Die Präsidentin. – Guten Morgen, verehrte Mitglieder! Heute, am 26. September, ist der Europäische Tag der Sprachen. Es ist unsere Pflicht, alle hier im Europäischen Parlament, dem Tempel der Sprachen, an die Bedeutung zu erinnern, die dieser Tag für das Grundkonzept und das Wesen der Europäischen Union sowie die Arbeit besitzt, die wir leisten, um ein multikulturelles Europa zu schaffen, in dem die unterschiedlichen Merkmale, Kulturen und der Geist unserer Völker geachtet werden.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Frau Präsidentin! Vielen Dank, dass Sie mir erlaubt haben zu sprechen. Heute begehen wir den Europäischen Tag der Sprachen, und ich möchte die Gefühle vieler Bürgerinnen und Bürger des spanischen Staates wiedergeben, die nicht verstehen können, warum sie vom Präsidium des Europäischen Parlaments diskriminiert werden, da Katalanen, Galicier und Basken wie ich, die Vertreter der Bürger, im Parlament nicht in unserer Sprache sprechen dürfen.
Im Unterschied zur Kommission, dem Rat und dem Ausschuss der Regionen, wo sich die Volksvertreter in diesen Regionalsprachen ausdrücken dürfen, weigert sich das Präsidium, das Baskische, Katalanische oder Galicische zu akzeptieren, die im spanischen Staat gleichermaßen Amtssprachen sind.
Frau Präsidentin, ...
(Der Redner spricht in baskischer Sprache.)
Die Präsidentin. – Herr Ortuondo! Die Präsidentschaft wird sich um Informationen zu dieser Angelegenheit bemühen, obwohl wir diese bereits mehrfach erörtert haben und die Antworten bekannt sind.
2. Zuwanderung – Strategischer Plan zur legalen Zuwanderung – Politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen (Aussprache)
Die Präsidentin . – Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über
- die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Zuwanderung
- den Bericht von Frau Lilli Gruber im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über den Strategischen Plan zur legalen Zuwanderung (2006/2251(INI)) (A6-0322/2007) und
- den Bericht von Herrn Javier Moreno Sánchez im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über Politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen (2006/2250(INI)) (A6-0323/2007).
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Herr Kommissar! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Europäische Union steht noch immer vor großen Herausforderungen, wenn es um Lösungen für die Frage der sich verändernden Zuwanderungssituation geht.
Der im Dezember 2005 vom Europäischen Rat verabschiedete Gesamtansatz zur Migrationsfrage bildet weiterhin den grundlegenden Rahmen für die Formulierung einer Antwort auf diese Herausforderung. Mit der Billigung des Gesamtansatzes hat der Europäische Rat die Notwendigkeit eines ausgewogenen, umfassenden und integrierenden Konzepts unterstrichen, das politische Ansätze zur Bekämpfung illegaler Einwanderung beinhaltet und in Zusammenarbeit mit Drittstaaten die Vorteile der legalen Zuwanderung zum Tragen kommen lässt. Mehrere Ratspräsidentschaften in Folge haben die Umsetzung des Gesamtansatzes zu ihrer vorrangigen Aufgabe gemacht.
Der Gesamtansatz zur Migration ist nicht statisch, sondern wurde vom Europäischen Rat angesichts von Ereignissen und Fortschritten auf dem Weg der Umsetzung präzisiert und weiterentwickelt, so dass er heute Bestandteil der umfassenden Einwanderungspolitik der Europäischen Union ist.
Auf seiner Tagung vom 21. und 22. Juni dieses Jahres nahm der Europäische Rat Schlussfolgerungen zur Erweiterung und Förderung des Gesamtansatzes an. In den Schlussfolgerungen wird insbesondere die Anwendung des Gesamtansatzes auf die östlichen und südöstlichen Nachbarregionen der EU sowie die Entwicklung von Partnerschaften für zirkuläre Migration und Mobilität zwischen der EU und Drittstaaten begrüßt.
Wie wichtig die Anwendung des Gesamtansatzes ist, hat sich auch anhand von Vorkommnissen in diesem Sommer gezeigt, vor allem angesichts von Ereignissen an den südlichen Seegrenzen der EU. Bei der weiteren Umsetzung des Gesamtansatzes müssen die zu ergreifenden Maßnahmen sowohl Schritte zur Bekämpfung illegaler Einwanderung als auch Maßnahmen zur Schaffung von Möglichkeiten für legale Zuwanderung umfassen.
Der Rat hat sich bemüht, auf dem Weg zur Erreichung dieser beiden untrennbar miteinander verknüpften Zielstellungen Fortschritte zu erzielen. Auf der Juni-Tagung wurde die Lage an den südlichen Grenzen des Mittelmeeres erörtert. Der Rat hat die Wichtigkeit der Rolle bestätigt, die Frontex zukommt, und entschieden, auf der Grundlage der maltesischen Vorschläge neue Anstrengungen zu unternehmen. Im Ergebnis dieser Bemühungen hat der Rat auf seiner Tagung vom 18. September die Schlussfolgerungen zur Verstärkung der Überwachung der südlichen Seegrenzen der EU gebilligt. In einigen dieser Schlussfolgerungen wird zu dringendem Handeln aufgerufen, um aktuelle Maßnahmen und bestehende Vereinbarungen zu stärken. Die Mitgliedstaaten sind angehalten, jene EU-Mitglieder bilateral zu unterstützen, die aufgrund ihrer geografischen Lage und dem Stand der Kooperation mit angrenzenden Drittstaaten dem Druck illegaler Einwanderung in besonderem Maße ausgesetzt sind. So erstreckt sich die Zusammenarbeit beispielsweise auf Rückführungsmaßnahmen, Aufnahmebedingungen oder Zuständigkeiten für Asylbewerber, Flüchtlinge und Minderjährige.
Die Schlussfolgerungen unterstreichen zudem die Notwendigkeit, die Durchführung gemeinsamer Maßnahmen in Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten in diesem Bereich zu intensivieren, vor allem im Hinblick auf die Überwachung ihrer eigenen Grenzen, die Übernahme von Verantwortung für Such- und Rettungsoperationen, die Bekämpfung von Menschenhandel und Schleusertum sowie für den Aufbau eines wirksamen Rahmens für die Rückübernahme illegaler Einwanderer.
Der Stellenwert einer engen Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie dem UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurde hervorgehoben. Ein weiteres Schlüsselelement bildet der Versuch, die Aktivitäten von Frontex zu verstärken, vor allem durch Einrichtung von langfristig ausgerichteten gemeinsamen Operationen und die Ausdehnung der Aktivitäten innerhalb des europäischen Küstenpatrouillennetzes.
Im Hinblick auf langfristige Maßnahmen hat der Rat die Kommission aufgefordert, einen Bericht über mögliche Zusatzmaßnahmen in Verbindung mit einer detaillierten Analyse bestimmter Vorschläge von Malta und einer Studie zu den einschlägigen Aspekten des Seerechts vorzulegen sowie im Rahmen der gegenwärtigen Diskussion über das Grünbuch der Kommission zum künftigen Gemeinsamen Europäischen Asylsystem eine entsprechende Verpflichtung zur Bildung von Expertenteams für Asylfragen abzugeben.
Der Verantwortung von Frontex für den wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen durch die Mitgliedstaaten kommt wachsende Bedeutung zu. Bekanntlich hat Frontex erst im Oktober 2005 seine Arbeit aufgenommen, aber in diesem relativ kurzen Zeitraum konnte die Agentur ihre Einsatzfähigkeit entwickeln und bereits wichtige Schritte zur Verstärkung der Sicherheit an den EU-Außengrenzen unternehmen, indem man sich auf die Bekämpfung der illegalen Einwanderung konzentriert hat. Verschiedene von Frontex koordinierte gemeinsame Operationen haben schon stattgefunden. Andere laufen gegenwärtig im Atlantik und im Mittelmeer. Einen besonderen Höhepunkt bildete der Startschuss für das europäische Küstenpatrouillennetz, der im Mai dieses Jahres gegeben wurde. Langfristig soll es in das künftige europäische Überwachungssystem integriert werden.
Ein weiteres bedeutsames Ereignis war die Verabschiedung der Verordnung über die Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke, die auch als RABITs bekannt sind. Die Verordnung ist vom Rat im Juli dieses Jahres gebilligt worden und am 20. August in Kraft getreten. Sie sieht einen Mechanismus für die Bereitstellung schneller operativer Hilfe über einen begrenzten Zeitraum für einen in einer außergewöhnlichen und dringenden Krisensituation um Unterstützung ersuchenden Mitgliedstaat vor, insbesondere bei Ankunft einer hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen, die versuchen, auf illegalem Wege in die EU zu gelangen.
Aktuell ist Frontex dabei, die Verordnung umzusetzen. Damit die von Frontex koordinierten Operationen jedoch Wirkung zeigen, muss unbedingt die erforderliche Ausrüstung zur Verfügung stehen. In Übereinstimmung mit der Frontex-Verordnung hat die Agentur einen zentralisierten Katalog von Grenzschutzmaterialien unter der Bezeichnung CRATE eingerichtet. Er enthält bereits ein umfangreiches Verzeichnis von Hubschraubern, Flugzeugen, Schiffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, die die Mitgliedstaaten für von Frontex koordinierte Operationen bereitstellen.
Was rechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung betrifft, haben die zuständigen Stellen des Rates bereits mit der Analyse des Vorschlags für eine Richtlinie des Parlaments und des Rates begonnen, die die Verhängung von Sanktionen gegen Arbeitgeber von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen regelt. Die Kommission hat den Vorschlag, der auf die Bekämpfung illegaler Beschäftigung als Anreiz für illegale Einwanderung abzielt, im Mai 2007 vorgelegt.
Um eine schnelle Einigung zu erzielen, hat der Rat im Rahmen des Mitbestimmungsverfahrens dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger hohe Priorität eingeräumt. Die zuständigen Stellen des Rates prüfen ihn gegenwärtig.
Zur Rückübernahmepolitik ist zu sagen, dass nach dem Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens mit Russland im Juni bereits eine Entscheidung über die Unterzeichnung des Rückübernahmeabkommens mit der Ukraine getroffen wurde. Außerdem sind schon eine Reihe von Rückübernahmeabkommen mit den Ländern des westlichen Balkans und der Republik Moldau geschlossen worden. All diese Abkommen werden rechtswirksam, sobald das Europäische Parlament seine Stellungnahme abgegeben hat.
Ich möchte nun auf den Strategischen Plan zur legalen Zuwanderung eingehen. Wie Sie wissen, setzen der Rat und der portugiesische Vorsitz den Schwerpunkt auf die Förderung der legalen Zuwanderung. Die Ratspräsidentschaft hat am 13. und 14. September eine hochkarätige Konferenz zur Frage der legalen Einwanderung in Lissabon veranstaltet, auf der Minister, hochrangige Beamte und namhafte Wissenschaftler sowie Vertreter des EU-Parlaments und der Kommission zusammentrafen. Auf der Konferenz wurde versucht, Lösungen für die Probleme der legalen Zuwanderung zu finden, wie beispielsweise legale Migrationswege und die Steuerung von Migrationsströmen, Integration und die Lissabon-Agenda sowie Zuwanderung und Entwicklung. Die Ergebnisse der Konferenz werden in den kommenden Monaten große Bedeutung für die Gestaltung unserer Arbeit haben.
In Kürze wird der Rat darüber hinaus mit der Ausarbeitung von Vorschlägen für eine Rahmenrichtlinie über die Rechte von Zuwanderern beginnen, die sich legal zu Arbeitszwecken in einem Mitgliedstaat aufhalten und dazu eine EU-weit einheitliche Aufenthaltsgenehmigung schaffen. Außerdem sind Vorschläge für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von hoch qualifizierten Arbeitskräften geplant, die die Kommission hoffentlich in den nächsten Wochen präsentieren wird. Diese beiden Vorschläge stellen in Verbindung mit anderen Maßnahmen, die in den kommenden Jahren erarbeitet werden, die nächsten Schritte in dem von der Kommission im Januar 2006 präsentierten strategischen Plan zur legalen Zuwanderung dar.
Der Rat hat bereits mit der Prüfung der vorgeschlagenen Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG zwecks Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf Personen mit internationalem Schutzstatus begonnen. Der Vorschlag zielt darauf, Personen mit internationalem Schutzstatus die Möglichkeit zu geben, eine langfristige Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. Der Rat erwartet noch die Stellungnahme des Parlaments, damit dieses Entwurfsinstrument zügig verabschiedet werden kann.
Zum Thema der auswärtigen Beziehungen im Bereich der Zuwanderung muss ich Ihnen mitteilen, dass der Rat die Anwendung des Gesamtansatzes zur Migration entsprechend den Schlussfolgerungen des Rates vom Dezember 2005 und 2006 aktiv verfolgt hat. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch auf die Schlussfolgerungen zur Ausdehnung und Stärkung des Gesamtansatzes zur Migrationsfrage lenken, die der Rat im Juni gebilligt hat. Im Dezember 2006 hat der Europäische Rat die Kommission aufgefordert, Vorschläge zu erarbeiten, wie der Gesamtansatz auf die östlichen und südöstlichen Nachbarregionen der EU angewendet werden kann. Außerdem sollten Möglichkeiten zur Einbeziehung der legalen Zuwanderung in die EU-Außenpolitik vorgeschlagen werden, um eine ausgewogene Partnerschaft mit Drittstaaten zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse des Arbeitsmarktes in den Mitgliedstaaten zugeschnitten ist. Darüber hinaus sollte die Kommission Möglichkeiten und Mittel für die Ermöglichung der zeitweiligen zirkulären Migration vorschlagen und detaillierte Vorschläge vorlegen, wie Informationen über die verschiedenen Formen legaler Wanderungsbewegungen zwischen der EU und Drittstaaten effizienter aufbereitet und bereitgestellt werden können.
Die Kommission hat auf diese Aufforderung hin zwei Mitteilungen vorgelegt. Nach ihrer Billigung hat der Vorsitz dem Rat einen Schlussfolgerungsentwurf mit dem Ziel präsentiert, die Arbeit in den von der Kommission benannten Maßnahmenbereichen aufzunehmen.
Das Euromed-Ministertreffen zur Migration wird im November stattfinden. Ziel des Treffens ist es, Initiativen und Aktionen für die Umsetzung von migrationsrelevanten Themen auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus gilt auch Afrika besondere Aufmerksamkeit, denn der 2005 mit den afrikanischen Staaten aufgenommene Dialog soll weiter vorangetrieben und intensiviert werden. Vorrang wurde auch der Beobachtung der Ministertreffen zu Migration und Entwicklung gegeben, die im Juli 2006 in Rabat sowie im November 2006 in Tripolis stattgefunden haben. Auf den Ministertreffen – das erste im regionalen, das zweite im kontinentalen Maßstab – wurde eine Reihe von Handlungsfeldern herausgearbeitet, in denen die Zusammenarbeit zwischen den Herkunfts-, Transit- und Zielländern von Migranten verstärkt werden kann.
Der Rat bemüht sich in diesem Bereich aktiv darum, die in Rabat und Tripolis vereinbarten Programme in konkrete Maßnahmen zu überführen.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Vertreter des Rates sehr dankbar, dass er unser gemeinsames Vorgehen in groben Zügen dargelegt hat, und ich möchte besonders den beiden Berichterstattern, Frau Gruber und Herrn Moreno Sánchez, für die beiden Berichte danken, die wir heute erörtern und zu denen wir unsere Stellungnahmen abgeben.
Eine erste Erwägung ist sicherlich, welche Wegstrecke Europa in so kurzer Zeit zurückgelegt hat, mit anderen Worten eine optimistische Feststellung. Wir alle erinnern uns daran, dass bis zum Gipfel von Hampton Court im Oktober 2005 sogar bezweifelt wurde, Europa könne eine gemeinsame Migrationsstrategie verfolgen. Heute ist das nicht nur eine Losung für uns alle, sondern wir führen bereits einige Maßnahmen durch, die beschlossen wurden und erste beachtliche Früchte zu tragen beginnen.
Dies beweist, dass Europa eine Rolle bei der Steuerung der globalen, unaufhaltsamen Migration übernehmen muss, denn die nationalen Maßnahmen der Mitgliedstaaten reichen nicht mehr aus. Es zeigt auch, dass ein europäisches Vorgehen vorteilhaft für Europa selbst, für die Mitgliedstaaten und für all unsere Partner ist, was sowohl für die südliche Dimension – hauptsächlich die afrikanischen Länder – als auch für unsere östlichen Nachbarn gilt, denn es wurde schon erwähnt, dass die Kommission den Vorschlag unterbreitet hat, den Gesamtansatz nach Osten, d. h. auf die Migrationsströme aus dem Osten, auszudehnen. Dem hat der Rat vollends zugestimmt.
Wir sprechen stets von einem Gesamtansatz. Wir sind uns wohl alle einig, dass das bedeutet, die externe Dimension unlösbar mit den internen Einwanderungsmaßnahmen zu verbinden. Wir dürfen uns nicht nur auf die Steuerung der Migration innerhalb unseres Gebiets beschränken; wir müssen uns auch mit den tieferen Wurzeln der Migrationsbewegung befassen, die zu einem Großteil immer noch aus verzweifelten Menschen besteht, die vor Verfolgung, Armut oder Krieg fliehen und keine Wahl haben, ihr Vaterland zu verlassen oder dort zu bleiben. Sie müssen ihre Heimat um des Überlebens willen verlassen.
Daher ist klar, dass die tieferen Wurzeln der Migration nicht mit einem bloßen Sicherheitskonzept, mit den Mittelmeerpatrouillen angegangen werden können, die allerdings ein wesentliches Instrument für den Schutz des Gebiets um die Kanarischen Inseln waren und auch bleiben werden. Dies kann nicht unsere alleinige Strategie sein, und sicher müssen wir uns mit einer realen Forderung der EU-Mitgliedstaaten befassen: der Steuerung der legalen Zuwanderung. Sie ist eine der besten Methoden, um die illegale Einwanderung zu bekämpfen.
Je besser wir die Wirtschaftsmigration in den Griff bekommen – was wir müssen –, desto mehr werden wir den grauen, undurchsichtigen Bereich der illegalen Einwanderung eindämmen. Deshalb habe ich zuerst über legale Zuwanderung gesprochen, mit der wir uns vor einigen Tagen auf einem bedeutsamen Treffen in Lissabon befasst haben. Wir haben über Zukunftsperspektiven gesprochen, und ich gewann den Eindruck, den dieses Parlament, wie ich hoffe, bestätigen wird, dass dies ein günstiger politischer Moment ist, um uns frei von Ideologien mit der Wirtschaftsmigration zu beschäftigen.
Offen gestanden, müssen wir das in dem Bewusstsein tun, dass wir Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Staaten brauchen, dass wir keine Panik machen dürfen, indem wir hohe Zahlen verbreiten, die einen falschen Eindruck vermitteln könnten. Einige Beobachter, aber auch einige brisante Presseartikel verlautbarten: „Wir sind bereit, 20 Millionen legale Zuwanderer aufzunehmen.“ Solche Zahlen sind, offen gesagt, gefährlich. Es ist eine Sache, auf einen unbestreitbaren Bevölkerungstrend hinzuweisen: Europa überaltert und die Zahl der Arbeitnehmer wird aufgrund des Bevölkerungsschwunds sinken; eine ganz andere Sache ist es aber, sich schon jetzt Zahlen auszudenken, die erst in 50 Jahren zutreffen werden.
Lassen Sie uns deshalb alle Aspekte dieses Phänomens angehen, angefangen mit dem Bevölkerungsrückgang in Europa. Der zweite Aspekt betrifft indessen die Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität der europäischen Wirtschaft. Hierfür brauchen wir Arbeitskräfte in all jenen Bereichen, von denen heute viele unserer europäischen Mitbürger, sagen wir mal, ein wenig abgerückt sind. Der dritte Faktor ist allerdings, dass die Einwanderung nicht die einzige Lösung sein kann, um den Bevölkerungsschwund in Angriff zu nehmen.
Wir dürfen zum Beispiel nicht außer Acht lassen, dass, während wir von Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern sprechen, wir noch Hindernisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus der EU aufrechterhalten. Einige unserer EU-Bürger genießen noch keine uneingeschränkte Beschäftigungsfreiheit in allen anderen EU-Staaten. Dies wird im Fachjargon als „Gemeinschaftspräferenz“ bezeichnet, muss jedoch mit einer politischen Aktion anstatt mit einem bürokratischen Begriff erklärt werden. Das bedeutet, Europa wird erst dann ein wirklicher Raum der Arbeitsmobilität sein, wenn die Hindernisse für unsere europäischen Arbeitnehmer – und damit meine ich offenkundig die aus den neuen Mitgliedstaaten – beseitigt sein werden. Das wäre also ein weiterer Aspekt, den wir berücksichtigen müssen.
Der vierte Aspekt hat zur Folge, dass wir es ablehnen, den Bevölkerungsschwund als etwas zu betrachten, vor dem wir kapitulieren müssen, indem wir sagen: Was soll’s, es kommen ja Arbeitnehmer aus Afrika. Wir müssen uns um unseren Bevölkerungsrückgang wie um unsere Zukunft sorgen. Deshalb sind zum Beispiel Maßnahmen zur Förderung der Familie und der Geburtenhäufigkeit von uns Europäern in diesem Rahmen genauso wichtig wie die Steuerung der Migrationsphänomene außerhalb Europas.
Um all dies zu bewerkstelligen, treffen wir offenkundig einige Maßnahmen, und einige sind bereits im Migrationsbereich getroffen worden. Ich kann Ihnen sagen, dass wir gerade die Ausschreibung für die Einrichtung des EU-Zuwanderungsportals starten. Diese Ausschreibung, die, wie ich hoffe, in wenigen Monaten abgeschlossen sein wird, wenn es die Bürokratie erlaubt, wird uns zum ersten einheitlichen Zuwanderungsportal Europas verhelfen. Das Portal wird uns den Zugriff auf Arbeitsmöglichkeiten, Stellenangebote, Arbeitsuchende, Bereiche, in denen eine Arbeitskräftenachfrage besteht, ermöglichen usw. usf. Es wird Europas Potenzial in diesem Bereich wesentlich stärken.
Der Europäische Integrationsfonds ist endlich Realität geworden. Wir haben bei anderen Gelegenheiten darüber diskutiert, und Sie haben Ihre Zustimmung bekundet. Ich muss zugeben, dass der Rat das Finanzierungsvolumen gegenüber meinem ursprünglichen Vorschlag etwas beschnitten hat, doch wurde er auf den Weg gebracht. Uns steht fast eine Milliarde Euro zur Verfügung, um diesen umfassenden Bereich der Migrationsstrategie anzugehen. Ohne Integration gibt es keine Zuwanderung. Der Europäische Fonds besteht jetzt. Wir finanzieren Sprachkurse und Berufsbildungslehrgänge in den Herkunftsländern. Die ist eine weitere Vorbedingung, um die Wirtschaftsmigration zu steuern: Wenn die Ankommenden keine Berufsausbildung absolviert haben, die wir in diesem oder jenem Bereich verlangen, und wenn sie nicht die Sprachen der Länder sprechen, in denen sie arbeiten, werden sie letztendlich ins gesellschaftliche Abseits gedrängt, was wir nicht wollen. Die Europäische Union finanziert bereits Maßnahmen in diesem Bereich.
Wie Sie wahrscheinlich wissen, wird die Kommission in wenigen Tagen auf meinen Vorschlag hin zwei Legislativtexte annehmen. Der Vertreter des Rates sprach davon. Es werden zwei Richtlinien, zwei ziemlich innovative Richtlinien sein, wobei die erste hoch qualifizierte Arbeitnehmer betrifft. Damit sollen gewiss keine Zahlenspiele betrieben werden: Wie viele Ingenieure werden in Italien und wie viele Ärzte werden in Belgien gebraucht. Darüber werden die Regierungen und zugleich die Arbeitsmärkte der betreffenden Länder entscheiden. Wir sind vielmehr daran interessiert, Europa im Vergleich zu Mitwettbewerbern wie USA, Kanada und Australien attraktiver zu machen, die 95 % der hoch qualifizierten nicht-europäischen Arbeitnehmer, d. h. aus afrikanischen oder asiatischen Ländern, für sich gewannen, während wir in Europa insgesamt ganze 5 % anzuwerben vermochten. Das sind zu wenig!
Hinter der Idee einer europäischen Blue Card verbirgt sich Folgendes: Ein in einem bestimmten Land benötigter hoch qualifizierter Arbeitnehmer erhält nach einer gewissen Zeit das Recht, sich, wohlgemerkt ohne Formalitäten und komplizierte Prozeduren, in einen anderen Mitgliedstaat der EU zu begeben, falls er dort ebenfalls einen Job hat. Der Betreffende hat das Recht, wenn er es wünscht, in sein Herkunftsland zurückzukehren und, wenn er will, wiederum nach einer bestimmten Zeit, erneut nach Europa zu kommen. Diese Art zirkulärer Migration kann außerdem die dauerhafte Abwanderung von Spitzenkräften aus den Herkunftsländern verhindern.
Die zweite Richtlinie, die sich auf ein gemeinsames Bündel von Rechten für Wirtschaftsmigranten bezieht, wird zweifellos ebenso bedeutsam sein, denn zum ersten Mal wird es eine kombinierte Arbeits-/Aufenthaltserlaubnis in einem einzigen Dokument geben. Der Betreffende reist in Europa ein, um zu arbeiten. Ich spreche selbstverständlich nicht von Asylbewerbern oder Familienzusammenführungen; ich spreche von denen, die aus Arbeitsgründen zu uns kommen: den Wirtschaftsmigranten. Bei ihnen kann im Prinzip nicht zwischen Aufenthalt und Arbeit getrennt werden, und ein derartiges Dokument muss verständlich sein.
Es liegt auf der Hand, dass dies eine Harmonisierung der Rechte einleiten wird. In manchen Mitgliedstaaten wird das Recht auf gesundheitliche Betreuung nicht uneingeschränkt gewährt, in anderen hingegen sehr wohl. Der Vorschlag, den die Kommission dem Rat und dem Parlament vorlegen wird, wird es selbstverständlich den Mitgliedstaaten überlassen, über dieses Niveau hinauszugehen, wenn zum Beispiel bereits nationale Regelungen bestehen, die günstiger sind. Gewiss verlangen wir nicht, dass ein eher vorbildliches Land seinen Rechtestandard senkt, sondern wir fordern, dass die weniger vorbildlichen ihr Niveau der Rechte auf soziale, bildungspolitische, gesundheitliche und andere Dienstleistungen anheben.
2008 werde ich Vorschläge zu anderen Kategorien von Arbeitsmigranten vorlegen: Saisonarbeitnehmer, bezahlte Auszubildende – d. h. diejenigen, die bezahlte Ausbildungskurse besuchen – und so genannte innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen in verschiedenen Städten Europas ansässig ist, würde die Versetzung innerhalb dieses Unternehmens erleichtert, ohne dass die Verfahren in allen Ländern von vorn aufgerollt werden müssten. Und dann sind selbstverständlich die unqualifizierten Arbeitnehmer an der Reihe. Sie bilden die größte Gruppe, die genauer untersucht werden muss. Anstatt diesbezüglich einen Legislativvorschlag auszuarbeiten, würde ich lieber – was Anfang kommenden Jahres geschehen wird – Optionen unterbreiten, offene Vorschläge, zu denen dann Stellungnahmen und Empfehlungen eingeholt werden, ehe ein bestmöglicher Vorschlag formuliert wird. Wir sprechen hier nicht von kleineren Gruppen, sondern von der überwiegenden Mehrheit, die ohne eine Berufsausbildung nach Europa kommt. Es gibt viele Elemente, die es dabei zu berücksichtigen gilt.
Ein zentraler Aspekt – ich zitiere aus dem Bericht von Frau Gruber – ist die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern, um die Abwanderung von Spitzenkräften, den so genannten Brain Drain, zu vermeiden. Dieser Aspekt liegt mir besonders am Herzen. Ich erwähnte bereits, dass das Konzept der zirkulären Migration speziell darauf abzielt, einen dauerhaften Kräfteabzug zu verhindern. Mit einigen afrikanischen Ländern südlich der Sahara wurde beispielsweise schon eine Zusammenarbeit eingeleitet, um zu prüfen, wie die besten Fachkräfte, die für einen gewissen Zeitraum in Europa arbeiten, nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer genutzt und wie sie zum Nutzen ihrer Herkunftsländer beschäftigt und eingesetzt werden können.
Das ist ein offener Dialog, den ich in den nächsten Monaten energisch fortführen möchte, auch dank der umfassenden Unterstützung der vorangegangenen Präsidentschaften sowie der gegenwärtigen, der portugiesischen Präsidentschaft. Hierfür bieten sich uns zwei großartige Gelegenheiten, nämlich zwei Gipfeltreffen: der Europa-Mittelmeer-Gipfel, der ja bereits erwähnt wurde, und der EU-Afrika-Gipfel der Regierungschefs. Dieser Gipfel wird uns, wie ich glaube und hoffe, voranbringen, denn ich erwarte natürlich, dass die Regierungschefs bei diesem Europa-Afrika-Gipfeltreffen eine richtige Erklärung über die Partnerschaft zwischen Europa und Afrika in Fragen der Migration, Mobilität und Beschäftigung annehmen.
Ich denke, damit werden wir einen großen Schritt nach vorn machen, auch weil, wie wir uns mit dem portugiesischen Vorsitz geeinigt hatten, der Vorschlag, den wir unter deutschem Vorsitz, d. h. mit dem Arbeitsminister und dem Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, erörterten, auf der ersten gemeinsamen Tagung der Innen- und der Arbeitsminister vorangebracht werden soll. Anfang Dezember wird erstmals eine greifbare politische Maßnahme durchgeführt, bei der die verschiedenen Faktoren der Migrationsstrategie gebündelt werden: Es geht also nicht mehr nur um die Sicherheit, sondern auch um den Wirtschafts- und den Beschäftigungsfaktor, der aus all den bereits angeführten Gründen äußerst wichtig ist.
Ein weiteres Thema betrifft die Kooperationsabkommen mit den Herkunftsländern. Diesbezüglich hat die Kommission begonnen, versuchsweise Maßnahmen mit einigen Ländern durchzuführen. Kurz gesagt, wir haben, Länderprofile erarbeitet. Kein Land ist wie das andere, wir können den Migrationsstrom aus Mali nicht genau so steuern wie den aus dem Senegal. Jedes Land hat sein eigenes Profil und muss dementsprechend behandelt werden.
Im Anschluss daran bieten wir Partnerschaftsmöglichkeiten als Teil eines komplexen Abkommens an. Wir haben sie schlicht „Kooperationsplattformen“ genannt. Das sind Abkommen mit einer Themenplattform, auf die es sich zu einigen gilt: gemeinsame Bekämpfung des Menschenhandels gemäß der Erkenntnis, dass er im Herkunftsland beginnt; dann Ausrottung der Korruption, die diesen Menschenhandel deckt; Steuerung der Arbeitsmöglichkeiten durch Information und berufliche sowie sprachliche Bildung. Wir haben das erste Job-Zentrum in Bamako, der Hauptstadt Malis, mit EU-Geldern finanziert und eröffnet. Und wir haben gesagt, dass wir in diesem Zentrum Informationen über die europäischen Rechtsvorschriften und die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, d. h. die Ausbildungslehrgänge, vermitteln werden – was wir inzwischen schon tun. Mali war das erste Land, das sein Interesse bekundet hat, und deshalb haben wir diese Maßnahme mit diesem Land schon umgesetzt haben. Ähnlich wollen wir mit anderen Ländern verfahren, wenn sie an uns herantreten.
Doch nun zur Integration: Die Integration ist, um es auf den Punkt zu bringen, ein wesentlicher Bestandteil der Migrationspolitik, und selbstverständlich muss der Fonds für all jene Politikmaßnahmen genutzt werden, die der sozialen Eingliederung der Migranten dienen, die sich an unsere Regeln halten. Schließlich ist auch die illegale Einwanderung Teil unserer politischen Strategie. Ich weiß und ich freue mich darüber, dass der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres den Bericht von Herrn Weber über die europäische Rückführungspolitik angenommen hat. Wir werden ihn später erörtern, aber er ist ebenso wichtig.
Illegale Einwanderung zu bekämpfen bedeutet, der Schwarzarbeit, die ein Pull-Faktor für illegale Beschäftigung ist, keinen Vorschub zu leisten. Sie wissen, dass der Anteil der Migranten, die in Europa ihre Arbeit verlieren, wächst. Das bereitet uns ernste Sorge. Früher gab es Arbeit für viele Menschen – Saisonarbeit, Landwirtschaft, Fremdenverkehr, Bauwesen –, doch nun macht sich leider eine steigende Arbeitslosigkeit bemerkbar. Was sollen wir mit diesen Erwerbslosen tun?
Deshalb dürfen wir die illegale Beschäftigung nicht fördern, müssen wir Arbeitgeber, die illegale Einwanderer beschäftigen, bestrafen, müssen wir eine Rückführungspolitik gewährleisten, bei der die grundlegenden Menschenrechte geachtet, zugleich aber unsere Ziele klar und entschlossen verfolgt werden. Wir können Illegalität und wiederholte Fälle ungesetzlichen Verhaltens nicht dulden.
Die europäische Agentur Frontex hat geholfen, Tausende von illegalen Migranten aufzuhalten. Sie hat allein im letzten Sommer über 1 200 Menschen gerettet, die andernfalls umgekommen wären, wie so viele andere umgekommen sind, und wir haben den Einsatzkräften der Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber der Frontex-Missionen dafür zu danken. Frontex hat jedoch auch zu einer Verringerung der Ströme illegaler Migranten in den Patrouillengebieten beigetragen. Frontex war, ist und bleibt deshalb ein Schlüsselinstrument dieses Gesamtansatzes.
Abschließend, Frau Präsidentin, möchte ich betonen, dass wir uns in den nächsten Jahrzehnten, und nicht nur in den nächsten Monaten, mit der Einwanderung befassen werden müssen. Deshalb wäre es gut für Europa, sich bewusst zu machen, dass sich ihm eine einzigartige Gelegenheit bietet, auch in diesem Bereich eine Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.
Lilli Gruber (PSE), Berichterstatterin. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einwanderung ist weder eine Ausnahmesituation noch ein vorübergehendes Phänomen. 2006 gab es in der EU-27 18,5 Millionen Einwanderer. Die Ursachen sind, wie Sie wissen, vielfältiger Natur: Krieg, Armut, Umweltkatastrophen, grausame Diktaturen in vielen Regionen der Welt. Die Europäische Union ist einer der großen globalen Akteure und muss deshalb ihr Zögern aufgeben und Strukturmaßnahmen festlegen, um diese Herausforderung, die uns alle betrifft, zu bewältigen: Allein werden wir gar nichts erreichen!
Vieles wurde zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung getan, doch das ist nicht genug. Der wichtigste Weg, um gegen die illegale Migration vorzugehen, ist die Schaffung legaler Möglichkeiten zur Einreise in die Europäische Union. Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille, und aus diesem Grund haben Javier Moreno Sánchez und ich beschlossen, unsere Berichte zusammen vorzustellen.
Unsere Wirtschaftssysteme könnten ohne die zugewanderten Arbeitnehmer nicht mehr funktionieren, und ohne ihre Sozialbeträge wäre unser Wohlfahrtssystem dem Untergang geweiht, denn es ist durch sinkende Geburtenraten gefährdet. Die Eurostat-Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2050 wird ein Drittel der 490 Millionen Europäer älter als 65 Jahre sein. Der Aktionsplan der Kommission von 2005 war ein wichtiger Schritt nach vorn, weil er konkrete Vorschläge zur Schaffung einheitlicher legaler Zuwanderungsmöglichkeiten auf Unionsebene enthielt, wobei die Verantwortung für die Festlegung der Einreisequoten selbstverständlich bei den Mitgliedstaaten verbleibt.
Von den fünf Richtlinien, die Sie, Herr Kommissar Frattini, in den kommenden Monaten vorlegen werden, messen wir derjenigen Priorität bei, die einen gemeinsamen Rahmen von Rechten für die Migranten sicherstellt. Ich wünsche Ihnen das Allerbeste, denn wir alle wissen, dass die Verhandlungen im Rat sicher nicht leicht sein werden, doch das Parlament wird Ihnen seine Unterstützung nicht versagen. Auch deshalb ist es erforderlich, dass unsere Mitentscheidungsbefugnisse gewährleistet werden und das Vetorecht im Rat abgeschafft wird.
Mein Bericht wurde im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres mit nur einer Gegenstimme einstimmig angenommen, und ich danke den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen herzlichst für ihre loyale Unterstützung. In dem Bericht fordern wir den Zugriff auf harmonisierte und zuverlässige statistische Daten auf EU-Ebene. Es ist unmöglich, Gesetze zur Zuwanderung zu erlassen, ohne deren wirkliches Ausmaß zu kennen; ohne sichere Zahlen wird sie leicht zu einem Propagandamittel.
Dieses Phänomen muss ohne Demagogie, ohne Populismus und ohne Tabus angegangen werden. Deshalb halte ich ein höheres Verantwortungsbewusstsein der Politiker und der Journalisten bei der Behandlung eines so sensiblen Themas für äußerst wichtig. Beide Gruppen spielen nämlich, wie Sie wissen, eine zentrale Rolle im Integrationsprozess.
Integration ist ein zweiseitiger Prozess mit Rechten und Pflichten auf beiden Seiten, der auf die aktive Beteiligung der Migranten am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben des Aufnahmelandes nicht verzichten kann. Ich stimme Ihnen zu, Herr Frattini, wenn Sie vom Gleichbehandlungsgrundsatz in Bezug auf die sozialen und wirtschaftlichen Rechte sprechen, denn die Grundrechte schließen gleichen Lohn, Sicherheit am Arbeitsplatz, aber auch Anerkennung von Qualifikationen, Übertragbarkeit von Rentenansprüchen, Familienzusammenführung und die Gewährung eines Rechtsstatus für Frauen, der unabhängig von dem ihres Ehegatten ist, mit ein.
Was die Richtlinie über hoch qualifizierte Arbeitnehmer angeht, so kann die so genannte Blue Card vielleicht ein hervorragender Pull-Faktor für Fachkräfte sein, die Europa dringend benötigt. Wir würden gern etwas mehr über diese Blue Card erfahren, Herr Frattini, denn immerhin sind heute in Europa, wie sie in Erinnerung brachten, nur 5 % der Arbeitnehmer hoch qualifiziert, während 85 % Ungelernte sind.
Für diesen letztgenannten Kreis von Arbeitnehmern muss die Richtlinie über die Saisonarbeitnehmer ein Rechtsvakuum füllen, und nach meinem Dafürhalten muss denjenigen unter ihnen, die sich an die Regeln halten, die Möglichkeit des vorrangigen Zugangs zu anderen Formen des befristeten oder dauerhaften Aufenthalts geboten werden. Begrüßenswert wären allerdings offene Vorschläge, „Optionen“, wie Sie sie nannten, Herr Frattini, für gering qualifizierte oder unqualifizierte Migranten. Wie lange müssen wir noch warten, bis wir eine entsprechende Richtlinie haben werden? Meine Frage ist vor allem an den Rat gerichtet.
Meine Redezeit ist abgelaufen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir fordern von den Regierungen und vom Rat mehr Realismus und mehr Mut. Eine verantwortungsvolle Politik ist gefragt, um den Ängsten und der Unsicherheit in unserer zunehmend unsteten Gesellschaft zu begegnen. Es gibt keine dichten Grenzen, und wir werden nicht von Migranten überschwemmt! Zuwanderung ist eine Notwendigkeit, und wenn sie vernünftig gesteuert wird, kann sie eine Bereicherung für eine Bürgergesellschaft sein, die die Unterschiede achtet.
(Beifall)
Javier Moreno Sánchez (PSE), Berichterstatter. – (ES) Frau Präsidentin, Herr Vizepräsident der Kommission, Herr Ratsvorsitzender, Frau Gruber, meine Damen und Herren! Sich die Zukunft Europas und unserer Gesellschaften im Zeitalter der Globalisierung ohne Einwanderung vorzustellen, entbehrt jeder Realität. Die Einwanderung ist für die demografische Stabilität, das Wirtschaftswachstum und die kulturelle Vielfalt der EU notwendig und gut.
Wir brauchen legal eingewanderte Arbeitskräfte mit Rechten und Pflichten, keine Sklaven. Die Entwicklung und der Erfolg einer legalen Einwanderungspolitik hängen weitgehend von einem beständigen Kampf gegen die Kehrseite der Medaille ab: die illegale Einwanderung.
Die Steuerung und Kontrolle dieser illegalen Einwanderungsströme überschreiten die Möglichkeiten einer individuellen Aktion der Mitgliedstaaten, und das ist fraglos der heikelste Aspekt der von der Europäischen Union auszuarbeitenden gemeinschaftlichen allgemeinen Einwanderungspolitik.
Die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichte der letzten Zeit, die internationalen Konflikte und der Klimawandel werden die illegale Zuwanderung in die EU noch verstärken. Die Ströme entwickeln sich schneller als unsere politische Reaktion und werden nicht von allein zum Halt gebracht. Es gilt, jetzt zu handeln.
Wir begrüßen und unterstützen den Ansatz der Kommission. Er ist wichtig für die Entwicklung einer kohärenteren und effektiveren Politik der Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer uneingeschränkten Achtung der Menschenwürde und der Grundrechte, im Geist der Solidarität, in gemeinsamer Verantwortung, Transparenz und gegenseitigem Vertrauen.
Erstens brauchen wir sichere Land-, Luft- und Seegrenzen durch eine integrierte Kontrolle und Überwachung, und dabei sind Frontex und RABIT der Weg, den wir einschlagen müssen: der Weg zu gemeinsamer Verantwortung und Solidarität.
Meine Damen und Herren, Frontex funktioniert. Wo Operationen stattfanden, wurden Leben gerettet, und die illegale Einwanderung wurde erheblich reduziert. Die illegalen Einwanderer mussten sich nach anderen Routen umsehen, wie kürzlich in Spanien und Italien festgestellt wurde.
Doch Frontex ist ein neu geborenes Kind der EU, das nur wachsen und seine Aufgabe erfüllen kann, wenn es die Unterstützung seiner Eltern, der Mitgliedstaaten, erhält, die wir auffordern möchten, ihren Verpflichtungen nachzukommen, indem sie die notwendigen menschlichen und logistischen Ressourcen zur Verfügung stellen.
Weiterhin ist es wichtig, als Abschreckungsmittel eine europäische Rückführungspolitik unter voller Achtung der Menschenrechte zu errichten und sich für den Abschluss von Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten einzusetzen. Wir wünschen uns die Verabschiedung einer Rückführungsrichtlinie während der portugiesischen Präsidentschaft.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen politischen Mut und Energie, um den größten Anreiz für die illegale Einwanderung zu bewältigen: die illegale Beschäftigung. Wir müssen den Kampf gegen die Mafiagruppen und skrupellosen Unternehmer gewinnen, die illegale Einwanderer ausbeuten. Das ist ein Geschäft, hinter dem viele Interessen und viel Geld stehen, und das verlangt eine entschiedene und konsequente Antwort.
Wir müssen, wie Sie sagten, Herr Vizepräsident, mit Nulltoleranz gegen die illegale Beschäftigung vorgehen, um die Schattenwirtschaft zu reduzieren, die die Sogwirkung hervorruft. Die psychologische Dimension liegt auf der Hand. Wenn keine Möglichkeiten für eine illegale Beschäftigung in der EU bestehen, gibt es weniger Anreize für eine Einwanderung in die Union.
Gleichzeitig fordern wir die Mitgliedstaaten auf, entschlossene Maßnahmen mit entsprechenden finanziellen Mitteln zu ergreifen, um den Menschenhandel durch eine justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit zu bekämpfen, wobei besonderes Augenmerk auf die Schutzbedürftigsten – Frauen und Kinder – zu legen ist und gewährleistet werden muss, dass sie Zugang zu Gesundheitsfürsorge und Bildung erhalten.
Im außenpolitischen Bereich sind Dialog und enge Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern erforderlich. Es gilt, den auf den Ministerkonferenzen von Rabat und Tripolis und auf dem Weltforum von Brüssel begonnenen Weg fortzusetzen, wobei besonderer Nachdruck auf den Zusammenhang zwischen Einwanderung und Entwicklung zu legen ist.
Wir müssen die Einwanderung zu einem Entwicklungsfaktor in den Herkunftsländern und den Aufnahmeländern machen und sicherstellen, dass wir mithilfe der partnerschaftlichen Entwicklung die tieferen Ursachen der illegalen Einwanderung gemeinsam angehen.
Ferner ist es notwendig, die positiven Auswirkungen der von den Einwanderern in die Heimat überwiesenen Gelder bei der Entwicklung ihrer jeweiligen Länder zu maximieren und die Möglichkeit von Mikrokrediten auszuloten.
Darüber hinaus müssen wir eine kohärente Außenpolitik verfolgen, um die Vereinbarkeit der Handelsziele und der Entwicklungshilfe zu gewährleisten, sodass die weniger entwickelten Länder ihre Produkte exportieren können und nicht ihre Bürger exportieren müssen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede nicht abschließen, ohne allen Berichterstattern zu danken, mit denen ich eng und konstruktiv zusammengearbeitet habe, wie sich in dem breiten Konsens widerspiegelt, der im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres zustande kam.
Begehen wir keinen Fehler, meine Damen und Herren, wir müssen der illegalen Einwanderung sowie ihren Ursachen und Kanälen den Kampf ansagen, doch wir dürfen nicht die illegalen Einwanderer bekämpfen, denn sie sind keine Kriminellen: Emigration ist kein Verbrechen. Wir müssen dem populistischen fremdenfeindlichen Diskurs, der Einwanderung mit Unsicherheit, Verbrechen, Terrorismus und Arbeitslosigkeit gleichsetzt, ein Ende setzen. Niemand wandert aus Lust und Laune aus, er tut es immer aus einer Notwendigkeit heraus. Ergreifen wir Maßnahmen, um diese Notwendigkeit zu beseitigen, damit Auswanderung zu einer persönlichen Entscheidung wird.
(Beifall)
Manolis Mavrommatis (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Entwicklungsausschusses. – (EL) Frau Präsidentin! Vor allem möchte ich Lilli Gruber und Javier Moreno Sánchez zu der ausgezeichneten Arbeit, die sie geleistet haben, sowie zu der Zusammenarbeit bei der Erarbeitung der beiden Berichte beglückwünschen.
Die EU-Kommission hat sich auf eine echte gemeinsame Zuwanderungspolitik festgelegt, die von den 27 Mitgliedstaaten angenommen werden soll. Zuwanderung ist untrennbar mit Entwicklung verbunden und angesichts des demografischen Problems, vor dem die EU heute steht, ist die legale Zuwanderung jetzt Teil der Lösung vieler europäischer Probleme und stellt kein weiteres Problem dar.
Die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben, hat es dem Entwicklungsausschuss ermöglicht, in der Rolle des Europäischen Parlaments gleiche Rechte für beide Geschlechter durchzusetzen, um die am stärksten gefährdeten Gruppen wie Frauen und Kinder zu schützen und den neu eingereisten Migranten Informationspakete und Sprachunterricht zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus wurde dem Brain Drain aus Regionen wie Afrika Rechnung getragen, wo ein akuter Bedarf an Personal im Gesundheitswesen besteht. Jedes Mal, wenn ein Doktor in dem Bestreben sein Land verlässt, in der EU eine bessere Zukunft aufzubauen, wird die Not in diesen Bereichen größer.
Daher begrüßen wir den Vorschlag der Kommission, die zirkuläre Migration zu verstärken. Migranten haben damit die Möglichkeit, nach einem Zeitraum von einem Jahr in ihr Heimatland zurückzukehren und die in den EU-Mitgliedsstaaten erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen mit zurückzunehmen.
Wichtig ist ferner, dass die Kommission mehr Informationen über den Rechtsrahmen bereitstellt, unter den die „zirkuläre Migration“ fällt. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei Herrn Kommissar Franco Frattini für das Einfühlungsvermögen bedanken, das er in den letzten beiden Jahren in Sachen Zuwanderung bekundet hat, sowie für seine ständigen Bemühungen, die 27 Mitgliedstaaten für eine Einigung über eine gemeinsame Zuwanderungspolitik zu gewinnen.
(Beifall)
Maria Badia i Cutchet, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Kultur und Bildung. – (ES) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Als Verfasserin der Stellungnahme des Ausschusses für Kultur und Bildung habe ich betont, wie wichtig es ist, die mit der Einwanderung verbundenen sozialen, Bildungs- und kulturellen Aspekte zu berücksichtigen. Diese Faktoren leisten einen entscheidenden Beitrag zum Wirtschaftwachstum und zum sozialen Zusammenhalt. Dabei geht es auch darum, die Integration dieser Menschen in den Aufnahmeländern zu fördern und somit gegenseitiges Misstrauen abzubauen.
Im Bildungsbereich habe ich vorgeschlagen, Maßnahmen für den Zugang von Einwanderern zum Bildungssystem und ihre Integration in das Bildungssystem unter Anerkennung der in den Drittländern erworbenen akademischen und beruflichen Befähigungsnachweise vorzusehen.
Um die Abwanderung von Fachkräften zu verhindern, haben wir auf den Vorschlag der Kommission verwiesen, die Anstellung von einheimischen Arbeitskräften in jenen Ländern zu unterstützen, in denen die Abwanderung von qualifiziertem, ausgebildetem Personal die soziale und wirtschaftliche Situation destabilisieren könnte.
Abschließend möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung und Verantwortung der Medien lenken, wenn sie sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Aufnahmeländern Informationen verbreiten. Es gilt zu verhindern, dass ein verzerrtes Bild vom Phänomen der Zuwanderung vermittelt wird.
Maria Panayotopoulou-Kassiotou (PPE-DE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. – (EL) Frau Präsidentin! Der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter bedauert, dass sowohl in der Mitteilung der Kommission über den Strategischen Plan zur legalen Zuwanderung als auch in dem Text, über den wir heute abstimmen sollen, kaum Bezug auf das Problem der Gleichstellung der Frauen genommen wird.
Deshalb fordern wir die Kommission, die Mitgliedstaaten und die verschiedenen Gruppierungen im Rat, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, auf, ihre Bemühungen zu verstärken. Die Koordinierung der Maßnahmen zur legalen Zuwanderung muss den Rechten von Migrantinnen, die doppelt diskriminiert werden, besonderen Schutz gewähren. Illegaler Zuwanderung muss entgegengetreten werden; sie fördert Netzwerke verschiedener Formen der Ausbeutung von schutzbedürftigen Männern, Frauen und Kindern.
Wir unterstreichen die Bedeutung eines globalen Konzepts für eine legale Zuwanderungspolitik. Zweiseitige Integrationsmaßnahmen müssen aufgenommen werden, um sowohl die Akzeptanz der Aufnahmegesellschaften als auch die Integrationsbereitschaft der Migranten und Migrantinnen zu stärken.
Dazu tragen Frauen und ihre Familien in erheblichem Maße bei. Die Familienzusammenführung muss erleichtert werden, indem den Frauen ein unabhängiger Status zuerkannt wird. Wir müssen gegen Diskriminierung, Amputationen, Zwangsheirat, Polygamie, Ehrenverbrechen und Gewalt jeglicher Art in der Herkunftsgesellschaft ankämpfen und die legale Entwicklung der Kompetenzen von Frauen fördern.
Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar Frattini, Herr amtierender Ratspräsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Zuwanderung ist, weil sie oft mit menschlichen Dramen verbunden ist, eine politische Frage ganz besonderer Art. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten ist sich des Ernstes dieser Aussprache bewusst, und wir denken an die Hunderte Menschen, die den Traum von Europa mit dem Leben bezahlt haben. Die Achtung vor dem Leben ist und bleibt bei der Gestaltung unserer Zuwanderungspolitik vorrangig.
Ich beglückwünsche die Berichterstatter zu ihrer Arbeit und Herrn Kommissar Frattini zu seinem Engagement und seiner politischen Entschlossenheit. Wir haben die Aufgabe, alles zu tun, um die Migrationsströme zu steuern. Gefragt sind der Zusammenhalt unserer Gesellschaft, unsere Aufnahmefähigkeit für Zuwanderer und unsere Entschlossenheit zur Bekämpfung von Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Um die Zuwanderung zu steuern, sind ein Ansatz auf der Grundlage der Achtung der Menschenwürde und des Realismus und ein solider Rechtsrahmen unerlässlich.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn von Zuwanderung die Rede ist, muss zwischen Asylbewerbern, zeitweiligen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten, welche weitaus in der Überzahl sind, unterschieden werden. Was diese letztgenannte Kategorie betrifft, so muss wiederum zwischen illegaler Zuwanderung, für die die Europäische Union zuständig ist, und legaler Zuwanderung, die in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, unterschieden werden.
Was die illegale Zuwanderung betrifft, so sind wir für strikte Maßnahmen. Europa muss sich seiner Verantwortung stellen und gegen die Geißel der Mafia-Gruppen kämpfen, die Profit aus menschlichem Elend ziehen. Wir anerkennen die erzielten Fortschritte wie die Gründung der Agentur Frontex, den Europäischen Fonds „Außengrenzen“ oder die Einsetzung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke. Das ist jedoch nicht ausreichend, und es fehlt an Humanressourcen sowie an materiellen und finanziellen Mitteln. Wir sind bereit, diese Instrumente mit den notwendigen zusätzlichen Mitteln auszustatten. Um jedoch effizient arbeiten zu können, müssen die Mitgliedstaaten, die unsere Grenzen bewachen, nach gemeinsamen Normen vorgehen. Von grundlegender Bedeutung ist die Erarbeitung eines wirklichen Gemeinschaftsprotokolls zum Schutz der Außengrenzen, verbunden mit einem entsprechenden Monitoringsystem.
Gegenüber den Migrationsströmen sind unsere Mitgliedstaaten nicht alle in der gleichen Lage. Wir sollten uns jedoch davor hüten, einen Unterschied zwischen den Mitgliedstaaten, die unsere Grenzen bewachen, und den übrigen Mitgliedstaaten zu machen. Im Süden und im Osten unserer Union ist die Aufgabe ungeheuer groß. Hier muss die Solidarität voll zum Tragen kommen, und es gilt, mit technischen, logistischen und finanziellen Mitteln die Mitgliedstaaten zu unterstützen, die in vorderster Front einer massiven illegalen Zuwanderung ausgesetzt sind. Obgleich die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung Maßnahmen an unseren Außengrenzen erforderlich macht, müssen doch auch im Innern des europäischen Hoheitsgebietes Anstrengungen unternommen werden. Zwischen 10 und 15 Millionen Menschen leben illegal auf unserem Territorium.
Da das Leitprinzip unserer Demokratien in der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz besteht, ist eine Politik der systematischen Rückführung illegal eingereister Personen in die Herkunftsländer dringend geboten. Die Rückführung der illegalen Einwanderer muss von der Europäischen Union unter strikter Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden. Wir wollen, dass Europa ein Zufluchtsort für jene bleibt, die vor Verfolgung auf der Flucht sind, und daher lehnen wir die massenhafte Regularisierung von illegalen Zuwanderern ab. Sie stellt keine Lösung dar und vermittelt den Illegalen und den potenziellen Zuwanderern die Illusion, dass sie früher oder später einen legalen Status erhalten. Diese Regularisierungen tragen vor allem dazu bei, die kriminellen Netzwerke, die Geschäfte mit illegaler Zuwanderung und mit Menschenhandel treiben, zu verstetigen. Wir begrüßen den Vorschlag der Kommission, Sanktionen gegen Arbeitgeber zu verhängen, die illegale Zuwanderer beschäftigen.
Was nun die gegenwärtige Lage hinsichtlich der legalen Zuwanderung betrifft, so ist unsere Fraktion der Auffassung, dass die Verpflichtung des Herkunftslandes, gegen die illegale Zuwanderung zu kämpfen, eine Vorbedingung bei Verhandlungen mit Drittländern sein muss. Natürlich fällt die Frage der legalen Zuwanderung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und nicht der Union. Jedoch müssen wir im Sinne von mehr Effizienz und Kohärenz unsere Anstrengungen auf der Ebene der EU-27 besser koordinieren. Weiterhin müssen auch die Möglichkeiten der Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für die Zulassung von hoch qualifizierten Arbeitnehmern und solchen mit bestimmten speziellen Kompetenzen auf den europäischen Arbeitsmarkt geprüft werden. Der Vorschlag einer europäischen Blue Card verdient es, eingehender geprüft und erörtert zu werden, ebenso wie das Projekt der zirkulären Migration für nicht qualifizierte Arbeitnehmer.
Werte Kolleginnen und Kollegen, die Zuwanderung hängt von dem Gleichgewicht zwischen einem starken sozialen Zusammenhalt und der Öffnung für Andere sowie der Achtung der Rechtsstaatlichkeit ab. Wir wollen keineswegs unsere Türen zuschlagen, sondern wollen sicher gehen, wie es andere Regionen in der Welt auch tun, dass künftige Zuwanderer angemessen in unserer Gesellschaft aufgenommen und integriert werden.
Claudio Fava, im Namen der PSE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Erstes den Berichterstattern meinen Dank aussprechen; sie haben eine Arbeit geleistet, die nicht nur absolut gewissenhaft, sondern auch zielgerecht war.
Ich möchte mit einem Bild beginnen, das wir alle seit Monaten im Kopf haben: Es ist das Foto von 40 Schiffbrüchigen, die sich zwei Tage und Nächte im Zentrum des Mittelmeers an ein Tunfischnetz geklammert hatten. Damals schien es wichtiger, den Fang zu retten anstatt das Leben dieser Verzweifelten, die von dem Fischkutter, der auf sie traf, nicht an Bord genommen wurden. Ich sage das, weil, wie der Herr Kommissar betonte, ein Gesamtansatz für Migrationsfragen vonnöten ist, der aber differenziert sein muss. Ein Ansatz, bei dem Ausgewogenheit und Solidarität miteinander verbunden werden können und bei dem es – wie Frau Gruber erwähnte – keine Tabus geben darf.
Einwanderung kann nicht nur als Sicherheitsproblem betrachtet werden. Sie ist eine notwendige Herausforderung für Europa, ein Faktor der Integration und der gesellschaftlichen Entwicklung, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Kommissar Frattini wies darauf hin, dass Europa eine Rolle zu spielen hat; wir stimmen ihm zu. Europa ist gefordert, sofern es sich des Themas in seiner ganzen Vielschichtigkeit anzunehmen vermag.
In den wenigen mir noch verbleibenden Sekunden möchte ich auf die drei Grundprinzipien aufmerksam machen, die in diesen beiden Berichten enthalten sind. Die wirksamste Methode zur Eindämmung der illegalen Einwanderung ist die Schaffung legaler Zuwanderungsmöglichkeiten, sofern die gleichen Rechte und Pflichten für die Migranten und für die Aufnahmeländer gewährleistet sind.
In puncto illegale Einwanderung muss der Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten eingeführt werden, denn sie betrifft alle Mitgliedstaaten und nicht nur die Mittelmeeranrainer. Außerdem muss, wie viele Kollegen hier zu bedenken gaben, die illegale Einwanderung bekämpft werden, indem in den Herkunftsländern Bedingungen für die Beseitigung der Ursachen für die tiefe Verzweiflung dieser flüchtigen Menschen geschaffen werden – der tieferen Wurzeln, von denen Kommissar Frattini sprach.
Und schließlich die Achtung der Menschenrechte, Frau Präsidentin, die ein notwendiger Grundsatz unserer Politik bleibt. Der europäische Integrationsprozess wird nur kraftvoll und sinnvoll sein, wenn wir vermeiden können, dass Europa seine Türen vor den Migranten verschließt.
VORSITZ: GÉRARD ONESTA Vizepräsident
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Was könnte die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Einwanderungspolitik besser belegen als der Fall der tunesischen Fischer? Alles was man über dieses tragische Geschehen weiß – von den Migranten auf einem Schlauchboot auf hoher See bis zu den Menschenschmugglern, die sie darauf verfrachteten, und den Behörden, die ihre Retter einsperrten –, zeugt vom Scheitern der europäischen Migrationspolitik.
Bei jeder menschlichen Tragödie in einem hoffnungslosen Jahrzehnt des Nichtstuns haben Liberale und Demokraten eine einfache Frage gestellt: Wie viele Menschen müssen umkommen, ehe die Regierungen einsehen, dass eine hochgezogene Zugbrücke zur Festung Europa niemandem dienlich ist? Die Migration in den Griff zu bekommen, liegt genauso in unserem Interesse wie im Interesse derer, die an unsere Küsten gelangen wollen oder die für diesen Versuch den Tod in Kauf nehmen. Während der Populismus eine im Feuer der Angst geschmiedete Politik vorangetrieben hat, sollten wir lieber den Tatsachen ins Auge blicken.
Tatsache Nr. 1: In den kommenden zwanzig Jahren wird Europa zwanzig Millionen Arbeitskräfte verlieren – Arbeitskräfte, die in unseren Dienstleistungsbranchen tätig sind und mit deren Steuern Dienstleistungen für unsere Bürgerinnen und Bürger finanziert werden.
Tatsache Nr. 2: Die nationalen Regierungen verschrecken die Menschen, die Europa braucht, wenn wir auf einem unbarmherzigen globalen Markt bestehen – ja, überleben – wollen. 85 % der klügsten Köpfe, denen unsere Bürokratie, unsere Sturheit und unsere der Freizügigkeit entgegenstehenden Hindernisse verleidet sind, wandern nach Amerika und Australien aus.
Tatsache Nr. 3: Unter zwanzig Migranten, die Europa erreichen, finden sich nur drei Fachkräfte; die meisten sind ungelernt, verzweifelt und mittellos. Die Vorschläge von Kommissar Frattini sprechen dieses Problem nur zur Hälfte an, indem sie auf Frau Hennis-Plasschaerts Vorstellungen von einer europäischen Green Card aufbauen, mit der die Bildungslücken ausgefüllt werden sollen. Aber dieser Plan einer Blue Card weist selbst Lücken auf: Kein Wort zum Beispiel von jenen Arbeitnehmern, die wir im Gastgewerbe, im Gesundheitssektor oder im Fremdenverkehr benötigen. Er könnte auf wirtschaftliche und demografische Herausforderungen eingehen, wenn das begleitet wäre von der Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten, doch er unternimmt wenig, um der Herausforderung illegaler Migranten an unseren Südgrenzen zu begegnen.
Begehen wir keinen Fehler: Die Kommission macht es sich bequem, wenn sie meint, wir könnten für uns das Beste herausnehmen und den Rest übrig lassen. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Getrieben von Armut, Hunger, Elend und Krieg, werden die Menschen das Mittelmeer überqueren, ob sie nun unseren Kriterien entsprechen oder nicht. Und warum? Weil wir mit unserer Agrar- und Fischereipolitik ihre Produkte preislich unterbieten und ihre natürlichen Ressourcen plündern.
Natürlich müssen wir an Europas Grenzen patrouillieren. Zu Recht fordert der Bericht Moreno Sánchez, dass man Frontex mit dem erforderlichen Budget, dem Personal und der Ausrüstung ausstattet, damit die Agentur ihre Arbeit tun kann – wiewohl die Herausnahme Gibraltars aus Frontex, womit der Zaun quasi ein Loch erhält, offen gestanden, nicht zu glauben ist. Längerfristig indes kann den derzeitigen Tendenzen nur mit einer umfassenden EU-Politik begegnet werden, die Menschenschmuggler bestraft, legale Einwanderungsrouten vorsieht und Hoffnung weckt, wo heute Verzweiflung herrscht.
In Wahrheit haben wir nur eine Möglichkeit des Umgangs mit den Entwicklungsländern: Entweder wir nehmen ihre Waren, oder wir nehmen ihre Menschen. Wenn wir weniger hereinlassen wollen, müssen wir ihnen zu Hause helfen, wie es in Frau Grubers Bericht richtig heißt. Deshalb muss die portugiesische Ratspräsidentschaft ihre Bemühungen verstärken und die landwirtschaftlichen Zölle senken sowie Doha zu einem erfolgreichen Abschluss bringen; deshalb muss die Kommission eine großzügige Agenda für Afrika ausarbeiten, in der Geld und Marktöffnung mit der Achtung der Menschenrechte mit Rechtsstaatlichkeit verbunden werden, um den Menschen die Hoffnung auf ein besseres Leben in der Heimat zu vermitteln.
Herr Lobo Antunes, Herr Frattini, halten Sie Ihre nächste Ratstagung in der Einwanderungshalle auf Ellis Island in New York ab. Lernen Sie aus unserer Geschichte der Auswanderung nach Westen, wenn Sie sich auf den EU-Afrika-Gipfel im Dezember vorbereiten. Die Migration wird nicht aufhören: Sie wird angetrieben von dem berauschenden Cocktail aus Verzweiflung und Hoffnung, sie folgt dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, aber sie birgt, sofern man sie richtig im Griff hat, das Potenzial in sich, Europa zu bereichern und voranzubringen.
(Beifall)
Cristiana Muscardini, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur illegalen Einwanderung gibt es bereits verschiedene Richtlinien und weitere werden vorgelegt werden, doch das eigentliche Problem, das noch nicht gelöst wurde, bleibt die Verhinderung der illegalen und unkontrollierten Einwanderung sowie die einheitliche Festlegung und Gewährleistung der Achtung der in den Unionsländern geltenden Gesetze und Regeln: Das ist eine unerlässliche Voraussetzung des bürgerlichen Zusammenlebens.
Ich danke Herrn Kommissar Frattini für die Vorschläge, die er uns präsentiert hat. Das Problem ist jedoch nach wie vor ernst, denn es gibt Gerichtsurteile – ich nenne Fälle aus Deutschland und Italien –, wonach die Eltern eines daheim isolierten Mädchens strafrechtlich nicht verfolgt werden konnten oder dem Scheidungsbegehren einer mehrfach von ihrem Ehemann verprügelten Frau nicht stattgegeben wurde, da solche Verhaltensweisen nach Auffassung der Richter den Regeln und Traditionen der Herkunftsländer der Migranten entsprechen. All das ist wirklich schlimm, auch in Anbetracht des Entwurfs des Reformvertrags, der zwar die Schaffung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik vorsieht, jedoch auf sich warten lässt, während wir doch sofort eine gemeinsame Strategie brauchen, um die illegale Einwanderung einzudämmen.
Im Februar 2004 verfasste ich die Stellungnahme des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten zur Frontex-Agentur, die 2004 ins Leben gerufen wurde und seit 2005 in Betrieb, doch immer noch mit unzureichenden Ressourcen ausgestattet ist. Oft hat sie nicht die Mittel, um nicht nur die offiziellen Außengrenzen kontrollieren zu können, sondern auch die Grenzen unserer Länder, die stärker überwacht werden müssen. Um eine gerechte Gesellschaft ohne offene oder unterschwellige Konflikte zu gestalten, deren Risiken offensichtlich sind – einschließlich der Gefahr einer Entstellung unserer andersartigen Identitäten –, brauchen wir eine starke Politik zur Bekämpfung illegalen Verhaltens. Wir fordern von Kommission und Rat nicht nur eine verstärkte Überwachung der EU-Grenzen, sondern auch harmonisierte Rechtsvorschriften zur zügigen und strengen Bestrafung der Menschenhändler und zur Förderung wirksamerer Abkommen mit den Herkunftsländern der Migranten.
Der Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde verträgt sich nicht mit schwachen Politikmaßnahmen, die die Terrorismusgefahr und die soziale Unzufriedenheit verstärken. Auch aus diesem Grund geben wir zu bedenken, dass das Fehlen einer gemeinsamen Regelung des Asylrechts die Lage verschlimmert, doch können wir seitens der Fraktionen nicht viele Aktivitäten erkennen.
Jean Lambert, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte der Kommission, dem Rat und unseren beiden Berichterstattern dafür danken, dass sie endlich die Komplexität der Probleme und die Notwendigkeit eines in sich geschlossenen Vorgehens zur Kenntnis nehmen. Wir wissen, dass die Migration aus unserem Leben nicht wegzudenken ist, wir wissen, dass sie ein Potenzial für die Entwicklung darstellt, und wir wissen, dass auch viele Unionsbürger – genauso wie jene Menschen, die aus dem subsaharischen Afrika kommen – dorthin gehen, wo sie verdienen oder lernen wollen oder wo sie sich ein besseres Leben erhoffen
Wir begrüßen die Hinwendung zur Gleichberechtigung für alle Migrantengruppen hier, denn wir fürchten, dass ein sektorales Herangehen, nämlich verschiedenen Arbeitnehmern unterschiedliche Rechte zu gewähren, zu einer noch größeren Komplexität führen kann.
Es geht uns aber auch darum, für jene einen Status zu finden, die aufgrund von Konflikten zurzeit nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können und daher mittellos sind und oft auf der Straße leben.
Wir begrüßen auch den Ruf nach mehr Aufrichtigkeit seitens der Mitgliedstaaten in der Frage des Bedarfs an zugewanderten Arbeitskräften in unseren derzeitigen Volkswirtschaften. Die Globalisierung hat die Migration beschleunigt, und ich bin mir grundsätzlichen mit jenen Abgeordneten einig, die über die Notwendigkeit gesprochen haben, unsere Handelsvorschriften zu ändern. Wie hieß es doch? Wenn ihr unseren Fisch nehmt, nehmt ihr auch unsere Fischer. In diesem Fall möchte ich jenen Abgeordneten nahe legen, keine Krokodilstränen über die Not gewisser Migranten zu vergießen – und in diesem Haus nicht für Fischereiabkommen und nicht für Handelsvorschriften zu stimmen, mit denen anderswo Volkswirtschaften zugrunde gerichtet werden.
Wir tun auch Recht daran, in dieser Debatte die Beschäftigung zu beleuchten und über Gleichberechtigung, gleichen Lohn, gute Inspektion zu sprechen, was gut für alle Arbeitnehmer ist, die über ihre Rechte Bescheid wissen müssen. Wenn wir uns Sorgen über den Brain Drain machen, müssen wir auch an Maßnahmen denken, wie wir unsere eigenen Facharbeiter zum Hierbleiben veranlassen können. Wir müssen die Fachkenntnisse der zu uns kommenden Migranten nutzen und weiterentwickeln, und EQUAL hat uns da fantastische Beispiele geliefert, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Und wenn wir für hoch qualifizierte Facharbeiter attraktiv werden wollen, dann ist das nicht nur eine Frage von Freizügigkeit; es ist auch eine Frage, wie wir mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fertig werden, die ebenfalls viele hoch qualifizierte Menschen davon abhalten, in die Europäische Union zu kommen.
(Beifall)
Giusto Catania, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kommissar Frattini hat heute zuerst über legale Zuwanderung und dann über illegale Einwanderung zu uns gesprochen. Würde die Politik der Europäischen Union der Logik seiner Worte folgen, würde ich ihm zustimmen, doch leider ist das nicht der Fall.
Die Politik der Europäischen Union sprach in den letzten Jahren vor allem die Sprache der Einreiseverweigerungen, der Kriminalisierung der Migranten, der repressiven Maßnahmen, des Heraufbeschwörens des Schreckgespenstes der Invasion, und jetzt endlich beginnen wir über Einreisepolitik zu sprechen. Daher können wir uns alle damit einverstanden erklären, dass die Politik der legalen Zuwanderung von grundlegender Bedeutung für die Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist, sie ist von grundlegender Bedeutung, um den Menschenhandel zu unterbinden, die glückverheißenden Überfahrten zu verhindern und zu vermeiden, dass das Mittelmeer immer mehr zu einem Friedhof unter freiem Himmel wird. Allerdings müssen wir konsequent sein. Bevor also Einreiseverweigerungsmaßnahmen vorgeschlagen werden, müssten wir daher erörtern, wie die Kanäle für die legale Zuwanderung erweitert werden können und wie wir uns der demografischen Herausforderung stellen können.
Ich habe nicht ganz verstanden, worauf sich Kommissar Frattini heute bezog, ob er etwa von Presseindiskretionen gesprochen hat. Die Prognose bezüglich der 20 Millionen Zuwanderer bis 2030 hat doch die Europäische Kommission selbst in ihrem Grünbuch aufgestellt, wo sie erklärte, aufgrund der demografischen Probleme der Europäischen Union würden wir bis 2030 20 Millionen Zuwanderer benötigen. Doch 20 Millionen Zuwanderer bedeutet nicht, dass sie alle qualifiziert wären. Wir zäumen das Pferd vom Schwanz her auf: Zuerst führen wir Zurückweisungsmaßnahmen durch, dann beschließen wir Maßnahmen zur Aufnahme qualifizierter Migranten und zum Schluss nehmen wir uns des größeren Problems an, was mit all den Übrigen geschehen soll.
Meiner Ansicht nach sollte die Politik der letzten Jahre gründlich analysiert und auch bewertet werden. Es sollte ferner geprüft werden, wie unsere künftige Politik der Einreiseverweigerung aussehen soll; eine 18 Monate dauernde Verwaltungshaft ist meiner Meinung nach an sich ein Verbrechen und eine systematische Menschenrechtsverletzung.
Des Weiteren sollten die Frontex-Maßnahmen untersucht werden. Dieses Jahr haben wir 45 Millionen Euro ausgegeben; Frontex hat 90 Bedienstete und in diesem Sommer vier Einsätze durchgeführt. Ich glaube nicht, dass wir mit der Politik von Frontex zufrieden sein können, denn sie hat der Zurückweisung und nicht der Lebensrettung Vorrang eingeräumt.
Ich möchte mit folgender Feststellung schließen: Rettungsmaßnahmen müssen Priorität haben. Die Kommission soll uns heute, u. a. auf Antrag unseres Fraktionsvorsitzenden, über den Fall der sieben tunesischen Fischer berichten, die in Italien inhaftiert waren, weil sie 44 Migranten gerettet hatten. Ich hoffe, Kommissar Frattini kann Licht in diese Angelegenheit bringen, die eine logische Folge der Kriminalisierung der Einwanderung ist.
Roger Knapman, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Der arme Herr Frattini irrt noch immer im Labyrinth von Hampton Court, während wir sehen müssen, wie sich die EU immer mehr von der Demokratie entfernt. Vergleichen wir unsere Position – nicht zum ersten Mal – mit der der Schweiz.
Die Schweiz ist sich bewusst, dass lokales Wissen entscheidend für eine Einwanderungspolitik ist. Die EU ist bestrebt, die Kontrolle der Zuwanderung über die Ebene nationaler Regierungen hinaus zu zentralisieren. Die Schweiz hingegen dezentralisiert sie, wo immer es möglich ist, und siedelt sie auf der Ebene ihrer Kantone an. In der Schweiz wird über die jährliche Zuwanderungsquote zum Teil von der Bundesregierung und zum Teil von den Kantonen entschieden. Vorschläge für eine Einwanderungs-Bundesbehörde wurden dort abgelehnt.
Die Schweizer Kantone und ihre langjährige Tradition auf dem Gebiet der direkten Demokratie stellten bislang die historischen Triebkräfte einer Einwanderungspolitik dar, die im Dienste der Volkswirtschaft steht und die gewährleistet, dass Einwanderer fest in die schweizerische Gesellschaft integriert werden. Wie Professor Windisch von der Universität Genf gegenüber der französischen Stiftung für politische Innovation in ihrem Mitteilungsblatt vom April 2006 äußerte, hatte sich die schweizerische direkte Demokratie – offen und von Anfang an – Problemen der Einwanderung und der Integration mithilfe von – Gott bewahre! – Referenden und Volksinitiativen zu stellen. Er fährt fort: „Im Unterschied zu einem extrem zentralistischen Land wie Frankreich wurde die Debatte sowohl auf Bundesebene als auch auf der Ebene der Kantone und Kommunen geführt, womit die Reaktion der Kommunen gefragt war, und sie umfasste solche Initiativen wie die Einrichtung eines Integrationsbüros in jedem Kanton sowie die geografische Verteilung von Neuankömmlingen.“
Für diejenigen unter uns, die im Unterschied zu den Schweizern nicht das Glück hatten, außerhalb der EU zu leben, besteht die Lehre darin: In der Schweiz funktioniert die Einwanderungspolitik deshalb, weil über sie entsprechend den lokalen und nationalen Bedürfnissen entschieden wird und weil die lokalen Gemeinschaften und nicht die gesichtslose, zentralisierte Bürokratie für die Integration von Migranten auf der Grundlage ihrer eigenen Bedürfnisse zuständig sind. In Großbritannien, das nun einmal zeitweilig der EU angehört, entfernt sich die Einwanderungspolitik immer weiter von diesem Quell lokalen Wissens, und wir von der britischen Independance Party haben uns beeilt, auf die Mängel eines solchen Vorgehens hinzuweisen.
Alessandro Battilocchio (NI). – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke zunächst den beiden Berichterstattern für ihre hervorragende Arbeit. Die Förderung und Regulierung der legalen Zuwanderung ist die einzige tragfähige Lösung, um nicht nur die migrationsbedingte Kriminalität zu bekämpfen, sondern auch die Menschenrechte zu schützen und zu gewährleisten. Wie jeder andere Unionsbürger auch müssen die Migranten mit entsprechenden Rechten und Pflichten in die jeweiligen Gemeinschaften integriert und aufgenommen werden.
Vor einem Jahr war ich Verfasser der Stellungnahme des Entwicklungsausschusses zu dem Bericht über das Überschreiten der Außengrenzen. Wie damals möchte ich hervorheben, wie wichtig es für Europa ist, entsprechende Ressourcen bereitzustellen, um menschenwürdige Auffanglager, Schulungen für unser Personal, den Zugang ausländischer Bürger zu Informationen über ihre Rechte und Pflichten, schwere Strafen für diejenigen, die sich die illegale Einwanderung zunutze machen, und vor allem eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
Nach dem Start von Frontex müssen der Agentur ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt und die anderen von der Migration betroffenen Nachbarländer so tatkräftig wie möglich einbezogen werden.
Mikel Irujo Amezaga (Verts/ALE). – (ES) Ja, Herr Präsident. Es tut mir Leid, ich hatte einige Probleme mit dem Dolmetschen, und wenn Sie mir ein paar Sekunden gestatten, möchte ich einfach sagen, dass …
(Der Redner spricht in baskischer Sprache.)
Ich entschuldige mich: Ich wollte am Europäischen Tag der Sprachen nur einige Worte auf Baskisch sagen, da wir, wie in dieser Debatte schon erklärt wurde, keine Kriminellen sind; wir möchten nur in unserer eigener Sprache sprechen.
Alfredo Antoniozzi (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Herrn Vizepräsident Frattini nur bescheinigen und ihm danken, dass er einen Aktionsplan vorgelegt hat, der endlich eine solide Grundlage für die zukünftige Debatte über illegale Einwanderung und die Maßnahmen in diesem Bereich bildet.
Was den Bericht angeht, so halte ich ihn für einen ausgewogenen Text, der das Ergebnis zweckgerichteter Verhandlungen und bedeutsamer, zwischen den verschiedenen Fraktionen ausgehandelter Kompromissänderungsanträge ist, die uns eine breite Zustimmung zu diesem Text ermöglichen werden und dank derer wir somit als Parlament die zukünftige Arbeit der Europäischen Kommission an diesem Thema unterstützen können. Ich möchte hervorheben, dass der Standpunkt der PPE-DE-Fraktion bei der Ausarbeitung dieses Berichts wesentlich zu der dringend benötigten Ausgewogenheit und Substanz beigetragen hat.
Die entscheidenden Grundsätze des Standpunkts, den unsere Fraktion stets zum Thema Einwanderung vertreten hat, wurden bestätigt. Von diesen Grundsätzen möchte ich unsere Verpflichtung zur entschiedenen und entschlossenen Bekämpfung der illegalen Einwanderung, die Förderung einer engeren Verbindung zwischen legaler und illegaler Einwanderung und die Suche nach besseren Dialog- und Integrationsmechanismen für Migranten nennen.
Der Bericht kann ohne Übertreibung zweifellos als europäischer Bericht bezeichnet werden, eben weil er die Migration als ein Phänomen betrachtet, das sowohl mit seinen positiven als auch mit seinen negativen Aspekten von allen europäischen Partnern gemeinsam angepackt werden muss. Sie müssen sich solidarisch zeigen und auch Probleme, die manche Länder stärker betreffen als andere, mit der gleichen Aufmerksamkeit und Entschiedenheit angehen. Der Untergang eines Bootes mit illegalen Migranten vor Sizilien oder vor den Kanarischen Inseln oder anderswo muss als gemeinsames Problem betrachtet werden.
Gelinde gesagt bedarf es einer Politik zur Koordinierung der Einwanderung auf europäischer Ebene. Der vorliegende Bericht weist in die richtige Richtung und bestätigt damit diese Überzeugung, wobei jedoch die vollständige Wahrung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die mengenmäßige Steuerung der Migrationsströme eindeutig bekräftigt wird.
Bárbara Dührkop Dührkop (PSE). – (ES) Herr Präsident! Wie alle anderen auch möchte ich zunächst den Berichterstattern zu ihrer ausgezeichneten Arbeit gratulieren.
Die Einwanderung ist bekanntlich kein neues Phänomen, doch neu ist ihr gewaltiger Anstieg in den letzten Jahren, was auf die zunehmende Armut und die Tatsache zurückzuführen ist, dass immer mehr Länder in Armut versinken.
Daher besteht die wichtigste Aufgabe meiner Ansicht nach jetzt darin, die Migrationsströme zu kontrollieren, sie nach den wirklichen Bedürfnissen zu gliedern, eine bessere Integration dieser Menschen in den Aufnahmeländern zu sichern und gleichzeitig die Überwachung unserer Grenzen durch Maßnahmen zu verstärken, die die Rückführung in die Herkunftsländer ermöglichen.
Vor allem müssen wir die Menschenhandelmafias bekämpfen. Es ist wichtig, eine Antwort zu finden und den menschlichen Tragödien im Zusammenhang mit der illegalen Einwanderung ein Ende zu setzen; in diesem Punkt stimmen wir überein.
Doch die Grenzkontrollen sollten von allen Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführt werden. Gemeinsame Verantwortung und Solidarität müssen Hand in Hand gehen.
Nun einige Worte zu Frontex, wo eine gute Arbeit geleistet wurde. Damit wende ich mich an den Rat, der uns gerade eine lange Liste von Schiffen und Hubschraubern verlesen hat. Jetzt würde ich gern wissen: Wo sind sie? Es reicht nicht, dass sie nur auf der Liste stehen. Ich bin auch der Ansicht, dass die Vorgehensweise des Rates schizophren ist, wenn er mehr Unterstützung für Frontex verlangt und gleichzeitig das Budget der Agentur um 2,5 % kürzt, und zwar vor dem Hintergrund, dass die Mittel für 2007 bereits ausgeschöpft sind.
Doch wir wissen, dass der Zustrom von Einwanderern trotz Frontex anhält, egal ob wir den festen Willen haben, ihn zu kontrollieren: Gefordert ist der Wille, keine Rechtsvorschriften, denn Kommission und Rat haben sich gegen eine einheitliche Richtlinie über die legalen Bedingungen zur Einwanderung in die EU entschieden.
Es ist, als ob sich alles, worauf wir in Tampere gehofft haben, alles, wofür unsere Sozialdemokratische Fraktion so energisch eingetreten ist, einfach in Rauch aufgelöst hat.
Jeanine Hennis-Plasschaert (ALDE). – (NL) Herr Präsident! In einer Welt, die in zunehmendem Maße von regionalen Konflikten geprägt ist, in der eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich besteht und in der die Mobilität zunimmt, wird die Steuerung von Migrationsströmen immer bedeutsamer und gleichzeitig schwieriger. Ist die Europäische Union in der Lage, in der Frage von legaler und illegaler Zuwanderung ihrer Verantwortung in Form eines umfassenden Maßnahmenpakets gerecht zu werden? Diese Debatte führen wir nun schon eine Weile. Dazu gehören: die Push-Faktoren, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen, die Pull-Faktoren, die sie verleiten, zu gehen, die Bedeutung von Hilfe vor Ort, die oft unmenschlichen Umstände, unter denen Menschen leben, die beabsichtigte Aufteilung der Pflichten zwischen den Mitgliedstaaten, die Rückführung von illegalen Zuwanderern, die fehlenden Möglichkeiten für legale Zuwanderung, die Gefahr des Brain Drain sowie die demografischen Veränderungen, mit denen die EU konfrontiert ist. All diese Aspekte sind bzw. werden in der nächster Zeit im Rahmen von Richtlinien, Aktionsplänen und anderen Instrumenten behandelt. In dieser Hinsicht möchte ich Herrn Kommissar Frattini danken. Am vergangenen Donnerstag haben Sie Ihre Ziele auf der Konferenz „Shaping migration strategies“ (Gestaltung von Migrationsstrategien), die ich gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen organisiert habe, erneut leidenschaftlich dargelegt.
Herr Ratspräsident, ich bewundere die Aussagen von Minister Socrates. Die Länder der Europäischen Union tragen in der Tat historische Verantwortung gegenüber jenen, die nun in die entgegengesetzte Richtung reisen. Als amtierender Ratspräsident haben Sie sich sehr ehrgeizige Ziele gesteckt. Doch die Realität zeigt uns, dass die EU noch einen langen Weg vor sich hat, wenn es um die Übernahme globaler Verantwortung geht. In vielen Mitgliedstaaten wird die Migrationsdebatte sehr polarisiert geführt. Es wird nicht zwischen Asylsuchenden und Wirtschaftsmigranten unterschieden, wobei Letztere sich oftmals illegal im Land aufhalten. Integrationsprobleme dominieren die Diskussion. Die sozialen Sicherungssysteme stünden angeblich auf dem Spiel und passt man nicht auf, wird der Durchschnittsmigrant einem Terroristen gleichgestellt. Leider ist es viel zu oft kaum möglich, diese Fragen offen, ehrlich und transparent zu diskutieren. Bedauerlicherweise kommt dies auch in den quälend langsamen Entscheidungsprozessen im Rat zum Ausdruck, wenn dieser sich für die Harmonisierung entscheidet, man sich am Ende dann aber doch auf die niedrigstmöglichen Mindeststandards einigt. Werden konkrete Maßnahmen beschlossen, so geschieht dies stets auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners. Ja, ich bin von Natur aus ein ungeduldiger Mensch – um das einmal nebenbei zu bemerken.
In Wirklichkeit jedoch fehlt es vielen Mitgliedstaaten an Ehrgeiz. Die mangelnde Solidarität ist empörend. Ich erwähne nur Frontex, aber Beispiele gäbe es viele. Wann machen die Mitgliedstaaten deutlich, dass sie eine langfristige Vision verfolgen, dass sie sich nicht länger von Angst treiben lassen, dass sie sich nicht mehr von einem kritischen Artikel auf der Titelseite ihrer Zeitungen oder den nächsten Wahlen leiten lassen. Mit wohlklingenden Schlussfolgerungen des Rates erreichen wir nichts. Darum lautet meine Frage an Sie, Herr Ratspräsident: Wie werden Sie sicherstellen, dass sich diese Situation ändert? Sind Sie bereit, dem neuen Vertrag vorzugreifen und dem Parlament gesetzgebende Kompetenzen zu übertragen, wenn es um die neuen Richtlinien für legale Zuwanderung wie beispielsweise die Blue Card geht? Dies, Herr Ratspräsident, wäre das richtige Signal.
Mario Borghezio (UEN). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Doyle warnt uns vor den Gefahren der einfachen Lösungen. Die konkreten Ergebnisse der Agentur Frontex, die mit ganz anderen Mitteln ausgestattet werden müsste, zeigen, dass sich etwas bewegt und etwas erreicht wird. Die Politik Frankreichs, die in die richtige Richtung geht, könnte als Vorbild dienen. Ebenso einige richterliche Entscheidungen, beispielsweise in Italien, wo damit begonnen wird, die an illegale Einwanderer vermieteten Wohnungen zu beschlagnahmen. Solche praktischen Maßnahmen sollten europaweit durchgeführt werden.
Doch was für Spitzfindigkeiten hören wir von der wohlmeinenden und aufgeschlossenen Linken! Es tut mir Leid, Frau Gruber, aber es wundert mich, aus dem Munde einer so intelligenten Person, wie Sie eine sind, zu hören, die legale Zuwanderung könne gefördert und die illegale Einwanderung bekämpft werden, wenn die Türen für legale Zuwanderer geöffnet werden. Genau das Gegenteil trifft doch zu! Durch die Ausrottung des Übels der Illegalität können wir den Weg frei machen für das, was, auch zahlenmäßig, akzeptabel und tolerierbar ist, anders gesagt, für eine reguläre, saubere und transparente Zuwanderung. Haben Sie jemals von der Mafia gehört? Es stimmt, dass dieses Wort in Ihrem Bericht nicht vorkommt, ebenso wenig wie das Wort Terrorismus, doch Mafia und Terrorismus verdienen am Menschenhandel und am Tod der armen illegalen Migranten und werden dadurch noch stärker. Das sollten auch Sie begreifen, denn das ist nicht schwer!
Kathalijne Maria Buitenweg (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte Ihnen aus einem vom Europäischen Parlament finanzierten Forschungsbericht vorlesen. Dort steht:
(EN) ‘One can reasonably conclude that the number of people who died at the European borders has increased significantly since controls were extended to the external borders in 1995.’
(NL) Herr Präsident! Im Grunde ist nicht die Zahl der Menschen gestiegen, die einen Weg nach Europa suchen, sondern die Grenzen werden entschieden besser bewacht, so dass die Menschen wesentlich schwierigere und gefährlichere Routen wählen. Im betreffenden Bericht wird auch erwähnt, dass:
(EN) ‘The European Council’s proposals will probably increase human costs because of the intensified security and surveillance orientation.’
(NL) Herr Präsident! Ich würde mich sehr über eine entsprechende Reaktion seitens der Kommission und des Rates freuen. Nach meinem Dafürhalten sollten wir uns nicht auf derartige Forschungsergebnisse stützen. Vielmehr sollten wir selbst Informationen über die tödlichen Grenzübertritte sammeln. Teilen Sie diese Ansicht und wer sollte diese Daten dann erfassen?
Herr Präsident! Ich plädiere nicht für die gänzliche Abschaffung von Grenzkontrollen, aber ich befürworte eine größere Zahl legaler Zuwanderungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang möchte ich der Kommission auch ein Lob für den Vorschlag einer Blue Card aussprechen. Die Bezeichnung verweist auf die blaue Farbe in der Europäischen Flagge, aber offenbar geht es in erster Linie um die Sterne. Es handelt sich dabei um eine Art Eintrittskarte für besser ausgebildete Menschen, was an sich sehr gut ist, aber der Ergänzung bedarf. Es freut mich, dass die Kommission nach ihren Worten daran arbeiten will. Ich bin gespannt auf ihre Vorschläge, stellen sie doch eine – wie ich meine notwendige – Ergänzung zu den bisherigen Vorschlägen dar.
Nils Lundgren (IND/DEM). – (SV) Herr Präsident! Völkerwanderungen hat es in der gesamten Geschichte der Menschheit gegeben. Sie waren eine der fundamentalsten Triebkräfte dieser Geschichte. Wenn wir von der Migration zwischen Ländern sprechen, dann geht es dabei um grundlegende Fragen, um existenzielle Fragen der Freiheit des Menschen. Haben die Menschen nicht das Recht zu wählen, wo in der Welt sie leben wollen? Nichts davon steht hier im Grunde zur Diskussion. Der moderne Wohlfahrtsstaat ist aufgrund der Unterschiede im Lebensstandard unvereinbar mit freier Einwanderung und nur schwer zu vereinbaren mit einer stärkeren Migration überhaupt.
Einwanderung zur Verjüngung der eigenen Bevölkerung ist nach Ansicht von Forschern eine tot geborene Idee. Die Einwanderung von Familienangehörigen hat nur geringe Auswirkungen auf die demografische Struktur. Um beispielsweise die Bevölkerung eines Landes wie Japan zu verjüngen, müssten 50-75 % aller Bewohner dieses Landes Einwanderer sein.
Der Brain Drain ist für viele Entwicklungsländer ein großes Problem. Hier wird im Prinzip vorgeschlagen, andere Länder ihrer ausgebildeten Bevölkerung zu berauben. Wir brauchen eine neue Herangehensweise.
Marine Le Pen (ITS). – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten Zahlen aus dem Jahresbericht 2006 über die Tätigkeit von Eurodac, einem biometrischen Instrument, das europaweit zur Überprüfung von Asylbewerbern verwendet wird, besagen, dass die Zahl der Personen, die eine der Grenzen der Union illegal überschritten haben, gegenüber 2005 um 64 % gestiegen ist. Dieser beunruhigende Anstieg beweist nur, so dies denn noch nötig wäre, dass Europa nicht in der Lage ist, seine Außengrenzen zu kontrollieren und die exponentielle Zunahme der illegalen Zuwanderung, vor allem aus Afrika, in den Griff zu bekommen.
Das einzig Erleichternde in diesem Bericht ist, dass das Parlament sich bewusst geworden zu sein scheint, dass die massenhaften Regularisierungen von illegal in das Hoheitsgebiet der Union gelangten Zuwanderern keine Lösung an sich darstellen und die Probleme nicht beseitigt haben. Halleluja! Damit es endlich zu dieser Erkenntnis kam, war es immerhin notwendig, dass Spanien, Belgien, Frankreich, Italien und die Niederlande diese gefährliche Regularisierungspolitik betrieben, die unweigerlich einen so genannten Sogeffekt ausübte und damit auch die Migrationsströme ihrer europäischen Nachbarn beeinflusste.
Lassen Sie es uns jedoch positiv sehen. Das ist immerhin ein Anfang, aber, um die illegale Zuwanderung wirksam bekämpfen zu können, gilt es dringend eine einzige Maßnahme zu ergreifen: die Wiedereinführung der Kontrollen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Denn diesem armseligen Etwas von Frontex, einer leeren Hülle mit zu wenig Personal und Ausrüstungen, das im Übrigen nicht einmal die Unterstützung bestimmter europäischer Länder genießt, die darauf bedacht sind, ihre Souveränität in Fragen der Steuerung der Zuwanderung zu bewahren, wird es niemals gelingen, Europa aus diesem Teufelskreis herauszuführen.
Europa selbst ist schuld an dieser ständigen und exponentiell steigenden Zuwanderung, indem es die kriminellen Schengener Übereinkommen abgeschlossen hat. Diese gilt es schnellstens aufzukündigen.
Irena Belohorská (NI). – (SK) Die Europäische Union hat eine umfangreiche Gesetzgebung zur Migrationspolitik. So gibt es die Genfer Konventionen, das Dubliner Übereinkommen, mehrere Verordnungen und eine Vielzahl von Richtlinien.
Allerdings ist ihre Umsetzung äußerst problembehaftet, und der schiere Umfang an Regelungen und Bestimmungen macht das gesamte System undurchsichtig. Darüber hinaus werden die Gesetze der Mitgliedstaaten oftmals nicht bestimmungsgemäß angewendet und Flüchtlinge und Asylbewerber häufig in einen Topf geworfen.
Da die Zeit begrenzt ist, werde ich mich auf die Frage der Kinder beschränken, die nicht von ihren Eltern begleitet werden und ihr Heimatland verlassen, um in einem anderen Land Asyl zu beantragen: Genau 5 % aller Asylsuchenden sind Kinder. Uns liegen Statistiken vor, aus denen hervorgeht, wie viele Kinder Asyl beantragt haben, aber es ist nicht bekannt, wie viele die Grenzen überschritten haben, ohne um Asyl nachgesucht zu haben. Bekannt ist, wie viele Asyl bekommen haben, aber es gibt keine Angaben darüber, was mit abgelehnten Asylbewerbern geschieht.
Hinzu kommt, dass bei Ankunft in einem Land Kindern ein Rechtsvertreter zugeordnet werden muss, der ihre Interessen vertritt. Allerdings ist nicht klar definiert, was im besten Interesse eines Kindes liegt. Beim Rechtsvertreter eines Kindes sollte es sich nicht um einen unerfahrenen Ehrenamtlichen, Studierenden oder eine Rechtsperson handeln, die sich in einem Interessenskonflikt befindet.
Patrick Gaubert (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Voller Freude habe ich in den letzten Tagen den Aufruf der Sozialdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments zur Kenntnis genommen, heute eine Aussprache ohne jede Demagogie führen zu wollen. Im Übrigen finde ich, wenn ich Ihnen heute zuhöre, dass Ihre Positionen sich geradezu gefährlich denen meiner Fraktion annähern.
Ich bin einverstanden mit Frau Gruber, dass die Mitgliedstaaten die Zuwanderung nicht mehr jeder für sich in seinem Eckchen Europas steuern können. Ich bin ebenfalls einverstanden mit Herrn Sánchez, wenn er sagt, dass wir den Auswanderungsländern dabei helfen wollen, sich zu entwickeln, damit die Leute zu Hause bleiben. Ich bin einverstanden mit Herrn Fava, wenn er sagt, dass Europa entschlossen gegenüber den Arbeitgebern auftreten muss, die die Arbeitskräfte skrupellos ausbeuten.
Es gibt Leute, die Zuwanderung mit Gewalt gleichsetzen und behaupten, die Zuwanderer seien die Ursache aller Übel ihres Landes. Diese Leute teilen nicht die Grundwerte der Europäischen Union.
Glücklicherweise gibt es aber auch Menschen, die auf humane Weise gegen die illegale Zuwanderung kämpfen, welche nur moderne Sklaven hervorbringt, und die legale Zuwanderung unterstützen, die in wirtschaftlicher, kultureller und geistiger Hinsicht eine Chance für uns alle sein kann.
Wir im Europäischen Parlament wissen, dass dieses Problem nicht durch bloße Maßnahmen auf nationaler Ebene gelöst werden kann. Der einzige Weg kann nur in einer abgestimmten europäischen Politik bestehen. Wir haben Frontex nicht geschaffen, um in Südeuropa Ertrunkene aus dem Meer zu fischen oder um im Osten verhungerte und verdurstete Kinder zu bergen. Frontex ist keine unüberbrückbare Grenze, es ist ein Mittel, um den allzu massenhaften Zustrom von Zuwanderern zu vermeiden, der menschlich und materiell nicht zu bewältigen ist.
Die Überwachung unserer Grenzen ist kein technisches und auch kein militärisches Problem, sondern eine politische Angelegenheit. Ich bin ebenso wie Sie auf der Suche nach der realistischsten, der menschlichsten Lösung. Wie wir alle wissen, ist sie hier um den europäischen Tisch, zwischen uns und den Verantwortlichen der Herkunftsländer der Zuwanderung zu finden. Es ist an uns, eine neue Form der effizienteren Ko-Entwicklung anzuregen, die zu einer intelligenten Steuerung der Migrationsströme und zu einer friedlichen Ankunft von Zuwanderern in der Europäischen Union führen wird.
Werte Kolleginnen und Kollegen, die Zuwanderer können sich ihr Schicksal nicht aussuchen. Wir hingegen haben die Wahl: nämlich sie mit Aufmerksamkeit, Würde und Verständnis zu empfangen. Wir können dort Erfolg haben, wo andere so lange gescheitert sind!
(Beifall)
Martine Roure (PSE). – (FR) Herr Präsident! Wir haben diese gemeinsame Debatte gewollt, denn heute ist es unmöglich, zu einer echten effizienten und kohärenten europäischen Zuwanderungspolitik zu gelangen, wenn wir diese beiden Themen nicht gemeinsam und auf Gemeinschaftsebene erörtern.
Unsere Länder haben jahrelang eine restriktive Migrationspolitik betrieben, doch diese hat die Migranten nicht aufgehalten. Im Gegenteil, sie kommen weiterhin nach Europa unter großen persönlichen Gefahren, um bessere Lebensbedingungen zu suchen, und für viele von ihnen ist dies eine Frage des Überlebens. Heute ist die Welt ein globales Dorf, und wir werden nie in der Lage sein, diejenigen aufzuhalten, die vor Elend und Verzweiflung fliehen. Bestimmte Leute hängen der Vorstellung von der Schließung unserer Grenzen an, doch sie sind völlig verantwortungslos.
Es ist letztlich eine Frage der Moral und der Solidarität, und wir müssen allen in Not befindlichen Ländern helfen. Deshalb wünsche ich übrigens, dass wir diese Debatte nicht auf Frontex beschränken. Zwar muss der Europäische Rat uns erklären, warum Frontex gezwungen war, Mitte August seine Aktionen im Mittelmeerraum aus Mangel an operationellen Mitteln einzustellen. Doch die Frage, auf die wir uns wirklich konzentrieren müssen, besteht darin, wie wir es denen, die dies wünschen, ermöglichen, in geregelter Form nach Europa zu gelangen?
Wir müssen natürlich die Möglichkeit der Einführung einer europäischen Blue Card prüfen: Diese sollte es Migranten ermöglichen, sich frei, in transparenter Weise und gefahrlos zwischen Europa und den Herkunftsländern zu bewegen. Gleichzeitig kommt es darauf an, dass die Kommission zuvor einen Vorschlag unterbreitet, um einen gemeinsamen Sockel an Rechten von Migranten festzulegen. Viele von ihnen werden in unseren Ländern in skandalöser Weise ausgebeutet. Wir müssen uns voll bewusst werden, dass es in der heutigen sich verändernden Welt dringend geboten ist, den Ländern, die noch im Elend leben, eine harmonische Entwicklung zu ermöglichen. Das ist unsere Aufgabe. Jeder Mensch muss das Recht haben, im Lande seiner Herkunft zu leben, doch unter den gegenwärtigen Umständen gibt es diese Wahl nicht.
Schließlich hoffe ich, dass die Mitgliedstaaten das Mandat der Regierungskonferenz respektieren, bei Fragen der legalen Zuwanderung zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit und zur Mitentscheidung überzugehen. Ich möchte wiederholen, dass dies absolut notwendig ist, um eine kohärente europäische Politik zu betreiben.
Jean-Marie Cavada (ALDE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr amtierender Ratspräsident! Endlich können wir gemeinsam über die illegale Zuwanderung und die so genannte legale Zuwanderung beraten: die beiden Seiten einer Medaille, ohne die bislang kein Land seine Einwanderungspolitik wirklich zum Erfolg führen konnte. Den meisten von ihnen ist es lediglich gelungen, wahlbezügliche Ungleichgewichte zu schaffen, wodurch die Probleme nur noch verschlimmert werden, denn das ist das Letzte, was gebraucht wird, um diese grundlegend zu lösen.
Heute kann kein Mitgliedstaat behaupten, seine Zuwanderungspolitik allein regeln zu wollen, und das Drama dieser Europäischen Union besteht darin, dass viele unserer Länder sich in der Geschichte mehr als zwei Jahrhunderte lang Migrationsproblemen ausgesetzt sahen, unter denen sie seinerzeit litten. Heute wird politisches Klein-Klein betrieben, aber ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, eine Stufe höher zu gehen. In einem Raum der Freizügigkeit betreffen die Entscheidungen, die in einem Mitgliedstaat getroffen werden, unmittelbar auch die Nachbarländer. Ebenso sind die Außengrenzen nunmehr gemeinsame Grenzen aller Länder der Union; daher können die Mitgliedstaaten im Süden und im Osten der EU nicht allein und hilflos dem massenhaften Zustrom der Migranten ausgesetzt werden, wie es in Malta, auf den Kanaren, in Lampedusa, im Osten und nun sogar im Nordwesten der Union geschieht.
Deshalb ist Solidarität geboten, und es bedarf nunmehr eines echten politischen Willens, den ich bei den Mitgliedstaaten nicht ausreichend gegeben sehe. Wir können keine echte europäische Zuwanderungspolitik entwickeln, wenn wir nicht das in den gegenwärtigen Verträgen bestehende Ungleichgewicht beseitigen: Die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung muss zu einer echten Gemeinschaftsangelegenheit werden, und die lähmende Einstimmigkeit in der Politik der legalen Zuwanderung ist heute nicht länger hinnehmbar.
Deshalb möchte ich nochmals die Notwendigkeit betonen, für die Politik der legalen Zuwanderung und der Integration, wie dies in dem Mandat der Regierungskonferenz gesagt wird, die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und die Mitentscheidung mit dem Europäischen Parlament vorzusehen. Das ist das einzige Mittel, um effizient und demokratisch auf eine der größten Herausforderungen für die Europäische Union zu antworten.
Roberts Zīle (UEN). – (LV) Herr Präsident! Herr Kommissar! Es freut mich außerordentlich, dass das Parlament im Rahmen der Unterstützung des Gemeinschaftsansatzes versucht, auch einwanderungstechnische Rechtsprobleme in meinem Heimatland Lettland zu lösen, die mit dem Beschäftigungsmangel in verschiedenen Sektoren wie dem Bau- und Gastronomiegewerbe zu tun haben. Ja, viele Menschen haben Lettland den Rücken gekehrt, um legal in diesen Bereichen in anderen EU-Ländern zu arbeiten und Bürger aus Nicht-EU-Staaten haben sowohl legal als auch illegal diese Arbeit in unserem Land übernommen. Für jene Personen, die ein starkes Interesse verspüren, in Zuwanderungsfragen die Rolle des Europäischen Parlaments zu stärken und die der Mitgliedstaaten, insbesondere der kleinen Staaten, zu beschränken, möchte ich gern eine andere Schwerpunktsetzung vornehmen. Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, um verschiedene Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, die Zutrittsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt für die Beitrittsländer von 2004 aufzuheben, ganz zu schweigen von der Haltung gegenüber den 2007 beigetretenen Ländern, die selbst die illegale Beschäftigung von EU-Bürgern fördert. Bleiben Sie sich treu, meine Damen und Herren! Vielen Dank.
Hélène Flautre (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident! Wenn Sie legale Zuwanderungskanäle vorschlagen, die im Wesentlichen durch die wirtschaftlichen Bedürfnisse Europas motiviert sind, die nur wenig Sensibilität für die realen Bedürfnisse der Bevölkerung im Süden der Union aufweisen, entscheiden Sie faktisch weniger über die Zahl der Migranten in Europa als vielmehr über diejenigen unter den Migranten, die legal auf unser Hoheitsgebiet gelangen können. Und was ist mit den Anderen?
Den Anderen bleibt die alptraumhafte Reise. Hinderung am Verlassen ihres Heimatlandes, Aufgreifen auf hoher See, inoffizielle Kanäle, Ingewahrsamnahme, Rettung oder Ertrinken im Meer – ich möchte Sie wieder und wieder sagen hören, dass die Rettung aus Seenot eine universelle, grundlegende Aufgabe ist, angesichts des Falls der sieben tunesischen Fischer, das ist das Mindeste, was wir erwarten können –, gewaltsame Rückführung, endloses Umherirren in abweisenden Transitländern, schwere Verletzung der Menschenrechte und vieles mehr.
Als Kommissar für Recht, Freiheit und Sicherheit müsste die Achtung der Menschenrechte Ihr Hauptanliegen sein – ebenso wie sie unser Hauptanliegen ist –, und Sie verfügen auf diesem Gebiet über große Vollmachten, wie wir wissen, ja geradezu immense Vollmachten!
Wenn tschetschenischen Staatsbürgern das Asyl in der Slowakei verweigert wird und sie dann über die Ukraine nach Russland ausgewiesen werden, wie wollen Sie dann garantieren, dass sie nicht Opfer von Misshandlungen werden? Wie lautet die Bilanz der ersten Rückübernahmeabkommen, die die EU in diesem Bereich ausgehandelt hat? Wie wollen Sie bei diesen Kettenrückführungen garantieren, dass es nicht zu Repressionshandlungen kommt?
Wenn Boote mit Migranten auf hoher See von Frontex-Patrouillen abgefangen werden, wie wollen Sie dann garantieren, dass die Menschen an Bord tatsächlich die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen, und dass diese Patrouillen Minderjährige in deren übergeordneten Interesse gesondert behandeln, wie es das Völkerrecht fordert?
Abschließend frage ich Sie, ob Sie uns eindeutig erklären können, warum Sie keine proaktive Politik betreiben, um die Mitgliedstaaten zur Ratifizierung der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu bewegen?
Pedro Guerreiro (GUE/NGL). – (PT) In einem einminütigen Redebeitrag kann man nur herausstellen, dass den repressiven, sicherheitsorientierten Maßnahmen ein Ende bereitet werden muss, mit denen sowohl weibliche als auch männliche Zuwanderer kriminalisiert werden, die nach sinnvoller Beschäftigung und einem menschenwürdigen Leben streben. Hafteinrichtungen für Migranten müssen geschlossen und die unmenschliche Politik der Rückführung gestoppt werden. Fremdenhass, Rassismus und alle politischen Ansätze, die diese fördern, sowie diesbezügliche Korruption sind zu bekämpfen. Die Lage von Wanderarbeitnehmern muss gesetzlich geregelt werden, indem ihre Arbeits- und Sozialrechte garantiert werden. Das ist eine notwendige Voraussetzung für die Beendigung der unannehmbaren Ausbeutung dieser Menschen. Außerdem besteht Bedarf an einer wirksamen Integrationspolitik, die vor allem auch die Familienzusammenführung umfasst.
Unserer Ansicht nach stellt die Entwicklung einer gemeinsamen Migrationspolitik keine angemessene Reaktion auf die genannten Herausforderungen und Probleme dar, wie die Ergebnisse anderer Felder gemeinsamer Politik zeigen. Die Zuwanderung gestaltet sich in jedem EU-Land unterschiedlich. Bei den diesbezüglichen politischen Entscheidungen muss die Souveränität jedes Staates geachtet werden, wodurch natürlich die in diesem Bereich auf EU-Ebene erforderliche Zusammenarbeit nicht behindert werden sollte. Statt einer gemeinsamen Politik brauchen wir einen anderen politischen Ansatz und anders geartete Maßnahmen, durch die die Rechte von Zuwanderern wirksam geschützt und die eigentlichen Ursachen der Migration beseitigt werden.
Patrick Louis (IND/DEM). – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Schluss mit dieser politischen Scheinheiligkeit! Das Recht auf Asyl und das Recht auf Zuwanderung von Menschen, die aus ein und derselben Zivilisation hervorgegangen sind, sind nicht das Problem. Im Wesentlichen geht es doch um die Zuwanderung aus einer anderen Zivilisation, und diese bringt für niemanden Vorteile.
Die Zuwanderung von Arbeitsuchenden stellt eine doppelte Ungerechtigkeit dar: Sie beraubt Herkunftsländer der Kompetenzen, für die sie bezahlt haben, und drückt im Aufnahmeland den Arbeitsmarkt nach unten und nimmt den einheimischen Arbeitslosen die Chance auf einen Arbeitsplatz.
Die Zuwanderung zum Zwecke des Empfangs von Sozialleistungen ist mit zwei Nachteilen behaftet: Sie entwurzelt arme Menschen, die durch das Blendwerk der westlichen Welt hypnotisiert werden, und destabilisiert in den Aufnahmeländern die Sozialbudgets, die in dem begrenzten und schützenden Rahmen der Nation geschaffen wurden und nur dort überdauern können.
Die Europäische Union braucht somit – im Gegensatz zu dem, was vor einem Monat an den Wänden des Abgeordnetenrestaurants in Brüssel zu lesen war, keine Zuwanderung. Im Gegenteil, Europa braucht eine eigene Familien- und Bevölkerungspolitik, eine Politik der souveränen Zusammenarbeit zwischen den Nationen, eine Grenzpolitik und nicht Frontex. Die Welt muss zum einen begreifen, dass Frieden nicht durch Zuwanderung entsteht, sondern durch selbstbestimmte Entwicklung, und zum anderen, dass die wahre Proletarisierung dann einsetzt, wenn Menschen ihrer kulturellen Wurzeln beraubt werden.
Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Dass ein Nationalstaat seine eigenen Grenzen kontrollieren und gemäß seinen Erfordernissen seine Einwanderungspolitik ändern kann, ist ein anschaulicher Beweis seiner Souveränität.
József Szájer (PPE-DE). – (HU) Sehr geehrte Damen und Herren! Die Unzulänglichkeiten der europäischen Einwanderungspolitik und die Schwierigkeiten mit gemeinsamen Aktionen haben den Rückhalt unterminiert, den gemeinsame Werte wie die Freizügigkeit für EU-Bürger in der Gesellschaft genießen.
Die Binnengrenzen sind geöffnet worden, aber bislang fehlt noch eine gemeinsame Migrationspolitik. Das ist völlig absurd, denn gleichzeitig haben die europäischen Bürger das Gefühl, die offenen Grenzen innerhalb der EU führten zu unkontrollierter Einwanderung. Wenn wir den Frieden in unseren Gesellschaften wahren und öffentliche Unterstützung für die Freizügigkeit sichern wollen, brauchen wir ein starkes Europa, stärker, als es sich gegenwärtig in der Zuwanderungsfrage präsentiert. Allerdings sollte man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Mitgliedstaaten noch immer zahlreichen Beschränkungen im Rahmen der Einwanderungspolitik unterliegen, obwohl sie Bürger Europas sind.
Nach Auffassung der Europäischen Volkspartei sind folgende Aspekte für eine angemessene und transparente gemeinsame europäische Migrationspolitik vonnöten: Erstens, Solidarität unter den Mitgliedstaaten, wodurch die Möglichkeit einseitiger Entscheidungen ausgeschlossen wird, die aufgrund der offenen Grenzen alle betreffen wie im Falle der Entscheidung der spanischen Regierung. Zweitens muss die Würde des Menschen als Leitprinzip gelten.
Drittens muss konsequent gegen illegale Einwanderung vorgegangen werden. Ein Parlamentskollege der sozialistischen Fraktion äußerte vor einer Weile, Zuwanderung sei keine Straftat. Nichtsdestotrotz, meine Damen und Herren, macht sich jede Person strafbar, die europäische Bestimmungen und Regelungen der Mitgliedstaaten verletzt. Darum spricht man auch von illegaler Einwanderung. Um illegale Einwanderung zu bekämpfen, müssen die Außengrenzen wirksamer gesichert werden als dies gegenwärtig der Fall ist. Außerdem sind gesetzliche Vorschriften für die Rückführung von Migranten in ihre Heimatländer erforderlich.
Viertens müssen bestehende Bestimmungen für die illegale Einwanderung –entschuldigen Sie, ich meinte Bestimmungen für die legale Einwanderung – gestärkt und transparenter gemacht werden, wobei der Arbeitskräftebedarf in unseren Ländern in größerem Maße Berücksichtigung finden muss.
Fünftens darf die Einwanderungspolitik nicht an unseren Grenzen beginnen. Obwohl die Europäische Union eine der größten Hilfsorganisationen der Welt ist, legen wir erstaunlicherweise nicht viele Bedingungen im Hinblick auf Korruption, Achtung der Menschenrechte und Demokratie in den Empfängerländern fest. Unter dieses Kapitel muss ein Schlussstrich gezogen werden. Bedingungen dieser Art müssen den Empfängerstaaten auferlegt werden. Ceterum censeo: Europa braucht eine schlagkräftigere Einwanderungspolitik.
Stavros Lambrinidis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Vor einigen Jahrzehnten wanderten Millionen unserer europäischen Mitbürger nach Amerika, Australien, Südafrika und in andere europäische Länder aus. Sie waren nicht reich, aber sie entrannen der Armut.
Wir haben gefordert, dass sie akzeptiert und ihnen Rechte gegeben werden. Mit dem Geld, das sie nach Hause schickten, haben sie unsere Volkswirtschaften unterstützt. Anlässlich unserer nationalen Feiertage wehen tausende von italienischen, griechischen und irischen Flaggen in diesen Ländern. Sie lieben die Länder, in die sie gegangen sind, aber sie dürfen auch ihre Herkunftsländer lieben; niemand fühlt sich durch diese doppelte Liebe bedroht. Sie haben die Volkswirtschaften und den kulturellen und demokratischen Reichtum der Aufnahmeländer gefördert und gestärkt.
Daher sollte Zuwanderung keinesfalls in erster Linie als eine Sache für die Polizei behandelt werden, geschweige denn als mögliche Quelle des Terrorismus, so wie letztlich in Europa darüber diskutiert wurde.
Die Zuwanderungspolitik sollte allumfassend sein und eine Vielzahl von Aspekten beinhalten:
- erstens die Verbesserung der legalen Migrationskanäle,
- zweitens die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, insbesondere die unmenschlichen Ringe des Migrantenhandels; und die Achtung der Menschenrechte in den Aufnahmezentren. Das einzige Verbrechen dieser Menschen besteht darin, in armen oder vom Krieg zerrütteten Ländern geboren worden zu sein;
- drittens die Gründe für das Anwachsen von Migrantenströmen: Kriege, Armut, Unterentwicklung, Diktaturen; Europa muss diese Phänomene in seiner Außen- und Wirtschaftspolitik angehen;
- viertens sollten wir fragen, weshalb Europa für Zuwanderer so attraktiv ist. Gleichzeitig müssen wir gegen illegale Beschäftigung kämpfen;
- fünftens die demografischen, Forschungs-, Bildungs- und Wirtschaftsbedürfnisse der Europäischen Union; wir müssen die unbedingt benötigten Arbeitskräfte anlocken;
- sechstens die Achtung der Grundrechte;
- siebentens die Schaffung einer europäischen Brücke zwischen Völkern und Kulturen und damit unsere Außenpolitik stärken.
Nur ganz wenige der genannten Aspekte erfordern einen Polizeieinsatz. Andererseits werden Politiker mit Einfühlungsvermögen und Kühnheit benötigt. Ich bin froh, dass die Kommission nach der anfänglichen Betonung des polizeibetonten Ansatzes jetzt ein wesentlich besseres Gesamtkonzept vorlegt. Mein Glückwunsch, Herr Frattini!
Mogens Camre (UEN). – (DA) Herr Präsident! Im Mittelpunkt des Problems, mit dem wir uns hier befassen, steht das demografische Ungleichgewicht in der Welt. Die Legalisierung der illegalen Einwanderung wird keines der Probleme lösen. Noch weniger wird das die Steuerung der Einwanderung nach einem einheitlichen Komplex von Regelungen tun. Helfen kann da nur die Unterstützung der Entwicklung und des Demokratieaufbaus. Die EU-Mitgliedstaaten sind so unterschiedlich, dass einheitliche Regelungen unmöglich verwaltet werden können. In Dänemark steht mehr als die Hälfte aller Einwanderer aus nicht westlichen Ländern für den Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, und unter denjenigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt befinden, herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Das ist darauf zurückzuführen, dass in unserem Land hohe Mindestlöhne und hohe Sozialleistungen gezahlt werden, so hoch, dass nur wenige in diesem Parlament verstehen können, dass es in Dänemark ganz einfach nicht möglich ist, Personen ohne Qualifikationen in den Arbeitsmarkt zu bringen, und zwar unabhängig von der Nationalität der betreffenden Person und unabhängig von ungeheuren finanziellen Fördermaßnahmen.
Der in allen Mitgliedstaaten beobachtete Widerstand gegen eine zunehmende Einwanderung aus fremden Kulturen sollte ausreichen, das Europäische Parlament zu veranlassen, stärker auf seine Wähler zu hören.
Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident! Jede Einwanderungsdebatte muss sich auf zumindest vier Fakten stützen. Die Menschen werden weiterhin ihr Leben aufs Spiel setzen, um nach Europa zu kommen, egal wie viele Mauern, Gefängnisse oder Schiffe wir bereitstellen. Die Menschen kommen nicht nach Spanien, Malta oder Italien, sondern nach Europa. Alle Studien machen deutlich, dass die EU die Einwanderer braucht, um das derzeitige Niveau des Wohlfahrtstaates aufrechtzuerhalten. Doch noch immer ist der Missbrauch alarmierend hoch, den skrupellose Geschäftemacher mit diesen Menschen treiben, indem sie ihre verletzliche Situation ausnutzen, um sie auszubeuten.
Wenn das tatsächlich stimmt – und ich möchte Sie darauf hinweisen, dass dies schon nachgewiesen wurde und nicht das Ergebnis von Vorurteilen oder Mutmaßungen ist –, dann müssen wir jetzt eine vernünftige und intelligente europäische Politik für den Zugang an unseren Grenzen entwickeln. Menschen aufzuhalten, die sie überqueren, ist für die Kontrolle des Prozesses nicht hilfreich, sondern erhöht lediglich die Dramatik der Situation.
Ferner müssen wir unseren Aufnahmeprozess verantwortungsvoll durchführen und den Einwanderern den Status von Asylanten oder Flüchtlingen sowie jeder Person eine individuelle Behandlung und realistische Lösungen garantieren.
Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Wir haben die Berichte unserer beiden Kollegen sorgfältig gelesen. Sie enthalten keine Vorschläge, die sich wesentlich von den vom Rat und der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen und Strategien unterscheiden.
Bei Frontex, wofür mehr Gelder gefordert werden, handelt es sich nicht nur um einen Mechanismus für die Sicherung unserer Grenzen; die Agentur kann ebenso als eine Plattform für die Kontrolle von Nicht-EU-Staaten, die an die EU grenzen, genutzt werden. Die Lösung für den Kampf gegen illegale Zuwanderung besteht nicht in der Einrichtung von Unterdrückungs- und Interventionsmechanismen. Wir dürfen keine Auffanglager errichten, biometrische Angaben in zentralen Datenbanken erfassen oder all jene, die versuchen, unsere Grenzen zu überschreiten, durchweg entweder als Terroristen oder als Verbrecher zu behandeln.
Auch ist die Schaffung eines Rahmens von Rechten für die legale Zuwanderung keine Möglichkeit, die illegale Zuwanderung zu bekämpfen. Wir dürfen diesen Rahmen nicht weiter als Vorwand für die Durchsetzung von Maßnahmen nutzen, die der Europäischen Union insgesamt nützen, die Rechte der Migranten selbst jedoch nicht in Betracht ziehen.
In der entsprechenden Erklärung wird die Verwendung von biometrischen Daten nicht kritisiert; hier wird nicht unterschieden zwischen Kontrollen und Steuerung der Zuwanderung, noch wird den Migranten Beachtung geschenkt, die nicht in die Kategorien der Personen mit nützlichen intellektuellen Fähigkeiten oder der wichtigen einfachen Arbeitskräfte fallen, die den Interessen der Multis dienen.
Zuwanderung ist ein zweiseitiges Verhältnis von Angebot und Dialog, Austausch und gegenseitiger Einflussnahme, Zusammenarbeit und Achtung für Völker und Einzelpersonen, Verständnis und Garantie der Chancengleichheit. Daher ist es unsere Pflicht, Politiken zu fördern, die von diesem Ansatz – und nur diesem Ansatz – ausgehen.
VORSITZ: MARIO MAURO Vizepräsident
Manfred Weber (PPE-DE). – Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute viel über Migranten gesprochen. Ich möchte jetzt einmal den Blick darauf richten, was unsere Bürger uns fragen. Wir haben nämlich die Frage der Bürger, dass wir in der Europäischen Union Millionen Arbeitslose haben, und wir sprechen hier gleichzeitig über den Zuzug von Hochqualifizierten. Es wird uns als Politiker noch viel Kraft kosten, unseren Bürgern zu erklären, dass wir bei den Hochqualifizierten die besten Köpfe dieser Welt brauchen.
Die Bürger stellen uns auch die Frage: Nehmt ihr unsere Sorge in diesem Zusammenhang ernst? Wir reden über zirkuläre Migration. In meinem Heimatland haben wir in den letzten Jahrzehnten türkische Mitbürger ins Land geholt, um sie als Arbeitkräfte einzusetzen. In Tschechien haben wir Vietnamesen. Die zirkuläre Migration – sprich: das Heimgehen dieser Gastarbeiter – hat in diesen Ländern bisher nicht funktioniert. Wie wollt ihr dieses Problem lösen? Wie passt das zusammen?
Wir werden auch den Bürgern gegenüber klarstellen müssen, dass wir die Migranten in der Pflicht sehen, sich zu integrieren – wie es der Kollege Lambrinidis vorhin gesagt hat –, die Sprache zu lernen und sich um Integration zu bemühen. Wir werden nur dann auf Verständnis für eine europäische Migrationspolitik – für eine legale Zuwanderung – stoßen, wenn wir bei der illegalen Zuwanderung klar sagen: Illegale müssen Europa auch wieder verlassen. Nur dann werden wir Zustimmung für legale Zuwanderung bekommen.
Das Allerwichtigste, das aus meiner Sicht in dem Bericht steht, ist die klare Zusage an die europäischen Bürgerinnen und Bürger: Wir werden die Frage der Quoten, wie viele Menschen auf einen Arbeitsmarkt kommen, nach wie vor in nationaler Kompetenz belassen. Dort besteht viel mehr Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.
Ich bedanke mich bei unseren beiden Berichterstattern, die einen guten Bericht vorgelegt haben. Ich möchte für meine Fraktion, die EVP-ED-Fraktion, zum Ausdruck bringen, dass wir uns freuen, dass sich auch die Kollegen der linken Parteien im Parlament in vielen Bereichen auf unsere Position zubewegt haben, wenn es um eine robuste Rückführungspolitik, wenn es um die Fragestellung geht, dass wir die Quoten in nationaler Entscheidung lassen, und wenn wir eine effektive Grenzsicherung aufbauen. Für mich ist es eine große Freude, dass wir als EVP-ED-Fraktion uns hier durchsetzen konnten.
Magda Kósáné Kovács (PSE). – (HU) Vielen Dank, Herr Präsident! Europa braucht eine gemeinsame Einwanderungspolitik. Von Tampere bis Den Haag, von Claude Moraes und Patrick Gaubert bis zu den beiden heutigen hervorragenden Berichten und sämtlichen in der Zwischenzeit von der Kommission veröffentlichten Mitteilungen, die die unterschiedlichen Halte auf der Strecke markieren, an denen es bereits gelungen ist klarzustellen, dass eine strenge Migrationspolitik keinen Selbstzweck erfüllt.
Unsere Aufgabe besteht darin, zu koordinieren und zu differenzieren. Die komplexen Phänomene, bei denen es sich um Faktoren der Migration handelt, müssen koordiniert werden. Dazu gehören unter anderem auch Wirtschaftsmigranten und illegale Einwanderer, von denen Asylsuchende, Menschen, die im Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten einreisen, und jene, die durch Behörden unter Umständen zu rechtswidrigem Verhalten getrieben wurden, zu unterscheiden sind.
Bislang haben wir, die neuen Mitgliedstaaten, als Transitländer fungiert, aber jetzt werden auch wir zu Zielländern, wodurch unsere Verantwortung zunimmt, da auch wir neue Arbeitskräfte brauchen. Dabei geht es nicht um zusätzliche physische Muskelkraft oder graue Zellen, sondern um unverbrauchte Arbeitskraft für unseren Arbeitsmarkt. Aus diesem Grund begrüße ich Verordnungen, die Hinweise auf den Platz von Einwanderern in unseren Arbeitsmärkten enthalten. Daneben befürworte ich den Ansatz für gemeinsame Gesetze und Instrumente, die im Rahmen des gemeinsamen Gesetzesplans vorgeschlagen worden sind.
Abschließend möchte ich betonen, dass die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern einen Weg in eine menschenwürdige Zukunft eröffnet, in der die Frage der legalen und illegalen Einwanderung keine einschneidende Entscheidung darstellt, die das ganze Leben verändert und die nicht bedeutet, aus seiner Heimat zu fliehen, sondern in der Migration als ein Zeitraum betrachtet wird, in dem die Bedingungen für die Rückkehr durch Verständnis, Verständigung und Integration geregelt werden. Vielen Dank, Herr Präsident.
Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Kommissar! Die Agentur Frontex bemüht sich nach Kräften, allerdings muss ich feststellen, wir sind noch weit von der Erreichung der erforderlichen Ergebnisse entfernt. Die Mittelmeer-Mission von Frontex im vergangenen Juli sorgte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum für eine Halbierung der Zahl von Einwanderern in meinem Heimatland Malta. Dennoch wurde die Mission zu unserer Verwunderung Ende Juli abgebrochen. Daraufhin verdoppelten sich im August die Zahlen gegenüber dem Vorjahr. In diesem Monat wurde die Frontex-Mission fortgesetzt, aber trotzdem steigen die Zahlen im Vergleich zum vorjährigen September. Was bedeutet das, Herr Präsident? Zunächst heißt das, Frontex muss weiter gestärkt werden, weshalb das Parlament auch bereit ist, den Haushalt von Frontex zu erhöhen, statt ihn zu senken, wie der Rat dies zu versuchen trachtet. Es zeigt auch, dass die Mitgliedstaaten, die Frontex eine Vielzahl von Booten, Hubschraubern und Flugzeugen versprochen hatten, ihre Versprechen nicht halten. Ich erwarte von Frontex und der Kommission, dass sie in dieser Sache mit dem Parlament zusammenarbeiten, damit die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung nachkommen. Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass mehr getan werden muss, damit Drittländer wie Libyen mit uns im Einwanderungsbereich an einem Strang ziehen. Allerdings heißt dies auch, Herr Präsident, dass die europäische Einwanderungspolitik noch immer scheinheilig ist. Alle sind sich darüber einig, dass der Schutz des Lebens von Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, an oberster Stelle stehen sollte. Daran besteht kein Zweifel. Aber fragt man, so wie Malta dies getan hat, wer die vor dem Ertrinken geretteten Menschen aufnehmen möchte, so herrscht tiefes Schweigen.
Wolfgang Kreissl-Dörfler (PSE). – Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass endlich erkannt wurde, dass es nicht angeht, nur die illegale Migration gemeinsam zu bekämpfen, sondern dass es auch umfassender Konzepte bedarf, um die legale Migration gemeinsam zu bearbeiten und zu koordinieren, gerade in einem Raum ohne Grenzen. Das kann aber nicht allein die Aufgabe der Innenminister sein, die sich bei der Abwehr illegaler Migranten schnell einig sind, sondern es muss auch die der Arbeits- und Sozialminister sein.
Daher begrüße ich die Initiative von Rat und Kommission, die entsprechenden Fachressorts einzubinden, zum Beispiel auch unseren Vizekanzler, Herrn Müntefering. Denn: Legale Migration heißt auch immer Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt und damit auch in die sozialen Sicherungssysteme.
Wir müssen aber auch verstärkt die Ursachen dafür bekämpfen, warum viele Menschen ihr Heil in der Flucht aus ihren desolaten Staaten suchen. Wir müssen legale Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Die Blue Card und zirkuläre Migration sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Noch ein Satz zu Frontex: Es ist eine Schande, was manche Mitgliedstaaten da aufführen. Solidarität, die immer angemahnt wird, muss für alle EU-Staaten gelten, nicht nur für einige wenige, und die Flüchtlinge müssen meiner Meinung nach nach einem festzulegenden Schlüssel auf alle Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Das kann nicht nur Sache von Malta oder den Kanarischen Inseln oder von Griechenland sein. Frontex kann letztendlich nur so gut sein, wie es die Mitgliedstaaten zulassen.
Und noch am Rande zu Frontex: Frontex benennt ja seine Aktionen immer nach Begriffen aus der griechischen Mythologie, z. B. Nautilus. Aber wenn ich eine der nächsten Aktionen Hydra nenne, dann halte ich das für eine Geschmacklosigkeit, und das ist abzuändern. Denn wer sich etwas in der griechischen Mythologie auskennt, weiß, was Hydra bedeutet.
(Beifall)
Agustín Díaz de Mera García Consuegra (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Ich möchte ein paar Bemerkungen machen und lediglich auf einige Statistiken verweisen. Nach Eurostat haben sich 45 % der Ausländer, die 2006 nach Europa kamen, dafür entschieden, in Spanien zu bleiben. Zwischen dem 21. und dem frühen Morgen des 24. September landeten 595 Personen aus der Subsahara an spanischen Stränden. Seit Anfang des Jahres haben allein 11 000 Einwanderer die Kanarischen Inseln erreicht, davon 9 000 seit der Ingangsetzung der Mission Hera am 23. April.
Trotz der Operationen Frontex, Hera, Hermes, Nautilus, Poseidon und Malta machen die Ziffern deutlich, dass die organisierten Menschenhändler die notwendigen Mittel besitzen, um unsere Kontrollmechanismen zu umgehen und neue Wege über das Meer zu finden. Ein Beispiel dafür sind die große Zahl von Einwanderern, die an der Ostküste Spaniens ankommen, oder die mehr als 4 000 Einwanderer aus Sri Lanka und Pakistan, die an den Stränden Guinea (Conakry) darauf warten, nach Europa gebracht zu werden.
Daher gilt es, den Missionen zur Ermittlung und Verhaftung der organisierten Bandenmitglieder und der Verstärkung der polizeilichen und internationalen Zusammenarbeit durch die Schaffung gemeinsamer Ermittlungsteams Vorrang einzuräumen. Die Operationen von Frontex müssen in den Krisenregionen eine ständige Einrichtung bleiben. Wichtig ist, dass der Rat der Entwicklung des europäischen Grenzpatrouillennetzes stärkere Impulse verleiht, um die Kontroll- und Überwachungsaufgaben zu verbessern.
Die EU muss insgesamt Kooperationsabkommen und Informationskampagnen unterstützen und fördern, nicht nur auf sprachlicher und professioneller Grundlage; es ist notwendig, dass sich auch die Herkunfts- und Transitländer der Gefahren, die diese Einwanderer auf sich nehmen, und des Risikos, dabei ihr Leben zu verlieren, bewusst sind.
Letztendlich ist eine Koordinierung der Einwanderungspolitik auf europäischer Ebene erforderlich, um permissive Gesetze und Legalisierungsprozesse zu verhindern, die eine „Sogwirkung“ auslösen. Weiterhin geht es darum, eine großzügige und humanitäre Asylpolitik und den erforderlichen internationalen Schutz voranzubringen.
Ich möchte hier zum Schluss kommen, Herr Präsident. Man kann gegenüber dem Rat nicht von 20 % Solidarität sprechen. Frontex ist mit 80 % für Charterschiffe, Flugzeuge, Kraftstoff beteiligt, mit allem außer Materialabschreibung. Deshalb muss sich der Rat für eine Solidarität von 20 % einsetzen und darf nicht doppelzüngig einer Politik das Wort reden, von der die gesamte Europäische Union betroffen ist.
Inger Segelström (PSE). – (SV) Herr Präsident! Lassen Sie mich zunächst den Berichterstattern für ihre hervorragende Arbeit danken. Ich freue mich, dass es für Arbeitgeber und Privatpersonen jetzt schwerer wird, Personen illegal anzustellen. Illegale Beschäftigung, beispielsweise im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung, betrifft zumeist Frauen, oft Migrantinnen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die jeweilige Person selbst, sondern auch auf die Sozialversicherungs- und Finanzsysteme sowie den Wettbewerb in den betroffenen Ländern. Außerdem freut mich, dass die Bekämpfung des Menschenhandels, von dem vor allem Frauen und Kinder betroffen sind, die den größten Teil der Opfer ausmachen, weiter unterstützt wird. Vielen Dank auch dafür, dass der Ansatz, die Zahl der Opfer innerhalb von zehn Jahren mit dem Ziel zu halbieren, diesen Praktiken für immer ein Ende zu setzen, Unterstützung gefunden hat.
Andererseits bin ich enttäuscht, dass ich von den Konservativen im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres keine Unterstützung erhalten habe, wenn es darum geht, Frauen und Kindern zu helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und ein neues Leben aufzubauen. Mit der Annahme von Änderungsantrag 29 besteht jetzt eine neue Chance, Frauen und Kindern zu helfen, damit sie in der EU bleiben können, oder aber sie bei der Rückkehr zu unterstützen. Stimmen Sie dafür, damit es für die Frauen ein Leben nach dem Menschenhandel gibt.
Ich freue mich ebenfalls, dass wir Flüchtlingslager außerhalb der EU weiterhin ablehnen. Ich möchte jedoch davor warnen, dass wir als Arbeitskräfte Wirtschaftsmigranten bekommen werden, wenn wir nicht auch ihren Familien, Partnern und Kindern die Einwanderung gestatten. Dann nämlich werden vor allem junge Männer kommen, was keiner Gesellschaft in der EU zum Vorteil gereicht.
Wir sprechen von den Grenzen der EU. Es ist wichtig, dass Personen, die in Menschenhandel, Kriminalität, Drogengeschäfte, Waffenhandel und Geldwäsche involviert sind, von der EU ferngehalten und gleichzeitig Schutzbedürftige in einer humanen EU aufgenommen werden. Sie sind das Rückgrat der EU und dürfen nicht von der gemeinsamen Zukunft der Union ausgeschlossen werden. Migration ist wichtig für uns, nicht nur hier und jetzt, sondern auch für zukünftige Generationen. Wir müssen sowohl auf globaler, als auch auf unserer eigenen Ebene Wohlstand schaffen.
Carlos Coelho (PPE-DE). – (PT) Herr amtierender Ratspräsident! Herr Vizepräsident der Kommission! Verehrte Damen und Herren! Die heutige Aussprache stützt sich auf zwei Berichte, die unverkennbar zwei komplementäre Ansätze darstellen: zum einen der strategische Plan zur legalen Zuwanderung und zum anderen die politischen Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen. Den einen zu bevorzugen und den anderen nicht zu beachten, wäre ein kapitaler Fehler. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Heutzutage ist Migration eine Massenerscheinung. Schätzungen zufolge leben gegenwärtig zirka 26 Millionen Migranten legal bzw. illegal in der Europäischen Union. Die Zuwanderung ist ein Phänomen, das eindeutig eine europäische Dimension hat, nicht nur weil jeder einzelne Mitgliedstaat für sich genommen diese nicht effizient steuern kann, sondern vor allem weil eine Änderung der Zuwanderungspolitik durch ein EU-Mitglied Auswirkungen auf die Migrationsströme und deren Entwicklung in anderen Mitgliedstaaten haben kann.
Herr Vizepräsident der Kommission! Wie man unschwer erkennt, befürworte ich die Idee der „Blue Card“ sowie die Einrichtung eines EU-Zuwanderungsportals mit umfangreichen Informationen über die Modalitäten und Möglichkeiten der legalen Zuwanderung in die Europäische Union. Ich begrüße die Entscheidung, die Vorstellung von einer einzigen Richtlinie nach Jahren des Stillstands im Rat aufzugeben und einen progressiven Ansatz zu wählen, wonach in den kommenden drei Jahren vier Vorschläge für sektorspezifische Richtlinien unterbreitet werden. Darüber hinaus möchte ich die Notwendigkeit von politischen Maßnahmen im Bereich Entwicklungshilfe unterstreichen, die unter anderem die Unterzeichnung von Abkommen mit Drittstaaten über die effiziente Steuerung der Zuwanderung zum Inhalt haben. Die Zusammenarbeit mit Herkunftsländern spielt im Kampf gegen den Menschenhandel und illegale Beschäftigung eine Schlüsselrolle.
Abschließend, Herr Präsident, müssen die Grenzkontrolle sowie der Einsatz verfügbarer Ressourcen wie Frontex und die RABITs (Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke) gewährleistet werden, die über die für ihre Arbeit notwendigen Mittel verfügen müssen.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Migration stellt nicht nur in Südeuropa ein Problem dar. Sie betrifft die gesamte Union, so auch mein Heimatland Polen, das im Nordosten des Kontinents liegt.
Polens östliche Grenze ist die längste Landgrenze der EU, für deren Sicherheit wir uns verantwortlich zeichnen. Außerdem hat die Agentur Frontex, in die hohe Erwartungen gesetzt werden, ihren Sitz in Warschau. Frontex wurden bestimmte Pflichten und Zuständigkeiten übertragen. Darum sollte auch sichergestellt werden, dass die Agentur über die nötigen Werkzeuge und Ressourcen verfügt, damit sie ihre Arbeit aufnehmen und unsere Grenzen wirksam schützen kann.
Fast drei Millionen meiner Landsleute haben Polen in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt. Sie sind in andere Mitgliedstaaten der EU gegangen, um die Vorteile des Binnenmarktes für sich zu nutzen. Allerdings sind auch Tausende von Menschen aus dem Fernen Osten, beispielsweise aus Korea und Vietnam, zu uns gekommen. Natürlich gibt es daneben Zuwanderer aus der Ukraine und Belarus. Wir brauchen diese Neuankömmlinge, denn sie helfen uns, Polen aufzubauen.
Aus diesem Grund begrüße ich die Berichte von Frau Gruber und Herrn Moreno Sánchez, allen voran den Bericht über die Zuwanderungspolitik, denn die darin enthaltenen Prämissen verleihen der Einwanderung ein freundliches Antlitz, indem Möglichkeiten für legale Zuwanderung eröffnet werden. Die beiden Berichte ergänzen sich hervorragend. Gemeinsam mit dem Vorschlag für eine Richtlinie, die Sanktionen gegen Arbeitgeber von illegalen Einwanderern vorsieht, an dem der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres momentan arbeitet, bilden sie ein solides rechtliches Fundament für die Zuwanderungspolitik der Union. Es freut mich, dass das Parlament dabei eine maßgebliche Rolle spielt.
Gestatten Sie mir eine abschließende Anmerkung. Zuwanderung sollte nicht als Problem betrachtet werden. Wir sollten sie vielmehr als eine Chance für ein alterndes Europa begreifen! Wir sollten von der Energie und dem Enthusiasmus jener Menschen profitieren, die legal zu uns kommen und sie an der Errichtung neuer Staaten und unseres gemeinsamen Europas teilhaben lassen!
Barbara Kudrycka (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wo der Schwerpunkt im Bericht über die illegale Einwanderung liegt. Er befasst sich nämlich hauptsächlich mit dem Mittelmeerraum. Außerdem ist er Ausdruck übertriebenen Vertrauens in die Aktionsinstrumente der Gemeinschaft.
Uns ist allen klar, dass die Verantwortung für Grenzkontrollen bei den Mitgliedstaaten liegt. In dieser Hinsicht hängt jedoch noch immer viel von der Bereitschaft spezifischer Dienste der betreffenden Mitgliedstaaten ab, trotz Hinweisen auf den Grundsatz der Subsidiarität und der Existenz von Frontex.
Die Situation an der südöstlichen Außengrenze erfordert Aufmerksamkeit, finanzielle Ressourcen und ein gemeinsames Vorgehen, auch wenn es sich gegenwärtig nicht um eine Hauptroute der illegalen Einwanderung handelt.
Darüber hinaus kann die Erweiterung des Schengen-Gebiets die migrationsbedingten Probleme weiter vergrößern. Darum ist die EU-Politik für die legale Zuwanderung ein so wichtiges Thema. Um die legale Wirtschaftsmigration zu steuern, müssen zunächst das Potenzial und die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der EU nutzbar gemacht werden.
Übergangsfristen für die Öffnung der Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten sowie die selektive Aufhebung dieser Regelung durch eine Öffnung der Arbeitsmärkte lediglich für hoch qualifizierte Arbeiter stellen eine ernsthafte Gefährdung aller Bemühungen für eine gemeinsame Zuwanderungspolitik für Drittstaatsangehörige dar.
Auch die im Rahmen der legalen Zuwanderung zum Tragen kommenden kulturellen und geografischen Faktoren spielen eine Rolle. Aufgrund ihrer geografischen Lage sowie kulturellen und sprachlichen Ähnlichkeiten neigen die Mitgliedstaaten offenbar eher dazu, eine Migrationspolitik für spezifische Drittstaaten zu verfolgen. Ich meine jene Staaten, deren Bürgern es am leichtesten fällt, sich in die europäische Kultur zu integrieren und sich an die europäischen Werte aufgrund der Nähe und Verwandtschaft, und sei es nur aufgrund der Sprache, anzupassen. Diese Art der legalen Zuwanderung hat damit doppelten Mehrwert.
Josep Borrell Fontelles (PSE). – (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Mittelmeer bildet die Grenze mit den größten Ungleichheiten weltweit. In Bezug auf Wirtschaft und Einkommen sind die gewaltigen Unterschiede zwischen beiden Seiten Ursache für einen Menschenstrom, der nicht allein von Polizeikräften kontrolliert werden kann.
Im Sommer 2006 hatte ich Gelegenheit, Kommissar Frattini zu gratulieren, weil er und einige spanische Fischer die Ehre Europas retteten, indem sie einer Gruppe von auf dem Meer treibenden Menschen zu Hilfe kamen, und dann erlebten wir eine beschämende Schacherei, bei der es um die Frage ging, was mit ihnen geschehen sollte. Doch ein Jahr später, Herr Kommissar, sind wir jetzt besser in der Lage, dieses Problem zu bewältigen?
Wir kommen wirklich sehr langsam voran, in einem Tempo, das mit dem Ernst des Problems, mit dem wir konfrontiert sind, nicht vereinbar ist. Dieses Problem werden wir nicht lösen können, wenn sich die Herkunftsländer nicht weiterentwickeln. Das müssen wir in unsere Köpfe hineinbekommen. Es wird uns nicht gelingen, das Problem ohne Entwicklung in den Herkunftsländern zu meistern, denn auch wenn wir eine große Zahl von Einwanderern benötigen, können wir nicht den gesamten demografischen Überschuss der Subsahara-Region von Afrika verkraften.
Was hier zudem vor sich geht, ist eine verhängnisvolle Kombination aus Hunger auf der einen Seite und Satellitenfernsehen auf der anderen. Der leere Topf in der Küche und die Satellitenschüssel voller Erwartungen sind der beste Nährboden für illegale Einwanderung, die wir nur kontrollieren können, indem wir zur Entwicklung der Herkunftsländer beitragen und die eigentliche „Sogwirkung“, die illegale Beschäftigung, verhindern.
(Beifall)
Philip Bradbourn (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Das Thema, über das wir heute beraten, gehört zweifellos zu den wichtigsten Themen für Europa, und es stellt jeden einzelnen Mitgliedstaat vor unterschiedliche Herausforderungen. Deshalb dürfen wir – ob es sich nun um illegale oder legale Einwanderung dreht – nicht den Weg vorgefertigter Lösungen gehen. Entscheidungen über Einwanderungsfragen müssen ein souveränes Recht eines jeden Mitgliedstaats bleiben.
Ich bin jedoch für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, wo Gemeinsamkeiten festzustellen sind und wo sie zum Nutzen aller gereicht. Und wie andere Redner möchte ich die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses vor allem auf das Frontex-System lenken, für dessen Organisation wir vor kurzem weitere 12 Millionen Euro freigegeben haben.
Von Anfang an hat das System darunter gelitten, dass Mitgliedstaaten Mittel gefordert haben, aber ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Wenn dieses Projekt Erfolg haben soll, müssen wir sicherstellen, dass diese zugesagten Mittel bei Bedarf für dessen Funktionieren bereitgestellt werden.
Das ist allerdings nur ein Mittel im Kampf zur Verhinderung illegaler Einwanderung. Wir müssen nach neuen und innovativen Lösungen an der eigentlichen Quelle suchen, dort wo die Migranten ihre Reise antreten. Wir müssen nach zielgerichteten Kampagnen in den Herkunftsländern suchen und klarstellen, dass die Tür nach Europa nicht offen steht. Vor allem müssen wir auch die Menschenhändler ins Visier nehmen.
Zur anderen Seite der Medaille gehört, dass unsere Mitgliedstaaten eine wirksame Einbürgerungspolitik betreiben, um jene abzuschrecken, die die illegale Einwanderung bevorzugen und organisieren.
Zusammenfassend kann ich also sagen, dass die Mitgliedstaaten Zusammenarbeit brauchen, nicht Regulierung. Mit einer Einheitsvariante löst man nicht die Probleme der Einwanderer, und wir dürfen nicht in die Denkfalle tappen, ‚mehr Europa’ sei die Lösung.
Louis Grech (PSE). – (MT) Herr Präsident! Zugegebenermaßen hat das anhaltende Engagement von Kommissar Frattini in den vergangenen Monaten in Verbindung mit der Schwerpunktsetzung des portugiesischen Vorsitzes einige Früchte getragen, trotz erheblicher bürokratischer Hürden und dem spürbaren Mangel an Solidarität in mancher Hinsicht, wodurch die Wirksamkeit einer Reihe von Initiativen gehemmt wurde. Dieses tragische Thema verdient jedoch eine gemeinsame europäische Politik, die auf die dringende Lösung von grundsätzlichen Problemen ausgerichtet ist. Dazu gehören: die Verabschiedung von Maßnahmen zur Lastenverteilung zwischen allen EU-Mitgliedstaaten, die Überarbeitung der Dublin-II-Verordnung gemäß dem Vorschlag in Ziffer 18 des Berichts Sánchez, die Bereitstellung angemessener finanzieller Mittel oder anderweitige Unterstützung, einschließlich die Bereitstellung von Geldmitteln für Infrastrukturprojekte, sowie eine Bewertung der Machbarkeit bzw. die Errichtung von Zentren wie Arbeitsvermittlungsstellen in den Herkunfts- und Transitländern, die Entwicklung einer realistischen Rückführungspolitik, die Umsetzung einer zeitnahen Integrationspolitik und die Bekämpfung des organisierten Verbrechens, darunter des Menschenhandels, sowie der Kampf gegen Fremdenhass und Rassismus. Bedauerlicherweise gibt es keine im Mittelmeer ansässige europäische Agentur, die die gemeinsame Zuwanderungs- und Asylpolitik entwickelt. Frontex wird nie in der Lage sein, diese Herausforderung zu meistern, wenn sich ihr Aufgabenspektrum nicht erheblich verändert. Abschließend, Herr Präsident, möchte ich den beiden Berichterstattern danken, die in deutlichen Worten aufgezeigt haben, wie rückständig die EU auf diesem Gebiet ist. Sie haben die Rechte und die Würde von Einwanderern angesprochen, die häufig Opfer politischer Unterdrückung, Armut und der organisierten Kriminalität sind. Ferner sind sie auf die Schwierigkeiten kleiner Mitgliedstaaten wie Malta eingegangen, die eine überdurchschnittliche Last tragen, wobei oft von wirklicher Solidarität keine Rede sein kann.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Meine Damen und Herren! Europa steht vor zwei Herausforderungen. Einerseits haben wir die alternde Bevölkerung und den Bevölkerungsrückgang und andererseits klopfen Hunderttausende, ja sogar Millionen Menschen aus Entwicklungsländern, die unbedingt legal oder illegal zu uns kommen wollen, an die Tore im Süden und Osten der Union. Dieser Herausforderung muss sich die Europäische Union durch gemeinsame Anstrengungen stellen. Kein Land, wie groß es auch immer sein mag, kann dieses Problem alleine lösen.
Deshalb begrüße ich die Bemühungen der Kommission, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen wie die Unterstützung von Frontex bei der Verhütung illegaler Migration. Ein weiteres Beispiel ist die Bewältigung der legalen Einwanderung mit Hilfe des Blue-Card-Systems bzw. durch Kooperationsabkommen mit den Ursprungsländern. Außerdem begrüße ich die heutige wiederholte Aufforderung von Kommissar Frattini an die Länder der Europäischen Union, die ihre Arbeitsmärkte noch nicht für ihre Mitbürger aus den neuen Mitgliedstaaten geöffnet haben, dies möglichst bald zu tun.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde mich kurz halten. Das war sicher eine der vielfältigsten, detailreichsten und umfassendsten Aussprachen, die ich je im Rat oder Parlament zu leiten hatte oder der ich beiwohnen durfte. Aus dieser Debatte habe ich zahlreiche Anregungen, Ratschläge und Vorschläge mitgenommen, die nach meinem Dafürhalten von außerordentlicher Wichtigkeit sind und für die künftige Arbeit grundlegende Bedeutung tragen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich meines Erachtens die berechtigte Schlussfolgerung ziehen, dass die Europäische Union über eine abgestimmte und umfassende Strategie für die Lösung der Zuwanderungsfrage verfügt und schon ein Stück des Weges zur Umsetzung der Politik zurückgelegt hat, die die physische und praktische Ausformung der Strategie bildet. Selbstverständlich wird es Verzögerungen und Zweifel geben, und natürlich wird an einigen Stellen mehr Ehrgeiz vonnöten sein, aber ich möchte unterstreichen, dass alles im Einklang mit unseren Lebensverhältnissen steht und mit den Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen. Meiner Auffassung nach sind wir auf dem richtigen Weg und können bzw. müssen mit Bestimmtheit voranschreiten, um den Gesamtansatz zur Migration wirklich umzusetzen.
Unserer Meinung nach bilden zwei Wörter das Fundament dieser Politik: Humanität und Solidarität. Humanität, weil der Ansatz sich auf Menschen stützt und auf Menschen ausgerichtet ist. Die Frage der Humanität spielt für die Präsidentschaft immer eine wichtige Rolle. Wie bereits erwähnt, reden wir von Menschen, die den Wunsch haben, an unseren Gesellschaften teilzuhaben und berechtigterweise nach einem besseren Leben für sich und ihre Familien streben. Diese menschliche Sehnsucht, diesen Wunsch muss man in jeder Hinsicht respektieren. Der andere Schlüsselbegriff lautet Solidarität, weil die Migrationsproblematik, wie bereits gesagt, nicht von einem oder selbst zwei oder drei Mitgliedstaaten allein gelöst werden kann. Dieses Problemfeld betrifft alle. Darum bedarf es einer gemeinsamen Antwort. Zum Glück existiert unserer Überzeugung nach ein zunehmend offenkundiges Bewusstsein für die Notwendigkeit, die beiden Konzepte – Humanität und Solidarität – bei der Festlegung und Umsetzung der europäischen Zuwanderungspolitik zu vereinen.
Ein gemeinsames Instrument für die Bekämpfung illegaler Einwanderung wurde bereits eingerichtet – die seit zwei Jahren bestehende Agentur, die unter dem Namen Frontex bekannt ist. In dieser Zeit hat sie – wenngleich mit einigen Schwierigkeiten – die ersten Schritte zurückgelegt und ihre Sache gut gemacht. Fraglos müssen wir unsere Bemühungen verstärken, um sie mit den erforderlichen Instrumenten auszurüsten, damit sie ihren Gründungszweck effizienter, schneller und präziser erfüllen kann. Nach unserem Dafürhalten hat dieses kollektive Instrument bislang gezeigt, dass seine Schaffung nötig und sinnvoll war.
Im Kontext der legalen Zuwanderung wurde heute bereits zu Recht die Notwendigkeit einer Intensivierung des Dialogs mit Drittstaaten erwähnt, insbesondere jenen Ländern, von denen Migrationsströme ausgehen. Dieser Dialog hat fundamentale Bedeutung. Wie gesagt teile ich die Ansicht, man werde nie eine dauerhafte Lösung für das Problem finden, wenn die Ursachen der Migration in den Herkunftsländern nicht untersucht, analysiert und in gewisser Weise ausgeräumt werden.
In diesem Bereich wurde der Dialog mit Afrika verstärkt. Es steht zu hoffen, dass auf dem nächsten Europa-Afrika-Gipfel gewichtige Ergebnisse erzielt werden und damit letztlich legale Zuwanderung im Kontext der Migration und des Dialogs zur Migrationsfrage mit den Herkunftsländern ermöglicht wird. Der portugiesische Vorsitz hat der legalen Zuwanderung einen hohen Stellenwert auf seiner Agenda für die sechsmonatige Ratspräsidentschaft zuerkannt. Auch die Kommission ist in diesem Bereich tätig gewesen und hat Vorschläge vorgelegt, die unserer Ansicht nach äußert interessant klingen und während unserer Präsidentschaft erörtert werden, in der hoffentlich, wie ich bereits sagte, beträchtliche Fortschritte erzielt werden können.
Als Resümee lässt sich feststellen, dass wir trotz der Schwierigkeiten, trotz der großen Probleme, vor denen wir stehen, unserer Überzeugung nach den richtigen Weg eingeschlagen haben. An der einen oder anderen Stelle müssen wir etwas mehr Ehrgeiz an den Tag legen. Hier und dort müssen wir schneller agieren, aber nach meiner Ansicht kann kein gutgläubiger Mensch leugnen, dass in den vergangenen Jahren viel erreicht worden ist.
Selbstverständlich begrüßt und unterstützt der Rat die Aussprache mit dem Europäischen Parlament. Die Frage der Mitbestimmung und des Reformvertrages wurden heute zur Sprache gebracht. Wie Ihnen bekannt ist, wurzelt der Reformvertrag in einem vom Europäischen Rat und damit allen Mitgliedstaaten gebilligten Mandat. Entscheidungen dieser Art müssen von allen Mitgliedstaaten getroffen werden, natürlich nicht nur vom Vorsitz. Auf jeden Fall bin ich überzeugt davon, dass im Reformvertrag so wie auch im Verfassungsvertrag äußerst wichtige Maßnahmen enthalten sind, um das Mitentscheidungsverfahren auf viele Rechtsetzungsinitiativen in der EU auszuweiten.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke ebenfalls all jenen, die sich in dieser äußerst wichtigen Aussprache zu Wort gemeldet haben. Ich denke, Europa muss dieses globale Phänomen, das Millionen von Kindern, Frauen und Männern und alle Kontinente betrifft, wirklich geschlossen angehen.
Als Erstes wurde gesagt – und ich stimme dem zu –, dass gesetzwidriges Verhalten bekämpft werden muss, indem gegen die Schlepper und gegen diejenigen, die die illegalen Einwanderer ausbeuten, vorgegangen und eine Rückführungspolitik betrieben wird, die glaubwürdig ist und zugleich die persönlichen Rechte, die Würde jedes Menschen achtet. Die Europäische Union hat bereits Rückführungsmaßnahmen durchgeführt und kann damit fortfahren. Ich erinnere daran, dass in vielen Fällen das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge mit Rückführungsmaßnahmen betraut worden ist, um eben die größtmögliche Transparenz hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte zu gewährleisten.
Ich denke, eine europäische Politik müsste Hilfen, Achtung der Menschenrechte, Handelspolitik mit Afrika und Einwanderung miteinander verbinden. Ich pflichte uneingeschränkt Herrn Watsons weisen Worten in Bezug auf diese Länder zu: „Entweder wir nehmen ihre Erzeugnisse oder wir nehmen ihre Menschen“. Darüber müssen wir nachdenken, gerade weil die Strategie umfassend sein muss und die Handelsbeziehungen oder unsere Entwicklungshilfepolitik mit Afrika nicht ausklammern darf.
Die Kontrolle der Außengrenzen ist ebenso unerlässlich. Einige haben davon gesprochen, andere haben Zweifel angemeldet. Ich denke, dass Frontex unterstützt werden muss. Die Agentur muss unterstützt werden, weil in diesem Sommer nicht nur Menschenleben gerettet wurden, die andernfalls verloren gewesen wären, sondern weil die Bediensteten von Frontex eine erhebliche Zahl von Personen festgenommen haben: 400 Personen, die Mitglieder von Schlepperorganisationen sind, wurden festgenommen und den Behörden übergeben. Das ist eine beträchtliche Zahl, denn sie bezieht sich nur auf den letzten Sommer.
Deshalb hoffe ich, dass dieses Parlament die Notwendigkeit anerkennt, im Haushalt 2008 für Frontex mehr Mittel bereitzustellen. Ich weiß, dass es einen Änderungsantrag gibt, in dem vorgeschlagen wird, 30 % der Verwaltungsausgaben von Frontex mit sofortiger Wirkung einzufrieren. Ich hoffe, dieser Vorschlag wird noch einmal überdacht und das Budget wird im Gegenteil sogar aufgestockt, unbeschadet der Kontrolle und der vollen Verantwortung für die Ausgabentätigkeiten.
Natürlich wurde auch sehr viel von Wirtschaftsmigration gesprochen. Der detaillierte Vorschlag für eine EU-Arbeitserlaubnis, den ich ausarbeiten werde, bedeutet mitnichten, dass wir in Brüssel entscheiden werden, wie viele Migranten in den einzelnen Ländern benötigt werden. Das bleibt Sache der nationalen Regierungen und des nationalen Marktes eines jeden Landes, und deshalb möchte ich all jene beruhigen, die diesbezüglich Fragen oder Bedenken angemeldet haben. Jeder Mitgliedstaat wird frei darüber entscheiden können, wie viele Arbeitnehmer aus Drittstaaten er für jede Kategorie benötigt. Doch eins geht nicht, meine Damen und Herren, nämlich dass ein Mitgliedstaat behauptet, er habe gar keinen Bedarf, und dann fortfährt, die illegale Einwanderung und die Ausbeutung von Schwarzarbeitern zu tolerieren. Das geht nicht an, und deshalb brauchen wir europäische Regeln.
Es ist klar, dass uns die Migration zu einem universellen Wert führt, den einige erwähnt haben: die Mobilität zwischen den Völkern. Hier sehe ich Chancen, aber auch Rechte. Rechte gehen immer mit Pflichten einher! Eine Politik, die zwar Rechte, aber keine Pflichten betrifft, wäre undenkbar. Wir können und wollen weder unsere europäischen Gesetze noch unsere Finanzmittel jemand anderem aufzwingen, wenn unsere Partner nicht damit einverstanden sind. Deshalb sollten wir ganz klar festlegen, dass unsere Idee, unsere Politik eine Partnerschaft beinhaltet, das heißt einen umfassenden Pakt mit den Herkunfts- und Transitländern der Migranten.
So ein Pakt muss als eine Schlüsselkomponente die uneingeschränkte Achtung unserer Gesetze, der Grundrechte, unserer absoluten und universellen Werte in unserem Territorium umfassen: Leben, die Würde einer jeden Frau und eines jeden Mannes, Achtung vor dem Individuum. Das bringt mich auf die Integration.
Integration der Migranten bedeutet Respekt vor ihrer Geschichte und ihrer Religion, weil sie für uns alle eine Bereicherung sind, doch es bedeutet auch, dass unsere Traditionen, unsere Geschichte, unsere Kultur und unsere Religion von ihnen geachtet werden. Integration, so wie ich sie sehe, bedeutet daher Teilhabe.
Ehrlich gesagt, ist es nicht möglich, diejenigen per Gesetz zu integrieren, die sich nicht integrieren wollen, die nicht bereit sind, einen Schritt nach vorn zu machen, die meinen, Europa könne noch Zwangsehen oder Polygamie zulassen. Das ist nicht hinnehmbar, denn wir haben unsere Gesetze und unsere universellen Werte.
Und dies wiederum heißt Bildung, heißt Sprachen erlernen, heißt Berufsausbildung, heißt reguläre Arbeit und Ablehnung jeder Ungesetzlichkeit. So kann der Illegalität getrotzt werden. Jemand hat diesen Gedanken erwähnt, dem ich besonders beipflichte: Migranten, die Straftaten begehen, sind die ärgsten Feinde der ehrlichen Zuwanderer, die einer regulären Arbeit nachgehen und regulären Lohn beziehen.
Deshalb müssen wir unseren besorgten Bürgern diese Politik erklären: Sie müssen keine Angst vor der Einwanderung als solcher, sondern nur vor denjenigen haben, die straffällig werden. Wir müssen sicherstellen, dass die Kriminellen bestraft werden, denn andernfalls geben wir den Bürgern kein Signal, dass sie differenzieren müssen, und überlassen sie dieser Angst und dieser Sorge, die, wenn sie nicht bewältigt werden, dann in Rassismus und Fremdenhass umschlagen, ein schreckliches Phänomen, das gleichwohl im Gebiet der Europäischen Union zunimmt.
Schlussendlich, Herr Präsident, müssen die Politiker die Weichen stellen. Ich glaube, unsere Weichenstellung muss ein globaler Pakt von Rechten und Pflichten sein, der zwischen Gleichgestellten, zwischen gleichberechtigten Partnern geschlossen wird. In diesem Pakt darf nicht der eine bestimmen und der andere akzeptiert; und es darf auch niemand Forderungen an uns richten, die wir nicht akzeptieren können. Das ist nötig, weil wir von Menschen, von ihrer Würde und ihren Rechten sprechen. Wir sprechen weder von einem wirtschaftlichen noch von einem administrativen Heilmittel.
Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute um 12.00 Uhr statt.
(Die Sitzung wird um 11.45 Uhr unterbrochen und um 12.00 Uhr wieder aufgenommen.)
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Filip Kaczmarek (PPE-DE), schriftlich. – (PL) Illegale Zuwanderung ist ein etwas paradoxes Konzept. Ich wuchs in einem politischen System auf, in dem bestimmte Wörter von den Machthabern und ihrer Propaganda a priori als positiv bzw. negativ besetzt waren. So wurde beispielsweise das Wort „international“ als positiv klassifiziert, wohingegen „kosmopolitisch“ als negativ galt. Wir müssen aufpassen, nicht in eine ähnliche semantische Falle zu tappen. Da Fremdenhass schlecht ist, kann man den Schutz vor illegaler Einwanderung kaum als etwas Gutes für ein Land oder die EU betrachten. Sicherlich ist er eher ein notwendiges Übel.
In meiner Heimatstadt Poznań hat jemand die Worte „Niemand ist illegal“ an eine Wand geschrieben. Manchmal lohnt es sich, kurz innezuhalten und zu überlegen, ob ein Mensch wirklich illegal sein kann. Nicht nur auf dem Atlantik und im Mittelmeer riskieren Menschen ihr Leben, um die Grenzen der EU zu überwinden. Vergangene Woche ist eine Tschetschenin mit ihren drei kleinen Töchtern an der Grenze zwischen der Ukraine und Polen ums Leben kommen. Sie flohen vor der Tragödie, die sich in ihrer Heimat abspielt. Es kann kaum überraschen, dass Menschen versuchen, aus Tschetschenien zu fliehen und sogar bereit sind, dafür ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Die Anwesenheit von mehreren Millionen Einwanderern in Europa, die illegal in die EU gekommen sind, stellt ein sehr reales Problem dar. Auf dem Wege zu einer Lösung müssen wir allerdings die universellen Werte im Kopf behalten, auf die sich die europäische Integration stützt. Darüber hinaus sollte man aus dem einfachen Grund, dass der Mensch an sich keine negative Erscheinung ist, nicht vergessen, dass Einwanderung per se kein negatives Phänomen darstellt.
Katalin Lévai (PSE), schriftlich. – (HU) Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Von den unqualifizierten Einwanderern aus den Entwicklungsländern leben 85 % in der Europäischen Union und nur 5 % in den USA, wohingegen lediglich 5 % der hoch qualifizierten Zuwanderer in die Länder der so genannten alten Welt gehen, während mehr als die Hälfte von der US-Wirtschaft angelockt wird. Es freut mich, dass im Bericht von Frau Gruber unter anderem versucht wird, diesen Prozess anzuhalten und umzukehren.
Meiner Ansicht nach müssen wir Möglichkeiten finden, um hoch qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben und gleichzeitig den „Brain Drain“ aus den Entwicklungsländern zu verhindern. Der Begriff „hoch qualifizierte Arbeitskräfte“ sollte daher definiert und allgemeine Ausbildungskriterien in der EU standardisiert und festgelegt werden.
In diesem Falle stehe ich nicht hinter der Kommission mit ihrem Prinzip „Je mehr, desto besser“. Ich teile die Auffassung, dass die fünf Richtlinien zusammengefügt werden sollten. Weniger Bürokratie erweist sich sicher auch für qualifizierte Arbeitnehmer als attraktiv.
Bevor wir die Richtlinie(n) erarbeiten, schlage ich vor, eine erste Folgenabschätzung durchzuführen, in der auch soziale Faktoren berücksichtigt werden. Mit Hilfe dieser Bewertung könnte gewährleistet werden, dass die EU, indem sie die wirklichen Interessen der Bürger vertritt, mit Hilfe der erarbeiteten Gesetzgebung Millionen von Euros spart.
Der Vorschlag von Herrn Frattini für die Einführung von Quoten für legale Einreisen könnte meines Erachtens zu einem Rückgang der illegalen Zuwanderung in der EU beitragen, aber sie könnte auch zu einer wirksameren Steuerung der illegalen Zuwanderung in Drittstaaten führen.
Statt der im Bericht vorgeschlagenen EU-Arbeitserlaubnis hat das „EU-Blue Card“-System meiner Ansicht nach größere Erfolgsaussichten hinsichtlich der Erreichung der erhofften Zielstellungen für die legale Zuwanderung.
VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS Vizepräsident
3. Begrüßung
Der Präsident. − Ich möchte Seine Heiligkeit Satguru Baba Ji und seine Delegation begrüßen, die auf der Besuchertribüne Platz genommen haben. Seine Heiligkeit ist der geistige Führer der Sant Nirankari Mission, auch bekannt als Universelle Bruderschaft. Die Mission basiert auf dem Glauben, dass wahre Religion vereint, niemals trennt.
Seine Heiligkeit besucht zurzeit Europa und verbreitet die Botschaft der Mission zur Menschlichkeit als einziger Religion. Sein heutiger Besuch im Parlament und sein Treffen mit Präsident Pöttering sind Teil seiner gegenwärtigen Aufgabe, Harmonie und Einvernehmen zwischen den Kulturen und Religionen zu schaffen.
Wir heißen ihn willkommen und wünschen ihm allen Erfolg.
(Beifall)
4. Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen für die römisch-katholische St. Joseph-Kathedrale in Bukarest, Rumänien, ein gefährdetes historisches Baudenkmal (schriftliche Erklärung): siehe Protokoll
⁂
Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident! Präsident Pöttering hat uns gestern gebeten, pünktlich zur Abstimmung da zu sein. Das haben viele von uns versucht, aber die Liftanlagen in diesem Haus sind nicht in der Lage, die Kollegen aus den höheren Stockwerken rechtzeitig herunterzubringen. Vielleicht könnte man da etwas ändern oder die Glocke früher läuten lassen.
Der Präsident. − Nun, Herr Rack, machen Sie sich keine Sorgen: Wir haben genau um 12.00 Uhr wieder begonnen, und jetzt ist es 12.04 Uhr, also liegen wir damit nicht allzu schlecht.
5. Prüfung der Mandate der neuen Mitglieder des Parlaments
Giuseppe Gargani (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Rechtsausschuss hat mich ermächtigt, einen kurzen mündlichen Bericht zu geben. In der Sitzung vom 10. und 11. September dieses Jahres haben wir die Mandate der 18 Abgeordneten Bulgariens sowie sieben weiterer Abgeordneter geprüft, die von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden aufgrund von Rücktritten benannt worden sind. Wir haben anhand aller üblichen Unterlagen und der beigefügten Protokolle festgestellt, dass die Erklärungen zur Unvereinbarkeit korrekt sind und die Erklärungen zu den finanziellen Interessen von den Angeordneten unterschrieben wurden. Deshalb denke ich, im Namen des ganzen Parlaments zu sprechen, wenn ich die 18 und die weiteren sieben bulgarischen Abgeordneten herzlich willkommen heiße, die den Rahmen unseres Europas vervollständigen. Ein Willkommensgruß an diejenigen, die sich ab heute in die Arbeit des Europäischen Parlaments einbringen werden!
Der Präsident. − Danke, Herr Gargani. Damit sind diese Mandate bestätigt. Wir wünschen den neuen Mitgliedern viel Erfolg.
6. Abstimmungsstunde
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.
(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll.)
6.2. Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat (Abstimmung)
Andrew Duff, Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Der Bericht unterstützt die Vorschläge der Kommission, die Verfahren für Bürger, die in dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, für das Europäische Parlament kandidieren oder an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen wollen, zu vereinfachen. Er respektiert uneingeschränkt das nationale Recht und die einzelstaatliche Praxis und spricht sich für die Ausweitung der grenzüberschreitenden Demokratie in der Zukunft aus. Ich bitte die Mitglieder, der Entschließung des Ausschusses ohne Änderungsanträge ihre Unterstützung zu geben.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (FR) Herr Präsident! Ich danke dem Berichterstatter, Herrn Duff, für seinen Bericht, der sehr reich an Ideen ist. Mehrere Änderungsanträge des Europäischen Parlaments gehen noch über das hinaus, was die Kommission vorschlägt, um bestimmte in ihrem Bericht über die Wahlen 2004 aufgeführte administrative Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Richtlinie zu beseitigen.
Ich verstehe jedoch die Gründe sehr gut – und die Kommission unterstützt sie übrigens auch –, die einigen Änderungsanträgen des Europäischen Parlaments zugrunde liegen, vor allem die Notwendigkeit, die Wahlbeteiligung der Bürger an den Europawahlen sowie den europäischen Charakter der Wahlen zum Europäischen Parlament zu erhöhen. Das steht im Zusammenhang mit der Frage des Ausschlusses von Mehrfachkandidaturen, dessen Abschaffung in einem Änderungsantrag vorgeschlagen wurde, oder der Frage der Abschaffung der automatischen Ausdehnung des Verlusts des passiven Wahlrechts auf alle Mitgliedstaaten.
Die Kommission ist deshalb dafür, über diese Fragen eingehender nachzudenken, gegebenenfalls in Form einer Studie, wobei das Europäische Parlament natürlich in diesen Prozess einbezogen wird. Diese Fragen könnten, falls notwendig, auch innerhalb der Interinstitutionellen Informationsgruppe diskutiert werden, die dabei ist, alle Möglichkeiten auszuloten, um die Informationstätigkeit über die Europawahlen 2009 etwas effizienter zu gestalten.
Richard Corbett (PSE). – (EN) Herr Präsident, zur Geschäftsordnung. Ich stelle fest, dass die ALDE-Fraktion im Zusammenhang mit diesem Bericht eine getrennte Abstimmung zu jedem einzelnen Änderungsantrag beantragt hat.
Gemäß der Geschäftsordnung kann nur eine Fraktion einen Änderungsantrag stellen. Ich wollte nun prüfen, ob das wirklich im Namen der Fraktion geschehen ist oder ob nur eines ihrer Mitglieder vorgibt, im Namen der Fraktion zu sprechen.
Der Präsident. − (EN) Herr Corbett, wir haben hier den Nachweis, dass die Fraktion darum ersucht hat, also geht alles in Ordnung. Tut mir Leid, aber alles ist in Ordnung.
(Heiterkeit)
6.3. Flächenstilllegung für das Jahr 2008 (Abstimmung)
– Vorschlag für eine Verordnung des Rates – Flächenstilllegung für das Jahr 2008 (C6-0302/2007)
6.4. Gefährliches Spielzeug aus China (Abstimmung)
Roberta Angelilli, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte vor der Abstimmung das Wort ergreifen. Ich melde mich gemäß Artikel 150 der Geschäftsordnung zu Wort. Da unser Änderungsantrag, die Nummer 19, faktisch dem Änderungsantrag Nummer 1 der PPE-DE-Fraktion entspricht, zieht die UEN-Fraktion ihren Änderungsantrag zurück und bittet, den Änderungsantrag 1 der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten zu unterstützen.
6.7. Politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen (Abstimmung)
Jaroslav Zvěřina (PPE-DE). – (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe den Vorschlag zur Gründung eines Instituts für Technologie nicht unterstützt. Selbstverständlich möchte ich, wie die meisten von Ihnen, dass die Europäische Union sich anpasst und mehr Erfindungen und Patente hervorbringt.
Nachdem ich die Aussprache über diesen Vorschlag gehört habe, glaube ich allerdings nicht mehr, dass die Einrichtung einer weiteren Institution ein Schritt in die richtige Richtung ist. Unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden keine zusätzlichen Mittel erhalten, allenfalls werden sie eine weitere Einrichtung haben, die sich um Zuschüsse für Forschungstätigkeit bewirbt. Noch wird durch die Abstimmung in unserer ehrwürdigen Institution ein Gremium von Superwissenschaftlern geschaffen. Das Institut wird von Wissenschaftlern geleitet, die von den Hochschulen, an denen Sie jetzt lehren, abgezogen werden. Deshalb denke ich, es wäre besser, wenn wir die zur Verfügung stehenden Mittel – sofern wir diese finden – den bestehenden wissenschaftlichen Spitzenteams in Form von Zuschüssen für Forschungsprojekte zugute kommen ließen.
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Wenn wir die USA, Japan und andere im Bereich von Wissenschaft und Technik führende Nationen der Welt überholen wollen und Europa hier den Ton angeben soll, müssen die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Exzellenzzentren müssen über alle erforderlichen Voraussetzungen verfügen. Die Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts markiert deshalb einen Schritt in die richtige Richtung. Es ist beschämend, dass diese Entscheidung so lange hinausgezögert wurde. Für das Problem der hinreichenden finanziellen Ausstattung des ETI wird man meiner Ansicht nach eine zufrieden stellende Lösung finden.
Außerdem unterstütze ich die Idee der Kofinanzierung nach dem Prinzip der Public Private Partnerships. Forschungszentren in den Vereinigten Staaten sind hierfür ein gutes Beispiel. Ich würde es begrüßen, wenn auch Wissenschaftler und Forscher aus den neuen Mitgliedstaaten für die wissenschaftlichen Teams ausgewählt und daran beteiligt werden und der Verwaltungsrat vom Europäischen Parlament überwacht wird. Die Forschungsziele sollten das Siebte Rahmenprogramm für Wissenschaft und Forschung widerspiegeln. Lediglich die Forschung an embryonalen Stammzellen sollte nicht mit Steuergeldern aus jenen Ländern gefördert werden, in denen die Stammzellenforschung gesetzlich verboten ist.
Tomáš Zatloukal (PPE-DE). – (CS) Herr Präsident! Gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Abstimmung über die Gründung eines Instituts für Technologie. Ich habe für diesen Vorschlag gestimmt, da dies das erste Mal ist, dass wir ein System schaffen, das Forschung, Bildung und die Wirtschaft miteinander verbindet.
Hierbei handelt es sich um ein grundlegendes Projekt auf dem Gebiet der europäischen Innovation, und wie auch andere ähnliche Vorhaben ist es mit Problemen verbunden – in diesem Fall sind es vor allem finanzielle Probleme. Daher verdient der Vorschlag, das Institut zu gründen und ihm genügend Spielraum zu geben, um sein weiteres Bestehen zu rechtfertigen, unsere Unterstützung.
Hannu Takkula (ALDE). – (FI) Herr Präsident! Gestatten Sie mir einige Worte zum Europäischen Technologieinstitut. Als erstes möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Paasilinna, danken. Er hat eine ausgezeichnete Arbeit geleistet. Ich weiß, dass er ein Experte für Bildung und Forschung sowie damit zusammenhängende Fragen ist.
Wir haben es hier mit einem sehr ehrgeizigen Projekt zu tun, aber ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass es, wenn wir in der Europäischen Union neue Institutionen schaffen, sehr wichtig ist, vorher sicherzustellen, dass die bereits bestehenden Einrichtungen ausreichend finanziert sind. Deshalb sollten wir auch dafür Sorge tragen, dass das heute vorhandene Netz von Hochschulen eine angemessene Unterstützung erhält und damit neue Forschung initiiert.
Bei der Abstimmung bin ich den Empfehlungen von Herrn Paasilinna gefolgt, aber ich möchte das Parlament bitten, darauf zu achten, dass bereits bestehende Forschungsgemeinschaften weiter ihre Finanzierung erhalten und dass das neue Institut nicht die Mittel aufbraucht, die für diese vorgesehen sind. Ich bittere darum, dass dies zu Protokoll genommen und berücksichtigt wird, wenn die Entscheidungen fallen.
Edite Estrela (PSE), schriftlich. − (PT) Ich habe für den Bericht von Reino Paasilinna über das Europäische Technologieinstitut gestimmt, weil es nach meiner Auffassung einen entscheidenden Beitrag zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Europas Wirtschaft leisten wird, indem Synergien zwischen Innovation, Forschung und Bildung gefördert werden.
Darum unterstütze ich die Vorschläge des Berichterstatters, die darauf abzielen, die Finanzierungsquellen für das künftige Europäische Technologieinstitut klar zu definieren, damit es seine Arbeit schnellstmöglich aufnehmen und seinen Auftrag entgegen den in der Lissabon-Strategie festgelegten Zielen erfolgreich erfüllen kann.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Unser Standpunkt zur Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts ist aufgrund der von verschiedenen Forschungsorganisationen eingenommenen Position höchst kritisch. So legte beispielsweise die Liga Europäischer Forschungsuniversitäten im vergangenen Jahr eine Studie vor, deren Fazit lautete, der Plan für die Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts sei falsch verstanden worden und zum Scheitern verurteilt. Euroscience, eine europäische Vereinigung von Wissenschaftlern und Politexperten, sprach von einer politisch motivierten Idee, die von falschen Prämissen ausgeht. Der britische Wissenschaftsberater Robert May meinte, alles beruhe auf einem Missverständnis darüber, was Innovation bedeutet.
Das Institut wird virtuell existieren und aus Wissenschaftlern zusammengesetzt sein, die an EU-Universitäten, in Forschungslabors und Unternehmen tätig sind. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag wird es keine Abschlüsse vergeben. Aufgrund des Drucks, der von verschiedenen Ländern ausging, die sich als Standort für das Institut anboten, entschied man sich, es virtuell als eine Art Gateway zu gestalten, um wissenschaftliche Kreise in verschiedenen Bereichen zu konsultieren. Das Europäische Parlament hat soeben mehrere Änderungsanträge zum Vorschlag der Kommission angenommen, aber unserer Meinung nach reichen diese nicht aus, um etwas zu richten, was krumm das Licht der Welt erblickt hat.
Zur Finanzierung kommen auch EU-Haushaltsmittel in Betracht, darunter die für Forschung vorgesehenen Mittel, was letztlich vielleicht nur eine andere Möglichkeit ist, den entwickelten Ländern zu helfen und damit Ungleichheiten zu verschärfen.
Janusz Lewandowski (PPE-DE), schriftlich. − (PL) Herr Präsident! Der Plan für die Einrichtung eines Europäischen Technologieinstituts hat im Zuge der lebhaften Debatte über Möglichkeiten, Innovation innerhalb der EU anzukurbeln, Veränderungen erfahren. Anfänglich sollte das Institut im Rahmen der Lissabon-Agenda ein europäisches Pendant zum Massachusetts Institute of Technology werden. Anders gesagt, es sollte Teil unserer Strategie sein, mit den USA zu konkurrieren. In der gegenwärtigen, sich rasch verändernden globalen Welt denken wir hingegen an ein Netz von Wissens- und Innovationsgemeinschaften, den so genannten KIC, die von einer zentralen Stelle koordiniert werden, was sich in der Trennung der beiden Haushaltslinien in den vom Europäischen Parlament vorgelegten Änderungsanträgen für den Haushaltsentwurf 2008 (separate Finanzierung für das Netz und die Koordinierungsstelle) widerspiegelt. Es scheint, als sei man einer Lösung für die Finanzierung dieses Vorhabens näher gekommen, da die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 zu überarbeiten und insbesondere die Obergrenzen für Rubrik 1a bei gleichzeitiger Senkung der Beträge für andere Rubriken zu erhöhen. Darin zeigt sich erneut, dass das Parlament nicht falsch gelegen hat, als es auf die ungebührlich niedrige Höhe von Haushaltsmitteln für die Umsetzung der Ziele der Lissabon-Strategie hingewiesen hat.
Ich möchte Wrocław bei seiner Bewerbung als Sitz des Europäischen Technologieinstituts unterstützen. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass die bessere Finanzierung von Forschung und Entwicklung sowie die Einrichtung einer neuen Institution nicht ausreichen, um zu gewährleisten, dass Europa wettbewerbsfähig und innovativ wird. Dies ist abhängig von der Entstehung einer Unternehmenskultur, von Risikobereitschaft und tragfähigen Verbindungen zwischen Forschungs- und Entwicklungsgemeinschaften und privatem Unternehmertum.
Erika Mann (PSE), schriftlich. − Ich halte die Entscheidung, an der Idee eines EIT festzuhalten, für einen Fehler. Alle vorgebrachten Argumente überzeugen nicht, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgehen.
1. Bereits die ursprüngliche Idee von Kommissionspräsident Barroso, mit dem EIT eine europäische Antwort auf das amerikanische MIT zu finden, verfehlte die Realität; der Vorschlag, der heute zur Abstimmung kommt, verschlechtert den ursprünglichen Vorschlag erneut. Das MIT ist mit viel Geld und vielfältiger Unterstützung gewachsen – und in Europa betreiben bereits viele „Mini-MITs“ weltweite Spitzenforschung. Europas Dilemma ist die nicht ausreichende finanzielle und moralische Unterstützung von Innovationsgeist und Spitzenforschung.
2. Die Finanzierung der vorgesehenen 309 Mio. Euro aus dem Reservehaushalt blockiert andere Initiativen des Parlaments wie das strategisch wichtige Galileo-Projekt. Der Finanzierungsvorschlag entspricht lediglich 1/8 des geschätzten Budgets und stellt so keinen Anreiz für seriöse zusätzliche private Initiativen dar. BP hat allein in Berkeley/USA 500 Mio. USD in den Bereich Biokraftstoffe investiert.
3) Das EIT hätte mit eigenen großzügigen Finanzierungsquellen und mit Zuwendungen direkt an die bereits vorhandenen europäischen Spitzeneinrichtungen eine Chance. So könnte die EU nach dem Vorbild Kanadas z. B. einen Innovationsfond einrichten, der aus den Geldern gespeist wird, die am Ende des Jahres im EU-Haushalt verbleiben.
4. Die geplante Netzwerkstruktur ist eine virtuelle supranationale Einrichtung, ohne Bedeutung in der europäischen und internationalen Forschungslandschaft. Sie ist ein unglücklicher und bürokratischer Kompromiss.
Deshalb habe ich dagegen gestimmt.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Im Prinzip begrüße ich die Idee eines Europäischen Technologieinstituts. Ich habe mich jedoch bei der Entschließung der Stimme enthalten, da ich der Meinung bin, dass wir die Ziele, die Verwaltung und die Finanzen noch nicht genügend geklärt haben.
Pierre Pribetich (PSE), schriftlich. – (FR) Ich habe am Dienstag, dem 25. September, meinen Kollegen Reino Paasilinna unterstützt und für die Gründung des Europäischen Technologieinstituts (ETI) gestimmt.
Dieser Bericht widerspiegelt den echten Willen zum gemeinsamen Aufbau einer Wissensgesellschaft. Durch die Schaffung von Instrumenten in der Europäischen Union, die die Integration von Innovation, Forschung und Bildung fördern, wird es langfristig möglich, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stimulieren.
Das ETI wird von einem Verwaltungsrat geleitet, dem wissenschaftliche und Verwaltungsfachkräfte angehören. Dieser wird die Wissens- und Innovationsgemeinschaften (Knowledge and Innovation Communities „KIC“) ernennen, die die Aufgabe haben, die strategischen Prioritäten des ETI umzusetzen.
Jedoch kann man den Mangel an finanziellen Mitteln für dieses Projekt nur bedauern. Das könnte sich langfristig höchst nachteilig für diese viel versprechende Initiative auswirken.
Jeder muss sich der dringenden Notwendigkeit bewusst sein, die Europäische Union mit Gemeinschaftsprojekten auszustatten, um ihre Entwicklung im Rahmen der Strategie von Lissabon zu gewährleisten.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Die Europäische Union befindet sich an einem Scheideweg, was ihre Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zur übrigen Welt betrifft. Trotz vieler Pull-Faktoren – ob historisch oder kulturell, wirtschaftlich oder touristisch – lassen sich die großen Herausforderungen des globalen Wettbewerbs mit den neuen aufstrebenden asiatischen Volkswirtschaften nicht umgehen. Unsere Fähigkeit, ein attraktives Umfeld für Wissen und Innovation zu bieten, steht in Frage.
Nach meinem Dafürhalten markiert die Abstimmung über das Europäische Technologieinstitut einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines Rahmens für europäische Aktionen, um auf der Grundlage von Innovation, Forschung und Bildung zu Wachstum und Entwicklung unserer Wirtschaft beizutragen. Meiner Auffassung nach sollte die EU nicht aufgrund niedriger Löhne oder billiger Arbeitskräfte für Investitionen und Wachstum von EU-Unternehmen interessant sein. Zukunftsträchtig sind jene Firmen, die begreifen, dass sie in die Qualifizierung der Bevölkerung investieren müssen, indem die Gesellschaft die Möglichkeit erhält, im Zusammenwirken mit der Industrie und den Unternehmen qualitativ hochwertige und hochinnovative Antworten auf die dynamischen Anforderungen des Marktes zu finden.
Dominique Vlasto (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Als die Europäische Kommission vorschlug, ein Europäisches Technologieinstitut (ETI) ins Leben zu rufen, sollte dieses zu einem neuen Exzellenzzentrum in den Bereichen Hochschulbildung, Forschung und Innovation werden. Diese hohe Zielsetzung wird jedoch gefährdet durch die schwierige Frage der Finanzierung, für die keine zufrieden stellende und dauerhafte Antwort gefunden wurde. Das ist höchst besorgniserregend, denn es mindert die Glaubwürdigkeit des ETI, noch bevor es überhaupt gegründet wurde.
Die Idee, dass das ETI ein ETI-Gütezeichen vergibt, könnte dazu beitragen, das Problem der Außenwirkung zu lösen, unter dem die europäische Forschung leidet, und eine echte Anerkennung für Projekte mit sich bringen, deren hohes Niveau und Qualität auf diese Weise beurkundet würden. Aus meiner Sicht würde diese flexible Formel, die der europäischen Vielfalt gerecht wird, einen gesunden Wettbewerb zwischen Hochschulen und Forschungsprojekten fördern.
Ein weiteres Erfordernis sehe ich in der Einbindung des Privatsektors in das ETI-Projekt. Die Rolle der staatlichen Stellen sollte sich darauf beschränken, Impulse zu geben und die erforderlichen Instrumente zu strukturieren. Alles Übrige sollte dem Privatsektor obliegen, d. h. die Finanzierung, die Organisation und das Management des ETI. Meiner Meinung nach darf das ETI vor allem nicht zu einer der unzähligen Agenturen der EU werden.
Trotz dieser Vorbehalte habe ich den Bericht unterstützt, um dem ETI seine Chance zu geben.
Glenis Willmott (PSE), schriftlich. − (EN) Die EPLP hat sich entschlossen, sich sowohl bei dem abgeänderten Vorschlag als auch bei der legislativen Entschließung zum Bericht Europäisches Technologieinstitut der Stimme zu enthalten. Wir sind zwar für die allgemeinen Zielsetzungen des Vorschlags und seine Konzentration auf Innovation, doch sollte man das Geld der EU und der Mitgliedstaaten besser für die bestehenden Universitäten und die Rahmenforschungsprogramme der EU ausgeben. Nach unserer Überzeugung sollte der Verwaltungsaufbau des ETI so wenig bürokratisch wie möglich sein und deshalb eine geringere Zahl als die vorgeschlagenen 21 benannten Mitglieder umfassen. Es bestehen auch immer noch ernsthafte Bedenken in der Frage der privaten und öffentlichen Finanzierung des ETI. Da der Vorschlag der Kommission zur Finanzierung des ETI von der erneuten Öffnung der Finanziellen Vorausschau ausgeht, müssen wir dem Bericht unsere Unterstützung versagen.
Frank Vanhecke (ITS). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte kurz erläutern, warum ich gegen den Bericht von Andrew Duff gestimmt habe, obgleich der Bericht als solcher eigentlich nicht umstritten ist. Ich bin nämlich ein Gegner der Idee eines föderalen Europas, die dem Bericht zu Grunde liegt.
Kurz gesagt lehne ich einen europäischen föderalen Staat und damit auch automatisch eine Unionsbürgerschaft ab, deren integraler Bestandteil das aktive und passive Wahlrecht für EU-Bürger in Mitgliedstaaten, deren Staatsbürgerschaft sie nicht besitzen, ist. Meiner Ansicht nach sollte die EU eine Gemeinschaft nationaler Demokratien bleiben, in denen das aktive und passive Wahlrecht bei Wahlen jeder Art nur Bürgern des betreffenden Staates zusteht. Im Grunde ist es bezeichnend für die Entwicklung der Europäischen Union, dass die Unionsbürgerschaft systematisch gestärkt und erweitert wird, unter anderem indem die Charta der Grundrechte nun Rechtskraft erhält.
Bogusław Rogalski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Heute haben wir über den Bericht von Herrn Duff über das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat abgestimmt und diesen gebilligt.
Ich kann den Bericht nicht unterstützten, weil die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei Wahlen zum Europäischen Parlament meiner Ansicht nach entgegen den Absichten des Berichterstatters den gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Ländern, insbesondere Nachbarstaaten, nicht förderlich ist. Über einen langen Zeitraum haben Länder mit einem hohen Anteil an nationalen Minderheiten Normen für die Vermeidung nationalistischer Konflikte entwickelt.
Das verabschiedete Wahlverfahren kann unter Umständen zu einem Wiederaufflammen solcher Streitigkeiten führen, was dem Geist der friedlichen Koexistenz zwischen den Staaten Europas entgegensteht, denn auf diese Weise können Einzelpersonen das aktive und passive Wahlrecht ausüben, auch wenn sie nicht Staatsangehörige eines bestimmten Staates sind. Ein Missbrauch des Systems ist vorprogrammiert, beispielsweise durch Angabe eines fiktiven Wohnsitzes, um die Stimme eines bestimmten Landes zu beschneiden und das Wahlergebnis zu manipulieren. Die entsprechenden Informationen zu überprüfen, ist kompliziert und teuer.
Darüber hinaus stärkt das Wahlverfahren separatistische Bewegungen, was heute in Europa sicher nicht das Ziel sein kann. Bedauerlicherweise drängen wir den Mitgliedstaaten in dieser Frage aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen unseren Willen von oben auf und mischen uns damit in nationale Wahlverfahren ein.
Daniel Hannan (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Von allen Argumenten der Befürworter der Europäischen Verfassung ist die, dass die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsbürgerschaft nicht beeinträchtige, die dümmste. Die mit der Staatsbürgerschaft verliehenen Rechte sind eines nach dem anderen ausgehöhlt worden: das Recht auf Wohnsitzwahl, das Recht, die eigenen Vertreter zu wählen, und zunehmend das Recht auf Sozialfürsorge.
Jeder neutrale Beobachter käme zu dem Schluss, dass die Unionsbürgerschaft zum vorrangigen rechtlichen Status unserer Wähler wird und ihre nationale Staatsbürgerschaft zweitrangig, beinahe folkloristisch, ist.
Ich akzeptiere, dass die Mehrheit dieses Hohen Hauses das anstrebt, aber seien wir um Himmels willen ehrlich in dieser Frage! Ich möchte nicht noch mehr Unsinn dahingehend hören, dass der Status meiner Wähler als britische Staatsbürger davon unberührt bliebe.
Ignasi Guardans Cambó (ALDE), schriftlich. − (ES) Ich bin der Ansicht, dass die Annahme dieses Berichts ein schwerer Fehler und höchst unverantwortlich ist, daher stimme ich dagegen.
Vor allem sei darauf hingewiesen, dass kein europäisches Wahlsystem existiert. Anders wäre es, wenn es irgendwann eingeführt würde (was ich unterstützen würde). Bis dahin müssen die Europawahlen im Einklang mit den Wahlsystemen der einzelnen Mitgliedstaaten stehen. Der Bericht Duff schlägt die Abschaffung der doppelten oder mehrfachen Kandidatur bei den Wahlen zum Europäischen Parlament vor. Ein und derselbe Kandidat könnte sich in mehreren Staaten zur Wahl stellen und nach den Wahlen entscheiden, welchen Sitz er behalten möchte.
Neben den offenkundig komplizierten Verfahren wäre dies ganz klar ein Betrug am Wähler und trüge in keiner Weise zum Ansehen des Parlaments bei, das wir schaffen wollen.
Zudem beseitigt der heute zur Abstimmung stehende Vorschlag die verbindliche Anerkennung von (zivil- und strafrechtlichen) Gerichtsentscheidungen in Bezug auf die Fähigkeit zu kandidieren und ermöglicht es damit jemandem, der von einem Gericht seines Heimatstaates von einer Kandidatur ausgeschlossen wurde, sich in einem anderen Staat zur Wahl zu stellen. Dies ist ein Widerspruch in der Praxis des europäischen Rechts und der jeweiligen Innenpolitik, und wir können uns unschwer vorstellen, welche peinlichen Situationen daraus entstehen könnten.
Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE), schriftlich. − (RO) Aufgrund des komplizierten Systems des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten wissen praktisch nur wenige Bürger, wie sie von ihrem vertraglich zugesicherten passiven Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Gebrauch machen können, wenn sie Staatsangehörige eines anderen EU-Landes sind. Die Stimme dieser Menschen muss gehört und ihr Zugang zum politischen Leben ihres Wohnsitzlandes ermöglicht werden. Deshalb spreche ich mich dafür aus, dass an die Stelle des gegenwärtigen Systems die Verpflichtung zur Abgabe einer förmlichen Erklärung tritt.
Die Pflicht für Bürger, eine Bescheinigung der zuständigen Behörde des Herkunftsmitgliedstaats vorzulegen, wenn sie für die Wahlen zum Europäischen Parlament kandidieren wollen, steht in keinem Verhältnis zur allgemeinen Zielsetzung der Richtlinie 93/109/EG. In der Praxis ist die Erlangung einer solchen Bescheinigung der zuständigen Behörde des Landes, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen, äußerst kompliziert und zeitaufwändig. Diese formale Auflage führt eigentlich zu einer Aufhebung des im Vertrag gewährten Rechts.
In einem künftigen Vorschlag der Europäischen Kommission sollte auch die Frage der Gründung von politischen Parteien durch ausländische Bürger erörtert werden. Wahlgesetze der Mitgliedstaaten dürfen nicht zwischen nationalen Parteien, deren Mitglieder Staatsangehörige des jeweiligen Landes sind, und anderen Parteien unterscheiden. Politische Repräsentanz bei den Wahlen zum EU-Parlament spielt eine entscheidende Rolle für Länder wie Rumänien, wo ein Großteil der Bevölkerung in anderen EU-Mitgliedstaaten lebt.
Carl Lang (ITS), schriftlich. – (FR) Wenn die europäischen Bürger nicht in großer Zahl in ihrem Wohnsitzland zur Wahl gehen, wenn die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen nicht den Vorstellungen der Eurokraten gerecht wird, so liegt das nicht daran, dass die Umsetzung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Europawahlen durch den vorgeschriebenen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu kompliziert geworden wäre.
Es liegt ganz einfach daran, dass sie Ihre Bürokratie und die entsprechenden Politiken bestenfalls für unnütz oder unverständlich und schlimmstenfalls für schädlich halten und dass viele Bürger, die nicht in ihrem Herkunftsland leben, lieber an den Parlamentswahlen ihres Heimatlandes teilnehmen.
Was den Bericht betrifft, so nutzt er diese technische Pseudovereinfachung für den Versuch, Mehrfachkandidaturen zuzulassen, das heißt, dass ein und derselbe Kandidat in mehreren Ländern aufgestellt werden könnte, was rechtlich gesehen ein außerordentlicher Vorteil allein zugunsten von ausländischen Wohnansässigen wäre, und er versucht, die Gesetze der Mitgliedstaaten betreffend die Nichtwählbarkeit zu umgehen. Das ist vollkommen inakzeptabel.
Für uns ist die Staatsbürgerschaft untrennbar mit der Nationalität verbunden, und die daraus hergeleiteten Rechte, insbesondere das Wahlrecht, können nur im nationalen Rahmen ausgeübt werden. Wenn ein europäischer Bürger am demokratischen Leben seines Aufnahmelandes teilhaben will, hat er immer eine Möglichkeit: die Einbürgerung.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich begrüße diesen Bericht, der die Wahlbehörden und Einzelpersonen in der Frage des Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament entlasten dürfte. Ich bin für die Abschaffung des gegenwärtigen Systems für den Informationsaustausch unter Beibehaltung der Abgabe der persönlichen Erklärung, nicht zu wählen oder zwei Mal zu kandidieren.
– Vorschlag für eine Verordnung des Rates – Flächenstilllegung für das Jahr 2008
Agnes Schierhuber (PPE-DE). – Herr Präsident! Die Abschaffung der Flächenstilllegung ist ein absolut richtiger Weg, den wir gehen. Die Nachfrage nach Lebens- und Futtermitteln sowie nachwachsenden Rohstoffen steigt ständig, und es ist daher unbedingt nötig, diese Flächen in der Produktion zu haben. Für die Bauern war die Flächenstilllegung eine Maßnahme, die sie nie wollten, aber trotzdem machen mussten, weil es notwendig war. Bauern wollen produzieren! Ich hoffe, dass es diese Aufhebung nicht nur für ein oder zwei Jahre gibt, sondern generell. Das ist auch die Möglichkeit der Landwirtschaft, ihren Beitrag zu den großen Zielen der EU im Hinblick auf weniger CO2-Emissionen zu leisten.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Wir teilen nicht nur die Ansicht, die Bewirtschaftung von stillgelegten Flächen für landwirtschaftliche Zwecke sollte im Jahr 2008 gestattet werden, sondern wir denken über eine faktische Aufhebung des Verbots für einen längeren Zeitraum nach. Aus diesem Grund haben wir einen Vorschlag für 2009 und 2010 vorgelegt. Die Zustimmung für 2009 wurde bereits erteilt. Im Ergebnis dessen können Landwirte vor dem Hintergrund der extrem hohen Getreidepreise besser planen.
Allerdings bietet diese Maßnahme keine Lösung für die grundsätzliche Notwendigkeit einer Erhöhung der Produktion und Versorgung der Mitgliedstaaten und der Beschäftigungsquote in ländlichen Gebieten.
Außerdem muss auf die Getreideknappheit am europäischen Markt und die negativen Auswirkungen des Hasardspiels mit Biokraftstoff aufmerksam gemacht werden, für das sich der Rat in puncto Angebot und Preis entschieden hat.
Erneut bekräftigen wir den Bedarf an einer gründlichen Revision der Gemeinsamen Agrarpolitik, bei der Bodenmerkmale und Artenvielfalt jedes Landes berücksichtigt werden, um die Fruchtfolge anzupassen und Landwirten ein ausreichendes Einkommen zu garantieren, ohne die Interessen der Verbraucher im Sinne gesunder und qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel zu gefährden.
Astrid Lulling (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Hätten Sie es für möglich gehalten, dass man nach Jahrzehnten, in denen man die Gemeinsame Agrarpolitik aller Übel bezichtigte, sie sei zu teuer, sie produziere vor allem Milchseen und Getreideberge, die auf dem Markt unverkäuflich seien, heute entdecken könnte, dass aufgehört werden muss, unser Erzeugungspotenzial in diesen Bereichen zu reduzieren?
Ich bin erfreut über die schnelle Reaktion der Kommissarin nach den steigenden Preisen, die für unsere Landwirte endlich einträglich sind: Schluss mit der Flächenstilllegung, um unsere Landwirte zur Erzeugung von mehr Getreide anzuregen und so den Druck vom Markt zu nehmen.
Sie sollte ebenfalls rasch reagieren, um die Milchquoten zu erhöhen und die Aufschläge im Falle der Überschreitung der Quoten auf nationaler Ebene abzuschaffen. Zudem hoffe ich, dass dies der Kommission eine Lehre sein wird, die auch beabsichtigt, das Weinbaupotenzial um 200 000 Hektar zu verringern, ungeachtet der Möglichkeit der europäischen Winzer, auf neue Märkte wie China und Indien zu exportieren.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Angesichts der sich ändernden Marktbedingungen verstehe und befürworte ich den Vorschlag der Kommission, 2008 für die Landwirtschaft keine Flächenstilllegungen vorzunehmen. Mit der Beendigung der Flächenstilllegungen wird eine Ertragssteigerung von mindestens zehn Millionen Tonnen Getreide erwartet. Das dürfte den Druck von den steigenden Getreidepreisen nehmen.
Jean-Claude Martinez (ITS), schriftlich. – (FR) Seit 1992 erklärt uns die Brüsseler Kommission, es gebe Getreideberge. Ganz zu schweigen von den Milchseen und sonstigen überquellenden Kühllagern. Man müsse also Flächen in Europa stilllegen, die Erzeugung herunterfahren. Die Südhalbkugel und die USA forderten von der WTO das Monopol für Weizen und Ölsaaten.
Man erinnere sich daran, dass es die Europäische Kommission im Rahmen der Uruguay-Runde mit dem Blair-House-Abkommen von 1992 akzeptiert hatte, unsere Anbauflächen für Ölsaaten auf 5 Millionen Hektar zu begrenzen.
Es kam, wie es kommen musste. Die Landwirtschaft unterliegt den Zufällen des Klimas. Das hat Joseph in der Bibel bereits dem Pharao erklärt: Die Dürre in Australien, der Produktionsrückgang in der Ukraine, die ständig steigende Nachfrage in China, in Indien und in Afrika treiben die Preise für Getreide und Mais in die Höhe.
Nachdem unsere Landwirte seit 1993 dafür finanziert wurden, dass sie nicht produzierten, nachdem die Erzeugungsbeihilfen entkoppelt und Millionen Hektar stillgelegt wurden, während ein Drittel der Menschheit Hunger leidet, entdeckt die Brüsseler Kommission nun den Getreidemangel und die Erschöpfung der Vorräte. Und so macht sie den Stilllegungsbeschluss rückgängig.
Das wird beim Wein genauso sein. Es ist bereits so bei Butter und Fleisch. Chaos und Malthusianismus beherrschen das Bild.
Brian Simpson (PSE), schriftlich. − (EN) Für die Menschen in der Europäischen Union ist es eines der großen Rätsel, wie wir ein System erdenken können, nach dem die Landwirte dafür bezahlt werden, dass sie Boden unbearbeitet lassen. Nun begreife ich zwar, dass einige namhafte Organisationen wie die RSPB in Großbritannien dieses System nutzen, um ihre ausgezeichnete Arbeit zu finanzieren, dennoch kann es nicht rechtens sein, dass wir guten Boden stilllegen und die Landwirte dafür bezahlen, dass das so bleibt.
Deshalb bin ich für eine Null-Prozent-Stilllegungsprämie, aber wir müssen gleichzeitig sicherstellen, dass unsere Landwirte und andere Betroffene dazu angehalten werden, den Boden in gutem Zustand zu erhalten und ihn produktiv zu machen, indem wir ihnen Beihilfen aus anderen Quellen gewähren.
Wenn es uns Ernst ist mit einer grundlegenden Reform der GAP, dann muss im Mittelpunkt jedes Reformverfahrens die Abschaffung von Stilllegungsprämien stehen. Deshalb werde ich den Vorschlägen der Kommission meine Stimme geben.
Kathy Sinnott (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte, dass die Mitglieder des Parlaments zur Kenntnis nehmen, wie ich abgestimmt habe.
Grundsätzlich geht es darum, dass wir die Kinder schützen müssen und werden. Wir sollten in der Frage von Chemikalien und Schadstoffen, die ihr Leben und ihre Entwicklung in irgendeiner Weise beeinträchtigen könnten, unnachgiebig sein. Unternehmen müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Aber damit darf es nicht genug sein. Wir müssen uns ernsthaft vor Augen führen, welcher Art von Druck die Unternehmen ausgesetzt sind. Die in China tätigen Unternehmen unterliegen dem Druck seitens der chinesischen Regierung. Die Spielregeln in China unterscheiden sich gewaltig von denen in der übrigen Welt. Wenn ein Unternehmen dort tätig werden will, muss es ihre Entscheidungs- und Produktionsabläufe größtenteils der Zuständigkeit der Regierung überlassen.
China setzt Anreize, mit denen die vertikalen Produktionsprozesse kontrolliert werden. Die von Mattel zur Herstellung von 21 Millionen Spielwaren verwendeten Werkzeuge wurden in China produziert und sind chinesisches Eigentum. Die in die Maschinen für die Produktion aller dieser Spielwaren verwendeten Formen für den Kunststoff gehören China. Der Grund ist, dass die Chinesen Teile von Unternehmen subventionieren, wenn sie in China verbleiben, und wenn man dieses System durchbricht, erhöhen sich ihre Kosten um 20 %.
Wir sehen also, dass China die Unternehmen viel stärker kontrolliert als wir vielleicht wahrhaben wollen, und wir müssen daraus unsere Lehren für die Sicherheit von Spielwaren ziehen. Wir dürfen das nicht tolerieren, genauso wenig wie wir die Menschenrechts- und Umweltpraktiken Chinas noch länger dulden dürfen.
Proinsias De Rossa (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe die Europäische Kommission wiederholt aufgefordert, sich verstärkt um eine Gesetzgebung zu bemühen, nach der alle eingeführten Produkte ein Etikett mit der Herkunftsbezeichnung tragen müssen. Das ist äußerst wichtig, denn man hat festgestellt, dass im Jahr 2006 bei 17 % aller entdeckten unsicheren Produkte, darunter Spielsachen, ihre Herkunft nicht zu ermitteln war, wobei 58 % aus Drittländern kommen.
Obwohl 48 % der entdeckten unsicheren Produkte aus China stammten, sollte man nicht unterstellen, das Problem sei allein auf Mängel bei der Qualitätskontrolle durch chinesische Hersteller zurückzuführen. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass man von den in den vergangenen drei Monaten durch das USA-Unternehmen Mattel (das seine Produkte auch in Europa unter der Marke Fisher-Price vertreibt) zurückgerufenen 21 Millionen Spielwaren 18 Millionen deshalb beanstandet hatte, weil das Mattel-Design, nicht die Herstellung, fehlerhaft war.
Es steht seit einiger Zeit fest, dass strengere Strafen sowohl für Hersteller als auch für Importeure erforderlich sind, um sicherzustellen, dass sie ihre Verantwortung gegenüber den Verbrauchern, in diesem Fall gegenüber wehrlosen Kindern, wirklich ernst nehmen. Doch einige Mitgliedstaaten widersetzen sich einer Veränderung auf Betreiben von Importeuren und Unternehmen, die den Herstellungsprozess auslagern.
Brigitte Douay (PSE), schriftlich. – (FR) Die Globalisierung des Handels und der Mangel an Transparenz und Informationen hinsichtlich des Ursprungs der Erzeugnisse, die in der Europäischen Union verkauft werden, erhöhen die Risiken des Erwerbs von gefährlichen, beschädigten oder gefälschten Artikeln.
Die gemeinsame Entschließung zur Produktsicherheit und insbesondere zur Sicherheit von Spielzeug, für die ich am Mittwoch gestimmt habe, wurde von fast allen Fraktionen angenommen. Sie ist ein weiteres Beispiel für das Engagement der Europäischen Union und vor allem des Europäischen Parlaments für den Verbraucherschutz.
Mit ihren Forderungen hinsichtlich der Sicherheit, der Zuverlässigkeit der CE-Marke, der Bekämpfung von Produktfälschung und der Einführung der Rückverfolgbarkeit dürfte diese Entschließung es ermöglichen, die Verbraucher, vor allem die Kinder, wirksamer zu schützen.
Allerdings darf die Forderung nach einer besseren Zusammenarbeit mit den betroffenen Drittländern nicht die Verantwortung der Importeure verschleiern, die gewährleisten müssen, dass ihre Produktspezifikationen diesen Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen genügen.
Edite Estrela (PSE), schriftlich. − (PT) Ich habe für den Entschließungsantrag über „Gefährliches Spielzeug aus China“ gestimmt, weil meines Erachtens legislativ und administrativ alles getan werden muss, um zu gewährleisten, dass Konsumgüter, die in der EU in Verkehr gebracht werden, nicht nur bestehende EU-Normen erfüllen, sondern auch die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern nicht gefährden. Meiner Überzeugung nach sollte die Richtlinie 88/378/EG über die Sicherheit von Spielzeug schnellstmöglich überarbeitet werden und wirksame Auflagen hinsichtlich der Produktsicherheit enthalten.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Die Gewährleistung von Produktsicherheit, allen voran die Sicherheit von Spielzeug, genießt im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und insbesondere der Gesundheit von Kindern Vorrang.
Die notwendige Überprüfung und Qualitätskontrollen von Produkten bilden einen grundlegenden Mechanismus zur Erreichung dieser Zielstellung. Unternehmen und zuständige eigenstaatliche öffentliche Einrichtungen sollten die entsprechenden Kontrollen und Zertifizierungsverfahren vorbeugend durchführen.
Da sämtliche für Produkte geltenden Sicherheitsanforderungen gesetzlich vorgeschrieben sind, ist es Sache von Unternehmen, die die entsprechenden Erzeugnisse entwickeln, herstellen und in Verkehr bringen, ihrer Verantwortung nachzukommen.
Zunächst wird die Schuld für unsichere oder gesundheitsschädigende Produkte, vor allem Spielzeug, das aus Drittstaaten importiert wird, erst einmal anderen in die Schuhe geschoben. Dies führt mitunter soweit, dass die „Financial Times“ bemerkte, Mattel habe sich förmlich bei der chinesischen Regierung und dem chinesischen Volk entschuldigt. Es sollte hervorgehoben werden, dass viele importierte Erzeugnisse zwar in Drittstaaten hergestellt werden, die Besitzer jedoch große multinationale Konzerne mit Sitz in der EU sind, die aus Profitgier ihre Produktion in andere Staaten außerhalb der EU verlagern.
Konzentriert man sich zudem in der Diskussion ausschließlich auf die minderwertige Qualität importierter Waren, so wird die Tatsache verschleiert, dass viele in der EU hergestellte Erzeugnisse ebenfalls nicht den geltenden Normen entsprechen.
Malcolm Harbour, Andreas Schwab, Marianne Thyssen und Corien Wortmann-Kool (PPE-DE), schriftlich. − (EN) Die heute mit großer Mehrheit angenommene Entschließung des Parlaments konzentriert sich zu Recht auf die unmittelbaren Probleme der Gewährleistung der Sicherheit von Produkten gemäß den gültigen EU-Richtlinien.
Die PPE-DE-Fraktion hat stets darauf gedrungen, dass im Mittelpunkt der Entschließung praktische Vorschläge stehen sollten, mit denen unverzüglich die Verbrauchersicherheit gestärkt wird.
Wir haben darüber hinaus die Evaluierung des europäischen Verbraucherschutz-Kennzeichens vorgeschlagen, das die Anbieter von Konsumgütern auf freiwilliger Basis anwenden sollten. Wir freuen uns, dass das Parlament diesem Vorschlag zugestimmt hat.
Wir haben großes Interesse an der künftigen Spielzeug-Richtlinie und werden die von der Kommission vorgeschlagenen Reformen unvoreingenommen prüfen. Unserer Ansicht nach war der Versuch, in diese Entschließung ganz detaillierte und konkrete Anforderungen an diese künftige Richtlinie einzubringen, völlig unnötig. Wir haben daher gegen die vorgeschlagenen Hinzufügungen gestimmt, aber das beeinträchtigt keineswegs unser Interesse und unser Anliegen, eine wirksame, funktionsfähige Richtlinie zustande zu bringen, wenn uns 2008 der Kommissionsvorschlag vorgelegt wird.
Carl Lang (ITS), schriftlich. – (FR) Die Entschließung des Parlaments enthält nur einige wenige Vorschläge, um der Einfuhr von gefährlichen Erzeugnissen, von denen die Hälfte aus China kommt, ein Ende zu setzen. Sie konzentriert sich auf Spielzeug, ohne auf Kleidung, die giftige Farbstoffe enthält, gefährliche Arzneimittel, Nahrungsmittel mit für den menschlichen Verbrauch ungeeigneten Inhaltsstoffen, selbstentzündliche elektrische Geräte, mit Frostschutzmitteln versetzte Zahnpasta usw. einzugehen, wobei diese Liste beliebig verlängert werden könnte. Und sie begnügt sich mit Minimaßnahmen, die auf Kooperation oder Zertifizierung ausgerichtet sind, und zeigt mit dem Finger auf die Verantwortung der Mitgliedstaaten anstatt auf die Chinas, auf die der europäischen Unternehmen und nicht auf die der Anderen.
In diesem speziellen Fall ist das unzureichend. Es ist an der Zeit, exemplarische Sanktionen gegen ein Land zu ergreifen, das, seit es der WTO beigetreten ist, unaufhörlich an zweifelhaften kommerziellen Praktiken festhält, wie Dumping, Produktfälschung oder Zwangsarbeit. Es ist leider so, dass die wenigen Handelsschutzinstrumente, über die die Union verfügt, in die Zuständigkeit von Herrn Mandelson fallen, der zu Recht wegen seiner Passivität in dieser Frage in der Kritik steht.
Wenn wir letztlich diesen Text billigen, so weil trotz allem einige wenig wirksame Maßnahmen immerhin besser sind als gar nichts. Das ist zumindest eine Reaktion.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich begrüße die überwältigende Zustimmung zu dieser Entschließung. Wir haben an die Spielzeughersteller und an China eine klare Botschaft gesandt, dass die Nichteinhaltung höchster Sicherheitsstandards bei Kinderspielzeug nicht geduldet wird. China wird ermahnt, die Warenprüfung und die Methoden der Feststellung zu verbessern, um den Zustrom unsicherer Waren auf den europäischen Markt drastisch zu verringern.
Jean-Claude Martinez (ITS), schriftlich. – (FR) Die Kinder in Vietnam, in Afrika und anderswo werden durch Landminen in die Luft gesprengt. Unsere Kinder in Europa ersticken, werden vergiftet und leiden an Allergien durch Barbiepuppen und Spielzeug.
Das Kino hatte mit dem Film „Le père noël est une ordure“ bereits die Alarmglocke geläutet. Jetzt müssen wir Abgeordneten reagieren. Im Namen des Vorsorgeprinzips und um die demografische Zukunft unseres Kontinents zu retten, der bereits durch die gefährlichen Spiele heimgesucht wird, denen sich die Erwachsenen in aller Freiheit hingeben.
Es ist höchste Zeit. Wie viele Gesichter, die glatt waren wie eine Skulptur von Brancusi, wurden bereits in der Vergangenheit durch Zelluloidpuppen verunstaltet, die mit der kleinsten Streichholzflamme entzündet werden können. Spielzeug tötet, und die Kinder von Darfur wissen gar nicht, welches Glück sie haben, dass sie nicht Essen spielen können.
Tokia Saïfi (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Nachdem der amerikanische Hersteller Mattel massenhaft chinesisches Spielzeug aufgrund seiner Gefährlichkeit vom Markt genommen hat, nimmt die Europäische Kommission nun eine Bestandsaufnahme ihrer Rechtsvorschriften zur Produktsicherheit, vor allem von importiertem Spielzeug, vor. Das europäische ordnungspolitische System ist zwar mit RAPEX und der CE-Kennzeichnung solide, aber es muss verstärkt werden.
Das Europäische Parlament geht daher einen Schritt weiter und äußert im Rahmen seiner Entschließung zur Sicherheit von Spielzeug den Wunsch, einen gemeinsamen Regelungsrahmen für den Handel mit Produkten und die Marktüberwachung zu verabschieden. Ich sehe in der Wiederherstellung des Vertrauens der Verbraucher und dem Schutz der Gesundheit unserer Kinder eine wesentliche Voraussetzung. So habe ich auf der Linie der REACH-Vorschriften für eine strenge Überwachung der chemischen Substanzen in unseren Konsumgütern heute für ein bedingungsloses Verbot aller giftigen Substanzen in Spielzeug gestimmt.
Des Weiteren habe ich mich mit der Unterstützung der Änderungsanträge 8 und 6 für ein totales Verbot gefährlicher Phtalate in allen Spielzeugen, die in den Mund genommen werden können, ausgesprochen. Die chemische Sicherheit von Spielzeug ist nicht nur eine ordnungspolitische Frage, sondern auch eine gesundheitliche und damit eine lebenswichtige Voraussetzung für die Sicherheit unserer Kinder.
Karin Scheele (PSE), schriftlich. − Die heutige Entschließung unterstreicht die notwendige und dringende Überarbeitung der Richtlinie für Spielzeug. CWR-Stoffe – also krebserregende, erbgutverändernde und fortpflanzungsstörende Stoffe – müssen in der neuen Spielzeugrichtlinie verboten werden. Kommissar Verheugen stimmte dieser Forderung bei der gestrigen Aussprache zu. Weiters wird es notwendig sein, die Irreführung durch das CE-Kennzeichen zu beenden. Europäische Konsumenten und Konsumentinnen verbinden mit diesem Zeichen entweder eine Aussage über die Herkunft des Produkts oder ein Sicherheitsgütesiegel. Beide Dinge erfüllt die CE-Kennzeichnung nicht.
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Energiesicherheit und Energie sind der Nabel, um den sich sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik der Union drehen. Sie bilden einen entscheidenden Faktor für die Aufrechterhaltung des Wohlstands und dort, wo sie knapp sind, für das Überleben.
Wir müssen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um uns aus der Rohstoffabhängigkeit von Russland zu befreien, die in der Folge auch zu politischer Abhängigkeit führen kann. In meinen Augen ist es alarmierend, wenn wir zulassen, dass Energie als politisches Druckmittel auf Transit- und Zielländer eingesetzt wird. Ich unterstütze die Entwicklung der Schwarzmeer-Dimension, die Zusammenarbeit mit Ländern des südlichen Kaukasus, sowie die Intensivierung unseres Engagements mit Norwegen, den Maghreb-Staaten und den Ländern des Nahen Ostens sowie die EU-Mittelmeer-Partnerschaft. Die Vorhersagbarkeit der Energiemärkte muss durch Abkommen mit China, Indien and Brasilien und eine Partnerschaft mit der Regierung der Vereinigten Staaten gewährleistet werden.
Umweltschützer mit Scheuklappen an den Augen sollten ein für allemal begreifen, dass das Verbrennen von Biokraftstoffen und Biomasse zu einem kolossalen Anstieg der CO2-Menge in der Atmosphäre führt und ein vernünftiger, maßgeblicher Anteil an Kernenergie erforderlich ist. Tragikomische Ausmaße hat der Einfluss fanatischer Grüner angenommen, denen es sogar gelungen ist, die Atomenergie in der Verfassung eines Mitgliedstaates zu verbieten – was mit Sicherheit keine Auswirkungen auf die Wirtschaft des betreffenden Landes oder auch die seiner Nachbarn haben wird.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident! Die Sicherheit der Energieversorgung ist einer der entscheidenden Faktoren der europäischen Sicherheit insgesamt. Der Bericht von Herrn Saryusz-Wolski stellt eine Antwort auf diese Herausforderung für die Zukunft Europas dar.
Das Problem der EU ist, dass der Grad der Unabhängigkeit ihrer Energieversorgung im Rückgang begriffen ist. Die EU importiert heute bereits die Hälfte ihres Energiebedarfs von außen; und Schätzungen zufolge wird die Abhängigkeit von Energieimporten bis zum Jahr 2025 die Grenze von 70 % überschritten haben. Zur Lösung dieses Problems brauchen wir eine starke gemeinsame Stimme, eine neue Art von Energiediplomatie und, um diese zu betreiben, einen speziellen Hohen Vertreter der EU für die externe Energiepolitik.
Wenn wir das Mandat der Union für die externe Energiepolitik stärken, dann darf das jedoch nicht eine Schwächung der Souveränität der Mitgliedstaaten, selbst über die Mittel und Strukturen ihrer Energieerzeugung zu bestimmen, bedeuten. Dafür danke ich dem Berichterstatter ganz besonders. Der Bericht ermöglicht es den Mitgliedstaaten, eigenständig über die Strukturen ihrer Energieversorgung zu entscheiden.
Lena Ek (ALDE), schriftlich. − (EN) Transparenz, Reziprozität und Rechtsstaatlichkeit sind Eckpfeiler europäischer Energiepolitik und folglich unserer Außenpolitik. Es ist allerdings nicht der rechte Zeitpunkt, um neue Institutionen hinzuzufügen, und daher bin ich gegen die Schaffung des Postens eines Hohen Beamten für Energieaußenpolitik, was auch den Einfluss des Europäischen Parlaments auf eine Energieaußenpolitik gefährdet.
Françoise Grossetête (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, der darauf abzielt, eine gemeinsame Energieaußenpolitik ins Leben zu rufen.
Die vorgeschlagenen Lösungen müssen international sein, und die Europäische Union muss dabei eine führende Rolle spielen. Die Energie ist ja heute zu einer echten Waffe in internationalen Verhandlungen geworden.
Seit der Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine im Januar 2006 ist sich die Europäische Union bewusst, wie anfällig sie in Fragen der Energieversorgung ist. Um zu einer Energieaußenpolitik zu gelangen, schlägt der Bericht insbesondere vor, den Posten eines Hohen Beauftragten für Energieaußenpolitik zu schaffen, der die Tätigkeit der EU in diesem Bereich koordinieren soll. Dieser Hohe Vertreter für die Außenbeziehungen im Energiebereich wird einen „Doppelhut“ tragen, denn er wird dem künftigen Hohen Vertreter, der gleichzeitig Vizepräsident der Kommission ist, unterstellt sein.
Ich begrüße diesen Schritt, der insbesondere dazu beitragen wird, den Dialog mit den Erzeugerländern – ein Beispiel ist die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft – und den Verbraucherländern zu intensivieren. Das wird es der EU ermöglichen, ihre Interessen auf dem Gebiet der Energiesicherheit in den Verhandlungen mit externen Lieferländern zu verteidigen.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Die Energiefrage ist gegenwärtig ein zentrales strategisches Problem.
Aufgrund ihrer enormen Energieabhängigkeit versuchen verschiedene EU-Staaten die Ausbeutung der bestehenden Energiequellen unter ihre Kontrolle zu bekommen, daher der Vorschlag, im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einen eigenen Energiebereich vorzusehen. Wird dieser gebilligt, wäre dies auch eine Möglichkeit, die zwischen den einflussreichsten Staaten bestehenden Gegensätze zu überwinden.
Zu diesem Zweck sollte die EU ihren „Markt“, ihren „Wettbewerb“ und ihre Einbeziehung anderer Länder im Rahmen der so genannten „Energiegemeinschaften“, dem „Vertrag über die Energiecharta“, definieren, um die Sicherheit von Investitionen zu gewährleisten und das Recht auf Entschädigung im Falle einer Enteignung und/oder Verstaatlichung zu garantieren. Außerdem sollte eine Energiesicherheitsklausel in Handelsabkommen aufgenommen werden. All diese Aspekte können gesteuert werden, daher ihre Angst vor der Schaffung einer „Gas-OPEC“.
Die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten befürwortet auch die „Schaffung einer Partnerschaft mit den USA zur Sicherung der Energieversorgung“ sowie natürlich einen „kritischen und konstruktiven Dialog“ mit den Ländern im Südkaukasus, in der kaspischen Region und in Zentralasien, bei dem das Interesse der EU an der Diversifizierung ihrer Öl- und Gasversorgung mit dem Ziel, politische Reformen in jenen Ländern zu erreichen, in Einklang gebracht wird. Weitere Worte für wen? Den Irak, Afghanistan, Afrika ...?
Janusz Lewandowski (PPE-DE), schriftlich. − (PL) Herr Präsident! Die Europäische Union ist ein Energie-Großverbraucher und abhängig von externen Energiequellen, die von Unsicherheit und potenzieller Destabilisierung gekennzeichnet sind. Im besonderen Fall von Russland und den an natürlichen Ressourcen reichen GUS-Staaten trägt die Tendenz, Energie als Waffe für politische Zwecke einzusetzen, zusätzlich zur Unsicherheit bei. Zeugen dieses Vorgehens sind wir bereits geworden. Dadurch hätte die EU mobilisiert werden sollen, um zusammenzurücken und gemeinsam Schulter an Schulter in Krisensituation zu handeln. Ein solches Verhalten hat sich jedoch aufgrund der unterschiedlichen nationalen Interessen von Staaten, die in geringerem Maße der Energieerpressung zum Opfer fallen als die ehemaligen sozialistischen Länder, nur sehr langsam herausgeprägt.
Der Bericht von Herrn Saryusz-Wolski ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er ruft dazu auf, die Beziehungen zwischen der EU und Russland auf gegenseitiges Vertrauen und die Achtung der in der Energiecharta vereinbarten Grundsätze zu gründen.
Die aktuelle Debatte ist von dem gleichzeitigen Bemühen der Europäischen Kommission gekennzeichnet, den Energiemarkt der EU mit Gazprom im Hintergrund zu liberalisieren, was zu einem größeren Druck für die Umsetzung des Grundsatzes der Entflechtung von Energieerzeugung und Energieverteilung führt. Die Länder, die ihren Markt nur zögerlich liberalisieren, sind dieselben, die dazu tendieren, bilaterale Energieabkommen mit Russland zu schließen und mit russischen Staatsunternehmen kapitaltechnisch zusammenzuarbeiten. Nicht zufällig betrifft dies die Überbleibsel der öffentlichen Energiemonopole auf dem europäischen Festland, was zur Folge hat, dass sich die angestrebte freie Wahl von Energieversorgern und die Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik, die auf Solidarität in diesem strategischen Sektor fußt, verzögern.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Es steht fest, dass die Europäische Union ihren Zugang zu äußeren Energiequellen viel besser koordinieren muss, als es zurzeit der Fall ist. Ich vermag jedoch keinen Wert in dem Vorschlag zu erkennen, einen Hohen Beamten für Energieaußenpolitik zu benennen, denn nach meiner Überzeugung würde das nur ein Durcheinander in Bezug auf Herrn Solanas derzeitige Funktion stiften, und ich habe deshalb gegen diesen Vorschlag gestimmt. Andererseits habe ich für die Bezugnahme auf die Entbündelung von Energieerzeugung und Energieübertragung und –verteilung gestimmt.
Tobias Pflüger (GUE/NGL), schriftlich. − (EN) Der Bericht spricht sich für eine gemeinsame europäische Energieaußenpolitik aus. Obgleich es bislang nicht einmal eine Rechtsgrundlage für eine solche Politik gibt, soll sie vorangetrieben werden, noch ehe sie in einen neuen Reformvertrag eingebunden werden kann. Anstatt das Problem teurer und die Umwelt verschmutzender Energie zu lösen, will der Bericht die EU als einen hegemonischen, globalen Akteur sehen. Ein solch expansives geopolitisches Vorgehen der EU würde weltweit größere Spannungen und mehr Konflikte hervorrufen. Durch den Text zieht sich als roter Faden eine starke antirussische Strömung. Nahezu jeder Gedanke, der die normale Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und den EU-Mitgliedstaaten behindern könnte, wurde aufgenommen. Kritiker sprechen daher von einem Hauch Kalten Krieges. Durch die Aufnahme einer so genannten Energiesicherheitsklausel in alle Vereinbarungen mit Erzeuger- und Transitländern wird die EU ihr Interesse weit jenseits ihrer Grenzen bekunden. Wir sind besorgt über die Grundlage einer Energieaußenpolitik der EU, die auf geopolitischem Druck, vor einem Hintergrund militärischer Bedrohung beruhen würde. Der Bericht fordert eine enge Partnerschaft mit den USA auf dem Gebiet der Energiesicherheit, wobei klar ist, dass die USA derzeit im Irak einen Krieg zur Sicherung billiger Energiequellen führen.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich − (PT) Angesichts der steigenden Bedeutung von Energie in der modernen Gesellschaft einerseits und der zunehmenden weltwirtschaftlichen Verflechtung andererseits ist es unmöglich, die Energiepolitik aus den externen Politikbereichen der EU auszuklammern – sei es auf einzelstaatlicher Ebene oder in der gemeinsamen Außenpolitik.
Daher bin ich mit dem Abschnitt der Entschließung einverstanden, in dem es heißt: „dass die Mitgliedstaaten zwar ihr souveränes Recht im Hinblick auf strategische Entscheidungen über den Energiemix, die Ausschöpfung ihrer Energieressourcen und Entscheidungen über die Versorgungsstrukturen behalten sollten, dass aber (eine gemeinsame Politik und nicht notwendigerweise ein einzelner Ansatz) erarbeitet werden muss, der die Versorgungssicherheit, den Transit und Investitionen im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit im Energiebereich sowie die Förderung von Energieeffizienz, Energieeinsparung und sauberen und erneuerbaren Energiequellen, insbesondere in Ländern, deren Energieverbrauch rasch ansteigt, umfasst“. Allerdings muss im Sinne des Vorschlags für die Berufung eines Hohen Beauftragten für Energieaußenpolitik diese Dimension in die Arbeit des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik aufgenommen werden, da nach meinem Dafürhalten ein noch spezifischerer Ansatz nicht sinnvoll ist.
Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. − (PL) Ich habe für die Annahme des Berichts von Herrn Saryusz-Wolski zum Thema „Auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Energieaußenpolitik“ gestimmt.
Entsprechend dem vom Rat im März 2007 gebilligten Aktionsplan für eine Energiepolitik für Europa müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine gemeinsame EU-Energieaußenpolitik zu entwickeln, die mit den für eine wirksame Umsetzung erforderlichen Instrumenten ausgestattet ist. Ich möchte das Augenmerk auf die Notwendigkeit von Solidarität und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, die Diversifizierung der Energiequellen und den weiteren Ausbau und die bessere Zusammenarbeit in diesem Bereich lenken.
Ich teile die Auffassung, dass ein detaillierter Fahrplan verabschiedet werden muss, in dem die verschiedenen Stufen der Einführung dieser Politik festgelegt werden. Die Kommission sollte ihre entsprechenden Vorschläge schnellstmöglich vorlegen. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten untereinander sowie gemeinsam mit der EU-Kommission Fragen im Hinblick auf strategische Entscheidungen zu Abkommen mit Drittstaaten beraten. Der Vorschlag, einen Hohen Beauftragten für Energieaußenpolitik zu benennen, dient der Sache außerordentlich und verdient weitere Betrachtung. Die entsprechende Person wäre für die Koordinierung aller politischen Aspekte der externen Energiesicherheit zuständig. Ein solcher Posten würde zu einem verbesserten Schutz der Interessen der EU-Mitgliedstaaten bei Verhandlungen mit ausländischen Partnern beitragen.
Charles Tannock (PPE-DE), schriftlich. − (EN) Die britischen Konservativen sehen die Notwendigkeit, dass sich die 27 Mitgliedstaaten in der Frage der Energieaußenpolitik solidarischer verhalten, da alle Mitgliedstaaten in den kommenden Jahren zunehmend von aus Drittländern importiertem Erdöl und Ergas abhängig sein werden, und diese Drittländer könnten sonst die stärker abhängigen und anfälligeren Staaten zum Nachteil der gesamten Union unter Druck setzen.
Das soll nicht heißen, dass wir eine gemeinsame Energieaußenpolitik unterstützen, insbesondere nicht, dass die EU zum Beispiel den Energiemix einzelner Mitgliedstaaten, wie das Verhältnis von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energieträgern, festlegen darf.
Im Großen und Ganzen unterstützen die Konservativen die Zielsetzungen dieses Berichts, wenngleich wir die Notwendigkeit einer einzigen machtvollen Person ablehnen, die in dieser Frage das Sagen hat. Wir sehen auch keine Notwendigkeit dafür, dass in diesem Zusammenhang im Rahmen der Verträge eine neue Rechtsgrundlage geschaffen wird.
Versuche, der EU neue Zuständigkeiten zuzuweisen, anstatt von den derzeitigen Zuständigkeiten richtigen Gebrauch zu machen, sind unnötig. Wir Konservativen sind auch von einem marktorientierten Vorgehen überzeugt und halten nichts von einer weiteren Institutionalisierung der EU.
Glenis Willmott (PSE), schriftlich. − (EN) Die Labour Party im Europäischen Parlament unterstützt diese Entschließung in weiten Teilen, insbesondere die Tatsache, dass der Förderung erneuerbarer Energiequellen Priorität verliehen, dass die Energie als ein Eckpfeiler der europäischen Nachbarschaftspolitik gefördert und dass weitere Sicherheiten gegen Verschmutzung gefordert wird.
Wir haben uns zu Erwägung 12 wegen der Aufgabe des Verfassungsvertrags, wodurch die vorgeschlagene Erwägung irrelevant wird, der Stimme enthalten. Zu Änderungsantrag 2 und zu Ziffer 13 haben wir uns der Stimme enthalten, weil unserer Ansicht nach der Posten eines neuen Hohen Beamten für Energieaußenpolitik zu unnötiger Verwirrung führen könnte.
Wir haben für Ziffer 62 gestimmt, in der der Hinweis auf die Entbündelung der Energieerzeugung beibehalten wird, denn wir wollen mit einer zuvor geäußerten Position im Einklang bleiben, der zufolge die Entbündelung des Eigentums an Übertragungsleitungen als wirksamster Weg zur Förderung von Investitionen, zu einem fairen Netzzugang und zur Transparenz des Marktes betrachtet wird.
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Ich habe für den Bericht von Frau Gruber gestimmt.
Ich begrüße den Entwurf einer allgemeinen Rahmenrichtlinie sowie die Vorschläge für die Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise hoch qualifizierter Arbeitnehmer, die Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Saisonarbeitnehmern und die Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von bezahlten Auszubildenden.
Es steht außer Frage, dass die Europäische Union genaue Regelungen festschreiben und aktiv regulieren muss, wem es gestattet ist, in der EU zu arbeiten. Bekanntermaßen erlebt die EU bereits einen „demografischen Winter“ und ist dringend auf Arbeitskräfte aus Nicht-Mitgliedstaaten angewiesen. Trotzdem ist es äußerst wichtig, nur qualifizierten Arbeitskräften die Einreise zu gestatten. Ich schlage vor, jene Berufsgruppen auszuwählen, die auf dem europäischen Arbeitsmarkt Mangelware sind. In dieser Hinsicht muss man konsequent vorgehen, denn wenn wir die EU bereitwillig und gedankenlos mit unqualifizierten Arbeitskräften überschwemmen, könnten Probleme durch den Müßiggang arbeitsloser Migranten entstehen, die in der Folge straffällig werden, illegalen Handel betreiben und in der Schattenwirtschaft jenseits des Gesetzes arbeiten bzw. oft in Drogen- und Menschenhandel involviert sind. Sie bilden Ghettos und treten häufig terroristischen Gruppierungen bei.
Hubert Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich habe dem Bericht zugestimmt, weil im Parlament eindeutig klargestellt worden ist, dass es in der Kompetenz der Mitgliedstaaten bleibt, festzulegen, welche und wie viele Arbeitsmigranten in ihr Hoheitsgebiet aufgenommen werden. Sollte die „BlueCard“ tatsächlich kommen, muss tatsächlich sichergestellt sein, dass sie als Kontrollinstrument für sich legal in der EU aufhaltende hochqualifizierte Arbeitskräfte gilt und den Aufenthalt – nicht die Niederlassung – in der gesamten Europäischen Union zulässt.
An Kommissar Frattini – der jetzt leider nicht mehr da ist – richte ich aus den Reihen der Europäischen Volkspartei den Vorschlag, die „BlueCard“ mit einer nationalen Zusatzkennzeichnung – etwa der Flagge – zu versehen, damit eindeutig sichtbar ist, welcher Mitgliedstaat die Arbeits- und die Aufenthaltserlaubnis erteilt hat.
Antonio Masip Hidalgo (PSE). – (ES) Herr Präsident! Ich möchte meine Kollegen Lilli Gruber und Javier Moreno beglückwünschen. Da ich zeitweilig behindert bin, musste ich auf einen Pflegevertrag für Einwanderer zurückgreifen und habe noch besser verstanden, wenn das möglich ist, was Herr Lobo Antunes heute über die Notwendigkeit von Solidarität und Menschlichkeit sagte, obwohl ich auch die Erläuterungen von Herrn Frattini zur vollen Achtung der Rechtsstaatlichkeit nachvollziehen kann.
In meinen einsamen Stunden habe ich oft darüber nachgedacht, dass Don Quijote, die berühmte, die größte literarische Figur aller Zeiten, ohne Sancho nicht existiert hätte, und heute wäre Sancho ganz fraglos ein Einwanderer, der ihm zur Seite stände.
Deshalb muss stets die Rechtsstaatlichkeit, aber auch der Mensch respektiert werden.
Frank Vanhecke (ITS). – (NL) Herr Präsident! Ich habe dem Bericht Gruber über den strategischen Plan zur legalen Zuwanderung aus zwei wesentlichen Gründen nicht zugestimmt. Erstens ist es meiner Auffassung nach nicht vernünftig, die Abwanderung von Fachkräften aus den ärmeren Ländern in Richtung Europa noch weiter zu fördern, als dies ohnehin schon der Fall ist. Nach meinem Dafürhalten nützt dies niemandem, vor allem nicht den ärmeren Ländern.
Zweitens versetzt mich weiterhin die Naivität in Erstaunen, mit der das Parlament Zuwanderung als eine Lösung für das unverkennbare demografische Problem Europas betrachtet. Mit keinem Wort werden jedenfalls weder die enormen Kosten der Zuwanderung für die Aufnahmeländer noch die Tatsache erwähnt, dass wir mehr denn je den Erhalt unserer europäischen Kultur wahren müssen, die immer stärker durch die große Zahl von Zuwanderern aus anderen Kulturen unter Druck gerät. Neben allen anderen Problemen hat dies auch einen wirtschaftlichen Preis. Von den Einwohnern Brüssels, der Hauptstadt Europas, haben heute bereits rund 53 % sozusagen nicht belgische Wurzeln. Bis zum Jahr 2050 kann diese Zahl auf 75 % steigen. Wir brauchen keine neue Masseneinwanderung, sondern genau das Gegenteil.
Philip Claeys (ITS). – (NL) Herr Präsident! Mit dem Bericht Gruber folgt das Parlament einmal mehr dem einseitigen, quantitativen ökonomischen Ansatz zur Lösung des Zuwanderungsproblems. Mit Nachdruck weise ich die Behauptung zurück, nur eine neue Einwanderungswelle sei die Garantie für die wirtschaftliche Zukunft Europas. Gleichzeitig möchte ich darauf verweisen, dass es bei der Frage der Zuwanderung um weit mehr geht als Zahlen und Tabellen. Die im Bericht enthaltenen Vorschläge werden die bereits bestehenden gravierenden Integrationsprobleme noch verschärfen. Man muss dies wirklich gelesen haben, um es zu glauben. Während ein Teil der Zuwanderer gar nicht arbeiten möchte und sich nicht umschulen lassen will, wird tatsächlich erwogen, in Mali ein Zentrum für Migrationsfragen zu errichten. Unbestritten tauchen bereits heute viele so genannte befristet beschäftigte Arbeitnehmer nach Ablauf ihrer Arbeitserlaubnis in die Illegalität ab. Erfahrungen, beispielsweise in der Schweiz, verdeutlichen, dass auch Familienangehörige von Saisonarbeitnehmern weiterhin illegal einreisen.
Nicht zuletzt wird die stärkere legale Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften unzweifelhaft zu einer fortgesetzten Abwanderung von Spitzenkräften aus den Entwicklungsländern mit allen damit verbundenen Folgen führen.
Alfredo Antoniozzi (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe für den Bericht Gruber gestimmt, weil er viele Fragen aufgenommen hat, die im Namen der PPE-DE-Fraktion und von mir selbst gestellt worden sind. Gleichwohl glaube ich – auch wenn ich mir der Bedeutung der Integration bewusst bin –, dass sie mit Zustimmung unserer Bürger erfolgen muss. Deshalb muss es neben der Integration auch eine sichere und strikte Anwendung der Vorschriften geben. Beispielsweise müssen die Mitgliedstaaten jene Bestimmungen anwenden, denen zufolge Migranten, bei denen sich erweist, dass sie den Lebensunterhalt ihrer Familie nicht bestreiten können, nach drei Monaten zurückgeführt werden können. In einigen Staaten geschieht das nämlich nicht, was letztendlich dazu führt, dass jede europäische Integrationsmaßnahme durch die Unzufriedenheit der Bürger im Sande verläuft.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Obgleich der Bericht wichtige Aspekte der Zuwanderungsfrage anspricht, die wir schon seit langem befürworten, übt er nicht nur keine Kritik an den aktuellen Leitlinien und Maßnahmen der EU, mit denen Zuwanderer kriminalisiert und unterdrückt werden, sondern stellt faktisch einen weiteren Stein in diesem Mosaik dar.
Genauer gesagt wird im Bericht das Modell der Einstufung von Zuwanderern in verschiedene Kategorien wie „hoch qualifizierte Zuwanderer“, „Saisonarbeitnehmer“ u. Ä. sowie ihrer Behandlung entsprechend dem Arbeitskräftebedarf der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, insbesondere durch Einführung einer Blue Card, übernommen – welch entmenschlichende Betrachtung von Zuwanderung und Zuwanderern.
Darüber hinaus wird im Bericht die Schaffung einer gemeinsamen Migrationspolitik befürwortet, was wir angesichts der Ergebnisse anderer „gemeinsamer“ Politikfelder und der unterschiedlichen Situationen in den Mitgliedstaaten als unangemessenen und unrealistischen Vorschlag betrachten. Wir betonen erneut, dass jedes Land und seine demokratischen Institutionen für die Migrationspolitik zuständig sind.
Wie bereits erwähnt, bedarf es keiner gemeinsamen Politik, sondern einer Politik im Rahmen der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, durch die die Rechte von Zuwanderern fördert werden, insbesondere durch Ratifizierung der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen.
Carl Lang (ITS), schriftlich. – (FR) Mit der Einschätzung, dass die „Lage auf den Arbeitsmärkten in der Europäischen Union…eine legale Zuwanderung erforderlich macht“, will Frau Gruber ebenso wie Herr Sarkozy in Frankreich der Zuwanderungspolitik in unseren Staaten eine wirtschaftliche Rechtfertigung geben. Jedoch sind die Arbeitskräfte aus Ländern mit Entwicklungsrückstand in ihrer großen Mehrzahl nicht für die Berufe geeignet, die unsere Wirtschaften brauchen. Im Übrigen braucht wohl nicht daran erinnert zu werden, dass die legale Zuwanderung im Wesentlichen keine Arbeitnehmerzuwanderung, sondern eine Bevölkerungszuwanderung ist.
Diese Politik, die alljährlich fast zwei Millionen zusätzliche Zuwanderer anlockt, führt faktisch zu einer Kolonisierung Europas. Bis zum Jahr 2050 wird sich die außereuropäische Bevölkerung, die bereits 40 Millionen Personen umfasst, verdreifachen. Mit dem Beitritt der Türkei würde das Brüsseler Europa dann 220 Millionen Asiaten und Afrikaner zählen, die zumeist aus der islamischen Welt stammen.
Diese Bevölkerungsansiedlung stellt eine tödliche Bedrohung für die christlichen und humanistischen Werte unserer Zivilisation dar. Um das legitime Recht der europäischen Völker, über sich selbst zu bestimmen und sie selbst zu bleiben, zu bewahren, müssen wir unsere Grenzen wiederherstellen, die Migrationsströme umkehren und eine große Familien- und Geburtenpolitik einleiten. Wir brauchen ein neues Europa, ein „europäisches“ Europa, das Europa der souveränen Nationen, denn nur so können unsere Rechte auf kulturelle und historische Selbstverteidigung garantiert werden.
Jörg Leichtfried (PSE), schriftlich. − Die Tatsache, dass etwa 18,5 Millionen Drittstaatsangehörige in der EU leben, zeigt uns deutlich, dass Europa einer einheitlichen Zuwanderungspolitik bedarf. Wir müssen unseren Bürgern ihre Sorgen und Ängste vor Zuwanderung nehmen und ihnen vermitteln, dass geregelte und sinnvolle Zuwanderung in gewissen Bereichen in Europa durchaus notwendig ist. Ich teile aber nicht die scheinbar wie ein Glaubensbekenntnis insbesondere von den Konservativen vorgebrachte Ansicht, dass die Frage der demografischen Entwicklung mit der Frage der Aufrechterhaltung des europäischen Sozialmodels verknüpft werden muss. Hier müsste vielmehr eine Diskussion darüber eingeleitet werden, inwieweit die überaus gestiegene Wertschöpfung in der europäischen Wirtschaft, die unabhängig von der demografischen Entwicklung zu sehen ist, einen solidarischen Beitrag zum europäischen Sozialmodel zu leisten hat.
Kartika Tamara Liotard (GUE/NGL), schriftlich. − (NL) Ich habe mich bei der Abstimmung über Änderungsantrag 8 der Stimme enthalten, da ich zwar begreife, dass die Abwanderung von Spitzenkräften aus den Entwicklungsländern nach Europa ein schwerwiegendes Problem darstellt, aber ich den Absichten der ITS-Fraktion misstraue, die diesen Änderungsvorschlag eingebracht hat. Ziel muss es sein zu vermeiden, dass hoch qualifizierte Arbeitskräfte in großer Zahl ihr Heimatland verlassen und damit wirtschaftliche Schäden verursachen, aber sicher sollte es nicht darum gehen, die Zuwanderung nach Europa per Definition zu verhindern.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich begrüße diesen Bericht, der legalen Zuwanderern das Leben leichter machen soll. Trotz ihres Status werden legale Zuwanderer oft bewusst oder unbewusst diskriminiert. Die Berichterstatterin fordert eine Palette von Maßnahmen für legale Zuwanderer, darunter bessere Rechte auf dem Gebiet der Beschäftigung, die Übertragung von Pensionsansprüchen und Ansprüchen auf Sozialleistungen, die Anerkennung von Berufsqualifikationen, Langzeit-Mehrfachvisa, was ich alles unterstütze.
Mary Lou McDonald, Søren Bo Søndergaard und Eva-Britt Svensson (GUE/NGL), schriftlich. − (EN) Unsere heutige Stimmabgabe widerspiegelt unseren Wunsch nach einem effizienten, humanen und auf Rechten beruhenden Herangehen an die Zuwanderung in Europa. Zuwanderer aller Art müssen gleichberechtigt und im Einklang mit den höchsten Menschenrechtsnormen und mit Anstand behandelt werden.
Ferner sollten die europäischen Mitgliedstaaten Zuwanderer generell, abgesehen vom Bedarf der Volkswirtschaften der Länder Europas, auf der Grundlage der Bedürfnisse der Zuwanderer aufnehmen. Die Zuwanderungspolitik in ganz Europa darf nicht zu einem weiteren Verlust von entscheidenden Fähigkeiten und Fertigkeiten – zum Brain Drain – in Entwicklungsländern führen. Die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission dürfen keine Politik verfolgen, die die Entwicklung unterminiert.
Erik Meijer und Esko Seppänen (GUE/NGL), schriftlich. − (EN) Wir haben für Änderungsantrag 8 gestimmt. Im Allgemeinen sind unsere Auffassungen sehr weit entfernt von denen der Fraktion, die ihn eingebracht hat, vor allem im Fall von Flüchtlingen, Zuwanderern und ethnischen oder religiösen Minderheiten. Die ITS-Fraktion will die Aufnahme von Flüchtlingen, die sich in Gefahr befinden, blockieren, und im Gegensatz dazu versuchen wir, diesen Opfern von Unterdrückung, Katastrophen und Armut zu helfen. Wir verstehen daher sehr gut, dass die Mehrheit unserer Fraktion die Änderungsanträge der ITS-Fraktion zur Zuwanderung nicht unterstützen möchte. Im Unterschied zur Situation in der Frage von Flüchtlingen und herkömmlichen Formen der Einwanderung schaffen die EU-Mitgliedstaaten im Fall der vorgeschlagenen Anwerbung von hoch qualifizierten Arbeitnehmern ein Problem für deren Herkunftsländer. Qualifizierte Personen in Ländern wie Indien, Südafrika oder Brasilien sind äußerst gefragt für die notwendige Entwicklung. Wir stellen heute fest, dass solche Probleme selbst in den jüngsten EU-Mitgliedstaaten, in Rumänien und Bulgarien, entstehen, die in rascher Folge ihr medizinisches und technisches Personal an die reicheren Länder verlieren. Privilegierte Länder und Unternehmen stehlen die Hirne dieser Menschen. Da wir diesen Brain Drain nicht unterstützen wollen, haben wir für diesen Änderungsantrag gestimmt.
Tobias Pflüger (GUE/NGL), schriftlich. − Der Bericht Gruber betrachtet die Einwanderung in Teilen allein im Hinblick auf die Nützlichkeit der einwandernden Arbeiter für das Kapital. So unterstreicht der Bericht, „wie wichtig der Aufbau stabiler und gesetzlicher Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern zur Verbesserung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit der EU ist“, und „fordert die Kommission daher auf, die Auswirkungen, die die zirkuläre Migration in dieser Hinsicht haben könnte, zu berücksichtigen“.
Während die repressiven Maßnahmen gegen Migranten und Asylsuchende auf keinerlei Widerstand stoßen, soll „jede Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität der Union für hochqualifizierte Arbeitskräfte, um den Bedarf des Arbeitsmarktes der EU zu decken, damit der Wohlstand Europas gewährleistet und die Lissabonner Ziele verwirklicht werden“, unterstützt werden.
Während man der „Gefahr der Abwanderung von Spitzenkräften“ vorbeugen will, ist für Migranten, die in die Festung Europa nur illegal einreisen können, die „Rückführung“ vorgesehen. Bei der Zustimmung zum „Strategischen Plan zur legalen Zuwanderung“ soll es insbesondere um Zulassungsverfahren gehen, „die es ermöglichen, unmittelbar auf eine sich verändernde Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren“.
Einwanderung kann nicht nach dem Kriterium der Nützlichkeit für das EU-Kapital geregelt werden. Statt um Einwanderung für EU-Unternehmen muss es um Grund- und Menschenrechte für Migranten und Asylsuchende gehen. Menschen nach Nützlichkeitskriterien einzustufen, lehne ich ab.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Die Zuwanderungsdebatte dreht sich viel zu oft um Fragen illegaler Migrationsströme und lässt dabei häufig die legale Zuwanderung außer Acht, die einen wichtigen Beitrag für unsere Wirtschaft und unsere kulturelle Bereicherung leistet.
In diesem Kontext finden zwei grundlegende Konzepte unsere Zustimmung: Eine klare und wirksame Politik für die legale Zuwanderung ist ein Schlüssel zur Lösung des Problems der illegalen Einwanderung. Daneben muss man Neuankömmlinge auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien herzlich willkommen heißen, um Integration und Anpassung zu fördern. Allerdings muss man auch erkennen, dass Migrationsströme, Zuwanderergruppen und Aufnahmeländer unterschiedliche Traditionen, Sitten und historische Erfahrungen haben, vor denen man die Augen nicht verschließen kann.
Ein anderes Thema im Rahmen dieser Diskussion ist die Frage der Zuwanderung von Spitzenkräften. Die Idee einer Blue Card, die die Einreise und Freizügigkeit ermöglicht, könnte durchaus interessant sein, obgleich sie zu komplex erscheint. In jedem Falle muss die Attraktivität, vor allem auf wissenschaftlichem Niveau, an oberster Stelle stehen. Darum müssen Bildungseinrichtungen unbedingt für die Notwendigkeit sensibilisiert werden, das Interesse von Studierenden aus anderen Teilen der Welt zu wecken. Selbstverständlich unterstütze ich dieses Ziel.
Carl Schlyter (Verts/ALE), schriftlich. − (SV) Die schwedische Partei der Grünen unterstützt eine liberale Zuwanderungspolitik. Der Bericht enthält viele gute Ansätze, die diesem Ziel dienen. Meiner Ansicht nach wird jedoch eine Rahmenrichtlinie auf diesem Gebiet die Einwanderungsmöglichkeiten beschränken und nicht umgekehrt. Außerdem birgt dieser Vorschlag das Risiko, dass der Brain Drain, dem die Entwicklungsländer ausgesetzt sind, und den die EU zynisch für ihre eigene Entwicklung ausnutzt, weiter verstärkt wird. Aus diesem Grunde enthalte ich mich bei der Schlussabstimmung der Stimme.
Geoffrey Van Orden (PPE-DE), schriftlich. − (EN) Es ist ein gefährlicher Trugschluss, dass der demografische Wandel in unserer einheimischen Bevölkerung eine groß angelegte Zuwanderung von Menschen aus unterschiedlichen, oft feindlichen Kulturen und Gesellschaften notwendig macht, mit all den Folgen für unseren nationalen Zusammenhalt und unsere nationale Identität, für die volle Integration unserer bereits eingebürgerten Migrantenpopulation, mit der Auswirkung auf unsere öffentlichen Dienstleistungen sowie auf die öffentliche Gesundheit und die Sicherheit.
Ich bin grundsätzlich gegen die Übertragung von Zuständigkeiten oder Verantwortlichkeiten von nationalen Behörden an die EU, was die Kontrolle an unseren nationalen Grenzen sowie die Zuwanderungs- und Asylpolitik betrifft. Ich habe daher gegen diesen Bericht gestimmt.
Hubert Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich habe für diesen Bericht gestimmt, weil das Europäische Parlament hier ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung von Schlepperkriminalität und illegaler Zuwanderung beschlossen hat. Wir als Europäisches Parlament haben also klar gemacht, dass „illegal“ auch „nicht legal“ bedeutet und damit entsprechend zu ahnden ist. Als besonders notwendig erachte ich die Klarstellung, die wir erreicht haben, dass es keine quotenmäßige Verteilung von Illegalen auf alle Mitgliedstaaten geben wird und dass keine Massenlegalisierungen – wie sie in den letzten Jahren passiert sind – mehr zulässig sind. Damit wird erreicht, dass es keine Sogwirkung gibt und indirekt auch die Schlepperkriminalität bekämpft werden kann.
Frank Vanhecke (ITS). – (NL) Herr Präsident! Der soeben von uns angenommene Bericht über die politischen Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist sicher nicht der Schlechteste seiner Art, der in diesem Hause verabschiedet wurde. Er enthält in der Tat eine Reihe äußert interessanter Empfehlungen, doch wird meines Erachtens im Bericht versäumt, deutlich Ross und Reiter zu nennen. Deshalb habe ich dagegen gestimmt.
Die Zuwanderung nach Europa droht zum Problem des vor uns liegenden Jahrhunderts zu werden – möglicherweise ist sie schon heute das Problem des anstehenden Jahrhunderts –, und einen wesentlichen Anteil daran hat die illegale Einwanderung. Deshalb hätten wir uns einen weitaus entschiedeneren Standpunkt erwarten dürfen, insbesondere gegen die aufeinander folgenden Regularisierungswellen in den verschiedenen Ländern Europas, die ja einen Sogeffekt haben, der letztlich die gesamte EU, ja sämtliche Mitgliedstaaten erfasst.
Eigentlich ist es ganz einfach: Wir hätten den Mut haben müssen, es in Worte zu fassen. Illegale Zuwanderung kann nicht toleriert werden. Illegale Einwanderer müssen ermittelt und auf humane Weise resolut in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Wer nicht wagt, dies auszusprechen, wird sich erst recht nicht getrauen, es in die Tat umzusetzen, und damit enorme Probleme verursachen, die letztlich unserem Wohlstand und unserer Kultur teuer zu stehen kommen werden.
Koenraad Dillen (ITS). – (NL) Herr Präsident! Liest man den Bericht Moreno Sánchez, denkt man automatisch an das niederländische Sprichwort „zachte heelmeesters maken stinkende wonden“, was heißt, dass in Notzeiten drastische Maßnahmen erforderlich sind. Wie mein Kollege Vanhecke bereits betonte, nimmt das Parlament, obgleich einige im Bericht enthaltene Vorschläge sicher einen Schritt in die richtige Richtung darstellen, im Allgemeinen immer noch eine halbherzige Haltung ein, die für eine wirksame und entschlossene europäische Politik zur Bekämpfung illegaler Einwanderung nichts Gutes verspricht. So hat das Parlament beispielsweise versäumt, klarzustellen, dass die in einer Reihe von europäischen Ländern durchgeführten Regularisierungsmaßnahmen angesichts des Sogeffekts, den sie in den Herkunftsländern erzeugen, eine wichtige, um nicht zu sagen, die entscheidende Ursache für illegale Zuwanderung sind.
Illegale Einwanderer dürfen nicht regularisiert werden. Nach ihnen muss aktiv gefahndet werden, und sie müssen auf resolute, aber humane Weise ausgewiesen werden. Im Gegensatz zu den Unterstellungen des Parlaments hat die unmissverständliche Verlautbarung dieser politischen Botschaft nichts mit dem so genannten Fremdenhass zu tun. Neben einer beherzten Ausweisungspolitik, strikten Kontrollen an den Außengrenzen und Rücknahmeabkommen sollten auch Aufnahmezentren in den Herkunftsländern gewisse Abhilfe schaffen, was allerdings vom Parlament zurückgewiesen worden ist. Darum habe ich gegen den vorliegenden Bericht gestimmt.
Jan Andersson, Göran Färm, Anna Hedh und Inger Segelström (PSE), schriftlich. − (SV) Wir Sozialdemokraten wollen eine solidarische und humane Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik in der EU, die verantwortungsvoll die grenzüberschreitende Mobilität fördert und allen Schutz gewährt, die ihn benötigen. Wir wollen jedoch keine ständige EU-finanzierte Grenzwachtruppe. Die Mitgliedstaaten sind selbst für den Schutz ihrer Grenzen zuständig. Gemeinschaftseinsätze sollten nach Bedarf und auf Anfrage erfolgen. Deshalb haben wir uns bei der Abstimmung zu Ziffer 37 der Stimme enthalten.
Was Ziffer 18 bezüglich einer Überprüfung des der Dublin II-Verordnung zu Grunde liegenden Prinzips betrifft, ist unserer Ansicht nach eine Debatte über dieses Prinzip zwar gerechtfertigt, sie sollte jedoch in einem größeren Zusammenhang und als Teil einer Diskussion über die Gemeinschaftliche Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik als Ganzes geführt werden.
Gérard Deprez (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich unterstütze diesen ausgezeichneten Bericht voll und ganz und möchte noch drei Bemerkungen hinzufügen.
Erstens: Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass eine aktive Politik der legalen Zuwanderung dazu führen würde, die illegale Zuwanderung in unsere Länder zu stoppen. Eine aktive Politik der legalen Zuwanderung wird sich per definitionem von unseren eigenen Bedürfnissen herleiten, während die illegale Zuwanderung den Bedürfnissen derjenigen entspricht – und dies sind derzeit Dutzende Millionen, vor allem in Afrika –, die zu uns kommen wollen, um Krieg, Verfolgungen, Armut oder ganz einfach den fehlenden Zukunftsperspektiven für sich selbst und ihre Kinder zu entfliehen.
Zweitens: Die Kontrolle der Außengrenzen der EU und die Bekämpfung der illegalen Schleuserkanäle werden leider noch viele Jahre lang als eine unserer politischen Prioritäten vonnöten sein, weil in der Realität der Handel mit dem Elend in die Hände krimineller Banden gefallen ist. Der Kampf gegen die illegale Zuwanderung richtet sich also nicht „gegen“ die illegalen Zuwanderer, sondern ist Teil des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen, den wir gemeinsam gewinnen müssen.
Drittens und letztens: Natürlich gilt es, parallel und unermüdlich gegen die Armut zu kämpfen, was notwendigerweise über die Ko-Entwicklung in Afrika geschehen muss.
Patrick Gaubert (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich freue mich über die Verabschiedung dieses Berichts, der eine ausgewogene und realistische Sicht des Phänomens der Zuwanderung bietet und, wie es die Berichterstatterin wünschte, einen breiten Konsens gefunden hat.
Wenn man die aktuellen Ereignisse betrachtet und sieht, wie die Mitgliedstaaten jeder für sich versuchen, ihre Rechtsvorschriften anzupassen, um den Migrationsströmen bestmöglich zu begegnen, kommt der Bericht genau zum richtigen Zeitpunkt.
In Wahrheit wissen wir alle, dass das Ausmaß des Migrationsphänomens die Fähigkeit der Staaten übersteigt, diese Erscheinungen allein zu steuern, und dass daher ein globaler und kohärenter Ansatz auf europäischer Ebene erforderlich ist, wie der Bericht zu Recht feststellt.
In dem Text wird eine Reihe von Prioritäten genannt: die Bekämpfung des Menschenhandels, die Achtung der Grundrechtecharta der Europäischen Union sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Anwendung von Maßnahmen gegen die illegale Zuwanderung, die Verstärkung der Kooperation mit Drittländern, die notwendige Entschlossenheit bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und schließlich die Notwendigkeit einer verantwortungsbewussten Rückführungspolitik.
Aus diesen Gründen habe ich die Annahme dieses Textes bei der Schlussabstimmung im Plenum unterstützt.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Trotz bestimmter Punkte, denen wir zustimmen, wird im Bericht auch ein mit der „illegalen Zuwanderung“ verbundener repressiver, sicherheitsorientierter Standpunkt vertreten.
Abgesehen von gewissen Aspekten befürwortet der Bericht die Entwicklung der Schwerpunkte der aktuellen EU-Leitlinien und Entscheidungen zur Migration. Diese beinhalten unter anderem: die so genannte europäische Rücknahmepolitik oder anders gesagt die Repatriierung; die Aktivitäten von Frontex im Hinblick auf Grenzpatrouillen und -kontrollen; die so genannten Übergangslager; die Entwicklung biometrischer Instrumente bzw. die so genannten Rückübernahmeabkommen. Im Bericht wird außerdem die Einrichtung „europäischer Patrouillen“, eines „europäischen Überwachungssystems“ an den Seegrenzen und sogar eines Systems zur „automatischen Registrierung von Ein- und Ausreisen“ in die bzw. aus der EU vorgeschlagen.
Mit anderen Worten zielt der Bericht auf eine Stärkung der sicherheitsorientierten europäischen Politik der Kriminalisierung „illegaler Zuwanderung“, indem man sie zu einer gemeinsamen europäischen Politik erklärt, die repressiv ist und geheime Informationssysteme umfasst sowie Maßnahmen und Infrastrukturen für die Verwahrung und Ausweisung von Migranten beinhaltet. Das lehnen wir grundsätzlich ab.
Die Anwendung einer repressiven Politik wie dieser hat dazu geführt, dass die Behörden eines Mitgliedstaates rechtliche Schritte gegen sieben tunesische Fischer, die 44 Menschen auf See das Leben gerettet hatten, einleiteten, obwohl die Rettungsaktion internationalem Seerecht entsprach.
Carl Lang (ITS), schriftlich. – (FR) Die offiziellen Zahlen belegen es: Europa wird von illegalen Zuwanderern überschwemmt. Es erweist sich als vollkommen unfähig, seine Außengrenzen zu kontrollieren. Der Jahresbericht 2006 über die Tätigkeit von Eurodac, dem biometrischen Instrument, das europaweit zur Überprüfung von Asylbewerbern verwendet wird, zeigt, dass die Zahl der Personen, die beim illegalen Grenzübertritt über eine europäische Grenze erfasst wurden, gegenüber dem Jahr 2005 um 64 % gestiegen ist.
Im Bericht von Herrn Moreno Sánchez werden zahlreiche Wege aufgezeigt, um dieses Phänomen, das exponentiell zunimmt, zu stoppen. Sie sind meiner Meinung nach einer wie der andere völlig unnütz und sogar kontraproduktiv.
Wie kann man z. B. nur die Idee vertreten, die legale Zuwanderung mit Hilfe insbesondere der „europäischen Blue Card“, einer echten europäischen Arbeitserlaubnis für Zuwanderer, stoppen zu wollen? Das ist Blödsinn. Wenn man die Türen für einige öffnet, öffnet man sie für alle.
Wozu soll die Einrichtung einer biometrischen Datenbank bei der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung gut sein? Warum will man mehr Personal und mehr Mittel für die europäische Grenzkontrollagentur Frontex vorsehen, wenn die Grenzen, seien es Binnengrenzen oder Außengrenzen, immer noch nicht effektiv durch die Mitgliedstaaten geschützt werden?
Wieder einmal legen die europäischen Instanzen den Finger auf ein Problem, erweisen sich aber aufgrund ihrer immigrationistischen und internationalistischen Ideologie als unfähig, sie zu lösen.
Janusz Lewandowski (PPE-DE), schriftlich. − (PL) Herr Präsident! Sowohl die legale als auch die illegale Zuwanderung gehören zu den größten Herausforderungen, denen die EU gegenübersteht. Abgesehen von Verfahrens- und Rechtsfragen wird die tragische menschliche Dimension dieser Erscheinung immer offensichtlicher. Ich habe Lager für afrikanische Flüchtlinge in Malta besucht und das Thema mit den im Mittelmeer patrouillierenden Einheiten sowie den zuständigen Beamten erörtert. Gerade als ich dort war, wurde die Tragödie der tschetschenischen Familie in der Region Bieszczady bekannt, die den universellen Charakter des Phänomens belegt. Da ich aus einem Land stamme, das jahrhundertelang Ausgangspunkt politischer und wirtschaftlicher Emigration war, fällt es mir schwer, gegenüber dem Schicksal der Flüchtlinge, für die die EU ein gelobtes Land ist, gleichgültig zu bleiben.
Aus dieser Perspektive betrachte ich die beiden Berichte, die heute im Europäischen Parlament zur Diskussion stehen. Sie bieten einen Überblick über das Ausmaß des Einwanderungsproblems und den gegenwärtigen Stand der EU-Politik in diesem Bereich. Ich teile die Prämisse, Europa brauche aufgrund der demografischen Situation kontrollierte Kanäle für die Zuwanderung, die den Arbeitskräftemangel ausgleichen sowie den Umfang der Schattenwirtschaft und der damit einhergehenden Probleme beschneiden könnten.
All diese Fragen sind von Frontex, der Spezialagentur der EU, erkannt worden. Die vorgeschlagenen Lösungen, nämlich die so genannte Lastenteilung, sind einer ernsthaften Überlegung wert.
Die Einführung einer gemeinschaftlichen Migrationspolitik, die auf einem soliden rechtlichen und finanziellen Fundament fußt, ist längst überfällig. Lieber spät als nie!
Astrid Lulling (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht über politische Prioritäten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Drittstaatsangehörigen gestimmt, und ich möchte unterstreichen, dass die Steuerung der Migrationsströme in Richtung Europa, vor allem aus Drittländern, eine der größten Herausforderungen für die europäischen Politiker darstellt.
Im 21. Jahrhundert ist der Menschenhandel absolut nicht hinnehmbar, und wir müssen eine Lösung finden, dieser Geißel und den damit leider einhergehenden persönlichen Dramen ein Ende zu setzen. Hierfür gilt es, das Problem der illegalen Zuwanderung auf europäischer Ebene zu erörtern, denn jede Öffnung für die illegale Zuwanderung in einen Mitgliedstaat setzt alle anderen Mitgliedstaaten unter Druck.
Die Durchführung einer Politik der legalen Zuwanderung muss die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung einschließen, denn zwischen beiden besteht ein enger Zusammenhang.
Was diesem Bericht fehlt, sind konkrete Vorschläge, die es ermöglichen würden, eine Lösung zu erarbeiten, um die massenhafte illegale Zuwanderung zu stoppen und die Schleuser abzuschrecken. In Italien hat beispielsweise die Einführung von Quoten für die Wirtschaftszuwanderung nicht zu einem Rückgang der illegalen Zuwanderung auf italienisches Territorium geführt. Im Gegenteil, die Ankündigung jährlicher Quoten bewirkte einen Anstieg der Zahl von illegalen Zuwanderern, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren, um in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union zu gelangen.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich begrüße diesen Bericht, der im Wesentlichen eine auf der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und der Zusammenarbeit mit Drittländern beruhende standhafte Politik zur Bekämpfung illegaler Zuwanderung bei voller Achtung der persönlichen Grundrechte fordert.
Andreas Mölzer (ITS), schriftlich. − Trotz millionenschwerer Förderungen sind Herkunftsländer nicht zur Zusammenarbeit bereit. Illegale Einwanderer zurückzunehmen, muss jedoch endlich zur Pflicht werden! Aber auch die EU handelt grob fahrlässig, wenn sie nicht ausreichend Mittel für die Sicherung der Außengrenzen zur Verfügung stellt und aufgegriffene Illegale bis zur Rückführung in Auffanglagern unterbringt, um ein Untertauchen zu verhindern. Ganz zu schweigen von einer Grenzschutzagentur, die in der Hauptmigrationszeit eine Pause einlegt!
Zudem hat Brüssel das Gefährdungspotential islamischer Zuwanderer verschlafen. Wenn die EU nicht bald aufwacht, dem Zuzug radikaler Moslems einen Riegel vorschiebt und einen Einbürgerungs- und Zuwanderungsstopp für Bürger islamischer Länder verhängt, werden wir nicht nur in ständiger Angst vor Terroranschlägen leben müssen, sondern bald Fremde im eigenen Land sein.
Der vorliegende Bericht geht viel zu wenig auf diese Problematik ein, weshalb ich ihn leider trotz darin enthaltener guter Ansätze ablehnen muss.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Wirksame politische Interventionen im Bereich der illegalen Zuwanderung müssen auf zwei Aspekte des Problems wirken, nämlich Herkunfts- und Zielland, oder wie es in der angenommenen Entschließung heißt, bilden „die zuständigen Stellen in den Herkunftsländern sowie die Verschärfung des für Schleppernetze angewandten Strafrechts, die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Menschenhandel“ wichtige Elemente. Ohne konsequentes Auftreten in diesen Feldern wird die Antwort unbefriedigend ausfallen, obgleich sie andere Dimensionen umspannt wie die Entwicklungszusammenarbeit und Maßnahmen im Bereich der legalen Zuwanderung.
Wie im Bericht über die europäische Meeresstrategie dargelegt, müssen die Mitgliedstaaten bei jeder Form der Migrationspolitik, die in der EU Wirkung zeigen soll, folgende Grundsätze einhalten: Solidarität, gemeinsame Verantwortung, gegenseitiges Vertrauen und Transparenz, wie es im Bericht heißt. Diese Auffassung teilen wir in jeder Hinsicht.
Carl Schlyter (Verts/ALE), schriftlich. − (SV) Ich werde in der Schlussabstimmung gegen den Bericht stimmen, da ich gegen FRONTEX und eine EU-Grenzpolizei bin, für die eine Rechenschaftspflicht schwer durchzusetzen wäre. In dem Bericht wird für teure und ineffektive biometrische Daten in Pässen und Visa plädiert, die außerdem die persönliche Integrität gefährden. Die EU nutzt zynisch die schwierige Situation von Flüchtlingen aus, um Macht über unsere Grenzen zu erlangen.
Philip Bradbourn (PPE-DE), schriftlich. − (EN) Die britischen Konservativen haben gegen die Berichte zur Zuwanderung gestimmt, da das Migrationsproblem ausschließlich eine Sache der Mitgliedstaaten und der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit ist. Bezugnahmen auf den Entwurf des Reformvertrags und die Ausweitung der qualifizierten Mehrheit sind der falsche Weg, um die Probleme anzugehen, vor denen die EU steht. In Fragen der Zuwanderung gibt es keine Patentlösung.
Proinsias De Rossa (PSE), schriftlich. − (EN) Mit der Forderung, Ehepartner von EU-Bürgern aus Nicht-EU-Staaten müssten in einem anderen EU-Mitgliedstaat gelebt haben, ehe sie das Recht haben, sich in Irland frei zu bewegen und aufzuhalten, verstößt die Regierung meines Erachtens gegen die Richtlinie aus dem Jahr 2004. Ferner widerspricht der Erlass von Ausweisungsanordnungen gegen Ehegatten nichtirischer EU-Bürger der EU-Gesetzgebung, die die Diskriminierung aufgrund der Nationalität verbietet.
Ich möchte die Kommission daran erinnern, dass sie im Jahr 2006 das Europäische Parlament darüber informierte, dass die Richtlinie über das Aufenthaltsrecht aus dem Jahr 2004 von den Mitgliedstaaten im Einklang mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2002 (Aktenzeichen C/459/99) (MRAX) sowie vom April 2005 (Aktenzeichen C/157/03) steht. Mit diesen Entscheidungen wird festgestellt, dass sich das Recht des Angehörigen eines Drittstaates, der Familienmitglied eines EU-Bürgers ist, auf Einreise und Wohnsitznahme in der Gemeinschaft, aus dieser Beziehung ergibt und weder von der Rechtmäßigkeit ihres vormaligen Wohnsitzes in der Gemeinschaft noch von der Vorlage einer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthalts- oder anderen Erlaubnis abhängig ist. Irlands Maßnahmen verstoßen eindeutig gegen diese gerichtlichen Entscheidungen. Daher ist die Kommission gemäß den Verträgen verpflichtet, gegen die irische Regierung vorzugehen.
8. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
(Die Sitzung wird um 13.15 Uhr unterbrochen und um 15.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: HANS-GERT PÖTTERING Präsident
9. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
10. Geheimes Festhalten und rechtswidrige Beförderung von Gefangenen in Verbindung mit Mitgliedstaaten des Europarats (Berichte Claudio Fava und Dick Marty) (Aussprache)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission über das geheime Festhalten und rechtswidrige Beförderung von Gefangenen in Verbindung mit Mitgliedstaaten des Europarats (Berichte Claudio Fava und Dick Marty).
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Verehrte Kommissare! Sehr verehrte Damen und Herren! Im Dezember 2005 hat das Europäische Parlament in seiner Entschließung zur Einsetzung eines nichtständigen Ausschusses zur Untersuchung der Beförderung und unrechtmäßigen Inhaftierung von Gefangenen, ich zitiere, „seine Entschlossenheit, den Terrorismus zu bekämpfen, [bekräftigt], betont aber, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht durch den Verzicht auf eben die Grundsätze gewonnen werden kann, die der Terrorismus zu zerstören versucht, wobei insbesondere der Schutz der Grundrechte nie gefährdet werden darf“.
Frühere Ratspräsidentschaften hatten die Chance, vor diesem Haus ihre Zustimmung zu dieser Erklärung zum Ausdruck zu bringen. Ich kann nicht mit meiner Rede beginnen, ohne hervorzuheben, dass die gegenwärtige Präsidentschaft diesen Entschluss und die Entschlossenheit teilt. Ich möchte erneut betonen, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht unsere Werte und Prinzipien in der Frage des Schutzes der Grundrechte gefährden darf. Unserer Ansicht nach ist das ein entscheidender Punkt. Aus dem Kampf gegen den Terror werden wir nur als Sieger hervorgehen, wenn wir unsere Freiheit behaupten: angstfrei und ohne Missbrauch oder Manipulation im Namen der Angst. Unsere schlagkräftigste Waffe und unser wirksamstes Schutzschild sind die Wertvorstellungen und die Grundsätze, von denen wir uns beim Schutz der Grundrechte leiten lassen.
Obgleich der Rat an sich nicht befugt ist, einen Standpunkt zu äußern, wird kein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union die Bedeutung der Bemühungen und Initiativen verkennen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wir sollten nicht vergessen, dass wir über Grundprinzipien reden, auf denen unsere europäische Demokratie fußt. Indem man die Wahrheit aufdeckt, kann man das Klima des Argwohns beseitigen. Darum müssen Ermittlungen in diesem Bereich unbedingt Licht ins Dunkel bringen und nicht für weitere Verwirrung sorgen. Frühere Präsidentschaften, die Gelegenheit hatten, vor dem Parlament, dem Generalsekretär und dem Hohen Vertreter sowie dem Anti-Terror-Beauftragten der EU zu sprechen, gelang es auch, in dieser Sache mit dem nichtständigen Ausschuss des EU-Parlaments zusammenzuarbeiten.
Meiner Überzeugung nach wäre es daher absolut ungerecht, von fehlendem Engagement seitens des Rates oder der Außenminister zu sprechen. Vielmehr muss ich eine Vielzahl von Initiativen hervorheben – sowohl parlamentarischer als auch gesetzlicher Natur –, die verschiedene europäische Länder nach Erscheinen der Berichte ergriffen haben.
Aus diesem Grund war es völlig angebracht, im Geiste des Subsidiaritätsprinzips zu handeln. Bekanntlich verfügt die EU in vielen der vom Ausschuss untersuchten Felder über keinerlei Handlungsbefugnis. Dabei denke ich vor allem an die Kontrolle der Geheimdienste. Genau darauf haben frühere Präsidentschaften und der Hohe Vertreter, Javier Solana, das Parlament und den Ausschuss hingewiesen. Natürlich kann man diesen Fakt bedauern, aber Tatsache ist, dass die geltenden Verträge den Handlungsspielraum des Rates in diesen Bereichen einschränken.
Von unserer Seite kann ich Ihnen jedoch versichern, dass der portugiesische Vorsitz die aktive und konstruktive Zusammenarbeit suchen wird. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Regierung Portugals ihre volle und transparente Unterstützung angeboten hat. Dies gilt sowohl für die Ermittlungen des nichtständigen Ausschusses des Parlaments, der seine Arbeit im Februar dieses Jahres abgeschlossen hat, als auch im Hinblick auf die Initiativen des Generalsekretärs des Europarates im Rahmen von Artikel 52 der Europäischen Menschenrechtskonvention hinsichtlich der angeblichen CIA-Flüge und illegalen Gefangenenlager in Europa.
Wenngleich der Rat noch keinen Standpunkt zu den Berichten von Claudio Fava bzw. Dick Marty unter der Ägide des Parlaments und des Europarates bezogen hat, ist allgemein bekannt, dass das nicht heißt, er ignoriere sie. Tatsächlich hat der Rat die Menschenrechte und das Völkerrecht in der EU-Außenpolitik mit Engagement und Nachdruck verteidigt.
Wir haben konsequent die Auffassung vertreten, dass der Schutz der Grundwerte des internationalen Rechts einen ernsthaften und tiefgründigen Dialog über die Menschenrechte im Kontext des Kampfes gegen den Terrorismus erforderlich macht. In dieser Hinsicht hat die EU betont, dass die Menschenrechte, die Rechte von Flüchtlingen und das humanitäre Völkerrecht geachtet und gewahrt werden müssen. Der Rat wird die Entwicklungen in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte im Anti-Terrorkampf weiterhin beobachten und angemessene Schritte unternehmen, um ihren Schutz sicherzustellen. Darüber hinaus engagiert sich die EU weiter konsequent für ein absolutes Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.
Dieses Ziel bestimmt unser Handeln. Gegenüber Drittstaaten werden wir stets unsere Besorgnis äußern, die dieses Problem verursacht. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben klar darauf hingewiesen, dass die Existenz geheimer Gefangenenlager, in denen Häftlinge in einem rechtlichen Vakuum festgehalten werden, nicht den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts entspricht. In den Leitlinien für die EU-Politik gegenüber Drittländern betreffend Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ist eindeutig festgeschrieben, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Geheimgefängnisse zu verbieten, um zu gewährleisten, dass alle Gefangenen in offiziell anerkannten Haftanstalten verwahrt werden und ihr Verbleib bekannt ist. Gemäß den EU-Leitlinien betreffend Folter kann niemand gewaltsam in ein Land rückgeführt werden, wo die Gefahr besteht, dass die betreffende Person Opfer von Folter oder Misshandlung wird.
Es ist allgemein bekannt, dass die fraglichen Probleme, bei denen es unter anderem um die Zuständigkeit für Flughafenkontrollen, Untersuchungs- und Geheimdienste geht, im Wesentlichen in den Verantwortungsbereich und unter die Kontrolle der Mitgliedstaaten fallen. Sitcen führt zugegebenermaßen periodisch Analysen unter Verwendung von Informationen der Mitgliedstaaten durch, aber das Situation Centre verfügt über keine operative Befugnis im Hinblick auf so genannte Geheimdienst-Aktivitäten. Weiterhin sollte beachtet werden, dass die EU-Mitglieder auch mit der Komplexität konfrontiert werden, die das System der Sortierung und Bearbeitung von Anträgen für die Genehmigung von Überflug- und Landekontrollen sowie Kontrollen am Boden mit sich bringt. Das ist für alle eine neue Herausforderung. Von unserer Seite hat die portugiesische Regierung nicht nur den bisweilen schwierigen und langwierigen Prozess der Datenerfassung durchgeführt, sondern auch eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um die zahlreichen Verfahren zu prüfen und Verbesserungsvorschläge einzubringen, deren Bedeutung im letzten vom Parlament im Februar angenommenen Bericht gebührend anerkannt wurde.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die vom Generalsekretär des Europarates geleistete Arbeit für äußerst wichtig erachten und die von Herrn Marty erstellten Berichte entsprechend zur Kenntnis genommen haben. Der vom Generalsekretär des Europarates nach Artikel 52 der Europäischen Menschenrechtskonvention erarbeitete Fragebogen und die Empfehlungen gaben sowohl Portugal als meines Erachtens auch anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer beispiellosen Bewertung eigenstaatlicher rechtlicher Rahmenbedingungen, Sicherheiten und Kontrollmechanismen insgesamt, einschließlich einer Prüfung der Verfahren, um Anträge für die Genehmigung von Überflügen und Landungen auf dem jeweiligen Staatsgebiet zu ordnen, zu verifizieren und zu prüfen.
Im Falle Portugals kam es im Ergebnis zu institutionellen, technischen und operativen Verbesserungen. Was die Empfehlungen des Generalsekretärs des Europarates für Kontrollgarantien betrifft, sind sich die Mitglieder im Großen und Ganzen einig, dass die ergriffenen Initiativen nicht zu einer unnötigen legislativen Doppelarbeit oder der Zuweisung neuer Befugnisse für den Europarat führen sollten.
Andererseits scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass ein gewisser Spielraum für eine effizientere Anwendung und die gewissenhaftere Überwachung der existierenden Mechanismen besteht. Ich bin der Überzeugung, die Schlussfolgerungen der Ermittlungen hätten mehr Schlagkraft, wenn sie konsequenter und strikter durchgeführt worden wären. Zwar ist ein konsequentes Vorgehen immer zu empfehlen, darf man Tatsachen nicht mit Behauptungen verwechseln und ist wegen des hohen Stellenwerts der in Frage stehenden Wertvorstellungen und des guten Namens der europäischen Demokratien eine gewisse Zurückhaltung in der Ausdrucksweise ratsam. Dessen ungeachtet steht fest, dass alle diesbezüglichen Initiativen zweckdienlich und sinnvoll sind. Darum müssen sie weiterverfolgt werden, vor allem in einer Zeit, in der es darauf ankommt, die neuen Dilemmas der terroristischen Bedrohungen mit Ernsthaftigkeit gründlich zu untersuchen, wie beispielsweise die Güterabwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. Darüber hinaus besteht die zunehmende Notwendigkeit, eine völkerrechtliche Antwort auf die schwierigen Fragen zu formulieren, die der Kampf gegen eine bisher nicht da gewesene Bedrohung aufwirft.
Herr Präsident! Herr Kommissar! Verehrte Damen und Herren! Die Konsolidierung von Freiheit, Sicherheit und Justiz auf der Grundlage des Haager Programms und des diesbezüglichen Aktionsplans ist einer der Schwerpunkte des 18-monatigen gemeinsamen Programms des deutschen, portugiesischen und slowenischen Vorsitzes. Vor diesem Hintergrund stellt die Bekämpfung des Terrorismus eine der größten Herausforderungen dar, für die die drei Präsidentschaften als Ziel die Intensivierung der Zusammenarbeit in diesem Bereich durch kontinuierliche Umsetzung der Anti-Terror-Strategie der EU festgelegt haben. Wie Sie wissen, wurde Gilles de Kerchove kürzlich zum Anti-Terror-Koordinator der EU ernannt. Wie auch seine Vorgänger wird er dem Haus alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen.
Ich möchte diese Möglichkeit ebenfalls nutzen, um zu unterstreichen, dass die Frage der Achtung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terror vor allem im Rahmen des transatlantischen Dialogs thematisiert wurde, insbesondere auf dem letzten Gipfeltreffen der EU und USA im April, auf dem die Schlussfolgerungen des Rates vom 11. Dezember 2006 zur Sprache kamen.
Als das gegenwärtig den Vorsitz führende Land hat Portugal klar sein Engagement für die Fortsetzung und Ausweitung des Dialogs erklärt, dem nach unserem Dafürhalten für beide Seiten entscheidende Bedeutung beikommt.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich danke dem Vertreter des Rates. Meine Damen und Herren, die Kommission und ich selbst haben vom ersten Augenblick an die Tätigkeit des nichtständigen Ausschusses des Europäischen Parlaments zu der wohlbekannten Frage und zu den ernsten Vorwürfen und den schwerwiegenden Vorkommnissen, die aufgedeckt wurden, begleitet und unterstützt.
Es versteht sich von selbst, dass die Brisanz dieser Vorfälle als solche, und offenkundig allein schon die Vermutung, dass es zu solchen Handlungen gekommen sein könnte, eine Zusammenarbeit aller Organe, d. h. zwischen Kommission, Parlament und Rat, erforderlich machen. Selbstverständlich muss nochmals gesagt werden – und ich tue das gern –, dass der Kampf gegen den Terrorismus unter vollständiger Wahrung der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit geführt werden muss. Sie bilden die beiden Voraussetzungen für das Funktionieren einer Demokratie.
In diesem Sinne sind die illegalen Verbringungen von Häftlingen, die Vermutung, dass es mehr oder weniger geheime Inhaftierungsorte gegeben haben könnte, ohne Frage Vorfälle, die, sollten sie in geeigneter Form bewiesen werden, zweifellos einen schweren Verstoß gegen die Völkerrechtsnormen und die individuellen Grundrechte darstellen. Es ist allgemein bekannt, dass ausnahmslos alle Mitglieder der Europäischen Union verpflichtet sind, sich an die hehren Grundsätze der Menschenrechtskonvention, insbesondere Artikel 5 und Artikel 6, zu halten.
Unser Wunsch ist es selbstverständlich, dass in den Mitgliedstaaten gründliche Ermittlungen zu diesen Geschehnissen angestellt werden, und es liegt auf der Hand, dass diese Ermittlungen von den zuständigen Justizbehörden durchgeführt werden müssen. Eines muss jedoch klar sein, und es wurde auch mehrfach sowohl vom Berichterstatter, Herrn Fava, als auch in dem Bericht des Europarates klargestellt: Ein parlamentarischer Bericht kann Anhaltspunkte liefern, doch zweifellos hat das Parlament weder die Befugnis noch das Recht, gerichtliche Untersuchungen anzustellen.
Und wenn dann offensichtlich Quellen, die unbekannt bleiben, als Beweise zitiert werden, verlangt selbstverständlich der Rechtsstaat, eben jener Rechtsstaat, den wir achten müssen, dass freie und unabhängige Gerichte mit Untersuchungen betraut werden. Sie sind zur Aufdeckung der Quellen verpflichtet, auf deren Grundlage eine Anklage formuliert wird. Vorwürfe gegen einen Mitgliedstaat oder eine Person zu erheben, ohne die Quellen aufzudecken, auf die sich diese Vorwürfe stützen, mag ein Prinzip sein, das in einen Bericht eines Parlaments passt, doch in einer gerichtlichen Ermittlung hat es nichts zu suchen. Deshalb hoffe ich, dass die gerichtlichen Ermittlungen fortgeführt werden, wie es in einigen Mitgliedstaaten, einschließlich meines Heimatlandes, geschieht. Allerdings verlangt der Bericht natürlich Folgemaßnahmen, und ich kann Ihnen nun die Initiativen aufzählen, die meines Erachtens dazu beitragen, diesem Bericht nachzukommen.
Am 23. Juli habe ich an die Regierungen Polens und Rumäniens geschrieben und sie – mit dem Hinweis auf ihre Pflicht, eine vollständige und eingehende Untersuchung durchzuführen – um detaillierte Informationen darüber gebeten, wie und mit welchem Ergebnis eventuell Untersuchungen eingeleitet worden sind. Ich hoffe, beide Regierungen werden mir antworten, und selbstverständlich werde ich Sie über diese Antworten unterrichten, denn meiner Auffassung nach liegt es vor allem im Interesse der Transparenz und der Wahrheit, dass jemandem, gegen den ein Vorwurf erhoben wird, alle rechtsstaatlichen Mittel zur Verfügung stehen, um diesen Vorwurf zu entkräften, um zu beweisen, dass er unberechtigt ist, oder um ein unabhängiges Gericht mit der Untersuchung zu betrauen. Es ist das Interesse der Angeschuldigten, das meines Erachtens eine klare Antwort verlangt.
Zweitens habe ich einen Terrorismus-Fragebogen für alle Mitgliedstaaten vorbereitet, worüber ich bereits auf der letzten Plenartagung gesprochen hatte. In diesem Fragebogen wird jeder Mitgliedstaat danach gefragt, welche Maßnahmen er zur Bekämpfung des Terrorismus erlassen hat, wie es um die Wirksamkeit der nationalen Gesetze bestellt ist und insbesondere wie hoch der Schutz der individuellen Grundrechte ist, den die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bieten. Ich habe vor, die Antworten zu analysieren und dann einen Bericht für den Rat und für das Parlament vorzubereiten, in dem es um die Wirksamkeit der Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten sowie darum gehen wird, inwieweit sie zweckdienlich und mit dem Grundsatz der Achtung der Grundrechte vereinbar sind.
Der dritte Punkt betrifft den Luftverkehr. Ich hatte mich gegenüber dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres verpflichtet, einen extrem wichtigen rechtlichen Aspekt zu prüfen, der gegenwärtig unklar ist: Wo verlaufen die Grenzen zwischen der Definition von Zivilflugzeug und staatlichem Flugzeug, also jenem Flugzeug, das den regulären Kontrollen der Zivilflugzeuge entzogen ist? Nun gut, diese Arbeit ist, wie versprochen, im Gange, und die Europäische Kommission wird eine Mitteilung über die allgemeine Luftfahrt verfassen. Das Kollegium wird diese Mitteilung vor Ende dieses Jahres, also schon bald, annehmen, und selbstverständlich werden wir einen Vorschlag zur besseren Definition des Begriffs „staatliches Flugzeug“ formulieren, der oft auf eine Weise ausgelegt wird, die dazu dient, den notwendigen Kontrollen zu entrinnen.
Doch es gibt noch eine andere Initiative, die den Luftverkehr betrifft. Sie ist Teil einer allgemeinen Lösung, mit der für alle Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln für jede Art von Luftfahrzeug, das außerhalb der Flugpläne in den einheitlichen europäischen Luftraum eintritt, eingeführt werden sollen. Sie wissen sicherlich, dass ab 1. Januar 2009 mit den Durchführungsbestimmungen für den so genannten einheitlichen europäischen Luftraum für alle Mitgliedstaaten gemeinsame Anforderungen zu den Flugplänen eingeführt werden, und in diesem Rahmen werden wir die Flugplanvorschriften für alle den europäischen Luftraum durchquerenden oder in ihn eintretenden Flugzeuge harmonisieren. Das wird riesige Vorteile mit sich bringen, denn damit wird die unterschiedliche Behandlung des Überfliegens und des Landens in den Mitgliedstaaten, die wir festgestellt haben, beseitigt.
Ein anderes Thema ist die Ratifizierung des Auslieferungsabkommens zwischen der EU und den USA. Gäbe es bereits, was eigentlich schon der Fall sein sollte, ein europäisches Abkommen, das wir zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben, dann wären die Regeln für die Auslieferung von Häftlingen von den USA und in die USA wesentlich klarer. Wir sprechen hier von Häftlingen, die des Terrorismus verdächtigt oder beschuldigt werden. Dieses Abkommen muss noch von einigen, glücklicherweise wenigen, Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Ich habe noch einmal einen förmlichen Appell an alle Justizminister gerichtet, damit sie für die umgehende Ratifizierung dieses Auslieferungsabkommens der EU mit den Vereinigten Staaten sorgen.
Nun zur Kontrolle der Geheimdienste. Sie wurde in beiden Berichten angesprochen, ist jedoch ein sehr sensibles Thema. Ich glaube, dass hier die Antwort vor allem auf einzelstaatlicher Ebene liegen muss, dass aber einige gemeinsame Erfordernisse herausgestellt werden können. Das erste Erfordernis besteht darin, die parlamentarische Kontrolle in den Mitgliedstaaten zu verstärken. Einige Mitgliedstaaten haben staatliche Gesetze verabschiedet oder auf den Weg gebracht, die das Kontrollrecht der nationalen Parlamente in Bezug auf die Tätigkeiten der Geheimdienste erheblich verstärken. Dieser Weg ist meines Erachtens empfehlenswert, denn, wie Sie verstehen werden, kann ich mir für die Zukunft zwar kein gemeinsames europäisches Gesetz zur Regelung der Geheimdienste vorstellen, halte jedoch eine Debatte über dieses Thema für äußerst nützlich.
Schließlich glaube ich, Herr Präsident, dass wir über dieses Thema weiter diskutieren und uns dabei vom Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und gewiss auch der Achtung der Grundrechte leiten lassen müssen; doch zu den Grundrechten gehört auch das Recht, nur auf der Grundlage ordnungs- und verfahrensgemäß erhobener Beweise angeklagt zu werden.
Jas Gawronski, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hat den Bericht Marty mit stichhaltigen Argumenten kritisiert und mit großer Mehrheit gegen den Bericht Fava gestimmt. Das ist schade, denn zumindest bei Themen wie Terrorismus und Menschenrechte sollte es diesem Hohen Haus gelingen, seine internen Differenzen zu überwinden und einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln. Wenn wir das nicht geschafft haben, so deshalb, weil der Bericht Fava leider von einer vorgefassten Meinung ausgegangen ist: Die Vereinigten Staaten sind schuld! So haben wir ein Jahr damit vergeudet, nicht nach der Wahrheit, sondern nach Beweisen für diese Schuld zu suchen, wobei wir auch einige Elemente ausgelassen und sogar unterschlagen haben, die gegen diese These sprachen.
Ich möchte nur ein konkretes Beispiel anführen, das ich als skandalös bezeichnen möchte. Wir sind u. a. nach Polen gereist, um eine Journalistin zu befragen, die ein Jahr zuvor als eine der Ersten über die Existenz von CIA-Gefängnissen in Polen berichtet hatte. Als wir sie trafen, hatte sie leider – und ich sage „leider“ mit ironischem Unterton – ihre Meinung geändert: Sie war sich nicht mehr sicher und sagte uns, dass sie jenen Artikel heute nicht mehr geschrieben haben würde! Nun, in dem Bericht deutet nichts auf ihren Sinneswandel hin, während er unzählige Aussagen von Journalisten enthält, die die Meinung des Berichterstatters teilen. Wir haben ein Jahr sinnlos vertan und Steuergelder verschwendet, ohne irgend etwas Neues im Vergleich zu dem herauszufinden, was man bereits aus den Zeitungen und aus offiziellen und offiziösen Quellen der USA wusste. Und hätte Präsident Bush nicht die Existenz von CIA-Gefängnissen enthüllt, hätten wir nicht einmal darüber Gewissheit.
Herr Kommissar Frattini, Sie berichten uns, dass Sie Schreiben an Polen und Rumänien mit der Bitte um Erklärungen gerichtet hätten, die jedoch nicht beantwortet wurden. Es ist in jedem Falle unhöflich, nicht zu antworten, doch wundert mich das nicht, denn die Vorwürfe waren unbegründet. Sie selbst sprechen in Ihrem Schreiben von mutmaßlichen Informationen, nicht von konkreten Tatsachen, und beide Länder haben bereits auf höchster Ebene erklärt, dass sie Ermittlungen angestellt haben und ihrer Auffassung nach keine CIA-Gefängnisse existieren. Das mag stimmen oder nicht, jeder mag darüber denken, was er will, doch wir können, wie Sie selbst gesagt haben, Herr Frattini, niemanden anklagen, solange es keine Beweise gibt.
Tatsache ist, dass die Berichte Fava und Marty zu viele Formulierungen wie „sehr wahrscheinlich“ und „ist nicht auszuschließen“ enthalten, aus denen dann unumstößliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Und kommen Sie mir als Rechtfertigung für das Fehlen von Beweisen nicht mit der Aussage, wir seien kein Gericht und unser Bericht sei ein politisches Dokument! Wenn nämlich die Aufforderung ergeht, darüber nachzudenken, ob die Voraussetzungen für eine Berufung auf Artikel 7 des EU-Vertrags gegeben sind, ist er nicht mehr politisch!
Da ich das Gefühl habe, in diesem Haus besteht der Wunsch nach Erstellung eines neuen CIA-Berichts, hätte ich eine Empfehlung zu geben: Hören wir auf, tendenziöse Interpretationen der Vergangenheit zu produzieren; hören wir auf, Untersuchungen zu diesem Thema anzustellen, zu dem wir nichts herausgefunden haben! Überlassen wir das den Gerichten – wie Kommissar Frattini gesagt hat – und den Journalisten, die über die passenden Mittel verfügen, um dies zu tun, und die das besser können als wir! Konzentrieren wir uns auf die Zukunft, auf die Politik und auf den Part mit den Empfehlungen im Bericht Fava, der der einzige akzeptable Part ist.
Die USA haben sicherlich Fehler gemacht; in einigen Fällen haben sie die Menschenrechte verletzt, doch es ist leicht, keine Fehler zu machen, wenn man nichts unternimmt, um den Terrorismus zu bekämpfen. Terrorismus ist ein neues Phänomen, das in unseren Gesetzen nicht geregelt ist, und nun muss das Recht angepasst werden. Wir sollten versuchen, Verhaltensregeln aufzustellen, um weitere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, eine Wiederholung alter Fehler zu vermeiden und unsere Instrumente an eine neue Art der globalen Bedrohung anzupassen.
Daher begrüße ich die Bemühungen der Kommission um eine Gesamtbewertung der Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten erlassen haben; ich begrüße ebenso die anderen Initiativen, die Kommissar Frattini angekündigt und eingeleitet hat. Nichtsdestotrotz bleibt noch viel zu tun, um das Terrorismusproblem global, energisch und koordiniert anzupacken. Ich denke an das Internet oder an die Maßnahmen zur Verbrechensverhütung und -verfolgung, um die paradoxe Situation zu vermeiden, dass die Regierungen jede für sich auf nationaler Ebene handeln, während die Terroristen über das Internet und ihre allerorten verwurzelten Zellen weltweit agieren.
Unsere Zukunft hängt davon ab, ob wir fähig sind, den Terrorismus zu besiegen. Schließen wir uns zusammen, um diese Schlacht zu gewinnen!
Claudio Fava, im Namen der PSE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor sieben Monaten nahmen wir meinen Bericht an, und seither kamen die einzigen Signale, die auf irgendwelche Neuigkeiten hindeuten, aus den Vereinigten Staaten. Auf das eine hat Herr Gawronski hingewiesen: Präsident Bush hat am 20. Juli per Verfügung bestätigt, dass seine Regierung fortfahren werde, sich der illegalen Tätigkeit der CIA in Form von außergerichtlichen Festnahmen und Inhaftierungen mutmaßlicher Terroristen in willfährigen Drittländern zu bedienen.
Das andere wichtige Signal besagt, dass der Kongress der USA eine eigene unabhängige Untersuchung über die außerordentlichen Überstellungen eingeleitet hat. Das zeigt uns, dass wir es nicht mit einem Kapitel der Geschichte, sondern mit aktuellem Geschehen zu tun haben.
Gerichtliche Ermittlungen laufen in vier europäischen Ländern: Spanien, Portugal, Deutschland und Italien. Bis heute wurden 39 Untersuchungshaftbefehle gegen ebenso viele CIA-Beamte und -Agenten erlassen. Dieses Parlament hat mit seiner Untersuchung Fakten und keine Meinungen bestätigt. Fakten sind beispielsweise die Verantwortlichkeiten einiger unserer Regierungen und einiger Sicherheitsdienste, die bei der Ausführung der außerordentlichen Überstellungen mit der CIA zusammengearbeitet haben. Ich möchte Herrn Kommissar Frattini darauf hinweisen, dass unsere Quellen in diesem Fall nicht anonym waren. Unsere Quellen waren, wie dem Bericht zu entnehmen ist, Aussagen der britischen und der deutschen Regierung.
Wir haben 48 Empfehlungen, vor allem an den Rat, ausgesprochen, und möchten nun vom Rat wissen, ob er während der letzten sieben Monate eine einzige dieser Empfehlungen befolgt hat. Wir hatten insbesondere zwei Forderungen erhoben: Wir ersuchten die EU-Organe und den Rat, ihre Verantwortung in Bezug auf Artikel 6 und 7 des Vertrags zu übernehmen, und bekundeten unsere Erwartung, dass der Rat Druck auf alle betroffenen Regierungen ausübt, damit diese den Rat und die Kommission vollständig und genau informieren, und dass er nötigenfalls Anhörungen beginnt. Das ist nicht geschehen. Es ist nicht wahr, Herr Lobo Antunes, dass der Rat keine Befugnisse besitzt; der Rat hat die ihm durch Artikel 6 und 7 des Vertrags übertragenen Befugnisse.
Der deutsche Vorsitz und nun der portugiesische Vorsitz hätten unsere Forderung gewiss aufgreifen können. Wir begrüßen die Initiativen von Kommissar Frattini, doch mit diesen beiden Ratspräsidentschaften, die die zwölfmonatige Arbeit unseres Untersuchungsausschusses faktisch ad acta gelegt haben, sind wir keineswegs zufrieden. Da die Öffentlichkeit unserer Länder nach der Wahrheit verlangt, wird durch das Schweigen des Rates – und ich muss sagen, auch vieler unserer Regierungen – eine Chance für Europa vertan.
Gleichwohl hat dieses Parlament nicht vor zu resignieren. Es tut mir Leid für den Kollegen Gawronski, aber wir werden uns erneut mit diesem Thema befassen. Mit einem Initiativbericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres werden wir unseren Beitrag zu einem Kampf gegen der Terrorismus leisten, bei dem die Menschenrechte immer, überall und für jeden geachtet werden: zuallererst die Unschuldsvermutung, so wie es uns Cesare Beccaria vor Jahrhunderten gelehrt hat.
Ignasi Guardans Cambó, im Namen der ALDE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Das Parlament nahm eine Entschließung zu diesem Thema an, der Europrat verabschiedete ebenfalls einen in allen Einzelheiten klaren und expliziten Text zu dieser Frage, doch wer von uns juristische Kenntnisse besitzt, weiß, und das kommt für uns nicht überraschend – das sage ich mit einer gewissen Ironie –, dass es Rechtsvorschriften gibt, insbesondere im Strafrecht, wonach niemand gezwungen wird, Aussagen zu machen, die ihn selbst belasten. Eben das erstaunt uns: dass der Rat und alle Regierungen dieses Recht auf sich selbst anwenden.
In diesem Fall beschlossen sie zu schweigen, anstatt tätig zu werden, wie ein Angeklagter auf der Anklagebank, der sich nicht verteidigt, aber sich weigert, die Anschuldigungen zu akzeptieren, indem er einfach passiv und stumm bleibt.
Es ist beschämend zu sehen, wie der Rat als Institution und alle seine Mitglieder eine kollektive Verhaltensweise an den Tag legen und sich gemeinsam des Gesetzes bedienen, das von Angeklagten vor Gericht genutzt wird. Das institutionelle Schweigen zur Verantwortung, aktiv oder passiv, durch Taten oder durch Nachlässigkeit, durch Überzeugung oder die Furcht, angesichts des Drucks einer verbündeten Nation Probleme zu verursachen: Dieses Schweigen ist einer der größten Schandflecken unserer heutigen Demokratie, und das betrifft alle Beteiligten.
Es ist gleichzeitig schwierig, Mechanismen der Verantwortung in der Europäischen Union anzuwenden, weil nicht vorgesehen ist, diese Mechanismen gegen alle Mitgliedstaaten einzusetzen, die sich gegenseitig schützen.
Als der Vertrag abgefasst wurde, als Artikel 6 und 7 formuliert wurden, konnte sich zweifellos niemand vorstellen, dass wir in eine Situation geraten würden, wo wir nicht über Verletzungen der Menschenrechte oder Passivität beim Schutz der Grundrechte durch eine Regierung diskutieren würden, sondern dass es um eine europäische Institution gehen würde, den Rat, der mit Unterstützung aller Mitgliedstaaten eine passive Komplizenschaft übt. Diese Situation war niemals vorgesehen, und dies ermöglicht in der Tat ihren Schutz.
Wir haben keine rechtliche Handhabe, um dagegen vorzugehen, doch ich möchte dem Vertreter des Rates sagen, dass die Geschichte die Dinge aufhellen wird, denn die Geschichte wird die Schande dieser Zeit ans Licht bringen, da unter dem Vorwand des Schutzes unserer Freiheit alle Prinzipien, auf denen diese Europäische Union aufbaut, in Frage gestellt wurden.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) In seinem Bericht hat sich Herr Fava auf Indizienbeweise gestützt, und statt klare Schlussfolgerungen zu ziehen, schürt er lediglich den Argwohn gegenüber den Mitgliedstaaten.
Der Bericht Marty wurde auf noch unverantwortlichere Weise ausgearbeitet. Alle Ergebnisse stammen von anonymen Quellen und können deshalb unmöglich verifiziert werden. Ein solcher Ansatz kann keine Sicherheit geben, dass die Arbeit von Herrn Marty nicht von Diensten und Organisationen manipuliert worden ist, die sich nur widerwillig an der transatlantischen Zusammenarbeit im Interesse der Bekämpfung des Terrorismus beteiligen. Ich bin Herrn Antunes für seinen Hinweis sehr dankbar, das Völkerrecht sähe keine hinreichenden Bestimmungen für terrorbezogene Probleme vor. Keiner der zur Diskussion stehenden Berichte leistet in dieser Hinsicht einen Beitrag. Die offiziellen Untersuchungen und die von Polen abgegebenen Erklärungen entsprechen unseren Grundsätzen der zivilen Kontrolle von Geheimdiensten. Darüber hinaus genügen unsere Prinzipien den einschlägigen europäischen Normen. Darum sehe ich keinen Sinn darin, diese Debatte erneut zu führen.
Cem Özdemir, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Bericht Fava ist im Februar 2007 durch dieses Parlament anerkannt worden, und er enthält eine Menge von Empfehlungen, die sich sowohl auf die juristische als auch auf die politische Seite beziehen. Ich hätte mir gewünscht, dass sich der Rat auf diese Empfehlungen bezieht und darauf eingeht, was seither geschehen ist. Sollte der Bericht des Kollegen Fava dem Rat nicht vorliegen, so können wir ihm gerne noch einmal eine Kopie davon zugänglich machen. Wir würden dann allerdings auch sehr gerne erfahren, was seither an Empfehlungen aus diesem Bericht bezüglich der Kooperation mit den Mitgliedstaaten, aber auch bezüglich der Rolle des Rates, auf die in diesem Bericht verwiesen wurde, umgesetzt worden ist.
Der Kollege Dick Marty, Berichterstatter des Europarates, hat im Juli dieses Jahres ebenfalls einen zweiten Bericht vorgelegt. Ich möchte mich auf zwei Punkte beschränken. Er spricht in dem Bericht davon, dass es einzelne europäische Regierungen gab, die die Wahrheitssuche nicht nur behindert haben, sondern dies bis zum heutigen Tage tun, indem sie sich auf so genannte Staatsgeheimnisse beziehen. Dies ist nichts anderes als der Missbrauch der Staatsgeheimnisse, um Menschen, die sich gesetzeswidrig verhalten haben, in Schutz zu nehmen. Er spricht hier bedauerlicherweise ausdrücklich auch von meinem eigenen Land, der Bundesrepublik Deutschland, und von Italien, lobt allerdings auf der anderen Seite Bosnien-Herzegowina und das Beobachterland im Europarat, Kanada. Er spricht allerdings in einem zweiten Punkt auch ausdrücklich von Polen und von Rumänien und nennt diese beiden Länder im Zusammenhang mit so genannten Geheimgefängnissen. Auch das ist ein Punkt, wo ich mir wünsche, dass der Rat uns berichtet, was in dieser Frage geschehen ist.
Der Verweis auf die Subsidiarität der Mitgliedstaaten genügt in diesem Fall nicht, denn wir berufen uns hier auf gemeinsame europäische Werte. Ich verweise auf Artikel 6 und 7 der EU-Verträge. Sie gelten in allen Mitgliedstaaten, unabhängig von der Subsidiarität.
Sylvia-Yvonne Kaufmann, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Was wir im Zuge des so genannten Kampfes gegen den Terror erleben mussten, würde ich als Methode des Outsourcing von Menschenrechtsverletzungen bezeichnen.
Menschen werden in Guantánamo gefangen gehalten, wo ihnen selbstverständlichste Menschenrechte vorenthalten werden. Menschen wurden an Folterregime überstellt, weil man sich selbst offenbar die Hände nicht schmutzig machen will. Geheimgefängnisse wurden betrieben, wie Präsident Bush selbst einräumte. Und europäische Regierungen schauten einfach weg, als im eigenen Hoheitsgebiet systematische Menschenrechtsverletzungen durch den amerikanischen Geheimdienst begangen wurden.
Der Europarat und unser Haus haben zu diesen ungeheuerlichen Vorgängen nicht geschwiegen, sie haben die Fakten zusammengestellt, die Menschenrechtsverletzungen untersucht und sie in aller Deutlichkeit kritisiert. Dick Marty hat hier eine sehr engagierte Arbeit geleistet, für die ich ihm danken möchte. Der Bericht unseres Kollegen Fava, den meine Fraktion unterstützt hat, fordert eindringlich eine Abkehr von den bekannt gewordenen Praktiken. Doch was passiert stattdessen?
Meine Regierung beispielsweise hat im Fall Khaled el-Masri vor wenigen Tagen einen Kotau vor der amerikanischen Regierung gemacht. Sie verzichtet darauf, den Auslieferungsantrag der ermittelnden Münchner Justiz für die dreizehn verdächtigen CIA-Agenten überhaupt an die US-amerikanische Administration zu übermitteln. Warum? Allein deshalb, weil das bloße Stellen dieses Antrags Washington verärgert hätte.
Ich habe nichts dagegen, wenn mein Land und die EU mit den USA gemeinsam der Terrorgefahr begegnen, doch sind Kidnapping und Folter deshalb kein Unrecht mehr? Es kann doch nicht sein, dass CIA-Agenten ein Freibrief ausgestellt wird und sie tun und lassen können, was sie wollen. Soll so etwa die transatlantische Sicherheitszone aussehen, die der deutsche Innenminister gerade ins Gespräch gebracht hat?
Unsere Grundwerte, vor allem der umfassende Schutz der Menschenrechte dürfen im so genannten Antiterrorkampf nicht zur Disposition gestellt werden. Europaparlament und Europarat haben dies zu Recht unterstrichen, und ich erwarte auch von Rat und Kommission, dass sie uneingeschränkt zu dieser Feststellung stehen und vor allem ihr Handeln danach ausrichten. Ich will damit sagen, dass das, was ich heute hier vom Rat gehört habe, in keiner Weise ausreichend ist. Ich erwarte wirklich, dass der Rat nach diesen vorhin selbst formulierten Prinzipien handelt und den Empfehlungen des Europäischen Parlaments auch konkret Folge leistet.
Johannes Blokland, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Vor fast genau zwei Jahren hat das Parlament beschlossen, einen nichtständigen Untersuchungsausschuss einzusetzen – ein Beschluss, der trotz heftigem Widerstand und begründeten Einwänden durchgesetzt wurde. Heute, zwei Jahre später, werden die damaligen Bedenken wieder laut. Heute diskutieren wir zwei Berichte: den Bericht von Dick Marty sowie den Bericht von Claudio Fava. Letzterer fügt dem uns bereits bekannten Bericht von Dick Marty keine neuen Erkenntnisse hinzu.
Der Bericht des Europarates war ausgewogen. An die Mitgliedstaaten gerichtete Anschuldigungen wurden mit Vorsicht vorgebracht, was man bedauerlicherweise von dem in diesem Haus vorliegenden Bericht nicht sagen kann. Es kann als Fortschritt bezeichnet werden, dass heute beide Berichte erörtert werden. Dieser Fortschritt im Bereich der Zusammenarbeit nimmt glücklicherweise auch in der EU-Agentur für Grundrechte Gestalt an.
Die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden hat zu Recht zu einer engen Kooperation zwischen Parlament und Europarat aufgerufen. Wenn es um die Grundrechte geht, ist gemeinsames Handeln unerlässlich, denn der Schutz der Grundrechte ist von fundamentaler Bedeutung. Wenn dies das Ziel der Ermittlungen zu den Aktivitäten der amerikanischen Geheimdienste im Hoheitsgebiet der EU ist, müssen die Anstrengungen des Rates ebenfalls darauf ausgerichtet sein. Können im Rahmen der transatlantischen Beziehungen Absprachen hinsichtlich der Bekämpfung des Terrorismus getroffen werden oder bleibt es bei einseitig verhängten Maßnahmen?
Bei allen Anti-Terror-Maßnahmen gerät oft die Beachtung von Rechten ins Hintertreffen. Nach zwei Untersuchungen ist es an der Zeit, nach vorn zu schauen und an der Wiederherstellung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu arbeiten, damit wir uns wieder auf Augenhöhe begegnen. Ich möchte gern vom Rat wissen, wie der Wiederaufbau der Beziehungen konkret vonstatten gehen soll: Setzen wir die USA weiterhin unter Druck, um die Frage zu klären, ob geheime Gefangenenlager auf dem Hoheitsgebiet der Union bestanden haben, oder versuchen wir zu vermeiden, dass dies noch einmal geschieht?
Abschließend möchte ich noch eine Frage an den Herrn Präsidenten richten: In der Aussprache vom 14. Februar hatte ich mich erkundigt, ob die Kosten für die Ermittlungen durch den nichtständigen Untersuchungsausschusses beziffert werden könnten. Bis heute wurde dazu nichts verlautbart. Herr Präsident, können Sie dafür sorgen, dass neben dem Ermittlungsbericht ein Finanzbericht vorgelegt wird, und kann sich vielleicht auch der Europarat zu den Kosten der Ermittlungen von Dick Marty äußern? Der Kollege Gawronski hat Recht: Es geht um die Verwendung von Steuergeldern.
Jan Marinus Wiersma (PSE). – (NL) Herr Präsident! Im Namen meiner Fraktion möchte ich einige Anmerkungen machen. Bedauerlicherweise müssen wir heute feststellen, dass der Rat mit keinen wirklichen Antworten auf die Fragen aufwarten konnte, die im Bericht von Claudio Fava vom Januar dieses Jahres teilweise auch im Namen des Parlaments aufgeworfen wurden. Was hat der Rat eigentlich mit den Erkenntnissen, den unsrigen ebenso wie denen des Europarates, gemacht? Fand keine wirkliche gemeinsame Beratung statt, um zu vermeiden, dass die in diesen Berichten beschriebenen Praktiken erneut vorkommen ?
Positiver hingegen stimmt uns die Reaktion der Kommission, die begonnen hat, Anti-Terror-Maßnahmen und deren Umsetzung zu evaluieren. Die Ankündigung des Herrn Kommissars von Möglichkeiten, um zu verhindern, dass künftig Flugzeuge auf europäischen Flughäfen landen, die Menschen unrechtmäßig befördern, begrüße ich außerordentlich. Für diese „staatlichen Flugzeuge“ muss ein Kontrollsystem eingerichtet werden.
Außerdem freuen wir uns, dass wieder ein Terrorismuskoordinator benannt wurde, dem wir alles Gute wünschen. Der plötzliche Rücktritt von Gijs de Vries hat uns etwas überrascht, obgleich er nie den Anschein erweckt hat, wirklich an seinem Job interessiert zu sein. Hoffentlich ist dies beim neuen Koordinator der Fall. Seine Position als Koordinator wird gestärkt, denn künftig wird der neue Beauftragte bei Bedarf auf Fragen des Parlaments Antwort geben können.
Gestatten Sie mir nun einige Ausführungen zum Bericht von Dick Marty über das Bestehen möglicher Geheimgefängnisse in Polen und Rumänien. Ich schließe mich den bereits geäußerten Kommentaren hinsichtlich der Tatsache an, dass der letztgenannte Bericht auf Aussagen anonymer Zeugen basiert. Herr Marty muss noch darlegen, nach welchen Kriterien des Europarates man anonyme Quellen zitieren darf. Kurz gesagt sind wir mit der von Dick Marty gewählten Vorgehensweise nicht ganz zufrieden. Mehrere Personen wurden angeklagt, aber bis zum heutigen Tag fehlt es an neuen Fakten. Meines Erachtens ist es an der Zeit, dass Herr Marty mitteilt, ob die Namensliste wieder gelöscht werden kann, insbesondere, da zwei unserer Kollegen namentlich auf der Liste stehen. Darauf habe ich schon vor einer Weile hingewiesen, als wir im Rahmen der Ausschussarbeit darüber mit Dick Marty gesprochen haben.
Ich möchte noch auf einen abschließenden Punkt eingehen. Selbstverständlich ist es wichtig, den Bürgern gegenüber klar zu machen, dass einige der Praktiken, die in den EU-Ländern angewendet wurden, wie beispielsweise die Entführung von Menschen durch Gemeindienste, die außerhalb der EU angesiedelt sind, nicht mehr auftreten dürfen. Gleiches gilt für die CIA, die nicht ohne Überwachung durch nationale Behörden in Europa operieren darf. Bei den Amerikanern gelten offenbar andere Spielregeln als bei uns. Auch die jüngsten Beispiele der Weigerung der Amerikaner, Menschen auszuliefern oder auf Ausweisungsanträge von Italien und Deutschland einzugehen, sind ein Hinweis darauf, dass wir uns offenbar an andere Normen halten. Diese beiden Beispiele lassen uns wieder über die Art der Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus zwischen der EU und den USA nachdenken. Wollen die Amerikaner die gleiche Gewichtung von Fragen der Sicherheit und Menschenrechte?
Sarah Ludford (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Der Herr Ratspräsident hob die Hände hoch und meinte, die EU sei da machtlos; Folterflüge und Geheimgefängnisse ‚gingen uns nichts an, Chef’. Dann sagte er, der Rat habe aktiv zur Förderung der Menschenrechte außerhalb der EU beigetragen. Ich bin dessen überdrüssig, dieses endlose Papageiengeschwätz über europäische Werte zu hören, und dann wird behauptet, man könne keine Rechenschaft über Menschenrechtsverletzungen innerhalb der EU ablegen.
Hier können Sie zweierlei Dinge tun. Warum haben nur zwölf Mitgliedstaaten die UNO-Konvention zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen unterzeichnet; zu den namhaften Nichtunterzeichnern gehören das Vereinigte Königreich, Deutschland, Spanien, Polen und Rumänien – eine kuriose Liste – und natürlich die USA. Zweitens könnten Sie die EU-Mitgliedstaaten veranlassen, freiwillig Guantánamo-Gefangene aufzunehmen, deren Freilassung nichts mehr im Wege steht. Gegen das Vereinigte Königreich musste erst eine Klage angestrengt werden, ehe es den Antrag stellte, damit fünf Personen mit Wohnsitz in Großbritannien dorthin zurückkehren konnten. Wenn die EU die Schließung von Guantánamo fordert, was wir mehr oder weniger taten, dann sollen die Mitgliedstaaten doch zu ihrem Wort stehen.
Ich stimme Kommissar Frattini zu, dass eine parlamentarische Untersuchung nicht ausreicht. Wir hatten nicht die Befugnisse und die Untersuchungsmethoden, die bei einer polizeilichen oder gerichtlichen Untersuchung zur Verfügung stehen, aber ich möchte zunächst sagen, dass die Zeugnisse von Opfern und anderen Personen, die uns erreichten und die veröffentlicht wurden, gewichtig, stimmig und überzeugend waren. Zweitens ist es etwas kess, Vorwürfe gegen einen parlamentarischen Bericht zu erheben, wenn Mitgliedstaaten sich weigerten, polizeiliche oder gerichtliche Ermittlungen einzuleiten.
Der britische Ausschuss für nachrichtendienstliche Aufklärung und Sicherheit, der vom Premierminister ernannt wird und auch ihm – nicht dem Parlament – rechenschaftspflichtig ist, rügte die britischen Sicherheitsdienste, sie hätten nicht mitbekommen, dass Informationen, die sie an die CIA weitergegeben hatten, für Zwecke der Entführung, der Verschleppung und der Folter missbraucht worden seien. Nun, wenn wir solche naiven britischen Nachrichtendienste haben, dann fühle ich mich nicht besonders sicher.
Es ist gewiss gut zu hören, dass Kommissar Frattini den Brunnen zudeckt, nachdem das Kind hineingefallen ist, indem er dem Missbrauch des europäischen Luftraums Einhalt gebietet, in dem Privatflugzeuge im Unterschied zu staatlichen Flugzeugen Kontrollen umgehen oder indem Flugpläne nicht eingereicht werden, aber das spricht nicht frei von der Verantwortung für frühere Genehmigungen oder Duldungen von Folterflügen über europäisches Gebiet oder geheimen Gefängnissen auf diesem Territorium.
Mirosław Mariusz Piotrowski (UEN). – (PL) Der Bericht Fava und der Bericht von Herrn Marty für den Europarat haben eines gemein: Ihnen mangelt es an Beweismaterial. Sie enthalten eine Reihe vager, irrelevanter Überlegungen der Berichterstatter über die Auslieferung von Terrorverdächtigen und die angeblichen Geheimlager der CIA in Europa.
Der Bericht Fava ist bereits zu verschiedenen Anlässen erörtert worden, und es wäre schade, mit einer weiteren Aussprache Zeit zu verschwenden. Allerdings möchte ich Herrn Marty aufrichtig gratulieren. Von Anbeginn hat er versucht, sich bekannt zu machen, was ihm auch erfolgreich gelungen ist. Seine beiden Berichte haben ein beklagenswertes Niveau und werfen ein fragliches Licht auf ihn als Anwalt. Offenbar kam Herr Marty zu dem Schluss, es würde sich lohnen, einen solchen Preis dafür zu bezahlen, dass sein Name in politischen Kreisen Bekanntheit erfährt. Unter anderem hat er keine Personen zugelassen, die bereit waren, freiwillig auszusagen, einschließlich der Mitglieder des Europäischen Parlaments, die er im Bericht verleumdete, aber für die er sonst keine Zeit übrig hatte.
Herr Marty hat auf wiederholte Einladungen des polnischen Staates nicht reagiert. Er konnte keine Erklärung für dieses Verhalten liefern, als er vor dem http://www.europarl.eu.int/committees/afet_home.htm" erschien. Herr Marty hat große Schwierigkeiten, zwischen Fakt und Spekulation zu unterscheiden. Ich kann verstehen, dass dies seinen taktischen Ansatz und das von ihm im Vorhinein gesteckte Ziel gefährdet hätte, nämlich politische Selbstbeweihräucherung. Leider benutzte er den guten Namen des Europarates, um seine Ambitionen zu verwirklichen.
Hélène Flautre (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident In einem heute veröffentlichten Kommuniqué trifft Amnesty International den Ton unserer Debatte. Dort ist zu lesen, dass Deutschland sich weigert, die Auslieferung von US-amerikanischen Staatsbürgern zu verlangen, die der CIA angehören und die im Verdacht stehen, die Entführung und Inhaftierung von Khaled-el-Masri organisiert und diesen gefoltert zu haben.
Durch eine politische Entscheidung behindert, ist das Rechtssystem also nicht in der Lage, um bei vermutlichen Verletzungen der Grundrechte, die im Namen der Bekämpfung des Terrorismus begangen werden, Recht zu sprechen. Genau um diese Situation geht es in dieser Debatte.
Herr Ratspräsident! Sie sagen uns und bekunden in hypothetischen Erklärungen: „Die Bekämpfung des Terrorismus muss unter Achtung der Grundrechte erfolgen“. Einverstanden! In der heutigen Debatte geht es jedoch darum, dass uns nunmehr erwiesene Fakten vorliegen: Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich zu Komplizen des Programms der geheimen Inhaftierungen und Verbringungen gemacht, das die CIA auf dem Territorium der Europäischen Union errichtet und damit das Recht verletzt hat. Diese Fakten sind nachgewiesen.
Wir stellen nun folgende Frage: Welche Initiativen werden Sie ergreifen, und welche Konsequenzen werden Sie aus dieser Situation ziehen? Wann werden Sie im Namen des Rates diese illegalen Aktivitäten eindeutig verurteilen? Wann werden Sie Druck auf die Mitgliedstaaten ausüben, damit sie den nationalen Abgeordneten und den Europaabgeordneten präzise und vollständige Informationen über die Geschehnisse geben? Wann werden Sie bei den Mitgliedstaaten erwirken, dass sie das Verfahren der diplomatischen Zusicherungen aufgeben?
Ich bin erfreut darüber, dass Kommissar Frattini einen Bericht über die Wirksamkeit der antiterroristischen Maßnahmen und die Achtung der Grundrechte angekündigt hat. Ich glaube, dass das Europäische Parlament sehr an diesem Bericht interessiert ist, und wünsche sehr, dass wir darüber mit Ihnen diskutieren können. Dazu lade ich Sie bereits heute ein.
Giusto Catania (GUE/NGL). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dieses Parlament hat eine vortreffliche Arbeit geleistet, als es den Bericht von Herrn Fava annahm, und genauso glaube ich, dass die parlamentarische Versammlung des Europarats einen wertvollen Beitrag zur Feststellung der Wahrheit geleistet hat, die nunmehr feststeht: Es gab Tausende von Flügen, es gab Dutzende von Entführungen, und die europäischen Regierungen und die Geheimdienste der Europäischen Union waren unmittelbar beteiligt
Uns liegen Zeugenaussagen sowie die Protokolle des nichtständigen Ausschusses des Europäischen Parlaments vor, in denen festgestellt wird, dass die europäischen Regierungen mit der US-Regierung zusammengesessen und dass sie auch über die außerordentlichen Überstellungen gesprochen haben. Das ist eine feststehende, öffentlich anerkannte Tatsache, die meines Erachtens auch von den Kolleginnen und Kollegen eingeräumt werden muss, die gegen diesen Bericht gestimmt haben.
Es gibt nur ein schwarzes Loch in dieser Angelegenheit: das Schweigen des Rates. Und dieses Schweigen des Rates ist angesichts dessen, dass alle ihre Meinung geäußert haben, umso beschämender. Eines ist jedoch absurd: Während sich der Rat in Schweigen hüllt, handeln die Regierungen. Es ist nämlich nicht wahr, dass die Regierungen ahnungslos tun: Die Regierungen versuchen durch ihr Verhalten, die Wahrheitsfindung zu vereiteln. Beispielsweise vermeidet es die italienische Regierung gegenwärtig, um die Auslieferung der in das Strafverfahren verwickelten CIA-Agenten zu ersuchen, und sie hat sich sogar auf das Staatsgeheimnis berufen, wodurch sich die gerichtlichen Maßnahmen im Fall Abu Omar verzögern. Die Regierungen sind mithin aktiv, während der Rat schweigt. Meiner Meinung nach ist das falsch! Die tadellose Arbeit, die dieses Parlament geleistet hat, verdient Respekt, vor allem und insbesondere Respekt des Rates.
Wolfgang Kreissl-Dörfler (PSE). – Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir im Ausschuss haben unsere Arbeit getan. Es ist erwiesen, dass die CIA in Europa Menschen entführt und verschleppt hat. Die Staatsanwaltschaften in Mailand und München haben dies klar festgestellt und bewiesen.
Aber was ist das für eine Politik, wenn sich jetzt die Verantwortlichen in Berlin und Rom weigern, der US-Regierung ein Inhaftnahmeersuchen – der fachliche Begriff – zu übermitteln? Die Kidnapper – und nichts anderes sind die CIA-Agenten, die Khaled al-Masri in Skopje entführt haben – müssen überstellt werden. In einem Rechtsstaat – und das sind wir doch wohl – kann es vor dem Gesetz keine Ausnahmen geben. Und wenn – wie so genannte ranghohe Sicherheitsbeamte in Berlin behaupten – die Beziehungen zur US-Regierung durch die Arbeit der Münchner Staatsanwaltschaft gestört werden, die lediglich ihrer Arbeit, wie sie vorgeschrieben ist, nachgeht, sagt das viel über die Geisteshaltung und die Einstellung dieser Leute zum Rechtsstaat aus.
Ja, der internationale Terrorismus muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Aber bitte mit denen des Rechtsstaates und nicht mit Wildwestmethoden nach dem Herkunftslandprinzip, wie es die CIA hier veranstaltet hat. Es ist ja auch gut und richtig, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel die Chinesen zur Einhaltung der Menschenrechte ermahnt und den Dalai Lama empfängt. Das genügt aber nicht. Auch bei uns zu Hause sind Hausaufgaben zu erledigen. Es darf keinen starken Rechtsstaat à la carte geben, der nur dann stark sein darf, wenn es einem ins System passt.
Und wenn ich die Fragen höre: Was hat denn der Ausschuss gekostet? Was kostet überhaupt Demokratie? – dann kann ich denjenigen nur sagen: Liebe Leute, eine Diktatur ist viel billiger zu haben, aber dann nennt bitte auch den Preis dafür! Den sind wir nicht bereit, zu bezahlen!
Sophia in 't Veld (ALDE). – (NL) Herr Präsident! Ich schließe mich den Worten meiner Vorrednerinnen und Vorredner an. Die Mitgliedstaaten haben sowohl im Rat als auch in der NATO gemeinsam gehandelt, weshalb wir auch wie der Rat gemeinschaftlich Rechenschaft ablegen müssen. Man kann sich nicht hinter dem Argument von Zuständigkeiten und Subsidiarität verstecken. Es geht nicht darum, zwei Mitgliedstaaten zum Sündenbock zu machen. Wiederholt wurde betont, es mangele an schlüssigen rechtsgültigen Beweisen, die aber nicht erforderlich sind, denn erstens gibt es einen Zeugen, Präsident Bush persönlich, der selbst gesagt hat: Ja, es gibt Verschleppungen, ja, es gibt „Black Sites“. Lassen Sie mich noch einen Schritt weiter gehen: Nach unserem Dafürhalten ist das eine fantastische Idee. Außerdem sind die Tatsachen neben allen anderen Fakten, die uns vorliegen, sowohl in Deutschland als auch in Italien gerichtlich bewiesen worden.
Darüber hinaus ist das Europäische Parlament kein Gericht. Da hat Kommissar Frattini Recht. Allerdings haben die Mitgliedstaaten nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine politische und moralische Pflicht, über ihr Handeln nicht nur vor dem Richter, sondern auch gegenüber den Bürgern Rechenschaft abzulegen. Kann der Rat, können die Minister den Bürgern in die Augen schauen und sagen, Menschenrechtsverletzungen würden in Europa weiter unbestraft bleiben? Darum geht es letztlich. Die Anschuldigungen sind äußerst schwerwiegend, und sollten sie nach Verlautbarungen des Rates alle unwahr sein, so muss der Rat sie widerlegen. Wenn jedoch auch nur ein Körnchen Wahrheit darin steckt, reicht der Tatbestand, um Ermittlungen durchzuführen.
Abschließend möchte auch ich mich den Befürwortern von Auslieferungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union anschließen, allerdings nicht nur von Personen, die von den USA verdächtigt werden, sondern auch wenn die EU-Mitgliedstaaten um die Auslieferung von CIA-Agenten ersuchen.
Ryszard Czarnecki (UEN). – (PL) Herr Präsident! Meine Vorrednerin hat Präsident Bush genannt. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Europa mit keinem Wort erwähnt hat und man ihn deshalb nicht zitieren sollte. Ich werde nicht auf den Bericht Fava eingehen, da darüber bereits viele Worte verloren worden sind. Gestatten Sie mir, dafür den Bericht Marty näher zu beleuchten.
Wir könnten heute genauso gut über abstrakte Malerei diskutieren. Ich sage dies, weil es die abstrakte Malerei gibt, obgleich sie manchmal unverständlich ist. Es gibt keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob die Anschuldigungen hinsichtlich der Operationen der CIA und der Anwesenheit von Gefangenen in Polen begründet sind, so wie Indizienbeweise für die Existenz des Yeti im Himalaja und des Ungeheuers von Loch Ness in Schottland keinen Grund für den Glauben an die Existenz der beiden Kreaturen liefern.
Im Bericht des Parlaments wird auf mögliche CIA-Gefängnisse auf US-Militärbasen in Europa eingegangen. Vielleicht sind heute Abend ganze Geschwader von UFOs im Innenhof des Parlaments gelandet. Vielleicht sind sie gelandet bzw. hätten landen können, haben dies aber nicht getan. Natürlich: wenn wir einen Untersuchungsausschuss einsetzen würden, fände dieser bestimmt Gegenbeweise.
Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE). – (ES) Herr Präsident! Wenn ich den Rat und einige unserer Kollegen höre, habe ich den Eindruck, als befänden wir uns noch im Januar 2006, so als wäre seither nichts geschehen. Doch inzwischen hatten wir einen Untersuchungsausschuss, eine Reihe von Berichten, und vor allem hat der US-Präsident eingestanden, dass es diese Praktiken tatsächlich gab.
Was brauchen die Regierungen und der Rat noch, um den europäischen Bürgerinnen und Bürgern eine einleuchtende Antwort zu geben und in dieser Frage ein wenig Prestige und Glaubwürdigkeit zu gewinnen? Es liegt auf der Hand, dass hier eine große Kluft besteht zwischen dem, was praktiziert, und dem, was gepredigt wird.
Dabei ist – und dieser Meinung bin ich auch – die gebührende Konsequenz gefordert, doch es sei gesagt, dass diese Konsequenz mit den Tatsachen und Beweisen beginnt, Tatsachen, die immer wieder nachgewiesen wurden, und hier wollen wir nicht nur wissen, wer verantwortlich ist, sondern wie weit diese Verantwortung reicht.
Deshalb möchte ich Herrn Lobo Antunes ganz direkt fragen: Worauf warten Sie, um die europäischen Regierungen und die US-Regierung aufzufordern, dieser Praxis ein Ende zu setzen, die wir so häufig verurteilt haben? Worauf warten Sie, um das Ansehen und die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, die der Rat und die gesamte Europäische Union Tag für Tag einbüßen?
Jens Holm (GUE/NGL). – (SV) Herr Präsident! Wie wir alle wissen, haben wir in unserem Bericht 1 245 Fälle von illegalen CIA-Flügen, 21 rechtswidrige Entführungen sowie zahlreiche Fälle von Folter und Misshandlungen dokumentiert. Wir haben gefordert, dass Gefangenenlager wie Guantánamo geschlossen werden und die EU Garantien erhält, dass diese Misshandlungen sich nie wiederholen. Was haben wir bekommen? Leider nur sehr wenig. Die USA setzt ihre Misshandlungen im so genannten Krieg gegen den Terrorismus fort. Es war deprimierend, die Antwort des Rates auf unsere wichtigen Forderungen zu hören.
Ich möchte, dass der Europäische Rat erklärt, dass wir Druck auf die USA ausüben werden, damit den Entführungen ein Ende gesetzt wird und alle Gefangenenlager geschlossen werden. Ich möchte, dass die EU – und nicht nur wir im Europäischen Parlament – deutlich macht, dass wir für die Menschenrechte eintreten. Ich möchte, dass die EU erklärt, dass der Kampf gegen den Terrorismus niemals mit ungesetzlichen Mitteln geführt werden darf. Es steht außer Zweifel, dass tagtäglich neu für die Menschenrechte gekämpft werden muss. Lassen Sie uns auch weiterhin darüber wachen und sicherstellen, dass kein einziger unschuldiger Mensch dem so genannten Kampf gegen den Terrorismus zum Opfer fällt.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Vor dem Tag im September 2006, als Präsident Bush die Existenz von geheimen Gefängnissen in Drittstaaten bestätigte, hatte die portugiesische Regierung geglaubt, man könne den von Washington gemachten Zusicherungen, die Souveränität oder Rechtmäßigkeit ihrer europäischen Verbündeten wäre nicht verletzt worden, vertrauen.
Nach diesem Tag, als nachgewiesen worden war, dass verschiedene Überstellungen in Europa stattgefunden hatten, kam es darauf an, zu untersuchen, ob Portugal oder portugiesische Agenten ihre Hände mit im Spiel hatten, insbesondere, um ihre weitere Beteiligung zu verhindern. Zu meinem Bedauern und Beschämen stimmte meine Partei, die an der Regierung befindliche Sozialistische Partei, am 10. Januar 2007 gegen die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Allerdings ist jetzt bewiesen worden, dass über 100 Landungen von Flugzeugen, die für die Überstellungen eingesetzt wurden, auf portugiesischen Flughäfen erfolgten. Die Passagier- und Besatzungslisten der verdächtigsten Flüge, die das SEF (portugiesisches Einwanderungsamt) identifizieren konnte, wurden trotz wiederholter Anfragen weder dem portugiesischen Parlament noch diesem Haus von der Regierung Portugals zur Verfügung gestellt.
Auch gestattete die portugiesische Regierung nicht die Anhörung des Direktors des Geheimdienstes bzw. seiner Vorgänger im Zeitraum vor 2002 durch die Mission des EU-Parlaments, die im Dezember 2006 nach Lissabon gereist war. Die portugiesische Regierung hat weder dem eigenen Parlament noch dem EU-Parlament die mehrfach angeforderte Liste von Zivil- bzw. Militärflügen von und nach Guantánamo zur Verfügung gestellt, die über portugiesisches Staatsgebiet geflogen sind. Bis Dezember 2006 leugnete die Regierung die Existenz solcher Flüge. Aber sie wurden aufgezeichnet, und die erstellte Liste umfasst 94 Überflüge und 17 Landungen, im Besonderen von US-amerikanischen Zivil- und Militärflugzeugen zwischen Januar 2002 und Ende Juni 2006.
Es gibt Beweise dafür, dass bei mehreren dieser Flüge Gefangene vom NATO-Stützpunkt Incirlik in der Türkei auf dem Weg nach Guantánamo an Bord waren, darunter die „Bosnian Six“. Als die Liste in die Hände des Europäischen Parlaments gelangte, stritt die portugiesische Regierung ihre Echtheit nicht länger ab, sondern behauptete stattdessen, das Gefängnis auf Guantánamo sei nicht mit dem Militärstützpunkt Guantánamo identisch und Flüge zu dieser Militärbasis wären etwas „Normales“ und stünden unter dem Schutz der UNO bzw. der NATO. Der NATO-Generalsekretär bestritt dies in einem Schreiben.
Im Januar 2006 erhielt ich Beweismaterial, dass in Ketten gelegte Häftlinge auf dem Militärstützpunkt Lajes auf den Azoren während des Einsteigens in ein amerikanisches Flugzeug gesehen wurden. Diese Beweise wurden auch von Journalisten bestätigt. Entsprechende Berichte sind samt Aufnahmen der Gebäude veröffentlicht worden.
Herr Präsident! Gegenwärtig werden in Portugal gerichtliche Ermittlungen durchgeführt. Bedauerlicherweise wurden diese nicht von der portugiesischen Regierung veranlasst, sondern auf meine Initiative hin. Aber angesichts der vom Parlament aufgedeckten besorgniserregenden Fakten aus der Zeit der Regierung Durão Barroso bis heute muss die Wahrheit ans Licht gebracht werden.
Janusz Onyszkiewicz (ALDE). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte mich in meinem Redebeitrag ebenfalls auf den Bericht von Dick Marty konzentrieren, der in diesem Hause häufig erwähnt worden ist, weil in ihm in hohem Maße objektive Wahrheiten mit subjektiven Bewertungen verwechselt werden.
Ich vertrete eine Oppositionspartei der gegenwärtigen und der letzten Regierung. Anhänger meiner Partei haben weder für den aktuellen Präsidenten noch seinen Vorgänger gestimmt. Unsere Partei ist eine vehemente Verfechterin der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Für uns wäre es außerordentlich hilfreich, Munition dieser Art zur Verfügung zu haben, da wir bemüht sind, unsere politischen Gegner in Polen zu schlagen. Leider steht uns solch hochkalibriges Material nicht zur Verfügung, weil es schlicht und einfach nicht existiert. Unter der Schirmherrschaft des polnischen Parlaments hat ein ständiger Ausschuss, in dem auch die Opposition vertreten ist, eine Untersuchung durchgeführt. Er hat nichts gefunden. So wie auch die Anfrage des Bürgerbeauftragten nichts brachte. Deshalb dürfen subjektive Einschätzungen nicht mit Tatsachen verwechselt werden, denn Letztere existieren nicht.
Giulietto Chiesa (PSE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele Monate sind vergangen, seit unser Parlament in gut dokumentierter Form die schwerwiegenden, von verschiedenen europäischen Regierungen begangenen oder im heimlichen Einverständnis mit den Geheimdiensten der USA geduldeten Ungesetzlichkeiten angeprangert hat. Damals stellten wir fest, dass gerade diese Regierungen wenig oder gar nicht mit unserem parlamentarischen Ausschuss zusammenarbeiteten, um nach der Wahrheit und den Verantwortlichkeiten zu suchen.
In Anbetracht der Erklärungen der Kommission und des Rates können wir sagen, dass sich seit damals im Grunde genommen wenig bewegt hat. Mit Ausnahme der lobenswerten Schreiben, die Kommissar Frattini erwähnte, wurde wenig oder gar nichts getan, um die Mitgliedstaaten zu verpflichten, angemessene Informationen über die Tätigkeit der jeweiligen Geheimdienste bereitzustellen. Es wurde überhaupt nichts getan, um die Rolle und die Unabhängigkeit der Geheimdienste der verschiedenen Länder im Hinblick auf die offenkundige Vorherrschaft und Dominanz der amerikanischen Geheimdienste neu zu definieren.
Angesichts der Fakten, die beispielsweise zu Italien, Polen, Großbritannien und Deutschland ans Licht kamen, kann man nur von Unterordnung lebenswichtiger Nervenzentren der europäischen Sicherheit unter die Vereinigten Staaten sprechen. Nicht einmal dann, wenn unser Hauptverbündeter die europäischen Rechtsvorschriften und Prinzipien achten würde, könnten wir eine Beeinträchtigung unserer europäischen Souveränität hinnehmen!
Doch sie wird völlig unannehmbar, nachdem wir entdeckt haben, dass unser wichtigster Verbündeter uns gegenüber in kaiserlicher Manier auftritt und unsere Gesetze in unserem Territorium ignoriert oder verletzt. Daher bekunde ich meine Unzufriedenheit mit den Erklärungen des Rates und der Kommission. Ich denke, dass das Parlament seine gute Arbeit fortsetzen muss.
Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident! Mit Scheuklappen vor den Augen, wenn es um Folter und Menschenrechtsverletzungen durch einen Staat geht, besiegt man nicht den Terrorismus. So vertieft man ein Gefühl des Grolls und wirbt neue Rekruten für terroristische Aktivitäten an. Das ist die bittere Lehre aus dreißig Jahren Zwietracht in Nordirland. Die Augen zu verschließen vor Menschenrechtsverletzungen und Folter ist für einen demokratischen Staat keine Option. Im Gegenteil, im Wirken für die Beendigung des Terrors ist es von höchster Wichtigkeit, dass wir in unserem Engagement für die Gerechtigkeit Stärke beweisen.
Das Ausbleiben einer Reaktion der Mitgliedstaaten auf die Empfehlungen dieses Parlaments ist ziemlich ärgerlich. Ebenso traurig ist es – so muss ich sagen – zu sehen, wie einige Vertreter der Rechten in diesem Haus weiterhin den Kopf in den Sand stecken und das Offensichtliche leugnen. Die USA haben illegale Verhaftungen, die Verbringung und Folter von Verdächtigen eingestanden, und das mag tatsächlich auch heute noch so sein. Wir wissen es nicht.
Einige EU-Mitgliedstaaten haben diesem Verstoß gegen die Menschenrechte Vorschub geleistet. Ich bedaure, sagen zu müssen, dass Irland die Landung von 147 von der CIA betriebenen Flugzeugen auf seinem Staatsgebiet ermöglicht hat. Von einigen wissen wir, dass sie mit der Auslieferung von Gefangenen zu tun hatten. Es hat in Irland keine parlamentarische Untersuchung stattgefunden; es gab keine parlamentarische Prüfung der Sicherheitsdienste in Irland, und es gab keine Inspektion von CIA-Flugzeugen. Die irische Menschenrechtskommission hat angekündigt, sie werde ihre Kontakte zur irischen Regierung in dieser Frage überprüfen, und sie wird vor Ablauf des Jahres Vorschläge vorlegen, wie sie vorzugehen gedenkt.
Lassen Sie mich abschließend Herrn Blokland antworten, der die Kosten der Untersuchung in diesem Parlament wissen wollte. Das ist eine legitime Anfrage, aber ich möchte ihn fragen, welchen Preis er für Menschenrechte veranschlagt. Welchen Preis veranschlagt er für die Verhinderung von Folter? Wir haben das ausgegeben, was nötig ist, um die Geschehnisse aufzudecken und Maßnahmen zu ergreifen, um ihnen Einhalt zu gebieten.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Ich werde mich möglichst kurz fassen, aber im Rahmen dieser Aussprache ist viel gesagt worden und kamen verschiedene Fragen aufs Tapet. Wie Sie sicher verstehen, Herr Präsident, bedürfen einige Fragen meiner vollen Aufmerksamkeit und einer Antwort. Natürlich haben die Abgeordneten im Laufe der Debatte eine Bandbreite an Perspektiven zum Ausdruck gebracht, die nicht alle homogen sind. Selbstverständlich respektiere ich sie alle, obgleich ich nicht alle teile. Insbesondere kann ich dem Redebeitrag einer Abgeordneten aus meinem Heimatland nicht zustimmen, die in ihrer Rede ausschließlich auf die Situation in Portugal eingegangen ist. Verständlicherweise kann ich mich ihren Ausführungen in keiner Weise anschließen. Trotz dieser Meinungsverschiedenheiten bin ich der Überzeugung, dass wir uns alle in einem grundlegenden Punkt einig sind: Wir alle engagieren uns für die Bekämpfung des Terrorismus im Namen der Freiheit, und dieser Kampf kann nur in Freiheit gewonnen werden.
Wie ich zu Beginn meiner Rede betont habe, kann der internationale Terror nur durch gemeinsame Anstrengungen und die Achtung der gemeinsamen Wertvorstellungen und Grundsätze der EU und der Vereinigten Staaten wirkungsvoll bekämpft werden.
Zugegebenermaßen wurde der Rat zum Handeln gedrängt, aber wie gesagt – und auch frühere Vorsitze haben darauf hingewiesen – verfügt der Rat an sich in diesem Bereich über keine Zuständigkeit. Das mag bedauernswert erscheinen, aber so ist es nun einmal. Artikel 6 und 7 der Verträge wurden heute angesprochen. Wie Sie wissen, werden in den genannten Artikeln Prinzipien und Werte festgeschrieben, aber Zuständigkeiten werden darin nicht zugewiesen. In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung können die Institutionen nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig werden, die ihnen in den Verträgen wirksam, klar und ausdrücklich zugewiesen werden. So funktionieren die Institutionen der Union. Die Kommission hat heute jedoch eine Reihe von Vorschlägen und Initiativen vorgestellt, die teilweise schon umgesetzt worden sind bzw. künftig umgesetzt werden. Fraglos verdienen sie die ganze Aufmerksamkeit und Anstrengungen des Rates. Und natürlich begrüßt der Rat die Vorschläge der Kommission.
Des Weiteren möchte ich darauf verweisen, dass die Mitgliedstaaten zahlreiche Initiativen ergriffen haben, vor allem auf parlamentarischer Ebene. Sie beinhalten Untersuchungen, die in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des EU-Berichts durchgeführt werden. In dieser Hinsicht und mit besonderem Bezug auf die Geschehnisse in Portugal vertrete ich am heutigen Tag die portugiesische Regierung, die aus der Sozialistischen Partei gebildet wurde, einer Partei, die sich in Portugal durch den Kampf für Demokratie und Freiheit einen Namen machte und Vorbildwirkung entfaltete. Es steht außer Frage, dass weder die Regierung noch die Sozialistische Partei Menschenrechtsverletzungen zugestimmt haben, zustimmen oder zustimmen werden. Wie ich bereits sagte, begrüßen wir Bemühungen und Initiativen, um Licht in das Dunkel zu bringen. Aus diesem Grund muss man rigoros vorgehen. Ziel einer gründlichen Analyse ist es, Verwirrung zu vermeiden und nicht einfach Vermutungen als Tatsachen hinzustellen.
Was die bereits angesprochenen transatlantischen Beziehungen betrifft, betont der Rat zum wiederholten Male, dass generell im Kampf gegen den Terror allgemeine interne Sicherheitsmaßnahmen, die nicht auf einen Mitgliedstaat beschränkt sind, nur im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit den USA umgesetzt werden können. Eine solche Kooperation muss natürlich entwickelt werden, wie aus der Erklärung auf dem letzten transatlantischen Gipfel hervorgeht, der während der deutschen Präsidentschaft stattgefunden hat.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich denke, wohl niemand in diesem Hohen Hause zweifelt daran, dass diese Handlungen ungesetzlich sind. Der Zusatznutzen, den ich in dem Bericht von Herrn Fava sehe, besteht offenkundig darin, alle miteinander, alle drei Organe, zu verpflichten, dafür Sorge zu tragen, dass sich derartige Vorfälle nie mehr wiederholen. Das ist eine eindringliche Aufforderung, die ich den Schlussfolgerungen des Berichts Fava entnehme, und das ist der politische Gesichtspunkt, den ich als hervorhebenswert empfinde.
Daraus ergeben sich meines Erachtens zwei Aspekte. Der eine betrifft die Strategie, was so viel bedeutet wie den Blick in die Zukunft zu richten und dafür zu sorgen, dass derartige Vorfälle nie wieder auf europäischem Boden geschehen, und dann unseren Richtern zu vertrauen, damit sie das Vergangene untersuchen. Wie schon gesagt worden ist, denkt niemand, wir könnten unsere Richter ersetzen, die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ermitteln müssen, unter Hinzuziehung aller Beweise und unter Wahrung der Unschuldsvermutung, an die soeben auch Herr Fava erinnert hat. Vergangenheit und Zukunft: das sind die beiden Ebenen, die unsere Aufmerksamkeit erfordern.
Europa und die USA, meine Damen und Herren, sind beide unleugbar einer Tradition und einer Verfassungsgeschichte verpflichtet, die in der Gewährleistung der Grundrechte besteht. Deshalb denke ich, dass die Folterpraktiken, die rechtswidrigen Verhaftungen, die Entführungen von Personen, und seien sie auch des Terrorismus verdächtig, gegen unsere gemeinsame transatlantische Geschichte der Demokratie und der Rechte verstoßen. Daraus kann ich nur die politische Schlussfolgerung ziehen, dass wir Mittel und Wege brauchen, um unsere euro-atlantischen Verbindungen im Interesse von mehr Sicherheit und zugleich auch mehr Rechten zu verstärken.
Es wäre völlig falsch, mit dem Finger auf die USA zu zeigen, wo wir doch stattdessen Methoden finden müssen, um gemeinsam einen auf der Achtung der Rechtstaatlichkeit und der Grundrechte basierenden Kampf gegen den Terrorismus zu führen. Das ist die Lehre, die ich persönlich aus vielen dieser Empfehlungen ziehe.
Dann wäre da noch die Frage, wie wir unsere Hoheitsrechte stärken können. Das ist ein ernstes Thema. Wie kann Europa seinen Souveränitätsbereich ausbauen, um ein stärkerer, kein schwächerer, Verbündeter in der euro-atlantischen Zusammenarbeit zu werden? Ein erstes Beispiel ist der Hinweis, den ich auf den einheitlichen europäischen Luftraum gegeben habe. Wenn es ab Januar 2009 eine für 27 Mitgliedstaaten geltende gemeinsame Regelung für die Überflugsrechte, die Definition von Luftfahrzeugen und die diesen einheitlichen europäischen Luftraum betreffenden Kontrollbefugnisse geben wird, dann wird Europa seine Hoheitsrechte gestärkt haben. Und zu diesem Zeitpunkt wird die Kommission zweifellos eine Koordinierungs- und Überwachungsbefugnis innehaben, denn dann gelten keine nationalen Regeln mehr, sondern eine europäische Regelung.
Und schließlich, Herr Präsident, liefert uns diese Debatte einen Grund mehr, um die Charta der Grundrechte in den zukünftigen Verfassungsvertrag oder meinetwegen auch Institutionenvertrag aufzunehmen. Sie liefert uns einen Grund mehr, weil diese Einbindung, dieser institutionelle Bezug auf die Grundrechtecharta, den Organen der Union Befugnisse – einschließlich der Überwachungsbefugnis und der Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs – in Bereichen übertragen wird, die absolut entscheidend für unser aller Alltagsleben sind.
Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.
Claudio Fava (PSE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte wissen, ob es möglich ist, den Protokollen unserer Aussprache auch die Artikel 6 und 7 des Vertrags als Anhang beizufügen. Wir haben soeben vom Rat gehört, in Artikel 6 und 7 würden lediglich Grundsätze verkündet. Wie Sie wissen, werden in Artikel 6 die Grundsätze aufgeführt, während in Artikel 7 die Maßnahmen zum Schutz dieser Grundsätze genannt werden. Mir erscheint es zweckmäßig, dies dem Rat und auch den Mitgliedern des Parlaments in Erinnerung zu rufen.
Der Präsident. − Vielen Dank! Wir werden prüfen, ob das verfahrensmäßig so möglich ist.
11. ESVP-Operationen im Osten des Tschad und im Norden der Zentralafrikanischen Republik (Aussprache)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission über die Operationen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Osten des Tschad und im Norden der Zentralafrikanischen Republik.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Vielen Dank, Herr Präsident! Der portugiesische Vorsitz weiß die Möglichkeit zum Gedankenaustausch über die mögliche Durchführung einer Operation im östlichen Tschad sowie im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik im Rahmen der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu schätzen. Der Konflikt in Darfur bleibt weiterhin ein Schwerpunkt der europäischen Außenpolitik. Die gegenwärtigen Fortschritte sind erfreulich, insbesondere und allen voran die Ankündigung, dass am 27. Oktober Gespräche unter der Schirmherrschaft der UNO und des Sondergesandten der Afrikanischen Union aufgenommen werden, um eine friedliche Lösung für den Konflikt zu finden, die die Aussichten auf Frieden in Darfur vergrößern. Zweitens erachten wir die einstimmige Annahme der UNO-Resolution 1769 durch den Sicherheitsrat zur Einrichtung von UNAMID (African Union/United Nations Hybrid Operation in Darfur), die neue Dynamik in die Bemühungen um eine Beendigung der Auseinandersetzungen in Darfur bringen wird, als hoffnungsvolle Entwicklung.
Damit diese Anstrengungen jedoch Früchte tragen, muss der Darfur-Konflikt in einem weiter gefassten regionalen Rahmen beigelegt werden. Die negativen Auswirkungen der Streitigkeiten auf die humanitäre Situation und Sicherheitslage in den Nachbarländern, insbesondere im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, sind Anlass zu großer Sorge. Nach unserem Dafürhalten kann es keine dauerhafte Lösung für den Konflikt in Darfur ohne Stabilisierung der Lage in den genannten Nachbarstaaten geben.
Bekanntlich hat der Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 23. Juli die dringende Notwendigkeit hervorgehoben, die destabilisierende Wirkung der Darfur-Krise auf die humanitäre und sicherheitstechnische Lage in den Nachbarstaaten anzusprechen und brachte erneut seine Unterstützung für die Entsendung einer multidimensionalen UNO-Präsenz in den Osten des Tschads sowie in den Nordosten der Zentralafrikanischen Republik zum Ausdruck.
Der Rat hat zudem entschieden, sich weiter um eine positive Entscheidung für eine Überbrückungsoperation im Rahmen der ESVP zu bemühen, um die multidimensionale UNO-Präsenz mit dem Ziel der Erhöhung der Sicherheit in diesen Bereichen zu fördern.
Vorbereitungen für eine solche Operation sind den ganzen Sommer über gelaufen. Am 12. September hat der Rat das Krisenmanagementkonzept gebilligt, das die wesentlichen Planungsparameter der Überbrückungsoperation festschreibt. Ein besonderer Schwerpunkt besteht in dem Ziel, gefährdete Zivilisten zu schützen, vor allem Flüchtlinge und Vertriebene, und die Bereitstellung humanitärer Hilfe durch Erhöhung der Sicherheit in der Region zu ermöglichen.
Was die innenpolitische Situation in diesen beiden Ländern betrifft, vertritt der Rat die Ansicht, die Mission sollte ihre Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Neutralität wahren. Auf diesen Ansatz gestützte Planungen entsprechen den Krisenmanagementverfahren der EU. Weitere, in der Folge zu ergreifende Maßnahmen beinhalten die Billigung einer gemeinsamen Aktion auf der Grundlage des Operationsansatzes sowie des Operationsplans, einschließlich der Festlegung der Zusammensetzung der Truppe. Die Operation soll ein Jahr dauern, und es wird davon ausgegangen, dass sie durch eine multinationale UN-Mission abgelöst wird. Jeder ESVP-Einsatz im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik muss sich auf eine UNO-Resolution stützen und wird in enger Zusammenarbeit mit der UNO und unseren afrikanischen Partnern durchgeführt.
Als EU begrüßen wir die Erklärung des Vorsitzenden des UNO-Sicherheitsrates vom 27. August, in der er die Bereitschaft des Sicherheitsrates herausstellte, die Einrichtung einer multidimensionalen Präsenz im östlichen Tschad und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik zu bewilligen. Jeder EU-Einsatz im Tschad oder in der Zentralafrikanischen Republik muss von politischen Initiativen begleitet werden, um eine Lösung für die regionale Dimension des Konflikts in Darfur zu finden. Vor allem sollten jegliche Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Tschad und dem Sudan in Übereinstimmung mit den Abkommen von Tripolis und Rijad gefördert werden. Der Sudan, der Tschad und die Zentralafrikanische Republik sollten zudem angehalten werden, ihre Verpflichtungen einzuhalten, die Rebellenbewegungen nicht zu unterstützen, die von ihren jeweiligen Hoheitsgebieten aus gegen die anderen Länder operieren.
VORSITZ: MARTINE ROURE Vizepräsidentin
Louis Michel, Mitglied der Kommission. – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten! Mit der gestrigen Verabschiedung der Resolution 1778/2007 über die Stationierung einer internationalen Truppe im Osten des Tschad und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist nunmehr der Weg frei, damit der Rat der Europäischen Union in den nächsten Tagen eine ESVP-Operation in diesen Ländern beschließen kann. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung, die man meiner Meinung nach begrüßen muss. Die von der Operation betroffenen Regionen sind durch allgemeine Instabilität und Unsicherheit gekennzeichnet, die Hunderttausende Zivilpersonen betreffen, welche gezwungen sind, unter äußerst kritischen Bedingungen zu leben. Wie Sie wissen, lässt sich diese Situation nicht nur durch das Heineinwirken der Darfur-Krise in den Tschad und die Zentralafrikanische Republik erklären. Es gibt auch eigene, diesen beiden Ländern innewohnende Gründe, besonders im Falle des Tschad.
Die Stabilität dieser Regionen des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik kann nur gewährleistet werden, wenn bei der internationalen Aktion, vor allem der der Europäischen Union, bestimmte Faktoren berücksichtigt werden. Dazu gehören erstens die Qualität der Militär- und Polizeipräsenz im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik, zweitens die Wahl eines Ansatzes, der nicht nur den Sicherheitsaspekt berücksichtigt, sondern auch die Gewährung von Hilfe und die Schaffung politischer Strukturen einschließt, und drittens die Fähigkeit, die Einwirkungen aus dem Sudan und der Region Darfur auf den Tschad und die Zentralafrikanische Republik unter Kontrolle zu bringen und einzudämmen.
Zunächst zum ersten Punkt: Dieser Bereich fällt unter den zweiten Pfeiler. Die Ratsmitglieder haben sich also geäußert und werden sich wahrscheinlich in einigen Tagen noch einmal äußern. Ein wichtiges Element, das es bei der Stationierung dieser europäischen Truppe zu berücksichtigen gilt, ist selbstverständlich die Erhaltung des humanitären Raums. Deshalb haben meine Mitarbeiter bei ECHO eng mit den Militärplanern des Rates zusammengearbeitet, um die Respektierung der jeweiligen Mandate und eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Militärs und den humanitären zivilen Helfern zu gewährleisten. Wir haben vor allem verlangt, dass Verbindungsoffiziere der Streitkräfte der Europäischen Union vor Ort präsent sind, um eine Verbindung und einen ständigen Informationsaustausch mit den humanitären Organisationen zu gewährleisten.
Nun zum zweiten Punkt. Die von der Kommission vorgesehenen Hilfsmaßnahmen decken drei Aspekte ab. Erstens einen Sicherheitsaspekt: die Unterstützung der Operation der tschadischen Polizei unter Führung der Vereinten Nationen. Dabei wird es im Wesentlichen darum gehen, die Ausbildung der 800 tschadischen Polizisten zu finanzieren, die in den Flüchtlings- und Vertriebenenlagern für Ordnung sorgen sollen. Es kommt darauf an, dass diese Polizeiaktivität beispielhaft durchgeführt wird. Es ist sehr wichtig, dass sie von der Bevölkerung gut angenommen wird. Hierfür werden bis Ende 2007 Mittel aus dem Stabilitätsinstrument in Höhe von etwa 10 Millionen Euro bereitgestellt werden.
Zweitens ist der humanitäre Aspekt zu nennen. Im Jahr 2007 hat die Kommission 30,5 Millionen Euro für die humanitäre Soforthilfe und sektorübergreifende Hilfsprogramme sowohl zugunsten der vertriebenen Flüchtlinge als auch für die Aufnahmegemeinden im Tschad bereitgestellt. Zugunsten der Zentralafrikanischen Republik wurden 8 Millionen Euro aufgewandt. Für 2008 sind Beträge in zumindest ähnlicher Höhe vorgesehen.
Der dritte Aspekt betrifft die Wiedereingliederung und den Wiederaufbau. Kurzfristig werden im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik zusätzliche Mittel aus dem 9. Europäischen Entwicklungsfonds in Höhe von etwa 13,1 Millionen Euro bereitgestellt werden. Das Programm dient dem Ziel, die Aktionen von ECHO im Rahmen einer Wiederaufbau- und Weiterentwicklungsstrategie fortzusetzen.
Meine Damen und Herren, diese Hilfsmaßnahmen sind notwendig, sie müssen jedoch mit Maßnahmen bezüglich des politischen Prozesses gekoppelt werden. Um eine dauerhafte Stabilität zu gewährleisten, muss die internationale und europäische Aktion durch verschiedene Aktivitäten im Zusammenhang mit der Wiederherstellung des Rechtsstaates, der Wiederbelebung der wirtschaftlichen Governance, der Reform des Justiz- und Sicherheitsapparate sowie der Fortsetzung des politischen Dialogs zwischen Regierung und Oppositionsparteien ergänzt werden. Das ist natürlich ein wichtiges Element, vor allem mit Blick auf die Wahlen im Jahr 2009.
Die Kommission wird diesen globalen Ansatz im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik auch weiterhin vertreten. Darüber hinaus ist die Kommission sehr aktiv, um zur Lösung des Konflikts in Darfur beizutragen, sowohl im Wege der humanitären Hilfe und des Wiederaufbaus als auch durch die Unterstützung des Verhandlungs- und Vermittlungsprozesses, in den wir natürlich stark involviert sind. Diesbezüglich habe ich unlängst den UN-Generalsekretär, Herrn Ban Ki-Moon, und den Präsidenten der Kommission der Afrikanischen Union, Herrn Konaré, darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Kommission zum Darfur Trust Fund beitragen wird, um die Verhandlungen zu unterstützen. Außerdem finanziert die Kommission auch Initiativen, um die Einbeziehung der Zivilgesellschaft Darfurs in den Prozess der Konfliktlösung sowie deren Mitwirkung daran zu ermöglichen.
Karl von Wogau, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die humanitäre Situation im Tschad, vor allem entlang der 1 360 km langen Grenze mit dem Sudan, aber auch im Grenzgebiet zur Zentralafrikanischen Republik macht nach meiner Überzeugung ein Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft notwendig.
Ich selbst war vor wenigen Tagen im Tschad und habe mir dort ein Bild von der Lage gemacht. Über 400 000 Flüchtlinge und Vertriebene hausen in dieser Grenzregion in Flüchtlingscamps. Diese Camps sind der permanenten Bedrohung durch Banditen, marodierende Banden, aber auch durch Dschandschawid-Milizen aus dem Sudan ausgesetzt. Noch schwieriger ist die Situation im flachen Land. Die dort fehlende Sicherheit führt dazu, dass immer mehr Menschen Zuflucht in den Flüchtlingslagern suchen.
Um den Not leidenden Menschen dort zu helfen, muss die Sicherheitslage in der Region verbessert werden, so dass sie in ihre Heimatorte zurückkehren können. Dies ist eine schwierige Herausforderung. Zu ihrer Bewältigung ist eine Arbeitsteilung notwendig. Die Vereinten Nationen haben dabei die Aufgabe übernommen, zum Aufbau von Polizeikräften beizutragen, die dann auch als Ansprechpartner der Sicherheitskräfte dienen können. Die Europäische Union dagegen wurde darum gebeten, Truppen zur Verfügung zu stellen, die in der Lage sein sollen, die Dschandschawid und die Banditen abzuschrecken und Übergriffe auf die Flüchtlinge, die Vertriebenen und die Zivilbevölkerung zu verhindern.
Mit dem vorliegenden Entwurf einer Entschließung stimmt das Europäische Parlament einem solchen Einsatz zu, allerdings unter folgenden Bedingungen: Zum Ersten – Sie haben darauf hingewiesen, Herr Präsident, Herr Kommissar: Die politischen Verhandlungen müssen weitergeführt werden, denn letztendlich brauchen wir eine politische Lösung. Wenn wir aber Truppen dorthin senden, brauchen diese ein robustes Mandat, das auch tatsächlich eine Abschreckung der Dschandschawid und der Banditen ermöglicht.
Es gilt, ein sehr großes Gebiet zu sichern. Die Truppe muss daher auch groß genug sein, um tatsächlich eine Verbesserung der Sicherheitslage erreichen zu können. Es muss dabei sichtbar werden, dass es sich um einen europäischen Verband handelt, an dem mehrere europäische Nationen beteiligt sind. Die EUFOR-Truppe muss zudem eine adäquate Ausrüstung haben, die ihr die Erfüllung ihres Auftrags ermöglicht. Im Hinblick auf die relativ geringe Truppenstärke und die Größe des Grenzgebietes erfordert dies vor allem hervorragende Fähigkeiten bei Aufklärung und Transport, denn die Truppe muss in der Lage sein, rasch zu erkennen, wo Gefahr droht, und muss diesen Ort dann auch schnell erreichen können.
Es darf auf keinen Fall zu einer Situation kommen, in der eine EUFOR-Truppe im Tschad aufgrund ihres Mandates oder aufgrund von Ausrüstungsdefiziten nur dazu in der Lage wäre, sich selbst zu schützen, ohne ihren eigentlichen Auftrag erfüllen zu können. Eine weitere Bedingung des Europäischen Parlaments ist es, dass eine klare Exit-Strategie vorgelegt wird, aus der hervorgeht, wie und durch wen die EUFOR-Truppe nach der vorgesehenen Einsatzdauer von einem Jahr abgelöst wird.
Mit dem vorliegenden Entwurf einer Entschließung betont das Europäische Parlament zudem, dass diese EUFOR-Truppe im Tschad im Hinblick auf die komplexe politische Situation in der Region als neutrale Macht für Sicherheit und für den Schutz der Zivilbevölkerung agieren sollte. Der Einsatz von EUFOR letztes Jahr im Kongo hat deutlich gemacht, wie wichtig eine glaubwürdige Überparteilichkeit und Unabhängigkeit für das Gelingen eines Einsatzes sein kann.
Die Europäische Union kann in der gegenwärtigen Situation durch einen auf ein Jahr begrenzten Einsatz einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die humanitäre Situation in der Region zu verbessern und die Afrikanische Union bei der Übernahme von mehr Verantwortung in der Region zu unterstützen. Beides ist notwendig! Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Entschließungsantrag zuzustimmen.
Ana Maria Gomes, im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) In der gestern angenommenen UNO-Resolution 1778 wird festgelegt, dass die Lage in der Grenzregion zwischen dem Sudan, dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellt.
Mit seinem Entschließungsantrag erkennt das Parlament die Dringlichkeit der Lage sowie die Verantwortung der EU, für Schutz zu sorgen, an. Eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses ist sich mit humanitären Nichtregierungsorganisationen, den Flüchtlingen in der Region, die unter erbärmlichen Bedingungen und in einem Klima ständiger Angst leben, sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen einig: Alle verweisen auf die dringende Notwendigkeit einer internationalen Präsenz in der Region, zu der auch ein starkes militärisches Element gehört. Es gibt kein Land bzw. keine multilaterale Organisation, die besser geeignet wäre als die Europäische Union, um das durch die UNO-Resolution 1778 erteilte Mandat zu erfüllen. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ihren Kinderschuhen entwachsen und existiert für Krisen dieser Art.
Im Kontext der Entsendung einer EU-Militärtruppe in die Region können der Rat und der portugiesische Vorsitz auf die grundsätzliche Unterstützung des Parlaments zählen. Allerdings sieht sich das EU-Parlament genötigt, seine Besorgnis über einige Aspekte der Mission zu äußern. Erstens fürchten wir, dass die Zurückhaltung der Mitgliedstaaten bei der Ausrüstung der Truppe mit dem nötigen Personal und militärischen Gerät ihre Schlagkraft nachhaltig senkt. Darüber hinaus wird der französische Anteil der Truppe spürbar größer, je geringer der Beitrag der anderen Mitgliedstaaten ausfällt. Die Unparteilichkeit der Mission ist unerlässlich für ihren Erfolg, und Frankreich gilt in der Region nicht als neutraler Akteur.
Zweites fordert das Parlament neben der Militärtruppe eine diplomatische Offensive in der Region, um den Prozess der nationalen Aussöhnung zwischen dem Tschad und der Zentralafrikanischen Republik voranzutreiben. Die Ursachen der Instabilität sind trotz des Zusammenhangs mit dem Drama in Darfur hausgemacht und können nur durch innenpolitische Prozesse überwunden werden. Wie im Entschließungsantrag des Parlaments dargelegt, kann die für 12 Monate geplante EU-Operation ohne echte politische Versöhnung in der Region nicht nachhaltig zum Frieden in der Region beitragen.
Abschließend begrüßt das Parlament das Mandat der Truppe nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen. Dieses Mandat muss vor Ort unbedingt richtig ausgelegt werden. Weiterhin müssen die EU-Truppen schon im Vorfeld für den Schutz von gefährdeten Zivilisten sorgen, einen humanitären Bereich für die internationalen Organisationen schaffen und die UNO-Mission in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad (MINURCAT) schützen. Die jüngste Geschichte kennt viele tragische Beispiele – von Kigali bis Srebrenica –, in denen die schutzlose Zivilbevölkerung letztendlich den Preis für den Kleinmut und die übermäßigen Bedenken der internationalen Truppen bezahlt hat.
Hoffentlich wird diese Operation eines Tages als Vorzeigebeispiel der ESVP und eines wirksamen gelebten Multilateralismus dienen sowie ein überzeugender Beleg für das Bestreben der EU sein, die Vereinten Nationen zu stärken und einen Beitrag zur Konfliktlösung im Einklang mit dem Völkerrecht und der darin festgeschriebenen Verantwortung zu leisten.
Annemie Neyts-Uyttebroeck , im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin! Herr Kommissar! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie bereits wiederholt gesagt wurde, hat der UN-Sicherheitsrat gestern die Errichtung einer multidimensionalen Präsenz im östlichen Tschad und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik für einen Zeitraum von einem Jahr einstimmig gebilligt. Sie soll aus einer zivilen und polizeilichen UN-Mission mit der Bezeichnung MINURCAT in Anlehnung an die UN und der militärischen Mission der Europäischen Union, EUFOR, die sie unterstützen und schützen wird, bestehen.
Diese europäische Sicherheits- und Verteidigungsmission operiert im Einklang mit Kapitel VII der UN-Charta, was äußerst wichtig ist, denn dies bedeutet, die Mission kann zur Erfüllung ihres Auftrags alle erdenklichen Mittel einsetzen, und es bedeutet, dass sie über ein robustes Mandat verfügt, wie vom Parlament ausdrücklich erwünscht. Damit erhöhen sich die Erfolgschancen der Mission, aber gleichzeitig steigt damit auch ihre und unsere Verantwortung beträchtlich.
Wiederholt haben wir in diesem Hause unsere Besorgnis angesichts der Lage in Darfur geäußert und unsere Beunruhigung angesichts der mangelnden Sicherheit und Instabilität in angrenzenden Gebieten und der gesamten Region zum Ausdruck gebracht. Mehr als eine Million Menschen mussten in ihrem Land oder über die Grenzen flüchten. Sie sind verschiedensten Entbehrungen und Gewalttaten ausgeliefert, denen in der Regel vor allem Frauen und Kinder zum Opfer fallen. Darüber hinaus bedroht die Situation die fragilen Friedensabkommen, die sowohl im Tschad als auch in der Zentralafrikanischen Republik geschlossen wurden, denn neben politischen Rebellen sehen auch einfache Banditen ihre Chance gekommen, andere Menschen zu bestehlen, zu misshandeln und zu ermorden.
Der Auftrag von EUFOR ist daher keineswegs einfach. Bevor wir jedoch darüber reden, müssen wir uns bemühen, die Truppen zusammenzustellen, wie Frau Gomes andeutete, und neben der Truppenaufstellung auch an deren Ausrüstung denken. Für alle Mitgliedstaaten, darunter auch mein Heimatland, rückt nun die Stunde der Wahrheit näher: die Stunde, in der auf wohlklingende Worte und edle Erklärungen Taten in Form von Soldaten und Material folgen müssen. Das gilt auch für das Parlament. Zu Recht haben wir umfassende Informationen gefordert und unsere Zuständigkeiten genutzt, um auf der Grundlage von Dokumenten und Beweisen beratend tätig zu werden. Dies war möglich, weil wir unter anderem in der vergangenen Woche einen langen Gedankenaustausch mit General Leaky hatten.
Unser Ratschlag ist positiv. Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, darauf zu drängen, dass die Mission schnellstmöglich und unter besten Voraussetzungen starten kann.
Ģirts Valdis Kristovskis, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Frau Präsidentin! Im Namen der UEN-Fraktion möchte ich unsere Unterstützung der ESVP-Militärmission im Rahmen der weltweit größten Mission zur Friedenssicherung im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik hervorheben. Der Konflikt stellt die schwerste grenzüberschreitende humanitäre Krise in der Welt dar. Eigentlich hätte der UNO-Sicherheitsrat schon viel früher etwas unternehmen müssen. Der Verlust von vier Jahren hat das Leben von 200.000 Menschen gekostet. 2,5 Millionen Menschen sind aus ihrer Heimat vertrieben worden, und auf humanitäre Helfer werden brutale Angriffe verübt. Es ist voraussehbar, dass das Ausmaß der durch den Konflikt in Darfur ausgelösten Krise sowohl den politischen Willen als auch die militärische Stärke der Europäischen Union auf den Prüfstand stellt. Vor wenigen Tagen versicherte General D. Leakey den Mitgliedstaaten, die EU sei unabhängig von Finanzierungsproblemen und den Schwierigkeiten, alle möglichen Gefahren und Risiken zu antizipieren, militärisch in der Lage, die Operation nicht schlechter als in Bosnien auszuführen. Außerdem wäre die Operation aus militärischer Perspektive weniger aufwendig.
Angelika Beer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier noch einige Zahlen zu dem, worüber wir reden: 230 000 Flüchtlinge, dazu noch 170 000 intern Vertriebene und geschätzte 700 000 Menschen, die indirekt von Überfällen bedroht sind.
Wir sind dafür, dass wir diese Schutzlücke, dieses Vakuum, schließen. Das muss der Fokus der europäischen Mission sein. Die Voraussetzung eines robusten Mandats ist seit gestern gegeben. Die Frage der Neutralität ist nicht geklärt. Im Moment sieht es so aus, als wenn die bereits stationierten französischen Truppen nur durch wenige Länder aufgestockt werden würden. Damit sind die Neutralität und auch der Erfolg der Mission gefährdet.
Was ich aber am Freitag von den Außenministern, die zu beschließen haben, insbesondere einfordern möchte, ist, dafür zu sorgen, dass der Operationsraum der EUFOR-Mission klar benannt wird. Das ist bis heute nicht der Fall. Es wäre eine Katastrophe, wenn diese Mission nicht dort operieren darf, wo die Hilfe am dringlichsten ist, nämlich in der Grenzregion. Ich erwarte, dass sich die Europäische Union dort mit dem Regime des Tschad auseinandersetzt und auch in Bezug auf die 35-km-Grenze das Recht hat, aktiv zu werden. Sonst ist es eine Feigenblatt-Operation, die möglicherweise auch noch Menschen gefährdet.
Tobias Pflüger, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! Zur Klarstellung: Hier geht es um eine ESVP-Mission im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik nach Kapitel 7 der UN-Charta, d. h. es geht um einen Kampfeinsatz, und nicht um Sudan und Darfur. Die französische Regierung will diese EU-Mission unbedingt. Sie will das Force Headquarters und das Operation Headquarters selber stellen. Die deutsche und die britische Regierung sind sehr skeptisch. Schon heute sind französische Soldaten im Tschad stationiert. Es ist ganz offensichtlich so, dass Frankreich als Schutzmacht für die Regierungen im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik auftritt und jetzt ihr Engagement einfach nur unter EU-Logo bringen will. Die Truppen Frankreichs sind nicht neutral, sondern eindeutig parteiisch. Sie haben z. B. vor Ort Rebellen bombardiert. Die Rebellenführer haben angekündigt, dass sie, wenn die EU-Truppen nicht neutral sind, Krieg mit diesen Truppen führen werden.
Die Nordic Battle Group steht nicht zur Verfügung, wie ich jetzt gehört habe, und in der UN-Resolution wird eine offene Zusammenarbeit mit dem Militär und der Polizei des Tschad formuliert. Es ist offensichtlich so, dass der Tschad und die Zentralafrikanische Republik keine Demokratien sind. Flüchtlingsrückkehr ist nicht das Mandat dieser EU-Truppe, und dieser Einsatz ist – um es hier deutlich zu sagen – sehr gefährlich. Wir als Fraktion werden gegen die vorgelegte Entschließung stimmen, weil wir glauben, dass die Situation mit diesem Einsatz nicht verbessert, sondern verschlimmert wird.
Hubert Pirker (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Zur Aufklärung von Herrn Pflüger und den anderen: Die Aufgabe der EU-Truppe ist eine humanitäre Mission, die darin besteht, für die Sicherheit der Flüchtlinge aus dem Tschad und aus Darfur zu sorgen, und das auch mit militärischen Kräften. Der UNO-Sicherheitsrat hat der Entsendung einer europäischen UN-Truppe zugestimmt, und die Konsequenz daraus ist: Die Europäische Union steht ab sofort unter internationaler Beobachtung, was sie nämlich außenpolitisch und militärisch tatsächlich zu leisten im Stande ist.
Dieser Einsatz bedeutet Risiko und Chance: Risiko wegen der äußerst schwierigen politischen Rahmenbedingungen in dieser konfliktgeladenen Region und auf der anderen Seite die Chance, zu zeigen, dass die Europäische Union außenpolitische und militärische Fähigkeiten entwickelt hat und in dieser Region zum Schutz der Flüchtlinge auch tatsächlich einsetzen kann.
Zurzeit aber – und diese Meinung wird von vielen geteilt – ist das Risiko größer als die Chance. Daher hat das Europäische Parlament einen Katalog von Bedingungen erstellt, die bereits dargestellt worden sind: von der zeitlichen Begrenzung des Mandats über präzise Ziel- und Aufgabendefinitionen bis hin zur perfekten Vorbereitung und technischen Ausrüstung der EUFOR-Truppen und zur Erteilung eines operativen Mandats, inklusive einer Rückzugsstrategie.
Natürlich muss man erwarten, dass dieser Einsatz von den lokalen Regierungen nicht nur gebilligt, sondern auch unterstützt wird, damit er erfolgreich ist. Wenn aber – und hier sind wir uns, glaube ich, einig – alle diese Bedingungen, die das Europäische Parlament gestellt hat, erfüllt sind, ist die Chance auf Erfolg größer als das Risiko, und wir können den Einsatz befürworten.
Michel Rocard (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, Herr amtierender Ratspräsident! Ich freue mich über diesen Entschließungsentwurf und den damit bestätigten Beschluss, und ich möchte sagen: Wenn die menschliche Brutalität soviel Unglück und Leiden verursacht wie in Darfur, ist Solidarität eine Gewissenspflicht. Ich bin sehr froh, dass die Europäische Union auf den Appell des Generalsekretärs der Vereinten Nationen antwortet.
Viele Abgeordnete und Diplomaten haben, wie eben meine Freundin und Kollegin Frau Gomes, die Tatsache unterstrichen, dass diese Operation keinesfalls den Anschein erwecken darf, als Anlass zur Unterstützung der französischen Interessen oder zur Erweiterung der französischen Militärpräsenz in der Region genutzt zu werden. Ich hoffe, dass niemand überrascht ist, wenn auch ich diese Ansicht nachdrücklich vertrete.
Gestatten Sie mir als ehemaligem Premierminister, meine Überzeugung zu äußern, dass Frankreich ausschließlich aufgrund eines schweren geschichtlichen Erbes noch immer in der Region präsent ist, in der die Hinterlassenschaft des Kolonialismus eine Politik der Solidarität mit diesen Völkern notwendig macht, um zu versuchen, sie bei der Suche nach Stabilität und Frieden zu unterstützen, und um einen Anfang einer effizienten Governance zu finden. Frankreich hat keinerlei strategische oder wirtschaftliche Interessen mehr in diesen Regionen, und ich gehöre zu denen, die es vorgezogen hätten, dass es sich längst zurückgezogen hätte, denn dann hätten wir viel einsparen können, und das hätte in unserem eigenen Interesse gelegen. Selbst die Uranvorkommen in Niger wecken keinerlei strategisches Interesse größeren Ausmaßes, sondern erfordern nur genug Frieden, damit sie allgemein zugänglich gemacht werden können und ein wettbewerbsgeprägter Markt geschaffen werden kann.
Es handelt sich also um eine europäische Befriedungsoperation und nicht um eine französische Operation, und das ist gut so. Aber ich möchte warnend sagen: Damit diese Sichtweise wirklich allgemein akzeptiert wird, müsste eine Vielzahl von Mitgliedstaaten der Union Truppen entsenden. Es wäre verhängnisvoll, wenn der Geist der Solidarität, der aus geschichtlichen Gründen in Frankreich ausgeprägter ist als anderswo, weshalb unser Kontingent das größte ist, durch Ihre Abwesenheit in eine postkoloniale Verdächtigung verkehrt würde, die völlig unbegründet ist und die ich zurückweise.
Eine letzte Bemerkung. Der mündliche Änderungsantrag, den unser Kollege Herr Gahler heute Vormittag eingebracht hat, ist diesmal – schade für ihn – hinfällig. Die Republik Tschad hat vor einigen Tagen dem Sicherheitsrat über ihren Außenminister schriftlich ihr grundsätzliches Einverständnis mit dieser Operation mitgeteilt. Ich habe hier eine Fotokopie dieses Schreibens, die ich Herrn Gahler gern zur Verfügung stelle.
Eoin Ryan (UEN). – (EN) Frau Präsidentin! Auch ich unterstütze den Beschluss, EU-Truppen in einer Stärke von 4 000 Mann zur Friedenssicherung in den Tschad zu entsenden. Die Realität sieht so aus, dass im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik eine politische Instabilität von großem Ausmaß herrscht. Wir wissen, dass in der sudanesischen Darfur-Region ein Völkermord stattfindet. Werden keine Friedenskräfte in den Tschad entsandt, laufen wir Gefahr, dass in dieser afrikanischen Region die Instabilität und die Gewalt noch zunehmen.
Im Tschad befinden sich schätzungsweise 400 000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik und aus Darfur in Flüchtlingslagern, aber zur Bewachung dieser Lager sind lediglich 250 Angehörige der Armee des Tschad abgestellt. Die Flüchtlingslager im Tschad sehen sich einer riesigen humanitären Krise gegenüber, und die internationale Gemeinschaft, darunter die Europäische Union, muss der Regierung des Tschad helfen, mit diesem eskalierenden, sich ausweitenden Problem zurechtzukommen. Die Berichte von Menschen, die in der letzten Zeit dieses Gebiet bereist haben, sind wirklich erschütternd, und wir müssen, wie gesagt, alles in unserer Macht Stehende tun, um das zurzeit dort herrschende menschliche Elend zu lindern.
Ich bin sehr für den Beschluss, im Sudan 26 000 UN-Friedenssoldaten einzusetzen. Die Europäische Union muss sich an dieser friedenserhaltenden Truppe an vorderster Front beteiligen. Ich begrüße auch die heutige Entscheidung meiner eigenen Regierung, eine unverzügliche detaillierte Bewertung der möglichen künftigen Rolle irischer Friedenssoldaten bei UN- und EU-Missionen im Sudan, in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad vorzunehmen.
Michael Gahler (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Die Situation im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik ist schwierig für die betroffenen Menschen, und ich unterstütze daher im Prinzip ein Engagement der EU zur Stabilisierung der Lage und zur Verbesserung der konkreten Lebensumstände der Betroffenen.
In seiner Stellungnahme vom 27. August hat der Präsident des Weltsicherheitsrates die Absichten der internationalen Gemeinschaft beschrieben, nämlich eine EU-Operation für zwölf Monate zu entsenden mit dem Ziel, die Zeit für eine UN-geführte Mission zu überbrücken. Deswegen gibt es seitens der EU auch eine klare Begrenzung des Einsatzes auf ein Jahr. Ich bin überzeugt, dass wir hierfür ein robustes Mandat brauchen, das heißt, uns nicht auf reine Selbstverteidigung zu begrenzen, sondern unsere Ziele, wenn erforderlich, auch gegenüber denjenigen durchzusetzen, die uns daran hindern wollen.
Der Text der gestrigen Resolution des Weltsicherheitsrates geht in diese Richtung: „Die Präsenz hat zum Ziel, zu einer Sicherheitslage beizutragen, die die freiwillige, sichere und dauerhafte Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen ermöglicht.“ Wir sind autorisiert, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.
Ich fordere den Rat auf, dafür zu sorgen, dass es sich bei diesen Truppen nicht nur um eine kosmetisch angereicherte französische Truppe handelt. Auch bei der Nationalität des Kommandeurs sollten die Befindlichkeiten vor Ort respektiert werden. Leider ist Frankreich in den Konflikten im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik bisher nicht neutral gewesen, sondern hat traditionell die Regierungsseite unterstützt. Die Kommando- und Einsatzsprache vor Ort sollte daher Englisch sein, dann verstehen die Menschen zumindest, dass es sich bei den Europäern offenbar um andere als die sonst üblichen handelt.
Wo ich gerade bei englischen Angelegenheiten bin: Dass Großbritannien verhindert hat, dass die EU-Kommandozentrale in Brüssel die Operation leitet, halte ich für äußerst kritikwürdig. Selbst nicht mitmachen, aber anderen die Nutzung der gemeinsamen Strukturen verweigern, das dürfen wir den Aussteigern künftig nicht mehr gestatten!
Was die Realisierbarkeit der Ziele betrifft, bleiben für mich Zweifel. Haben wir uns konkrete Zielvorgaben gesetzt? Wie viele der Binnenvertriebenen sollen am Ende des Jahres wieder zu Hause sein? Wie viele Darfur-Flüchtlinge wieder in Darfur? Es wäre zu wenig, nach einem Jahr den Staffelstab weiterzugeben und immer noch die gleiche Anzahl von Menschen in den Lagern zu haben.
Die Kosten sind ja auch beträchtlich – wie ich höre, allein 100 Millionen Euro für den Bau einer geeigneten Start- und Landebahn und für das Hauptquartier. Dazu kommen die laufenden Kosten für die Truppen. Kann der Rat Konkretes zum gesamten Finanzrahmen sagen?
Ein letzter, aber für mich entscheidender Punkt: Wir müssen vor der Dislozierung der Truppen von der Regierung des Tschad eine explizite Zusicherung haben, dass sie anschließend der Stationierung einer UN-geführten Truppe zustimmt – in welcher Zusammensetzung auch immer. Ich habe gehört, was der Kollege gesagt hat. Ich möchte das schriftlich in Form eines offiziellen Dokuments der Regierung des Tschad und nicht mündlich von dem Minister im Weltsicherheitsrat. Wenn ich diese Zusicherung habe, kann ich der Sache auch zustimmen. Andererseits stünden wir wirklich vor der Alternative, nach einem Jahr entweder zu verlängern oder abzuziehen und ein militärisches Vakuum zu hinterlassen, das binnen Kurzem zu einer identischen Situation wie im Augenblick führt. Dann hätten wir im wahrsten Sinne des Wortes Hunderte Millionen in den Sand gesetzt.
Alain Hutchinson (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident! Ich freue mich, dass wir heute eine Entschließung über ein Thema beraten und verabschieden können, das meiner Meinung nach nicht genug Aufmerksamkeit findet, denn wir müssen in diesem Hause immer wieder daran erinnern, dass die Situation, die die Bevölkerung in den Grenzregionen von Sudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik erleben, schlicht und einfach nicht hinnehmbar ist.
Was mich betrifft, so vergesse ich nicht und habe auch nicht die Absicht zu verschweigen, dass es sich dabei um eine der zahlreichen Konsequenzen des Völkermordes in Darfur handelt, der immer wieder verschleiert wurde. Die Darfur-Krise hat seit 2003 zweieinhalb Millionen Flüchtlinge, davon 125 000 im Tschad, und mehrere hunderttausend Tote verursacht.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt mussten im Übrigen die humanitären Teams der Vereinten Nationen und der NRO 31 Mal die Standorte ihrer Lager wechseln, um den Gewalttaten zu entgehen, was nicht verhindert hat, dass mehrere ihrer Mitarbeiter durch die sudanesische Polizei verhaftet wurden, dass zwölf humanitäre Mitarbeiter umgebracht wurden und fünf andere verschwunden sind.
Die Entschließung, die wir heute vorlegen, dient eindeutig dem Ziel, wirksam zu einer Bereinigung der Situation in den Grenzgebieten beizutragen. Diese Situation ist nicht hinnehmbar, ihr Ausmaß ist relativ, gemessen an dem der Katastrophe, die sich derzeit in dieser Region der Welt abspielt.
Diesbezüglich möchte ich daran erinnern, dass sich unsere Verantwortung nicht darauf beschränken kann, punktuelle und eng begrenzte, der Dringlichkeit der Konfliktsituationen geschuldete Interventionen zu unterstützen oder durchzuführen. Diese Verantwortung erfordert ein Handeln in dem breiteren Zusammenhang, in den diese Konflikte einzuordnen sind. Sie macht es auch erforderlich, bereits im Vorfeld tätig zu werden, mit anderen Worten alles zu tun, damit es gar nicht erst zu derartigen Konflikten kommt.
Mein zweiter Punkt betrifft die Situation der humanitären Organisationen in der Region. Das Vorgehen der bewaffneten Kräfte sowie die Rolle der humanitären Organisationen in Konfliktsituationen haben sich weiterentwickelt, was bewirkt, dass die Grenze zwischen diesen beiden Parteien mehr und mehr verschwimmt.
Da diese mangelnde Trennung zwischen militärischem und humanitärem Personal sich nachteilig auf die Aufgaben auswirkt, die in Konfliktsituationen traditionell den humanitären Organisationen zufallen, ist damit sogar das Überleben der humanitären Mitarbeiter und mit ihnen der gesamten Bevölkerung, der deren Wirken zugute kommen soll, gefährdet.
Daher ist es von größter Wichtigkeit, dass unsere Streitkräfte in keiner Weise in die Aufgaben einbezogen werden, die die humanitären Organisationen in der Region wahrnehmen. Ich freue mich, dass diese wichtige Erwägung für die Zukunft unserer Entwicklungspolitik in dieser Region und anderswo in der Welt in dem uns heute vorgelegten Text Erwähnung findet.
Colm Burke (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich spreche mich nachdrücklich für die Entsendung einer ESVP-Mission in das Grenzgebiet Tschad/Darfur aus und begrüße es, dass wir heute Gelegenheit nehmen, um diesen Vorschlag zu diskutieren.
Der Konflikt in Darfur hat schwerwiegende grenzübergreifende Folgen für die Nachbarstaaten Tschad und Zentralafrikanische Republik, mit einem gewaltigen Flüchtlingsstrom und Tausenden von Binnenvertriebenen.
Nach Ansicht eines hochrangigen Experten ist diese Mission trotz einiger erheblicher Herausforderungen im operationellen und Sicherheitsbereich machbar. Die Infrastruktur in diesem Gebiet ist schlecht, es besteht weiterhin Wassermangel, und die Logistiklinien gestalten sich schwierig. Einer solchen Mission drohen auch Gefahren seitens der Rebellengruppen, die der Regierung Widerstand leisten, aber eine vor kurzem in dieser Region durchgeführte gründliche Analyse legt nahe, dass alle diese Herausforderungen überwindbar sind.
Es besteht also kein Grund, den Einsatz noch weiter hinauszuschieben. Wir besitzen die militärische Kapazität; was wir jetzt brauchen, ist der politische Wille.
Ich rufe die irischen Truppen auf, sich an dieser ESVP-Mission zu beteiligen. In dieser internationalen Krisenregion besteht, so scheint es, eine echte Dringlichkeit, und Irland könnte sich an dem ehrenhaften europäischen Bemühen beteiligen, in diesem Grenzgebiet Stabilität herbeizuführen.
Für diese Operation könnten Teile der Nordic Battle Groups abgezogen werden. Wie diese Battle Groups soll auch diese ESVP-Mission eine Brückenfunktion haben. Alternativ könnten auch zurzeit im Libanon befindliche irische Soldaten zu dieser Mission stoßen.
Diese Streitkräfte haben viele löbliche Ziele. Sie würden die Sicherheitslage in dieser Region verbessern, ehe es zu einem weiteren Einsatz der UN/AU-Mission in Darfur kommt. Sie wären auch eine Unterstützung für Hilfsorganisationen, denn sie würden bislang versperrte humanitäre Korridore öffnen. Drittens würden sie schließlich die Rückkehr sudanesischer Flüchtlinge ermöglichen.
Meiner Ansicht nach sollte diese Mission ein robustes, die Anwendung von Gewalt nicht ausschließendes Mandat gemäß Kapitel VII der UN-Charta haben, das ihr erforderlichenfalls eine abschreckende Wirkung verleiht, vor allem im Fall von Übergriffen gegen Zivilisten, Lager, Dörfer, humanitäres Personal und UN-Polizisten sowie zum Zweck der Selbstverteidigung.
Die Regenzeit geht zu Ende. Die Zahl von Angriffen auf Flüchtlingslager wird wahrscheinlich zunehmen, denn die Milizen und die Rebellengruppen werden jetzt, da die Regenfälle nachgelassen haben, mobiler werden. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Vereinten Nationen handeln. Untätigkeit kostet Menschenleben. Die EU ist für diese Mission die am meisten akzeptierte Organisation, und sie ist aus mehreren Gründen, für diese Aufgabe gut gerüstet.
Ich fordere den Rat auf, unverzüglich eine gemeinschaftliche Aktion zu beschließen und die letzten Etappen einzuleiten, so dass wir den Zeitpunkt nicht verpassen, um EU-Truppen dorthin zu bringen, wo sie dringend gebraucht werden.
Geoffrey Van Orden (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Nun, in diesem Hohen Haus scheinen sich heute Nachmittag viele Möchtegern-Generäle zu befinden! Die desolate humanitäre Situation und Sicherheitslage in Darfur und den angrenzenden Regionen im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik schreien gewiss nach internationaler Aktion, aber ich muss sagen, das ist eine andere Sache, nicht das Problem, das uns heute beschäftigt. Heute geht es wirklich um die ESVP-Mission, wie wir von so vielen Rednern gehört haben.
Seit langem wende ich mich gegen die Vergeudung von Ressourcen, gegen Doppelarbeit, gegen getrenntes Vorgehen, ja gegen die pure Doppelzüngigkeit bei den Bemühungen der EU um die Entwicklung eines militärischen Potenzials. Es gibt keine EU-Streitkräfte, Herr Ryan. Unsere Länder haben Streitkräfte, und es bestehen bereits bewährte Strukturen zur Organisation einer internationalen militärischen Intervention in diesen wenigen Staaten, die schlagfähige Streitkräfte und das Potenzial für eine Expedition besitzen. Das vollzieht sich in erster Linie über die NATO und die UNO. Die EU-Institutionen können in militärischen Angelegenheiten nur wenig beitragen.
Natürlich sind die Motive der ESVP-Enthusiasten im Wesentlichen politischer Natur. Jemand sagte sogar, man sollte den Tschad als eine politische Chance betrachten. Die EU hat sich den Vereinten Nationen selbst angeboten; nicht die UNO hat die EU eingeladen. Die EU ist besonders scharf darauf, einer weiteren militärischen Operation ihren Stempel aufzudrücken, aber das nationale Militär – und das überrascht nicht – teilt nicht die Begeisterung der Eurokraten. Angesichts der langen Verbindungsleitungen, über tausend Meilen bis zum nächsten Seehafen, des Wassermangels und der schlechten Infrastruktur sowie eines Widerstrebens, offensive Militäroperationen gegen Rebellengruppen zu führen, steht die Tschad-Mission in jeder Hinsicht auf wackligen Beinen. Großbritannien, Deutschland und Italien haben bereits verlauten lassen, dass sie keine Soldaten entsenden werden.
Was sollen diese Truppen machen? Gewiss nicht gegen bewaffnete feindliche Elemente vorgehen, die in diesem riesigen Gebiet Afrikas ein Chaos angerichtet haben. Also wird ein großer Teil der Anstrengungen zweifellos darauf verwendet werden, in einer sehr schwierigen logistischen Lage sich selbst zu schützen und zu unterhalten. Wir müssen wirklich aufhören, damit zu spielen und die menschliche Tragödie als politische Chance zu sehen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Ich möchte kurz hervorheben, dass der Vorschlag, eine Truppe im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den Tschad und die Zentralafrikanische Republik zu entsenden, von einer überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten, die sich zu dem Thema geäußert haben, unterstützt wird. Wie Sie wissen und heute bereits mehrfach gesagt wurde, hat der Sicherheitsrat inzwischen – meines Wissens gestern – der Europäischen Union gestattet, mit der Operation zu beginnen. Wie bereits erwähnt, war die Zustimmung für die EU von grundlegender Wichtigkeit, damit die Operation auf den Weg gebracht werden kann. Alle militärischen Vorbereitungen und Planungen, eigentlich die gesamte Sache, kann nun starten. Zu einem späteren Zeitpunkt wird der Rat natürlich eine Stellungnahme zu dieser Thematik in Form einer gemeinsamen Aktion abgeben.
Durch ihr Engagement für diesen Prozess kann die Europäische Union jetzt wie vorgesehen von reinen Absichtserklärungen und Versprechungen zu praktischen Schritten und Maßnahmen übergehen. Dies entspricht den Verlautbarungen und Verpflichtungen der EU, dem zugesagten Engagement für Afrika und die Afrikanerinnen und Afrikaner. Wir müssen Afrika und den afrikanischen Völkern im Rahmen einer engen und uneingeschränkten Partnerschaft helfen, damit sie in der Lage sind, Frieden zu schaffen, wo Konflikte herrschen, Fortschritte zu erzielen, wo die Armut regiert, für Gesundheit und Bildung zu sorgen, wo Krankheiten grassieren und etwas zu schaffen, wo nichts oder sehr wenig existiert. Auf diese Weise gewährleisten wir, dass unsere Wertvorstellungen und Grundsätze auch in unserer Außenpolitik geachtet werden. Darum begrüßt der portugiesische Vorsitz die neusten Entwicklungen und nimmt die große Unterstützung für die Operation durch zahlreiche Abgeordnete, die sich im Rahmen der Aussprache herauskristallisiert hat, gebührend zur Kenntnis.
Die Präsidentin. – Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung fünf Entschließungsanträge eingereicht(1).
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 27.09.2007, statt.
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Lage in Birma.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin! Herr Kommissar! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Aussprache und unsere Debatte sind von höchster Aktualität. Fraglos werden der Rat und der portugiesische Vorsitz die Geschehnisse in Birma (Myanmar) mit großer Sorge beobachten.
Fast 20 Jahre ist es her, eigentlich seit den Vorkommnissen im Jahr 1988, dass Birma wieder Demonstrationen der Art, wie sie gegenwärtig stattfinden, erlebt. Zweifellos trifft zu, was viele Kommentatoren über die neusten Entwicklungen berichten: Das Land befindet sich an einem Scheideweg, den wir als kritisch betrachten.
Von Anbeginn stellte sich die Lage als höchst unberechenbar heraus, und obwohl wir alles in unserer Macht Stehende getan haben, um den birmanischen Staat davon abzuhalten, Gewalt einzusetzen, beweisen die heutigen Ereignisse, dass die Appelle der internationalen Gemeinschaft bei der Militärjunta in Rangun bedauerlicherweise auf taube Ohren stoßen, so wie man schon seit vielen Jahren die andauernden und wiederholten internationalen Appelle missachtet.
Bei kluger Handhabung hätte die Situation in den vergangenen Tagen eine einmalige Chance für die ersten Schritte auf dem Weg zu dringenden politischen Reformen und einer nationalen Neubewertung des Landes darstellen können. Wir hatten gehofft, die Junta würde auf die unmissverständliche Botschaft der Demonstranten hören, ihre Politik sei gescheitert.
Was als spontaner Protest gegen den unverhältnismäßigen Anstieg der Kraftstoffpreise begann, hat sich zu einer riesigen öffentlichen Protestbewegung gegen die allgemeine Politik einer äußerst diktatorischen Regierung entwickelt.
Die Europäische Union, der die zunehmende Spannung im Land nicht entgangen ist, hat nicht mit verschränkten Armen dagestanden und zugeschaut. Unmittelbar im August verurteilte sie die Verhaftung verschiedener Oppositionsführer vehement, insbesondere der Gruppe „88 Generation“, die gegen den nahezu 500%igen Anstieg der Benzinpreise protestierte. Sie forderte die Freilassung aller politischen Gefangenen und hob die Notwendigkeit hervor, einen Prozess der Öffnung, Versöhnung und politischen Reform auf den Weg zu bringen. Erst gestern haben wir eine klare Botschaft der Solidarität und Verbundenheit mit der birmanischen Bevölkerung in Form einer gemeinsamen Erklärung der USA und der EU übermittelt, die von 27 Außenministern angenommen wurde, die gegenwärtig zu einem Treffen in New York weilen.
Wir rufen die Behörden auf, das Recht der Mönche, Nonnen und Bürger zu achten, die friedlich demonstrieren und aufzeigen, dass die Situation eine neue Möglichkeit bietet, eine Lösung für die hochkomplexen Probleme Birmas zu finden.
In einer anderen, gestern abgegebenen Erklärung rief der Hohe Vertreter Javier Solana den birmanischen Staat auf, weiterhin Zurückhaltung zu üben und betonte, wahren Frieden, Stabilität und Entwicklung werde es nur durch politische Reformen, die Anerkennung von Grundrechten und Grundfreiheiten sowie die unumschränkte Einbeziehung aller Beteiligten geben.
Wir haben die Lage auch mit einigen unserer Partner in bilateralen Gesprächen am Rand der UNO-Vollversammlung in New York erörtert. Im Rahmen unseres ständigen Dialogs über Birma mit Partnern aus der Region, einschließlich China, Indien und den ASEAN-Ländern (Verband südostasiatischer Nationen), ermutigen wir Letztgenannte, regelmäßig mit dem Regime zu reden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf folgende Aspekte gelegt werden sollte: Erstens erfordert die langfristige Stabilität Birmas einen echten Wandel, insbesondere in der Politik. Zweitens ist die Öffnung des Landes für die Entwicklung Birmas entscheidend und liegt auch im Interesse seiner Nachbarn und der gesamten internationalen Gemeinschaft. Wir haben darüber hinaus zur Kenntnis genommen, dass Singapur, das gegenwärtig den Vorsitz der ASEAN innehat, zumindest mit einer nationalen Erklärung reagiert hat, in der die Hoffnung geäußert wird, die gegenwärtigen Proteste könnten friedlich beigelegt werden.
Die EU-Außenminister beschäftigten sich Anfang September auf ihrem Treffen in Gymnich mit der Entwicklung der Lage in Birma. Auch auf ihrer gestrigen Zusammenkunft in New York erörterten alle 27 das Problem erneut, wie ich bereits sagte. Außerdem ist die Problematik vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee in Brüssel untersucht worden sowie heute Morgen im Detail von der Arbeitsgruppe Asien/Ozeanien. Fraglos eruieren wir alle denkbaren Möglichkeiten für eine weitere Reaktion seitens der Europäischen Union. Wenngleich die Lage sich hoffentlich nicht weiter verschlechtern wird, muss man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Über diplomatische Kanäle rüsten wir uns ebenfalls für weitere Aktionen und bleiben in Kontakt mit den Vereinten Nationen, vor allem mit Ibrahim Gambari, dem Sondergesandten des Generalsekretärs, der mit dem Vorsitz und den Institutionen der EU im Juli zusammentraf, anders gesagt direkt vor der Sommerpause. Außerdem stehen wir weiterhin in engem Kontakt mit unseren Kollegen in Genf, wo gestern eine eindringliche Erklärung im Menschenrechtsrat abgegeben wurde.
Letzte Nacht, als uns die besorgniserregenden Nachrichten aus Rangun erreichten, fühlten wir uns bemüßigt, erneut an den birmanischen Staat zu appellieren und ihn aufzufordern, nicht mit der Anwendung von Gewalt auf die friedlichen Proteste der Bevölkerung zu reagieren. Dabei haben wir klar auf die Möglichkeit einer Verschärfung der bestehenden Sanktionen hingewiesen, so dass die Botschaft eindeutig und unmissverständlich war. Letztlich wird sich der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) morgen in aller Ausführlichkeit mit der Birma-Frage auseinandersetzen.
Louis Michel, Mitglied der Kommission. − (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Kommission ist wie die übrigen europäischen Institutionen sehr besorgt über die Lage in Birma/Myanmar. Wir verfolgen sehr aufmerksam die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen, ja der letzten Stunden nach der friedlichen Widerstands- und Protestbewegung, die die buddhistischen Mönche eingeleitet haben.
Wie Sie sich erinnern, hat Ihnen Frau Reding am 6. September im Namen der Kommission die Analyse der allgemeinen Lage vorgetragen: wiederholte Verletzungen der Menschenrechte, politische Repression, allgemeine Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen. Hinzufügen möchte ich noch die Verletzungen des humanitären Völkerrechts gegen Zivilpersonen und Inhaftierte durch die Regierung von Birma/Myanmar sowie die immer strengeren Beschränkungen gegenüber dem IKRK bei der Ausübung seiner Tätigkeit. In den letzten Wochen erntet das Regime die bitteren Früchte der explosiven sozialen und politischen Situation, die es in gewisser Weise selbst geschaffen hat.
Was ist angesichts dieser Situation zu tun? Man kann zu Recht davon ausgehen, dass die Situation sich entweder in bereits bekannten Bahnen entwickeln wird und auf die Wiederholung der gewalttätigen Repression von 1988 hinausläuft, oder dass ein historischer Wendepunkt erreicht worden ist. Allerdings scheinen sich die Ereignisse in Birma/Myanmar in einer unvorhersehbaren Richtung zu entwickeln. Die Tatsache, dass Proteste eines solchen Ausmaßes – 100 000 Kundgebungsteilnehmer letzten Montag in den Straßen von Rangun – ohne eine Agenda oder erklärte politische Forderungen ablaufen, macht die Situation eher instabil und prekär.
Im Falle der Fortsetzung der Kundgebungen ist es keineswegs auszuschließen, dass das Regime zu gewaltsamer Repression greift. Die gerade heute zu beobachtenden Einschüchterungen, Verhaftungen und Absperrmaßnahmen deuten unbestreitbar auf eine Verhärtung der Reaktion hin. Die Verhaftungen von heute Vormittag, die brutale Art und Weise des Vorgehens der Behörden und die Tatsache, dass Opfer zu beklagen sind, können unsere Besorgnis nur noch verstärken. Unter diesen Bedingungen ist unsere erste Forderung darauf gerichtet, eine gewaltsame Reaktion seitens der Regierung zu verhindern und sie zu größter Zurückhaltung aufzurufen. Die Sicherheit und das Schicksal von Frau Aung San Suu Kyi stehen selbstverständlich im Mittelpunkt unserer Besorgnis.
Diese Demonstrationen stellen in gewisser Weise auch eine Chance dar. Sie zeigen dem Regime oder zumindest denjenigen seiner Vertreter, die noch einen Sinn für Realität haben, dass die schlechte politische und wirtschaftliche Führung die Bevölkerung dahin gebracht hat, sich nicht mehr zu fürchten, auf die Straße zu gehen, um ihren aus lange anhaltender Verzweiflung resultierenden Zorn zum Ausdruck zu bringen.
Das zweite Anliegen der Kommission besteht daher darin, die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, dass sie die Regierung überzeugt, die notwendigen Maßnahmen für die Wiederherstellung eines Minimums an Vertrauen zu ergreifen und so die Voraussetzungen zu schaffen, damit der Weg für die nationale Aussöhnung frei wird. Das Regime muss den Sehnsüchten der Bevölkerung nach Öffnung und Demokratie Gehör schenken. Der Ausweg aus der aktuellen Krise muss selbstverständlich einen partizipativen und transparenten Prozess einschließen, der es allen Seiten, die an der nationalen Aussöhnung in Birma/Myanmar interessiert sind, ermöglicht, umfassend an der politischen und wirtschaftlichen Zukunft mitzuwirken. Meine Kollegin Benita Ferrero-Waldner hat unseren Partnerländern diese Botschaft am Rande der UNO-Vollversammlung übermittelt.
Es ist ebenfalls von großer Bedeutung, den Nachbarstaaten von Birma/Myanmar ihre besondere Verantwortung bewusst zu machen. Meiner Meinung nach hat China bereits begriffen, dass eine explosive Situation in diesem Land langfristig seinen Interessen zuwiderlaufen würde. China kann einen entscheidenden Einfluss ausüben. Jedoch müssen wir auch Indien, Japan und Südkorea, die entscheidend zur Befriedigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse des birmanischen Regimes beigetragen haben, überzeugen, mehr für einen Ausweg aus der derzeitigen Krise zu tun. Es gilt auch, die ASEAN-Staaten zu bewegen, ihre Stimme entschlossener zu erheben. Jede Verschlechterung der Lage in Birma/Myanmar kann nur verhängnisvolle Folgen für die gesamte Region haben.
Schließlich begrüßt die Kommission die besondere Rolle der Vereinten Nationen und speziell die guten Dienste des Sondergesandten Ibrahim Gambari, dessen bevorstehender Besuch in Rangun von besonderer Bedeutung sein wird. Sollten die Behörden von Birma/Myanmar sich erneut für den Weg der Repression entscheiden, so hätte dies unausweichlich zur Folge, dass das Land in eine noch größere internationale Isolierung gerät, die weitere nicht hinnehmbaren Leiden für seine Bevölkerung mit sich brächte. Sollten sich die Behörden hingegen für den Weg des offenen und demokratischen Dialogs entscheiden, so müssen sie ihren Fahrplan für das Land offen darlegen, sich zur Festlegung eines exakten Termins für freie Wahlen verpflichten und einen aufrichtigen Dialog mit den Partnern einleiten. In diesem Falle könnten die Behörden von Birma/Myanmar in diesem Prozess auf die Unterstützung der Europäischen Union und der übrigen Partner zählen.
Geoffrey Van Orden, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Die Europäische Union brüstet sich damit, auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten, und ist dabei offensichtlich nicht in der Lage, wirksam gegen tyrannische Regime überall in der Welt anzugehen, die ihre Menschen weiterhin Jahr für Jahr unterdrücken und missbrauchen. Es gibt da eine Mentalität, der zufolge es lediglich einer Erklärung oder eines gemeinsamen Standpunktes bedarf. Der amtierende Ratspräsident sagte in der vorangegangenen Aussprache, wir sollten unseren Worten Taten folgen lassen. Ich bin mit ihm einer Meinung.
Während meiner ganzen Zeit in diesem Parlament habe ich gegen zwei besonders verhasste Regime gekämpft: gegen Mugabe in Simbabwe und gegen die Militärjunta in Birma. Die EU hatte beide im Blick, aber nichts ist geschehen. Wir sollten uns schämen.
Heute richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf Birma, wo die Allianz aller birmanischen buddhistischen Mönche in der gesamten vergangenen Woche auf den Straßen Ranguns und vieler anderer Teile Birmas mutig massive Protestdemonstrationen angeführt hat. Wir sind alle schockiert darüber, dass sich eine verzweifelte Lage nunmehr zu einer Tragödie entwickelt hat. In alle Welt gingen Bilder verwundeter Mönche, rauchender Pagoden und zusammengeschlagener Zivilisten als Folge des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte. Von mindestens fünf Toten und Hunderten Verwundeten wird berichtet. Vor einer Woche wurden wir von der Meldung des Rundfunksenders Burma Democratic Voice aufgeschreckt, die Regierung habe den Einsatz von Schusswaffen angeordnet und sei zu einer gewaltsamen Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen bereit.
Es ist höchste Zeit, dass wir aufhören mit dem Händeringen und ernsthaft etwas unternehmen. Ich gebe mich da keinen Illusionen hin. Wie im Fall Simbabwes liegt der Schlüssel für eine Veränderung in Birma bei seinen Nachbarn, insbesondere bei China. China ist Birmas größter Investor, Handelspartner und Waffenlieferant. Heute befindet sich im Parlament eine von Herrn Wang Yingfan, einem einflussreichen Mitglied des Nationalen Volkskongresses, geleitete hochrangige chinesische parlamentarische Delegation. Ich habe ihm gegenüber heute Vormittag eindringlich gefordert, dass China gegen das birmanische Regime vorgeht. Er bekräftigte Chinas Eintreten für die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, versicherte mir aber gleichzeitig, dass China weiterhin eine besonnene, aber ernste Rolle spielen und das birmanische Regime zu Flexibilität und zu einem positiveren Vorgehen drängen werde. Wir werden sehen, welche Wirkung das hat.
Gestern hat die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union angekündigt, sie werde im Falle einer gewaltsamen Reaktion härtere Sanktionen verhängen. Die Gewalt ist nun da, und jetzt müssen härtere Sanktionen folgen, wenn die EU ihre Glaubwürdigkeit in der Welt erhalten will. Auch müssen wir klarstellen, dass wir dieses Mal unser Wort halten und zu unseren Sanktionen stehen. Die schändliche Episode vom Mai, als dem birmanischen Außenminister in flagranter Verletzung des von der EU selbst beschlossenen Reiseverbots die Teilnahme an einem ASEM-Gipfel in Deutschland erlaubt wurde, darf sich nicht wiederholen.
Bei der Erwägung von Sanktionen dürfen wir nicht übersehen, dass TOTAL Oil einer der wenigen verbliebenen ausländischen Investoren in Birma ist. TOTAL leistet direkte Hilfe bei der Aufwertung der Militärjunta, indem das Unternehmen dem Regime Jahr für Jahr Hunderte Millionen Dollar bereitstellt, damit es eine der größten Armeen der Welt aufrechterhalten kann.
Die Krise in Birma gehört zu denen, über die wir seit langem diskutiert haben, und nun kommt es auf uns an. Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass die Männer, die vor zwanzig Jahren maßgeblich am Massaker an Demonstranten in Birma beteiligt waren, heute Schlüsselpositionen im Regime einnehmen. Es ist bedauerlich, dass Rat und Kommission in diesen Fragen in all den Jahren nicht besser auf das Parlament gehört haben.
Heute liegt uns erneut eine eindringliche Entschließung vor; sie ist knapp und ganz eindeutig. Wir sagen den birmanischen Behörden: Lassen Sie Aung San Suu Kyi unverzüglich frei, lassen Sie die Demonstranten in Frieden, und berufen Sie einen uneingeschränkt repräsentativen Nationalkongress unter Einbindung der Nationalen Liga für Demokratie ein. Dem UNO-Sicherheitsrat sagen wir: Treten Sie jetzt zusammen, und befassen Sie sich mit der Lage in Birma, und entsenden Sie dann umgehend Ihren Sonderberater in das Land. Dem Rat und der Kommission sagen wir: Reden Sie mit den Vereinigten Staaten und dem ASEAN, damit eine koordinierte zusätzliche Maßnahme, einschließlich gezielter Wirtschaftssanktionen, gegen das birmanische Regime vorbereitet wird, falls es sich für Gewaltanwendung entscheidet und nicht entsprechend auf unsere Erklärungen reagiert.
Barbara Weiler, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa, ja die ganze Welt schaut auf Birma. Heute ist zum ersten Mal Blut geflossen, mein Kollege aus Großbritannien hat es schon erwähnt, denn nichts ist mehr zu verheimlichen, und das ist eine neue Situation in der Debatte.
Die Sozialistische Fraktion ist entsetzt über das brutale Vorgehen des Militärregimes gegen die friedlichen Demonstranten. Wir erwarten, dass der UNO-Sicherheitsrat, der ja parallel jetzt tagt, sofort Maßnahmen ergreift und auch Einfluss nimmt, Einfluss über China und mit China.
Die zweite Botschaft heute muss die Anteilnahme des Europäischen Parlaments gegenüber der Bevölkerung Birmas sein, unsere Sympathie, Hilfe, ja, auch unsere Bewunderung für den Mut der Bürgerinnen und Bürger. Die buddhistischen Mönche sind keine kleine elitäre Minderheit. Sie sind Teil der Bürger und werden von Tausenden unterstützt. Sicher, Ursprung der Demonstrationen waren die willkürlich erhöhten Preise, aber Verstöße gegen die Menschenrechtscharta und konkret gegen die Internationale Arbeitsorganisation, Folter und Zwangsarbeit werden von der Junta seit Jahren praktiziert.
In Zeiten der Globalisierung ist Abschottung nicht mehr möglich, und das ist auch gut so! Demokratische Grundrechte, das universelle Wertesystem gelten auch auf dem asiatischen Kontinent. Wir erwarten, dass in Birma die seit Langem geplante Verfassung umgehend auf die Tagesordnung kommt und Birma – wie übrigens interessanterweise auch relativ schnell Thailand – demokratische Wahlen durchführt. Es ist möglich, in diesen Regionen demokratische Systeme durchzusetzen und auch zu realisieren.
Neben der UNO und Europa müssen natürlich auch die ASEAN-Länder aktiver werden, zumal sie den Anspruch haben, so etwas wie eine EU zu sein. Die Demonstrationen heute auf den Philippinen sind ein gutes Zeichen der Solidarität in der Region.
Es gibt kein Zurück mehr auf dem Weg zur Demokratie – auch für Birma nicht!
Annemie Neyts-Uyttebroeck, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin! Herr Kommissar! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich beginnen, indem ich demütig mein Haupt vor dem unglaublichen Mut der burmesischen Bevölkerung verneige, die auf friedlichem Wege gegen die Militärdiktatur in ihrem Land protestiert.
Heute hat das Regime mit der gewalttätigen Niederschlagung der Massendemonstrationen begonnen. Deshalb bekunden wir unsere Solidarität mit dem Schicksal der Burmesen. Die Europäische Union muss ihren Protest vehementer äußern und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Wenn das Regime an den Repressionen festhält, müssen Sanktionen verschärft und sämtliche noch in Birma tätigen europäischen Unternehmen aufgerufen, wenn nicht gezwungen werden, ihren Betrieb dort einzustellen. Gleichzeitig müssen die ASEAN-Staaten eine striktere Haltung gegenüber Birma einnehmen, wobei Indien und China ihren Einfluss auf das Regime geltend machen sollten, um es dazu zu drängen, in einen ernsthaften Dialog mit der demokratischen Opposition im eigenen Land zu treten.
Das Regime in Birma unterdrückt die Bevölkerung nicht nur politisch, sondern hat sie auch in tiefes Elend und Armut gestürzt, während das Land beste Voraussetzungen hat, um im Wohlstand zu leben. Die Massenkundgebungen der Burmesen sind umfassender Beweis dafür, dass Aung San Suu Kyi sicher nicht allein dasteht, sondern sie Hoffnungsträgerin der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung des Landes ist. Das burmesische Regime sollte ihr sofort die volle Freiheit zurückgeben und alle politischen Gefangenen, einschließlich der heute verhafteten Menschen, freilassen.
Abschließend möchte ich die Europäische Union aufrufen, vom dem uns jetzt zur Verfügung stehenden Instrument der Förderung von Demokratie und Menschenrechten größtmöglichen Gebrauch zu machen.
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte dem Herrn Ratspräsidenten und dem Herrn Kommissar sowie meinen Kolleginnen und Kollegen für ihre bisherigen Bemerkungen danken.
Die nationale Demokratiebewegung in Birma sagte vor achtzehn Jahren: Wie kann man die internationale Gemeinschaft dazu bringen, die Behörden in Birma zum Übergang zur Demokratie zu bewegen? Muss man uns erst auf der Straße erschießen, und muss das erst auf den Fernsehschirmen zu sehen sein, ehe die internationale Gemeinschaft reagiert?
Leider bewahrheitet sich dies jetzt. Wir können sehen, wie ein Teil der birmanischen Gesellschaft, die buddhistischen Mönche und Nonnen, die ein gewaltfreies, pazifistisches Leben führen, die den Mitmenschen ihre Zeit opfern, jetzt vom Militärregime auf den Straßen abgeschlachtet und eingeschüchtert werden. Die Menschen sind im Irrtum, wenn sie meinen, unsere Worte hier würden ihren Zweck erreichen. Aber ebenso falsch ist es, dass die Welt so lange geschwiegen hat; wir dürfen nicht länger schweigen. Und wie Kollegen bereits sagten, es ist an uns, unseren Einfluss geltend zu machen, nicht nur gegen das Regime in Birma, sondern auch unseren Einfluss auf China, Indien und Bangladesch, um zu gewährleisten, dass einheitlich vorgegangen wird und dass man zu den Sanktionen steht und an den Forderungen nach Demokratie festhält.
Verurteilen wir die Gewaltanwendung gegen friedliche Demonstranten, aber stellen wir auch sicher, dass wir diesen Demonstranten Hilfe zuteil werden lassen.
Raül Romeva i Rueda, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Ganz offensichtlich führen uns die jüngsten Ereignisse in Birma immer mehr in eine Sackgasse. Ich bin der Auffassung, dass die Massendemonstrationen, nicht nur der Mönche und Nonnen, sondern auch tausender und abertausender Personen, die diese Proteste unterstützt haben und weiterhin unterstützen, eine klare Botschaft an die Militärjunta in Birma, aber auch an die Welt sind, die lautet, dass das birmanische Volk genug hat, dass es der Lage überdrüssig ist und einen Wechsel will.
Und gerade diesen Wunsch nach Veränderung sollten wir in der EU und der gesamten Völkergemeinschaft unterstützen. Es ist offensichtlich, dass die Politik nach 30 Jahren Sanktionen mit unerheblichen Resultaten eine radikale Wende nehmen muss, und daher gilt es, die Länder der Region einzubeziehen, nicht nur China und Indien, wie bereits gesagt wurde, sondern auch Japan und Singapur, das zurzeit den ASEAN-Vorsitz innehat. Deshalb sollten wir nicht nur die Gesten des Rates und der Kommission begrüßen, sondern auch die Anstrengungen in der UN für einen entschlossenen Aufruf zur Freilassung der politischen Gegner, insbesondere von Aung San Suu Kyi, und vor allem zu einer Hinwendung zur Demokratie. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt diese Hoffnung nicht aufgeben können und dürfen.
Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin! „Staatsrat für Frieden und Entwicklung“ – so lautet der offizielle Name des Militärregimes in Birma. Angesichts der gegenwärtigen Krisenlage, in der sich das Land befindet, klingt diese Bezeichnung mehr denn je wie eine grausame Lüge.
Die Militärjunta steht für Jahrzehnte des Machtmissbrauchs und der Missregierung. Logischerweise geht sie mit Statistiken sehr sparsam um. Nebenbei bemerkt ist die große Mehrheit der burmesischen Bevölkerung Opfer einer Doppelausbeutung, ja, einer doppelten Ausbeutung: intern durch die militärischen Machthaber – Geschäfte laufen in Birma fast ausschließlich über das Militär – und extern durch die Volksrepublik China, die das rohstoffreiche und landwirtschaftlich sehr fruchtbare südostasiatische Land extrem ausbeutet. In diplomatischen Kreisen in Rangun wird dieser Tage sogar geäußert: „Birma ist quasi zu einer chinesischen Provinz geworden“. In den im Norden durch China gebauten Schulen ist Mandarin die erste Sprache und als offizielle Ortszeit gilt dort Pekinger Zeit.
Frau Präsidentin! Alles in allem betrachtet sind die burmesischen und chinesischen Machthaber kaum voneinander zu unterscheiden. Daher rufe ich den Rat und die Kommission auf, zu den ersten zu gehören, die die burmesische Regierung und Peking nachdrücklich auf ihre gemeinsame Verantwortung für das Leiden der Burmesen hinweisen.
Luca Romagnoli, im Namen der IST-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Entschließungen und Erklärungen werden mitunter, so sie denn nicht nur Makulatur oder eine schwache Stimme im großen Ohr des Rates bleiben, von den Ereignissen überholt, die ganz gewiss nicht mit unserem Sitzungskalender übereinstimmen oder auf ihn Rücksicht nehmen.
Vor wenigen Tagen haben wir nahezu einstimmig eine Entschließung zu Birma angenommen, in deren Erwägungsgründen die vielen gegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen in diesem Land aufgezählt werden, ohne indes ins Bewusstsein zu rufen, dass ein marxistisch und später militärisch orientiertes Regime mit bekannter Unterstützung Chinas seit Jahrzehnten das eigene Volk unterdrückt. Es herrscht nicht nur Unterdrückung; es sei daran erinnert, dass das birmanische Regime ein System ist, das seine Macht und seine finanziellen Mittel größtenteils aus dem Rauschgifthandel bezieht.
Ich möchte betonen, dass Repression, Zensur und das umfassende System der Schikanen, die das birmanische Regime seit Jahren prägen, nicht nur die viel gepriesene Frau Aung San Suu Kyi, nicht nur Journalisten wie U Win Tin oder Schauspieler wie Herrn Zaganar oder den bekannten Bürgerrechtler Win Naing betreffen. Ich weise Sie darauf hin, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass da auch noch die buddhistischen Mönche sind, wie Sie wissen, aber vor allem viele wichtige Minderheiten. Darunter gibt es insbesondere eine kulturelle und ethnische Minderheit, die in der vor zwei Wochen angenommenen Entschließung nicht genannt wurde, und zwar das Volk der Karen. Ein Volk, das sich seit Jahrzehnten an ein System anzupassen weigert, das dazu zwingt, seinen Lebensunterhalt durch Kinderprostitution und Drogenanbau zu verdienen.
Das bloße Bedauern der Niederschlagung des Protestes der Bevölkerung durch den Staatsrat für Frieden und Entwicklung und die gleichzeitige Forderung nach einer Demokratisierung Birmas sind ebenso wertlos wie die entschiedenen Verurteilungen, die Forderungen nach sofortiger und bedingungsloser Freilassung – die, wie ich betonen möchte, wichtig ist – und alles andere, was wir unermüdlich schreiben, erbitten oder androhen, ohne dass dies dann in der Praxis besondere Folgen hätte.
Selbst US-Präsident Bush hat trotz seiner zahlreichen nichtssagenden Erklärungen vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen Pluspunkt auf seinem Konto zu verbuchen. Er ging so weit, ein Eingreifen der VN zu fordern, und sprach von einem Land, das eine Schreckensherrschaft errichtet habe, in dem die Grundfreiheiten mit Füßen getreten, die ethnischen Minderheiten verfolgt werden und wo Zwangsarbeit, Menschenhandel und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind. Deshalb hat Bush ebenso wie die amtierende Ratspräsidentschaft der Europäischen Union eine Verschärfung der Sanktionen angekündigt.
Nun gut, hoffen wir, dass sie etwas nützen, denn wenn sie nichts ausrichten, werden wir gewiss nicht hören, dass Bombenangriffe gegen die birmanischen Militärbasen und noch weniger die ihres chinesischen Partners angedroht werden. Für die birmanische Opposition gilt dasselbe wie für den jahrzehntelangen Kampf des Volkes der Karen: Viel Lärm in Europa und in den Vereinigten Staaten, aber solle dieses Land seine Angelegenheiten doch selbst erledigen. Vorläufig stehen dort keine transnationalen Interessen auf dem Spiel; vorläufig genügen der Europäischen Union die üblichen leeren Worte.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin! Herr Kommissar! Verehrte Damen und Herren! In meinem Redebeitrag habe ich versucht, dem Haus in aller Kürze detaillierte und umfassende Informationen über sämtliche politischen und diplomatischen Maßnahmen zu geben, die eingeleitet wurden, sowie über Kontakte, die im Hinblick auf die Birma-Frage geknüpft worden sind, sowie darüber, wie die Entwicklung der Lage verfolgt wird und was wir unternommen haben. An dieser Stelle möchte ich erneut die absolute Entschlossenheit des portugiesischen Vorsitzes bekräftigen, die Geschehnisse in Birma weiterhin aufmerksam zu beobachten. Außerdem möchten wir Ihnen versichern, dass die Präsidentschaft selbstverständlich alle Maßnahmen vorschlagen wird, die nach ihrem Dafürhalten unsere uneingeschränkte Solidarität mit dem birmanischen Volk unter Beweis stellen und die gleichzeitig den birmanischen Behörden unmissverständlich zeigen, dass sie für die weitere Verschlechterung der Lage im Land einen Preis zu zahlen haben.
Die Präsidentin. – Herr amtierender Präsident, Herr Lobo Antunes! Ich möchte Ihnen im Namen des Europäischen Parlaments dafür danken, dass Sie den ganzen Tag mit uns verbracht haben. Seien Sie versichert, dass wir das zu würdigen wissen.
Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge eingereicht(1).
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 27.09.2007, statt.
(Die Sitzung wird um 17.40 Uhr unterbrochen und um 18.00 Uhr wieder aufgenommen.)
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Richard Corbett (PSE), schriftlich. – (EN) In Birma ist eine der schlimmsten und längsten Militärdiktaturen der Welt an der Macht. Sie hat ihre Bevölkerung in bitterer Armut gehalten, und das im krassen Gegensatz zum wirtschaftlichen Erfolg vieler ihrer Nachbarn. Es herrscht eine brutale Repression. Der Kontakt zur Außenwelt ist stark eingeschränkt, und die Lage wäre in Vergessenheit geraten, wäre da nicht der Heldenmut von Aung San Suu Kyi, auf die sich die Hoffnungen und demokratischen Bestrebungen des Volks von Birma konzentrieren. Ich hoffe, dass das Militärregime in den nächsten Tagen ohne weiteres Blutvergießen seinem Ende zugeht, und ich rufe den Rat und den Hohen Vertreter auf, jeden nur möglichen Druck auszuüben, damit dieses Ziel gewährleistet ist.
Glyn Ford (PSE), schriftlich. – (EN) Als Berichterstatter des Parlaments über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und ASEAN habe ich in allen meinen Begegnungen mit Handelsministern und mit Beamten aus den ASEAN-Staaten klargestellt, dass sich das Parlament nachdrücklich jeglichen Zugeständnissen gegenüber dem gegenwärtigen birmanischen Militärregime widersetzen wird.
Die Geschehnisse der letzten Tage, in denen von buddhistischen Mönchen angeführte friedliche Proteste mit Tränengas und Kugeln beantwortet wurden, haben eine ohnehin schreckliche Lage noch verschlimmert.
Ich hatte die Ehre, vor fast einem Jahrzehnt Aung San Suu Kyi in Rangun besuchen zu dürfen, als ihr Hausarrest nicht so streng war, sodass sie seltene Besucher empfangen konnte. Sie stellte grundsätzlich klar, dass sie als Vertreterin und Führerin der demokratisch gewählten und vom Militärregime beseitigten Nationalen Liga für Demokratie den Wunsch hat, dass die EU die strengst möglichen Sanktionen verhängt.
Jetzt sollten die EU und die Mitgliedstaaten die Forderung nach weltweiten UN-Sanktionen über den Sicherheitsrat leiten. Weder wir noch das Volk von Birma können noch länger warten.
Jules Maaten (ALDE), schriftlich. – (NL) In Birma spielt sich ein neues Drama ab. Die Junta hat sich für die Konfrontation mit Tausenden friedlichen Demonstranten entschieden, was sehr bedauerlich ist, denn es ist bewunderungswürdig, dass die Bevölkerung selbst den Mut hatte ohne Hilfe von außen in den Widerstand zu treten. Ich befürworte die bedingungslose Freilassung von Aung San Suu Kyi, U Khun Htun Oo, Ko Min Ko Naing und aller anderen politischen Gefangenen sowie zügige demokratische Reformen.
Die Europäische Kommission sollte die im Rahmen des Finanzierungsinstruments für die Förderung der Demokratie und der Menschenrechte verfügbaren Mittel optimal nutzen, damit unabhängigen Medien, Menschenrechtsaktivisten und NRO in Birma ausreichende Unterstützung gewährt werden kann.
Eine weitere Verschärfung der bereits verhängten wirtschaftlichen Sanktionen scheint unvermeidlich. Ich plädiere dafür, sich den britischen und amerikanischen Maßnahmen anzuschließen und strenge Beschränkungen für Handelsaktivitäten und Finanztransaktionen mit Birma aufzuerlegen.
Das Europäische Parlament sollte eine Delegation nach Birma entsenden, um die Lage vor Ort selbst zu beurteilen.
David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Die Lage in Birma ist äußerst Besorgnis erregend. Die Menschen, die gegen das Militärregime demonstrieren (unter ihnen die Mönche) legen ungeheuren Mut an den Tag. Das Regime hat vorangegangene Demonstrationen brutal unterdrückt und dem Wohlergehen seiner Bevölkerung nur wenig Beachtung geschenkt. Der internationale Druck auf das Regime muss maximal verstärkt werden. Die internationale Gemeinschaft muss sich dafür einsetzen, dass diejenigen, die in den nächsten Tagen für jedwede Gräueltat verantwortlich sind, vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden. Die EU muss mit China und Indien reden, die sich in einer günstigeren Position befinden, um Druck auf das Regime auszuüben, und sie auffordern, zu intervenieren, um die Demonstranten zu schützen und Birma bei der Rückkehr zur Demokratie zu helfen.
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0316/2007).
Wir behandeln die folgenden Anfragen an den Rat.
Anfrage Nr. 1 ist nicht zulässig (Anlage II, Teil A, Ziffer 2 der Geschäftsordnung).
Anfrage Nr. 2 von Silvia-Adriana Ţicău (H-0597/07)
Betrifft: Perspektiven des Galileo-Projekts
Das Galileo-Projekt ist äußerst wichtig für die Europäische Union. Es ist das Ergebnis der Weltraumforschung und -zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und findet in zahlreichen Bereichen, so auch im Verkehr, Anwendung.
Da das Projekt Galileo zurzeit in einer Finanzierungskrise steckt, stellt sich folgende Frage: Was will der Rat der Europäischen Union zur Lösung dieses Problems unternehmen, und welche Art der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie beispielsweise Indien sieht die Europäische Union für dieses Projekt vor?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Wie der Frau Abgeordneten bekannt ist, hat sich der Rat auf seiner Tagung vom 6. bis 8. Juni 2007 eingehend mit der Situation des Galileo-Projekts befasst und eine Entschließung angenommen. In dieser Entschließung hat der Rat die Kommission aufgefordert, Vorschläge zu verschiedenen Aspekten des Galileo-Projekts vorzulegen. Die Kommission hat diese Vorschläge inzwischen (am 19. November) angenommen, und wir hoffen nun, dass sie in den zuständigen Gremien des Rates eingehend geprüft werden, damit bis Ende des Jahres eine umfassende Entscheidung über die Verwirklichung von Galileo getroffen werden kann, die die Finanzierung durch die öffentliche Hand und die Modalitäten einer öffentlichen Beteiligung einschließt.
Was die Kooperation mit Drittstaaten angeht, wird daran erinnert, dass der Rat der Zusammenarbeit mit Ländern, die nicht der Europäischen Union angehören, größte Bedeutung beimisst. Wie Sie wissen, sind seit 2001 mehrere Kooperationsabkommen zum Galileo-Projekt mit Nicht-EU-Ländern, darunter China, Israel und die Ukraine, geschlossen worden. Diese Länder leisten bei der Systemdefinition, der Forschung und der industriellen Zusammenarbeit Beiträge zum Galileo-Programm.
Im speziellen Fall Indiens wurde am 7. September 2005 in Neu-Delhi von der Kommission und den indischen Verhandlungspartnern ein Kooperationsabkommen unterzeichnet. Die Kommission hat jedoch beschlossen, die Gespräche mit den indischen Behörden weiterzuführen, um dieses Abkommen an die Standard-Kooperationsabkommen der EU zum Galileo-Projekt anzugleichen und um die aktuellen Entwicklungen bei diesem Projekt zu berücksichtigen. Der Rat muss nun den Vorschlag der Kommission abwarten, bevor er eine Entscheidung über die geltenden Vorschriften treffen kann.
Um die Position von Drittstaaten klarer zu definieren, hat der Rat am 22. März dieses Jahres einen Beschluss gefasst, der die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen mit Nicht-EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Abschluss von Abkommen über deren assoziierte Mitgliedschaft zwecks Beteiligung an der Aufsichtsbehörde (GSA) für das europäische GNSS (Globale Satellitennavigationssystem) ermächtigt.
Das Hauptziel dieses Beschlusses besteht darin, mit einer genauen Festlegung der Modalitäten für ihre Beteiligung an der GSA einheitliche Regelungen für alle Nicht-EU-Länder zu schaffen.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE). – (RO) Herr Präsident! Ich möchte dem Herrn Staatssekretär für die Informationen danken. Allerdings möchte ich auf den ersten Teil meiner Frage zurückkommen, nämlich die Finanzierung des GALILEO-Projekts. Herr Staatssekretär, bitte teilen Sie uns mehr über die eigentliche Finanzierung des Projektes mit sowie über die Art und Weise, wie der Kommissionsvorschlag untersucht wurde. Wie wird die Entscheidung des Rates in der nächsten Zeit faktisch ausfallen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich kann nicht voraussagen, wie die Entscheidung des Rates über die anstehenden Fragen, insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung, ausfallen wird. Das Thema Finanzierung muss natürlich im Rat erörtert werden, ebenso wie die anderen Fragen, die die Kommission in ihren jüngsten Vorschlägen aufgeworfen hat. Ich kann der Frau Abgeordneten zwei Dinge versichern: erstens, dass sich der Ratsvorsitz darüber im Klaren ist, dass das Galileo-Projekt ein Projekt von strategischer Bedeutung für die Europäische Union ist und dass er diese Angelegenheit daher in der entsprechenden Weise behandeln wird, nämlich als Projekt von strategischem Interesse für die Europäische Union; zweitens, dass der Ratsvorsitz alles in seiner Macht Stehende tun wird, um während der portugiesischen Ratspräsidentschaft eine Einigung über die wichtigsten Aspekte des Galileo-Projekts zu erreichen.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Herr Präsident, Herr Ratspräsident! Ich stimme zu, dass Galileo ein dringliches, prioritäres EU-Projekt ist, doch die Landwirte sind äußerst beunruhigt, weil die Kommission die Idee hegt, die Überschussmittel der GAP zur Finanzierung des Galileo-Projekts zu nutzen. Da 2007 offenbar ein Überschuss erzielt wurde, machen sie sich Sorgen um ihre Zukunft.
Meine Frage an den Rat lautet: Sind sich die 27 EU-Regierungen einig, dasss dies ein prioritäres Projekt sein sollte und dass Mittel verwendet werden sollten, die entweder aus außerordentlichen Beiträgen oder aus den Mitteln stammen, die jedes Jahr vom Gemeinschaftshaushalt übrig bleiben?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich danke Ihnen, Herr Präsident! Ich denke, dass ich mich zu dieser Frage bereits in meiner vorigen Antwort geäußert habe. Das Thema Finanzierung ist noch nicht vom Tisch. Der Rat muss sich damit noch befassen, da darüber noch keine Entscheidung getroffen wurde. Es wird natürlich damit gerechnet, dass auch die Mitgliedstaaten in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. Ich glaube aber, dass wir uns alle darin einig sind, dass dieses Projekt von strategischer Bedeutung ist.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 3 von Bernd Posselt (H-0599/07)
Betrifft: Verfassungsreform in Bosnien und Herzegowina
Wie beurteilt der Rat den Stand der Reformen, insbesondere der Verfassungsreform und der Reform des Vertragswerkes von Dayton, in Bosnien und Herzegowina, und welche Schritte plant er für die Erneuerung und Integration dieses Landes?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Union wird den derzeitigen Reformprozess in Bosnien und Herzegowina im jährlichen Fortschrittsbericht bewerten, der wie üblich im November vorgelegt werden wird.
Der Rat hat mehrfach hervorgehoben, wie wichtig es ist, dass die vier in den Schlussfolgerungen des Rates vom 12. Dezember 2005 formulierten wesentlichen Voraussetzungen für den Abschluss der Verhandlungen über das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen so rasch wie möglich erfüllt werden. Dies gilt insbesondere für die Durchführung der Polizeireform. Doch wie Sie wissen, zeichnete sich auch in den vergangenen Monaten keine Entspannung der politischen Situation ab, da die führenden bosnischen Politiker unnachgiebig auf ihren extremen Positionen beharrten. Im Moment scheint es äußerst schwierig zu sein, einen Konsens über die Reformagenda zu erreichen, vor allem, was die Umstrukturierung des Polizeiapparats anbelangt.
Der Hohe Vertreter, Herr Solana, hat sich am 10. September zu einer Unterredung mit Miroslav Lajčák, dem Sonderbeauftragten der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina, getroffen. Bei diesem Gespräch in Brüssel brachte Herr Solana seine uneingeschränkte Unterstützung für die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten und seine Bemühungen um einen Kompromiss mit der politischen Führung in Bosnien und Herzegowina über die Polizeireform zum Ausdruck.
Der Generalsekretär und Hohe Vertreter, Herr Solana, forderte die bosnischen Politiker auf, einen konstruktiven Beitrag zur jüngsten Initiative des EU-Sonderbeauftragten zu leisten und bei der Beseitigung des letzten Hindernisses mitzuhelfen, das der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union noch im Wege steht. Zudem forderte er die Behörden dieses Landes auf, verantwortlich zu handeln, damit die Lebensbedingungen der Menschen in Bosnien und Herzegowina endlich verbessert werden können.
Der Rat hat ebenfalls deutlich gemacht, dass er die in Bosnien und Herzegowina unternommenen Anstrengungen zur Reform der Verfassung unterstützt, deren Ziel es ist, funktionsfähigere staatliche Strukturen zu schaffen, die zur Erreichung der europäischen Standards besser geeignet sind. Weitere Anstrengungen sind notwendig, um die Effizienz der Exekutiv- und Legislativorgane weiter zu erhöhen, und wir müssen auch die Kapazitäten für die Verwaltung und Koordinierung zwischen dem Staat und seinen Organen ausbauen.
Die Europäische Union hat im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe 1 Million Euro für die Verfassungsreform in Bosnien und Herzegowina bereitgestellt. Wie Sie sicherlich wissen, wurde am 7. Februar 2007 vom Rat eine gemeinsame Aktion zur Änderung und Verlängerung des Mandats des Sonderbeauftragten der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina angenommen. Im Rahmen dieses erweiterten Mandats hat der EU-Sonderbeauftragte die Aufgabe, politische Beratung und Unterstützung beim Verfassungsreformprozess zu leisten.
Bernd Posselt (PPE-DE). – Bosnien-Herzegowina wird nur eine Zukunft haben, wenn es in eine gleichberechtigte Föderation aller seiner drei Völker verwandelt wird, wozu nicht nur die herzegowinischen, sondern auch die zentralbosnischen Kroaten gehören. Meine Frage ist ganz konkret: Was kann man tun, wenn ein Teilstaat wie die Republika Srpska bei der Polizeireform und bei der Vertriebenenrückkehr von innen her blockiert, die EU aber nur von außen her auf den Gesamtstaat Druck ausübt? Sprechen Sie auch mit den einzelnen Entitäten und üben Sie auch auf diese Druck aus, oder geht das nur über den Zentralstaat? Dann wird das nämlich sehr schwierig sein.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Präsident, Herr Abgeordneter! Dazu kann ich sagen, dass die Europäische Union über die vorhandenen diplomatischen Instrumente und insbesondere über die Arbeit ihres Sonderbeauftragten alles in ihrer Macht Stehende tun wird, damit der gegenwärtige Stillstand bei der Verfassungsreform und vor allen Dingen bei der Polizeireform überwunden wird und die aufgetretenen Hindernisse aus dem Wege geräumt werden. Dafür setzen wir uns ein.
Natürlich wird der Rat die Vorschläge und Empfehlungen berücksichtigen, die der Sonderbeauftragte auf der Grundlage seiner Präsenz vor Ort gegebenenfalls vorlegen wird. Wie sich der Herr Abgeordnete sicher denken kann, ist dem Rat bewusst, dass die Situation komplex ist und dass die vordringlichste Aufgabe darin besteht, den derzeitigen Stillstand zu überwinden.
Richard Seeber (PPE-DE). – Wie der Herr Staatssekretär weiß, ist die potenzielle EU-Mitgliedschaft für alle Balkan-Staaten eine große Triebkraft für wirtschaftliche und politische Reformen. Mit Kroatien wird ja sehr intensiv verhandelt. Kann der Rat einen Überblick darüber geben, wie die Verhandlungen mit Kroatien konkret stehen, und vor allem wie die Assoziierungsabkommen mit den anderen Staaten implementiert sind und wie gut sie funktionieren?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Seeber! Wie Sie wissen, hat der Rat wiederholt und bei jeder sich bietenden Gelegenheit seinen Standpunkt und seine Meinung über die Beitrittsverfahren und die europäische Perspektive verschiedener Länder, insbesondere der Balkanstaaten, deutlich gemacht. Der Rat hat unmissverständlich erklärt, dass die Balkanstaaten eine europäische Perspektive haben. Mit einem dieser Länder, nämlich mit Kroatien, haben wir bereits Verhandlungen über seinen Beitritt zur Europäischen Union aufgenommen.
Wie ich schon sagte, wird die Kommission wie jedes Jahr im November dem Rat eine Mitteilung vorlegen, in der über den Stand der Verhandlungen, insbesondere über den Verlauf der Gespräche mit Kroatien berichtet wird, und ihre Vorschläge unterbreiten.
Dies wird für uns der richtige Zeitpunkt sein, um eine ausführliche und topaktuelle Überprüfung des Stands der Beitrittsverhandlungen vorzunehmen. Doch auch wenn es an der einen oder anderen Stelle bestimmte Schwierigkeiten, Probleme oder Verzögerungen geben mag, habe ich nach meiner persönlichen Einschätzung des Stands der Verhandlungen den Eindruck, dass diese zügig vorankommen.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 4 von Marie Panayotopoulos-Cassiotou (H-0604/07)
Betrifft: Maßnahmen zur Stärkung der Innovation
Welche konkreten Initiativen gedenkt die portugiesische Präsidentschaft vorzuschlagen, um eine Steigerung der Innovationsinvestitionen auf 3 % zu verwirklichen?
In welcher Weise sollen die kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere die in Berg- und Inselregionen sowie in entlegenen Regionen angesiedelten Unternehmen, an den Aktionen beteiligt werden, die mit Blick auf die Förderung von Innovation und Forschung bezuschusst werden?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Wie der Frau Abgeordneten bekannt ist, hat die Europäische Union derzeit noch kein quantitatives Ziel für Innovationsinvestitionen festgelegt. Es wäre praktisch unmöglich, ein solches Ziel festzulegen und zu verwirklichen, da die Innovation ein breites Spektrum von Aktivitäten einschließt, die nur sehr schwer zu definieren und zu messen sind.
Die Europäische Union hat sich daher 2002 dafür ausgesprochen, einen quantitativen Richtwert für die Ausgaben in den Bereichen Forschung und Entwicklung, auch FuE genannt, vorzugeben. Dabei handelt es sich um das bekannte Barcelona-Ziel von 3 %. Dieser Richtwert konnte vorgegeben werden, da die im Frascati-Handbuch der OECD international definierten FuE-Aktivitäten leichter zu messen und zu quantifizieren sind.
Angesichts der Schwierigkeiten, die es in den vergangenen Jahren bei der Steigerung der privaten FuE-Ausgaben in wichtigen Wirtschaftsbereichen gegeben hat, wird dieses Ziel in letzter Zeit als bevorzugter Referenzindikator herangezogen.
Doch in der Politik der Europäischen Union haben Maßnahmen zur Förderung von Innovation und Forschung höchste Priorität. Diese Förderung erfolgt über verschiedene Instrumente, wie das Forschungsrahmenprogramm und das CIP, das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, aber auch durch den Einsatz von Strukturfondsmitteln.
Bei der Gestaltung des Siebten Rahmenprogramms und des CIP wurde den Bedürfnissen der KMU besondere Aufmerksamkeit gewidmet, die die Hauptbegünstigten des CIP sind. Im Siebten Rahmenprogramm wurde eine Mindestquote von 15 % für die Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen an den Forschungsaktivitäten festgelegt, die zu den im spezifischen Programm „Zusammenarbeit“ genannten vorrangigen Themenbereichen gehören.
Die im Siebten Rahmenprogramm vorgesehene Mittelstandsförderung kann dazu beitragen, das Wettbewerbs- und Innovationspotenzial dieser Unternehmen zu verbessern. Berg- und Inselregionen sowie Gebiete in äußerster Randlage werden durch die Strukturfonds gefördert. Zudem erhalten sie Unterstützung über die maßgeblichen vorrangigen Themenbereiche des spezifischen Programms „Zusammenarbeit“ im 7. RP, insbesondere bei der Verbesserung ihrer Situation in den Bereichen Verkehr, Information, Kommunikation und Energieversorgung.
Die Maßnahmen des spezifischen Programms „Kapazitäten” zielen darauf ab, das Forschungspotenzial in den Konvergenz- und äußersten Randregionen der EU freizusetzen. Neben den aktuellen Programmen und Anreizen wird die Innovation auch durch eine Reihe von Initiativen gefördert, die derzeit im europäischen Parlament und im Rat erörtert werden. Dazu gehören der Vorschlag zur Einrichtung des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts, die Eurostars-Initiative, die innovative kleine und mittlere Unternehmen aktiv einbeziehen wird, sonstige Initiativen gemäß Artikel 169 EG-Vertrag sowie gemeinsame Technologieinitiativen auf der Grundlage von Artikel 171 EG-Vertrag.
Außerdem bereitet die Kommission zurzeit ihren Vorschlag für einen Europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) vor, der auf einer weitreichenden öffentlichen Konsultation basiert. Die Kommission will diesen Vorschlag bis Ende 2007 vorlegen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch das neue industriepolitische Konzept erwähnen, bei dem angesichts der Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung der Klimawandel im Vordergrund steht und bei dem Innovationen und die Rolle kleiner und mittlerer Unternehmen in der europäischen Wirtschaft wesentliche Aspekte sind.
Bei allen diesen Initiativen werden mittelständische Betriebe eine sehr wichtige Rolle spielen. Einige dieser Initiativen werden auch auf die speziellen Interessen in den von der Frau Abgeordneten erwähnten Regionen ausgerichtet sein, wie zum Beispiel das BONUS-Projekt, das bereits geplant ist und durch das die Meeresforschung in der Ostsee koordiniert wird.
Der portugiesische Ratsvorsitz hat das 3 %-Ziel für FuE-Ausgaben nicht aus den Augen verloren und verweist auf die Gespräche im informellen Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ im Juli in Lissabon, bei denen die Rolle der öffentlichen und privaten FuE-Investitionen analysiert und politische Maßnahmen erörtert wurden, die zur Erreichung dieses Ziels beitragen können.
Auf dieser informellen Tagung befasste sich der Rat ferner mit politischen Maßnahmen für kleine und mittlere Unternehmen, die besondere Auswirkungen auf die Bereiche Innovation und Finanzierung, Internationalisierung und Energieeffizienz haben.
Darüber hinaus hofft der portugiesische Ratsvorsitz, dass er durch seinen beharrlichen Hinweis darauf, dass spezifische Maßnahmen im Bereich der Humanressourcen in Wissenschaft und Technologie notwendig sind und die Maßnahmen im Bereich der Informationsgesellschaft verstärkt werden müssen, die Schaffung günstiger Bedingungen für einen Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsschub in der ganzen Europäischen Union unterstützen kann.
Maria Panayotopoulou-Kassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte den Vertreter des Rates, dem ich für seine Antwort danke, fragen, ob die Infrastruktur der Mitgliedstaaten und der Stand der Vorbereitungen des verantwortungsbewussten staatlichen Handelns die Entwicklung dieses ehrgeizigen Innovationsprogramms zulassen. Werden in den Mitgliedstaaten Kontrollen durchgeführt, wenn sie im Rahmen dieses Programms Fördermaßnahmen durchführen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich hoffe, dass ich die Frage der Frau Abgeordneten richtig verstanden habe. Wenn nicht, bitte ich sie, mich zu korrigieren oder mir zu erläutern, was sie mit ihrer Frage konkret meint.
Ich möchte Folgendes sagen: Wie der Frau Abgeordneten bekannt ist, stehen alle diese Themen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie und insbesondere dem wirtschaftlichen Aspekt dieser Strategie.
Derzeit bewerten wir natürlich mehrere Aspekte in Bezug auf den neuen Zyklus der Lissabon-Strategie. Einer der Aspekte, die wir bewerten und erörtern müssen, ist in der Tat die Rolle, die die Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der in diesem Bereich festgelegten Ziele oder Vorgaben spielen. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen, die sich auf die Innovation und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen beziehen, und im Kapitel über ihre Verwaltungsstrukturen natürlich auch, wie sie diese Ziele erreichen können.
Wir sind der Meinung, dass die Regierungen und die Mitgliedstaaten hier eine sehr wichtige Funktion übernehmen müssen, und es ist sicherlich auch sinnvoll, dass die Kommission sehr genau beobachtet, wie die Mitgliedstaaten ihre Maßnahmen zur Verwirklichung der festgelegten Ziele gestalten und anwenden.
Justas Vincas Paleckis (PSE). – (EN) Herr Ratspräsident! Bei der Beantwortung dieser Frage erwähnten Sie die Energieeffizienz, und ich halte das für das richtige Herangehen. Gestern unterstrich Kommissar Potočnik ebenfalls, dass Energieeffizienz und Kampf gegen den Klimawandel erste Priorität genießen. Ich möchte Sie fragen, welche zusätzlichen Maßnahmen der Rat ergreifen kann, um alle Ressourcen und die Aufmerksamkeit zu mobilisieren, damit dieses lebenswichtige Problem der Effizienz und des Klimawandels gelöst wird?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Wie der Herr Abgeordnete weiß, wurde im März vom Rat ein Programm gebilligt, das in den Bereichen Energie und Klimawandel weltweit als wegweisend gilt. Ich bin der Meinung, dass der Europäischen Union auf der Konferenz von Bali eine fast schon historische Verantwortung zukommt, auf der hoffentlich neue Vorgaben für die CO2-Emissionen für die Zeit nach Kyoto ab 2012 festgelegt werden. Die Europäische Union hat zweifellos die Aufgabe, die internationale Gemeinschaft zu unterstützen und/oder zu ermutigen, damit sie sich selbst ebenso ehrgeizige Ziele steckt, wie wir es getan haben.
Wir haben daher bereits jetzt ein sehr ehrgeiziges Programm, Herr Paleckis, das wir in der gesamten Europäischen Union umsetzen müssen. Die Energieeinsparung als eines der spezifischen Themen des Energiebereichs steht sowohl auf EU-Ebene als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten auf der Tagesordnung. Ich kann Ihnen – aus eigener Erfahrung – berichten, dass dies in Portugal ein sehr wichtiger Bereich ist, in dem wir große Anstrengungen unternommen haben. Das Thema der Investitionen in neue Energietechnologien und in die Erforschung alternativer Energiequellen wurde ebenfalls erwähnt.
Es bleibt noch viel zu tun. Wir hoffen, dass wir die anstehenden Aufgaben zügig und kompetent bewältigen können. Nun müssen wir uns auf das ehrgeizige Energie- und Klimaprogramm konzentrieren, das wir gemeinsam festgelegt haben.
Paul Rübig (PPE-DE). – Wir haben heute hier im Europäischen Parlament über das EIT abgestimmt, und wir sind uns de facto einig, dass das absolute Priorität haben muss. Bis wann, rechnen Sie, kann die portugiesische Präsidentschaft einen Finanzierungsvorschlag auf den Tisch legen, der dann mit dem Parlament gemeinsam so schnell wie möglich umgesetzt wird? Glauben Sie, dass das EIT auch bei der mid-term review und beim health check eine Rolle spielen wird?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Rübig! Ich möchte Ihnen – wenn Sie erlauben, Herr Präsident –, mitteilen, dass es zu den Prioritäten des portugiesischen Ratsvorsitzes gehört, dafür zu sorgen, dass das Europäische Innovations- und Technologieinstitut erfolgreich auf den Weg gebracht wird und seine Arbeit aufnehmen kann. Wir werden uns daher mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Einrichtung des Instituts noch vor dem Ende der portugiesischen Präsidentschaft erfolgt.
Doch obgleich der Ratsvorsitz die Initiative ergreift und Vorschläge vorlegt, bleibt es den EU-Organen vorbehalten, die maßgeblichen Vorschläge des Ratsvorsitzes zu billigen. Ich kann zusichern, dass der Ratsvorsitz versuchen wird, so schnell wie möglich zu handeln. Wir können uns aber nicht über die Tatsache hinwegsetzen, dass es noch andere Themen und weitere Aspekte gibt, die natürlich der Zuständigkeit des gesamten Rates und der Organe unterliegen.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 5 von Dimitrios Papadimoulis (H-0605/07)
Betrifft: Entwicklungen im Kosovo
Der Generalsekretär des Rates, Xavier Solana, äußerte bei seinem Treffen mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen am 10.7.2007 zur Kosovofrage, dass „ein weiterer Aufschub in dieser Frage nicht förderlich“ sei. Zudem teilte die französische Nachrichtenagentur unter Berufung auf diplomatische Quellen mit, dass „Brüssel mittlerweile ernstlich die Möglichkeit einer Anerkennung des Kosovo erwägt, allerdings in möglichst organisierter Form“.
Wie bewertet der Rat die Entwicklungen in der Kosovo-Frage? Kann er die Variante einer einseitigen Anerkennung, durch die den UN-Verfahren vorgegriffen würde, nachdrücklich dementieren?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, hat der Rat am 18. Juni 2007 seine Position bekräftigt, dass der umfassende Vorschlag des Sondergesandten der Vereinten Nationen, Martti Ahtisaari, die Grundlage für die Lösung der Kosovo-Frage durch eine neue Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen darstellt. Der Europäische Rat sprach sich für intensivierte Bemühungen um die rechtzeitige Annahme einer solchen Entschließung des Sicherheitsrates aus.
Sie wissen, dass die Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat über eine neue Resolution ausgesetzt wurden, doch die Ereignisse werden vom Sicherheitsrat sehr aufmerksam verfolgt. In einer Erklärung vom August gab der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon bekannt, dass die Initiative der Kontaktgruppe für neue Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad von einer Troika geleitet werden soll, der Vertreter der Europäischen Union, der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten angehören. Der Generalsekretär hat die Kontaktgruppe aufgefordert, ihm bis zum 10. Dezember einen Bericht vorzulegen. Der Zweck dieser neuen Verhandlungsrunde besteht darin, dass die Troika eine unterstützende Funktion übernimmt und die Verhandlungspartner für die Vorlage neuer Vorschläge verantwortlich sind.
Sie wissen, dass der Generalsekretär und Hohe Vertreter, Herr Solana, Botschafter Wolfgang Ischinger am 29. Juli 2007 zum Vertreter der EU in der Troika ernannt hat. Bislang hat die Troika am 10. und 11. August in Belgrad und Pristina, am 30. August in Wien und am 18. und 19. September in London separate Gespräche mit den betroffenen Parteien geführt. Beim Treffen der Kontaktgruppe auf Ministerebene, das am 27. September am Rande der UN-Vollversammlung in New York stattfinden wird, werden die Minister den Stand der Verhandlungen erörtern und eine Erklärung verabschieden, deren Ziel es ist, diesem Prozess einen wichtigen Impuls zu geben. Am 28. September werden ebenfalls in New York weitere getrennte Gespräche zwischen der Troika und den Parteien stattfinden, und im Anschluss daran wird es gegebenenfalls noch am selben Tag zu einem ersten direkten Treffen zwischen den Parteien kommen.
Wie Herr Solana betonte, ist es nun wichtig, dass die Parteien in diesem Prozess konstruktiv zusammenarbeiten und inhaltliche Fragen erörtern. Zum Abschluss des Troika-Prozesses muss der UN-Generalsekretär dem Sicherheitsrat einen Bericht über diese Initiative vorlegen. Sie verstehen sicher, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh wäre, eine Aussage über die möglichen Ergebnisse dieses Prozesses zu treffen.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Erst gestern erklärte Condoleezza Rice, der Kosovo werde unabhängig. Das Szenario der USA ist klar: eine einseitige Unabhängigkeitserklärung bis Dezember und die sofortige Anerkennung durch die USA.
Wie sieht der Standpunkt des Rates angesichts dieser Vorgehensweise aus? Beunruhigt Sie die zunehmende Destabilisierung der gesamten Region durch den albanischen Nationalismus? Beabsichtigt der Rat letztendlich, geschlossen, umsichtig und einheitlich zu handeln?
Ich habe in der New York Times gelesen, dass europäische Diplomaten sich beeilen, der Position des Rates zuvorzukommen, die der der Vereinigten Staaten sklavisch folgt. Weshalb sagen Sie uns nicht, was die Diplomaten im Rat erklären? Wir hätten gern eine klare Antwort.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich habe die Erklärungen von Frau Riis-Jørgensen weder gelesen noch gehört und habe daher auch nicht die Absicht, direkt darauf einzugehen. Ich möchte jedoch Folgendes sagen: Wir befinden uns nun mitten in einem Prozess, einem Prozess, der von einer Troika geleitet wird, der Vertreter der Europäischen Union, der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten angehören.
Wir sollten die Troika ihre Arbeit in einem möglichst ruhigen und vertrauensvollen Klima erledigen lassen. Was die Europäische Union angelangt, hat die Arbeit dieser Troika natürlich unsere volle Unterstützung. Zudem hat die Troika den klaren Auftrag, im Dezember einen abschließenden Bericht vorzulegen, der die Schlussfolgerungen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Empfehlungen enthalten wird, die sich aus ihrer Arbeit in den nächsten Monaten ergeben werden. Wir hoffen daher, wie ich schon sagte, dass diese Arbeit abgeschlossen werden kann, dass ein Bericht vorgelegt wird und dass auch wir über die Empfehlungen dieser Troika unterrichtet werden.
Wichtig ist für die Europäische Union vor allen Dingen, dass sie, wie auch immer diese Schlussfolgerungen oder Empfehlungen ausfallen mögen und die Zukunftsaussichten für den Kosovo im Bericht der Troika beurteilt werden, bei allen gegebenenfalls zu treffenden Entscheidungen einig ist und eine gemeinsame Linie verfolgt. Der portugiesische Ratsvorsitz ist nicht müde geworden, dies immer wieder zu betonen, und wir sind zuversichtlich, dass dieser Appell Gehör finden wird.
Bernd Posselt (PPE-DE). – Herr Ratspräsident, wissen Sie, dass Herr Papadimoulis hier völlig isoliert ist? Kennen Sie die Entschließung dieses Hauses, in der wir mit 75 % Mehrheit der Abgeordneten gesagt haben: Wir sind für den Ahtisaari-Rohan-Plan, und wir sind klar für eine international kontrollierte Souveränität? Wissen Sie, dass wir die Option einer Teilung des Kosovo klar ausgeschlossen haben? Ich möchte Sie auch fragen, was Sie zu diesen Gerüchten meinen, dass über eine Teilung gesprochen wird. Das hat nämlich sowohl die Kontaktgruppe als auch dieses Parlament eigentlich ausgeschlossen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Die Frage einer Spaltung oder Teilung des Kosovo steht in keiner Weise auf der Tagesordnung und ist auch nicht Teil der Arbeit der Troika.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 6 von Philip Claeys (H-0611/07)
Betrifft: Bewerbung Kasachstans für den Vorsitz der OSZE
Wie verlautet, hat sich Kasachstan für den Vorsitz der OSZE im Jahr 2009 beworben. Der Außenminister des Landes, das den Vorsitz innehat, vertritt die Organisation und koordiniert alle Tätigkeiten der OSZE.
Es ist bekannt, dass Kasachstan noch nie eine Wahl durchgeführt hat, die internationalen Standards entspricht, und dass die Menschenrechtslage sehr schlecht ist.
Die Mitgliedstaaten der EU treten in der OSZE sehr häufig als ein Block auf. Gerade in einer derart grundlegenden Frage – der Bewerbung eines undemokratischen Staates um den Vorsitz in der OSZE – muss Geschlossenheit erwartet werden. Die Entscheidung dürfte im November fallen.
Besteht im Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ Konsens darüber, dass die Bewerbung Kasachstans unannehmbar ist? Werden die Mitgliedstaaten geschlossen auftreten?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich danke Ihnen, Herr Präsident, Herr Abgeordneter! Die Europäische Union hat noch keine Entscheidung über die Bewerbung Kasachstans um den Vorsitz der OSZE im Jahr 2009 getroffen. Die EU vertritt die Auffassung, dass diese Bewerbung Kasachstan deutlich machen wird, dass es Reformen durchführen muss und die Regeln und Verpflichtungen der OSZE auf allen Ebenen einhalten muss. Der Rat hat wiederholt darauf hingewiesen, dass jedes Land, das den Vorsitz der OSZE innehat, zeigen muss, dass es die Grundsätze dieser Organisation respektiert.
Bei den Treffen mit den politischen Instanzen Kasachstans haben die Europäische Union, der Rat und die Kommission hervorgehoben, dass Kasachstan unter Beweis stellen muss, dass es bereit und fähig ist, die vollständige Einhaltung der OSZE-Regeln und Verpflichtungen auf allen drei Ebenen – der personellen Ebene, der politisch-militärischen Ebene und der wirtschaftlich-umweltpolitischen Ebene – verbindlich zuzusichern.
Koenraad Dillen (ITS), in Vertretung des Verfassers. – (NL) Vielen Dank für Ihre Antwort, Herr Minister. Darf ich davon ausgehen, dass Sie damit sagen wollen, Kasachstan erfülle gegenwärtig die Bedingungen nicht?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Das kann ich so nicht stehen lassen, denn der Herr Abgeordnete hat aus meiner Aussage eine Schlussfolgerung gezogen, die nicht genau das wiedergibt, was ich gesagt habe. Ich sagte, dass noch keine Entscheidung über die Bewerbung Kasachstans getroffen worden ist und dass bei einer Entscheidung über die Bewerbung Kasachstans, zum gegebenen Zeitpunkt, berücksichtigt werden wird, ob das Land die von mir genannten Voraussetzungen erfüllt. Diese Analyse und Debatte wird zu gegebener Zeit und an geeigneter Stelle stattfinden.
Der Präsident. – Da der Fragesteller nicht anwesend ist, ist die Anfrage Nr. 7 hinfällig.
Anfrage Nr. 8 von Robert Navarro (H-0616/07)
Betrifft: Fang von Rotem Thun im Mittelmeer
Am 11. Juni 2007 nahm der Rat die Verordnung (EG) Nr. 643/2007(1) zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 41/2007 hinsichtlich des von der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände des Atlantiks empfohlenen Wiederauffüllungsplans für Roten Thun an. Aus dem Text geht jedoch hervor, dass der Grundsatz der Gleichheit für Fischer von Rotem Thun in der Europäischen Union nicht eingehalten wird. Das Mindestgewicht der gefangenen Fische und die Fangzeiten sind je nach geographischer Zone unterschiedlich.
Wie lassen sich die Unterschiede in der Behandlung der Fischer im Mittelmeerraum und im Ostatlantik erklären?
Die Beschränkungen für die französischen Fischer von Rotem Thun im Mittelmeerraum könnten das sozioökonomische Gleichgewicht des Sektors erheblich stören. Thunfische mit einem Gewicht von mehr als 30 kg – dem in der neuen Verordnung vorgeschriebenen Mindestgewicht – sind schwer verkäuflich. Ferner hat die um zwei Wochen verkürzte Fangzeit einen starken Umsatzeinbruch für die Fischer zur Folge. Etwa tausend Fischer und ihre Familien sind unmittelbar davon betroffen.
Inwiefern ist der Fang von Rotem Thun im Mittelmeer schädlicher als im Ostatlantik?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Vielen Dank, Herr Präsident, Herr Navarro! Im Namen de Rates möchte ich dem Herrn Abgeordneten für seine Anfrage zum Wiederauffüllplan für Roten Thun danken. Dieser Plan wurde auf der Grundlage eines Gutachtens von Wissenschaftlern der ICCAT (Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände des Atlantiks) erarbeitet, die unverzügliche und umfassende Maßnahmen empfohlen hatte, um die derzeitige Zerstörung der Bestände an Rotem Thun im Mittelmeer und im Ostatlantik zu verhindern. Auf ihrer Jahrestagung im November 2006 in Dubrovnik billigte die ICCAT die Empfehlung, die die Durchführung eines 15-jährigen Wiederauffüllplans vorsah. Die Europäische Gemeinschaft als Mitglied der ICCAT erkannte daraufhin die internationale Verpflichtung zur Umsetzung des besagten Wiederauffüllplans in das Gemeinschaftsrecht an.
Wirtschaftlich betrachtet würde eine vollständige Nichteinhaltung dieser Verpflichtung die Position der Europäischen Gemeinschaft in den asiatischen Märkten erheblich schwächen. Für das Jahr 2007 wurde diese Verpflichtung durch die Annahme der Verordnung (EG) Nr. 643/2007 des Rates zur Änderung der Verordnung über zulässige Gesamtfangmengen und Quoten erfüllt. Auf der Grundlage eines Kommissionsvorschlags prüft der Rat derzeit, welche Verordnungen notwendig sind, damit der Plan ab 1. Januar 2008 für weitere 14 Jahre durchgeführt werden kann. Für verschiedene Gebiete gelten unterschiedliche Regelungen, damit den jeweiligen Gegebenheiten hinsichtlich Art der Fischerei, Fangtätigkeit und Zustand der Bestände Rechnung getragen werden kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Spektrum von der industriellen Fischerei auf hohem technischem Niveau bis hin zum traditionellen Fischfang reicht, der nicht für industrielle Zwecke betrieben wird.
Die ICCAT-Gruppen erstellten den Plan auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten, in denen bestimmte Unterscheidungen zwischen dem Mittelmeer und dem Ostatlantik getroffen wurden. Daher vertritt der Rat die Auffassung, dass die ICCAT versucht hat, diesen wissenschaftlichen Empfehlungen zu folgen, die Elemente des Wiederauffüllplans aber unterschiedlich anwendet, um seine sozioökonomischen Konsequenzen zu mildern.
Der Rat ist sich darüber im Klaren, dass dieser wichtige Wiederauffüllplan soziale und wirtschaftliche Folgen für die betroffenen Fischer hat. Derartige Folgen würden aber auch bei einer erneuten Überfischung der Bestände des Roten Thun eintreten. Bei den Verhandlungen über die Verordnung (EG) Nr. 643/2007 des Rates vereinbarten der Rat und die Kommission die Aufnahme einer Bestimmung, mit der die Anerkennung des Wiederauffüllplans durch den Fischereifonds sichergestellt wird. Auf diese Weise können die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Mittel aus dem Fonds einsetzen, um die wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Fischer abzumildern. Es ist vorgesehen, dass diese Bestimmung bis zum 31. Dezember 2014 in Kraft bleibt.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE), in Vertretung des Fragestellers. – (ES) Herr Präsident! Ich möchte zunächst im Namen von Herrn Navarro sprechen und dann eine Anfrage in meinem Namen stellen oder vielmehr eine Anfrage wiederholen.
Meine Anfrage im Namen von Herrn Navarro lautet: Artikel 23(4) der Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates, die einen Wiederauffüllungsplan für den Roten Thun festlegt, gestattet es, dass alle Überschüsse eines Mitgliedstaats in Bezug auf die Jahresquote von künftigen Fangmöglichkeiten abgezogen werden können. Ich möchte den Rat dazu fragen: Was geschieht mit jenen, die in diesem Jahr weniger als ihre Quote gefangen haben, da die Kommission die Fanggründe letzte Woche geschlossen hat?
Der Präsident. – Herr Ortuondo! Ich kann Ihnen das Wort nicht erteilen, weil bereits zwei andere Redner auf der Rednerliste stehen. Ich werde Ihnen aber weitere 15 Sekunden einräumen, wenn Sie Ihre Frage jetzt gleich stellen möchten, denn nach der Geschäftsordnung kann ich keine drei Zusatzfragen zulassen. Ausnahmsweise und mit Zustimmung aller Anwesenden gewähre ich Ihnen daher weitere 15 Sekunden Redezeit.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Herr Präsident! Ich bitte um Nachsicht, doch ich möchte den Ratsvorsitzenden fragen, wie die Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 angewendet werden kann, wenn die Mitgliedstaaten nicht mit der Kommission zusammengearbeitet und nicht pflichtgemäß die Dokumentation über die Fänge dieser Fangsaison übermittelt haben.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Eine der Fragen, die der Herr Abgeordnete an mich gerichtet hat, ist sehr spezifisch und detailliert. Ich werde versuchen, sie so gut ich kann zu beantworten, aber ich bin der Meinung, dass die erste Frage ganz konkret die Kommission betrifft und dass es besser wäre, ihr diese Frage zu stellen. Die Kommission ist zweifellos besser als der Rat dazu in der Lage, Ihnen die gewünschte Auskunft zu erteilen.
Was die zweite Frage zur vermeintlich unzureichenden Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der Kommission anbelangt, ist es, sofern dies tatsächlich zutrifft, natürlich Aufgabe der Kommission, die Situation zu analysieren und einen geeigneten Weg zu finden, um die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Vorgaben zu bewegen, die sie unter Umständen sogar selbst festgelegt haben. Daher halte ich es für wesentlich sinnvoller, diese Frage an die Kommission und nicht an den Rat zu richten.
Richard Seeber (PPE-DE). – Ich möchte die Präsidentschaft fragen, wie sie mit dem Phänomen des Klimawandels im Zusammenhang mit den Fischfangquoten umgeht. Wir wissen alle, dass der Klimawandel derzeit durch die starke Wärmeaufnahme durch die Meere abgepuffert wird. 80 % der Energie werden hier noch gebunden. Aber es ist natürlich damit zu rechnen, dass sich in Zukunft auch die Meeresumwelt massiv erwärmen wird. Wie stellt die Ratspräsidentschaft sicher, dass diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch entsprechend berücksichtigt werden und man das aquatische Umfeld in Betracht zieht, wenn man Fischfangquoten festlegt?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Auch dies ist meiner Ansicht nach eine Frage, die der Kommission und nicht dem Rat gestellt werden sollte, da die Kommission auf diesem Gebiet naturgemäß eine führende und wesentliche Rolle spielt. Ich kann dem Herrn Abgeordneten versichern, dass – wie ich schon sagte – Umweltfragen und insbesondere die Bereiche, die den Klimawandel betreffen, ganz oben auf der Tagesordnung des Ratsvorsitzes stehen und auch im Rat hohe Priorität haben. Nach der Bali-Konferenz Ende dieses Jahres werden wir eine sehr schwierige Aufgabe zu meistern haben, und wir hoffen, dass wir im Anschluss an diesen ganzen Prozess 2009 neue Ziele für die CO2-Emissionen festlegen können.
Rosa Miguélez Ramos (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Ratspräsident! Ich möchte ebenfalls einige Bemerkungen zum Thema Roter Thun machen, ganz besonders zur Schließung der Fanggründe, die die Kommission kürzlich verfügt hat, weil die Quote der Europäischen Union überschritten wurde.
Aus der Information, die wir von der Kommission erhielten, kann gefolgert werden, dass die Quoten einiger Mitgliedstaaten, einschließlich Spanien und Portugal, bei Schließung der Fanggründe noch nicht ausgeschöpft waren, während andere, wie Frankreich und Italien, ihre überschritten hatten, sogar um das Doppelte, was die Europäische Union zumindest in eine peinliche Lage bringt, da sie gegen die internationalen Regeln verstoßen hat.
Meine Frage an den Rat lautet: Welche Maßnahmen kann der Rat ergreifen, um für die Staaten, die ihre Fangquoten nicht ausgeschöpft haben, einen Ausgleich zu schaffen, indem bei jenen reduziert wird, die ihre Quoten mehr als aufgebraucht haben? Kann der Rat das tun?
Und eine weitere Frage: Was beabsichtigt der Rat zu unternehmen? Welche Maßnahmen wird er ergreifen, um sicherzustellen, dass sich so etwas nicht wiederholt?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Präsident, Frau Miguélez! Auch hier gilt, dass die Kommission der richtige Ansprechpartner für diese Fragen ist. Die Kommission ist aufgrund ihrer Funktion in der Lage, die Fragen kompetent zu beantworten, die Sie mir soeben gestellt haben.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 9 von Chris Davies (H-0617/07)
Betrifft: Öffentliche Beschlussfassung über Rechtsvorschriften der EU
Sind dem Rat irgendwelche negativen Auswirkungen seines im Juni 2006 gefassten Beschlusses bekannt, auf der Webseite des Rates seine Tagungen zu übertragen, auf denen die Minister Rechtsvorschriften erörtern?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Bezug nehmend auf Ihre Anfrage verweist Sie der Ratsvorsitz auf den Bericht über die Umsetzung der allgemeinen Politik der Transparenz, der dem Rat am 11. Dezember 2006 von dem zu diesem Zeitpunkt amtierenden finnischen Ratsvorsitz vorgelegt wurde. Dieser Bericht enthält die aktuelle Überprüfung der Wirkung der neuen transparenzfördernden Maßnahmen auf die Effizienz der Arbeit des Rates. Nach den vorläufigen Schlussfolgerungen dieses ebenfalls noch nicht endgültigen Berichts sollte bis Ende 2007 eine gründlichere Überprüfung der Wirkungen der neuen transparenzfördernden Maßnahmen erfolgen, wenn mehr praktische Erfahrungen im Hinblick auf ihre Umsetzung und Wirkung auf die Arbeit des Rates vorliegen.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 15. und 16. Juni 2006 sowie Artikel 8 der Geschäftsordnung des Rates im ersten Halbjahr 2006 insgesamt 98 öffentliche Beratungen und Aussprachen durchgeführt wurden.
Chris Davies (ALDE). – (EN) Ich begrüße die Antwort des amtierenden Ratspräsidenten und freue mich sehr darüber, dass der Rat beschlossen hat, die Übertragung der Beratungen zu organisieren, ehe irgendwelche Bestimmungen dazu im Reformvertrag zu finden sind.
Ich nehme die Antwort des amtierenden Ratspräsidenten zur Kenntnis, dass vor Ablauf des Jahres 2007 eine Prüfung vorgenommen und das Ergebnis veröffentlicht wird, aus dem, so hoffe ich, hervorgeht, wie die Grundsätze der Offenheit und Transparenz in diesem Bereich ausgeweitet werden können. Kann der amtierende Ratspräsident bestätigen, dass vor Ablauf seiner Präsidentschaft eine solche Überprüfung wirklich veröffentlicht wird?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich kann Ihnen mitteilen und versichern, dass dies ein Thema ist, das dem portugiesischen Ratsvorsitz am Herzen liegt und dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um diesen Prozess weiter voranzubringen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es mir nicht möglich, Ihnen verbindlich konkrete Termine für diese Überprüfung zu nennen, aber Sie können sich darauf verlassen, dass der portugiesische Ratsvorsitz die weitere Verbesserung der Transparenz als wichtige Aufgabe ansieht und sich mit Nachdruck dafür einsetzt.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 10 von Ryszard Czarnecki (H-0620/07)
Betrifft: Lage in Afghanistan
Wie sieht der Rat die Aufgabe der EU bei der Stabilisierung der Lage in Afghanistan, wo militärische Einheiten aus einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten stationiert sind?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ein zentrales Element der Vorgehensweise der Europäischen Union ist die strikte Koordinierung. Intern werden große Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass sich alle Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft, des Rates und der Mitgliedstaaten ergänzen und gegenseitig verstärken. Extern gehört die Europäische Union zu den wichtigsten Mitgliedern des Gemeinsamen Koordinierungs- und Überwachungsrates, der 2006 im Rahmen des Afghanistan-Pakts eingerichtet wurde.
Vor dem Hintergrund dieser breit angelegten Strategie ist der Beschluss des Rates vom 12. Februar 2007, die ESVP-Mission (ESVP – Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) in Afghanistan fortzuführen, zu betrachten. Die Polizeimission der EU (EUPOL) befindet sich derzeit in der Planungsphase. Mit dieser Mission macht die Europäische Union deutlich, dass sie eine aktivere Rolle im Bereich der Polizeiarbeit und bei damit zusammenhängenden Fragen der allgemeinen Rechtsstaatlichkeit spielen will. Selbstverständlich wird die Mission sorgfältig auf die Maßnahmen abgestimmt, die von der Kommission zur Reform des Justizsektors unternommen werden. Alle diese Anstrengungen haben das gemeinsame Ziel, die Souveränität der afghanischen Institutionen zu stärken.
Afghanistan hat seit 2001 mit der Einrichtung repräsentativer politischer Institutionen, der Schaffung von Pressefreiheit, dem Aufbau von Einrichtungen im Sicherheitsbereich, mit Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungswesen, bei den Menschenrechten und der Stellung der Frau, mit der Ernennung eines funktionsfähigen Obersten Gerichtshofs und dem Beschluss, ein Beratungsgremium für Ernennungen auf hoher Ebene einzurichten, sehr bedeutsame Fortschritte erzielt. Mit einem Beitrag von 3,7 Milliarden Euro seit 2002 spielt die Europäische Union bereits eine zentrale Rolle in diesem Prozess. Die Europäische Union intensiviert ihre Bemühungen weiter und wird dafür sorgen, dass ihre Entwicklungshilfe die afghanische Bevölkerung in allen Teilen des Landes erreicht.
Durch die jetzt stärkere Betonung der Bereiche Staatsführung und Rechtsstaatlichkeit sollen die Maßnahmen auf anderen Gebieten vorangetrieben werden. Die Kommission konzipiert Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums, zum Gesundheitswesen und zur Staatsführung und wird Finanzhilfen für einige zivile Maßnahmen der Mitgliedstaaten bereitstellen, die über regionale Wiederaufbauteams durchgeführt werden. Die Europäische Union ist der festen Überzeugung, dass sich, wie auf der Tagung des Europäischen Rates am 14. Dezember 2006 erklärt wurde, Sicherheit und Entwicklung in Afghanistan gegenseitig bedingen. Daher bekannte sich die Europäische Union von Anfang an zu einem langfristigen Engagement für Afghanistan im Rahmen einer entschlossenen und ausgewogenen Strategie.
Ryszard Czarnecki (UEN). – (PL) Vielen Dank, Herr Antunes, für die Erläuterung. Ich wollte lediglich auf ein Schlüsselproblem hinweisen, das auch die Ausführungen der in Afghanistan tätigen Vertreter der EU-Kommission vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Parlaments betrifft.
Ich wollte fragen, ob der Rat die Absicht hat, die humanitäre Hilfe für Afghanistan zu erhöhen und Anstrengungen zum Wiederaufbau der dortigen Zivilgesellschaft zu verstärken. Meines Erachtens ist in Afghanistan weitaus mehr als militärische Präsenz gefragt. Mein Land engagiert sich in Afghanistan auch vor Ort, was ein Hinweis auf das Bestreben ist, Stabilität in der Region zu erreichen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich teile die Meinung des Herrn Abgeordneten: Die Förderung der Sicherheit und Stabilität in Afghanistan mit militärischen Mitteln ist wichtig, aber dies ist nur ein Teil der Aufgabe, die wir in diesem Land zu leisten haben. Wir müssen darüber hinaus die demokratischen Organe in Afghanistan stärken und uns ferner auf das Element der afghanischen Zivilgesellschaft konzentrieren. Wir müssen in das Gesundheitswesen und in die Bildung und Ausbildung investieren. Und wir müssen natürlich weiterhin versuchen, die Herzen des afghanischen Volkes zu gewinnen.
Aus diesem Grund verfolgen wir eine Strategie mit zwei Schwerpunkten, von denen einer der militärische Aspekt ist, der die Sicherheit und die Stabilität vor Ort einschließt. Ohne Sicherheit, ohne Stabilität in dem Land, kann es keinen Frieden und schon gar keine wirtschaftliche und soziale Entwicklung geben. Deshalb müssen wir diesen Aspekt sicherstellen und zugleich den Aufbau der afghanischen Zivilgesellschaft und der demokratischen Organe in Afghanistan, also das, was wir den Wiederaufbau der Verwaltungskapazitäten des afghanischen Staates nennen, weiter vorantreiben und finanziell unterstützen.
Paul Rübig (PPE-DE). – Die wirtschaftliche Stabilität in Afghanistan ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass dort Demokratie und Frieden funktionieren. In der Europäischen Union haben wir die Oslo-Agenda zur Ausbildung für kleine und mittlere Betriebe, zur Gründung von Betrieben und auch, um die Einstellung zum Unternehmertum zu verbessern und Export und Import zu fördern. Könnten Sie sich vorstellen, dass man diese Oslo-Agenda auch dort umsetzt?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Rübig! Meiner Ansicht nach müssen wir in alle Bereiche der afghanischen Gesellschaft investieren, wie ich eben schon sagte. Ich glaube, dass in einem Land wie Afghanistan mit seinen derzeitigen Sicherheits- und Wirtschaftsproblemen und seiner besonderen Sozialstruktur kleine und mittlere Unternehmen eine sehr wichtige Rolle spielen können.
Dies scheint mir daher ein wichtiger Sektor zu sein, in den wir im Zusammenhang mit dem Aufbau der wirtschaftlichen und sozialen Struktur Afghanistans investieren können und sollten. Natürlich können wir darüber diskutieren, wie wir das Finanzinstrument konkret einsetzen sollten, aber es liegt auf der Hand, dass derzeit niemand erwartet, zumindest nicht in der momentanen Situation, dass sich große Unternehmen in Afghanistan ansiedeln. Dafür ist die Zeit noch nicht reif.
Um die Wirtschaftsstruktur in Afghanistan wiederaufzubauen, müssen wir meiner Meinung nach unsere Anstrengungen auf die Qualifizierung, die Ausbildung und zugleich auf kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 11 von Eoin Ryan (H-0625/07)
Betrifft: Reaktion der EU zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Europa
Kann der Europäische Rat eine Erklärung zum aktuellen Ausmaß der organisierten Kriminalität in Europa abgeben und erläutern, welche koordinierten Initiativen auf EU-Ebene ergriffen wurden, um die wachsende Bedrohung durch die organisierte Kriminalität zu bekämpfen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Der Rat verweist den Herrn Abgeordneten auf die Bewertung der Bedrohungslage im Bereich der organisierten Kriminalität (OCTA), die Europol einmal jährlich für den Rat erstellt und die jedes Jahr auch dem Europäischen Parlament übermittelt wird.
Am 13. Juni dieses Jahres bekräftigte der Rat in seinen Schlussfolgerungen zur OCTA 2007 seine Überzeugung, dass der Schwerpunkt bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf der Verringerung der von ihr ausgehenden Bedrohung und des durch sie verursachten Schadens liegen und insbesondere darin bestehen sollte, dass: die Hindernisse bei der Zerschlagung der Gruppen der organisierten Kriminalität, die auf deren Aktivitäten bzw. Einfluss auf internationaler Ebene zurückgehen, beseitigt werden; das Ausmaß der Unterwanderung der Gesellschaft und der Wirtschaft durch die organisierte Kriminalität, insbesondere der Missbrauch legaler Unternehmensstrukturen und namentlich des Verkehrssektors eingedämmt wird und dass der Missbrauch moderner Technologie durch Gruppen der organisierten Kriminalität verhindert wird.
Außerdem hob der Rat hervor, dass die folgenden Kriminalitätsbereiche im Jahr 2007 Prioritäten der Europäischen Union sein sollten: Drogenhandel, insbesondere der Handel mit synthetischen Drogen; Schleuserkriminalität und Menschenhandel, insbesondere im Zusammenhang mit illegaler Einwanderung; Betrug, insbesondere bei hoch besteuerten Waren und in Form von Mehrwertsteuer-Karussellen; Eurofälschung, Produktfälschung und Diebstahl an geistigem Eigentum und Geldwäsche.
Wie bereits anlässlich der OCTA 2006 festgestellt, wird auch in diesen Schlussfolgerungen die Notwendigkeit eines interdisziplinären, auf Erkenntnisgewinnung beruhenden Konzepts hervorgehoben, nicht nur, um kriminelle Aktivitäten zu unterbinden, sondern auch, um kriminelle Organisationen zu zerschlagen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und ihnen die Erträge aus Straftaten zu entziehen.
Dies setzt voraus, dass entsprechende (spezielle) Mittel eingesetzt und Strukturen im Hinblick darauf organisiert werden, alle für die Strafverfolgung verfügbaren Informationen zu nutzen und auf diese Weise die gefährlichsten kriminellen Gruppen zu identifizieren und gegen sie vorzugehen.
In seinen Schlussfolgerungen fordert der Rat außerdem dazu auf, eine neue erkenntnisgestützte Kontrollstrategie zu entwickeln, die sich auf das gesamte nationale Hoheitsgebiet und wenn möglich das gesamte EU-Gebiet erstreckt und mit der die Kontrollen an den Außengrenzen durch Kontrollen unterwegs oder am Bestimmungsort ergänzt, Finanzvorgänge überwacht und die Analysefähigkeiten der Strafverfolgungsbehörden auf nationaler Ebene und auf EU-Ebene erweitert werden.
Eoin Ryan (UEN). – (EN) Meine Frage besteht aus zwei Teilen. Den ersten haben Sie insoweit beantwortet, dass Sie mir die ergriffenen Initiativen benannt haben, aber den Teil über das Ausmaß des organisierten Verbrechens haben Sie nicht beantwortet. Viele Leute haben den Eindruck, dass es zurzeit stark unterschätzt wird und dass organisierte Verbrecherbanden in viele Länder der Europäischen Union, wenn nicht gar in alle, eindringen. Das ist ein Dauerproblem, und viele sind der Ansicht, es müsse sehr viel koordinierter angegangen werden, als es zurzeit der Fall ist. Meine Frage zielt also auf das Ausmaß des organisierten Verbrechens in Europa ab.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Ryan! Wie ich bereits sagte, hielte bzw. halte ich es für sinnvoll, und in der Tat sogar für notwendig, die Bewertung der Bedrohungslage im Bereich der organisierten Kriminalität für Europa zu prüfen oder zu berücksichtigen. Ich kann nicht sagen, ob die Kriminalität zu- oder abgenommen hat, da mir zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben darüber vorliegen, die ich an Sie weitergeben könnte, aber häufig ist es so, dass subjektiv ein Anstieg der Kriminalität wahrgenommen wird, auch wenn die Fakten diese Wahrnehmung nicht bestätigen.
Eines ist jedoch unbestritten: Wir brauchen intensivere konzertierte Anstrengungen durch die Mitgliedstaaten und mehr Kooperation zwischen ihnen, insbesondere eine bessere Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten, um die weitreichenden und vielfältigen Bedrohungen durch die organisierte Kriminalität zu beseitigen. Ich sagte bereits, dass die Gruppen der organisierten Kriminalität dank der vorhandenen neuen Technologien hoch komplexe Arbeitsmethoden entwickelt haben, die nur sehr schwer zu bekämpfen sind. Ich glaube, dass alle Mitgliedstaaten diese neuen Technologien kennen und wissen, welche Möglichkeiten den Kriminellen durch diese neuen technologischen Entwicklungen, die eindeutig spezifische Probleme bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität verursachen, eröffnet werden.
Der portugiesische Ratsvorsitz wird natürlich, wie es seine Aufgabe ist, alle Vorschläge und Empfehlungen der Institutionen prüfen, um wirksamer gegen die von diesen kriminellen Gruppen ausgehenden Bedrohungen vorgehen zu können, die aufgrund der Art der verübten Straftaten zwangsläufig gravierende Auswirkungen auf unsere Gesellschaften haben werden.
Jim Allister (NI). – (EN) Ich nehme an, der amtierende Ratspräsident wäre entsetzt über eine Verbindung zwischen dem organisierten Verbrechen und einer Regierung in der EU. Das aber ist leider genau die Situation in Nordirland, wo die Sinn Féin, eine führende Regierungspartei, untrennbar mit der IRA verbunden ist, deren illegaler Armeerat über ein Portefeuille von Hunderten Millionen Euro verfügt, die die IRA aus Handlungen des organisierten Verbrechens angehäuft hat. Das ist einer der Gründe, warum der Armeerat nicht aufgelöst wurde. Wird der Rat diese Perversität ebenfalls verurteilen und die IRA/Sinn Féin auffordern, ihren illegalen Armeerat unverzüglich aufzulösen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Ich habe in meiner ersten Antwort zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität Stellung genommen und die Bewertung sowie die Maßnahmen des Rates erläutert. Mehr habe ich zu diesem Thema nicht zu sagen.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 12 von Seán Ó Neachtain (H-0627/07)
Betrifft: Straßenverkehrssicherheit
Kann der Europäische Rat erläutern, welche Maßnahmen er verfolgt, um eine höhere Straßenverkehrssicherheit in der Europäischen Union zu erreichen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT). Herr Präsident, Herr Ó Neachtain! Wie dem Herrn Abgeordneten sicher bekannt ist, hat der Rat nach der im März 2006 von der Kommission vorgelegten Halbzeitbilanz des Aktionsprogramms für die Straßenverkehrssicherheit auf seiner Tagung am 8. und 9. Juni 2006 Schlussfolgerungen angenommen. In diesen Schlussfolgerungen stimmen die Verkehrsminister der Europäischen Union darin überein, dass die Maßnahmen und Initiativen im Bereich der Straßenverkehrssicherheit auf der Ebene der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten verstärkt werden müssen.
Daraufhin verabschiedete die Europäische Kommission im Oktober 2006 zwei Legislativvorschläge zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit, und dank der ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat erreichten die beiden Mitgesetzgeber eine rasche Einigung über einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachrüstung von in der Gemeinschaft zugelassenen schweren Lastkraftwagen mit Spiegeln. Diese Richtlinie trat im August 2007 in Kraft und muss bis 31. März 2009 umgesetzt werden.
Die Kommission geht davon aus, dass durch dieses neue Gesetz auf den Straßen der Gemeinschaft in einem Zeitraum von heute bis 2020 rund 1200 Menschenleben gerettet werden können. Der Rat prüft derzeit den Vorschlag für eine Richtlinie über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur und hofft, dass er, wenn die noch ausstehende Stellungnahme des Europäischen Parlaments vorliegt, auf seiner Tagung am 1. und 2. Oktober eine allgemeine Ausrichtung festlegen kann. Schätzungen der Kommission zufolge gäbe es im Straßenverkehr der Gemeinschaft jedes Jahr rund 7000 Verletzte und 600 Tote weniger, wenn die in diesem Richtlinienentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt würden.
Ferner möchte ich dem Herrn Abgeordneten mitteilen, dass er darauf vertrauen kann, dass der Rat alle Maßnahmen und Initiativen im Bereich der Straßenverkehrssicherheit sorgfältig prüfen wird, die von der Europäischen Kommission im Rahmen ihrer derzeitigen Bemühungen um eine Verringerung der Zahl der getöteten und verletzten Personen auf den Straßen der Gemeinschaft unternommen werden.
Seán Ó Neachtain (UEN). – (EN) Ich danke Ihnen für die Antwort, aber ich will Sie nur fragen, ob Ihrer Meinung nach jetzt angesichts der Anzahl von Staatsbürgern von Mitgliedstaaten, die von einem Land in ein anderes reisen, ein koordinierteres Vorgehen vonnöten ist, vor allem wie es in meinem Heimatland Irland ist, wo viele Leute aus Osteuropa einreisen und ihre Autos mitbringen. Meiner Ansicht nach hat der Rat beziehungsweise die Kommission keine ausreichenden Vorkehrungen für diese Art Reisen zum jetzigen Zeitpunkt getroffen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT). Ich beobachte auch in meinem Heimatland Portugal dramatische Entwicklungen im Bereich der Straßenverkehrssicherheit. Portugal hat, oder besser gesagt hatte, ein Problem in diesem Bereich, und deshalb haben wir erhebliche Anstrengungen unternommen. Dadurch konnte die erschreckend hohe Zahl der Verkehrstoten auf portugiesischen Straßen, und insbesondere die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle, in den vergangenen Jahren deutlich verringert werden. Dieser Rückgang ist den gezielten und beharrlichen Maßnahmen der Regierung zu verdanken.
Dies ist ein Problem, das uns allen bewusst ist, das uns ganz unmittelbar betrifft, das uns aufrüttelt und auf das wir sehr sensibel reagieren. Ich sagte zum Abschluss meiner Ausführungen, dass der Rat, in diesem Fall also die portugiesische Ratspräsidentschaft, den Vorschlägen, die dem Rat von der Kommission vorgelegt werden und die darauf abzielen, die derzeitigen Anstrengungen zur Verringerung der Zahl der getöteten und verletzten Personen auf den Straßen der Gemeinschaft weiter zu verstärken, sorgfältig prüfen wird und bereit ist, diese Vorschläge zu bewerten und zu berücksichtigen. Wie ich sagte, liegt der Präsidentschaft, dem Mitgliedstaat also, der den Vorsitz im Rat führt, dieses Thema besonders am Herzen, weil er in Portugal selbst mit diesem Problem zu kämpfen hat. Daher ist der Ratsvorsitz bereit, allen Vorschlägen, die die Kommission dem Rat zu diesem Thema vorlegen wird, besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Präsident. –
Anfrage Nr. 13 von Brian Crowley (H-0629/07)
Betrifft: Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union
Kann der Europäische Rat in einer ausführlichen Erklärung darlegen, welche Fortschritte Kroatien im Hinblick auf seinen geplanten EU-Beitritt macht?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Präsident, Herr Crowley! Ich hatte heute bereits Gelegenheit, kurz auf den Beitrittsprozess Kroatiens einzugehen. Ich werde nun etwas ausführlicher dazu Stellung nehmen, aber angesichts der knappen Zeit trotzdem versuchen, mich so kurz wie möglich zu fassen.
Herr Crowley, ich kann Ihnen mitteilen, dass die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien planmäßig verlaufen und in diesem Jahr beträchtliche Fortschritte erreicht wurden. Insgesamt haben wir zwei Kapitel eröffnet und vorläufig abgeschlossen: Kapitel 25 – Wissenschaft und Forschung und Kapitel 26 – Bildung und Kultur. Mittlerweile sind die Verhandlungen über zehn weitere Kapitel eröffnet worden. Diese sind: Kapitel 3 – Niederlassungsrecht und Dienstleistungsfreiheit; Kapitel 6 – Gesellschaftsrecht; Kapitel 7 – Rechte an geistigem Eigentum; Kapitel 9 – Finanzdienstleistungen; Kapitel 10 – Informationsgesellschaft und Medien; Kapitel 17 – Wirtschafts- und Währungspolitik; Kapitel 18 – Statistik; Kapitel 20 – Unternehmens- und Industriepolitik; Kapitel 29 – Zollunion und schließlich Kapitel 32 – Finanzkontrolle.
Zudem plant der Rat, am 15. Oktober die fünfte Tagung der Beitrittskonferenz auf Ministerebene mit Kroatien durchzuführen, um die Verhandlungen über das Kapitel 28 – Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz – zu eröffnen. Weitere Kapitel werden Ende des Jahres folgen. Es bleibt noch viel zu tun, insbesondere in Bereichen, die für den Erfolg aller Beitrittskandidaten entscheidend sind, wozu zum Beispiel die Reform des Justizsystems und der öffentlichen Verwaltung, die Korruptionsbekämpfung und Wirtschaftsreformen gehören. Ferner drängt der Rat beharrlich darauf, dass Kroatien seine Verwaltungskapazitäten ausbaut und den gemeinschaftlichen Besitzstand wirksam um- und durchsetzt, damit es die aus seiner Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen rechtzeitig erfüllen kann. Um diese Dynamik zu erhalten und die Qualität des Verfahrens zu gewährleisten, müssen wir klarstellen, dass zur Einhaltung der im Verhandlungsrahmen festgelegten Kriterien weitere Anstrengungen erforderlich sind. Darunter fallen auch die Verpflichtungen Kroatiens im Hinblick auf das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen und die Umsetzung der Beitrittspartnerschaft.
Brian Crowley (UEN). – (EN) Bevor ich meine Frage stelle, möchte ich nur sagen, wie wunderbar ich es finde, dass der amtierende Ratspräsident heute so viel Zeit hier im Plenarsaal zugebracht und sich an so vielen Aussprachen so gut beteiligt hat. Ich danke Ihnen im Namen dieses Hohen Hauses.
Was den Zeitrahmen für Kroatien angeht, so wissen wir um die Schwierigkeiten einer Einigung mit der kroatischen Regierung im Zusammenhang mit einer Reihe von Kapiteln, aber könnte der amtierende Ratspräsident einen Zeitrahmen nennen, innerhalb dessen er einen Abschluss dieser Verhandlungen für möglich hält? Sprechen wir über einen Zeitrahmen von zwei oder von drei Jahren? Kann angesichts der möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten ein genauer Zeitrahmen genannt werden?
Zweitens, hinsichtlich der noch zu behandelnden Bereiche – der ganze Bereich der Unabhängigkeit des Gerichtswesens und der Polizeidienste in Kroatien –, welche speziellen Maßnahmen sind zu diesen Bereichen getroffen worden?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. – (PT) Herr Crowley! Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte. Ich möchte Ihnen sagen, dass es mir eine große Freude und Ehre ist, heute hier zu sein und mit Ihnen über Themen, die für die europäische Agenda und die Europäische Union von zentraler Bedeutung sind, zu sprechen, zu diskutieren und dabei auch unterschiedliche Standpunkte zu vertreten.
Doch der Herr Abgeordnete bittet mich um etwas, was nicht in meiner Macht steht: Er möchte von mir den Termin für den Beitritt Kroatiens wissen. Ich kann diesen Termin nicht nennen, weil der Beitritt bzw. der Beitrittstermin mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr von Kroatien als von der Europäischen Union selbst abhängt. Kroatien dürfte darauf mehr Einfluss haben als die Europäische Union, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Aufnahme in die Union und der Beitritt zur Union, wie Ihnen bekannt ist, davon abhängen bzw. sich danach richten, welche Fortschritte bei der Erfüllung der Kriterien und Voraussetzungen erreicht werden. Was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann ist, dass Kroatien eine tragfähige europäische Perspektive und verlässliche Aussichten auf einen Beitritt zur Europäischen Union hat und dass der portugiesische Ratsvorsitz sich dafür einsetzt, dass dieser Prozess während seiner Ratspräsidentschaft weiter vorangetrieben wird, und natürlich gemeinsam mit der Kommission versuchen wird, etwaige Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Im November wird, wie ich in meiner Antwort zu einer anderen Anfrage bereits sagte, ein Bericht über den Stand der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien vorgelegt. Wir werden diesen Bericht und einen Vorschlag von der Kommission erhalten. Wie Sie sich sicher vorstellen können, werden diese beiden Dokumente eine wichtige Rolle bei der Berichterstattung über die weitere Arbeit und deren Überwachung spielen. Beide Dokumente werden von der Kommission erarbeitet, die wie gewohnt ausführlich alle maßgeblichen Aspekte erläutern wird, und das, was die Kommission in ihrem Bericht sagen, vorschlagen und empfehlen wird, wird wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen des Rates über das zukünftige Vorgehen und die Fortführung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien haben.
Häufig sind es den Verwaltungs- oder Justizbereich betreffende Fragen, die schwieriger zu lösen sind, im Wesentlichen also die Fragen, die die spezifische innere Verfasstheit von Mitgliedstaaten betreffen. Dies sind die Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten aufgrund ihres innerstaatlichen Gefüges größere Investitionen vornehmen und möglicherweise auch umfassendere, vielleicht auch schmerzhaftere und schwierigere Reformen durchführen müssen. Wir sind zuversichtlich, dass Kroatien alle derartigen Schwierigkeiten überwinden kann und dass es seinem eigenen sowie dem Wunsch der Europäischen Union entsprechend in nicht allzu ferner Zukunft ein Mitglied unserer Union werden wird.
Der Präsident. − Anfrage Nr. 14 von Liam Aylward (H-0631/07)
Betrifft: Klimawandel
Kann der Rat umfassend darlegen, welche Strukturen derzeit auf EU-Ebene geschaffen werden, um ein höheres Maß an Koordinierung zwischen Europa und Amerika bei unseren Anstrengungen zur Erreichung des Ziels, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 20 % zu verringern, zu ermöglichen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Aylward! Es gibt keinen Zweifel, dass der Klimawandel eine globale Herausforderung darstellt, die globaler Lösungen bedarf. Die politischen Entscheidungsträger Europas ihrerseits haben beschlossen, an die internationale Gemeinschaft ein klares Signal ihrer Entschlossenheit zur Bekämpfung des Klimawandels auszusenden, indem sie zugesagt haben, Verhandlungen über eine globale Vereinbarung für die Zeit nach 2012 einzuleiten. Bis zum Abschluss einer Vereinbarung geht die Europäische Union die feste und unabhängige Verpflichtung ein, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 20 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Zweitens, die Union beabsichtigt eine Reduktion um 30 %, sofern sich andere Industrieländer zu vergleichbaren Emissionsreduzierungen und die wirtschaftlich weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer zu einem angemessenen Beitrag verpflichten.
Die Europäische Kommission hält es für an der Zeit, die nächsten Schritte für die Zeit nach 2012 zu prüfen und einen globalen Ansatz zu entwickeln, der eine breite Beteiligung der Länder implizieren sollte. Unabdingbar ist ein ständiger Dialog mit den Vereinigten Staaten in Vorbereitung der Verhandlungen für die Zeit nach 2012, die auf der Ende dieses Jahres in Bali stattfindenden Klimakonferenz eingeleitet werden sollen, auf die ich in meiner Antwort auf eine frühere Anfrage bereits hingewiesen habe.
In diesem Kontext stehen im Vorfeld der Konferenz zwei wichtige Zusammenkünfte an, deren Ergebnisse den Verhandlungen in Bali zweifellos einen wertvollen Impuls verleihen werden. Zunächst die hochrangige Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Klimawandel, die übrigens am 24. September in New York abgehalten wurde. Die zweite ist ein Treffen der wichtigsten Wirtschaftsmächte am 27. und 28. September in Washington, von dem sich die Europäische Union einen wichtigen Beitrag zum Voranbringen des internationalen Prozesses unter dem Dach der Vereinten Nationen verspricht. Des Weiteren vereinbarten die EU und die USA auf dem Gipfel in Wien im Juni 2006 die Einrichtung eines hochrangigen Dialogs über Klimawandel, saubere Energie und nachhaltige Entwicklung. Ziel ist es, auf der Grundlage bestehender bilateraler und multilateraler Initiativen voranzukommen sowie die Erklärung des Wiener Gipfels und den von den G-8-Führern verabschiedeten Aktionsplan von Gleneagles über Klimawandel, saubere Energie und nachhaltige Entwicklung weiter umzusetzen.
Brian Crowley, in Vertretung des Verfassers. – (EN) Ich möchte mich beim amtierenden Ratspräsidenten für seine Antwort bedanken.
Zweck der Anfrage war jedoch, dass es den Anschein hat, dass sich die Unterschiede in den Sichtweisen zwischen der USA-Regierung und der Europäischen Union bei der Suche nach Lösungen und der Errichtung von Partnerschaften überall in der Welt vergrößert haben; die Distanz zwischen den beiden ist in den letzten Jahren offenbar größer geworden. Wie gut wir auch sein mögen in der Europäischen Union, wir brauchen natürlich andere, die uns folgen, und insbesondere wenn wir jetzt an China und Indien und an ihre Befürchtungen denken, können wir sehen, dass Amerika nun noch weiter ins Hintertreffen geraten kann.
Wir brauchen also wirklich eine spezifische Aktion im Namen der Europäischen Union, um unsere Vettern jenseits des großen Wassers in Amerika zu veranlassen, mit uns zusammen zu gehen, so dass wir dem Gewicht Indiens und Chinas bei diesen Verhandlungen begegnen können.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Crowley, ich bin ganz Ihrer Meinung. Wir müssen unsere Cousins überzeugen, und da sie unsere Cousins sind, erwarten wir von ihnen, dass sie überzeugt sind oder sich zumindest überzeugen lassen. Ich muss Ihnen sagen, dass wir auf unserem Weg vor Bali und nach Bali auf Hindernisse und Schwierigkeiten stoßen werden. Niemand kann einen Zweifel daran haben, aber ebenso klar ist auch, dass wir durch beharrliches und konzertiertes Handeln, so hoffe ich, erfolgreich sein können. Auf jeden Fall können wir meiner Meinung nach trotz allem dank des ständigen Dialogs, den wir speziell mit unseren Cousins jenseits des Atlantiks aufgenommen haben, alle Differenzen, alle Divergenzen in dieser Klimafrage überwinden.
In dieser Hinsicht werte ich die auf dem G-8-Gipfel in Deutschland angenommenen Schlussfolgerungen zum Klimawandel sowie die dort geschaffene Möglichkeit und erzielte Einigung über die grundlegende Rolle der Vereinten Nationen in der Frage des Klimawandels als positives Indiz dafür, dass weitere Fortschritte und Vereinbarungen in Sachen Klimawandel möglich sind. Wie ich bereits erwähnt habe, kommt es darauf an, dass die Europäische Union ihre Rolle als, sagen wir, Führer und Initiator behauptet, die zum Schutz der Umwelt und unseres Planeten anderen den Weg ebnet.
Der Präsident. – Meine Damen und Herren! Wie Sie bemerkt haben, beziehen sich die drei nächsten Anfragen allesamt auf Pakistan. Leider kann ich den Rat nach der Geschäftsordnung nicht bitten, all diese Fragen zugleich zu beantworten, da der Rat seine Arbeit anders gegliedert hat. Ich muss Ihre Aufmerksamkeit auf die notwendige Parlamentsreform lenken und insbesondere darauf, was Sie, meine Damen und Herren, für die unverzichtbare Reform der Fragestunde unternehmen müssen, über die wir, wie ich meine, alle einig sind. Bedauerlicherweise können wir jedoch nicht nach flexibleren Regelungen verfahren, da eine Geschäftsordnung existiert, an die wir uns halten müssen. Ich muss diese Anfragen daher der Reihe nach stellen, weshalb wahrscheinlich nicht alle drei beantwortet werden. Je nach dem Verlauf unserer Arbeit werden wir feststellen, ob wir mehr oder weniger produktiv sind.
Ich beginne mit Anfrage Nr. 15 über die militärischen Kapazitäten Pakistans. Diese Anfrage stammt von Herren Rutowicz, und ich bitte den Rat, diese Anfrage sofort zu beantworten.
Anfrage Nr. 15 von Leopold Józef Rutowicz (H-0637/07)
Betrifft: Militärische Kapazitäten Pakistans
Es ist allgemein bekannt, dass die Armee die pakistanische Wirtschaft und Verwaltung beherrscht. Plant der Rat eine Bewertung aller militärischen Kapazitäten, die Pakistan durch Militärgeschäfte aufbaut, während seine Bevölkerung zunehmend verarmt?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Die Vielzahl von Dialogen zwischen der Europäischen Union und Pakistan zu diesem Land und der Rolle der Streitkräfte gehören zu der umfassenden Bewertung, auf der die Politik des Rates gegenüber Pakistan gründet.
Die allgemeine Lage der pakistanischen Wirtschaft und ihr Entwicklungsniveau bilden zwei weitere Bestandteile eben dieser Bewertung. Selbstverständlich wird beiden bei der allgemeinen Festlegung unserer Politik gegenüber Pakistan Rechnung getragen, und das wird auch künftig so bleiben.
Leopold Józef Rutowicz (UEN). – (PL) Ich möchte dem Herrn Präsidenten und Herrn Antunes für die Antwort danken. Nach meinem Verständnis ging es bei der Frage im Wesentlichen darum zu erfragen, ob diesen armen Menschen in Pakistan irgendeine Art von humanitärer Hilfe angeboten wird. Ich wäre Herrn Antunes dankbar, wenn er dazu Näheres sagen könnte.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Wie Sie wissen, Herr Rutowicz, genießen die Themen humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe in der Europäischen Union Priorität. Wo auch immer Menschen leiden oder in Armut leben, unternehmen die Europäische Union, der Rat und auch dieses Parlament in ihrem Bemühen um eine Lösung dieser Probleme alles in ihrer Macht Stehende. Die Europäische Union ist einer der größten, wenn nicht gar der größte Geber internationaler Hilfe, und diese Tatsache darf nicht außer Acht gelassen werden.
Der Präsident. − Die Anfragen Nr. 16 und 17 sind hinfällig, da die Fragesteller nicht anwesend sind.
Anfrage Nr. 18 von Mairead McGuinness (H-0639/07)
Betrifft: EU-Solidaritätsfonds
Könnte sich der Rat zur Wirksamkeit des EU-Solidaritätsfonds äußern?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau McGuinness! Wie die Frau Abgeordnete weiß, zeichnet die Kommission für die Anwendung der Solidaritätsfondsverordnung der EU verantwortlich, und die Wirksamkeit dieser Verordnung ist anhand der darin verankerten Kriterien zu bewerten.
Soweit dem Rat bekannt ist, hat sich der Fonds in den in der Verordnung vorgesehenen Katastrophenfällen in seiner Anwendung als wirksam erwiesen. Die Europäische Kommission erstattet regelmäßig und ausführlich über die Verwendung der Mittel aus dem Solidaritätsfonds Bericht.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Ich danke Ihnen für Ihre knappe Antwort. Ich gehe davon aus, dass der Rat eine Vorstellung hat, denn die Mitgliedstaaten haben eine Ahnung davon, wie sich das auf ihre eigenen Länder auswirkt. Halten Sie den Haushalt von einer Milliarde für ausreichend, und meinen Sie, dass der Fond schnell genug auf die verschiedenen Krisen reagiert, für die er da ist?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau McGuinness, wie gesagt, nach Einschätzung des Rates hat sich die Anwendung dieser Verordnung, sprich die Verwendung des Solidaritätsfonds, als wirksam erwiesen. Von daher war es sicher ein ausgezeichneter Vorschlag, einen Fonds zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Bewältigung von Natur- und anderen Katastrophen zu errichten, weil solch ein Instrument bis dahin nicht existierte. Zweifellos ist dieser Fonds hilfreich, weil derartige Katastrophen die Mitgliedstaaten in ganz besondere Schwierigkeiten und Nöte stürzen.
Im Idealfall sollte es stets möglich sein, mehr zu fordern und mehr zu beantragen. Selbstverständlich müssen wir die Angelegenheit realistisch angehen, aber auch ambitioniert. Zu gegebener Zeit und auf Vorschlag der Kommission wird der Rat, und da bin ich mir sicher, es nicht versäumen, diese Möglichkeit zu prüfen. Einstweilen müssen wir jedoch mit dem legislativen Rahmen auskommen, den wir haben. Damit können wir realistisch arbeiten, und wir begrüßen die Errichtung dieses Fonds und die effiziente Rolle, die er gespielt hat, was eigentlich beweist, dass diese Initiative gerechtfertigt ist.
Der Präsident. − Anfrage Nr. 19 von Bill Newton Dunn (H-0641/07)
Betrifft: Friedensschaffung im Nahen Osten
Greift der Rat in ausreichender Weise auf die Fähigkeiten des britischen Generalkonsuls in Jerusalem, der den bezeichnenden Namen Richard Makepeace trägt, zurück?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Ich werde die mündliche Anfrage beantworten, obgleich ich mir sicher bin, dass Herr Newton Dunn sie schon zuvor gestellt hat. Also gut, ich möchte erwähnen, dass die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den Delegationen der Kommission in Drittländern sicherstellen, dass die vom Rat im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik angenommenen gemeinsamen Standpunkte und gemeinsamen Maßnahmen eingehalten und durchgeführt werden, wie im Vertrag über die Europäische Union vorgesehen. Selbstverständlich gilt dies auch für den britischen Generalkonsul in Jerusalem, auf den sich der Herr Abgeordnete in seiner Anfrage bezieht.
Bill Newton Dunn (ALDE). – (EN) Im Interesse meines Kollegen, der die Anfrage Nr. 20 stellen möchte, trete ich von meinem Recht auf eine Zusatzfrage zurück.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 20 von Gay Mitchell (H-0644/07)
Betrifft: Zuteilung von Sitzen im Europäischen Parlament an die Mitgliedstaaten
Wird der Rat bei der Zuteilung von Sitzen im Europäischen Parlament an die einzelnen Mitgliedstaaten Änderungen vorschlagen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Herr Mitchell, ich freue mich, Ihre Anfrage beantworten zu dürfen, umso mehr, als Fragen zum Reformvertrag meiner persönlichen Meinung nach, beginnend mit der Frage eines neuen Vertrags für die Union vor vielen Jahren, besonders interessant und bedeutsam sind. Ich bin daher froh und werde mich um eine Antwort bemühen. Ich darf Sie daran erinnern, dass gemäß dem Mandat, das der Regierungskonferenz 2007 erteilt wurde, die in den Reformvertrag aufzunehmenden Bestimmungen in dieser Frage vorsehen, dass der Europäische Rat auf Initiative und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einen Beschluss über die Festlegung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments erlassen muss.
Dem Herrn Abgeordneten ist das sicherlich bekannt, und von daher will ich keine Zeit vergeuden. Der Europäische Rat ersuchte das Europäische Parlament im Juni, bis Oktober 2007 einen Entwurf dieser Initiative vorzulegen. Wir haben Kenntnis davon, dass auf der Tagung im Oktober, d. h. am 10. Oktober dieses Jahres, ein Bericht über die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments präsentiert wird, für den Frau Lamassoure und Frau Severin als Berichterstatterinnen fungieren.
Gay Mitchell (PPE-DE). – (EN) Ich möchte meinem Kollegen dafür danken, dass er von der Möglichkeit der Zusatzfrage nicht Gebrauch gemacht hat, und ich danke dem amtierenden Ratspräsidenten für die Beantwortung der Anfrage.
Der Grund, weshalb ich diese Sache vortrage, ist der, dass wir in Irland bereits von 15 auf 13 Sitze heruntergegangen sind. Irland ist eine Insel an der Westküste Europas. Es ist der entlegenste Punkt, ehe man in die Vereinigten Staaten reist. Jetzt gibt es einen Vorschlag, die Sitze weiter von 13 auf 12 zu verringern, und das zu einer Zeit, da unsere Bevölkerung um 12 % zugenommen hat und ihre Zahl erneut dramatisch steigen dürfte.
Ich will dem amtierenden Ratspräsidenten damit nur Folgendes sagen: Da 16 zusätzliche Sitze zu vergeben sind, denken Sie bitte daran, dass im Falle Irlands die 13 Sitze erhalten bleiben. Ich denke, wenn Sie sich die Zahlen ansehen, werden Sie feststellen, dass wir sehr gute Argumente haben, und ich möchte Sie bitten, das zu berücksichtigen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Ich erlaube mir die Bemerkung, dass der westlichste Punkt Europas, Cabo da Roca, in Portugal liegt. Mit dieser Behauptung ziehe ich vielleicht die Richtigkeit der Aussage des Herrn Abgeordneten zur geografischen Lage seines Landes in Zweifel, aber in Wahrheit liegt die westlichste Spitze Europas nun einmal in meinem Land.
Was die Frage betrifft, speziell den zweiten Teil, so werden ihm selbstverständlich vorzugsweise das Europäische Parlament sowie seine Kolleginnen und Kollegen die Antwort darauf geben. Gleichwohl nehme ich natürlich sein Argument zur Kenntnis.
Der Präsident. − Die Anfragen, die aus Zeitgründen nicht behandelt wurden, werden schriftlich beantwortet (siehe Anlage).
Anfrage Nr. 31 ist nicht zulässig (Anhang II Teil A Ziffer 2 der Geschäftsordnung).
Die Fragestunde ist geschlossen.
(Die Sitzung wird um 19.35Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
14. Zusammensetzung des Parlaments: siehe Protokoll
15. Verpflichtungen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringern (Aussprache)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Lasse Lehtinen im Namen des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz über die Verpflichtungen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringern (2006/2049(INI)) (A6-0294/2007).
Lasse Lehtinen (PSE), Berichterstatter. – (FI) Herr Präsident! Zunächst einmal möchte ich den Schattenberichterstattern für ihre Unterstützung und die hervorragende Zusammenarbeit danken: Frau Wallis, die heute hier ist, und vor allem Herrn Hatzidakis. Er war so kompetent, dass er sofort in das Kabinett meines eigenen Landes berufen wurde. Ich bin dankbar und froh, dass sowohl Herr Harbour als auch Frau Kauppi heute hier sind.
Der Binnenmarkt stützt sich, wie wir alle wissen, auf die vier Freiheiten, von denen jedoch die grenzüberschreitende Freizügigkeit von Dienstleistungen nicht sehr gut funktioniert. Die Dienstleistungsrichtlinie, die wir vor einem Jahr in diesem Haus beschlossen haben, wird die Situation verbessern, wenn die Mitgliedstaaten sie innerhalb von zwei Jahren umgesetzt haben werden, aber das allein wird wohl auch nicht ausreichen.
Dienstleistungen lassen sich natürlich nicht in jeder Hinsicht mit Waren vergleichen, aber Dienstleistungen werden eines Tages wichtiger sein als sie es heute noch sind. Qualitativ hochwertige und insbesondere grenzüberschreitende Dienstleistungen sind die Zukunft dieses Kontinents. Das Problem ist, dass der gemeinschaftliche Besitzstand Verbraucher, die Dienstleistungen in Auftrag geben, ebenso wenig schützt wie Verbraucher, die Waren einkaufen. Das Vertrauen der europäischen Verbraucher in den grenzüberschreitenden Konsum ist gering, weil die Qualität der Dienstleistungen und das Niveau des Verbraucherschutzes von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind.
Die Union verfügt über gemeinschaftliche Rechtsvorschriften in bestimmten Bereichen, aber nicht über gemeinsame Regeln für Dienstleistungen. Verbraucher, ebenso wie Dienstleistungsanbieter, sind im Falle von Streitigkeiten nicht immer in der Lage zu sagen, die rechtliche Regelung welches Mitgliedstaats gilt. Das ist zum Teil auch der Grund, weshalb die Verbraucher Angst haben, ausländische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
Meiner Ansicht nach sollte sich die Union auf gemeinsame, für alle Dienstleister verbindliche Regeln und Verpflichtungen einigen. Das wäre nicht nur für die Verbraucher von Nutzen, sondern auch für die Dienstleistungsanbieter selbst. Wenn sich die Kommission eines Tages mit der Frage der Pflichten von Dienstleistern beschäftigt, dann sollte sie keinen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Dienstleistungen machen. Beide sollten gleichermaßen in den Anwendungsbereich von Richtlinien zum Verbraucherschutz fallen.
Im Jahr 1990 hat die Kommission einen Vorschlag über die Pflichten von grenzüberschreitenden Dienstleistern vorgelegt. Diesen musste sie jedoch aus Mangel an politischem Willen zurückziehen. Diesen politischen Willen gibt es jedoch wieder. Die Kommission sollte, wenn dieser Bericht angenommen wird, innerhalb von zwölf Monaten zumindest ein Arbeitsprogramm vorlegen, das die Notwendigkeit eines horizontalen Instruments neu beurteilt.
Wir müssen uns über grundlegende allgemeine Regeln verständigen, die den Verbraucher in die Lage versetzen, bei Bedarf die notwendigen Informationen über Preise, Vertragsbedingungen und Rechtsbehelfe im Falle von mangelhaften oder nicht rechtzeitig erbrachten Leistungen zu erhalten.
Außerdem sollte die Kommission auch die Auswirkungen jeder ihrer Initiativen auf die Belange kleinerer und mittlerer Unternehmen bedenken. Nicht alle diese Fragen wurden im Grünbuch „Verbraucherschutz“ behandelt, aber in diesem Bericht sind sie enthalten.
Ich hoffe, ich erhalte die größtmögliche Unterstützung für diesen Bericht.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich freue mich, heute Abend hier zu sein, um die Kommission in dieser ganz wichtigen Aussprache über Verbrauchervertrauen auf dem Binnenmarkt zu vertreten. Ich möchte den Berichterstatter, Herrn Lehtinen, und die Schattenberichterstatter des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz zu ihrer höchst anspruchsvollen Arbeit bei der Erstellung dieses Berichts beglückwünschen.
Lassen Sie mich eingangs hervorheben, dass die Kommission dem Bericht in der Frage der Notwendigkeit, das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt zu stärken, zustimmt; insbesondere der Verbraucherbinnenmarkt für Dienstleistungen erfordert unsere Aufmerksamkeit. Zu den Prioritäten der Kommission gehört es also, unseren europäischen Verbrauchern die Vorzüge des Binnenmarktes näher zu bringen, und ich bin dem Parlament für seine Unterstützungen bei diesen Bemühungen dankbar.
Die Kommission hat bereits zahlreiche Initiativen ergriffen, um das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt zu festigen. Zwei davon möchte ich hier nennen: die europäische Gesetzgebung zum Verbraucherschutz und die Dienstleistungsrichtlinie.
Nun, der Besitzstand im Verbraucherschutz legt bereits eine Reihe von Verpflichtungen für grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer fest. Beispielsweise regelt er die Informationspflichten von Händlern, die Dienstleistungen über eine große Entfernung oder an der Haustür der Verbraucher verkaufen. Er schützt die Verbraucher auch vor unlauteren Bestimmungen in Dienstleistungsverträgen. Und bei der derzeitigen Überprüfung dieses Besitzstands wird die Kommission Ergänzungen vornehmen, sofern weitere Notwendigkeiten in der Frage der Verpflichtungen von Dienstleistungserbringern und der Verbraucherrechte in diesen Bereichen bestehen.
Sodann die Dienstleistungsrichtlinie: Sie kennen sie sehr gut, Sie haben sie unlängst diskutiert. Sie verbessert die Stellung der Verbraucher auf dem Binnenmarkt für Dienstleistungen. Und sie gewährleistet, dass die Verbraucher von den Unternehmen besser informiert und von den öffentlichen Behörden besser unterstützt werden, und sie auferlegt den Dienstleistungserbringern zahlreiche eindeutige und substanzielle Verpflichtungen.
Die Kommission ist natürlich sehr darauf bedacht, eine ordnungsgemäße Umsetzung dieser Richtlinie in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen, und wir sind der Ansicht, dass diese beiden Initiativen sehr weit reichend sind, denn von diesen beiden Initiativen können wir eine echte Veränderung auf dem Verbraucherbinnenmarkt für Dienstleistungen erwarten, sobald die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie abgeschlossen ist und die Ergebnisse der Überprüfung des Besitzstands im Verbraucherschutz vorliegen.
An dieser Stelle muss ich auch betonen, dass die Kommission in der Frage der Notwendigkeit eines separaten horizontalen Instruments zu den Verpflichtungen von Dienstleistungserbringern zu diesem Zeitpunkt eine von Herrn Lehtinens Bericht abweichende Auffassung hat. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Wir meinen, wir sollten zuerst unsere laufenden Initiativen durchsetzen, ehe wir erforderlichenfalls zu einem separaten horizontalen Instrument kommen. Daher möchte ich Ihnen für Ihr hilfreiches Engagement bei der Durchsetzung dieser beiden Instrumente danken; danken möchte ich Ihnen auch dafür, dass Sie den europäischen Bürgerinnen und Bürgern dabei behilflich sind, die Vorzüge des Binnenmarktes für Dienstleistungen umfassend zu genießen. Und ich weiß, meine Kollegen Kuneva und McCreevy freuen sich auf die Diskussion mit Ihnen, auf die Arbeit mit Ihnen, auf die Errichtung dieses Binnenmarktes gemeinsam mit dem Parlament, der wahren Vertretung der europäischen Bürgerinnen und Bürger.
Ich danke Ihnen also für Ihre Mitarbeit, danke für Ihre Offenheit, und ich bin sicher, dass meine beiden Kollegen – ja, die gesamte Kommission – ganz intensiv weiterhin mit dem Parlament zusammenarbeiten werden.
Der Präsident. − Ich danke Ihnen, Frau Kommissarin! Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass alle Bemerkungen über das Präsidium gehen sollten. Es ist schon spät am Abend, und wir sind nur noch wenige, aber so schreibt das Protokoll es vor, wenn es auch nur ein kleiner Punkt ist. Aber ich bin sicher, Herr Lehtinen hat Ihre Bemerkungen zur Kenntnis genommen.
Piia-Noora Kauppi, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Rechtsausschusses. – (EN) Herr Präsident! Ich beglückwünsche den Berichterstatter, der offenbar ebenso die Stimme verliert wie ich. Es sieht so aus, als hätten die meisten Kolleginnen und Kollegen in dieser Woche in Straßburg Halsschmerzen.
Ich vertrete den Rechtsausschuss, dessen Stellungnahme ich verfasst habe. Ich möchte zunächst sagen, dass wir mit der Einschätzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz in der Frage der Bedeutung des Dienstleistungssektors für die Entwicklung der Europäischen Union voll und ganz übereinstimmen. Es wäre eine absolute Kamikaze-Mission für die Europäische Union und die Ziele auf dem Gebiet der Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir den Dienstleistungssektor nicht aufblühen lassen und die Vervollkommnung des Binnenmarkts in dieser Hinsicht nicht ermöglichen würden. Ich glaube fest daran, dass von diesen 11,7 Millionen in den vergangenen acht Jahren in der Europäischen Union geschaffenen Arbeitsplätzen fast 100 % des Nettowachstums im Bereich neuer Arbeitsplätze in Europa aus dem Dienstleistungssektor kommen, und die tägliche Statistik belegt das. Aber ich muss hier den ‚trockenen Juristen’ geben – auf Finnisch, den fakkijuristi – und die Meinung des Rechtsausschusses in diese Aussprache einbringen.
Zunächst teilen wir wirklich die Ansicht der Kommission, dass es zu diesem Zeitpunkt vielleicht zu früh für ein weit reichendes neues horizontales Instrument zur Lösung der Haftungsprobleme ist. Es sind bereits mehrere Gesetzesinitiativen anhängig, die alle auf die Gewährleistung der Rechtssicherheit gerichtet sind, wie Rom I, Rom II und auch das Grünbuch zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz.
Ich möchte auch sagen, dass Artikel 5 des Vorschlags über die vertraglichen Verpflichtungen (Rom I) wesentlich dafür bestimmend ist, ob die Verbraucherschutzbestimmungen des Ursprungslands oder des Kunden Anwendung finden. Das ist von besonderer Bedeutung für kleinere Mitgliedstaaten, wo es an neuen Dienstleistungen mangeln könnte, wenn Artikel 5 nicht korrekt umgesetzt wird.
Wir bedauern auch die gegenwärtige Mischung von Rechtsinstrumenten. Zuweilen ist es nicht ganz eindeutig, welches Rechtssystem auf die einzelnen Aspekte seiner Tätigkeiten anwendbar ist, d. h. ob das bürgerliche Recht des Gastlandes oder des Heimatlandes oder aber der Regelungsrahmen des Gastlandes oder des Heimatlandes Anwendung findet. Wir brauchen in diesen Fragen auch einige Fallentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs.
Unterstreichen möchte ich auch, dass grenzüberschreitende Dienstleistungen auf sehr unterschiedliche Weise bereitgestellt werden. Einige werden online verkauft, andere reisen in ein anderes Land zur Entgegennahme der Dienstleistung, und mitunter reist der Dienstleistungserbringer in das Heimatland des Kunden.
Ich denke, dass der Dienstleistungsbinnenmarkt, dessen Rechtsrahmen auf dem Grundsatz des Ursprungslandes beruht, davon abhängt, dass die einschlägigen Maßnahmen sowohl in rechtlicher als auch in praktischer Hinsicht eindeutig formuliert sind, und vielleicht ist es jetzt nicht zu früh, wirklich etwas zu unternehmen. Wie die Kommissarin richtig sagte: Jetzt ist die Zeit, die ganze in den vergangenen Jahren geleistete gute Arbeit umzusetzen.
Der Präsident. − Wenn Kolleginnen und Kollegen etwas zu Protokoll geben wollen, können sie das im Verlauf des Abstimmungsverfahrens stets schriftlich tun.
Malcolm Harbour, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich spreche im Namen meines Freundes und ehemaligen Parlamentskollegen Konstantinos Hatzidakis, der, wie Herr Lehtinen sagt, kurzerhand auf den Posten des Verkehrsministers der griechischen Regierung gehoben worden ist. Ich möchte ihm für seine Arbeit im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz Anerkennung zollen. Ich setze im Wesentlichen dort an, wo er aufgehört hat, genau am Abschluss.
Ich möchte Herrn Lehtinen danken, denn bisher wurde nicht zur Kenntnis genommen, dass dies, glaube ich, sein erster Bericht als Berichterstatter ist. Einige unter Ihnen wissen vielleicht, dass er selber ein anerkannter Autor ist, wenngleich ich dies hier nicht für seine beste Arbeit halte. Er wird wohl nichts dagegen haben, wenn ich das so sage. Ich besitze ein Exemplar seines Buches Blood, Sweat and Bears, das er mir zu lesen gab, und ich denke, in dieser Arbeit steckt schon etwas Blut und Schweiß drin. Es ist ein wichtiger Bericht, aber von unserer Seite aus muss ich sagen, dass wir sehr auf der Linie von Frau Kauppi und Frau Kommissarin Reding liegen.
Es findet sich hierin einiges nützliches Material, doch möchte ich die Frau Kommissarin, wenn sie Ziffer 22 liest – die meiner Meinung nach ein Meisterstück bei der Erzielung eines Kompromisses ist, worin nämlich die Kommission aufgefordert wird, die Arbeit fortzusetzen und ein Arbeitsprogramm zur Bewertung vorzulegen –, beruhigen, denn Sie werden sich freuen zu hören, dass Sie nicht eigentlich gebeten werden, ein horizontales Instrument zu erstellen, sondern darum, ein Arbeitsprogramm auszuarbeiten, um beurteilen zu können, ob wir ein solches Instrument brauchen. Sie haben, denke ich, bereits bekräftigt, was viele von uns denken – dass nämlich angesichts all der laufenden Arbeiten zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie angesichts des Grünbuchs zum Besitzstand im Verbraucherschutz, das wir gerade beraten haben und das in ein horizontales Instrument münden wird, und angesichts der anderen laufenden Arbeiten – auf die meine Kollegin Kauppi vom Rechtsausschuss und, wie ich weiß, Frau Wallis später noch eingehen werden –, nämlich dass es wohl viel zu früh sein dürfte, zu diesem Zeitpunkt irgendwelche detaillierte Bestimmungen ins Auge zu fassen. Es ist absolut klar, dass wir das nicht weiter zu verfolgen brauchen, aber in der Richtlinie selbst, bei all der Arbeit, die wir in sie hineingesteckt haben, findet sich eine erhebliche Anzahl von Bestimmungen.
Eine der Änderungen, deren Streichung das Hohe Haus morgen hoffentlich zustimmen wird, fordert die Kommission in der Tat auf, freiwillige Verhaltenskodizes aufzustellen. Das ist meiner Ansicht nach nicht Aufgabe der Kommission. Ich denke, wir müssen uns für die Streichung einsetzen. Wenn man aber die Dienstleistungsrichtlinie zur Hand nimmt, dann heißt es in Artikel 37 tatsächlich recht eindeutig, dass die Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit der Kommission Maßnahmen ergreifen sollten, um die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene zu fördern. Es ist nicht so, als hätten wir das noch nicht gehabt. Ich denke also, wir werden das herausnehmen, und so würde ich zusammenfassend Folgendes sagen: Ich halte dies für einen sehr nützlichen Beitrag zur Debatte. Es wird sich in den Korpus an Informationen einfügen, den wir zusammentragen, um vor allem zu sichern, dass die Dienstleistungsrichtlinie umfassend und rechtzeitig mit all den Begleitbestimmungen umgesetzt wird – insbesondere solche Fragen wie die einzige Kontaktstelle für Dienstleistungserbringer, die ihnen jene Anforderungen und Informationen vermitteln wird, die sie zur Bereitstellung ihrer Dienstleistungen benötigen, plus, so hoffen wir, die Arbeit an den Verhaltenskodizes. Damit dürften wir einem wirklich effektiven und blühenden Dienstleistungsmarkt zum Nutzen der Verbraucher entgegensehen können.
Anna Hedh, im Namen der PSE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Ich möchte zunächst meinem Kollegen Lehtinen für seine hervorragende Arbeit danken. Mit der Annahme der Dienstleistungsrichtlinie gibt es für den Dienstleistungsbinnenmarkt nunmehr klarere Regeln für die Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit. Es fehlen allerdings eindeutige Regelungen für die Verpflichtungen der Dienstleistungserbringer. Das bedeutet, dass wir auch nach der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in allen Mitgliedstaaten bis 2009, möglicherweise einen offenen Markt haben werden, zu dem die Verbraucher kein Vertrauen haben.
2006 haben lediglich sechs Prozent der Verbraucher grenzüberschreitende Einkäufe über das Internet getätigt. Dabei sind die Vorschriften für Warenkäufe wesentlich besser festgeschrieben. Auch Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere, brauchen klare Regelungen, denn oft bieten sie aus diesem Grund keine grenzüberschreitenden Dienstleistungen oder Waren an, was weniger Wettbewerb bedeutet und zu höheren Preisen für die Verbraucher führt. Eindeutige Vorschriften werden sowohl Unternehmen als auch Verbraucher dazu ermutigen, den Schritt über die Grenze zu wagen und unbesorgt Dienstleistungen in einem anderen Land anzubieten oder zu kaufen.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Verbraucher sich auf dem Binnenmarkt sicher fühlen und dass sie auch bei Streitigkeiten problemlos Hilfe und Schadenersatz erhalten. Dazu müssen viele verschiedene Maßnahmen zusammenwirken. Einige Beispiele dafür, die auch im Bericht genannt werden, sind ein freiwilliger Verhaltenskodex für Dienstleistungserbringer sowie die Möglichkeit, auf grenzüberschreitender Grundlage Sammelklagen gegen Betrüger und Erbringer von mangelhaften Dienstleistungen zu erheben.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Konsumenten weniger Schutz haben, wenn sie eine grenzüberschreitende Dienstleistung in Anspruch nehmen, als wenn sie Waren aus einem anderen Mitgliedstaat kaufen. Aus diesem Grund ist das im Bericht vorgeschlagene weitreichende horizontale Instrument ein weiterer wichtiger Aspekt des Verbraucherschutzes, den wir für grenzüberschreitende Dienstleistungen entwickeln wollen. Die Verbraucher müssen ihre Rechte kennen, wenn eine Dienstleistung verspätet oder mangelhaft erbracht wird.
Wenn die Freiheiten um eindeutige Verpflichtungen der Dienstleistungserbringer und einen starken Verbraucherschutz ergänzt werden, können wir das Vertrauen der Verbraucher stärken. Um es noch einmal zu sagen: Unsere Verbraucher müssen Vorrang haben, denn ohne zufriedene Verbraucher, die sich auch sicher fühlen, wird es keinen florierenden Binnenmarkt geben.
Diana Wallis, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Dies sind natürlich unvollendete Arbeiten im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie, und wenn ich auch mit der Analyse der Frau Kommissarin weitgehend übereinstimme, haben wir doch ein Problem. Wir haben ein Vertrauensproblem. Es ist ein bisschen wie mit der Northern Rock Bank im Vereinigten Königreich in den letzten Wochen. Was auch gesagt wurde, die Kunden standen draußen Schlange und wollten ihr Geld zurück. Irgendwie ist es ebenso mit uns und den grenzüberschreitenden Dienstleistungen. Was wir auch sagen, die Verbraucher haben nicht genügend Vertrauen darin, diese Dienstleistungen zu nutzen. Wir müssen einen Weg finden, dieses Problem zu lösen.
Wer von den Abgeordneten in diesem Hohen Haus am Nichtständigen Ermittlungsausschuss im Zusammenhang mit der Krise der Equitable Life Assurance Society beteiligt war, konnte auch nur allzu deutlich sehen, dass es da dieses Vertrauensproblem gibt. Aber wir werden es nicht lösen, indem wir auf die alten Vorschläge zurückgreifen, die sich mit Problemen befassten, die wir vor etwa zwanzig Jahren hatten. Wir haben es mit den Problemen und der Situation von heute zu tun.
Wenn man sich die Verpflichtungen der Dienstleistungserbringer anschaut, dann geht es im Wesentlichen um das grundlegende Vertragsrecht und die grundlegenden vertraglichen Verpflichtungen. In dieser Hinsicht haben wir zurzeit Rom I auf dem Tisch, worauf Frau Kauppi Bezug nahm; wenn wir das richtig hinbekommen, wird es eine Hilfe sein. Wir haben auch die ganze Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz; wenn wir die richtig hinbekommen, wird das eine Hilfe sein. Wir haben die Ausarbeitung des gemeinsamen Referenzrahmens zum Vertragsrecht; wenn wir den nutzen und wenn die Kommission noch größere Anstrengungen unternimmt, um die Mitgliedstaaten zu veranlassen, ihn zu übernehmen, dann wäre auch das eine Hilfe.
Man kann also bereits jetzt vieles nutzen, um die Beziehung zwischen internationalem Privatrecht und der Verordnung zu regeln. Was wir nicht brauchen – da stimme ich Herrn Harbour zu –, ist die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes durch die Kommission als weiches Recht.
Nutzen wir, was zurzeit gemacht wird und was sich in Ausarbeitung befindet. Wir können im Auge behalten, ob wir noch ein weiteres horizontales Instrument brauchen oder nicht, aber zum jetzigen Zeitpunkt bezweifle ich das.
Womit wir uns ferner befassen müssen, ist die Möglichkeit, unseren Verbrauchern das Recht auf grenzüberschreitenden Zugang zur Justiz einzuräumen, wo sie gemeinsam als Gruppe handeln können. Damit würde ein Gleichgewicht zu den Dienstleistungserbringern hergestellt. Das wäre ein Ausgleich für den gegenwärtig fehlenden grenzüberschreitenden Zugang zur Justiz, was wir nur allzu deutlich bei Equitable Life festgestellt haben. Die Leute mögen die Worte ‚Klassenaktionen’ nicht verwenden, ich auch nicht, aber ein europäisches Recht kollektiver Rechtshilfe könnte dazu beitragen, das Verbrauchervertrauen zu stärken, an dem es derzeit auf diesem Kontinent mangelt.
Leopold Józef Rutowicz, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Entwicklung des EU-Binnenmarktes ist von großer Bedeutung, um Verbindungen zwischen den Ländern und Bürgern der EU zu schaffen.
Die Intensivierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen unter Wettbewerbsbedingungen erfordert mehr gegenseitiges Vertrauen, das durch eine verbraucherfreundliche Politik gestärkt werden sollte. Eine entsprechende Politik zielt auf die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung bei gleichzeitiger Vereinfachung der Verfahren, wodurch mehr Wettbewerb entstehen sollte. Außerdem wird sich dadurch der Zugang zu Dienstleistungen verbessern und ihr Niveau erhöht, während Kosten sinken, was den europäischen Verbrauchern zugute kommt.
Der Bericht trägt zur Verbesserung der Politik in diesem Bereich bei, indem verschiedene Problemfelder aufgezeigt werden, die die dynamische Entwicklung des Marktes behindern. Dazu gehört, dass es kein einheitliches System gibt, das die Verpflichtungen von Dienstleistungserbringern regelt, und dass die EU-Dokumente in dieser Frage ergänzt werden müssen. Im Bericht wird ferner auf mangelnde Klarheit bei der Umsetzung von Bestimmungen hingewiesen, wodurch mentale Schranken gegen ausländische Lieferanten errichtet werden. Ein weiteres Thema sind der unzureichende Rechtsschutz für Verbraucher im Vergleich zu den Dienstleistungserbringern, das Fehlen von Vorschriften, die gleichermaßen für private und öffentliche Dienstleistungserbringer gelten, die unterschiedlichen Vorschriften über die Verpflichtungen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringern sowie die fehlende Transparenz, um den Schutz grenzüberschreitender Dienstleistungen zu gewährleisten.
Die Einführung von Qualitätszeugnissen für Dienstleistungserbringer sollte angedacht werden, um das Vertrauen der Kunden zu stärken. Die sich aus dem Bericht ergebenden Schlussfolgerungen und Vorschläge sind deckungsgleich mit den Feststellungen des Rechtsausschusses. Ich möchte dem Berichterstatter für seinen fachlich fundierten Bericht danken.
Heide Rühle, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Auch ich möchte mich beim Berichterstatter bedanken, auch wenn ich leider noch nicht in den Genuss kam, eines seiner Bücher zu lesen. Aber es wird bei mir vorgemerkt und bei nächster Gelegenheit nachgeholt.
Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit und auch vielen Dank dafür, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, in Ihrem Bericht wichtige Fragen aufzugreifen. Zwar sind für die Dienstleistungen im Binnenmarkt durchaus schon gesetzliche Rahmen gesteckt, wie die Dienstleistungsrichtlinie oder die Richtlinie zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen, aber gerade die Umsetzung dieser Richtlinien, und zwar beider Richtlinien, lässt leider noch zu wünschen übrig. Ich bedaure es deshalb auch, dass der Rat heute Abend nicht anwesend ist, dem man hätte noch einmal deutlich machen können, dass wir erwarten, dass beide Richtlinien fristgerecht umgesetzt werden und die Arbeit in den Mitgliedstaaten entsprechend vorangetrieben wird.
Wir brauchen aber noch mehr Initiativen – darauf hat der Berichterstatter zu Recht hingewiesen –, um das Vertrauen der Verbraucher in die grenzüberschreitenden Dienstleistungen im Binnenmarkt zu stärken. Auch dazu gab es schon vorher Berichte, die wichtige Fragen aufgegriffen haben. Frau Roithová hat mit ihrem Bericht darauf hingewiesen, dass wir gerade im Internetbereich noch sehr viele Defizite haben und dass die Verbraucher gerade im Internetbereich noch längst nicht das nötige Vertrauen in grenzüberschreitende Dienstleistungen haben. Genauso weist Herr Lehtinen in seinem Bericht auf die Pflichten der Dienstleister hin und auf die Frage, welchen Rechtsschutz man Verbrauchern geben kann. Hier möchte ich noch einmal ein Thema aufgreifen, das heute schon zwei Vorrednerinnen erwähnt haben, nämlich das Thema des grenzüberschreitenden Verbandsklagerechts. Wir brauchen dringend Initiativen in diese Richtung, damit die Verbraucher Vertrauen in die grenzüberschreitenden Dienstleistungen haben und das kann nur über eine Stärkung ihrer rechtlichen Situation erreicht werden.
Ich finde, beide Berichte – sowohl der Bericht Roithová als auch der Bericht Lehtinen – geben wichtige Hinweise darauf, was für Defizite wir noch haben. Die Kommission sollte beide Berichte ernst nehmen, wenn sie nun die Arbeit macht, den Verbraucher-Acquis wirklich zu überarbeiten, zu modernisieren und auf einen neuen Stand zu bringen.
Jens-Peter Bonde, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (DA) Herr Präsident! Wir haben eine Dienstleistungsrichtlinie angenommen, durch die wir dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg die Befugnis erteilt haben, über das zu entscheiden, was wir bereits entschieden haben! Wir wissen noch nicht, ob die Vereinbarungen der Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Wir wissen nicht, inwieweit die Festlegung nationaler Qualitätsanforderungen zulässig ist. Wir wissen nicht, ob es rechtens ist, dass die Mitgliedstaaten entscheiden, welche Dienstleistungen sie unter privater bzw. staatlicher Kontrolle haben möchten. Somit ist der Bericht ebenso unklar wie die Rechtslage. Wir warten darauf, dass uns die Richter in Luxemburg sagen, ob wir unsere Krankenhäuser behalten dürfen. Gleiches gilt für eine lange Liste weiterer wichtiger Dienstleistungen, die alle zusammen unseren Wohlfahrtsstaat ausmachen.
In Dänemark besitzen alle Bürger soziale Rechte, die wir durch hohe Steuern finanzieren, die lediglich 7 % aller Dänen gesenkt sehen möchten. Es scheint, als würden diese 7 % von den Richtern in Luxemburg belohnt, doch was ist mit der Mehrheit? Wer wird die Entscheidungen und unsere Demokratie bewahren? Wir haben überdies ein Flexicurity-System, das auf freiwilligen Vereinbarungen zwischen den Parteien im Arbeitsmarkt beruht. Wie können diese geschützt werden? Die Dienstleistungsrichtlinie bedroht das Nervenzentrum des dänischen Sozialmodells durch Ungewissheiten und justiziellen Aktivismus.
Die Juni-Bewegung möchte liebend gern an der Festlegung von eindeutigen Regeln für einen gemeinsamen Markt für alle Dienstleistungen, die für diesen Markt geeignet sind, mitwirken, doch wir wollen die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, auf demokratische Weise Grenzen dafür festzulegen, was von den Wählern und was von den Kapitalisten entschieden werden sollte.
Petre Popeangă, im Namen der ITS-Fraktion. – (RO) Herr Präsident! Der freie Dienstleistungsverkehr ist bekanntlich eine der vier Grundfreiheiten, die die Funktion und Effizienz des Binnenmarktes in entscheidendem Maße bestimmen, der wiederum ein wichtiger Bestandteil der erste Säule der Politiken ist, auf denen die Europäische Union fußt.
Aus diesem Grund bin ich der Überzeugung, eine Analyse des Fortschritts bei der Umsetzung dieses Binnenmarktinstruments wäre sowohl wichtig als auch notwendig. Wichtig, weil die konsequente wirtschaftliche und soziale Entwicklung der EU in gleichem Maße vom Dienstleistungssektor abhängig ist, denn Dienstleistungen machen mit 70 % einen beträchtlichen Teil des EU-Bruttoinlandprodukts aus. Notwendig ist eine solche Analyse, weil das Volumen grenzüberschreitender Dienstleistungen im Vergleich zum Warenhandel extrem niedrig ist. Aus diesem Umstand resultiert auch das fehlende Vertrauen der Unionsbürger in den Verbrauch solcher Produkte. Auf der Grundlage dieser Argumente unterstütze ich den Bericht und stimme für seine Annahme.
Dennoch bin ich der Auffassung, dass für die vom Berichterstatter vorgeschlagenen sachdienlichen und gleichzeitig wertvollen Lösungen eine gründlichere Analyse erforderlich gewesen wäre, was die Situation in einigen der neuen Beitrittsländer wie beispielsweise Rumänien betrifft, deren Märkte weit weniger entwickelt sind als die der meisten anderen EU-Mitgliedstaaten. Betrachtet man den Bericht von dieser Warte aus, so hätte darin nach meinem Dafürhalten eine Reihe von Zielstellungen enthalten sein sollen, um den Grad der Entwicklung der nationalen Märkte anzugleichen, eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des Binnenmarktes und folglich für grenzüberschreitende Dienstleistungen.
Andreas Schwab (PPE-DE). – Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von meiner Seite aus natürlich ein Dankeschön an den Berichterstatter. Die Gespräche im Vorfeld dieses Berichts waren immer sehr fruchtbar und interessant. Das meiste aus diesen Gesprächen ist auch in dem Bericht verwirklicht, wenn auch – aus meiner Sicht zumindest – leider nicht alles, denn der Bericht betont an einigen Stellen, dass die Verwirklichung des Dienstleistungsbinnenmarkts erheblich hinter dem Güterbinnenmarkt in der Europäischen Union zurückbleibt. Aus meiner Sicht ist dies wissenschaftlich und auch sachlich nicht wirklich zu belegen, weil wir neben der Dienstleistungsrichtlinie die Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie und weitere Richtlinien im Dienstleistungsbereich haben.
Zum Zweiten ist der Dienstleistungsbereich im Binnenmarkt ein sehr viel heterogenerer Bereich als der Güterbereich. Er reicht von untergeordneten Dienstleistungen über ärztliche oder anwaltliche Dienstleistungen bis zu Massendienstleistungen wie großen Bank- und Versicherungsdienstleistungen. All diese Dienstleistungen so einfach zusammenzufassen, wie dies hier im Parlament immer wieder geschieht, halte ich für gefährlich. Ich glaube – darauf haben einige Redner vor mir schon hingewiesen –, dass ein differenzierterer Ansatz sicher sinnvoll wäre.
Der dritte Punkt, der immer wieder angesprochen wird, das so genannte collective redress, wird wahrscheinlich auch nicht dadurch sinnvoller, dass man ihn immer wieder anspricht. Ich glaube, dass man klar und deutlich sagen kann, dass das Parlament von der Kommission erwartet, dass sie die vielfältigen Modelle, die in Europa schon bestehen, in einer Studie einmal daraufhin überprüften, welches für die Europäische Union wirklich das beste wäre. Ich glaube, damit ist zu diesem Thema ebenfalls alles gesagt.
Die Haftungssysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten – dies ist mein vierter Punkt – sind nach wie vor sehr unterschiedlich. Deshalb ist ein einheitliches System von Verpflichtungen für Dienstleister erforderlich. Die Klärung des Rechtssystems für diese Verpflichtungen wird mehr Wettbewerb und mehr Auswahl für die Verbraucher bringen, aber ich glaube – wie meine Vorredner auch teilweise gesagt haben –, dass es falsch wäre, die Kommission schon jetzt zur Vorlage eines horizontalen Instruments aufzufordern. Ich stehe der Schaffung eines solchen Haftungsrechts auf europäischer Ebene ohnehin sehr skeptisch gegenüber.
Małgorzata Handzlik (PPE-DE). – (PL) Ich möchte dem Berichterstatter zu seinem Bericht gratulieren, in dem die zahlreichen Probleme dargestellt werden, mit denen Verbraucher im Binnenmarkt konfrontiert sind.
Zu Recht lenkt der Bericht die Aufmerksamkeit auf die fehlende rechtliche Klarheit und Gewissheit im Hinblick auf die Sicherheit und Qualität von Dienstleistungen. Er behandelt auch das generell mangelnde Vertrauen der europäischen Verbraucher in grenzüberschreitende Geschäfte. Statistiken bestätigen dies. Im Jahr 2006 tätigten nur 6 % aller europäischen Verbraucher grenzüberschreitende Käufe über das Internet. Diese Situation hat negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Aktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen. Gleichzeitig trägt sie zur Ausweitung des illegalen Handels bei. Unehrliche Organisationen nutzen die zwischen den einzelstaatlichen Rechtssystemen bestehenden Unterschiede aus, um Menschen zu betrügen. Zügiges Handeln ist gefragt, sobald solche Umstände erkannt werden, daher unsere Reaktion.
Ich möchte das Haus an die monatelange Arbeit an der Dienstleistungsrichtlinie erinnern, das heißt die Überarbeitung des Verbraucherrechts. Wie die Abgeordneten wissen, muss die Dienstleistungsrichtlinie in allen Mitgliedstaaten bis Dezember 2009 umgesetzt sein. Ein beträchtlicher Teil der vom Berichterstatter aufgezeigten Probleme wird sich nach der Umsetzungsfrist sicher erledigt haben. Man darf nicht vergessen, dass die Dienstleistungsrichtlinie die Rechte der Verbraucher erheblich stärkt. Dank der Richtlinie müssen Dienstleistungserbringer Verbrauchern bessere Informationen zu den von ihnen angebotenen Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Dadurch können Verbraucher bessere und sachkundigere Entscheidungen treffen. Außerdem werden Verbraucher durch die einschlägigen Institutionen wirksamer geschützt.
Mit der Dienstleistungsrichtlinie wird auch eine Reihe klar formulierter Verpflichtungen für Dienstleistungserbringer festgeschrieben, unter anderem zur Streitbeilegung. Nach meinem Dafürhalten besteht kein Bedarf an der Einführung weiterer Rechtsinstrumente, bis die Vorschriften der Dienstleistungsrichtlinie in Kraft treten. Aus meiner Sicht wäre es verfrüht, die Kommission aufzufordern, ein horizontales Instrument vorzulegen. Gleiches gilt für die gesamte Überarbeitung des Verbraucherrechts. Die Kommission hat bereits ein Grünbuch zum Verbraucherrecht vorgelegt und wird zu gegebener Zeit diesbezügliche Gesetzesvorschläge präsentieren. Meine Damen und Herren! Es gibt Zeiten, in denen mehr Gesetze nicht automatisch bessere Gesetzgebung bedeuten. Wir täten gut daran, dies im Hinterkopf zu behalten.
Zita Pleštinská (PPE-DE). – (SK) Die Dienstleistungsrichtlinie, die bis zum 28. Dezember 2009 in allen EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss, wird beträchtliche Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung haben.
Weder in der Richtlinie noch im Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ werden die Grundverpflichtungen von Dienstleistungserbringern festgelegt. Darum begrüße ich den Bericht von Herrn Lehtinen zu dieser Thematik. Im Bericht wird versucht sicherzustellen, dass nicht nur Verbraucher, sondern auch kleine und mittelgroße Unternehmen, die grenzüberschreitende Dienstleistungen kaufen oder verkaufen, von zusätzlicher Rechtssicherheit, Vereinfachung und reduzierten Kosten profitieren können.
Nach meinem Dafürhalten ist die europäische Standardisierung der Schlüssel zum Erfolg für Handwerksbetriebe und KMU. Die Einführung europäischer Normen auf EU-Ebene ist damit ein Mittel zur Förderung von Dienstleistungssicherheit und der Gewährleistung von Verbraucherrechten bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen, die von anderen Mitgliedstaaten erbracht werden. Wenn Verbraucher kein Vertrauen in die Sicherheit und Qualität von Dienstleistungen haben, tendieren sie dazu, psychologische Schranken gegenüber ausländischen Dienstleistern aufzubauen, was dazu führt, dass sie auf die Nutzung grenzüberschreitender Dienstleistungen verzichten. Wenn ein Verbraucher negative Erfahrungen macht, hat dies oftmals zu Unrecht Auswirkungen auf ausländische Dienstleister.
Verbraucher haben die Möglichkeit, Probleme, die in erster Linie aufgrund der in den einzelnen Mitgliedstaaten abweichenden geltenden Verfahren entstehen, innerhalb des Netzes der Europäischen Verbraucherzentren (ECC-Netz) und dem grenzüberschreitenden Netzwerk für Verbraucherbeschwerden über Finanzdienstleistungen (FIN-Netz) zu lösen. Ein Verbraucher, der zwar über ausreichende Informationen über seine Binnenmarktrechte verfügt, aber vergebens versucht, diese in einem anderen EU-Mitgliedstaat wahrzunehmen, kann sich an SOLVIT wenden.
Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Tatsache, dass sich dieser Bericht in erster Linie auf die Verbraucher konzentriert, da gerade sie ein fundamentales und wichtiges Element des Binnenmarktes bilden. Unser gemeinsames Ziel muss daher darin bestehen, Bedingungen für Verbraucher zu schaffen, damit sie mit dem gleichen Vertrauen wie zu Hause in einem anderen Land Einkäufe tätigen können.
Zuzana Roithová (PPE-DE). – (CS) Herr Präsident! Zwar garantiert der EG-Vertrag den Bürgerinnen und Bürgern freien Zugang zu Dienstleistungen über ihre nationalen Grenzen hinaus, jedoch nur eine Handvoll Anbieter und Verbraucher machen von diesem Vorteil des Gemeinsamen Marktes Gebrauch. Aufgrund des geringen Wettbewerbs sind Dienstleistungen daher in den Grenzregionen teurer und nicht immer so leicht zu erhalten wie im Landesinnern.
Aus Erhebungen geht hervor, dass das Problem nicht in der Sprachbarriere liegt, sondern in der Gesetzgebung. Nicht immer ist klar, wann die Vorschriften des Ursprungslandes gelten und wann die nationale Gesetzgebung. Dank der Gegner des Ursprungslandprinzips haben wir jedoch leider die Chance vertan, in die Dienstleistungsrichtlinie eine bessere Definition aufzunehmen. Hier in Straßburg hat man im Zusammenhang mit dem Bericht eine unbegründete Angst davor, vom Ursprungslandprinzip zu sprechen, ungeachtet dessen, dass in vielen Berufen die Dienstleistungserbringer die Gesetze des Nachbarlandes gar nicht kennen müssen, um grenzüberschreitend tätig zu werden.
Bald werden wir auch eine Rechtsprechung haben, die dem Streit darüber ein Ende setzen wird, wann die Frage des Verbraucherschutzes unter die Rechtsvorschriften des Heimatlandes fällt oder unter die Vorschriften des Gastlandes. Ich halte den Bericht von Herrn Lehtinen für einen hervorragenden Beitrag in dieser Sache, weil meiner Meinung nach unsere Definition der allgemeinen Verpflichtungen der Dienstleistungserbringer auf vereinbarten europäischen Standards beruhen muss.
Auch ich bin im Hinblick auf den Verbraucherschutz der Ansicht, dass die Verpflichtungen von Dienstleistungserbringern gleichermaßen für den privaten und den öffentlichen Sektor gelten müssen. Darüber hinaus spreche ich mich für die Finanzierung von Kommunikationsnetzen zwischen den Mitgliedstaaten aus, sodass effektivere Kontrollen und Fortschritte bei der außergerichtlichen Streitbeilegung möglich werden.
Frau Kommissarin, wir sind den europäischen Bürgern bezüglich der Bedingungen der Freizügigkeit von grenzüberschreitenden Dienstleistungen noch viel schuldig. Dieser Bericht trägt dazu bei, einen Teil dieser Schuld abzutragen. Das Europäische Parlament gibt der Kommission die politische Unterstützung, die Verpflichtungen der Dienstleistungserbringer ungeachtet ihrer Herkunft eindeutig zu definieren. Der Bericht von Herrn Lehtinen beweist die ausgezeichnete Arbeit, die der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz geleistet hat.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich habe die Diskussion über den Bericht des Parlaments über die Verpflichtungen von grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringern sehr aufmerksam verfolgt und möchte den Damen und Herren Abgeordneten für Ihre Bemerkungen danken. Gestatten Sie mir nunmehr, dass ich einige wesentliche Punkte hervorhebe.
Erstens: Die Kommission unterstützt die Zielsetzung des Berichts, über den das Parlament morgen abstimmen wird. Wir sind in der Tat besorgt über das mangelnde Verbrauchervertrauen in den Dienstleistungsbinnenmarkt. Als Kommissarin für die Informationsgesellschaft lassen Sie mich unterstreichen, dass dieser Mangel an Vertrauen in das Internet-Geschäft ein wirklich wichtiges Problem ist, mit dem wir uns befassen müssen.
Zweitens hat die Kommission, wie ich vorhin bereits sagte, bereits mehrere Initiativen eingeleitet, um die gegenwärtige Situation zu ändern. Ich habe die Dienstleistungsrichtlinie und die Überprüfung des Besitzstands im Verbraucherschutz angeführt. Letztere gehört übrigens zu den wichtigsten Prioritäten meiner Kommissarskollegin Kuneva.
Ich möchte sagen, dass wir für die Unterstützung durch das Parlament sehr dankbar sind, und wir möchten das Parlament auffordern, weiterhin seinen Beitrag zum Überprüfungsverfahren zu leisten. Gemeinsam mit dem Parlament wollen wir in der Lage sein, so rasch wie möglich Ergebnisse vorzulegen.
Was werden wir für die kommenden Wochen und Monate konkret vorschlagen? Zunächst werden Anfang Oktober auf der Website der Kommission die zusammengefassten Antworten auf die Konsultation veröffentlicht werden. Sodann wird es eine Folgenabschätzung mit der Perspektive eines möglichen Vorschlags der Kommission im zweiten Halbjahr 2008 geben. Jene Mitglieder, die sich gründlich mit diesem Problem befasst haben, werden gewiss daran interessiert sein.
Drittens hält es auch die Kommission für notwendig, Augenmerk auf die Sicherheitsaspekte von Dienstleistungen zu legen, denn es ist sehr wichtig, bei Dienstleistungen im Binnenmarkt die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit besser zu gewährleisten.
Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten werden wir die Aufmerksamkeit auf mögliche Mängel in den nationalen Systemen oder auf die erforderliche Durchsetzung der Folgenabschätzung lenken. Fördern werden wir Initiativen zur Erziehung und Aufklärung der Verbraucher. Wir werden den Zugang zu verfügbaren Informationen über Unfälle und Verletzungen im Zusammenhang mit der Sicherheit der den Verbrauchern angebotenen Dienstleistungen erleichtern, und einer der ganz wichtigen Aspekte, der von mehreren Abgeordneten hervorgehoben wurde, betrifft die Sammelklagen. Die Kommission führt Untersuchungen durch und stimmt sich mit den Beteiligten ab, um die Möglichkeit einer Initiative in diesem Bereich zu beurteilen, aber eines ist gewiss, und ich möchte das unterstreichen: Das wird keine Klage nach US-Muster werden.
Abschließend möchte ich dem Berichterstatter für seine Arbeit und dem Parlament dafür danken, dass es dieser Frage so große Bedeutung beimisst. Wir sind uns sicher, dass der Bericht des Parlaments unserer künftigen Arbeit im Interesse der Verbraucher dienlich sein wird.
Der Präsident. − Ich danke Ihnen sehr, Frau Kommissarin, für eine interessante Aussprache, an der sich mehr als 50 % Frauen beteiligt haben. So sollte es auch sein.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 27. September 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Bogdan Golik (PSE), schriftlich. – (PL) Ich möchte Herrn Lehtinen für einen gründlich ausgearbeiteten Bericht danken.
Der freie Dienstleistungsverkehr ist eine der vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes. Über die Jahre hat die Bedeutung des Dienstleistungssektors für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Europäischen Union enorm zugenommen und beachtliche Veränderungen erfahren.
Trotz der im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft festgeschriebenen Vorschriften und dem ständigen Prozess der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in einzelstaatliches Recht wird der freie Verkehr von Dienstleistungen in der Praxis durch verwaltungstechnische Vorschriften und Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten behindert.
Unter Berücksichtigung der Gefahren und Herausforderungen der Globalisierung in Verbindung mit den Defiziten im Dienstleistungssektor, die im Bericht genannt werden, ist es insbesondere wichtig, Maßnahmen zu ergreifen, um Schwierigkeiten bei der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen zu überwinden.
Fehlendes Vertrauen aufseiten der Verbraucher und Zurückhaltung seitens der Unternehmen, im Ausland tätig zu werden, beschränken den Zugang um Binnenmarkt. Daher sollte die Gemeinschaft dringend Mechanismen einführen, die es Unternehmen, allen voran KMU, erleichtern, vom Binnenmarkt zu profitieren. EU-Vorschriften zur Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen sollten darum rationalisiert werden und eine Mindestfrist für die Harmonisierung von Qualitätsstandards eingeführt werden, um die Interessen der Verbraucher zu schützen.
Grenzüberschreitende Aktivitäten werden durch die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, die Beschränkung von Verwaltungsverfahren und angemessene Kontrollen von grenzüberschreitenden Dienstleistungen gefördert. Durch die Harmonisierung von Qualitätsstandards wird das Vertrauen der Verbraucher und Lieferanten in grenzüberschreitende Dienstleistungen gestärkt.
Durch Ermöglichung der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen kann der Binnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren, wodurch die Grundlagen für einen wirtschaftlich kohärenten Binnenmarkt gelegt werden.
16. i2010: Auf dem Weg zu einer Europäischen Digitalen Bibliothek (Aussprache)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Marie-Hélène Descamps im Namen des Ausschusses für Kultur und Bildung über i2010: Auf dem Weg zu einer Europäischen Digitalen Bibliothek (2006/2040(INI)) (A6-0296/2007).
Auch hier sind mehr als 50 % der Redner in dieser Aussprache Frauen, die erste ist Marie-Hélène Descamps, die Berichterstatterin.
Marie-Hélène Descamps (PPE-DE), Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Idee einer Europäischen Digitalen Bibliothek stammt von sechs Staats- und Regierungschefs der Union, die den Zugang aller zum europäischen kulturellen Erbe ermöglichen und dessen Bewahrung für die künftigen Generationen gewährleisten wollten. Dieses die Einigung Europas fördernde Projekt wird die Herausbildung einer wirklichen europäischen Identität stärken und die Verbreitung unserer kulturellen und sprachlichen Vielfalt in der Welt fördern. Dieses bislang beispiellose Projekt für Europa verbindet Vergangenheit und Gegenwart, die kulturelle und die digitale Dimension. Es entspricht voll und ganz den Herausforderungen, die die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien heute für unsere Mitbürger darstellen. Das Internet als drittliebstes Medium der jungen Europäer stellt ja eines der wichtigsten Mittel für den Zugang zu Kenntnissen und Wissen dar.
Wenngleich einige wirkliche Fortschritte festgestellt werden können, sind die Tätigkeiten zur Digitalisierung und zur Online-Bereitstellung der kulturellen Ressourcen dennoch sehr zersplittert und hängen von den durch die Mitgliedstaaten geschaffenen Mechanismen ab. Um effizient zu sein und möglichst viele zu erreichen, müssen die Initiativen zur Verbreitung und Förderung unseres kulturellen Erbes koordiniert werden. Das ist das erklärte Ziel der Europäischen Digitalen Bibliothek, das die Kommission mit ihrer wegweisenden Initiative „i2010 Digitale Bibliotheken“ unterstützt.
Der erste Teil dieser Initiative, die Mitteilung vom 30. September 2005, sieht drei Schwerpunkte vor: Digitalisierung, Online-Verfügbarkeit und Bewahrung des digitalen Inhalts. Die Kommission hat in diesem Zusammenhang die wichtigsten technischen, rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Probleme analysiert, die sich bei einem Projekt dieser Größenordnung stellen. Parallel dazu wurde eine öffentliche Online-Konsultation eingeleitet und eine hochrangige Expertengruppe gebildet. Auf der Grundlage dieser einzelnen Elemente verabschiedete die Kommission am 24. August 2006 eine Empfehlung zur Digitalisierung, Online-Verfügbarkeit und digitalen Bewahrung, in der sie die Mitgliedstaaten aufruft, das Tempo der Digitalisierung zu erhöhen und ihre Anstrengungen zu koordinieren, um echte Synergien zu erreichen. Am 13. November 2006 sprach sich der Rat einstimmig für diese Empfehlungen aus. Jetzt ist es am Europäischen Parlament, ein starkes Signal für die Realisierung dieses außerordentlichen Projekts zu setzen.
Das Unternehmen erfordert ein schrittweises Vorgehen. Obgleich von Anfang an an der begrifflichen und technischen Aufarbeitung aller Kategorien des kulturellen Materials zu arbeiten ist, müssen wir uns zunächst mit Hilfe eines einheitlichen, direkten und mehrsprachigen Zugangspunktes auf das Potenzial konzentrieren, das durch das in den Bibliotheken verwahrte gemeinfreie Textmaterial gegeben ist. Unsere Bibliotheken bieten den Vorteil, dass sie auf europäischer Ebene über die im Jahr 2005 durch die nationalen Bibliotheken gegründete Europäische Bibliothek (TEL) koordiniert werden, die über eine große Menge an digitalisierten Werken des gemeinfreien Bereichs, die somit sofort nutzbar sind, verfügt.
In einem zweiten Schritt muss die Bibliothek, um den Erfolg dieses Instruments zu fördern, neben den gemeinfreien Dokumenten auch den Zugang zu jüngeren Werken ermöglichen. Jede Entscheidung in dieser Richtung muss zwangsläufig in Abstimmung mit allen betroffenen Akteuren getroffen werden. So ist der Schutz der Rechte der Autoren und Kulturschaffenden eine unerlässliche Voraussetzung für die Bewahrung und Erhaltung der Kreativität in Europa. Dieses Projekt kann nur den erhofften Erfolg haben, wenn es auf einem kohärenten Wirtschaftsmodell beruht. So schlägt der Bericht vor, dass die Nutzer mit Hilfe der Europäischen Digitalen Bibliothek digitale Dokumente, unabhängig von ihrer Art, ermitteln und frei einsehen können, und zwar vollständig bei den keinen Rechten unterliegenden Werken, aber nur in Form von kurzen Auszügen für die geschützten Werke mit Einverständnis der Rechteinhaber. Darüber hinaus sollen Nutzer, um ein Werk virtuell durchblättern zu können und zu einem geschützten Dokument vollen Zugang zu erhalten, zu privaten Websites gelenkt werden, die auf die abgesicherte digitale Verbreitung spezialisiert sind, wo ihnen gegen ein angemessenes Entgelt für den Rechteinhaber mehrere Optionen angeboten werden.
Darüber hinaus muss die Bibliothek so organisiert werden, dass sie einen Zugang zu zuverlässigen Inhalten hoher Qualität für jedes Publikum ermöglicht. Zu diesem Zweck fordert der Bericht die Bildung eines Lenkungsausschusses, in dem die kulturellen Institutionen eine wichtige Rolle spielen müssen. Dieser Ausschuss soll die Prioritäten und Orientierungen für die Europäische Digitale Bibliothek festlegen und gleichzeitig die Koordinierung, Leitung und Kontrolle ihrer Tätigkeit gewährleisten.
Um Zugang zu allen Kulturen Europas zu ermöglichen, müssen zudem die übrigen kulturellen Institutionen und Bereiche wie Archive, Museen, Film, audiovisuelle Medien und Universitäten in jede Etappe der Realisierung des Projekts einbezogen werden. So wird das Gesicht des vereinten Europas in seiner Vielfalt deutlich werden.
Abschließend möchte ich all meinen Kolleginnen und Kollegen vom Ausschuss für Kultur, insbesondere Herrn Weber und Herrn Graça Moura, für ihre Unterstützung und ihren Beitrag zu diesem Bericht danken. Mein Dank gilt auch der Kommission für ihre ausgezeichnete Kooperation während der gesamten Erarbeitung dieses Dokuments.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Dies ist ein großartiger Bericht, und Frau Descamps hat gemeinsam mit ihren Ausschusskolleginnen und -kollegen eine ausgezeichnete Arbeit geleistet.
Die Initiative im Zusammenhang mit den digitalen Bibliotheken ist ein Beispiel dafür, wie Europa mit konkreten Projekten nicht nur zum Wirtschaftswachstum, sondern auch zur Lebensqualität beitragen kann. Indem das kulturelle und wissenschaftliche Erbe Europas online gestellt wird, können wir es in unterschiedlichen Kulturen verbreiten. Indem wir moderne Technologien anwenden, können wir die heute noch existierenden Mauern niederreißen.
Ich bin sehr froh darüber, dass diese von den Nationalbibliotheken unserer Mitgliedstaaten ergriffene und von der Europäischen Kommission über so viele Jahre weiterentwickelte Initiative von politischen Repräsentanten auf höchster EU-Ebene aufgegriffen und unterstützt worden ist. Sie haben das Richtige getan, und auch unsere Staats- und Regierungschefs unterstützen zu Recht diese Initiative, denn unsere Bibliotheken, unsere Archive und unsere Museen bergen einen echten Reichtum. Es sind nicht nur Bücher, sondern auch Zeitungen, Archivaufnahmen und Filme. Sie bedeuten einen multilingualen, einen multikulturellen Reichtum. Wenn wir bedenken, dass erst weniger als ein Prozent dieses Reichtums digitalisiert wurde, wissen wir, was noch vor uns liegt und was für eine Arbeit wir zu leisten haben.
Diese Arbeit ist aus zwei Gründen notwendig. Der erste Grund ist, dass Barrieren überwunden und die Menschen angeregt werden, diese Werke aus ihrer eigenen Kultur und die Werke aus unserer gemeinsamen europäischen Geschichte zu studieren, mit ihnen zu arbeiten und sich an ihnen zu erfreuen, und dann geht es darum, dass diese Elemente unserer nationalen Institutionen für Dienstleistungen und Produkte mit Mehrwert wieder verwendet werden. Und hier kommt die Industrie ins Spiel. Das ist der Grund, warum das Ziel der Initiative der Kommission darin besteht, einen gemeinsamen, mehrsprachigen Zugangspunkt zum digitalisierten Kulturerbe Europas zu schaffen.
Das können wir nicht allein erreichen. Es erfordert die Zusammenarbeit verschiedenartiger kultureller Einrichtungen aus allen europäischen Ländern. Ich sehe mit Freuden, dass das Gestalt annimmt und durch die Errichtung einer rechtlichen Körperschaft formalisiert wird, die die Handlungsfähigkeit der europäischen digitalen Bibliothek erhöht. Dieser gemeinsame Zugangspunkt wird 2008 ins Leben gerufen. In den Folgejahren wird der Inhalt nach und nach in dem Maße erweitert, wie mehr Bibliotheken, mehr Archive und mehr audiovisuelle Archive und Museen ihre digitalisierten Sammlungen einbringen.
Ich bin auch froh darüber, dass sich der Bericht des Parlaments nicht nur mit dem Ergebnis befasst, sondern auch mit den Voraussetzungen zur Erzielung dieses Ergebnisses. Das bedeutet: Verbesserung der generellen Bedingungen zur Online-Einstellung unseres kulturellen Erbes als integralen Bestandteil der Initiativen zu den digitalen Bibliotheken, und es bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre Digitalisierungsbemühungen verstärken müssen. Ich würde ganz klar sagen: Es bringt nichts, ein großes Kulturereignis zu veranstalten, bei dem alle Regierungschefs schöne Reden halten und dann in ihre Länder zurückreisen und die Budgets kürzen. Das darf nicht sein! Den Worten müssen Taten folgen. Ich möchte, dass das Parlament weiter vorangeht und uns dabei hilft, dass dieses so wunderbare Projekt Wirklichkeit wird.
Wir haben eine hochrangige Gruppe zu den digitalen Bibliotheken, der ich vorstehe und die in dieser Frage nach vorn drängt. Wir sind uns auch völlig bewusst, dass die Erhaltung und Pflege digitalen Materials in der Zukunft eine der wesentlichen Fragen darstellen wird, und daher bin ich froh, dass der Rat das Vorgehen der Kommission im Zusammenhang mit der europäischen digitalen Bibliothek gebilligt hat und das Parlament uns jetzt auf diesem Wege hilft und mit seinem politische Gewicht hinter dieser Zielsetzung steht.
Vasco Graça Moura, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Ich darf Frau Descamps zu ihrem hervorragenden Bericht beglückwünschen. Dieses Papier wird einen überaus wichtigen Beitrag zu der Frage nach den Beziehungen zwischen Digitaltechnik und kulturellem Erbe leisten. Der Bericht ruft dazu auf, die Bemühungen der nationalen Institutionen, insbesondere der Bibliotheken, und künftig auch anderer Kultureinrichtungen zu koordinieren. Ein Anfang wird sinnvollerweise mit bereits gemeinfreien Werken gemacht. Vorgeschlagen werden die wirksame Nutzung von Synergien und der Austausch bewährter Verfahren zwischen den Prozessbeteiligten auf allen Ebenen. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, das Projekt zu fördern und Wege zu finden, um Doppelarbeit bei der Digitalisierung von Beständen zu vermeiden. Es ergeht ein Appell zur Koordinierung all dieser Anstrengungen. Der Bericht Descamps wird in dieser Wahlperiode hinsichtlich des Verhältnisses von Spitzentechnologie und europäischer Kultur im Wandel der Zeiten Akzente setzen.
Wenn wir von europäischer Kultur sprechen, dann meinen wir zugleich auch universale Kultur. Und das nicht nur deshalb, weil das kulturelle Erbe Europas diese Bezeichnung verdient, sondern weil die kulturelle Vielfalt Europas ein völlig offenes System bildet, was sich selbstverständlich mit dem Fortschreiten des Projekts positiv auswirken wird. Das Projekt hat sich auch entwickelt. Begonnen hat es als chauvinistischer Irrtum in Konkurrenz zu Google. Nach nochmaligem Überdenken und mehrfachen Änderungen ist es vernünftiger, realistischer und produktiver und nicht mehr, wie es die Financial Times nannte, ein „krasser Fall von fehlgeleitetem und unnötigem Nationalismus“.
Eine Europäische Digitale Bibliothek unterscheidet sich von anderen Lösungen insofern, als es ein Projekt der Europäischen Union ist, sich an alle Bibliotheken wendet, auf bestehenden Initiativen beruhen und sämtliche Kategorien des europäischen Kulturerbes umfassen soll, sich also nicht auf gedruckte Werke beschränkt. Gewiss gibt es nach wie vor Probleme: die Suche nach Finanzierungspartnern im Privatsektor, die größtmögliche Vermeidung unterschiedlicher Geschwindigkeiten bei der Digitalisierung zwischen den Mitgliedstaaten, die Lösung bestimmter technischer Aspekte im Zusammenhang mit der Koordinierung des Zugangs zu den digitalisierten Werken, die digitale Bewahrung, die Lösung des Problems einer integrierten Suchmaschine für die Metainformationen in Bilddokumenten und für die Direktrecherche im Textmodus, Lösungen für die Interoperabilität der Inhalte, die mehrsprachige Suche über Sachgebiete oder Schlagwörter neben der üblichen Suche über Autoren oder Titel. Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass der Austausch von Erfahrungen zwischen den Einrichtungen, speziell mit US-amerikanischen Institutionen, unerlässlich ist. Nicht minder wichtig ist eine starke Forschungs- und Entwicklungskomponente, damit das Projekt ansprechende Resultate zeitigt.
In diesem Zusammenhang macht das Parlament, indem es für den Bericht Descamps stimmt, einen positiven Schritt in die Zukunft, ob die Mehrheit nun aus Frauen besteht oder sich einigermaßen aus Männern und Frauen zusammensetzt, Herr Präsident.
Der Präsident. − Ah, aber die Frauen sind sehr froh darüber, dass Sie ein Mann sind!
Christa Prets, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Kommissarin! 2010 ist eigentlich schon morgen! Wenn der Titel dieses Berichts „i2010: Auf dem Weg zu einer Europäischen Digitalen Bibliothek“ lautet, dann heißt das, dass wir noch vieles zu erledigen haben, von dem ich meine, dass wir es lange hintangestellt haben. Ich freue mich, dass Frau Descamps einen sehr guten Bericht vorgelegt hat, der ein Wegweiser ist, der zeigt, was man tun kann und tun könnte. Wir müssen uns aber alle anstrengen, um es auch auf den Weg zu bringen. Der Bericht ist eine Herausforderung und eine Antwort auf die neuen Techniken, den neuen Umgang mit Wissen und Information und vor allen Dingen aber auch auf den Zugang der Jugendlichen zum Lernen, zu Information und zum Abruf von Wissen. Hier sind wir einiges schuldig und müssen uns wirklich sputen.
Wir brauchen nicht nur die Konservierung und die Sicherstellung des kulturellen Erbes, sondern wir haben täglich neue Dinge, die wir dazunehmen und mit aufnehmen müssen, denn das, was gestern erfunden und niedergeschrieben worden ist, ist bereits morgen schon kulturelles Erbe. Das heißt, wir haben viel nachzuholen. Wir haben aber auch immer den Blick nach vorne zu richten, um mit dem Tempo Schritt halten zu können.
Es wird sehr wichtig sein, die Koordinierung zu gestalten und die Länder aufzurufen, dass wir nationale Befindlichkeiten – wie es gerade erwähnt wurde – hintanstellen, und dass wir uns gemeinsam auf einen europäischen Weg zur Sicherung der kulturellen Vielfalt machen. Es gibt Hürden zu überwinden. Das eine ist das finanzielle Manko, das wir haben. Die Kommissarin hat das richtig angesprochen. Alle Minister und alle Präsidenten sind sehr groß in Sonntagsreden und stolz über die kulturelle Vielfalt. Wenn es dann aber um die Finanzierung und Realisierung geht, machen sie sehr schnell einen Rückzug und vergessen vieles von dem ganzen Stolz, den sie ausgebreitet haben.
Für mich ist auch ganz wichtig, dass wir die Urheberrechte sichern und dass es hier eine Absprache sowohl mit den Autoren als auch den Verlegern und mit all denjenigen gibt, die eingebunden sind, und dass man gegen ein angemessenes Entgelt auch die Information ins Netz stellt und abrufen kann. Ich denke, dass wir hier einiges berücksichtigen müssen. Das wird sicher nicht leicht sein, aber die Vorschläge liegen auf dem Tisch, und die Länder könnten sich hier sehr vieles abrufen. Ich bin überzeugt, dass wir morgen positiv über diesen Bericht abstimmen.
Ich glaube, dass wir die neuen Technologien nutzen und dieses Projekt fördern müssen, um einen freien Zugang nicht nur für uns Europäerinnen und Europäer zu ermöglichen, sondern unsere Kultur weit darüber hinaus in die ganze Welt hinaustragen zu können.
Jolanta Dičkutė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Meine Damen und Herren! In der ersten Mitteilung der Kommission heißt es, eine europäische digitale Bibliothek baue auf dem reichen Erbe Europas auf und verbinde kulturelle Vielfalt und Vielsprachigkeit mit technologischem Fortschritt und neuen Geschäftsmodellen. Im Kontext der Integration ist das ein nobles und begrüßenswertes Ziel, eine ehrgeizige Zielstellung. Abgesehen von der Erreichung dieser Idealvorstellungen müssen wir realistisch und aufmerksam bleiben und bereit sein, uns den Herausforderungen zu stellen, die zwangläufig mit diesem Prozess verbunden sind.
Die größten Schwierigkeiten bei der Schaffung digitaler Bibliotheken sind universeller Art, obgleich sie unterschiedlich beschrieben werden. Technische Infrastruktur, die Entwicklung digitalisierter Ressourcen, Digitalisierung, die Ermittlung von Urheberrechten, die Erhaltung von Inhalten und Dokumenten sind Fragen, für die richtungweisende Entscheidungen entwickelt werden müssen.
Die Möglichkeit der Bereitstellung virtueller Dienstleistungen und Projekte für ihre Umsetzung gibt es für Bibliotheken aller Art. Allerdings ist klar, dass durch digitales Material mit textuellen, visuellen und auditiven Informationen die traditionellen Funktionen von Bibliotheken erweitert werden, indem ein anderer Inhalt hinzukommt. So wird der Zugriff auf Informationen, die in einer herkömmlichen Bibliothek aufbewahrt werden, von deren Öffnungszeiten bestimmt, die üblicherweise immerhin länger sind, als die anderer öffentlicher Einrichtungen. Bei einer virtuellen Bibliothek ist der Zugang hingegen uneingeschränkt, weil es keine physische Tür gibt, die Informationen von ihren Nutzern trennt. Der Zugriff auf Informationen wird durch die Arbeitszeiten des Servers gewährleistet.
Bibliothekare können traditionelle Fertigkeiten und ihr Wissen nutzen, um virtuelle Dienstleistungen zu entwickeln, aber damit ist es nicht getan. Digitale Bibliotheken sind eine Phänomen des dritten Jahrtausends. Darum muss nicht nur das heute grundlegende Spezialwissen bewertet werden, sondern auch künftiges Wissen, das im Zuge sich verändernder Technik entsteht. Es ist nicht so wichtig, bestimmte Technologien perfekt zu beherrschen, weil jeder flexible, mündige Angestellte in der Lage ist, die für seinen Beruf erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen zu erwerben.
In Litauen, meinem Heimatland, ist die langfristige Bewahrung des litauischen Erbes durch Nutzung der Informationstechnologien gesetzlich festgeschrieben worden. Allerdings löst man dieses Problem nicht durch Koordinierung der Aktivitäten von „memory institutions“ (Bibliotheken, Museen, Archive). Weder die Bürger Litauens noch die anderer Länder können bislang alle Dienstleistungen nutzen, die digitale Bibliotheken anbieten. Ich hoffe, die heutige Entscheidung wird diese Prozesse beschleunigen.
Mieczysław Edmund Janowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Umberto Eco sagte einmal, wer Bücher liest, lebt zweimal. Der Bericht von Frau Descamps gibt einen guten Überblick über den modernen Umgang mit kulturellen Themen und Bildungsfragen. In meinem Bericht über den Beitrag der künftigen Regionalpolitik zur Innovationsfähigkeit der Europäischen Union habe ich auch auf diese Thematik verwiesen.
So wie Gutenbergs Erfindung seinerzeit einen Wendepunkt in der menschlichen Entwicklungsgeschichte markierte, so kann man heute von einer durch das Internet hervorgebrachten kulturellen Revolution sprechen. Dabei geht es um den uneingeschränkten Zugang zum reichen geistigen und materiellen Erbe Europas, ja der ganzen Welt, das neben zeitgenössischen Arbeiten jahrhundertealte Werke aus verschiedensten Kulturen und Sprachen umfasst. Urheberrecht und ähnliche Rechte stellen in diesem Zusammenhang sicher ein Problem dar.
Was in dieser Hinsicht in vielen Mitgliedstaaten bereits erreicht wurde, ist anerkennenswert, so auch die Arbeit der polnischen Nationalbibliothek. Ich möchte diese Möglichkeit nutzen, um die Bedeutung eines umfassenderen Breitbandzugangs zu unterstreichen. Meines Erachtens müssen wir eine Möglichkeit zur Kofinanzierung der Digitalisierung aus europäischen Mitteln finden. Gestatten Sie mir, mit einem Hinweis auf Goethe zu schließen, der meinte, wenn er Buch läse, hätte er das Gefühl, einen neuen Freund gefunden zu haben. Stellen Sie sich vor, wie viele Freundschaften wir mit Hilfe der Europäischen Digitalen Bibliothek schließen könnten!
Mikel Irujo Amezaga, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Die Kommission hat drei wichtige Achsen definiert, um das Potenzial der digitalen Technologie zu nutzen: die Online-Zugänglichkeit, die Digitalisierung analoger Sammlungen und die Bewahrung und Archivierung digitaler Inhalte, das wissen wir.
Was die Digitalisierung angeht, so ist allgemein bekannt, dass die Kommission durch eine Empfehlung im August letzten Jahres die Mitgliedstaaten aufforderte, ihre Anstrengungen zu koordinieren, um eine europaweite Synergie zu gewährleisten. Der Rat unterstützte einstimmig die Empfehlung, doch ich möchte die Gelegenheit ergreifen – auch wenn der Rat leider nicht anwesend ist –, um die Kommission einerseits zu den tatsächlichen Fortschritten der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet zu befragen und andererseits zu erfahren, ob die nichtstaatlichen Stellen, die bekanntlich in den meisten der dezentralisierten Länder für die Kultur zuständig sind, hinreichend berücksichtigt wurden.
Zu einem anderen Aspekt, der Online-Zugänglichkeit, wie ich sagte, sind wir uns einig, dass eine mehrsprachige Schnittstelle vorhanden sein und der Inhalt garantiert werden muss. Es ist eine wahre Freude, die digitale Bibliotheks-Webseite zu öffnen und zu sehen, dass der Inhalt neben den 23 Amtssprachen der Gemeinschaft auch in Isländisch und Serbisch erscheint.
Heute begehen wir den Europäischen Tag der Sprachen, und Sie, Frau Reding, haben einen sehr großen Beitrag dazu geleistet, dass er ins Leben gerufen wurde. Sie erklärten auch unzählige Male, Frau Kommissarin, und mit Recht, dass es keine großen und kleinen Sprachen gebe, dass sie alle zum Reichtum der europäischen Kultur gehören, und deshalb möchte ich in der digitalen Bibliothek gelegentlich einen Verweis – oder eher den Inhalt als einen Verweis – auf Sprachen wie meine eigene sehen können, die nicht zu den Amtssprachen in der Europäischen Union gehören.
Věra Flasarová, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (CS) Meine Damen und Herren! Als die Bibliothek in Alexandria bei der Invasion Cäsars in Ägypten abbrannte, ging ein wesentlicher Teil aller literarischen Werke, die die Menschheit jemals verfasst hat, für immer verloren. Ich denke, etwas Ähnliches wird dank der Existenz von digitalen Bibliotheken niemals wieder geschehen.
Ich begrüße das komplexe Herangehen der Berichterstatterin an dieses Thema. Ich komme aus der Tschechischen Republik, wo die Nationalbibliothek in Prag seit einiger Zeit erfolgreich digitalisiert wird. Da die Staaten ihre eigenen nationalen Bibliotheken haben, ist es nur logisch, dass auch die Europäische Union eine ähnliche Einrichtung besitzt, in der auch die Technik auf dem letzten Stand ist. Dabei wird nicht nur zum Schein die Aufgabe der europäischen Integration erfüllt, nein, es ist eine praktische Angelegenheit. Heutzutage werden immer mehr Bücher veröffentlicht. Diese ungeheure Menge an Literatur kann ohne Zuhilfenahme der Computertechnik nicht an einem Ort konzentriert werden. Das ist eine Mammutaufgabe. Der Plan sieht vor, dass die Europäische Digitale Bibliothek alle Quellen aufnimmt, die bereits in digitaler Form vorliegen und rechtlich nicht geschützte Werke umfassen. Neben literarischen Werken werden technische, rechtliche und journalistische Veröffentlichungen sowie audiovisuelle Werke hinzukommen.
Die Schaffung eines Systems, das so universell, aber auch ziemlich einfach ist, stellt für Experten auf dem Gebiet der Digitaltechnik eine interessante Aufgabe dar. Ich bin mir sicher, dass die Europäische Digitale Bibliothek Schluss machen wird mit endlosen Querverweisen und der komplizierten Suche im virtuellen Cyperspace. Sie wird zu einer ungeheuren Bibliothek werden, die wir – bildlich gesprochen – zu Hause haben.
Selbstverständlich birgt das auch Gefahren. Werden wir durch digitale Bibliotheken noch abhängiger von Computern und bedrohen sie die Existenz des gedruckten Buches? Das könnte sein, obwohl ich es nicht für allzu wahrscheinlich halte. Das herkömmliche Buch ist Bestandteil unserer Kultur, so wie das Theater oder die Kunst auch. Es bietet etwas, wozu digitale Bibibiotheken niemals in der Lage sein werden – den Kontakt mit dem Leser aus erster Hand.
Thomas Wise, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Die Wurzeln der British Library reichen bis 300 Jahre vor Christi zurück. Berühmtheiten wie Karl Marx, Oscar Wilde, Mahatma Gandhi, Rudyard Kipling, George Orwell, George Bernard Shaw, ja sogar Wladimir Iljitsch Lenin, sind nur einige der Persönlichkeiten, die in den Lesesälen des British Museum und britischer Bibliotheken studiert haben. Ich frage mich, ob sie so viel Inspiration aus dem Surfen im Internet gezogen hätten. Ich vermute, dass unsere hervorragende Einrichtung mit ihrer einzigartigen Sammlung von Publikationen aus jedem Winkel der Erde und des British Empire – und sogar darüber hinaus – noch lange, nachdem die EU den Weg anderer euroföderalistischer Projekte von Karl dem Großen bis zu den schrecklichen politischen Alpträumen der vergangenen beiden Jahrhunderte gegangen ist, geschätzt werden wird. Viel Glück, Frau Descamps, mit Ihrer digitalen Bibliothek, aber in diesem Bereich würde ich mich, wie in so vielen anderen auch, eher auf den Schutz und die Pflege und die Weiterentwicklung eines Erbes konzentrieren, auf das ich stolz bin, als auf die Schaffung der Insignien eines neuen Staats auf den Ruinen gescheiterter Gebilde.
Piia-Noora Kauppi (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst die Kommission und den Bericht von Frau Descamps über digitale Bibliotheken als einen zeitgemäßen und bedeutsamen Beitrag zur Bewahrung digitaler Informationen für künftige Generationen begrüßen.
Fakt ist, dass das Internet zu einem der wichtigsten Medien für den Zugang zu Wissen und Lernen geworden ist. Digitale Bibliotheken wären ganz gewiss für viele Forscher, Studenten, Lehrer und – als eine spezielle Gruppe – für Körperbehinderte von Nutzen. Sie sind also eine perfekte Initiative im Jahr der Chancengleichheit für alle.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nur auf einen Aspekt lenken, den man, ehe man eine Entscheidung trifft, gründlich bedenken muss.
Die Kooperation von öffentlichen und privaten Unternehmen sowie das private Sponsoring der Digitalisierung von Europas kulturellem Erbe ist ein wichtiges Element des Systems, wie es zurzeit besteht. Wir müssen sicherstellen, dass neue Verordnungen in diesem Bereich die Vorzüge des gegenwärtigen Systems nicht gefährden, vor allem nicht auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Information. Beispielsweise müssen wir gewährleisten, dass der Gutachtermechanismus erhalten bleibt. Dieser Mechanismus sieht so aus, dass unabhängige Experten in einer wissenschaftlichen Disziplin einen wissenschaftlichen Forschungsbericht kritisch beurteilen.
Dieses Gutachtersystem ist entscheidend für die wissenschaftliche Gemeinschaft, denn es ist ein wichtiger Qualitätskontrollmechanismus, mit dem auf wissenschaftliche Karrieren Einfluss genommen werden kann. Auch müssen wir ein Szenario vermeiden, bei dem die offene Zugänglichkeit die gegenwärtige Verbreitung wissenschaftlicher Forschung durch Abonnementzeitschriften gefährdet. Eine Frage, die auch zu beurteilen ist, betrifft den Schaden, der für die Rentabilität von Zeitschriften kleiner Verlage entsteht.
Kurz, das gegenwärtige System wird von vielen Beteiligten als leicht zugänglich, effizient, kostengünstig und auch qualitativ hochwertig empfunden. Wir müssen sicher sein, dass die Vorzüge, insbesondere für Forscher, überwiegen, und wir müssen jegliche unbeabsichtigten nachteiligen Folgen gerade für die Menschen, denen wir zu helfen hoffen, vermeiden.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Idee der Einrichtung einer Europäischen Digitalen Bibliothek durch die Entwicklung einer Internet-Website, wo Material gespeichert werden würde, auf das jeder Nutzer kostenlos Zugriff hat, ist fraglos ehrgeizig. Die Bibliothek würde eine mehrsprachige Schnittstelle haben, die den direkten Zugriff auf das gewünschte Material ermöglicht. Jeder Bürger hätte selbst Zugriff auf die unbekanntesten Werke der Weltkultur in seiner Muttersprache.
Darüber hinaus sollte angemerkt werden, dass durch diese Initiative eine wichtige Frage angesprochen wird, nämlich der Zugang zum Internet und die Möglichkeit für Bewohner ländlicher Gebiete, Inseln und Menschen mit Mobilitätsproblemen, auf das kulturelle Erbe der Welt zuzugreifen.
Der Zugriff auf kulturelles Material aller Art, einschließlich urheberrechtlich bzw. durch andere Rechte geschützte Werke, stellt eine weitere Problematik dar. Ich vertraue darauf, dass dieses Problem zu gegebener Zeit durch Investitionen in Technik gelöst wird.
Frau Descamps hat einen ausgewogenen Bericht erarbeitet, der meiner Ansicht nach unsere Unterstützung verdient.
Zdzisław Kazimierz Chmielewski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Frau Kommissarin! Ich möchte mich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern anschließen, die der Berichterstatterin zu ihrem gründlich erarbeiteten Bericht gratuliert haben. Er enthält eine klare Botschaft des Europäischen Parlaments, das die Idee der Einrichtung einer Europäischen Digitalen Bibliothek unterstützt. Es freut mich, das Haus daran erinnern zu dürfen, dass Polen an der Förderung dieses Gedankens beteiligt gewesen ist. Der Vertreter meines Heimatlandes gehörte zu den sechs Staats- und Regierungschefs, die das Projekt ins Leben gerufen haben.
Im Bericht werden überzeugende Argumente für die allmähliche Umsetzung des Projektes dargelegt. So wird die schrittweise Einbeziehung der verschiedenen Kategorien des kulturellen Erbes sowie von Dokumenten, die urheberrechtlich und durch verwandte Schutzrechte geschützt sind, vorgeschlagen, wobei die gesetzlichen Einschränkungen im Hinblick auf das geistige Eigentum stets einzuhalten sind. Die in diesem Vorschlag enthaltene Idee, Einrichtungen, die zwar kulturelle Inhalte verbreiten, jedoch keine Bibliotheken sind, in das Projekt einzubeziehen, ist eine Überlegung wert. Es ist nur recht und billig, dass Museen und Archive in diesem System eine wichtige Rolle spielen, da sie seit Jahrhunderten enge Beziehungen zu Bibliotheken pflegen.
Ich hege große Hoffnungen, insbesondere angesichts der Absicht, nicht nur wissenschaftliche Forschungsarbeiten zur Digitalisierung in das Koordinierungssystem für die Europäische Digitale Bibliothek aufzunehmen, sondern auch die äußerst wichtige Frage des Schutzes digitaler Ressourcen. Nach meinem Dafürhalten ermöglicht dies die Entwicklung von gemeinsamen einheitlichen Anforderungen für die sachgerechte Aufbewahrung von digitalen Materialien, die in Bibliotheken und Archiven aufbewahrt werden, sowie von – ich betone archivierten – digitalen Materialien, die nicht in Archiven gesammelt werden, sondern in Museen und Bibliotheken. Es ist kein Geheimnis, dass diese Einrichtungen jahrhundertelang Schwierigkeiten gehabt haben, Archivmaterial aus unterschiedlichen Quellen ordnungsgemäß zu schützen. Endlich sind wir in der Lage, hier Abhilfe zu schaffen.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident! Ich möchte Frau Descamps und den übrigen Mitgliedern des Ausschusses für Kultur und Bildung sehr herzlich für diesen Bericht danken, der in der Tat von großer Bedeutung ist.
Der eigentliche Reichtum Europas besteht nicht im Euro und auch nicht in unserem wirtschaftlichen Fortschritt, sondern in unserem Erbe, das über Jahrhunderte geschaffen und gestaltet wurde und die wahre, tiefe Quelle für den Reichtum Europas darstellt.
Es ist jedoch in gewisser Weise ein Skandal, dass dieses Erbe verborgen ist in Archiven, in Kellern, an Orten, die für die Öffentlichkeit, die Bürger nicht zugänglich sind, wo sie es nicht anfassen, nicht verstehen und nicht genießen können. Die Digitale Bibliothek möchte genau diese Barriere überwinden.
Das ist nach meinem Dafürhalten einer der großen Fortschritte Europas, und ich möchte die nationalen Bibliotheken, unsere nationalen Bibliotheken würdigen, denn von ihnen ging diese Initiative aus, die so bedeutsam, so wichtig für die europäischen Kulturen ist. Die Direktorinnen und Direktoren dieser Bibliotheken haben Pionierarbeit geleistet. Sie haben begriffen, dass eine Symbiose zwischen der Kultur, die den Reichtum der Bestände ausmacht, und der Technik, die ein Instrument des Zugangs zu dieser Kultur darstellt, erforderlich ist. Und dass sie diese Pionierarbeit geleistet haben, ermöglicht uns im Wesentlichen, im Jahr 2008 über das einheitliche Portal mit mehrsprachigem Zugang zu verfügen.
Ja, ja, ja, das sage ich denen, die diesen Punkt angesprochen haben, wir werden sogar Zugang zur luxemburgischen Literatur haben. Darauf bin ich stolz, denn Letzeburgisch ist meine Muttersprache und somit für mich die wichtigste Sprache der Welt, ebenso wie jede Muttersprache wichtig ist. Und genau deshalb muss es Zugang zu den Kunstwerken, zu der Literatur, die in diesen Sprachen und in dieser speziellen Ausdrucksweise entstanden sind, geben.
Nehmen wir die luxemburgische Kultur: Natürlich haben die Luxemburger Zugang zu ihr, aber Sie hier in diesem Hause, wissen Sie überhaupt, dass es eine luxemburgische Kultur gibt? Nein! Aber das einheitliche Portal wird es Ihnen, wenn wir die Digitale Bibliothek erst einmal haben, ermöglichen zu verstehen, dass es sie wirklich gibt.
Es ist großartig, dass wir zu diesen Kulturen Zugang erhalten, dass alle an diesem Reichtum teilhaben können, auch, und das möchte ich unterstreichen, außerhalb Europas, denn die Kultur macht nicht an unseren Grenzen Halt. Kultur heißt teilen, und deshalb wollen wir diese Bibliothek im Geiste der Öffnung schaffen, weshalb die Interoperabilität ein sehr wichtiger Aspekt sein wird. Das gilt nicht nur für Bücher, sondern auch für alle anderen Formen der Kultur: Filme, Musik, Sammlungen der Museen usw. Es wird also eine außerordentliche kulturelle Öffnung geben, die sowohl mehrsprachig als auch multikulturell sein wird, die wirklich das eigentliche Wesen Europas, diese vereinte Vielfalt zeigen wird.
Gewiss gibt es noch Probleme zu lösen, und die Damen und Herren Abgeordneten haben das ganz klar dargelegt. So stellt sich z. B. das Problem der Finanzierung. Ich appelliere an die Mitgliedstaaten, ihren Worten konkrete Taten folgen zu lassen. Einige von ihnen tun dies bereits, und dafür danke ich ihnen.
Wir werden im Jahr 2008 eine Analyse dessen, was getan wurde, und damit auch dessen, was noch nicht getan wurde, vorlegen. Ich halte das für sehr wichtig, um dieses Vorhaben voranzubringen. Natürlich werden wir uns auch für eine privat-öffentliche Partnerschaft einsetzen, denn sie wird wesentlich für die Digitalisierung sein, die ein sehr teurer Prozess ist. Ich denke auch an die Bewahrung empfindlichen Materials, das zerstört werden kann, wenn man sich seiner nicht annimmt. Wie viele Filmrollen zerfallen zu Staub? Um dieses gemeinsame kulturelle Erbe zu bewahren, müssen wir es digitalisieren, bevor es zu spät ist.
Ich denke natürlich auch an andere Probleme, die wir lösen müssen: die der Urheberrechte – das ist ein harter Brocken –, die der wissenschaftlichen Information. Unsere hochrangige Gruppe arbeitet gegenwärtig an Lösungen für diese Probleme.
Herr Präsident, wir haben es hier mit einem außerordentlichen Projekt zu tun, das den europäischen Mehrwert deutlich macht, und ich erachte es als die schönste Aufgabe, die Europäer um ihre Kulturen im Plural, um ihre Geschichten im Plural, die auf Schönheit und Kreativität beruhen, zusammenzuführen. Das ist das Schönste, was wir haben. Bewahren wir es. Arbeiten wir gemeinsam daran, damit wir es teilen können.
Der Präsident. − Ich möchte allen Rednerinnen und Rednern herzlich danken, vor allem Frau Kommissarin Reding für ihren Charme und ihre Intelligenz. Ich möchte ihr in ihrer eigenen Sprache, auf Luxemburgisch, danken, denn heute ist der Tag der weniger bekannten Sprachen. Merci!
(Heiterkeit)
17. Effizienz und Gerechtigkeit in den europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung (Aussprache)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Tomáš Zatloukal im Namen des Ausschusses für Kultur und Bildung über Effizienz und Gerechtigkeit in den europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung (2007/2113(INI)) (A6-0326/2007).
Tomáš Zatloukal, Berichterstatter. – (CS) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren.! Vor der Europäischen Union stehen eine Reihe von eng miteinander verbundenen sozioökonomischen Herausforderungen: die Herausbildung äußerst wettbewerbsfähiger Länder, die Alterung der Bevölkerung, die Migration, eine sich schnell verändernde Arbeitsmarktstruktur sowie florierende Informations- und Kommunikationstechnologien. Menschen mit geringen Qualifikationen droht immer mehr die Gefahr der Arbeitslosigkeit und der sozialen Ausgrenzung.
Gerechte Systeme gewährleisten, dass allgemeine und berufliche Bildung nicht vom sozioökonomischen Hintergrund und anderen benachteiligenden Faktoren abhängen.
Die Hauptaufgabe besteht darin, die Einbindung von Schülern, Studenten und Erwachsenen aus allen sozialen Gruppen zu fördern, doch die gegenwärtige Situation ist in dieser Hinsicht besonders unbefriedigend.
Der Bericht, den ich diesem Parlament vorlege, fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ab dem Vorschulalter gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um die soziale Vielschichtigkeit von Klassen und Einrichtungen zu gewährleisten und qualitativ hochwertige Bildungsprogramme aufzulegen. Fertigkeiten, die angeboren sind bzw. in jungen Jahren erworben werden, bilden die Grundlage für das Lernen im späteren Leben. Der Investitionsgewinn ist in dieser Zeit am höchsten, weil diese Investitionen ein Leben lang halten. Ich möchte unterstreichen, dass sich eine vorzeitige Kategorisierung der Schüler auf der Ebene der Primarschulbildung nachteilig auswirkt. Stattdessen erachte ich es für notwendig, die Lehrpläne so anzupassen, dass sie für unterschiedliche Gruppen von Kindern und ihre Fähigkeiten innerhalb einer Schule geeignet sind.
Andererseits ist die Differenzierung und Schaffung einer flexiblen Auswahl von Ausbildungsmöglichkeiten im Sekundarschulbereich äußerst effektiv. Bezüglich der Berufsausbildung würde ich vorschlagen, den Zugang zur Hochschulausbildung zu verbessern und die Möglichkeiten für das lebenslange Lernen zu erweitern.
Hochschulbildung ist unerlässlich für den Erfolg einer wissensbasierten Wirtschaft. Sie würde davon profitieren, wenn mehr Mittel als gegenwärtig zur Verfügung gestellt würden. Im Bericht heißt es, dass kostenlose Hochschulbildung nicht automatisch auch gerecht ist, und er fordert eine Analyse des Komplexes finanzieller Anreize und Fördermaßnahmen, die die Zugangsmöglichkeiten benachteiligter Gruppen zu den Hochschulen verbessern können.
Bildung hat Auswirkungen auf die Wirtschaft: Sie erhöht das Angebot an Humankapital und innovativen Kompetenzen und ermöglicht die Verbreitung von Technologie. Jedes zusätzliche Schuljahr erhöht im Durchschnitt die Produktivität in einem Mitgliedstaat um 6,2 % und wegen seiner positiven Auswirkungen auf eine schnellere technologische Entwicklung langfristig um weitere 3,1 %. Die Erhöhung der Effizienz der allgemeinen und beruflichen Bildung kommt dem Einzelnen und der Gesellschaft zugute, da der Investitionsgewinn jährlich bis zu 8 % beträgt. Ein weiterer Vorteil besteht im Abbau der Arbeitslosigkeit: Gegenwärtig liegt die durchschnittliche Arbeitslosenquote von Personen mit abgeschlossener Primär- und Sekundarbildung in der EU bei 12,6 %. Bei Hochschulabgängern beträgt sie hingegen nur 5 %. Eine neuere Untersuchung hat ergeben, dass in der EU bei 75 Millionen Bürgerinnen und Bürgern (also bei 32 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) Bildungsdefizite bestehen. Im Jahr 2010 werden für diese Gruppe lediglich 15 % der neuen Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Die Mehrheit dieser Personen gehört darüber hinaus sozial benachteiligten Gruppen an.
Politische Maßnahmen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung müssen sich äußerst positiv auf Wirtschaft und Sozialsysteme sowie nachhaltige Entwicklung und sozialen Zusammenhalt auswirken, während Effizienzdefizite und Ungleichbehandlungen mit erheblichen Kosten verbunden sind: fehlende Steuereinnahmen, Arbeitslosigkeit, verstärkte Notwendigkeit der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems und der Unterstützung mit öffentlichen Mitteln sowie Ausgaben infolge einer Zunahme von gesellschaftlich schädlichen Verhaltensweisen.
Allgemeine und berufliche Bildung sind die Grundlage für langfristiges Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt in Europa.
Gestatten Sie mir abschließend, all meinen Kollegen zu danken, die mit mir diesen Bericht erarbeitet haben.
VORSITZ: DIANA WALLIS Vizepräsidentin
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich begrüße aufrichtig diese Initiative des Parlaments, die Botschaft unserer Mitteilung, die wir im vergangenen Jahr zu diesem Thema angenommen haben, weiterzutragen.
Ich habe Ihren Bericht mit großem Interesse gelesen, und ich habe jetzt auch Herrn Zatloukal zugehört, dem ich herzlich gratulieren möchte, denn ich denke und fühle, wir sind Partner in dieser Frage, in dieser Aussprache und in den Bemühungen um die Verbesserung der Lage.
Wir könnten jetzt eine Beschreibung sozioökonomischer Herausforderungen hören, vor denen wir als Einzelpersonen, als Kollektiv, also gemeinsam, stehen, aber auch von der Wichtigkeit der Investition – von besserer Investition, von mehr Investition – in Maßnahmen auf dem Gebiet allgemeiner und beruflicher Bildung. Ich denke, die Politik auf dem Gebiet allgemeiner und beruflicher Bildung liegt im Zentrum unserer Anstrengungen für die Schaffung einer europäischen Gesellschaft mit größerem Wohlstand und stärkerem Zusammenhalt.
Alle europäischen Bildungssysteme sind von Ungerechtigkeiten gekennzeichnet, die sozioökonomische Ungleichheiten widerspiegeln. Die paradoxe Rolle allgemeiner und beruflicher Bildung im Zusammenhang mit diesen Ungleichheiten besteht darin, dass sie oft zu ihrem Fortbestand beitragen. Aber sie sind mitunter das einzige Mittel, mit dem Ungleichheiten verringert werden können.
Überall in Europa wird der Prozess der Modernisierung der Systeme allgemeiner und beruflicher Bildung weitgehend durch das Streben nach höherer Effizienz im Kosten-Nutzen-Verhältnis vorangetrieben. Das ist meines Erachtens natürlich auch wirklich anzustreben, aber oft wird irrigerweise angenommen, Effizienz und Gerechtigkeit würden einander ausschließen.
Im Rahmen unserer Verpflichtung, den Mitgliedstaaten bei der Verbesserung ihrer Systeme auf dem Gebiet allgemeiner und beruflicher Bildung zu helfen, wurde in der Mitteilung der Kommission nachgewiesen, dass Effizienz und Gerechtigkeit nicht zu Lasten der jeweils anderen Seite, zu Lasten der Qualität gingen. Effizienz und Gerechtigkeit fördern in Wahrheit einander. Ich meine, das ist die wichtigste Botschaft aus der gesamten Mitteilung.
Ihr Bericht unterstreicht nachdrücklich das Erfordernis, dass die europäischen Systeme auf dem Gebiet allgemeiner und beruflicher Bildung sowohl effizient als auch gerecht zu sein haben, wenn sie uns dabei helfen sollen, nicht nur Wirtschaftswachstum, sondern auch sozialen Zusammenhalt zu erreichen.
Mit besonderer Freude nehme ich zur Kenntnis, dass Sie die Notwendigkeit hervorheben, eine effiziente und gerechte Politik für das Kontinuum des lebenslangen Lernens zu konzipieren und frühzeitig in die Bildung zu investieren, denn die Investition in qualitative hochwertige Bildung und Betreuung in der frühen Kindheit und im Vorschulalter erweist sich als der wirksamste Weg, um den Kreislauf der Benachteilung zu durchbrechen.
Mit Freude nehme ich auch zur Kenntnis, dass Sie unsere Botschaft bestätigen, eine frühzeitige Benotung von Schülern habe negative Auswirkungen auf Effizienz und Gerechtigkeit. Und natürlich legen Sie großes Gewicht auf die Notwendigkeit, eine Kultur der Bewertung zu entwickeln, um wirksame langfristige Strategien und auf soliden Erkenntnissen beruhende Maßnahmen ausarbeiten zu können.
Ihre Initiative führt uns näher an die Entwicklung von Strategien des lebenslangen Lernens heran, mit denen Gleichheit, gesellschaftliche Integration und sozialer Zusammenhalt gefördert werden. Bei unseren nächsten Initiativen auf dem Gebiet allgemeiner und beruflicher Bildung werden wir das umfassend berücksichtigen, vor allem im Vorschlag für den Gemeinsamen Bericht 2008 über die Umsetzung unseres Arbeitsprogramms und unsere Gedanken für die Zukunft sowie im Grünbuch über die Beziehungen zwischen Bildung und Migration, in dem Ungleichheiten ein zentrales Thema bilden werden. Wir hoffen, diese Mitteilung im kommenden Frühjahr vorlegen zu können.
Christa Prets (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. – Frau Präsidentin! Es stellt sich die Frage: Warum reden wir von Gleichheit oder Ungleichheit, wenn mehr Frauen Hochschulabsolventinnen sind als Männer? Das heißt, wir haben die gleichen Chancen, wir nutzen sie auch, nur bei dem, was danach kommt, ist die Chancengleichheit nicht mehr gewährleistet. In der Weiterbildung, in der Ausnutzung des erworbenen Wissens sind die Frauen nach wie vor benachteiligt, und daher gibt es auch noch keine Gleichheit in den Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungssystemen.
Daher ist es auch notwendig, dass wir Rücksicht auf Frauen nehmen, die zum Beispiel während ihres Studiums schon Mütter sind, dass wir hier besondere Flexibilität einfordern, dass wir Frauen in ländlichen abgelegenen Regionen und Frauen aus besonders gefährdeten Gruppen wie zum Beispiel Migrantinnen oder Angehörige ethnischer Minderheiten besonders unterstützen und fördern, denn hier gibt es große Ungereimtheiten und Ungleichheiten. Das muss bereits im Vorschul- und im Schulalter beginnen und sich dann fortsetzen bis zur Berufsausbildung.
Alles Weitere darf ich Ihnen dann nachher nach einer kurzen Unterbrechung sagen.
Pál Schmitt, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (HU) Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich werde auf Ungarisch sprechen. Herr Kommissar! In der vergangenen Woche habe ich als Vertreter des Ausschusses für Kultur und Bildung an einer Konferenz mit dem Titel „Young Voices – Meeting Diversity in Education“ in Lissabon teilgenommen, die vom portugiesischen Vorsitz veranstaltet wurde.
Es war ein sehr bewegendes Erlebnis, von den schulischen Erfahrungen von Jugendlichen zu hören, die mit verschiedenen Körper- und Lernbehinderungen leben. Ein roter Faden zog sich durch alle ihre Geschichten: Alle sagten, sie hätten das Gefühl, wenn sie neben ihren nicht behinderten Klassenkameraden an Schulaktivitäten teilnehmen könnten, dann würde man sie nicht nach ihren Behinderungen beurteilen, sondern entsprechend ihrer Fähigkeiten und Persönlichkeiten.
Die Integration von Kindern mit einer Behinderung in das allgemeine Bildungssystem ist auch von herausragender Bedeutung, um zu gewährleisten, dass die Gesellschaft sie akzeptiert und später als Erwachsene leichter eingliedert. Wenn nicht behinderte Kinder von klein auf daran gewöhnt sind, mit Kindern mit einer Behinderung zu spielen, und gelernt haben, die als gleichwertig zu respektieren und ihnen vielleicht zu helfen, dann besteht eine gute Chance, dass sie als erwachsene Menschen ein besseres Verständnis und mehr Einfühlungsvermögen für benachteiligte Menschen aufbringen.
Der vorliegende Bericht beschäftigt sich intensiv mit Integrationsfragen im Hinblick auf soziale Unterschiede. Ich bin überzeugt davon, dass es analog zu dem oben genannten Beispiel auch für sozial benachteiligte Kinder wichtig ist, gemeinsam mit anderen Kindern Zugangsmöglichkeiten zu den verschiedenen Stufen des Bildungssystems zu haben.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es zweierlei. Einerseits technischen Fortschritt und Barrierefreiheit, aber in diesem Punkt hinken die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten weit hinterher. So sind Schulen, die Schulumgebung, Verkehrsmittel, selbst Krankenhäuser, andere Institutionen und öffentliche Einrichtungen beispielsweise für Rollstuhlfahrer unzugänglich. Andererseits – und dies wird mehr Zeit in Anspruch nehmen – bedarf es eines Gesinnungswandels seitens der Entscheidungsträger, damit sie erkennen, dass integrative Bildung den ersten grundlegenden Schritt auf dem Weg zu sozialer Akzeptanz und Integration darstellt.
Abschließend möchte ich darauf verweisen, dass auch Sport ein wichtiges Instrument für Erziehung und Bildung und soziale Gleichstellung darstellt, weil soziale und gesellschaftliche Unterschiede beim Sport in den Hintergrund treten, denn hier zählen nur Talent, Entschlossenheit und Einsatz. Sportunterricht in Schulen und sportliche Betätigung tragen in großem Maße zur Stärkung fundamentaler sozialer Werte wie Solidarität und Achtung der Würde anderer bei.
Aus diesem Grund ist es meines Erachtens wichtig, im Rahmen der Aussprache über die Qualität, Effizienz und Gerechtigkeit der allgemeinen und beruflichen Bildung auch auf die Bedeutung des Sportunterrichts und seine Qualität und Wirksamkeit sowie die damit verbundene Gerechtigkeit hinzuweisen. Außerdem muss dafür gesorgt werden, dass der integrativen Erziehung und Bildung in dieser Hinsicht eine herausragende Rolle zukommt. Ich danke dem Berichterstatter und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Christa Prets, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Das Recht auf uneingeschränkte Bildung, das heißt das Recht auf Zugang zu Bildung, ist in der Grundrechtecharta verankert und ist trotzdem nicht realisiert und mangelhaft.
Beträchtliche Leistungsunterschiede zwischen Bildungssystemen innerhalb der Europäischen Union führen auch zu unterschiedlicher wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung. Die Bildungssysteme müssen effizient, gerecht und vor allen Dingen allen frei zugänglich sein. Die Effizienz muss bereits in der Vorschule, in der Schule und auch im Berufsschulsystem gefördert und hervorgehoben werden.
Es ist ganz wichtig, dass sich auch die Hochschulen an eine gewisse Flexibilität gewöhnen, um ganz schnell auf wirtschaftliche und soziale Veränderungen reagieren zu können, denn nur so kann auch ein Wettbewerbsvorteil geschaffen werden. Vielseitigkeit, Qualität und Kooperation mit der Privatwirtschaft und die Förderung von Forschung und Entwicklung sind notwendig. Aber es kann auch nicht sein, dass wir nur ausbilden, um für die Wirtschaft gut qualifizierte Menschen zu haben. Bildung ist eine persönliche Bereicherung und die Voraussetzung dafür, dass wir in einem sozialen Zusammenhalt leben können. Sie bedeutet eine Steigerung der Persönlichkeit und des persönlichen Wertgefühls. Das ist mindestens ebenso wichtig wie die fachliche, berufliche und die wirtschaftliche Ausbildung.
Worauf wir hinarbeiten müssen, ist, dass die Lehrerinnen und Lehrer wie alle Ausbildenden eine qualitativ hochwertige Ausbildung bekommen und vor allen Dingen auch Aufstiegschancen und Veränderungsmöglichkeiten haben, denn auch hier fährt man jahrzehntelang auf einem Gleis. Das kann es nicht sein!
Es wäre zu einfach, zu sagen, dass Bildungspolitik nur Sache der Mitgliedstaaten sein sollte. Das stimmt nur zum Teil. Ein europäischer Bildungsraum, der ein gemeinsames Ziel hat, nämlich das Lissabon-Ziel zu verfolgen, braucht auch ein gemeinsames Vorgehen, um Effizienz und Gleichheit zu erreichen.
Jolanta Dičkutė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Meine Damen und Herren! Das Lernen ist ein untrennbarer Aspekt der europäischen sozialen Dimension, weil darin die Bedeutung von Solidarität, Chancengleichheit und sozialer Eingliederung zum Ausdruck kommt. Alle Bürger müssen das Wissen und die Fähigkeiten erwerben, die sie brauchen, und diese ständig auffrischen. Darüber hinaus müssen die besonderen Bedürfnisse von Menschen am Rand der Gesellschaft berücksichtigt werden.
Die Europäische Union reguliert die Einrichtung der einzelstaatlichen Bildungssysteme nicht direkt, hat aber beträchtlichen Einfluss auf deren Entwicklung: erstens durch die gemeinsamen Ziele der EU, zweitens durch die Überwachung festgelegter europäischer Leitlinien und Berichte über die Entwicklung der Bildungssysteme, die die Mitgliedstaaten vorlegen, und drittens durch Bildungs- und Ausbildungsprogramme, die von der EU finanziert werden.
Ich begrüße die Empfehlungen der Europäischen Kommission, Investitionen in Humanressourcen zu einer Priorität der Strukturfonds zu machen. Die EU muss für jedes EU-Land die grundlegenden Voraussetzungen schaffen, das ein effektives europäisches System für die allgemeine und berufliche Ausbildung schaffen will, um dringende Probleme zu lösen. So stellt die Gewalt in Schulen beispielsweise in Litauen heute eines der größten Probleme dar. Um diese zu bekämpfen, sind bereits verschiedene Präventionsprogramme ins Leben gerufen worden, die auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen. Ein anderes Problem stellt die Suche nach Methoden dar, um die Qualität der höheren Bildung zu verbessern, damit gewährleistet wird, dass das Bildungsniveau der Universitäten unseres Landes sich mit dem der besten Universitäten Westeuropas messen kann.
Das litauische Bildungssystem ist noch von weiteren Problemen gekennzeichnet. Dazu gehören niedrige Gehälter für Lehrkräfte aller Fächer, was zu einem unvermeidlichen Lehrermangel führt. Uns fehlen ausreichende Mittel, um Turnhallen und Sportplätze instand zu setzen. Meiner Überzeugung nach ist die Verbesserung der Sportinfrastruktur nicht nur entscheidend, um Schulkinder zu ermuntern, Sport zu betreiben, sondern auch, um zu verhindern, dass sie Drogen nehmen, Alkohol konsumieren und rauchen. Eine weitere gravierende Problematik bildet die Generation junger Emigranten, die nach Hause zurückkehren. Für sie sind zusätzliche Mittel und Lehrer für Nachhilfe und Spezialprogramme erforderlich.
Ich bin nur auf einige wenige Problemstellungen eingegangen, die ohne Frage auch in anderen neuen EU-Mitgliedstaaten eine Rolle spielen. Ich schließe mich ganz dem Redner an, der meinte, die gegenwärtige Situation sei unbefriedigend. Eine realistische Beurteilung und aktive Förderung unterschiedlicher Bildungssysteme, die den gemeinsamen europäischen Zielen und Normen entsprechen, sollte die heutige Zielsetzung der Europäischen Union sein.
Zdzisław Zbigniew Podkański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Es gibt ein polnisches Sprichwort, das da heißt, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Es erinnert uns daran, dass die Erziehung von Kindern die beste aller Investitionen ist. Der Berichterstatter schlägt daher zu Recht eine Aufstockung der Ressourcen für die Vorschulbildung vor, weil soziale Integration hier beginnt. Dadurch wird die Persönlichkeitsentwicklung unterstützt und das Kind auf seine Aufgaben im Leben vorbereitet. Eingliederung sollte auch in späteren Lebensphasen gefördert werden. Der Berichterstatter benennt darum auch zu Recht das Problem der Einteilung der Schüler in Kategorien und die Tatsache, dass es ratsam ist, eine Differenzierung erst auf dem unteren Sekundarniveau vorzunehmen und die Schulzeit zu verlängern.
Richtigerweise wird im Entschließungsentwurf klar die Notwendigkeit herausgestellt, Politiken zu beruflicher Bildung und Ausbildung mit der Beschäftigungspolitik, der Wirtschaft, sozialer Eingliederung, der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der höheren Bildung und der Gewährleistung des gleichberechtigten Zugangs zu Bildung zu verknüpfen.
Der dringendste Grund für die Verabschiedung dieser Bildungsmaßnahmen ist der Fakt, dass 75 Millionen Unionsbürger, d. h. 32 % der arbeitenden Bevölkerung, unzureichend ausgebildet sind, was ernsthafte Auswirkungen auf ihre Effizienz im Beruf, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaften und die soziale Lage hat. Die Zeit ist reif für Veränderung.
Věra Flasarová, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (CS) Meine Damen und Herren! Ein gerechtes und effizientes System muss allen den Zugang zu Bildung gewährleisten.
Der Berichterstatter erklärt, dass wir die Vorschulbildung verbessern müssen, denn da werden die Gewohnheiten und Fähigkeiten für den weiteren Bildungsweg entwickelt. Er fordert die Mitgliedstaaten auf, die Mittel für die Vorschulbildung aufzustocken. Doch wie sieht die Realität aus?
In fast allen EU-Ländern wurden in den letzten Jahren Vorschuleinrichtungen geschlossen. Die ungünstige demografische Entwicklungstendenz ist nicht der einzig Grund dafür. Der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter ist in dieser Hinsicht auch unserer Meinung, und die Situation in der Tschechischen Republik unterscheidet sich da keinesfalls. Vorschuleinrichtungen werden geschlossen, weil sie teuer sind. Auf diese Weise versuchen Städte und Dörfer, im Großen und Ganzen ihren Haushaltsplan einzuhalten. Vorschuleinrichtungen in Unternehmen gibt es praktisch nicht mehr. Die Wartezeiten für die Unterbringung eines Kindes in solchen Einrichtungen werden immer länger. Immer mehr private Einrichtungen, die ein hohes Niveau aufweisen, treten in Erscheinung: Sie bieten Fremdsprachenunterricht und andere Vergünstigungen an, doch nur reiche Familien können sich das leisten. Vorschulerziehung hatte in der Vergangenheit in der Tschechischen Republik ein hohes Niveau, und das ist auch heute noch der Fall, obgleich auch hier bereits eine gewisse Ungleichheit besteht.
Ziffer 31 des Berichts, in der es heißt, dass kostenlose Hochschulbildung nicht unbedingt Gerechtigkeit garantiert, kann ich nicht zustimmen. Wenn junge Menschen Studentendarlehen erhalten und diese später zurückzahlen, dann hat das ernstere Folgen für die ärmeren Studenten als für die reicheren; das kann sich durchaus auf die Psyche junger Menschen auswirken, die ihr Leben mit Schulden beginnen.
Europa erlebt gegenwärtig eine Einwanderungswelle. Darunter sind viele Kinder oder Studenten. Diese Menschen verfügen über ein großes Potenzial, das der Union in ihrer zukünftigen Entwicklung helfen kann. Sie stehen an einer imaginären Startlinie, und wir sollten ihnen ermöglichen, erfolgreich am Bildungssystem teilzunehmen. In diesem Zusammenhang ist es schwer, die seit Januar 2005 in der Tschechischen Republik geltenden Rechtsvorschriften für die Schulen zu verstehen, die regeln, in welchem Umfang Ausländern mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis bzw. mit einem Visum für einen langfristigen oder kurzfristigen Aufenthalt, Flüchtlingen oder Asylbewerbern oder auch Personen unter vorübergehendem Schutz Bildung gewährt werden darf. Eine bürokratische Entscheidung zieht eine Grenze zwischen Kindern, die zur Schule gehen müssen, und solchen, von denen das nicht verlangt wird. Alles hängt davon ab, wie schnell der fraglichen Person der entsprechende Status zuerkannt wird. Ihre Ankunft ist ohnehin dramatisch genug. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um ihren Eintritt in unsere Union leichter zu gestalten. Wir wollen nicht, dass junge Menschen in verschiedene unerwünschte gesellschaftliche Aktivitäten hineingezogen werden.
Ovidiu Victor Ganţ (PPE-DE). – (RO) Frau Präsidentin! Herr Kommissar! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich gratuliere Herrn Zatloukal zu seinem Bericht, den ich für sehr gut halte, weil es darin um eines der wichtigsten und sensibelsten Kapitel unseres Lebens geht, nämlich die Bildung.
Des Weiteren möchte ich auf drei Aspekte des Berichts verweisen: Ich habe eine intensivere Förderung der Exzellenzprogramme an den Hochschulen sowohl auf einzelstaatlicher als auch EU-Ebene im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gefordert. Wenn der Vertrag von Lissabon von Erfolg gekrönt sein soll und man die Unterschiede zu anderen globalen Akteuren verringern will, ist dies unumgänglich. Der Fachkräftemangel ist in Europa überall spürbar, aber aufgrund der Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte macht er sich in den neuen Mitgliedstaaten besonders akut bemerkbar.
Gleichzeitig bin ich überzeugt davon, dass die Erhöhung der Bildungseffizienz eng mit der Mehrsprachigkeit verbunden ist. Vor dem Hintergrund der Freizügigkeit der EU-Bürger verlangt die Anpassung an Markterfordernisse Fremdsprachenkenntnisse. Darüber hinaus ermöglicht die mehrsprachige Erziehung und Bildung den Schüler- und Studentenaustausch.
Was die Gerechtigkeit der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung betrifft, sollten die Mitgliedstaaten meines Erachtens die notwendigen Mittel finden, um die Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und Ausbildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu verbessern. Subventionierte Stellen sollten als Unterstützung für benachteiligte soziale Gruppen zum Zwecke der Eindämmung des Analphabetismus, für die soziale Wiedereingliederung, die bessere Anpassung an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes und den Abbau der Arbeitslosigkeit dienen. Auf diese Weise ließe sich die Zahl der benötigten Arbeitskräfte aus Drittstaaten senken. Humankapital gibt es reichlich, allerdings ist es nicht qualifiziert und ineffizient verwaltet.
Maria Badia i Cutchet (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Die 2005 vorgenommene Überprüfung der Ziele von Lissabon machte erneut deutlich, wie wichtig es ist, Erziehung und Bildung in den Mittelpunkt der künftigen EU-Strategie zu stellen.
Es ist offensichtlich und wurde auch durch die Eurostat-Daten bestätigt, dass wir die ehrgeizigen Ziele verfehlen, die wir uns für 2015 im Hochschulbereich gesetzt haben: Investitionen in FuE, Modernisierung von Universitäten, Senkung der Zahl der Studien- und Schulabbrecher, eine höhere Beteiligung von Erwachsenen am lebenslangen Lernen und einen wachsenden Anteil von Menschen mit abgeschlossener Sekundärbildung.
Durch diese Verzögerung bleiben wir hinter unseren internationalen Partnern, den USA, Indien und Japan, zurück. Zudem besteht zwischen den europäischen Staaten eine große Diskrepanz auf diesem Gebiet.
Effiziente und effektive Fortschritte in den Bildungssystemen unserer Mitgliedstaaten zu erzielen ist nicht nur für den internationalen Wettbewerb und das Wirtschaftswachstum von Bedeutung, sondern stellt auch eine wesentliche Komponente des Fortschritts auf dem Gebiet des sozialen Zusammenhalts in unseren Gesellschaften dar.
Investitionen in die Vorschul-, Primär- und Sekundärbildung sind eine grundlegende Voraussetzung für die Minimierung der Gefahr der sozialen Ausgrenzung und für die Sicherung höherer Beschäftigungszahlen und einer besseren Bezahlung.
Die öffentlichen und privaten Finanzmittel für die Bildung müssen erhöht werden, und die Mitgliedstaaten müssen sich ernsthaft bewusst sein, dass die Prozesse von Bologna und Kopenhagen zur Grundlage zu nehmen sind.
Ebenso sollte die Hochschulbildung an die zunehmend heterogenen sozialen und wirtschaftlichen Erfordernisse angepasst werden, ohne dabei zu übersehen, dass Bildung und Erziehung auch die Grundlage für die Heranbildung freier Bürgerinnen und Bürger darstellt, die in der Lage sind, eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Schließlich gilt es, die Berufsausbildung schnellstmöglich zu modernisieren und zu verbessern und sie an die neuen Herausforderungen anzupassen, vor die uns die Verlängerung des Arbeitslebens der Europäer stellt, durch die die sozioökonomischen und bildungspolitischen Erwartungen in die Erwachsenen erhöht werden. Dabei darf auf keiner der verschiedenen Bildungsebenen die Erziehung zur Nichtdiskriminierung aus Gründen des Geschlechts vernachlässigt werden.
Ewa Tomaszewska (UEN). – (PL) Was die Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates aus dem Jahr 2006 betrifft, in der die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens unter besonderer Berücksichtigung von Arbeitslosen sowie die Notwendigkeit der Anpassung an wirtschaftliche Veränderungen, die Auswirkungen auf das Funktionieren des Arbeitsmarktes haben, hervorgehoben wurde, möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Bildung lenken, um höhere Mobilität auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen, die eine Chance bietet, die strukturelle Arbeitslosigkeit zu verringern.
Ich möchte die Bedeutung des Europäischen Qualifikationsrahmens im Hinblick auf die Erhöhung der Mobilität von Arbeitskräften herausstellen. Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung, der eine so wichtige Rolle spielt, wenn es um die Gewährleistung von Chancengleichheit im Leben aller Kinder und Jugendlichen geht, ist mit der Finanzierung von Bildungsmaßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten verknüpft. Die Unterschiede zwischen den für Bildung, Qualifikationsmaßnahmen und Lehrergehälter vorgesehenen finanziellen Mitteln haben beträchtliche Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit, dieses Ziel der Lissabon-Strategie zu verwirklichen.
Das von der Europäischen Kommission 2005 veröffentlichte Arbeitspapier mit dem Titel „Lissabonner Ziele: Fortschritte im Bereich allgemeine und berufliche Bildung“ zeigt deutlich, dass in diesem Bereich bislang unzureichende Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung der angestrebten Ergebnisse bis 2010 erreicht worden sind. Darum ist es wirklich wichtig, sich auf die Verbesserung der Qualität von Bildung zu konzentrieren, um auf diese Weise soziale Ausgrenzung zu verhindern und die Wettbewerbfähigkeit unserer Wirtschaft anzukurbeln. Ich beglückwünsche Herrn Zatloukal zu seinem ausgezeichneten Bericht.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Ein Bereich der Bildung, nämlich die Vorschulbildung, hinkt in manchen Staaten der Europäischen Union, insbesondere in Portugal, nach wie vor hinterher. Daher halte ich es für unerlässlich, die Aufforderung an die Mitgliedstaaten zur Aufstockung ihrer Investitionen in ein Netz öffentlicher Kindergärten herauszustellen, in denen Pädagogen mit qualitativ hochwertiger Ausbildung beschäftigt sind, die mit allen Kindern umgehen können. Diese Investitionen stellen nämlich eines der wirksamsten Mittel zur Entwicklung ihrer Intelligenz, zur Schaffung einer Grundlage für den weiteren Bildungsweg, zum Ausbau allgemeiner Fähigkeiten dar, verbessern so die Gerechtigkeit des Bildungssystems grundlegend und bekämpfen soziale Ungleichheiten.
Gleichermaßen gilt es, die Qualität der Primar- und Sekundarschulbildung zu verbessern, die universal, obligatorisch und unentgeltlich sein muss, um die grundlegenden Lern- und Schlüsselkompetenzen zu vermitteln, die dazu beitragen, grundlegende soziale und staatsbürgerliche Werte zu erlangen, zum Frieden und zur Gleichheit zu erziehen und dadurch den sozialen Zusammenhalt und die soziale Eingliederung stärken. Was die Hochschulbildung betrifft, so sollten wir begreifen, dass sie in entwickelten Gesellschaften von elementarer Bedeutung ist. Daher müssen wir mangelnde schulische Erfolge und Schulabbrüche verhindern, wie sie in Portugal der Fall sind, wo leider etwa 40 % der Schüler noch nicht einmal einen Sekundarschulabschluss vorweisen können.
Haushaltskürzungen, Kostensteigerungen an den Hochschulen und die heikle soziale Lage eines großen Teils der Familien und Jugendlichen hindern Portugal daran, die Hochschulbildung seiner Bevölkerung zügig zu verbessern, was die schlechtesten Indizes in der Europäischen Union zur Folge hat. Wenn man bedenkt, dass Studien zufolge jedes zusätzliche Schuljahr die Produktivität in einem Mitgliedstaat der EU im Durchschnitt um 6,2 % erhöht, lässt sich besser nachvollziehen, weshalb die Länder in Schwierigkeiten stecken, die ihren Bürgern den Zugang zur Hochschulbildung versperren.
Rolf Berend (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildung hatte und hat eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der europäischen Wirtschaft und der Persönlichkeitsbildung junger Menschen. Mit diesen und vielen anderen Aussagen des Berichts stimme ich voll überein und sage dem Berichterstatter Worte des Dankes und der Anerkennung.
Ebenso richtig ist, dass Bildungssysteme dann effektiv sind, wenn die eingesetzten Mittel zu bestmöglichen Ergebnissen führen. Diese Ziele verfolgen doch eigentlich alle EU-Staaten, jedoch lassen vergleichende Studien im Ergebnis derselben oft aufmerken. Daher sind Hinweise und Appelle an die Mitgliedstaaten, wie sie im Bericht formuliert sind, aus europäischer Sicht mehr als gerechtfertigt, wohl wissend, dass wir hinsichtlich Inhalten und Struktur in der Bildung keine unmittelbaren Befugnisse haben. Ursachen solcher unterschiedlichen Ergebnisse sind in der Verschiedenheit der Unterrichtsqualität und Unterrichtsintensität zu suchen, die unterschiedliche Leistungsniveaus zur Folge haben und damit auch die Lebenschancen junger Menschen ungleich verteilen.
Dringend muss aus meiner Sicht immer wieder deutlich gemacht werden, dass die heutige Schülergeneration nach ihrem Ausbildungsabschluss in einem internationalen Wettbewerb um Ausbildungsplätze steht. Die Chancengerechtigkeit für alle ist daher eine Forderung an die Mitgliedstaaten, um jungen Menschen bei der Vermittlung des geistigen Rüstzeugs die beste denkbare Bildung angedeihen zu lassen.
Chancengerechtigkeit hat jedoch auch immer etwas mit Qualität und Leistung zu tun. Dies wiederum macht erforderlich, den Begriffen Qualität und Leistung im Ausbildungssystem mehr Beachtung zu schenken. Dabei sollte es nicht schlechthin um gleiche Bildung für alle gehen, sondern um gleiche Startchancen für jeden, und dann um bestmögliche Ausbildung unter Berücksichtigung individueller Begabungen und Verschiedenheiten hinsichtlich körperlicher und geistiger Anlagen.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE). – (RO) Frau Präsidentin! Herr Kommissar! Bis zum Jahr 2010 plant die EU, die Quote der Schulabbrecher bei Jugendlichen im Alter zwischen 18 und 24 bei zehn Prozent zu halten. Mehr als 85 % der jungen Menschen über18 Jahre sollten nach Möglichkeit eine weiterführende Ausbildung absolvieren.
9,7 % aller Kinder in der EU im Alter von 0 bis 17 Jahren leben in Familien ohne Einkommen. Viele Kinder aus armen Familien oder einem ländlichen Umfeld besuchen aus finanziellen Gründen keine weiterführende Bildungseinrichtung. Meiner Ansicht nach sollten in einem sozialen Europa für Schüler und Studenten, die Lernbereitschaft zeigen, Stipendien zur Verfügung stehen. Behinderten Kindern muss der Bildungsweg ebenfalls offen stehen.
Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssen die Anmeldung von mindestens 90 % aller Kinder unter 7 Jahren in Krippen bzw. Kindergärten als Schwerpunkt betrachten. Auf diese Weise können junge Mütter Beruf und Familie unter einen Hut bringen.
Um das Bildungssystem effizienter zu gestalten, fordere ich zudem die Sicherung der Ausbildung und Motivierung von Lehrern.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Ich möchte eine Reihe von Fragen beleuchten.
Erstens teile ich die Auffassung des Berichterstatters, dass Investitionen in die Vorschulbildung die höchste Rendite bringen, weil dort die besten Ergebnisse erzielt werden. Daneben muss die Modernisierung der Hochschulen gefördert, die Notwendigkeit des gleichberechtigten Zugangs zu höherer Bildung hervorgehoben und die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen gesteigert werden.
Zweites zeitigt der gleichberechtigte Zugang zu Bildung viele positive Ergebnisse. Er wirkt sich auf die soziale Entwicklung, das Wirtschaftswachstum, eine erhöhte Innovation, die Entwicklung des Humanpotenzials und neue Technologien und damit auf die Senkung der Arbeitslosigkeit aus.
Drittens, auch wenn die Rendite von Investitionen in Bildung erst nach einer längeren Zeit spürbar wird und eine langfristige Planung erfordert, sollten wir uns bewusst sein, dass solche Aufwendungen unerlässlich sind.
Viertens teile ich die Ansicht, dass es entscheidend ist, die Politik im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung mit der Politik in den Bereichen Beschäftigung, Wirtschaft und soziale Integration zu verknüpfen.
Fünftens müssen wir in unsere Jugend investieren, weil die jüngere Generation die Zukunft der EU ist. Es ist äußerst wichtig zu verhindern, dass Kinder frühzeitig die Schule abbrechen.
Sechstens stehen wir vor einem demografischen Problem, denn die Bevölkerung Europas altert. Darum müssen wir das lebenslange Lernen unter Erwachsenen fördern.
Abschließend fordere ich: Bildung, Bildung und nochmals Bildung.
Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Grundsätzlich bin ich besorgt darüber, dass die Kommission die Streichung von Mitteln für die Bildung in Mitgliedstaaten so unkritisch hinnimmt. Besonders eklatant ist das in Irland angesichts unseres Bevölkerungswachstums und, als faktische Folge dessen, überfüllter Klassenzimmer. Seit langem setze ich mich für die Vorschulerziehung und die Grundschulbildung als wesentliche Voraussetzungen für die persönliche Entwicklung eines jeden Kindes ein. Alle Erfahrung zeigt, dass die Chancen im Leben größer sind, je besser die Bildung ist. Es besteht sogar eine Beziehung zwischen Bildung und einem längeren und gesunderen Leben.
Meiner Ansicht nach müssen die Kommission und die Mitgliedstaaten ebenso viel Nachdruck auf Qualität wie auf Effizienz und Gerechtigkeit legen. Die Qualität des schulischen Umfelds und des Unterrichts sind Voraussetzungen für die Effizienz. Kinder brauchen gute Lehrer mit einem Stundenplan, der eine ganzheitliche Bildung vermittelt, einem, der die Schüler lehrt, rationale Entscheidungen zu treffen, mit Vielfalt und Veränderung klarzukommen, mit anderen zu kommunizieren, einem, der eine breite ethische Grundlage von Werten vermittelt, mit denen sie ihr Leben gestalten können. Das sind Fähigkeiten, die sie brauchen, um aus sich und aus der Gesellschaft das Beste zu machen.
Aber da ist ein noch dringenderes, grundlegenderes Problem: das Problem hungriger Kinder an unseren Schulen. Tausende Kinder in Irland gehen hungrig zur Schule, und ich bin sicher, das ist nicht nur bei uns so. Es spielt keine Rolle, wie effizient und wie gerecht der Zugang zur Bildung ist, diese Kinder können sich nicht gut entwickeln, und die langfristigen Folgen davon kommen teurer zu stehen, als einem Staat zugute kommt, wenn er ein gesundes Frühstück für diese Kinder einspart.
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. – (SK) Ich möchte Ihnen für eine facettenreiche Aussprache danken, in der nicht nur der Bericht und die Mitteilung der Kommission zu diesem Thema, sondern auch die Haltung der Mitgliedstaaten ihre Bestätigung gefunden haben. Letztere hatten ihre Ansichten im Rahmen des Ministertreffens im November sowie anschließend beim Treffen im zweiten Halbjahr 2007 zum Ausdruck gebracht, als der Rat die Schlussfolgerungen gebilligt hat, in denen die grundlegenden Punkte aus der Mitteilung der Kommission ebenfalls bekräftigt wurden.
Gestatten Sie mir ein paar Anmerkungen. Nach meinem Dafürhalten stellt die Förderung von Gerechtigkeit und Effizienz im Bildungssystem sowohl eine moralische Pflicht als auch eine grundlegende finanzielle und wirtschaftliche Notwendigkeit dar. Die Logik diktiert umfangreichere und sinnvollere Investitionen in Bildung – vor allem sinnvoller, weil es Möglichkeiten für den effizienteren Einsatz jedes Euros, jeder Krone und jedes Pfundes gibt.
Mehrere Rednerinnen und Redner haben erklärt, Fähigkeiten und die Qualität von allgemeiner und beruflicher Bildung hätten entscheidende Auswirkungen auf die künftige Stellung von sowohl Individuen als auch sozialen Gruppen und müssten ständig verbessert werden. Lehrer sind prädestiniert hierfür. Investitionen in die Qualität der Lehrerausbildung stellen eine der wirksamsten Maßnahmen dar, um eine allgemeine Verbesserung zu erzielen, da Lehrer entsprechende Effekte multiplizieren. In diesem Kontext besteht beispielsweise systematischer Bedarf an einer Qualitätsbewertung als grundlegendes Werkzeug. Sie sollte nicht die Ausnahme, nichts Außergewöhnliches, sondern die Regel sein, wobei Input, Output und sämtliche Zwischenschritte ausgewertet werden und die Qualität untersucht und honoriert wird.
Ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Kommission – wie dem Bericht zu entnehmen ist – weiterhin auf diese Thematik konzentrieren wird. Wir möchten der Frage der gerechten und effizienten Bildung mehr Aufmerksamkeit schenken, beispielsweise im Rahmen der Themenstellung Bildung und Migration im kommenden Jahr. Gegenwärtig findet eine Konsultation zu „Schulen für das 21. Jahrhundert“ statt, genauer gesagt, was wird von Schulen im neuen Zeitalter erwartet. Natürlich soll dieser Prozess in einer aktuellen Sicht auf die Position von Schulen in der heutigen europäischen Gesellschaft gipfeln. Ein anderes kürzlich von uns zur Debatte gestellte Thema betraf die im August veröffentlichte Mitteilung zur Qualität der Lehrerausbildung und deren bedeutsame Schlussfolgerungen.
Abschließend möchte ich meine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass die genannten Prozesse wie der Bologna- und der Kopenhagen-Prozess und die Fragen Erwachsenenbildung, Vorschulbildung und lebenslanges Lernen alle unter dem Motto der Zugänglichkeit und Qualität als Schlüsselfaktoren eines wirklich gerechten Bildungssystems zusammengefasst werden müssen, auf das wir heute und in der Zukunft angewiesen sind.
Die Präsidentin. − Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 27. September 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Marianne Mikko (PSE), schriftlich. – (ET) Die Zeit bleibt nicht stehen. Es steht außer Zweifel, dass Europa 2010 nicht die wettbewerbsfähigste Wirtschaft der Welt sein wird. Mit einem angemessenen und gut strukturierten Bildungssystem könnte dieses Ziel in Reichweite rücken.
Es ist unmöglich, das akademische und finanzielle Niveau der einzelnen führenden Hochschulen außer Acht zu lassen. Verschiedene Angaben belegen, dass sich die 50 besten Hochschulen in den Vereinigten Staaten befinden. Weitere fünf oder sechs gibt es im Vereinigten Königreich. Das übrige Europa kommt mit vier oder fünf an dritter Stelle, dicht gefolgt von Kanada und Australien.
Erfolgsgeschichten wiederholen sich gewöhnlich. Leider verdankt diese Erfolgsgeschichte ihre Existenz in erster Linie der Tatsache, dass der englischsprachige Bildungsmarkt auf Milliarden mächtiger Kunden zurückgreifen kann. Skaleneffekte tun ein Übriges. Somit ist Harvard zig Mal reicher und berühmter als der nächste Wettbewerber.
Es ist ein gefährliches Ansinnen, das Elitesystem von Ivy League und Oxbridge auf dem europäischen Festland nachahmen zu wollen. Ich würde das sogar als Sackgasse bezeichnen. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch im Vereinigten Königreich werden die Kenntnisse vieler einfacher Bürger im Lesen, Schreiben und Rechnen als unzulänglich angesehen.
In dem Streben nach Erfolg, insbesondere nach einem schnellen Erfolg, wäre es vernünftiger, sich voll und ganz auf die Aktivitäten zu verlassen, die uns vertraut sind. Das erfolgreichste Land der Europäischen Union im Bildungsbereich ist zweifellos Finnland, zu dessen nationaler Strategie der öffentliche Zugang zu Bildung auf einem überall gleich hohen Niveau gehört.
Bildung ist ihrem Charakter nach ein strategischer Bereich. Die Auswirkungen von Entscheidungen und Maßnahmen sind erst im Verlauf von Jahrzehnten spürbar. Folglich wäre es sinnlos, im Hinblick auf die Gleichheit ein weiteres Vierteljahrhundert im Namen höherer Leistungsstandards zu opfern. Auch wenn das der richtige Weg wäre.
Ein gleichmäßig hohes Niveau ist und bleibt Europas beste Trumpfkarte im internationalen Wettbewerb.
18. Europäische Strategie für die Rechte des Kindes: gegen die „Dyskriminierung“ von Kindern und den Ausschluss von Menschen mit Teilleistungsschwächen (Aussprache)
Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission über eine europäische Strategie für die Rechte des Kindes: gegen die „Dyskriminierung“ von Kindern und den Ausschluss von Menschen mit Teilleistungsschwächen, eingereicht von Anna Záborská, Amalia Sartori und Marie Panayotopoulos-Cassiotou im Namen der PPE-DE-Fraktion, Roberta Angelilli im Namen der UEN-Fraktion, Zita Gurmai und Catherine Trautmann im Namen der PSE-Fraktion, Adamos Adamou im Namen der Verts/ALE-Fraktion, Elizabeth Lynne im Namen der ALDE-Fraktion und Kathy Sinnott im Namen der IND/DEM-Fraktion (O-0062/2007 – B6-0317/2007).
Anna Záborská (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin! Artikel 173 sieht vor, dass der ausführliche Sitzungsbericht für jede Sitzung in allen Amtssprachen abgefasst wird.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass diese Debatte über den Ausschluss von Menschen mit Teilleistungsschwächen nicht in die Amtssprachen der Union übersetzt wird.
Dieses „Instrument“ wurde in der Praxis ganz einfach abgeschafft, obwohl es in unserer Geschäftsordnung vorgesehen ist. Meine Wortmeldung zur Geschäftsordnung hat einen ganz einfachen Grund: Die heutige Aussprache wurde zu einem großen Teil von zahlreichen Schülern, Elternverbänden, Erziehern und Ärzten aus verschiedenen Ländern gefordert.
Da aber unsere Wähler nicht alle Sprachen verstehen, die heute verwendet werden, werden sie niemals erfahren, was alles in dieser parlamentarischen Aussprache, die doch für die Bürger bestimmt ist, gesagt wird.
Die Präsidentin. − Ich danke Ihnen sehr für Ihren Hinweis, der uns natürlich im Zusammenhang mit dem Europäischen Sprachentag alle angeht. Die Angelegenheit wird beraten, und ein Bericht wird zurzeit für die Konferenz der Präsidenten ausgearbeitet, Ihr Hinweis wird also berücksichtigt.
Wir setzen nun die Aussprache über die mündliche Anfrage an die Kommission über eine europäische Strategie für die Rechte des Kindes fort.
Anna Záborská, Verfasserin. – (SK) Gestatten Sie mir, mit der Aussage einer 21-jährigen jungen Frau zu beginnen, die das dritte Jahr an der Universität studiert.
„Als ich 17 war, lachten meine Schulkameraden mich das ganze Jahr aus, weil ich aussah wie 11. In meinem Zeugnis stellten Lehrer häufig die Frage, wann ich mich endlich durchringen würde, zu lernen. Diejenigen unter uns, die Teilleistungsschwächen haben, arbeiten wesentlich härter als andere, und man kann nur schwer damit leben“. Ende des Zitats.
Die Gesellschaft nimmt die zehn bis zwanzig Prozent der Kinder nicht wahr, die Teilleistungsschwächen haben, weil ihre Probleme nie diagnostiziert werden. Ihr Handicap behindert die Kommunikation, verhindert einen normalen Bildungsweg und führt in manchen Fallen bedauerlicherweise zum mentalen Zusammenbruch und zu sozialer Ausgrenzung. Unserer Ansicht nach sollte die EU hier das tun, was sie am Besten kann, d. h. sie kann als Wortführerin auftreten und ein Problem auf vielfältige Art ansprechen, das unter anderen Umständen ein Tabu wäre und verborgen bliebe. Europa bietet die Chance, gute Ideen und bewerte Praktiken von Organisationen und Regierungen zu identifizieren, worauf in der dem Europäischen Parlament gerade vorliegenden schriftlichen Erklärung 64/2007 hingewiesen wird.
Ein „Neuro-Dys“-Programm besteht bereits, und die EU fördert Projekte, die auch für Menschen mit Teilleistungsschwächen geeignet sind, wie beispielsweise das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, das IKT-Förderprogramm, Fördermaßnahmen für Forschung im Bereich von Fähigkeiten in Bezug auf die Informations- und Kommunikationstechnologie, das Siebte Rahmenprogramm für Forschung im Bereich Gesundheit, das Programm für lebenslanges Lernen und das zweite Gesundheitsprogramm 2008-2013. Zu diesen Programmen haben wir gemeinsam mit unseren Kollegen von den fünf politischen Fraktionen Änderungs- und Ergänzungsvorschläge für den Haushalt 2008 vorgelegt.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir abschließend bitte, meine große Bewunderung, meinen Respekt, meine Dankbarkeit und Ermutigung jenen Menschen gegenüber auszusprechen, die aus vielerlei Gründen in ihrem Leben Mütter ohne Hoffnung – des mères désespérées – hätten sein können. Dennoch gibt keine von ihnen auf. Sie sind neben den Vätern, soweit die Familie noch intakt ist, die engagiertesten Verfechterinnen der Sache ihrer Kinder. Ich bin der Überzeugung, die Aussprache am heutigen Abend wird zeigen, dass sie nicht allein dastehen und sich auch das Europäische Parlament ihrer Probleme annehmen wird.
Teresa Riera Madurell (PSE), Verfasserin. – (ES) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich vor allem für die Abwesenheit von Frau Zita Gurmai, der Verfasserin dieser mündlichen Anfrage im Namen der Sozialdemokratischen Fraktion, um Entschuldigung bitten. Sie kann an dieser Sitzung aus unvorhergesehenen Gründen nicht teilnehmen, und daher gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, im Namen von Frau Gurmai und in meinem eigenen Namen zu sprechen, da ich selbst auch um das Wort gebeten hatte.
Ich möchte einfach bekräftigen, was hier schon gesagt wurde, Frau Präsidentin. Wir sprechen über Lernstörungen, von denen ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung betroffen ist. Fast 10 % der europäischen Kinder leiden unter „Dys“-Problemen: Kinder, die für unsere Bildungssysteme in der Regel unsichtbar sind. Sie führen ihr schulisches Versagen allzu häufig auf Ursachen zurück, die in keinem Zusammenhang stehen.
Es gilt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine solche „Dys“kriminierung zu verhindern. Die Schüler müssen gesondert, rechtzeitig, intensiv und fachübergreifend betreut werden, vorzugsweise in ihrer regulären Schule. Dafür sind Protokolle erforderlich, um Erkenntnisse und Vorgehensweisen an den Schulen festzuhalten.
In meinem Heimatland Spanien hat eine sozialistische Regierung zum ersten Mal ein Bildungsgesetz auf den Weg gebracht, das Schülern mit spezifischen Lernproblemen hilft. Dies ist ein großer Schritt, da in unseren Ländern die Familien gewöhnlich vom guten Willen und der Bereitschaft der Lehrer abhängen, sich freiwillig für eine gute Ausbildung zu engagieren. Die Entscheidung für andere Lösungen bedeutet eine große finanzielle Belastung, die oft nicht getragen werden kann.
Wir müssen bedenken, dass die Jungen und Mädchen mit solchen Funktionsstörungen intelligent sind und dass für sie nur eine andere Lernform erforderlich ist. Schulischer Erfolg stellt für sie eine reale Möglichkeit dar. Es bedarf lediglich des politischen Willens, die richtigen Mechanismen anzuwenden, mit denen echte Lösungen gefunden werden.
Diese Schüler für die Gesellschaft sichtbar zu machen, bedeutet, verlässliche Statistiken zu haben, auf deren Grundlage die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden können; es bedeutet, jedem, der dies anstrebt, den Zugang zu klaren und wahrheitsgetreuen Informationen zu ermöglichen und Aufklärungskampagnen in allen unseren Ländern durchzuführen. Sie für unser Bildungssystem sichtbar zu machen, bedeutet auch, dass wir neben der rechtzeitigen Behandlung aller betroffenen Kinder in den ersten Schuljahren bei der Erarbeitung der Lehrpläne auf jeder Bildungsebene ihre Bedürfnisse einbeziehen müssen. Zahlreiche Universitäten führen jetzt Prüfungen und Tests durch, die auf Hochschulstudenten mit einem solchen Problem zugeschnitten sind.
Die von der Gemeinschaft finanzierten Bildungsprogramme wie e-Lernen oder lebenslanges Lernen müssen ebenfalls unter Berücksichtigung von Personen mit „Dys“-Störungen konzipiert werden. Meine Damen und Herren, es geht darum, den Bedürfnissen dieses Bevölkerungssektors Rechnung zu tragen. Wir können nicht weiter eine Funktionsstörung unbeachtet lassen, von der über 3 Millionen Europäerinnen und Europäer betroffen sind.
Hiltrud Breyer (Verts/ALE), Verfasserin. – Frau Präsidentin! Auch ich freue mich, dass das so wichtige Thema der Zunahme von Dyslexie heute Abend hier diskutiert wird. Es ist sicherlich das erste Mal, dass wir darüber reden, aber es sollte nicht das letzte Mal sein. Ich wünsche, dass die Kommission wirklich alles unternimmt, um das Thema voranzubringen. Wir fangen bei dem Thema nicht bei Null an.
Es gibt in vielen Mitgliedstaaten bereits Programme, es gibt bereits Initiative. Wichtig ist mir, dass wir nicht von Dyslexie als von einer Krankheit oder einer Behinderung reden, denn das trifft nicht zu. Es wurde bereits erwähnt, dass viele Kinder mit Dyslexie sogar hochbegabt sind. Man weiß, dass diese Kinder in ihren Gedanken schneller sind als in ihrer Motorik.
Wir müssten uns also – und das wäre meine dringende Bitte an den Kommissar – erst einmal eine Übersicht darüber verschaffen, was die Forschung bereits erreicht hat, was wir bereits an Programmen und Initiativen auf europäischer Ebene haben, und danach all das zusammenstellen.
Ein Anliegen ist mir, dass wir Dyslexie nicht mit ADS verwechseln. Es wäre wirklich fatal, dies in einen Topf zu werfen. Wir wissen auch, dass ADS in engem Zusammenhang mit übermäßigem Fernsehkonsum, mit übermäßiger Reizüberflutung steht. Beim Thema Dyslexie sollten wir uns auch darüber Gedanken machen, wie wir Kinder frühzeitig an Bücher und ans Lesen heranführen können. Man weiß, dass Kinder, die viel lesen und einen leichten Zugang zu Büchern haben, weniger anfällig für Dyslexie sind. Dies wäre vielleicht eine Möglichkeit, die alarmierende Zunahme von Dyslexie zu stoppen.
Wir fordern die Kommission auf, die Vielfalt, die wir in Europa haben, die unterschiedlichen Ansätze, die es bereits gibt, einmal zusammenzutragen. Eine weitere Anregung wäre, eine Konferenz einzuberufen, bei der all diese Leute mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet zusammenkommen könnten. Wir wissen: Kinder sind unsere Zukunft, und Wissen ist unsere wichtigste Ressource in Europa. Daher sollten wir unser Bestmögliches versuchen!
Elizabeth Lynne, Verfasserin. – (EN) Frau Präsidentin! Man nimmt an, dass es in der EU annähernd 49 Millionen Menschen mit irgendeiner Form von „Dys“-Störungen gibt. Immerhin sind 10 % der Kinder von einer solchen Behinderung wie Dysphasie, Dyspraxie, Dyslexie, Dyskalkulie oder Aufmerksamkeitsdefizit betroffen.
Nehmen wir den Fall von Sean im Vereinigten Königreich. Im Bericht des Lehrers wird er als dumm, schrecklich, als Störenfried und überempfindlich bezeichnet. Aufgrund seines Problems wurde er von den Mitschülern gemieden und drangsaliert, und die Lehrer taten wenig dagegen.
Seans Eltern waren schließlich gezwungen, ihn von der Schule zu nehmen, als er blutig geschlagen nach Hause kam, aber die kommunale Bildungsbehörde verweigerte eine Betreuung oder Hilfestellung, so dass den Eltern die Erziehung überlassen blieb und ein Elternteil seine Arbeit aufgeben musste. Dankenswerterweise bestand am Ort eine Hilfegruppe, die Sean und seinen Eltern Unterstützung anbot. Andere Kinder im Vereinigten Königreich und einige andere Mitgliedstaaten sind nicht in solch einer glücklichen Lage.
Wir müssen überall in der EU die besten Praktiken austauschen, und hier müssen Rat und Kommission eine wichtige Rolle spielen. Informationen müssen besser verfügbar gemacht werden. Maßnahmen müssen eingeleitet werden, um solche Störungen frühzeitig zu identifizieren, zu untersuchen, zu diagnostizieren und zu behandeln. Es müssen Strukturen angepasst werden, um junge Menschen mit solchen Störungen in die Arbeitswelt zu integrieren, und es gilt, eine Europäische Charta für Menschen mit „Dys“-Problemen auszuarbeiten.
Wichtig ist auch, dass die Forschung innerhalb des siebten Rahmenprogramms verstärkt wird. Lippenbekenntnisse zugunsten der Rechte Behinderter helfen nicht weiter. Wir müssen weiterhin dafür kämpfen zu sichern, dass Personen wie Sean gleichberechtigt behandelt werden und dass sie die ihnen zustehende Hilfe und Unterstützung erhalten.
Kathy Sinnott, Verfasserin. – (EN) Frau Präsidentin! Es gibt Millionen, buchstäblich Millionen Kinder, die nicht als behindert angesehen werden, die aber beim Lernen, beim Sichbewegen und bei der Kommunikation mit erheblichen, sie behindernden Störungen zu kämpfen haben.
Obgleich die Zahl der Kinder, bei denen Dyslexie, Dysphasie, Dyskalkulie, Dyspraxis und ähnliche spezifische Störungen diagnostiziert wurden, dramatisch im Ansteigen begriffen ist – allein unter Dyslexie leiden in den USA schätzungsweise 10 % der Kinder –, wurden viele, wenn nicht gar die meisten, in Europa betroffenen Kinder noch immer nicht diagnostiziert und stehen daher weitgehend ohne Hilfe da.
Wenn Eltern ihre Besorgnis äußern, wird ihnen oft kein Gehör geschenkt, oder man sagt ihnen, sie bildeten sich das nur ein. Häufig werden Kinder – selbst talentierte – von wohlmeinenden Lehrern und Bildungsbehörden als intellektuell schwach oder schwerfällig abgetan, weil sie nicht die Expertise besitzen, den Unterschied zu erkennen.
Diese Störungen gehen nicht weg, indem man sie ignoriert. Sie werden nur noch problematischer für das Kind, das zunehmend entmutigter und frustrierter wird. Das Selbstbewusstsein der Kinder kann schweren Schaden davontragen, und ihr Potenzial geht möglicherweise verloren.
Wir haben diese Frage und die schriftliche Erklärung ausgearbeitet, um das Ausmaß des Problems für Kinder mit einer speziellen Schwierigkeit, für ihre Familie und für die Gemeinschaft hervorzuheben und um die Kommission, das Parlament und den Rat aufzufordern, diese Kinder ernsthaft in Forschungsprogramme, Initiativen, Richtlinien und Strategien aufzunehmen.
Wir müssen mehr über diese dysfunktionalen Behinderungen wissen, müssen wissen, wie wir sie möglichst frühzeitig erkennen können, wie man wirksam eingreift. Wir müssen auch wissen, warum das sich entwickelnde Gehirn eines Kindes auf diese Weise betroffen ist und wie diese Dysfunktionen, wo möglich, verhindert werden können. Auch müssen wir sicherstellen, dass wegen dieser Störungen niemand als weniger wichtig oder weniger wertvoll betrachtet wird.
Ich möchte dem Herrn Kommissar nahelegen, dass auch viele Erwachsene mit diesen speziellen Lern- oder Koordinierungsschwierigkeiten zu kämpfen haben, aber diese Dysfunktion nicht beim Namen nennen können und nicht wirklich darüber Bescheid wissen. Viele sind bei ausgeklügelten Kompensationsmethoden gelandet, um ihres Problems Herr zu werden. Ich habe diesen Sommer Unterschriften für eine Bürgerpetition zugunsten von Menschen mit Behinderungen gesammelt und war überrascht, wie viele Erwachsene Schwierigkeiten damit haben, ihren eigenen Namen zu schreiben.
Die Menschen leiden im Stillen; ihre Gaben und Talente sind infolge dieser versteckten Dysfunktionen sogar vor ihnen selbst verborgen. Welchen Preis zahlt die Gesellschaft? Da geben Menschen ihre Bildung auf und arbeiten weit unter ihren Fähigkeiten wegen eines Problems in einem Lernbereich. Ein Erziehungspsychologe sagte mir, die Tragödie dieser Kinder bestehe darin, dass viele von ihnen an der Universität, wo sie ihre Stärken hätten ausspielen können, sehr gut abgeschnitten hätten, aber keine Gelegenheit dazu hatten, weil sie die Oberstufe nicht bestehen, denn der eher allgemeine Inhalt des Stundenplans bedeutet, dass ihr besonderes Problem für das standardisierte Bewertungssystem zu einem unüberwindlichen Hindernis wird.
Ich kenne einen jungen Mann mit einer speziellen Lernschwierigkeit. Er hat die Grund- und Oberschule nicht abgeschlossen und musste die Schule ohne ein Zeugnis verlassen, aber aufgrund eines Eignungstests und der Empfehlung von Lehrern wurde er doch noch in ein kleines College aufgenommen. Zwei Jahre später erwies er sich dann beim Studium der Philosophie als außergewöhnlich begabt und wurde ein bekannter Studentenführer.
Unser Bildungssystem in Europa neigt zum Konkurrenzdenken und zur Starrheit. Die Behörden meinen offenbar, das schaffe eine Klasse von gebildeten, befähigten Bürgern, doch diese Inflexibilität – dieses Alle-über-einen-Kamm-Scheren – vernichtet das Potenzial ungezählter junger Menschen. Das ist nicht gut und führt zu einer sozialen Marginalisierung, die viele Kinder desillusioniert und in einigen Fällen sogar zu zornigen Erwachsenen werden lässt. 76 % der Häftlinge im Mountjoy Prison in Irland haben in der Schule versagt, wahrscheinlich wegen nicht diagnostizierter Lernschwierigkeiten.
Diese Kinder und Erwachsenen zu ignorieren ist eindeutig eine Diskriminierung. Ich bin sehr stolz auf die Unterstützung der schriftlichen Erklärung durch dieses Parlament, möchte jedoch vor einem warnen. In der UNO-Deklaration über die Rechte des Kindes heißt es, jedes Kind habe Anspruch auf Grundschulbildung, Kinder mit besonderen Bedürfnissen hätte jedoch lediglich im Rahmen der Mittel Anspruch auf die erforderliche Hilfe. Ehe wir diese Konvention ratifizieren und sie in unsere Strategien einbinden, müssen wir sie sehr aufmerksam prüfen. Sonst bringen wir diesen Fehler in unsere eigene Politik ein.
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich danke allen Anwesenden, namentlich Frau Záborská und die Mitverfasser der Anfrage, denn ich halte sie für sehr wichtig, nicht nur als Anfrage, als Diskussionspunkt, sondern auch im Hinblick auf Maßnahmen zugunsten derer, die speziellerer Hilfe oder Behandlung oder Bedingungen für ihr Leben in der Gesellschaft, für Erziehung, Ausbildung und so weiter bedürfen.
Ich unterstreiche vor allem das zu Beginn Gesagte: Wir wollen die Stimme der Menschen mit diesen Problemen sein, und ich betrachte das als eine sehr nachdrückliche moralische und politische Verpflichtung.
Die Kommission ist sich im Klaren über die negativen sozialen und gesundheitlichen Folgen, die diese Probleme für die betroffenen Personen haben können oder für die Familien, die Kinder mit den so genannten „Dys“-Problemen großziehen.
Wir sind uns einig, dass Maßnahmen zur Verbesserung des täglichen Lebens von Kindern und ihres Zugangs zu Bildung, Information und Kultur getroffen werden sollten. Natürlich liegt die Verantwortung für die Sorge um Menschen mit „Dys“-Problemen in erster Linie bei den Mitgliedstaaten, aber die Kommission und die europäischen Institutionen insgesamt können die Aktion von Mitgliedstaaten unterstützen.
Zum Beispiel fördert unser Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen 2003-2010 den Zugang zu Unterstützungs- und Betreuungsdiensten für Menschen mit Behinderungen sowie für ihre Angehörigen. Die Kommission setzt sich für ein Niveau der Dienstleistung ein, das ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Sicherheit, Wahlfreiheit und selbstständigem Leben gewährleistet.
Die Arbeitspläne der Kommission für 2005, 2006 und 2007 auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheit enthielten einen speziellen Hinweis auf die Notwendigkeit von weiteren Informationen und einer Festlegung von Indikatoren hinsichtlich Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätssyndromen, kognitiver Retardierung und Störungen der motorischen, perzeptiven, sprachlichen und sozioemotionalen Funktionen.
Mehrere Aufrufe zur Einreichung von Vorschlägen sind zur Unterstützung von Forschungsarbeiten auf dem Gebiet von Dysfunktionen veröffentlicht worden. Bei der Kommission ist jedoch bislang kein Vorschlag für diesen Bereich eingegangen.
Das Gemeinschaftsprogramm PROGRESS unterstützt mehrere große europäische Netze, darunter, wie Sie wissen, auch das Europäische Forum für Menschen mit Behinderungen. Wir unterstützen die Europäische Agentur für Entwicklungen in der Sonderpädagogischen Forschung. Diese Agentur stellt Entscheidungsträgern und Fachleuten einschlägige Informationen über Sonderpädagogik zur Verfügung und ermöglicht den Austausch bewährter Praktiken.
Die Sonderpädagogik zählt auch zu den generellen Prioritäten des Programms auf dem Gebiet des lebenslangen Lernens und muss als solche für alle darin enthaltenen Maßnahmen gelten, denn sie ist eine generelle Priorität.
Mit dem Programm des lebenslangen Lernens wird ein klares Ziel verfolgt: Menschen mit vielfältigen speziellen Lernproblemen zu integrieren. Konkret geschieht das durch die Finanzierung von Kooperationsprojekten für den Austausch, die Entwicklung und die Verbesserung von Praktiken im Allgemeinen, einschließlich Gestaltung von pädagogischen Strukturen in der allgemeinen Bildung und in der Sonderpädagogik, sowie durch das Angebot erhöhter Stipendien an Teilnehmer mit Behinderungen, damit diese möglicherweise erforderliche zusätzliche Hilfe bezahlen können.
Darüber hinaus hat die Kommission mehrere Forschungsprojekte unterstützt, darunter das in der mündlichen Anfrage erwähnte Projekt Neurodys. Die Kommission fördert gleichermaßen den Zugang von Menschen mit Dysfunktionen zur Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und allgemein zu neuen Technologien.
Über den IKT-Teil des sechsten Rahmenforschungsprogramms wurden Projekte im Bereich elektronisch zugänglicher und unterstützender Lösungen kofinanziert. Ich möchte an dieser Stelle nur zwei Projekte erwähnen: das Projekt AGENT-DYSL mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung der nächsten Generation von unterstützenden Lesesystemen und, zweitens, das EU-Projekt „Für Alle“, das auf die Entwicklung von Technologien abzielte, die die Bildung allen Personen, auch Menschen mit Dyslexie, zugänglich machen. Auch das siebte Rahmenforschungsprogramm wird Projekte oder Forschung auf dem Gebiet von Dysfunktionen weiterhin unterstützen, auch im Rahmen der Priorität der Gesundheit und im Rahmen der Priorität E-Zugang.
Wir sind uns darüber im Klaren, wie wichtig die Erstellung einschlägiger Statistiken ist. Sie gehörte hier zu den ganz nachdrücklich vorgetragenen Problemen. Zwar stellt die Kommission gegenwärtig keine Statistiken über spezielle Dysfunktionsprobleme zusammen, doch gibt Eurostat EU-weite Statistiken über Behinderungen und soziale Integration heraus.
Nach einer speziell auf Behinderungen abstellenden Arbeitskräfteerhebung im Jahr 2002 arbeitet Eurostat zurzeit an der Entwicklung eines EU-weiten Modells für Erhebungen. Die Erhebung ist Teil des europäischen Systems von Erhebungen im Gesundheitsbereich und legt den Schwerpunkt auf Behinderungen und verschiedene Aspekte der sozialen Integration von Menschen im Alter von etwa 18 Jahren.
Wir sind uns der Schwierigkeiten bewusst, mit denen Menschen oder Familien, die sich um Personen mit Behinderungen kümmern, auch um Personen mit Dysfunktionen, zu kämpfen haben. Im Rahmen der von uns mit der Roadmap für die Gleichheit der Geschlechter übernommenen Verpflichtungen leiteten wir 2005 und 2006 eine Konsultation mit Sozialpartnern über Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Die Konsultation umfasste eine breite Palette von Themen, darunter Mutterschaftsurlaub, Elternzeit, Vaterschaftsurlaub, Adoptionsurlaub und eine neue Art von Freistellung zur Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger.
Jetzt, da die zweite Phase der Konsultation im Juni 2007 abgeschlossen wurde, befasst sich die Kommission mit der Folgenabschätzung. In Abhängigkeit vom Ergebnis könnten, möglicherweise 2008, neue Vorschläge vorgelegt werden.
Die Kommission überwacht ständig die Umsetzung der Antidiskriminierungsgesetzgebung der EU auf nationaler Ebene. Die Richtlinie 2000/78/EG, die die Diskriminierung auf dem Gebiet der Beschäftigung und im Beruf unter Verbot stellt, gilt für alle Bürgerinnen und Bürger, auch für solche mit Dysfunktionen. Die Kommission ist jedoch der Auffassung, dass die Rechtsvorschriften nicht nur Arbeitnehmern mit Behinderungen, sondern auch Arbeitnehmern, die ein behindertes Familienmitglied betreuen, Schutz bieten sollte.
In dieser Frage verfolgen wir mit großem Interesse den gegenwärtig beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Fall Coleman.
Abschließend möchte ich ehrlich sagen, dass es hier in erster Linie um reale Erkenntnis und Bewusstmachung geht, und Ihr jetziger Beitrag ist hier sehr hilfreich. Schade, dass es schon so spät ist, kurz vor Mitternacht. Aber nachdem wir eine ordentliche Aufklärung erreicht haben, könnten wir uns, denke ich, mehr auf die Umsetzung und auf konkrete Aktionen zugunsten der wirklich Bedürftigen konzentrieren.
Maria Panayotopoulou-Kassiotou, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Danke, dass Sie noch zu dieser späten Stunde anwesend sind und sich dieser Frage so gründlich gewidmet haben.
Ich sehe zwei andere Kommissionsmitglieder an Ihrem Platz, darunter den für Gesundheit zuständigen Kommissar. Er ist verantwortlich für die Einleitung von Maßnahmen, damit Verhaltens- und Lernschwierigkeiten als gesundheitliche Probleme anerkannt werden und nicht als Behinderung gelten. Im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit steht bei ihm die Frühdiagnose, und er sorgt dafür, dass medizinische Methoden für Behandlung und Therapie gezielt in Forschungsprogrammen vorgeschlagen werden. Dadurch wiederum wird Ihr Bildungssektor unterstützt, indem Mitarbeiter und Eltern speziell geschult werden und die Schulen eine geeignete Ausstattung erhalten. Ferner werden neue Technologien gefördert, um begleitende und unterstützende Maßnahmen an Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen anzupassen.
Bildungsmöglichkeiten eröffnen Wege zu beruflicher Bildung und beruflicher Wiedereingliederung. Ich sehe an Ihrem Platz auch ein drittes Kommissionsmitglied, nämlich den für Beschäftigung zuständigen Kommissar. Er sollte ein Interesse an den Maßnahmen für den Zugang zum Berufsleben, zu sozialen Rechten und zu Optionen für soziale Integration haben. Damit wird die soziale Ausgrenzung von Personen verhindert, die unterschiedliche Fähigkeiten haben, die spezielle Merkmale aufweisen, ohne eine Behinderung zu haben.
Sie haben mehrfach das Wort „Behinderung“ gebraucht und uns alle Behindertenprogramme erläutert. Hier geht es jedoch um andere Dyspraxie-Probleme. Wir können diese lösen, ohne dass eine Vielzahl von neuen Initiativen erforderlich wird; wir brauchen nur etwas Geld, in der Hauptsache jedoch nur Betreuung, Organisation und die Zusammenführung der bewährten Praktiken, über die die Mitgliedstaaten in recht großem Umfang bereits verfügen.
Die rechtliche Anerkennung ist eine Grundvoraussetzung, die den Zugang zu gesundheitlicher und schulischer Betreuung und sozialer Fürsorge gestattet. Durch den Einsatz technischer Mittel und finanzieller Unterstützung für die Eltern wird auch die Diskriminierung der Familien verhindert – denn sie leiden von dem Zeitpunkt an, wenn ein Dyspraxie-Problem festgestellt wird, bis zu seiner Heilung.
Ich hoffe, dass der Kommission durch unsere Anfrage die Gelegenheit gegeben wird, etwas zu unternehmen.
Catherine Trautmann, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist erfreulich, dass eine so oft ignorierte Frage wie die der Teilleistungsschwächen in diesem Parlament zur Sprache kommt. Dass dieses Thema von fast allen Fraktionen mitgetragen wird, zeigt, dass für uns kein europäischer Bürger, unter welchen Störungen er auch leiden mag, diskriminiert werden darf. Das gilt auch für Menschen mit Teilleistungsschwächen, von denen man dank immer präziserer Studien feststellt, dass sie sehr zahlreich sind, obgleich sie nicht immer angemessen identifiziert werden.
Da ich die einzige französische Abgeordnete bin, die heute Abend das Wort ergreift, kann ich mit Stolz darauf verweisen, dass Frankreich ziemlich viel zur Bewältigung dieser Probleme unternimmt. Dank der Tätigkeit von Eltern- und Berufsverbänden ist die Durchführung eines nationalen Tages, des ersten dieser Art, für den 10. Oktober in Paris vorgesehen. Es ist zu hoffen, dass dadurch bei der Presse größere Aufmerksamkeit für die Situation von Menschen, insbesondere von Kindern, die unter diesen Störungen leiden, geweckt wird.
Mein heutiges Anliegen ist jedoch nicht, die positiven Fortschritte in diesem oder jenem Staat zu feiern, da noch viel zu tun bleibt, sondern gemeinsam darüber zu debattieren, wie wir die im europäischen Maßstab bereits entwickelten guten Praktiken gegenseitig nutzbar machen können, zumal einige Mitgliedstaaten die Existenz dieser Störungen noch nicht einmal anerkennen. Meiner Meinung nach geht der Appell zur Schaffung eines europäischen pluridisziplinären Netzes für spezifische Lernstörungen, der in der schriftlichen Erklärung enthalten ist, in diese Richtung. Eine zweckdienliche Umsetzung von Gemeinschaftsprogrammen wie des Siebten Rahmenprogramms wäre ebenso von Nutzen.
In diesem Sinne stellt die von Ihnen, Herr Kommissar, angesprochene Initiative NeuroDys, mit der die kognitiven, zerebralen und genetischen Ursachen der Dyslexie herausgearbeitet werden sollen und an der sich fünfzehn Wissenschaftlerteams aus neun Mitgliedstaaten beteiligen – die, wie ich feststellen möchte, weil ich es für wichtig halte, fast alle europäischen Sprachen abdecken –, ein gutes Beispiel dar, denn langfristig sollte Europa meiner Meinung nach weltweit eine Führungsrolle bei der Erforschung dieser Erkrankungen und der Sammlung der entsprechenden biologischen Daten einnehmen. Es sollte jedoch auch ein Beispiel für die Anerkennung der besten Rehabilitations- und Behandlungsmethoden geben, die es den Kindern ermöglichen, wieder Hoffnung zu schöpfen und mit Optimismus in das Leben zu gehen.
Plant die Kommission künftig weitere Programme dieser Art? Sie sprachen von einer Ausschreibung, Herr Kommissar, auf die es keine Reaktionen gab. Wir wollen mit der Sensibilisierungskampagne, die jetzt von den Verbänden und der Abgeordneten, die die schriftliche Erklärung unterschrieben haben, eingeleitet wurde, in gewisser Weise diesen Mangel an Informationen und Motivation ausgleichen. Wir hoffen, dass Ihre Bereitschaft, europäische Mittel einzusetzen, um auf diese Erwartungen zu reagieren, es ermöglicht, entsprechende Forschungen auch zu anderen solchen Störungen wie beispielsweise Dyspraxie oder Dysphasie durchzuführen.
Wiesław Stefan Kuc, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Es beunruhigt mich zu erfahren, dass 10 % aller Kinder unter dysfunktionalen Störungen leiden. Das bedeutet, jedes zehnte Kind leidet entweder an motorischen Störungen oder kann seine Gedanken nicht bzw. nicht klar ausdrücken. Wie wird die erwachsene Bevölkerung dann in ein paar Jahren aussehen? Sie wird aus Menschen bestehen, die Schwierigkeiten haben, alltägliche Tätigkeiten auszuführen, und die keine normale Rolle in der Gesellschaft spielen können. Dürfen wir überhaupt in Erwägung ziehen, sie als Behinderte zu behandeln und eine Gesellschaft von behinderten Menschen zu erschaffen? Das wäre unannehmbar. Wenn diese Störungen behandelt werden können, müssen wir alles in unseren Kräften Stehende tun, um die betroffenen Kinder zu therapieren, statt uns auf die Verhinderung von Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung zu konzentrieren, weil man keine Menschen ausgrenzen kann, die einem ähnlich sind. Ich denke nicht, dass es dazu kommen wird. Meines Erachtens gibt es Möglichkeiten, die Situation zu steuern.
Zum Abschluss möchte ich meinen tiefen Dank gegenüber jenen aussprechen, die dieses Thema in mein Blickfeld gerückt haben und ihnen versichern, dass ich ganz an ihrer Seite stehe.
Raül Romeva i Rueda, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich dem Mitarbeiterstab und den Abgeordneten gratulieren, die diese Initiative zu einer schriftlichen Erklärung und einer mündlichen Anfrage ergriffen haben, und ich danke der Kommission für ihre Anwesenheit in dieser späten Abendstunde. Es geht um ein Thema, das, so scheint es, bedauerlicherweise nicht nur geheim gehalten und totgeschwiegen wird, sondern in einigen Fällen auch überhaupt nicht wahrnehmbar ist.
Trotzdem bedeutet unsere heutige Aussprache über dieses Problem, dass wir diesem Nichtwahrnehmen ein Ende setzen wollen, und deshalb unterstütze ich voller Enthusiasmus nicht nur die schriftliche Erklärung und die mündliche Anfrage, sondern auch diese Aussprache.
Ich glaube, wir alle kennen im Großen und Ganzen Menschen, die unter diesen Störungen, die keine Krankheit darstellen, gelitten haben und leiden. Aus dieser Erfahrung nehmen wir an, dass es sich nicht um Menschen handelt, die, sagen wir, eine besondere Gesundheitsfürsorge benötigen, als hätten sie eine Krankheit. Was sie alle brauchen, ist Unterstützung, eine ganz konkrete Unterstützung, Hilfe und Sensibilität, die nicht nur von den Institutionen kommen muss, sondern auch von den Familien, Bildungszentren und vor allem der gesamten Gesellschaft.
Das Schlimmste, was in diesen Fällen passieren kann, ist, dass die Diskriminierung in erster Linie aus der Unkenntnis, der Auffassung erwächst, diese Menschen könnten kein völlig normales Leben führen, auch wenn sie eine gewisse Unterstützung brauchen, und dass sie speziell aus mangelndem politischen Willen und wegen fehlender wirtschaftlicher Ressourcen für die Realisierung der notwendigen Programme entsteht, die diesen Menschen die Möglichkeit bieten sollen, ich wiederhole, ein normales Leben zu führen und sie als Menschen anzuerkennen, die im vollen Besitz ihrer Fähigkeiten sind und die ihre Weisheit, ihr Wissen, ihre Hoffnungen und ihre Träume in eine Gesellschaft einbringen können, die sie häufig ausgrenzt und diskriminiert, obwohl sie absolut nichts getan haben, wodurch sie das verdienen.
Jan Tadeusz Masiel (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Ich möchte den Abgeordneten danken, die das Thema der Teilleistungsschwächen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die 10 % der betroffenen Kinder wachsen zu den 10 % der Bevölkerung heran, die Schwierigkeiten haben, in der Gesellschaft zu funktionieren. Als Erwachsene leiden sie mehr. Heute sorgen wir uns um das Schicksal von Kindern, die aus nicht endgültig geklärten Gründen von der Gesellschaft entkoppelt sind. Im Laufe des Heranwachsens eines Kindes entsteht aus einer Schwierigkeit die nächste. Jeder Komplex führt zum nächsten.
Dysfunktionale Behinderungen sollten als besondere Krankheit oder Behinderung anerkannt werden. Die damit zusammenhängenden Probleme sollten zunächst dem Kind selbst und anschließend seiner Umgebung, nämlich den Eltern, Freunden und Mitschülern, erklärt werden. Für diese Kinder sind ein besonderer Ansatz und ein personalisierter Lehrstil erforderlich. Die Diagnostizierung und korrekte Definition dieses Zustands sind besonders wichtig, wenn Behandlungsmöglichkeiten begrenzt sind.
Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. – (SK) Herr Präsident! Ich möchte mich für die zahlreichen, höchst interessanten Redebeiträge bedanken. Ich bin kein Experte in dieser Sache, aber es bedarf weiteren Fachwissens zu diesem Thema.
Auch persönlich ist mir dieser Sachverhalt bewusst, aber die verschiedenen Einrichtungen und politischen Entscheidungsträger müssen zur Lösung des Problems einen umfassenderen Ansatz finden. Viele Lösungswege sind in diesem Haus im Hinblick auf Sozialpolitik, Chancengleichheit, Nicht-Diskriminierung, Gesundheit, Bildung, Berufsausbildung und ähnliche Fragen vorgeschlagen worden. Ausgangspunkt ist faktisch das Interesse und der Wunsch, die Situation zu verändern, weil Ignoranz Intoleranz erzeugt. Das gilt für jedes Problem, auch für dieses.
Eine der Aufgaben besteht fraglos darin, die Standpunkte der Mitgliedstaaten und der EU zu dieser Frage, d. h. in den EU-Mitgliedstaaten, anzugleichen, weil es bislang nirgends eine Definition gibt, obwohl einige Länder dieser Thematik einen bestimmten Tag widmen. Meiner Ansicht nach könnten sich die Mitgliedstaaten an die in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen enthaltene Definition anlehnen, aber das ist ihre Sache.
Gestatten Sie mir, meine einführenden Worte zu wiederholen. Es gibt mehrere umfangreiche Programme, die im beruflichen Bereich sowie in Bezug auf Information und Kommunikation zur Lösungsfindung beitragen können. Dabei denke ich konkret an das Bildungsprogramm, das Programm für lebenslanges Lernen, das Forschungsprogramm und das Gesundheitsprogramm.
Erlauben Sie mir persönlich und im Namen meiner Institution dem Autorenteam sowie denen zu danken, die sich dafür einsetzen, dass Menschen mit Teilleistungsschwächen gleichbehandelt werden und anerkannt wird, dass ihre Talente, Fähigkeiten und Potenziale tatsächlich oftmals unerkannt und unterbewertet sind. Die Kommission ist aufgefordert worden, in dieser Sache aktiver aufzutreten. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Kommission aktiv und bereit ist, in Zusammenarbeit mit dem Parlament und dem Vorsitz noch engagierter als das vielleicht in der Vergangenheit der Fall war an dieser Themenstellung zu arbeiten.
Die Präsidentin. − Vielen Dank, Herr Kommissar, für diese Zusicherung.
Die Aussprache ist geschlossen.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Alessandro Battilocchio (NI), schriftlich. – (IT) Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die diese wichtige Aussprache initiiert haben, und ich danke auch der Europäischen Kommission in der Person von Kommissar Figel’, mit dem ich schon mehrmals zusammengearbeitet habe, für die Bereitschaft, die von unserem Organ ausgesprochenen Empfehlungen zur Kenntnis zu nehmen.
Obwohl der Gesundheitsbereich hauptsächlich der nationalen Zuständigkeit unterliegt, begrüße ich die Bemühungen der Kommission, die Mitgliedstaaten zur Annahme von Strategien anzuregen, die Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Behandlungen und vor allem die Möglichkeit einer weitgehend normalen Lebensführung bieten. Der Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen 2003-2010 und auch das Programm PROGESS gehen in diese Richtung. Gleichwohl kommt es darauf an, die Unionsbürger für die Förderung der Integration dieser Menschen, und vor allem der Kinder, in die Gesellschaft zu sensibilisieren. Integrations- und Informationsmaßnahmen gegen „Diskriminierungen“ an den Schulen, am Arbeitsplatz, beim Sport und im täglichen Leben sind ebenso notwendig wie der Zugang zum Gesundheitssystem, damit diese bisweilen nur körperlichen Dysfunktionen nicht auch das persönliche und berufliche Leben der Betroffenen und ihrer Familien beeinträchtigen.
19. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll