiträge zu dieser Aussprache gehört, die ich sehr zu schätzen weiß. Ich bedanke mich bei all jenen, die einen Beitrag zu dieser Aussprache geleistet haben.
Meines Erachtens hat Herr Fjellner den Geist, wenn auch nicht jeden Buchstaben meines eigenen Ansatzes wie auch des Berichts von Herrn Caspary auf den Punkt gebracht, als er sagte, dass freier Handel für Wohlstand sorgt, während Protektionismus Armut verbreitet. Insgesamt halte ich das für richtig, würde aber sagen, dass freier Handel eine notwendige, aber unzureichende Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung und die Linderung der Armut in einigen der bedürftigeren Ländern der Welt darstellt.
Ich stimme jenen, einschließlich Herrn Désir, zu, die die Kommission auffordern, gegenüber den Entwicklungsländern nach dem Grundsatz der angemessenen Gegenseitigkeit zu handeln. Dem pflichte ich bei, und mein Ansatz widerspiegelt die Kapazitäten der Märkte der in Frage stehenden Entwicklungsländer. Die EU stellt gegenüber ihren Handelspartnern nur Forderungen, die diese entsprechend ihrem Entwicklungsstand erfüllen können, aber, wie einige meiner Vorredner feststellten, die Länder, die Freihandelsabkommen mit uns anstreben – Korea, die ASEAN-Länder, Indien –, können schwerlich als typische Vertreter der am wenigsten entwickelten Länder in der Welt beschrieben werden.
Herr Arif stellte so wie auch Herr Désir die so genannten Singapur-Themen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dazu kann ich nur Folgendes sagen: Wenn Partnerländer beschließen, diese Fragen vorzugsweise bilateral mit der Europäischen Union zu diskutieren, um damit ihre eigene Entwicklung voranzutreiben und wirtschaftliche Chancen für sich selbst zu erschließen, warum denn nicht? Meines Erachtens haben wir in Europa nicht das Recht, Entwicklungsländern und aufstrebenden Volkswirtschaften vorzuschreiben, dass sie Fragen wie die Investitionstätigkeit, Wettbewerb und Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen nicht in Angriff nehmen sollten.
Ein oder zwei Abgeordnete sind auf die Handelsschutzinstrumente eingegangen. Ganz am Anfang hat sich Herr Caspary dazu geäußert, und später sind Herr Guardans Cambó sowie Frau Saïfi darauf eingegangen. Ganz klar ist meines Erachtens, dass Europa an seinem Recht auf Antidumping-Maßnahmen festhalten muss. Handelsschutzinstrumente sind ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung des lauteren Wettbewerbs in Fällen, in denen die Produktion von Waren subventioniert wird oder eine Preisverzerrung stattfindet. Das darf natürlich nicht mit den gewöhnlichen Handelsvorteilen vieler Entwicklungsländer aufgrund niedriger Kosten verwechselt werden. Es geht uns bei unseren Handelsschutzinstrumenten nicht darum, europäische Unternehmen vor einem fairem Niedrigpreiswettbewerb zu schützen.
Es stimmt schon, dass ich hin und wieder jenen begegne, die aus Angst vor dem Wettbewerb zu Handelsschutzmechanismen greifen wollen und nicht, weil sie einen fairen Wettbewerb führen wollen. Ich denke aber, dass es uns mit einer regelmäßigen Überprüfung möglich sein sollte, das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese Instrumente zu erhalten und dafür zu sorgen, dass diese Instrumente erforderlichenfalls in Übereinstimmung mit der sich verändernden Welt abgeändert werden können. Das ist alles, was wir tun.
Ich möchte auf ein oder zwei Bemerkungen zurückkommen. Was die Frage der Liberalisierung von Dienstleistungen angeht, so habe ich für Herrn Kamalls Argumente viel Verständnis. Es stimmt schon, dass wir bei unseren Verhandlungen über bilaterale Freihandelsabkommen eine Marktöffnung im Dienstleistungsbereich in Betracht ziehen werden, aber bei diesen Verhandlungen behalten unsere Partner das Recht, ihren Dienstleistungssektor zu regulieren und zu entscheiden, ob sie diesen Sektor öffnen wollen oder nicht. Diese Entscheidung liegt bei ihnen. Die können wir ihnen nicht aufzwingen.
Ich freue mich auch, dass sich ein oder zwei Abgeordnete auf die Frage der Arbeitsbedingungen, der sozialen Bedingungen und der Umweltbedingungen bei unseren Handelspartnern konzentriert haben. Ich glaube leidenschaftlich daran, dass die nachhaltige Entwicklung, die alle diese Fragen berührt, auch ein übergeordnetes Ziel der Handelspolitik darstellt. Ein Handels- und Umweltthema, das wir in den Doha-Gesprächen energisch verfolgt haben, das aber bei einigen Ländern auf Widerstand stößt, betrifft die Senkung der Zölle für Umweltgüter. Mit der Förderung dieses Handels könnte für viele Umweltprobleme eine Lösung gefunden werden. Freihandelsabkommen werden auch künftig Verpflichtungen zu den Bedingungen am Arbeitsplatz umfassen.
Die Damen und Herren Abgeordneten werden wissen, dass wir bezüglich dieser Bedingungen bei unseren Verhandlungspartnern auf einigen Widerstand stoßen. Aus ihrer Sicht geht es dabei nicht um eine Anhebung der Bedingungen, sondern sie sehen darin einen neuen Vorwand seitens der entwickelten Welt, um ihre Märkte gegen Waren- und Dienstleistungsexporte aus Entwicklungsländern abzuschotten. Es ist also wichtig, dass wir in dieser Sache für Ausgewogenheit sorgen, und ich bin diesbezüglich auch der festen Überzeugung, dass wir die Möglichkeiten zur Ausübung von Druck, die uns zur Verfügung stehen, mit Anreizen und nicht mit Sanktionen verknüpfen sollten.
Herr Markov und Frau Mann sind beide auf die Rolle des Europäischen Parlaments eingegangen. Ich habe eine enge Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament im Rahmen unserer Rahmenvereinbarung schon immer mit großem Interesse und Engagement verfolgt. Wann immer möglich dehnen wir unsere Zusammenarbeit mit dem Parlament auf Fragen des Handels aus. Deshalb haben wir auch das Parlament in vollkommen transparenter Weise über die Verhandlungsrichtlinien für die Freihandelsabkommen informiert.
Ich möchte noch kurz auf etwas eingehen, was Herr Papastamkos angesprochen hat. Zusätzlich zu dem, was er in Bezug auf unser Bemühen um eine Steuerbefreiung für Umweltgüter sagte, glaube und akzeptiere ich, dass wir prüfen und einen Weg finden müssen, um der Free-Rider-Problematik im Zusammenhang mit klimafreundlichen Politiken und dem Kyoto-Protokoll zu begegnen. Langfristig wird sich dies zu einem immer wichtigeren Thema der Debatte über den Klimawandel entwickeln. Ich halte Überlegungen zu einer Kohlenstoffsteuer für verfrüht. Meines Erachtens wäre dieses Vorgehen mit sehr vielen praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Wir müssen sorgfältig darauf achten, dass sich keine der klimafreundlichen Maßnahmen und Instrumente, die wir künftig gegebenenfalls erarbeiten, zu protektionistischen Instrumenten entwickeln. Ich akzeptiere jedoch ohne jede Einschränkung, dass es an der Zeit ist, diese Fragen sorgfältig zu prüfen, denn sie werden langfristig an Bedeutung gewinnen.
Ich möchte mich bei allen Abgeordneten, die sich in dieser Aussprache zu Wort gemeldet und einen so wertvollen Beitrag geleistet haben, bedanken. Ich freue mich auf eine weitere enge Zusammenarbeit zwischen mir, meinen Dienststellen und diesem Parlament.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärung (Artikel 142)
Edit Herczog (PSE), schriftlich. – (HU) Ich gratuliere dem Berichterstatter und möchte besonders die gute Zusammenarbeit mit der Kollegin Ferreira hervorheben. Europa nimmt in Bezug auf die Globalisierung eine doppelte Haltung ein: Einerseits unterstützen wir die Entwicklungsländer besonders aktiv und engagiert, da wir an die Werte der Demokratie sowie des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts glauben. Andererseits bekommen wir, sobald die Entwicklungsländer zu wirtschaftlichen Konkurrenten werden, Angst vor ihnen und betrachten sie als Bedrohung unserer Wirtschaft und unseres Wohlstands. Es ist jedoch sowohl innerhalb der EU als auch gegenüber Drittländern unhaltbar, dass der ärmere Partner nur so lange als Partner betrachtet wird, wie er ärmer ist.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die sozialen Errungenschaften in Europa auf einem Wirtschaftsaufschwung aufgebaut worden sind und nicht umgekehrt. Daher können wir auch von unseren Partnern wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand nur dann erwarten, wenn wir dulden, dass sie reicher werden und sie dabei unterstützen. Sie können aber nur in den entwickelten Ländern, in Europa, auf Märkten mit einer großen Kaufkraft reicher werden. Wenn wir ihnen unsere Märkte verschließen, beschneiden wir ihre Wachstumsaussichten.
Das bedeutet nicht, dass wir unser eigenes Wachstum aufgeben müssen, sondern dass wir einfach nur Folgendes verstehen müssen: Wir können nicht auf allen Gebieten wettbewerbsfähiger als alle anderen sein. Unter den gegenwärtigen globalen Wirtschaftsbedingungen können wir uns mit unserem technischen Fortschritt, unserem Umweltbewusstsein, unseren geistigen Produkten und Dienstleistungen sowie unserer Innovationskompetenz hervortun. Darauf müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit aufbauen.
Europa sollte bedenken, dass im weltweiten Wettbewerb der beste Vogel die Gans ist: Sie kann singen, schwimmen, laufen und fliegen. Sie ist nicht die Beste in allen diesen Disziplinen, aber sie kann sich in jeder behaupten. Ein Beispiel, das man sich zu Herzen nehmen sollte.
7. Handelsbezogene EU-Hilfe (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von David Martin im Namen des Ausschusses für internationalen Handel zum Entwurf einer Entschließung des Europäischen Parlaments über die handelsbezogene Hilfe der EU (2006/2236(INI) (A6-0088/2007).
David Martin (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Bevor ich zum Bericht selbst komme, möchte ich mich bei meinen Schattenberichterstattern für ihre Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des Berichts bedanken. Mein besonderer Dank gilt der Generaldirektion Handel und der Generaldirektion Entwicklung der Kommission, die sich, wie ich mit großer Freude feststellen kann, in dieser Sache um eine enge Zusammenarbeit mit dem Parlament bemüht haben. Nicht zuletzt möchte ich Pelayo Castro Zuzuarregui, einem Beamten des Europäischen Parlaments, mit dem ich zusammen an diesem Bericht gearbeitet habe, danken. Er verlässt uns für ein Jahr – wir hoffen, dass es bei einem Jahr bleibt – um für den spanischen Ministerpräsidenten zu arbeiten. Ich habe zusammen mit ihm an diesem Bericht und etlichen anderen Berichten gearbeitet; ich habe seine Gesellschaft stets als intellektuell anregend empfunden und wünsche ihm alles Gute.
Zur Sache: Die handelsbezogene Hilfe ist ein wichtiges Instrument zur Anbindung von Entwicklungsländern an die Weltwirtschaft. Ich möchte eingangs jedoch betonen, dass sie kein Ersatz für die Doha-Entwicklungsrunde ist, sondern diese ergänzt. Klar ist, dass die Liberalisierung der Märkte selbst nicht ausreicht, um eine Anbindung der Entwicklungsländer an die globale Wirtschaft zu erreichen. Dazu braucht man sich nur die Erfahrungen der vergangenen 40 Jahre anzuschauen: Der Anteil der am wenigsten entwickelten Länder am Welthandel ist von 1,9 % auf weniger als 1 % zurückgegangen, und dies trotz der Zollsenkungen im Zuge der Uruguay-Runde und anderer Zollsenkungen sowie jüngster Bemühungen wie der europäischen Initiative „Alles außer Waffen“, die Entwicklungsländern zoll- und quotenfreien Zugang gewährt. Deshalb reichte die Liberalisierung selbst, so wichtig sie meines Erachtens auch ist, eindeutig nicht aus, um die Entwicklungsländer umfassend in die globale Wirtschaft einzubeziehen.
Ebenso wenig würde ich behaupten – und das möchte ich klarstellen –, dass „Aid for Trade“, also die handelsbezogene Hilfe, an sich ein Allheilmittel darstellt. Es wächst jedoch der Konsens bezüglich des damit verbundenen potenziellen Nutzens. Die WTO-Ministertagung, die im Dezember 2005 in Hongkong stattfand, erstellte ein ehrgeiziges Arbeitsprogramm für die handelspolitische Hilfe und rief zu mehr Unterstützung für die Einbindung der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft auf. Zuvor hatte Herr Barroso auf dem G8-Gipfel in Gleneagles europäische Gelder in Höhe von einer Milliarde Euro sowie Gelder der Mitgliedstaaten in Höhe von einer Milliarde Euro für die Haushaltslinie für die handelspolitische Hilfe zugesagt.
Obwohl all dies sehr zu begrüßen ist und zum Zeitpunkt der Ankündigung recht dramatisch klang, muss uns klar sein, dass die Aufstockung eher bescheiden ausfällt: Der Beitrag der Europäischen Union wird sich von einem Grundbetrag von derzeit etwa 850 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro erhöhen, während die Mitgliedstaaten ihren Beitrag – wenn sie ihre Zusage einlösen – von 300 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro aufstocken.
Letzten Oktober forderte der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ eine Handelsstrategie, aus der hervorgehen soll, wie wir diese Versprechen erfüllen wollen. Mein Bericht verweist auf einige Schlüsselpunkte, die wir hoffentlich in dieser Strategie wiederfinden werden. Was erstens den Anwendungsbereich der handelspolitischen Hilfe angeht, so wünsche ich mir, das die Barroso-Milliarde am existierenden Grundbetrag gemessen wird, der aus zwei Kategorien besteht: zum einen der Handelspolitik und -regulierung und zum anderen der Handelsentwicklung. Ich begrüße jedoch die Tatsache, dass die WTO-Arbeitsgruppe dem drei weitere Kategorien hinzufügt, und zwar die handelsbezogene Anpassung, die handelsbezogene Infrastruktur und die Produktionskapazität. Das sind entscheidende Aspekte für die „Aid for Trade“-Agenda, und ich hoffe, dass zusätzliche Mittel gefunden werden können, um den Entwicklungsländern zu helfen, sich auf Probleme wie den Abbau von Präferenzen oder den Rückgang der staatlichen Einnahmen aufgrund von Zollsenkungen einzustellen, oder sie bei der Anpassung an neue Wettbewerbszwänge aufgrund der Regionalisierung wie im Falle der Europäischen Partnerschaftsabkommen zu unterstützen.
In meinem Bericht argumentiere ich, dass sich die handelspolitische Hilfe am Bedarf der Länder orientieren und deren Eigenverantwortung berücksichtigen muss. Ausgehend davon sollte sich der verbesserte integrierte Rahmen der WTO zum wichtigsten diagnostischen Instrument der Entwicklungsländer entwickeln, mit dessen Hilfe sie die Bereiche ermitteln können, in denen die handelspolitische Hilfe den größtmöglichen Nutzen bringen kann. Wir müssen in den Entwicklungsländern zudem dafür sorgen, dass der private Sektor und die Zivilgesellschaft involviert sind. Obwohl „Aid for Trade“ zweifellos einen anderen Ansatz darstellt als die allgemeine Entwicklungshilfe, sollte sie meines Erachtens auf den gleichen Grundsätzen der Armutsreduzierung und der nachhaltigen Entwicklung beruhen, und die Millenniums-Entwicklungsziele sollten nach wie vor unseren wichtigsten Bezugspunkt darstellen.
Ich freue mich, dass sich viele der Forderungen in diesem Bericht in der im April veröffentlichten Mitteilung der Kommission wiederfinden, und auch wenn es vielleicht naiv ist, so würde ich doch gern glauben, dass das auch auf die intensive Zusammenarbeit zwischen den Generaldirektionen der Kommission und dem Europäischen Parlament zurückzuführen ist. Ich hoffe, dass, wenn im Sommer die endgültige gemeinsame EU-Handelsstrategie beschlossen wird, sich das auch im entsprechenden Strategiedokument niederschlagen wird.
Ich habe in meinem Bericht gefordert, dass dem Parlament halbjährliche Berichte vorgelegt werden, so dass wir überprüfen können, ob die Mitgliedstaaten und die Kommission die von ihnen zugesagte Hilfe in qualitativer und qualitativer Hinsicht auch bereitstellen. Bisher haben alle Institutionen demonstriert, dass sie bereit sind, kollektiv eine meines Erachtens bedeutende Strategie umzusetzen, die einen wichtigen, wenn auch bescheidenen Beitrag zur Anbindung der ärmsten Länder an das globale Handelssystem leisten kann.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte David Martin, dem Berichterstatter, für einen meines Erachtens sehr inhaltsreichen Bericht über die handelsbezogene Hilfe danken. Ich bin sehr froh, dass er auf die Millenniums-Entwicklungsziele eingegangen ist, denn sie repräsentieren unseren Leitgedanken und unsere Ziele. Ich teile seine Ansicht, dass der freie Handel zwar eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung ist, aber kein Zauberstab, so wie ich ihm darin zustimme, dass die handelsbezogene Hilfe zwar eine notwendige Komponente jeder Entwicklungsstrategie darstellt, aber kein Allheilmittel ist.
Ich glaube, dass dieser Bericht ein starkes Engagement für die „Aid for Trade“-Agenda darstellt, der ich mich ohne Einschränkung anschließe. Ich habe auch die sehr nützlichen Vorschläge und Anregungen bezüglich des Inhalts der gemeinsamen europäischen Strategie im Bereich der handelsbezogenen Hilfe gelesen, für die ich sehr dankbar bin. Ferner begrüße ich die Einbeziehung des Parlaments in diesen Prozess.
Im Verlaufe der letzten zwei Jahre haben das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission eine klare gemeinsame Vorstellung bezüglich der wichtigsten Prinzipien der handelsbezogenen Hilfe entwickelt. Wir alle sind uns darin einig, dass der Handel ein wichtiger Katalysator für Wachstum und die Reduzierung der Armut sein kann, aber die erfolgreiche Integration der Entwicklungsländer in das Welthandelssystem erfordert mehr als besseren Marktzugang und eine Stärkung der internationalen Regeln. Der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ verweist in seinen Schlussfolgerungen vom 14./15. Mai dieses Jahres nochmals auf die entscheidende Rolle der handelsbezogenen Hilfe.
Jetzt geht es darum, diese Prinzipien im Rahmen der EU-Strategie für handelsbezogene Hilfe, an der die Kommission und die Mitgliedstaaten gemeinsam arbeiten, in die Praxis umzusetzen. Diese Strategie sollte einen Fahrplan zur Erfüllung unserer finanziellen Zusagen aufstellen, uns Anleitung bei der Verbesserung der Effektivität unserer Hilfe sein, einen Rahmen für die Überwachung und Berichterstattung im Bereich handelsbezogene Hilfe vorgeben und klären, inwiefern die Kommission und die Mitgliedstaaten zur Bereitstellung der handelsbezogenen Hilfe in der Lage sind. Diese Strategie wird bis Oktober vorliegen und dann der WTO für die handelspolitische Überprüfung vorgelegt werden. Der Bericht des Parlaments ist folglich hochaktuell.
Ich möchte auf einige spezielle Probleme eingehen, die im Bericht angesprochen werden, und zwar als Erstes die Frage der Ausweitung des Anwendungsbereichs der handelsbezogenen Hilfe in Bezug auf die finanziellen Zusagen der EU. Ich möchte unterstreichen, dass die Glaubwürdigkeit unserer Zusagen von großer Bedeutung ist, und klipp und klar feststellen, dass es am Umfang unserer Zusage nichts zu rütteln gibt. Die zwei Milliarden Euro bleiben an die Kategorien Handelspolitik und Handelsentwicklung gebunden.
Große Bedeutung messe ich der breiter gefassten „Aid for Trade“-Agenda bei, die über die Handelsentwicklung, Infrastruktur und Anpassungshilfe hinausreicht und sich auch auf den Ausbau der Produktionskapazität erstreckt. Wir brauchen für diese Bereiche, die sehr kapitalintensiv sind, den klaren politischen Willen, mehr zu tun, aber ich möchte nochmals unterstreichen, dass diese Bemühungen nicht in unsere finanziellen Zusagen eingerechnet werden.
Was den Mangel an zusätzlichen Mitteln für den EEF zur Unterstützung der AKP-Länder betrifft, so würden wir gern mehr tun, aber die Kommission entscheidet nicht über den Haushalt für den EEF. Das tun die Mitgliedstaaten der EU. Es gibt nur begrenzte Ausnahmen, und auch diese werden von den Mitgliedstaaten gebilligt und bestimmten Einsatzgebieten zugeteilt wie der Anpassung im Zuge der Zuckerreform.
Hinsichtlich des integrierten Rahmens freue ich mich, meine Ankündigungen von Hongkong bekräftigen zu können. Die Kommission ist bereit, zehn Millionen Euro im Verlaufe der ersten zwei Jahre für den multilateralen Teil des verbesserten integrierten Rahmens bereitzustellen. Außerdem wird die Kommission den multilateralen Teil auf bilateraler und regionaler Ebene durch Mittel in beträchtlicher Höhe ergänzen, um durch den integrierten Rahmen ermittelte und von den jeweiligen Partnerregierungen als vorrangig eingestufte Aktivitäten durchzuführen. Wir werden ferner personelle und materielle Ressourcen vor Ort bereitstellen, um zu einem besseren Funktionieren des integrierten Rahmens beizutragen.
Das Problem der Anpassungshilfe wird im Bericht zu Recht hervorgehoben. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass die WPA-Verhandlungen in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung verdienen. Anpassungshilfe ist im Zusammenhang mit sämtlichen Schocks im Bereich des externen Handels von Bedeutung. Sie können das Ergebnis von Handelsverhandlungen sein, aber auch die Folge von einseitigen Reformen wie im Fall von Zucker. Im Gefolge von WPA-Verhandlungen wird es in jedem Falle so sein, dass die Umsetzung der Verpflichtungen der AKP-Partner schrittweise und über einen sehr langen Zeitraum erfolgen wird. Das wird die Anpassung erleichtern und deutlich machen, wo welche Erfordernisse bestehen, bei deren Klärung wir helfen sollten.
Abschließend haben wir Ihre Bitte zur Kenntnis genommen, im Rahmen der EU-Strategie für handelsbezogene Hilfe den Handelsintegrationsmechanismus des IWF zu prüfen. Wir meinen, dass dieses Problem in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Gebern angegangen werden sollte, beispielsweise im Rahmen der globalen „Aid for Trade“-Überprüfung auf der Ebene der WTO.
Ich möchte mich nochmals recht herzlich für die politische Unterstützung des Parlaments für die handelsbezogene Hilfe bedanken und unsere Bereitschaft zur weiteren Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament zum Ausdruck bringen, auf die ich mich im Sinne der Erzielung weiterer Fortschritte sehr freue.
Margrietus van den Berg (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Entwicklungsausschusses. – (NL) Herr Präsident! Der Kommissar hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass Handel und Entwicklungszusammenarbeit eng miteinander verflochten sind. Sollen die Millenniums-Entwicklungsziele bis zum Jahr 2015 verwirklicht werden, müssen – und können – Hilfe und Handel sich einander ergänzen.
Die Entwicklungsländer sind auf unsere Hilfe angewiesen, um ihre regionalen Märkte weiter ausbauen zu können, und dazu müssen die Ursprungsregeln dringend verbessert werden. Europa und die Entwicklungspartner müssen gemeinsam um die Einsetzung einer Entwicklungs-Taskforce bemüht sein, damit die Errichtung dieser lokalen Märkte Hand und Fuß hat.
Diese Taskforce muss aus Experten auf dem Gebiet der Handels- und Entwicklungspolitik bestehen und kann bei der Entwicklung und Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Förderung des Handels, wie beispielsweise alternativen Steuereinnahmen, der Verbesserung der Produktionskapazitäten sowie der Standardisierung und Schaffung einer gemeinsamen Kontrolle der Außengrenzen, behilflich sein. Notwendig ist vor allem die Weiterentwicklung der Humanressourcen. Praktische Unterstützung dieser Art wäre ein echter Beitrag zur Ingangsetzung der lokalen Märkte und des gegenseitigen Handels. Hinsichtlich der großen Infrastrukturen hielten wir es für besser, auf die EIB zu setzen.
Diese handelsbezogene Unterstützung darf allerdings nicht aus unserer eigenen Tasche gezahlt werden; sie darf mithin nicht aus dem bestehenden Entwicklungsetat finanziert werden. Die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament möchte, dass dafür zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, da andernfalls weniger Geld für das Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele zur Verfügung stünde, das ja das Hauptziel darstellt, für das der Kommissar vorhin sein uneingeschränktes Engagement zugesagt hat, für das wir ihm vollen Erfolg wünschen.
Maria Martens, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Lange Zeit haben wir die Entwicklungsländer in allen möglichen Bereichen unterstützt, außer auf dem Gebiet des Handels. Dies ist mit ein Grund, weshalb Länder und ihre Volkswirtschaften weitgehend von Beihilfen abhängig geblieben sind.
Zur wirksamen Armutsbekämpfung erweist sich wirtschaftliches Wachstum als unerlässlich. Ein Beleg dafür ist der gewaltige Fortschritt der Länder in Asien, wofür Korea ein hervorragendes Beispiel liefert. Nach und nach gelangen wir zu der Erkenntnis, dass der Handel enorme Chancen für das Wirtschaftswachstum der armen Länder bietet.
Den Entwicklungsländern fehlen oft noch die entsprechenden Infrastrukturen, um auf dem Weltmarkt operieren zu können. Deshalb brauchen diese Länder unsere Unterstützung, und hier kommt die handelsbezogene Hilfe zum Tragen, deren Ziel darin besteht, die Entwicklungsländer auf dem internationalen Markt funktionstüchtig zu machen. Hilfe für den Handel ermöglicht den Ländern z. B. eine bessere Regelung handelsbezogener Bereiche wie Steuern und Zölle. Es geht um die Verbesserung von Straßen und Wasserstraßen, Betrugs- und Korruptionsbekämpfung, Stärkung der Produktionskapazität sowie um die Diversifizierung. Zahlreiche Länder hängen nämlich von nur einem Agrarerzeugnis ab. Die Diversifizierung der Produkte ist einer stabileren Wirtschaft förderlich.
Ebenso notwendig ist die Fähigkeit zur Ausbildung guter Verhandlungsführer. Ich begrüße diese Initiative Hilfe für den Handel, da sie armen Ländern Unterstützung gewährt, um ihre Wirtschaft zu stärken und um unabhängiger zu werden.
Handelsbezogene Hilfe ist, wie schon erwähnt wurde, keine Patentlösung für Entwicklung, wohl aber ein notwendiges Instrument, um den Entwicklungsländern den Anschluss an den internationalen Markt zu ermöglichen. Ich beglückwünsche Herrn Martin, den Berichterstatter, zu dem Bericht und danke ihm auch für die gute Zusammenarbeit, dank derer uns nicht nur ein inhaltlich solider, sondern auch ein von einer breiten Mehrheit getragener Bericht vorliegt.
Herr Präsident, Herr Kommissar, im Hinblick auf die Effizienz dieses Instruments ersuche ich die Kommission um ein angemessenes – sowohl durchführbares und realistisches – Arbeitsprogramm und um eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten.
Sajjad Karim, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter dafür danken, wie er mit diesem Bericht umgegangen ist. Wie immer war Herr Martin aufgeschlossen und kompromissbereit, und er hat einen Bericht vorgelegt, der einen echten Konsens im Ausschuss für internationalen Handel verkörpert. Wobei allerdings festzustellen ist, dass es von der PSE-Fraktion respektvoll gewesen wäre, wenn sie sich, nachdem die Schattenberichterstatter gebeten worden waren, im Plenum keine Änderungsanträge vorzulegen, um den Geist des Konsenses zu erhalten, selbst an diese Abmachung gehalten hätte. Trotzdem glaube ich, dass wir gute Voraussetzungen für die Erhaltung des Konsenses im Plenum geschaffen haben.
Es hat mich nicht überrascht, dass wir uns hinsichtlich des Kerns der handelsbezogenen Hilfe der EU im Wesentlichen einig sind. Dem G8-Gipfel in Gleneagles, auf dem die Kommission und die EU-Regierungen je eine Milliarde Euro zur Unterstützung der ärmsten Völker zusagten, war eine immens populäre Kampagne vorausgegangen. Im Rahmen vom Demonstrationen unter dem Motto „Deine Stimme gegen die Armut“, die Live-Aid-Konzerte und andere Aktionen haben Millionen von Menschen ihre Stimme erhoben. Sie sind zu Recht zornig über die unfairen Handelsregeln und abgeschotteten Märkte, die die in Armut lebenden Menschen weiter benachteiligen, und sie setzen sich leidenschaftlich für Veränderungen ein. Wenn wir auf der phänomenalen Mobilisierung der öffentlichen Meinung aufbauen wollen, dann muss der Druck auf allen Ebenen im In- und Ausland aufrechterhalten werden.
Die wichtigste Frage lautet: Gibt es den politischen Willen, um diese Veränderung voranzutreiben? Die handelsbezogene Hilfe muss dafür sorgen, dass die ärmsten Nationen in der Lage sind, von einer verstärkten Liberalisierung des Handels, effizienteren Zollbehörden, einer besseren Infrastruktur, Steuersystemen, die nicht von Ein- und Ausfuhrsteuern abhängig sind, und Antikorruptionsmaßnahmen, die dafür sorgen, dass das Geld zu den Menschen gelangt, die es verdient haben, zu profitieren.
Letztlich wird man uns nicht danach beurteilen, wie viel wir versprochen haben, sondern danach, was wir erreicht haben. Es ist immer leichter, Hilfe zu versprechen als diese Versprechen zu halten. Wir alle sind nur allzu vertraut mit den verschiedensten Formen des Etikettenschwindels, mit denen alle Verpflichtungen als neues Geld deklariert werden.
Dem „Aid for Trade“-Paket der EU kommt hinsichtlich der Gewährleistung einer nachhaltigen Entwicklung, von Wachstum und Wohlstand in den Entwicklungsländern eine immense Bedeutung zu. Deshalb muss es sich dabei um neues Geld handeln, das zusätzlich zu bestehenden Verpflichtungen und Trends bereitgestellt wird, und es darf nicht zu Lasten von Beträgen gehen, die bereits für andere sehr wichtige Entwicklungsvorhaben wie beispielsweise in den Bereichen Gesundheit und Bildung vorgesehen sind.
Während die handelsbezogene Hilfe eine langfristige Triebkraft der Entwicklung ist, muss die Erreichung kurzfristiger Ziele wie der Millenniums-Entwicklungsziele weiterhin im Mittelpunkt der internationalen Entwicklungspolitik der EU stehen. Auch hier müssen wir uns mehr anstrengen: etwa 50 Milliarden Dollar mehr im Jahr anstelle der derzeitigen Verpflichtung für einen Zeitraum von fünf Jahren. Wenn es des nachhaltigen politischen Willens zur Umsetzung der handelsbezogenen Hilfe bedarf, so braucht es politischen Mut, um die Millenniums-Entwicklungsziele im Afrika südlich der Sahara zu erreichen.
Am besten funktioniert Hilfe dann, wenn sie der Umsetzung von gemeinsam zwischen Geber und Begünstigtem vereinbarten Zielen dient. Wir müssen nach Lösungen suchen, die möglichst genau auf die Erfordernisse eines Landes abgestimmt sind. Das bedeutet, dass man die Erfordernisse der Zivilgesellschaft und des privaten Sektors in Betracht zieht. Als Parlament machen wir uns bereits stark für die Bewegung für einen fairen Handel.
Wir können nur dann zu einer Linderung der Armut beitragen, wenn wir Mechanismen haben, die gewährleisten, dass die Hilfe die Bedürftigsten erreicht. Der vorliegende Bericht gibt der Kommission einige klare und vernünftige Leitlinien zur Erreichung dieses Ziels. Die Umsetzung liegt nun bei Ihnen, Herr Kommissar.
Frithjof Schmidt, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Auch wir danken dem Kollegen David Martin für die gute Arbeit. Lassen Sie mich mit einer positiven politischen Entwicklung beginnen. Es ist gut, dass der zuständige Rat, „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“, am 15. Mai anerkannt hat, dass Zollsenkungen für viele Entwicklungsländer massive Einbrüche bei den Staatseinnahmen bedeuten. Und es ist gut, dass er betont hat, dass hier Kompensationszahlungen notwendig und erforderlich sind. Andernfalls würden wir Gefahr laufen, dass unsere Handelspolitik schnell zum Zusammenbruch jeglicher Entwicklungspolitik in diesen betroffenen Ländern führen könnte.
Es ist absolut notwendig, dass wir dagegen etwas tun. Wir brauchen dafür aber zusätzliche Mittel, die nicht auf die Entwicklungshilfegelder angerechnet werden, wenn wir die Millenniums-Entwicklungsziele erreichen wollen. Es muss verhindert werden, dass bei den Schwerpunkten der Entwicklungshilfe eine Art Verdrängungseffekt entsteht: weg von der Armutsbekämpfung und dem Kampf für die Millenniumsziele, hin zur Förderung der Exportorientierung.
Das wäre eine falsche Tendenz, die wir mit dem Einsatz dieser zwei Milliarden erzeugen könnten, wenn wir hier nicht bewusst politisch gegensteuern. Die Stabilisierung der lokalen Märkte ist für die Entwicklungsstrategie in der Regel wichtiger als die Exportorientierung gerade der schwächsten und der ärmsten Länder. Es geht hier um die Kohärenz unserer Politik. Aid for trade darf den Schwerpunkt der Armutsbekämpfung nicht relativieren, für die Finanzierung sind also zusätzliche Gelder erforderlich. Mich würde da auch wirklich interessieren, aus welchen Haushaltslinien das Geld genommen wird. Aid for trade darf ferner nicht dazu beitragen, dass die Stabilisierung lokaler Märkte, die im Zentrum einer Entwicklungsstrategie stehen müssen, unterminiert wird.
Das ist die Aufgabe bei der Umsetzung des großen Konzeptes Aid for trade für die Kommission, und ich appelliere an Sie, Herr Kommissar, auf diese Aspekte besonderes Augenmerk zu legen.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Berichterstatter! Gestatten Sie mir folgende Frage: Warum sollte es handelsbezogene Hilfe geben? Die Antwort lautet: Weil der Handel eine bedeutende Rolle zu spielen hat. Ich möchte gern einige Anmerkungen dazu machen.
Über Jahrhunderte hat gesunder Handel die Menschen ohne Schaden für ihre Identität, ihre Werte oder das soziale und politische Leben zusammengeführt. Europa muss in dieser Phase gleichberechtigte Partner unter den größeren Akteuren und ganz besonders unter den kleineren finden. Der Handel muss klaren Regeln gehorchen, die für beide Seiten von Vorteil sind. „Freier und fairer Handel“, dieses Motto ist es wert übernommen zu werden.
Fairer Handel kann nicht ohne die entsprechende Infrastruktur und ohne Vereinbarungen vonstatten gehen wie z. B. jene, die im Rahmen der WTO erzielt worden sind. Es müssen dazu auf die gesamte Kette zwischen Erzeugern und Verbrauchern anwendbare Richtlinien entwickelt werden.
Dabei ist zu bedenken, dass Hilfen für den Handel auch einschließt, unsere eigenen bedrohten Sektoren wie Zucker und Weichobst zu unterstützen.
Außerdem sollte dem grenzüberschreitenden Warenaustausch zwischen der Union und ihren Nachbarn, z. B. der Ukraine, Unterstützung zuteil werden.
Auf globaler Ebene erweist sich die Situation hinsichtlich des Warenaustausches so vielgestaltig, dass eine Standardisierung erforderlich wird. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen ebenso über diese Standards unterrichtet sein. Ein Hilfsprogramm sollte deshalb ausgearbeitet werden, das sich der historischen Erfahrung Europas und des Reichtums Europas bei der Bereitstellung von Waren, Dienstleistungen und Fachwissen bedient. Auch Mittel zur Finanzierung dieses Programms müssen verfügbar gemacht werden. Dies muss nicht in großem Umfang erfolgen, ist aber wesentlich.
In Analogie möchte ich sagen, dass gesunder Handel mehr bewerkstelligen kann, als nur einfach den Lebensstandard erhöhen, insbesondere in armen Ländern, um die es ja hier geht. Gesunder Handel vermag es, friedlichere Lösungen für globale Konflikte herbeizuführen.
Abschließend möchte ich anekdotenhaft erwähnen, dass Ryanair mehr für eines gemeinsames Europa tut als gewisse europäische Institutionen, weil Ryanair die Menschen enger zusammenbringt. In ähnlicher Weise tut „Fairer und freier Handel“ mehr in Richtung Integration und Wohlstand für die Menschen als zweifelhafte politische Entscheidungen, insbesondere in armen Ländern.
Es ist der Handel, der die Welt in Schwung hält. Europa sollte die hier beschriebene Art von Handel fördern, und es ist die Pflicht des Kommissars zu gewährleisten, dass dies auch geschieht.
Gianluca Susta (ALDE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es dürfte wohl niemandem in diesem Hohen Haus und in der Wirtschafts- und Produktionswelt der Europäischen Union entgangen sein, dass eine zunehmende handelsbezogene Hilfe eine freiere und zugleich gerechtere und besser kontrollierte Marktenwicklung fördern kann.
Will die Europäische Union die führende Wirtschaftsmacht der Welt und der Raum mit den größten Freiheiten und der geringsten sozialen Ungleichheit bleiben und zugleich von den starken Impulsen, die sie vom Parlament erhalten hat und weiterhin erhält, profitieren, muss sie nicht nur die Entwicklungsländer dabei unterstützen, die Fähigkeit, Außenhandel zu treiben, zu entwickeln, obwohl sie leider erheblich an Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten eingebüßt haben, sondern sie muss auch die handelsbezogene Hilfe in der Erkenntnis verstärken, dass Liberalisierung und Hilfe keine einander widersprechenden Maßnahmen sind.
Vor diesem Hintergrund reicht der nicht geringe Betrag von 2 Milliarden Euro noch nicht aus. Wir müssen das Konzept der handelsbezogenen Hilfe an sich klarstellen, indem wir die Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe für handelsbezogene Hilfe der Welthandelsorganisation zu den finanzierbaren Maßnahmen übernehmen und Entwicklungs- und Handelspolitik maximal miteinander verzahnen, wie es im Integrierten Rahmen, auch im Hinblick auf die Verringerung der Armut, vorgesehen ist.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Viel ist schon in der Europäischen Union über ein ausgewogenes multilaterales Handelssystem und darüber gesprochen worden, wie Entwicklungsländer dazu befähigt werden, in den Handel einbezogen zu werden und daraus Nutzen zu ziehen.
Dieses Anliegen ist allerdings nicht mit einer Verbesserung der Situation in den am geringsten entwickelten Ländern einhergegangen. Das Gegenteil ist der Fall. Während der letzten 40 Jahre hat sich die Teilnahme dieser Länder am Welthandel fast halbiert, ist anteilmäßig von 1,9 % auf 1 %. gesunken. Auch haben die mächtigen großen Handelsketten den Niedergang kleiner Händler hervorgerufen, und Einkommen ist von den weniger entwickelten Ländern weg transferiert worden. Dies ist mehr als offenkundig. Diese Fakten belegen eindeutig, dass Globalisierung und die Liberalisierung des Handels der Kapitalkonzentration in den stärkeren Ländern und der Zunahme von Armut in den weniger entwickelten Ländern dient.
Wir haben in den letzten Jahren seitens der Europäischen Union ein neues Herangehen beim Handel feststellen können. Dieser Ansatz ist durch den Wunsch gekennzeichnet, Industriewaren zu Lasten von Agrarprodukten zu exportieren. Dies führt nach und nach zu geringerer Lebensmittelsicherheit in der Union im Allgemeinen und in den neuen Mitgliedstaaten im Besonderen. Es ist daher unerlässlich, dass die Europäische Union ein neues Herangehen im internationalen Handel und bei der Umsetzung nationaler Strategien zur Entwicklung des Handels praktiziert.
Georgios Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Es steht außer Zweifel, dass es sich bei der Handelshilfe um eine besonders wichtige Maßnahme handelt. Sie trägt zu einer umfassenderen und effektiveren Integration der Entwicklungsländer – vor allem der am wenigsten entwickelten Länder – in das multilaterale Handelssystem bei.
Wie wir gehört haben, ist Handel keine Patentlösung für Entwicklung, aber er kann die wirtschaftliche und allgemeine Entwicklung der Empfängerstaaten befördern.
Die besondere und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer im Rahmen der WTO ist vor allem im Hinblick auf die weniger entwickelten Länder in gewissem Maße notwendig. Dennoch möchte ich betonen, dass die Übernahme multilateraler Verpflichtungen und die Einhaltung der WTO-Regeln für sie einen Anreiz zur Durchführung von Reformen darstellen, die wiederum den Entwicklungsländern selbst zum Vorteil gereichen.
Die schrittweise Öffnung ihrer Märkte und eine weltoffene Wirtschafts- und Handelspolitik tragen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit bei und ermöglichen den Transfer von Technologie und Know-how.
Die Entwicklungsländer scheinen jedoch bei multilateralen Verhandlungen außerordentlich zurückhaltend auf Aufforderungen zu reagieren, ihre Märkte zu öffnen. Daher ist Handelshilfe ungeheuer wichtig, um diese Länder zu ermutigen, sich den neuen Verpflichtungen zu stellen und die multilateralen Handelsregeln anzuwenden, die Kosten für Reformen in Grenzen zu halten und den Handel effektiver in ihre Entwicklungspolitik zu integrieren.
Selbstverständlich muss die Handelshilfe in den Entwicklungsländern mit angemessenen innenpolitischen Maßnahmen einhergehen, um maximale Ergebnisse zu erzielen. Die Europäische Union ist aufgerufen, in dieser Frage eine führende Rolle zu spielen, um eine effektive, einheitliche und zielgerichtete Handelsförderung zu konzipieren.
Abschließend möchte ich noch Herrn Kommissar Mandelson danken, dass er diese Initiative unterstützt und die externen Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit mit internen Initiativen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft verknüpft, die ja das Thema unserer vorhergehenden Aussprache war.
Arūnas Degutis (ALDE). – (LT) Zunächst möchte ich die Mitgliedstaaten und die Kommission dazu beglückwünschen, dass Sie sich zu einer Aufstockung der Mittel für die handelsbezogene Hilfe auf 2 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010 entschlossen haben. Dies ist eine wichtige Verpflichtung, deren Umsetzung ein erhebliches Maß an Koordinierung erfordern wird.
Zum Erreichen dieses Ziels ist eine gemeinsame EU-Strategie unerlässlich, die die dafür erforderlichen Wege aufzeigen muss. Ferner beglückwünsche ich den Ausschuss für internationalen Handel zu diesem zeitgerechten Bericht, in dem er die Auffassungen des Parlaments zu dem komplexen Thema der handelsbezogenen Hilfe darlegt. Ich unterstütze den Vorschlag, dass die Kommission dem Parlament zweimal jährlich einen Bericht vorlegt. Diese Berichte sollten den Fortschritt bei der durch die EU gewährten HbH bewerten.
Obwohl die von mir genannten Verpflichtungen von mehreren Ländern auf der Grundlage der traditionellen OECD-Definition von HbH übernommen wurden, müssen wir uns in Zukunft stärker an den Schlussfolgerungen der WTO und der vorgeschlagenen Erweiterung dieser Definition um „handelsbezogene Infrastruktur“ und „Produktionskapazitäten“ orientieren. Mit anderen Worten, wir müssen unser Möglichstes tun, um sicherzustellen, dass die HbH allumfassend, flexibler und effektiver wird.
Tokia Saïfi (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Europäische Union kündigt jetzt ehrgeizige Verpflichtungen im Entwicklungsbereich an.
Ich begrüße das, denn es ist dringend notwendig, den Entwicklungsländern dabei zu helfen, die Armut zu mindern, die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen und von einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum zu profitieren. Hoffen und wünschen wir uns also, dass diese Ziele durch konkrete und wirksame Handlungen umgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang kann man die Verpflichtungen bezüglich der Aufstockung der Handelshilfe nur begrüßen. Ich möchte einige Punkte herausstellen, die die grundlegende Bedeutung dieses Instruments belegen. Zunächst erfüllt das Instrument die Anforderung der Kohärenz, das für die externen Maßnahmen der Europäischen Union gelten muss: Indem die Europäische Union die verschiedenen Bereiche ihres auswärtigen Handelns miteinander verknüpft, entspricht sie zwei Grundsätzen, nämlich dem der besseren Rechtsetzung und dem der verstärkten Wirksamkeit ihrer Hilfe. Außerdem berücksichtigt dieses Instrument die Praxis des multilateralen Handelssystems, indem es Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern hilft, Nutzen aus den Vorteilen des Marktzugangs zu ziehen.
Nicht zuletzt trägt dieses Instrument zur Umsetzung von Handelsabkommen bei. An dieser Stelle wären die WTO-Abkommen oder die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu nennen. Die Handelshilfe trägt somit dazu bei, das Instrument des internationalen Handels in den Dienst der Armutsminderung durch wirtschaftliche Entwicklung zu stellen.
Schließlich muss eine wirksame Handelshilfe auch mehreren Erfordernissen entsprechen: Sie muss mit konkreten Verpflichtungen einhergehen, nicht zuletzt zur Förderung der technischen Hilfe; ihre Umsetzung muss kontrolliert und begleitet werden, und sie muss die Eigenverantwortlichkeit und ergebnisorientierte Arbeit fördern. Dies ist ausschlaggebend, wenn Handelshilfe die Entwicklungsländer befähigen soll, die Vorteile des multilateralen Handelssystems zu nutzen und eigene Mittel und Wege zu schaffen, um ihre Fähigkeiten im Bereich des Handels wirklich zu verbessern. Wir fordern deshalb alle Beteiligten auf, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen, damit die Handelshilfe das halten kann, was sie verspricht.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte alle jene begrüßen, die sich heute Morgen zu dieser Thematik geäußert haben, und spreche ihnen meine Anerkennung aus. Ihnen allen kann ich nur zustimmen. Ich teile beispielsweise die Ansicht von Herrn Papastamkos, der sagte, dass wir bei unseren eigenen Handels- und Reformpolitiken unbedingt darauf achten müssen, dass wir flankierende und angemessen ausgestattete Maßnahmen einleiten, die es den Entwicklungsländern ermöglichen, sich auf diese Reformen einzustellen. Ich stimme Frau Saïfi zu, dass dies ein ergebnisorientierter Prozess sein muss, weshalb ich der ordnungsgemäßen Berichterstattung als Teil der wirksamen „Aid for Trade“-Überwachung und -Berichterstattung große Bedeutung beimesse, und zwar sowohl im Hinblick auf unsere Arbeit in der EU als auch in Bezug auf die WTO.
Ich möchte allerdings zwei Anmerkungen machen. Die erste richtet sich an die Adresse all jener, die eine Doppelerfassung, ein Recycling von Geldern, das Stopfen eines Loches durch Aufreißen eines anderen Loches befürchten. Davon kann keine Rede sein. Unserer Ansicht nach darf die handelsbezogene Hilfe nie bedeuten, dass Hilfe in anderen Bereichen gekürzt wird. Die Aufstockung der handelsbezogenen Hilfe seitens der Kommission und der Mitgliedstaaten ist geringer als die Erhöhungen der öffentlichen Entwicklungshilfe insgesamt. Deshalb ist es nicht erforderlich, Ressourcen aus anderen Sektoren abzuziehen, um die „Aid for Trade“-Verpflichtungen zu erfüllen.
Zweitens sprachen ein oder zwei Abgeordnete das Problem des fairen Handels an. Meines Erachtens sollte unsere Strategie die umfassende Unterstützung für sämtliche Aktivitäten in Verbindung mit dem privaten Sektor – vor allem KMU – und der Zivilgesellschaft unterstreichen, um zu gewährleisten, dass die handelsbezogene Hilfe die Entstehung und Entwicklung von Unternehmen erleichtert, die sich auf internationalen Märkten behaupten können. Das könnte über freiwillige Initiativen wie dem Fair-Trade-Programm, dem Umweltzeichen und vergleichbare Normen in Bezug auf Unternehmensprogramme geschehen. Die Strategie sollte sich auch auf damit in Verbindung stehende Fragen des Arbeitsmarktes und der sozialen Anpassung sowie die Kernarbeitsnormen der IAO erstrecken.
Abschließend halte ich auch Max van den Bergs Ausführungen zu den Ursprungsregeln, deren Verbesserung und Vereinfachung für sehr wichtig. Das ist eine Frage, auf die ich mich konzentriert und bei der ich zusammen mit meinen Kollegen in der Kommission nicht die Fortschritte erzielt habe, die wir uns gewünscht hätten. Hier müssen wir also auf Tempo drücken.
Zum Schluss möchte ich noch feststellen, dass Herr Schmidt einige wichtige Aussagen zur handelsbezogenen Hilfe und zu deren möglichen Auswirkungen auf lokale Märkte getroffen hat, und ich werde auf jeden Fall darüber nachdenken. Ich möchte aber nochmals David Martin für einen ausgezeichneten und begrüßenswerten Bericht danken.
VORSITZ: MIGUEL ANGEL MARTÍNEZ MARTÍNEZ Vizepräsident
Der Präsident. Mit der Rede von Kommissar Mandelson ist die Aussprache geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.
8. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Robert Sturdy im Namen des Ausschusses für internationalen Handel über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (2005/2246(INI)) (A6-0084/2007).
Robert Sturdy (PPE-DE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Dieser Bericht ist ganz besonders wichtig. Die Kommission einschließlich des Kommissars selbst und ich haben bei seiner Erarbeitung sehr eng zusammengewirkt. Dieser Bericht macht deutlich, wie schwierig es ist, ein richtungweisendes Programm für die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten aufzustellen, zwei sehr unterschiedlichen und recht ungleichen Gruppen, die das gemeinsame Ziel der Stärkung des Handels als Mittel der realen Entwicklung verfolgen. Das mag idealistisch klingen, dennoch habe ich sehr viel Unterstützung sowohl von der Kommission als auch den Vertretern der AKP-Regionen erhalten, und trotz der zahlreichen von NRO und politischen Gruppierungen geäußerten Bedenken bleiben sie und ich und sicher auch die Kommission optimistisch.
Aufgrund widersprüchlicher Vorstellungen zu einer Reihe von Fragen wie der regionalen Integration, der Einstufung sensibler Produkte und der Erarbeitung konkreter und ausführlicher Vorschläge für die WPA-bezogene Unterstützung sind die WPA nur sehr langsam vorangekommen. Die AKP-Länder wurden um umfangreiche Mitarbeit gebeten, und allzu oft haben die institutionelle Infrastruktur und der Kapazitätsmangel Fragen in Bezug darauf aufgeworfen, ob diese Vorschläge in der von den AKP-Staaten gewünschten Weise zu ihrer Entwicklung beitragen können.
Der für Januar 2008 festgesetzte Termin sorgt dafür, dass dieses Jahr für die WPA von entscheidender Bedeutung ist. Die Zeit wird langsam knapp. Die Verhandlungsführer müssen einen Gang zulegen, wenn sie eine für beide Seiten nützliche Einigung zu den WPA erzielen wollen, die die Entwicklung der AKP-Länder unterstützt und die internationalen Handelsbeziehungen fördert. Sollten einige Regionen mehr Zeit brauchen, so sollten beide Seiten meines Erachtens dafür Sorge tragen, dass die AKP-Ausfuhren in die EU keinen Schaden nehmen. Das sollte das Ziel sein und nicht die Erörterung der Möglichkeit einer weiteren WTO-Ausnahmeregelung, obwohl mir natürlich klar ist, dass sich die Kommission nach wie vor um die Einhaltung der Termine bemüht. Ich möchte jedoch unbedingt wissen, welche Vorkehrungen für die Regionen getroffen wurden, die möglicherweise ohne ein Abkommen dastehen werden.
Mein Bericht enthält eine Reihe von Empfehlungen: vereinfachte, liberalisierte und flexiblere Ursprungsregeln, vollkommen zoll- und kontingentfreier Marktzugang für die AKP-Staaten, funktionsfähige Schutz-, Streitbeilegungs- und Überwachungsmechanismen mit transparenten Bestimmungen und einer realen Befugnis, auf Veränderungen zu reagieren, die durch Wirtschaftspartnerschaftsabkommen eingetreten sind und sich schädigend auf die Wirtschaftssektoren der AKP-Staaten auswirken. Dies sind die positiven Aspekte, die in den Verhandlungen in einen entsprechenden Rahmen gefasst werden müssen. Wir müssen wissen, dass diese Mechanismen funktionieren, und Vertrauen bilden sowie dafür sorgen, dass sich Europa ebenso stark für die Umsetzung dieser Mechanismen engagiert wie die AKP-Länder.
Wir haben erkannt, dass die WPA nur dann erfolgreich abgeschlossen werden können, wenn die AKP-Staaten stärker integriert werden, als dies bisher in den Verhandlungen deutlich geworden ist. Nur eine echte Partnerschaft kann gewährleisten, dass alle Beteiligten von diesen Abkommen profitieren. Die offizielle WPA-Überprüfung, die für Dezember 2006 vorgesehen war, hat keinen ausführlichen und umfassenden Bericht über den Stand der Verhandlungen erbracht. Das ist alles andere als ermutigend, und ich frage mich, was sich daraus für die Unterzeichnung der eigentlichen Abkommen ableiten lässt.
Es ist offensichtlich, dass zusätzliche Mittel erforderlich sein werden, um mit den Auswirkungen der Veränderungen, die die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit sich bringen, umgehen zu können. Handelserleichterungen, technische Hilfe und Unterstützung, die darauf abzielt, den Produzenten in den AKP-Staaten dabei behilflich zu sein, die EU-Normen zu erfüllen, müssen in einem ausreichenden Maße verstärkt werden, sodass die Verluste bei Zolleinnahmen ausgeglichen werden und die AKP-Staaten Vorteile aus dem Marktzugang ziehen können. In erster Linie erfordert dies größere Anstrengungen, damit bereits zugesagte Förderungen rechtzeitig und effektiv verwendet werden. Die EU muss für all ihre Entwicklungshilfen Verantwortung zeigen und muss gemeinsam mit den AKP-Ländern klare Ziele zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums der AKP-Staaten setzen.
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen spielen eine wesentliche Rolle als Entwicklungsinstrumente, und sie bieten, sofern sie entsprechend gestaltet sind, eine Möglichkeit, die AKP-EU-Handelsbeziehungen zu beleben, die Diversifikation der Wirtschaft und die regionale Integration in den AKP-Staaten zu fördern und die Armut in diesen Staaten zu verringern.
Ich habe bereits erwähnt, dass die EU Verantwortung zeigen muss. Es handelt sich hier um Steuergelder, und die demokratische Rechenschaftspflicht geht uns alle an und ist dringend erforderlich. Wir haben in vielerlei Hinsicht versäumt, den AKP-Staaten zu helfen; jetzt bietet sich uns meines Erachtens eine echte Chance, etwas zu tun, das Spuren hinterlässt, vorausgesetzt, alle Beteiligten zeigen guten Willen.
Leider muss ich jetzt aus persönlichen Gründen gehen. Ich habe sehr eng mit der Kommission und dem Kommissar zusammengearbeitet und glaube, dass die Verständigung sehr gut war. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und ihnen danken. Ich hoffe, dass wir die Arbeit auf dieser Grundlage fortsetzen können.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich halte diesen Bericht für sehr konstruktiv, sehr realistisch und sehr begrüßenswert.
Wie ich bereits vor einiger Zeit im Ausschuss für internationalen Handel sagte, hilft uns Herrn Sturdys Beitrag, uns neu mit den Herausforderungen, denen wir uns in diesen schwierigen und unter Zeitdruck stehenden Gesprächen gegenübersehen, auseinanderzusetzen. Es stimmt, die WPA-Verhandlungen sind nur langsam vorangekommen – offen gesagt langsamer, als dies in irgendeiner Form zu rechtfertigen wäre. Aber gleichzeitig muss uns klar sein, dass diese Abkommen neu, innovativ und ehrgeizig sind. Stehen Veränderungen an, sind die Menschen immer unsicher und wollen deshalb vorsichtig vorgehen. Wir müssen das richtige Maß finden zwischen der Notwendigkeit, diese Verhandlungen rechtzeitig abzuschließen, und der Notwendigkeit, die Unsicherheiten anderer zu respektieren.
Dem Ausgangspunkt des Berichts, dass entsprechend gestaltete Wirtschaftspartnerschaftsabkommen eine Möglichkeit zur Belebung der EU-AKP-Handelsbeziehungen darstellen, stimme ich uneingeschränkt zu. Ich würde sogar sagen, dass sie unsere einzige echte Chance sind, um ein Abgleiten des AKP-Handels in die Abhängigkeit von Handelswaren und die rückläufige Diversifizierung, die in den letzten 25 Jahren für den AKP-Handel kennzeichnend waren, zu verhindern. Wir haben nach Alternativen gesucht, und es mangelt nicht an Vorschlägen und Ideen. Doch keiner bzw. keine davon bietet ein rechtlich sicheres Handelsregime oder eine Verbindung zur Entwicklung, wie WPA dies tun. Keiner bzw. keine unternimmt etwas gegen die Elemente, die die AKP-Länder in Bezug auf Handelsregimes trennen und damit die Herausbildung regionaler Märkte verhindern und die Länder in der Nord-Süd-Abhängigkeit festhalten.
Deshalb freue ich mich, dass der Bericht den guten Glauben und den ehrgeizigen Ansatz, den wir verfolgen, anerkennt. Gleichzeitig anerkennt er, dass Handel kein Wundermittel für die Entwicklung darstellt. Nur politische Reformen von innen auf der soliden Grundlage einer verantwortungsvollen Staatsführung und ein unternehmens- und investitionsfreundliches Umfeld können das von den AKP-Ländern angestrebte Wirtschaftswachstum und die Entwicklung gewährleisten. Aber ich teile auch die Ansicht, dass Handel für die Unterstützung und den Ausbau der Reformen unabdingbar ist und damit zu einem integrativen Wachstum und zu Arbeitsplätzen beiträgt. Deshalb bin ich entschlossen, die Chance, die sich uns mit den WPA bietet, zu nutzen.
Die Entwicklungsdimension von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen besteht darin, den Marktzugang zu nutzen, nicht, ihn nur gewähren. Es handelt sich um Investitionen, nicht einfach um Entwicklungshilfe. Dafür braucht man neue Regeln, die einer globalisierten Welt angemessen sind, und deshalb ist es mir auch so wichtig, dass sich WPA auch auf Fragen wie die Wettbewerbspolitik, das öffentliche Beschaffungswesen und die Handelsförderung erstrecken. Aber wir kennen die Grenzen unserer Partner und werden gemeinsam mit ihnen Veränderungen schrittweise einführen und regionalspezifische Erfordernisse ermitteln und entsprechende Lösungen erarbeiten. Niemand spricht von Veränderungen, die von heute auf morgen vollzogen werden, oder dem Aufzwingen von Vorschriften. Aber wir werden im Gespräch bleiben. Sich angesichts der Herausforderungen abzuwenden, das käme einer Vernachlässigung unserer Pflicht gleich, den AKP-Ländern die wirtschaftliche Zukunft zu geben, die sie verdienen. Uns geht es um die Sicherung einer tragfähigen Entwicklung, nicht einer untragbaren Armut.
Im Bericht Sturdy wird der vollkommen zoll- und kontingentfreie Zugang zum europäischen Markt gefordert, und genau das schlagen wir vor. Das Marktzugangsangebot der Kommission wurde im April unterbreitet und schlägt den uneingeschränkten Zugang für alle Produkte vor, wobei Übergangsregelungen für Zucker und Reis gelten sollen, um die gesteuerten Märkte, auf die sich die AKP-Länder verlassen, zu schützen. Damit lösen wir unser Versprechen ein, die größten Zugeständnisse bei der Marktöffnung zu machen, und reichen die gesamte Flexibilität der WTO-Vorschriften bezüglich Ausnahmen und Durchführung an die AKP-Länder selbst weiter.
Jeder wird sich der Bedeutung bewusst sein, die die AKP-Länder bei diesen Verhandlungen ganz zu Recht der zusätzlichen Entwicklungshilfe beimessen. Zu diesem Punkt werden im Bericht Sturdy einige sehr nützliche Vorschläge vorgelegt. Die Finanzierung ist wichtig. Wir müssen den AKP-Ländern helfen, die neuen Handelsmöglichkeiten, die die WPA bieten werden, zu nutzen. Die WPA werden nicht aufgrund fehlender Mittel scheitern – das kann ich garantieren. In diesem Zusammenhang haben wir vorgeschlagen, dass die einzelnen Verhandlungsregionen WPA-Regionalfonds einrichten, die genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind und den internationalen Standards entsprechen, aber in der Verantwortung der AKP-Länder liegen und problemlos genutzt werden können. Diese Fonds, über die auch die Hilfe anderer Geber fließen könnte, könnten auch die institutionelle Unterstützung umfassen, um zu gewährleisten, dass die für die Durchführung der WPA erforderliche Kapazität vorhanden ist: ein wettbewerbsfähiger Privatsektor – vom Zugang zu Geldern bis zur industriellen Umrüstung und der Verbesserung von Gesundheits- und Pflanzenschutznormen. Sie könnten auch zur Unterstützung von Ländern eingesetzt werden, die aufgrund des Abbaus von Zollschranken und der damit verbundenen Verlagerung des Einkommens vom Staat auf die Verbraucher in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Unser Ziel ist also klar: Es geht darum, mittels WPA ein Handels- und Entwicklungsinstrument aufzubauen, das Investitionsströme, die Binnennachfrage, die Aktivität des privaten Sektors und den Arbeitsmarkt ankurbelt und gleichzeitig eine tragfähige Finanzgrundlage für AKP-Regierungen schafft, mit der diese arbeiten und grundlegende Dienste anbieten sowie ihre eigene wirtschaftliche Zukunft frei von WTO-Ausnahmeregelungen, Konzessionen und Zwängen gestalten können.
Abschließen möchte ich mit einer Feststellung allgemeinerer Natur. Es wurde u. a. von Abgeordneten dieses Parlaments Kritik an diesen Verhandlungen geäußert, und es wurden vor allem von unseren AKP-Partnern Bedenken hinsichtlich einiger Aspekte dieser Verhandlungen geäußert. Aber wir machen bei diesen Verhandlungen jetzt Fortschritte. Sie haben eine positive Dynamik entwickelt. Es besteht die realistische Aussicht, dass wir eine tragfähige Entwicklungspartnerschaft zwischen der EU und den AKP-Ländern aufbauen können. Ein Scheitern würde der EU und dem Ziel eines ausgewogenen und dynamischen Wachstums in den AKP-Ländern großen Schaden zufügen. Deshalb begrüße ich diesen Bericht und die Unterstützung des Parlaments bei der Umsetzung dieser Abkommen. Ich möchte nochmals meine Wertschätzung für die darin enthaltene Argumentation, die Vorschläge und Empfehlungen zum Ausdruck bringen.
Jean-Pierre Audy, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Vorab möchte ich meine Kollegin Margie Sudre entschuldigen, die durch ein Treffen mit unserem neuen französischen Ministerpräsidenten, François Fillon, aufgehalten wurde. Sie wollte zur besonderen Situation der EU-Regionen in äußerster Randlage sprechen, die ihr besonders am Herzen liegen. Außerdem möchte ich meinen Freund Robert Sturdy zu der umfangreichen und wertvollen Arbeit beglückwünschen, die er mit diesem ausgezeichneten Initiativbericht geleistet hat.
Die Europäische Union muss mit den Ländern Afrikas, des karibischen Raums und des pazifischen Ozeans, den so genannten AKP-Ländern, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, kurz WPA genannt, abschließen. Anliegen dieser Abkommen ist die Stärkung des Wirtschaftswachstums, der regionalen Integration und der Armutsbekämpfung in sechs der großen benachteiligten Gebiete unseres Planeten. Gemäß dem Geist von Cotonou müssen wir immer wieder darauf verweisen, dass die WPA sich nicht auf einfache Freihandelsabkommen nach dem Verständnis der Welthandelsorganisation reduzieren dürfen, sondern eine echte Partnerschaft darstellen müssen, die es erlaubt, einen neuen Interventionsrahmen zur Förderung der Volkswirtschaften der AKP-Länder zu gestalten und damit zur Stabilisierung des Friedens vor allem auf dem afrikanischen Kontinent beizutragen, was sich auch fördernd auf die regionale Integration auswirken wird.
Aufgrund ihrer geografischen Lage in der Nähe zahlreicher AKP-Länder müssen die überseeischen Gebiete, unabhängig davon, ob sie zum Territorium der Gemeinschaft gehören, einen Schwerpunkt dieser Präferenz- und Gegenseitigkeitsabkommen darstellen. Die besondere Situation der Regionen in äußerster Randlage sowie der überseeischen Länder und Gebiete muss bei diesen Verhandlungen auf der Grundlage von Artikel 299 Absätze 2 und 3 des Vertrages unbedingt berücksichtigt werden. Diese Regionen müssen in einer möglichst frühen Phase in die Verhandlungen einbezogen werden, damit Differenzierungen beim Marktzugang berücksichtigt und die jeweils begleitenden Modalitäten koordiniert werden können, um so ihre Eingliederung in ihr regionales Umfeld zu verbessern.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, möchte ich Sie bitten, den gemeinsam von Margie Sudre und Robert Sturdy im Namen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten unterzeichneten Änderungsantrag zu unterstützen, dessen Anliegen es ist, ein vernünftiges Verhältnis zwischen der regionalen Integration dieser Gebiete in äußerster Randlage und ihren historischen und geopolitischen Bindungen zu Europa herzustellen.
Margrietus van den Berg, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ein Dankeschön an Herrn Sturdy. Alle sind sich darin einig, dass mithilfe des Handels Armut bekämpft werden kann. Leider sind die im Cotonou-Abkommen vorgesehenen Handelspräferenzen für die AKP-Staaten in der Praxis von geringer Wirkung, ebenso wie die Initiative „Alles außer Waffen“.
Der Grund dafür liegt in der unbefriedigenden Handelssituation in den fraglichen Entwicklungsregionen, in den hohen, standardisierten europäischen Importanforderungen und den bis heute noch nicht überarbeiteten und auf die Praxis zugeschnittenen Ursprungsregeln. Aufgrund dieser Probleme sind die AKP-Staaten noch nicht als Akteure auf der Bühne der Weltwirtschaft präsent; bestenfalls sind sie dabei, sich davon zu entfernen.
Bei der Debatte über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sollte es demnach nicht in erster Linie um die Durchsetzung von Freihandelsabkommen gehen, sondern um den Abschluss von Entwicklungsabkommen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklungsabkommen sollten der Ausbau des Handels in der eigenen Region, einschließlich des schwierig zu entwickelnden institutionellen Rahmens und der Humanressourcen, sowie die Millenniums-Ziele stehen. Erst viel später kann die Öffnung der Märkte für die EU in Betracht gezogen werden. Hier liegt unseres Erachtens das Problem.
Alles scheint auf den 1. Januar 2008 fokussiert zu sein, was natürlich logisch ist, da die Frist am 1. Januar ausläuft. Die jetzt in den Verhandlungen angebotene Flexibilität ist indes unzureichend an Entwicklungsindikatoren gebunden und viel mehr an vage Zeitangaben. Im Umlauf war die Idee von 25 Jahren, doch wurde dies nirgendwo ausdrücklich erwähnt.
Ist die Kommission bereit, den Zugang der EU zu den in Frage stehenden Märkten an eine Entwicklungsbenchmark zu koppeln, um sicherzugehen, dass die lokalen Märkte dort dafür gerüstet sind? Ist in Bezug auf die Regionen, die sich letztendlich gegen ein Europäisches Partnerschaftsabkommen (WPA) entscheiden – und wir möchten nochmals bekunden, dass die diesbezüglichen Verhandlungen unsere uneingeschränkte Zustimmung finden –, die Kommission, falls doch beschlossen wird, kein WPA abzuschließen, des Weiteren bereit, ausdrücklich auch die Alternative eines Allgemeinen Präferenzsystems (APS+) zu akzeptieren?
Wir kennen zwar die technische Diskussion, aber abgesehen von Bananen und Zucker – die ja praktisch in Klammern gesetzt wurden, nicht zuletzt durch uns – handelt es sich unserer Ansicht nach durchaus um eine echte Alternative zu den aktuellen Handelspräferenzen. Ist die EU bereit, sich zu einer zügigen Reform der Ursprungsregeln zu verpflichten – und der Kommissar hat dies vorhin in einer anderen Aussprache bestätigt –, so könnte dies bedeuten, dass wir hier ein Stück vorankommen.
Was die Singapur-Themen anbelangt, so finde ich es natürlich prima, wenn sich Regionen dieser Themen zum gegebenen Zeitpunkt selbst annehmen wollen. Daran ist nichts auszusetzen, nur sollten wir nichts aufzwingen.
Von entscheidender Wichtigkeit ist die Einhaltung der Frist für die WPA-Verhandlungen, worauf ich bereits hingewiesen habe. Deswegen wollen wir uns darauf konzentrieren, an Entwicklungsabkommen zu denken; dazu hat uns die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament empfohlen, uns bei den Verhandlungen zeitlich, inhaltlich und finanziell Spielraum zu lassen und ein Verhandlungsabkommen im wahrsten Sinne des Wortes zu schließen. Wenn die WPA darauf hinauslaufen, wäre dies phantastisch; andernfalls handelt es sich schlichtweg um kein gutes Angebot. Ferner möchte ich dazu auffordern, das APS+ als echte Alternative auf den Verhandlungstisch zu legen und bei den Gesprächen offen darüber zu diskutieren.
Sajjad Karim, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte dem Berichterstatter für den von ihm gewählten Ansatz danken. Dadurch dass Herr Sturdy die Entschließung der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU von Barbados als Ausgangspunkt gewählt hat, konnte dieser Bericht kompromissgetragene Fortschritte erzielen.
Insgesamt ist meine Fraktion mit dem Tenor und der Ausgewogenheit des Berichts einverstanden, weshalb wir auch keine Änderungsanträge vorgelegt haben. Sorge bereitet uns jedoch nach wie vor ein deutlicher Widerspruch im Bericht sowie in der Führung der Verhandlungen selbst: Einerseits drängen wir die Verhandlungsführer, die Verhandlungen vor Jahresablauf abzuschließen, und andererseits fordern wir die Kommission auf, keinen unangemessenen Druck auf die AKP-Länder auszuüben. Beide Feststellungen sind richtig, aber es kann doch wohl nichts Dringenderes geben als eine tickende Uhr, ohne dass eine annehmbare Einigung auf dem Tisch liegt und auch keine denkbaren Alternativen absehbar sind.
Der Kommissar ist mit den aus Terminen resultierenden Schwierigkeiten vertraut. Es geht hier nicht nur im die WPA-Verhandlungen, sondern wir haben auch Zeitpläne für die regionale Integration und natürlich die problematische Doha-Runde. Die Tatsache, dass es noch kein WTO-Abkommen gibt, macht diese Verhandlungen noch schwieriger, da die AKP-Länder nicht absehen können, was Doha ihnen bringen wird und ob es ihnen überhaupt etwas bringen wird.
Durch all das zieht sich jedoch wie ein roter Faden die Entwicklung. Um die zunehmende Liberalisierung zur Triebfeder der Armutsreduzierung und des Wirtschaftswachstums zu machen, muss die Europäische Union ihre Handels- und Entwicklungspolitiken integrieren, was nirgends wichtiger ist als in Bezug auf die AKP-Länder und die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.
Der EU wird vorgeworfen, dass ihr der Termin wichtiger ist als die Entwicklung. Um diesen Vorwürfen entgegenzutreten, Herr Kommissar, sollte die Kommission Flexibilität und Verständnis für die Sorgen der AKP-Länder demonstrieren, indem sie echte entwicklungsorientierte Alternativen zu den WPA prüft und zumindest gewährleistet, dass, sollte bis zum Termin kein tragfähiges Abkommen vorliegen, den AKP-Ländern, wie im Abkommen von Cotonou vorgesehen, ab 1. Januar 2008 ein zumindest äquivalenter Marktzugang gewährt wird.
Die Europäische Union verfügt über die entsprechenden Ressourcen, während die AKP-Länder in finanzieller wie technischer Hinsicht ernsthafte Probleme haben. Wir haben heute Morgen bereits ausführlich über die handelsbezogene Hilfe der EU gesprochen, und die beiden Berichterstatter haben eng zusammengearbeitet, um zu gewährleisten, dass es zwischen diesen beiden Berichten keine Unstimmigkeiten gibt.
Das „Aid for Trade“-Programm der EU ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die am wenigsten entwickelten AKP-Länder in die Lage versetzt werden, die Vorteile der zunehmenden Liberalisierung optimal zu nutzen, und der Rat hat bereits bestätigt, dass ein wesentlicher Teil der aufgestockten handelsbezogenen Hilfe den AKP-Ländern zugute kommen wird.
Die AKP-Länder werden auch über den nächsten EEF hinaus umfangreiche Entwicklungshilfe zur Überwindung ihrer angebotsseitigen Zwänge benötigen. Ich wünsche mir, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten sich um eine beträchtliche Aufstockung der handelsbezogenen Hilfe bemühen, da der Bedarf der AKP-Länder sich mit der Umsetzung der WPA erhöhen wird. Wir müssen uns aber auch die moralischen Schwierigkeiten eines wichtigen Gebers bewusst machen, der dem wichtigsten Empfänger der handelsbezogenen Hilfe am Verhandlungstisch gegenübersitzt.
Die Kommission darf die Aussicht auf Hilfe nicht dadurch manipulieren, dass sie künftige Entwicklungshilfe an Konzessionen seitens der AKP-Länder in den WPA knüpft. Naturgemäß kann Hilfe als Zuckerbrot eingesetzt werden, aber unter gar keinen Umständen darf sie als Peitsche benutzt werden, falls die WPA nicht vor Ablauf der Frist 2007 abgeschlossen werden.
Am besten funktioniert die handelsbezogene Hilfe dann, wenn sie der Umsetzung von gemeinsam zwischen Geber und Begünstigten vereinbarten Zielen dient.
Mit dem Ausschuss für internationalen Handel und der Delegation des Parlaments in der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung steht dem Kommissar eine hervorragende Auswahl an erfahrenen Parlamentariern zur Verfügung, die bereit sind, mit ihm an den WPA zu arbeiten. Angesichts der immer knapper werdenden Zeit fordere ich den Kommissar auf, gemeinsam mit ihnen nach einer entwicklungsorientierten Lösung für die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu suchen, die den Erfordernissen der AKP-Länder gerecht wird.
Leopold Józef Rutowicz, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Bericht von Herrn Sturdy über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen liefert eine exakte Beschreibung des aktuellen Sachstands.
Trotz des starken Engagements der Europäischen Union ist die gegenwärtige Lage nicht befriedigend. Eine Kooperation auf der Grundlage von Abkommen, die den globalen Markt und die von der WTO festgelegten Prinzipien nicht berücksichtigen, verheißt für Partnerschaftsabkommen im AKP-Rahmen nichts Gutes.
Die Hilfe der Europäischen Union für diese Länder sollte zuallererst darauf abzielen, eine Produktion zu stimulieren, die keine Konkurrenz für EU-Produzenten darstellt. Sie darf also keinen Interessenkonflikt hervorrufen. Die betreffenden Erzeugnisse können auf dem EU-Markt auf der Grundlage mehrjähriger Abkommen verkauft werden. Ich könnte hier beispielsweise Bergbauerzeugnisse und Biotreibstoffe nennen. Neben humanitärer Hilfe ist als Hauptschwerpunkt bei diesen Ländern die Unterstützung bei der Schaffung von Arbeitsplätzen zu nennen.
Partnerschaftsabkommen mit AKP-Ländern sollten sich im Einklang mit der Wirtschaftsstrategie der Europäischen Union befinden. Neue Abkommen sollten auf den von der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und der AKP festgelegten Grundsätzen basieren.
Frithjof Schmidt, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Die Verhandlungen treten jetzt in eine entscheidende Phase ein, und sie sollen nicht scheitern. Klar ist aber auch, dass der große Zeitdruck die schwächeren unserer Partnerländer überfordert. Das ist es, was wir immer wieder zu hören bekommen.
Deswegen brauchen wir eine bewusst flexiblere Handelsplanung über den 1.1.2008 hinaus. Wir sollten aus den Fehlern der Doha-Runde lernen; dabei gab es auch ein sakrosanktes Datum, das dann überschritten wurde. Bei den erreichten Zwischenergebnissen wird es auch nicht schwierig sein, das gegenüber der Welthandelsorganisation darzustellen. Es sind hier auch Alternativen angesprochen worden, etwa das GSP+ auszubauen und weiterzuentwickeln. Das könnte ein möglicher Weg sein. Darauf müssen wir uns vorbereiten, das darf nicht überraschend kommen. Wir sollten aufhören, die Verhandlungen mit den Regeln für Investitionen im Dienstleistungsbereich zu überfrachten. Das erschwert die Verhandlungen, es führt nicht dazu, dass wir zu einem schnellen Abschluss kommen, und es verhindert, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.
Vittorio Agnoletto, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! So wie die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen derzeit von der Kommission mit Rückendeckung des Rates geführt werden, gefährden sie die wirtschaftliche und ernährungspolitische Souveränität der AKP-Staaten und beeinträchtigen jede diesen Ländern noch verbliebene Möglichkeit, ihre Produktionssektoren durch Mehrwertsteigerungen in der eigenen Produktion zu konsolidieren; sie setzen sie ganz offen der Gefahr einer weiteren Deindustrialisierung aus.
Die sozialen und ökologischen Auswirkungen der wahllosen Öffnung lokaler Märkte für ausländische Investitionen, die hauptsächlich auf den Sektor der natürlichen Ressourcen und der Bodenschätze abzielen, würden den Mangel an effektiven wirtschaftlichen Erträgen für die Bevölkerung dieser Länder noch verschärfen: Die einzigem, die davon profitieren, wären die großen multinationalen Unternehmen Europas! In Bereichen wie den so genannten Singapur-Themen, dem Handel mit Dienstleistungen und den Rechten an geistigem Eigentum kommen darüber hinaus Regeln auf uns zu, die noch strikter sind als die von der Welthandelsorganisation festgelegten. Ein WTO+-Abkommen wird die afrikanischen Völker noch tiefer ins Elend stürzen.
In Afrika ist die Stabilität ganzer ländlicher Gemeinschaften in Gefahr, sind Tausende von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe bedroht. Ohne Arbeit bleibt den Menschen nichts anderes übrig als auszuwandern, ihr Glück auf jenen schrottreifen Booten zu versuchen, die in den letzten Tagen wieder an den europäischen Mittelmeerküsten einfielen.
Als Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke fordern wir, die WPA-Verhandlungen, so wie sie jetzt geführt werden, zu stoppen und auf einer anderen Basis wieder aufzunehmen, indem die soziale Gerechtigkeit, die Solidarität und die Selbstentwicklung der Völker in den Mittelpunkt gerückt werden. Für uns ist es unbegreiflich und unlogisch, dass die Europäische Kommission behauptet, die WPA-Verhandlungen könnten keine Abweichungen vom Verhandlungskalender vertragen, wo doch die Gespräche der Doha-Runde gegenwärtig stagnieren.
Stattdessen müsste sich die ganze Europäische Union in der WTO dafür einsetzen, die Anerkennung einer Übergangsregelung zu erreichen, um so lange ein System von Handelspräferenzen für die AKP-Staaten aufrechtzuerhalten, bis ein neues Abkommen unter Dach und Fach ist. Aus all diesen Gründen und noch aus anderen, die ich aus Zeitgründen nicht anführen kann, hat meine Fraktion beschlossen, gegen den Bericht Sturdy zu stimmen.
Jerzy Buzek (PPE-DE). – (PL) Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich spreche auch in meiner Eigenschaft als Mitglied der Ständigen Delegation der Europäischen Union bei den AKP-Ländern. Ich möchte dem Herrn Kommissar für seine Erklärung danken, und ich unterstütze deren Hauptpunkte. Ein besonderer Dank gebührt dem Berichterstatter, Herrn Sturdy. Dies ist ein sehr guter und umfassender Bericht, aber er enthält 53 Detailpunkte. Das kommt fast Weisungen für Verhandlungen gleich.
Ich möchte die Professionalität der geleisteten Arbeit hervorheben, mache mir aber Sorge um einen bestimmten politischen Aspekt, der aus einem Bericht des Europäischen Parlaments hervorgehen sollte. Ich möchte nun auf die meiner Meinung nach wichtigsten fünf Punkte eingehen, durch die wir als Europäisches Parlament auf die Verhandlungen einwirken können.
Erstens ist es wesentlich, den Aspekt der nachhaltigen Entwicklung in Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu klären. Er ist gegenwärtig den Ländern, mit denen wir verhandeln, nicht allzu klar.
Zweitens muss begriffen werden, dass Marktöffnung im Rahmen von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, das simple Öffnen des Marktes, die Wettbewerbsfähigkeit von sich aus nicht verbessert. Für unsere Partner in den AKP-Ländern ist es sehr wichtig, das auch zu verstehen.
Drittens sollten wir Wege finden, um zu Reformen in jenen Ländern zu ermutigen, und zwar durch Präferenzen, durch Anreize sowie auch durch Unterstützung im Bereich Wissenschaft und Bildung und durch persönlichen Austausch. Das hängt alles mit allgemeiner kultureller Entwicklung zusammen, was zuweilen sogar wichtiger ist als die Marktöffnung für Waren.
Viertens sollten wir bestimmte spezifische und sensible Sektoren wie die Landwirtschaft in jenen Ländern schützen. Wir müssen besonderen sozialen Gruppen Schutz bieten. Einige davon, z. B. Frauen, können auch im Rahmen einzelner Bestimmungen gefährdet werden. Besondere Präferenzen müssen für Medikamente und in Fragen der Gesundheitsfürsorge vorgesehen werden.
Mein fünfter und letzter Punkt: Entscheidend sind da draußen Integration und Kooperation vor Ort. Unsere Europäische Union hat sich auch vor allem auf der Grundlage gegenseitiger Zusammenarbeit entwickelt, und dies müssen wir unterstreichen.
Kader Arif (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die Aushandlung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der Kommission und den AKP-Staaten ruft bei diesen Ländern große Bedenken hervor und vollzieht sich in einer Atmosphäre, die mit der historischen partnerschaftlichen Beziehung, die uns verbindet, unvereinbar ist.
Man meint dort, Europa versuche, Ländern, die zu den ärmsten der Welt gehören, um jeden Preis und zu seinen Bedingungen Freihandelszonen aufzwingen. Damit stehen die vertrauensvollen Beziehungen zu den AKP-Staaten auf dem Spiel.
Wir müssen die Verhandlungen auf einer neuen Grundlage wieder aufnehmen, um den in den AKP-Ländern entstandenen Sorgen zu den Auswirkungen der WPA auf die Zukunft ihrer Volkswirtschaften, in denen viele Sektoren der Senkung des Zollschutzes oder einem unkontrollierten Wettbewerb mit der europäischen Wirtschaft nicht gewachsen wären, Rechnung zu tragen.
Die Kommission muss zu den im Abkommen von Cotonou aufgestellten Grundsätzen zurückkehren. Ziel ist die Entwicklung und nicht die Gegenseitigkeit bei der Öffnung der Märkte. Ein solcher Grundsatz stünde aufgrund der Ungleichheiten, die auch in zwanzig Jahren nicht verschwinden werden, im Widerspruch zu dem gesetzten Ziel. Diese Länder müssen also die Möglichkeit haben, zwischen einem WPA oder einer anderen Form eines Präferenzabkommens zu wählen.
Wir müssen den Ländern, die bis Ende 2007 kein WPA unterzeichnen, einen Marktzugang ermöglichen, der zumindest den Präferenzen entspricht, die ihnen derzeit zugute kommen. Für keines dieser Länder dürfen sich bei Auslaufen der Abkommen die Bedingungen wieder verschlechtern.
Des Weiteren sollten Dienstleistungen und die Themen von Singapur nicht in die Verhandlungen einbezogen werden. Die einzige Verpflichtung unter dem Aspekt der Einhaltung der WTO-Regeln betrifft die Präferenzen für den Warenhandel. Diese Themen wurden auf Antrag der Entwicklungsländer aus den WTO-Verhandlungen ausgeklammert. Sie sollten nicht plötzlich für die AKP-Staaten wieder einbezogen werden. Diese Fragen fallen zunächst in die Zuständigkeit der regionalen Gruppen der AKP-Staaten, deren Souveränität in diesem Bereich respektiert werden sollte. Deshalb muss die Kommission sie aus den Verhandlungen herausnehmen.
Außerdem müssen die Parlamente der AKP-Staaten, das Europäische Parlament und auch die Zivilgesellschaft Zugang zu allen Bestandteilen der Verhandlungen haben, müssen konsultiert werden und in den Verhandlungsverlauf einbezogen werden.
Wenn schließlich längere Fristen notwendig sein sollten, um die Aushandlung korrekter Wirtschaftspartnerschaftsabkommen erfolgreich zu Ende zu führen, muss die Kommission flexibel sein und dies im Grundsatz gegenüber den WTO-Mitgliedern vertreten.
Johan Van Hecke (ALDE). – (NL) Herr Präsident! Herr Sturdy hat einen ausgewogenen Bericht verfasst, der auch die berechtigte Kritik der AKP-Partner zum Inhalt hat, wonach die EU bei den Verhandlungen ihren Beschwerden zu wenig Gehör schenkt und stattdessen allzu sehr dazu neigt, Dinge einseitig aufzuzwingen.
Ich möchte einen Aspekt, der oft nicht beachtet wird, kurz ansprechen, nämlich den regionalen Aspekt der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA): die Stärkung des Süd-Süd-Handels. Die Entwicklungsziele können nur erreicht werden, wenn die WPA darauf ausgerichtet sind, zu einer soliden Wirtschaftsführung zu animieren, die regionale Integration der AKP-Volkswirtschaften zu fördern und mehr Investitionen anzulocken und im Lande zu behalten. Eine rechtzeitige und effektive handelsbezogene Unterstützung stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Stärkung des Handelspotenzials der AKP-Regionen dar.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Kommission an die Zusage ihres Präsidenten Barroso erinnern, den Entwicklungsländern 1 Milliarde Euro an handelsbezogener Hilfe zu gewähren. Die Tatsache, dass in der Vereinbarung des Rates über die kommende Finanzielle Vorausschau für die vorgeschlagenen 190 Millionen Euro pro Jahr, die für die Vertragsstaaten des AKP-Zuckerprotokolls benötigt werden, unzureichende Vorkehrungen getroffen wurden, ist kein gutes Zeichen.
Das Einhalten von Versprechen ist letzten Endes eine Frage der elementaren Glaubwürdigkeit und könnte für den Erfolg oder das Scheitern der Verhandlungen ausschlaggebend sein.
Carl Schlyter (Verts/ALE). – (SV) Bei den Verhandlungen sollte die Kommission drei Schlüsselbegriffe beachten: zuhören, nichts erzwingen und nichts übereilen. Wir müssen uns die Forderungen der AKP-Staaten anhören.
Diese Verhandlungen finden nicht auf Augenhöhe statt. Ihnen, Herr Mandelson, stehen Hunderte Experten zur Verfügung, den AKP-Ländern nur einige wenige. Wir haben eine enorme wirtschaftliche Macht, während bei Ihnen Handel und Industrie noch in den Anfängen stecken. Wir könnten ihre gesamte Wirtschaft aufkaufen, sie können sich kaum mit Essen versorgen. Bei so unterschiedlichen Bedingungen ist es wichtig, dass wir uns ihre Forderungen anhören und versuchen, diese zu erfüllen.
Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sollen der Entwicklung der AKP-Staaten dienen und nicht unseren Gewinn steigern. Daher dürfen wir nichts erzwingen. Wenn sie einen Markt nicht öffnen wollen, dürfen wir sie, so wie es unter Ziffer 17 der Entschließung gesagt wird, auch nicht dazu zwingen. Alle in neoliberalem Denken geschulten Handelsexperten glauben, dass gesenkte Zolltarife in jedem Fall gut sind und dass freier Handel immer besser ist als gerechter Handel, aber die Realität zeigt, dass dem nicht so ist. Und unsere Verhandlungspartner leben nun einmal in der Realität. Falsch verstandene Liberalisierung kann zum Tod von Menschen führen. Sie können ihnen Ihre Auffassung erklären, aber erlauben Sie ihnen, die Entscheidungen selbst zu treffen. Wenn diese falsch sind, ist es ihr Fehler. Es ist leichter, mit Mängeln zu leben, für die man selbst verantwortlich ist und die man ändern kann, als in Armut, die einem durch andere aufgezwungen wird. Reziprozität ist nicht notwendig. Lassen Sie sie selbst darüber entscheiden. Wir können mit und ohne Reziprozität leben, aber sie können daran zugrunde gehen.
Schließlich dürfen wir nichts übereilen. Ich hoffe daher, das Parlament streicht die Erwägung F und stimmt dem Änderungsantrag 4 zu. Geben Sie den Verhandlungspartnern die Zeit, die sie benötigen, und lassen Sie solange das Schema allgemeiner Zollpräferenzen in Kraft. So können die AKP-Länder weiterhin in aller Ruhe an uns verkaufen, ohne dass ein Damoklesschwert über ihren Köpfen hängt. Wir 27 EU-Länder stellen zusammen mit den AKP-Staaten eine dominierende Gruppe innerhalb der WTO dar. Wenn wir wollen, können wir zusammen erklären, dass wir die Zeit für die Verhandlungen verlängern müssen oder Alternativen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen entwickeln.
Gabriele Zimmer (GUE/NGL). – Herr Präsident, verehrte Kollegen, Herr Kommissar! Als die WTO urteilte, die Zollbevorteilung der EU für ihre ehemaligen Kolonien bedeute gleichzeitig eine Benachteiligung für andere Entwicklungsländer, hat sie damit nicht zu einer Neuordnung der Welt aufgerufen.
Herr Kommissar, Sie überschätzen aus meiner Sicht bei Weitem die Planungskompetenz Ihrer Behörde. Die EPA-Entwürfe, die Sie jetzt den Verhandlungspartnern auf den Tisch gelegt haben, bedeuten eine klare Überschreitung Ihres Verhandlungsmandats. Völlig ungeachtet der Erfahrung, die wir selbst in Europa gemacht haben, wollen Sie einen globalen Flickenteppich aus rein wirtschaftlich basierten Staatenbündnissen erzwingen. Sie geben damit Ihren Partnern gar nicht erst die Chance, sozial und politisch zueinander zu finden, und Sie verschaffen damit den europäischen Unternehmen einen riesigen Wettbewerbsvorteil.
Ich jedenfalls lehne es ab, unseren Partnerländern Bedingungen aufzuzwingen, wie sie die marktradikalen Kräfte noch nicht einmal innerhalb der EU durchsetzen konnten. Ihre Vorschriften für öffentliche Aufträge sind unverhüllte Keile für die Marktöffnung. Sie stellen zwar zwei Boxer in den gleichen Ring, aber der eine Boxer wiegt 100 kg mehr als der andere.
Deshalb fordere ich Sie auf, alle Verhandlungen auszusetzen, die über die Zolltarife hinausgehen, und Ihre Kraft dafür einzusetzen, dass wir eine entwicklungsgerechtere Form der WTO insgesamt erreichen.
David Martin (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich all jenen anschließen, die Robert Sturdy zu einem meines Erachtens guten Bericht beglückwünscht haben. Der Bericht unterstreicht zu Recht, dass es sich hier um Verhandlungen handelt, die zwischen ungleichen Partnern geführt werden, und das war auch eines der Themen etlicher meiner Vorredner am heutigen Vormittag. Ich glaube, dass viele der Probleme ihre Ursache darin haben, dass die Kommission und die AKP-Länder die Verhandlungen von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus betrachten. Schauen wir uns den Termin Jahresende an. Aus der Sicht der Kommission ist dieser Termin ein unerlässliches Instrument, um ihren Verpflichtungen im Rahmen der WTO nachzukommen. Aus der Sicht vieler AKP-Länder hingegen wird dieser Termin benutzt, um sie zur Zustimmung zu ungeeigneten Abkommen zu drängen, und die Kommission sollte meines Erachtens weit mehr tun, um den AKP-Ländern zu versichern, dass der Termin nicht benutzt wird, um sie so unter Druck zu setzen, dass sie Abkommen zustimmen, mit denen sie eigentlich nicht leben können.
Was die Hilfe betrifft, so sagt die Kommission, und Kommissar Mandelson wiederholte das heute Morgen, dass die Verhandlungen nicht an Geldmangel scheitern werden. Aber es ist unfair, von den AKP-Ländern langfristige Entscheidungen über Liberalisierung und regionale Integration zu erwarten, ohne dass sie eine langfristige Vorstellung von der Unterstützung haben, mit deren Hilfe sie regionale ordnungspolitische Rahmenbedingungen für die Einführung neuer Methoden zur Erfassung staatlicher Einnahmen zum Ausgleich der nicht mehr vorhandenen Zolleinnahmen schaffen oder die Art von Infrastrukturen aufbauen könnten, die, wie wir aus eigener Erfahrung in der EU wissen, für die Entwicklung der regionalen Wirtschaft so wichtig sind.
Was die Frage der Marktöffnung angeht, so habe ich den Kommissar hier in diesem Saal sagen hören, dass die Europäische Union keine offensiven Handelsziele gegenüber den AKP-Ländern verfolgt. Aber von den Verhandlungsführern wiederum hören wir, dass sie den Eindruck haben, die Kommission dränge sie sehr hartnäckig zur Öffnung unserer Dienstleistungsmärkte und zur Unterbreitung weiterer Marktöffnungsangebote.
Ich sage all das in der festen Überzeugung, dass die Kommission ein entwicklungsorientiertes Paket mit den sechs Regionen anstrebt. Die Kommission ist der Ansicht, dass sie im Interesse der AKP-Länder handelt, aber sie muss verstehen, dass Verhandlungen zwischen zwei ungleichen Partnern beim schwächeren Partner Misstrauen erzeugen. Wenn wir von Terminen sprechen, dann sehen sie darin eine Drohung, wenn wir vage Aussagen über den Umfang des Hilfspakets treffen, sehen sie darin eine Verbindung zwischen dem Umfang der Marktöffnung, zu dem sie bereit sind, und der Größe des Hilfspakets. Wenn wir diese Bedenken ausräumen wollen, dann müssen wir die Gespräche offener und transparenter gestalten, und wir müssen versprechen, dass die endgültigen Abkommen, sobald die Gespräche abgeschlossen sind, der parlamentarischen Kontrolle unterliegen werden, so dass sie sicher sein können, dass Parlamentarier an ihrer Umsetzung beteiligt sein werden.
Fiona Hall (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Verfolgt man den Verlauf der WPA-Verhandlungen, meint man, in zwei parallelen Universen zu leben. Auf der einen Seite wurde von den AKP-Ländern häufig erklärt, der Prozess sei nicht ausreichend entwicklungsorientiert. Die AKP-Länder behaupten, man versuche sie zu zwingen, zu den Bedingungen der Kommission zu verhandeln, und besonders bedenklich finden sie, dass die Kommission keine Zeit für ordnungsgemäße Folgenabschätzungen eingeräumt und sämtliche Bewertungen, die sich nicht im Einklang mit ihrer eigenen Position befanden, abgelehnt hat. Andererseits erklärt die Kommission immer wieder, dass sich keiner beschwert oder um Alternativen zu den WPA bittet.
Doch die UNO-Wirtschaftskommission für Afrika kam in ihrer Überprüfung von Januar 2007 zu einem eindeutigen Ergebnis. Diese externe und unabhängige Überprüfung kam zu dem Schluss, dass die Verhandlungen nicht entwicklungsorientiert und zu stark allein auf die Handelsliberalisierung ausgerichtet seien. In Anbetracht der externen UNO-Einschätzung verstehe ich nicht, wie die Kommission behaupten kann, die WPA-Verhandlungen hätten eine positive Dynamik und alles sei in Butter.
Glenys Kinnock (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich gehe davon aus, dass die Kommission die Bedenken, die von vielen, ja der großen Mehrheit der Abgeordneten heute Morgen geäußert wurden, zur Kenntnis nehmen wird.
Die WPA-Verhandlungen befinden sich eindeutig in einer kritischen Phase, und in dieser Woche sind Minister der Europäischen Union und der AKP-Länder in Brüssel zusammengekommen, um zu einer Zeit, da, wie einige meiner Vorredner bereits feststellten, der Druck, die Verhandlungen bis Ende 2007 abzuschließen, enorm ist, den Fortgang zu prüfen. Die Realität sieht so aus, dass die AKP-Länder, auch wenn sie technisch sehr gut vorbereitet sind, noch immer vor ernsten politischen Problemen stehen, Probleme, die es nach wie vor zwischen AKP-Mitgliedstaaten, in den Regierungen von AKP-Staaten, zwischen Regierungen und dem privaten Sektor, der Zivilgesellschaft und regionalen Integrationsorganisationen gibt.
David Martin sprach einige sehr wichtige Punkte in Bezug auf das Misstrauen und die Angst an, die in den AKP-Staaten herrschen. Ich habe in den letzten Wochen sowohl West- als auch Ostafrika besucht, und ich habe immer wieder das Gleiche gehört, ob vom Premierminister von Senegal, dem Präsidenten von Ghana oder dem tansanischen Minister für Handel: Es gibt zu viele ungelöste Fragen. Zur handelsbezogenen Hilfe: Ist das neues Geld? Kann man sich darauf verlassen? Wann wird es auf dem Tisch liegen? Zum Niveau der regionalen Integration habe ich in Tansania von den enormen Problemen dort und von der neuen ostafrikanischen Konfiguration erfahren, die man dort plant, und, ich glaube, ich habe den Kommissar darüber informiert. Dann gibt es da noch die bereits erwähnten Singapur-Themen, die derzeit bei den SADC-Verhandlungen für riesige Schwierigkeiten sorgen.
Die meisten AKP-Mitgliedstaaten begrüßen den zoll- und kontingentfreien Zugang. Trotzdem ist es so – und ich bin nicht sicher, ob das jemand erwähnt hat –, dass ein Dutzend oder mehr EU-Mitgliedstaaten diesbezüglich Bedenken haben und dem Vorschlag ablehnend gegenüber stehen, und einige AKP-Staaten sind besorgt über die Auswirkungen auf Zucker, Bananen und Reis. Erst gestern war aus Barbados zu vernehmen, dass die Region nur dann profitieren könne, wenn die EU für den Aufbau der technischen, produktiven und infrastrukturellen Kapazitäten sorgt, damit vor allem bei Zucker die Möglichkeiten zwischen 2009 und 2015 optimal genutzt werden können.
Es herrscht eine gewisse Weltuntergangsstimmung. Deshalb sollte den AKP-Staaten, falls sie nicht bis Ende des Jahres zustimmen können, ein hohes Maß an Marktzugang im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems GSP+ gewährt werden.
Behauptungen, denen zufolge es keine Alternativen gebe, stimmen einfach nicht, und zwar ebenso wenig wie die Behauptung, keine AKP-Region bzw. kein AKP-Land habe darum gebeten. Jüngste Untersuchungen durch das Overseas Development Institute (ODI), die UNO und andere haben gezeigt, dass ein verbessertes GSP eine sinnvolle Alternative für die WPA darstellt und den nötigen Freiraum für die Fortsetzung der Verhandlungen schaffen könnte. Das GSP+ würde für einen großzügigeren Zugang sorgen als das GSP, das eindeutig nicht in Frage kommt. Die meisten AKP-Länder würden die erforderlichen Kriterien sehr wahrscheinlich erfüllen und erhielten mit sehr wenigen Ausnahmen Marktzugang in einem Umfang, der fast dem Stand der Ausfuhren im Rahmen von Cotonou entspräche.
Alain Hutchinson (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich meiner Freude über die Aussprache Ausdruck verleihen, die heute hier stattfindet, vor allem, weil sie meiner Ansicht nach alle Behauptungen gründlich widerlegt, die wir seit einigen Monaten regelmäßig hören, dass sich nämlich lediglich einige Wirrköpfe aus der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und eine Zivilgesellschaft, die die Europäische Kommission aus Prinzip oder gewohnheitsmäßig herausfordern, um die Gestaltung und das Ergebnis der Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Gedanken machen. Dies ist sicherlich nicht der Fall, wie wir heute Vormittag gehört haben.
Einfach gesagt, stellt sich im Rahmen dieser Verhandlungen in Wahrheit derzeit eine einzige Frage, und diese Frage lautet folgendermaßen: Ist die Kommission in der Lage, den AKP-Staaten zu garantieren, dass diese Abkommen, wenn sie geschlossen sind, ihnen bessere Entwicklungsmöglichkeiten bieten als die, die sie heute in Anspruch nehmen? Wenn dem so ist, dann habe ich persönlich keine großen Probleme mehr mit diesen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Wenn dem nicht so ist, was ich befürchte, dann müssen wir sie in der uns momentan vorliegenden Form zurückweisen, und zwar so lange, wie darin ein Ansatz für die Beziehungen zwischen Menschen die Oberhand hat, der zu sehr auf den Handel orientiert ist, während alles Andere ausgeklammert wird und das allgemeine Interesses der Bevölkerungen der AKP-Staaten unberücksichtigt bleibt.
Die Verbesserung der Lebensverhältnisse für möglichst viele Menschen jetziger und künftiger Generationen, im Norden wie im Süden, ist ein vorrangiges Ziel, das wir zu Recht von der Kommission fordern können. Dementsprechend ist es die Pflicht der Kommission, mit den Verhandlungen über diese Abkommen fortzufahren, und zwar bereitwillig und mit aller gebotenen Transparenz. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die ganz praktischen und zutreffenden Worte meines Kollegen Arif. Doch die Kommission hat auch die Pflicht, sich und unseren Gesprächspartnern die erforderlichen Fristen einzuräumen, wie mehrere Redner vor mir bereits erklärt haben. Es ist höchste Zeit, dass dieser Forderung, die von Millionen Bürgern Europas gestellt wird, die wir hier vertreten, viel mehr Ernst und Respekt entgegengebracht wird, als es heute der Fall ist.
Herr Kommissar, auch heute Morgen wird – wie immer hier in diesem Hohen Haus – ausführlich und eindringlich über Wirtschaft, Marktöffnung und Wettbewerbsfähigkeit gesprochen. Wir sollten bedenken, dass wir diese Reden als das ansehen müssen, was sie sind, nämlich Konzepte oder bestenfalls Instrumente, deren Wert einzig darin liegt, dass sie möglicherweise zur Befriedigung des allgemeinen Interesses beitragen, des Interesses möglichst vieler Menschen, nicht einer – möglicherweise zunehmenden – Zahl von Privilegierten im Norden wie im Süden, die von irgendeinem Vertrag mit irgendeinem Vertragspartner profitieren können, sondern des Interesses von immer mehr Männern, Frauen und Kindern, die zusammen die große Mehrheit der Ausgegrenzten in unserer Welt bilden und die von einer wenn schon nicht großzügigen, so doch zumindest ausgewogenen Beziehung mit ihren europäischen Partnern eine ganze Menge erwarten.
Marie-Arlette Carlotti (PSE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! In ihren neuesten Vorschlägen erwägt die EU, das Konzept „alles außer Waffen“ auf alle AKP-Staaten auszudehnen.
Das ist sicherlich ein Schritt, mit dem gewährleistet werden kann, dass keiner dieser Staaten nach 2007 als Verlierer dasteht. Aber es ist keine Wunderlösung, die die WPA in Entwicklungsabkommen verwandelt. Dazu müssten wir viel weiter gehen, nämlich einen Übergangszeitraum vorsehen, der viel länger als die derzeit anvisierten zehn oder zwölf Jahre wäre; dem Agrardumping ein Ende setzen und den Grundsatz der Ernährungssouveränität einhalten; eine wirklich differenzierte Sonderbehandlung anbieten und den AKP-Staaten ermöglichen, einige ihrer Sektoren zu schützen; dem Druck bei den Themen von Singapur ein Ende setzen, um das Recht aller Staaten zu respektieren, ihre öffentlichen Dienstleistungen frei zu regeln; und schließlich die Zivilgesellschaften und die Parlamente stärker einzubeziehen.
Das ist meines Erachtens der Preis, der zu zahlen ist, wenn die WPA vorrangig der Entwicklung Afrikas und nicht nur der Europas dienen sollen.
Peter Mandelson, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Es ist mir eine Freude, angesichts der großen Bedeutung dieser Thematik im Namen der Kommission an dieser Aussprache teilzunehmen: Für die AKP-Länder, die zu den ärmsten Ländern der Welt zählen und zu deren Unterstützung wir zutiefst verpflichtet sind, steht nicht weniger als ihre zukünftige Entwicklung, die Linderung der Armut sowie die Nutzung der Vorzüge des internationalen Handelssystems auf dem Spiel.
Bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen geht es darum, den Handel als Hebel für die Entwicklung zu nutzen. Wir haben nicht die Absicht, AKP-Länder zu zwingen, gegen ihren Willen Verpflichtungen einzugehen. An eine Bedingung müssen wir uns jedoch halten: Die WPA müssen die Auflagen der WTO erfüllen, und zwar müssen die Märkte auf beiden Seiten für den Handel mit Waren und Dienstleistungen geöffnet werden. Das bedeutet natürlich keine, und das möchte ich betonen, symmetrische Handelsöffnung zwischen der EU und den AKP-Ländern. Die EU wird hinsichtlich der Öffnung ihrer Märkte gegenüber ihren Partnern natürlich weiter gehen als die AKP-Partner gegenüber der EU.
Hinzu kommt, dass wir in vielen Bereichen bereit sind, Übergangsperioden ernsthaft in Betracht zu ziehen. Das können in einigen Fällen sehr lange Übergangsperioden – bis zu 25 Jahren – sein, die in Verbindung mit umfangreicher finanzieller Hilfe gewährt werden, um diese Länder bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu unterstützen, damit sich die WPA zu echten Katalysatoren für politische Reformen in den AKP-Ländern entwickeln können.
Bezüglich des Marktzugangs hat der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ unlängst den Grundsatz des zoll- und kontingentfreien Zugangs für die AKP-Länder bestätigt, wobei für einige sensitive Produkte, vor allem Reis und Zucker, Übergangsperioden vorgesehen sind. Das gleiche Prinzip gilt für Bananen, aber wir haben uns auf eine zusätzliche Evaluierung geeinigt, um vor allem die Regionen der EU in extremer Randlage zu berücksichtigen, und so wird es sein.
Vor allem in Bezug auf Herrn van den Bergs Ausführungen ist festzustellen, dass wir gemeinsam mit AKP-Regionen an asymmetrischen Marktzugangsprogrammen arbeiten, die den weiteren Schutz der sensitiven Sektoren der AKP-Länder ermöglichen. Unser zoll- und kontingentfreies Angebot bietet den AKP-Ländern ein hohes Maß an Schutz und gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Märkte sehr asymmetrisch zu öffnen. Außerdem sind flexible Schutzmechanismen vorgesehen, so dass wir im Falle von Problemen sehr schnell reagieren können. Ein an bestimmte Bedingungen geknüpftes Marktzugangsregime würde unsere Handelsvorkehrungen in der WTO jedoch erneut in eine schwierige Lage bringen und wäre für AKP-Händler und -investoren mit neuen Unsicherheiten verbunden. Ein solches vorbehaltliches Vorgehen läge folglich nicht im Interesse der AKP-Länder selbst.
Einige Abgeordnete haben Alternativen zu WPA angesprochen. Diesbezüglich kann ich ohne Zögern oder jegliche Einschränkung feststellen: Es gibt keine entwicklungsfreundlicheren oder besseren Entwicklungsinstrumente, die den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen in Bezug auf Zielsetzungen und Leistungsfähigkeit überlegen wären. Das Allgemeine Präferenzsystem GSP anzubieten, wie von einigen vorgeschlagen wurde, obwohl wir ein gutes Wirtschaftspartnerschaftsabkommen aushandeln könnten, wäre wirklich unsinnig. AKP-Länder, die nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, hätten dadurch einen schlechteren Marktzugang zur Europäischen Union als fast alle anderen Entwicklungsländer der Welt.
Einige schlagen dann das verbesserte Allgemeine Präferenzsystem GSP+ als Alternative vor, wobei die Zugangskriterien zum GSP+ gelockert und sein Geltungsbereich ausgeweitet werden sollen. Auch das ist vollkommen inakzeptabel. Das GSP+ schreibt die Aufteilung in Länder, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, und jene, die nicht dazu gehören, im Bereich des Handels fort, während die WPA diese Aufteilung überwinden sollen. Außerdem fördern sie die Nutzung der aus dem Marktzugang resultierenden Möglichkeiten nicht im selben Maße, wie die WPA dies tun. Das Allgemeine Präferenzsystem steht allen Ländern offen, und einige würden einfach nur die gelockerten Kriterien des GSP+ ausnutzen und die AKP-Länder dem direkten Wettbewerb aussetzen und damit den eigentlichen Zweck von GSP+, der darin besteht, Handelspräferenzen zur Förderung der Unterzeichnung von Menschenrechtsabkommen und von guten Arbeitspraktiken zu nutzen, unterminieren. Ich hoffe also, dass niemand an der Vorstellung, die GSP oder GSP+ seien eine akzeptable und/oder den WPA überlegene Alternative, festhalten wird.
Eine fristgemäße Unterzeichnung der WPA käme der Entwicklung am meisten zugute. Das kann keine Alternative leisten. Wir können in dem Teil der WPA, der dem Warenhandel gewidmet ist, nicht einfach WTO-Vorschriften unterlaufen. Sollte sich abzeichnen, dass wir es bei einigen Regionen wirklich nicht schaffen, dann gilt für die am wenigsten entwickelten Länder „Alles außer Waffen“; für Länder, die nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern zählen und vor allem Bananen exportieren, ist die Ausnahmeregelung unter politischen Gesichtspunkten möglicherweise überhaupt nicht machbar. Bei anderen richtet sich alles danach, wie die Verhandlungen vorankommen.
Abschließend möchte ich feststellen, dass ich im Gegensatz zu einigen Abgeordneten, die sich heute Morgen hier im Parlament geäußert haben, der Ansicht bin, dass der Ansatz der AKP-Länder von einem hohen Maß an Realismus und Verständnis dafür geprägt ist, was im Interesse der AKP-Länder getan werden muss. Die AKP-Länder haben dem Weg, den wir bei der Aushandlung dieser Abkommen eingeschlagen haben, freiwillig zugestimmt. Es ist keinesfalls im Interesse der AKP-Länder, wenn jene, die sich als Freunde dieser Länder ausgeben, eine Weltuntergangsstimmung sowie Angst und Unsicherheit verbreiten und die AKP-Länder damit von einer aktiven Mitarbeit in den Verhandlungen abhalten, deren Abschluss bis Jahresende im ureigensten Interesse dieser Länder ist.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142 der Geschäftsordnung)
Richard Seeber (PPE-DE), schriftlich. – Ich möchte dem Herrn Berichterstatter recht herzlich für seinen Hinweis auf den großen Handlungsbedarf von Seiten der Europäischen Union bei der Aushandlung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen danken.
Zunächst sollten wir uns vor Augen halten, dass wir für eine effiziente Einbeziehung der AKP-Staaten in den Welthandel an einem gleichmäßigen Erfolg in allen regionalen Gruppen arbeiten müssen. Dies kann unter anderem durch Handelserleichterungen und technische Hilfe für die Produzenten geschehen, sodass diese ihre Verluste bei Zolleinnahmen ausgleichen können. Damit allein ist diesen Staaten jedoch noch nicht gedient. Sie benötigen vielmehr auch eine fachgerechte Anleitung, um aus dem erleichterten Marktzugang auch tatsächlich Vorteile ziehen zu können.
Darüber hinaus wäre es meiner Meinung nach essentiell, das zu Grunde liegende Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, um die vorhandenen Mittel effizienter nutzen zu können.
Ich denke, wir als Mitglieder des Europäischen Parlaments sollten uns der Tatsache bewusst sein, dass der Handel mit diesen Staaten auch von europäischem Interesse ist. Außerdem sind wir als Bürger entwickelter Staaten es den Bürgern der AKP-Staaten schuldig, für ihre Einbettung in den Welthandel alles in unserer Macht Stehende zu tun.
VORSITZ: GÉRARD ONESTA Vizepräsident
9. Abstimmungsstunde
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.
(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll)
9.1. Abkommen EG/Russland: Zusammenarbeit in der Fischerei und bei der Erhaltung der lebenden Meeresressourcen in der Ostsee (Abstimmung)
Johannes Voggenhuber (Verts/ALE). – Herr Präsident! Es geht um die Annahme eines Änderungsantrags des assoziierten Ausschusses ohne Abstimmung. Hier ist nach allgemeiner Auffassung klar, dass der Änderungsantrag eines assoziierten Ausschusses nur dann automatisch übernommen werden kann, wenn er in die ausschließliche Zuständigkeit dieses Ausschusses fällt. Das Wort „ausschließlich“ fehlt hier. Ich habe mich mit dem Berichterstatter darauf verständigt, den Begriff „exklusive Kompetenzen“ in diesem Satz zu ergänzen, damit das präzisiert wird.
Richard Corbett (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Als Berichterstatter kann ich den mündlichen Änderungsantrag akzeptieren.
(Der mündliche Änderungsantrag wird angenommen.)
9.5. Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik (Abstimmung)
Marie-Hélène Aubert (Verts/ALE), Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Mein Bericht über die ökologische/biologische Erzeugung und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen wird heute nun endgültig zur Abstimmung gestellt, nachdem er zunächst an den Ausschuss zurück verwiesen und dann ein Dringlichkeitsantrag des Rates gestellt worden war, der im Übrigen vorigen Monat einstimmig durch unser Parlament abgelehnt wurde. Leider gelang es auch nach neuen Beratungen mit dem Rat während dieser zwei Monate nicht, in wichtigen Punkten weiter voranzukommen. Vor allem akzeptieren weder die Kommission noch der Rat die von uns geforderte doppelte Rechtsgrundlage. Der Rat blieb bei seiner Entscheidung, aus GVO hergestellte Zusatzstoffe und Tierarzneimittel per Ausnahmeregelung zu genehmigen. Ebenso könnten bestimmte chemische Substanzen per Ausnahmeregelung zugelassen werden.
Da hier keine Mitentscheidung vorgesehen ist, sind wir gezwungen, uns damit abzufinden. Wir bedauern jedoch die starre und unnachgiebige Haltung des Rates in den letzten Jahren, trotz des guten Willens einiger Mitgliedstaaten. Ebenso bedauere ich, dass die Mehrzahl der Fraktionen es gestern abgelehnt hat, die Abstimmung auf Juni zu verschieben, zumal der Rat selbst seine Tagung zum ökologischen Landbau vertagt hatte. Ich bedauere, dass die Mehrzahl der Fraktionen die uns zur Verfügung stehenden Druckmittel nicht voll ausschöpfen wollte. Dessen ungeachtet hat der Rat jedoch in seinem Kompromiss einige unserer Änderungsvorschläge aufgegriffen, und die regelmäßige Konsultation aller betroffenen Akteure ist Teil der generellen Vereinbarung.
Ich bitte Sie also, diesen Bericht nunmehr anzunehmen. Sie können darauf rechnen, dass sowohl ich selbst als auch meine Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung entschlossen sind, dieses Dossier in den nächsten Monaten aufmerksam zu verfolgen.
(Beifall)
Der Präsident. – Herr Graefe zu Baringdorf, Sie haben um das Wort gebeten. Gestatten Sie die Frage, in welcher Eigenschaft und auf der Grundlage welchen Artikels Sie sprechen möchten.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Verts/ALE). – Herr Präsident! Erlauben Sie mir als Berichterstatter des Pendant-Berichts, in dem es um den biologischen Landbau geht, in der Frage der Außenbeziehungen folgende Bemerkung zu machen. Wir stimmen heute über einen guten Bericht ab, der ganz deutlich macht, dass die ...
(Tumult)
Der Präsident. – Es tut mir wirklich leid, Herr Graefe zu Baringdorf, Sie haben die Reaktion unsere Kolleginnen und Kollegen vernommen. Ich glaube, alle haben verstanden, dass Sie den Bericht für gut halten, aber ich kann nicht allen Berichterstattern bzw. ehemaligen Berichterstattern das Wort erteilen, wie Sie verstehen werden.
9.7. Partnerschaftliches Fischereiabkommen EG/Dänemark und Grönland (Abstimmung)
Jo Leinen (PSE), Berichterstatter. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mitentscheidungsverfahren ist das wichtigste Instrument dieses Hauses, und das neue Abkommen mit Rat und Kommission macht das Verfahren erheblich transparenter und effizienter. In etlichen Einzelheiten kommen wir auf gleiche Augenhöhe mit dem Ministerrat.
Ich will an dieser Stelle den Kollegen Dagmar Roth-Behrendt, Alejo Vidal-Quadras und Antonios Trakatellis herzlich danken, die über ein Jahr lang mit Rat und Kommission verhandelt haben, sowie auch Joseph Daul der das Ganze beaufsichtigt hat. Durch dieses neue Abkommen sind wir also in Sache Mitentscheidungsverfahren ein gutes Stück weitergekommen.
9.10. Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 (Abstimmung)
Ignasi Guardans Cambó (ALDE). – (FR) Herr Präsident, ich unterbreite einen mündlichen Änderungsvorschlag, der darauf abzielt, den Begriff „die Entwicklungsländer“ durch „die ärmsten Länder“ zu ersetzen.
(Der mündliche Änderungsantrag wird nicht angenommen.)
– Vor der Abstimmung über Änderungsantrag 52:
Ignasi Guardans Cambó (ALDE). – (FR) Zweiter Versuch. Diesmal gehe ich vollkommen konform mit dem Geist des Änderungsantrags. Es geht darum, die Kommission aufzufordern, den Inhalt des Änderungsantrags zu berücksichtigen, d. h. sein Wesen. Das bedeutet, die Formulierung:
(EN) ... „nicht versuchen sollte, … aufzunehmen“, wir sollten sagen, dass die EU „sorgfältig mit diesen Fragen umgehen sollte“.
(FR) Ich rate meinen Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratischen Fraktion und der Fraktion der Grünen, gut nachzudenken, bevor sie dagegen stimmen, sonst besteht die Gefahr, dass wir gegen den Änderungsantrag insgesamt stimmen.
(Der mündliche Änderungsantrag wird nicht angenommen.)
Der Präsident. – Die Abstimmungsstunde ist damit geschlossen.
10. Stimmerklärungen
Der Präsident. – Wir kommen nun zu den Erklärungen zur Abstimmung.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Wir haben für diese endgültige Vereinbarung gestimmt, da sie dem Parlament ermöglicht, eine Erhöhung von 40 Millionen Euro über den im Gemeinsamen Standpunkt des Rates vorgesehenen Betrag hinaus zu sichern. Der Haushalt für LIFE+ wurde jetzt auf etwa 1,894 Milliarden Euro festgelegt.
Ein Teil des LIFE+-Haushalts ist Projekten in den Bereichen Natur und biologische Vielfalt gewidmet. Das Parlament hat sichergestellt, dass mindestens 50 % der Haushaltsmittel von LIFE+ für die Finanzierung von Projektmaßnahmen zur Unterstützung der Erhaltung der Natur und der biologischen Vielfalt verwendet werden. In seinem Gemeinsamen Standpunkt hatte der Rat vorgeschlagen, 40 % des Gesamthaushalts für diese Projekte bereitzustellen.
Wie im Abschlussbericht erwähnt, verlas Herr Dimas auf der Sitzung des Vermittlungsausschusses eine Erklärung, in der es hieß, dass die Kommission vor der Überprüfung des Finanzrahmens eine Überprüfung der sowohl auf nationaler Ebene als auch auf der Ebene der EU zugesagten und geplanten Ausgaben für die Verwaltung der Natura-2000-Netze durchführen werde. Diese Überprüfung wird im Hinblick auf eine Anpassung der Gemeinschaftsinstrumente, vor allem von LIFE+, aber auch zur Sicherung eines hohen Kofinanzierungsgrades genutzt.
Abschließend kann gesagt werden, dass das Ergebnis weitaus zufrieden stellender ist als jedwede Vereinbarung aus einer früheren Phase des legislativen Verfahrens.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich begrüße das Ergebnis dieser Vermittlung, bei dem der Akzent auf dem zentralisierten Ansatz liegt, nach dem das Programm weiterhin von der Kommission verwaltet wird, um so den Mehrwert für Europa als Ganzes, gleiche Kriterien und die Exzellenz sicherzustellen und mit der Einrichtung von Verwaltungsgremien auf nationaler Ebene zugleich die Nebenkosten zu senken.
Ich möchte auch andere lobenswerte Aspekte wie die Aufstockung des Gesamthaushalts um 40 Millionen Euro und die Zuteilung von 15 % der Fonds für länderübergreifende Projekte hervorheben.
Deshalb stimme ich für das vom Vermittlungsausschuss gebilligte Gemeinsame Programm LIFE+.
Hubert Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident! Mit dem Programm Daphne III haben wir ein weiteres geeignetes Instrument gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung in die Hand bekommen. Es ist immerhin so, dass über 100 000 Frauen in der Europäischen Union Opfer von Menschenhandel und Gewalt sind. Daher ist es notwendig, ein solches Programm entsprechend auszugestalten.
Ich begrüße es sehr, dass die Haushaltsmittel von 50 Millionen auf über 114 Millionen Euro aufgestockt wurden und wir damit in den Herkunftsländern Informationskampagnen durchführen können, in denen Frauen und Kinder angeworben werden, die dann in der Europäischen Union Opfer sexueller Gewalt werden.
Mit diesen Informationskampagnen haben wir präventive Möglichkeiten, die Frauen aufzuklären und Schutz vor Ausbeutung zu bieten. Wenn das noch mit Hilfe von Stellungsprogrammen für betroffene Frauen kombiniert wird, dann ist mit Daphne III ein ganz entscheidender Schritt zur Bekämpfung von Gewalt, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung gesetzt.
Andreas Mölzer (ITS). – Herr Präsident! Ich habe für den Bericht Gröner gestimmt, weil es zweifellos gelungen ist, im Kampf gegen Gewalt an Frauen Fortschritte zu erzielen, und das Programm Daphne dabei sicherlich eine Rolle gespielt hat.
Gewalt gegen Frauen ist aber in Kulturen stärker verbreitet, in denen das patriarchalische Machtprinzip noch stark verwurzelt ist und kaum Problembewusstsein besteht. Durch die Zuwanderungswellen der letzten Jahre haben auch bei uns an Frauen begangene Menschenrechtsverletzungen wie Genitalverstümmelungen, aber auch Zwangsheiraten, Einzug gehalten. Hier gilt es meines Erachtens, nicht nur ein Problembewusstsein zu schaffen oder Zwangsheirat in der EU unter Strafe zu stellen. Es dürfen auch keine Sondergerichtsurteile mit kultureller Begründung akzeptiert werden. Wenn inländische Täter bzw. solche aus dem abendländischen Kulturkreis bestraft werden, hat das gleiche Recht auch für Zuwanderer aus dem muslimischen Bereich zu gelten. Hier darf Justitia weder blind noch taub sein.
Bogusław Liberadzki (PSE), schriftlich. (PL) Ich stimme für die Annahme des Berichts von Frau Gröner über den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass eines Beschlusses des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung eines Programms zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen und zum Schutz von Opfern und gefährdeten Gruppen (Programm DAPHNE III) für den Zeitraum 2007-2013 als Teil des Rahmenprogramms „Grundrechte und Justiz“.
Das Programm DAPHNE wurde 1997 aufgestellt. Es diente der Finanzierung von über 350 Projekten zur Förderung von Nichtregierungsorganisationen, Institutionen und Verbänden, die sich für den Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen vor Gewalt einsetzen. Ich gebe der dritten Phase dieses Vorhabens, auf die sich der Bericht von Frau Gröner bezieht, meine volle Unterstützung
Die Hauptziele von DAPHNE III bestehen darin, die Umsetzung der Politik der Gemeinschaft im Hinblick auf öffentlichen Gesundheitsschutz, Gleichstellung der Geschlechter, Bekämpfung von häuslicher Gewalt, Schutz der Rechte von Kindern, Bekämpfung von Gewalt zwischen den Geschlechtern in Konfliktsituationen und die Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu unterstützen.
Diese ehrgeizigen Ziele für 2007-2013 sollen durch einen Haushalt in Höhe von 116 850 000 Euro gefördert werden. Im Vergleich zu den Budgets für DAPHNE I – 20 000 000 Euro – und DAPHNE II – 50 000 000 Euro – wird damit die Anerkennung der Bedeutung des Programms und seiner Leistungen belegt.
Der Bericht hebt auch zu Recht die Notwendigkeit hervor, das Programm für eine Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen zu öffnen, indem größere Transparenz, Verringerung von Bürokratie und Unterstützung für Antragsteller gewährleistet werden, die um eine Finanzierung nachsuchen.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich haben diese Änderungsanträge zu Daphne III, dem spezifischen Programm zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen, unterstützt. Ich freue mich, dass für die dritte Phase von Daphne (2007-2013) der Haushalt auf 116,85 Millionen Euro aufgestockt wurde. Außerdem freue ich mich über den geplanten Bürokratieabbau, so dass NRO leichteren Zugang zu dem Programm haben.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Ich unterstütze die Arbeit der Berichterstatterin zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ohne jede Einschränkung. Das Programm DAPHNE hilft uns, dieses Problem EU-weit in Angriff zu nehmen, und wir sollten all jene verurteilen, die diesen Bericht nicht befürworten.
Margie Sudre (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Die Verlängerung des Programms Daphne für den Zeitraum 2007-2013 demonstriert den Willen des Europäischen Parlaments, diesem im Jahr 2000 eingeleiteten Plan Kontinuität zu verleihen.
Die Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen stellt eine tragische soziale Erscheinung dar. Einige besonders gewaltanfällige Gruppen müssen besser geschützt werden, einschließlich vor häuslicher Gewalt und weiblichen Genitalverstümmelungen. Auf Réunion haben sich beispielsweise die Übergriffe gegen Frauen innerhalb von 20 Jahren verdoppelt; so war mehr als jede fünfte Frau in den letzten 12 Monaten mindestens einer Form von Gewalt im öffentlichen Raum ausgesetzt. Deshalb wünsche ich mir, dass die Europäische Kommission ein europäisches Jahr gegen diese Form von Gewalt ausruft.
Ich begrüße das Engagement der Kommission, die das entsprechende Budget auf fast 117 Millionen Euro aufgestockt hat, obwohl dieser Betrag unter der Forderung des Europäischen Parlaments liegt. Die Verdopplung der bereitgestellten Mittel beweist immerhin eine gewisse Ambition, was die Ziele betrifft.
Diese Anstrengungen sollten zu größerer Transparenz des Programms führen und der Zivilgesellschaft, der es an technischer Unterstützung bei der Erarbeitung von Projektvorschläge fehlt, den Zugang erleichtern, vor allem in den Regionen in äußerster Randlage. Ich wünsche mir, dass in Zukunft Überlegungen unter Leitung eines Sachverständigenrats durchgeführt werden.
Richard Corbett (PSE), schriftlich. (EN) Anstelle einiger der weitreichenderen Vorschläge, die uns unterbreitet wurden, schlug der Ausschuss für konstitutionelle Fragen eine bescheidene Revision von Artikel 47 vor (der danach lauten würde „Verfahren mit assoziierten Ausschüssen“). Diese bescheidene Änderung sieht vor, dass die Vorsitzenden und Berichterstatter der betreffenden Ausschüsse zusammenkommen und gemeinsam Teile des Textes bestimmen, die in ihre ausschließliche oder gemeinsame Zuständigkeit fallen. Der Vorsitzende des federführenden Ausschusses hätte bei der Entscheidung über die endgültige Verantwortung für verschiedene Teile des Textes einer solchen Vereinbarung Rechnung zu tragen. Die Bestimmung würde es den Parteien zudem ermöglichen, sofern sie dies wünschen, konkretere Bedingungen für ihre Zusammenarbeit zu vereinbaren und damit die Grundlagen für neue Möglichkeiten wie gemeinsame Arbeitsgruppen zu schaffen. Die Veränderung des Artikels würde außerdem gewährleisten, dass bei Vermittlungsverfahren assoziierte Ausschüsse in der Parlamentsdelegation vertreten sind.
Bruno Gollnisch (ITS), schriftlich. – (FR) Wir haben uns bei dem Bericht von Herrn Corbett und dem von Herrn Leinen über die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ausschüssen bzw. über die praktischen Modalitäten des Mitentscheidungsverfahrens der Stimme enthalten.
Zwar zielen diese Berichte, praktisch gesehen, darauf ab, die Arbeit dieses Parlaments im seinem institutionellen und rechtlichen Rahmen zu erleichtern. Aber sie sind symptomatisch für eine parlamentarische Praxis, wo letztlich fast alles in kleiner Runde durch interinstitutionelle oder interfraktionelle Kompromisse im Namen der Effizienz und der Rationalität im Voraus entschieden wird. Sie sind ebenfalls symptomatisch für ein Parlament, in dem die „großen“ Fraktionen, zumindest die, die als solche gelten, das Sagen haben und in dem die individuellen Rechte der Abgeordneten, wenn es um Gesetzgebung geht, auf ihren einfachsten Ausdruck reduziert sind oder gar nicht existieren.
Bei dem Versuch, seine Funktionsweise neu zu gestalten, wird dieses Parlament, das bereits an einem Mangel an nationaler und politischer Repräsentativität sowie einem Mangel an Bürgernähe leidet, endgültig den Charakter verlieren, der ihm eigen sein sollte: den Charakter eines durch die Völker und für die Völker gewählten Parlaments.
Andreas Mölzer (ITS). – Herr Präsident! Ich habe auch für den Bericht Laperrouze gestimmt, weil in Bezug auf das Wasser es natürlich besser ist, vorzusorgen als nachträglich teure Sanierungsmaßnahmen zu treffen. Als Österreicher und Bürger eines Landes mit sehr großen Wasserreserven glaube ich, dass wir für eine nachhaltige und umweltbewusste Wasserpolitik Intensivlandwirtschaft, die Probleme wie Überdüngung mit sich bringt, nicht länger finanziell unterstützen dürfen. Vielmehr ist jenen Landwirten unter die Arme zu greifen, die nach traditionellen Methoden anbauen. Aber auch bei der Beforstung können wir mitbestimmen, welche und wie viele Schadstoffe wie schnell ins Grundwasser gelangen, und überdies einen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten.
Edite Estrela (PSE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht Laperrouze (A6-0125/2007) über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG gestimmt, da meiner Meinung nach die EU auch weiterhin eine wesentliche Rolle beim Umweltschutz spielen muss und weil der vorliegende Vorschlag zum Ziel hat, die Umweltqualität im Einklang mit dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung zu fördern.
Dies sind dringend benötigte Folgemaßnahmen zu dem in der Wasser-Rahmenrichtlinie enthaltenen Vorschlag, die mithelfen sollen, der chemischen Verschmutzung von Gewässern, die aquatische Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringt, die biologische Vielfalt beeinträchtigt und die Menschen immer stärker Schadstoffen aussetzt, ein Ende zu bereiten.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Dieser neue Richtlinienvorschlag über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik kam im Ergebnis der im Jahr 2000 angenommenen Wasserrahmenrichtlinie zustande und legt die bis 2015 zu erreichenden Umweltqualitätsziele für Oberflächengewässer fest, ohne dass es eine formale Bewertung der in diesem Bereich vorhandenen Gesetzestexte oder gar einen integrierten Ansatz der Wasserpolitik gibt.
Es handelt sich demzufolge um ein Paket von Einzelmaßnahmen mit einigen begrüßenswerten Aspekten. Ich begrüße beispielsweise die Erwähnung der Tatsache, dass die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten, die Umweltbedingungen der einzelnen Regionen, die ausgewogene wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie das Verursacherprinzip berücksichtigt werden müssen. Das geschieht jedoch in einem Rahmen der Bekräftigung des Neoliberalismus, wobei die vorgeschlagenen Maßnahmen der „Wahrung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt“ untergeordnet werden.
Es werden auch vage Begriffe eingeführt wie die „besten verfügbaren Techniken“, die angewendet werden können, damit die Verwendung patentierter Technologien und Ausrüstungen obligatorisch wird. Das schafft Abhängigkeiten und kann dazu führen, dass die Beschäftigten angesichts der Preise für hochtechnische Ausrüstungen auch noch ihrer Produktionsmittel beraubt werden.
Auch wenn das Parlament einige Verbesserungen in den Text der Kommission aufgenommen hat, lehnte es die meisten Vorschläge unserer Fraktion ab. Deshalb haben wir uns bei der Endabstimmung der Stimme enthalten.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Bezeichnung „Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik“ entspricht eigentlich nicht dem Inhalt der Richtlinie, denn darin geht es im Wesentlichen um Schadstoffe in Oberflächengewässern und Sedimenten, die einzig und allein auf Pestizide zurückzuführen sind.
Nicht berücksichtigt werden andere Verschmutzungen wie Industrieabwässer, städtische Abwässer, Deponiesickerwasser, thermische Verschmutzung durch entsprechende Quellen, die Verschmutzung von Seen durch Luftschadstoffe, die von Müllverbrennungsanlagen stammen und durch das Wetter ins Wasser gelangen, usw. Die chemische Verschmutzung von Oberflächengewässern kann aquatische Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen und die biologische Vielfalt beeinträchtigen, und Schadstoffe können sich durch kontaminierte Fische in der Nahrungskette akkumulieren. Es besteht außerdem kein Zweifel daran, dass die Kommission darauf abzielt, die Landwirtschaft als den alleinigen Faktor für die chemische Verschmutzung von Oberflächengewässern verantwortlich zu machen. Außerdem bietet das Verursacherprinzip der Verschmutzung keinen Einhalt, sondern legalisiert rücksichtsloses Handeln von Industriebetrieben und anderen Monopolen.
Für die Kontrolle der Quellen von – sowohl gefährlichen als auch harmlosen – „prioritären Stoffen“, mit deren Höchstkonzentration sich der Richtlinienvorschlag befasst, werden keine konkreten Maßnahmen vorgeschlagen.
Dennoch wird durch den Bericht der begrenzte Geltungsbereich der Richtlinie erweitert, um einen wirksameren Gewässerschutz zu erreichen. Sowohl Inhalt als auch Ausrichtung sind allerdings noch weit von dem derzeitig erforderlichen Schutz des sozialen Rechts auf Wasser hoher Qualität entfernt, der umfassend und nicht nur teilweise oder fragmentarisch durchgesetzt werden muss.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Die Wasserqualität ist für unsere Umwelt von wesentlicher Bedeutung, und ich freue mich, dass es uns durch Maßnahmen auf europäischer Ebene gelungen ist, Verbesserungen zu erzielen. Meines Erachtens stellt der Vorschlag des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, die Wirksamkeit aller gemeinschaftlichen Rechtsakte zu prüfen, die sich direkt oder indirekt auf die Wasserqualität auswirken, einen Schritt in die richtige Richtung dar.
Agnes Schierhuber (PPE-DE). – Herr Präsident! Obwohl sich die Berichterstatterin, Marie-Hélène Aubert, sehr bemüht hat, einen guten Bericht vorzulegen, hat heute die ÖVP-Delegation hier im Europäischen Parlament gegen diesen Bericht gestimmt, weil wir nach wie vor in diesem Bericht vieles vorfinden, das uns große Probleme bereitet. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass in der biologischen Landwirtschaft der Grenzwert für GVO 0,0 % betragen muss, und wir sind auch der Meinung, dass Importe aus Drittstaaten die gleichen Kriterien zu erfüllen haben wie Produkte aus EU-Ländern und daher kontrolliert werden müssen.
Ebenso dürfen diese Labels, die wir in der EU haben, nicht für Produkte, die nicht aus der EU stammen, verwendet werden, damit es zu keiner Irreführung der Konsumenten kommt und die Rückverfolgbarkeit möglich ist.
Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Antrag gestimmt, den Bericht Aubert über die ökologische Erzeugung und Kennzeichnung von ökologischen Erzeugnissen an den Landwirtschaftsausschuss rückzuverweisen.
Ich erachte es als notwendig, dass der Schwellenwert für die akzidentelle Kontaminierung mit GVO nicht identisch mit dem bei der konventionellen Landwirtschaft, d. h. von etwa 0,9 %, sein darf, denn dies wäre de facto das Eingeständnis, dass weder die Kontaminierung verhindert noch garantiert werden kann, dass selbst ein als „biologisch/ökologisch“ gekennzeichnetes Erzeugnis, frei von GVO ist.
Ich habe den diesbezüglichen Vorschlag der europäischen Sozialdemokraten unterstützt, dass das Vorhandensein von GVO in biologischen/ökologischen Produkten ausschließlich auf unvorhersehbare und technisch unvermeidliche Anteile beschränkt werden muss, d. h. auf maximal 0,1 %, und dass die Bezeichnung „biologisch/ökologisch“ nicht für Erzeugnisse verwendet werden darf, deren akzidentelle Kontaminierung durch GVO über einem feststellbaren Schwellenwert von 0,1 % liegt.
Des Weiteren unterstütze ich die Forderung nach einer Veränderung der Rechtsgrundlage in dieser Frage des ökologischen Landbaus. Das Europäische Parlament muss in diesem Bereich von einem beratenden zu einem mitentscheidenden Organ werden, was einen deutlichen Fortschritt darstellen würde.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Angesichts dessen, was in der Zwischenzeit während des gesamten Prozesses geschehen ist, haben wir uns bei dieser abschließenden Abstimmung der Stimme enthalten. Zum einen stimmen wir nicht mit der Position der Kommission überein. Sie hat eine Regelung vorgeschlagen, der zufolge unter anderen negativen Aspekten, die wir ablehnen, ökologische/biologische Erzeugnisse bis zu 0,9 % genetisch veränderter Organismen (GVO) enthalten dürfen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass dies inakzeptabel ist, vor allem, wenn es um die biologische Landwirtschaft geht. Wenn die im Bericht vorgeschlagenen 0,9 % an Kontamination mit GMO toleriert würden, hieße dass, wir akzeptieren die Kontamination biologischer Erzeugnisse. Das würde unbestreitbare Folgen für die Verbraucher nach sich ziehen und stellt eine ernsthafte und nicht hinnehmbare Bedrohung für das Überleben des Sektors der biologischen Erzeugung dar.
Die Verbraucher wählen biologische Erzeugnisse, da sie nachhaltiger produziert werden, ohne Rückgriff auf Pestizide, und weil sie völlig frei von genetisch veränderten Organismen sind. Ihre Einführung – selbst in kleinsten Mengen – zu akzeptieren, hieße die Verbraucher hinters Licht zu führen und hätte gravierende Folgen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit im Allgemeinen.
Da es jedoch andererseits möglich war, den Vorschlag der Kommission in der Plenarsitzung zu verbessern – auch wenn der Rat noch keine positive Antwort gegeben und der Änderung der Rechtsgrundlage noch nicht zugestimmt hat –, haben wir uns bei der Endabstimmung der Stimme enthalten und hoffen, dass weitere Zugeständnisse in Bezug auf die Vorschläge zur Verbesserung der ursprünglichen Position möglich sind.
Glyn Ford (PSE), schriftlich. (EN) Ich werde für Frau Auberts Bericht über die ökologische Erzeugung und Kennzeichnung von ökologischen Erzeugnissen stimmen. Meines Erachtens haben die Verbraucher ein Recht auf die eindeutige Kennzeichnung von Produkten, die sie zu kaufen beabsichtigen. Dennoch müssen Kennzeichnungsvorschriften die Realitäten des Alltags widerspiegeln. Wir können keine Anforderungen stellen, die uns daran hindern, sinnvoll und im Einklang mit den besten uns zum gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden praktischen Möglichkeiten zu agieren. Andernfalls würden wir dazu beitragen, das Angebot an Produkten, die viele Verbraucher kaufen möchten, einzuschränken.
Ambroise Guellec (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Die biologische Erzeugung macht heute 1,4 % der Agrarproduktion der 25 Mitgliedstaaten und 3,6 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche (in der Bretagne 1,8 %) aus. Die Nachfrage der Verbraucher steigt weiter, und das Auftreten solcher Erzeugnisse auf den Markt unter verschiedenen Labels, die teilweise auch aus Drittländern stammen, bringt neue Probleme hinsichtlich der Kontrolle, der Zertifizierung und der Kennzeichnung mit sich. Zudem sind die Fördermittel und die Standards in diesem Bereich von Land zu Land sehr unterschiedlich, was für die am wenigsten geförderten ökologischen Erzeuger Wettbewerbsverzerrungen mit sich bringt.
Ich begrüße daher die Annahme der an den Rat gerichteten Stellungnahme des Europäischen Parlaments durch das Plenum, in dem dieses die rasche Verabschiedung der Verordnung über die ökologische Landwirtschaft fordert. Diese neue Verordnung soll es ermöglichen, den gemeinschaftlichen Rahmen für die ökologische Nahrungsmittelerzeugung von 1991 zu präzisieren. Das Parlament fordert eine Verstärkung der nationalen Inspektionssysteme, um eine Rückverfolgung der Erzeugnisse in allen Produktionsstadien zu ermöglichen. Auch wenn die Verwendung des europäischen Logos (für Nahrungsmittel mit 95 % Biobestandteilen) und der Bezeichnung „EU-ökologisch/biologisch“ obligatorisch ist, muss die Hinzufügung weiterer privater Logos möglich bleiben. Schließlich muss die Verwendung von GVO in der ökologischen Erzeugung verboten werden.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die viel gepriesene Modernisierung der landwirtschaftlichen Produktion und die Verbesserung von Agrarprodukten durch ökologische Erzeugung laufen Gefahr, zu einem ungeheuren Betrug auf Kosten der Erzeuger und Verbraucher zu werden.
Die wenigen multinationalen Konzerne, die versuchen, die Nahrungskette weltweit durch gentechnisch veränderte Organismen zu kontrollieren, um ihre Profite zu sichern, haben sich durchgesetzt, und alle Parteien in der EU, PASOK und Neue Demokratie eingeschlossen, sind mitverantwortlich.
Der zulässige Gehalt an GVO und die Zugabe von Ergänzungsmitteln (Vitaminen usw.) aus GVO zu ökologischen Lebensmitteln sind die Hintertür, durch die gentechnisch veränderte Organismen in Länder und Gebiete gelangen, die sich deren Einsatz widersetzen, weil sie sie als gefährlich einstufen.
Die Festlegung einer Höchstgrenze für den zulässigen Gehalt an gentechnisch veränderten Organismen in ökologischen Erzeugnissen – so niedrig sie heute auch sein mag – bedeutet, dass sie ohne Kontrolle erhöht werden kann, da nicht einmal dem Europäischen Parlament das Mitentscheidungsrecht zugestanden wurde. Diese Grenze wird nunmehr von den multinationalen Konzernen festgelegt, die vor einer Verschmutzung der natürlichen Umwelt nicht Halt machen, zu der das zulässige Nebeneinander von herkömmlichen, gentechnisch veränderten und ökologischen Kulturen führen wird, so viele Schutzmaßnahmen auch getroffen werden mögen.
Somit werden die Ökobauern zusehen müssen, wie ihre Erzeugnisse abgewertet werden, während die Verbraucher, die „ökologische“ Erzeugnisse mit GVO kaufen, hinters Licht geführt werden.
Leider wurden unsere Vorschläge, gentechnisch veränderte Organismen in ökologischen Lebensmitteln zu verbieten, nicht angenommen, doch der Kampf geht weiter mit den Arbeitnehmern, die sich für gesunde Kulturen und gesunde Lebensmitteln einsetzen.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Ich habe den Entschließungsantrag über ökologische Lebensmittel auf der Grundlage des im März veröffentlichten Berichts zur Einführung strengerer Vorschriften für ökologische Lebensmittel unterstützt. Meines Erachtens kann das zur Verbesserung des Verbraucherschutzes beitragen.
Carl Schlyter (Verts/ALE), schriftlich. – (SV) Ich stimme für den Bericht, da er im Unterschied zum Vorschlag der Kommission die Möglichkeit einer nationalen Kennzeichnung beibehält, aber ich bedauere, dass er trotz allem eine EU-Kennzeichnung als vorherrschende Form der Kennzeichnung empfiehlt.
Kathy Sinnott (IND/DEM), schriftlich. (EN) Ich habe für den Bericht über die Kennzeichnung von ökologischen Erzeugnissen gestimmt, weil er nach wie vor eine einzelstaatliche Kennzeichnung ermöglicht. Das bedeutet, dass, obwohl das vorgeschlagene EU-Kennzeichen ökologische Erzeugnisse in abgeschwächter Form anerkennt, und zwar vor allem in Bezug auf den GVO-Anteil, die nationale Kennzeichnung nach wie vor auf die Abwesenheit von GVO in ökologischen Erzeugnissen verweisen kann, die auf dem Markt des jeweiligen EU-Staats angeboten werden.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Herr Präsident! Mit großer Freude unterstütze heute ich das Anliegen des Berichts meiner Fraktionskollegin, dass die ökologische Produktion und Kennzeichnung einen äußerst wichtigen Bereich der EU-Produktion darstellen, der geschützt werden sollte. Angesichts des immer größer werdenden Marktes für ökologische Nahrungsmittel müssen die Verbraucher die Möglichkeit haben, sich auf Definitionen in Bezug darauf, was ökologischer Natur ist und was nicht, zu verlassen. Wir haben in Schottland einen florierenden Sektor für ökologische Erzeugnisse, an dessen weiterer gedeihlicher Entwicklung ich sehr interessiert bin. Ein stabiles System der Kennzeichnung und Definitionen wird dies unterstützen.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. (PT) Die Europäische Union und Grönland unterhalten seit langem Fischereibeziehungen, und das Rahmenabkommen aus dem Jahr 1985 lief am 31. Dezember 2006 aus.
Das seit dem 1. Januar 2007 für einen Zeitraum von sechs Jahren laufende Protokoll legt die Fangmöglichkeiten für die Gemeinschaftsschiffe und die finanzielle Gegenleistung sowie die Fangkategorien und -bedingungen der Gemeinschaftsflotte in der grönländischen AWZ fest.
Hauptziel des neuen Abkommens ist es, die Fischereiverbindungen zwischen der Gemeinschaft und der Autonomen Regierung Grönlands durch die Festlegung eines Partnerschafts- und Dialograhmens zur Verbesserung der nachhaltigen Fischereipolitik und zur vernünftigen Nutzung der Fischereiressourcen in den grönländischen Fischereizonen im Interesse beider Seiten aufrechtzuerhalten und zu verstärken.
Portugal hat ein besonderes Interesse im Fischereisektor und ist deshalb für den Abschluss dieses neuen Abkommens.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Trotz unseres Votums für den uns vorliegenden Bericht – der den zur Bewertung vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung billigt – hegen wir Bedenken in Bezug auf Artikel 3 Absatz 2 des Vorschlags für eine Verordnung, durch den die Kommission Lizenzanträge jedes Mitgliedstaates berücksichtigen kann, wenn die von dem vorliegenden Abkommen erfassten Mitgliedstaaten die ihnen zustehenden Fischereirechte nicht ausschöpfen.
Unserer Meinung nach sollte die Kommission bei Unterausnutzung der einem Mitgliedstaat im Rahmen von Quoten und Lizenzen zugebilligten Fangmöglichkeiten die betreffenden Mitgliedstaaten über die beste Art und Weise der optimalen Nutzung dieser Fangmöglichkeiten einschließlich der Möglichkeiten, die nicht genutzten Fangmöglichkeiten auf andere Mitgliedstaaten zu übertragen, unterrichten.
Unserer Auffassung nach sollte diese Möglichkeit jedoch nicht den Grundsatz der relativen Stabilität in Frage stellen. Das heißt, die Nutzung dieser Möglichkeit sollte keine Auswirkungen auf zukünftige Zuteilungen von Fangmöglichkeiten der Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Partnerschaften haben.
In diesem Sinne haben wir den Änderungsvorschlag, der diesen Punkt klarstellt, unterstützt.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Da Änderungsantrag 7 nicht angenommen wurde, hat die Labour Party im Europäischen Parlament keine andere Wahl, als gegen den Bericht zu stimmen. Dieser Bericht könnte die historischen Fischereirechte der schottischen Flotte gefährden und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für künftige Fischereiabkommen.
Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. (PL) Ich spreche mich für die Annahme des Berichts über die praktischen Modalitäten des Mitentscheidungsverfahrens aus und möchte zunächst dem Berichterstatter, Herrn Leinen, für den sehr gut erarbeiteten Bericht danken.
Es sollte alles getan werden, um zu gewährleisten, dass die Europäische Union so effizient wie möglich funktioniert und um das System der interinstitutionellen Zusammenarbeit zu vereinfachen. Unser Ziel muss sein, die Entscheidungsfindung und den Prozess der europäischen Gesetzgebung durch die drei Institutionen, nämlich durch Kommission, Rat und Europäisches Parlament, so transparent wie möglich für die Bürgerinnen und Bürger Europas zu gestalten.
Das Mitentscheidungsverfahren ist ein wichtiges Element im Gesetzgebungssystem der Europäischen Union. Es sorgt dafür, dass neue EU-Gesetzgebung auf demokratischere Weise angenommen wird. Die im Bericht enthaltenen Vorschläge zur Verbesserung dieses Verfahrens sind geeignet und sollten helfen, das Funktionieren dieses Systems der Entscheidungsfindung zu vereinfachen.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Die Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 muss prinzipiell unterstützt werden. Daher sind entsprechende Maßnahmen notwendig. Wir wissen, dass Arten und Ökosysteme Platz brauchen, um sich zu entwickeln und zu erholen. Die Erhaltung der Ökosystemleistungen sollte deshalb ein Grundziel aller horizontalen und sektoralen Maßnahmen der EU werden. Gesunde Ökosysteme spielen eine entscheidende Rolle für Wohlstand und Aufschwung in der Europäischen Union und weltweit. Wenn die Natur auch weiterhin bei der städtischen und ländlichen Entwicklung ignoriert wird, dann werden eines Tages Zement und Verschmutzung unsere Landschaft dominieren.
Da die biologische Vielfalt ein Grundstein der nachhaltigen Entwicklung ist, muss die Sorge um die biologische Vielfalt in alle Bereiche der politischen Diskussion Eingang finden.
Ungeachtet der Widersprüche in den Gemeinschaftspolitiken müssen die Mitgliedstaaten alle sich bietenden Möglichkeiten im Rahmen der GAP, der GFP, des Kohäsions- und der Strukturfonds sowie des Programms Life+ und des Siebten Rahmenprogramms nutzen, um die Ziele im Bereich der biologischen Vielfalt zu unterstützen. Darüber hinaus muss bei der Überprüfung des Haushaltsplans 2008-09 stärker auf den Finanzbedarf geachtet und bei dieser Gelegenheit auch beurteilt werden, ob die Mittel, die für die Finanzierung der biologischen Vielfalt, insbesondere für Natura 2000, bereitgestellt werden sollen, überhaupt ausreichend und verfügbar sind.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht Adamou gestimmt, da der Verlust der biologischen Vielfalt meiner Meinung nach ernste Auswirkungen auf die Zukunft der EU haben wird. Außerdem wird der uns vorliegende Aktionsplan nachweislich ein Grundwerkzeug sein, um die notwendigen Maßnahmen umzusetzen, damit dieses Phänomen bis 2010 gestoppt werden kann, auch wenn ich glaube, dass es sicher sehr schwierig sein dürfte, diesen Zeitplan einzuhalten.
Ich bin auch der Meinung, dass der Klimawandels solche Folgen haben wird, dass die Ökosystemleistungen und die spezifische Rolle, die der GAP und der GFP zukommt, wegen ihrer Bedeutung für die Erfüllung der Zielvorgaben und bei der langfristigen Sicherstellung der biologischen Vielfalt berücksichtigt werden müssen.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Das Interesse der EU, den Verlust der biologischen Vielfalt einzudämmen, ist oberflächlich und scheinheilig, denn sie unternimmt nichts Wesentliches und stellt auch nicht die erforderlichen Mittel zur Verfügung.
Zur gleichen Zeit, da sie sich scheinbar für den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzt, ist die Förderung von GVO für sie eine vorrangige Angelegenheit. Im Bericht wird zu Recht auf die Gefahren verwiesen, die von genetisch veränderten Fischen ausgehen. Aber es wird in keiner Weise die große Gefahr erwähnt, die resistente, gentechnisch veränderte Pflanzen darstellen, die die biologische Vielfalt der Flora verringern und eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen.
Es liegt bereits eine Fülle von Daten zum massenhaften Verschwinden von Arten vor; die Verlustraten sind zurzeit 100 bis 1000 Mal so hoch wie unter natürlichen Bedingungen, und sie haben tragische Folgen für den Erhalt des Genflusses zwischen Populationen von Pflanzen und Tieren.
Als Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt werden der Klimawandel, die Umweltverschmutzung, intensive landwirtschaftliche Produktionsmethoden sowie eine falsche Bewirtschaftung der Waldbestände und der Wasserressourcen genannt. Allerdings sind diese das Ergebnis der maßlosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch die Monopole um des Profits willen. Sogar das Verursacherprinzip spricht den Verursacher frei, indem es die Verschlechterung der Umwelt legalisiert und zum Gegenstand von Gefeilsche macht – um des Profits des Kapitals willen.
Im Grunde geht die Verantwortung der Regierungen und der EU an die Bürger über, indem die Bildung verbessert wird und sie stärker für diese Fragen sensibilisiert werden. Die Bürger müssen erkennen, dass die umweltfeindliche Politik der EU und der Regierungen der Mitgliedstaaten verantwortlich ist, und müssen diese verurteilen und Veränderungen erzwingen.
Alyn Smith (Verts/ALE), schriftlich. (EN) Herr Präsident! Ich freue mich, dass dieser wichtige Bericht mit einer solchen Mehrheit angenommen wurde, denn der allmähliche Verlust der biologischen Vielfalt sollte uns allen zu denken geben. Gerade die mit der verstärkten Nutzung von Biokraftstoffen verbundenen Folgen sollten dabei im Vordergrund unserer Überlegungen stehen. Zwar wird niemand abstreiten, dass wir den Einsatz fossiler Brennstoffe reduzieren müssen, doch die Folgewirkungen eines groß angelegten Übergangs zur Erzeugung von (oftmals genmanipulierten) Biokraftstoffen in Monokultur könnte sich langfristig als noch schädlicher erweisen, und der vorliegende Bericht tut gut daran, uns nachdrücklich daran zu erinnern.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. (EN) Die Tatsache, dass 52 % aller Arten von Süßwasserfischen vom Aussterben bedroht sind, während Kabeljau- und andere Fischbestände Besorgnis erregend zurückgegangen sind, sollte uns wachrütteln. Ich teile die Ansicht des Berichterstatters, dass der Verlust der biologischen Vielfalt ebenso große Bedeutung hat wie der Klimawandel und dass sich die Mitgliedstaaten politisch stärker für den Erhalt der biologischen Vielfalt engagieren müssen. Ferner freut es mich, dass der Änderungsantrag, mit dem die Tiefsee-Grundschleppnetzfischerei und andere nicht nachhaltige Fischereipraktiken verurteilt werden, angenommen wurde.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarkts innerhalb unserer Gemeinschaft, eines sehr ausgedehnten Markts, der nach und nach größer worden ist, hat allen Beteiligten Vorteile gebracht. Der vorher angesprochenen Erweiterung gingen die Schaffung eines Binnenmarkts, die Einführung neuer Rechtsvorschriften und ein umfassender Anpassungsprozess voraus. Kurz gesagt, die Bedingungen wurden einander angenähert, um so einen echten Wettbewerb zu gewährleisten.
Marktöffnung ist eine Voraussetzung für Globalisierung. Damit dies allen zum Vorteil gereicht, muss der Marktöffnung jedoch ein Prozess vorausgehen, der nicht nur Verhandlungen, sondern auch Angleichung einschließlich Bildungs- und Informationsarbeit für interessierte soziale Gruppen umfasst. Die Schaffung eines globalen Marktes muss auf ähnlichen Prinzipien gegründet sein wie denen, die wir bei der Entstehung des europäischen Marktes übernommen haben. Das war eine gute Erfahrung. Die Festlegung von Standards und Bedingungen, die von den interessierten Seiten einzuhalten sind, ist besonders wichtig. Dazu zählen Umweltstandards, Bedingungen hinsichtlich Beschäftigung und Vergütung und die Grundsätze der Innovation. Eine so genannte Roadmap sollte für diesen Prozess aufgestellt werden, in der die verschiedenen Phasen fixiert sind und Entwicklung berücksichtigt wird. Ein umfassendes Monitoring durch die interessierten Seiten sollte ebenfalls vorgesehen werden.
Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Dieser Bericht verpflichtet die Europäische Union und ihre Handelspartner entgegen den Grundlagen der europäischen Handelspolitik auf den Weg eines schrankenlosen Liberalismus.
Zu meinem Bedauern rücken die Europaparlamentarier von dem ab, was sie bislang verteidigt haben: eine Handelspolitik, die darin bestand, die Handelsabkommen sozialen und ökologischen Erfordernissen unterzuordnen und die Souveränität der Entwicklungsländer bei der Verwaltung der für die Entwicklung lebenswichtigen Sektoren (öffentliche Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Auftragswesen und Wettbewerbsregeln) zu respektieren. Mit diesem Votum wurde diese Politik durch eine auf weitgehende Liberalisierung der Dienstleistungen und der Investitionen in den Entwicklungsländern abzielenden Strategie abgelöst, die den Erwartungen der europäischen Industrie entspricht und den wirtschaftlichen Entwicklungserfordernissen zuwiderläuft. Das Freihandelsprinzip ist kein Selbstzweck, sondern muss ein Instrument im Dienste der Entwicklung sein.
Ich bedaure, dass die Themen von Singapur, die aus den multilateralen Verhandlungen von Doha ausgeklammert worden waren, durch die Europaabgeordneten in diesen Bericht wieder als Prioritäten bei künftigen bilateralen Verhandlungen eingeführt wurden.
Edite Estrela (PSE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht Caspary gestimmt, da ich der Meinung bin – auch wenn der Bericht nicht vollkommen ist –, dass die meisten Ziele der Sozialdemokraten erreicht wurden, von denen folgende nennenswert sind: Vorrangstellung des Multilateralismus und Abschluss der Doha-Runde, Sonderbehandlung von Ländern mit Entwicklungsproblemen, gegenseitige Anerkennung von Vorschriften, Einhaltung sozialer und umweltpolitischer Mindestnormen, Kampf gegen das derzeitige Dumping, Schutz der Urheberrechte, Annahme von Verhaltenskodizes und bewährter Methoden durch europäische Unternehmen und verstärkte Einbeziehung des Europäischen Parlaments.
Ich begrüße die aktive und konstruktive Rolle der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament in den bilateralen Verhandlungen mit aufstrebenden Volkswirtschaften wie Korea, Indien, China und Russland, bei denen eine umfassende und ausgewogene Gegenseitigkeit gefordert ist. Gleichzeitig muss die Unterstützung der weniger entwickelten Länder, einschließlich der Schaffung von Bedingungen für ihre positive Einbeziehung in den Welthandel, dringend forciert werden.
Meiner Ansicht nach werden diese Fragen im endgültigen Text hinreichend behandelt, und in ihm wird auch der dringend notwendige Widerstand gegen die einseitige Überprüfung der handelspolitischen Schutzinstrumente geleistet.
Elisa Ferreira (PSE), schriftlich. (PT) Ich habe für den Bericht Caspary gestimmt, da ich der Meinung bin – auch wenn der Bericht nicht vollkommen ist –, dass die meisten Ziele der Sozialdemokraten erreicht wurden, von denen folgende nennenswert sind: Vorrangstellung des Multilateralismus und Abschluss der Doha-Runde, Sonderbehandlung von Ländern mit Entwicklungsproblemen, gegenseitige Anerkennung von Vorschriften, Einhaltung sozialer und umweltpolitischer Mindestnormen, Kampf gegen das derzeitige Dumping, Schutz der Rechte am geistigen Eigentum, Annahme von Verhaltenskodizes und bewährter Methoden durch europäische Unternehmen und verstärkte Einbeziehung des Europäischen Parlaments.
Als Schattenberichterstatterin der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament begrüße ich die aktive und konstruktive Rolle unserer Fraktion in den bilateralen Verhandlungen mit aufstrebenden Volkswirtschaften wie Korea, Indien, China und Russland, bei denen eine umfassende und ausgewogene Gegenseitigkeit gefordert ist. Gleichzeitig muss die Unterstützung der weniger entwickelten Länder, einschließlich der Schaffung von Bedingungen für ihre positive Einbeziehung in den Welthandel, dringend forciert werden.
Meiner Ansicht nach werden diese Fragen im endgültigen Text hinreichend behandelt, und in ihm wird auch der dringend notwendige Widerstand gegen die einseitige Überprüfung der handelspolitischen Schutzinstrumente geleistet. Ich möchte auch die Tatsache betonen, dass der Berichterstatter und die Schattenberichterstatter sehr kompromissbereit waren.
Bruno Gollnisch (ITS), schriftlich. – (FR) Beim Lesen des neuen Berichts dieses Hauses über die Wohltaten der Globalisierung trotz der Zunahme unlauterer Praktiken zum Schaden europäischer Unternehmen, der Unternehmensverlagerungen oder der Arbeitslosigkeit musste ich an den neuen französischen Staatspräsidenten denken.
In seinen Wahlreden sprach er beim Thema Europa von notwendigem „Schutz“. Er wagte es sogar, das Wort „Gemeinschaftspräferenz“ in den Mund zu nehmen!
Ich weiß nicht, was Herr Sarkozy in den letzten fünf Jahren gemacht hat, aber er hat gewiss weder die Berichte dieses Parlaments noch die des Rates oder die Redebeiträge von Herrn Mandelson oder dessen Vorgänger gelesen. Darin ist nie von „Präferenz“ die Rede, außer zugunsten einer noch größeren Öffnung unserer Märkte. Darin ist niemals von Schutz die Rede, obgleich die Instrumente der EU zur Handelsverteidigung notorisch unzureichend sind und willkürlich gehandhabt werden. Darin wird einzig und allein von der Fortsetzung der Globalisierung und von Risikomanagement gesprochen. Aber die Europäische Union managt absolut gar nichts und schon gar nicht die Millionen Arbeitslosen, die danieder liegenden Industriesektoren und die Landwirtschaft, die ebenfalls kurz vor dem Ruin steht. In ihren Augen werden diese Verluste den akzeptablen Risiken zugerechnet.
Daher frage ich mich: Täuscht Herr Sarkozy bei diesen Themen sein Publikum, oder täuscht er sich selbst?
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. (PT) Freier Handel und globale Liberalisierung werden hier neben den „heiligen Kühen“ der Preisstabilität, des zunehmenden Wettbewerbs und der Steuersenkungen, die die Ausbeutung der Beschäftigten fördern, als trügerische Allheilmittel präsentiert.
Ich möchte auch hervorheben, dass der Bericht bekräftigt, dass bilaterale und regionale Freihandelsabkommen „keine ideale Option“ darstellen, die auch nur initiiert werden sollten, wenn sie „zur Verbesserung der Wettbewerbsposition der EU-Exporteure auf entscheidenden ausländischen Märkten“ erforderlich sind. Sie „sollten mit der WTO vereinbar, umfassend und anspruchsvoll sein“ und eine weit reichende Liberalisierung von Dienstleistungen und Investitionen sicherstellen, „die weit über die bestehenden multilateralen Verpflichtungen und die Verpflichtungen hinausgeht, die von einem erfolgreichen Abschluss der DDA erwartet werden“. Mit anderen Worten, da die Verhandlungen in der WTO blockiert sind, wird also die Aufgabe gestellt, wann und wo auch immer es möglich ist, den Handel zur Freude und zum Vorteil der großen Wirtschafts- und Finanzgruppen in der EU zu liberalisieren.
Der Bericht verschweigt die fatalen Auswirkungen der kapitalistischen Liberalisierung – mit ihren Strukturreformen, der Abschaffung der Zollgebühren oder der Durchsetzung der so genannten „Rechte am geistigen Eigentum“ – wie etwa die weltweit auffallenden wachsenden Ungleichheiten, die zunehmende Arbeitslosigkeit, die unsicheren Arbeitsverhältnisse und die Armut sowie die unheilvollen Folgen für die Umwelt und die biologische Vielfalt.
Deshalb stimmen wir gegen den Bericht.
David Martin (PSE), schriftlich. (EN) Obwohl dieser Bericht einige negative Elemente enthält wie die Aufforderung, die Überprüfung der handelspolitischen Schutzinstrumente aufzuschieben, sowie die vage Wortwahl in Bezug auf die Liberalisierung (was Möglichkeiten für die Verhandlung über bestimmte Aspekte der Liberalisierung eröffnet, die auf WTO-Ebene umstritten sind), bin ich insgesamt gesehen der Ansicht, dass der Bericht unsere Unterstützung verdient.
Die auf Ausschussebene getroffene Entscheidung zur Aufnahme von Abschnitten über die Notwendigkeit, Kernarbeits- und Umweltnormen in die Handelsabkommen der EU zu integrieren, sowie die zusätzlichen Verweise auf Entwicklungsfragen runden den Bericht weiter ab. Obwohl hinsichtlich der Entwicklungsfragen mehr möglich gewesen wäre, bin ich der Ansicht, dass bei der derzeitigen Erarbeitung von bilateralen Handelsabkommen die Zielländer (Südkorea, Indien und ASEAN – ausgehend davon, dass es im Rahmen der ASEAN spezielle und differenzierte Vorkehrungen zur Berücksichtigung von Entwicklungsländern geben wird) durchaus in der Lage sein werden, bei den Verhandlungen ihre Interessen zu verteidigen.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. (PT) In einer globalisierten Welt sind die im Bericht vorgebrachten Bedenken von größter Bedeutung. Auch wenn ich nicht mit einigen der zum Ausdruck gebrachten Ansichten übereinstimme, erkenne ich in dieser Auflistung der Probleme und möglichen Antworten einen Ansatz, der im Wesentlichen realistisch ist. Das ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Aspekte.
Die Diskussion über die externe Wettbewerbsfähigkeit der EU und über die EU und die globale Wirtschaft müssen auf Realismus beruhen. Es ist äußerst gefährlich, die Illusion zu nähren, dass es möglich sei, die Grenzen dichtzumachen, weltweit Regeln durchzupeitschen, die unseren gleichen, und die sozialen Auswirkungen des Wettbewerbs zu ignorieren.
Deshalb sollte die richtige Strategie meiner Meinung nach darin bestehen, größtmöglichen Nutzen aus dieser neuen Realität zu ziehen und ihre negativen Folgen möglichst gering zu halten. Das heißt, wir müssen sowohl in brandneue Dinge als auch in Althergebrachtes und in das investieren, was spezifisch und nicht übertragbar ist im Gegensatz zu dem, was die im europäischen Raum geschaffenen Lebensbedingungen so attraktiv und verlockend macht. Die verbreitete Vorstellung, die eurozentrische Welt (oder ganz einfach die Welt, in der Europa wirtschaftlich und strategisch wichtig ist) sei mit der Entstehung der globalen Wirtschaft untergegangen, ist keine unumstößliche Wahrheit, sie ist eine Meinung, der sich mit Tatsachen widersprechen lässt, und Tatsachen werden durch politischen Willen geschaffen.
José Albino Silva Peneda (PPE-DE), schriftlich. (PT) Ich unterstütze diesen Bericht sowie den Gedanken der Anpassung der Handelspolitik der EU an künftige Herausforderungen.
Durch die führende Stellung Europas auf dem Weltmarkt ist es uns möglich, Bedingungen für den Wandel zu schaffen, damit wir auf die Globalisierung reagieren können, ohne dabei unsere Interessen und unser Sozialmodell aufzugeben.
Zugleich muss die zunehmende Globalisierung durch bessere Nutzung der Schutzinstrumente zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken flankiert werden.
Ohne Protektionismus heraufbeschwören zu wollen, der die Folgen der Globalisierung nicht verringern würde, muss die Europäische Union unbedingt eine energische Position in Bezug auf die strikte Einhaltung ihrer internationalen Handelsabkommen einnehmen.
Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass sich unsere Wettbewerber staatlicher Ausfuhrbeihilfen und künstlicher Währungsabwertungen bedienen und die grundlegenden Umweltvorschriften verletzen. Ebenso wenig ist es hinnehmbar, dass diese Länder auch Kinder- und Zwangsarbeit dulden und die Rechte der Arbeitnehmer missachten.
Die Öffnung des internationalen Handels und der Marktzugang müssen global und gegenseitig sein. Darüber hinaus muss die Einbeziehung sozialer und umweltpolitischer Normen in unsere Handelsabkommen sichergestellt sein.
Wir müssen uns bewusst sein, dass das europäische Projekt auf Solidarität, Achtung der Menschenrechte und nachhaltiger Entwicklung beruht.
Thomas Wise (IND/DEM), schriftlich. (EN) Ich unterstütze die Forderung nach Ablehnung dieses Vorschlags, was auch die Überprüfung überflüssig macht.
11. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
(Die Sitzung wird um 12.50 Uhr unterbrochen und um 15.05 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: HANS-GERT PÖTTERING Präsident
12. Debatte über die Zukunft Europas unter Teilnahme des italienischen Premierministers, Mitglied des Europäischen Rates (Aussprache)
Der Präsident. Es ist mir eine große Freude, den Ministerpräsidenten der Italienischen Republik, Romano Prodi, heute hier im Europäischen Parlament begrüßen zu können, um mit uns gemeinsam über die Zukunft Europas zu sprechen.
Italien, das zu den Gründerstaaten gehört, war stets einer der Vorreiter des europäischen Integrationsprozesses, und auch in der gegenwärtigen Phase, da wir versuchen, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden, in der sich der europäische Integrationsprozess befindet – einen Ausweg, der für alle vertretbar ist –, spielt Italien eine entscheidende Rolle.
Ich möchte insbesondere dem Präsidenten der Italienischen Republik, Giorgio Napolitano, für die fruchtbare Zusammenarbeit danken, die wir etabliert haben, um die Reform der Verträge zum Erfolg zu führen. Der Parlamentspräsident weiß, dass er, wenn er spricht, nicht nur die Unterstützung des Parlaments, sondern auch die Italiens hat, und das macht ihn stärker.
Herr Ministerpräsident, lieber Romano Prodi! In der Hauptstadt Ihres Landes, in Rom, fand im März dieses Jahres eine Reihe von Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge statt. Mit großer Freude durften wir dabei auf 50 Jahre des Friedens, der Stabilität, des Wohlstands und des Fortschritts für unsere Bürgerinnen und Bürger zurückblicken. Jetzt ist aber auch die Zeit, gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Die Europäische Union steht heute vor großen Herausforderungen und muss zur Bewältigung dieser Herausforderungen den Willen für die notwendigen Schritte und Reformen aufbringen, um unseren Weg in eine sichere Zukunft zu begleiten.
Als ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission haben Sie, Romano Prodi, die Geschichte der Europäischen Union zu einem wichtigen Zeitpunkt mitgeprägt. Die von Ihnen geführte Kommission, vertreten im Konvent durch die Mitglieder der Kommission Vittorino und Barnier, hat an den Arbeiten zur Zukunft der Europäischen Union aktiv mitgewirkt und bis zur Regierungskonferenz die Geburt des Verfassungsvertrags begleitet. Zurzeit arbeitet die deutsche Ratspräsidentschaft intensiv an einer für alle zufrieden stellenden Lösung für jene Länder, die den Vertrag abgelehnt haben, aber auch für die 18 Mitgliedstaaten und damit bereits die Mehrheit der Bevölkerung der Europäischen Union, die den Vertrag schon ratifiziert haben. In diesem Prozess steht das Europäische Parlament inhaltlich uneingeschränkt zum Verfassungsvertrag, nicht zuletzt weil dieser das Ergebnis eines in langen Verhandlungen erzielten Kompromisses darstellt.
Wir sehen aber ein, dass wir alle engagiert arbeiten müssen, um eine Lösung zu finden. Wir unterstützen daher nachdrücklich die Bemühungen der deutschen Ratspräsidentschaft, insbesondere von Bundeskanzlerin Angela Merkel, für einen erneuerten Konsens zwischen allen 27 Mitgliedstaaten. Aber es wäre eine Missinterpretation des Willens der Bürgerinnen und Bürger, die bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht haben, liefe unsere Antwort auf eine Einschränkung der Demokratie, der Gestaltungsfähigkeit und der Transparenz der Europäischen Union hinaus. Das Europäische Parlament wird sich daher mit keinem Ergebnis zufrieden geben, das nicht im Interesse der Europäischen Union und ihrer Bürgerinnen und Bürger ist. Herr Ministerpräsident, mit gutem Willen – davon bin ich überzeugt – ist nicht nur ein Zugehen aufeinander, sondern auch ein Ergebnis möglich.
Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.
Romano Prodi, Ministerpräsident Italiens. – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir befinden uns an einem Scheideweg für die Zukunft Europas und der europäischen Integration, und mit diesem Bewusstsein und keineswegs frei von Emotionen spreche ich heute zu Ihnen. Für diese Gelegenheit bin ich dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hans Gert Pöttering, sehr dankbar.
Von jetzt an bis zu den Wahlen im Jahr 2009 legt Europa den Grundstein für seine Zukunft. In einem Monat wird der Europäische Rat die Einberufung einer Regierungskonferenz beschließen, an deren Ende wir in der Lage sein müssen zu sagen, dass wir den Verpflichtungen, die wir alle gemeinsam am 25. März dieses Jahres in Berlin übernommen haben, gewachsen sind.
Es geht um die Entscheidung darüber, was für Europa erforderlich ist – was für uns alle erforderlich ist –, um die globalen Herausforderungen bewältigen zu können. Das mutet wie eine abstrakte Fragestellung an, ist aber eine sehr konkrete. Inzwischen sollten wir begriffen haben, dass die Fähigkeit von uns Europäern, die globalisierte Welt zu interpretieren und ihre Chancen zu ergreifen, davon abhängt, inwieweit wir imstande sind, unsere gemeinsamen Organe handlungsfähig zu machen.
Lassen Sie mich von vornherein ganz offen sagen, dass ich mit denjenigen, die die notwendige Ergebnisorientiertheit und die notwendige Stärkung der europäischen Organe weiterhin als Gegensatz empfinden, nicht konform gehe. Gerade weil wir mehr Ergebnisse erzielen müssen, habe ich stets meine Hoffnungen auf stärkere und effizientere gemeinsame Organe gesetzt und für sie gekämpft.
Diesmal beginnen wir nicht bei Null. Anders gesagt, diesmal müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Im Oktober 2004 haben alle europäischen Länder einen Vertrag unterzeichnet und 18 Länder haben ihn bereits ratifiziert. In den letzten zwei Jahren haben wir vor allem die Argumente der Zögerlichen gehört. Jetzt ist es an der Zeit, diejenigen zu hören, die den Verfassungsvertrag von 2004 ratifiziert haben, die hart dafür gearbeitet haben, auch mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, diesen Weg fortzuführen.
Sie haben diesen Weg vor einigen Jahren in Laeken eingeleitet, ausgehend von einer grundlegenden und unumstößlichen Erkenntnis: dass Europa keine ehrgeizigen Ergebnisse erzielen können würde, wenn es nicht ebensolche ehrgeizigen Reformen durchführt.
Nun, ich bin überzeugt, dass diese Erkenntnis nach wie vor gültig ist. Deshalb müssen wir noch einmal beim Oktober 2004 neu beginnen, indem wir die Streitigkeiten und Reflexionspausen der letzten beiden Jahre ad acta legen und ernsthaft und verantwortungsbewusst über unsere Zukunft und die unserer Nachkommen nachdenken.
Es geht nicht nur darum, dass wir uns auf die neuen Regeln einigen, die wir brauchen. Es stehen andere, ebenso vorrangige Erfordernisse an, ohne die Europa nicht handlungsfähig sein wird. Das schließt einen Haushaltsplan, der diese Bezeichnung verdient, und wirksame Strategien im Hinblick auf die großen Herausforderungen mit ein, vor die uns die Moderne stellt: Energie, Klimawandel, Nord-Süd-Gefälle usw. Doch lassen Sie uns heute mit der dringlichsten Frage beginnen, die darin besteht, einen Ausweg aus der Verfassungskrise zu finden und die Organe zu reformieren.
Damit uns das gelingt, müssen wir einem Prinzip treu bleiben, das die Grundlage unserer Existenz als Europäische Union bildet, ein Prinzip, das so grundlegend ist, dass es die eigentliche Ethik unseres Zusammenlebens bestimmt.
Dieses Grundprinzip besteht darin, sich bei der weiteren europäischen Integration stets zu bemühen, die Argumente der anderen Seite zu verstehen und sich ihrer gewissermaßen anzunehmen. Wir selbst haben uns immer darum bemüht, und wir werden das auch weiterhin tun.
Wir erwarten jedoch auch von der anderen Seite das gleiche Verständnis. Wir erwarten, dass sie sich ebenfalls unserer Bestrebungen annehmen, die in diesem Fall, das wissen Sie alle nur zu gut, auf eine immer engere Union hinauslaufen.
Mit diesem Grundsatz im Hinterkopf werden wir alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um den deutschen und den portugiesischen Vorsitz dabei zu unterstützen, ein Höchstmaß unserer Einigungsbestrebungen zu bewahren und dabei die Argumente der anderen so weit wie möglich zu berücksichtigen.
Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich nun sagen, was wir uns meiner Ansicht nach bei der Juni-Tagung des Europäischen Rates und bei der anschließenden Regierungskonferenz keinesfalls erlauben dürfen.
Als Erstes müssen wir uns vor Augen halten, dass diesmal die Einhaltung der Zeitpläne direkt mit einer Frage der Demokratie verbunden ist. 2009 müssen die europäischen Wählerinnen und Wähler nämlich wissen, über was für ein Europa sie abstimmen sollen. Welche Rolle wird das Europäische Parlament haben? Welches werden seine Aufgaben sein? Wird es einen stabilen Ratsvorsitz geben, einen EU-Außenminister? Wie wird die Kommission gebildet werden? Und so weiter.
Deshalb muss der Regierungskonferenz ein präzises und selektives Mandat erteilt und müssen die wenigen signifikanten Verhandlungsschwerpunkte sowie vor allem die entsprechenden Lösungswege genau aufgezeigt werden. Nur so wird es uns gelingen, das Versprechen, bis 2009 neue Regeln festzulegen, zu halten.
Mit einem offenen Mandat würde es schwierig werden, die Regierungskonferenz bis Ende 2007 zu einem Abschluss zu bringen, und die Zeit, die für die Behandlung der neuen Vereinbarung auf nationaler Ebene erforderlich wäre, würde es nicht erlauben, das Verfahren Anfang 2009 abzuschließen. Die Krise wäre somit vorprogrammiert.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung. Eine Bemerkung, die mir spontan einfiel, als ich in den letzten Tagen den Verfassungsvertrag von 2004 noch einmal durchgelesen habe – ich möchte Sie alle dazu auffordern, ihn sich nun, da einige Zeit vergangen und mehr Sachlichkeit möglich ist, noch einmal anzusehen.
Der Text von 2004 ist gut, wirklich gut, und er hat eine weitreichende, europaweite Dimension. Insbesondere im ersten Teil vermittelt er klar und verständlich den Sinn und die Vision des großen gemeinsamen Projekts, das wir in Angriff genommen haben.
Wir sollten daher zweimal überlegen, bevor wir ihn zu den Akten legen und ganz oder teilweise den Weg zur Aufnahme neuer Elemente in die bestehenden Verträge einschlagen. Außerdem würden wir seinen ganzen Besitzstand an Einfachheit und Lesbarkeit über Bord werfen, was auf Kosten des Verständnisses der Bürger und somit ihrer Zustimmung zum Projekt Europa ginge.
Vor allem aber würden wir einen Text aufgeben, der einem kohärenten Europaverständnis entspricht, einen Text, der die Idealvorstellungen vieler von uns mit dem praktischen und von allen anerkannten Erfordernis zu verbinden weiß, unsere Union mit solideren Regeln und ausreichenden Mitteln auszustatten, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen.
Aufgrund des bisherigen Verhandlungsverlaufs glaube ich, dass wir den Text von 2004 wohl leider werden nachbessern müssen. Und trotzdem möchte ich Ihnen allen hier und heute meine Überzeugung kundtun, dass wir damit etwas sehr Bedeutsames aufgeben würden. Für diejenigen unter uns, die an das europäische Projekt glauben, wäre das ein enormes Opfer, ein sehr hoher Preis, den diejenigen zu bezahlen hätten, die den Vertrag bereits ratifiziert haben und dafür eine demokratische Investition unternommen haben. Das sollten wir uns gut vor Augen halten.
Deshalb können wir es nicht akzeptieren, dass das bestehende institutionelle Paket entstellt wird. Die Stärkung unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch die Ernennung eines EU-Außenministers, eine beständige Ratspräsidentschaft, die Ausweitung der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit, die Abschaffung der Drei-Pfeiler-Struktur und die Ausstattung der Union mit einer Rechtspersönlichkeit – das alles sind für uns wesentliche Elemente, die nicht verhandelbar sind.
Ich möchte an dieser Stelle warnen vor bestimmten Aufrufen zum „Realismus“, die typisch sind für die Zeit vor einem wichtigen Gipfel des Europäischen Rates und die zwangsläufig auf einen verwässerten Kompromiss abzielen. Ich möchte jedoch zu bedenken geben, dass, wenn die großen globalen Herausforderungen nur auf europäischer Ebene in Angriff genommen werden können, die einzig wahren Realisten wohl diejenigen sind, die ein Europa anstreben, das diesen Herausforderungen gewachsen ist, und nicht diejenigen, die kein solches Europa wollen.
Innenpolitisch möchte ich die Verteidigung des europäischen Sozialmodells und die Verwirklichung eines echten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erwähnen. Wie kann man denn übersehen, dass das eine unentbehrliche Ergänzung zu einer Unionsbürgerschaft ist, die nicht nur mit der wirtschaftlichen Dimension identifiziert wird?
Außenpolitisch denke ich an Kriege, an die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, an die globalen Herausforderungen der Energieversorgung und des Klimawandels (Wasserstoff). Wie kann man leugnen, dass der einzige Weg zur Durchsetzung unserer Entscheidungen und Wertvorstellungen auf der internationalen Bühne über die Fähigkeit führt, eine Außenpolitik zu verfolgen, die dieser Bezeichnung würdig ist, und sie der Welt mit einer Stimme zu vermitteln?
Was ferner die Struktur der Europäischen Union betrifft, so dürfen Sie nicht glauben, dass das nur eine theoretische Frage ist. Die Komplexität der Union ist einer der Hauptgründe für die Kluft, die zwischen ihr und der Bevölkerung besteht. Wie kann man dann die Vorteile einer Abschaffung der Pfeilerstruktur, vor allem im Hinblick auf die Klarheit und das Verständnis der Bürger, nicht erkennen?
Auf diese Fragen gibt der Verfassungsvertrag von 2004 überzeugende Antworten. Wollen wir ihn wirklich im Namen eines Minimalansatzes, einer Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, opfern? Wollen wir wirklich riskieren, das System noch komplizierter zu machen, indem wir auf tief greifende Veränderungen verzichten und uns mit einigen oberflächlichen Korrekturen begnügen? Wollen wir wirklich weiterhin „mit einer Maske vorm Gesicht“ voranschreiten, um eine Formulierung von Jacques Delors aufzugreifen, aus Angst, unseren Bürgern das wirkliche Europa zu zeigen?
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten und Vertreter der europäischen Bürger, sollten wir versuchen, die negative Rhetorik über Europa nicht zu unterstützen. Verstecken wir es nicht länger vor unseren Mitbürgern!
Zeigen wir ihnen stattdessen dieses Europa wie es ist, und zeigen wir es voller Stolz. Zeigen wir allen, was es uns an Frieden und Wohlstand gebracht hat; erklären wir, wie wichtig Europa für unser Leben ist. Erklären wir unseren Mitbürgern ein für allemal, dass es in einer Welt, die nunmehr ein System von Kontinenten ist, für einen Staat und seine Bürger keinen Sinn hat, außerhalb einer politischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft zu leben, die stark im Inneren und einflussreich nach außen ist.
Italien wird sich daher bei diesen Verhandlungen nachdrücklich dafür einsetzen, einen würdigen Kompromiss zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass uns das gelingen kann, dass uns das allen gemeinsam gelingen muss.
Wenn sich allerdings eine Einigung aller 27 Mitgliedstaaten als unmöglich erweisen sollte, würde sich die Frage stellen, wie denn weiter zu verfahren wäre. Dieses Dilemma kann nur überwunden werden, wenn wir uns auf jenes Grundprinzip besinnen, das ich eingangs erwähnte: Es ist die Ethik der Union schlechthin, die gebietet, dass niemand die Bestrebungen der anderen zu sehr und zu lange unterdrücken darf.
Deshalb ist Italien, ein Land, das immer fest an Europa geglaubt hat, der Auffassung, dass es heute eine Pflicht mehr zu erfüllen hat: es muss darüber nachdenken – oder anfangen darüber nachzudenken –, wie es Ländern, die das wünschen, ermöglicht werden kann, wirklich beim europäischen Einigungswerk voranzukommen.
Ich glaube, es müssen nicht unbedingt alle Länder mit der gleichen Geschwindigkeit voranschreiten. Ich wünschte, es wäre so, und dafür werde ich mich auch einsetzen. Doch ich stelle fest, dass das nicht immer möglich ist. Im Übrigen werden schon jetzt einige der wichtigsten politischen Entscheidungen Europas, wie die über den Euro und die Schaffung des Schengen-Raums, nur von einigen Mitgliedstaaten umgesetzt. Sie richten sich nicht gegen irgendwelche Staaten und sie schließen die anderen auch nicht aus; vielmehr wird die Tür offen gehalten. Darüber hinaus wurden diese Entscheidungen von jenen akzeptiert, die sich seinerzeit noch nicht bereit fühlten, sofort in eine bestimmte Richtung zu gehen.
Deshalb hoffe ich, dass derselbe konstruktive Ansatz auch in Zukunft vorherrschen und dass er die Oberhand über jede Versuchung gewinnen möge, vom Vetorecht Gebrauch zu machen.
Italien hat, wie Sie wissen, stets die Auffassung vertreten, dass eine proeuropäische Haltung einzunehmen die beste Art ist, Weitblick zu zeigen.
Doch heute bedeutet Weitblick zu haben nicht nur, ehrgeizige Szenarien für die Zukunft der europäischen Integration zu entwerfen. Es bedeutet auch, sich dem Problem zu stellen, wie es den Völkern, die das wünschen, ermöglicht werden kann, ihre Einigungsbestrebungen in dem Tempo und auf den Wegen zu verwirklichen, die für sie am günstigsten sind.
Wenn es nie jemand auf sich nimmt, auch eine solche Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, laufen wir Gefahr, das Projekt Europa zu begraben und die Ideale derjenigen, die über all die Jahre fest daran geglaubt haben, zu zerstören. Sogar Länder wie Italien, die 50 Jahre lang vorbehaltlos in das europäische Einigungswerk investiert haben, könnten am Ende ihren Tatendrang verlieren.
Ich möchte daher mit einer doppelten Botschaft schließen.
Italien wird dem deutschen und anschließend dem portugiesischen Vorsitz größtmögliche Unterstützung geben, damit die Tagung des Europäischen Rates am 21. und 22. Juni und die spätere Regierungskonferenz ein Erfolg werden, zu dem sich alle Mitgliedstaaten bekennen können.
Gleichzeitig ist sich Italien wohlbewusst, dass ein Kompromiss kein Selbstzweck ist. Wenn uns also ein solcher Kompromiss nicht überzeugt, werden wir ihn nicht unterstützen. In einem solchen Fall könnte eine Vorhut von Ländern die beste Methode sein, um auf dem Weg zu einer immer engeren Union voranzukommen, unter der Bedingung, dass die Tür immer offen bleibt für alle Länder, die zu einem späteren Zeitpunkt dazugehören wollen.
Lassen Sie mich zum Schluss einen eindringlichen Appell an die Mitglieder Ihres Parlaments, an die direkten Volksvertreter richten. Ich wende mich vor allem an die Mitglieder dieses Parlaments, die die europäische Bevölkerung vertreten. Sie spielen eine unersetzliche Rolle, wenn es darum geht, den Bürgern verständlich zu machen, was auf dem Spiel steht.
Nur wenn die Tätigkeit unserer Regierungen durch Ihre Arbeit unterstützt wird, werden wir die Voraussetzungen für einen Erfolg der Verfassungsverhandlungen schaffen können.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir nicht scheitern dürfen, denn das wäre der Untergang: der Untergang einer fortschrittlichen Vorstellung von Europa; einem Europa, das dank der Werte, auf die es gegründet ist, eine aktive Rolle in der Welt zu spielen vermag. Kurz und gut, wir würden Gefahr laufen, wieder zu einem kleinen westlichen Anhängsel Asiens zu werden, ein Schicksal, zu dem uns nicht nur die Geografie, sondern auch die künftige Geschichte verdammen würde. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Präsident. Herr Ministerpräsident Prodi, wir danken Ihnen herzlich für diesen überzeugenden europäischen Beitrag. Ich hoffe, dass alle ihn hören.
Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr amtierender Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin der Kommission, Herr Prodi, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben eine Beschleunigung des europäischen Einigungsprozesses, sei es die institutionelle Neubelebung, die von Angela Merkel angefachte neue Dynamik zum Klimawandel und zur Energiepolitik oder die Einführung einer gemeinsamen Zuwanderungspolitik. Europa kommt voran. Europa zeigt, dass es eine notwendige, effiziente, aber auch legitime Entscheidungsebene darstellt. Herr Prodi, Sie haben uns Ihre Vision, Ihr Konzept von den europäischen Angelegenheiten mitgeteilt. Lassen Sie mich in Ihrer Person das historische Engagement des italienischen Volkes für das Projekt der europäischen Integration, das nichts an Aktualität verloren hat, würdigen.
Nach einer langen Phase der Ungewissheit nimmt die institutionelle Neubelebung Gestalt an. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat dies zu Recht zu einer ihrer Prioritäten erhoben. Wenn Europa in der Lage ist, effizient und demokratisch zu entscheiden, so werden wir nutzbringend gemeinsame Politiken beschließen können. Zügig voranschreiten und Europa voranbringen, dazu hat der Kandidat der UMP, Nicolas Sarkozy, sich verpflichtet, und dieses Mandat hat das französische Volk dem neuen französischen Staatspräsidenten erteilt.
Diese Dynamik, die von einem Mitgliedstaat getragen wird, der den Vertragsentwurf abgelehnt hat, wird bereits von mehreren anderen EU-Mitgliedstaaten unterstützt und muss für das Vorankommen genutzt werden. Die Zeit der Fragen ist vorbei. Was wir jetzt brauchen, sind Aktion und Flexibilität. Nur vier Wochen trennen uns noch von der entscheidenden Tagung des Europäischen Rates am 21. und 22. Juni, die zu einer Erarbeitung eines neuen Vertrags bis Ende des Jahres führen muss. Dieser könnte von den 27 Mitgliedstaaten bis zu den Europawahlen im Jahr 2009 ratifiziert werden. Bei diesen Aktivitäten ist Flexibilität gefragt, denn es gilt, wie Sie feststellten, Brücken zwischen den 18 Ländern, die „Ja“ gesagt haben; den beiden, die „Nein“ gesagt haben, und denen, die sich noch nicht geäußert haben, zu bauen. Jedes Land muss sich bemühen, auf die anderen zuzugehen und gegenüber seiner Öffentlichkeit erzieherisch zu wirken. Voraussetzung für den Erfolg ist, dass wir aufhören, uns über semantische Fragen zu streiten, und uns auf das Wesentliche konzentrieren: die Abstimmung mit doppelter Mehrheit, die Ausweitung der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit, das Subsidiaritätsprinzip und die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Union und den Mitgliedstaaten, eine stabile Präsidentschaft, eine gemeinsame Vertretung auf der internationalen Bühne, aber auch die Charta der Grundrechte.
Aus der Sicht der Abgeordneten der PPE-DE-Fraktion kommt es darauf an, dass Europa eine politische Kraft darstellt und zu einem autonomen Akteur im Weltmaßstab wird. Europa braucht eine Identität auf wirtschaftlicher und kommerzieller Ebene, um zu garantieren, dass unsere Partner auf steuerlichem, ökologischem oder sozialem Gebiet die gleichen Regeln anwenden wie wir. Europa muss darüber wachen, dass es auch in seinem Innern keinen unlauteren Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten, besonders in Steuerfragen, gibt.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind auf dem richtigen Weg. Gefragt sind Verantwortungsgefühl und Achtung des Allgemeininteresses seitens der politischen Führer und der Öffentlichkeit. Bei aller Entschlossenheit hinsichtlich unserer Ideale und unserer Prinzipien werden wir diese nur durchsetzten können, wenn der Pragmatismus über den Dogmatismus siegt und wenn der gute Willen stärker ist als böser Wille und Gleichgültigkeit.
Herr Präsident, lassen Sie mich hier kurz auf den jüngsten EU-Russland-Gipfel in Samara verweisen. Viele Kommentatoren werteten ihn als eine Niederlage für Europa. Aus der Sicht meiner Fraktion ist Europa im Gegenteil als Gewinner aus diesem Gipfeltreffen hervorgegangen. Als Gewinner nicht gegen Russland, das wir als Partner respektieren, sondern in der Bekräftigung unserer Überzeugungen und Ideale. Wir sind zufrieden, denn zum Status des Kosovo, zur Energieproblematik, aber auch zur Frage der Souveränität Estlands haben unsere führenden Politiker die europäische Flagge gehisst und sich laut und vernehmlich geäußert.
Herr Prodi, ich möchte abschließend sagen, welche Bedeutung unsere Fraktion der Europa-Mittelmeer-Dimension beimisst. Im Mittelmeerraum wird sich der Erfolg oder die Niederlage unseres europäischen Wagnisses entscheiden. Nichts ist für uns Europäer von so großer strategischer Bedeutung wie die Investition in die Beziehungen zum Mittelmeerraum, der Einsatz für die Entwicklung einer Region mit einem so reichen menschlichen Potenzial, das Wirken für Frieden und Stabilität im Nahen Osten.
Der Präsident. Vielen Dank Joseph Daul, auch für die überpräzise Einhaltung der Redezeit.
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine Damen und Herren, lieber Herr Ministerpräsident Prodi! Vielen Dank für Ihre ermutigende Rede, der ich als Vorsitzender meiner Fraktion nichts hinzuzufügen habe. Das, was Sie vorgetragen haben, ist die Meinung meiner Fraktion. Wir danken Ihnen für die Klarheit Ihrer Worte.
Wenn Sie mit dieser Klarheit in die Verhandlungen gehen, ist uns nicht bange. Es ist uns deshalb nicht bange, weil wir zumindest einen starken Regierungschef in dieser Regierungskonferenz haben werden, der nicht bereit ist, einen Kompromiss um jeden Preis zu schließen. Einen Kompromiss, der die Substanz dessen aufgeben würde, was wir in der Verfassung erarbeitet haben, wäre kein Kompromiss, sondern eine Niederlage für das europäische Einigungswerk. Deshalb danke für Ihr klares Bekenntnis.
(Beifall)
Mein Kollege Poul Nyrup Rasmussen hatte die Gelegenheit, in Nizza mit am Tisch zu sitzen und den Vertrag von Nizza mit auszuhandeln. Ich habe oft Gelegenheit, mit ihm darüber zu diskutieren. Als die 15 Regierungschefs in Nizza den Saal verließen, haben alle gesagt, dass dieses Ergebnis nicht reiche. Denn es handelte sich um einen dieser Minimalkompromisse, der geschlossen wurde, damit nicht noch mehr Regierungschefs einschlafen.
Das war der Grund, weshalb der Konvent einberufen wurde, weil diejenigen, die in Nizza zusammen saßen, gesagt haben: Für die Erweiterung reicht das nicht. Aber die Erweiterung kommt und wenn wir die Erweiterung meistern wollen, brauchen wir eine andere Vertragsgrundlage. Also haben sie widerwillig unserer Forderung nach einem Konvent zugestimmt. Denn sie wussten: Was wir 15 verhandelt haben, reicht nicht für 27. Dann hat man eine Verfassung angenommen – sie haben gesagt, der Text ist gut – ja, dem stimme ich zu. Es war eine gute Verfassung. Nun wurde sie abgelehnt und wir sind zurückgeworfen worden auf den Vertrag von Nizza. Aber ich stelle folgende Frage: Ist das, was im Jahr 2000 richtig war, nämlich dass Nizza nicht für die Erweiterung reicht, im Jahr 2007 falsch? Nein, Nizza reicht nicht für die Erweiterung, aber wir haben auf der Grundlage eines unzureichenden Vertrages bereits erweitert.
Wer die Europäische Union in diesem Zustand lassen will, der will sie zerstören! Das ist der Wunsch derjenigen, die um keinen Preis einen neuen Vertrag wollen. Und denen dürfen wir keinen Platz geben.
(Beifall)
Manche sagen: Nizza minus, Nizza ist uns noch zu viel. Heute habe ich einen Regierungschef gehört, der gesagt hat, dass es mit diesen Leuten keinen Kompromiss geben kann. Wer hinter Nizza zurückgehen will, der sollte besser erst gar nicht zur Regierungskonferenz fahren. Es ist nun an der Zeit, Klartext zu reden. 18 der Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben diesen Verfassungsvertrag bereits ratifiziert. Davon haben zwei Mitgliedstaaten ihn per Referendum ratifiziert, nämlich Spanien und Luxemburg. Warum erlauben wir eigentlich, dass immer nur über Frankreich und die Niederlande geredet wird? Warum sagen wir nicht, dass in Europa zwei Völker diesem Vertrag zugestimmt haben, es haben übrigens mehr Europäerinnen und Europäer mit Ja für die Verfassung gestimmt, als mit Nein dagegen. Auch das ist eine Wahrheit der europäischen Demokratie, die an dieser Stelle ausgesprochen werden sollte.
Herr Präsident, die Europäische Union ist ein Erfolgsmodell des Friedens nach innen, der sozialen Stabilität, der Kombination von wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Stabilität und des Exports von Werten als Grundlage der Politik in den internationalen Bereich. Wer dieses Erfolgsmodell bewahren will, der muss an den bestehenden Vertragsgrundlagen viel verändern. Der italienische Schriftsteller Tomasi di Lampedusa lässt in seinem Roman „Der Leopard“ den Neffen Tancredi zum Fürsten von Salina den schönen Satz sagen: Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist! Wenn Europa so erfolgreich bleiben will, wie es ist, dann muss es seine vertraglichen Grundlagen ändern, und wenn Sie kämpfen wie ein Leopard, dann kämpfen wir mit Ihnen.
(Beifall)
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Im Namen meiner Fraktion möchte ich Herrn Prodi wieder hier im Parlament begrüßen.
Herr Ministerpräsident, 50 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge haben Sie dafür gesorgt, dass Italien wieder seinen rechtmäßigen Platz im Herzen Europas und im Zentrum des europäischen Projekts einnimmt. Mit Präsident Napolitano haben Sie aus dem osservato speciale einen partner speciale gemacht. Die Namen Ihrer Kabinettsmitglieder wie Bonino, Amato und Padoa-Schioppa stimmen meine Kollegen und mich zuversichtlich.
Von einigen wurde Kritik an Ihrem ersten Amtsjahr geübt, aber wir erinnern uns der zaghaften Rufer, die sich ähnlich geringschätzig über Ihr erstes Jahr in der Kommission äußerten. Wie sich herausstellte, hatten sie Unrecht. Die Erweiterung, der Euro – das sind die Juwelen in der europäischen Krone. Deshalb werden wir eine Regierung nach ihren Ergebnissen beurteilen und nicht nach dem ersten Eindruck. So war es Italien, das die Führung der Streitkräfte der Europäischen Union im Libanon übernahm, während andere zögerten, und es war Italien, das sich energisch für ein weltweites Moratorium für die Todesstrafe einsetzte. Sie haben der Welt gezeigt, dass Europa über die Vision und die Fähigkeit verfügt, sich geeint stark zu machen für das Wohl aller Menschen.
Wir müssen diese Vision ergreifen, denn Europas künftige Stärke liegt nicht darin, sich gegen Ungerechtigkeiten abzuschotten, sondern sich den Kräften des Schmerzes, der Not und der Zerstörung in der Welt außerhalb unserer Grenzen zu stellen. Auf unserem eigenen Kontinent haben wir die Wunden der Nationen geheilt. Jetzt hängen unsere Interessen und möglicherweise unser Überleben davon ab, ob es uns gelingt, in den nächsten 50 Jahren die europäischen Errungenschaften der letzten 50 Jahre zu exportieren. Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum und die Verbreitung von Kernwaffen unterstreichen, was Sie als „die Unzulänglichkeit des Unilateralismus“ bezeichnet haben. Die Welt braucht globale Mechanismen, um in diesen Fragen zu einem Konsens zu gelangen.
Und das Modell? Da gibt es nichts Besseres als unsere Gemeinschaftsmethode, die sich im Verlaufe von 50 Jahren bewährt hat. Europa ist in der internationalen Arena den Kinderschuhen entwachsen, und dennoch versuchen einige, uns von innen heraus zu spalten. Was sagen wir den Euroskeptikern, die behaupten, die Europäische Union sei nicht mehr funktionsfähig oder dass der europäische Traum von der Globalisierung bedroht wird oder dass die Integration die nationale Identität gefährdet? Zwar hören sie hin, aber sie hören nicht wirklich zu. Herr Prodi, Sie waren so klug, dem Rat von Cavour zu folgen, der uns sagte, dass er entdeckt habe, wie man Diplomaten täuscht. Er erklärte: „Ich sage ihnen die Wahrheit, und sie glauben mir nie.“
Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag von Europa wandten Sie sich in Berlin mit folgenden Worten an uns:
(IT) „Um kreativ zu sein, brauchen wir neben Vernunft, Geduld und Glaube auch ein Quäntchen Verrücktheit.“
Ein Quentchen Verrücktheit sowie Mut und Entschlossenheit sind in der Tat unerlässlich, wenn wir die Zukunft meistern wollen. Jetzt ist nicht die Zeit für Apathie oder Egozentrik. Unsere Führer müssen kühn sein: mehr Europa, nicht weniger, ist der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit; mehr Europa, nicht weniger, ist der Schlüssel zur Sicherheit; mehr Europa, nicht weniger, ist der Schlüssel zu einer gerechten Welt. Deshalb müssen wir auf der nächsten Monat stattfindenden Regierungskonferenz unbedingt eine Lösung für die institutionelle Frage finden. Nur stärkere Institutionen können auch ein stärkeres Europa errichten.
Herr Prodi, Ihr Landsmann Leonardo da Vinci hat uns Folgendes gelehrt:
(IT) „Es kehrt nicht um, wer an einen Stern gebunden ist.“
Vielen Dank, dass Sie Ihrer Vision treu geblieben sind.
(Beifall)
Cristiana Muscardini, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen dringend den neuen Vertrag verabschieden. Diese Dringlichkeit geht Hand in Hand mit der Notwendigkeit, die Union zu vereinfachen und für ihre Bürger leichter verständlich zu machen. Eine Verharmlosung der Probleme, die bestehen und die den Zweifeln, die bisher die Herbeiführung einer Einigung verhindert haben, zugrunde liegen, ist sicher nicht der richtige Weg.
Der italienische Ministerpräsident, vormals Präsident der Kommission, muss sich dessen bewusst sein, dass vage und unkonkrete Vorschläge zu vagen und unklaren Antworten führen, was das genaue Gegenteil von dem ist, was die Bürgerinnen und Bürger erwarten. Das ist Possibilismus, die Philosophie des Möglichen, die tausend Wege einleitet, aber keinen zu Ende bringt, insbesondere wenn die Wege dieselben sind, die uns seit mehr als zehn Jahren vorgeschlagen und dann wieder aufgegeben werden.
Die Krise ist offenkundig und keineswegs irrelevant, und deshalb brauchen wir immer schneller geeignete Lösungen. Die Bemühungen der deutschen Bundeskanzlerin und die Erklärungen von Präsident Sarkozy haben uns Europabegeisterten wieder Hoffnung gegeben. Wir versuchen das Machbare, nicht das Unmögliche zu erreichen! Wir glauben, dass der Kompromiss, wenn er auf hohem Niveau geschlossen wird und ehrenhaft ist, die Grundlage der Politik bildet. Wenn die Leute Nein zu Kompromissen sagen, dann weil schon Kompromisse geschlossen wurden, die wenig Substanz hatten und von geringem moralischem Wert waren.
Wenn die Krise offenkundig ist, sollten Vorhaben, die nicht zügig umgesetzt werden können, aufgegeben und sollte stattdessen das, worauf man sich schnell einigen kann, konsolidiert werden: handlungsfähigere Organe; umfassenderer Gebrauch der Subsidiarität; eine gemeinsame Politik für unsere Grenzen; Terrorismus; Wiederbelebung der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit durch den nicht mehr zögerlichen Ausbau der notwendigen Infrastruktur, insbesondere im Hinblick auf die Mobilität; eine gemeinsame Energiepolitik; Verteidigung des Sozialpakts; klare Regeln zur Verhinderung unlauteren Wettbewerbs mit einer strikteren Haltung der Union in der WTO; und Harmonisierung des Strafrechts bei Gewaltverbrechen gegen Kinder.
Die Bürger können kein Vertrauen zu Regierungschefs haben, die in Straßburg Europa mit klaren Worten beschreiben und in ihren eigenen Ländern die Vorhaben, die Europa beschlossen hat, nicht umsetzen. Straßburg fordert eine gemeinsame Außenpolitik und nicht, dass wir im Alleingang handeln, wie in Afghanistan geschehen. Ein Sicherheitsmanko an den Grenzen, das auf eine konfuse und widersprüchliche Einwanderungspolitik zurückzuführen ist, schmälert das Vertrauen der Bürger. Die Ersten, die die negativen Auswirkungen zu spüren bekommen, sind die legalen Einwanderer. Die Hochgeschwindigkeitszugverbindungen, die in allen Gemeinschaftsorganen gebilligt wurden, wurden aufgrund von Differenzen in der italienischen Regierung blockiert, und ebenso steht auch die Entwicklung still.
Herr Präsident, ich denke, wenn jemand zu uns von der „wichtigen Rolle der EP-Mitglieder“ spricht, müssen wir auch versuchen, in allen Ländern, einschließlich unseres eigenen, daran zu erinnern, dass bis heute die Mitglieder des Europäischen Konvents, die italienischen Mitglieder, nie gebeten wurden, in einen Meinungsaustausch zu treten und ihren Beitrag zu leisten. Das ist ebenfalls bezeichnend! Weniger Worte und mehr Taten!
Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz möchte Sie, Herr Ministerpräsident Prodi, in diesem Hohen Haus willkommen heißen, auch weil in letzter Zeit leider nicht so viele Reden gehalten wurden, in denen man sich entschlossen zu einer tragfähigen Lösung der Verfassungskrise bekannt hätte. Wir fürchten zum Beispiel, dass morgen der niederländische Ministerpräsident hier ganz andere Töne anschlagen wird.
Die Argumente der anderen zu verstehen ist ja schön und gut, doch die Erfahrung lehrt uns, dass es fast immer die Argumente der Opposition sind, die die Oberhand gewinnen. Wir wissen, dass sich letztendlich auch die pro-europäischsten Regierungen wie die Ihrige allmählich den Argumenten derjenigen gebeugt haben, die in der Regierungszusammenarbeit und im Kräfteverhältnis zwischen den Staaten die richtige Form europäischen Regierens sehen. So geschehen in Maastricht, Amsterdam und Nizza. Sie sagten, Ihre Regierung werde keine auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner beruhenden Kompromisse akzeptieren, und wir hoffen, dass das wahr ist, denn es gibt viele Beispiele aus der Vergangenheit, die nicht gerade erbaulich waren.
Die Grünen mögen keine Erpressung, Konflikte oder Brüche. Uns würde ein harmonisches, innovatives und wirklich nachhaltiges und geeintes Europa sehr gefallen, und das Europa der 27 ist ein grandioser Erfolg. Damit wir uns richtig verstehen: Erpressung wurde bisher nur von denen betrieben, die die Überwindung der Verfassungskrise vereiteln wollten, und das ist eine Tatsache, die nicht verschwiegen werden darf. Sogar die Mehrheit in diesem Parlament hat in den letzten Monaten und Jahren darauf verzichtet, etwas kühnere Vorschläge zu unterbreiten, und stattdessen lieber auf eine Initiative der Regierungen gewartet.
Unserer Meinung nach gibt es zwei oder drei Bedingungen, die es uns ermöglichen könnten, Herr Prodi, aus der Sackgasse herauszukommen, und wir hoffen wirklich, dass die italienische Regierung uns in dieser Frage entschlossen zur Seite steht. Es muss ein starkes Bündnis zwischen den 18 Ländern, die die Verfassung ratifiziert haben, und diesem Parlament, der Kommission und einigen nationalen Parlamenten geschlossen werden, um der Tendenz zur Zersetzung des Verfassungsvertrags entgegenzutreten.
Sie haben einige Themen aufgelistet, denen ich mindestens zwei weitere hinzufügen möchte: erstens die Frage der Grundrechtecharta und zweitens das Problem der Überarbeitung der Revisionsklausel. Wir können nicht mehr so weitermachen, mit einem Vertrag, der einstimmig angenommen wird, während das Europäische Parlament außen vor gelassen wird.
Die zweite Bedingung ist, dass Sie, die Regierungen, den Mut haben müssen, vor der breiten Öffentlichkeit über die zu treffenden Entscheidungen und über die Differenzen, die zwischen Ihnen über die Zukunft Europas bestehen, zu sprechen und dass Sie ihre Unterstützung suchen müssen. Verstecken Sie sich nicht in mysteriösen Geheimverhandlungen. Schließen Sie dieses Parlament nicht von der Überarbeitung der Europäischen Verfassung während der Regierungskonferenz, die gegenwärtig vorbereitet wird, aus, nicht zuletzt, weil die Erfahrung zeigt, dass die Gewinner in geheimen Verhandlungen zwischen Regierungen die anderen sind.
Wir, und damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident, haben keine Angst vor der Debatte über die entscheidende Frage, auch wenn sie uns nicht gefällt. Vielmehr glauben wir, dass nur wenn wir einige Regierungen und einige Völker vor die Wahl stellen, in der EU zu bleiben oder sie zu verlassen, sie sich am Ende entscheiden werden, bei uns zu bleiben.
Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Gestatten Sie drei kurze Bemerkungen. Die erste betrifft Herrn Prodi nicht direkt, sondern die berühmten zwölf Fragen, die die Ratspräsidentschaft an die Staats- und Regierungschefs gerichtet hat. Eine dieser Fragen lautet: Was halten Sie von dem Vorschlag, beispielsweise hinsichtlich der Bezeichnung des Vertrags eine andere Terminologie zu wählen, ohne jedoch die rechtliche Substanz zu verändern? Muss da nicht jeder Bürger, der das liest, den Eindruck bekommen, dass die europäischen Verantwortlichen ihn gelinde gesagt für dumm verkaufen wollen?
Nun zu den grundlegenderen Aspekten. Herr Prodi hat vorhin unterstrichen, dass die europäischen Wähler wissen müssen, welche Rolle das Europäische Parlament zu spielen hat, ob es eine stabile Präsidentschaft des Europäischen Rates und einen europäischen Außenminister geben wird oder nicht und wie die Kommission gebildet wird. All das sind wichtige Fragen. Aber werden in Ihrer Umgebung nicht noch andere präzisere Fragen mit mehr Nachdruck gestellt, auf die keiner von Ihnen jemals antwortet? So fragen sich beispielsweise selbst liberale Wirtschaftsfachleute, wohin uns im gegenwärtigen internationalen Kontext eine hemmungslose Freihandelspolitik noch führen wird, die mit freiem Kapitalverkehr und der absoluten Freiheit zur Verlagerung von Produktionsmitteln sowie einer gleichen Bewegungsfreiheit für ausländische Investoren, einschließlich der räuberischsten unter ihnen, einhergeht. Welche Veränderungen schlagen Sie diesbezüglich für den Gemeinschaftlichen Besitzstand vor?
Andere Stimmen und nicht die unwichtigsten, erheben sich gegen den Steuerkrieg zwischen den Mitgliedstaaten oder für eine Veränderung der Satzung der Europäischen Zentralbank oder auch für eine gezielte Industriepolitik in den Schlüsselsektoren der modernen Wirtschaft außerhalb der Regeln des freien Wettbewerbs. Welchen Bruch mit der gegenwärtigen Situation halten Sie diesbezüglich für wünschenswert oder akzeptabel? Soll Europa ein Marktplatz sein oder Marktpolitik betreiben? Inwieweit endet die Demokratie dort, wo die offene Marktwirtschaft oder der freie Wettbewerb beginnt? Diese Fragen stehen im Raum. Was halten Sie davon?
Ein letztes Wort an Herrn Barroso, der heute nicht hier ist, aber seine Freude darüber ausgedrückt hat, dass – wie er es nannte – das „Ja“ bei den französischen Wahlen gesiegt hat. Das ist widersinnig. Gewiss ist der neue französische Staatspräsident ein Anhänger des Ja. Deshalb fürchtete er, wie Sie auch, ein neues Referendum. Aber die Zusagen, die er zu Europa machen musste, um seine Verweigerung einer erneuten Bürgerbefragung schmackhaft zu machen, sagen einiges aus über die nach wie vor in diesem Land bestehenden tiefen antiliberalen Strömungen. Und wir werden ihn besonders an seine diesbezügliche Rede erinnern, die er am 21. Februar hier in Straßburg unter dem Motto gehalten hat „Ich will, dass Europa sich ändert“. Die wahre Frage lautet aber: Zu welchen Veränderungen sind Sie abgesehen von institutionellen Neuerungen bereit?
(Beifall)
Nigel Farage, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Wie von Herrn Prodi hier in diesem Saal nicht anders zu erwarten bekräftigt er inbrünstig seinen Glauben an die Vereinigten Staaten von Europa und die Tatsache, dass wir auf der Weltbühne mit einer Stimme sprechen sollen. Herr Prodi, obwohl ich da ganz anderer Meinung bin, muss ich Ihnen zumindest zu Ihrer Ehrlichkeit gratulieren, mit der Sie Ihre Meinung darlegen. Es überrascht mich, dass Sie Zeit hatten, hierher zu kommen, wenn man bedenkt, dass Sie in Italien 38 Ministerpräsidenten in den letzten 60 Jahren hatten, und es sieht ganz danach aus, als wären es bald 39. Es ist uns in der Tat eine große Ehre, Sie heute unter uns zu wissen.
Wenn Sie uns sagen, dass die Sicherheit eine so große Rolle spielt – dieses „Streben nach mehr Zusammenarbeit“, wie Sie es nennen – zumal an dem Tag, an dem die britische Polizei erklärt, dass im Falle des unlängst in London ermordeten ehemaligen KGB-Agenten Alexander Litvinenko Anklage erhoben werden wird, dann frage ich mich, ob wir wirklich Ihre Art der Gerechtigkeit wollen, wenn man bedenkt, dass Mario Scaramella, der versucht hat, Herrn Litvinenko davor zu warnen, was mit ihm passieren würde, seit nunmehr sechs Monaten in einem italienischen Gefängnis einsitzt. Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wechseln ständig, und vor Gericht stand er auch noch nicht. Wenn Sie glauben, dass wir das auf Gewohnheitsrecht beruhende Common Law und den Habeas-Corpus-Grundsatz für diese Art von europäischem System aufgeben, dann lautet meine Antwort an Sie: Nein, vielen herzlichen Dank.
Lassen Sie uns eine echte Aussprache führen, Herr Präsident. Herr Schulz: 16 Länder haben die Europäische Verfassung gebilligt, nicht 18. Könnten wir etwas mehr Wahrheit haben, etwas mehr Ehrlichkeit und etwas mehr Offenheit, und könnten wir vielleicht kurz einhalten und die Ergebnisse der französischen und niederländischen Volksentscheide nicht vollkommen ignorieren. Darauf ist Herr Prodi in seiner Rede nicht einmal eingegangen.
Viele Bürger haben Nein gesagt. Millionen von Europäern sagen: „Lasst uns, die Bürger, über unsere Zukunft mitentscheiden.“ Hören Sie auf, sich wie Bulldozer zu benehmen, hören Sie damit auf, die öffentliche Meinung einfach beiseite zu schieben. Bleiben Sie bei Ihrem Vertrag, wenn es sein muss, aber lassen Sie die Menschen selbst über ihre Zukunft entscheiden. Zwingen Sie sie ihnen nicht auf.
Jean-Marie Le Pen, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident! Die Eurokraten der Kommission und des Rates werden am Abend des 22. April einen gewaltigen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen haben, denn für sie waren Royal und Sarkozy, die UMP und die PS, gleichermaßen die Garantie dafür, dass die europäische Verfassung, die immerhin im Jahr 2005 durch zwei Völker massiv abgelehnt worden war, unter Missachtung der Demokratie wieder auf den Weg gebracht werden würde. Beide waren ideale Kandidaten und Abgeordnete. Wie übrigens auch Herr Bayrou.
Sarkozy wie Royal tun so als glaubten sie, wie Sie ja auch, dass die Franzosen nur die Brüsseler Politiken abgelehnt hätten, während diese auch den institutionellen Teil abgelehnt haben, den man uns heute durch die Hintertür wieder unterschieben will, das heißt den einheitlichen Außenminister – dieser einheitliche Minister, der uns, wenn es ihn gegeben hätte, alle in den Irakkrieg verwickelt hätte –, den gewählten Scheinpräsidenten, die auf Beamte aus nur einigen Staaten reduzierte Kommission, die Vergemeinschaftung aller Politiken, die die Staaten jeden Vetorechts beraubt, kurz, den bürokratischen und allmächtigen europäischen Superstaat.
In Ihren Augen war es besser, dass Sarkozy gewählt wurde und nicht Royal, denn Ersterer will die Verfassung durch das Parlament ratifizieren lassen, während Letztere vorgab, in bestimmtem Maße den Volkswillen respektieren zu wollen.
Nachdem er für die Europa-Angelegenheiten einen sozialistischen Minister und einen sozialistischen Staatssekretär ernannt hatte, eilte Herr Sarkozy, kaum dass die Machtübergabe zwischen dem alten und dem neuen Staatspräsidenten vollzogen war, flugs nach Berlin, um die Ratifizierung durch das Parlament, sein Bekenntnis zum europäischen Superstaat und seinen Willen, nicht mehr zu sein als der Gouverneur einer europäischen Provinz, zu bekräftigen. Die deutsche Bundeskanzlerin kann beruhigt sein: Dank Herrn Sarkozy wird ihre Europa-Präsidentschaft zu einem Erfolg werden! Sie wird im Juni einen Fahrplan für die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses vorlegen und das Todesurteil für die Nationen und die Souveränität der Völker unterzeichnen können.
Herr Sarkozy, der von 53 % der Franzosen gewählt wurde, übt bereits Verrat an den Bestrebungen eines großen Teils von ihnen, insbesondere der 55 % der Bürger von rechts wie von links die im Mai 2005 mit „Nein“ gestimmt haben.
(Auf einen Zwischenruf hin wendet sich der Redner an Herrn Schulz: „Was haben Sie, Herr Schulz, sind Sie krank?“, und korrigiert sich dann: „Ach, Sie sind es, Herr Cohn-Bendit, Ihre Belehrungen können Sie vor kleinen Kindern halten!“)
Der Präsident. Herr Kollege Le Pen, bei den Abstimmungen geht es einmal so und einmal so. Darüber könnte doch keiner besser berichten als Sie.
Jana Bobošíková (NI). – (CS) Meine Damen und Herren! Eigentlich sollte die Union durch die europäische Verfassung zu einem stärkeren Akteur auf der Weltbühne werden, doch was ist tatsächlich geschehen? Herausgekommen ist ein unverständliches Dokument, dessen Annahme für die sozialen Ingenieure, die es geschaffen haben, kein Thema war. Die Bürger zweier Länder haben mit einem lautstarken „Nein“ geantwortet. Das Dokument ist außerdem skandalös und hat jahrelang die Aufmerksamkeit der Politiker von dringenderen Problemen abgelenkt. Es führt zu unnötigen Konflikten innerhalb der Union und bestätigt die Vermutung, bei der Union handle es sich um einen unbedeutenden Konzern; nicht in geografischer Hinsicht, sondern in Bezug auf die Einstellung seiner führenden Politiker, die unfähig sind, den Fehlschlag dieses Projekts zu akzeptieren und der Öffentlichkeit ein anderes vorzuschlagen. Die Staatsoberhäupter ziehen es vor, um das Thema herumzureden, anstatt offen zuzugeben, dass sie vor drei Jahren in Rom ein Dokument unterzeichnet haben, das seither von der Öffentlichkeit abgelehnt wird. Wir befinden uns in einer Sackgasse und müssen nun einen anderen Weg finden.
Die Zukunft Europas als globaler Akteur steht, wenn die Verfassung nicht angenommen wird, nicht auf dem Spiel. Was sie jedoch gefährdet, ist die Tatsache, dass die Politiker den Kontakt zum wahren Leben verloren haben, sowie die sinnlosen Diskussionen über einen toten Text. Die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten verstehen die Sprache der europäischen Institutionen und ihrer Vertreter immer weniger. Darüber hinaus versuchen unsere Partner in der Welt, die fehlende Einigkeit der EU und die Eitelkeit ihrer politischen Führer auszunutzen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die EU ihre Institutionen reformieren muss und dass sie ein neues vereinheitlichendes Dokument braucht, das die Befugnisse der Union und der Mitgliedstaaten deutlich gegeneinander abgrenzt. Wir brauchen einen Vertrag, der konkret, verständlich und fair ist und damit von unseren Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird. Außerdem muss es vor allem ein Vertrag sein, der nicht nur eine abgeänderte oder abgespeckte Version der abgelehnten Verfassung ist. Nach meinem Dafürhalten müssen Fragen wie Pensionen, Steuern, Gesundheitswesen, Soziales, Kultur, Justiz und Kernenergie in den Händen der Mitgliedstaaten bleiben. Andere Politikbereiche müssen Gegenstand von Diskussionen sein. Einigen von uns ist sowohl im politischen als auch im normalen Leben schon einmal etwas nicht gelungen, und das ist nun auch den Verfechtern der europäischen Verfassung passiert. Sie sollten ihre Starrköpfigkeit aufgeben und die Niederlage eingestehen. Sie sollten überdies so schnell wie möglich Verhandlungen über einen neuen Vertrag aufnehmen. Vom Juni-Gipfel sowie von der deutschen und portugiesischen Präsidentschaft erwarte ich ein solches realistisches Vorgehen. Nur auf diese Weise werden wir das Vertrauen in das europäische Aufbauwerk sowohl bei den EU-Bürgern als auch im größeren globalen wirtschaftlichen und politischen Rahmen stärken.
Romano Prodi, Ministerpräsident Italiens. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen sehr für diese Aussprache, die wie alle Debatten in diesem Parlament prägnant, konstruktiv und freimütig war. Sie hat ein sehr breites Spektrum von Standpunkten zur Zukunft der Europäischen Union erkennen lassen. Wenn wir manche der letzten Redner hören, sind einige Positionen nicht miteinander vereinbar.
Selbstverständlich muss dieses Problem offen und demokratisch in Angriff genommen, erörtert und vorangebracht werden, wie es immer in diesem Parlament geschieht bzw. geschah. Dies eben war es, was mich zu meiner einleitenden Rede bewogen hat; gerade um diese große Vielfalt, diese Meinungsbreite zu steuern, brauchen wir Regeln, die es uns ermöglichen, die Europäische Union, wie wir sie alle übernommen haben, zu lenken.
Wir sind wohl dabei, den langen Weg zu vergessen, den wir bei der Gestaltung des Verfassungsvertrags zurückgelegt haben; wir vergessen die 18 Monate des Konvents, die Debatten, die Beteiligung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments. Wir vergessen, dass das keine Debatte hinter verschlossenen Türen war. Wir kamen jedoch zu einem Ergebnis; ich zitiere die Worte von Frau Muscardini: „aber wir müssen beachten, dass es in der Politik erforderlich ist, einen Kompromiss zu suchen, einen Kompromiss auf hohem Niveau“. Nun, der Verfassungsentwurf war schon ein Kompromiss!
Als Präsident der Europäischen Kommission habe ich es bedauert, dass dieser Vertrag einige große Würfe vermissen ließ. Wir wollten diesen Kompromiss, weil wir als Realpolitiker verstanden, dass man nicht alles haben kann! Wir verstanden, dass wir eine noch weiter gehende Vorstellung von Europa hatten, die jedoch zum damaligen Zeitpunkt aufgrund der historischen Umstände nicht umgesetzt werden konnte.
Er wurde von allen Ländern der Union unterzeichnet, auch vom Vereinigten Königreich, in Verantwortung der Regierungen der Union. Jetzt wird behauptet, dieser Vertrag sei im Hinterzimmer, fernab vom Willen des Volkes, entstanden. Er wurde von den Volksvertretern ausgearbeitet! Er wurde von den vom Volk gewählten Regierungen unterzeichnet! So geschah es! Selbstverständlich können wir weiter nach Kompromissen suchen, denn wir haben unser ganzes Leben lang stets nach Kompromissen gesucht, doch wir können es nicht zulassen, dass der Kompromiss das Projekt Europa vereitelt und zunichte macht.
Das ist die unüberschreitbare Grenze, die wir uns selbst gesetzt haben, und deshalb habe ich eine Rede gehalten, in der ich die grundlegenden Elemente hervorgehoben habe, von denen wir nicht abrücken können: dies sind der Volkswille, das Pfeilerproblem und die Frage des Außenministers. Wie kann es sein, dass wir uns schämen, die Person, die uns vertritt, als Außenminister zu bezeichnen? Nennen Sie diese Person ruhig Staatsminister, wenn Sie wollen, in Anlehnung an die englische Terminologie. Doch wovor haben wir eigentlich Angst? Sind wir uns denn nicht bewusst, was es uns all die Jahre gekostet hat, keinen Außenminister zu haben? Sind wir uns denn über unsere Handlungsunfähigkeit im Nahen Osten und in all den Nachbargebieten nicht im Klaren, oder darüber, wie wir es zuließen, dass sich die politische Lage wegen unserer Differenzen verschlechterte?
Ist das die Art von Verantwortungslosigkeit, mit der wir der Geschichte begegnen? Sehen Sie, in den nächsten Tagen geht es um diesen letzten Aspekt unserer politischen Einheit, den letzten Aspekt unserer Fähigkeit, Europa in der Welt zu vertreten. Wenn wir das jetzt nicht begreifen können, wann dann? Es ist erst ein paar Jahre her, dass ich meinen Platz in der Kommission geräumt habe! In Anbetracht der internationalen Kräfteverhältnisse – China, Indien, Asien – bestand das Problem darin, dass Europa nicht fähig war, zu diesen großen Völkern zu sprechen, dass es nicht fähig war, auf gleicher Augenhöhe zu den Vereinigten Staaten zu sprechen, oder sie zu überzeugen!
Ist das nicht genug Last für unsere Zukunft? Wollen wir weiterhin nichts zählen, für eine ganze kommende Generation? Das ist die Frage, die ich Ihnen im Hinblick auf die Regierungskonferenz und die Tagung des Europäischen Rates stelle. Andere Fragen stelle ich nicht. Ich appelliere an das Verantwortungsbewusstsein Europas für die Geschichte, für unser Leben und das unserer Nachkommen.
Der Präsident. Herzlichen Dank, Ministerpräsident Prodi! Der Beifall drückt aus, was das Europäische Parlament denkt.
Antonio Tajani (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach monatelangen Schwierigkeiten haben die Initiative der Bundeskanzlerin Merkel und die Wahl von Nicolas Sarkozy zum Staatspräsidenten der Französischen Republik Europa neue Hoffnung gegeben. Trotz weiterer Widerstände besteht nun die reale Möglichkeit, einen neuen Vertrag ins Leben zu rufen, der die Regeln einer absolut einzigartigen Institution wie der Europäischen Union festschreibt! Es ist leider klar, dass der Text, der das Ergebnis der so gut vom italienischen Vorsitz unter Silvio Berlusconi geleiteten Arbeit ist und in Rom unterzeichnet wurde, nicht mehr in Kraft treten kann.
Wenn wir allerdings wollen, dass Europa die ihm gebührende Rolle auf der internationalen Bühne spielt, müssen wir die Substanz des Vertrags erhalten. Dabei denke ich an das Prinzip der Mehrheitsabstimmungen in bestimmten wichtigen Fragen, an eine gemeinsame Stimme in der Außenpolitik, an die Amtszeit der Präsidentschaft. Die Annahme eines abgespeckten Textes wäre lediglich ein erster Schritt nach vorn. Gewiss, wenn wir nach Perfektion streben, versäumen wir vielleicht die Gelegenheit, etwas zu erreichen, was greifbar nahe ist, doch worauf es ankommt, ist, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten und vor den Europawahlen 2009 zu einer Entscheidung zu kommen. Ich hoffe, wenn ich an die Zukunft denke, dass dieses Parlament in der neuen Wahlperiode vielleicht auch eine verfassungsgebende Rolle haben wird, wie dies von vielen empfohlen wurde, u. a. auch von Herrn Gargani, Vorsitzender des Rechtsausschusses, und von Herrn Brunetta.
Doch das Europa mit 27 Mitgliedstaaten braucht nicht nur institutionelle Regeln, um handlungsfähiger zu werden. Es muss sich mit den Werten identifizieren, die seine eigentliche Basis bilden, das Fundament, auf dem eine Union gestaltet wird, die sich in Zukunft, wenn sie mit Schwierigkeiten konfrontiert wird, nicht auflöst. Es wäre ein Fehler, nicht zu gewährleisten, dass Freiheit, Solidarität, Subsidiarität und die zentrale Rolle des Menschen die Grundsteine der Gemeinschaftsorgane sind. Es wäre ein gravierender Fehler, unsere Identität, unsere jüdisch-christlichen Wurzeln und ein Gesellschaftsmodell, das sich auf die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kind, gründet, aufzugeben.
Gianni Pittella (PSE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Tajani hat Argumente angeführt, die nichts mit unserer heutigen Debatte zu tun haben, während wir andererseits klare, eindringliche und entschlossene Worte von Ministerpräsident Prodi gehört haben, die Italien eine Führungsrolle im europäischen Integrationsprozess beimessen und das Europäische Parlament, das stets an der Spitze des Kampfes um die Verfassungsreform der Union stand, stärken.
Das waren sehr klare Worte zu einem heiklen Thema: Wir müssen bei dem von 18 Mitgliedstaaten ratifizierten Verfassungsentwurf und nicht bei Nizza neu starten. Wir müssen der Regierungskonferenz kein offenes, sondern ein klar festgelegtes Mandat erteilen! Man kann keinen Verfassungsentwurf für tot erklären, der von der überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger akzeptiert wurde und klare Antworten, keine vagen, Frau Muscardini, bereithält! Herr Prodi hat diese präzisen Antworten in seiner Einführungsrede und in seiner Replik aufgezählt.
Ohne Verfassung, lieber Herr Wurtz, ist die Europäische Union schwächer, und die Gefahr, in eine reine Freihandelszone abzugleiten, ist größer. Deshalb kann ich einige sehr radikale Standpunkte der Linken bisweilen nicht verstehen! Die Rede von Ministerpräsident Prodi hat dem Parlament und uns allen mehr Mut und Kraft gegeben, und wir werden mit größerer Entschlossenheit und Beharrlichkeit durch die neue Phase gehen.
Bronisław Geremek (ALDE). – (PL) Danke, Herr Präsident! Zuerst möchte ich sagen, wie sehr es mich freut, dass Herr Ministerpräsident Prodi ein Mensch ist, der Europas nicht müde geworden ist. Ein Philosoph hat einmal gesagt, Müdigkeit sei die größte Bedrohung für Europa. Ich möchte daran erinnern, dass sich Herr Prodi in seiner Zeit als Präsident der Europäischen Kommission der schwierigen Aufgabe der Erweiterung der Europäischen Union unterzogen hat. Er brachte die Erweiterung zu Ende, und dies trotz der häufig vorgebrachten negativen Meinungen der Medien und der Öffentlichkeit oder zumindest von Teilen derselben. Herr Prodi war erfolgreich, weil er an die Zukunft Europas glaubte.
Ich möchte in dieser gleichen Überzeugung die gegenwärtige Reflektion über die Zukunft Europas untermauern. Viele in diesem Plenarsaal teilen meine Ansicht, dass die Europäische Union nun einer klugen institutionellen Reform bedarf. Es erhebt sich jedoch die Frage, inwieweit man sich auf die Gemeinschaftsmethode, von der Herr Prodi als dem Europa vorantreibenden Mechanismus sprach, bei der Tätigkeit des Europäischen Rates beruft. Das soll heißen, welche Rolle spielt sie in der Arbeit der Regierungsvertreter? Herr Prodi trug einen bestimmten Hut in der Europäischen Kommission, aber im Europäischen Rat hat er einen ganz anderen aufgesetzt. Für den Beobachter von außen mag es zuweilen erscheinen, dass der nationale Egoismus das eine und einzige vom Rat angewendete Kriterium ist, nicht das Nachdenken auf der Grundlage von Kategorien gemeinsamen Interesses.
Ich glaube, dies ist eine besonders wichtige Sache. Das Parlament versteht, was es heißt, eine Gemeinschaft zu sein, und dieser Geist ist auch in der Europäischen Kommission präsent. Was kann man tun, um zu gewährleisten, dass auch der Europäische Rat sich davon leiten lässt?
Roberta Angelilli (UEN). – (IT) Sehr geehrter Herr Prodi, ich spreche im Namen der Fraktion Union für das Europa der Nationen, die, daran möchte ich Herrn Prodi gern erinnern, die viertstärkste Fraktion im Europäischen Parlament ist. Eine Sache möchte ich nochmals ausdrücklich betonen: Europa liegt uns wirklich sehr am Herzen! Herr Fini, Vorsitzender der Partei, die ich vertrete, gehörte im Konvent zu denen, die voller Begeisterung am gegenwärtigen Verfassungsentwurf mitgewirkt haben. Ganz allgemein blicken wir Italiener auf eine lange und ununterbrochene europäische Tradition zurück, weshalb wir nicht umhin können, den Appell, den vor einigen Monaten Herr Napolitano, Präsident der Italienischen Republik, in diesem Hohen Haus startete, und in dem er die schnellstmögliche Verabschiedung dieser Verfassung forderte, zu unterstützen.
Einer der Gründe, weswegen wir diese Verfassung brauchen, ist, dass wir dann eine gemeinsame Außenpolitik gestalten können. Herr Prodi, Sie haben ganz richtig hervorgehoben, dass wir gerade jetzt, in diesen Zeiten einer internationalen Krise, eine gemeinsame Außenpolitik besonders stark vermissen.
Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, um an dieser Stelle all jenen zu danken, die überall in der Welt, insbesondere in Afghanistan, Libanon und Palästina, an Friedensmissionen beteiligt sind, angefangen bei den etwa 8 000 Italienern. Das sind wichtige Missionen, die von allen politischen Parteien Italiens nachhaltig unterstützt werden, wenngleich es, offen gestanden, Herr Prodi, in Ihrer Regierungsmehrheit einige unrühmliche Ausnahmen gibt.
Doch um auf die Verfassung zurückzukommen, möchte ich ein Bedauern und einen Wunsch zum Ausdruck bringen. Das Bedauern bezieht sich darauf, dass es nicht möglich war, in dem Text die christlichen Wurzeln Europas zu erwähnen; der Wunsch besteht darin, dass das Ziel einer schnellen Annahme der Verfassung erreicht wird. Ich bin überzeugt davon, dass Italien wie üblich seinen wertvollen Beitrag dazu leisten wird.
Johannes Voggenhuber (Verts/ALE). – Herr Präsident! Wo bleibt Romano Prodi? Wie oft habe ich mir diese Frage in den letzten Monaten gestellt? Wo bleiben die Regierungen, die die Verfassung verteidigen? Herr Ministerpräsident, heute habe ich Sie wieder gefunden! Auf den Barrikaden habe ich Romano Prodi wieder gefunden – spät, aber doch. Sie haben den Konsens beschworen, Sie sind herausgetreten aus der Riege der Regierungen, die die historische Verantwortung für Europa jeden Tag gegen Kleingeld wechseln.
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, wir müssen die Argumente der anderen respektieren. Da möchte ich Sie fragen: Wer sind die anderen? Wenn es die Bürgerinnen und Bürger Europas sind, auch die, die nein gesagt haben, dann habe ich keine Bange. Wir wissen, was sie wollen: mehr Demokratie, mehr Transparenz, mehr soziale Verantwortung, ein besseres Europa, eine überzeugendere Verfassung. Oder sind die anderen die Regierungen, die die Krise des Ratifikationsprozesses missbrauchen, um uns mit ihren alten Begehrlichkeiten zu traktieren, mit ihren alten Machtansprüchen, mit all dem, was wir ihnen im Konvent abgerungen haben, die die Unzufriedenheit der Bürger mit Absicht auf Europa lenken, um ihre Macht über Europa ohne europäische Demokratie, ohne soziale Dimension und ohne eine gemeinsame Rolle in der Welt zu behalten – denen es um die alten Machtkämpfe einer Fronde geht: das Europa der Staatskanzleien gegen das Europa der Bürger.
Sie haben davon gesprochen, dass wir Kompromisse brauchen. Auch darin liegt eine sehr brisante Frage. Der Kompromiss, der in den 12 Fragen aufleuchtet, ist der Kompromiss als historische Lüge über Europa. Denn es gilt auch, Herr Ministerpräsident – und ich danke Ihnen besonders dafür, dass Sie das sichtbar gemacht haben –, nicht nur den Inhalt, sondern auch den Geist der Verfassung zu erhalten. Wenn wir sagen, Gesetze heißen nicht mehr Gesetze, sondern Verordnungen, dann nehmen wir den Menschen den Anspruch auf demokratische Legitimation, denn Gesetz bleibt es ja, materiell gesehen. Wenn wir das Primat des europäischen Rechts leugnen, ist das falsch, denn es bleibt ja im Unterirdischen bestehen und der Außenminister bleibt das, was wir wollten. Nein, der Kompromiss kann kein Bluff und keine Lüge sein. Wir haben auch um den Geist der Verfassung zu kämpfen!
(Beifall)
Roberto Musacchio (GUE/NGL). – (IT) Mein lieber Herr Prodi, gerade weil ich dieselbe Leidenschaft wie Sie für Europa empfinde, bin ich der Überzeugung, dass wir für die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses einen neuen Energieimpuls benötigen, der sich auf Demokratie und Rechte gründet. Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass der zwischenstaatliche Ansatz keine Lösung für die Probleme, sondern Teil von ihnen ist, und dass er uns zu einem Minivertrag oder auch zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten zu führen droht.
Es sind die Bürger und die Parlamentsmitglieder, die nun das Ruder übernehmen müssen, mit einem neuen Verfassungsauftrag, der einem Europäischen Parlament erteilt wird, das diese Aufgaben hat, mit dem Ziel eines neuen Textes und eines europäischen Referendums; wir müssen den Text und den Rahmen ändern.
Im Mittelpunkt müssen klare einklagbare Rechte stehen, die die Unionsbürgerschaft bestimmen. Dies sind das Recht auf Arbeit und Arbeitsrechte, die bestätigen, dass für Europa stabile, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze die Norm sind, und nicht die vollkommen unsicheren Jobs, die durch die „Flexicurity“ hervorgebracht werden!
Wir brauchen ein garantiertes Recht auf die Umwelt, was innovative, auf der Zusammenarbeit beruhende politische Maßnahmen und fassettenreiche Visionen voraussetzt, wie solche, die zur Ratifizierung der Post-Kyoto-Vereinbarungen führen, anstatt der reinen Philosophie des Handelswettbewerbs!
Wir brauchen ein Recht auf Frieden, geboren aus der Ablehnung von Krieg, und eine Politik der Union, die sich auf diese Werte gründet und sie aktiv als eigene Außenpolitik in die Praxis umsetzt!
Wir brauchen ein neues Europa, das einzig mögliche, das immer unentbehrlicher wird. Wir können es gestalten, gestützt auf das Volk und gemeinsam mit den Parlamentsmitgliedern!
Paul Marie Coûteaux (IND/DEM). – (FR) Herr Präsident! Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren wurde die europäische Verfassung durch das französische „Nein“ zum Tode verurteilt. Darauf folgte die Bestätigung durch die Niederlande und Großbritannien und dann durch die Tschechische Republik und Polen. Auch seitens der einzigen beiden Länder, die per Referendum zugestimmt hatten, Luxemburg und Spanien, war wenig Enthusiasmus zu spüren. So haben in Spanien nur 32 % der Wahlberechtigten den Text gebilligt. Kurz, der Verfassungsprozess scheiterte und verlief dann im Sande, und dieses Scheitern haben wir hauptsächlich Frankreich zu verdanken.
Von diesem Moment an war für uns, die französischen Souveränisten, in deren Namen ich hier spreche, klar: Frankreich musste zum Kippen gebracht, die Franzosen mussten hintergangen werden! Und das tat man dann mit Hilfe einer gigantischen List. Bei den Präsidentschaftswahlen wurden von Anfang an zwei Kandidaten vorab bestimmt, damit einer von ihnen, nachdem er gewählt und neu legitimiert war, Ja sagen würde, wo die Franzosen Nein gesagt hatten. Das ist der Sinn der unerträglichen Geste von Herrn Sarkozy, der noch am Tage seiner Inthronisierung zu Frau Merkel eilte.
Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses Ja, das Frankreich über den Umweg der Präsidentschaftswahl abgelockt wurde, illegal ist. Ich weiß sehr gut, dass man sich miteinander arrangieren wird in dem kleinen still-geschäftigen Aquarium der Brüsseler Oligarchien, um einen neuen Text auszuhecken, den man gewiss nicht Verfassung nennen wird, sondern institutionelle Reform, was auf das Gleiche hinausläuft.
Die Anhänger des Nein sind jedoch nicht tot. Herr Barroso soll sich nicht täuschen, und auch Sie sollten sich nicht täuschen, Herr Prodi: Frankreich wird früher oder später erneut seine Stimme erheben, denn Frankreich hält unter allen Umständen an seinen Freiheiten fest. Und diese Freiheiten, die nationalen Freiheiten, werden trotz Ihrer kläglichen Machenschaften letztlich triumphieren.
Koenraad Dillen (ITS). – (NL) Herr Präsident, sehr geehrter Herr Prodi! Sie sind mehr als irgendjemand sonst in Europa mit der Arbeitsweise der EU-Institutionen vertraut. Als ehemaliger Kommissionspräsident sind Sie daher in der Lage, zu erkennen, weshalb sich die Unionsbürger mehr und mehr von dem heutigen Europa abwenden. Bürokratie, Überreglementierung, völlige Missachtung des Subsidiaritätsprinzips, politische Korrektheit, Außerachtlassen des christlichen Erbes Europas sowie der besessene Wunsch nach einem EU-Beitritt der islamischen Türkei haben dazu geführt, dass die meisten Europäer das europäische Ideal der Gründerväter heutzutage mit einem Superstaat gleichsetzen, der sich in alles einmischt und den Willen der Bevölkerung ignoriert.
In den letzten Jahren haben wir für das offizielle Europa, das sich bewusst taub stellt, einige eklatante Beispiele erlebt. In Frankreich und den Niederlanden haben die Bürger in einem demokratischen Referendum „Nein“ zum europäischen Superstaat gesagt. Nichtsdestotrotz setzt der deutsche Ratsvorsitz den bereits eingeschlagenen Weg kurzerhand fort. Für Angela Merkel, und ich befürchte, für Sie als Mitglied des Europäischen Rates, zählt nicht, was die Bevölkerung will. Alle Meinungsumfragen belegen, dass sich die Europäer zwar ein freundschaftliches Verhältnis mit der Türkei wünschen, aber nicht wollen, dass ein nicht europäisches und islamisches Land Mitglied der Union wird. Auch hier wird der vorgegebene Kurs schlicht weiter verfolgt.
Geben Sie sich jedoch keinen Illusionen hin. Diese Weigerung, den Nöten und Klagen der Europäer Gehör zu schenken, wird sich bei nächster Gelegenheit erneut gegen das offizielle Europa kehren, das sich dann aber nicht bei uns beschweren möge, sollte der Bürger irgendwann wieder ein „falsches“ Votum abgeben.
Abschließend möchte ich Herrn Prodi sagen, dass sich die Regierung meines Landes vergangene Woche selbst in Misskredit gebracht hat, als sie den Besuch des Dalai Lama in Belgien aus kommerziellen Gründen ablehnte. Niemand möchte China auf die Füße treten. Bedauerlicherweise scheint die Regel in solchen Situationen zu lauten Erst das Fressen und dann die Moral. Daher hoffe ich, dass Sie im Europäischen Rat das Wort ergreifen und die Haltung Ihrer Regierung, die sich zwar gerne lautstark als Verteidiger der Menschenrechte ausgibt, jedoch dann, wenn es hart auf hart kommt, den eigenen Wirtschaftsinteressen Priorität einräumt, scharf kritisieren und ebenso Belgiens Verhalten in dieser Angelegenheit anprangern werden. Wenn es Europa mit der Verteidigung der Menschenrechte ernst meint, muss es auch den Mut besitzen, die Heuchelei mancher Mitgliedstaaten zu beanstanden.
Der Präsident. Herr Kollege Dillen, Sie haben mich persönlich angesprochen. Ich habe gestern schon hier vor dem Plenum Stellung genommen. Ich werde es niemandem gestatten, ein Gespräch zwischen dem Dalai Lama und dem Präsidenten des Europäischen Parlaments zu verhindern. Es ist ein Brief auf dem Weg. Ich erwarte darauf eine Antwort und werde mich zum geeigneten Zeitpunkt wieder dazu äußern.
Irena Belohorská (NI). – (SK) Herr Ministerpräsident Prodi, ich möchte Sie hier recht herzlich begrüßen.
Sie sind ein Politiker mit einem großen Erfahrungsschatz, sowohl im Führen eines Landes als auch bei der Leitung der Europäischen Kommission, der Sie als Präsident vorgestanden haben. Ich möchte unterstreichen, dass die Annahme eines Verfassungsvertrags für den künftigen Erfolg der Europäischen Union unerlässlich ist.
Kürzlich haben wir den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge begangen. Dieses Jubiläum erinnert uns daran, wie viel sich im Laufe der Jahre verändert hat, und dass noch immer Verträge in Kraft sind, die eine neue Fassung erhalten müssen. Die Europäische Gemeinschaft jener Zeit bestand aus sechs Ländern und war in erster Linie eine Wirtschaftsgemeinschaft. Heute hat die Europäische Union 27 Mitgliedstaaten, von denen 12 ehemalige kommunistische Länder sind. Somit unterscheidet sich das Aussehen der heutigen Europäischen Union erheblich von dem im Jahr 1957.
Die Verträge von vor 50 Jahren waren nicht transparent und in einer komplizierten Sprache verfasst. Man könnte sie auch als veraltet beschreiben. Daher erscheint die Annahme eines neuen Verfassungsvertrags und neuer deutlicher Spielregeln unverzichtbar. Wir müssen daran denken, dass die im Verfassungsvertrag vorgeschlagenen Reformen – wie die Rechtspersönlichkeit, in Rechtsvorschriften mit zwingendem Charakter verankerte grundlegende Menschenrechte, die Staatsanwaltschaft, Reformen der Institutionen und des Gesetzgebungsverfahrens – Veränderungen sind, die die Europäische Union nach vorn bringen können. Der Moment ist gekommen, die Zeit der Reflexion zu beenden und die Zeit der Taten zu beginnen.
Herr Ministerpräsident Prodi, ich möchte Ihnen für das Vertrauen danken, das Sie der Slowakei in einer Zeit entgegengebracht haben, als sie sich auf eine – wie Sie es nannten – lange Reise begab. Die Slowakei ist ein junger neuer Mitgliedstaat der Europäischen Union, und sie vertraut Ihnen ebenso wie Italien und der EU bei der Änderung der Spielregeln.
Timothy Kirkhope (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident! Wir diskutieren heute erneut über Verfassungen und Institutionen, obwohl die Bürger Europas eigentlich an Arbeitsplätzen, Wohlstand, der Umwelt und der Linderung der globalen Armut interessiert sind.
Es ist ein Gerücht, dass sich die Europäische Union in der Krise befindet oder gelähmt und entscheidungsunfähig ist, und das ist der Vorwand, unter dem einige Regierungen eine Neuauflage der Verfassung fordern. Ich weiß, Herr Ministerpräsident, dass Sie das auch glauben.
Das ist keine konstitutionelle Krise. Selbst die britische Regierung hat erklärt, dass die EU in der Lage ist, auf der Grundlage der jetzigen Verträge Entscheidungen zu treffen, und die Zeit der Reflexion nach der Ablehnung der Verfassung durch die Franzosen und die Niederländer hätte meines Erachten dazu genutzt werden sollen, um sich mit den Gründen für diese Ablehnung auseinander zu setzen. Stattdessen scheinen sich die Diskussionen einzig und allein darum zu drehen, welche Teile um jeden Preis erhalten werden können.
Als jemanden, der an die Mitgliedschaft seines Landes in der Europäischen Union und das positive Potenzial glaubt, über das Europa verfügt, stimmt mich diese Aussprache traurig. Ich habe stets geglaubt, dass die Entscheidungsprozesse und Institutionen Europas, so wie in der Erklärung von Laeken vorgesehen, vereinfacht und transparenter gestaltet werden sollten. Die Erweiterung der EU erfordert möglicherweise tatsächlich einige Veränderungen an den bestehenden Verträgen oder hin und wieder neue Verträge, aber ich kann weder akzeptieren, dass diese Verfassung gebraucht wird, noch, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt wünschenswert ist.
Es steht außer Frage, dass die britischen Bürger ein Referendum über jeden neuen Vertrag fordern werden, der potenzielle zusätzliche Befugnisse für die EU enthält, und meine Partei würde das unterstützen. Wir werden das Vorgehen der britischen Regierung in den nächsten Wochen mit großen Interesse verfolgen. Herr Blair wird am Vorabend seines Rücktritts am Gipfel in Brüssel teilnehmen, und er darf keine Verpflichtungen für seinen Nachfolger in dessen Abwesenheit eingehen. Gordon Brown sollte darauf bestehen, gemeinsam mit Tony Blair am Gipfel teilzunehmen, so dass er die volle Verantwortung für die von der Regierung eingegangenen Verpflichtungen übernehmen kann.
Ich hoffe, dass sich Herr Brown in den schwierigen, unmittelbar bevorstehenden Zeiten von dieser Art von Realismus leiten lassen wird.
Der Präsident. Vielen Dank, Herr Kirkhope. Soweit ich weiß, steht der britische Premierminister in enger Verbindung zu Gordon Brown!
Hannes Swoboda (PSE). – Herr Präsident! Herr Ministerpräsident Prodi, es ist sehr gut, Sie hier in diesem Haus zu haben – als Person, die sehr viel für Europa gemacht hat, insbesondere aber natürlich auch als Ministerpräsident.
Romano Prodi hat über die Außenpolitik gesprochen. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Es gibt viele in diesem Haus, die gerade jetzt sagen, wir brauchen eine gemeinsame Haltung gegenüber Russland. Auf der anderen Seite gibt es viele, die sagen, wir dürfen Amerika nicht dominieren lassen. Wir brauchen ein starkes Europa. Gemeinsam sagen wir, Indien, China und Brasilien werden immer stärker, können wir da unsere Interessen noch durchsetzen? Wir haben das Nahost-Problem, das wir in Kürze diskutieren werden. Die Frau Kommissarin ist schon da. Wie sollen wir denn einen europäischen Beitrag zu all dem liefern, wenn wir keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben? Wie sollen wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben, wenn wir nicht in Zukunft eine klare Persönlichkeit haben, die all diese Belange nach außen vertreten kann und auch Ansprechpartner dafür ist?
Herr Ministerpräsident, bleiben Sie insbesondere in dieser Frage hart! Ich gebe Ihnen völlig Recht: Nicht jeder Vertrag ist ein guter Vertrag. Wir brauchen einen Vertrag, der eine Minimumschwelle überschreitet und Europa wirklich voranbringt. Alles Gute, Herr Ministerpräsident!
Lapo Pistelli (ALDE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! 1968 gab es ein Motto, das lautete: „Seid realistisch, fordert das Unmögliche!“. Heute müssten wir sagen: „Seid realistisch, fordert das Notwendige, um dieses europäische Projekt, dessen gegenwärtige Hüter Ihr alle seid, nicht zu versenken!“ Sollte sich das Europäische Parlament 2009 ohne ein überzeugendes institutionelles Konzept zur Wiederwahl stellen, würde ganz Europa in eine hoffnungslose Legitimationskrise stürzen, während doch die Bürger heute in der Lage sein müssen, auf der Grundlage eines klaren Modells zu entscheiden, wie Sie es definiert haben.
Das Parlament hat seine Auffassung zu diesem Thema mehrfach geäußert, und nun ist der Rat am Zuge und muss Farbe bekennen. Ministerpräsident Prodi soll wissen, dass er heute nicht nur sein eigenes Land hier vertritt, sondern alle Europaanhänger, die eine stärkere Integration nicht aufgegeben haben.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Sache in Erinnerung bringen: Diejenigen, die heute nicht zustimmen, sollten ruhig ausscheren; die anderen können ungehindert voranschreiten. Führen wir uns vor Augen, dass Europa von einer Vorhut von Ländern gegründet wurde, es jedoch nicht gesagt ist, dass es morgen nach derselben Methode wiederbelebt werden kann.
Mario Borghezio (UEN). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ministerpräsident Prodi tritt vor uns als ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission mit einer durchweg negativen Bilanz: Erweiterung, Euro, China, Reformen; das mutet wie die Bilanz der italienischen Staatsholding IRI (Institut für industriellen Wiederaufbau) an! Denn heute hatten Sie, der Sie doch so begeistert von der europäischen superföderalistischen Verfassung sind, beispielsweise nicht den Mut, über die institutionellen Veränderungen in unserem Land zu sprechen. Wann will man die Entscheidung treffen, den Föderalismus zuzulassen, den der Norden schon lange fordert? Das ist eine Frage der Freiheit und auch der politischen Kohärenz!
Herr Schulz verglich Sie mit dem Leoparden. Das klingt wie ein Fauxpas, trifft aber genau ins Schwarze. Nur ein großer Leopard wie Sie konnte mit politischen Parteien regieren, deren Symbol Hammer und Sichel sind, als die Erweiterung um Länder durchgeführt wurde, die sich selbst vom Kommunismus befreit hatten, und Sie schaffen es gegenwärtig sogar zu regieren, obwohl Sie nur ein Drittel unserer Bevölkerung vertreten.
Sehen Sie: Vom Himmel aus beobachten uns Luigi Sturzo und Alcide De Gasperi, und vielleicht schämen sie sich jener Repräsentanten unseres Landes, die das Engagement der Gründungsväter für ein Europa der Völker und Regionen, nicht der Lobbygruppen, vergessen haben. Ihr geistiger Horizont, Herr Prodi, ist der von Goldman Sachs, nicht der der Glockentürme und Kathedralen, wie wir ihn haben.
Marie Anne Isler Béguin (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr Prodi! Unser Anliegen besteht darin, das europäische Aufbauwerk weiterzuführen. Gewiss haben wir eine Gelegenheit verpasst. Mit ihrem Nein zum Verfassungsvertrag glaubten viele Franzosen, einem liberalen Europa den Weg zu versperren, und hofften so, Einfluss ausüben zu können, um ein soziales und ökologisches Europa voranzubringen. Nun ist aber, wie wir wissen, das Gegenteil eingetreten. Die Neinsager haben unsere Institutionen zur Untätigkeit verurteilt, und ich teile die Ansicht von Ministerpräsident Prodi, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden darf.
Europa braucht eine Verfassung, und der vom Konvent erzielte Kompromiss sollte wieder aufgegriffen und verbessert werden. So wird es, wenn man unter einem Minivertrag, wie er von dem neuen französischen Präsidenten dargestellt wird, den Verfassungskompromiss und die Grundrechtecharta versteht, ein Ja geben, ein Ja zu einem Außenminister. Aber, Herr Prodi, welches Gewicht wird dieser Minister haben ohne eine echte europäische Außenpolitik?
Ja, Herr Prodi, der Vertrag muss noch verbessert werden. Doch wenn dabei ein drittklassiger Vertrag und eine klammheimliche Ratifizierung herauskämen, so wäre das inakzeptabel. Die Zukunft Europas ist Sache der Europäerinnen und Europäer. Daher befürworte ich ein europäisches Referendum, das zeitgleich in den 27 Ländern abgehalten wird, und warum nicht anlässlich der nächsten Europawahlen?
Ich sage Ja, damit Europa die Herausforderungen von heute – vor allem den Klimawandel – bewältigen kann, die unser Leben von Grund auf verändern werden. Ich bin überzeugt, dass unsere Mitbürger diese Herausforderungen verstehen und dieses großartige europäische Projekt voranbringen werden.
Umberto Guidoni (GUE/NGL). – (IT) Herr Prodi, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Verfahren zur Annahme der Europäischen Verfassung darf nicht auf eine Reihe von Änderungen an den bestehenden Verträgen reduziert werden, sondern muss einige wichtige soziale Aspekte umfassen, die jetzt fehlen. Europa muss in der Lage sein, die großen Herausforderungen zu bewältigen, die eine Bedrohung für die Rechte der Bürger, die Lebensqualität, die Gesundheit und sogar die Zukunft der Bevölkerung sind.
Gegenüber Erscheinungen wie Standortverlagerungen, Verknappung der Wasserressourcen, dem weltweiten Energiehunger und dem Klimawandel sind die einzelnen Staaten wehrlos und unfähig, erfolgreiche Strategien zu entwickeln. Nur mit einem Vorgehen, das auf europäischer, oder noch besser auf globaler Ebene, abgestimmt wird, können wir auf einen Erfolg hoffen, wo wir uns ein Versagen nicht leisten können.
Für Europa kommt es darauf an, Vorreiter in der Welt zu sein, sowohl unter politischem Gesichtspunkt, als Maßstab einer inklusiven Sozialpolitik und einer Aufnahmebereitschaft, die ein Vorbild für andere Teile der Welt sein können, als auch im Hinblick auf die technologischen Weichenstellungen und die Zukunftsplanung, insbesondere im Bereich der nachhaltigen Energieversorgung.
Fünf Mitglieder der größten Fraktionen des Europäischen Parlaments haben eine schriftliche Erklärung unterzeichnet, in der es darum geht, dass Europa einen neuen wirtschaftlichen Kurs, basierend auf der Wasserstofftechnologie, einschlagen muss: eine echte industrielle, technologische und gesellschaftliche Revolution, die auf lange Sicht nachhaltig sein kann. Sie haben darauf hingewiesen, und ich glaube, das ist eines jener Beispiele, bei denen Europa die Hauptrolle auf der internationalen Bühne spielen kann und muss.
Um zum Schluss zu kommen, es besteht kein Bedarf an einem Kompromiss um jeden Preis, sondern es gilt, die wirklichen Probleme anzupacken, die Millionen von Bürgerinnen und Bürgern betreffen. Nur so wird der Traum von einem vereinten Europa die Herzen der Europäer ansprechen können.
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Es ist höchste Zeit, mit dem Schreiben von Nachrufen auf die europäische Verfassung aufzuhören; sie ist tot und begraben. Wir müssen zu den Menschen gehen und in Erfahrung bringen, was Europa wirklich braucht:
- einhundert Millionen Europäer leben unterhalb der Armutsgrenze;
- in allen europäischen Hauptstädten grassiert das Verbrechen;
- illegale Einwanderung ist an der Tagesordnung.
Und die Menschenrechte werden mit sichtbaren und unsichtbaren Kameras auf eine ernste Probe gestellt.
Herr Prodi, Sie waren fünf Jahre lang Präsident der Kommission. Können Sie mir sagen, wo die Ostgrenze Europas liegt? Erst gestern befanden sich zwei voll ausgerüstete U-Boote westlich der Insel Samos in der Nähe von Mykonos. Was passiert morgen früh? Den Funken des Krieges, der von der Türkei aus überzuspringen droht, kann man schon sehen.
Daher muss etwas für die Zukunft Europas unternommen werden, denn sonst erleidet dieses vereinte Europa das gleiche Schicksal wie die Heilige Allianz vor zwei Jahrhunderten.
Wir wollen keinen Superstaat errichten. Was wir wollen, ist, die Demokratie und das Wohlergehen der Menschen zu schützen, mit denen das Kapital und die Zentralbank ein falsches Spiel treiben. Europas Ziel muss es sein, die Macht des Volkes, nicht die des Kapitals zu stärken.
József Szájer (PPE-DE). – (HU) Die Kritiker der Europäischen Union werfen der Europäischen Union oft vor, zu stark zu sein und sich in zu viele Dinge einzumischen. Meiner Auffassung nach ist genau das Gegenteil der Fall. Wir, die wir der Union vor kurzem beigetreten sind, erkennen die Notwendigkeit eines stärkeren, effektiveren Europas, eines Europas, das über Instrumente zur Erfüllung seiner Aufgaben verfügt. Dazu brauchen wir eine gemeinsame Energiepolitik, eine gemeinsame Einwanderungspolitik, einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und eine Harmonisierung des Umweltschutzes.
Das alles brauchen wir, um die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union zu schützen und die Unterstützung der Bürger für diese Ziele zu erhalten. Viele betrachten die Verfassung als Selbstzweck. In Wirklichkeit aber müssen wir die Dinge endlich anpacken, und der Verfassungsvertrag ist dabei nur ein Instrument zum Erreichen der Ziele.
Wir können die Unterstützung der europäischen Bürger für das Verfassungsprojekt zurückgewinnen, wenn Europa in der Lage ist, diese gemeinsamen Ziele zu erreichen. Dazu ist es natürlich von besonderer Bedeutung, dass wir offen die gemeinsamen Wurzeln Europas auf der Grundlage des Christentums anerkennen und dies auch in die europäische Verfassung aufnehmen. Ferner müssen wir die gemeinsamen europäischen Werte in Form der Rechte und Freiheiten und der Verteidigung der Minderheitenrechte anerkennen. Wir müssen die Unterstützung der europäischen Bürger für diesen Verfassungsvertrag wiedererlangen, wenngleich nicht als Ziel an sich, sondern als Instrument, mit dessen Hilfe wir gemeinsam die vor 50 Jahren aufgestellten Ziele erreichen können.
Poul Nyrup Rasmussen (PSE). – (EN) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident! Jeder, der den amerikanischen Präsidenten auf der Pressekonferenz im Anschluss an den Gipfel mit der Europäischen Union hat sagen hören, dass „wir ein nettes Treffen mit diesen Leuten von der Europäischen Union“ hatten, wird sich möglicherweise fragen, ob er dabei an Herrn Barroso, Kanzlerin Angela Merkel gedacht oder wen er wohl sonst gemeint hat. Wer immer den amerikanischen Präsidenten gehört oder gesehen hat, muss sich darüber im Klaren sein, dass Europa mit einer Stimme sprechen muss, und danken wir Ihnen für Ihre klaren Worte in Ihrem heutigen Beitrag. Auch für jeden, der im Nahen Osten gewesen ist, kann es keinen Zweifel geben: Wir brauchen eine Stimme für die Europäischen Union.
Deshalb, Herr Ministerpräsident, ist es eine Sache, im Europäischen Parlament zu sprechen – wir alle wissen, dass es hier nicht übermäßig schwierig ist, für einen besseren Vertrag zu argumentieren –, aber es ist etwas ganz anderes, diese Debatte auf der Regierungskonferenz zu führen, wo es hart auf hart geht und von Angesicht zu Angesicht argumentiert werden muss.
Ich weiß, dass Sie ein starker und konsequenter Ministerpräsident sind. Wir respektieren Sie. Bleiben Sie standhaft, und wir stehen im Namen der europäischen Sozialisten und aller progressiven Menschen in ganz Europa fest an Ihrer Seite. Ich glaube, dass Sie eine starke Mehrheit hinter sich haben werden, die zum Wohle der europäischen Bürger fest an Ihrer Seite stehen werden.
Der Präsident. Und das war die Erfahrung eines ehemaligen Ministerpräsidenten, der heute Europaabgeordneter ist.
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Herr Prodi, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft Europas liegt in seinen Wurzeln, und für uns Radikale werden sie durch das Manifest von Ventotene verkörpert, in dem die Notwendigkeit der Schaffung von Frieden, Demokratie und Wohlstand durch die Überwindung der Dimensionen der Nationalstaaten hervorgehoben wurde.
Europa zu reformieren bedeutet heute, dieses Projekt auch den Völkern am anderen Ufer des Mittelmeers anzubieten, und auch für sie das individuelle Recht auf Demokratie durch den Beitritt demokratischer Staaten zu verwirklichen, beginnend mit der Türkei, aber auch mit Blick auf Israel, Marokko und andere. Sie sprachen von Vorhut, doch für uns bildet nur der die Vorhut, der es ablehnt, die Türen Europas zu verschließen.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt hervorheben: Wir schlagen vor, dass jede weitere Reform zum Gegenstand eines Volksentscheids der europäischen Bevölkerung als solcher gemacht wird. Ich spreche nicht von nationalen Referenden, sondern von einer einzigen Volksbefragung, die für die Bürger des Vaterlands Europa anberaumt wird, gegen das neo-gaullistische Europa der nationalen Vaterländer.
Lassen Sie uns abschließend ein Beispiel begrüßen, das dafür steht, wie stark wir als Union sein können, wenn wir Selbstvertrauen haben: die Vorlage der Resolution über das Moratorium für die Todesstrafe in der laufenden Generalversammlung der Vereinten Nationen. Doch Achtung, Herr Präsident, denn manche versuchen immer noch, sie zu sabotieren! Schauen Sie sich beispielsweise die amtliche Mitteilung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ und der Ratsbeamten an. Nach der letzten Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ ist klar, dass dieser Sabotageversuch im Gange ist, Herr Präsident, und wir sollten versuchen, ihn zu vereiteln.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Danke, Herr Präsident! Herr Präsident, Herr Prodi, meine Damen und Herren! Zweifellos brauchen wir eine effiziente und wohlgeordnete Europäische Union, die demokratisch und bürgernah ist. Auch muss die Union von einem Geist der Solidarität erfüllt und auf einem Verfassungsvertrag gegründet sein. Es sollte eine Union von der Art sein, wie Herr Prodi sie uns heute beschrieben hat, und ich bin ihm dankbar dafür.
Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um meine Wertschätzung für die Solidarität auszudrücken, die die Europäische Union vor kurzem gegenüber meinem Land, Polen, mit der Umsetzung ihrer Ostpolitik gezeigt hat. Das polnische Volk ist sich dessen bewusst und weiß das zu schätzen. Die Menschen in Polen verstehen, dass sie dafür etwas schulden und die gleiche Solidarität in Fragen bekunden müssen, die für Europa als Ganzes von Bedeutung sind. Das ist so, weil 68 % meiner Landsleute mit der EU-Mitgliedschaft zufrieden sind und mehr Europa wollen. Über 60 % der Polen sind für einen Verfassungsvertrag.
Ich bitte Sie deshalb, Herr Prodi, sicherzustellen, dass der Europäische Rat auf dem bevorstehenden Gipfel den Meinungen der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union Gehör schenkt. Schließlich wird dieser großartige, Europäische Union genannte Bau eben für jene Bürgerinnen und Bürger, nicht für die Regierungen errichtet.
Der Präsident. Wir bedanken uns beim italienischen Ministerpräsidenten! Sie haben gesehen, dass die große Mehrheit des Europäischen Parlaments Ihre Überzeugungen teilt. Es wird in den nächsten Wochen darum gehen, dass wir diese Überzeugung durchsetzen. Wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg, besonders auf dem Gipfeltreffen heute in einem Monat, am 21. und 22. Juni in Brüssel.
Die Aussprache ist geschlossen.
(Beifall)
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Richard Corbett (PSE), schriftlich. – (EN) Als gewählte Politiker müssen wir den Menschen zuhören, und zwar allen Menschen. Einige, wie Herr Farage, wollen nur auf einige hören, auf diejenigen, die in Frankreich und den Niederlanden mit Nein gestimmt haben. Andere wollen nur auf die hören, die in den 18 Ländern, die den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, mit Ja gestimmt haben.
Zum Glück sind die Mehrheit in diesem Haus und die Mehrheit der Regierungen in den Mitgliedstaaten an der Meinung aller interessiert. Sie wollen die Meinungsunterschiede überwinden und eine Lösung finden, die von allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert werden kann.
Natürlich möchte das Europäische Parlament, das den Verfassungsvertrag mit großer Mehrheit gebilligt hat, so viele der darin enthaltenen Reformen wie möglich retten. Es ist nur natürlich, dass das Parlament so wenig Elemente des Vertrags wie möglich opfern will, aber gleichzeitig muss soviel aufgegeben werden, wie nötig ist, um eine Einigung aller Länder zu erzielen.
Alexandra Dobolyi (PSE), schriftlich. – (HU) Was bedeutet Europa für uns? Eine Gemeinschaft ohne Grenzen, die auf Frieden, Freiheit und Demokratie basiert, den Wohlstand ihrer Bürger fördert und zur Solidarität der Mitgliedstaaten führt.
Wir stehen vor großen Herausforderungen! Daher müssen wir einen geeigneten Aktionsplan für Europa skizzieren, der den Rahmen und die Politik festlegt, innerhalb der wir agieren und die das Europa schafft, in dem wir in der Zukunft leben und gedeihen können. Es ist außerordentlich wichtig, dass wir die Einheit bewahren, die wir durch fortwährende Anstrengungen über diese Jahrzehnte hinweg erreicht haben, und sie an die kommenden Generationen weitergeben.
Ich halte es auch für bedeutsam, die Einzigartigkeit und das vielfältige kulturelle Erbe der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu bewahren, möchte aber betonen, dass es eine große Anzahl von Zielen gibt, die wir nicht allein, sondern nur gemeinsam erreichen können.
Vor diesem Hintergrund ist es unsere Pflicht, unsere historischen Differenzen hintanzustellen und unsere Union auf eine erneuerte Grundlage zu stellen. Wir wollen eine starke Europäische Union, die angesichts der heute vor uns stehenden zahlreichen Herausforderungen wie Terrorismus, organisiertes Verbrechen, illegale Einwanderung, Klimawandel und Energiepolitik wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen kann. Dazu ist ein effektives institutionelles System unerlässlich.
Zu diesem Zweck müssen wir einen Konsens erreichen, damit wir in unserer gemeinsamen Sache weiter vorankommen, denn ohne einen neuen Grundlagenvertrag (Verfassung) kann die EU nicht mehr sein als der rückläufige westliche Ausläufer des asiatischen Kontinents. Wir haben die Möglichkeit, zu einer Lösung zu kommen, und ich hoffe, wir werden sie nutzen können.
Magda Kósáné Kovács (PSE), schriftlich. – (HU) Wir können den Verfassungsprozess nicht aufhalten, denn dies könnte zu einer ernsthaften Krise der Europäischen Union, zu einer Verwässerung der europäischen Werte und zu einem Zurückfallen Europas in globalem Maßstab führen.
Die Person Romano Prodis und die letzten Jahre, die wir gemeinsam verbracht haben, stehen als Garanten dafür, dass die Bewahrung dieser Werte und die Zusammenarbeit in einem erweiterten Europa der 27 tatsächlich möglich sind.
Gegenwärtig können sich die neuen Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa keine europäische Zukunft vorstellen, in der die nationale Identität in einem gemeinsamen europäischen Staatengebilde aufgeht. Diese Länder haben durch historische Schritte gerade erst ihre nationale Identität aus dem großen roten Schmelztiegel der Sowjetunion zurückerhalten. Daher wollen ihre Bürger Europäer sein, ohne dass ihre nationale Identität oder ihre gerade geschaffenen demokratischen Institutionen gefährdet sind.
Darüber hinaus brauchen die mittel- und osteuropäischen Länder genau aus diesem Grund ein starkes Europa, da ihrer Ansicht nach ihre zukünftige Entwicklung und der Schutz ihrer nationalen Interessen am besten in einem gemeinsamen, flexiblen Europa gesichert werden.
Aus diesem Grunde können wir nicht akzeptieren, dass der Verfassungsvertrag zu einem politischen und rechtlichen Zombie wird. Um weiter voranzukommen, sind wir gleichzeitig auch offen für die erforderlichen Änderungen.
13. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
14. Lage in Palästina (Aussprache)
Die Präsidentin. – Das Protokoll der gestrigen Sitzung wurde verteilt.
Gibt es Einwände?
(Das Protokoll der vorangegangenen Sitzung wird genehmigt.)
Als nächster Punkt folgen die Erklärungen von Rat und Kommission zur Lage in Palästina.
Günter Gloser, amtierender Ratspräsident. Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen haben wir einen besorgniserregenden Anstieg der Gewalt im Nahen Osten gesehen. Die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen haben über fünfzig Menschen das Leben gekostet.
Über 150 Kassam-Raketen wurden in der letzten Woche aus dem Gazastreifen auf israelische Städte abgefeuert. Gestern Abend starb eine Israelin. Bei den israelischen Militäraktionen kamen bereits über 30 Palästinenser ums Leben. Es besteht die ernste Gefahr einer weiteren Eskalation. Die im November zwischen Palästinensern und Israelis vereinbarte Waffenruhe im Gaza-Streifen wird zusehends brüchiger, und die mit saudischer Hilfe im Februar in Mekka erreichte innerpalästinensische Aussöhnung steht auf dem Spiel.
Die Einigung von Mekka hat zum Ende der islamistischen Alleinregierung der Hamas beigetragen. Seit dem 18. März regiert in Palästina eine neue palästinensische Regierung der Nationalen Einheit. Mit 83 von 86 Parlamentariern, darunter alle Abgeordneten von Hamas und Fatah, hatte zuvor eine überwältigende Mehrheit der Regierung ihr Vertrauen ausgesprochen. Aber in der internationalen Gemeinschaft besteht weiter ein breiter Konsens darüber, dass die palästinensische Regierung den Lackmustest noch nicht ganz bestanden hat. Denn auch von dieser Regierung werden die drei Kriterien des Quartetts nicht vollständig erfüllt.
Die Europäische Union hat trotzdem an ihrer humanitären Unterstützung für die Palästinenser festgehalten. Ich unterstreiche das ausdrücklich: Mit über 300 Millionen Euro hat die Europäische Union mehr gegeben als in den Jahren zuvor.
Für eine völlige Normalisierung unserer Beziehungen zu den Palästinensern bleiben aber die Quartettkriterien der Maßstab: Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel und der bisherigen Abkommen zwischen Israel und der PLO sowie ein genereller Verzicht auf Gewalt. Insbesondere beim Gewaltverzicht besteht aber noch ein erhebliches Manko. Von der palästinensischen Regierung erwarten wir uns gerade in diesen Tagen ein effektives Vorgehen gegen den Beschuss und die Freilassung des israelischen Soldaten Shalit.
Gleichwohl hat die Europäische Union das Ende der Hamas-Alleinregierung für einen erneuten Aufbruch in der Nahostpolitik genutzt. Die Außenminister haben den Kontakt mit den Regierungsmitgliedern, die die Quartettkriterien anerkennen, wieder aufgenommen. Präsident Abbas verdient daher unsere volle Unterstützung. Die EU steht in engem Kontakt mit dem Finanzminister Fayyad und unterstützt ihn dabei, transparente Institutionen und Mechanismen im Finanzbereich aufzubauen, denn die Verbesserung der Finanz- und Wirtschaftslage ist unser aller Ziel. Dazu beitragen würde auch die von der Europäischen Union immer wieder geforderte Freigabe der von Israel zurückgehaltenen Zoll- und Steuerrückerstattungen.
Seit Monaten bereits hat sich die Präsidentschaft für eine Wiederbelebung des Nahostquartetts und eine stärkere Einbindung der konstruktiven arabischen Partner engagiert. Nach ersten Erfolgen geht es uns nun insbesondere darum, das erreichte Momentum zu erhalten. Für uns bedeutet dies, dass wir noch engagierter dazu beitragen müssen, die Bemühungen aller Beteiligten im Nahostfriedensprozess zu forcieren.
Die bilateralen Treffen zwischen Präsident Abbas und Premierminister Olmert bringen bisher noch keine spürbaren Erfolge. Hier muss etwas geschehen: Zugang und Beweglichkeit für Palästinenser müssen deutlich verbessert werden, israelische Zusicherungen müssen endlich umgesetzt werden. Auf palästinensischer Seite vermisse ich die Durchsetzung des Gewaltverzichts und das Engagement bei der Freilassung des israelischen Soldaten Shalit.
Die Arabische Liga hat vor allem dank saudischen Engagements die Friedensinitiative vom März 2002 bekräftigt. Ein erstes erfolgreiches Treffen der Arabischen Liga mit der Europäischen Union hat auf unsere Einladung hin beim letzten Rat am 14. Mai stattgefunden. Weitere Gespräche hat die Arabische Liga mit dem Quartett und auch mit Israel geführt. Zwar kann dieses Engagement keine bilateralen Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis ersetzen, doch kann die Friedensinitiative ein positives Umfeld für sie schaffen. Dies sollte aber gerade auch von der Europäischen Union weiter gefördert werden. Wir bemühen uns als Präsidentschaft um ein weiteres Treffen des Nahostquartetts innerhalb der nächsten Tage.
Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt angesichts der langsamen Fortschritte nicht in Resignation verfallen. Die Europäische Union ist sich in den letzten Monaten ihrer gewachsenen Rolle zunehmend bewusster geworden. Wir sind bereit, dieser damit gestiegenen Verantwortung gerecht zu werden.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Bedauerlicherweise findet die heutige Aussprache zu einem sehr schwierigen Zeitpunkt statt. Die Lage in der gesamten Region verschlechtert sich, und davon sind sowohl der Libanon, die besetzten palästinensischen Gebiete als auch Israel betroffen. Die Ereignisse der letzten drei Tage, die viele Menschen – fast 100 – in kurzer Zeit das Leben gekostet haben, machen mehr als deutlich, dass nach einer regionalen Lösung für diesen Konflikt gesucht werden muss. Wie Sie wissen, weilt Javier Solana heute zu diesem sehr schwierigen Zeitpunkt in Beirut, und wir hoffen, dass die Lage verbessert werden kann.
Ich fordere unsere Freunde in allen Parteien und politischen Gruppierungen im Libanon auf, auch weiterhin zur Ruhe aufzurufen und die Menschen zu bitten, alles zu unterlassen, was einen großen internen Konflikt heraufbeschwören könnte. Es steht erneut die nationale Einheit auf dem Spiel.
Die Kommission stellt fest, dass alle Splittergruppen, die Mehrheit und die Opposition sowie palästinensische Organisationen die Fatah al-Islam verurteilt haben, und ich hoffe, dass alle politischen Führer auch weiterhin Reife beweisen und damit zeigen werden, dass sie sich eine bessere Zukunft vorstellen können, und dass sie verhindern werden, dass sich der Konflikt erneut zu einem innerlibanesischen Kampf entwickelt. Jetzt geht es vor allem darum, Möglichkeiten für eine Deeskalation der Lage in Tripolis zu finden und zu verhindern, dass Gefahrenherde in anderen Landesteilen außer Kontrolle geraten. Die Bevölkerung in den Lagern braucht ebenfalls Hilfe. Krankenfahrzeuge und humanitäre Konvois müssen Zugang zu den Lagern erhalten. Letztlich ist uns allen klar, dass eine regionale Lösung gefunden werden muss. Vor dem Hintergrund der Gesamtsituation können wir nur alle Seiten – im Libanon und in den palästinensischen Gebieten – aufrufen, sich jeglicher Gewalt zu enthalten und eine weitere Eskalation zu verhindern.
Ich möchte jetzt etwas konkret zu den besetzten palästinensischen Gebieten sagen. So wie der amtierende Ratspräsident bin auch ich zutiefst besorgt über die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen der letzten Woche im Gazastreifen, bei denen 55 Menschen getötet und 280 verletzt wurden. Es hat leider den Anschein, als stehe der Gazastreifen kurz vor einen Bürgerkrieg. Die Splittergruppen sollten ihre Feindseligkeiten unverzüglich einstellen und ihre Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung der Nationalen Einheit klären.
Auch ich verurteile die Wiederaufnahme der Kassam-Raketenangriffe auf die israelische Stadt Sderot, bei denen gestern eine israelische Frau ums Leben kam. Bei den von Israel zur Vergeltung durchgeführten Luftangriffen wurden dann 35 Palästinenser getötet, was den Teufelskreis wieder in Gang gebracht hat. Deshalb kommt es darauf an, die Waffenruhe zwischen Israel und den Palästinensern wiederherzustellen und auf das Westjordanland auszuweiten.
Bei meinem jüngsten Zusammentreffen mit dem palästinensischen Außenminister Ziad Abu Amr haben wir die prekäre Lage der Regierung der Nationalen Einheit, vor allem in Bezug auf die Sicherheit, sowie den Haushalt erörtert. Die ersten von der Regierung getroffenen Entscheidungen scheinen in die richtige Richtung abzuzielen. Herr Abu Amr erwähnte, dass sich seine Regierung als das Kabinett von Präsident Abbas betrachtet. Dieses Regierung verfolgt ein anderes Programm als ihre Vorgängerin, und das Zusammentreffen hat mir wieder Mut gemacht. Ich glaube, sie verdient unsere klare Unterstützung. Präsident Abbas hat uns um umfassende Unterstützung gebeten, da möglicherweise sein politisches Überleben vom Erfolg seiner Regierung abhängt. Ich hoffe, dass es gelingen wird, eine weitere Eskalation dieser sehr schwierigen und von Gewalt geprägten Situation zu verhindern.
Gleichzeitig steht Finanzminister Salam Fayyad, mit dem ich nach der Regierungsbildung zusammengetroffen bin, vor der enormen Herausforderung, die öffentlichen Finanzen nach einem Jahr des institutionellen Verfalls und eines drastischen Rückgangs der Einnahmen wieder auf Vordermann zu bringen. Entgegen allen Erwartungen ist er sehr gut vorangekommen, und die technischen Bedingungen für den Erhalt direkter Finanzleistungen sind fast erfüllt.
Bekanntlich verfügt die Palästinensische Autonomiebehörde über drei Hauptfinanzierungsquellen: interne Steuern, Steuer- und Zolleinnahmen auf importierte Produkte sowie ausländische Hilfe. Die internen Steuern sind aufgrund der rückläufigen wirtschaftlichen Entwicklung drastisch gesunken. Seit den Wahlen im vergangenen Jahr hat Israel zudem Steuer- und Zolleinnahmen auf Einfuhren zurückgehalten. Das ist eine der Hauptursachen für die finanziellen Schwierigkeiten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Hinzu kommt, dass ausländische Hilfe aufgrund der von den USA verhängten Beschränkungen für finanzielle Transaktionen mit der Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht ohne Weiteres fließen kann.
Wir unterstützen Palästina bei der Lösung dieser finanziellen Probleme in dreifacher Hinsicht. Erstens hat sich unser Vorläufiger Internationaler Mechanismus zu einer sehr wichtigen Quelle für die Finanzierung von Beihilfen, Kraftstoffkosten und wichtigen Versorgungsgütern entwickelt. Seit Bildung der Regierung der Nationalen Einheit betreiben wir diesen Mechanismus in enger Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium von Salam Fayyad.
Seit Einrichtung des Vorläufigen Internationalen Mechanismus im Juni des vergangenen Jahres konnten wir bereits über 300 Millionen Euro über diesen Mechanismus transferieren. Ich möchte dem Parlament für seine Unterstützung bei der Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsressourcen danken, dank derer weitere Hilfe im Rahmen des Mechanismus geleistet werden kann.
Zweitens arbeiten wir mit unseren amerikanischen Partnern zusammen, um den Transfer ausländischer Hilfe, und zwar vor allem die auf dem jüngsten arabischen Gipfel in Riad zugesagten arabischen Hilfsfonds, an Palästina zu erleichtern.
Und schließlich haben wir Israel wiederholt nachdrücklich aufgefordert, die Überweisung der palästinensischen Steuer- und Zolleinnahmen wieder aufzunehmen. Wir nutzen alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente – ob ökonomischer oder politischer Natur –, aber das Überleben dieser Regierung hängt nicht nur von uns ab. Nur wenn alle Finanzströme an die Palästinensische Autonomiebehörde wieder fließen, kann eine dauerhafte Lösung für die finanzielle Krise Palästinas gefunden werden. Auch die Palästinenser müssen dazu einen Beitrag leisten und beschließen, die Kämpfe endgültig zu beenden und sich auf den Frieden zu konzentrieren.
Trotz der Verzweiflung in den besetzten palästinensischen Gebieten und im Libanon glauben wir, dass wir die sich uns jetzt im Friedensprozess bietenden Möglichkeiten nutzen müssen, denn sie könnten sehr leicht wieder verschwinden. Deshalb ist der Erfolg der deutschen Initiative so wichtig. Ganz entscheidend ist auch, dass die Arabische Liga ihre Friedensinitiative neu auflegt. Wie Sie wissen, haben Rat, Kommission und Europäisches Parlament auf höchster Ebene entschlossene diplomatische Folgemaßnahmen ergriffen. Ich selbst bin mehrfach mit dem Follow-up-Ausschuss in Sharm el Sheikh, in Riad und kürzlich im Rahmen der GAERC-Tagung in Brüssel zusammengetroffen.
Generalsekretär Amr Moussa und andere haben die Dringlichkeit hervorgehoben, die heute offensichtlicher ist denn je, und er bat uns, der Liga zu helfen, die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Auf israelischer Seite ermutigt mich die Tatsache, dass Außenministerin Livni in Kairo war und in den kommenden Wochen den Gegenbesuch ihres jordanischen und ägyptischen Kollegen erwartet. Sie ist offenbar auch bereit, sich stärker als in der Vergangenheit zu engagieren, und der deutsche Ratsvorsitz wird sie zur nächsten GAERC-Tagung einladen.
Gleichzeitig befürworte ich die Bemühungen, die Außenministerin Condoleeza Rice unternimmt, um die Parteien zusammenzubringen und Gespräche über den politischen Horizont für Palästina einzuleiten. Ich hoffe, dass dies möglich sein wird, obwohl die Lage im Moment nicht gut ist. Die Energie und die Bemühungen, die Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien und andere investiert haben, verdienen ebenfalls Anerkennung.
Nächste Woche wird das Quartett zusammenkommen. Ich hoffe, dass man dabei auf die Anstrengungen der Arabischen Liga eingehen wird. Das könnte zu Fortschritten in allen Bereichen des Friedensprozesses führen, aber ich bin auch realistisch und verstehe, was der deutsche Ratsvorsitz gesagt hat, dass wir zumindest das Erreichte erhalten sollten.
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Wir stehen vor einer überaus schwierigen Situation. Wie der Vertreter des Ratsvorsitzes und die Kommissarin betont haben, handelt es sich hier um eine ernste politische Krise mit internen Zusammenstößen und Kämpfen zwischen den beiden Gruppierungen der Regierung der Nationalen Einheit, in die so große Hoffnung gesetzt wurde; eine äußerst gravierende wirtschaftliche, soziale und humanitäre Krise, und die Zahlen sind niederschmetternd: Mehr als 66 % der palästinensischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, über 50 % haben keine Nahrungsmittelsicherheit, mehr als eine Million Menschen waren im vergangenen Jahr ohne ein gesichertes Einkommen, in den letzten drei Tagen kamen im Libanon hundert Personen um, im Gazastreifen gab es eine hohe Zahl von Toten.
Ich glaube, angesichts dieser Situation muss die Europäische Union aus ihrer Lethargie erwachen und einen Schritt in die richtige Richtung tun.
Wenn etwas gut gemacht wird, dann gilt der Dank dafür der Europäischen Kommission, die unter zahllosen Schwierigkeiten ihren Beitrag zur Linderung der humanitären und sozialen Katastrophe in der Region leistet, doch meiner Ansicht nach müssen wir darüber hinausgehen.
Die Kommissarin hat uns daran erinnert, dass sich der Hohe Vertreter, Javier Solana, zurzeit in der Region aufhält. Wir müssen den Mut und die Kraft zu mehr als nur schönen Worten aufbringen, Herr Ratsvorsitzender, und die Europäische Union muss versuchen, etwas gesunden Menschenverstand in diese barbarische Lage in der Region zu tragen.
Wir stehen vor einem Teufelskreis der Gewalt; Kassam-Raketen werden abgefeuert, es finden israelische Repressalien statt und Selbstmordattentate werden angekündigt … Wir sind mit einer absolut selbstmörderischen Spirale der Gewalt konfrontiert.
Wir müssen versuchen, etwas Ordnung herzustellen, wir müssen der Arbeit des Hohen Vertreters vertrauen, die diplomatischen Kräfte der Europäischen Union so weit wie möglich mobilisieren und die Kommission muss alle Aktionen zur wirtschaftlichen und humanitären Hilfe, die durchgeführt werden, unterstützen.
Ich möchte die Aufmerksamkeit des Ratsvorsitzes auf eine Frage lenken, die ich für grundlegend halte: Zur Wiederaufnahme der Direkthilfe für die Palästinensische Autonomiebehörde stellte das Quartett fest, dass nicht nur die Zusammensetzung der Regierung eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch ihre Taten.
Könnte der Ratsvorsitzende seinen Standpunkt zu diesem Thema erläutern und uns sagen, wie wir diesen Teufelskreis aus Hass, Gewalt und Zerstörung überwinden können?
Pasqualina Napoletano, im Namen der PSE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, Herr Gloser, Frau Ferrero-Waldner, meine Damen und Herren! Tod und Gewalt haben wieder Einzug in Gaza, Libanon und Israel gehalten. Als Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament unterstreichen wir die dringende Notwendigkeit einer radikalen Änderung der Politik der Europäischen Union im Nahen Osten, wobei die finanzielle Unterstützung für die palästinensischen Institutionen und die Bevölkerung vollständig wiederaufgenommen werden muss.
Die Konflikte der letzten Tage sind das Ergebnis der Zuspitzung und Stagnation der politischen Lage, und sie belegen und bestätigen zugleich die Tatsache, dass Israel seine Sicherheit nicht auf dem Tod Palästinas und der Palästinenser aufbauen kann. Die Doppelmoral der europäischen Demokratie gegenüber der Regierung der nationalen Einheit muss aufhören, denn die einzige Hoffnung, die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen, liegt in der politischen Beständigkeit dieser Regierung.
Die Entscheidung, die Finanzhilfe für die Institutionen einzufrieren, erscheint jedoch nach der Bildung der Regierung der nationalen Einheit noch absurder. Die Tatsache, dass Rat und Kommission beschlossen haben, sich nicht mit den Hamas-Ministern und den Unabhängigen zu treffen, trägt nicht gerade zur Stabilisierung dieser Exekutive bei, die gegenwärtig die einzige politische Ausdrucksform ist, die der palästinensischen Bevölkerung zur Verfügung steht.
Die Einigung von Mekka ist, obgleich sie keine unkritische Wiederholung der vier Punkte des Quartetts ist, offensichtlich ein Schritt in die richtige Richtung, im Sinne der gegenseitigen Anerkennung und der Einstellung der Gewalt. Hier müssen wir mit unserer Arbeit ansetzen, um zu gewährleisten, dass sich die Lage in eine positive Richtung entwickelt. Ein anderer Grund ist, wie die Frau Kommissarin hervorgehoben hat, dass Außenminister Abu Amr, der letzte Woche hier bei uns in Brüssel war, uns in dieser Hinsicht sehr beruhigt hat.
Wir schließen uns der Trauer an und verurteilen ebenfalls den Raketenbeschuss auf Sderot, bei dem es Tote und Verletzte gab, wollen aber zugleich die palästinensischen und israelischen Behörden auffordern, die unverhältnismäßigen, übertriebenen und illegalen Vergeltungsschläge gegen palästinensische Politiker und Zivilisten einzustellen. Es wurde eine perverse Dynamik in Gang gesetzt, und wir Europäer müssen versuchen, sie zu durchbrechen helfen.
Ich möchte Ihnen in Erinnerung bringen, dass die 78 Menschen, die in den letzten Tagen im Libanon ihr Leben verloren, Bände sprechen über eine andere vergiftete Frucht des ungelösten arabisch-israelischen Konflikts, nämlich darüber, dass im Libanon wieder ein offener Konflikt mit den 400 000 palästinensischen Flüchtlingen ausbrechen kann, die sich in diesem Land befinden. Wir haben diesen Albtraum schon erlebt, lassen Sie uns versuchen, das zu verhindern, so wie wir im Juli letzen Jahres den Krieg und Israels Angriff auf den Libanon gestoppt haben.
Chris Davies, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Der amtierende Ratspräsident sagte, dass die neue Regierung der Einheit den Lackmustest noch nicht ganz bestanden habe. Nun, die Israelis haben noch nicht ganz aufgehört, ihre Sicherheitsmauer zu bauen sowie palästinensisches Land und Wasser zu stehlen. Die Israelis haben noch nicht ganz die 10 000 Gefangenen entlassen, von denen viele ohne Anklage oder Verfahren festgehalten werden. Die Israelis haben noch nicht ganz aufgehört, Grenzübergänge einzurichten – 589 letzten Angaben der Kommission zufolge –, die ein Wirtschaftsembargo gegenüber den Palästinensern darstellen. Die Israelis haben noch nicht ganz die Gelder zurückgezahlt – die sich inzwischen möglicherweise auf etwa eintausend Millionen Euro belaufen –, bei denen es sich um Einnahmen der Palästinenser im vergangenen Jahr handelt und die sie zurückhalten. Sie haben noch nicht ganz die Teilung und Trennung mittels Ausweisen eingestellt, die der Führer meiner Partei, Paddy Ashdown – unser ehemaliger Vertreter in Bosnien und Herzegowina – letzten Sonnabend als Rassismus unter dem Vorwand einer Verwaltungsmaßnahme bezeichnet hat.
Ich sage das an die Adresse des amtierenden Ratspräsidenten, weil wir als Europäische Union den Eindruck vermitteln, als würden wir mit zweierlei Maß messen: Wir scheinen jede rechtswidrige Handlung durch Israel zu ignorieren, von den Palästinensern aber zu erwarten, dass sie sich wie Heilige verhalten. Die Kommissarin sagte, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um Israel zur Einhaltung internationaler Vereinbarungen und zur Achtung der Gesetze zu bewegen. Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Uns stehen viele Instrumente zur Verfügung, die wir noch einmal versuchen einzusetzen.
Was soll die Regierung der Nationalen Einheit denn jetzt tun? Erst vor zwei Wochen hat uns Ministerpräsident Haniyeh in einer uns alle zufrieden stellenden Weise nicht nur davon überzeugt, dass die Regierung der Einheit entschlossen ist, die drei Bedingungen des Quartetts zu erfüllen und dies ihrer Ansicht nach auch tat, sondern dass sie auch bereit ist, sich ohne Einschränkung oder Vorbedingung jederzeit mit den Mitgliedern des Quartetts zu treffen, um diese Differenzen zu klären. Ich fordere den amtierenden Ratspräsidenten auf, das Angebot anzunehmen.
Zu bedenken wären auch die gestrigen Äußerungen des norwegischen Außenministers, der fragte, was passieren würde, wenn wir diese Regierung nicht unterstützen. Wenn wir sie nicht unterstützen, hat das nur Chaos und Krisen zur Folge.
Die gute Nachricht in Ihrer Rede, Herr amtierender Ratspräsident, ist daher die, dass Sie sich vordringlich um ein Treffen zur Neueinschätzung der Lage bemühen. Das ist ein positiver Schritt nach vorn. Ich kann dazu nur sagen, dass wir den Palästinensern oft vorgeworfen haben, dass sie Chancen verpasst haben; wir haben Israel oft vorgeworfen, Chancen verpasst zu haben. Das ist eine Chance, die wir selbst nicht verpassen dürfen.
Ryszard Czarnecki , im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, Herr Gloser, meine Damen und Herren! Die Situation im Nahen Osten stellt nicht nur die Länder der Region, sondern auch die Welt insgesamt vor eine erhebliche und anhaltende Herausforderung. Wir warnen vor einer parteiisch emotionalen Vorgehensweise bei diesem Jahrzehnte alten Konflikt. Trotz aller Simplifizierung und der Versuchung, ausgehend von Nachrichten aus dem Fernsehen einfache Bewertungen vorzunehmen, ist die Lage nicht in Schwarz oder Weiß darzustellen. Es mag in gewissen Kreisen schick sein, Israel als Aggressor und Unterdrücker zu etikettieren, aber eine solche Auffassung ist unredlich und unsolide.
Die Ausweitung radikaler Haltungen und die für radikale Gruppen à la Hamas abgegebenen Stimmen deuten daraufhin, dass Möglichkeiten für einen Dialog in diesem Gebiet so gut wie nicht vorhanden sind. Eine weitere größere Schwierigkeit, die oft unerwähnt bleibt, liegt in den tiefgehenden Zerwürfnissen und erbitterten internen Machtkämpfen innerhalb der politischen Klasse und der Gesellschaft in Palästina.
Bestimmte Experten haben auf das Bildungssystem der Palästinensischen Autonomiebehörde hingewiesen. Wie von Teilnehmern der Konferenz festgestellt worden ist, die vergangene Woche von Herrn Van Orden im Europäischen Parlament wurde, bekräftigt das System negative und antagonistische Stereotypen im Hinblick auf den Heiligen Krieg, dem Jihad, und die strukturelle Opposition zu Israel und auf tatsächlichen Hass gegen dieses Land. Im Interesse der Objektivität muss auch gesagt werden, dass Israel seit dem Sieg der Hamas bei den von der Palästinensischen Autonomiebehörde abgehaltenen Wahlen einen ziemlich kontroversen Plan umgesetzt hat. Danach weigert es sich, die palästinensischen Steuereinnahmen an die Autonomiebehörde zu überweisen. Das muss ernsthafte Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde haben. Die Europäische Union sollte realistisch und rational reagieren. Sie darf sich nicht wie ein kurzsichtiger, wohlwollender Onkel verhalten, der reichlich Taschengeld austeilt, aber nicht darauf achtet, wie das Geld verwendet wird. Die Union darf auch nicht zur Geisel von jeweils einer der beiden Seiten in diesem Konflikt werden.
Caroline Lucas, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich muss sagen, dass ich mich noch immer nicht ganz von dem Schock erholt habe, in den mich die Worte des Vertreters des Rates versetzt haben. Ich weiß nicht, wie er behaupten kann, die neue Regierung der Einheit erfülle nicht die Kriterien des Quartetts. Unsere Delegation ist eben erst aus der Region zurückgekehrt, und wir alle waren einhellig der Meinung, dass sie das tut.
Ja, es werden noch Kassam-Raketen abgefeuert, was natürlich zu verurteilen ist. Aber glauben Sie wirklich, dass die EU hilft, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, indem sie sich weigert, umfassend mit der Regierung zusammenzuarbeiten? Glauben Sie wirklich, sie hat nichts mit dem wirtschaftlichen und politischen Würgegriff zu tun, in dem der Gazastreifen von Israel gehalten wird?
Sie erwähnen die Gefangenschaft des Soldaten Shalit – und natürlich sollte er freigelassen werden –, aber Sie haben mit keinem Wort die 41 Mitglieder des Palästinensischen Legislativrates erwähnt, die noch immer von Israel festgehalten werden; Sie haben nicht einmal die 10 000 palästinensischen politischen Häftlinge erwähnt, die von Israel gefangen gehalten werden, viele von ihnen ohne Gerichtsverfahren. Ich möchte also um etwas mehr Ausgewogenheit in dieser Debatte bitten.
Indem sich die EU weigert, die neue Regierung der Einheit voll anzuerkennen und indem sie die Hilfe über einen vorläufigen internationalen Mechanismus leitet anstatt über die Palästinensische Autonomiebehörde, unterminiert sie aktiv die Autorität und den Apparat der demokratischen Institutionen Palästinas. Noch schlimmer ist, dass wir mit unserer Haltung die Elemente sowohl innerhalb als auch außerhalb Palästinas ermuntern, die am Scheitern dieser Regierung interessiert sind. Jeder neue Tag, an dem wir uns weigern, umfassend mit dieser Regierung zusammenzuarbeiten, ist ein weiterer Tag, an dem die Extremisten sagen: „Seht, Demokratie funktioniert nicht. Wir haben alles getan, was die internationale Gemeinschaft gefordert hat – demokratische Wahlen, eine neue Regierung der Einheit, Erfüllung der Forderungen des Quartetts, und trotzdem werden wir politisch und wirtschaftlich boykottiert. Weshalb in aller Welt tragen wir zur Bildung einer demokratisch gewählten Regierung bei, die sich nach Kräften für die Erhaltung des Friedens einsetzt?“
Wollen wir das wirklich. Bilden Sie sich nicht ein, dass die Alternative eine geringfügig andere Regierung ist, deren Farben uns geringfügig besser gefallen. Die Alternative werden Chaos und Gewalt in einem unvorstellbaren Ausmaß sein, die die gesamte Region destabilisieren werden, und der Extremismus wird im gesamten Nahen Osten noch schneller zunehmen.
Denn während der Rat eine abwartende Haltung einnimmt, um zu sehen, wie sich die neue Regierung entwickelt, gerät das von ihm angestrebte Ergebnis mit jedem Tag in immer größere Gefahr. Es besteht die sehr reale Gefahr, dass wir in einigen Jahren auf diesen Zeitpunkt zurückblicken und denken werden: „Wieso haben wir nicht die Demokratie in Palästina unterstützt, als wir die Möglichkeit dazu hatten?“
Den Rat möchte ich also bitten, uns noch einmal zu erklären, was er von der palästinensischen Regierung eigentlich erwartet, und die Kommission frage ich, wann Sie das EU-Israel-Assoziierungsabkommen aussetzen wird.
Κyriacos Triantaphyllides, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin, Herr Minister, Frau Kommissarin! Die Europäische Union ist nicht gerade unbeteiligt an den unbeschreiblichen Ereignissen, die wir gegenwärtig in Palästina erleben, und zwar weil sie es nicht vermochte, zum richtigen Zeitpunkt und in die richtige Richtung etwas zu unternehmen.
Vor zwanzig Tagen stattete die Delegation des Parlaments für die Beziehungen zu dem Palästinensischen Legislativrat Palästina einen offiziellen Besuch ab. Unsere Reise fand zu einem für Palästina historischen Zeitpunkt statt. Sie erfolgte nach der Vereidigung einer neuen Regierung, die aus freien und demokratischen Wahlen hervorgegangen war, einer Regierung, die, obwohl sie die Unterstützung von 60 % der Wählerschaft genoss, nicht zögerte, als sie von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union aufgefordert wurde, die Macht mit anderen politischen Kräften zu teilen, um eine Regierung der nationalen Einheit unter der Leitung des unbestrittenen Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde, Abu Mazen, getreu dem Aufruf des Rates der Arabischen Liga zu bilden.
Und mit dieser Regierung, die das gesamte palästinensische Volk vertritt, hat die Delegation des Parlaments eindeutig lebenswichtige Themen im Zusammenhang mit der Frage des Friedens im Nahen Osten besprochen, und wie meine Vorredner bereits sagten, haben wir eindeutige Antworten erhalten:
Man erklärte uns, dass das Existenzrecht Israels innerhalb der Grenzen von 1967 anerkannt werde. Das Einzige, was Israel tun müsse, sei, das Recht der Palästinenser auf die Schaffung eines eigenen Staates neben Israel anzuerkennen.
Gewalt werde abgelehnt. Alle erkennen die zwischen Israel und der PLO geschlossenen Abkommen an. Zu den unmittelbaren Prioritäten gehöre die Freilassung von Herrn Johnston. Man setze sich für die Freilassung von Saleet im Rahmen eines Gefangenenaustauschs ein.
Man sagte uns jedoch auch, dass man unsere Hilfe brauche, um die Ziele erreichen zu können. Das politische und wirtschaftliche Embargo müsse sofort aufgehoben werden.
Deshalb wende ich mich abschließend mit einem Aufruf an Israel und einem Aufruf an die Palästinenser:
- Israel muss aufhören, Raketen auf seine Feinde zu richten, und alle gewählten Vertreter der Palästinenser freilassen;
- die Palästinenser müssen aufhören, Raketenangriffe auf israelisches Gebiet zu richten.
Ich fordere ferner den Rat und die Kommission auf, unverzüglich die neue demokratisch gewählte Regierung der nationalen Einheit von Präsident Abbas anzuerkennen und sofort mit ihrer Politik der unterschiedlichen Behandlung bestimmter Mitglieder dieser Regierung Schluss zu machen. Beenden Sie das politische und wirtschaftliche Embargo unverzüglich. Führen Sie entschieden einen kreativen Dialog mit der gesamten Regierung der nationalen Einheit. Unterstützen Sie diese Regierung, damit sie Friedensverhandlungen führen kann, sonst wird Chaos herrschen, und die Europäische Union wird einen Teil der Verantwortung dafür zu tragen haben.
Paul Marie Coûteaux, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin! Die Situation in Palästina bestätigt auf traurige Weise, was die Souveränisten im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt seit Urzeiten sagen, nämlich dass es falsch wäre, anzunehmen, dass dieser Konflikt einfach nur auf die Gegnerschaft zwischen Palästinensern und Israelis und natürlich noch weniger zwischen Moslems und Juden zurückzuführen sei.
Die wahre Bruchlinie, die im Übrigen immer krasser zutage tritt, verläuft zwischen den Anhängern der Versöhnung einerseits, zu denen mehrere israelische Staatsmänner gehören – lassen Sie mich hier den ruhmreichen Namen von Yitzhak Rabin nennen –, aber auch palästinensische Staatsmänner wie Yasser Arafat und Mahmoud Abbas, und andererseits den Fanatikern, sowohl den moslemischen Fanatikern als auch den Fanatikern eines Groß-Israels, deren Komplizenschaft keines Nachweises mehr bedarf, seit bekannt ist, dass die palästinensischen extremistischen Bewegungen von bestimmten israelischen Radikalen unterstützt und sogar finanziert wurden.
Es gibt also zwei Lager: auf der einen Seite das Lager, das eine politische Lösung und letztlich den Frieden anstrebt; auf der anderen Seite das Lager der Konfrontation, des Hasses und des Krieges ohne Ende. Leider spielen die USA trotz aller schönen Worte das Spiel der Falken, das der israelischen Extremisten und der moslemischen Fundamentalisten, während Europa, d. h. die wichtigsten europäischen Staaten, die ganze Zeit stumm geblieben sind. Die einzige europäische Äußerung, in der sich so etwas wie Einigkeit zeigte, war die Erklärung von Venedig vom Juni 1980, in der die Europäer sich für die Schaffung eines palästinensischen Staates aussprachen. Jedoch nahm dann die Uneinigkeit wieder zu, und Europa kann wieder einmal nur mit einer Stimme sprechen, wenn es nichts zu sagen hat.
Daher ist es an der Zeit, die Souveränität der Staaten Europas wiederherzustellen, damit sie in diesem Teil der Welt, in dem ein großer Teil ihrer Zukunft entschieden wird, wieder frei handeln können.
Philip Claeys, im Namen der ITS-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin! Wer verfolgt hat, was in den letzten Tagen im Nahen Osten geschehen ist, kann nur betrübt sein. Ich hatte die Ehre, auf der Konferenz der Präsidenten unseres Parlaments am Mittwoch letzter Woche einem Gespräch mit Amr Moussa, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, und dem Außenminister der Palästinensischen Autonomiebehörde beizuwohnen, bei dem für mich deren aufrichtiger Wille deutlich erkennbar war, an einem Friedensplan für die Region zu arbeiten. Einige – wie soll ich sagen – strukturelle Probleme bleiben jedoch noch offen.
Hamas, die wichtigste palästinensische Regierungspartei, bleibt bei ihrer hartnäckigen Weigerung, Israel anzuerkennen, und ist nach wie vor nicht bereit, dem Terrorismus und der Gewalt abzuschwören und diese zu verurteilen. Wie unter solchen Umständen Friedensgespräche zu einem Erfolg führen können, weiß niemand.
In den letzten Tagen ist auch zwischen den verschiedenen palästinensischen Lagern die Gewalt wieder aufgeflammt und gab es sogar einen Bombenanschlag auf Präsident Mahmoud Abbas, der vereitelt wurde. Für mich steht außer Zweifel, dass Israel das Recht hat, sich gegen Gewalt und Terror zu verteidigen, notfalls mit militärischen Mitteln. Israel muss jedoch vor gegen palästinensische Parlamentsmitglieder und erst recht vor gegen den palästinensischen Ministerpräsidenten gerichteten Aktionen gewarnt werden – wiewohl einige Stimmen zugunsten einer Entscheidung für diesen Weg laut wurden –, denn damit würde eine gefährliche Grenze überschritten werden mit der zwangsläufigen Folge einer weiteren Eskalation der Gewalt.
Jim Allister (NI). – (EN) Frau Präsidentin! In Palästina herrschen schreckliche Not und furchtbares Leid, und obwohl die Tatsache, dass dies größtenteils selbst verschuldet ist, das Ausmaß nicht lindert, unterminiert sie doch die Argumente derjenigen, die stets Israel die Schuld an jeder Tragödie in der Region geben wollen. Natürlich haben heute die üblichen Verdächtigen, wie Herr Davies und Frau Lucas, die wieder einmal ihr Steckenpferd reiten, in ihrer Voreingenommenheit alles getan, um völlig zu Unrecht Israel die ganze Schuld zu geben. Dabei werden wir Zeuge eines echten Bürgerkrieges zwischen der Fatah und der Hamas in Palästina, und gerade das aggressive Vorgehen der Hamas zeigt uns, dass demokratisches Streben und ein demokratisches Mandat ihre terroristischen Neigungen in keiner Weise einschränken. Es ist diese uneingeschränkte Unterstützung für den Terror, die sie zu einer völlig ungeeigneten Regierungspartei macht. Zudem rechtfertigt die fortgesetzte Aggression mittels Raketenangriffen gegen Israel die Verteidigungsschläge durch Tel Aviv.
Ich fürchte, dass es in dem gescheiterten Gebilde, das der Gazastreifen darstellt, solange keine Demokratie und keinen Frieden geben wird, solange Fatah und Hamas sowohl mit Waffen als auch mit Stimmzetteln hantieren. Jede internationale Initiative, die keine Beseitigung der Waffen auf beiden Seiten des innerpalästinensischen Konflikts anstrebt, ist zum Scheitern verurteilt.
Edward McMillan-Scott (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Wir befassen uns heute ein weiteres Mal mit der tragischen Lage in Palästina. Lassen Sie mich eingangs feststellen, dass jeder von uns Terrorismus verurteilt, ganz gleich in welchem Land. Dazu muss ich sagen, dass die Selbstmordattentäter, die vor einigen Jahren die Anschläge in London verübten, aus meinem Wahlbezirk kamen. Motiviert wurden sie jedoch durch die Ereignisse im Nahen Osten – durch Irak und Palästina –, und deshalb sollten wir in Bezug auf die Ereignisse im Nahen Osten auch bedenken, dass sie nicht nur die Menschen dort betreffen, sondern auch Menschen in unseren Heimatländern.
Ich habe immer gesagt, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist. Aber vor zwei Jahren war ich Leiter unserer Delegation zu den Wahlen von Präsident Abbas, die von der internationalen Gemeinschaft sehr begrüßt wurden. Doch als er vor einigen Monaten hier war, sagte er, dass sein Land in Chaos und Bürgerkrieg versinken würde, falls wir, die internationale Gemeinschaft, ihn nicht unterstützen würden.
Letztes Jahr leitete ich die Wahlbeobachtungsmission zu den Parlamentswahlen in Palästina, und dann wandte sich die Europäische Union angesichts der Ergebnisse ab. Die Roadmap scheint uns zu lähmen. Doch die Lage hat jetzt meines Erachtens einen Punkt erreicht, an dem die EU ihre Strategie einfach ändern muss. Palästina steht unmittelbar vor dem ökonomischen, politischen und sozialen Zusammenbruch. Wir riskieren ein neues Algerien, wo die Abkehr des Westens nach den Ergebnissen der Wahlen von 1992 200 000 Menschen das Leben gekostet hat.
Meines Erachtens ist es jetzt an der Zeit, dass die EU, wenn sie die Regierung der Nationalen Einheit schon nicht anerkennen kann, zumindest im Rahmen der Bedingungen eines von einigen von uns letzte Woche diskutierten Entschließungsentwurfs umfassend mit dieser Regierung zusammenarbeitet. Zweitens ist es sicher höchste Zeit, dass der Ausschuss des Europäischen Parlaments für auswärtige Angelegenheiten eine Arbeitsgruppe bildet – nicht nur zur UNO oder zum Balkan oder zu den fünf externen Finanzierungsinstrumenten: Lassen Sie uns eine Arbeitsgruppe zum Nahen Osten einrichten.
Véronique De Keyser (PSE). – (FR) Frau Präsidentin! Stellen wir uns eine Stadt vor, in der es ständig dunkel ist. Stellen wir uns eine Stadt ohne Polizisten vor. Stellen wir uns Beamte vor, die seit anderthalb Jahren kein Gehalt bekommen. Stellen wir uns Krankenhäuser ohne Arzneimittel, Schulen ohne Lehrmittel vor. Stellen wir uns eine Stadt vor, die abgeriegelt, sich selbst überlassen und ohne funktionierende Verwaltung ist. Und stellen wir uns vor, dass dort Geld und Waffen zirkulieren. Erinnern wir uns, dass eine Nacht Stromausfall in New York Plünderungen und Verbrechen zur Folge hatte, und das in der größten Demokratie der Welt. Was kann man also heute von Palästina erwarten?
Unsere verantwortungslose Politik hat trotz aller lobenswerten Bemühungen der Kommission zum Zusammenbruch der Verwaltungen geführt, die wir aufgebaut hatten, zur Schwächung der bestehenden Macht, zur Ausbreitung von Armut, zum Wiederauftreten von bereits ausgerotteten Krankheiten – selbst die Weltbank räumt das ein. Und jetzt wurde eine weitere Stufe des Unglücks erreicht: Die Palästinenser bringen sich gegenseitig um! Doch, werte Kolleginnen und Kollegen, diese Situation war vorhersehbar. Anstatt die Einheit der beiden großen palästinensischen Lager anzustreben, die durch faire Wahlen legitimiert waren, anstatt von Anfang an auf ihre Einheit zu setzen, beschlossen wir, mit Sanktionen zu agieren und nahmen damit ihre Spaltung in Kauf.
Während Präsident Abbas unter Gefahr für sein Leben und unter Einsatz aller Mittel versuchte, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit voranzubringen, die sich auf eine von den Prinzipien des Quartetts inspirierte politische Plattform gründete und die früher eingegangenen Friedensengagements respektierte, blieben wir untätig und warteten ab. Wir haben es nicht verstanden, den von Mekka ausgehenden Lichtschimmer und die dort geweckten Hoffnungen zu nutzen.
Heute erklärt Javier Solana, der zu einer Reise in die Region aufgebrochen ist, zu Recht: „Wir müssen die palästinensische Einheit unterstützen.“ Aber wir werden diese Einheit nicht unterstützen, indem wir Geld und Waffen an eine der beiden Seiten schicken! Es gibt nur ein Mittel, das wissen Sie alle, und das ist politischer Art. Deshalb sage ich Ihnen ebenso wie einige meiner Kollegen: Die Regierung der nationalen Einheit ist unverzüglich anzuerkennen! Es gilt, ihre Autorität zu stärken und für den Unterhalt ihrer Bevölkerung zu sorgen.
Wer Wind sät, wird Sturm ernten: Ich bin nicht die Erste, die das feststellt. Wenn wir uns weiter weigern, mit den gemäßigten Islamisten zu verhandeln, dann werden wir es nur noch mit Radikalen und Extremisten zu tun haben, und die werden sich nicht nur in Palästina Gehör verschaffen!
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Frau Präsidentin! Die Situation ist in der Tat tragisch. Radikale Gruppierungen der Hamas beschießen täglich Sderot mit Qassam-Raketen. Diese Raketenangriffe sind kein Zufall, sie sind vielmehr der mittlerweile fünfte Bruch des Waffenstillstandes.
Erneut ist der Versuch zu erkennen, von den internen Kämpfen zwischen den Palästinensern selber, also zwischen Hamas und Fatah abzulenken. Es hat in diesen Kämpfen 55 palästinensische Tote gegeben, gestorben von palästinensischer Hand. Jetzt schien die Zeit gekommen, um die Aufmerksamkeit erneut auf den gemeinsamen Feind Israel zu lenken. Und wie reagiert Israel? Mit harter Hand. Diese israelische Regierung, die Zustimmungsraten von um die 3% erzielt, tut der Hamas den Gefallen und versucht, die Quelle der Angriffe militärisch auszuschalten. Wieder gab es zivile palästinensische Opfer, die wir bedauern. Wieder hat die Hamas Zeit gewonnen und kann notwendige politische Konzessionen aufschieben. Wieder scheinen wir wie gelähmt. Denn es hat ja in Mekka Konzessionen gegeben. Sie reichten nicht aus, keine Frage, aber trotz der Schwächen von Mekka waren diese Konzessionen ein wichtiger Schritt in Richtung eines Friedens. Diese Vereinbarung ist jetzt durch die erneute Gewalt in ihrem Kern verletzt worden.
Ich glaube daher, dass es bis auf Weiteres wichtig und richtig ist, dass die Europäische Union auf die Einhaltung der vollständigen Bedingungen des Quartetts und der Vereinbarungen von Mekka drängt, bevor sie ihre Zahlungen an die Einheitsregierung wieder aufnimmt. Dies steht nicht im Widerspruch zur Forderung des Kollegen McMillan-Scott, eine pragmatische, umfassende Zusammenarbeit dort zu suchen, wo es tatsächlich dem Wohl der Bevölkerung dient.
Dennoch sollten wir dieses wichtige Instrument nicht zu früh aus der Hand geben. Ich ermutige Rat und Kommission und die Arabische Liga, in ihren Bemühungen Fortschritte zu erzielen, und würde mir sehr wünschen, dass sie möglichst schnell zum Erfolg führen.
Jan Tadeusz Masiel (UEN). – (PL) Frau Präsidentin, Herr Gloser, Herr Kommissar! Der Europäischen Union ist es auf dem kürzlich abgehaltenen Gipfel in Samara gelungen, ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten. Herr Barroso, der Kommissionspräsident, und Frau Merkel, die Ratsvorsitzende, hatten keine Hemmungen, passende und offene Kommentare zur unfairen Behandlung Polens, eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, in der Fleischproblematik abzugeben. Herr Barroso und Frau Merkel äußerten sich in gleicher Weise zu den Menschenrechten in Russland.
Es erhebt sich die Frage, warum die Union nicht weiter geht und das Schicksal der Palästinenser in Israel oder das des seit 1974 türkisch besetzten Zypern deutlich anspricht. Vor den Toren der Union geschieht im 21. Jahrhundert immer noch grobes Unrecht, und wir tun weiterhin zu wenig, um bei seiner Überwindung zu helfen.
Sind nicht auch Menschen in Palästina vor der Schaffung des Staates Israel gestorben? Wie lange noch wird die israelische Armee die palästinensischen Gebiete besetzt halten? Haben denn die Palästinenser kein Recht auf ihren eigenen Staat? Dem jüdischen Volk wurde sein eigener Staat so lange verweigert – wie kann es andere dieses Rechts berauben? Die Antwort der Palästinenser auf die fortwährende Okkupation sind Angriffe auf Israel. Im Vergleich zu den Handlungen der israelischen Streitkräfte sind die der Palästinenser amateurhafte Versuche.
Es sollte an Israel sein, den Anfang zu machen, um die Schaffung eines palästinensischen Staates zu erleichtern. Das wäre ein erster Schritt in Richtung Gewaltminderung in der Region und Förderung von Koexistenz.
Es ist die Pflicht der Europäischen Union, Wächter der Freiheit in der Welt zu sein, besonders jetzt, da die Vereinigten Staaten diese Rolle aufgegeben und sich an die Seite Israels gestellt haben. Vielleicht wäre es nicht zu den Ereignissen des 11. September gekommen, wenn die USA an ihrer früheren Rolle als unparteiischer Wächter über Recht und Gerechtigkeit überall in der Welt beharrlich festgehalten hätten.
Johannes Voggenhuber (Verts/ALE). – Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, Herr Ratspräsident! Nach dem Wahlsieg der Hamas sagte ich hier in unserer letzten Aussprache: Niemals wieder darf Europa zulassen, dass die Existenz Israels in Frage gestellt wird. Umso entsetzter und umso trauriger komme ich von der Reise durch Palästina zurück. Das heißt, ich wollte Palästina besuchen, es war aber nicht zu finden. Was ich gefunden habe, war militärisches Hinterland. Zerstückelt, zerteilt, abgetrennt sind Familien von anderen Mitgliedern der Familie, von Arbeitsplätzen, Städte vom Wasser, Siedlungen von fruchtbarem Land.
Ich kann nur eines bezeugen: Niemand, Herr Ratspräsident, Frau Kommissarin, kann unter diesen Umständen leben. Das Besatzungsregime der israelischen Regierung dient nicht der Sicherheit des Landes, es bringt das Land in Gefahr. Es verwandelt Palästina zu einer Brutstätte der Verzweiflung, des Hasses und der Gewalt. Die Situation ist schlimmer geworden, Frau Kommissarin, ja, sie wird sich noch weiter verschlimmern, und das kann und darf niemanden wundern.
Es ist immer schwer, als Politiker militärische Maßnahmen zu analysieren. Aber eines möchte ich Ihnen hier schon sagen – als Grundüberzeugung nach dieser Reise: Dieses Besatzungsregime dient auch anderen Zwecken! Es dient offensichtlich und unleugbar vor allem dem Schutz illegaler Siedlungen und ihrer Verbindungen untereinander. Es dient der Okkupation der Wasserressourcen dieses Landes. Es stellt auch ein System des Landgewinns und der Erweiterung der israelischen Grenzen dar. Das kann nicht zum Frieden führen!
Ich habe gesagt: Niemand darf mehr das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Bei aller Kritik und bei allem, was wir für den Frieden von Israel zu verlangen haben. Deshalb will ich heute sagen, was zu verlangen ist: dieses Besatzungsregime aufzugeben und zu einem lebensfähigen Staat Palästina beizutragen.
Luisa Morgantini (GUE/NGL). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Palästinenser sterben weiterhin und viele von ihnen sind schon gestorben; einmal mehr werden sie kollektiv bestraft. Der Gegenschlag der Armee richtet sich gegen eine Gruppe von Terroristen, die sicher bekämpft werden müssen, doch wieder einmal ist es das palästinensische Volk, das bezahlt.
Es ist unsere Pflicht und Verantwortung, unser Scheitern als internationale Gemeinschaften, politische Parteien und Bewegungen einzugestehen: nach 40 Jahren hält die israelische Militärokkupation immer noch an und die Mauer schneidet den zukünftigen Palästinensischen Staat ab von Wasser und Land. Die Tragödie, die sich jetzt entfaltet, wurde mehrfach vorausgesagt!
Seit 1980 sprechen wir von zwei Völkern und zwei Staaten: der eine Staat existiert, der andere jedoch nicht. Die palästinensische Bevölkerung wird ihrer Freiheit beraubt, erniedrigt, enteignet, und sie ist Geisel extremistischer Gruppen, die die Bevölkerung und auch die Führung als Geisel genommen haben. Es reicht nicht aus! Es reicht wirklich nicht aus zu versprechen, dass wir mehr Wirtschaftshilfe leisten wollen. Es muss eine politische Lösung her: Es gilt, die militärische Besatzung und die Ausbreitung der Siedlungen zu stoppen, die palästinensische Regierung der nationalen Einheit anzuerkennen und auf die Einheit der Palästinenser, nicht auf ihre Spaltung, hinzuwirken.
Wir müssen zeigen, dass die Europäische Union an die internationale Legalität glaubt und dass sie dies auch Israel klarmacht, das ständig gegen sie verstößt. Die Moral dieses Landes sinkt wirklich Tag für Tag, wie David Grossman sagt. Wir müssen schnellstens handeln! Sofort handeln, weil Palästinenser und Israelis und Libanesen den Preis für unsere Unfähigkeit und Doppelmoral zahlen. Wir sollten die Regierung anerkennen und vielleicht auch eine internationale Truppe der Vereinten Nationen in Gaza und im Westjordanland stationieren. Meiner Ansicht nach ist das unerlässlich!
Georgios Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Frau Präsidentin! Wir haben noch immer unter den Folgen eines 1947 begangenen Fehlers zu leiden. Hätte es damals keine einseitige Anerkennung Israels gegeben und wäre der Staat Palästina damals anerkannt worden, hätte viel Blutvergießen verhindert werden können. Ein statistisches Amt kam zu dem Schluss, dass all das in diesem Gebiet vergossene Blut das Leben von einer Million Kindern durch Bluttransfusionen hätte retten können.
All die tragischen Dinge, die sich im Zusammenhang mit den Zwillingstürmen, in London, in Madrid und anderswo ereigneten, sind das Ergebnis dieser Politik aus dem Jahre 1947, die wir heute fortführen. Weshalb befassen wir uns mit endlosen Details? Haben wir morgen die Stärke und erkennen den Staat Palästina an? Das wäre ein gewisser Fortschritt.
Wir pfeifen das Spiel ab, wenn es 90:10 steht. Pfeift ein Schiedsrichter ein Spiel ab, wenn es 50:50 steht, dann verlässt er das Spielfeld erhobenen Hauptes. Wenn er das Spiel bei einem Stand von 60:40 abpfeift, dann ist das Spiel eben aus, aber wenn er das Spiel bei einem Spielstand von 90:10 abpfeift, ist auf den Rängen und auf dem Spielfeld die Hölle los.
Somit sind wir für diese Hölle verantwortlich, weil der Abpfiff erfolgte, als es 90:10 stand. Die Welt geht vor die Hunde, und wir hören im Parlament jeden Tag etwas über iranische Kernwaffen. Niemand hat jemals die Kernwaffen Israels erwähnt, und das ist nicht richtig. Wenn wir fair sein wollen, wenn wir unseren Bürgern glauben wollen und sie uns vertrauen sollen, müssen wir Gerechtigkeit üben, und Gerechtigkeit wird es nur geben, wenn wir den Staat Palästina anerkennen.
Jean-Claude Martinez (ITS). – (FR) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Die Berliner Mauer ist gefallen, das Sowjetimperium gehört der Vergangenheit an, die Welt hat sich globalisiert, aber etwas zumindest ist unverändert geblieben, ein Ort, an dem die Geschichte stehen geblieben ist, nämlich Palästina, jenes Palästina, das zum schwarzen Loch der Menschheit wird: Gaza, Flüchtlingslager, Raketengeschosse, Intifadas, Attentate, ein Land für zwei Völker, ein endloser Krieg, der schon 60 Jahre andauert. Hinzu kommt ein Geflecht von Mythen mit Esplanaden, Gräbern, Patriarchen, Tempeln, Moscheen, Monotheismus und Zynismus, der im Übrigen den Hardlinern beider Seiten gemeinsam ist. Auf Seiten Israels: Technologie, Gewalt, die Ausgrenzung Arafats, der Fatah, die wirtschaftliche Erdrosselung, die Gefangenen, kurz alles, aber keine Verhandlungen, lieber Iran als Irak, lieber Schiismus als Baathismus, und auf palästinensischer Seite haben die Hardliner natürlich langfristig die Demografie auf ihrer Seite.
Inzwischen wurden bereits drei Generationen geopfert, und was tun wir? Nun, wir geben Erklärungen ab, machen Besuche, Reisen – nicht wahr, Herr Solana? –, humanitäre Aktionen. Das ist dann aber auch schon alles! Nur ist dieser Konflikt eine Folge der europäischen Konflikte von 1914–1918 und von 1939–1945, und wir tun nicht, was getan werden müsste, wir verfallen in Pharisäertum. Wir wissen zwar, dass man sich nicht auf Dringlichkeitssitzungen beschränken darf, dass die Embargos eingestellt werden müssten, dass wir uns engagieren müssten, dass wir ein europäisches Camp David brauchten, mit allen Beteiligten – d. h. nicht nur Israel, Palästina und seine Einheitsregierung, sondern auch Syrien, Iran und Libanon –, und wir wissen auch, dass die beiden Rechte betont werden müssen – das Recht des Staates Israel auf dauerhafte Existenz, aber auch das Recht des palästinensischen Staates auf Existenz, auf Anerkennung.
Charles Tannock (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Die Abwärtsspirale der innerpalästinensischen Gewalt zwischen der bewaffneten säkularen Fatah und den islamistischen Hamas-Milizen im Gazastreifen ist äußerst Besorgnis erregend, zumal wir jetzt sehen, was passiert, wenn sich eine nach dem Libanonkrieg geschwächte israelische Regierung und ein geschwächter palästinensischer Präsident mit den religiösen Fundamentalisten in der Hamas, die im vergangenen Jahr die Wahlen gewonnen haben, auseinandersetzen müssen. Die Hamas-Mitglieder der Einheitsregierung sind eindeutig nicht in der Lage, sich von ihren unversöhnlichen Positionen zu trennen, die auf den theokratisch-obskurantistischen Ansichten beruhen, dass der Staat Israel niemals ausdrücklich anerkannt werden kann, dass terroristische Gewalt gerechtfertigt ist und dass sie nicht an alte, vom verstorbenen Vorsitzenden Arafat unterzeichnete Abkommen gebunden sind.
Folglich erfüllt die Einheitsregierung der Palästinensischen Autonomiebehörde die Kriterien des Quartetts eben nicht, und es ist der EU derzeit nicht möglich, das Verbot der Hamas als einer Terrororganisation aufzuheben oder die Palästinensische Autonomiebehörde direkt finanziell zu unterstützen, sondern sie muss sich stattdessen für ihre humanitäre Hilfe, die sich inzwischen auf über 500 Millionen Euro jährlich beläuft und in den letzten drei Jahren sogar gestiegen ist, auf den Vorläufigen Internationalen Mechanismus stützen. Wie die jüngsten Vorschläge der Arabischen Liga deutlich machen, steht die arabische Welt einer auf dem Verhandlungswege erzielten Lösung zunehmend positiv gegenüber. Nach den jüngsten Angriffen durch über 100 Kassam-Raketen, die von der Hamas auf zivile Gebiete abgefeuert wurden, ist man sich in Israel vollkommen im Klaren über den wirtschaftlichen und sozialen Schaden, den die fortgesetzte Gewalt anrichtet. Letzte Woche wurde eine Person getötet, was meiner Ansicht nach völkerrechtlich ein Kriegsverbrechen darstellt.
Wie es scheint, fürchten nur die Extremisten den Frieden. Was immer der Ursprung des Konflikts im Nahen Osten sein mag, die arabischen Staaten gelangen zunehmend zu den Einsicht, dass an der Existenz von Israel nicht zu rütteln ist, während Juden weltweit erkennen, dass der Sicherheit Israels langfristig am besten damit gedient ist, indem man das legitime Streben des palästinensischen Volkes nach einem eigenen sicheren Staat anerkennt.
Doch die Palästinensische Autonomiebehörde muss zuerst auf dem eigenen Territorium für Recht und Ordnung sorgen, wozu sie derzeit ganz eindeutig nicht in der Lage ist. Die Freilassung des BBC-Reporters Alan Johnston und des entführten Unteroffiziers Shalit wären ein ausgezeichneter Anfang und könnten für ein Klima sorgen, dass der Wiederaufnahme der Friedensgespräche im Rahmen der Roadmap zuträglich wäre.
Hannes Swoboda (PSE). – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zuerst einmal entschuldigen, dass ich nach meiner Rede gleich gehe, weil ich einen Vorsitz führen muss. Ich weiß, dass das unhöflich ist, aber ich bitte, es zu entschuldigen.
Das Recht Israels, sich gegen die Kassam-Raketen zu wehren, steht selbstverständlich außer Frage. Diese Raketenbeschüsse von zivilen Einrichtungen und Personen sind ein Verbrechen. Sie provozieren Israel, aber sie provozieren natürlich auch die Regierung, die derzeit in Palästina an der Macht ist. Das ist ja fast schon der Hauptzweck. Und was macht die Europäische Union?
Es tut mir leid, Kollege Gloser, die Antwort, die Sie gegeben haben, natürlich im Namen der Ratspräsidentschaft, ist völlig unbefriedigend. Sie ist genau so unbefriedigend wie bei der letzten Debatte.
Wir tun nichts, um die Kräfte zu stärken, die als einzige die Möglichkeit hätten, gegen diese Terroristen vorzugehen. Wir werden mit unseren Erklärungen nichts ändern. Auch die militärischen Gegenschläge Israels werden leider nichts ändern – auch wenn sie im Einzelfall gerechtfertigt sein mögen –, wenn die Europäische Union dieser Regierung keine Chance gibt. Ich rede von der Regierung, denn es ist ja zynisch, bei den einzelnen Ministern zu entscheiden, wen man von ihnen trifft und wen man nicht trifft? Ich habe schon das letzte Mal erwähnt, dass die Frau Ratspräsidentin zwar die israelische Außenministerin trifft, aber dann beim Außenminister von Palästina sagt, sie treffe keine Außenminister. Das ist keine wirklich produktive Haltung.
Ich möchte die Frau Kommissarin für Außenbeziehungen nicht in Schwierigkeiten bringen, aber sie hat immerhin davon gesprochen, die Regierung zu unterstützen, nicht einzelne Minister. Und wenn beide sagen, wir müssen Abbas unterstützen, so tun sie das eben nicht, wenn sie seine Regierung nicht unterstützen und ihr nicht die Möglichkeit geben, gegen den Terrorismus und gegen die Terroristen vorzugehen.
Das ist das Problem. Wenn Europa sich nicht dazu bekennt, werden all diese Gespräche nichts nützen, weil der Friede nur von innen her geschaffen wird. Friede wird es nur geben, wenn es in Palästina starke Kräfte gibt, die sich durchsetzen können, weil sie die politische, moralische oder finanzielle Unterstützung der Europäischen Union gegen die Terroristen bekommen. Das hilft Palästina und das hilft Israel. Wenn Sie Israel helfen wollen – noch einmal sei es gesagt – dann müssen Sie dieser Regierung eine Chance geben. Alles andere ist eine Farce.
Vittorio Prodi (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte der Ratspräsidentschaft und der Kommission für ihre Anwesenheit danken. Ohne Frage erlaubt es mir die verfügbare Zeit lediglich, einige Bemerkungen vorzubringen.
Palästina ist ein ernstes und dringendes Problem, und wir müssen versuchen, die gegenwärtige Abwärtsspirale zu stoppen. Die Regierung der nationalen Einheit ist unser einziger Ansprechpartner, das müssen wir realistisch zur Kenntnis nehmen und versuchen, mit einer Geste der Hoffnung an Palästina Zeit zu gewinnen. Wir könnten auch eine Friedenssicherungstruppe entsenden und den Mut aufbringen, als Europäische Union gemeinsamer Sicherheitsgarant von Israel und Palästina zu sein. Dies muss auf einer Politik der Öffnung gegenüber der arabischen Welt, beginnend mit dem gesamten Mittelmeerraum, basieren, ohne jedoch diesen Konflikt von dem allgemeinen Problem des Verhältnisses zwischen dem Islam und dem Westen zu trennen.
Ich habe einen Traum: dass eine reformierte Organisation der Vereinten Nationen ihr Hauptquartier in Jerusalem bezieht, damit diese Art Hoffnung auch wirklich gesät werden kann. Wir können darauf hinarbeiten; ich denke, dass wir das bewerkstelligen könnten!
Paul van Buitenen (Verts/ALE). – (EN) Frau Präsidentin! Die Hamas-Charta ist ein heiliger Text mit drei Siegeln. Im Gegensatz zur weltlichen PLO erkennt die Hamas das Friedenskonzept nicht an. Die PLO mag eine Zwei-Staaten-Lösung anstreben, aber die Hamas will Israel eliminieren.
Was steht in der Hamas-Charta? In Artikel 7 geht es um eine islamische Weltordnung und die Vernichtung aller Juden. Artikel 22 und 28 besagen, dass die Juden für die Französische und die Russische Revolution, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, aber auch die UNO, den Drogen- und Alkoholmissbrauch sowie die Kontrolle der Massenmedien verantwortlich sind. Artikel 32 zufolge stellt die Beendigung des Konflikts mit Israel Hochverrat dar, und wer sich dessen schuldig macht, soll verflucht sein.
Eine Zusammenarbeit mit der Hamas würde die EU moralisch verantwortlich machen für einen Friedensprozess, der die Eliminierung von Israel zur Folge hätte. Wir müssen den Palästinensern helfen, aber nicht, indem wir die Ziele der Hamas unterstützen.
Bastiaan Belder (IND/DEM). – (NL) Frau Präsidentin! Anfang Februar erschien in der deutschen Presse, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ein äußerst pessimistischer Bericht über die Polizeimission der Europäischen Union in den palästinensischen Autonomiegebieten. Ihr scheidender Leiter, ein Brite namens McIvor, nahm kein Blatt vor den Mund, als er sagte „Man arbeitet hier in einem Sumpf von Betrug und Korruption“.
Einige Monate später hat sich die Situation infolge der eskalierenden Rivalitäten zwischen Fatah und Hamas weiter verschlimmert. Daher drängt sich die zwangsläufige Frage auf, für wie sinnvoll der Rat und die Kommission die Fortsetzung der EU-Mission zum Aufbau einer Zivilpolizei im Westjordanland und im Gazastreifen halten. Sie werden doch wohl kaum eine Mitverantwortung für die weitgehende Rechtlosigkeit in diesen Gebieten tragen wollen.
Unterdessen meldete gestern die Nachrichtenagentur Reuters, die Europäische Union habe ihre Beobachtermission am Grenzübergang Rafah, die weiterhin unter dem aufschlussreichen Motto „Die Palästinenser sind für die Grenze verantwortlich“ steht, um ein Jahr verlängert. Palästinensischen Insidern wie meinem Gesprächspartner zufolge ist sich die palästinensische Polizei sicher, Waffen-, Drogen-, Geld- und Menschenschmugglern das Handwerk zu legen. Dem Rat und der Kommission möchte ich auch hier die Frage stellen: Sind Sie bereit, dafür bei passivem Verhalten die Verantwortung zu übernehmen?
Günter Gloser, amtierender Ratspräsident. Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Nachsicht, dass ich an dieser Stelle nur ein paar kurze Bemerkungen machen werde, da ich um 18.00 Uhr den Termin mit Ihrem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten habe und einen Rückblick und eine Bewertung der letzten Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ abgeben darf.
Ich kann alles verstehen, was Sie, teilweise auch nach persönlichen Reisen und Gesprächen, beschrieben haben. Aber ich bitte doch auch zu konstatieren, dass es gerade die Europäische Union und insbesondere die vorangegangene und die jetzige Präsidentschaft waren, die sich überhaupt bewegt haben, um das Nahostquartett wiederzubeleben und einen Prozess in Gang zu setzen. Durch das Ingangsetzen dieses Prozesses ist auch die saudi-arabische Initiative zustande gekommen. Ich möchte darum bitten, hier zu differenzieren, dass bestimmte Dinge nicht allein darauf zurückzuführen sind, dass keine finanziellen Mittel fließen. Es handelt sich auch um eine innerpalästinensische Auseinandersetzung. Natürlich haben wir – ich habe das in der Erklärung für die Präsidentschaft deutlich gesagt – in Gesprächen mit Israel deutlich gemacht, dass Mittel, die den Palästinensern zustehen – Zölle, Steuern – zurückfließen müssen, damit verschiedene Infrastrukturmaßnahmen gewährleistet werden können. Frau Kommissarin hat mehrfach – auch im Rat – darauf hingewiesen, wie die Unterstützungen der Europäischen Union in den letzten Monaten vonstatten gegangen sind. In der Öffentlichkeit mag gelegentlich der Eindruck entstanden ist, dass wir nichts oder nur unzureichend zahlen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben während der sehr kritischen Phase als Europäische Union mehr Finanzmittel transferiert, als es vorher in einer anderen Situation der Fall war.
Kollege Davis, wir wollen nicht, dass die Palästinenser sozusagen als Heilige dastehen müssen, weil sie alles erwarten. Aber eines war doch klar – das hat die Konferenz in Mekka ergeben, als darum geworben wurde, eine Regierung der nationalen Einheit herzustellen –, nämlich dass dann genau die Voraussetzungen erfüllt werden, die das Nahostquartett immer gefordert hat: Existenzrecht Israels, Verzicht auf Gewalt, aber auch das Einhalten vorangegangener Abmachungen der Vorgängerregierung. Bestimmte Bewegungen sind vorhanden, aber leider herrscht noch keine Klarheit darüber, ob sich die Regelung dazu bekennt. Es besteht überhaupt kein Grund für uns, „zu mauern“. Die Regierung der nationalen Einheit könnte diesen Schritt tun, und es könnten die Voraussetzungen geschaffen werden. Es ist doch nicht so, dass wir dies nur als Randthema behandeln. Auf jeder Tagung befasst sich der Rat damit, wie man weiterkommen kann. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass die Präsidentschaft versucht, in Kürze nochmals ein Treffen des Nahostquartetts zu arrangieren, weil wir wissen, wie viel davon abhängt. Der Hohe Beauftragte, der viele Kilometer nördlich, in Beirut, ist, weiß ja, dass es nicht nur um Israel und Palästina geht, sondern auch um die Frage der Sicherheit und des Selbstbestimmungsrechts des Libanon.
Ich möchte dafür werben, dass wir es nicht nur beim Reden belassen, sondern dass wir versuchen, Initiativen zu starten, damit ein Dialog zwischen Israel und den Palästinensern stattfindet, damit aber auch die finanzielle Unterstützung geleistet wird und damit wir – ich habe das eben noch einmal nachgelesen – gegenüber Israel dafür eintreten, dass die Bewegungsfreiheit der Palästinenser ermöglicht wird und nicht weiterhin so eingeschränkt bleibt, wie es derzeit der Fall ist. Mit diesem Zustand kann keiner zufrieden sein. Ich bitte um Ihre Nachsicht, dass ich Ihre Debatte an dieser Stelle verlassen muss.
Jana Hybášková (PPE-DE). – (CS) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Vielen Dank, dass Sie heute zu uns gekommen sind. Im Gegensatz zu vielen Abgeordneten des Europäischen Parlaments habe ich Palästina mehr als einmal besucht. So, wie es alle hier gewünscht haben, hat sich Israel aus dem Gazastreifen zurückgezogen und ihn an eine freie, demokratisch gewählte Regierung übergeben. Somit ist der Gazastreifen nicht irgendein militärischer Außenposten, sondern ein Land, das durch den Extremismus, Fundamentalismus, Terrorismus, die Korruption und die zynische Haltung der palästinensischen Kriegsherren selbst zerstört worden ist.
Meine Damen und Herren! Sind wir wirklich so naiv, anzunehmen, dass Jund al-Islam oder Mohamed Dahlan von weiteren Gewaltakten absehen werden, wenn wir weitere hunderte Millionen Euro ohne eindeutige Leitlinien in das Land pumpen? Glauben wir ernsthaft, dass eine Legalisierung von Kriegsherren und Terroristen wie Khaled Mashal oder Dahlan der Region Frieden bringen wird? Glücklicherweise haben der Rat und die Kommission einen entschiedenen, eindeutigen Standpunkt angenommen, und ich möchte ihnen dafür Dank sagen. Ich bin dankbar, dass sie in dieser verzwickten Angelegenheit eine richtige Position einnehmen. Wir sollten Gewalt verurteilen und der Opfer im Gazastreifen und im Westjordanland gedenken. Wir müssen eindeutig zum Ausdruck bringen, dass wir uns dagegen wenden, wenn die Hamas ihren Einfluss in der palästinensischen Regierung nutzt, um Israel anzugreifen und ihre verheerenden extremistischen Interessen durchzusetzen. Ich möchte davor warnen, mit der Hamas einschließlich ihrer Mitglieder in der Regierung, denn das ist eindeutig verboten, beziehungsweise mit neuen Al-Quaida-Organisationen wie Fatah al-Islam und Jund al-Islam zusammenzuarbeiten.
Wir fordern die palästinensische Regierung auf, nicht nur den Briefwechsel zwischen Rabin und Arafat anzuerkennen, sondern endlich mit dem Lügen aufzuhören, sie würde die wichtigste Bedingung, nämlich die Anerkennung Israels, erfüllen. Wir fordern die palästinensische Regierung und alle arabischen Politiker, vor allem in Saudi-Arabien und Ägypten, auf, allen ihren politischen und humanitären Verpflichtungen nachzukommen und unverzüglich an Friedensverhandlungen teilzunehmen, wozu auch die volle Anerkennung des Staates Israel innerhalb der anerkannten internationalen Grenzen gehört. Wir fordern die Fatah auf, unverzüglich Verhandlungen mit der Hamas über die Aufteilung der Befugnisse innerhalb des Büros des Präsidenten aufzunehmen. Nur wenn wir die richtige Stellung beziehen und einen eindeutig dargelegten Standpunkt vertreten, wird es uns gelingen, wirklich humanitäre Hilfe zu leisten und vor allem das Entstehen eines lebensfähigen, demokratischen palästinensischen Staates zu unterstützen.
Jamila Madeira (PSE). – (PT) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Wie schon von meinen Vorrednern gesagt wurde, war das Europäische Parlament Anfang dieses Monats in Palästina. Zu diesem Zeitpunkt waren die Spannungen schon extrem groß. Heute jedoch, zwei Wochen danach, sind die Spannungen noch größer, und die Menschen in der Region erhoffen sich leider immer weniger von der EU. Trotz der verschiedenen Spannungsherde war das Europäische Parlament bestrebt, vor Ort zu sein. Es war wirklich dort, und obwohl die Spannungen weiter zugenommen haben, hält sich auch heute Herr Solana in der Region auf.
Wir haben die humanitäre Katastrophe erlebt, die die Frau Kommissarin beschrieben hat und die sie natürlich kennt. Wir haben aber auch die 852 km lange Mauer gesehen, die mit dem Ziel die Gewalt zu bekämpfen und Israelis vor arabischen Angriffen zu schützen auf 25 % des Territoriums des Westjordanlandes vordringt und Territorien annektiert, die ein entscheidendes Moment für jedes auf den Prämissen von 1967 beruhende Friedensabkommen sind. Es ist eine Mauer, die Menschen in ihren eigenen Häusern gefangen hält, die den Kindern den Zugang zu den Schulen verwehrt und die Bauern daran hindert, ihre Felder zu bestellen. Eine Mauer, die Gaza zum weltweit größten Gefängnis unter freiem Himmel macht. Es ist ein Gefängnis, in das die israelische Polizei gemäß einer Anfang 2006 getroffenen Entscheidung niemanden – oder sollte ich lieber sagen nichts – hineinlässt und aus dem auch niemand – bzw. nichts – wieder herausgelassen wird.
Angesichts all dessen sind haben wir alle verwirrt zugeschaut und jedwedes Einschreiten abgelehnt. Heute hoffen wir, dass die Augen und das Herz von Herrn Solana in unserem Namen diesen Menschen etwas Hoffnung bringen können. Wir haben die Botschaft vor Ort überbracht, wir haben die Regierung anerkannt, die das Quartett verlangte, und wir bitten heute wirklich darum, dass dies weiter so geschieht. Hoffen wir, dass Rat und Kommission ihren Verpflichtungen nachkommen, dass sie die gestellten Forderungen erfüllen und dass sie bereit sind, mit allen zusammenzuarbeiten.
Es muss hier klipp und klar gesagt werden, was die EU tatsächlich bereit ist zu tun. Zeigen wir der Welt einmal mehr, dass Frieden nur geschaffen wird, indem wir denjenigen, die ihn brauchen, die Hand reichen und ihre Hoffnungslosigkeit beseitigen.
Hannu Takkula (ALDE). – (FI) Frau Präsidentin! Zuerst möchte ich sagen, dass ich im Verlaufe dieser Aussprache den Eindruck gewonnen habe, dass das Gesamtbild irgendwie eingeschränkt ist. Ein gebildeter Bürger, der die Reden verfolgt hat, könnte denken, dass sehr viele Mitglieder des Europäischen Parlaments ein sehr begrenztes Wissen über die Geschichte der Region um Palästina und Israel haben. Wie ist der Staat Israel entstanden? Was war die Balfour-Erklärung und so weiter? Wie war das damals mit der Resolution der Vereinten Nationen? Was war der Grund für die Teilung? Für uns Parlamentarier ist es beschämend, wenn wir nicht erst einmal unsere Hausaufgaben machen, sondern mit großen Emotionen über Dinge reden, von denen wir nicht unbedingt etwas verstehen. Aus diesem Grunde erscheint es mir angebracht, damit Schluss zu machen und den Blick darauf zu richten, worum es in dieser Region wirklich geht, und uns einen Gesamtüberblick zu verschaffen, anstatt uns hier nur in Andeutungen zu ergehen.
Wir Europäer müssen die Demokratie und nicht den Terrorismus unterstützen. Unsere Werte sind die Menschenrechte, die Meinungsfreiheit und das Rechtsstaatsprinzip. Daran müssen wir festhalten. Und wenn das unsere Werte sind, dann können wir der so genannten „Regierung der nationalen Einheit“ nicht zustimmen, die eine Terroristenorganisation unter Führung der Hamas ist. Wir können sie nicht anerkennen. Als Europäer müssen wir vielmehr an unseren demokratischen Werten festhalten.
Frieda Brepoels (PPE-DE). – (NL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Nach unserem Besuch im Westjordanland und im Gazastreifen Anfang Mai kann ich nur zu dem Schluss gelangen, dass wir ungeachtet des vor 40 Jahren geschlossenen Abkommens von einer strukturellen Lösung weiter entfernt sind denn je.
Im Westjordanland werden zahlreiche illegale Siedlungen errichtet. Wir können nur feststellen, dass die Zahl der Kontrollposten nicht ab-, sondern zunimmt. In Gaza leben 87 % der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. 41 palästinensische Parlamentsmitglieder sitzen weiterhin hinter Gittern und von der Rückkehr der Flüchtlinge wird überhaupt nicht mehr gesprochen. Und die Mauer, die weitet sich tatsächlich zur weltweit größten aus, worauf Israel sicherlich stolz sein kann.
Gleichwohl haben die Palästinenser auch das Recht auf Selbstbestimmung und eine menschenwürdige Existenz, und sie sind bereit, Opfer zu bringen und Kompromisse zu schließen. Mehrfach haben sie konkrete Beweise dafür erbracht, dass sie für ihr Volk Frieden und Wohlstand wollen.
Aber ist dies eigentlich noch der Wunsch der internationalen Gemeinschaft und der Europäischen Union? Gelegentlich habe ich so meine Zweifel, nicht zuletzt, wenn ich die Frau Kommissarin heute sagen höre, nach den Gesprächen mit dem Minister habe sie das Ersuchen der Regierung der Nationalen Einheit um Unterstützung zur Kenntnis genommen und Präsident Abbas habe das gleiche Ersuchen vorgebracht. Weshalb wird dann die Regierung von Ihnen nicht anerkannt? Worauf warten Sie noch? Wann endlich werden Sie der Palästinensischen Autonomiebehörde direkte Hilfe gewähren?
Der Ratsvorsitz sprach von den Bedingungen des Quartetts, wir dürfen aber nicht warten, bis das Quartett erneut zusammenkommt. Die Europäische Union könnte die Führung übernehmen. Wir müssen mit der gesamten Regierung Gespräche führen.
Schließlich, Frau Kommissarin, erklären Sie, man werde alle Instrumente nutzen, um Israel zur Wiederaufnahme des Transfers dieser Steuern an die Palästinenser zu zwingen. Ich kann mir nicht denken, auf welche Instrumente Sie sich bezogen haben, und ich würde gerne mehr dazu erfahren, denn nach meinem Dafürhalten ist jetzt keine Zeit mehr zu verlieren.
VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS Vizepräsident
Béatrice Patrie (PSE). – (FR) Herr Präsident! Heute haben wir erneut Anlass, uns mit der schrecklichen Lage im Nahen Osten zu befassen. Seit dem 6. Mai sind 36 Palästinenser, darunter elf Zivilisten, bei israelischen Angriffen auf Gaza ums Leben gekommen. Andererseits gingen 146 Raketengeschosse auf die israelische Stadt Sderot nieder, wodurch sechs Personen verwundet wurden. Die Palästinenser bekämpfen sich gegenseitig. Im Libanon zahlen die 3 000 palästinensischen Flüchtlinge im Lager Nahr Al-Bared den Preis für die Kämpfe zwischen der libanesischen Armee und den Extremisten der Fatah-al-Islam. Hierzu müssen wir ganz klar sagen, dass es niemals eine Rechtfertigung für das Töten von Zivilpersonen gibt.
Wir müssen generell zu einer radikalen Änderung der europäischen Nahostpolitik aufrufen. Es ist nicht mehr hinnehmbar, die politische und finanzielle Unterstützung ohne Ausnahmen für eine palästinensische Regierung der nationalen Einheit zu verweigern, die wir uns gewünscht haben und die, wenn man dem palästinensischen Außenminister Glauben schenkt, den wir unlängst empfangen haben, erstens den politischen Pluralismus respektiert, zweitens die Existenz des Staates Israel nicht in Frage stellt, drittens die Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 fordert, viertens, sich erneut zu den UN-Resolutionen und den arabischen Entschließungen bekennt, insbesondere in der Flüchtlingsfrage.
Wir müssen klar erkennen, dass die auf dem Gipfel von Riad besiegelte Friedensinitiative keine Chance auf Erfolg hat, wenn wir Europäer uns nicht dafür einsetzen, die politische und wirtschaftliche Blockade gegen die palästinensische Regierung aufzuheben. 15 Monate Blockade, eine zu 70 % unterhalb der Armutsgrenze lebende Bevölkerung, 50 % Arbeitslosigkeit sind ein idealer Nährboden für die Zunahme von Fundamentalismus und Terrorismus, machen es jedoch einer Regierung nicht leichter, Gesetz und Ordnung wieder herzustellen. Da wir von der palästinensischen Regierung fordern, ihre Verantwortung wahrzunehmen, müssen wir auch der unseren gerecht werden.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Als Kind habe ich gerne geglaubt, dass alle Menschen gleich sind. Als ich erwachsen wurde und erkennen musste, wie sehr ich mich geirrt hatte, war das ein großer Schock für mich, musste ich doch feststellen, dass es zwei Arten von Menschen gab, jene, deren Leben etwas zählt, und jene, deren Leben nichts wert ist. Als ich mich dann mit Politik beschäftigte, wurde mir beigebracht, dass nicht die Dinge wichtig sind, die richtig sind, sondern die, die Stimmen bringen.
Heute, als Europaabgeordneter, ist mir schließlich klar geworden, dass – so simplistisch und zynisch das für einige klingen mag – es tatsächlich zwei Arten von Menschen gibt: diejenigen, die bei der amerikanischen Regierung beliebt sind, und diejenigen, die dort unbeliebt sind. Ausgehend davon können die Palästinenser z. B. erniedrigt, ausgehungert, ohne Gerichtsverfahren eingesperrt, gefoltert oder umgebracht werden, und das macht eigentlich gar nichts, denn die Bush-Administration und deren folgsame Handlanger wie die „Blairinos“ dieser Welt sehen in den Palästinensern Untermenschen.
Weshalb also verschwenden wir unsere Zeit mit Debatten über Palästina, wenn wir wissen, dass nicht wirklich etwas dabei herauskommen wird? Wenn uns diese Angelegenheit wirklich am Herzen liegt, dann sollten wir unsere Bemühungen auf den Großmeister des Planeten, Herrn Bush, konzentrieren und versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass die Palästinenser eigentlich auch Menschen sind. Wenn uns das gelingt, was ich sehr bezweifle, dann können wir vielleicht einen konstruktiven Beitrag zur Lösung des palästinensischen Problems leisten.
Filip Kaczmarek (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir alle sehnen uns nach Frieden im Nahen Osten. Trotzdem ist der Vorschlag, dass die Europäische Union die finanzielle Hilfeleistung für die Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde in vollem Umfang wieder aufnehmen sollte, entschieden verfrüht.
Die Abhaltung demokratischer Wahlen in einem Land reicht nicht aus, um die Gewährung von europäischer Hilfe zu rechtfertigen. Die Europäische Union weigert sich natürlich, die Auszahlung von Geld ihrer Steuerzahler in mehreren demokratischen Ländern zu genehmigen.
Ich glaube, es gibt zwei entscheidende Gründe dafür, die Auszahlung solcher Gelder nicht zu erlauben. Der erste Grund ist der, dass das Land einfach unsere Hilfe nicht benötigt. Der zweite ist gegeben, wenn das betreffende Land grundlegende, für die Europäische Union entscheidende Prinzipien nicht anerkennt oder sie nicht verwirklicht.
Dieser zweite Grund trifft auf Palästina zu. Im Kern geht es bei dem Streit über die Finanzierung nicht um Israel oder Palästina; er hat mit unseren eigenen Prinzipien zu tun. Der potenzielle Nutznießer weigert sich, das Recht des Gebers anzuerkennen, bestimmte Grundprinzipien durchzusetzen.
Wir sollten nicht die Zeit mit der Debatte darüber zubringen, wann die Begriffe Terrorismus oder Freiheitskampf zu verwenden sind. Stattdessen sollten wir diskutieren, ob man eine Organisation unterstützen kann, deren Programm darauf abzielt, die Anwendung von Gewalt gegen andere zu fördern. Können wir jene unterstützen, die wirklich keinen Frieden wollen? Die Antwort auf die Frage, ob wir Institutionen finanzieren sollten, die keinen Frieden wollen, ist offenkundig oder scheint es zu sein. Wir sollten es nicht tun. Die Gründe, warum wir Unterstützung versagen sollten, haben nichts mit dem Chaos innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde zu tun oder mit der Ungewissheit darüber, wie lange die Regierung der Nationalen Einheit möglicherweise fähig sein wird zu regieren. Sie haben nichts zu tun damit, wie lange jene Regierung in der Lage sein wird, echte Macht auszuüben. Sie haben auch nichts zu tun mit der Tatsache, dass 50 Palästinenser letzte Woche bei Zusammenstößen zwischen Hamas und Fatah getötet wurden, noch irgend mit der Tatsache, dass in Kindersendungen der Fernsehstation Al-Aksa palästinensische Kinder aufgerufen werden, bei der Vernichtung Israels mitzuhelfen und am Krieg teilzunehmen. Der Hauptgrund, weswegen wir Hilfe versagen sollten, besteht darin, dass wir zu unseren eigenen Prinzipien, Werten und unserer Vergangenheit stehen müssen.
Es sollte klar ausgesprochen werden, dass die von Premierminister Hanieh angebotene Wahl zwischen Sieg und Märtyrertum die nationalen Interessen des palästinensischen Volkes beeinträchtigt und ihnen schadet.
David Martin (PSE). – (EN) Herr Präsident! Die Ausführungen der Kommissarin haben mich zwar etwas ermutigt, aber was der Rat zu sagen hatte, das ist wirklich deprimierend. Es scheint unglaublich, dass der Rat nicht erkennt, dass die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit in Palästina sowohl für die Fatah als auch die Hamas ein großes politisches Risiko war. Die Plattform der Einheitsregierung ist eine Verhandlungsplattform, die sich um Frieden bemüht, was der Rat mit keiner Silbe erwähnt hat.
Ich glaube – und ich denke, die Mehrheit in diesem Haus glaubt jetzt –, dass es an der Zeit ist, alle Beschränkungen in unseren Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde aufzuheben. Die Kommissarin hat heute erklärt, dass die Bedingungen für die Wiederaufnahme der direkten Hilfe fast erfüllt sind. Frau Kommissarin, lassen Sie uns nicht auf Schutz warten. Ich fordere Sie auf, auf der nächsten Tagung des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ die Teilnehmer zu bitten, die Regierung der Nationalen Einheit der Palästinensischen Autonomiebehörde anzuerkennen. Sollte die palästinensische Regierung ihre Versprechen nicht halten, dann können wir natürlich unsere Verhandlungen mit und unsere Beziehungen zu ihr abbrechen, aber wir sollten ihr eine Chance geben.
Nicht mit der palästinensischen Regierung zusammenzuarbeiten wird den Zyklus der Gewalt nicht beenden oder die schwere humanitäre Krise lindern, von der viele meiner Kollegen heute Nachmittag so redegewandt gesprochen haben. Nicht mit der palästinensischen Regierung zusammenzuarbeiten wird auch nicht dazu beitragen, dass Israel seine finanziellen und militärischen Angriffe auf Palästina einstellt. Erst heute warnte der stellvertretende israelische Verteidigungsminister, dass sein Land den Führer der Hamas, den jetzigen palästinensischen Premierminister, außergerichtlich töten könnte. Glaubt wirklich jemand, dass Aktionen wie diese den Friedensprozess fördern?
Sarah Ludford (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Nachdem es die Bush-Administration in so tragischer Weise versäumt hat, sich in den letzten fünf Jahren konsequent für ein Friedensabkommen zwischen Israel und Palästina einzusetzen, stellt die arabische Friedensinitiative einen seltenen Lichtblick dar. Die Freilassung von Unteroffizier Shalit und Alan Johnston sowie der 40 Mitglieder des Palästinensischen Legislativrates würde für den dringend benötigten guten Willen sorgen. Die Tatsache, dass die EU und die USA mit dem Außen- und dem Finanzminister Palästinas in Verbindung stehen, zeigt, dass es keinen Boykott gibt und dass die Zusammenarbeit nicht eingestellt wurde, und die humanitäre Hilfe im Wert von Hunderten Millionen von Euro zeigt, dass wir die Not der Menschen nicht einfach ignorieren.
Es ist jedoch sehr schwierig, die Haushaltshilfe für die Palästinensische Autonomiebehörde wieder aufzunehmen, wenn die Einheitsregierung trotz einiger gegenteiliger Behauptungen die Forderungen des Quartetts nicht erfüllt hat. Selbst wenn wir die wiederholten Aufrufe von Hamas-Sprechern zur Zerstörung Israels nicht mit Premierminister Haniyeh in Verbindung bringen, können wir seinen Appell im Namen Gottes oder des Märtyrertums, mit dem er sich erst gestern Abend an die Palästinenser gewandt hat, nicht ignorieren. Kollegen, die pragmatisch argumentieren wollten, dass die Einheitsregierung das derzeit beste Angebot darstellt, sollten bei ihrer Rechtfertigung dafür, dass sie sich auf ihre Seite geschlagen haben, bleiben und nicht versuchen, uns etwas einzureden, was gar nicht passiert ist.
John Bowis (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Unsere Botschaft an jeden Bürger Israels, an jeden Palästinenser, jedes Mitglied der Hamas oder Fatah muss sein: Im Namen Ihres Gottes und um Ihrer Kinder willen, halten Sie ein!
Heute droht ein Sprecher Israels damit, den gewählten palästinensischen Ministerpräsidenten zu töten; die Hamas droht mit Vergeltung; Fatah und Hamas geraten immer wieder in Konflikt miteinander; der Tod einer palästinensischen Familie an einem Strand im Gazastreifen hat die Entführung des Soldaten Shalit zur Folge, was wiederum zu Angriffen und Gegenangriffen führt, wie Du mir, so ich Dir usw. Halten Sie ein, denken Sie nach, reden Sie miteinander. Lassen Sie den Soldaten Shalit frei, lassen Sie Alan Johnston frei, und lassen Sie den Sprecher und die 40 Abgeordneten des gewählten palästinensischen Parlaments frei. Und an die Adresse der EU sage ich: Arbeiten Sie sowohl mit der palästinensischen als auch der israelischen Regierung zusammen.
Zweitens müssen wir nach Wegen suchen, um die Ursachen der Gewalt zu beseitigen, und die größte Ursache ist die Armut. Die Armut der Palästinenser hat sich enorm verschlimmert und ist darauf zurückzuführen, dass Steuern einbehalten und Arbeitnehmer nicht bezahlt werden, dass Handel und Bankgewerbe unter einem Embargo leiden. Es ist an der Zeit, einen Schlussstrich darunter zu ziehen, bevor die Gewalt weiter zunimmt. Es ist an der Zeit, illegale Siedlungen zu räumen und zu beseitigen. Es ist an der Zeit, diese schreckliche, grausame, unmoralische Mauer zu beseitigen, und, Frau Kommissarin, es ist an der Zeit, den von den Missionsleitern in Jerusalem und Ramallah erstellten Bericht über Ostjerusalem, in dem diese zu dem Schluss kommen, die israelischen Aktivitäten in Jerusalem stünden im Widerspruch sowohl zu den Verpflichtungen des Fahrplans als auch zum Völkerrecht, zu veröffentlichen.
All das muss auf den Tisch. Wir müssen reden und jeden dazu bringen, an die Zukunft seiner Kinder zu denken, die Gewalt zu stoppen und sich für den Frieden einzusetzen.
(Beifall)
Libor Rouček (PSE). – (CS) In den palästinensischen Gebieten herrschen weiterhin Gewalt und Unruhe. Tagtäglich bringen die Presseagenturen der Welt Meldungen über Verletzte und Tote. Ungeachtet wiederholter Erklärungen über einen Waffenstillstand zwischen Fatah und Hamas gehen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppierungen weiter. Auch die Raketenangriffe auf die Stadt Sderot vom Gazastreifen aus und die Vergeltungsschläge von israelischer Seite aus halten an. Die Mitarbeiter des Gesundheitswesens und die Lehrer in Palästina sind in den Ausstand getreten, und palästinensische Polizisten und andere Angestellte im öffentlichen Dienst erhalten keine Bezahlung. Wie mehrfach erklärt wurde, nimmt die Armut schnell zu. Über 80 % der Palästinenser im Gazastreifen müssen mit weniger als 2 USD pro Tag auskommen.
Letztlich ist es so, dass Palästina und Israel unsere Hilfe brauchen, da sie nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft aus dem Kreislauf der Gewalt herauszufinden. Ich gehöre zu den Parlamentsabgeordneten, die eine umfassendere Unterstützung der EU fordern. Daher möchte ich nochmals an die Kommission appellieren, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit möglichst schnell und effektiv internationale Hilfe mobilisiert wird. Wenn das nicht geschieht, wird es meiner Meinung nach immer wahrscheinlicher, dass die Selbstverwaltung Palästinas völlig zusammenbricht und ein massiver Bürgerkrieg ausbricht, dessen Folgen nicht nur für Palästina, sondern auch für den gesamten Nahen Osten unvorstellbar sein werden. Gleiches gilt auch für den Libanon.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Das war eine sehr leidenschaftliche Diskussion, und ich verstehe voll und ganz wieso, denn, wie ich bereits sagte, ist die Frustration bei uns alle immens. Aber Sie müssen verstehen, dass die Europäische Union in den letzten zehn Jahren wirklich versucht hat, einen wichtigen Beitrag zum Friedensprozess zu leisten, nicht der Konflikt sollte vertieft werden, sondern es sollte Frieden geschaffen oder der Friedensprozess unterstützt werden. Letzten Endes müssen natürlich immer die beiden Seiten bereit sein, aber wir versuchen, sie anzuschieben. Wir waren folglich sehr froh, als wichtiger und einflussreicher Partner im Quartett mitzuwirken.
Wir können in Bezug auf diesen Frieden aber nur Vermittler sein. Das bedeutet, dass wir beide Seiten einbeziehen müssen. Wir können uns nicht nur an eine Seite wenden, und deshalb meinen wir, dass wir die drei Grundsätze des Quartetts als wichtige Grundprinzipien gut vertreten haben. Nur der Rat, nicht die Kommission, kann die Regierung wirklich anerkennen – es sind 27 Mitgliedstaaten. Ich verstehe, wenn Sie mich darum bitten, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir.
Es gibt ein Instrument, das Sie indirekt erwähnt haben: Die Annullierung oder Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel; aber glauben Sie wirklich, dass das etwas bewirken würde? Das glaube ich nicht. Wir wären nicht mehr Vermittler in diesem Prozess, es wäre zum jetzigen Zeitpunkt also das falsche Instrument.
Was uns als Instrument zur Verfügung steht, das ist ein kontinuierlicher politischer Dialog, bei dem alle Beteiligten mit allen Beteiligten zusammenarbeiten, aber es stimmt schon, dass das Quartett, wie erwähnt, auch andere Mitglieder hat wie beispielsweise die USA. Es ist unbedingt erforderlich, dass auch von dieser Seite ein gewisser Druck spürbar wird. In den letzten Monaten waren seitens der USA größere Bemühungen zu verzeichnen, und zwar vor allem von Condoleezza Rice. Das haben wir alle begrüßt und versucht, weiter voranzukommen. Der deutsche Ratsvorsitz, vor allem Frau Merkel, aber auch Außenminister Steinmeier haben sich wirklich um Fortschritte bemüht.
Eine politische Lösung lässt sich nie gewaltsam erzwingen. Leider ist die Gewalt erneut ausgebrochen. Ich kann versprechen – und das liegt in der Zuständigkeit der Kommission –, dass wir weiter mit der Regierung der Nationalen Einheit zusammenarbeiten werden. Damit haben wir ja bereits begonnen. Doch wie wir bereits festgestellt haben, streben wir eine schrittweise Zusammenarbeit an. Wir können nicht alles auf einmal tun. Selbst Salam Fayyad sagte bei unserer ersten Begegnung nach der Regierungsbildung zu mir, dass ich einige Zeit brauchen würde, um das Chaos im Finanzministerium zu beseitigen – und damit sind wir immer noch nicht ganz fertig. Wir haben es also fast geschafft; die technischen Bedingungen wären erfüllt, aber Sie wissen auch, dass uns der Rat politisch unterstützen muss. Ich möchte, dass Sie diese Dinge verstehen.
Die Lage ist meines Erachtens sehr dramatisch, und ich hoffe, der Rat versteht, dass wir der Regierung der Nationalen Einheit helfen müssen, die richtige Plattform zu finden, um den Friedensprozess und die Gespräche über den politischen Horizont fortzusetzen. Wir wissen, dass die Lage kompliziert ist, und deshalb habe ich auch gesagt, dass mir die Tatsache, dass Außenministerin Livni an der nächsten Ratstagung teilnehmen wird, nachdem wir ein sehr positives Zusammentreffen mit der Arabischen Liga hatten, zumindest etwas Hoffnung gibt. Aber ich räume ein, dass die Lage vor Ort äußerst schwierig ist, und hinzukommt, dass verschiedenste Splittergruppen und radikale Gruppierungen außerhalb der Regierung Interesse an einer Gefährdung des gesamten Prozesses haben. Es ist ein Teufelskreis, und ich bin ebenfalls der Ansicht, dass wir versuchen müssen, ihn aufzubrechen.
Ein Abgeordneter erwähnte, dass wir unsere Mission zur Beobachtung des Kontrollpunktes Rafah verlängert haben. Das haben wir getan, weil die Einrichtung eines freien Verkehrs für Waren und Menschen unseres Erachtens von großer Bedeutung ist. Ich selbst habe in dieser Angelegenheit mit Premierminister Olmert zusammengearbeitet. Ich erinnere mich an meinen letzten Besuch dort, als ich das Thema aufgegriffen habe, um wirklich Detailfragen zu klären. Es gibt allerdings Sicherheitsbedenken. Leider kommen Selbstmordattentäter über die Grenzen; es wird sehr viel Geld geschmuggelt; Sie haben also immer die beiden Seiten des Konflikts. Wir sind aber der Ansicht, dass es wichtig ist, diese Mission am Kontrollpunkt Rafah zu verlängern, weil es nur mit der Europäischen Union dort eine Chance für eine Grenzöffnung gibt.
Wir suchen den Dialog. Wir arbeiten auch mit dem Finanzminister zusammen, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Vorläufigen Internationalen Mechanismus, sondern auch in Bezug auf den Verwaltungsaufbau und technische Hilfe, wobei wir unsere Partner vor allem in Zollfragen, in Fragen der Einnahmenerfassung und der Rechnungsprüfung unterstützen. Salam Fayyad hat uns darum gebeten, und deshalb arbeiten wir mit seinem Ressort zusammen. Ich sagte, dass wir auch prüfen werden, was wir entsprechend den Wünschen unserer Partner über den Vorläufigen Internationalen Fond finanzieren können, also nicht nur die Dinge, die wir bisher finanziert haben, um der Bevölkerung das Überleben zu erleichtern, sondern auch andere Dinge.
Das ist es, was ich Ihnen in dieser heiklen und schwierigen Lage anbieten kann. Wir müssen auch künftig mit großem Nachdruck versuchen, die verschiedenen Parteien zusammenzubringen. Ich hoffe, das Zeitfenster ist noch offen.
15. Fragestunde (Anfragen an die Kommission)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0018/2007).
Wir behandeln die folgenden Anfragen an die Kommission.
Erster Teil
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 30 von David Martin (H-0301/07)
Betrifft: Die negativen Folgen der europäischen Biokraftstoffziele
83 % der weltweit produzierten Biokraftstoffe kommen aus Indonesien und Malaysia. Um u. a. den wachsenden Bedarf der EU an Biokraftstoffen zu befriedigen, holzen sowohl Indonesien als auch Malaysia große Waldgebiete – bei denen es sich oft um ökologisch wertvolle Regenwälder handelt – ab, um Palmölplantagen anzulegen. Ist der Kommission bewusst, dass einem aktuellen Bericht der UNO zufolge bis 2022 98 % dieser Wälder verschwunden sein könnten? Ist sich die Kommission der Auswirkungen bewusst, die die Entwaldung auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt hat? So werden viele Orang-Utans in Rehabilitationszentren untergebracht und haben kaum Aussicht auf eine spätere Auswilderung. Einem niederländischen Interessenverband zufolge werden bis zu 50 % der für neue Plantagen benötigten Flächen durch die Trockenlegung von Torfgebieten oder das Verbrennen von Torf gewonnen, wobei enorme Mengen an Kohlendioxid freigesetzt werden.
Wie kann die Kommission die von der EU anvisierte Senkung der Emissionen bis 2020 um 20 % mit einem möglichen Anstieg der Kohlenstoffemissionen in Indonesien und Malaysia vereinbaren (von dem gleichen Interessenverband wird Indonesien als weltweit drittgrößter Verursacher von CO2-Emissionen eingestuft)? Gedenkt die Kommission eine Kennzeichnung für „nachhaltige“ Palmöle einzuführen? Wird die Kommission ein Einfuhrverbot für Biokraftstoffe in die EU in Betracht ziehen?
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Die Kommission teilt die Sorge des Herrn Abgeordneten bezüglich der Entwaldung und der Trockenlegung von Torfgebieten in Südostasien und ist sich der Verbindung zur rasch ansteigenden Nachfrage nach Palmöl bewusst. Die Palmölproduktion wächst jährlich um etwa 9 %; über 80 % des Palmöls wird in Malaysia und Indonesien erzeugt.
Um entscheiden zu können, wie das Problem angegangen werden soll, muss man eine klare Vorstellung von Angebot und Nachfrage in diesem Bereich haben. Im Jahr 2006 machte indonesisches und malaysisches Palmöl etwa 1 % der Biokraftstoffe weltweit aus. Palmöl wird heute vornehmlich für Nahrungsmittel und andere nichtenergetische Bereiche verwendet. Lediglich 1 % des in Indonesien und Malaysia erzeugten Palmöls wurde 2006 zur Herstellung von Biokraftstoffen eingesetzt.
Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die Nachfrage nach Bioenergie künftig ansteigen wird, und zwar nicht nur in der Europäischen Union, und das wird die Produktion von Palmöl für die Erzeugung von Biokraftstoffen ankurbeln. Dabei ist sich die Kommission bewusst, dass die wachsende Nachfrage nach Biokraftstoffen in Verbindung mit dem von der Gemeinschaft anvisierten Biokraftstoffziel für 2020, wenn nichts unternommen wird, die Umwelt zusätzlich belasten könnte, was dem von Parlament, Kommission und Rat verfolgten nachhaltigen Ansatz zuwiderliefe.
Derzeit gibt es keine Zertifizierungspflicht, die garantiert, dass tropische Regenwälder und Torfgebiete in Südostasien durch die Produktion von Palmöl unabhängig von dessen Verwendung nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Kommission wird im Rahmen ihres Legislativvorschlags deshalb einen Nachhaltigkeitsplan für Biokraftstoffe vorsehen, der gewährleisten soll, dass der Biokraftstoffsektor einen Beitrag zur Lösung dieses Problems leistet.
Die Kommission arbeitet zurzeit an der Gestaltung dieses Plans. Er soll Maßnahmen umfassen, die der Konversion von tropischen Wäldern und Torfgebieten zum Zweck der Biokraftstofferzeugung entgegenwirken. Außerdem sind Maßnahmen vorgesehen, mit denen Produktionsmethoden unterbunden werden sollen, die in Bezug auf Treibhausgase als ineffizient einzustufen sind. Diese Maßnahmen werden sowohl für innerhalb der EU erzeugte als auch für eingeführte Biokraftstoffe gelten. Ausgehend davon muss bei allen Bemühungen zur umfassenden Bewältigung der Auswirkungen des Ölpalmenanbaus auf die Umwelt dies mit Blick auf alle Endverbraucher von Palmöl geschehen.
Die Kommission, der Rat und das Parlament haben sich alle für einen ausgewogenen Ansatz im Bereich Biokraftstoffe ausgesprochen, bei dem der enorme Bedarf durch einheimische Erzeugung und Einfuhren gedeckt werden soll, die Produktion aber auf nachhaltiger Grundlage erfolgen wird.
David Martin (PSE). – (EN) Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Kommissar. Akzeptieren Sie, dass das Ziel der Biokraftstoffpolitik der Europäischen Union darin besteht, Emissionen weltweit und nicht nur in der Europäischen Union zu senken? Meine Sorge, die mich auch zu dieser Frage veranlasst hat, besteht darin, dass wir möglicherweise nicht zur Senkung der Emissionen weltweit beitragen, wenn wir nur die durch Biokraftstoffe verursachten Emissionen in Europa messen und nicht die Emissionen, die bei der Herstellung und beim Transport dieser Biokraftstoffe verursacht werden.
Ich freue mich über das, was der Kommissar bezüglich des Nachhaltigkeitsplans gesagt hat. Wird die Kommission auch prüfen, wie wir unter dem Gesichtspunkt der Emissionen zwischen guten und schlechten Biokraftstoffen unterscheiden können?
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Ich teile definitiv die Ansicht, dass unser globaler Plan in der Bekämpfung der globalen CO2-Emissionen besteht, und aus diesem Grund werden wir natürlich auch den von der Verwendung von Biokraftstoffen verursachten CO2-Fußabdruck prüfen.
Wenn die in einer Region produzierten Biokraftstoffe in eine andere Region transportiert werden müssen, dann können wir das nicht künstlich verbieten. Aus diesem Grund sollte unser Plan vorsehen, dass die besten Biokraftstoffe stärker gefördert werden, und auf diese Weise wiederum würde es keinen Anreiz geben, Palmöl zur Versorgung unseres Marktes über weite Strecken zu transportieren.
Außerdem ist es meines Erachtens äußerst wichtig zu verstehen, dass wir uns parallel für den Schutz von Torfgebieten und Regenwäldern einsetzen müssen. Denn, ganz gleich, was wir tun, wir werden möglicherweise nachhaltig handeln. Es wird aber andere Gebiete geben, die einfach nur Palmöl wollen.
Deshalb müssen wir uns in den in Bali anlaufenden Verhandlungen für eine Regelung zum Schutz der Regenwälder einsetzen und gleichzeitig nach Möglichkeiten suchen, um die Anpflanzung weiterer Wälder auf der Erde zu fördern, und zwar nicht für Palmöl für unseren Verkehr, sondern zur Senkung der durch den Verkehr insgesamt verursachten CO2-Emissionen.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte gerne wissen, wie eine erhöhte Produktion von Biokraftstoff sich auf den Nahrungsmittelmarkt auswirken kann. Der zur Herstellung von Biokraftstoff verwendete amerikanische Mais ist wesentlich teurer als Getreide. Wird es langfristig, wenn wir immer mehr auf solche erneuerbaren Energiequellen übergehen, zu einer Krise auf dem Nahrungsmittelmarkt kommen?
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Diese Frage ist gerechtfertigt. In der Europäischen Union gibt es sehr viele ungenutzte Flächen. Folglich könnte man viele dieser Flächen zur Erzeugung von Biomasse verwenden, und zwar nicht nur für Biokraftstoffe, sondern auch zur Erzeugung von Wärme, zur Kühlung oder zur Erzeugung von Elektrizität. Eine Reihe von Ländern hat das Nachhaltigkeitsziel erreicht; sie erzeugen 12 % ihrer Elektrizität aus Biomasse. Gleichzeitig produzieren sie auch Biokraftstoffe. Es gibt also Möglichkeiten für die Nutzung solcher Flächen. Wenn ich mir die zweite Generation von Biokraftstoffen anschaue, dann gibt es durchaus Flächen, die zur Produktion von Biokraftstoffen genutzt werden könnten.
Die Kommission hat ausgerechnet, dass die Europäische Union 14 % ihres Bedarfs decken könnte, selbst wenn wir keine Biokraftstoffe aus anderen Teilen der Welt importieren.
Was den Anstieg der Lebensmittelpreise betrifft, so wirken hier etliche Faktoren. Sie haben als Beispiel Mais genannt. Der Preis von Mais wird auf dem Weltmarkt bestimmt, und er wurde in starkem Maße beeinflusst von der anhaltenden Trockenheit in Australien und dem potenziellen Wachstum in den USA. Wenn der Landwirt die Wahl hat zwischen der Herstellung von Biokraftstoffen oder Grundnahrungsmitteln, dann hat das Auswirkungen. Ich glaube aber, der Markt wird angemessen reagieren, und wenn unser Nachhaltigkeitsplan, der die Produktion von Biokraftstoffen mit geringeren CO2-Emissionen fördern wird, erst einmal in Kraft ist, dann wird sich dieser Markt einpegeln.
Ich habe nie gesagt, dass wir in der Lage sein werden, das gesamte Öl, das wir verbrauchen, durch Biokraftstoffe zu ersetzen. Es gibt Möglichkeiten sowohl in der EU als auch weltweit, aber es wird nie möglich sein, alles von uns verbrauchtes Öl zu ersetzen. Derzeit würde ich sagen, dass es keine Frage von Lebensmittelpreisen oder der Verwendung von Biokraftstoffen ist, denn weltweit werden Biokraftstoffe nur in sehr geringem Maß eingesetzt, und sie haben sich bisher definitiv nicht auf den Preis von Lebensmitteln ausgewirkt.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Kommissar, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es durchaus Sinn macht, dafür zu sorgen, dass auf Brachland in Europa nun Pflanzen angebaut werden, aus denen man Treibstoffe gewinnen kann. Ein aktuelles Problem ergibt sich dabei bei der Produktion von Braugerste, weil die Förderung für die Produktion von Biokraftstoffen es für den Landwirt attraktiver macht, hier andere Produkte anzubauen. Somit hatten wir im eigenen Land, in der eigenen Wirtschaft Probleme, für einen nicht ganz unwichtigen Wirtschaftszweig – die Produktion von Bier – die entsprechenden Grundstoffe zu erzeugen.
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. Man könnte fragen, was wichtiger ist: Nahrung oder Energie? Als wir uns noch selbst mit Erdöl und Erdgas versorgen konnten, war die Situation eine andere. Heute müssen wir alles importieren. Wir wissen, dass auch global die Nachfrage nach Erdöl und Erdgas steigt. Und doch möchten wir das gleiche Niveau an Komfort halten. Das bedeutet, dass ein Teil unserer Bemühungen in die Produktion von Energie fließen muss. Wie gesagt: Zurzeit haben wir so viele Möglichkeiten und Reserven, dass wir all diese Möglichkeiten ausschöpfen müssen.
Doch müssen wir auch klug sein und nicht irgendetwas machen, wofür wir später teuer bezahlen müssen. Die Schemen, die wir entwickeln, bedeuten einen ersten Schritt. Wir haben alle Möglichkeiten, diese Schemen so zu gestalten, dass es für die Nahrungsmittelindustrie zu keinen großen Schwierigkeiten kommt.
Der Präsident.
Anfrage Nr. 31 von Danute Budreikaite (H-0303/07)
Betrifft: Energieabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Russland
Mit der Veröffentlichung des Energiepakets im Januar 2007 durch die Kommission kam neuer Schwung in die Bemühungen einiger Mitgliedstaaten um eine Versorgung mit Energieressourcen aus Russland durch den Abschluss zweiseitiger oder dreiseitiger Abkommen mit diesem Land.
Russland, Griechenland und Bulgarien unterzeichneten ein Abkommen über eine Erdölleitung, die das Schwarze Meer mit der Ägäis verbinden wird. Mit ihrem Bau soll Ende 2007 begonnen werden, und sie soll im Jahr 2011 fertig gestellt werden.
Ungarn wird zusammen mit der russischen „Gazprom“ die Gasleitung „Blauer Strom“ bauen, die in der Türkei beginnen und durch Bulgarien und Rumänien führen wird. Diese Gasleitung wird auf der gleichen Trasse wie die von der EU geplante Gasleitung „Nabucco“ verlaufen. Ein neues Abkommen mit Russland trägt die Bezeichnung „Abkommen zur Diversifizierung der Gasversorgung“.
Was hält die Kommission von einer solchen Diversifizierung der Energieversorgung, wenn es sich bei dem Lieferanten um dieselbe „Gazprom“ handelt? Welche Auswirkungen könnten derartige Abkommen auf die Durchführung der gemeinsamen Energiepolitik der EU haben?
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Das sind Fragen, die wir bereits in der Vergangenheit diskutiert haben: Wie sichern wir eine ausreichende Energieversorgung für die Europäische Union. Bekanntlich decken wir heute 50 % unseres Energiebedarfs aus Einfuhren, und wir wissen, dass dieser Anteil künftig weiter steigen wird. Er könnte bei 65 % liegen, wobei über 80 % des von uns verbrauchten Gases und sogar über 90 % des Öls importiert werden.
Aus diesen Gründen werden wir auch künftig mit allen traditionellen Lieferanten zusammenarbeiten. Im Falle von Gas ist das Russland, das gegenwärtig 27,5 % unserer Lieferungen abdeckt. Aus Norwegen beziehen wir 14 % unseres Öls und aus Algerien 12,5 %. Aus diesem Grund sind wir daran interessiert, unsere Verbindungen zu den traditionellen Lieferländern zu festigen und neue Versorgungswege zu erschließen. Versorgungswege für Gas und Öl sind bestimmten Gefahren ausgesetzt. Ich würde hier die jüngste Explosion in einem Gasleitungssystem der Ukraine erwähnen. Das hat sich definitiv auf den Transport ausgewirkt, da es aber andere Wege für die Lieferung von Gas gibt, war der EU-Binnenmarkt nicht betroffen. Klar ist jedoch, dass zusätzliche Versorgungswege für die Verbraucher von Vorteil sind.
Die Abhängigkeit der EU von Russland sollte nicht überbewertet werden, denn in Anbetracht der Tatsache, dass Russland über die größten Gasvorräte verfügt und zu den Ländern mit den größten Ölvorkommen zählt, ist es nur natürlich, dass Russland unser wichtigster Lieferant ist. Die Ölpipeline Burgas-Alexandroupoli ist meines Erachtens ein wichtiges Vorhaben, da sie die türkischen Meerengen umgeht. Damit verringert sie erstens die Gefahr einer Umweltkatastrophe und stellt zweitens einen zusätzlichen Versorgungsweg für den Transport von nördlich des Kaspischen Meeres gefördertem Öl auf die europäischen Märkte dar. Aus diesem Grund unterstützt die Kommission dieses Vorhaben, eben weil es für einen zusätzlichen Versorgungsweg sorgt und nicht unsere Abhängigkeit von Russland erhöht.
Gleichzeitig ist es unbedingt erforderlich zu diversifizieren; erstens weil die Abhängigkeit von einem Anbieter dem Monopollieferanten die Möglichkeit gibt, den Preis zu diktieren, und weil sich damit aber auch die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher beeinflussen lässt. Aus diesem Grund hat die Europäische Union eine aktive Diversifizierung ihrer Lieferungen vorgenommen. Zu den Gebieten, aus denen wir in diesem Jahr Lieferungen beziehen, zählen das Kaspische Meer und das Feld Sha-Deniz in Aserbaidschan. Dort haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Nachbarländern von Aserbaidschan, mit Georgien und der Türkei, aufgebaut.
Nabucco wird das nächste Vorhaben sein, das umgesetzt werden wird. Dabei handelt es sich um ein ehrgeizigeres Vorhaben. Es wird etwas länger dauern, aber der Zeitplan steht, und wir werden von dieser Quelle Lieferungen über den vierten potenziellen Gasversorgungskorridor erhalten. Mit der angekündigten neuen Ölleitung von Samsun nach Ceyhan, einem zusätzlichen Ölversorgungsprojekt, über das Öl vom Schwarzen Meer und aus der Region des Kaspischen Meeres in die Europäische Union fließen wird, diversifizieren wir gleichzeitig auch unsere Öllieferungen.
Wir fördern die Zusammenarbeit mit derartigen Ländern weltweit, denn obwohl es auf dem Gasmarkt drei große Anbieter gibt – Russland, den Iran und Katar –, existieren weitere Lieferanten, die die Lieferungen erhöhen könnten. So wird Norwegen seine Lieferungen an die Europäische Union in den nächsten Jahren um annähernd 50 % steigern. Gleiches gilt für Algerien, das zusätzliche Lieferungen bereitstellen wird. Außerdem entstehen immer mehr LNG-Terminals.
Aus diesem Grunde sollten wir meines Erachtens weiterhin mit Russland zusammenarbeiten. Wir sollten auch künftig Energieressourcen von Russland kaufen, denn für Russland ist die EU der beste Markt, weil es der nächstgelegene Markt ist und weil die Verbindungen seit geraumer Zeit existieren. Doch aus Gründen der Versorgungssicherheit sollten wir unbedingt diversifizieren.
Ferner möchte ich zwei weitere Elemente hervorheben, denn man kann sich nicht ausschließlich auf Einfuhren verlassen. Es ist unbedingt erforderlich, dass wir Energiequellen in der Europäischen Union erschließen, dass wir der Energieeffizienz einen wesentlich größeren Stellenwert einräumen und unsere interne Energieinfrastruktur, ob nun Pipelines oder unser Stromnetz, ausbauen. Die Europäische Union ist in all diesen Bereichen sehr aktiv, wobei wir stets anerkennen, dass jedes Land über seinen Energiemix selbst entscheidet. Doch mit Hilfe der Binnenmarktinstrumente und der Instrumente im Rahmen des Gemeinschaftsrechts fördern wir die Nutzung lokaler Ressourcen und eine stärkere Energieeffizienz.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Ich danke unserem Kollegen von der Kommission für diese Antwort und die von ihm geäußerte Hoffnung, dass wir dennoch andere, alternative Energiequellen finden werden. Wie ich in meiner Frage bereits gesagt habe und wie auch in der gegenwärtigen Lage deutlich wird, ist es offenkundig, dass sich – unabhängig von der Art des Abkommens und ob es sich um eine Erdöl- oder Erdgasleitung handelt – am anderen Ende immer Russland befindet. Russland hat die Erdöllieferungen an Litauen eingestellt und behandelt Lettland in der gleichen Weise. Daher können wir dieser Versorgungsquelle nicht viel Vertrauen entgegenbringen, und ich möchte darum bitten, dass wir alle gemeinsam Anstrengungen unternehmen, um schnell Projekte für andere, alternative Energiequellen umzusetzen.
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Nun, ich rate den Mitgliedstaaten immer, aktiv zu sein. Ich hoffe, dass sie hören, was Sie sagen und was ich sage, denn es ist immer wichtig, dass die Mitgliedstaaten untereinander zusammenarbeiten und nach Alternativen suchen. Theoretisch könnten die baltischen Länder bei Bedarf ein zusätzliches Energieterminal nutzen.
Aber es ist Aufgabe der Regierungen zu entscheiden, wie die Diversifizierung und die Zusammenarbeit aussehen sollen und welche Anbindungen sie herstellen wollen. Ich bin sehr froh darüber, dass uns die Anbindung des Marktes der baltischen Länder an Finnland gelungen ist. Jetzt geht es darum, den Verbund mit Polen und künftig mit anderen nordischen Ländern herzustellen. Das würde zudem das Risiko ausschalten, dass eine Versorgungsunterbrechung aus einer Richtung das gesamte Land in Mitleidenschaft zieht.
Paul Rübig (PPE-DE). – Herr Kommissar! Mich würde interessieren, wie im Bereich der Transeuropäische Netze (TEN) die finanzielle Unterstützung gesichert werden soll. Gibt es einen Terminplan, wann für diese TEN-Leitungen – wie z. B. Nabucco oder Bluestream – tatsächlich Mittel fließen, und könnten Sie sich vorstellen, dass der Zeitplan für die Überprüfung 2008 entsprechend vorbereitet wird?
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. Die Kommission wird in diesem Bereich nur teilweise unterstützend tätig, weil uns im Haushalt nicht so viele Mittel zur Verfügung stehen. Natürlich unterstützen wir die Gesellschaften und die Unternehmen, die dort Geld investieren können. Es ist eine wirtschaftlich sehr interessante Sache, in Energietransport zu investieren. Zurzeit kann ich sagen, dass der Zeitplan für Nabucco mit 2012 festgelegt ist. Die Kommission hat bereits eine begrenzte finanzielle Unterstützung geleistet, aber auch die politische Unterstützung ist wichtig. Der Koordinator für dieses Projekt wird in den nächsten Monaten bekannt gegeben, natürlich in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament.
Ich glaube, dass wir nach der Annahme des Energiepakets die Möglichkeit haben, zu dieser Frage zurückzukommen, wenn die Haushaltsperspektive diskutiert wird. Meiner Meinung nach gibt es auch die Notwendigkeit, mehr Mittel für Transeuropäische Energienetzwerke zu reservieren, weil es Richtungen gibt, die strategisch wichtig und gleichzeitig für die Wirtschaft nicht so profitabel sind. Deshalb brauchen wir mehr Geld. Aber wir haben noch Zeit, all das zu analysieren und einen Vorschlag vorzubereiten.
Justas Vincas Paleckis (PSE). – (EN) Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Kommissar, die wirklich sehr beeindruckend sind.
Ich möchte Sie fragen, ob die Kommission bemerkt hat, dass Russland nie Schwierigkeiten bei der Versorgung der „alten“ EU-Mitgliedstaaten mit Öl und Gas macht, während Litauen, Lettland, Ungarn und andere neue Mitgliedstaaten viele Probleme hatten. Was halten Sie von dieser Art der Behandlung als Abnehmer erster bzw. zweiter Klasse?
Andris Piebalgs, Mitglied der Kommission. (EN) Dafür gibt es zwei Erklärungen. Erstens verfolgen die neuen Mitgliedstaaten bisweilen keine sehr klare Diversifizierungspolitik; zumindest haben sich einige der neuen Mitgliedstaaten nicht um eine möglichst umfassende Diversifizierung bemüht und sind so noch abhängiger von einem einzigen Lieferanten, nämlich Russland, geworden.
Zweitens glaube ich nicht, dass Russland das absichtlich macht. Das hängt lediglich damit zusammen, dass diese Länder bei einer Lieferunterbrechung als Erste betroffen sind. Hinzu kommt, dass sie anfälliger sind als die alten Mitgliedstaaten, da ihre Versorgung weniger diversifiziert ist. Die Mitgliedstaaten sollten mehr tun und stärker in die Diversifizierung in Bezug auf den Energiemix, die Lieferwege und Lieferanten investieren.
Wenn die Infrastruktur betroffen ist, dann sind diese Länder die ersten, die in Mitleidenschaft gezogen werden, weil die Netze historisch ja auf eine Anbindung an Russland als dem Lieferanten ausgelegt worden waren, wobei diese Länder die Abnehmer waren. Deshalb entsteht dieser Eindruck, aber ich würde wiederholen, dass sich dieses Problem mit Hilfe der Diversifizierung vermeiden lässt. Jedes Land sollte diversifizieren, um Probleme im Zusammenhang mit der Lieferung der Ressourcen zu minimieren. Ich glaube außerdem, dass sich die Lieferanten dann um möglichst fristgemäße Lieferungen bemühen und Netze reparieren würden, sobald undichte Stellen auftreten.
Zweiter Teil
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 33 von Claude Moraes (H-0298/07)
Betrifft: Hass-Internetseiten
Welche Auffassung vertritt die Kommission hinsichtlich der Verbreitung so genannter Hass-Internetseiten, insbesondere solcher, die Hass propagieren und zu Hass aufrufen, also Internetseiten mit rassistischen, antisemitischen oder gegen Roma gerichteten Inhalten, sowie Internetseiten, die Namen und persönliche Angaben von Aktivisten enthalten, um Übergriffe gegen diese zu initiieren.
Ist der Kommission bekannt, ob im Vereinigten Königreich oder anderen Ländern durch die Parlamente Maßnahmen eingeleitet wurden, um gegen diese Internetseiten vorzugehen? Schlägt die Kommission Maßnahmen in diesem Sinne vor?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Rassistische und fremdenfeindliche Gewalt sowie rassistische Äußerungen sind eine sehr traurige Realität in ganz Europa. Dem Jahresbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit für das Jahr 2006 zufolge war in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten in den letzten Jahren eine Zunahme der rassistischen Gewalt und anderer rassistischer Straftaten zu verzeichnen.
Die Kommission hat sämtliche Erscheinungs- und Ausdrucksformen von Rassismus unabhängig von ihrer Quelle oder Art der Manifestation stets auf das Schärfste abgelehnt und verurteilt. Eine Maßnahme zur Bekämpfung rassistischer Äußerungen befindet sich dann und nur dann vollkommen im Einklang mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn sie nicht Artikel 10 Ziffer 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte widerspricht.
Ich bin der Erste, der zugibt, dass es nicht einfach ist, eine eindeutige Grenze zwischen dem Schutz der freien Meinungsäußerung und der Definition rassistischer Äußerungen als Straftatbestand zu ziehen und dass dies sorgfältige Überlegung erfordert. Ich bin jedoch überzeugt, dass es kein Widerspruch ist, die Bürger vor rassistischen Äußerungen zu schützen und gleichzeitig zu gewährleisten, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung als eine Grundfeste unserer Gesellschaft erhalten bleibt.
Das ist der Geist, in dem der Rat am 20. April 2007 eine politische Einigung über einen Rahmenbeschluss erzielt hat, mit dem gesichert werden soll, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in allen Mitgliedstaaten wirksam und angemessen bestraft wird. Dieser Rahmenbeschluss verpflichtet die Mitgliedstaaten, vorsätzliche Handlungen wie die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach Kriterien der Rasse definierte Gruppe von Personen oder zu einer solchen Gruppe gehörende Personen unter Strafe zu stellen.
Die Aufstachelung zu Gewalt oder Hass wird zudem in der gesamten EU unter Strafe gestellt, wenn sie durch die öffentliche Verbreitung oder Verteilung von Bildmaterial erfolgt. Verteilung bedeutet in diesem Zusammenhang jegliche Verteilung auf dem Wege der Übertragung, die die Verbreitung über Internetseiten einschließt.
Mir sind keine parlamentarischen Maßnahmen im Vereinigten Königreich oder anderen Mitgliedstaaten zur Bekämpfung derartiger Internetseiten bekannt. Es wird jedoch erwartet, dass der Rahmenbeschluss zumindest in einigen Mitgliedstaaten zur Verabschiedung neuer Rechtsvorschriften zur Bekämpfung rassistischer Straftaten, einschließlich solcher, die über das Internet verübt werden, führen wird.
Claude Moraes (PSE). – (EN) Herr Kommissar! Ihre Antwort ist Ausdruck der Mühe, die Sie in den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung rassistischer Straftaten investiert haben, und Sie machen deutlich, dass diese Art der Internetkriminalität inzwischen auf Webseiten zu finden ist, die, wenn sie in gedruckter Form vorliegen würden, jeder in diesem Haus als zutiefst beleidigend empfinden würde. Sie sind im Internet jedoch ebenso beleidigend. Meinen Sie, dass der Rahmenbeschluss diese Aufgabe angemessen erfüllen kann, oder wäre Ihrer Ansicht nach die ebenfalls aktuelle Mitteilung über die Bekämpfung der Internetkriminalität ein nächster Schritt, oder glauben Sie, dass man die Mitgliedstaaten einfach auffordern sollte, die jeweiligen Gesetze zur Bekämpfung der drastischen Zunahme von äußerst beleidigenden Webseiten umzusetzen, die zu Rassenhass und Gewalt auffordern, nur weil jemand anders ist?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meiner Meinung nach ist der Rahmenbeschluss ausreichend. Wir haben ihn nach einer fünf Jahre währenden politischen Diskussion angenommen, und meines Erachtens müssen wir nun dafür sorgen, dass er von den Mitgliedstaaten vollständig und zügig umgesetzt wird, und vor allem, dass diese Regeln erfolgreich in der Praxis angewendet werden. Heute hat die Kommission eine allgemeine Mitteilung zur Internetkriminalität angenommen, in der die Notwendigkeit eines europäischen Netzwerks aller Polizeibehörden unterstrichen wird, um zu ermitteln, ob das Internet, diese außerordentliche und positive revolutionäre Erfindung, von Kriminellen genutzt wird, wie es leider geschieht. Wir haben in der Tat beobachtet, dass rassistische Straftaten und die Aufhetzung zur Gewalt in Europa zunehmen.
Andreas Mölzer (ITS). – Herr Kommissar, ein weiterer, meines Erachtens nicht zu vernachlässigender Aspekt in dieser Frage ist die Vielzahl der von fundamentalistischen Moslems betriebenen antiwestlichen Propaganda- und Hassseiten im Internet, auf denen zum Kampf gegen die westliche Welt und deren Ideale aufgerufen wird. Ist sich die Kommission dieser Aktivitäten bewusst und gibt es Maßnahmen, auch hier gegenzusteuern?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (FR) Dieser Aspekt wird im Mittelpunkt der Diskussionen stehen, die in zwei Tagen, also noch diese Woche, innerhalb der G8 vorgesehen sind, wo die Europäische Union und die übrigen Partner eben diese Frage der Aufhetzung zu Gewalt und Terrorismus im Internet beraten werden. Der Weg, den auszuloten ich vorschlage, besteht darin, das Verhalten derer als strafbar zu erklären, die konkret zu terroristischen kriminellen Handlungen aufrufen und sich hierzu des Internets bedienen. Mein Vorschlag wird dem Ministerrat in einigen Monaten vorgelegt werden.
Hubert Pirker (PPE-DE). – Herr Vizepräsident der Kommission! Ich habe eine Frage, die sich auf das Internet und indirekt auf den Terrorismus bezieht. Als Maßnahme gegen Terrorismus wurde die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erlassen.
Ist es richtig, dass Wertkarten-Handys, Webmail-Betreiber, wie etwa Hotmail oder auch private Server davon nicht erfasst werden können? Damit ist ein relativ großer Kreis beschrieben, den auch terroristische Netzwerke nutzen könnten, um diese Erfassung zu umgehen. Worin liegt jetzt der konkrete Mehrwert dieser Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Der Zusatznutzen dieser Richtlinie besteht darin, dass sie die Registrierung eines Telefongesprächs erlaubt: nicht des Inhalts, sondern lediglich der Tatsache, dass an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Uhrzeit und von einem bestimmten Telefon aus ein Gespräch geführt wurde. Das war, wie alle wissen, hilfreich, um die spezifischen Bewegungen einiger Krimineller und Terrorismusverdächtiger nachzuvollziehen.
Selbstverständlich muss es uns mithilfe der Technik gelingen, auch diejenigen aufzuspüren, die modernste Technologien nutzen, wie private Provider oder SIM-Karten, die nicht offiziell registriert wurden. Doch das ist ein technologisches Problem. In der heutigen Mitteilung über Internetkriminalität habe ich eine Konferenz mit dem privaten Sektor und mit der Industrie vorgeschlagen, die im November in Brüssel stattfinden wird und bei der wir uns einen Überblick über die neuen Sicherheitstechnologien verschaffen werden, die dazu dienen, die ordnungsgemäße Nutzung des Internet zu gewährleisten.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 34 von Glenis Willmott (H-0300/07)
Betrifft: EU-weite Hotline für die Opfer von Zwangsprostitution
Aufgrund des Drängens seitens des Europäischen Parlaments im Juni 2006 sprach das für Justiz, Freiheit und Sicherheit zuständige Kommissionsmitglied über Pläne, eine EU-weite (mehrsprachige) Hotline für die Opfer von Zwangsprostitution einzurichten. Eine solche Hotline wäre als Anlaufstelle für die Opfer von Frauenhandel gedacht, die es ihnen ermöglicht, mit einer neutralen Person zu sprechen, eine gute Möglichkeit, um die Opfer zu ermutigen, Rat und Unterstützung zu suchen. Die Schwierigkeit, sämtliche Telefongesellschaften im damaligen Europa der 25 zur Zustimmung zu bewegen, wurde als Hindernis für die Einrichtung einer solchen Hotline angeführt.
Welche Maßnahmen ergreift die Kommission derzeit, um diese Hotline Wirklichkeit werden zu lassen, und inwieweit ist es bisher (wenn überhaupt) gelungen, die Telefongesellschaften für diesen Plan zu gewinnen?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Wie Sie wissen, setzen sich die Kommission und ich mich persönlich energisch für die vollständige Umsetzung des von mir Anfang 2006 vorgeschlagenen und von diesem Parlament gebilligten europäischen Aktionsplans zur Bekämpfung des Menschenhandels ein. Er erstreckt sich auf den Schutz der Opfer des Menschenhandels. Seine Umsetzung erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, Institutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft. Der Aktionsplan sollte als langfristiges Programm angesehen werden, von dem sich die EU in ihrer Arbeit in naher Zukunft und auf jeden Fall über den Sommer 2007 hinaus leiten lassen wird.
Ich halte kostenlose Telefon-Hotlines für einen wertvollen Mechanismus, um bedürftige Opfer zu beraten. Vor allem schaffen sie Vertrauen. Ich setze mich dafür ein, dass unverzüglich eine Hotline für Opfer und potenziell vom Menschenhandel betroffene Personen eingerichtet wird, die für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt. Sie wissen vielleicht, dass wir als Kommission am 15. Februar 2007 einen Beschluss gefasst haben, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Reihe sechsstelliger nationaler Telefonnummern für einheitliche gebührenfreie Rufnummern für Telefondienste von sozialem Wert, die alle mit 116 beginnen, zu reservieren. Einer der vielen Bereiche könnte ein Telefondienst für die Opfer des Menschenhandels sein.
Mit diesem Beschluss konnte bereits erreicht werden, dass die Nummer 116 000 für Hotlines zur Meldung vermisster Kinder reserviert wird. Ich werde mich ausführlich zum letztgenannten Vorhaben auf einer Konferenz zum Internationalen Tag der vermissten Kinder, die am 25. Mai in Brüssel stattfinden wird, und auf der Konferenz für die Rechte des Kindes, die am 4. Juni 2007 in Berlin stattfinden wird, äußern. Die 116-Nummern lassen sich insofern mit der Notrufnummer 112 vergleichen, als sie Zugang zu nationalen oder lokalen Organisationen gewähren, die den fraglichen Dienst im Mitgliedstaat, in dem die Nummer angerufen wurde, anbieten.
Wir haben eine öffentliche Konsultation eingeleitet, um festzustellen, für welche weiteren Dienste eine einheitliche europäische gebührenfreie Rufnummer sinnvoll wäre. Im Rahmen dieser Konsultation konnten bis zum 20. Mai Vorschläge eingereicht werden. Wir gehen davon aus, dass dies noch vor Jahresende zur Reservierung weiterer Nummern für andere Dienste führen wird. Es wird dann Aufgabe der Mitgliedstaaten, ihrer Aufsichtsbehörden für Telekommunikationsdienste und der Telefonbetreiber sein, diese Nummern zu schalten, damit die Bürger sie anrufen können.
Die Reservierung einer gemeinsamen Rufnummer und die Einrichtung eines Netzes von Hotlines ist der erste praktische Schritt zur Unterstützung der Opfer. Neben der Einrichtung eines Netzes von Hotlines versuchen wir die Unterstützung für die Opfer des Menschenhandels auch auf andere Weise zu verbessern. Ich fühle mich in meinem Engagement für diese Angelegenheit dadurch bestärkt, dass das im Rahmen des Haushalts 2007 aufgelegte spezifische Programm zur Bekämpfung der Kriminalität vier Projekte im Bereich der Prävention und Bekämpfung von Verbrechen in spezifischen Bereichen, einschließlich des Menschenhandels, vorsieht. Wir unterstützen zudem die Einführung eines europäischen Tages gegen den Menschenhandel, der auf die Probleme im Zusammenhang mit dem Menschenhandel aufmerksam machen soll. Die Initiative wird am 18. Oktober dieses Jahres stattfinden. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Problematik zu schärfen und die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, diese in hoher Qualität erhalten.
Glenis Willmott (PSE). – (EN) Vielen Dank für die sehr ausführliche Antwort, Herr Kommissar, aber können Sie uns sagen, ob Sie meinen, dass die Bemühungen der EU zur Bekämpfung der Zwangsprostitution während der Fußballweltmeisterschaften in Deutschland erfolgreich waren und welche Erfahrungen daraus für künftige internationale Sportereignisse in Europa gezogen werden können wie z. B. die Olympischen Spiele, die 2012 in London stattfinden werden?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Ich kann Ihnen sagen, dass wir eine Evaluierung der Ergebnisse der polizeilichen Zusammenarbeit während der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland durchgeführt haben, deren Schlussfolgerungen wir veröffentlichen werden, und danach wird eine Debatte darüber stattfinden, in die das Europäische Parlament meiner Meinung nach voll einbezogen werden muss.
Wir betrachten die Erfahrungen bei der Fußball-WM als positives Schulbeispiel. Vermutlich ist es uns gelungen, den Transport Tausender von Mädchen, die der Prostitution zugeführt werden sollten, durch europäisches Gebiet zu vereiteln. Dabei haben 12 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammengearbeitet. Deutschland und die deutsche Polizei haben ausgezeichnete Arbeit geleistet. Wir haben die Schlussfolgerungen, die wir veröffentlichen werden, als Beitrag zu anderen künftigen Sportereignissen in Europa angeboten. Ich kann Ihnen sagen, dass die Volksrepublik China erhebliches Interesse im Hinblick auf die Durchführung der Olympischen Spiele 2008 in Peking gezeigt hat. Mit anderen Worten, dies ist eine Erfahrung, die als hilfreiches Modell beurteilt wird.
Richard Seeber (PPE-DE). – Herr Kommissar! Ich halte das für eine ausgezeichnete Initiative, aber wie machen wir den Opfern klar, dass sie diese Nummer nutzen können? Hat die Kommission die für die Verbreitung dieser Information erforderlichen Mittel eingeplant? Wie stellen Sie sicher, dass es in der Praxis wirklich funktioniert? Bei den Opfern, z. B. jungen Frauen aus Russland, handelt es sich ja zumeist um Personen, die keine EU-Sprache sprechen. Wie stellen Sie in der Praxis sicher, dass diese Hotlines auch funktionieren – meist besteht ja sehr starker Zeitverzug – und man nicht in eine Warteschleife geschaltet wird und vielleicht erst nach einer halben Stunde eine passende Antwort bekommt?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Selbstverständlich haben wir auch dieses operative Problem behandelt und geprüft: Die erste Nummer, genauer gesagt, die 116000, ist für Kinder gedacht. Wir werden sie überall bekannt machen: in Schulen, auf Flughäfen und Bahnhöfen und durch Publikationen, in denen mit ganz einfachen Worten dargelegt wird, dass es da eine Nummer gibt und dass die Person, die unter dieser Nummer zu erreichen ist, nicht nur die Sprache des Landes spricht, in dem das Telefonat geführt wird. Wir bauen gegenwärtig Schritt für Schritt die Möglichkeit aus – die übrigens auch in dem Vertrag mit den Auftragnehmern, die diese Dienstleistung erbringen werden, vorgesehen ist –, dass zumindest alle Amtssprachen der Europäischen Union gesprochen werden. Gewiss müssen wir auch an Sprachen wie Russisch denken. Vorläufig, als erste Etappe, wird die Auftragsvergabe vor den Sommerferien erfolgen, sodass diese Telefonnummer tatsächlich benutzt werden kann, und wir werden eine massive Werbekampagne starten. Genauso werden wir verfahren, wenn die anderen Nummern, außer der 116000, mit bestimmten Prioritäten zugewiesen werden, zu denen mit Sicherheit die Opfer der Zwangsprostitution gehören.
Justas Vincas Paleckis (PSE). – (LT) Herr Präsident, Herr Kommissar! Sie haben wirklich ein umfassendes Programm zur Kriminalitätsbekämpfung vorgestellt und auch einige spezielle Hotlines erwähnt. Ich möchte gerne wissen, ob die große Anzahl solcher Hotlines nicht zu Verwirrung führen kann. Können denn beispielsweise die Opfer von illegalem Menschenhandel die 112 anrufen und um Hilfe bitten?
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Diese spezielle Rufnummer, wie beispielsweise die 116 000, wird alle nationalen Hotlines ablösen. Es wird also nur eine Rufnummer geben. In meinem Heimatland gibt derzeit eine Nummer, und in Frankreich gibt es eine andere. Künftig wird es nur die 116 000 für vermisste Kinder geben usw. All diese speziellen europäischen Rufnummern werden natürlich die jeweiligen nationalen Nummern ablösen.
Arlene McCarthy (PSE). – (EN) Herr Präsident! Eine Bemerkung zur Geschäftsordnung. Ich bin nicht einverstanden mit dem Ablauf der Fragestunde. Die Abgeordneten nehmen sich die Zeit und erarbeiten Fragen, die dann sechs bis acht Wochen im Voraus eingereicht werden, und dann werden diese Fragen nicht behandelt, weil Sie anderen Abgeordneten das Wort erteilen, die hereinspazieren, einen Blick auf die Liste werfen und vielleicht ein flüchtiges Interesse an einer bestimmten Frage haben. Sie haben zwei Fragestellern bzw. Personen Redezeit gegeben, die sich nicht die Mühe gemacht haben, eine ordnungsgemäße Anfrage an den Kommissar zu stellen. Dagegen protestiere ich, weil ich mir die Mühe gemacht habe, ordnungsgemäße Anfragen zu erarbeiten, und ich möchte eine Antwort vom Kommissar, damit ich die Presse entsprechend über die Angelegenheit informieren kann.
Wenn das die Art und Weise ist, in der Sie die Fragestunde durchführen möchten, dann werden die Abgeordneten künftig keine Fragen mehr vorlegen wollen.
Der Präsident. – Frau McCarthy, Ihre Frage ist wichtig, aber ich halte mich lediglich an die Geschäftsordnung.
Da der Fragesteller nicht anwesend ist, ist die Anfrage Nr. 38 hinfällig.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 39 von Marco Cappato (H-0289/07)
Betrifft: Zugang zur Kommunikation für Menschen mit Behinderungen
Was unternimmt die Kommission bzw. was gedenkt sie zu unternehmen, um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu den Kommunikationsinstrumenten zu erleichtern, wie insbesondere Breitband-Internetzugang, SMS und Videoanrufe zum Selbstkostenpreis für Gehörlose, Untertitelung von Fernsehsendungen, wobei allgemeine und wahlpolitische Informationssendungen den Anfang machen müssten, sowie kostenlose digitale Unterschrift?
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. (EN) In Beantwortung der Frage des Herrn Abgeordneten möchte ich feststellen, dass die Strategie der Europäischen Union in Bezug auf Menschen mit Behinderungen im Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen für den Zeitraum 2003-2010 verankert ist, der dem Zugang zu den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) Vorrang einräumt. Sie wissen sicher auch, dass die Integration eine der Säulen des i2010-Aktionsplans darstellt. Ausgehend davon hat die Kommission 2005 eine Mitteilung zur e-Zugänglichkeit angenommen, und eine Mitteilung über die e-Integration ist in Vorbereitung und soll bis Ende 2007 verabschiedet werden. Sie wird Vorschläge für neue Maßnahmen zum gegebenen Zeitpunkt enthalten.
Dabei arbeiten wir nicht nur an konkreten Aktionen, sondern wir fördern auch die Forschung zur Entwicklung neuer Methodologien und neuer Dienste für Behinderte. So verfügen wir ja auch über das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation – das CIP –, das unsere IKT-Politik mit Pilotprojekten unterstützt und so weiter und so fort. Es wurden verschiedene Maßnahmen im Bereich der e-Zugänglichkeit sowie in einem weiteren Bereich vorgeschlagen, dessen Bedeutung künftig weiter zunehmen wird, und zwar IKT für ältere Menschen. Sehr oft sind genau das die Bürger, denn es gibt Menschen mit Behinderungen und sehr oft haben auch ältere Menschen diese Behinderungen, sie werden künftig einen sehr hohen Anteil an der Bevölkerung ausmachen. Deshalb werden sich die IKT für ältere Menschen zur Unterstützung ihres Alltags zu einem wichtigen Element unserer künftigen Politiken entwickeln, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Forschung und praktischen Anwendung.
Wir unterstützen auch die Standardisierung im Bereich der e-Zugänglichkeit. So haben wir eine Initiative eingeleitet, um auf EU-Ebene die Zugänglichkeitsanforderungen für das öffentliche Beschaffungswesen im IKT-Bereich durch eine EU-Norm zu harmonisieren, weil wir glauben, dass einheitliche Normen die Entwicklung zugänglicher IKT-Produkte durch die Industrie fördern und damit deren Inanspruchnahme erhöhen wird, was wiederum niedrigere Preise zur Folge hätte. Folglich besteht zwischen all diesen Elementen ein Zusammenhang.
Es gibt auch einige vertikale Fragen. Im Juni 2007 werden wir eine Stärkung der Rechte behinderter Nutzer beim Zugang zu Notdiensten vorschlagen und einen Gemeinschaftsmechanismus zur Lösung von Problemen im Bereich der e-Zugänglichkeit einführen. Wir werden Gelegenheit haben, diese Probleme mit dem Parlament zu diskutieren, wenn wir gemeinsam nach einer Lösung für den Universaldienst suchen werden. Bis Ende 2007 oder Anfang 2008 – der Termin steht noch nicht genau fest – wird eine öffentliche Konsultation laufen, und das wird die Zeit sein, in der das Parlament und unsere wichtigsten Stakeholder Vorschläge vorlegen können, um Einfluss auf die Gestaltung des Universaldienstes zu nehmen.
Ein ganz konkretes Problem dürfte übermorgen gelöst werden, denn dann wird der Rat auf seiner Tagung zur Richtlinie über die audiovisuellen Mediendienste die Änderungen des Europäischen Parlaments annehmen. Das Parlament hatte eine Änderung über die Untertitelung vorgeschlagen, die die Zugänglichkeit zu audiovisuellen Mediendiensten für Menschen mit Behinderungen verbessern wird. Ich hoffe, der Rat wird diese Änderung akzeptieren und die neue Politik wird sich dann ebenfalls in diese Richtung bewegen.
Die Frage der digitalen Unterschriften wird angesichts der Herausbildung einer sicheren elektronischen Kommunikation zwischen gewerblichen und öffentlichen Diensteanbietern und Nutzern an Bedeutung gewinnen. Die Kommission wird sich im Nachgang zur europäischen Richtlinie für elektronische Unterschriften und dem Aktionsplan eGovernment mit dieser Problematik beschäftigen und dabei auch die Belange von Menschen mit Behinderungen in Betracht ziehen.
Ich kann Ihnen sehr persönlich sagen, dass die verschiedenen Ratsvorsitze der Europäischen Union alle einen Kongress oder eine Ausstellung – also eine offizielle und öffentliche Veranstaltung – durchgeführt haben, um zu demonstrieren, wie die Forschungsergebnisse in die Praxis umgesetzt worden sind. Das habe ich stets für ein sehr gutes Beispiel gehalten, das wir in unsere eGovernment-Aktivitäten aufnehmen sollten, die von der Kommission und der Europäischen Union vorgeschlagen, aber größtenteils von den lokalen Gebietskörperschaften sowie den regionalen und nationalen Regierungen umgesetzt werden. Ich habe mich von der Begeisterung überzeugt, mit der regionale und vor allem lokale Behörden die Ergebnisse unserer Arbeit aufgreifen, um Menschen mit Behinderungen in ihrer Region auf praktische Weise zu unterstützen.
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin Frau Reding dankbar für die sehr ausführliche und systematische Darlegung der geltenden Politikmaßnahmen. Insbesondere danke ich ihr für die Verbindung, die sie, ganz in meinem Sinne, hergestellt hat in Bezug auf den engen Zusammenhang zwischen den Technologien, die Menschen mit Behinderungen helfen können, und jenen, die für ältere Menschen hilfreich sein können.
Im Hinblick auf den demografischen Trend in Europa, dessen Bevölkerung im Durchschnitt immer älter wird, kann die technologische Revolution Lösungen bieten, die von enormer gesellschaftlicher Tragweite sind. Der letzte Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, ist der, dass für einige völlig bewegungsunfähige Menschen, die sich vielleicht nur über die Bewegung ihrer Augen verständlich machen können, solche Technologien nicht nur ein Problem oder eine Hilfe sind, sondern ein Mittel, um ein grundlegendes Bürgerrecht wahrzunehmen, das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. (EN) Es gibt etliche Technologien und Verfahren, mit denen den Betroffenen diesbezüglich geholfen werden kann. Ich bin der Überzeugung, dass vor allem auf der Ebene der Gesellschaft auf das Problem der alternden Bevölkerung reagiert werden muss. Aber diese gesellschaftliche Reaktion ist auch eine Chance für die europäische Industrie, denn wenn unsere Industrie gesellschaftliche Impulse von den Entscheidungsträgern, von denen, die auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene Verantwortung tragen, erhalten, dann können sie beginnen, Systeme, Dienstleistungen und Produkte für ältere Menschen auf den Markt zu bringen. Ich glaube, dass davon nicht nur unsere Gesellschaft profitieren wird, sondern auch unsere Wirtschaft.
Das ist also ein Wendepunkt. Das ist auch eine Frage des Wachstums und des Arbeitsmarktes, denn wenn uns keine Fehler unterlaufen, dann können wir Systeme auf gesellschaftlicher Ebene wie auch kommerzielle Güter und Dienstleistungen in Drittländer exportieren. Ich glaube also wirklich, dass all diese Elemente zum Wohle unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft eng zusammenwirken.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 40 von Georgios Papastamkos (H-0296/07)
Betrifft: Trennung der elektronischen Kommunikationsmärkte
In einer kürzlich in Brüssel gehaltenen Rede wies Kommissarin Reding darauf hin, dass im Telekommunikationssektor der EU eine „europäische Methode“ angewendet werden müsse, bei der Infrastrukturen und Dienstleistungen voneinander getrennt werden, um im Bereich der terrestrischen Verbindungen einen echten Wettbewerb zu gewährleisten. Als grundlegendes Instrument für den nationalen Gesetzgeber schlägt sie eine rechtliche Trennung zwischen den Netzwerkstrukturen und den Dienstleistungsebenen vor, wobei sie selbst eine vollständige funktionale Trennung für die elektronischen Kommunikationsmärkte nicht ausschließt.
Kann die Kommission näher erläutern, was sie unter der „europäischen Methode“ versteht? Gehört ihrer Ansicht nach die griechische Telekommunikationsgesellschaft zu den Unternehmen, bei denen eine vollständige Trennung möglich wäre?
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. (EN) Der Herr Abgeordnete möchte wissen, was ich mit der „europäischen Methode der Trennung“ meine. Wir verfügen derzeit über einen Rahmen im Bereich der Telekommunikation, der den nationalen Aufsichtsbehörden in Fällen, in denen Märkte nicht wettbewerbsfähig sind, Regulierungsinstrumente und Abhilfemaßnahmen bietet. Im Rahmen der Überprüfung dieses Rahmens wird die Kommission untersuchen, wie der Binnenmarkt für Telekommunikationsleistungen gestärkt werden kann.
Eine mögliche Neuerung wäre die bessere Arbeit mit Abhilfemaßnahmen, denn diese werden bisweilen nicht eingesetzt oder nicht schnell genug eingesetzt, was auf dasselbe hinausläuft. Wir haben auch festgestellt, dass die funktionale Trennung dabei ein mögliches diesbezügliches Instrument darstellt. Dabei würde das Netzgeschäft eines marktbeherrschenden Akteurs von dem Teil des Geschäfts getrennt, der den Endkunden eine Dienstleistung anbietet.
Diese funktionale Trennung kann den Anbietern von Netzleistungen den Anreiz bieten, den sie brauchen, damit sie zwischen Großkunden keinen Unterschied machen. Das wiederum kann zur Verbesserung der Bedingungen für den echten Wettbewerb auf dem Telekommunikationsmarkt beitragen.
Es geht also nicht darum, marktbeherrschende Akteure zum Verkauf von Geschäftsbereichen zu zwingen, wie das in anderen Teilen der Welt – beispielsweise in den USA bei AT&T – passiert ist. Diesen Weg wollen wir nicht einschlagen, und deshalb spreche ich von einer „europäischen Methode“. Es wäre dann Aufgabe der einzelnen nationalen Aufsichtsbehörden, die Bedingungen im eigenen Mitgliedstaat zu prüfen, bevor eine derartige Abhilfemaßnahmen in Betracht gezogen wird. So wurde beispielsweise in Großbritannien im Falle von Openreach verfahren. Das ist also ein Beispiel, über das wir in diesem Fall verfügen.
Der Herr Abgeordnete erkundigte sich auch nach Griechenland. Im Falle von Griechenland wäre es die griechische Aufsichtsbehörde, die die Wettbewerbsbedingungen und alle sonstigen relevanten Faktoren auf dem griechischen Markt auf der Grundlage der nationalen Vorschriften und im Einklang mit dem aktualisierten Gemeinschaftsrahmen prüft und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen vorschlagt, sofern diese seiner Ansicht nach notwendig und im Interesse des griechischen Marktes sind.
Georgios Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Ich bedanke mich bei der Kommissarin für ihre Antwort. Allerdings habe ich das Gefühl, dass wir in der Europäischen Union in der Praxis 27 unterschiedliche Rechtssysteme haben. Was die elektronische Kommunikation betrifft, so sind wir von einem echten Binnenmarkt noch weit entfernt.
Sie unternehmen auf diesem Gebiet zweifellos große Anstrengungen. Diese regulatorische Ungewissheit oder, um es anders auszudrücken, die starke Fragmentierung führt im Hinblick auf Investitionen zu Unsicherheiten, zu Unsicherheit im Wettbewerb, zu Unsicherheit bei Innovationen und schafft damit weniger Arbeitsplätze.
Meine Frage lautet daher: Können wir von einer europäischen Telekommunikationsindustrie sprechen, ohne dass wir eine einheitliche gesamteuropäische Rechtsetzung haben?
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. (EN) Der Herr Abgeordnete hat vollkommen Recht. Zurzeit gibt es noch keinen europäischen Telekommunikationsmarkt. Das muss sich meines Erachtens ändern, denn Europa kann seine Stärke im Bereich der Telekommunikation nur dann erhalten – und Europa ist stark; wir zählen in diesem Bereich auf dem Weltmarkt zu den führenden Kräften –, wenn wir die 27 bisweilen widersprüchlichen Regulierungssysteme durch ein einziges System ersetzen, das sinnvoll ist, das auch grenzüberschreitende Dienste und Investitionen zulässt und das die Entwicklung großer europäischer Akteure ermöglicht, die in mehreren Ländern aktiv sind. Wir arbeiten jetzt an der Öffnung des Marktes für internationales Roaming. Darüber wird das Europäische Parlament morgen entscheiden, und das ist immer ein Hinweis darauf, in welche Richtung wir uns entwickeln wollen.
Ich werde selbstverständlich einen Vorschlag zur Reformierung des Pakets im Bereich der e-Kommunikation vorlegen, damit dieser europäische Markt funktioniert, nicht, um die nationalen Aufsichtsbehörden abzuschaffen. Die brauchen wir meines Erachtens, denn sie kennen ihre Märkte am besten. Es geht nicht darum zu harmonisieren, sondern darum, Logik in die Abhilfemaßnahmen zu bringen, die sie vorschlagen und die rasch angewendet werden müssen, damit für alle Märkte die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten und damit die einzelnen Branchen grenzüberschreitend tätig werden können, ohne dass sie durch die mangelnde Marktöffnung auf anderen Märkten behindert werden.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 41 von Katerina Batzeli (H-0310/07)
Betrifft: Europäischer Rahmen für die sicherere Benutzung von Mobiltelefonen durch Kinder und Jugendliche
Der Beginn der Anwendung des am 6. Februar von führenden Mobilfunkbetreibern der EU verabschiedeten Europäischen Rahmens für die sicherere Benutzung von Mobiltelefonen durch Kinder und Jugendliche wird als ein erster bedeutender Schritt zum Schutz der Minderjährigen vor den mit dem Gebrauch von Mobiltelefonen verbundenen Gefahren begrüßt. Es besteht jedoch die Ansicht, dass diese Politik in die Mitteilung der Kommission im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie (KOM(2006)0367 endg.) aufgenommen werden sollte.
Welche Mittel sind zur Umsetzung dieses Rahmens auf nationaler Ebene geeignet, um seine Anwendung und die Kontrolle durch Eltern, Lehrer und die Verantwortlichen für die Betreuung Minderjähriger wirklich sicherzustellen? Wie wird die Kommission angesichts der Tatsache, dass der europäische Rahmen einen Selbstregulierungskodex der europäischen Unternehmen darstellt, an der Aufsicht über seine Einhaltung in den Mitgliedstaaten und an der Bewertung seiner Effizienz beteiligt? Worin bestehen die Zuständigkeiten der nationalen Regelungsbehörden bei der Ausgestaltung der nationalen Selbstregulierungskodices bis spätestens Februar 2008 und der Aufsicht über ihre Anwendung? Hält es die Kommission für zweckmäßig, künftig eine für Mitgliedstaaten und Unternehmen verbindliche gemeinschaftliche Gesetzgebungsinitiative zu ergreifen, zumal die Selbstregulierung alleine nicht ausreichend sein kann?
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. (EN) Wenn ich recht gehört habe, dann wurde diese Frage meines Erachtens bereits teilweise durch meinen Kollegen Herrn Frattini beantwortet, der sich ebenfalls zu diesem Thema geäußert hat. Die Tatsache, dass er diese Frage bereits teilweise beantwortet hat, zeigt ganz klar, dass die Kommission als Ganzes über die Entwicklung unserer Gesellschaft besorgt ist und dass die Kommission als Ganzes Maßnahmen ergreift, um in diesem Bereich voranzukommen.
Am 6. Februar dieses Jahres haben 15 führende europäische Mobilfunkbetreiber und Anbieter von Inhalten gemeinsam einen Europäischen Rahmen für die sicherere Benutzung von Mobiltelefonen durch Kinder und Jugendliche unterzeichnet. Das ist eine freiwillige Vereinbarung, eine Absichtserklärung, im Rahmen derer sich die Mobilfunkindustrie zusammen mit der GSM Association of Europe bereiterklärt, sowohl existierende als auch künftig anzunehmende Codes auf ihrer Webseite zu überwachen, zu veröffentlichen und zu übersetzen. Diese Selbstregulierungskodices werden dann beispielsweise Eltern oder Großeltern oder Erziehern helfen, die Probleme von Kindern, die mobile Telefone der dritten Generation nutzen, zu verstehen. Diese Vereinbarung ist das Ergebnis einer von mir einberufenen Diskussion im Rahmen einer hochrangigen Gruppe, der Kinderorganisationen, Verbraucherorganisationen und Gremien für die Inhalteklassifizierung sowie Aufsichtsgremien angehörten. Die Absichtserklärung sieht eine Reihe von Grundsätzen vor und verpflichtet die Unterzeichner, auf eine Selbstregulierung auf nationaler Ebene hinzuarbeiten.
Auf der Pressekonferenz nach der Unterzeichnung sagte ich, dass ich Vertrauen in die Unterzeichner habe. Ich gebe ihnen ein Jahr, bis Februar oder März kommendes Jahres, um diese Vereinbarung umzusetzen. Dann werden wir uns erneut mit dieser Thematik befassen, und wir werden sehen, ob sie sie umgesetzt haben. Wenn ja, dann wäre das wunderbar, und wir könnten uns über potenzielle Korrekturen oder künftige Projekte unterhalten. Werden unsere Erwartungen nicht erfüllt, dann wird die Kommission die Einführung spezifischer Maßnahmen prüfen.
Katerina Batzeli (PSE). – (EL) Ich danke der Kommissarin für diese Antwort. Niemand in diesem Hohen Hause bezweifelt die Rolle der Kommission bei dieser wichtigen Frage. Ich möchte der Frau Kommissarin zwei Fragen stellen, um die Aussprache etwas voranzubringen. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um ein freiwilliges Memorandum, wie sie selbst sagte, und es wird davon ausgegangen, dass sich der Sektor selbst reguliert. Daher möchte ich feststellen, dass die Kommission im Wesentlichen wissen sollte, was sie nach dem Februar 2008 überprüfen will.
Mit anderen Worten: Wird sie die Mitgliedstaaten auffordern, bestimmte gemeinsame Codes umzusetzen, damit sie diese Angelegenheit überwachen kann? Werden die besten Verfahren jedes Mitgliedstaats kodifiziert und analysiert?
Noch ein Letztes: Wie verfährt die Kommission mit den Eltern, die von diesem Sektor nichts wissen, und welche Gemeinschaftsprogramme können genutzt werden, um sie zu informieren?
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. (EN) Dank ihrer Vorbereitung konnte die Kommission die Mobilfunkbetreiber zu dieser Initiative bewegen, denn die Mobilfunkbetreiber wussten sehr genau, dass die Kommission nicht tatenlos bleiben würde.
Wir haben bei unserer Erhebung festgestellt, dass viele Kinder – und zwar die Mehrzahl der über Zwölfjährigen – ein Mobiltelefon benutzen. Vor allem Kameratelefone und Ortungsdienste können problematisch sein; so erwiderten 10 % der befragten britischen Nutzer, dass ein ihnen unangenehmes Foto gemacht wurde, 17 % der Kinder und Jugendlichen fürchteten, dass das Bild ins Internet gestellt und an andere weitergegeben wurde, und 14 % hatten Erfahrungen mit dem so genannten „Cyber-Bulling“. Eine Erhebung von „Save the Children Finland“ ergab, dass 30 % der Sieben- bis Fünfzehnjährigen Opfer von Mobbing über ihr Handy geworden waren.
Wir wissen also, dass es ein Problem gibt, aber das heißt nicht, dass wir den Eltern nahelegen, ihren Kindern das Mobiltelefon zu entziehen. Das wäre die falsche Reaktion. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es beispielsweise eine Kontrolle des Zugangs auf Inhalte, die für Erwachsene bestimmt sind, geben sollte sowie Sensibilisierungskampagnen für Eltern und Großeltern – die häufig Mobiltelefone für ihre Enkel kaufen – und für die Kinder selbst.
Wichtig ist, dass kommerzieller Inhalte nach nationalen Regeln der Sittlichkeit und Angemessenheit klassifiziert und dass, wie Kommissar Frattini erklärt hat, illegale Inhalte auf Handys wirklich bekämpft werden. Wir haben erst heute in der Kommission beschlossen, diesen Kampf gegen illegale Inhalte aufzunehmen. Dabei geht es nicht um illegale Inhalte als solche, sondern um die potenziellen Gefahren für Kinder, und hier spielen die Informationskampagnen eine besonders wichtige Rolle. Wir werden die weiteren Entwicklungen auf diesem Gebiet überwachen, und wir werden kontrollieren, was die Unterzeichner dieser Absichtserklärung vereinbart haben. Ich habe den Europäischen Rahmen für die sicherere Benutzung von Mobiltelefonen durch Kinder und Jugendliche heute mit und kann der Abgeordneten ein Exemplar geben, so dass sie überprüfen kann, ob sich die Betreiber beispielsweise in ihrem Land daran halten. Ich wäre ihr sehr dankbar, wenn sie mich entsprechend informieren könnte.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 43 von Bernd Posselt (H-0288/07)
Betrifft: Lage in der Vojvodina
In den vergangenen Jahren ist es in der Vojvodina wiederholt zu brutalen Übergriffen gegen Angehörige von Minderheiten gekommen. Serbische Flüchtlinge wurden systematisch in von Minderheiten bewohnten Orten angesiedelt, um diese zu majorisieren, und EU-Gelder, etwa für die Lehrerbildung in den Minderheitensprachen, sind nicht bei den Adressaten angekommen.
Sind diese Missstände abgestellt? Wie beurteilt die Kommission insgesamt die Entwicklung in der Vojvodina?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Die Kommission verfolgt die Lage in der Vojvodina sehr aufmerksam. Wir haben die Behörden nachdrücklich gebeten, bei interethnischen Zwischenfällen unverzüglich einzugreifen. Wir haben die Behörden aufgefordert, gute interethnische Beziehungen zu fördern und den multiethnischen Charakter der Vojvodina zu bewahren und dieses multikulturelle Modell zu erhalten.
Wie im Fortschrittsbericht über Serbien vom November 2006 festgestellt wurde, hat sich die interethnische Lage in der Vojvodina verbessert. Die Zahl der Zwischenfälle ist zurückgegangen. In den ersten Monaten des Jahres 2007 wurde kein Zwischenfall gemeldet. Die Behörden haben eine Reihe von Maßnahmen bezüglich des offiziellen Gebrauchs von Minderheitensprachen und –schriften sowie der Vertretung von Minderheiten im Justiz- und Polizeiapparat ergriffen.
Auch im Bereich Bildung konnten Verbesserungen erzielt werden. Die Einfuhr von Lehrbüchern in albanischer und ungarischer Sprache für den Gebrauch in der Vojvodina wurde gebilligt. In Subotica wurde eine Lehrerbildungseinrichtung für Ungarischlehrer gegründet, die im vergangenen Oktober den Betrieb aufnahm. Natürlich müssen diese Maßnahmen weiter entwickelt und ergänzt werden.
Wir haben jedoch festgestellt, dass die Verabschiedung neuer Gesetze über die Nationalräte für Minderheiten nicht vorangekommen ist, und es gibt nach wie vor Probleme hinsichtlich von Informationen in Minderheitensprachen. Deshalb haben wir die serbischen Behörden gebeten, weitere wirksame Maßnahmen in diesen Fragen zu ergreifen.
Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Kommissar, ich hätte zwei Fragen. Zum einen: Wie sieht es mit den leider stattfindenden systematischen Ansiedlungen von serbischen Flüchtlingen aus Bosnien und auch aus dem Kosovo aus, die die ethnische Zusammensetzung des Gebiets sehr verändern, etwa in der großen ungarischen Gemeinde Temerin bei Novi Sad? Die zweite Frage: Was ist mit den Lehrerbildungsanstalten, die mit EU-Mitteln für die Rumänen, Slowaken und Ruthenen eingerichtet werden sollten, was jedoch ins Stocken geraten ist? Sind die inzwischen eingerichtet?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) In Beantwortung der Zusatzfrage von Herrn Posselt zur Gemeinschaftshilfe für die Vojvodina und der Berücksichtigung der Minderheitenrechte dabei ist festzustellen, dass das Gebiet Gemeinschaftshilfe in großem Umfang erhalten hat, die gezielt für die von Herrn Posselt erwähnten Bereiche bereitgestellt wurde, wobei es nicht möglich ist, exakt den Gesamtbetrag für die autonome Provinz Vojvodina zu ermitteln.
Wir haben unserer Wirtschaftshilfe folgende Überlegungen zugrunde gelegt: Geschichte, d. h. Wiederaufbau nach dem Krieg, insbesondere der Sloboda-Brücke; Geographie, im Rahmen des integrierten Grenzschutzes; sowie Wirtschaft.
Die Vojvodina ist im Vergleich zu anderen Gebieten Serbiens relativ wohlhabend. Deshalb hat die Vojvodina, obwohl sie 25 % der Fläche der Republik ausmacht und 20 % der Bevölkerung dort leben, 36 % der Kreditlinie absorbiert, die die EU für KMU bereitgestellt hat.
Insgesamt ist klar, dass wir diese Wirtschaftshilfe für die von Herrn Posselt erwähnten Verwendungszwecke einsetzen, und ich kann ihm versichern, dass diese Gelder gut für den Schutz von Minderheiten und deren Rechten verwendet werden.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Kommissar, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass sehr viel EU-Fördergelder zum Schutz von Minderheiten und speziellen Anliegen der Union ausgegeben werden. Wäre es nicht auch möglich oder ist es nicht auch notwendig, sicherzustellen, dass entsprechender politischer Druck auf Serbien ausgeübt wird, in seiner Politik bestimmte Missstände gar nicht erst entstehen zu lassen bzw. seine Politik dahingehend zu verändern, dass wir nicht später mit EU-Geldern sanieren müssen?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Ich teile die Ansicht des Herrn Abgeordneten, dass wir parallel zur Wirtschaftshilfe auch politische Mittel einsetzen müssen. Eben das tun wir in Bezug auf die Vojvodina. Wir haben diese Fragen bei der serbischen Regierung angesprochen. Ich gehe davon aus, dass wir jetzt, da das Land eine neue demokratische Regierung hat, die reform- und europaorientiert ist, eine bessere Chance haben, gehört zu werden und zu gewährleisten, dass unsere Sorgen bezüglich der Position der Vojvodina in Serbien berücksichtigt werden.
Die neue serbische Verfassung enthält detaillierte Bestimmungen in Bezug auf Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Sie enthält jedoch einige missverständliche Formulierungen, was den Umfang der territorialen Dezentralisierung angeht. Das neue serbische Parlament wird eine Schlüsselrolle bei der ordnungsgemäßen Umsetzung der Verfassung spielen, und zwar insbesondere was die Verbesserung des Schutzes von Minderheiten sowie die Schaffung von Formen der örtlichen Selbstverwaltung betrifft, die sich im Einklang mit europäischen Normen befinden. Ausgehend davon ist es zu begrüßen, dass Parteien ethnischer Minderheiten dank einer Änderung des Wahlgesetzes im neuen serbischen Parlament über mehrere Sitze verfügen.
Zsolt László Becsey (PPE-DE). – (HU) Da ich ganz in der Nähe der Vojvodina geboren bin, möchte ich die Aufmerksamkeit des Kommissars auf einige Aspekte der tatsächlichen Lage dort richten. Einer davon ist die Frage, ob es ein Problem darstellt, dass die in der Vojvodina ansässigen Angehörigen der ungarischen Minderheit in der Praxis immer noch als Kriegsverbrecher betrachtet werden. Das Gesetz der Antigone wird hier nicht geachtet, denn es wird ihnen nicht gestattet, ihre Toten zu begraben oder ihrer auch nur zu gedenken.
Oder ist es etwa kein Problem, dass es keine Gleichheit bei der Beschäftigung, der Privatisierung, in staatlichen Institutionen oder im Bildungsbereich gibt? Es wäre gut, wenn Sie noch einmal auf die Anfrage des Kollegen Posselt bezüglich der Zwangsansiedlungen antworten würden. Ich würde Herrn Olli Rehn gern eine vollständige Liste aller Vorfälle zukommen lassen, die es allein in letzter Zeit gegeben hat.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Wie ich in unseren Fortschrittsberichten feststellte, haben wir die Lage der ungarischen Minderheit in der Vojvodina sehr sorgfältig analysiert. Wir haben diese Angelegenheiten auch mit den serbischen Behörden diskutiert, die uns versichert haben, dass sie eine verstärkte Mitarbeit von Vertretern nationaler Minderheiten im Polizei- und Justizapparat anstreben, aber sie behaupten, dass es bei geeigneten Kandidaten oftmals am Interesse mangele. Meines Erachtens sollten wir diesen politischen Druck bzw. diese politische Ermutigung unbedingt fortsetzen.
Sobald wir die Probleme gelöst haben, die die im eigenen Land vertriebenen Menschen zur Migration veranlasst haben, dürften sich unsere Chancen verbessern, die von Ihnen erwähnten Probleme zu vermeiden. Ich beziehe mich dabei natürlich insbesondere auf die Frage der Gespräche über den Status des Kosovo. Es muss eine gut durchdachte Statusregelung geben, und ich bin überzeugt davon, dass eine solche Regelung keine destabilisierende Wirkung auf ethnisch gemischte Gebiete wie die Vojvodina haben wird. Deshalb legen wir allen Beteiligten nahe, verantwortungsbewusst zu handeln. Die Kommission ist der festen Überzeugung, dass zwischen dem Kosovo und der Vojvodina keine Parallele gezogen werden kann.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 44 von Dimitrios Papadimoulis (H-0290/07)
Betrifft: Umsetzung des Seerechtsübereinkommens durch die Türkei
Die Kommission stellt in ihrer Antwort (E-0802/07) fest, dass das Seerechtsübereinkommen in der Tat Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes ist, von dem erwartet wird, dass die Türkei ihn nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union übernimmt und durchsetzt. In einer früheren Antwort (E-4160/06) erklärt die Kommission, dass sie von der Türkei erwartet, dass sie den gemeinschaftlichen Besitzstand zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Europäischen Union übernommen und in vollem Umfang durchgeführt hat.
Warum hat die Kommission innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten ihre Meinung geändert? Ist die Türkei nun verpflichtet, das Seerechtsübereinkommen „nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union“ zu übernehmen und durchzusetzen oder muss sie den gemeinschaftlichen Besitzstand „zum Zeitpunkt ihres Beitritts zur Europäischen Union“ übernommen und in vollem Umfang durchgeführt haben? Kann die Kommission ihren Standpunkt juristisch begründen?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Die Kommission hat ihren Standpunkt in Bezug auf die Verpflichtungen der Türkei zur Übernahme des gemeinsamen Besitzstandes nicht geändert. Es besteht kein Widerspruch zwischen den beiden Antworten, auf die sich der Herr Abgeordnete bezieht. Im Gegenteil, sie widerspiegeln ein und denselben Ansatz. Von der Türkei wird so wie von allen anderen Kandidatenländern erwartet, dass sie den gemeinsamen Besitzstand bis zum Zeitpunkt des Beitritts, also spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem sie der Europäischen Union beitritt, übernimmt und durchsetzt.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL). – (EL) Herr Kommissar! In jüngster Zeit gab es zahlreiche unglückselige Zwischenfälle mit der Türkei. Die türkische Armee mischt sich offen in die politische Entwicklung ein. Die Republik Zypern erhält Drohungen, weil sie und ihre Nachbarländer – im Einklang mit dem Seerechtsübereinkommen – die Nutzung ihrer ausschließlichen Wirtschaftszone vorantreibt. 160 kurdische Kandidaten, darunter Leila Zana, wurden von den bevorstehenden Wahlen ausgeschlossen.
Stellen diese Aktionen eine Achtung des gemeinschaftlichen Besitzstands dar? Möglicherweise wird es langsam Zeit, dass die Kommission gegenüber der türkischen Führung eine deutlichere und konkretere Sprache spricht.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Die von dem Herrn Abgeordneten angesprochenen Fragen sind äußerst wichtig, aber sie reichen über diese spezielle Frage hinaus. Leider habe ich keine Zeit, um detailliert darauf einzugehen. Ich möchte jedoch unterstreichen, dass wir gegenüber der Türkei sowohl fair als auch streng sein müssen, um die negative Entwicklung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei aufzuhalten.
Mit „fair und streng“ meine ich, dass wir fair sein müssen, indem wir unser Wort und uns an unsere Zusage halten, dass die Türkei, wenn sie alle Bedingungen für einen EU-Beitritt erfüllt, der Union beitreten kann. Gleichzeitig können wir streng und rigoros sein und von der Türkei erwarten, Reformen durchzuführen und die Rechte der Bürger zu achten, so dass beispielsweise die Kurdenfrage oder die Rechte von Frauen und der Gewerkschaften in Angriff genommen werden können und das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Türkei dank der Aussicht auf EU-Mitgliedschaft besser durchgesetzt werden kann.
Wir müssen der Türkei gegenüber also fair und streng sein.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 45 von Rodi Kratsa-Tsagaropoulou (H-0340/07)
Betrifft: Politische Krise in der Türkei und Beitrittsaussichten
In den letzten Tagen ist die Türkei anlässlich der Präsidentschaftswahlen in eine tiefe politische Krise geschlittert, die gravierende Zweifel über die Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen aufkommen lässt. Das türkische Verfassungsgericht erklärte den ersten Durchgang der Wahlen für ungültig, und diese Entscheidung wurde von der Regierung entschieden angezweifelt. Der Ministerpräsident erklärte, dass das parlamentarische System blockiert sei, und verlangte vorgezogene Neuwahlen, während der türkische Generalstab die Warnung aussprach, dass er die Wahl des islamischen Abdullah Gül zum Präsidenten verhindern werde.
Wie beurteilt die Kommission diese Situation in einem Land, das ein Beitrittskandidat der EU ist? Das für Erweiterungsfragen zuständige Kommissionsmitglied, Olli Rehn, erklärte, dass die Streitkräfte die Autonomie der demokratischen Verfahren respektieren müssten und dass die EU auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, des Rechtsstaats und der Souveränität der politischen Kräfte gegenüber dem Militär aufbaue, und betonte, dass die Achtung dieser Grundsätze, die zentraler Bestandteil der Kriterien von Kopenhagen sind, eine Voraussetzung für den Beitritt eines Landes zur EU sei. Stehen solche Eingriffe des Militärs nach Ansicht der Kommission im Einklang mit den Anforderungen des gemeinschaftlichen Besitzstandes? Welche Auswirkungen könnten sie auf das Beitrittsverfahren der Türkei haben? Sind weitere Reaktionen von Seiten der Kommission zu erwarten, wenn die Entwicklungen in der Türkei nicht den demokratischen Grundsätzen der EU entsprechen?
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Die türkische Regierung hat das Urteil des Verfassungsgerichts respektiert und Schritte zu dessen Umsetzung eingeleitet. Das war unabhängig von den Ereignissen, die dazu geführt haben, für die politische Stabilität des Landes von großer Bedeutung.
Um eben die politische Stabilität zu erhalten, unterbreitete die Mehrheitspartei der Großen Nationalversammlung den Vorschlag, vorgezogene Neuwahlen durchzuführen. Die Große Nationalversammlung entschied mit großer Mehrheit, dass am 22. Juli 2007 vorgezogene Neuwahlen stattfinden werden.
Die Kommission geht davon aus, dass die Parlaments- und die sich anschließenden Präsidentschaftswahlen demokratisch und in einer von einer verantwortungsvollen Debatte und politischer Stabilität geprägten Atmosphäre stattfinden werden. Was die Rolle des Militärs betrifft, so habe ich vielfach festgestellt, dass ich eine hohe Meinung von den türkischen Streitkräften habe, was die Erfüllung ihrer Pflichten bei der Landesverteidigung und ihren Beitrag zum internationalen Frieden betrifft, aber, wie ich nach der Erklärung des Stabschefs Ende April sagte, muss das Militär die demokratische Entscheidungsfindung den demokratisch gewählten Gremien der Türkei überlassen.
Es sollte eigentlich auf der Hand liegen, dass ein Land, das der Europäischen Union beitreten will, sämtliche demokratischen Prinzipien respektiert, einschließlich der Dominanz der demokratisch gewählten Gremien in den Beziehungen zwischen dem zivilen Bereich und dem Militär, und das befindet sich meiner Ansicht in völligem Einklang mit einer säkularen Demokratie bzw. dem demokratischen Säkularismus, wie er in der türkischen Verfassung verankert ist.
Sobald das neue Parlament gewählt und die neue Regierung im Amt ist, muss die Türkei unbedingt die legislative Arbeit neu beleben und mit frischer Kraft an die Durchführung der Reformen gehen, die zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundfreiheiten im Lande beitragen werden.
Rodi Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE). – (EL) Ich danke Ihnen für Ihre Antwort, Herr Kommissar. Sie waren wiederum gezwungen, etwas zu wiederholen, was Sie der Türkei bei zahlreichen Gelegenheiten – wie Sie selbst bemerkten – in Bezug auf die Stellung, die sie als Beitrittskandidat der Europäischen Union einnehmen muss, gesagt haben.
Ich möchte Sie fragen, ob diese Krise nicht mehr zum Vorschein gebracht hat, ob sie nicht eine Schwäche aufgezeigt hat. Haben Sie nicht auch zu anderen Mitteln gegenüber den politischen und militärischen Akteuren gegriffen? Ich nehme doch an, dass Sie Ihre ermahnenden Worte während Ihrer Begegnungen wiederholt und öffentlich ausgesprochen haben.
Ich wollte mit meiner Frage nur in Erfahrung bringen, ob Sie angesichts des Ernstes der Krise und der Dinge, die sie ans Licht gebracht hat, weiter gegangen sind.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Vielen Dank für diese sehr wichtige Frage, Frau Kratsa-Tsagaropoulou. Ich führe sogar sehr viele Gespräche mit der türkischen Regierung – nach Meinung einiger Leute in Europa sogar zu viele! Doch in Zeiten politischer oder konstitutioneller Krisen, in denen sich die Türkei befand und meiner Meinung nach derzeit befindet, ist es besonders wichtig, dass wir die Kommunikation aufrechterhalten und intensive Gespräche mit der türkischen Regierung und allen wichtigen Akteuren in der türkischen Gesellschaft führen, um klarzustellen, welche Erwartungen die Europäische Union mit einem potenziellen EU-Beitritt der Türkei verbindet. Natürlich bildet die Dominanz der demokratisch gewählten Gremien in den Beziehungen zwischen dem zivilen Bereich und dem Militär dabei eine Hauptvoraussetzung.
Wie die Kommission Anfang Mai nach meiner Erklärung in Bezug auf das politische Eingreifen des türkischen Militärs in dieser angespannten Situation eindeutig feststellte, gründet sich die Europäische Union auf die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit und den Vorrang der demokratischen und zivilen Macht vor der des Militärs. Wenn ein Land Mitglied der Union werden will, dann muss es diese Prinzipien anerkennen. Das ist der Kern der Kopenhagener Kriterien für den EU-Beitritt. Das wurde gegenüber der türkischen Regierung und sonstigen politischen Akteuren in der Türkei eindeutig klargemacht und auch den türkischen Bürgern über die türkischen Medien vermittelt. Mehr Lautstärke dürfte da meines Erachtens wenig hilfreich sein. Stattdessen brauchen wir Klarheit und Präzision, und was unsere Erklärung betrifft, so ist unsere Erklärung vom 2. Mai an Deutlichkeit nicht zu übertreffen.
Κonstantinos Hatzidakis (PPE-DE). – (EL) Herr Kommissar! Ich gehöre nicht zu denen, die wollen, dass die Türkei zu einer unkontrollierbaren Macht in dem Gebiet wird. Andererseits frage ich mich, welches Verfassungsgericht in einem demokratischen Land, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt, entschieden hätte, dass ein Quorum von zwei Dritteln für die Wahl des Präsidenten der Republik erforderlich ist!
Damit wäre die Opposition eines jeden Landes in der Lage, die Wahl des Präsidenten der Republik zu kontrollieren.
Die Kommission stellte in ihrer Erklärung fest, dass sie die Rechtsstaatlichkeit und ihre Vorschriften respektiert und sich nicht in türkische Angelegenheiten einmischen möchte. Aber handelt es sich hier um Rechtsstaatlichkeit? Meiner Ansicht nach war die Erklärung der Kommission nicht ausgewogen.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. (EN) Vielen Dank für Ihre Anschlussfrage, Herr Hatzidakis, sowie für Ihre eigene Frage, in der Sie der Kommission in ihrer Stellungnahme „zuviel Toleranz“ vorgeworfen haben. Sie haben ferner eine eindeutigere Formulierung gefordert.
Als Kommissar muss ich wiederholen, was ich bereits gesagt habe, dass ich nämlich nicht an mehr Lautstärke oder eine Megaphon-Diplomatie glaube. Ich glaube an Klarheit, Präzision und Konsequenz. Diesbezüglich sind wir mit dem Herrn Abgeordneten meines Erachtens einer Meinung, denn wir haben, wie ich bereits sagte, wiederholt auf die Bedeutung des Vorrangs der demokratischen und zivilen Macht vor der militärischen verwiesen. Gleichzeitig kommt es aber auch darauf an, die Beitrittsverhandlungen aufrechtzuerhalten und dabei praktische Fortschritte zu erzielen, denn worum es den Nationalisten in der Türkei wirklich geht, das ist ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Das Geschenk möchte ich den türkischen Nationalisten nicht machen. Dagegen ist es viel besser, den EU-Beitritt der Türkei anzustreben, den Beitrittsprozess am Leben zu erhalten und auf das gemeinsame Ziel hinzuarbeiten, denn nur so kann sich die Türkei zu einem europäischeren, demokratischeren Land entwickeln, in dem die Rechtsstaatlichkeit und die Grundfreiheiten respektiert werden.
Was Ihren Verweis auf das Verfassungsgericht betrifft, so kann ich Ihre Frage nachvollziehen, und wir haben das Urteil des Verfassungsgerichts ebenfalls zur Kenntnis genommen. Ich möchte eine Feststellung des Kollegiums der Kommissare vom 2. Mai zitieren, als wir diese Angelegenheit diskutierten und unseren Standpunkt gegenüber der türkischen Regierung und der türkischen Öffentlichkeit deutlich machten. Wir stellten fest, dass diese rechtmäßige Entscheidung des Verfassungsgerichts unabhängig von den bedauerlichen Ereignissen, die diesem Urteil vorausgingen, jetzt von allen Parteien respektiert werden sollte, weil die Achtung staatlicher Institutionen eine Grundvoraussetzung für politische Stabilität darstellt. Das ist doch recht deutlich.
Ferner haben wir erklärt, dass die Europäische Kommission unter diesen Umständen die Ankündigung von baldigen Neuwahlen zur Gewährleistung der politischen Stabilität und der demokratischen Entwicklung in der Türkei begrüßt. Auch hier kann man kaum deutlicher werden.
Der Präsident. – Die Anfragen, die aus Zeitgründen nicht behandelt wurden, werden schriftlich beantwortet (siehe Anlage).
Die Fragestunde ist geschlossen.
(Die Sitzung wird um 20.05 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: MAREK SIWIEC Vizepräsident
16. Zusammensetzung der EUROLAT-Delegation: siehe Protokoll
17. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll
18. Estland (Aussprache)
Der Präsident. Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zu Estland.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße diese Aussprache zum jüngsten Disput zwischen Russland und Estland. Lassen Sie mich von vornherein sagen, dass es hier nicht um die Menschenrechte geht. Die Umsetzung der bronzenen Soldatenstatue in Tallinn und die Exhumierung der Soldatengräber erfolgten unter voller Achtung der internationalen Verpflichtungen Estlands, insbesondere unter Einhaltung der Verpflichtungen aus der Genfer Konvention in Bezug auf Kriegsgräber. Trotzdem bin ich mir der Sensibilität dieser Frage bewusst, bei der es um die Auslegung historischer Fakten geht.
Da zu dieser Frage in Russland Besorgnis herrscht, erklärten wir Russland auf dem letzten Gipfel, dass diese Besorgnis in einem Dialog statt mittels „Megafon-Diplomatie“ geäußert werden sollte. Wir bedauern, dass die Demonstrationen in Estland in Plündereien und Krawallen endeten. Es gibt das Demonstrationsrecht, welches sich eindeutig aus der Meinungsfreiheit ergibt. Doch war nicht hinnehmbar, dass es zu einer Belagerung der estnischen Botschaft in Moskau kam. Wir haben unseren Ansichten darüber sofort in Moskau in einer Demarche Ausdruck verliehen, um Russland an seine Verpflichtungen aus der Wiener Konvention zu erinnern.
Die Datennetz-Angriffe gegen offizielle estnische Internetseiten haben uns betroffen gemacht. Sie müssen korrekt aufgeklärt und die Verursacher verurteilt werden. Wir erinnern Russland an unser gemeinsames Engagement, Verbrechen im Cyberspace sowohl im Gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als auch dadurch zu bekämpfen, dass wir dem Übereinkommen des Europarates über Datennetz-Kriminalität beitreten. Heute hat die Kommission eine Mitteilung zur Datennetz-Kriminalität verabschiedet und wir werden ganz bestimmt an ihrer Umsetzung arbeiten.
Wir verfolgen auch sehr aufmerksam die Lage im Handel zwischen Russland und Estland. In Russland gab es Stimmen, die zum Handelsboykott von estnischen Waren und Dienstleistungen aufriefen und Transportbeschränkungen forderten. An einem Ort gab es Zufahrtsbeschränkungen für LKW auf der Brücke über die Narva, zudem wurden Erdöltransporte durch Estland gedrosselt. Nach neuesten Informationen fanden heute Expertengespräche zur Brücke statt und die Erdöltransporte durch Estland wurden wieder aufgenommen. Wir werden die Lage weiter beobachten.
Ich hoffe, dass dieses Problem nun seinen Höhepunkt überschritten hat und die Emotionen abklingen. Wir haben dies auf dem EU-Russland-Gipfel in Samara erörtert und es auch auf der Pressekonferenz angesprochen. Präsident Putin hat sogar eingeräumt, dass es auf russischer Seite zu einigen Überreaktionen kam und bedauerte, dass der estnische Botschafter Moskau verlassen musste. Ich unterstütze den Ratsvorsitz voll und ganz in seiner Forderung nach einem „leidenschaftslosen Dialog zu dieser Angelegenheit“, in dem die Probleme „im Geiste von Verständigung und gegenseitigem Respekt“ erörtert werden.
Der Gipfel in Samara fand zu einem kritischen Zeitpunkt in den Beziehungen zwischen der EU und Russland statt. Die Gespräche waren offen und freimütig und die Medienberichte konzentrierten sich natürlich auf die Bereiche, in denen Uneinigkeit herrschte. Ich denke, diese offene Diskussion war sehr wichtig: Wir müssen miteinander reden, weil Russland ein strategischer Partner und wichtiger Nachbar ist und bleibt. Gleichzeitig müssen wir offen miteinander reden.
Wie insbesondere Herr Barroso weiß, wurde auf EU-Seite besonderes Augenmerk auf die Bedeutung der Achtung der Demokratie und der Menschenrechte gelegt, vor allem in der Wahlkampfphase. Die Festnahme von Garri Kasparow auf dem Moskauer Flughafen, was ihn um die Teilnahme an einer Demonstration in Samara anlässlich des Gipfels brachte, war besonders bedauerlich und wurde scharf verurteilt.
Ich möchte jedoch betonen, dass im Zusammenhang mit dem Gipfel auch eine ganze Reihe positiver Aspekte zu verzeichnen ist. Ich würde sagen, dass der Gipfel einen gemischten Eindruck hinterlassen hat.
Russland wurde, was am allerwichtigsten ist, nicht im Zweifel darüber gelassen, welche Bedeutung wir der EU-Solidarität in unseren Beziehungen mit Russland beimessen. Zweitens wurde auf dem Gipfel bestätigt, dass die EU und Russland einer Meinung darüber sind, dass der Aufbau einer starken strategischen Partnerschaft EU-Russland in der Zukunft erforderlich ist. Drittens erkennen sowohl die EU als auch Russland an, dass insbesondere unsere wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen stärker und intensiver denn je sind. Russland ist in der Tat unser drittgrößter Handelspartner und wir sind sein Handelspartner Nummer eins. Wir arbeiten gemeinsam an Russlands Beitritt zur WTO in diesem Jahr, außerdem steht die Unterzeichnung der Vereinbarung über Sibirienüberflüge bevor, aller Wahrscheinlichkeit nach im November. Viertens wurde auf dem Gipfel auch festgehalten, dass ungeachtet unserer Schwierigkeiten die Zusammenarbeit in vielen Bereichen, die in den Roadmaps für die 2005 vereinbarten vier gemeinsamen Räume erfasst werden, gut voranschreitet. So wird das Abkommen über Visaerleichterungen und Rückübernahme am 1. Juni 2007 in Kraft treten.
Im Bereich Bildung haben wir das Europäische Lernzentrum in Moskau, wo Hunderte von Studenten EU-Recht studieren. Die Studenten interessieren sich sehr stark für Europa. Es gibt Fragen wie das Frühwarnsystem für Energie, dem Russland grundsätzlich zugestimmt hat und an dem wir jetzt weiter arbeiten müssen, sowie eine Art Dialog zum Investitionsklima sowie zu Investitionen generell.
Wie gesagt möchte ich daher kein schwarz-weißes Bild malen, es existiert vielmehr ein umfassendes Spektrum aus verschiedenen Farben, mit warmen und kalten Schattierungen.
(Beifall)
Tunne Kelam, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Ich kann mich der Äußerung der Kommissarin voll anschließen, dass wir kein schwarz-weißes Bild malen müssen, aber leider wurde uns die schwarz-weiße Situation aufgezwungen, und zwar einem unserer Mitgliedstaaten von seinem großen Nachbarn.
Ich möchte jedoch sowohl der Kommission als auch dem Ratsvorsitz für ihre überzeugende solidarische Haltung in Samara gratulieren. Ich denke, dass die eindeutige Äußerung des Kommissionspräsidenten gegenüber der russischen Regierung, dass Estland oder Polen genau so wichtige Mitglieder der Union wie Portugal oder Deutschland seien, als zentrale Botschaft angesehen werden sollte. Das Wichtigste in der derzeitigen Situation war meiner Meinung nach, dass unsere Gesprächspartner verstehen, was Solidarität für die Union bedeutet, die auf gemeinsamen Werten basiert.
Wie es im Entschließungsantrag zu Estland heißt, werden Angriffe auf einen der kleinsten Mitgliedstaaten als Testfall für die Solidarität der EU insgesamt betrachtet. Alle wichtigen politischen Fraktionen haben dem Wortlaut für den gemeinsamen Entschließungsantrag zu Estland zugestimmt.
Meines Erachtens gibt es einige Themen, denen Sie sich in der Zukunft gemeinsam zuwenden sollten. Es ist unzulässig, sich brutal in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzumischen, insbesondere eines kleinen. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen zwei früheren totalitären Staaten. Das neue demokratische Deutschland machte es zum Grundanliegen seiner Außenpolitik, niemals seine Nachbarn zu bedrohen, was in einem ganz entscheidenden Maße zu einem positiven Wandel im Nachkriegseuropa beigetragen hat. Ich denke, wir müssen gemeinsam daran arbeiten, Russland zu einem ähnlichen Stand zu verhelfen, was seine vergangenen imperialistischen Taten betrifft, und es dabei unterstützen, ähnliche Schlüsse zu ziehen.
Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ich möchte zwei Dinge vorausschicken. Mit der Frau Kommissarin gehe ich völlig konform, wenn sie von einer strategischen Partnerschaft und deren Bedeutung spricht und sagt, wir müssten den Dialog mit Russland fortsetzen und sehen, was wir auf der Grundlage unserer eigenen Grundsätze und Werte daraus gewinnen können.
Zweitens, ich bin Niederländer. Ich bin nicht in Osteuropa geboren. Ich bin in Frieden aufgewachsen und habe stets in Frieden gelebt. Sich als Vertreter eines so genannten alten Mitgliedstaates zu den Ereignissen in Estland und dazu zu äußern, wie Russland damit umgegangen ist, halte ich für außerordentlich wichtig.
Nicht minder bedeutsam ist die Feststellung, dass mit der Vergangenheit im Zusammenhang stehende Dinge stets sehr heikel sind, für uns ebenso wie für andere. Hier muss man vorsichtig zu Werke gehen. Ich bin selbst Historiker und weiß, wie gefährlich es ist, Politik geschichtlich überfrachten zu wollen. Ich predige stets eine gewisse Selbstbeschränkung. Nichtsdestotrotz fühlt sich meine Fraktion mit Estland solidarisch, und dies muss auch die Grundlage für die Haltung Europas in dem zwischen Estland und Russland entstandenen Konflikt sein.
Die Tatsache, dass dieser Konflikt nicht nur Russland, sondern die gesamte Europäische Union betrifft, wurde von Kommissionspräsident Barroso in Samara unmissverständlich klargemacht. Die Europäische Union hat den Konflikt nicht zu verharmlosen versucht. Russlands Reaktion war unangemessen und inakzeptabel, und die Versuche europäischer Regierungen und Parlamentarier, sich in die inneren Angelegenheiten eines EU-Mitgliedstaats einzumischen, sind unerhört.
Hinzu kommt, dass die russischen Behörden nichts unternommen haben, um den Betrieb der estnischen Botschaft in Moskau zu schützen, wodurch der Konflikt praktisch in einer diplomatischen Krise endete. Meiner Ansicht nach würden die russischen Behörden, aber vielleicht auch wir, gut daran tun – und dies kommt in dem Entschließungsantrag ebenfalls deutlich zum Ausdruck –, anstelle der feindseligen Rhetorik darum bemüht zu sein, zu einem Dialog beizutragen, nicht zuletzt zwischen den Gemeinschaften in den zur Diskussion stehenden Ländern, nämlich Estland und Lettland, und die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben, denn dieser Dialog ist auch im Hinblick darauf notwendig, in diesen Ländern Verhältnisse zu schaffen, die europäischen Werten entsprechen.
Ich hoffe, dass die Botschaft des Dialogs, die Botschaft, über die Zukunft und nicht nur über die Vergangenheit zu sprechen, auch in Moskau verstanden wird.
Toomas Savi, im Namen der ALDE-Fraktion. – (ET) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Ich möchte mich zu zwei Aspekten der Beziehungen zwischen Estland und Russland äußern – erstens zum Cyber-Krieg und zweitens zur Desinformation, der sich Präsident Putin verschrieben hat.
Erstens: Auch nach all den Unterstützungserklärungen, die Estland erhalten hat, wurden von Russland keine Schritte unternommen, um die systematischen Cyber-Angriffe auf Estlands offizielle Informations- und Kommunikationskanäle sowie die Webseiten der estnischen Regierung zu beenden. Die Propagandaangriffe im Internet und in Form von SMS beinhalten Aufrufe zu Gewalt und bewaffnetem Widerstand. Diese Nachrichten werden selbst über das Fernsehen und andere Medien verbreitet. Estland ist durch Cyber-Angriffe besonders gefährdet, da es ein e-Kabinett sowie eine e-Regierung hat und in diesem Jahr die ersten e-Wahlen stattfanden.
Die in Estland erfolgenden Cyber-Angriffe sollten ganz Europa eine Warnung sein. Im 21. Jahrhundert bedroht diese Gefahr alle Länder. Wir müssen uns ernsthaft damit beschäftigen, wie wir uns schützen können, und wir müssen dies gemeinsam tun. Dies ist der erste „Cyber-Krieg“ in der Geschichte, und sein eindeutiges Ziel besteht darin, das Funktionieren eines souveränen Staates der Europäischen Union zu behindern.
Zweitens: Auf einer offiziellen Pressekonferenz in Samara, auf der die Presseagenturen der ganzen Welt vertreten waren, erklärte der russische Präsident, es sei nicht nur eine Demonstration in Tallinn aufgelöst, sondern auch ein Demonstrant getötet worden. Darüber hinaus ginge es nicht nur darum, dass es einen Unfall gegeben hätte, sondern man sei über einen anderen Umstand besorgt, nämlich dass die verletzte Person keine Hilfe erhalten habe. Laut Putin starb Ganin in Gegenwart der Polizei.
Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich um eine vorsätzliche Fehlinformation. Es stimmt, der 20-jährige Dmitri Ganin wurde im Verlauf der Unruhen tödlich verletzt. Im Zusammenhang mit seinem Tod wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, aus denen hervorging, dass sein Tod nichts mit dem Einsatz der Polizei zu tun hat, die in Tallinn wieder Ruhe herstellen wollte. Am 27. April fand die Polizei Dmitri, der eine Stichverletzung hatte, gegen Mitternacht und rief um 0.26 Uhr einen Krankenwagen zu ihm. Der Krankenwagen fuhr eine Minute später los und traf um 0.32 Uhr, also fünf Minuten später, am Ort des Geschehens ein. Dmitri wurde um 0.51 Uhr ins Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde er operiert, starb jedoch um zwei Uhr morgens. Ich betone nochmals: Der Krankenwagen traf fünf Minuten, nachdem er von der Polizei gerufen wurde, ein, und somit starb Dmitri nicht in Gegenwart der Polizei, sondern im Krankenhaus.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Die in letzter Zeit aufgetretenen Spannungen mit Russland wegen der Handelsdiskriminierung gegen Polen und Russlands Einmischung in die inneren Angelegenheiten des unabhängigen Estland lieferten wahrscheinlich die bestmögliche Demonstration der derzeitigen Mechanismen und Kräfte, die die europäische Zusammenarbeit im Bereich Außenpolitik abstützen.
Es war unsere moralische Pflicht, mit Estland Solidarität zu bekunden; eine solche Solidarität liegt auch in unserem besten politischen Interesse. Neuerliche Vorfälle zwischen der Union und Russland kamen einer erheblichen Investition in die Zukunft der Europäischen Union gleich, einer Investition, die weit bedeutsamer als weitere institutionelle Veränderungen ist.
Die Europäische Union hat im Ergebnis der weitsichtigen, vom Präsidenten der Kommission und der Ratspräsidentin eingenommenen Haltung zu sich gefunden. Ich spreche sicher für viele Bürgerinnen und Bürger Polens und Mitteleuropas, wenn ich Herrn Barroso und Frau Merkel sage: Aus tiefstem Herzen – Danke!
Satu Hassi, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist wichtig, zwischen der russischsprachigen Bevölkerung Estlands und der russischen Politik zu unterscheiden. Die russischsprachige Bevölkerung in Estland hat die gleichen Bürger- und Menschenrechte wie wir, aber all die Probleme und Meinungsverschiedenheiten geben Russland nicht das Recht, sich in die inneren Angelegenheiten Estlands einzumischen und beispielsweise zu verlangen, dass die estnische Regierung zurücktreten solle. Niemand glaubt, dass die Behörden in Moskau nicht in der Lage gewesen wären, die Störungen und die Gewalttätigkeiten gegen den estnischen Botschafter und das dortige Botschaftspersonal zu verhindern, während gleichzeitig, wie es der Herr Kommissar gerade gesagt hat, Aktivisten der Opposition daran gehindert wurden, zur Demonstration nach Samara zu reisen. Der Denkmalstreit hat zwei unterschiedliche Interpretationen der Geschichte ans Licht gebracht. Es ist wahr, dass die Rote Armee eine Hauptrolle bei der Befreiung Europas vom Nazismus gespielt hat, aber es ist auch wahr, dass die gleiche Armee nach dem Ende des Krieges in Estland und in vielen anderen Ländern zu einer Besatzungsarmee geworden ist.
Die Vorkommnisse haben ganz offen gezeigt, wie schlecht die russischsprachige Bevölkerung in die estnische Gesellschaft integriert ist. Es ist die Aufgabe der estnischen Regierung und der Gesellschaft, und ich weiß, dass es nicht immer leicht ist, einen konstruktiven Weg zur Lösung dieser Probleme zu finden. Die Polizei hat die Pflicht für Ordnung zu sorgen, aber Vorwürfe, die Polizei habe unverhältnismäßig hart agiert, müssen unvoreingenommen sowie offen und ehrlich untersucht werden. Russland fällt es offenbar schwer anzuerkennen, dass Estland und die anderen baltischen Länder tatsächlich souveräne Staaten sind. Wir müssen Estland unsere Solidarität erweisen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen Estland dabei helfen herauszufinden, wer oder was der Auslöser der Angriffe gegen die Internetseiten estnischer Behörden war.
(Beifall)
Eva-Britt Svensson, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (SV) Die Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke bedauert natürlich die unverhältnismäßigen Reaktionen in Russland, und wir verlangen natürlich, dass Russland seine internationalen Verpflichtungen gemäß der Wiener Konvention erfüllt.
Nichtsdestoweniger sei auch Folgendes hervorgehoben: Keiner Seite ist durch eine Eskalation des Konflikts gedient, die sich aus bestimmten Maßnahmen oder zu stark vereinfachenden Verlautbarungen ergeben kann. Brücken zu bauen und den Dialog zwischen den Parteien zu pflegen ist besser als Mauern und Hindernisse zu errichten. Unbestreitbar ist auch, dass die Diskriminierung und Einschränkung der Bürgerrechte, denen die russischsprachige Bevölkerung Estlands ausgesetzt ist, die wichtigste Brutstätte für Konflikte ist. Die Verantwortung für den Konflikt, mit dem wir uns hier beschäftigen, liegt auch bei der estnischen Regierung, die die Bürgerrechte der russischsprachigen Bevölkerung missachtet. Sie ist verantwortlich dafür, dass vor der Umsetzung des Denkmals kein Dialog mit den Einwohnern Tallinns geführt wurde und dass die Bedeutung dieses Monuments für eine große Anzahl Menschen als wichtige Gedenkstätte für alle, die ihr Leben im Kampf gegen Nazismus und Faschismus gelassen haben, nicht beachtet wurde.
Zudem ist die Eskalation des Konflikts zu bedauern, die eine Reaktion darauf war, dass die estnischen Behörden friedliche Demonstrationen verboten haben. Eine weitere Verschärfung gab es dann als Reaktion auf das Vorgehen der estnischen Polizei gegen die Demonstranten. Die estnischen Maßnahme, ein antinazistisches Denkmal sowie die Gebeine von während des Krieges gegen die Hitlertruppen gefallenen Soldaten umzusetzen, wurde von allen, die die Erinnerung an den Kampf gegen den Nazismus für die Zukunft lebendig halten wollen, als Provokation empfunden. Niemand hat das Recht, die Geschichte umzuschreiben, und politische Auffassungen sollten nicht im Wege stehen für eine ernsthafte Analyse und das Verständnis für die Entstehung von Konflikten. Nur so können wir Konflikte künftig lösen.
Christopher Beazley (PPE-DE). – (EN) Ich kann mich der Interpretation meiner Vorrednerin über die Umsetzung eines Kriegsdenkmals auf einen Militärfriedhof nicht anschließen. Ich halte dieses Vorgehen für absolut korrekt. Die estnische Regierung hat das Recht, diese Entscheidung zu treffen, und das wurde nicht, wie Sie, Frau Kommissarin, sagten, als Auslöser für einen Streit zwischen Russland und Estland, sondern für einen Streit zwischen Russland und der EU benutzt. Kommissionspräsident Barroso sagte in Samara mit wohl gewählten Worten, dass wir uns absolut solidarisch mit Estland erklären – aber auch mit Polen, mit der Tschechischen Republik und sogar mit meinem eigenen Land, dessen Botschafter ebenfalls von Naschi verfolgt wurde, einer Organisation, von der sich Präsident Putin nur sehr oberflächlich distanziert.
Uns wird ständig gesagt, dass wir die Situation deeskalieren sollen, die wir gar nicht geschaffen haben. Ich frage mich, Frau Kommissarin, ob Sie sich auf die WTO-Verhandlungen verlassen können, die Sie in Ihrem Beitrag erwähnten. Ist es möglich, dass wir weiterhin über den Beitritt eines Landes verhandeln, das offensichtlich in die Störung der elektronischen Kommunikation verwickelt ist – wie Herr Savi soeben erklärte –, mit dem Bankensystem, mit unserer eigenen Sicherheit? Auf jeden Fall muss eine sehr klare Botschaft an Präsident Putin gehen, dass wir diese Verhandlungen natürlich fortsetzen wollen, wir das aber erst tun können, wenn die Angriffe auf das Datennetz aufhören.
Andres Tarand (PSE). – (ET) Gestatten Sie mir, den Vertretern der Kommission und aller Mitgliedstaaten in diesem Hohen Haus meinen von Herzen kommenden Dank für die von ihren Ländern gezeigte Solidarität mit Estland und ihre Unterstützung für mein Land zum Ausdruck zu bringen.
Ich werde mich nicht mit den Ereignissen aufhalten, die in Tallinn stattgefunden haben und ausführlich in der Entschließung behandelt werden, sondern möchte auf die Art und Weise eingehen, wie Russland den gesamten Verlauf der Dinge für Propagandazwecke falsch darlegt. Wie mein Kollege Savi in Bezug auf den Tod des einzigen jungen Mannes, der getötet wurde, erklärte, verbreiteten angebliche Augenzeugen in Tallinn am darauf folgenden Morgen eine Version der Geschichte, nach der er vor dem Schauspielhaus durch Schläge mit Polizeiknüppeln verstorben sei. Da der Tatort nicht richtig wiedergegeben wurde und der Tod tatsächlich durch eine Stichwunde verursacht wurde, ließ Moskau nach und nach den Verweis auf eine Mitschuld der Polizei fallen, und Präsident Putin behauptete gegenüber den führenden Politikern der Europäischen Union, die sich in Samara versammelt hatten, es sei absichtlich kein Krankenwagen gekommen, um dem Opfer zu helfen. Ich habe die Fakten am Sonntagabend unmittelbar überprüft, indem ich mit dem Innenminister sprach, der mir versicherte, der Krankenwagen sei innerhalb von fünf Minuten vor Ort gewesen.
Diese Lüge wurde in diesem Hohen Haus zwar zweimal zurückgewiesen, doch ich musste noch einmal auf die Fakten hinweisen, weil morgen voraussichtlich hier in diesem Gebäude falsche Filme die Runde machen werden. Ein völlig neues Thema ist allerdings der Cyber-Krieg, über den in den Medien weltweit ausführlich berichtet wurde.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Georgs Andrejevs (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Sie auf den historischen Hintergrund der jüngsten Unruhen und gewalttätigen Demonstrationen in Estland aufmerksam machen. Die Europäische Union sollte sich vergegenwärtigen, dass das kommunistische Regime während der 50 Jahre währenden sowjetischen Okkupation zahlreiche Verbrechen gegen die Bevölkerungen der baltischen Staaten begangen hat. Es schickte Hunderttausende Arbeitsmigranten in diese okkupierten, ehemals souveränen Staaten, die Mitglieder des Völkerbundes waren, und schuf eine reale Bedrohung, dass die Esten und Letten zu Minderheiten in ihren eigenen Ländern werden könnten.
Nach immensem Druck vonseiten der internationalen Gemeinschaft, darunter den EU-Organen, willigten Estland und Lettland in eine Integration dieser Hunderttausenden Nicht-Staatsangehörigen in ihre Gesellschaft ein. Doch Integration ist ein zweiseitiger Prozess, und die jüngsten Entwicklungen in Estland zeigen, dass es entgegengesetzte Tendenzen gibt. An die Stelle von Sentimentalitäten aus Sowjetzeiten ist jetzt ein neuer imperialistischer Ansatz Russlands getreten. Besonders bedrohlich ist die Tatsache, dass die junge Generation, auf der die größten Hoffnungen in Sachen Integration und Loyalität ruhen, zu den Hauptakteuren der jüngsten gewalttätigen Ereignisse in Estland zählte, was uns zu denken geben sollte.
Inese Vaidere (UEN). – (LV) Meine Damen und Herren! Folgende Ereignisse in Estland haben verschiedene Probleme klipp und klar ins Rampenlicht gerückt, die für Europa von Bedeutung sind:
1) Russland hat seine Interessen in den baltischen Staaten nicht aufgegeben, versucht aber jetzt das Prinzip „Teile und herrsche“ anzuwenden.
2) Wir müssen Russland dazu bringen, die Okkupation der baltischen Staaten anzuerkennen, da eine andere Auslegung der Geschichte zu ähnlichen Konflikten in der Zukunft führen wird.
3) Wie Finnland 1939 verzagte das kleine Land Estland nicht angesichts der Angriffe des „Bären aus der Nachbarschaft“, behielt seine Würde, war erfolgreich und erlangte die Unterstützung der Länder Europas.
4) Russland versteht nur eine starke und entschlossene Haltung. Zugeständnisse werden als Zeichen der Schwäche angesehen. Daher möchte ich der Kommission und der deutschen Bundeskanzlerin Merkel, als Vertreterin der Ratspräsidentschaft, für ihr Verständnis der Ereignisse und ihre Solidarität danken sowie dafür, dass sie Russland gegenüber mit einer europäischen Stimme sprechen. Ich möchte auch meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass diese Taktik uns in der Zukunft großen Erfolg bringen wird.
Tatjana Ždanoka (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Ich habe den Ausführungen der Kommissarin mit großem Interesse zugehört, doch muss ich der Äußerung widersprechen, dass es lediglich um einen Streit zwischen Russland und Estland geht. Zudem verwundert es mich, wie der interethnische Konflikt, die Beziehungen zwischen Minderheiten und Mehrheiten, einer der wichtigsten Punkte, bei denen unterschiedliche historische Ansätze bestehen, jetzt zu einer Angelegenheit der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland gemacht wird.
Ich vertrete die russischsprachige Minderheit in Lettland und habe zu vielen Gelegenheiten darauf verwiesen, dass wir nicht zu einem geopolitischen Spielball werden wollen. Leider waren russischsprachige Menschen sowohl in Estland als auch in Lettland so genannte Gefangene des ersten Kalten Krieges, da ihnen ihre Bürgerrechte verwehrt wurden – es wurde ihnen ihre Sprache als Amtssprache in jenen Ländern verweigert, in denen sie eine starke Minderheit repräsentierten. Inzwischen könnten wir leider zu Geiseln des neuen Kalten Krieges werden, und wir nehmen Strömungen in diesem Hohen Hause wahr, die an Verhältnisse im Kalten Krieg erinnern.
Es kann keine Solidarität geben, wenn Menschenrechte verletzt werden. Mehrere internationale Organisationen haben über Menschenrechtsverletzungen während der kürzlichen Ereignisse in Estland berichtet.
Georgios Toussas (GUE/NGL). – (EL) Bei dem Konflikt zwischen Estland und Russland geht es nicht um eine Bronzestatue, sondern um die beleidigende Neufassung der Geschichte. Dies ist eine Beleidigung für die Erinnerung an Millionen unbekannte Soldaten, die ihr Leben für die Zerschlagung des Faschismus ließen.
Die in der letzten Sitzung des Europäischen Parlaments in Brüssel geführte Aussprache und die Annahme der Entschließung, in der die Solidarität mit der estnischen Regierung zum Ausdruck gebracht wird, ist bewusste Politik, um die Neufassung der Geschichte und das Wiederaufleben des Faschismus im Baltikum und anderen Staaten zu unterstützen.
Wir haben wiederholt mit allseits bekannten Fakten belegt, dass in Estland, Lettland und Litauen seit 1991 systematisch der Versuch unternommen wird, die Kollaborateure der SS und des deutschen Faschismus zu rehabilitieren. Gleichzeitig begann man, Gedenkstätten der Roten Armee abzureißen. Im Juli 2004 wurde das Denkmal des estnischen Antifaschisten Lembit Pärn abgerissen und dafür ein Denkmal für den Kommandeur der Waffen-SS, Alfons Rebane, errichtet.
In Lettland wurde das Konzentrationslager Salaspils, in dem 100 000 Erwachsene und 4 000 Kinder ermordet wurden, von der Regierung in „Umerziehungs- und Arbeitslager“ umbenannt. In Rumänien wurde der Kollaborateur Nazideutschlands, Ministerpräsident Ion Antonescu, von der Anklage als Kriegsverbrecher freigesprochen.
Mörder und Folterknechte der Waffen-SS erhalten in den baltischen Staaten Pensionen und werden als Freiheitskämpfer angesehen. Der Rat schweigt zu all den von den Mitgliedern der Kommunistischen Partei Griechenlands im Europäischen Parlament vorgebrachten Anschuldigungen und Fragen.
Das überrascht uns ganz und gar nicht. Der Faschismus ist das reine Kind des Kapitalismus. Wir sind mit Putin nicht einverstanden, aber wir stellen uns die Frage, weshalb man, wenn man über 20 Millionen Tote einfach so auslöscht, so beleidigend ist und die Achtung internationaler Konventionen fordert?
Sie schreiben die Geschichte neu, aber die Fakten ändern sich dadurch nicht. Es ist eine historische Wahrheit, dass es die Rote Armee, mit den Kommunisten, der Sowjetunion, an der Spitze war, die den Faschismus in Ost- und Mitteleuropa vernichtete und die rote Flagge mit Hammer und Sichel auf dem Reichstag hisste.
Das war und ist noch immer ein ständiger Albtraum, der von der Niederlage derjenigen kündet, die von globaler Souveränität geträumt haben …
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Charles Tannock (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Russland wird sich leider nicht der neuen geopolitischen Realität bewusst, dass das so genannte benachbarte Ausland, in dem es den überwiegenden Teil des vergangenen Jahrhunderts die absolute Macht ausübte, der Vergangenheit angehört. Die baltischen Staaten sind nunmehr stolze, unabhängige EU-Mitgliedstaaten, und es ist richtig und angemessen, dass die EU und NATO, denen sie beigetreten sind, jetzt volle Solidarität bekunden, wenn Russland versucht, ihren kleinsten Mitgliedstaat – Estland – wegen einer inneren Angelegenheit dieser neuen unabhängigen Republik zu drangsalieren.
Viele mögen bezweifeln, ob die Umsetzung der Statue des so genannten sowjetischen Befreiers politisch weise war. Ich komme jedoch glücklicherweise aus einem Land, das niemals die brutale stalinistische Invasion und Annexion erlebt hat, wie es in diesen Ländern geschehen ist. Man muss anerkennen, dass die meisten Esten die Sowjets nicht als Befreier, sondern als Tyrannen ansehen, die die Unabhängigkeit und Freiheit, die sie in der Zeit zwischen den Kriegen genossen, ausgelöscht haben.
Die Verlegung der Statue und der gefallenen russischen Soldaten erfolgte im Einklang mit dem Völkerrecht. Sie rechtfertigte in keiner Weise die Duma-Resolutionen, in denen der Rücktritt der estnischen Regierung gefordert wurde, die sich anschließenden gewalttätigen Demonstrationen, die Datennetz-Angriffe auf Estlands ausgeklügeltes System des eGovernment und den beschämenden Einsatz von Naschi, einer extremen nationalistischen Organisation, bei der Schikanierung der estnischen Botschaft. Dies alles verstieß gegen die Wiener Konventionen und beruhte auf einer ähnlichen Strategie gegen den britischen Botschafter, Anthony Brenton, der an der Kundgebung mit Kasparow im letzten Jahr teilnahm.
Wenn Russland nach dem Gipfel gute Beziehungen mit der EU insgesamt wünscht und über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen verhandeln will, dann sollte es anerkennen, dass es alle EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen respektieren muss.
Die gemütlichen Tête-à-Têtes des früheren Kanzlers Schröder, den Präsident Putin nach seiner Verabschiedung jetzt mit einem bequemen Posten reich belohnt hat, sind endgültig vorbei. Die neuen EU-Führer wie Sarkozy und Merkel werden Russland künftig härter herannehmen.
(Beifall)
Katrin Saks (PSE). – (ET) Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen für ihre eindeutige Botschaft, dass Russland Estland nicht wie seine Provinz oder Teilrepublik behandeln darf.
Der Bronzesoldat war lediglich ein Vorwand. Hätte es ihn nicht gegeben, dann hätte man etwas Anderes gefunden, möglicherweise an einem anderen Ort. Hierbei handelte es sich um den Versuch, nicht nur Estland, sondern die Europäische Union zu spalten; um einen Versuch Russlands, Instabilität zu erzeugen, die eine stärkere Einmischung rechtfertigen und dazu beitragen würde, die Aufmerksamkeit von seinen eigenen abgebauten Denkmälern abzulenken.
Als ehemalige Bevölkerungsministerin, die auch für ethnische Angelegenheiten zuständig war, kann ich bestätigen, dass es sich hier nicht um einen ethnischen Konflikt handelte, das heißt, einen Konflikt zwischen Esten und Russen. Zwar haben wir in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Auffassungen von Geschichte und ihren Symbolen, doch ich kann Ihnen versichern, dass diese wenigen Tausend Jugendlichen, die hier randalierten, nicht die russische Minderheit in Estland vertreten. Die auf die Straße gingen, schrieen „Rossija, Rossija“, also „Russland, Russland“.
Wir sind stolz auf unsere Russen, die Estland als ihre Heimat ansehen, und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Frieden wiederherzustellen. Das, was gewesen ist, können wir nicht ändern, und es ist unwahrscheinlich, dass wir die Einstellung dazu verändern können, aber wir können eine gemeinsame Vision der Zukunft entwickeln. Ein großer Teil der Bevölkerung steht heute auf dem Standpunkt: „unterschiedliche Vergangenheit, gemeinsame Zukunft“.
Henrik Lax (ALDE). – (SV) Die Unruhen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Bronzesoldaten in Tallinn waren ein Schock für alle, die sich für die Integration der russischsprachigen Bevölkerung in die estnische Gesellschaft und die Stärkung des Zusammenhalts zwischen den Bevölkerungsgruppen in Estland einsetzen. Estland braucht jetzt alle Unterstützung und Solidarität seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten, um sich von diesem Rückschlag zu erholen, die Beziehungen zwischen den Sprachgruppen des Landes harmonischer zu gestalten und die gesamte Gesellschaft zu stabilisieren. Estland darf keinem unzulässigen Druck und keiner Einmischung seitens Russlands ausgesetzt werden. Das ist wichtig für die gesamte Europäische Union.
Estland hat stolze Traditionen und alle Voraussetzungen für einen Erfolg. Schon 1920 erhielt die russischsprachige Minderheit eine starke Stellung in der ersten Verfassung Estlands. Ein wichtiger Schritt wäre jetzt die Einführung eines estnischen Fernsehkanals in russischer Sprache. Gegenwärtig erhalten zu viele russischsprachige Esten einseitige Informationen aus Russland.
Wojciech Roszkowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Gestatten Sie eine breitere Sicht auf dieses Problem. Der vor kurzem abgehaltene EU-Russland-Gipfel in Samara hat zu einer Veränderung in unseren gegenseitigen Beziehungen geführt, weil die innerhalb der Union vorhandene Solidarität für die neuen Mitgliedstaaten offenkundig wurde. Dank gebührt der Ratspräsidentin und dem Präsidenten der Kommission.
Es mag enttäuschend erscheinen, dass in den Gesprächen kein Fortschritt erzielt wurde. Ungeachtet dessen sollte der Samara-Gipfel in einem positiven Licht gesehen werden. Dies, weil die Entwicklung von Beziehungen zwischen der Union und Russland davon abhängig gemacht wird, dass Russland die Souveränität einzelner Mitgliedstaaten der Union respektiert und eine Taktik aufgibt, durch die mit wirtschaftlichen Instrumenten oder unter Nutzung der Informationstechnologie politischer Druck ausgeübt wird.
Leider nehmen sich die russischen Behörden das nicht zu Herzen. Die Cyber-Attacken auf Estland sind nicht zu Ende, und das Embargo gegen polnisches Fleisch besteht immer noch. Die von den Mördern von Alexander Litvinienko hinterlassene Spur führt nach Moskau. Alles, was die Union tun kann, ist, den Druck beizubehalten.
Wir können nicht versuchen, das heutige Russland zu verstehen, ohne dessen Haltung zur Vergangenheit zu berücksichtigen. Als eine Voraussetzung für lang andauernde und konstruktive Beziehungen zu Russland muss die Union eine gemeinsame Sicht auf diese Vergangenheit gewinnen. Dessen eingedenk wäre es hilfreich, eine Art ’Charta der Wahrheit und Aussöhnung’ zu schaffen.
Anna Ibrisagic (PPE-DE). – (SV) Ich glaube, wir wissen alle genau, was seit April dieses Jahres in Tallinn geschehen ist, bin mir aber nicht sicher, dass auch jeder versteht, was das bedeutet. Die bisher in diesem Hause geführten Diskussionen zu diesem Thema deuten darauf hin, dass nicht alle verstehen, warum es so starke Reaktionen gab. Lassen Sie mich deshalb einiges dazu erklären.
Bereits bei seiner Ernennung zum Präsidenten deutete Putin an, er würde alles tun, um Russland seine frühere militärische Stärke wiederzugeben sowie die Macht, die das Land seiner Ansicht nach verdient. Wenn ich mich recht erinnere, hat nur eine einzige Zeitung – eine französische – diese Signale aus Russland sofort erfasst. Die übrigen Medien erkannten sie nicht. Wir, die wir Russisch sprechen und in der Nähe oder unter der Herrschaft Russlands gelebt haben, haben diese Signale jedoch verstanden. Im Laufe der Jahre ist allerdings immer deutlicher geworden, dass die Entwicklung in Russland in die falsche Richtung geht, sowohl was die Menschenrechte betrifft als auch die Unabhängigkeit der Medien und die politische Freiheit. Otto von Habsburg, einer der meistgeachteten politischen Köpfe Europas hat dies als einen Weg zurück zur Stalinzeit beschrieben. Er ist heute 95 Jahre alt und sieht die Dinge im richtigen Verhältnis; und er erinnert sich daran, während andere wohl zu vergessen scheinen. Auch im Europäischen Parlament gibt es Abgeordnete, die offenkundig die Prüfungen vergessen haben, die die osteuropäischen Staaten auf ihrem Weg zu Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bestehen mussten. Alle Drohungen und Boykotte, Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder und Erpressungen mit ausbleibenden Energielieferungen scheinen vergessen zu sein. Einige dieser Vorgänge sind erst vor kurzem geschehen oder finden gerade jetzt in einigen der Länder statt, die ich als das neue Europa bezeichnen möchte.
Einige Leute aus dem alten Europa scheinen ihre historische Lektion vergessen zu haben: dass wir den Frieden nur durch eine gemeinsame Außenpolitik, durch Solidarität und mit einer Stimme verteidigen können. Es geht hier nicht um ein Denkmal in Tallinn und auch nicht um Estland. Die Debatte dreht sich um Europa und Europas Souveränität und Unabhängigkeit.
Roberts Zīle (UEN). – (LV) Herr Präsident, Frau Ferrero-Waldner! Zunächst möchte ich Herrn Barroso dafür danken, dass er in Samara zum Ausdruck gebracht hat, dass jedes Problem, das ein Mitgliedstaat, sei er auch noch so klein, mit Russland hat, auch ein Problem der Europäischen Union mit Russland ist. Das war eine wohltuende Unterstützung der Mitgliedstaaten, der neuen EU-Mitglieder und insbesondere Estlands. Aber die Politiker, die ihre rosarote Brille in Bezug auf die Beziehungen zu Russland jetzt verloren haben, müssen verstehen, dass Russland auch weiterhin versuchen wird, zu beweisen, dass für Russland noch immer das alte Europa und die Territorien in seiner Grenznähe existieren, die seiner Ansicht nach infolge verschiedener Ereignisse zeitweise und versehentlich Teil der Europäischen Union geworden sind. Gleichzeitig wird es neue Bewährungsproben für die Einheit der Europäischen Union geben sowie Tests neuer virtueller Waffen, die in einer modernen Gesellschaft großen Schaden anrichten können. Es stellt sich also die Frage, ob die Europäische Union abwarten will, bis sie weitere Probleme mit Ex-Ostblock-Mitgliedstaaten bekommt, oder ob sie in der Lage sein wird, Russland die Anforderungen klarzumachen, die jeder Staat als demokratisches und angehendes Mitglied einer Partnerschaft erfüllen muss. Vielen Dank!
Ģirts Valdis Kristovskis, (UEN). – (LV) Frau Ferrero-Waldner! Meine Damen und Herren! Für Europa ist es von besonderer Bedeutung, nicht nur Solidarität zu zeigen, sondern auch die tatsächlichen Hintergründe der Konflikte in Estland anzuerkennen. Europa darf nicht vergessen, dass in Estland die westliche Demokratie und die alten totalitären sowjetischen Ideologien aufeinander geprallt sind. In Anerkennung dessen muss Europa die historischen Interpretationen der totalitären UdSSR-Ära auf das Schärfste ablehnen. Europa muss die Entfernung von UdSSR-Symbolen begrüßen, die die Bevölkerung von durch die Sowjetunion versklavten Nationen beleidigen. Europa muss sich an der Erneuerung der historischen Wahrheit über die Okkupation der baltischen Staaten und anderer osteuropäischer Länder beteiligen. Das wäre eine gute Voraussetzung für die Aussöhnung der Vertreter unterschiedlicher Ideologien und für die zukünftige Integration in den ehemals okkupierten sowjetischen Territorien. Dies ist auch ein gemeinsames Problem für ganz Europa. Ich möchte dabei insbesondere unterstreichen, dass sich das Europäische Parlament von jetzt an aktiv am Erreichen dieser Ziele der Wahrheit und der Rechtsstaatlichkeit beteiligen sollte. Vielen Dank!
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Diese Aussprache hat ganz klar erwiesen, dass das wichtigste Wort „Solidarität“ ist. Ich möchte den Abgeordneten für ihre Dankesworte danken.
Insbesondere Herr Barroso hätte sich hierzu nicht klarer äußern können. Viele von Ihnen wissen, was er gesagt hat. Es ging ihm darum, dass Aggressionen gegen einen Mitgliedstaat – in diesem Fall Estland – eine Aggression gegen die ganze Europäische Union bedeuten. Das war eine sehr starke Aussage, die auch aufzeigte, dass eine Politik des divide et impera nicht funktionieren kann, wenn Europa mit einer Stimme spricht.
Dies waren die wichtigsten Themen und Lektionen aus diesen Verfahren. Diese Fragen haben sehr viel Zeit in unserer Aussprache beansprucht. Wir haben immer wieder betont, dass wir als eine EU aus 27 Mitgliedstaaten agieren und dass die Solidarität beibehalten wird.
In Sachen WTO-Beitritt haben beide Seiten in Samara anerkannt, dass unsere wirtschaftlichen und Handelsverbindungen stärker und intensiver denn je sind, und es war ermutigend, von russischer Seite zu hören, dass sie den Beitrittsprozess zur WTO beschleunigen will. Ermutigend daher, weil wir daran interessiert sind, Russland in ein auf festen Regeln beruhendes System einzubinden, in dem es zur Rechenschaft gezogen werden kann. Das ist äußerst wichtig.
Was die Angriffe auf das Datennetz betrifft, so sollte sich der Rat jetzt mit der Mitteilung der Kommission auseinandersetzen, der wir einen konkreten Absatz zum Datennetz-Terrorismus hinzugefügt haben. Ich sehe, dass in diesem Hohen Hause generell große Einigkeit darüber herrscht, wie wichtig es ist, uns solidarisch zu engagieren.
(Beifall)
Der Präsident. Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sieben Entschließungsanträge eingereicht(1).
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 24. Mai, statt.
Der Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Elmar Brok im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Jahresbericht des Rates an das Europäische Parlament über die Hauptaspekte und grundlegenden Optionen der GASP, einschließlich der finanziellen Auswirkungen für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union – 2005 (2006/2217(INI)) (A6-0130/2007).
Elmar Brok (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, Kolleginnen und Kollegen! Den Jahresbericht des Rates zur GASP diskutieren wir heute ohne den Rat. Umso mehr bedanke ich mich bei der Kommission und bei Frau Kommissarin, dass sie heute hier ist. Es wirft auch ein deutliches Licht auf das Europäische Parlament, dass es diesen einzigen formalen Bericht, den wir im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik vorlegen, in der Nachtsitzung behandelt.
Ich glaube, dass in den vergangenen Jahren und gerade in dem Zeitraum, den wir hier zu beobachten haben, die Zusammenarbeit mit der Kommission im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik und in vielen Bereichen auch mit dem Rat außerordentlich positiv war.
Wir haben in diesen Zeiten erhebliche Fortschritte in der Entwicklung der Nachbarschaftspolitik und in der Politik im Zusammenhang mit dem Balkan erreicht, wir sind auch in zunehmendem Umfang in der Lage, uns im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu positionieren, die Europäische Union übernimmt heute ein Maß an Aufgaben, das vor zehn Jahren, vor fünf Jahren fast nicht vorstellbar gewesen ist. Dass aus diesem Grunde heute die Europäische Union – sei es im Nahen Osten oder sei es in der Iran-Frage – erstmalig in der Lage war, auch andere Länder in unsere Strategie der Kombination von Prävention, zivilem Krisenmanagement und militärischen Fähigkeiten einzubringen und nicht alleine auf militärische Fähigkeiten zu setzen, also die Idee des soft power der Europäischen Union auch stärker zu einer Politik im weltweiten Maßstab zu machen, müssen wir als Erfolg sehen.
Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, ob wir in der Lage sind, mit den Fortschritten, die wir erreicht haben, den Herausforderungen vollständig zu begegnen. Erlauben Sie mir deswegen an dieser Stelle die Bemerkung, dass die Verwirklichung des Verfassungsvertrages gerade in den Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik von essenzieller, wenn nicht gar existenzieller Bedeutung ist. Aus diesem Grunde heraus müssen wir gerade in dieser Frage und in diesen Tagen und Wochen, wo wir auf die nächste Regierungskonferenz zusteuern, deutlich machen, dass dies einer der unverzichtbaren Bestandteile des Verfassungsvertrages ist, denn wir müssen unsere Fähigkeiten kohärenter gestalten, was ja auch von der Kommission so gesehen wird.
Ich finde es wichtig, dass wir auch im Vorgriff darauf manche Maßnahmen wahrnehmen. Ich möchte die Kommission beispielsweise ermutigen, den Ausbau ihrer Delegationen, die wir in 120 Ländern haben, so zu forcieren, dass sie im Vorgriff auf den Auswärtigen Dienst, der nach dem Verfassungsvertrag vorgesehen ist, auch von den anderen Institutionen schon genutzt werden können. Da der Rat ja hier nicht vertreten ist und nicht mithören kann, kann ich sagen, diese wäre auch eine hervorragende Gelegenheit zu beweisen, dass ein solcher Auswärtiger Dienst auch in Zukunft unter die Zuständigkeit der Kommission fallen sollte, und dass wir keine unabhängige Institution brauchen. Wenn wir in dieser Frage jetzt schon eine entsprechende vernünftige Praxis im Sinne vollendeter Tatsachen verfolgen, werden wir ein umso höheres Maß an Handelsfähigkeit besitzen.
Die Europäische Union ist in 120 Ländern durch Delegationen der Kommission vertreten. Sie ist mit 20% des Welthandels die weltweit größte Handelsmacht. Wir haben ein Bruttosozialprodukt, das zwar nicht pro Kopf, aber insgesamt höher ist als das der Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn es uns gelingt, dies in eine politische Sprache umzusetzen, und zwar eben im Sinne einer solchen nicht nur auf militärische Gewalt, sondern auf soft power angelegten Position, dann können wir in der Lage sein, das transatlantische Bündnis handlungsfähig zu machen – und zwar auf Augenhöhe – und auf diese Art und Weise gleichberechtigt Einfluss ausüben, wie das jüngst mit dem Transatlantischen Wirtschaftsabkommen der Fall war, das für uns einen wichtigen Fortschritt in der Fortsetzung der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten bedeutet, die auch in Zukunft unser Bündnispartner sind. Es kann von unserer Seite her keine Äquidistanz zu Russland und Amerika geben, sondern die USA sind den Werten nach unser erster Partner. Das muss in einem solchen Zusammenhang klar gemacht werden, damit in einer solchen Frage keine Missverständnisse aufkommen.
(Beifall)
Ob man gerade mit der aktuellen Regierungspolitik einverstanden ist, ist in einem solchen Zusammenhang Nebensache.
Wir müssen aber gleichzeitig sehen, dass wir diesen Einfluss nur erreichen können, wenn wir auch gemeinsam handeln. Solidarität bedeutet, dass wir nach außen solidarisch sind. Ich möchte dem Ratspräsidenten und der deutschen Ratspräsidentschaft insgesamt dafür danken, dass sie das in Samara gemeinsam mit der Kommission bewiesen hat. Hier hat man wirklich nichts anbrennen lassen und deutlich gemacht, dass man sich nicht hat auseinander dividieren lassen. Wir dürfen uns von Amerika nicht in ein altes und ein neues Europa auseinander dividieren lassen. Wir dürfen aber auch nicht zulassen, dass der Nachbar im Osten meint, es gebe unterschiedliche Regionen von Sicherheitsqualität und in bestimmten Regionen habe man mehr Einfluss als in anderen. Jeder Staat in Europa und in der Welt muss frei sein, seine Entscheidung zu treffen, welchem Bündnis und welcher Gemeinschaft er angehört, und kein Nachbar – so groß er auch sein mag – darf mit seinem Einfluss versuchen, dies zu ändern. Dies ist ein Kernpunkt des Helsinki-Vertrages von 1975, nämlich dass jedes Land eigenständig die Entscheidung trifft, welcher Gemeinschaft es angehören will. Dennoch müssen wir sehen, dass dieser große Nachbar im Energiebereich und auch wegen anderer Fragen für uns wichtig ist. Deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass die strategische Partnerschaft mit Russland ausgebaut werden muss, weil es mir lieber wäre, dass ein solches demokratisches Russland auf unserer Seite steht und nicht auf der Seite des Iran.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. Herr Präsident, verehrte Damen und Herren Abgeordneten! Ich begrüße die Gelegenheit, mit Ihnen allen den Bericht von Elmar Brok zu diskutieren, auch wenn dies zu nachtschlafenden Stunden geschieht.
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist ein entscheidendes Element der EU-Außenpolitik, bei dem die Kommission gemäß den Verträgen vollständig eingebunden wird. Wir nehmen an der Diskussion in allen relevanten Ratsgremien teil. Wir sind ein ständiges Mitglied der Troika. Wir verwalten und implementieren den GASP-Haushalt. Wir tragen durch die gesamten Maßnahmen im Rahmen der ersten Säule auch zu den außenpolitischen Zielen der Europäischen Union bei. Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, dass die Union über eine vollständig abgestimmte Außenpolitik verfügt, die sowohl die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als auch die Dimension der Gemeinschaft und damit die Maßnahmen der Mitgliedstaaten einbezieht. Wir wollen sozusagen wie die Zahnräder in einem wohlgeölten Getriebe sein.
Lassen Sie mich kurz einige der Themen dieses sehr umfangreichen Berichts aufgreifen:
Im Hinblick auf die außenpolitischen Aspekte des Verfassungsvertrags bin ich ebenfalls der Auffassung, dass deren Umsetzung die Effizienz, Kohärenz und Sichtbarkeit der GASP vergrößern würde. Jedoch sollten wir daraus nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass die Dinge in der Zwischenzeit nicht verbessert werden könnten oder auch verbessert wurden.
Was in diesem Zusammenhang zählt, sind die Entwicklungen und Ergebnisse vor Ort, und hier hat es erhebliche Verbesserungen gegeben. Erst vor kurzem konnten wir uns von einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Rat, Mitgliedstaaten und Kommission überzeugen, wie bei der Abstimmung unserer jeweiligen Handlungen und Maßnahmen bei den Vorbereitungen auf eine Lösung im Hinblick auf den Status des Kosovo, bei der Verstärkung unserer Bemühungen, durch Maßnahmen in den Bereichen Polizei und Justiz die Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan zu fördern, Polizeiarbeit fällt in die Zuständigkeit des Rates und des Ratssekretariats, wir übernehmen den Justizbereich, militärische Mittel werden im Rahmen der NATO angewandt. Weitere Beispiele sind die Unterstützung des Nahostfriedensprozesses (EU-Mission zur Unterstützung des Grenzschutzes am Grenzübergang Rafah), die Förderung der Reform des Sicherheitssektors in der Demokratischen Republik Kongo oder auch die Finanzierung der friedenserhaltenden Operationen in Somalia oder dem Sudan durch die Afrika-Friedensfazilität oder der Beobachtungs- und Überwachungseinsatz in Aceh.
All diese kostenintensiven, aber politisch sehr wichtigen Unternehmungen machen es notwendig, dass wir die erforderlichen Ressourcen sowohl aus dem Haushalt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als auch der Gemeinschaftsinstrumente, einschließlich des neuen Stabilitätsinstrumentes, in Anspruch nehmen, um unsere Ziele zu erreichen. Ich möchte hinzufügen, dass sich hier vor allem das Stabilitätsinstrument bereits jetzt als ein sehr flexibles Instrument erweist, das es uns ermöglicht, auf Krisen schnell zu reagieren und die erforderlichen Kapazitäten aufzubauen.
Indem wir in Krisensituationen und bei anderen außenpolitischen Herausforderungen zusammenarbeiten, ebnen wir eigentlich schon den Weg zur Umsetzung der außenpolitischen Bestimmungen des Verfassungsvertrags. Damit stärken wir auch die Rolle der Europäischen Union in der Welt, was von EU-Bürgern gewünscht und richtigerweise im Bericht hervorgehoben wird.
In der EU-Außenpolitik spielt auch das Europäische Parlament eine ganz besondere Rolle. Daher messe ich unserem regelmäßigen Austausch mit Ihnen – sei es in Plenar- oder in Ausschusssitzungen – großen Wert bei. Wir sollten dabei immer unsere gemeinsame Herausforderung im Auge behalten, die darin besteht, die Gesamtwirksamkeit unseres Einflusses in der Welt zu erhöhen.
Wie der Bericht mit Recht unterstreicht, ist ebenfalls von Bedeutung, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch angemessen finanziert wird. Die Geldmittel wurden für die neue Finanzperiode daher auch beträchtlich aufgestockt, insbesondere im Vergleich zu anderen politischen Bereichen. Was den Haushalt für 2007 betrifft, so wissen wir alle, dass 2007 hinsichtlich der haushaltspolitischen Anforderungen ein außergewöhnliches Jahr werden wird. Die zwei wichtigsten Herausforderungen sind sicherlich das Kosovo und der Friedensprozess im Nahen Osten. Im Kosovo wird, sobald es uns gelingt, einen endgültigen Status zu vereinbaren und eine Entschließung des UN-Sicherheitsrates in New York angenommen wird, eine große, vielleicht die größte zivile ESVP-Operation gestartet werden, an deren Vorbereitung die Kommission und der Rat bereits intensiv arbeiten. Was den Friedensprozess im Nahen Osten betrifft, so müssen wir sicherstellen, dass die Unterstützung für die palästinensische Bevölkerung aufrechterhalten wird.
Falls zusätzliche Ressourcen für den GASP-Haushalt gebraucht werden, müssen wir gemeinsam mit dem Parlament eine geeignete Lösung suchen, und zwar unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, im Notfall auch auf unvorhergesehene Krisen in anderen außenpolitischen Bereichen zu können.
Ich könnte jetzt die einzelnen Themen erläutern, aber ich glaube, in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich hier vorläufig abbreche und nach der Debatte vielleicht die eine oder andere Einzelfrage beantworte.
Αntonis Samaras (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – (EL) Herr Präsident! Als Mitglied des Haushaltsausschusses möchte ich unsere Genugtuung angesichts der Aufstockung des Kapitels Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit fast 1,8 Milliarden Euro für den Zeitraum 2007-2013 zum Ausdruck bringen. Das stellt nahezu eine Verdreifachung der Mittel der vergangenen sieben Jahre dar.
Allerdings sind wir der Meinung, dass aus genau diesem Grunde diese positive Entwicklung mit strengeren Maßnahmen der parlamentarischen Kontrolle und einer besseren Zusammenarbeit zwischen unserem Ausschuss und dem Rat einhergehen muss, so wie es in Artikel 28 EU-Vertrag vorgesehen ist. Daher muss ich das ungerechtfertigte Fehlen des Rates am heutigen Abend verurteilen, weil das für uns eine äußerst negative Botschaft ist.
Unsere Position ist eindeutig: Wir können Jahresberichte des Rates, die sich lediglich auf eine Ex-post-Beschreibung der GASP-Aktivitäten beschränken, nicht akzeptieren. Mit der Unterzeichnung der neuen interinstitutionellen Vereinbarung ist jetzt der Moment für den Rat gekommen, dass er uns zu informieren hat, bevor er seine endgültigen Entscheidungen trifft.
Eine solche wesentliche Information zu Finanzierungsfragen erhielten wir erst kürzlich zum Kosovo vom zuständigen deutschen Botschafter, und ich möchte die Initiative des betreffenden Botschafters ausdrücklich begrüßen, in der Hoffnung, dass bessere Informationen dieser Art nunmehr regelmäßig gegeben werden.
Noch zwei weitere Punkte: Wir sind besorgt darüber, dass es bisher fast unmöglich war, so genannte gemischte Aktionen der GASP zu bewerten, die Ausgaben erfordern, die sich sowohl aus zivilen Maßnahmen als auch aus Aktionen militärischen und verteidigungspolitischen Charakters zusammensetzen. Zweitens möchte ich betonen, dass wir es als notwendig erachten, dass die Sonderbeauftragten der Europäischen Union unter den GASP-Haushalt fallen. Daher ist es erforderlich, Kriterien für ihre Ernennung und Bewertung festzulegen.
Bogdan Klich, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Der Bericht von Herrn Brok betrifft das Jahr 2005, aber wir sind ja heute offenbar hier, um die Zukunft der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) zu diskutieren. Welche Gestalt wird sie annehmen?
Soll die Europäische Union zu einer aktiven Kraft für internationalen Frieden, Stabilisierung und Sicherheit werden, dann muss sie natürlich die entsprechenden Instrumente in Form geeigneter politischer und sozialer Institutionen zu ihrer Verfügung haben. Diesen Instrumenten liegen stets der politische Wille der Mitgliedstaaten oder bei dessen Ermangelung jeder andere Wille zugrunde. Ob wir jetzt oder in der Zukunft mehr Europa haben oder nicht, wird vom Willen der politischen Führer Europas abhängen. In ähnlicher Weise liegt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der politische Wille unserer Führer zugrunde. Welchen Herausforderungen sehen sich also unsere Führer im Kontext der GASP und der ESVP gegenübergestellt?
Erstens glaube ich, dass ungeachtet des Ausgangs der Reform der Verträge mit der Behandlung der Bestimmungen des Verfassungsvertrags, die direkt oder indirekt mit der GASP verknüpft sind, als Teil des Reformprozesses begonnen werden sollte. Die Europäische Union sollte dann den Charakter einer Rechtspersönlichkeit erhalten und ihre auf Säulen ruhende Struktur aufgeben. Eine neue Körperschaft würde geschaffen werden, der so genannte Europäische Minister für Auswärtige Angelegenheiten, und ein Europäischer Dienst für Auswärtiges Handeln sollte eingerichtet werden.
Das allgemeine Prinzip der Einstimmigkeit im Bereich der GASP sollte beibehalten werden, wobei der Rahmen für Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit auch vergrößert werden sollte.
Wichtig ist es, eine Solidaritätsklausel einzuführen, die im Falle terroristischer Bedrohungen oder Handlungen Anwendung finden würde, und das Prinzip gegenseitiger Unterstützung in Fällen bewaffneter Aggression auf dem Territorium eines jeden Mitgliedstaates (das im Artikel 1(41) des Verfassungsvertrages verankerte Prinzip) beizubehalten.
Darüber hinaus ist es für die strukturelle Zusammenarbeit wesentlich, im Rahmen von Missionen zu verbleiben, während gleichzeitig deren exklusiver Charakter aufgehoben wird. Eine umfassendere Liste der Petersberg-Aufgaben sollte in den Vertrag ebenfalls aufgenommen werden. Die Europäische Verteidigungsagentur sollte vertraglich gestärkt werden.
Zweitens: Die Effektivität von Friedensmissionen sollte sichergestellt werden. Ich beziehe mich nicht nur auf die gegenwärtig laufenden Missionen in Bosnien und im Libanon, sondern auch auf die kommende Mission im Kosovo.
Schließlich sollte eine Klausel zur Energiesolidarität in den neuen Vertrag aufgenommen werden. Das wäre eine passende Antwort auf die Bedrohungen der Energiesicherheit, die eine immer stärkere Wirkung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern haben.
Helmut Kuhne, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Herr Berichterstatter, wir Sozialdemokraten unterstützen Ihren Bericht, obwohl es zu einigen Punkten konkreter politischer Maßnahmen unterschiedliche Auffassungen gibt. Wir sind zum Beispiel der Meinung, dass man aussprechen sollte, dass es ob der geplanten Stationierung des amerikanischen Raketenabwehrsystems in einigen Staaten der Europäischen Union Besorgnisse und Befürchtungen gibt, dass daraus eine neue Runde des Wettrüstens wird. Als Sozialdemokraten sind wir übrigens äußerst erfreut festzustellen, dass teilweise die gleichen Fragen, die wir an dieses System haben, mittlerweile auch im Repräsentantenhaus des US-Kongresses gestellt werden.
Aber warum unterstützen wir Ihren Bericht? Wir unterstützen ihn, weil er in einer ganz konkreten Situation vorgelegt wird und im Ausschuss auch eine breite Mehrheit gefunden hat, und diese konkrete Situation ist die Schlussgerade zur Schaffung einer neuen vertraglichen Grundlage für die Europäische Union und für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wir als Sozialdemokraten wollen diesen Fortschritt. Wenn Sie mir diese kleine Gemeinheit gestatten: Wir werden ihn möglicherweise morgen mit einer größeren Geschlossenheit unterstützen, als es Teile Ihrer eigenen Fraktion tun werden.
In dem Zusammenhang sollte man auch noch ansprechen, worum es geht. Sie haben es zu Recht angesprochen, und ich will es auch noch einmal unterstreichen. Uns, die wir hier sitzen, wird es nicht mehr betreffen. Aber es kann möglicherweise unsere Enkel betreffen. Sie werden irgendwann einmal in den Geschichtsbüchern lesen: Im Jahr 2007 hatten die Europäer noch einmal die Chance, die Geschicke der Welt mitzubestimmen. Sie haben diese Chance verspielt, anschließend wurde der Einfluss in der Welt zwischen den Verreinigten Staaten und China aufgeteilt.
Damit diese Entwicklung nicht eintritt, ist es notwendig, dass dieses Europäische Parlament in der konkreten Situation den Bericht unterstützt, die Maßnahmen unterstützt. Viele von ihnen hat Herr Klich aufgezählt. Ich schließe mich dieser Aufzählung an. Dies sollte morgen die gemeinsame Position der breiten Mehrheit dieses Parlaments werden.
Cem Özdemir, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie werden sich wahrscheinlich wundern, dass auch meine Fraktion, die Grünen im Europäischen Parlament, den Bericht Brok nicht nur begrüßt, sondern ausdrücklich unterstützt. Ich habe mit Interesse und Freude die neu entdeckte Leidenschaft des Kollegen Brok für die soft power wahrgenommen. Auch das kann ich nur ausdrücklich begrüßen, und ich bin schon gespannt darauf, inwiefern er das auf die Erweiterungspolitik der Europäischen Union im Hinblick auf den westlichen Balkan, aber auch auf die Türkei umsetzt. Ich will das hier nicht vertiefen. Was sicherlich nicht weiter angehen kann, ist der Umgang des Rates mit dem Europäischen Parlament im Bereich der GASP und der ESVP. Wir werden je nach Gusto und je nach dem, wie die Lage einzuschätzen ist, irgendwann im Nachhinein informiert. Das wird zu Recht kritisiert und muss geändert werden. Aber auch das, was bislang als Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik firmiert, verdient oft nicht den Namen, der damit einhergeht.
Ich will versuchen, das am Beispiel Kosovo konkret darzustellen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben in den vergangenen Jahren viele Soldaten, Helfer und Geld in die Krisenregion geschickt und planen jetzt eine breite Beteiligung an der Polizei sowie zivilen Präsenz. Wenn man die Qualität, aber auch die Quantität unserer gemeinsamen Leistungen betrachtet, könnte man meinen, dass die Europäische Union eine klare, einheitliche und gemeinsame Kosovo-Politik verfolgt. Die Realität ist allerdings – wie wir alle wissen – anders, obwohl die Angelegenheit bereits im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen behandelt wird. Auch hier stellt sich die Frage: Müssen wir wieder darauf warten, dass die Amerikaner einschreiten, oder sind wir selbst in der Lage, das Problem zu lösen?
Tobias Pflüger, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Ich will heute einmal mit den Punkten anfangen, bei denen wir uns einig sind. Der Zeitpunkt der Debatte ist eine Zumutung. Dazu ist das Thema tatsächlich viel zu wichtig, und – das wird in dem Bericht überraschend deutlich formuliert – eine reale parlamentarische Kontrolle der Militärpolitik der Europäischen Union gibt es nicht. An mehreren Punkten – 41, 42 und 43 – wird dies sehr klar beschrieben.
Der Rat sollte endlich zur Kenntnis nehmen, dass sich das Europäische Parlament an diesem Punkt tatsächlich völlig einig ist: Wir wollen eine parlamentarische Kontrolle, und wir wollen, dass das Europäische Parlament auch in Entscheidungen im Bereich der Militärpolitik eingebunden wird.
Aber damit das Ganze hier nicht zu einer Konsenssoße wird, nenne ich jetzt vor allem die Punkte, in denen wir nicht übereinstimmen. Der Kernpunkt ist tatsächlich das, was Elmar Brok vorhin angesprochen hat, nämlich der Verfassungsvertrag. Wie schon die Kommissarin beschrieben hat, wird der Verfassungsvertrag tatsächlich wesentliche „Fortschritte“ für den Bereich der Militärpolitik bringen. Genau das ist einer der Gründe, warum wir diesen Verfassungsvertrag ablehnen. Wir hoffen, dass genau solche Passagen wie etwa Artikel I-41 Absatz 3 in diesem jetzt geplanten Grundlagenvertrag eben nicht mehr auftauchen. Ich bin da nicht sehr zuversichtlich. Es sieht ganz danach aus, als solle der praktisch gleiche Vertrag nicht mehr Verfassungsvertrag genannt werden, sondern in anderer Form durch die verschiedenen Regierungen verabschiedet werden.
Ich will zu einigen Punkten innerhalb dieses Berichts etwas sagen. Es wird sehr deutlich formuliert, dass die strukturelle Zusammenarbeit zentral sei. Sie ist tatsächlich zentral, wenn man eine Militärmacht Europäische Union will. Wir wollen das nicht, also wollen wir diese strukturierte Zusammenarbeit nicht. Und es wird sehr deutlich der Athena-Mechanismus formuliert, mit dem über Tricks Militäreinsätze der Europäischen Union finanziert werden. Zum Beispiel werden Militäreinsätze auch über so genannte Rückflüsse aus dem Europäischen Entwicklungsfonds finanziert. Das halten wir für einen Skandal. Hier ist tatsächlich notwendig, dass diese Trickserei aufhört und dass die Europäische Union keine Militärmacht wird.
Gerard Batten, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! In diesem Bericht wird ein EU-Außenminister, eine gemeinsame Außenpolitik, ein gemeinsamer EU-Sitz im UN-Sicherheitsrat und vieles mehr gefordert, sowie natürlich die allzu vorhersehbare volle Ratifizierung der abgelehnten europäischen Verfassung, um alles umsetzen zu können. Was mich am meisten belustigte, waren die Abschnitte, in denen eine Außenpolitik gefordert wurde, die von einer qualifizierten Mehrheit bestimmt werden soll, sowie nationale Sicherheitsdienste, die einer demokratischen Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen sollen.
Das alles basiert auf der Rechtfertigung, dass dies die Wünsche der europäischen Menschen reflektiert, die sie an die Europäische Union haben. Ich weiß nicht, mit welchen Menschen Herr Brok gesprochen hat, aber es waren sicherlich keine Briten. Der Gedanke, dass sie die Kontrolle über ihre Außenpolitik, ihre Verteidigung und ihre Sicherheitsdienste an die Europäische Union abgeben wollen, ist lächerlich. Beängstigend ist jedoch, dass Herr Brok es ernst meint.
Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – La numai două săptămâni de la serbarea zilei Europei, la 9 mai, dezbaterea pe marginea raportului domnului Elmar Brok, consacrat politicii europene de securitate comună, este actuală şi necesară. Îi mulţumesc în acest sens raportorului pentru abordarea cuprinzătoare a acestei tematici, indisolubil legate de prezentul şi viitorul Uniunii Europene, precum şi pentru stabilirea, în interiorul raportului, a unor priorităţi necesare unei acţiuni eficiente în contextul european şi internaţional de astăzi.
În calitatea mea de raportor la subiectul cooperării cu şi în cadrul Mării Negre, am apreciat în primul rând poziţionarea tematicii consolidării relaţiei Uniunii Europene cu ţările acestei zone ca o prioritate pentru anul 2007. Nu mai puţin importantă este şi sublinierea necesităţii de a dezvolta dimensiunea cooperării regionale în cadrul politicii externe a Uniunii. Regiunea Mării Negre dispune, fără îndoială, de un potenţial bogat de dezvoltare; în egală măsură, ţările din zonă se confruntă şi cu provocări serioase în mai multe domenii. Stabilitatea, dezvoltarea şi prosperitatea în zona de vecinătate a Uniunii Europene, consolidarea relaţiilor Uniunii Europene cu ţările acestei regiuni, precum şi încurajarea cooperării intra-regionale este, în acest context, de o importanţă majoră. Reunind în cadrul său state membre ale Uniunii Europene şi vecini ai acesteia, regiunea Mării Negre poate şi trebuie să devină un spaţiu al cooperării pe baza valorilor şi principiilor europene. Trebuie însă să trecem de la vorbe la fapte, din plan teoretic în cel al măsurilor concrete şi eficiente, care să demonstreze implicarea Uniunii Europene în această regiune.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Meine Damen und Herren! Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehen sich die europäischen Länder vor eine ganze Reihe neuer Herausforderungen gestellt. Dazu gehören die Globalisierung, der internationale Terrorismus, die Waffenkontrolle und Abrüstung, das Verbot der Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen, die unkontrollierte Migration, die Energieabhängigkeit und die Energiesicherheit, der Klimawandel, die Verhinderung der Ausbreitung der Armut in der Welt und viele weitere Fragen. All das sind Probleme und Themen, die alle europäischen Länder ungeachtet ihrer Größe und geografischen Lage betreffen. All das sind Herausforderungen, Probleme und Themen, die kein europäisches Land, auch das größte nicht, alleine lösen oder bewältigen kann.
Aus diesem Grunde brauchen wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, und wir müssen sie verstärken, zumindest in dem im Verfassungsvertrag vorgeschlagenen Maße. Vor allem müssen wir das Amt des europäischen Außenministers schaffen, bei dem es sich um ein Kommissionsmitglied handelt, das dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten vorsteht. Auf diese Weise wäre die Union endlich in der Lage, mit einer Stimme zu sprechen. Zu den vielen Vorschlägen, die im Entwurf des Verfassungsvertrags der EU enthalten sind, gehört die Notwendigkeit, einen echten europäischen auswärtigen Dienst einzurichten, die Notwendigkeit, die strukturelle Zusammenarbeit zu verbessern, und die Notwendigkeit, Unterstützung zu gewähren. All das wird dringend gebraucht.
Ebenso bedeutsam ist die Tatsache, dass der Verfassungsprozess bis 2008 abgeschlossen sein muss. Meines Erachtens ist das wichtig, nicht nur im Hinblick auf eine weitere Erweiterung – diesmal Kroatien, sondern auch, wie meine Vorredner bereits ausgeführt haben, unter dem Gesichtspunkt, die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik so effektiv wie möglich zu gestalten. Ich denke, dass Europa ansonsten politisch – und mit der Zeit auch wirtschaftlich – in seiner Entwicklung gehemmt wird.
Nils Lundgren (IND/DEM). – (SV) Der Kollege Brok predigt die Bedeutung eines Außenministers und eigener Botschaften der EU in der Welt. Er stellt fest, dass bisher erst 18 Länder den Verfassungsvertrag ratifiziert haben und dass darauf hingearbeitet werden muss, „dass der Vertrag durch alle Staaten ratifiziert wird”. Man lasse sich das einmal auf der Zunge zergehen: „dass der Vertrag durch alle Staaten ratifiziert wird”. Das heißt also, dass der Wille des Volkes in zwei Gründungsmitgliedsländern der EU missachtet wird. So läuft das hier in Straßburg und Brüssel. Und wie immer hört man wieder das gleiche alte Mantra, dass Europa mit einer Stimme sprechen muss. Das bedeutet, dass 27 Stimmen zum Schweigen gebracht werden müssen. Was wird die noch verbleibende Stimme dann sagen? Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Die Invasion im Irak wurde von einer Koalition der Willigen, bestehend aus Großbritannien, Italien, Spanien, Polen, den Niederlanden, Dänemark und anderen Ländern, unterstützt. Eine EU mit einer Stimme hätte wahrscheinlich die Invasion befürwortet, und deutsche Soldaten wären gezwungen gewesen, gegen den ausdrücklichen Willen des Deutschen Bundestages in den Krieg zu ziehen. Denken Sie darüber nach und denken Sie um! Um mit einer Stimme zu sprechen, braucht es ein Volk mit einer Identität, aber wir Europäer haben verschiedene Identitäten.
Rodi Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Frau Kommissarin! Ich möchte den Berichterstatter, Herrn Brok, und den Verfasser der Stellungnahme, Herrn Samaras, zu ihren Ausführungen über die Schwächen und Mängel der GASP sowie zu ihren Vorschlägen für mehr Aktionen, eine bessere Finanzierung und den besseren Einsatz unserer Fähigkeiten beglückwünschen, damit wir eine Rolle auf der internationalen Bühne spielen und die Probleme anpacken können.
Es ist jedoch höchste Zeit, uns erneut die Frage zu stellen: Reicht das alles aus? Erzielen wir in jedem Fall die erwarteten Ergebnisse? Diese Frage stellen uns die Bürger der Europäischen Union und die Bürger in anderen Teilen der Welt, vor allem in Regionen, in denen wir zwar präsent sind, jedoch nicht effektiv genug wirken.
Ich möchte auf den Nahen Osten zu sprechen kommen, der auch im Bericht Brok erwähnt wurde. In den letzten Tagen haben die Menschen dort eine besonders außergewöhnliche Situation erlebt, die in der Tat eine große Herausforderung für uns darstellt. Wir bieten koordinierte und ständige humanitäre und Entwicklungshilfe an. Wir unterstützen – beispielsweise im Libanon – Friedenstruppen und Polizeikräfte in Rafa, und wir warten darauf, dass sich die Probleme von selbst lösen oder von anderen gelöst werden oder sich auf von anderen diktierte Art und Weise entwickeln.
Uns ist klar, dass das Hauptproblem Palästina ist, und dennoch verlassen wir uns auf Übergangslösungen und nehmen das Schicksal nicht in die Hand, um zu radikalen Lösungen zu gelangen, die auch nachhaltig sind.
Εs ist höchste Zeit, dass wir erkennen, dass eine unabhängigere und autonomere europäische Strategie vonnöten ist, die die Probleme richtig erkennt und beim Namen nennt. Nur auf diese Weise können wir effektiv handeln.
Frau Kommissarin, ich erkenne Ihre Bemühungen an und sehe auch deren Auswirkungen, wo immer ich mich in diesem Gebiet und andernorts auch aufhalte, doch ich bin der Auffassung, dass wir noch vor dem Verfassungsvertrag, der uns einen einheitlichen und verantwortungsvollen Rahmen bescheren wird, sicherstellen können, dass die Zusammenarbeit mit dem Rat besser wird. Das Parlament kann einen Beitrag zu dieser politischeren und umfassenderen Herangehensweise an diese Fragen leisten und eine Strategie vorlegen.
Marianne Mikko (PSE). – (ET) Meine Damen und Herren! Die Aufstockung des Haushalts für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik um das Dreifache ist ein Schritt nach vorn. Dennoch reichen die auf die kommenden sieben Jahre aufgeteilten rund 2 Milliarden Euro nicht aus, um auch nur den dringendsten Bedarf zu decken.
Es ist nicht tragbar, dass der Einfluss der Europäischen Union in den internationalen Beziehungen deutlich geringer ist als der einiger Mitgliedstaaten. Wenn Angelegenheiten, die für die Mitgliedstaaten wichtig sind, gedankenlos als bilaterale Fragen eingestuft werden, dann wird der Glaubhaftigkeit der EU-Außenpolitik der Todesstoß versetzt. Gleichzeitig bedeutet es eine Schwächung unserer Union, wenn wir zulassen, dass durch Russlands „nahes-Ausland-Doktrin“ möglichen zukünftigen Mitgliedstaaten die Tür verschlossen wird.
Es wäre sowohl für uns als auch für unsere Partner hilfreich, wenn wir mit einer Stimme in der Welt und mit der Welt sprechen würden. Dies muss eine Stimme der gemeinsamen Interessen sein und nicht eine, die den großen Staaten passt. Der sinkende Einfluss der Vereinigten Staaten, die zügellosen Ambitionen Russlands und die neuen Machtstrukturen in der Weltwirtschaft zwingen uns, das Potenzial der Europäischen Union zu zeigen und auch umzusetzen. Ich unterstütze außerdem die Aufforderung des Berichterstatters, mehr Frauen in leitende Positionen zu bringen.
Hélène Goudin (IND/DEM). – (SV) Ich möchte nur das Thema der Überschreitung der Redezeit anschneiden. Alle Redner müssen gleich behandelt werden. Wenn jeder hier zu Ende sprechen darf, dann sollte das auch dem Kollegen zu meiner Linken erlaubt werden, auch wenn er nicht die gleiche Auffassung vertritt wie der Präsident.
Jamila Madeira (PSE). – (PT) Die Weitsicht, mit der Herr Brok die Fragen vor diesem Hohen Haus auf den Tisch legt, und die politische Linie, die er dabei verfolgt, sind für mich ein Grund, ihm aufrichtig zu gratulieren. Als überzeugter Föderalist und standhafter Verfechter der Verfassung scheut er sich nicht, den Finger in die Wunde zu legen und skizziert er die Verantwortung der EU in der heutigen Welt.
Dennoch möchte ich einen Punkt dieses Berichts ansprechen, der direkten Bezug hat zum Konflikt im Nahen Osten und zur Passivität der EU angesichts des katastrophalen Stands der Dinge, wie sie in der Aussprache über die Situation in Palästina am heutigen Nachmittag deutlich wurde. In diesem Jahr muss sich die EU eindeutig auf die Lage in Palästina konzentrieren. Daher stimme ich nicht mit der Position des Berichterstatters überein. Der Kern der Probleme in der Welt und die Ursache für die Instabilität in der Welt liegen bekanntermaßen im Nahen Osten. Im Rahmen all ihrer außenpolitischen Verpflichtungen muss die EU der Bewältigung dieser Herausforderungen höchste Priorität verleihen, damit wir in einer von Demokratie und Frieden geprägten Gesellschaft sicherer leben können.
Im israelisch-palästinensischen Konflikt muss die internationale Gemeinschaft und müssen wirklich wir alle für die Lösung eintreten, dass zwei Staaten nebeneinander in der Region – in den 1967 festgelegten Grenzen – leben.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich darf zunächst dem Berichterstatter, Herrn Brok, für seinen wichtigen Bericht danken. Er liegt zu einem ganz entscheidenden Zeitpunkt vor: Der deutsche Ratsvorsitz versucht den Verfassungsvertrag wiederzubeleben, vielleicht ohne seinen Titel. Entscheidend ist mehr Effizienz.
Wie lässt sich mehr Effizienz in der Zukunft erreichen? Nicht nur über die Institutionen, sondern auch durch den politischen Willen der Mitgliedstaaten. Nur wenn in unserem Abstimmungsverhalten Einigkeit herrscht, besteht die Möglichkeit einer effektiven gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Daher sollten wir mit mehr Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit über die gemeinsame Außenpolitik voranschreiten. Das ist sehr schwierig, aber es ergäbe meiner Meinung nach einen echten Unterschied.
Ich möchte auch unserem Berichterstatter danken, insbesondere für seine Ausführungen zu den Delegationen. Ich arbeite bereits sehr eng mit unseren Leuten im Hinblick auf mehr Schulung, bessere politische Berichterstattung, öffentliche Diplomatie sowie Austauschprogramme zwischen den Mitgliedstaaten, dem Rat, dem Sekretariat des Rates und uns selbst zusammen, um – durch Osmose, wie wir zu sagen pflegen – ein besseres Verständnis voneinander zu erhalten und einen geschlossenen Ansatz in der Zukunft vorzubereiten.
Erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen, zum einen zum Kosovo. Das Kosovo ist wirklich ein europäisches Problem, das auf eine europäische Lösung mit dem Einverständnis der internationalen Gemeinschaft angewiesen ist. Die Europäische Union muss Verantwortung für die Zeit nach der endgültigen Klärung des Status des Kosovo übernehmen. Wie können wir das erreichen? Meiner Meinung könnte das durch die Einrichtung eines internationalen Bürgerbüros geschehen, durch die Gründung einer bedeutenden Mission zur Stützung der Rechtsstaatlichkeit sowie durch die Ausweitung von Kapazitäten in großem Stil auf der Grundlage einer, so hoffe ich, Resolution des Sicherheitsrates.
Außerdem möchte ich sagen, dass wir heute bereits eine recht lange Aussprache zum Nahen Osten geführt haben. Wir wissen um die komplizierte Lage, doch denke ich, dass die Europäische Union eine überaus wichtige Rolle gespielt hat und es auch weiter tun möchte, insbesondere im Zusammenhang mit den anderen Mitgliedern des Quartetts. Selbst wenn es heute eher trostlos aussieht, haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir die beiden Seiten an einen Tisch bringen können, um einen positiven Ansatz in der Zukunft zu erreichen.
Ich sollte nicht unerwähnt lassen, dass das Schwarze Meer zu jenen neuen Bereichen gehört, in denen wir unsere Bemühungen im Rahmen unserer Nachbarschaftspolitik verstärken, da wir dies als eine neue Region mit neuen Mitgliedstaaten, wie Rumänien und Bulgarien, ansehen, und wir möchten gern mit der Türkei und mit Russland in dieser Region zusammenarbeiten und viele der wichtigen Fragen klären.
Was abschließend die Kontakte zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament betrifft, so gibt es nun eine Interinstitutionelle Vereinbarung, es gibt engere Kontakte zwischen Rat und Parlament zu GASP-Fragen, und ich denke, der Sondergesandte des Generalsekretärs, Herr Matthiessen, der heute hier anwesend ist, wird sicherlich ebenfalls darauf eingehen.
Der Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Mittwoch, dem 23. Mai, statt.