Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt die Erklärung des Rates über die Durchführung des Beschlusses des Rates über das Moratorium für die Todesstrafe.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin! Ich freue mich sehr, dass ich heute hier über ein Thema sprechen darf, das im Mittelpunkt unserer gemeinsamen europäischen Werte steht. Der Kampf gegen die Todesstrafe ist integrierter Bestandteil der Menschenrechtspolitik der Europäischen Union und war Gegenstand der ersten Leitlinien der EU im Bereich Menschenrechte. Diese Leitlinien bestimmen, wie Sie, meine Damen und Herren, sehr wohl wissen, seit 1998 die wichtigsten Aspekte der Haltung der Europäischen Union in diese Frage und sind damit ganz klar ein Beweis für unsere allseits bekannte Ablehnung der Todesstrafe.
Gestatten Sie mir, die Ziele der Union in Bezug auf die Frage der Todesstrafe, wie sie in den Leitlinien verankert sind, in Erinnerung zu rufen. Das erste Ziel ist, dass sie sich für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe als der von allen EU-Mitgliedstaaten beschlossenen und entschieden verteidigten politischen Position einsetzen wird.
Das zweite Ziel ist, dazu aufzurufen, dass die Anwendung der Todesstrafe in den Ländern, in denen sie noch existiert, nach und nach verringert wird, und auf die Einhaltung bestimmter internationaler Mindestnormen zu bestehen. Ich bin sehr erfreut, heute in diesem Hohen Haus zu sein, um Sie über die jüngsten Entwicklungen in unserem Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe zu informieren. Wie Ihnen bekannt ist, haben wir vor kurzem eine wichtige Initiative ins Leben gerufen, um diese Ziele der Europäischen Union zu fördern. Ich beziehe mich natürlich auf den Beschluss des Rates vom 18. Juni dieses Jahres, in dem die Europäische Union sich verpflichtet hat, im Rahmen einer regionenübergreifenden Allianz auf der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution gegen die Todesstrafe einzubringen.
Das Parlament hat die Europäische Union in zwei im Februar und im April dieses Jahres angenommen Entschließungen aufgefordert, diese Initiative zu ergreifen. Da die Eröffnung der dritten Sitzungsperiode der Vollversammlung der Vereinten Nationen immer näher rückt, bin ich mir sicher, dass Sie daran interessiert sind zu erfahren, wie der Rat sich auf diesen großen Augenblick vorbereitet. Ich werde Ihnen etwas später mehr zu den Vorbereitungen sagen.
Gestatten Sie mir vorher einen kurzen Rückblick auf die fast zehn Jahre, die seit der Annahme der Leitlinien zur Todesstrafe vergangen sind. Ich muss hervorheben, dass wir seit 1998 viel erreicht haben. Wir haben eine Fülle an Instrumenten in unserer Kampagne gegen die Todesstrafe entwickelt, die von der politischen Aktion durch Demarchen, Erklärungen und multilaterale Diplomatie bis hin zur finanziellen Unterstützung über die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte, ein Instrument, dessen Einrichtung wir im Wesentlichen den Bemühungen des Europäischen Parlaments verdanken, reichen.
So hat die Europäische Union beispielsweise zwischen dem 1. Juli 2006 und dem 30. Juni 2007 allgemeine Demarchen zur Todesstrafe in 28 Ländern – von Bahrain bis Sambia – unternommen. Demarchen erfolgten gleichermaßen zu Einzelfällen in verschiedenen Ländern – vom Jemen bis zum Iran. Darüber hinaus gibt die Europäische Union vielfach Erklärungen zu dieser Frage ab, und ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, das in den Medien große Beachtung gefunden hat: Im August dieses Jahres hat die Europäische Union eine Erklärung aus Anlass der 400. Hinrichtung im Bundesstaat Texas abgegeben. Hervorheben möchte ich ferner, dass die Todesstrafe auch auf der Tagesordnung der Dialoge und Konsultationen über Menschenrechte, die wir mit Drittstaaten abhalten, steht, und wir scheuen uns nicht, diese Frage gegenüber jedem von ihnen anzusprechen. Unser Vertrauen in einen effektiven Multilateralismus kam auch in dem unermüdlichen Wirken gegen die Todesstrafe in den Vereinten Nationen und in anderen internationalen Gremien zum Ausdruck.
Von 1997 bis 2005 hat die Europäische Union jedes Jahr in der UNO-Menschenrechtskommission eine Resolution zur Todesstrafe eingebracht, und unsere Aktion wieder aufgreifend hat die EU im Dezember 2006 in der UNO-Vollversammlung eine Erklärung zur Todesstrafe vorgelegt, die ursprünglich 85 Unterschriften zählte und später von weiteren zehn Ländern unterzeichnet wurde. Bei der Eröffnung der vierten Sitzungsperiode des Menschenrechtsrates im März 2007 hat der Ratsvorsitz der Europäischen Union diese Erklärung bekräftigt.
Ungeachtet der Sorge, dass die Todesstrafe auch weiterhin angewendet wird, registrieren wir mit Freude eine weltweite Tendenz zur Abschaffung der Todesstrafe oder zur Einführung eines Moratoriums. Über die Hälfte der Länder in der ganzen Welt – nach Angaben von Amnesty International 133 Länder – haben die Todesstrafe bereits per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. Ich möchte gerne glauben, dass die Europäische Union, natürlich einschließlich des Europäischen Parlaments, durch unsere systematische und nachhaltige Aktion über die Jahre hinweg eine, wenn auch bescheidene, Rolle in diesem Trend zur Abschaffung der Todesstrafe gespielt hat. Diese kurze Zusammenfassung der Aktionen der Europäischen Union gegen die Todesstrafe ist ein Beweis, dass wir uns dieser Sache verpflichtet fühlen. Und lassen Sie mich unterstreichen, dass wir anerkennen, dass das Europäische Parlament ein treuer Verbündeter in unserem Wirken war. Damit komme ich erneut auf die wichtigste aller Fragen unserer derzeitigen Agenda zurück, und zwar auf die Resolution der UNO-Vollversammlung, in der ein Moratorium und die Abschaffung der Todesstrafe gefordert werden.
Diese Initiative bestätigt, dass die Europäische Union an vorderster Front der Bemühungen um eine weltweite Abschaffung der Todesstrafe steht und auch weiterhin gegen die Todesstrafe in allen Fällen und unter jedweden Umständen sein wird, da sie ihrer Auffassung nach eine grausame und unmenschliche Bestrafung ist. Mit dieser Initiative können wir viel gewinnen, aber auch viel verlieren, sollten wir nicht erfolgreich sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass dies unser dritter Versuch, ich wiederhole, unser dritter Versuch ist, nach den Niederlagen von 1994 und 1999 eine Resolution über die Todesstrafe in der UNO-Vollversammlung durchzusetzen.
Es steht nicht mehr und nicht weniger als unsere Glaubwürdigkeit als Vorreiter der weltweiten Bemühungen zur Abschaffung der Todesstrafe auf dem Spiel. Aus diesem Grund hielt es der Rat für notwendig, gut vorbereitet zu sein und genügend Zeit zur Verfügung zu haben, um eine regionenübergreifende Allianz zu bilden. Das wäre zur 61. Vollversammlung, wie es einige von Ihnen vorgezogen hätten, nicht möglich gewesen. Nicht nur die Sachverständigen des Rates waren dieser Auffassung. Zahlreiche NRO, die an vorderster Front in dem Kampf in diesem Bereich stehen, wie die Koalition gegen die Todesstrafe, haben uns gebeten, die Resolution nicht vorschnell vorzulegen, sondern lange genug zu warten, um ihren Erfolg sicherstellen zu können. Dies war genau der Weg, den wir gegangen sind. Der Beschluss des Rates vom 18. Juni, in der 62. UNO-Vollversammlung eine Resolution vorzulegen, markierte den Beginn einer neuen Phase im multilateralen Rahmen.
Der Rat, der Ratsvorsitz und die Mitgliedstaaten haben in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich gearbeitet, um den Beschluss des Rates umzusetzen. Noch vor den Sommerferien hat die GASP-Arbeitsgruppe Menschenrechte die zu verfolgende Herangehensweise festgelegt, und zwar die Annahme eines Textentwurfs durch die Mitgliedstaaten und in einer zweiten Phase die Gewinnung weiterer Mitverfasser aus verschiedenen Regionen der Welt. Das wurde auch getan, und so konnte Ende August eine erste Zusammenkunft aller Mitverfasser in New York stattfinden. Innerhalb von zwei Wochen konnte eine Einigung zum Text erzielt werden. Jetzt haben wir eine Lobby-Kampagne begonnen, um weitere Länder als Förderer für unseren Resolutionsentwurf zu gewinnen. In diesem Augenblick, in dem ich zu Ihnen spreche, sondieren unsere Botschaften weltweit mögliche Unterstützer für unsere Initiative. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die größtmögliche Unterstützung zu bekommen, damit diese Resolution zu einem Erfolg wird.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bitte ich um Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung, damit wir diesen Prozess führen können. Sie werden mit Sicherheit wissen, wie schwierig es ist, politische Gespräche zu führen. Deshalb werden Sie auch verstehen, das der Ratsvorsitz eine gewisse Flexibilität und einen gewissen Handlungsspielraum benötigt, um den entsprechenden Zeitplan für eine so komplexe Initiative zu finden und zu managen, denn es handelt sich um eine regionenübergreifende Initiative und die Mitverfasser müssen sich ebenfalls in dem Text und der Strategie dieser Resolution wiederfinden, und darüber hinaus müssen wir rasch eine große Zahl möglicher Unterstützer kontaktieren, damit diese Initiative an Gewicht gewinnt.
Wir haben eine Kampagne gestartet, die auch eine große Herausforderung ist, aber ich bin davon überzeugt, dass diese Initiative bei einer abgestimmten Vorgehensweise von Erfolg gekrönt sein wird.
Laima Liucija Andrikienė, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (LT) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, Herr Staatssekretär, meine Damen und Herren! Wir wenden uns heute im Europäischen Parlament erneut dem Moratorium für die Todesstrafe zu. Wir haben uns im Verlaufe des zurückliegenden Jahres bereits zweimal mit dieser Problematik befasst, und es wurden zwei Entschließungen zur Initiative für ein weltweites Moratorium für die Todesstrafe (am 1. Februar und am 26. April) angenommen.
Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass der Europäische Rat, den das Europäische Parlament in beiden Entschließungen aufgefordert hatte, diese der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorzulegen, dies bisher versäumt hat. Der Rat könnte dies vor Beginn der 62. Generalversammlung nachholen, so dass die Entschließungen noch vor Jahresende angenommen werden könnten.
Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Bestrafung sowie eine Verletzung eines der unveräußerlichen Menschenrechte – des Rechts auf Leben –, und wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr Tausenden von Menschen im Iran, in China und in anderen Ländern die Todesstrafe droht. Daher zählt ein weltweites Moratorium für die Todesstrafe mit dem Ziel ihrer weltweiten vollständigen Abschaffung nach wie vor zu unseren wichtigsten politischen Zielen, und wir brauchen nicht nur den Konsens unserer Fraktionen in dieser Angelegenheit, sondern auch den Konsens aller Mitgliedstaaten der EU.
Meines Erachtens wäre die Annahme dieser Entschließung Ausdruck der außerordentlichen Solidarität und des Konsenses seitens des Europäischen Parlaments, auch wenn es beispielsweise in Bezug auf die Ausrufung des 10. Oktober zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe Meinungsverschiedenheiten gibt.
Dem Europäischen Parlament bietet sich eine ausgezeichnete Gelegenheit, gegenüber dem Rat Zusammenhalt und Solidarität zu demonstrieren, vor allem, wenn es einen Beschluss zu einer politischen Frage fasst, die eindeutig einen Mehrwert aufweist. Politik ohne Werte ist billiges und populistisches Politisieren. Menschenleben sind jedoch wertvoll für jeden von uns, unabhängig von unserer geographischen oder kulturellen Zugehörigkeit.
Ich möchte meinen Mitabgeordneten aller Fraktionen aufrichtig nahelegen, diese bedeutende Entschließung zu unterstützen.
(Beifall)
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Der Staatssekretär Lobo Antunes hat die Bemühungen des Rates hier eindrucksvoll dargestellt. Ich habe dem, was der Herr Staatssekretär gesagt hat, nichts hinzuzufügen. Unsere Fraktion unterstützt Sie in vollem Umfang in Ihrem Bemühen klarzumachen, dass die Europäische Union nicht nur einem Moratorium, sondern dem Ziel der Ächtung der Todesstrafe weltweit eine starke Rückendeckung geben will.
Das Europäische Parlament – meine Vorrednerin hat es gesagt – hat in diesem Jahr bereits bei zwei Gelegenheiten gesagt: Wir stehen in diesem Parlament an der Spitze dieses Kampfes um die Ächtung der Todesstrafe. Für uns Europäische Sozialdemokraten ist die Todesstrafe der Tiefstpunkt der menschlichen Moral! Ich komme aus einem Land, in dem die Würde des Menschen der erste Artikel der Verfassung ist. Sie zu wahren und zu schützen, ist die Verpflichtung einer jeden staatlichen Ordnung. Das ist die Botschaft des Grundgesetzes meines Landes. In Anlehnung an diese Botschaft haben wir in der Europäischen Union eine Grundrechtecharta verfasst, deren erste Botschaft ebendiese ist: Die Menschenwürde ist die oberste Handlungsmaxime der Europäischen Union!
Nur, die Todesstrafe ist das Gegenteil der Menschenwürde. Sie ist die Herabwürdigung des Menschen auf den tiefsten Punkt seiner Existenz. Sie zu ächten ist die Verpflichtung eines jeden moralorientierten Demokraten. Dafür, dass dieses Moratorium von der Europäischen Union unterstützt wird, kämpfen wir. Warum allerdings, warum herrscht im Rat keine Einstimmigkeit?
Im Rat gibt es ein Mitgliedsland, das einen gemeinsamen Beschluss der Europäischen Union boykottiert. Ich zögere nicht, diesen Namen hier offen zu nennen: Es handelt sich um die Regierung Polens, die nicht will, dass wir diesen grundsätzlichen Beschluss fassen. Sie verknüpft die Frage der Todesstrafe mit anderen Fragen und sagt: Wenn die anderen ihre Auffassung zu dieser Frage mit der zur Abtreibung, zur Sterbehilfe verquicken, dann sind wir auch bereit, gegen die Todesstrafe einzutreten. Das ist ein vorgeschobenes Argument! Warum? Das will ich Ihnen gerne sagen. Ich möchte Ihnen ein Zitat vorlesen, es stammt aus einem Rundfunkinterview vom 28. Juli dieses Jahres. Ich zitiere: „Ich persönlich war, bin und bleibe Anhänger der Todesstrafe. Gegenwärtig ist eine Wiederkehr zu dieser Strafe nicht möglich, ich zähle aber darauf, dass in Zukunft ein günstigeres Klima in der EU herrschen wird.“ Lech Kaczyński, Staatspräsident der Republik Polen.
Das ist der Grund, warum es keinen Beschluss des Europäischen Rates zu diesem Moratorium gibt. Der Staatspräsident von Polen ist ein Befürworter der Todesstrafe! Und er hofft, dass es ein besseres Klima in der Europäischen Union geben wird, um sie wieder einzuführen! Deshalb sage ich: Dieses Parlament ist dazu da, dafür zu sorgen, dass das Klima in Europa gegen die Todesstrafe bleibt! Das ist der entscheidende Punkt!
(Beifall)
Solange wir als europäische Sozialistinnen und Sozialisten Einfluss darauf haben, werden wir das tun. Ich stelle an den Rat allerdings eine Frage – Herr Staatssekretär Lobo Antunes, nicht an Sie persönlich, sondern an die Staats- und Regierungschefs der 26 anderen Staaten: Wie lange wollen eigentlich die 26 anderen Staats- und Regierungschefs hinnehmen und dazu schweigen, dass ein Befürworter der Todesstrafe, der das ja auch offen sagt, den ganzen Europäischen Rat in dieser Frage lahm legen kann? Darauf brauchen wir auch eine Antwort!
(Beifall)
Marco Pannella, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Erklärungen, die der Vorsitz seit einem Jahr vor diesem Parlament abgibt – als wären wir ein Abgeordnetenhaus wie beispielsweise das britische oder das US-Parlament –, klingen wie ein Verstoß nicht nur gegen die Wahrheit, sondern auch gegenüber dem Parlament.
Nein, Herr Ratspräsident, ich glaube, Sie wurden von dem Apparat und der Maschinerie schlecht unterrichtet, die momentan hinter Ihnen stehen und die seit 1994 einen unwürdigen und unverständlichen Ansatz verfolgt, für den die aufeinander folgenden halbjährigen Präsidentschaften verantwortlich sind bzw. sich durchringen, die Verantwortung zu übernehmen!
1994 standen wir kurz vor dem Durchbruch! Wir unterlagen mit 8 Stimmen, weil 20 europäische Länder, die heute der Europäischen Union angehören, zusammenarbeiteten und Stimmenthaltung übten. Das allgemeine Moratorium hätte weltweit verkündet werden können, wenn es nicht diese Blamage gegeben hätte, die wir nun nicht leugnen können: 1994 gab es 20 Stimmenthaltungen aus Europa, mit einem Rat, der sich uneingeschränkt und scheinheilig zum Komplizen machte!
Sie, Herr Ratspräsident, besaßen sogar die Unverschämtheit, 1999, am Morgen der Abstimmung, zu behaupten – laut sämtlichen europäischen Botschaftern hatten wir obsiegt, denn es gab eine wirklich deutliche absolute Mehrheit –, es sei ein Telegramm aus Brüssel mit der Aufforderung zum Rückzug gekommen. Das war Unfassbar! 2003 erklärte der italienische Außenminister und damalige amtierende Ratspräsident, mangels einer Einigung in der Europäischen Union habe Italien diese Resolution nicht voranbringen können, zu der wir wiederum eine Mehrheit erzielt hatten. Und nun ist die Lage noch schockierender!
Sind Sie sich dessen bewusst, Herr Antunes? In welchem Land werden wir wohl ein solches Lügenmärchen erzählen können? Sie sagen, 173 von 192 UN-Staaten hätten die Todesstrafe de facto und de jure abgeschafft. All dies sei Ihren immensen Bemühungen zu verdanken! Sie hätten die Resolution bereits auf der vorherigen, der 61. Generalversammlung, und zu Beginn dieser Generalversammlung, d. h. gestern vorlegen sollen, und schon heute erreicht uns aus New York die Nachricht von weiteren Verschiebungen.
Sie haben noch eine weitere kleine oder große Unwahrheit von sich gegeben: Es stimmt, dass 95 Länder die Erklärung unterzeichnet haben und dass wir, d. h. die italienische Regierung, am 28. Dezember 85 Unterzeichner zusammen hatten, und jene, die Sie zusammenbrachten, sind ganze 11. Wenn Sie also verlieren wollen, machen Sie ruhig weiter so, doch das ist eine Schande, wir werden ...
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort.)
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Das Streben nach Humanitarismus in der Rechtspflege gehört zu den wichtigsten Aufträgen Europas. Wir müssen uns gegen öffentliche Schauhinrichtungen aussprechen, bei denen die Überreste der hingerichteten Person zum Gegenstand einer ungesunden Faszination der Massen werden. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um politisch motivierte Hinrichtungen in China oder dem Iran zu verhindern.
Nicht einverstanden sind wir jedoch mit dem eng gefassten Verständnis dieser Problematik. Vor allem sind wir nicht damit einverstanden, dass die Diskussion zu diesem Thema abgeschlossen wird. Wir können der Art von Zensur, wie sie Herr Schulz in seinem Beitrag vorgeschlagen hat, nicht zustimmen. Ein Urteil darüber, wie lange Lech Kaczyński als polnischer Präsident im Amt bleiben soll, steht ihm nicht zu, so sehr er sich das auch wünschen mag. Das hängt von den Polen ab, die ihrerseits Zweifel hegen. Und nicht nur die Polen hegen Zweifel bezüglich des weltweiten Moratoriums für die Todesstrafe oder bezüglich der Propaganda und der sozialen Kampagnen, die die Kommission vorschlägt.
Ich habe eine Frage. Ist es überhaupt möglich, von einem bequemen Regierungssitz in Paris oder Lissabon aus einen Appell zur Aussetzung der Todesstrafe an Regionen zu richten, in denen Grausamkeit und Gewalt an der Tagesordnung sind? Ist es nicht eine Heuchelei zu erwarten, dass die Todesstrafe heute im Irak oder in Afghanistan abgeschafft wird, ohne dass man etwas unternimmt, um in diesen Ländern Sicherheit und Recht wiederherzustellen?
Ich teile nicht die Überzeugung, dass die Abschaffung der Todesstrafe in anderen Teilen der Welt eine Lösung für die dort vorherrschende Gewalt und Brutalität darstellt. Polen jedenfalls hat die Todesstrafe 1988, also vor fast zwanzig Jahren, abgeschafft. Das haben wir gegen die öffentliche Meinung in unserem Land durchgesetzt. Das haben wir im Namen der europäischen Einheit getan. Wir wollen auch heute zu dieser Entscheidung stehen.
Vielleicht kann sich unser Teil der Welt Alternativen zur Todesstrafe leisten. Wir wollen Solidarität in dieser Sache üben, auch auf der Ebene der UNO, aber wir können einer europäischen Zensur in Bezug auf die Todesstrafe, wie sie Herr Schulz vorgeschlagen hat, nicht zustimmen.
Im Entschließungsentwurf wird unnötigerweise auf den Europäischen Tag gegen die Todesstrafe verwiesen. Darf ich Sie daran erinnern, dass die Todesstrafe nicht der einzige Bereich in der Politik und der Justiz ist, in dem es um Leben oder Tod geht. Wenn wir in Europa einen Dialog über die aktuellen Herausforderungen hinsichtlich des Humanitarismus führen wollen, dann können wir uns nicht auf die Todesstrafe beschränken, zu der wir schließlich eine gemeinsame Meinung vertreten. Wir können die Diskussion über den gewollten Schwangerschaftsabbruch nicht ausklammern, für den sich dieses Parlament und Herrn Schulz‘ Klub in Europa und weltweit so eifrig einsetzt. Wir können die Diskussion über Euthanasie, Garantien für die Menschenwürde oder die neuesten Entwicklungen der Biomedizin nicht ausklammern. Wenn wir einen Tag im europäischen Kalender dem Nachdenken über den humanitären Aspekt der Tätigkeit des Gesetzgerbers, also auch unserer Tätigkeit, widmen, dann können wir vor all den anderen Aspekten nicht die Augen verschließen, ohne in die Heuchelei abzugleiten.
Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte bei den Ausführungen von Herrn Pannella anknüpfen und bitte den Vorsitz, wenn möglich darauf zu reagieren!
Ich würde gern wissen, aus welchem Grund die Präsidentschaft den Antrag bzw. den Vorschlag zur Einführung eines Europäischen Tages gegen die Todesstrafe zurückgezogen hat. Es steht nirgends geschrieben, dass der Beschluss darüber einstimmig gefasst werden muss. Wenn Sie mir einen Artikel nennen könnten, in dem das verankert ist, wäre ich Ihnen dankbar – obwohl ich, da wir hier über politische Zusammenarbeit reden, der festen Überzeugung bin, dass es Ihnen, wenn Sie nur gewollt hätten, gelungen wäre, eine Abstimmung zu erzwingen und eine überwältigende Mehrheit zu erzielen, minus einer Stimme. Das wäre ein großer Tag für Europa gewesen! Doch diese Gelegenheit wurde verpasst!
Zweitens, Herr Antunes, bin auch ich äußerst bestürzt über Ihre Rekonstruktion der traurigen Geschichte der eingereichten und zurückgezogenen Resolutionen für ein Moratorium. Ich möchte, dass Sie mir eine konkrete Frage beantworten: Da Sie als portugiesische Präsidentschaft beschlossen haben, die Verhandlungen in den Vereinten Nationen praktisch allein, unter Ausschluss anderer Länder, darunter mein Heimatland, zu führen – doch das ist eine Frage, die hier nicht zur Debatte steht –, möchte ich wissen, wann Sie die Resolution vorlegen wollen. Denn noch ist das nicht klar, und wenn Sie sie zu spät vorlegen, wird das gar nichts bringen.
Drittens haben Sie zwei Dinge gesagt, die mich ein wenig beunruhigt haben. Ich war oben in meinem Büro, weil ich etwas zu erledigen hatte, doch ich habe Sie im Originalton, in Ihrer wunderbaren Muttersprache, gehört. Sie wiesen darauf hin, dass Flexibilität vonnöten sei und Handlungsspielraum eingeräumt werden müsse, was mir große Sorge bereitet. Was soll das heißen? Auch sprachen Sie von der so genannten Front, die die Abschaffung wolle und kein großes Vertrauen in ein Moratorium habe. Das ist umso beunruhigender, weil wir bisher gerade aufgrund dieser falschen Zweiteilung unterlegen waren. Deshalb möchte ich, dass Sie uns einige konkrete Antworten geben, und ich hoffe, dass diese Antworten in Kürze folgen mögen.
Luisa Morgantini, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich war vertieft in den Redebeitrag von Frau Frassoni, deren Fragen, aber auch deren Leidenschaft ich teile, doch ebenso pflichte ich den Ausführungen von Herrn Pannella bei.
Ich bin heute wirklich traurig; die Rede von Herrn Szymański zu hören hat mich tatsächlich in Angst und Schrecken versetzt. Der Gedanke, dass es in Europa – für das wir gekämpft, uns eingesetzt und an das wir geglaubt haben – solche Bedenken, solche Haltungen, gibt, ist wahrhaftig ein Grund zur Traurigkeit für uns alle. Doch heute bin ich auch bedrückt, weil in Gaza ein großer Mann, eine historische Persönlichkeit der Palästinenser, an Krebs verstorben ist, und er konnte nicht behandelt werden. Gaza befindet sich im Belagerungszustand, doch wahrscheinlich wäre er auch so gestorben, denn er war sehr alt. Er war ein Mann, der zutiefst an den Frieden und die Demokratie, eine gewaltfreie Demokratie und ein gewaltfreies säkulares Palästina glaubte. Er hieß Haider Abdel Shafi, und ich möchte hier seiner gedenken, weil es viele Todesstrafen in der Welt gibt, gegen die wir kämpfen müssen.
Ich unterstütze jedoch auch die Ausführungen der anderen Mitglieder. Die Tagung hat begonnen, und ich hoffe, dass am 28. September, wenn der portugiesische Vorsitz und die italienische Regierung mit allen zusammentreffen, sie wirklich die Vorlage der Resolution zu dem weltweiten Moratorium für die Todesstrafe beschließen werden.
Es stimmt, dass die Resolution in den letzten 14 Jahren durch Fehler und Verzögerungen, ja sogar regelrechte Blockadehaltungen vereitelt wurde. Diesmal können und müssen wir sie zustande bringen. Italien wird zusammen mit Europa ein Netzwerk von Bündnissen schaffen, das sich über alle Kontinente erstreckt. Die überwältigende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft ist für diese Resolution, während die Zahl der Staaten, die die Todesstrafe befürworten, gering ist. Sicherlich darf die Zweiteilung zwischen Moratorium und Abschaffung der Todesstrafe nicht ausgenutzt werden.
Wir sind für die Abschaffung der Todesstrafe, doch gegenwärtig ist es das Moratorium, das unseren Zusammenschluss und den Sieg ermöglichen kann! Wir wissen, dass das schwierig und keineswegs sicher ist, was wir auch an den inneren Haltungen, nicht nur Polens, sondern von Bürgern der ganzen Welt und Spitzenpolitikern in Europa sehen, die nach der Todesstrafe rufen. Wenn sich jedoch unsere Vorstellung von den internationalen Beziehungen auf ein Fundament moralischer Werte gründet, wo das Menschenleben, die Gerechtigkeit und die Rechte zählen, dann müssen wir obsiegen! Die kommenden Wochen werden deshalb entscheidend sein, und das Moratorium ist wirklich eine wichtige Etappe auf dem Weg der internationalen Gemeinschaft zu Ablehnung dieser grausamen Praxis, die die Vergeltung an die Stelle der Gerechtigkeit setzt. Wir müssen es wirklich schaffen und die Stimmen, die dagegen sind, isolieren!
Jean-Claude Martinez, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Ratsmitglieder! Unter der Carter-Regierung wurden im Jahr 1977 zwei Sonden, Voyager 1 und Voyager 2, in den Weltraum geschickt. Sie mögen denken, dies habe nichts mit unserer Aussprache hier zu tun. Carl Sagan, ein inzwischen verstorbener Physiker, hatte diese Sonden jedoch mit einer Botschaft von Präsident Waldheim, der Zeichnung eines Mannes und einer Frau, den auf der Erde bekannten wichtigsten mathematischen Formeln, einer Schallplatte mit dem Rauschen des Windes, Traktorgeräuschen, Babybrabbeln sowie Ausschnitten aus Werken von Mozart, Beethoven und Chuck Berry bestückt. Im vergangenen Jahr haben diese beiden Sonden unser Sonnensystem, die so genannte Heliosphäre, verlassen, um zum nächsten Stern in 42 000 Lichtjahren Entfernung zu gelangen, das heißt in einer Entfernung von 200 000 Kilometern, multipliziert mit 3 600, multipliziert mit 24, multipliziert mit 365 und multipliziert mit 42 000.
In diesen 30 Jahren haben die beiden Sonden kein einziges Signal zurückgeschickt, kein einziges Signal wurde empfangen. Leben gibt es nach derzeitigem Wissensstand nur auf der Erde. So betrachtet ist das Strafgesetzbuch von Texas oder China, das die Auslöschung eines so außerordentlich seltenen Gutes wie des Lebens erlaubt, zweifellos wirklich abartig. Im Gegensatz dazu spiegelt der portugiesische Vorschlag für eine Konferenz zum Thema Leben und Menschenwürde die Einstellung dieses Volkes der Seefahrer wider. Die Ablehnung der Todesstrafe ist nämlich nur ein Aspekt des Problems und der politischen Teleologie.
Die Zielsetzung jeder Politik kann doch nur das Leben in all seinen Formen und all seiner Fülle sein. Gegen die Todesstrafe zu sein, ist sicher sympathisch, aber dies ist, wie übrigens auch die Euthanasie, nur ein Aspekt einer zentralen politischen Frage: Politik, wozu? Um die wirtschaftlichen, sozialen und materiellen Entfaltungsmöglichkeiten für dieses geheimnisvolle Gut „Leben“ zu schaffen oder aber eine malthusianische Politik des „no future“, der restriktiven Abkommen, Rationierungen, Verbote, Rodungen und Herodesprämien und der britischen Maul- und Klauenseuche-Schlachtungen und -Scheiterhaufen? Dies ist das eigentliche Thema und die wahre Dimension der Todesstrafe: die politische Entscheidung zwischen „no future“ und Leben.
Irena Belohorská (NI). – (SK) Ich unterstütze uneingeschränkt die Initiative, einen europäischen Tag gegen die Todesstrafe einzuführen, auch wenn es keinen einstimmigen Beschluss der 27 Mitgliedstaaten gibt.
Ich begrüße die Einführung dieses Verbots, das kürzlich, teilweise auf Druck der Europäischen Union, in einigen afrikanischen Ländern ausgesprochen wurde. Die Todesstrafe wurde beispielsweise in Ruanda und in Gabun abgeschafft. Auch diese Länder haben festgestellt, dass die Todesstrafe in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz hat. Meines Erachtens ist es notwendig, auch auf andere Länder, wie die USA und China, Druck auszuüben, damit diese Strafe der Vergangenheit angehört. Darüber hinaus muss auch auf bestimmte europäische Länder aufmerksam gemacht werden, die die Protokolle über das Verbot der Todesstrafe immer noch nicht ratifiziert haben.
Das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das die Todesstrafe in Friedenszeiten ausnahmslos untersagt, wurde von allen 27 Mitgliedstaaten ratifiziert. Das Protokoll Nr. 13 jedoch, das die Todesstrafe unter allen Umständen verbietet, wurde zwar von allen 27 Mitgliedstaaten unterzeichnet, jedoch von fünf Staaten, nämlich Frankreich, Italien, Polen, Spanien und Lettland, noch nicht ratifiziert. Auch wenn die Hauptkritik hinsichtlich der Einführung eines europäischen Tages sich heute an Polen richtet, teile ich uneingeschränkt den Standpunkt von Herrn Schulz, Frau Frassoni und Frau Morgantini, dass auch auf diese Länder hingewiesen werden sollte.
Ich möchte hervorheben, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung bei Gewaltverbrechen hat. Ihr irreversibler Charakter bedeutet, dass Justizirrtümer, die in jedem Rechtssystem unvermeidbar sind, nicht korrigiert werden können.
Maria da Assunção Esteves (PPE-DE). – (PT) Ich möchte Ihnen die Worte Victor Hugo’s in Erinnerung rufen, dass Blut mit Tränen und nicht mit Blut ausgewaschen wird. Als Europa seine Werte definierte und die Abschaffung der Todesstrafe zur Bedingung machte, um hierher zu kommen und hier zu bleiben, legte es einen Kodex von Grundsätzen fest, die es als Heimat der Aufklärung und als ein Gebiet kennzeichnen, in dem das Recht nicht ohne moralische Basis für die höchste Würde des Menschen existiert.
Der Kampf gegen die Todesstrafe ist der Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei, der Kampf gegen den offiziellen, organisierten, kalkulierten und kaltblütigen Tod. Der Tod, der zur Regel wird, nicht zur Regel des Rechts, denn die Todesstrafe wird außerhalb der Grenzen jedweden die Bezeichnung Recht verdienenden Rechts verhängt. Der Tod durch eine brutale und rechtswidrige Vorschrift. Der Kampf gegen die Todesstrafe ist eine Frage der universellen Gerechtigkeit, da damit das Wesen der Menschlichkeit des Menschen berührt und unsere Beziehungen zur Welt bestimmt werden. Deshalb darf Europa nicht vergessen, dass dieser barbarische Mechanismus der Todesstrafe Ländern wie China, dem Iran, Pakistan, dem Irak, Sudan und den Vereinigten Staaten bedauerlicherweise gemein ist.
Europa hat nicht das Recht, zu all diesem komplizenhaft zu schweigen. Ebenso wenig darf es zu seinen eigenen internen Entwicklungen Schweigen bewahren. Europa muss Polen daran erinnern, dass der Kampf gegen die Todesstrafe in den A-priori-Grundsätzen der Gerechtigkeit festgeschrieben ist, die eine unabdingbare Voraussetzung sind, um Europäer zu sein. In Bezug auf den Europäischen Tag gegen die Todesstrafe wäre es angebracht zu fragen und frage ich den portugiesischen Ratsvorsitz, unter welchen Umständen ein Land berechtigt ist, sich gegen die in Artikel 6 des EU-Vertrags festgeschriebenen gemeinsamen Werten zu entscheiden. Ich möchte den portugiesischen Ratsvorsitz ferner fragen, inwieweit die Einmütigkeit in Fragen gefordert ist, die die Grundsätze betreffen, auf denen die Union beruht. Ist die Einmütigkeit nur auf Fragen abgestellt, die uns trennen, oder eher auf den wesentlichen Konsens, auf dem Europa sich gründet?
Das sind meine Fragen an den Ratsvorsitz und meine Gedanken zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe.
Pasqualina Napoletano (PSE). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass sich das Europäische Parlament mit dem Thema des Moratoriums befasst. Wir halten es für möglich, dieses Ziel bis Ende des Jahres zu erreichen, und fordern daher den portugiesischen Vorsitz inständig auf, den Text schon in den nächsten Stunden der zuständigen Kommission der Vereinten Nationen vorzulegen. Wir fordern, dies in enger Zusammenarbeit mit Italien zu tun, das die Kampagne initiiert hat, und nicht nur die Länder der Union, sondern auch all jene mit einzubeziehen, die ihre Bereitschaft, Mitunterstützer und Mitverfasser zu sein, gezeigt haben.
Ferner möchte ich einmal mehr klarstellen, dass das Ziel des Moratoriums dem allgemeineren Ziel der Abschaffung nicht entgegensteht, und trotzdem ist es das Moratorium, das wir heute erreichen wollen, auch als ersten konkreten Schritt zur Abschaffung. All das darf nicht dazu benutzt werden, die Sache verworrener zu machen! Schließlich schließe ich mich den Kolleginnen und Kollegen an, die ihre Fassungslosigkeit darüber zum Ausdruck brachten, dass ein bedeutsames europäisches Land wie Polen sich davon distanzierte, den 10. Oktober zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe zu erklären, und demzufolge dieser Tag ausgesetzt worden ist.
Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, wir fordern Sie auf, nicht von diesem Ziel abzurücken. Bitte zerstören Sie nicht das bisschen Seele, das wir einem Europa einzuhauchen vermochten, das immer noch zu sehr von Ökonomismus, Merkantilismus und Monetarismus geprägt ist!
Hélène Flautre (Verts/ALE) . – (FR) Frau Präsidentin! Die Zahl der Länder, die sich gegen die Todesstrafe aussprechen oder in denen ein Moratorium gilt, steigt jedes Jahr. Bisherige Überzeugungen geraten ins Wanken, und zwar selbst in den Staaten, die an der Todesstrafe festhalten, wie etwa in den USA, und in den islamischen Ländern bilden sich Koalitionen.
Tag für Tag wird dafür gekämpft, dass Vollstreckungen der Todesstrafe verhindert werden. Homosexualität wird in vielen Ländern immer noch mit dem Tod bestraft, und leider führt uns das politische Klima in Europa gerade wieder vor Augen, dass dieser Kampf sehr schwierig bleibt.
Im Zusammenhang mit dem Moratorium und der Generalversammlung der Vereinten Nationen appelliert das Parlament zum dritten Mal in diesem Jahr und sehr förmlich an Sie, Herr Ratspräsident: es muss so schnell wie möglich alles Erdenkliche getan werden, damit bis zum Jahresende eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorliegt, mit dem Ziel eines Moratoriums als Strategie auf dem Weg zur Abschaffung. Ich denke, wir sagen hier alle dasselbe: nun sind Sie am Zuge.
Wie sollen wir erklären, dass wir anlässlich des Europäischen Tages gegen die Todesstrafe nichts zur diesbezüglichen aktuellen Situation in Europa gesagt haben? Wie kann es sein, dass ein Land ein derartiges Thema für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert, indem es konträr zum übrigen Europa, zu Artikel 2 der Grundrechtecharta, zu den gemeinsamen und vielleicht ältesten Zielen der europäischen Außenpolitik bleibt? Die Institutionen der Europäischen Union und Sie als Ratspräsident dürfen diese Situation nicht tolerieren!
Am 10. Oktober findet der Internationale Tag gegen die Todesstrafe statt. Das Europäische Parlament wird dann zu einer kurzen Sitzung in Brüssel zusammenkommen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das Europäische Parlament diesen Tag so feierlich und entschlossen wie möglich begeht.
Piia-Noora Kauppi (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich habe mich sehr über die Initiative der Kommission gefreut, den 10. Oktober zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe zu erklären. Ich unterstütze diese Initiative ohne jede Einschränkung und fordere alle Kollegen auf, sie ebenfalls zu unterstützen, und viele von Ihnen haben das im Rahmen dieser Aussprache ja bereits getan. Ich war schockiert festzustellen, dass nicht alle EU-Länder diese Initiative befürworten. Polens Standpunkt gefährdet die Glaubwürdigkeit der EU als Vorreiter der Abschaffung der Todesstrafe, und ich hoffe aufrichtig, dass die polnische Regierung ihren Standpunkt noch einmal überdenkt.
Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Strafe. Sie verletzt die Menschenwürde, und es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat. Glücklicherweise ist weltweit eine Tendenz zur Abschaffung zu verzeichnen. Ganz Europa mit Ausnahme von Belarus lehnt die Todesstrafe bereits ab, und immer mehr Länder auf allen Kontinenten schließen sich der immer größer werdenden Gruppe von Ländern an, die die Abschaffung der Todesstrafe befürworten.
Meiner Ansicht nach sollten wir auch weiterhin an unsere amerikanischen Kollegen appellieren, die Todesstrafe endgültig abzuschaffen. Ein Moratorium für Hinrichtungen ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Abschaffung. Die EU muss auch weiterhin alle Staaten, die an der Todesstrafe festhalten, zur Einführung eines Moratoriums auffordern. Eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen die Todesstrafe wird diesbezüglich hoffentlich eine wichtige Rolle spielen.
Wir sollten jedoch aufpassen, dass es nicht zu einer ähnlichen Entwicklung wie 1999 kommt, als Finnland, mein Heimatland, versuchte, die Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Annahme der Resolution gegen die Todesstrafe zu bewegen. Sie wurde so stark verwässert, dass sie der Sache mehr geschadet als genützt hätte. Nun, da Italien diese Angelegenheit bei der UNO wieder aufs Tapet gebracht hat, hoffe ich, dass die EU als Ganzes den Vorschlag unterstützen und die UNO-Generalversammlung eine Resolution dazu annehmen wird.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, Herr Minister! Ich muss meinen Beitrag mit einer persönlichen Anmerkung beginnen. Als ich mir vorhin den Beitrag von Herrn Szymański, einem Vertreter des polnischen rechten Flügels hier in diesem Hohen Haus, anhörte, erinnerte mich das an eine Szene aus der gestrigen Rede von Präsident Ahmadinedschad an der Columbia University in New York. Herr Szymański, Ihre Recht-und-Ordnung-Regierung, die polnische Rechte, hat dafür gesorgt, dass sich mein Land, mein Heimatland, in der Gesellschaft von Ländern wie Iran und Belarus wiederfindet. Präsident Ahmadinedschad verwies gestern mit Stolz auf das Vorbild Amerika als ein Land, das noch immer die Todesstrafe vollstreckt.
Die polnische Öffentlichkeit ist empört darüber, dass es der polnischen Regierung gelungen ist, die Ausrufung des Europäischen Tages gegen die Todesstrafe zu verhindern. Schließlich handelt es sich dabei um ein Anliegen, das die Europäische Union eint, das die öffentliche Meinung in Europa eint und das über ideologische Grenzen in Europa hinweg für einen demokratisch-liberalen Konsens sorgt. Ich glaube, dass die bevorstehenden Wahlen in Polen deutlich machen werden, dass es eine polnische Gesellschaft gibt, die sich entschlossen dafür einsetzt, dass die Europäische Union geeint im Forum der Vereinten Nationen mit einer Initiative gegen die Todesstrafe auftreten kann.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Mein Heimatland Portugal war Vorkämpfer für die Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 1867, und deshalb bin ich sehr stolz auf diese Initiative des portugiesischen Ratsvorsitzes, einen Europäischen Tag gegen die Todesstrafe einzurichten, in Übereinstimmung mit sämtlichen von Portugal auf internationaler Ebene – im Rahmen Europas und der Vereinten Nationen – für die Abschaffung der Todesstrafe unternommenen Schritte und im Protest gegenüber den Regierungen, die sich bei dieser inhumanen Praxis hervortun, insbesondere China, die Vereinigten Staaten und der Iran.
Ich finde es absolut schockierend, dass die polnische Regierung versucht hat, diese Initiative mit einer widersprüchlichen, opportunistischen Argumentation zu blockieren. Das polnische Volk muss wissen, dass die Regierung Kaczynski nicht nur der Europäischen Union und ihren Grundwerten einen schlechten Dienst erweist, sondern dass sie auch dem guten Namen, dem Prestige Polens den denkbar schlechtesten Dienst erweist. Auf dem Spiel stehen die grundlegenden Werte, die die Zivilisation von der Barbarei unterscheiden. Der portugiesische Ratsvorsitz darf sich nicht von der Gegenwehr der polnischen Regierung einschüchtern lassen. Er muss seinen Vorschlag aufrechterhalten, ihn zügig im Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ zur Abstimmung bringen, die polnische Regierung der Isolation, für die sie sich entschieden hat, überlassen und die Begehung des Europäischen Tages gegen die Todesstrafe am kommenden 10. Oktober vorantreiben.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Ich distanziere mich von den Äußerungen meines Kollegen Herrn Szymański und schließe mich voll und ganz dem an, was Herr Pinior gesagt hat. Polen hat das sechste Protokoll zur Abschaffung der Todesstrafe unterzeichnet und sich verpflichtet, diese Form der Bestrafung in unserem Land abzuschaffen. Am 17./18. Juni des vergangenen Jahres kamen die europäischen Außenminister, und zwar alle europäischen Außenminister, einschließlich des polnischen Außenministers, in Luxemburg überein, dass die Europäische Union einen gemeinsamen Entschließungsentwurf gegen die Todesstrafe vorlegen sollte.
Was ist seit dem 17. Juni passiert, das Polen veranlasst hat, im September seine Meinung zu ändern? Das muss etwas mit der innenpolitischen Lage zu tun haben, und natürlich muss das mit den Wahlen zu tun haben. Doch können wir wirklich sagen, dass Polen seine Meinung geändert hat? Es ist nicht Polen, sondern es ist die polnische Regierung. Die Polen sind keine Barbaren, sie lehnen die Todesstrafe ab. Die Polen haben sich bei zahlreichen Gelegenheiten gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Und ich muss Ihnen und vor allem Herrn Szymański sagen, dass sich 57 % der Polen in Meinungsumfragen gegen die Todesstrafe ausgesprochen haben. Das sollten Sie bedenken, wenn Sie Polen vertreten, und unter Berücksichtigung dieser Tendenz das vermitteln, was die polnische Gesellschaft denkt.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Vielen Dank, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, für Ihre Überlegungen, Bemerkungen und Fragen.
Das war für den Rat, und ich wusste, dass es so sein wird, eine leichte Aussprache. Leicht, weil sich der Rat und das Europäische Parlament in Bezug auf das Wesentliche einig waren, nämlich auf der nächsten Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution über das Moratorium und die Abschaffung der Todesstrafe zu erreichen. Mit großer Befriedigung stelle ich fest, dass wir uns in dem zentralen Ziel der Aussprache, die wir geführt haben, einig sind und dass wir gemeinsam daran arbeiten werden, dass es verwirklicht werden kann.
So wie es eine portugiesische Abgeordnete zum Ausdruck brachte, bin auch ich sehr stolz, an dieser Aussprache als Vertreter Portugals teilzunehmen, denn wir waren das erste europäische Land, das die Todesstrafe abgeschafft hat. Die Portugiesen sind in Bezug auf dieses Thema, diese Frage, dieses Problem besonders empfindsam, und es erfüllt mich mit Stolz, dies hier sagen zu können und jetzt die Gelegenheit zu haben, die Bemühungen des Rates bei den Vereinten Nationen mit Blick auf das Ziel, das wir uns gesteckt haben, zu leiten.
Ich bin nicht hierher gekommen, um über die Vergangenheit zu sprechen. Sicher, wir müssen Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Und deshalb müssen wir selbstverständlich Fehler verhindern, die wir vielleicht in der Vergangenheit begangen haben und die uns daran hinderten, die von uns gesteckten Ziele zu erreichen. Die Vergangenheit ist Vergangenheit; konzentrieren wir uns nun auf die Zukunft. Konzentrieren wir uns darauf mit Entschlossenheit, mit Beharrlichkeit, in dem Bewusstsein, dass dies politisch gesehen keine einfache, gleichwohl aber eine machbare Aufgabe ist. Wenn wir von Flexibilität sprechen, sprechen wir von Vertrauen in die Arbeit des Ratsvorsitzes. Wir bitten und verlangen ausdrücklich – und wir sind uns sicher, dass das Europäische Parlament uns das gewähren wird, weil es versteht, dass es sich um eine politisch komplizierte und mitunter auch schwierige Aufgabe handelt –, dass das Europäische Parlament Vertrauen in die Präsidentschaft und die Bemühungen der Präsidentschaft hat, damit wir dieses Ziel erfolgreich zum Abschluss bringen können.
Anfang Oktober – Anfang, Mitte Oktober werden wir den Resolutionsentwurf vorlegen. Das ist unsere Absicht, und ich kann Ihnen sagen, dass uns die zahlreichen démarches und Kontakte, um die wir uns bemüht haben, Vertrauen geben. Wir hoffen, dass dieses Vertrauen mit der Zeit größer wird, denn unsere Sache ist eine gerechte Sache. Abschließend möchte ich Ihnen auch sagen, dass die Europäische Union bereits Ko-Autoren hat, die zusammen mit uns diesen Resolutionsentwurf unterzeichnen werden; ich muss Ihnen hier zudem erklären, dass ich sehr stolz darauf bin, dass unter den Unterzeichnern portugiesischsprachige Länder als Vertreter Afrikas, Asiens und auch Lateinamerikas sind – Länder, die wie wir, wie die Portugiesen, ebenfalls die Achtung des vollen Wertes des Lebens unterzeichnen.
Ich möchte noch einmal wiederholen, dass wir darauf vertrauen, dass es dem portugiesischen Ratsvorsitz mit Ihrer Unterstützung und mit Ihrem Vertrauen gelingen wird, auf der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen dieses Ziel, das wir uns gesteckt haben, erfolgreich zu vollenden, und dass wir tatsächlich eine Resolution haben werden, die in dem vom Europäischen Parlament und vom Rat gewünschten und erhofften Wortlaut angenommen wird.
Martin Schulz (PSE). – Frau Präsidentin! Ich möchte eine persönliche Bemerkung auf der Grundlage von Artikel 145 machen. Der polnische Kollege, der als Vertreter der UEN-Fraktion gesprochen hat, hat in einer Äußerung hinsichtlich meiner Rede etwas völlig falsch wiedergegeben; das möchte ich klarstellen.
Ich habe den Rat gefragt, wie lange er sich diese Haltung des polnischen Staatspräsidenten Kaczyński noch gefallen lassen will. Ich hatte Herrn Kaczyński zitiert, der ja wünscht, dass eine bessere Atmosphäre eintritt, um die Wiedereinführung der Todesstrafe in Europa möglich zu machen. Meine Frage an den Rat war also: Wie lange will sich der Rat dies noch gefallen lassen? Wie lange wollen die anderen 26 Regierungen dazu schweigen? Ich habe mir mit keinem Wort angemaßt, darüber zu entscheiden – wie könnte ich –, wie lange Herr Kaczyński noch Staatspräsident in Polen ist. Es ist ein absolut souveränes Recht des polnischen Volkes, seine Regierung und seinen Staatspräsidenten zu wählen. Ich hoffe aber inständig, dass das polnische Volk so klug ist, diese Regierung so schnell wie möglich nach Hause zu schicken!
Die Präsidentin. − Vielen Dank für die Klärung.
Monica Frassoni (Verts/ALE) . – (PT) Ich habe eine sehr präzise Frage gestellt. Ich möchte gern wissen, auf welchen Artikel sich der Ratsvorsitz bei seiner Aussage stützte, dass bei dieser Art von Fragen wie beispielsweise dem Beschluss über den Tag gegen die Todesstrafe Einstimmigkeit gefordert ist, und weshalb er nicht auf eine Abstimmung im Rat gedrungen hat. Ich möchte gern wissen, warum Sie, Herr Präsident, nichts zu diesem Punkt, der von allen Rednern angesprochen wurde, gesagt haben.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Dass Entscheidungen dieser Art der Einstimmigkeit bedürfen, ist eine Auslegung des Rates.
Die Präsidentin. − Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung fünf Entschließungsanträge(1) eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 27. September 2007, statt.