Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Alain Lamassoure und Adrian Severin in Namen des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments (2007/2169(INI)) (A6-0351/2007).
Alain Lamassoure (PPE-DE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag, den wir heute prüfen, ist eine Antwort auf die Aufforderung durch den Europäischen Rat vom Juni. In Artikel 9 A des Vertragsentwurfs wird ausgeführt, dass die Zusammensetzung des Parlaments künftig dem Sekundärrecht unterliegt. Vorgesehen ist ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates auf Initiative und mit Zustimmung des Parlaments. Der Rat fordert uns auf zu erklären, wie dieses Verfahren funktionieren soll. Er möchte, dass wir uns mit dieser heißen Kartoffel beschäftigen.
Für unser Parlament ist das eine echte politische Herausforderung. Sind wir in der Lage eine Reform zu entwickeln, die für uns selbst gilt? Das letzte Mal waren wir dazu im Jahr 2000 aufgerufen und dem Parlament gelang dies damals nicht. Deshalb ist die im Ausschuss für konstitutionelle Fragen erzielte Abstimmung bereits ein beachtenswertes politisches Ergebnis. Wir haben eine große Mehrheit gefunden: zwei Drittel bei der Endabstimmung und drei Viertel beim wichtigsten Punkt, der zahlenmäßigen Verteilung der Sitze zwischen den Mitgliedstaaten.
Worin liegt nun das Problem? Vergegenwärtigen wir uns zunächst, dass das jetzige aus 785 Mitgliedern bestehende Parlament nicht mehr der aus dem geänderten Vertrag von Nizza resultierenden neuen Rechtslage entspricht. Wird kein neuer Beschluss gefasst, wäre dieses auf 736 Abgeordneten basierende System anzuwenden. Bislang sind die Mitgliedstaaten im Rat wie auch im Parlament in Länderkategorien unterteilt: ein super großer Staat, einige große, einige mittelgroße, einige kleine Staaten usw. Jede Kategorie hat dasselbe Stimmrecht im Rat, die gleiche Sitzanzahl im Parlament.
Damit ist Schluss! Gegenüber diesem System werden mit dem neuen Vertrag zweierlei Arten von Neuerungen eingeführt. Zum einen rein zahlenmäßig: Es gibt ein Maximum von 750 Abgeordneten sowie eine Höchstzahl von 96 und eine Mindestzahl von 6 Sitzen pro Mitgliedstaat. Zum anderen wird ein Grundsatz eingeführt: Zwischen der Höchst- und der Mindestzahl müssen die Mitgliedstaaten degressiv proportional vertreten sein, und uns, dem Parlament, kommt die Aufgabe zu, heute diesen Grundsatz zu definieren, d. h. festzulegen, wie viel Proportionalität und wie viel Degressivität es geben soll bzw. wie überrepräsentiert die bevölkerungsärmsten und wie unterrepräsentiert die bevölkerungsreichsten Länder sein werden.
Ihr Ausschuss schlägt vor, diesen Grundsatz folgendermaßen umzusetzen: Erstens müssen die im Vertrag festgesetzten Mindest- und Höchstzahlen uneingeschränkt ausgeschöpft werden. Insbesondere die Ausnutzung der Höchstanzahl von 750 Sitzen würde uns – in gewisser Weise – eine kleine Reserve an Sitzen bieten, so dass die degressive Proportionalität angewendet werden könnte, ohne die Sitzanzahl eines Landes zu verringern. Dies ist eine grundsätzliche politische Entscheidung und für die Erreichung der Einstimmigkeit im Europäischen Rat unabdingbar.
Zweitens: Je bevölkerungsreicher ein Land ist, desto mehr Anspruch hat es natürlich auf eine hohe Zahl von Sitzen. Drittens: Je bevölkerungsreicher ein Land ist, desto höher ist die Zahl von Bewohnern, die jeder seiner Abgeordneten im Europäischen Parlament vertritt. So repräsentiert ein spanischer Abgeordneter gegenwärtig mehr als 875 000 Bürger, Herr Präsident, während ein deutscher Abgeordneter nur 832 000 vertritt. Bislang ist die Bevölkerungszahl Deutschlands doppelt so hoch wie die Spaniens. Diese Anomalie wird ausgeglichen, indem Spanien vier zusätzliche Plätze zugewiesen bekommt. Insgesamt sind zehn Länder von den vorgeschlagenen Erhöhungen betroffen.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass dies nur eine Übergangslösung ist. Es wäre wünschenswert, eine mathematische Formel zu finden, die automatisch für zukünftige Erweiterungen gilt. Aber in Anbetracht des uns zur Verfügung stehenden engen Zeitrahmens, war dies nicht möglich. In der Entschließung sind jedoch diesbezügliche Empfehlungen formuliert. Zudem mussten wir auf die einzig verfügbaren Bevölkerungsdaten, nämlich die von Eurostat zurückgreifen, da uns keine Zahlen von den Bürgern selbst vorlagen. Adrian Severin wird darauf näher eingehen.
Schließlich möchten wir unsere Kollegen vor Änderungsanträgen warnen, die den Grundprinzipien des Berichts entgegenstehen und mit denen wahlweise die großen Länder gegenüber den kleinen oder die kleinen Länder gegenüber den großen über Gebühr bevorteilt würden. In diesem Fall wäre unsere Arbeit umsonst gewesen, da es mangels Einstimmigkeit im Rat bei den 736 Sitzen des Vertrags von Nizza bleiben würde.
Deshalb, meine Damen und Herren, verzichten Sie bitte auf das gegenseitige Überbieten aus nationalen Interessen. Wir haben den ganzen Nachmittag lang verkündet, dass wir das einzige demokratische Organ sind, das die Interessen der Europäer gegenüber den anderen Organen jenseits nationaler Egoismen verteidigt. Heute nun haben wird die ideale Gelegenheit, unseren Worten Taten folgen zu lassen.
(Beifall)
Adrian Severin (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Durch unsere Vorschläge – die von Herrn Lamassoure und mir –, die vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen bestätigt wurden, wird eine Reihe von Verbesserungen bei den gegenwärtigen Praktiken bezüglich der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments eingeführt. Werden diese angenommen und richtig durchgesetzt, wird es keine weiteren künstlichen Gruppierungen, keine weiteren willkürlichen Verhandlungen, keine weitere Erweiterung auf Kosten der Effizienz des Europäischen Parlaments geben, das mit der Zahl der Mitgliedstaten immer weiter anwächst. Stattdessen werden wir mehr Repräsentativität haben, die sich auf die demografische Realität und nicht auf nominelle oder symbolische Rechtsverhältnisse stützt, mehr Solidarität zwischen den großen und kleinen Ländern, die auf die degressive Proportionalität der Vertretung zurückzuführen ist, sowie vollständige Legitimität aufgrund der Bürgervertretung, die der Tatsache geschuldet ist, dass das Europäische Parlament von den Unionsbürgern gewählt wird.
Ich möchte auf den Unterschied zwischen der demokratischen Legitimität des Europäischen Parlaments, die auf dem Abstimmungsergebnis der europäischen Bürger basiert, und der nationalen Repräsentation innerhalb des Europäischen Parlaments hinweisen, die der demografischen Realität innerhalb der Mitgliedstaaten Rechnung trägt. Als Europäisches Parlament sind wir gleichzeitig Vertreter der Bürger und der Staaten.
(Unmutsäußerungen)
Sie sehen sofort, dass einige nur von Bürgern sprechen, andere von Staaten. Wir sind gleichzeitig Bundestag und Bundesrat. An eine eindeutige Trennung sollte vielleicht in Zukunft gedacht werden, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt – da wir einmal akzeptiert haben, dass die Bürger wählen und dass bei der degressiven Proportionalität die Bevölkerung, die in einem nationalen Hoheitsgebiet lebt, zu berücksichtigen ist – sind wir, so leid es mir tut, beides.
Selbstverständlich muss das Konzept der Unionsbürgerschaft in diesem Rahmen noch genau festgelegt werden, und ich hoffe, das geschieht in allernächster Zukunft. Unser Bericht ist jedoch nicht vorläufiger Natur, sondern ein Übergangsbericht. Er ist für einen Übergangszeitraum gedacht, weil ich davon ausgehe, dass die Grundsätze, die wir definiert haben, von Bestand sind, jedoch noch überarbeitet werden müssen, und ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft auf dem aufbauen können, was wir Ihnen bereits vorgeschlagen haben. Daher haben wir eine Reihe von Revisionsklauseln aufgenommen, die nach unserem Dafürhalten – d. h. von Herrn Lamassoure und mir – für Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und zukünftige Fortschritte bei der Zusammensetzung des Parlaments sorgen.
Durch diesen Bericht wird niemand benachteiligt. Vielleicht werden diejenigen, die eine bessere Bevölkerungspolitik betreiben, belohnt – und er ist zweifellos eine Aufforderung zur Ergreifung besserer demografischer Maßnahmen einschließlich einer Migrationspolitik. Ich denke nicht, dass irgendjemand etwas verliert – und vielleicht gewinnt auch niemand bei diesem Nullsummenspiel. Solange wir ein stärker demokratisch legitimiertes Parlament haben, gewinnen alle.
Wir haben einige Änderungsvorschläge eingebracht. Einige Kollegen möchten die Degressivität zugunsten der Proportionalität verringern. Mehr Proportionalität bedeutet mehr Sitze für die großen Länder. Andere wiederum möchten mehr Degressivität, jedoch nicht mehr Proportionalität. Mehr Degressivität bedeutet mehr Sitze für kleine Länder. Daher bin ich der Meinung, dass wir diese beiden extremen Positionen ablehnen müssen und uns für die – zugegebenermaßen – unvollkommene Lösung entscheiden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch die beste darstellt. Das ist die von Herrn Lamassoure und mir vorgeschlagene Option. Einige wollen eine Bezugsbasis. Andere möchten, dass alle ihre Staatsbürger ungeachtet des Wohnsitzstaates berücksichtigt werden. Wieder andere wollen, dass alle Einwohner ihres Landes in Betracht gezogen werden. Einige versuchen, nur die Unionsbürger, die in einem bestimmten Land wohnen, einzubeziehen. Es gibt also in dieser Frage unterschiedliche Ansichten. Die einzige Lösung besteht darin, die gegenwärtige Praxis beizubehalten und die tatsächlichen Zahlen von Eurostat zu verwenden.
Ich komme zum Schluss. Es gibt einige, die um politisches Prestige kämpfen und denken, dass wir in unserer politischen Gewichtung ungleich sind, wenn wir in diesem Parlament nicht in gleichem Maße vertreten sind. Wenn wir einmal die Degressivität – und die proportionale Degressivität – akzeptiert haben, können meines Erachtens diese künstlichen Gruppierungen nicht überleben. Wenn wir diese Entschließung nicht annehmen, fürchte ich, dass das Europäische Parlament die Botschaft aussendet, es sei nicht in der Lage, eine wichtige Reform anzunehmen, und dass es immer warten muss, bis das Exekutivorgan eine Entscheidung trifft. Meiner Meinung nach wird die Regierungskonferenz einen ersten Fehlschlag erleiden, noch bevor sie sich überhaupt mit der Tagesordnung befassen kann, und dieser Fehlschlag könnte das Vorspiel zu einem ganz großen Misserfolg sein. Ich befürchte, dass alle zu Nizza zurückkehren werden und ihre illusorischen Träume aufgeben müssen. Ich befürchte, wir würden dann eine Botschaft aussenden, die zeigt, dass eine Kluft zwischen den großen und kleinen Länder besteht, und das wird jeden Traum von einer Einheit, von Fairness und Integration zunichte machen. Daher möchte ich mit einem Aufruf an alle meine Kollegen enden. Ich appelliere an unsere europäische Verantwortung und unsere europäische Solidarität. Hic Rhodus, hic salta! Hier ist Rodos. Lasst uns hier beweisen, dass wir echte Europäer sind, und nicht, wenn wir die Kommission und den Rat belehren.
Ingo Friedrich, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Der Bericht gibt eine Klarstellung, für die ich den beiden Berichterstattern, Herrn Lamassoure und Herrn Severin, herzlich danken möchte. Er verdeutlicht, dass wir die vorgegebenen Obergrenzen und die vorgegebene Untergrenze immer ausschöpfen. Dafür möchte ich ausdrücklich danken. Dies ist eine Klarstellung, die für uns alle wichtig ist.
Zweitens: Es gibt zwei Ergebnisse dieses Berichts. Erstens, je weniger Degressivität wir haben, das heißt, je mehr wir uns an der Proportionalität orientieren, desto mehr echte Autorität und Legitimation hat das Parlament. Die Auseinandersetzung darüber, wie viel Degressivität wir brauchen – wie viel weniger, wie viel mehr –, muss immer wieder geführt werden, und da ist es, glaube ich, logisch, wenn man sagt, je weniger Degressivität desto mehr Legitimität. Als Deutscher darf ich hinzufügen, dass es natürlich schon ein wenig problematisch ist, dass wir als Deutsche die Einzigen sind, die weniger bekommen als auf der Grundlage von Nizza. Da bitten wir auch ein Stück weit um Unterstützung, denn die Diskussion in der deutschen Presse ist diesbezüglich sehr deutlich. Wir tragen dies mit, weil wir auch der Meinung sind, dass der europäische Aspekt wichtiger ist als alle anderen.
Abschließend zwei Erkenntnisse, die wir für die Zukunft nutzen sollten. Erstens: Wir sollten wirklich darauf hinarbeiten, dass wir langfristig ein logisches System bekommen, das wir nicht immer neu diskutieren müssen. Zweitens: Es gibt zwei strittige Änderungsanträge, 2 und 3. Unsere Fraktion hat beschlossen: Egal wie die Abstimmung zu den beiden strittigen Themen ausgeht, am Schluss gibt es ein Ja der Fraktion für den Bericht Lamassoure/Severin. Der Rat hat keine Ausrede. Im Änderungsantrag 2, der nur ganz minimal von den Zahlen im Bericht Lamassoure abweicht, würde es ein Ergebnis geben, so dass der Rat eine Botschaft des Parlaments für die Periode 2009–2014 bekommt. Deswegen haben unser Parlament und alle Fraktionen in Abwägung vieler Aspekte ihre Pflichten, wie ich meine, erfüllt, und der Rat kann entscheiden, wenn er guten Willens ist.
Vielen Dank für die Fairness der Diskussion bei einem schwierigen Thema!
Richard Corbett, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich im Namen der PSE-Fraktion für diesen Bericht aussprechen. Meine Fraktion wird dafür stimmen und wir hoffen, dass dieser Text, der mit einer 70 %igen Mehrheit im Ausschuss angenommen wurde, jetzt von einer ebenso beeindruckenden Mehrheit im Parlament insgesamt bestätigt werden kann.
Die Berichterstatter haben sich – vernünftig angesichts der vom neuen Vertrag festgelegten Zwänge und angesichts der knappen Zeit, die wir bis zum Abschluss der Regierungskonferenz haben, – auf die Berichtigung der größten Anomalien in der gegenwärtigen Verteilung der Sitze konzentriert, anstatt eine radikale Überarbeitung des Systems vorzuschlagen. Das hätte zu einer festgefahrenen Situation bei der Regierungskonferenz führen und die Annahme und Ratifizierung des neuen Vertrags gefährden können.
Vor allem wird es bei keinem Mitgliedstaat zu einer Verringerung der Zahl der Sitze kommen, auf die er im Rahmen der gegenwärtigen Verträge, wenn es um die Verteilung der Sitze ab 2009 geht, Anspruch hat – mit Ausnahme der Festlegung im Vertrag bezüglich der Bundesrepublik Deutschland. Mit dieser einzigen Ausnahme wird es für kein Land eine Verringerung im Vergleich zu dem geben, was bereits im Vertrag für 2009 vorgesehen ist.
Einige unserer Kollegen versuchen nun, für ihren Mitgliedstaat mehr Sitze zu gewinnen, indem sie zuweilen anführen, die Bevölkerung ihres Landes sei plötzlich wesentlich größer als wir vorher alle angenommen hatten, größer als die von Eurostat genannten Zahlen, auf die alle, auch der Rat, zurückgreifen.
Andere meinen – aus Gründen des nationalen Prestiges –, dass sie die gleiche Anzahl von Sitzen wie ein bestimmter anderer Mitgliedstaat haben müssten. Ich muss zugeben, dass mich die Haltung der italienischen Regierung sehr überrascht hat. Wie ich gehört habe, sollen Herr Prodi und auch einige italienische Abgeordnete hier gesagt haben, dass es für Italien wichtig sei, über die gleiche Anzahl von Sitzen wie Frankreich und das Vereinigte Königreich zu verfügen. Doch sie haben, wie wir alle, den Grundsatz der proportionalen Degression akzeptiert: in Abhängigkeit von der jeweiligen Bevölkerung. Ich akzeptiere, dass mein Land einen Sitz weniger als Frankreich haben wird, obwohl wir bisher immer die gleiche Anzahl hatten. Ich verstehe nicht, weshalb es für Italien so schwer sein sollte, ebenfalls zu akzeptieren, dass es aus eben diesen Gründen weniger Sitze als Frankreich besitzt. Und es überrascht mich, dass die Regierung eines Landes, das so oft behauptet hat, es sei für uns alle beispielgebend, weil es communautaire sei, weil es sich für Europa engagiere, nicht nationalistisch sei, Europa immer über seine nationalen Interessen stelle, dass Italien und Herr Prodi jetzt anführen, dass Italien – aus Gründen des nationalen Prestiges – die gleiche Sitzanzahl wie Frankreich und das Vereinigte Königreich haben müsste, obwohl es eine ganz andere Bevölkerungszahl hat.
Abschließend ersuche ich das Hohe Haus, diesen Bericht zu unterstützen, die Änderungsanträge abzulehnen und damit dem Europäischen Rat ein eindeutiges Signal zu geben.
VORSITZ: MECHTILD ROTHE Vizepräsidentin
Andrew Duff, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Auch die ALDE-Fraktion wird dem Vorschlag der Herren Lamassoure und Severin ihre Unterstützung geben. Die Regierungskonferenz verlangt von uns, unsere Zusammensetzung zu ändern, um sie mit dem Reformvertrag in Übereinstimmung zu bringen, und das ist eine durchaus angemessene Forderung. Als Parlament müssen wir ein klares, deutliches Signal geben, dass wir in der Lage sind, eine so komplizierte und mutige Entscheidung zu treffen.
Es gibt keine absolute, definitive Formel. In Ziffer 6 wird eine praktikable und vernünftige Definition der degressiven Proportionalität gegeben. Ich akzeptiere natürlich auch, dass einige nationale Delegationen versuchen, ihre Position in der Sprachtabelle zu verbessern, doch wie sich herausstellt, widersprechen sich alle solche Vorschläge gegenseitig. Alle Versuche, das System zu verändern, sind zum Scheitern verurteilt. Durch das d’Hondt-Verfahren würden die größeren Staaten mehr Einfluss erhalten, und Herrn Friedrich möchte ich sagen, dass sein Vorschlag den im Vertrag festgelegten Grundsatz der degressiven Proportionalität verletzt. Das Quadratwurzel-System würde den kleineren Staaten mehr Einfluss verleihen.
Ich verstehe vollkommen, wenn die Italiener die interessante Frage der statistischen Basis ansprechen, und wir sollten als Parlament den Unterschied zwischen Staatsbürgern, Bürgern, Einwohnern und Stimmberechtigten untersuchen. Aber das Thema ist außerordentlich kompliziert und hängt eng mit der nationalen Souveränität auf dem Gebiet des Wahlrechts und der Staatsbürgerschaft zusammen. Es ist unmöglich, dieses Problem innerhalb einer Woche bis zum Ende der Regierungskonferenz zu lösen.
Nach der Regierungskonferenz wird der Ausschuss für konstitutionelle Fragen einen Bericht vorlegen, und ich habe die Ehre, als Berichterstatter zu fungieren. Er wird sich mit all diesen Fragen befassen und eine Reform des Primärrechts aus dem Jahre 1976 vorschlagen. Doch all das ist für das kommende Jahr vorgesehen und nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Lassen Sie uns in der Zwischenzeit dem Vorschlag unsere einhellige Zustimmung geben und der Regierungskonferenz eine Lösung und kein Problem vorlegen.
(Beifall)
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte mich meinen Kollegen anschließen und den Ko-Berichterstattern für die Arbeit danken, die sie zu diesem äußerst schwierigen und komplizierten Thema geleistet haben.
Was immer einige Kollegen auch sagen mögen, die Türken wählen schließlich Weihnachten nicht, weshalb sollte irgendein gegenwärtiges Mitglied des Europäischen Parlaments danach trachten, ihnen ihren Sitz wegzunehmen? Der Wunsch derjenigen, die versuchen, die höchste Anzahl von Sitzen in jeder der nationalen Kategorien zu erhalten, ist legitim. Ich würde nicht unbedingt eine solche Haltung verurteilen wollen. Wenn wir zurückdenken an die Veränderungen, die sich seit den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 1979 ereignet haben, so hat es immerhin phänomenale Veränderungen in den demografischen Entwicklungen und Trends innerhalb der Europäischen Union gegeben, nicht zuletzt aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union nach Osteuropa im Jahre 2004. Dadurch wurde die Reisefreiheit so vieler Menschen in andere Länder ermöglicht und die Bevölkerungszahlen haben sich enorm verändert.
Meiner Meinung nach besteht einer der wesentlichen Aspekte, über die wir unbedingt sprechen müssen (und wir können über die degressive Proportionalität bis in alle Ewigkeit sprechen), darin, dass immer ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Institutionen – und auch ein Gleichgewicht zwischen den größeren und kleineren Mitgliedstaaten – bestand und damit gesichert wurde, dass keine Institution gegenüber einer anderen eine Vormachtstellung einnimmt oder dass größere Mitgliedstaaten mittlere oder kleinere Mitgliedstaaten dominieren. Deshalb ist es auch so wichtig, dieses Gleichgewicht so weit wie möglich beizubehalten.
Ich begrüße, dass die Berichterstatter in einem Kompromissänderungsantrag vorschlagen, dieses Gleichgewicht zwischen den Organen beizubehalten. Wenn wir uns außerdem die Zahlen ansehen, mit denen gearbeitet wurde – und zu den Eurostat-Zahlen wurde hier von anderen Kollegen bereits einiges gesagt – so sind die Zahlen von 15 der 27 Länder, die Eurostat verwendet, lediglich vorläufige Angaben von den zentralen statistischen Ämtern dieser Länder. Das heißt also, dass den Entscheidungen nur vorläufige Zahlen zugrunde liegen, obwohl das dauerhafte Auswirkungen auf die zukünftige Zuteilung der Sitze im Parlament haben könnte.
Wir müssen auch die weitere Erweiterung durch die Aufnahme von Kroatien im Auge behalten, denn das wird auch negative Auswirkungen haben. Deshalb mahne ich zur Vorsicht, wenn wir über diese Frage abstimmen.
Johannes Voggenhuber, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Meine Fraktion wird diesem Bericht nicht zustimmen, weil das vorgeschlagene Repräsentationssystem, die Sitzverteilung, elementare, demokratische Grundsätze missachtet, historische Ungleichheiten fortsetzt, und die Natur dieses Hauses, als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger sowie seiner Wählerinnen und Wähler verletzt.
Es sind nicht die Träume, die nicht erfüllt werden. Ja, Herr Severin, viele wünschen sich vieles, aber was wir uns alle wünschen sollten, ist ein wenig Ahnung von dem zu behalten, was ein Parlament ist. Ein Parlament ist nicht – wie uns die Berichterstatter in ihrem gestrigen nächtlichen Brief mitteilen – die Vertretung einer sozioökonomischen Kapazität der Staaten. Nein, es ist die Repräsentation von Wählerinnen und Wählern und sonst nichts. Es ist eine Vertretung der Bürgerinnen und Bürger oder es ist kein Parlament! Es ist kein Parlament, wenn es keinen Demos gibt, auf den wir uns stützen, und es ist nicht wahr, dass der citizenship-Begriff in Europa nichts zu tun hätte mit dem völkerrechtlichen oder dem Begriff der citizenship in den Vereinigten Staaten. Es ist genau dasselbe, und ich würde Ihnen einen Blick raten in die bestehenden Verträge. Ich würde Ihnen einen Blick raten in die Grundrechte-Charta, in der die Rechte dieser Bürger festgehalten sind. Ich würde Ihnen einen Blick raten in die Zugangsbestimmungen zum Europäischen Gerichtshof. Ich würde Ihnen einen Blick raten in die Bestimmungen, wie man Wähler wird. Dann werden Sie erkennen, dass es das Einfachste der Welt ist, festzustellen, wer Bürgerin oder Bürger dieser Union ist, und wer zu diesem Parlament wahlberechtigt ist. Das wird nämlich alle fünf Jahre festgestellt.
Die Einwohner, die Bevölkerung, das ist ein symbolischer Ausdruck für eine sozioökonomische Kapazität. Aber wir haben es ja schon einmal versäumt, wir wurden ja auch in Nizza gefragt: Liebes Parlament, sage uns doch selber, wie Du zusammengesetzt werden willst. Wir sind damals gescheitert. Leider haben wir diese sieben Jahre nicht genutzt, um zu klären, was dieses Parlament ist. Deshalb schreiben wir den historischen Humbug und die historischen Sachzwänge fort, die bis heute entstanden sind. Das hat mit Demokratie und Verfassungsdenken nicht das Geringste zu tun.
Sylvia-Yvonne Kaufmann, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! In meiner Fraktion gibt es unterschiedliche Sichten. Ich aber unterstütze den Bericht der Kollegen Lamassoure und Severin. Mit dem Bericht nimmt das Parlament verantwortungsvoll sein Initiativrecht wahr, selbst einen Vorschlag über seine künftige Zusammensetzung zu unterbreiten. Es tut dies dank der intensiven Arbeit beider Berichterstatter in einem wahrhaft europäischen Geist. Der Vorschlag ist ausgewogen, er basiert auf einem klaren, nachvollziehbaren und transparenten System, und er ist zudem im Hinblick auf künftige Erweiterungen tragfähig.
Der Vorschlag folgt zum einen dem Grundsatz der Pluralität. Durch die Inanspruchnahme aller möglichen 750 Sitze wird auch in Zukunft gewährleistet sein, dass das Parlament das Spektrum der wichtigsten politischen Orientierungen aus jedem Land widerspiegelt. Und: Der Vorschlag basiert auf dem Grundsatz der Solidarität, demzufolge die bevölkerungsreichsten großen Staaten akzeptieren, weniger stark präsent zu sein, um eine bessere Vertretung der bevölkerungsärmsten kleinen Staaten zu ermöglichen. All dies trägt dazu bei, den Zusammenhalt in der Union zu stärken. Von daher hoffe ich, dass der Rat den Parlamentsvorschlag vorbehaltlos und zügig vor den Wahlen 2009 umsetzt.
Noch eine Anmerkung zum Schluss: Die Grundlage für die Berechnung der Sitze eines Staates bilden – ebenso wie beim Rat – alle in dem betreffenden Staat lebenden Menschen, einschließlich der dort lebenden Drittstaatsangehörigen, denn sie sind Teil dieser Gesellschaft. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Drittstaatsangehörige, die ihren Lebensmittelpunkt in unseren Mitgliedstaaten haben, müssen auch das Wahlrecht zum Europäischen Parlament erhalten. Dafür habe ich immer gestritten, und dafür werde ich auch weiter streiten!
Bernard Wojciechowski, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! In der Regel geht es doch darum – wenn uns ein solcher Bericht vorliegt –, was ein Land gewinnt und ein anderes verliert. Das allein beweist, dass es sich bei der europäischen Solidarität um einen Mythos handelt und der nationale Egoismus immer an erster Stelle steht.
Angesichts des jüngsten aggressiven Vorgehens von Herrn Schulz gegen den Präsidenten der Europäischen Kommission sollten wir nach einer guten Möglichkeit suchen, in dem Nullsummen-Spiel zu gewinnen.
In Ziffer 8 kommt Bedauern zum Ausdruck, dass Deutschland Sitze verlieren wird. Dieses Wehklagen geht noch weiter: Mehr EU-Dokumente sollten ins Deutsche übersetzt werden, Deutschland sei der größte Nettobeitragszahler zum EU-Haushalt, das Land müsse einen eigenen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben und so weiter und so fort. Man könnte eine ganze Liste solcher Beschwerden aufstellen.
Gleichzeitig versucht Herr Severin uns davon zu überzeugen, dass durch diese nicht definierte degressive Proportionalität – die übrigens auf sein eigenes Land, Rumänien, keine Auswirkungen hat – Polen, wenn es drei Sitze verliert, eigentlich einen dazu bekommt. Ich kann nur wünschen, sein Konzept möge im Casino auch so gut funktionieren.
Aber lassen Sie uns eines klarstellen: Nur für einen Sozialisten aus Yorkshire ist zwei plus zwei fünf.
Luca Romagnoli, im Namen der ITS-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht Lamassoure-Severin sollte entrüstet zurückgewiesen werden, und zwar wegen des ideologischen Untertons, der sich gegen Italien richtet, und wegen der als Vorwand dienenden technischen Argumente im Gegensatz zu den politischen Argumenten, auf denen er tatsächlich beruht. Ich mag nicht näher darauf eingehen, was für mich das ius sanguinis, was offensichtlich in den Gedanken der Berichterstatter und derjenigen, die diese Initiative in Auftrag gaben, gar nicht vorkommt, im Vergleich zu dem jakobinischen ius loci bedeutet.
Weder bin ich Rechtsexperte noch genieße ich ein so ungetrübtes Ansehen wie Prof. Manzella, Vorsitzender des Ausschusses für Europaangelegenheiten des italienischen Senats, oder wie andere Kollegen, um mit ebensolcher Präzision die juristische Unstimmigkeit der in dem Bericht enthaltenen Aussagen anfechten zu können. Trotzdem glaube ich an meine Überzeugungskraft, wenn ich unterstreiche, dass für die Berichterstatter unstrittige Fakten nicht zählen. In der Politik sind das die Wertschätzung und die Rolle, die Italien beim Aufbau Europas hatte und immer noch hat.
Der so kläglich italianisierte Grundsatz der „degressiven Proportionalität“, der zur Neufestlegung der in dem auf Eis gelegten Verfassungsvertrag verankerten Sitzverteilung herangezogen wird, wurde unter offenkundiger Diskriminierung Italiens angewandt, denn für einige Länder wurde das System der Staffelungen beibehalten, was mit gewaltigen Verzerrungen verbunden ist, wenn man bedenkt, dass Estland dieselbe Anzahl von Sitzen zugeteilt wurde wie Malta, obwohl seine Bevölkerung drei mal so groß ist.
Es mag angehen, dass für Großbritannien die aufhältigen Nicht-EU-Bürger als Wahlberechtigte mitgezählt wurden und dass ihm die Berichterstatter auf dieser Grundlage einen Sitz mehr als Italien zugewiesen haben, obwohl schließlich nur ein Drittel der Wahlberechtigten an den Wahlen von 2004 teilgenommen hat. Wir können akzeptieren, dass Frankreich, das seine Wählerschaft und sein demografisches Profil mit der gleichen Vielfalt an Nationalitäten zusammensetzt und auffüllt wie seine Fußballnationalmannschaft, zwei Sitze mehr als Italien zugesprochen werden. Wir können die Ahnungslosigkeit der italienischen Regierung und die Flucht in die Zeiten der Vorbereitungen der Debatte im Rat akzeptieren.
Doch eines können wir nicht akzeptieren. Die Berichterstatter klammern sich an die für sie strittige Bedeutung von Bürgerschaft. Sie verlangen, alle Einwohner Europas als Wähler zu betrachten, selbst wenn sie einen Pass und die Staatsbürgerschaft eines Nicht-EU-Landes besitzen. Doch sie nehmen die Bürger, die außerhalb Europas wohnen, aus den Berechnungen heraus. Das vermittelt den Eindruck einer krassen, manipulatorischen, unannehmbaren Diskriminierung Italiens, die wir entschieden zurückweisen!
Irena Belohorská (NI). – (SK) Als Erstes möchte ich den Berichterstattern, Alain Lamassoure und Adrian Severin, meine Unterstützung für ihren Bericht zusichern. Wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, dass die Slowakische Republik durch den vereinbarten Grundsatz der degressiven Proportionalität einen Abgeordneten verliert. Wie bei der proportionalen Sitzverteilung im Parlament sollte dieser Grundsatz auf alle Bereiche der EU-Beschäftigungspolitik ausgedehnt werden. Deshalb fordere ich, dass in allen EU-Institutionen die Zahl der Abgeordneten und Angestellten aus den zwölf neuen Mitgliedstaaten erhöht wird. Ich glaube, jeder Mitgliedstaat verfügt über eine hinreichende Anzahl qualifizierter Menschen, die einen wertvollen Beitrag zur EU liefern können.
Gleichheit ist eines der Grundprinzipien der EU. Auch die alten Mitgliedstaaten verpflichteten sich zur Einhaltung dieses Prinzips, als sie zwölf neue Mitgliedstaaten in ihren Kreis aufnahmen. Es sollte in allen Bereichen gelten, nicht nur für die Posten als Mitglieder des Europäischen Parlaments oder der Kommission. Ich fordere die Einhaltung und Achtung des Gleichheitsprinzips. Als die neuen Mitgliedstaaten der EU beitraten, mussten sie viele Kriterien erfüllen. Nun appelliere ich an die EU als Ganzes, ihre Verpflichtungen diesen gegenüber ebenfalls einzuhalten.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (SV) Frau Präsidentin! Durch die Unterstützung des Berichts Lamassoure kann die Europäische Union einen historischen Schritt gehen. Mit diesem Bericht können wir die Zeit hinter uns lassen, in der die Plätze im Europäischen Parlament auf der Grundlage einer Kategorisierung einzelner Länder in verschiedene Gruppen verteilt werden, je nach Verhandlungsvermögen der Regierungschefs und ausgehend von der Annahme widerstreitender Interessen der EU-Mitgliedstaaten. Wenn das Parlament den Bericht Lamassoure befürwortet, werden wir dieses System zugunsten eines anderen aufgeben, das auf der Proportionalität basiert und bei dem die Größe der Länder ihre Vertretung im Parlament beeinflusst.
Das bisherige System war sehr schwer zu erklären, während man das, was wir mit dem Bericht Lamassoure erhalten, begreiflich machen kann. Dieses System geht von einer Höchst- und einer Mindestzahl aus und berücksichtigt die Einwohnerzahlen der einzelnen Länder, ein Prinzip, das auch für die Zukunft haltbar ist. Damit werden nicht die Interessen des einen oder anderen Landes bevorzugt, sondern es zählen allein die Einwohnerzahlen. Das ist ein Schritt noch vorn im demokratischen Prozess in der Europäischen Union.
Ich möchte, dass völlig klar ist, welche Alternativen wir haben. Entweder wir unterstützen die Vorschläge des Berichts Lamassoure oder wir gehen zurück zum Vertrag von Nizza mit seiner Willkürlichkeit und von widerstreitenden nationalen Interessen geprägten Verhandlungen. Wenn ich mir die letzten Redner von den Bänken da oben und ihre Agitation so anhöre, kann ich auch die nationalen Interessen in Konfliktsituationen heraushören.
Der Bericht des Kollegen Lamassoure verdient unsere Unterstützung, da er auf einem Grundsatz basiert.
Sérgio Sousa Pinto (PSE). – (PT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der von Alain Lamassoure und Adrian Severin verfasste Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die zukünftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ist ein wichtiger Beitrag, der auf eine ausgewogene und objektive Lösung in einer politisch hoch sensiblen Frage orientiert. Deshalb möchte ich den beiden Berichterstattern gratulieren.
Es sei daran erinnert, dass der Europäische Rat auf seiner letzten Sitzung im Juni dem Europäischen Parlament eine Lösung der Problematik seiner zukünftigen Zusammensetzung bis Oktober 2007 versprochen hat, damit diese dann rechtzeitig bei den Europawahlen 2009 umgesetzt werden kann. Für diejenigen, die befürchteten, das Parlament könnte es nicht schaffen, diese Frage wegen vorherrschender nationalistischer Ideologien zu lösen, liefert dieser Bericht eine passende Antwort und beweist, dass dieses Organ sehr wohl in der Lage ist, das gemeinsame europäische Interesse innerhalb der nationalen Dynamiken, die zwischenstaatliche Angelegenheiten oft kompliziert machen, genau zu bestimmen und zum Ausdruck zu bringen.
Für den reibungslosen Ablauf der Arbeit der Regierungskonferenz, die am 18. und 19. Oktober in Lissabon abgeschlossen werden soll, ist die Festlegung eines gemeinsamen Standpunktes des Europäischen Parlaments wichtig. Dafür muss unbedingt anerkannt werden, dass zwischen diesem neuen Vorschlag zur Sitzverteilung nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität und dem gesamten Reformpaket für die Organe der Union, insbesondere dem Prinzip der doppelten Mehrheit für die Festlegung der Mehrheit im Rat, ein politischer Zusammenhang besteht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit unterstreichen, dass der institutionelle Aspekt des Reformvertrags kohärent sein muss und dass hinsichtlich der Frage der doppelten Mehrheit, die ja offensichtlich erst im Zeitraum 2014-2017 in Kraft treten wird, die Verträge keine „Gentlemen‘s Agreements“ wie der Kompromiss von Ioannina enthalten sollten, die weiter Gültigkeit haben werden, aber, obwohl sie im gegenwärtigen Rahmen rechtlich anerkannt sind, nur dazu dienen würden, die Entscheidungsfindung im Rat blockieren würden.
Wir wussten von Anfang an, dass die Frage der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments keine rein rechnerische Angelegenheit sein würde. Innerhalb der Grenzen der bestehenden Bedingungen musste die zu findende Lösung drei Grundsätzen folgen: dem Grundsatz der Solidarität, bei dem die bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten eine Unterrepräsentation akzeptieren, dem Grundsatz des Pluralismus, der eine Vertretung des gesamten Spektrums der wichtigsten politischen Orientierungen in jedem Land ermöglicht, sowie dem Grundsatz der Effizienz, der die Höchstzahl der Abgeordneten auf ein Niveau begrenzt, das mit der Rolle einer gesetzgebenden Versammlung vereinbar ist. Durch die Anwendung des Grundsatzes der degressiven Verhältnismäßigkeit gelang es den Berichterstattern, einen vernünftigen einvernehmlichen Vorschlag zu erarbeiten.
Frau Präsidentin, abschließend möchte ich sagen, dass das Europäische Parlament die erzielte Einigung nicht als perfekt ansehen muss, damit es ihr seine politische Zustimmung geben kann. Trotz seiner Schwachstellen stärkt der Text die Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments und ist sehr viel besser als das rücksichtslose Gerangel zwischen nationalen Egoismen, die der Union und ihren Bürgern teuer zu stehen kommen würden.
Am Vorabend eines wichtigen Europäischen Rates fällt es diesem Hohen Haus – Vertreter unserer Bürger – und auch mir schwer, der Vorstellung zu folgen, dass dieses Parlament auch die Mitgliedstaaten vertritt, dem europäischen Interesse Vorrang einräumt und darauf vertraut, dass die Staatschefs dies ebenfalls tun.
Henrik Lax (ALDE). – (SV) Es gibt eine große Gruppe Bürger, die in der Diskussion über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nicht berücksichtigt worden sind. Ich denke dabei an die fast 50 Millionen Europäer, die einer regionalen oder nationalen sprachlichen Minderheit angehören. Heute sind wir nur eine Handvoll Abgeordneter, die diese Gruppen vertreten. Das ist inakzeptabel und vermittelt leider ein falsches Bild vom Europäischen Parlament. Es erscheint so, als würden wir die verletzliche Situation nicht verstehen, in der bestimmte sprachliche Minderheiten immer noch leben. Der auf der so genannten degressiven Proportionalität basierende Bericht der Kollegen Lamassoure und Severin ist ein Glanzstück statistischer Arbeit, und ich werde ebenfalls dafür stimmen, aber wir müssen jetzt auch den Mut haben, andere Sachfragen zu diskutieren. Wie können wir das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union stärken? Wie können wir sicherstellen, dass die EU und das Europäische Parlament die Ziele erfüllt, die wir anderen auferlegen, das heißt, wie gewährleisten wir, dass auch die Stimme der Minderheiten gehört wird?
Meine Damen und Herren, wollen wir Abgeordnete des Europäischen Parlaments zulassen, dass die sprachlichen Minderheiten dem Wohlwollen der nationalen Regierungen überlassen bleiben, die ihnen vielleicht einen Sitz zugestehen, oder wollen wir, dass diese Minderheiten nicht im Europäischen Parlament vertreten sind? Die Antwort sollte ein überwältigendes Nein sein! Zur Sicherung der Vielfalt ist es daher an der Zeit, einige Sitze im Europäischen Parlament für sprachliche Minderheiten zu reservieren. Ich selbst vertrete die schwedischsprachige Bevölkerung Finnlands sowie die Åland-Inseln.
Cristiana Muscardini (UEN). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht über die Sitzverteilung im Parlament enthält offenkundige Widersprüche, die durch das Schreiben, das die Berichterstatter gestern übermittelten, gleichsam um ihren Standpunkt zu politisch derart heiklen Fragen zu rechtfertigen, noch verschlimmert werden, und er stellt den Rechtsbegriff der Bürgerschaft, wie er seit jeher kodifiziert ist, auf den Kopf.
Der in dem Bericht vorgeschlagene Grundsatz hebelt sowohl die Nationalstaaten als auch die Verträge aus. Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die Unionsbürgerschaft der Rechtsstatus, in dem sich diejenigen – und nur diejenigen – befinden, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen und demzufolge alle mit diesem Status verbundenen Rechte und Pflichten haben. Und es ist die Bürgerschaft, die maßgebend sein muss, und nicht der Wohnsitz. Dieser Vorschlag verzerrt zudem den Ansatz, der dem nächsten Vertrag zugrundegelegt wurde, indem stattdessen eindeutig klargestellt wird, dass der Begriff der Bürgerschaft nichts mit dem des Wohnsitzes zu tun hat.
Das Europäische Parlament hat eine große Chance vertan, nämlich die, auch den anderen Organen zu beweisen, dass es aus sich heraus auf anerkannten und gemeinsamen Rechtsgrundsätzen basierende Lösungen zu finden vermag. Ich frage die Berichterstatter, warum sie nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung gezogen haben, für die Zuteilung der Sitze die Zahl der Bürger der Mitgliedstaaten anstatt die der Wohnbevölkerung als Kriterium heranzuziehen.
Vielleicht um einige Staaten mehr als andere zu begünstigen? Sehen Sie sich das Beispiel des Vereinigten Königreichs an, das auch Nicht-EU-Bürgern das Wahlrecht für die Europawahlen einräumt. Herr Lamassoure und Herr Severin: Ihre Behauptung, niemand würde im Vergleich zum Nizza-Vertrag benachteiligt, ist in meinen Augen eine grobe Entstellung, die andere gerade zu rücken haben werden.
Aus diesem Grund können wird dem Bericht nicht zustimmen. Darüber hinaus benachteiligt er nicht nur unser Land, nicht nur mein Land, sondern auch andere Länder der Union. Und er wirkt sich nachteilig auf die repräsentative Demokratie und auf den zukünftigen Vertrag aus, der, wie von Ihnen selbst anerkannt wird, Leitlinien und Grundsätze enthält, auf die sich die Sitzverteilung im Parlament stützen sollte. Man kann den Begriff der Unionsbürgerschaft als Grundlage der demokratischen Legitimation unseres Hohen Hauses nicht außer Acht lassen.
Roberto Musacchio (GUE/NGL). – (IT) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich befürworte eine entscheidende Rolle des Europäischen Parlaments, die oft in Abrede gestellt wird, doch mit diesem Vorschlag scheinen die Regierungen unser Hohes Haus zum Werkzeug machen zu wollen.
Dieser Vorschlag zur Sitzverteilung ist unserer Auffassung nach unvernünftig. Italien wird benachteiligt und das ist Grund zur Besorgnis, doch was vor allem zählt ist, dass die Gründe für diese Benachteilung abwegig sind.
Es wird mit einer historischen Parität gebrochen, insbesondere wird bei der Sitzzuteilung im Namen einer Wohnbevölkerung differenziert, der kein Staatsangehörigkeitsrecht gewährt wird. Und es werden diejenigen benachteiligt, die, wie Italien, den nicht im Lande wohnenden Bürgern das Wahlrecht eingeräumt haben. Es ist etwas ganz anderes vonnöten: Ich denke zum Beispiel, dass wir wirklich eine an den Wohnsitz gekoppelte Staatsangehörigkeit brauchen, die jedoch nicht nur für die Anzahl der zu wählenden Parlamentsmitglieder, sondern auch im Hinblick auf das aktive und passive Wahlrecht mitzuzählen ist.
Es ist erforderlich, die Vertretung der politischen Minderheiten und der kleinen Staaten zu gewährleisten, indem in den in den nationalen Wahlgesetzen zu befolgenden Kriterien ausdrücklich darauf hingewiesen wird, und es muss über neue Formen zur Aufwertung der europäischen Parteien und ihrer Fähigkeit, sich als solche zur Wahl zu stellen, nachgedacht werden. Nichts von dem ist in dem Bericht enthalten, und deshalb werde ich gegen ihn stimmen.
Jens-Peter Bonde (IND/DEM). – (DA) Frau Präsidentin! Der Bericht, den das Parlament morgen annehmen wird, blockiert gewissermaßen den Beitritt der Türkei und anderer bevölkerungsreicher europäischer Länder zur EU. Deutschland hat dann doppelt so viel Einfluss im Rat, während kleine Länder nur noch halb so viel zu sagen haben. Zugleich bekommen einige größere Länder mehr Sitze im Parlament. Insgesamt wird Deutschland weiterhin dafür entschädigt, dass es im Rat die gleiche Stimmenzahl hatte wie Italien, das Vereinigte Königreich und Frankreich, obwohl es derzeit im Rat den maximalen Wert umgerechnet auf jeden Deutschen bekommt. Ich denke nicht, dass die größeren Länder solche Gewinne wieder erreichen werden, und die kleineren Länder können nicht mehr erreichen, wenn die Wähler Entscheidungen als rechtmäßig anerkennen sollen: Hören Sie auf Herrn Lax.
Ich appelliere an die größten Länder, innezuhalten und nachzudenken. Es kann nicht beides geben, ein bevölkerungsabhängiges Abstimmungssystem im Rat und ein annähernd gleiches Abstimmungssystem auch im Parlament. In den USA herrscht im Senat Gleichheit zwischen den Bundesstaaten. In Deutschland hat das Saarland, mit einer Million Einwohner, drei Stimmen im Bundesrat, während Rheinland-Pfalz, mit einer Bevölkerung von 18 Millionen, sechs Stimmen hat; das deutsche System ist also kaum als gerecht zu bezeichnen. Als mein Land der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist, hatte Deutschland dreimal so viele Stimmen im Rat wie Dänemark; jetzt wird es 15-mal mehr Stimmen haben. Zuvor hatte Deutschland dreieinhalb Mal so viele Sitze im Parlament wie Dänemark; jetzt werden es 8-mal so viele sein. Dies ist zu unausgewogen und wird niemals das Verständnis der Wähler finden. Es wird die EU zerstören – das ist das Problem.
Philip Claeys (ITS). – (NL) Frau Präsidentin! Gestatten Sie mir, zunächst meine Bedenken gegen den Zeitpunkt des Entschließungsantrags, den wir heute behandeln, zu äußern. Auf seiner Tagung im Juni hatte der Europäische Rat das Parlament um die Vorlage eines Entwurfs der künftigen Zusammensetzung des Parlaments ersucht, doch jetzt stellen wir fest, dass der gesamte Vorschlag auf dem Reformvertrag beruht, einem Text, der noch nicht einmal ratifiziert, geschweige denn in Kraft getreten ist. Mit anderen Worten, wir zäumen das Pferd beim Schwanz auf. Übrigens geschieht dies nicht zum ersten Male, und allmählich wird es wirklich skandalös.
Ich spreche hier nicht im Namen der ITS-Fraktion, sondern als Vertreter eines kleineren Mitgliedstaates – oder besser gesagt, eines künftigen Mitgliedstaates, denn es geht nicht mehr um die Frage, ob, sondern wann Belgien geteilt und Flandern ein unabhängiger Staat wird. Dies nur nebenbei.
Der in dem vorliegenden Bericht verteidigte Grundsatz der degressiven Proportionalität stellt meines Erachtens den praktikabelsten und gerechtesten Ausgangspunkt dar, sofern zumindest die Auffassung vertreten wird, dass die kleineren Mitgliedstaaten und ihre Vertreter in diesem Parlament weiterhin eine bedeutsame Rolle spielen können müssen.
Ich befürworte jedenfalls eine breite Auslegung dieses Grundsatzes der degressiven Proportionalität und gedenke daher den entsprechenden Änderungsantrag von Herrn Bonde zu unterstützen. Meiner Meinung nach liegt es im Interesse der Europäischen Union, dass die kleineren Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament optimal vertreten sind. Andernfalls werden die europäischen Institutionen bei der Bevölkerung weiter an Rückhalt verlieren.
Sylwester Chruszcz (NI). – (PL) Frau Präsidentin! Wir führen heute hier im Europäischen Parlament zwei aufeinander folgende Aussprachen, die uns sagen werden, wie die Ordnung der Europäischen Union aussehen wird und wie die Macht verteilt wird. Für mich, als Vertreter Polens und der Liga Polnischer Familien, ist dies eine sehr traurige Debatte.
Ich blicke sehr kritisch auf diesen neuen Versuch, den Verfassungsvertrag unter dem Namen Reformvertrag einzuführen, und auch auf die neue Stimmverteilung im Europäischen Parlament, die mein Land diskriminiert. Der Bericht, der auf dubiosen und weit hergeholten Argumenten beruht und vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments angenommen wurde, benachteiligt eindeutig einige Länder und bevorzugt andere; und dies auch nicht zum ersten Mal. Ich kann ihm meine Zustimmung nicht geben.
Außerdem fordere ich den polnischen Präsidenten auf, diesen Vertrag in der nächsten Woche in Lissabon abzulehnen.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Nach meinem Dafürhalten ist dies einer der traurigsten Tage in unserer Parlamentsarbeit in diesen fünf Jahren, weil ich zumindest persönlich zum ersten Mal das Gefühl habe, dass wir zu einem zwischenstaatlichen Gremium geworden sind. Es erinnert mich an die Nächte in Amsterdam im Jahr 1997 und an die Nächte in Nizza im Jahr 2000. Und heute in der Fraktion und ich denke, auch hier im Plenum, können wir sehen, worum es geht.
Ich hatte wirklich geglaubt, das Europäische Parlament sei da, um die Interessen aller europäischen Bürger zu vertreten, nicht aber engstirnige nationale Interessen.
Auf dem Tisch liegen drei Optionen: einer ist der Vorschlag Severin-Lamassoure, bei dem es sich meines Erachtens um einen europäischen Vorschlag handelt. Es ist ein ausgezeichneter Vorschlag, und beide haben eine hervorragende Arbeit geleistet, die unseren Glückwunsch verdient.
(Beifall)
Die zweite Option besteht darin, zu Nizza zurückzukehren. Vielleicht wollen das einige; ich weiß es nicht. Aber wollen wir das wirklich? Führen wir deshalb diese ganze Debatte? Wollen wir zu Nizza zurückkehren? Will Spanien Sitze verlieren? Will Polen Sitze verlieren? Ich weiß es wirklich nicht.
Die dritte Option würde ich als provokatorische Option bezeichnen, die zwei Provokationen umfasst: eine besteht darin, den großen Ländern wesentlich mehr und den kleinen Staaten wesentlich weniger zu geben. Die andere Provokation kam von der anderen Seite, nämlich den Kleinen viel und den Großen absolut nichts zu geben. Wollen wir das? Sitzen wir deshalb hier zusammen? Ich glaube nicht. Zumindest hoffe ich das nicht.
Bei der morgigen Aussprache geht es um die Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments und darum, ob wir eine rationale, logische und gerechte Entscheidung treffen können. Sind wir in der Lage, einen Vorschlag zu unterbreiten oder sind wir auch nicht anders als die einzelnen Mitgliedstaaten?
(Beifall)
Jo Leinen (PSE). – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Parlament bringt mit diesem Bericht Lamassoure/Severin eine Vorleistung. Wir machen die Sitzverteilung schon im Jahr 2009, während die neue Formel für die Stimmverteilung im Ministerrat ja erst im Jahr 2014 zur Geltung kommt. Aber wir sind bereit, diese Operation für die nächste Periode schon jetzt einzuleiten. Allerdings gilt der ganze Vorschlag nur unter der Voraussetzung eines neuen Vertrags. Wird der neue Vertrag nicht angewendet, dann bleibt es bei dem Vertrag von Nizza und den Beitrittsverträgen, das heißt, alle Länder bekommen weniger Sitze. Deshalb müsste es ein großes Interesse geben, diesen Vorschlag morgen im Plenum zu unterstützen.
Ich danke den beiden Berichterstattern Lamassoure/Severin für die Arbeit, die sie geleistet haben. Man kann nicht alle zufrieden stellen, das wäre ein Wunder, aber ich verwehre mich dagegen, was hier von polnischer Seite gesagt worden ist, dass jemand diskriminiert wird. Es wird niemand diskriminiert. Im Gegenteil: Hier ist ein Vorschlag gemacht worden, der plausibel ist und Kriterien folgt, die objektiv sind und nach denen die Sitze, die wir haben, verteilt werden können.
Wir müssen allerdings eine Debatte weiterführen, die die italienischen Kollegen in Gang gesetzt haben, nämlich die Debatte darüber, ob die Begrifflichkeit der Bürgerschaft in der Europäischen Union dieselbe ist wie jene der Bürgerschaft auf nationaler Ebene. Der Nationalstaat hat die Grenzen zugemacht und hat alle anderen ausgeschlossen. Die EU beruht auf einem anderen Konzept, und wir sind in der Tat dabei, diese Debatte zu vertiefen, damit alle Bewohner der EU von uns repräsentiert werden und nicht nur diejenigen, die den Pass eines Mitgliedstaates besitzen. Es gibt 30 Millionen in der EU, die nicht den Pass eines Mitgliedstaates haben, die aber unsere Gesetze befolgen.
Wir kommen in der nächsten Periode noch einmal darauf zurück. Ich danke für diesen Vorschlag, der uns jetzt weiterbringt auf dem Weg zu einem erfolgreichen Abschluss der Regierungskonferenz und zum neuen Europavertrag.
Margarita Starkevičiūtė (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Herrn Stubb lediglich darauf aufmerksam machen, dass Litauen in keinem der von ihm angeführten Fälle etwas gewinnt.
– (LT) Ich möchte Alexander Stubb sagen, dass Litauen in allen drei Fällen die gleiche Anzahl an Sitzen hätte, denn im ersten Fall steht die Zahl fest, im zweiten Fall auch, und im dritten Fall... Wir führen hier als Parlament eine Aussprache (und der Parlamentspräsident hat in dieser wichtigen Sitzung nicht den Vorsitz), wir führen eine Aussprache über das Parlament und ich sehe auch Herrn Lamassoure nicht. Ist er im Saal? Warum also die Aussprache? Die Schlüsselfiguren sind nicht mehr da. Es ist doch alles klar. Ich erwähne das, weil wir über unser gemeinsames Haus, über das gemeinsame Europa sprechen müssen und dabei auch die Stimmen aus jedem Land gehört werden sollten.
Das Problem meines Landes besteht darin, dass wir jahrhundertelang ums Überleben gekämpft haben. Wir sind eine kleine Nation. Viele unserer Bürger leben inzwischen in anderen Ländern, arbeiten in Ihren Unternehmen und werden Europas Probleme praktisch nicht lösen können. Wir versuchen, die Beziehung zu erhalten, eine Nation zu sein und nicht von der Landkarte zu verschwinden, aber diese Menschen dürfen nicht wählen, weil die Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament von der Einwohnerzahl abhängt. Diese Menschen leben leider in Ihrem Land, Alexander, oder in Großbritannien und Irland, und gehen einer ehrlichen Arbeit nach. Natürlich könnten sie die Abgeordneten von Schweden, Finnland, Großbritannien oder Italien wählen, aber daran gehen wir als Nation kaputt. Das ist meine größte Sorge und deshalb tut es mir Leid, dass wir – wie es Herr Lamassoure sagte – in diesem Parlament so wenig über Werte sprechen. Die heutige Aussprache ist das perfekte Beispiel dafür. Wenn ich mir die Namen ansehe, weiß ich genau, wer wie viele Sitze hat und kann schon im Voraus sagen, welche Meinungen hier vertreten werden.
Bogdan Pęk (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Ich bin seit langem an die schamlose Scheinheiligkeit in diesem Hause gewöhnt. Heute aber möchte ich eine Frage stellen. Na gut, was Sie wollen, wie ich es aus den meisten der heutigen Reden entnehmen kann, ist eine Veränderung im Abstimmungsprinzip und bei der Sitzverteilung im Europäischen Parlament, sodass die Staatsangehörigkeit zu einem bestimmten Land nicht entscheidend ist. Anders ausgedrückt behaupten Sie, dass wir jetzt schon eine integrierte europäische Bevölkerung haben, mit einheitlichen Normen und Interessen. Dies wäre dann ein europäisches Volk.
Ich möchte alle Scheinheiligen hier fragen, wie es sein kann, dass das arme alte Polen nur ein Drittel der Agrarsubventionen erhält, und dass die Deutschen, die Reichsten von allen, trotz der gemeinsamen Energiepolitik über die Köpfe der anderen Staaten hinweg mit Russland verhandeln und eine Pipeline unter der Ostsee bauen wollen, trotz der Gefahren für die Umwelt? Wie passen diese beiden Dinge zusammen? Und wenn es stimmt, was ich sage, ist es dann nicht noch zu früh, den Mythos eines europäischen Staates zu schaffen? Wir müssen daran arbeiten, aber langsam und systematisch, wohingegen übereilte Handlungen dieser Art nur zu Ergebnissen führen können, die das Gegenteil von dem sind, was wir wollen.
Gerardo Galeote (PPE-DE). – (ES) Frau Präsidentin! Ich habe Verständnis für die Schwierigkeit des Unternehmens und zolle der Arbeit der Berichterstatter Lob und Anerkennung.
Allerdings hat ihr Vorschlag zur Sitzverteilung nach meiner Auffassung in einigen Punkten zu viel Ermessensfreiheit und berücksichtigt auch nicht ausreichend das aus dem bestehenden Vertrag von Nizza übernommene notwendige institutionelle Gleichgewicht.
Deshalb haben einige MdEP Änderungsanträge unterzeichnet, die dem Plenum morgen unterbreitet werden und die, das möchte ich betonen, das Prinzip der degressiven Proportionalität voll respektieren; und aus unserer Sicht objektivieren sie auch die künftige Verteilung der Sitze und verbinden sie mit klaren und transparenten Kriterien.
Einer dieser Änderungsanträge, auf den ich besonders eingehen möchte und der in den Wahlen von 2009 in Kraft treten würde, steht im Einklang mit einer der klügsten Studien, die von der spanischen Regierung erarbeitet und an das Parlament und den Rat übermittelt wurden.
Wie Sie verstehen werden, meine Damen und Herren, stehe ich nicht im Verdacht, die Vorschläge der gegenwärtigen spanischen Regierung aus Gründen der Parteizugehörigkeit zu verteidigen, doch es ist wahr, dass in diesem Fall der demografische Faktor stärker herangezogen wird und dass er bei der Zusammensetzung der Institution, die die Interessen der Menschen vertritt, als wichtig betrachtet werden sollte.
Deshalb, Frau Präsidentin, möchte ich die Berichterstatter ersuchen, die Änderungsanträge zu berücksichtigen, und meine Kollegen Abgeordneten bitte ich, für sie zu stimmen. Auf jeden Fall hoffe ich, dass sie präsentiert, verteidigt und vom Europäischen Rat in die Überlegungen einbezogen werden, wenn er in der nächsten Woche seinen Beschluss fasst.
Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Das war kein leichtes Unterfangen, und ich denke, dass uns Herr Lamassoure von der Fraktion der Europäischen Volkspartei und Herr Severin von der Sozialdemokratischen Fraktion einen ausgezeichneten Bericht vorgelegt haben, der von einem tiefen europäischen und proeuropäischen Geist durchdrungen ist.
Herr Stubb hat Recht: Dies ist eine der traurigsten Aussprachen, die ich in diesem Haus erlebt habe, doch ich hoffe, dass morgen das Abstimmungsergebnis zu diesem Bericht einer der besten Momente sein wird, die wir erfahren werden, denn dieser Bericht, der nicht mehr nur der ihre, sondern mit einer Zustimmung von 70 % auch der des Ausschusses für konstitutionelle Fragen ist, gibt erstens eine Antwort auf die Forderung des Rates an dieses Haus; zweitens wendet er das Prinzip der degressiven Proportionalität an, drittens garantiert er ein repräsentatives Parlament, was mit dem Vertrag von Nizza unmöglich gewesen wäre, zum Teil weil die Frage der Vertretung für einige Länder, wie Spanien, nach diesem Vertrag unbegründet und ungerechtfertigt jeder proportionalen Logik entbehrte.
Glücklicherweise löst der Vorschlag von Herrn Lamassoure und Herrn Severin vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen dieses Problem in angemessener Form.
Das ist die Frage: entweder dieser Bericht oder Nizza. Entweder dieser Bericht mit einem repräsentativen Parlament oder Nizza mit einem nicht voll repräsentativen Parlament. Dazu kann man so viele Versprechen geben, wie man will, doch was wir natürlich benötigen, ist ein realistischer Bericht, damit die Bemühungen des Parlaments auf dem Gipfel von Lissabon anerkannt und zusammen mit der Annahme des neuen Reformvertrags unterstützt werden. Vielen Dank.
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Frau Präsidentin! Lassen Sie mich damit beginnen zu sagen, dass die Abgeordneten der FDP diese Abstimmung für morgen freigegeben haben. Es wird also keine einheitliche Linie geben. Warum ist das so? Es gibt ein Dilemma. Natürlich, die Situation für Deutschland verschlechtert sich. Statt bisher 832 000 Wählerinnen und Wähler pro Abgeordneten werden es jetzt 858 000 sein. Das Parlament will das schon ab 2009 machen. Im Rat geht es erst ab 2014 los. Hierauf wird unter anderem verwiesen.
Auch gute deutsche Zeitungen wie der Berliner Tagesspiegel schreiben, morgen würden die Sitze neu verteilt werden. Es gibt Kollegen, die hier im Parlament sagen: Morgen verliert Deutschland drei Sitze. Das Problem – und das geht jetzt zu dem Teil über, zu dem ich persönlich stehe – ist, dass das falsch ist. Der Bericht Lamassoure/Severin sichert die höchstmögliche Anzahl von Sitzen, die Deutschland nach dem Vertrag bekommen kann. Bereits in Nizza wurde festgelegt, dass es maximal 96 Sitze sind. Der Bericht schreibt das eindeutig fest.
Warum also diese Debatte? Warum die Provokation mit dem d’Hondt-Verfahren, bei dem ausschließlich die großen Länder gewinnen und die kleinen massiv verlieren? Es ist ein Vorschlag, der von den Kollegen der CDU zu meiner großen Überraschung unterstützt, sogar initiiert wird. Was soll das eigentlich? Ich glaube, dass das ein uneuropäischer Vorschlag ist. Die Balance, der gerechte und faire Ausgleich zwischen großen, mittleren und kleinen Ländern geht dabei verloren. Es ist zudem ein Vorschlag, der im Rat nicht die geringste Chance hat. Glauben wir und die Kollegen von der CDU denn wirklich, dass man in Belgien, Irland, Schweden oder Estland keine Analysen machen kann und diesem Vorschlag im Rat zustimmen wird? Nein! Dieser Vorschlag ist eine inhaltsleere Blase, die ohne jede Konsequenz zerplatzen wird – mit einer Ausnahme. Diese Konsequenz ist eine weitere europapolitische Verschlechterung des Klimas bei uns zu Hause in Deutschland.
Wir sollten den Bericht Lamassoure/Severin unterstützen. Wir sollten dafür sorgen, dass vom Europäischen Parlament ein starkes politisches Signal an den Rat ausgeht, dass wir unsere Angelegenheiten selber regeln können. Wenn dieses Signal, ein europäisches Signal, stark ist, dann ist das gut für uns alle, und ich schließe Deutschland ausdrücklich mit ein.
Jean-Luc Dehaene (PPE-DE). – (NL) Frau Präsidentin! Wie in diesem Haus schon mehrfach gesagt wurde, steht bei dieser Aussprache letztendlich die Glaubwürdigkeit des Parlaments auf dem Spiel. Es geht darum, ob das Parlament imstande ist, seine Aufgabe, einen Vorschlag mit großer Mehrheit zu unterbreiten, zu erfüllen, so dass es für den Rat schwierig sein wird, diesen Vorschlag zu ignorieren.
Der Bericht Lamassoure/Severin hat das Verdienst, dass darin ein pragmatischer Vorschlag gemacht wird, der allen Anforderungen des Vertrags gerecht wird. Es gibt nicht vier, sondern eigentlich nur zwei Alternativen, nämlich den Bericht Lamassoure/Severin oder Nizza. Gelingt es uns nämlich nicht, die Unterstützung einer breiten Mehrheit für einen Vorschlag zu finden, wird dies dem Rat ebenso wenig gelingen, und wir werden zum Nizza-Vertrag zurückkehren.
Einige der eingereichten Änderungsanträge verstehe ich nicht so richtig. Obwohl der Änderungsantrag, bei dem es um die Quadratwurzel geht, zweifellos eine starke Stütze für die kleineren Länder bedeutet, stellt er im Grunde eine Karikatur der Proportionalität dar. Ebenso wenig verstehe ich den vor allem auf deutsche Anregung eingereichten Änderungsantrag, in dem die Position der kleineren Länder nicht berücksichtigt und gefordert wird, den großen Mitgliedstaaten im Rat mehr Möglichkeiten einzuräumen.
Muss ich vielleicht verstehen, dass hiermit hinterlistig ein Zurück nach Nizza betrieben wird und Deutschland wieder 99 Sitzen erhalten soll? Wenn dies der Fall ist, hieße dies meines Erachtens eine erhebliche Schwächung dieses Parlaments. Hoffentlich wird das Parlament morgen zu der Einsicht gelangen, dass seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht, die es nur bewahren kann, wenn es den Bericht-Lamassoure/Severin mit breiter Mehrheit unterstützt, denn dies ist der einzig realistische Änderungsvorschlag.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Ich kann schwerlich einen Bericht akzeptieren, nach dem mein Land und – ich sollte es sagen, und ich werde es sagen, die polnischen Bürger, da sie es sind, die ihre Vertreter wählen – die Möglichkeit verlieren, drei zusätzliche MdEP zu wählen. Um diese Zahl soll laut dem heute vorgelegten Vorschlag die polnische Vertretung im Europäischen Parlament reduziert werden.
Warum finde ich dies ungerecht, und warum bin ich der Meinung, dass die Kriterien in diesem Bericht wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen haben, wie diejenigen, die meine Parlamentskollegin aus Litauen heute bereits erwähnt hat? Hier geht es um Arbeiter, um Angestellte, um Polen, die zeitweise im Ausland leben – drei Millionen Polen im Ausland. Nehmen wir an, sie haben in Großbritannien oder Irland das Recht zu wählen, aber sie kommen nach Hause. Meine Frage ist: Wer wird sie vertreten? Ihnen wird das Recht auf Vertretung vorenthalten, selbst wenn sie das Wahlrecht hätten.
Dieser Bericht, und dies ist meine zweite Bemerkung, betont das institutionelle Ungleichgewicht, das bisher, so fragil es auch sein mag, zwischen der Position der Mitgliedstaaten im Rat und im Parlament bestand. Polen hat beim Übergang zur Abstimmung mit doppelter Mehrheit die meisten Verluste im Rat, und es verliert auch im Parlament.
Meine letzte Bemerkung betrifft ein gewisses Ungleichgewicht, das hier heute schon angesprochen wurde, bei der Anstellung von Beamten bei EU-Institutionen, und insbesondere im Parlament. Dieses Ungleichgewicht, das alle neuen Mitgliedstaaten betrifft, könnte hier im Parlament ausgeglichen werden. Ich fordere eine Abänderung dieses Berichts.
Alfonso Andria (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich bin ich mir darüber im Klaren, dass die Aufgabe, die sich die Kollegen Lamassoure und Severin aufgebürdet haben, nicht leicht war, doch muss ich sagen, dass mich trotz ihrer Bemühungen das Ergebnis sowohl unter rechtlichem Gesichtspunkt als auch in rein politischer Hinsicht sehr bestürzt.
Der Vorschlag bezieht sich erstmals auf ein auf der Wohnbevölkerung eines Mitgliedstaates beruhendes Berechnungskriterium und setzt es an die Stelle des Kriteriums der Unionsbürgerschaft. Hier tut sich ein Problem der rechtlichen und politischen Übereinstimmung mit dem Inhalt des zukünftigen Reformvertrags auf, insbesondere mit Artikel 9A, wo der Grundsatz der Vertretung der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ausdrücklich festgeschrieben ist. Das Problem ist meiner Meinung nach auch ein politisches, weil die Funktion des Parlaments als Stimme und Sprachrohr der Bürger etwas getrübt wird, überdies zu einem Zeitpunkt, da sich die Union bemüht, die Kultur der Unionsbürgerschaft, der Identität und der Rechte der Unionsbürger zu verbreiten.
Und bitte reduzieren Sie das Problem nicht wieder auf eine nationale Forderung oder, schlimmer noch, auf ein rein quantitatives Problem. Das wäre ein absolut restriktiver und trivialer Ansatz, der schlichtweg kleinlich gegenüber der Reputation Italiens wäre. Ich stelle jedoch auch eine Ungleichbehandlung, eine uneinheitliche Staffelung fest; oft rechtfertigen die Bezugsparameter nicht in jedem Falle die Unterschiede in der Anzahl der Sitze der einzelnen Länder.
Abschließend, Frau Präsidentin, fordere ich die Kolleginnen und Kollegen zu einer Abstimmung auf, die im Einklang mit den Bestimmungen der Verträge und mit der Rolle steht, die wir als Abgeordnete bisher hatten und haben sollten: Sprachrohr der Bürgerschaft.
Riccardo Ventre (PPE-DE). – (IT) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stubb, der leider schon gegangen ist, sprach heute Abend von einem der traurigsten Tage, und auch andere Kollegen haben sich in dieser Richtung geäußert. Ich glaube jedoch, dass es traurig wäre, besonders jene Länder und EP-Mitglieder zu diskriminieren, die sich um die Durchsetzung der Grundprinzipien bemühen, wie es Herr Voggenhuber treffend formulierte und Frau Muscardini zum Ausdruck brachte.
Hier geht es nicht darum, den Bericht Lamassoure-Severin in Frage zu stellen, der vermutlich eine gute Arbeit, jedoch auf Sand gebaut ist. Es gibt in der Tat einen Rechtsgrundsatz, der in seiner Ganzheit und in seiner Prägnanz verletzt wird, nämlich der Grundsatz der Bürgerschaft. Das wurde auch von jenen gesagt, die ihn unterstützt haben; das ist auch an den Kompromissvorschlägen von Lamassoure und Severin zu sehen; das hat Herr Leinen gesagt und das wurde glänzend von Herrn Duff formuliert: Hier haben wir keine Sicherheit in Bezug auf die Wählerschaft!
Und auf dieser völlig ungewissen Wählerschaft wollen wir ein Kriterium oder ein Schloss errichten, das in sich stabil ist – mit Ausnahme der Basis, des Fundaments –, und das wird uns zu einer Zusammensetzung führen, die absolut keine Rücksicht auf den vorherigen Bestand und auf die Bürger nimmt. Das wird uns in letzter Konsequenz – passen Sie gut auf, ich möchte kein Unglücksprophet sein – vor den Gerichtshof bringen. Denn es ist ganz natürlich, wahrscheinlich sogar geboten, dass diejenigen, die sich als geschädigt betrachten, in extrema ratio vor den Gerichtshof ziehen werden als oberstem Entscheidungsgremium für eine so wichtige Frage.
Ich appelliere an meine Regierung, an die Regierung meines Landes, die vom Berliner Gipfel bis heute in dieser Angelegenheit große Schwäche gezeigt hat, endlich stolz ihr Haupt zu erheben und in Bezug auf diesen Vorschlag ihr Vetorecht auszuüben.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen haben wir die historische Chance, die Entscheidung über die zukünftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen. Der Bericht, den die Herren Lamassoure und Severin aus diesem Anlass vorgelegt haben, beweist ein hohes Maß an Qualität, Gleichgewicht und Verantwortung. Er bietet eine pragmatische Lösung, die die Regierungskonferenz uneingeschränkt annehmen sollte, da sie kein Hindernis für die Annahme des Reformvertrags darstellt.
Die vorgeschlagene Sitzverteilung beruht auf dem Grundsatz der degressiven Proportionalität. Es ist ein gerechtes Prinzip der Solidarität zwischen großen, mittleren und kleinen Ländern. Die vorgeschlagene Lösung beruht außerdem auf dem Grundsatz der Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Auch das ist ein gerechtes, korrektes Prinzip. Dennoch lehnen einige Mitglieder diese Lösung ab. Sie sind der Meinung, dass ihre Länder diskriminiert würden. Ich sehe allerdings keine Anzeichen von Diskriminierung. Diskriminierung und Ungleichheit wären gegeben, wenn zwei Länder die gleiche Zahl von Abgeordneten stellen würden, obwohl das eine Land fünf Millionen Einwohner mehr hat. Ich bin zuversichtlich, dass das Parlament morgen diese historische Chance nutzen und den Bericht von Alain Lamassoure und Adrian Severin mit großer Mehrheit annehmen wird.
Ihn nicht zu unterstützen, würde die Rückkehr nach Nizza bedeuten, zu einer Alternative, die auch jenen Mitgliedern Nachteile brächte, die erst kürzlich den Slogan „Nizza oder Tod“ skandiert haben.
Jacek Protasiewicz (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Wir diskutieren heute einen sehr wichtigen Bericht, auf dessen Grundlage über die Sitzverteilung in der nächsten Wahlperiode entschieden werden soll.
Die Berichterstatter haben einen sehr interessanten Vorschlag unterbreitet, der sicher viel Arbeit bereitet hat, sowohl analytisch als auch konzeptuell. Ich möchte Ihnen dafür meinen ehrlichen Dank aussprechen. Meiner Ansicht nach hat der Bericht aber zwei ernsthafte Schwächen. Erstens schlagen unsere Parlamentskollegen eine Ad-hoc-Lösung vor, die zeitlich begrenzt ist und sich ausschließlich auf die nächste Wahlperiode bezieht. Ich rufe aber in Erinnerung, dass wir zu Beginn der Arbeit an diesem Bericht im Ausschuss für konstitutionelle Fragen vereinbart haben, dass wir nach systematischen Lösungen suchen werden, die eine automatische Änderung der Zusammensetzung des Parlaments möglich machen, wenn neue Staaten der EU beitreten.
Der Alternativvorschlag, der von etwa 80 MdEP stammt, zu denen auch ich gehöre, erfüllt diese Bedingungen. Die Anwendung des d’Hondt-Verfahrens zur Berechnung der Stimmenanzahl der einzelnen Staaten ist ein objektives Instrument, das politischen Kuhhandel verhindert. Mit der Annahme dieser Änderungen könnte das Europäische Parlament die erste Institution werden, die sich über politische und nationale Auseinandersetzungen erhebt. Ich akzeptiere eine neutrale, mathematische Methode, um die Stärke der einzelnen Länder zu bestimmen. Dies wäre ein Schritt in die richtige Richtung und ein Modell, dem andere multinationale europäische Institutionen folgen könnten.
Eine andere Schwäche in dem vorgeschlagenen Konzept ist die fehlende Konsistenz in der Haltung gegenüber den Rechten der europäischen Bürger. Zu diesen gehört das Recht, in diesem Forum vertreten zu werden. Meiner Ansicht nach schwächt das Kriterium, die Größe der Vertretung im Parlament aufgrund der Bevölkerungszahlen zu berechnen, dieses Recht. Wie werden sich etwa die polnischen Bürger fühlen, die in Irland oder Großbritannien leben und arbeiten? Verschiedene Schätzungen legen nahe, dass davon zwei bis drei Millionen Menschen betroffen sind.
Gemäß den in Polen geltenden Wahlbestimmungen darf für Kandidaten gestimmt werden, die sich in Polen zur Wahl stellen. Legen wir aber das im Bericht vorgeschlagene Kriterium der Bevölkerungszahlen an, dann wird sich die Anzahl der MdEP aus meinem Land aufgrund der Bürger, die das Land verlassen, verringern, während sie auf den Britischen Inseln steigen wird. Wer also wird sie hier in diesem Forum vertreten? Irische MdEP oder britische oder polnische, von denen es dann weniger gibt? Der Bericht gibt keine Antwort auf diese Fragen. Ich bin in diesem Zusammenhang der Meinung, dass wesentliche Änderungen am Text des Berichts notwendig sind, und ich werde zusammen mit vielen Parlamentskollegen für bestimmte Änderungsanträge stimmen.
Stavros Lambrinidis (PSE). – (EL) Frau Präsidentin! Es ist unbestritten, dass die derzeitige Sitzverteilung im Europäischen Parlament die demografische Realität in den Mitgliedstaaten nicht ausreichend widerspiegelt und dass einige kleine und mittlere Länder dadurch benachteiligt werden.
Die Tatsache, dass die im Vertrag von Nizza festgelegte Zahl von Sitzen im Bericht nicht verringert wird, ist sicher positiv. Ich muss allerdings auch betonen, dass für Griechenland eine Erhöhung der Zahl der Sitze von 22 auf 23 vollauf gerechtfertigt wäre, weil das Land 10 % mehr Einwohner hat als andere Länder mit der gleichen Zahl an Sitzen im Parlament.
Ich möchte mich heute aber hauptsächlich auf die verschiedenen Änderungsanträge konzentrieren, die zur Berechnungsgrundlage der Sitzverteilung im Europäischen Parlament vorgelegt wurden. Das Problem ist, dass nicht die Gesamtbevölkerung des Landes, sondern nur die Einzelbürger berücksichtigt werden. Ich befürworte das Konzept des europäischen Bürgers, aber hier bin ich absolut dagegen, wie es hier in Anwendung gebracht wird. Als MdEP vertrete ich die Einwohner meines Landes: unabhängig davon, ob sie griechische oder europäische Bürger sind, ziehen sie unsere Kinder groß, kümmern sich um unsere alten Menschen, bauen unsere Häuser, lehren an unseren Universitäten, zahlen Beiträge in unser Versicherungssystem ein und schicken ihre Kinder auf unsere Schulen. Unsere Beschlüsse zu unzähligen Themen, wie z. B. Umwelt, Dienstleistungen, Einwanderung und Versicherung, verändern das Leben dieser, unserer Mitbürger, die oftmals gerade die am wenigsten privilegierten sind. Aus diesem Grund glaube ich, dass wir die demokratische Pflicht haben, die Sitzverteilung im Parlament an die Gesamtzahl der Gebietsansässigen eines Landes zu koppeln.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Die heutige Debatte über die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ist leider keine Sternstunde europäischer Demokratie geworden. Es ist vielleicht ganz gut, dass weder die Kommission noch der Rat die Zeit gefunden haben, hier zuzuhören.
Wir haben Rednern zuhören müssen, die mit sehr viel Pathos Grundsätze vorgetragen haben, Grundsätze, die uns allerdings im Konkreten nicht weitergeführt haben und die daher außer Pathos nichts zu bieten hatten. Eigentlich haben wir sehr, sehr viele gehört, die ihr nationales Eigeninteresse in den Vordergrund gestellt haben. Auf der Suche nach einer europäischen Lösung war das sicher kein zielführender Weg, so gesehen wird uns das wahrscheinlich auch nicht zu einer Lösung bringen.
Wir haben Gott sei Dank auch einige gehört, die pragmatisch vorgegangen sind, nach nachvollziehbaren Lösungen gesucht haben und daher im Vorschlag unserer beiden Berichterstatter – Alain Lamassoure und Adrian Severin – eine taugliche Grundlage gefunden haben. Ich glaube, wir haben den beiden Berichterstattern für die Arbeit, die sie im Ausschuss und auch in der weiteren Folge geleistet haben, herzlich zu danken. Das ist etwas, was die mediterrane Höflichkeit normalerweise immer gebietet, aber in diesem konkreten Fall haben sich die beiden Berichterstatter diesen Dank wirklich verdient. Daher auch von jemandem, der nicht aus dem Mittelmeerraum kommt, herzlichen Dank.
Ich hoffe, und ich freue mich auch darauf, dass wir vielleicht dann morgen bei der Abstimmung eine Sternstunde für dieses Parlament erleben. Dann nämlich, wenn wir es schaffen, klare und eindeutige Mehrheiten für den Vorschlag der Kollegen Lamassoure und Severin zu bekommen und auf diese Art und Weise dem Rat doch noch ein gutes Signal geben können. Das Europäische Parlament hat jedenfalls für die Wahlen 2009 eine vernünftige Geschäftsgrundlage vorgeschlagen.
VORSITZ: MAREK SIWIEC Vizepräsident
Panayiotis Demetriou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Um den Vorschlag der beiden Berichterstatter, Alain Lamassoure und Adrian Severin, richtig einschätzen zu können, müssen wir bestimmte Fakten berücksichtigen und nach bestimmten Regeln vorgehen.
Erstens sollten wir den Bericht aus europäischer und nicht aus nationalistischer Sicht betrachten. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir uns darüber streiten, welches Land mehr und welches weniger Sitze bekommt. Zweitens sollten wir gewisse Tatsachen nicht vergessen. Das Europäische Parlament entscheidet heute nicht über seine Zusammensetzung, sondern macht dem Rat nur einen Vorschlag. Der Rat muss bestimmte Grenzen und Prinzipien beachten, auch die Vergangenheit, obgleich uns das nicht besonders ausgewogen erscheinen mag.
Darüber hinaus dürfen wir die rechnerischen Fakten nicht außer Acht lassen. Es gibt insgesamt 750 Sitze, mit einer Höchstzahl von 96 und einer Mindestzahl von 6 pro Mitgliedstaat. Wir können nicht anfangen, mit Bevölkerungsteilen zu feilschen, die im oder außerhalb des Landes leben. Wir brauchen einen Kompromiss für die derzeitige Situation, abgestimmt auf die Einwohnerzahl und das, was in anderen Bereichen gilt. Wir sind doch nicht hier, um die EU neu zu gründen. Wenn das so wäre, müssten wir andere Berechnungsgrundlagen heranziehen. Heute kommt es darauf an, dass wir eine Entscheidung fällen, die auf größtmögliche Zustimmung im Europäischen Parlament trifft, damit wir unsere Glaubwürdigkeit erhalten und gleichzeitig den europäischen, nicht den nationalistischen Bewegungen den Weg bereiten. Ich appelliere dabei besonders an die hochverehrten Deutschen, die immer großzügig waren. Hätten sie in der Vergangenheit die gleichen Tendenzen gezeigt wie heute, gäbe es keine EU. Mein Appell geht aber auch an die Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten. Lassen Sie uns morgen den Bericht von Alain Lamassoure und Adrian Severin mit der größtmöglichen Mehrheit annehmen.
Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident! Wenn wir von der direkten Proportionalität bei Wahlen abweichen, wird uns das unvermeidlich zu politischen Kompromissen führen und wir werden nicht mehr mit reiner Mathematik arbeiten können. Der demokratische Grundsatz, dass alle Stimmen das gleiche Gewicht haben müssen, kann erst dann durchgesetzt werden, wenn die Europäische Union zu einem voll und ganz föderalen System wird.
Im Rahmen der vom Rat vorgegebenen Grenzen ist dieser politische Kompromiss von Herrn Severin und Herrn Lamassoure ein vernünftiger und ausgewogener Versuch, für alle Menschen der Europäischen Union gleiche Bedingungen und Solidarität zu schaffen. Ihm gilt meine Unterstützung, und ich lehne die vorgeschlagenen alternativen Systeme als weniger gerecht und weniger ausgewogen ab.
Da hier einige jedoch so vorgehen, als sei dies ein nationaler Egotrip, sei an dieser Stelle betont, dass es darum geht, wie die Bürger gemäß ihren politischen Präferenzen ihre Vertreter für dieses Parlament wählen, damit sie gemeinsam mit dem Rat als Teil der Legislativbehörde agieren. Der Staat wird vom Rat vertreten und nicht von diesem Haus.
Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Genau wie in der europäischen Verfassung wird auch im Reformvertrag der Grundsatz verankert sein, dass jeder Mitgliedstaat, egal wie groß er ist, angemessen, mit mindestens sechs Sitzen, im Europäischen Parlament vertreten sein muss. Mein Land, Malta, hat im Moment fünf Sitze und wird damit einen Sitz gewinnen. Das wird eine Wunde heilen, die uns vor sieben Jahren beigefügt wurde, als Malta im Vertrag von Nizza nur fünf und nicht wie Luxemburg, das die gleiche Einwohnerzahl hat, sechs Sitze bekam.
Sechs Sitze statt fünf, das ist eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl um 20 %, und es bedeutet, dass die maltesischen Abgeordneten in diesem Hohen Haus ihren ständig zunehmenden parlamentarischen Pflichten besser nachkommen können. Ich verweise nur auf die Arbeit in den mehr als zwanzig Parlamentsausschüssen, die selbst mit sechs Abgeordneten kaum zu schaffen ist. Mit fünf ist es völlig unmöglich. Diese Ausschüsse bereiten Gesetze vor, die für alle Bürger verbindlich sind, auch für die Malteser. Da ist es gut, wenn die Bürger jedes Landes, auch des allerkleinsten, in jedem dieser Ausschüsse gut, angemessen und vernünftig vertreten werden und Gehör finden. Erst recht, wenn man bedenkt, dass das Europäische Parlament mit dem neuen Vertrag mehr Befugnisse bekommt und neben der Kommission wirklich in allen Bereichen als Mitgesetzgeber fungiert.
Die Mindestzahl von sechs Sitzen ist ein positiver Schritt und wird gerade bei den kleinen Ländern das Vertrauen in die Europäische Union stärken. Daher sollten wir den Bericht Lamassoure-Severin, wie ich meine, unterstützen.
Adrian Severin (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Es ist nur dann schwierig, eine Erklärung zu verstehen, wenn die Durchsetzung Ihrer Interessen davon abhängt, dass man diese Erklärung nicht versteht. Leider sind viele unserer Kollegen gegangen, weil sie gar keine Erklärung brauchen: Sie wollten lediglich ihren Standpunkt darlegen, mehr nicht.
Ich möchte jedoch ganz kurz einiges klarstellen. Wenn dieser Bericht nicht angenommen wird, werden wir nicht nur zu Nizza zurückkehren, sondern es wird noch schlimmer werden. Laut Mandat der Regierungskonferenz werden im Vertrag 96 Sitze als Maximum für ein Land genannt – und damit gilt Nizza, und Deutschland wird 96 Sitze haben. Wenn sich Deutschland jedoch gegen diesen Bericht stellt, dann sichert es sich damit nicht die 99 Sitze, die es gegenwärtig hat, und dessen sollte es sich bewusst sein.
Frau Grabowska wollte wissen, was mit den polnischen Bürgern geschieht, die teilweise in Polen und teilweise im Ausland leben. Das hängt von ihrem Wohnsitz ab: Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als Touristen im Ausland weilen oder sich nur kurze Zeit im Ausland aufhalten; wenn sie jedoch ihren Wohnsitz im Ausland haben und lediglich ihre Familie in Polen besuchen, dann zählt ihr Wohnsitzland. Natürlich können sie wie alle anderen Unionsbürger auf die gleiche Weise wählen. Ferner fragte Frau Grabowska an, wer sie vertreten wird. Das ist vollkommen klar – die Abgeordneten, denen sie ihre Stimme geben. Alle Unionsbürger haben das Wahlrecht, und alle europäischen Bürger werden durch die Abgeordneten vertreten, für die sie stimmen.
Einige Kollegen erklärten, und ich will dabei nur einen italienischen Kollegen zitieren: zum ersten Mal in der Geschichte der Union ziehen wir die Einwohner und nicht die Bürger in Betracht. Das ist falsch! Seit dem Vertrag von Rom haben wir immer die Einwohner, die Bevölkerung, in Betracht gezogen. Wenn Sie diese Gepflogenheit ändern wollen, dann können Sie das auf jeden Fall tun, aber bitte behaupten sie hier keine Dinge, die absolut unwahr sind.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sagen: Wenn es hier ein Problem gibt, dann ist es die fehlende Harmonisierung der einzelstaatlichen Wahlgesetze. Zugegebenermaßen wäre ich für eine Angleichung dieser Gesetzgebung, doch das ist ein anderes Thema. Das braucht Zeit, und wir müssen uns mit dieser Frage gesondert befassen. Ich wünsche den Berichterstattern, die sich mit der Angleichung der Wahlgesetze befassen werden, viel Glück und hoffe, dass ihnen das gelingen möge. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hoffe ich jedoch nur, dass wir morgen – nachdem wir eine Nacht darüber geschlafen haben – eine Abstimmung haben werden, die auf alle Fälle die Glaubwürdigkeit dieser Institution bekräftigen wird.
Der Präsident. – Meinem Parlamentskollegen wurde als Berichterstatter zusätzlich Zeit zugesprochen. Ich möchte Herrn Severin versichern, dass dies weder mit seinem Bericht noch mit seiner Person zusammenhängt. Meine Erfahrung sagt mir, dass Parlamentarier besser sprechen können als zuhören. Und so hat es sich auch während dieser Aussprache herausgestellt.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, am 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Dieser Vorschlag fällt in den Rahmen der so genannten Europäischen Verfassung, die auf dem Gipfel in Lissabon mit einem neuen Vertrag wieder mittels Druck und Drohungen, wie schon vor seiner Ablehnung bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden 2005, durchgesetzt werden soll.
Statt das Prinzip souveräner und gleichberechtigter Staaten zu achten, was von den bevölkerungsreichsten Ländern zumindest die so oft gerühmte Solidarität und eine Wahrung des Gleichgewichts innerhalb der einzelnen Organe (Rat, Kommission und Europäisches Parlament) verlangen würde, will man Mindest- und Höchstzahlen festlegen und die degressive Verhältnismäßigkeit auf der Basis der Einwohnerzahl anwenden, wodurch Länder in Abhängigkeit von ihrer Einwohnerzahl untergeordnet werden und der repräsentative Charakter der Demokratie stetig untergraben wird. Die Schieflage, die vor dem Vertrag von Nizza bestand, wird nicht einmal in Betracht gezogen.
So verliert beispielsweise Portugal zwei Abgeordnete und hat dann lediglich 22, während Spanien vier gewinnt; Deutschland wird mit Sicherheit drei Abgeordnete verlieren und hat dann noch 96; hinzu kommen Frankreich mit 74, das Vereinigte Königreich mit 73, Italien mit 72, Spanien mit 55 und Polen mit 51. Die sechs europäischen Mächte kommen allein schon auf 420 Abgeordnete und damit wesentlich mehr als die Mehrheit eines Europäischen Parlaments mit 750 Abgeordneten, die 27 Mitgliedstaaten vertreten.
Deshalb werden wir gegen den Bericht stimmen.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Herr Präsident! Ich vertrete einen kleinen Mitgliedstaat an der Peripherie der Europäischen Union. Für mich bedeutet das, dass ich Verständnis dafür aufbringe, wie wichtig es bisweilen ist, nationale Interessen vehement zu verteidigen und unsere unterschiedlichen Bedingungen in den Vordergrund zu rücken. In der Regel haben die Kolleginnen und Kollegen aus den großen Mitgliedstaaten dies begriffen, zumindest die in meiner Fraktion. Sie sind vorsichtig damit, unsere Auffassungen einfach abzulehnen, um zu verhindern, dass die großen Länder in der Union die kleinen überrollen.
Bei der Ausarbeitung des Berichts von Herrn Lamassoure wurde die Stimme eines kleinen Landes insoweit gehört, als ich, ebenso wie die anderen finnischen Abgeordneten, an den 14 Parlamentssitzen Finnlands festgehalten habe.
Es ist völlig statthaft, einmal gewonnene Vorteile zu verteidigen. Jetzt aber sind die Änderungsanträge zu dem Bericht, die von den finnischen Abgeordneten eingebracht wurden und die darauf abzielen, den einen Sitz zu behalten, weder im Ausschuss durchgegangen, noch hätten sie eine Chance, sich im Plenum durchzusetzen. Der Hauptgrund dafür ist vermutlich der, dass auf den erreichten Vorteil bereits gewissermaßen verzichtet worden ist; schließlich hat Finnland in den Verhandlungen von Nizza den 13 Sitzen zugestimmt.
Mit dem Lamassoure-Bericht gerät noch viel mehr in Gefahr. Die von den deutschen, spanischen und polnischen Delegierten in meiner Fraktion vorgeschlagenen Änderungen gefährden ernsthaft die Chancen der kleinen Mitgliedstaaten, Einfluss im Europäischen Parlament zu nehmen. Der Änderungsvorschlag, wonach jeder Mitgliedstaat ab 2014 sechs Sitze hätte und der Rest der Sitze im Parlament nach dem d'Hondt-Verfahren verteilt werden soll, würde das derzeitige System der degressiven Proportionalität, das die beste Garantie für eine objektive Entscheidungsfindung in der Union darstellt, komplett zerstören. Die Änderung würde in der Praxis bedeuten, dass beispielsweise die Zahl der finnischen Sitze, wenn die Erweiterung fortgesetzt wird, auf 10 zurückgehen würde. Das können wir nicht akzeptieren.
Deshalb appelliere ich an Sie alle, sich stets dessen bewusst zu sein, wie wichtig es ist, dass die kleinen Länder Einfluss in unserer Union nehmen können.
Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. – (SV) Die Verteilung der Sitze im Europäischen Parlament zwischen den Mitgliedstaaten darf grundsätzlich nicht willkürlich erfolgen. Bei den nächtlichen Verhandlungen auf dem Europäischen Rat von Nizza waren die Mitgliedstaaten im Prinzip davon abhängig, wie wach eine einzige Person, ihr Staatsoberhaupt, in diesen Nächten war.
Für Schweden war das Ergebnis ausgesprochen schlecht. Obwohl wir nur knapp eine Million Einwohner weniger als Ungarn und Tschechien haben, erhielten wir im Europäischen Parlament fünf Sitze weniger als diese Länder, 19 statt 24.
Es ist wichtig, dass wir für die Sitzverteilung ein Prinzip erhalten, das mit Blick auf zukünftige Erweiterungen der Union stabil ist. Der Grundsatz der Überrepräsentation kleinerer Staaten nach der degressiven Proportionalität muss festgeschrieben werden.
Dieser Bericht schlägt Verbesserungen im Vergleich zur gegenwärtigen Sitzverteilung im Europäischen Parlament vor. Darum unterstützen wir ihn. Allerdings lehnen wir den Gedanken eines einzigen Wahlkreises in der gesamten EU definitiv ab. Damit müsste die Größe der nationalen Delegationen weiter verringert werden. Ein gesonderter EU-Wahlkreis wäre der Versuch, künstlich ein europäisches Volk zu schaffen. Es gibt keine gemeinsame politische Arena in Europa. Ein Versuch, Sprach- und Traditionsgrenzen durch die Bildung eines EU-Wahlkreises zu überwinden, ist zum Scheitern verurteilt.