Der Präsident. − Ich erkläre die am Donnerstag, dem 27. September 2007, unterbrochene Sitzungsperiode für wieder aufgenommen.
2. Nachruf
Der Präsident. − Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die traurige Pflicht, Sie über den Tod eines Kollegen und eines früheren Kollegen zu unterrichten.
Unser Kollege Fausto Correia ist gestern Morgen gestorben. Er wurde am 29. Oktober 1951 in Coimbra geboren und ist nur 55 Jahre alt geworden. Er hinterlässt seine Frau und drei Söhne. Seinem Jurastudium an seiner Heimatuniversität Coimbra schloss sich eine bedeutende Karriere als Rechtsanwalt, Journalist und dann als Politiker in Portugal an. Er hat dem portugiesischen Parlament lange angehört und war auch Staatssekretär bei Premierminister António Guterres. Seit dem Jahr 2004 gehörte er dem Europäischen Parlament an. In Portugal war und bleibt Fausto Correia bekannt und geliebt für seinen unermüdlichen, lebenslangen Einsatz für die Demokratie und seine Hingabe an die Grundwerte der Brüderlichkeit und Freundschaft. Fausto Correia wird seiner Familie, seinen Freunden und uns, seinen Kolleginnen und Kollegen, schmerzlich fehlen.
Ein Kondolenzbuch für Beileidsbekundungen der Mitglieder und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Europäischen Parlaments liegt während der dieswöchigen Sitzung am Mittwoch und Donnerstag vor dem Plenarsaal aus.
Mit großer Trauer haben wir vom Tod unseres früheren Kollegen Christian de la Malène erfahren, der zweimal – von 1959 bis 1961 und von 1962 bis 1994 – Mitglied des Europäischen Parlaments war. Christian de la Malène, der auch ehemaliger Minister unter Staatspräsident De Gaulle sowie Senator war, verstarb am 26. September im Alter von 86 Jahren. Als ehemaliger Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Demokraten für den Fortschritt und der Fraktion der Sammlungsbewegung der Europäischen Demokraten war Christian de la Malène ein überzeugter Europäer mit Herz und Verstand. Sein ganzes Leben lang hat er sich für ein starkes und demokratisches Europa eingesetzt, für eine politische Gemeinschaft.
Christian de la Malène war ein Kollege und Freund, der vielen für seinen Humanismus und sein politisches Engagement in Erinnerung bleiben wird. In diesem Sinne wollen wir seiner in Dankbarkeit gedenken.
Ich darf Sie um ein stilles Gedenken für unsere verstorbenen Kollegen bitten.
(Die Versammlung erhebt sich zu einer Schweigeminute.)
3. Erklärungen des Präsidenten
Der Präsident. − Liebe Kolleginnen und Kollegen, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist nicht nur der Internationale Tag gegen die Todesstrafe. Der Europarat mit seinen 47 Mitgliedstaaten hat den 10. Oktober mit der Unterstützung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission ebenfalls zum Europäischen Tag gegen die Todesstrafe ausgerufen.
Wir sind sehr froh, dass an diesem Tag die Krankenschwestern aus Bulgarien und die Ärzte unter uns sind, die vor kurzem der Todesstrafe in Libyen entronnen sind.
(Anhaltender Beifall)
Ich möchte dies zum Anlass nehmen, die Krankenschwestern Frau Nasya Nenova, Frau Kristiyana Valcheva, Frau Snezhana Dimitrova, Frau Valya Chervenyashka, Frau Valya Siropulo und die Ärzte Herrn Ashraf Ahmed Gomma El Hagous und Herrn Zdravko Gueorguiev sehr herzlich im Namen des ganzen Hauses zu begrüßen.
Sie mussten seit Februar 1999 acht Jahre in Untersuchungshaft in Libyen verbringen, nachdem sie fälschlicherweise beschuldigt wurden, hunderte von libyschen Kindern absichtlich mit HIV infiziert zu haben.
Wir sind gegen die Todesstrafe. Daher haben wir die libyschen Behörden in der Vergangenheit wiederholt dazu aufgerufen, die bulgarischen Krankenschwestern und den palästinensischen Arzt freizulassen.
Die Todesstrafe ist eine schwere Verletzung der Menschenrechte und zuallererst des Rechts auf Leben. Im Namen des Europäischen Parlaments möchte ich an dieser Stelle daher unser unnachgiebiges Engagement im Kampf gegen die Todesstrafe betonen. Wir legen großen Wert darauf in den Beziehungen zu unseren Nachbarn und Partnern in der ganzen Welt.
Wir danken jenen Staaten, die erst kürzlich die Todesstrafe abgeschafft haben, insbesondere Ruanda. Dieses Beispiel zeigt, dass sogar Staaten, deren Bürger die entsetzlichsten Verbrechen erlitten haben, auf die Todesstrafe als Mittel der Justiz verzichten. Eine weitere Gelegenheit, die Abschaffung der Todesstrafe weltweit voranzutreiben, sind die Olympischen Spiele, die kommendes Jahr in Peking stattfinden werden. Sie bieten die Möglichkeit, die Mauern des Schweigens zu durchbrechen, mit denen China die Ausübung der Todesstrafe umgibt.
Die Europäische Union hat der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen Resolutionsentwurf zur Todesstrafe vorgelegt. Diese Initiative, die vom Europäischen Parlament vielfach gerühmt wurde, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe, und wir appellieren in diesem Zusammenhang an die portugiesische Ratspräsidentschaft, dieses Thema auch in New York bei den Vereinten Nationen aktiv voranzutreiben.
Das Europäische Parlament hat dieser Frage viele Debatten gewidmet und allein in diesem Jahr drei Entschließungen zur Todesstrafe angenommen. Eine derart intensive Befassung mit einem Thema hat es im Europäischen Parlament noch zu keiner anderen Frage gegeben. Wir lehnen die Todesstrafe, in welcher Form und aus welchen Gründen auch immer, entschieden ab.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte erreicht, eine Gemeinschaft ohne Todesstrafe zu werden. Das Bekenntnis hierzu ist auch in der Grundrechte-Charta festgeschrieben. Sobald die Charta im Rahmen des Reformvertrages rechtsverbindlich sein wird, können wir sogar sagen, dass die Todesstrafe auf dem Gebiet der Europäischen Union auf allen Ebenen abgeschafft ist. Ich bin froh und dankbar, dass kein Mitgliedstaat der Europäischen Union die Abschaffung der Todesstrafe in der Grundrechte-Charta in Frage gestellt oder jemals ihre Wiedereinführung ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Die Europäische Union kann damit auch in ihrem Handeln als globaler Akteur auf diese außerordentliche Errungenschaft auf dem Gebiet der Menschenrechte verweisen und sie verteidigen.
In Erinnerung an die Opfer bitte ich Sie jetzt um ein stilles Gedenken.
Heute, am Europäischen und Internationalen Tag gegen die Todesstrafe, fordern wir, das Europäische Parlament, all jene Staaten, die noch immer Todesurteile vollstrecken, auf, unserem Beispiel zu folgen: Schaffen Sie die Todesstrafe ab! Die Europäische Union ist bereit und willens, Ihnen dabei ihre Hilfe anzubieten.
(Beifall)
Daniel Cohn-Bendit (Verts/ALE). – Herr Präsident! Ich möchte eine kleine Mitteilung machen und um Ihre Unterstützung bitten. Wie Sie wissen, hatte unsere Fraktion beschlossen, eine erweiterte Fraktionsvorstandssitzung in Moskau abzuhalten, um dort über die verschiedenen Probleme in den Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union mit unterschiedlichen russischen Akteuren – von der Regierung wie auch von der Opposition – zu diskutieren. Leider mussten wir erfahren, dass die russische Regierung unseren Mitarbeitern keine Visa erteilt, so dass diese Sitzung nicht stattfinden kann. Dies geschah eine Woche, nachdem der Unterausschuss Menschenrechte eine ähnliche Sitzung in Moskau veranstalten wollte und auch keine Visa erhalten hat, so dass diese Sitzung auch nicht stattfinden kann.
Wir finden es unerträglich, dass eine Regierung, die von einigen Staatschefs als lupenreine Demokratie bezeichnet wurde, uns nicht erlaubt, dort in Moskau eine lupenreine demokratische Veranstaltung zu organisieren. Wir bitten das Parlament, dies zu kritisieren, und wir bitten Sie, Herr Präsident, dies mit einer schriftlichen Erklärung sowohl an den hiesigen Botschafter als auch an die russische Regierung zu unterstützen.
(Beifall)
Der Präsident. − Vielen Dank, Herr Kollege Cohn-Bendit! Aus Überzeugung und Pflicht werde ich dem entsprechen, worum Sie gebeten haben.
4. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
5. Zusammensetzung des Parlaments: siehe Protokoll
6. Prüfung von Mandaten: siehe Protokoll
7. Zusammensetzung der Ausschüsse und der Delegationen: siehe Protokoll
8. “Dys“kriminierung und soziale Ausgrenzung dysfunktionaler Kinder (schriftliche Erklärung): siehe Protokoll
13. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat: siehe Protokoll
14. Mittelübertragungen: siehe Protokoll
15. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll
16. Vorbereitung des Informellen Gipfels der Staats- und Regierungschefs (Lissabon, 18./19. Oktober 2007)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission über die Vorbereitung des Informellen Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Lissabon am 18./19. Oktober 2007.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, Sie werden sicher verstehen, dass ich, bevor ich konkret zu dem Tagesordnungspunkt spreche, wegen dem ich heute hier bin, Ihnen im Namen der portugiesischen Regierung und des portugiesischen Ratsvorsitzes für die warmherzigen und freundschaftlichen, meines Erachtens ganz und gar angemessenen Worte der Würdigung danke, die Sie zum unerwarteten und schmerzlichen Ableben meines Landsmannes und Abgeordneten dieses Parlaments, Dr. Fausto Correia, gefunden haben.
Portugal war bestürzt über diese Nachricht, denn es war die Nachricht vom Verlust eines Menschen, der wahrhaftig ein guter Mensch und im Kampf für die Menschenwürde und für die Werte, an die wir glauben – die Werte des Rechtsstaates und der Achtung der Menschenrechte – uns allen ein Vorbild war.
Er ist unbestreitbar ein großer Verlust, und uns bleibt nur, wenn wir können, seinem Beispiel zu folgen, und ich bin dem Parlament aufrichtig dankbar für die Worte der Anerkennung, die es für ihn gefunden hat und denen sich die portugiesische Regierung selbstverständlich anschließt.
(Beifall)
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Im vergangenen Jahr berichtete ich dem Parlament, was die Kommission als Triebkraft für Fortschritte in der heutigen Europäischen Union ansieht, und wir haben über den so genannten zweigleisigen Lösungsansatz gesprochen – eine aktivistische politische Agenda und ein ehrgeiziges Herangehen an die Reform des Vertrages waren die Zielsetzungen, die sich gegenseitig ergänzen. In dieser Aussprache herrschte große Übereinstimmung, wofür es meiner Ansicht nach drei Gründe gab.
Sie ist vor allem Ausdruck einer gewachsenen Reife in der Europäischen Union, denn Europa befasst sich heute mit so vielen Bereichen des täglichen Lebens der Menschen – und das hat Erwartungen geweckt. Es wäre ein großer Fehler, wenn wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren würden. Zweitens erforderte nach meinem Dafürhalten die Aufgabe, Europa den Bürgern näher zu bringen, einen neuen Ansatz, und wir müssen uns stärker bewusst machen, wie Europa auf ihre sozialen Bedürfnisse, ihre wirtschaftlichen Erwartungen und die ihnen zugrunde liegenden Werte eingeht. Letztendlich beruhte dieser neue Ansatz nicht nur auf politischem Instinkt: Er stützte sich auf die Arbeit, die die Kommission mit ihrem Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion geleistet hatte und an der so viele Abgeordnete dieses Parlaments aktiven Anteil hatten.
Die informelle Tagung des Europäischen Rates in der kommenden Woche wird ein solcher zweigleisiger Lösungsansatz in Aktion sein. Einerseits werden die Staats- und Regierungschefs die Regierungskonferenz zum Abschluss bringen und einen neuen Reformvertrag abschließen. Andererseits hat der Vorsitz seine Absicht kundgetan, die Aussprache darüber zu vertiefen, wie Europa der Globalisierung begegnen will.
Beginnen wir mit dem Reformvertrag: Uns liegt jetzt ein Text vor – und das ist ein großartiges Ergebnis. Mein Dank gilt dem portugiesischen Ratsvorsitz ebenso wie dem deutschen Ratsvorsitz für die Art und Weise, wie sie den Prozess ruhig und beständig mit großem Engagement vorangebracht haben.
Wie mein Kollege vom Vorsitz möchte auch ich dem Parlament für die konstruktive Rolle danken, die es in dieser letzten Phase gespielt hat. Wir haben gut zusammengearbeitet, und Dank der Arbeit von Herrn Brok, Herrn Barón Crespo und Herrn Duff haben wir einen besseren Vertrag, was die Bestimmungen zu den Rechten und zur Staatsangehörigkeit betrifft. Durch eine feierliche Proklamierung werden wir auch der Charta der Grundrechte vollwertigen Status verleihen.
Erinnern wir uns, wie viele gesagt haben, dass eine EU von 27 Mitgliedstaaten niemals in der Lage sein würde, sich auf einen Vertragstext zu einigen. Schon bald wird sich beweisen, dass sie wieder einmal Unrecht hatten. Unser aller Entschlossenheit, zu einer Einigung zu gelangen, deutet auch auf ein Europa hin, das viele gute Vorschläge für die Zukunft hat. Wenn wir in der kommenden Woche zum Abschluss kommen werden, erfüllen wir unsere Vereinbarung, uns streng an unser Mandat zu halten. Wir müssen nunmehr diese letzte Hürde überwinden. Ich bin mir sicher, dass sich die Staats- und Regierungsoberhäupter durchaus dessen bewusst sind, dass ein Klima der gegenseitigen Beschuldigung und Streiterei in Lissabon in keiner Weise den Prozess der Ratifizierung befördert.
Selbstverständlich hätten wir es vorgezogen, ohne Ausnahmeregelungen zu arbeiten, doch müssen wir das akzeptieren, wenn das der Preis ist, um Fortschritte bei einem ehrgeizigen Reformvertrag zu erreichen. So ist es nun mal mit Kompromissen und Verhandlungen.
Ich möchte mich beim Parlament bedanken, dass es so schnell und effizient auf die Aufforderung des Europäischen Rates reagiert hat, Vorschläge für seine zukünftige Zusammensetzung vorzulegen. Das ist für alle von Ihnen wie auch für die Mitgliedstaaten ein schwieriges und heikles Thema, und ich möchte betonen, dass hier sowohl das Parlament als auch der Rat einer Meinung sein müssen.
Noch ein letztes Wort zum Vertrag: Die politische Einigung im Europäischen Rat ist ein wichtiger Schritt, doch ist sie, wie wir alle wissen, nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich hoffe, es wird uns gelingen, während des Ratifizierungsprozesses zusammenzuarbeiten und diesen als eine Gelegenheit anzusehen, miteinander über die Europäische Union zu sprechen, Dinge zu erklären und einander zuzuhören. Wir sollten – wo immer möglich – unser Vorgehen koordinieren, wie es von der Kommission in der vergangenen Woche in einem neuen Dokument mit dem Titel „Europa gemeinsam kommunizieren“ vorgeschlagen wurde.
Wir brauchen ferner einen Vertrag, der so zugänglich und verständlich wie möglich ist, mit einem konsolidierten Text, der nach Abschluss der Regierungskonferenz schnellstmöglich zur Verfügung gestellt wird. Während dieses Ratifizierungsprozesses, der 2009 in den Wahlen zum Europäischen Parlament gipfelt, ist die Einhaltung unserer politischen Agenda für die Stimmung unter den Europäern von gleicher Bedeutung, und wir verdanken es dem Vorsitz, dass wir in der kommenden Woche eine Aussprache über Europa und die Globalisierung führen werden. Das ist der richtige Zeitpunkt: Mit den Jahren wird immer deutlicher, dass die Globalisierung im Mittelpunkt der Befürchtungen dieser Generation von Europäern steht. Sie berührt alle Bürger auf die eine oder andere Art – durch die Waren und Dienstleistungen, die wir erwerben, die Sendungen, die wir im Fernsehen sehen, die Energie, die wir nutzen, die Arbeit, die wir verrichten. Die Europäische Union hat erfolgreich eine Politik entwickelt, die den grundlegenden Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Sicherheit anerkennt. Doch die Globalisierung ist nichts Statisches, wie die Turbulenzen auf den Finanzmärkten in diesem Sommer nur allzu deutlich gezeigt haben. Wir müssen uns ständig an die sich verändernden Bedingungen anpassen.
Letzte Woche hat die Kommission – worauf Herr Lobo Antunes bereits hingewiesen hat – ein Papier für diese Aussprache angenommen, das auch die Grundlage für Vorschläge im Laufe dieses Jahres zur Überarbeitung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung bildet. Darin heißt es, dass sich Europa für die Globalisierung rüsten muss, um dem Druck erfolgreich standhalten zu können, den diese auf unsere Volkswirtschaften, unsere Institutionen und unsere Bürgerinnen und Bürger ausübt, aber es muss auch die Chance nutzen, um mehr Wohlstand zu schaffen, um die Menschen aus der Armut zu befreien, um neue Märkte für unsere Erzeugnisse zu finden, um enger zusammenzuarbeiten und um die Werte besser gemeinsam zu nutzen. In diesem Papier wird außerdem ganz deutlich gesagt, dass die Globalisierung keine unabwendbare externe Naturgewalt darstellt, bei der die EU lediglich ein passiver Zuschauer ist. Wir können die Globalisierung mitgestalten und geben ihr auch in gewissem Maße nach unserer Vorstellung Gestalt. Das ist unsere Aufgabe: Wir müssen Vertrauen in unsere Werte, in unsere Zukunftsvision und die uns zur Verfügung stehenden Instrumente haben, um dafür Sorge zu tragen, dass Europa im Zeitalter der Globalisierung erfolgreich ist.
Darin wird auch der Protektionismus abgelehnt. Wir sagen „Ja“ zum Schutz unserer Bürger, jedoch „Nein“ zum Protektionismus, durch den sie nur ärmer werden. Es weist unsere Partner darauf hin, dass wir energisch vorgehen und die europäischen Interessen verteidigen werden. Das bedeutet gleiche Ausgangsbedingungen. Das bedeutet dafür zu sorgen, dass Offenheit keine Einbahnstraße ist. Das bedeutet klarzustellen, dass wir nicht zulassen werden, dass unsere hohen Standards auf dem Gebiet der Gesundheit, der Sicherheit, des Umwelt- und Verbraucherschutzes aufgeweicht werden.
Darüber hinaus macht dieses Papier keine Abstriche an unseren Werten. Wir können im Zeitalter der Globalisierung unseren Wohlstand erhöhen, aber wir wollen es auf unsere Weise tun. Unser Wachstum muss nachhaltig sein. Wir haben uns ehrgeizige Ziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und den Einsatz von erneuerbaren Energiequellen gesetzt, und wir werden sie erfüllen. Die Erfüllung unserer Ziele wird eine gute Gelegenheit sein, die Führungsrolle Europas im Vorfeld der Konferenz von Bali zu bekräftigen.
Mithilfe unserer sozialen Modelle werden wir die Vorteile der Globalisierung zum Wohle unserer Gesellschaft nutzen, denn sie gehören zu unseren wertvollsten Errungenschaften. Sie werden es unseren Bürgern ermöglichen, sich anzupassen, und sie für den erfolgreichen Umgang mit schnellen Veränderungen rüsten. Der unmittelbar vor der informellen Tagung des Europäischen Rates stattfindende Dreigliedrige Sozialgipfel wird eine ausgezeichnete Möglichkeit bieten, den Rahmen festzulegen.
Es besteht kein Zweifel, dass die Europäische Union heute den Europäern den Weg weist, um die Globalisierung optimal zu nutzen, um einen kontinentalen Kontext zu schaffen, wozu die einzelnen Länder nicht in der Lage sind. In Form der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung steht uns ein probates Instrument zur Verfügung, um diesen europäischen Interessen nachzukommen. Unsere Wirtschaftsanalyse zeigt, dass die Lissabon-Strategie langsam Ergebnisse bringt. Im Papier wird auf eine Reihe von Politikbereichen hingewiesen, denen in den kommenden drei Jahren bis 2010 mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss: Bildung und Flexicurity neben stärkerer Beachtung einer aktiven Mitwirkung und angemessenem sozialen Schutz; ein europäisches Gesetz für KMU, um Millionen von kleinen Unternehmen innerhalb der EU zu helfen, sich zu entwickeln und damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Das alles ist nicht leicht, aber es ist machbar. Ich weiß, dass dieses Parlament die mit der Lissabon-Strategie gemachten Fortschritte sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene genau verfolgen wird. Ihre Ansichten zu den hier kurz angesprochenen Punkten werden ein wesentlicher Beitrag zu dem Paket sein, das wir im Dezember verabschieden werden.
Die informelle Tagung des Europäischen Rates stellt ein wichtiges Treffen zu einem wichtigen Zeitpunkt dar. Lassen Sie uns die Gelegenheit nutzen und den Europäern zeigen, dass die Europäische Union nach vorn schaut, dass sie ihre Politiken so gestaltet, dass damit die Aufgaben von morgen gemeistert werden können, und dass sie sich mit den richtigen Instrumenten ausstattet.
(Beifall)
Elmar Brok (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Beispiel einer guten Zusammenarbeit zweier Ratspräsidentschaften: der deutschen Ratspräsidentschaft, die ein Mandat vorbereitet hat, das sich jetzt in der Umsetzung durch die portugiesische Ratspräsidentschaft als außerordentlich stabil, weitreichend und tiefgreifend herausgestellt hat. Dass wir jetzt nach der Arbeit der Rechtsexperten vor der Situation stehen, dass die Themen überschaubar und eingrenzbar sind und dies im Rahmen der Außenminister am kommenden Montag vielleicht noch weiter gelingt, zeigt, dass es hier eine wirklich gute Chance gibt, dass Donnerstag nächster Woche der Reformvertrag unter Dach und Fach ist.
Die drei Vertreter haben sich entschlossen, dieses Mandat zu unterstützen. Nicht, weil durch dieses Mandat unsere Träume verwirklicht werden, sondern weil dieses Mandat unter den obwaltenden Umständen das Beste ist, was zu erreichen ist, um zu mehr Demokratie und mehr Handlungsfähigkeit zu gelangen. Zur Handlungsfähigkeit einer erweiterten Union, und mehr Handlungsfähigkeit im Rahmen der neuen Herausforderungen, die wir in dieser Welt haben, von Energiesicherheit über Terrorismus, Außen- und Sicherheitspolitik insgesamt, Globalisierung, organisierter Kriminalität bis hin zum Klimawandel und manchem mehr.
Dies ist dadurch gelungen, dass wir verbesserte Entscheidungsmöglichkeiten im Rat haben, dass neue Zuständigkeiten im Bereich der Energiesicherheit hinzugekommen sind und dass wir im Bereich der Rechts- und Innenpolitik, über die meine Kollegin noch reden wird, die Auflösung der dritten Säule haben, und hier das Europäische Parlament – und das ist der zweite Gewinn – bei diesen Fragen Mitentscheider wird, gleichberechtigter, so dass mit diesem Vertrag in Zukunft in 95 Prozent der Fälle der Gesetzgebung das Europäische Parlament gleichberechtigtes Mitentscheidungsrecht hat, auch im Bereich der Agrarpolitik und des gesamten Haushalts. Es wird oftmals vergessen, dass all dies in diesem Paket enthalten ist. Das heißt, die demokratische Lücke, die die Europäische Union bisher hatte, wird entscheidend geschlossen. Das ist ein wesentlicher Fortschritt!
Andere Länder, die Schwierigkeiten haben, haben im Rahmen dieses Mandats und in den Verhandlungen die Möglichkeiten bekommen, dies durch ein mit klaren Fristen versehenes opt-out auszugleichen, wodurch die Gesamtentwicklung nicht behindert wird, aber ihre Möglichkeiten, die sich aus common law und so weiter herleiten, gewahrt bleiben. Somit sind ihre roten Linien gewährleistet, was den Ratifikationsprozess auch ohne Referendum ermöglichen sollte, wenn ich die entsprechenden Zusagen oder Verlautbarungen im Rahmen der Verhandlungen richtig verstanden habe.
Dadurch, dass die Charta der Grundrechte rechtsverbindlich wird, wird diese Union eine Wertegemeinschaft, auch mit dem opt-out, das jemand haben mag. Aber dieses gilt nicht für europäische Entscheidungen, denn europäische Gesetzgebung wird insgesamt gemacht. Es besteht nur die Frage der Anwendung in einzelnen Mitgliedstaaten, wenn es um die Rechte der Richter und der Bürger geht, und wir müssen sehen, dass wir über die Charta der Grundrechte und die Schaffung der Rechtspersönlichkeit auch hier in eine neue Dimension vorstoßen.
Die Europäische Union hat hier allerdings noch einige Punkte zu berücksichtigen. Punkt 1: Artikel 24 des Mandates – Datenschutz in auswärtigen Beziehungen – muss meines Erachtens neu gefasst werden, bzw. es muss durch eine Erklärung präzisiert werden, dass es nicht allgemeine Fragen des Datenschutzes – wie PNR – betrifft. Dies muss noch geklärt werden. Datenschutz – die Daten der Bürger dürfen ohne gerichtliche Kontrolle und parlamentarische Mitwirkung nicht weitergegeben werden. Das halte ich für eine wesentliche Frage.
(Beifall)
Der zweite Punkt betrifft Übergangsregelungen. Ich möchte auch den Rat und die Kommission um Unterstützung bitten, und dies liegt im Interesse der Kommission. Wenn der Vertrag zum 1.1.2009 in Kraft tritt, dann kann es nicht sein, dass in einem Verfahren „light“ der Außenminister, den wir jetzt nicht mehr so nennen dürfen, also der Hohe Beauftragte, vom Rat benannt wird. Wir möchten, dass all dies im Jahre 2009 in einem Paket gelöst wird, und zwar unter voller Wahrung der Rechte des Europäischen Parlaments. Der Hohe Beauftragte ist auch Vizepräsident der Kommission und muss sich hier allem unterwerfen. Hier ist auch das Interesse der Kommission gegeben: Ein zukünftiger Kommissionspräsident muss ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Hohen Beauftragten haben, der gleichzeitig Vizepräsident ist. Deswegen kann der Hohe Beauftragte nicht ins Amt kommen, solange das Europäische Parlament nicht den Kommissionspräsidenten gewählt hat. Diese Reihenfolge muss gewahrt werden, wenn hier nicht demokratische Rechte ausgehöhlt werden und Schieflagen in Machtzuständigkeiten entstehen sollen. Da müssen wir in den nächsten Tagen noch einige Feinarbeit leisten.
(Beifall)
Der Präsident. − Herzlichen Dank, Elmar Brok, es hätte mich ja auch gewundert, wenn Du neun Minuten gebraucht hättest.
Als nächster Redner der Vertreter in der Regierungskonferenz, Enrique Barón Crespo.
Enrique Barón Crespo (PSE), Berichterstatter. – (ES) Herr Präsident, Herr Ratsvorsitzender, Herr Vizepräsident der Kommission, meine Damen und Herren! Wir Vertreter des Europäischen Parlaments sprechen in einer Vielzahl von Sprachen und gehören unterschiedlichen Fraktionen an, doch uns eint derselbe Wunsch, die Europäische Union durch die Vollendung des Vertrags von Lissabon voranzubringen, eines Vertrags, der die Mitentscheidung in Gesetzesfragen, die einheitliche Rechtspersönlichkeit der Union, den Fortschritt bei der Vergemeinschaftung der Innen- und Außenpolitik sowie der Justiz und die Beteiligung der nationalen Parlamente vorsieht.
Wir wollen mehr Demokratie und mehr Effizienz. Wir bedauern, dass es keine größere Transparenz gibt, doch das gehört zu den Methoden der Regierungskonferenz. Ich muss sagen, dass die Juristen – insbesondere die des Parlaments – uns befähigt haben, die Hieroglyphen zu interpretieren, zu denen diese Unternehmung im positiven Sinne geworden ist.
Ich möchte den Ratsvorsitzenden bitten, dem Parlament etwas zu bestätigen, das nach meinem Verständnis eine ganz klare Verpflichtung darstellt. Die Bürgerinnen und Bürger, die sehr ungerecht in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union relegiert wurden, sind zu dem Vertrag über die Europäische Union in der Fassung zurückgekehrt, die sie seit dem Maastricht-Vertrag hat. Für uns als Bürgervertreter hat dies grundlegende Bedeutung.
Ich muss anerkennen, dass der Ratspräsident uns in einer ungewohnten Geste politischer Deutlichkeit sagte, dass dies unmöglich erschien, und doch erreicht wurde: der erste wichtige Erfolg.
Der zweite Punkt ist die Charta der Grundrechte, das Symbol der Identität der europäischen Bürger. Es ist jetzt keine Erklärung mehr – Nummer 11 –, es ist auch kein Protokoll, es ist „die Charta“, über die wir hier im kommenden Monat förmlich abstimmen werden, mit den Präsidenten der drei Gemeinschaftsinstitutionen, bevor der Ratifizierungsprozess beginnt. Die Charta wird rechtsverbindlich sein, und ich sage das, weil es für mich darauf ankommt, dass dies heute im Protokoll steht, denn das sind, wie ich meine, äußerst wichtige Bedingungen für das Europäische Parlament, unabdingbare Voraussetzungen zur Unterstützung dieses Vertrags.
Es gibt auch noch andere Elemente, bei denen unserer Ansicht nach Fortschritte erzielt werden können. Mein Kollege Elmar Brok nannte das Thema Datenschutz. Wenn es ein heikles Thema gibt, dann dieses.
Einige weitere Fragen sind für uns sehr wichtig. Eine davon ist der Dialog zwischen den Sozialpartnern – der ungerechterweise in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbannt wurde – und eine weitere wesentliche Angelegenheit, bei der wir unserer Auffassung nach durch unsere Unterstützung zur Lösung der Vertrauensprobleme beitragen können, ist die Vermittlung von Sicherheit durch eine Erklärung, wie den Kompromiss von Ioannina, den wir bereits haben, aber über den nicht hinausgegangen werden sollte. Wir glauben nicht, dass es in einem Vertrag einer durch Mehrheit und qualifizierte Mehrheit funktionierenden Union irgendeinen Sinn hat, Elemente der Einstimmigkeit einzuführen, die den Prozess völlig zunichte machen würden. Ich bemerkte in Viana do Castelo – wie sich der Präsident erinnern wird –, dass es sinnvoll sei, die Atombombe zu besitzen, wenn sie nicht zur Anwendung kommt. Wird sie eingesetzt, zerstört sie alles. Und ich glaube, das ist eine wichtige Warnung.
Herr Präsident, ein Punkt ist für das Parlament von Bedeutung, und ich denke, dass ich im Namen der Mehrheit des Parlaments spreche und auf jeden Fall im Namen jener, die den Verfassungsvertrag ratifiziert haben, den wir geopfert haben, um Einstimmigkeit zu erzielen, und hierbei kommt es darauf an, dass wir alle in gegenseitiger Loyalität und Solidarität zusammenarbeiten, um die Ratifizierung zu erreichen. Ansonsten würden wir in eine sehr schwierige Situation geraten. Ich glaube, wir alle müssen dem Versprechen, das wir gegeben haben, treu bleiben. Vielen Dank, Herr Präsident.
Andrew Duff (ALDE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Wie meine Kollegen bin auch ich der Meinung, dass eine politische Einigung auf der Regierungskonferenz in Lissabon möglich ist. Was uns jedoch noch immer Sorge bereitet, ist die Qualität der Einigung. Ich kann nicht umhin, in der gegenwärtigen Phase der Regierungskonferenz meine Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass ein Europa der Selbstbedienung im Entstehen begriffen ist, das im Wesentlichen durch die britischen Forderungen nach Ausnahmeregelungen im Bereich Justiz und Inneres sowie der Grundrechte vorangetrieben wird.
Selbstverständlich muss es in Großbritannien eine Aussprache darüber geben, weshalb britische Bürger von den Vorteilen der Integration auf all diesen wichtigen Gebieten ausgeschlossen werden sollten, doch die Briten müssen auch deutlicher ihre Meinung auf der Regierungskonferenz zum Ausdruck bringen. Was genau wollen sie mit all diesen Ausnahmeregelungen erreichen? Können wir wirklich beruhigt davon ausgehen, dass sich die Regelungen, über die für das Management dieses Verfahrens, bei dem sich jeder das aussuchen kann, was er will, verhandelt wird, in der Praxis bewähren werden und sicherstellen, dass die Gemeinschaftspolitiken auf dem Gebiet der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch weiterhin einheitlich gehandhabt werden und die erforderlichen Mittel und Instrumente für ihre Durchführung bereitgestellt werden? Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Ausnahmeregelung für Großbritannien und Polen bei der Charta die Entscheidung, sie für alle anderen verbindlich zu machen, untergräbt. Ich hoffe, dass die Regierungskonferenz diese Frage gründlich untersucht.
Könnte der Vorsitz von den Briten verlangen, den vom Parlament eingebrachten Vorschlag für eine Ausweichklausel bezüglich des unglückseligen Protokolls zur Charta zu unterstützen? Gleiches gilt auch für Ioannina: Vorsitz und Kommission sollten uns am heutigen Nachmittag zusichern, dass sie auf die unsinnigen Forderungen nicht eingehen werden, die Ioannina-Klausel vom abgeleiteten zum Primärrecht zu machen. Ioannina ist der historische Nachfolger des Kompromisses von Luxemburg; bei dem Kompromiss von Luxemburg handelte es sich um ein Gentlemen’s Agreement und das sollte es auch bleiben, wenn es neben dem Vertrag als Beschluss des Rates aufgenommen wird.
Joseph Daul, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin der Kommission, meine Damen und Herren! Im Namen der PPE-DE-Fraktion möchte ich Frau Wallström und Herrn Lobo Antunes für ihre Beiträge danken.
Die Phase der Reflexion und der Diskussion über die künftige Leitung der Union mit 27 Mitgliedstaaten geht zu Ende. Sind wir reifer geworden? Sind wir bereit, den Worten Taten folgen zu lassen? Im vergangenen Juni stellte Frau Merkel eine Mischung aus Mut, Verantwortungsbewusstsein und politischem Willen unter Beweis. Ohne den strittigen Themen aus dem Weg zu gehen, ist es uns gelungen, unsere Meinungsverschiedenheiten zu verringern. So wurde der Weg schließlich frei, damit sich die Europäische Union die für eine effizientere Arbeitsweise erforderlichen Instrumente geben kann.
Drei Monate sind inzwischen vergangen und der portugiesische Vorsitz konnte den Kurs beibehalten. Wird der im letzten Juni festgelegte Fahrplan bis zum Schluss, bis zum Europäischen Rat von Lissabon eingehalten, wird der portugiesische Vorsitz ein Einvernehmen über die Reform unserer Verträge erzielen können. Ich begrüße hier die Entschlossenheit des portugiesischen Vorsitzes während der Arbeit der Regierungskonferenz. Für das Europäische Parlament und nach Ansicht unserer Kollegen Brok, Barón Crespo und Duff, denen ich sehr herzlich danken möchte, wird die Bilanz der Regierungskonferenz den Erwartungen gerecht, und das von den Staats- und Regierungschefs festgelegte Programm wurde im Großen und Ganzen eingehalten.
Meine Damen und Herren! Auch wenn wir bereit sind, uns mit einem ausgewogenen Kompromiss zufrieden zu geben, sollten wir nicht vergessen, dass wir dies in Ermangelung eines Besseren tun. Ich persönlich denke, dass es lohnender ist, die Gründe herauszustellen, aus denen wir den Vertragsentwurf unterstützen. Zu allererst sind wir überzeugt, dass nur ein vereintes, starkes und effizientes Europa die Geschicke einer Welt beeinflussen kann, die sich so rasant entwickelt, sich ändert und komplex und unbeständig wird. Wenn wir den Vertragsentwurf unterstützen, dann auch deshalb, weil eine effiziente EU mit 27 Mitgliedstaaten nicht auf den Vorschriften des Vertrags von Nizza basieren kann. Darüber hinaus haben wir angesichts der von den europäischen Bürgern geäußerten Bedenken mehr Demokratie und Transparenz gefordert.
Wir sind für eine klare Kompetenzverteilung, für eine stärkere Einbeziehung unserer Mitbürger in den Aufbauprozess der Union und für eine aktive Rolle und eine starke Beteiligung der nationalen Parlamente. Die Reform der Verträge ist die richtige Antwort auf die Erwartungen der Bürger. Der Reformvertrag ist ein Mittel, kein Selbstzweck. Seine Form und sein Name sind nebensächlich. Was zählt sind einzig sein Inhalt und die Fortschritte, die er den Bürgern Europas bringt.
Wir, die Mitglieder der PPE-DE- Fraktion, wollen keinen europäischen Superstaat. Wir wollen nur Effizienz, Demokratie, Transparenz und die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Wir fordern effiziente europäische Organe, die Entscheidungen treffen können, und solange nationale Winkelzüge noch häufige Realität sind, müssen wir deren nachteilige Auswirkungen einschränken, damit Europa nicht gelähmt wird. Jeder Versuch, den Entscheidungsprozess der EU zu blockieren, sollte ausgeschlossen sein. Die Bürger erwarten von Europa, dass es dort handelt, wo es etwas bewegen kann: beim Klima, bei der Energie, der Einwanderung, der Innovation und beim Terrorismus. Ich hoffe und wünsche, dass dieser Vertrag uns die Möglichkeit dazu gibt und wir werden ihn unterstützen.
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke herzlich den Vertretern des Parlaments in der Regierungskonferenz. Unsere Kollegen Enrique Barón Crespo, Elmar Brok und Andrew Duff haben die Interessen des Europäischen Parlaments in hervorragender Weise vertreten. Dafür will ich ihnen im Namen unserer Fraktion ein herzliches Dankeschön sagen.
(Beifall)
Wir haben vom Kollegen Daul zu Recht gehört, dass die portugiesische Ratspräsidentschaft es jetzt in der Hand hat, zum Abschluss zu bringen, was nach dem gescheiterten Anlauf einer europäischen Verfassung notwendig geworden war, nämlich einen überarbeiteten und revidierten Vertrag vorzulegen, sich unter 27 Ländern auf die wesentlichen Elemente der Reformnotwendigkeiten in der EU zu einigen, das Einigungswerk juristisch und politisch in einer Regierungskonferenz, die jetzt zu Ende geht, abzusichern, auf dem Gipfel in Lissabon die Dinge abzurunden und sie dann in die eigentlich entscheidende Phase zu geben, nämlich die Ratifizierung dieses revidierten Vertrags in 27 Mitgliedstaaten unter den spezifischen juristischen und verfassungsrechtlichen Bedingungen eines jeden Landes.
Ich will deshalb das Schwergewicht darauf legen, dass wir optimistisch sein können, was Lissabon angeht. Wenn wir abgleichen zwischen dem, was unter der deutschen Ratspräsidentschaft beim Gipfel als Mandat für die Regierungskonferenz hier in Brüssel erreicht worden ist, und dem, was in der Regierungskonferenz erarbeitet wurde, können wir auch den Berichten unserer Vertreter folgend davon ausgehen, dass das fast – mit wenigen Ausnahmen – deckungsgleich ist. Wir als sozialdemokratische Fraktion sagen: Das muss es auch sein! Veränderungen, die hinter das Mandat zurückgehen, das hier in Brüssel vereinbart worden ist, können und werden wir als Sozialisten nicht akzeptieren – das sei hier klar gesagt. Aber wir gehen davon aus, dass wir einen Entwurf auf dem Tisch haben, der dem entspricht, was hier im Juni vereinbart worden ist und wofür wir alle Frau Merkel gelobt haben.
Wenn wir das nach Lissabon auf die Reise geben, dann wird es interessant. Dann wird sich nämlich die Frage stellen, ob in 27 Mitgliedstaaten dieser Vertrag ratifiziert wird, und dann kommt es auf die Mitglieder dieses Hauses an, dann müssen wir kämpfen. Dann müssen wir in allen Staaten dafür kämpfen, dass das Einigungswerk Europas auch angenommen wird. Denn ich wage die These, dass ein erneutes Scheitern dieses revidierten Vertrags – so wie die Verfassung gescheitert ist – das Ende der Europäischen Union in ihrer heutigen Form sein wird. Deshalb ist jeder aufgerufen, der nicht den Weg der Anti-Europäer gehen will, die hier in diesem Hause sitzen, jeder, der den Weg gehen will, Europa und seine Vertiefung voranzutreiben, für diesen Vertrag zu kämpfen. Ich hoffe, Herr Kollege Daul, dass alle Mitglieder Ihrer Fraktion das dann auch tun werden. Da habe ich meine leichten Zweifel.
Ich sage Ihnen zudem, was wir uns in diesem Hause vor Augen halten müssen, wenn das Vorhaben scheitert. Was passiert, wenn die Europäische Union ihren erneuten Anlauf, den revidierten Vertrag unter Dach und Fach zu bringen, nicht packt? Was kommt auf die Europäische Union zu? Die Europäerinnen und Europäer glauben, wir seien ein großer Kontinent: 500 Millionen Einwohner in 27 Mitgliedstaaten, ein großer Binnenmarkt. Wir machen 8 % der Weltbevölkerung aus. Indien hat 1,1 Milliarden Einwohner, China 1,3 Milliarden, diese beiden Länder zusammen stellen ein Drittel der Weltbevölkerung dar. Wenn wir auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben wollen, wenn wir das Soziale, das wir in Europa errungen haben, verteidigen wollen, wenn wir die ökonomische Grundlage, die die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit ist, stabilisieren wollen, dann müssen wir im weltweiten Konzert bestehen können. Aber wir können weltweit nur bestehen, wenn diese Union einheitlich ist – ökonomisch, sozial und politisch. Dazu braucht sie diesen Reformvertrag! Wenn sich diese EU in ihre Einzelteile zerlegt, wenn wir den Nationalisten folgen, die den Völkern sagen, wir alleine können es besser als 27 Länder zusammen, dann geht dieser Kontinent schlechten Zeiten entgegen!
Deshalb hoffe ich, dass das, was in Lissabon vereinbart wird, die Ratifizierung übersteht, und deshalb werden wir kämpfen müssen. Wer den Frieden in Europa will, wer Europa als Friedensfaktor in der Welt will, wer wirtschaftliches Wachstum und mehr Jobs und Verteilungsgerechtigkeit in der Union will, der muss diesen Reformvertrag stärken, ihn verteidigen und ihn durchsetzen. Wer das nicht will, wer auf die Renationalisierung setzt, dem sei gesagt, was François Mitterrand in diesem Hause gesagt hat: Nationalismus ist das Gegenteil von europäischer Einigung, und Nationalismus heißt langfristig immer Krieg. Europa ist aber ein Konzept, das aus den Wunden des Kriegs auf diesem Kontinent entstanden ist, und deshalb ist die europäische Einigung auf der Grundlage eines reformierten Vertrags das Ziel aller Demokraten und fortschrittlichen Kräfte auf diesem Kontinent.
Deshalb: Viel Glück für die Regierungskonferenz und für den Gipfel! Aber noch viel mehr Glück für die Ratifizierung in 27 Staaten.
(Beifall)
Graham Watson , im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ministerpräsident Sócrates muss sich wie Englands Heinrich der Fünfte vor der Schlacht von Angincourt fühlen: feindliche Regierungen bereiten sich auf den Kampf vor, entschlossen, die Reform des Vertrages abzuschwächen, vielleicht sogar ein Veto einzulegen. Herr Ratspräsident, Ihr Ministerpräsident muss sich streng an die roten Linien von Europa halten, und er muss in der kommenden Woche einen Vertrag vorlegen, der eine starke, flexible und effektive Union untermauern kann. Deshalb „Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde“ zur hoffentlich letzten Schlacht in diesem Verfassungskrieg.
Dieses Parlament wird Ihre Infanterie sein. Wir wissen, wenn es nicht gelingt, uns über die Reform des Vertrages zu einigen, dann haben wir eine Tragödie shakespearischen Ausmaßes. Weshalb? Weil der Status quo weder in der Vergangenheit, in der Gegenwart, noch in der Zukunft funktioniert. Die Einmütigkeit des Rates bedeutet in der Praxis, dass wichtige Rechtsakte entweder aufgeschoben werden oder auf das Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners gesenkt werden. In einer zunehmend erbarmungslosen, globaleren Welt, wo solche Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und Terrorismus radikale Antworten verlangen, reicht der kleinste gemeinsame Nenner einfach nicht aus.
Auch wenn er keine Verfassung ist, der Reformvertrag ist dennoch trotz all seiner Juristensprache ein Dokument, das Europa stillschweigend revolutionieren kann. Er fördert die Demokratie, und stellt dabei die Mitentscheidung und die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung. Er spricht sich für die Subsidiarität aus, mit einer eindeutigeren Trennung der Zuständigkeiten, und stärkt dabei die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente und die einheitliche Rechtspersönlichkeit der Union, und er trägt zu Transparenz bei, indem er das ordentliche Gesetzgebungsverfahren auf Freiheit, Sicherheit und Recht ausdehnt – einen Bereich, in dem Gesetze, die den Geist einer die Rechte einhaltenden Union verletzen, zu lange hinter verschlossenen Türen verabschiedet wurden.
Der Entwurf Ihres Änderungsvertrags ist nicht ohne Fehl und Tadel: Der Verlust der europäischen Symbole ist ein Schlag ins Gesicht der Föderalisten, so wie es der faule Kompromiss zu den Abstimmungssystemen ist, den sich die Polen ausgedacht haben. Aber damit können wir leben, solange der Ioannina-Kompromiss nicht für alle Zeiten im Vertrag verankert wird.
Eine Sache, die wir jedoch unbedingt brauchen, ist eine Definition der Unionsbürgerschaft in Artikel 8 des Vertrags der Europäischen Union, denn die Bürgerschaft ist ein Symbol, das im Gegensatz zu einer Flagge oder einer Hymne echtes Leben besitzt, das wahre Bedeutung für über 450 Millionen Menschen hat.
Wenn wir unseren Außenminister als „Hohen Vertreter“ bezeichnen, dann bereitet uns das keine großen Sorgen, aber ein Hoher Vertreter, der lediglich eine Marionette des Rates ist, auf alle Fälle. Parlament und Kommission müssen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der Doppelcharakter des europäischen Auswärtigen Dienstes voll und ganz respektiert wird und dass der Gerichtshof die Nutzung personenbezogener Daten im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik überwacht.
Abschließend, und das ist vielleicht das Wichtigste, möchte ich sagen, dass wir keine zwei Klassen von Bürgern haben dürfen. Das widerspricht völlig dem Geist der europäischen Integration, und wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um zu verhindern, dass die britischen und polnischen Ausnahmeregelungen für alle Ewigkeit Bestand haben, indem wir eine Klausel fordern, die einen Widerruf ermöglicht, ohne dass eine Regierungskonferenz dazu einberufen werden muss.
Wir müssen nicht nur bei den Ausnahmeregelungen wachsam sein, sondern auch bei „Regelungen auf Antrag“. Wenn sie nicht ordnungsgemäß formuliert sind, könnten sie es den Regierungen ermöglichen, wichtige Gemeinschaftsvorschriften im Bereich Justiz und Inneres nach fünf Jahren Dialog und Aussprache erst zu verwässern, und dann vorzugeben, sie hätten damit nichts zu tun. Wenn bestimmte Länder einen vernünftigen Kompromiss nicht akzeptieren können, dann sollten wir ihnen Folgendes sagen: „Denkt über eine freundschaftliche Trennung von der Union nach und hört auf, sie als Geisel für eure individuellen Interessen zu nehmen, denn die europäischen Interessen müssen Vorrang haben.“
(Beifall)
Deshalb fordere ich den Rat, die Kommission und unsere eigenen Vertreter auf, im Sinne Shakespeares zu handeln: „Spannt Eure Sehnen..., den Atem hemmt, spannt alle Lebensgeister zur vollen Höh!“, um unsere gemeinsamen Interessen zu verteidigen.
(Beifall)
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Heute haben wir den letzten Abschnitt unserer Arbeit an der Vertragsreform vor uns. Wenn der Gipfel in Lissabon ein erfolgreiches Ende nehmen soll, dann brauchen wir politische Vorstellungskraft. Alle, die die Vertragsreform als Priorität betrachten, sollten sich heute insbesondere fragen: Lohnt es sich, gegenüber Polen und dem Vereinigten Königreich eine härtere Haltung einzunehmen? Lohnt es sich, ein Fragezeichen über das Ergebnis von mehrjährigen Verhandlungen zu setzen?
Wenn wir ihren Befürwortern Glauben schenken, kann die Charta der Grundrechte nur die verbindlichen Regeln verstärken, die wir bereits haben. Vielleicht haben aber auch diejenigen Recht, die auf die unberechenbaren Folgen hinweisen, wenn ihre Bestimmungen vom Europäischen Gerichtshof genutzt werden. Ich habe ähnliche Befürchtungen, und die Vorbehalte des Vereinigten Königreichs und Polens haben deshalb mein volles Verständnis.
Die wichtigsten Ausgleichselemente für die Verluste, die Polen beim Verlassen des Nizza-Systems auf sich nehmen musste, sind der Ioannina-Mechanismus und der feste Posten eines polnischen Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof. Das Unterlaufen dieser Festlegungen ruft bei uns derzeit die Frage hervor, wie ernsthaft die Absicht hier ist. Wie jedes andere Land auch hat Polen das Recht, bessere Instrumente zur Überprüfung der EU-Rechtsetzungsverfahren zu erwarten. Das Fehlen einer angemessenen Legitimation wird schließlich das europäische Projekt in der Zukunft zunichte machen. Die mangelnde Überprüfung der Rechtsetzungsverfahren wurde nicht von Euroskeptikern oder Kriegstreibern erfunden, wie es der immer ziemlich aufgeregte Kollege Martin Schulz darstellt. Sie ist ein Punkt, der vielen ehrlichen Europäern Sorge bereitet. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und vormalige Bundespräsident Roman Herzog hat vor kurzem die Frage gestellt, ob Deutschland angesichts der zahlreichen Regelungen, die außerhalb des Bundestags entstanden seien, immer noch als parlamentarische Demokratie bezeichnet werden könne.
Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenige Tage vor Abschluss der Regierungskonferenz rüsten wir uns für die übliche Nacht und den Tag des Feilschens, an die wir schon gewöhnt sind und die wohl wie immer mit einem auf den kleinsten gemeinsamen Nenner abzielenden Kompromiss besiegelt werden.
Die Lektüre der verschiedenen Texte – die wir uns über verschiedene pseudogeheime Kanäle verschaffen konnten, weil offiziell wenig preisgegeben wurde – zeigt uns, dass diese Texte sehr schwere Kost und mit Sicherheit schwer verständlich sind. Doch die Verhandlungsführer, das wissen wir sehr wohl, haben gar kein Interesse daran, benutzerfreundlich zu sein, von den Bürgerinnen und Bürgern verstanden zu werden und sie an dieser Phase, die eigentlich eine Sternstunde ihres demokratischen Lebens hätte sein sollen, zu beteiligen.
Im Gegensatz dazu haben wir bereits seit Erteilung des Mandats kritisiert, dass das Argument, der Verfassungsvertrag sei zu 90 % in den Reformvertrag übernommen worden, nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass dieser Text wirklich unklar und mit vielen Anmerkungen und Ausnahmeregelungen versehen ist, die die Europäische Union insbesondere im Bereich der Außenpolitik und der Rechtsklarheit schwächen.
Diese Verhandlungen lagen vollkommen in der Hand der Regierungen, fanden hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger statt und profitierten davon, dass die endlosen sprachlichen und bürokratischen Spitzfindigkeiten die Oberhand über jene Leidenschaft und demokratische Teilhabe gewannen, die im Guten oder im Schlechten die Phase des Konvents und auch die der Volksabstimmungen kennzeichneten.
Drei Mitlieder unseres Parlaments nahmen an den Arbeiten der Regierungskonferenz teil und verfolgten die Tätigkeit der Juristen, doch lässt sich nicht leugnen, dass es ihnen nicht gelungen ist, die Transparenz des Verfahrens wesentlich zu erhöhen. Obwohl sie vielleicht den Schaden zu begrenzen vermochten, konnten sie doch keine spezielle Verbesserung bewirken, weil sie keinen Handlungsspielraum dafür hatten.
Allerdings, Herr Schulz, Herr Brok, Herr Barón Crespo und Herr Duff, sehe ich ehrlich gesagt nicht, welche Logik dahinter steht. Wir müssen als Mitverantwortliche dieses Textes betrachtet werden bzw. uns als solche betrachten. Warum also, obwohl ich selbstverständlich zustimme, dass wir versuchen müssen – das hängt jetzt davon ab, was in dem endgültigen Vertrag passieren wird –, die Mitgliedstaaten zur Ratifizierung dieses Textes zu bewegen, sollten wir zuviel des Guten tun? Laut Herrn Schulz hätten wir auch hier unter uns sagen müssen, dass es eine Tragödie wäre, wenn der Text nicht durchkäme, weil dieser Text fantastisch ist, weil dieser Text hier …. Dieser Text ist furchtbar! Jeder, der ihn liest, wird unschwer feststellen können, dass es nicht das ist, was die Bürgerinnen und Bürger wollten.
Trotzdem ist das selbstverständlich besser als nichts! Trotzdem ist es selbstverständlich besser – nein, Martin, beruhige dich, denn ich sage nicht, dass ich ihn ablehnen will –, ich möchte nur sagen, dass wir gegenüber den Bürgern verantwortungsbewusst und glaubwürdig sein müssen, und obwohl dies ein absolut unbefriedigender Kompromiss ist, werden wir ihn unterstützen! Doch dürfen wir nicht lügen und behaupten, das sei das Maximum, was herauszuholen war, weil die Regierungen diesen Verfassungsprozess an sich gerissen und zu dem gemacht haben, was er heute ist, denn er hätte gewiss wesentlich besser ausfallen können.
Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Ich möchte hier nicht noch einmal den allgemeinen Standpunkt wiederholen, den unsere Fraktion gegenüber dem neuen Vertragsentwurf einnimmt. Wir sind dagegen, und zwar nicht aus Gründen des Nationalismus, Herr Schulz, den ich genauso ablehne wie Sie, sondern weil keiner der wesentlichen Kritikpunkte, die im Mittelpunkt der Debatten über den alten Entwurf des Verfassungsvertrags standen – und ich rede nicht von den Symbolen der Union, mit denen wir kein Problem hatten, sondern von der politischen Stoßrichtung der Union – Berücksichtigung gefunden hat. Ich glaube, dass diese Gleichgültigkeit sich früher oder später rächen wird.
Für den Augenblick möchte ich bei einem konkreten Artikel des neuen Entwurfs verweilen, von dem hier schon die Rede war: Artikel 24 des Vertrags über die Europäische Union. Es scheint ein breites Einvernehmen unter uns zu herrschen, diesen infrage zu stellen, und das ist gut. Es handelt sich in der Tat um ein sensibles Thema: der Schutz der Bürger bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. So sollen unterschiedliche Legislativverfahren gelten, je nachdem ob diese Daten innerhalb der Union verarbeitet oder an einen Drittstaat übermittelt werden. Im ersten Fall wäre das Parlament in vollem Umfange zuständig, im zweiten Fall hätte es absolut nichts zu sagen.
Dies ist eine juristische Ungeheuerlichkeit und ein beispielloser Akt der Demokratieverweigerung. Es werden unmittelbare Erinnerungen an den mit dem PNR-Streit geschaffenen Präzedenzfall wach, als der Rat damit einverstanden war, den amerikanischen Behörden vertrauliche Daten von Reisenden in die USA zu übermitteln, obwohl sich das Europäische Parlament entschieden dagegen ausgesprochen hatte. Der Rat würde gerne so weitermachen und er gibt sich die entsprechenden Mittel dafür. Dies ist inakzeptabel und das Parlament sollte das gegenüber dem Europäischen Rat mit aller Klarheit zum Ausdruck bringen.
Ich möchte nur noch so viel hinzufügen: Dieser Streit offenbart indirekt mehrere Tatsachen, auf die meine Fraktion immer wieder aufmerksam gemacht hat. Das ist zunächst der effektiv geringe Einfluss der Charta der Grundrechte. In deren Artikel 8 geht es ausdrücklich um den Schutz personenbezogener Daten, ein Schutz, der so ungeniert missachtet wird und auch in Zukunft missachtet werden soll. Des Weiteren zu nennen ist die beinahe völlige Unverständlichkeit einiger Schlüsselpassagen der Verträge, deren Fallstricke nur ein sehr gut informierter Leser zu entdecken vermag. Und schließlich die vorsätzliche Undurchsichtigkeit der Arbeit der Regierungskonferenz, die so weit als möglich von der öffentlichen und transparenten Ausarbeitung eines Textes entfernt war, der das Leben und die Zukunft der aus 27 Ländern und einer halben Milliarde Bürgern bestehenden EU bestimmen soll.
All dies untermauert unsere in zwei Richtungen gehende demokratische Forderung, und zwar nach einer großen pluralistischen Debatte in jedem Land darüber, worum es in den Verträgen geht, sowie nach einer Ratifizierung per Referendum.
Jens-Peter Bonde, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (DA) Herr Präsident! Die EU hat den neuen Vertragsentwurf am Freitagnachmittag um 17 Uhr veröffentlicht – um sicherzugehen, dass die Medien am Wochenende nicht darüber berichten würden. Dies ist eine hervorragende Pressearbeit, wenn es das Ziel ist, einen Vertrag „einzuschmuggeln“ – aber was ist das für ein hinterhältiges und fieses Verhalten.
Bei der letzten Straßburg-Sitzung der Konferenz der Präsidenten versicherte der Präsident feierlich, dass alle Fraktionen Zugang zu allen Dokumenten der Regierungskonferenz haben würden. Wir haben die Dokumente immer noch nicht. Drei Fraktionen haben privilegierten Zugang zur Regierungskonferenz, während fünf Fraktionen ausgeschlossen sind. Dies ist diskriminierend und widerspricht dem Gleichheitsprinzip – wiederum ein hinterhältiges und fieses Verhalten.
Der neue Vertrag enthält 105 neue Befugnisse für die EU – genau wie die Verfassung. Das Vetorecht und die repräsentative Regierung wurden in 62 Punkten eingeschränkt, im Gegensatz zu 61 in der Verfassung. Neu ist, dass 255 Seiten Änderungen in 2 800 Vertragsseiten eingearbeitet wurden, wodurch der Text für jeden, der kein Experte ist, unlesbar wird – wieder ein hinterhältiges und fieses Verhalten. Die neue EU-Verfassung wird bis zu 3 000 Seiten haben, im Vergleich zu den 560 Seiten der abgelehnten Verfassung. Das also ist aus dem so genannten Mini-Vertrag von Sarkozy geworden. Stellen Sie sich vor, Sie erzählen den Menschen von einem praktischen Mini-Vertrag und legen ihnen dann die abgelehnte Verfassung erneut auf den Tisch, diesmal aber ohne Referendum – auch dies ist wiederum ein hinterhältiges und fieses Verhalten.
Es gibt nicht ein Gesetz, das aufgrund der Verfassung angenommen werden kann und das nicht auch aufgrund des neuen Vertrags angenommen werden kann. Die beiden Texte sind in Bezug auf rechtliche Verpflichtungen identisch; der Unterschied liegt im Namen und darin, dass Volksentscheide über Bord geworfen werden – wieder hinterhältiges und fieses Verhalten.
Solche Feiglinge! Zeigen Sie Ihre Pläne und legen Sie sie den Wählern vor. Unterschreiben Sie die Petition für Volksentscheide unter http://www.x09.eu" .
Frank Vanhecke, im Namen der ITS-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Außer eines neuartigen EU-Verfassungsvertrags, der uns jetzt völlig undemokratisch eingetrichtert wird und gegen den mein Vorredner seine Bedenken geäußert hat, hat sich der Vorsitz des Europäischen Rates offensichtlich einen Durchbruch in Sachen gemeinsame europäische Einwanderungspolitik ebenfalls als vorrangiges Ziel gesetzt. Das Mindeste, was sich dazu sagen lässt, ist, dass eine solche Politik auf europäischer Ebene, über die mittels der besonders undurchsichtigen Beschlussfassung von Kommission und Rat, wie wir sie leider bereits gewohnt sind, in Kreisen entschieden wird, die nichts damit zu tun haben, völlig undemokratisch wäre.
Das Einwanderungsproblem tangiert unsere Bürgerinnen und Bürger persönlich sowie ihre Privatsphäre, und die Verlagerung der Beschlussfassung in diesem Bereich auf die europäische Ebene, in die niemand wirklich Einblick hat, ist in meinen Augen nicht nur undemokratisch, sondern schlichtweg gefährlich.
Der portugiesische Vorschlag, die illegale Migration über legale Einwanderungswege „zu steuern“, ist heller Wahnsinn. Illegale Einwanderung muss durch eine Politik entsprechender Gegenmaßnahmen, durch eine konsequente Ermittlungs- und Ausweisungspolitik, durch strikte Kontrollen an den Außengrenzen sowie durch europäische Internierungs- und Auffanglager in den Herkunftsländern oder zumindest dem Herkunftskontinent angepackt werden.
Hinsichtlich der so genannten unbedingten Notwendigkeit legaler Einwanderung möchte ich darauf hinweisen, dass es in Europa ohnehin schon etwa 20 bis 25 Millionen Arbeitslose gibt, darunter Millionen arbeitsloser Einwanderer mit allen sich daraus ergebenden Folgen. Eine neue legale Einwanderungswelle mit allen damit verbundenen „Familienzusammenführungen“ wird die äußerst gravierende Integrations- und Assimilationsproblematik nur noch weiter verschärfen.
Und sollte es sich wirklich lediglich um Hochqualifizierte handeln – was ich bezweifle –, dann wird hiermit eine Abwanderung von Spitzenkräften aus den armen Ländern organisiert, die absolut skandalös ist; oder ist es unser Ziel, dass Länder arm und unterentwickelt bleiben sollen – in diesem Fall müsste der Rat Farbe bekennen.
Maciej Marian Giertych (NI). – (PL) Herr Präsident! Was diskutieren wir heute? Wir diskutieren eine Verfassung für Europa. Wir diskutieren ein Dokument mit einem anderen Namen, mit anderem Wortlaut, aber mit dem gleichen wesentlichen Inhalt wie die Verfassung, die bereits abgelehnt wurde. Dies ist ein angeblich nachrangiges Dokument, gerade so, dass darüber nicht in Volksentscheiden abgestimmt werden muss. Hier haben wir also die politische Elite der EU, unter ihnen die Mitglieder dieses Hauses, die Europäische Kommission und die nationalen Regierungen, die versuchen, ihre eigenen Wähler und Völker zu hintergehen.
Wir sollen einen Reformvertrag unterstützen, der in Wahrheit die Europäische Verfassung ist, die umbenannte Europäische Verfassung, die die Wähler in Frankreich und in den Niederlanden per Volksentscheid abgelehnt haben, und die in vielen anderen Ländern nicht innerhalb des vorgeschriebenen Zeitraums ratifiziert wurde.
Erinnern wir uns an die Worte von Angela Merkel, und ich zitiere, dass eine „andere Terminologie verwendet“ werden sollte, „ohne den rechtlichen Inhalt zu ändern“ – Zitat Ende.
Genau dies wurde getan, und wir sind aufgefordert, diesen Betrug zu akzeptieren. Wir dürfen uns selbst und unsere Wähler nicht auf diese Weise hintergehen.
João de Deus Pinheiro (PPE-DE). – (PT) In meinem Redebeitrag heute möchte ich in meinem Namen und im Namen der Fraktion, die ich in diesem Parlament vertrete, meine tiefe Trauer über das Ableben von Fausto Correia zum Ausdruck bringen. Er war ein Mann mit Überzeugungen, aber ein liebenswürdiger Mensch, ein sehr guter Mensch, ein Mensch mit großem Mitgefühl. Er fehlt uns sehr.
Zweitens möchte ich sagen, dass der portugiesische Ratsvorsitz Entschlossenheit beweist, und das muss betont werden, wenn er keinerlei Veränderung an den Zielen des Vertrages zulässt, wie sie von den Staats- und Regierungschefs beschlossen wurden. Wir sind sicher, dass er standhaft bleiben wird und dass wir vor dem 20. Oktober einen neuen Vertrag haben werden. Deshalb werde ich nichts weiter dazu sagen.
Was die Lissabon-Strategie betrifft, da muss ich dem Ratsvorsitz und der Kommission gratulieren, weil sie endlich begriffen haben, was wir seit Ewigkeiten sagen: Wenn Kommission im Rahmen der Lissabon-Strategie nicht umfassendere Befugnisse und Zuständigkeiten erhält als ihr 2000 übertragen wurden, wird die Lissabon-Strategie keine Früchte tragen. Ein geeigneter Weg wäre, die Rolle der Kommission auszubauen, sodass sie zum maßgeblichen Faktor der Lissabon-Strategie wird, und wir haben doch die Hoffnung, dass so ein neuer Ansatz letztlich zum Erfolg führt.
Abschließend möchte ich sagen, dass die Einbeziehung der Globalisierung in die Debatte auf dem bevorstehenden informellen Gipfeltreffen ein gutes Zeichen ist, denn die Welt, in der wir heute leben, dreht sich um Globalisierung, und es ist kaum vorstellbar, dass die Gipfeltreffen mit Afrika oder mit Russland – die hoffentlich sehr erfolgreich verlaufen – oder die Diskussion über den Wechselkurs des chinesischen Yuan oder des US-Dollars nicht Teil dieses Phänomens, der Globalisierung, sind.
Man muss hervorheben, wie es die Kommissarin getan hat, dass es wichtig ist, im internationalen Handel und Marktöffnung gemeinsame Regeln zu haben, wie es auch wichtig ist, dass unsere Vereinbarungen mit anderen Geschäfts- und Handelspartnern auf Gegenseitigkeit beruhen. Das ist ein wichtiger Punkt, und schon dafür, und auch wenn es der einzige Grund wäre, könnte man ein Loblied auf diese Mitteilung der Kommission singen.
Herr Lobo Antunes, ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf diesem informellen Gipfel, der vermutlich einer der wichtigsten ist, die wir in den letzten Jahren in der Europäischen Union erlebt haben.
Jo Leinen (PSE). – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sollten die portugiesische Präsidentschaft loben für die Art und Weise, wie die Verhandlungen geführt wurden: sehr engagiert und sehr zielorientiert.
Ich finde es gut, dass Sie sich bis auf wenige Ausnahmen eng an das Mandat vom Juni gehalten und die vielen Extrawünsche abgewehrt haben, angefangen von dem Wunsch der Europäischen Zentralbank, einen eigenen Artikel zu bekommen, bis hin zu dem Wunsch Österreichs, die Zahl der Studierenden aus anderen Ländern zu begrenzen. Das alles gehört nicht in den neuen Vertrag hinein, und ich glaube, Sie sind auf der Zielgeraden. Es fehlt nicht mehr viel, dass wir einen Konsens über den neuen Vertrag bekommen.
Schmerzlich sind die opt-outs. Das macht den Eindruck der Uneinigkeit und der Uneinheitlichkeit. Das fragmentiert die EU und es kostet auch im dritten Pfeiler Zeit, Entscheidungen zu fällen. Das ist wirklich ein Wermutstropfen, vor allem das, was sich Großbritannien gewünscht hat. Andrew Duff hatte von einer Selbstbedienungsmentalität gesprochen. Ich hoffe, das macht nicht Schule.
Ich glaube, die wesentlichen Wünsche aus London sind alle erfüllt worden. Ich habe mit Sorge gelesen, was gestern noch im House of Commons diskutiert wurde. Da geht nichts mehr. Es wäre wirklich unakzeptabel, jetzt noch Nachforderungen zu bringen.
Über den Wunsch Polens, Ioannina irgendwie zu verankern, wird man reden, aber es kann nicht sein, dass die Blockadefähigkeit erhöht wird. Wir wollen ja die Handlungsfähigkeit erhöhen. Das muss ein Ausnahmefall bleiben. Das war ein gentlemen’s agreement, und das darf nicht die Regel werden.
Ich wünsche mir von Kommission und Rat, dass wir die Charta hier im Plenarsaal des Parlaments mit den drei Institutionen proklamieren können. Das wäre wirklich ein gutes Signal draußen an die Bürgerinnen und Bürger. Ich wünsche mir auch, dass sich der Wunsch von Frau Wallström im Vertrag wiederfindet, nämlich dass die Bürger ein Recht auf Information bekommen. Zwei Drittel der Menschen fühlen sich uninformiert. Das wäre ein guter Zusatz in dem Vertrag.
Herr Ratsvorsitzender, das Parlament wird alles tun, damit es einen Vertrag von Lissabon gibt. Ich danke unseren drei Vertretern und auch dem Präsidenten, der bei dem Gipfel in Lissabon dafür Sorge tragen wird.
Sophia in ’t Veld (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Mit Bedauern muss ich feststellen, dass die Rechte der Bürger ganz und gar nicht im Mittelpunkt des neuen Vertrages stehen. Leider wurde die Charta der Grundrechte der Angst der niederländischen Regierung vor einem Referendum geopfert. Die Charta der Grundrechte muss voll und ganz für alle rechtlich verbindlich sein, denn sie stellt die praktische Anwendung unserer gemeinsamen Werte dar.
Was bedeutet eigentlich Opt-out? Ist es der Ausstieg aus gemeinsamen Werten? Oder bedeutet es, dass Polen und die britische Regierung zu diesen Werten nur Lippenbekenntnisse ablegen und ihren Bürgern die Möglichkeit versagen, ihre Rechte durchzusetzen? Was bedeutet ein Opt-out? Schaffen wir hier nicht einen gefährlichen Präzedenzfall? Wir sollten uns die Frage stellen, ob zukünftige Länder, zukünftige Mitgliedstaaten das gleiche Recht auf einen solchen Ausstieg haben. Wenn die Türkei, ein Land, das sehr gern Mitglied der Europäischen Union werden möchte, um einen Opt-out von der Charta der Grundrechte ersucht – gewähren wir ihm dann das gleiche Recht?
Ein weiteres Problem besteht darin, dass zwischen der Verfassung und dem Vertrag irgendwie ein zusätzliches niedrigeres Datenschutzniveau geschaffen wurde – ein niedrigerer Standard, der für das Gebiet der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gilt. Ich prophezeie, dass die Mitgliedstaaten in Zukunft versuchen werden, die Datenschutzbestimmungen zu umgehen, indem sie beispielsweise Antiterrormaßnahmen als Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und nicht der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit ausgeben werden.
Abschließend möchte ich die Kommission und die Mitgliedstaaten noch ersuchen, sobald der Vertrag unterzeichnet ist, im Geiste des neuen Vertrages zu handeln und das Europäische Parlament als Teil der Legislativbehörde in Fragen der Justiz und des Inneren vollständig einzubeziehen und ganz schnell die demokratische Lücke zu schließen, mit der wir so lange leben mussten.
Mirosław Mariusz Piotrowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Staats- und Regierungschefs sind wieder einmal dabei, die Funktionsweise der Europäischen Union zu verändern, indem sie ihr einen neuen Vertrag geben. Diese Sorge um die Völker Europas und ihre Zukunft ist rührend.
Wir können aber nicht zulassen, dass die Entscheidungen eines informellen Gipfels den demokratischen Weg von Referenden in den einzelnen Mitgliedstaaten darüber ersetzen, ob der Vertrag angenommen wird.
Der alte Verfassungsvertrag ist einer Bearbeitung unterzogen worden, die im Wesentlichen aus einigen kleineren Textänderungen besteht. Dadurch kann das Dokument, je nach den derzeitigen politischen Bedürfnissen, entweder als komplett neues Dokument oder aber als der vorherige Vertrag, an dem keine grundlegenden Änderungen vorgenommen wurden, präsentiert werden. Ich möchte deshalb fragen: Wie definieren der Rat und die Kommission das betreffende Dokument? Ist dies ein neuer Vertrag, oder ist es eine abgespeckte Version des alten Vertrags, und wird der Ratifizierungsprozess in allen Mitgliedstaaten neu begonnen werden?
Johannes Voggenhuber (Verts/ALE). – Herr Präsident! Wer beobachtet hat, wie die Regierungen sich im letzten Jahr über die Verfassung hergemacht haben, sie unkenntlich und unleserlich gemacht und ihr den Geist und das europäische Charisma geraubt haben, der musste erkennen, dass all das mit dem, was die Bürger wollten – auch mit denen, die in Frankreich und den Niederlanden Nein gesagt haben –, nicht das Allergeringste zu tun hat.
Wer aber die Geduld und die Zeit aufwenden konnte zu beobachten, was nun in der Vorbereitung der Regierungskonferenz geschieht, der muss sehen, dass sich die Regierungen mit ihren Juristen und Staatskanzleien wie die Termiten über die Architektur dieser Verfassung hermachen. Körnchen für Körnchen, Element für Element wird aus dieser Verfassung herausgeschleppt. Ich frage mich wirklich, warum niemand die Regierungen fragt, was sie da treiben. Ist es wirklich nur die eigene Macht, ist es wirklich die Besinnungslosigkeit vor den Erwartungen der Menschen oder ist es der blanke Nationalismus, den wir in Europa wiederauferstehen sehen?
Die Sprache! Heute gab es eine Delegation aus Österreich von Landtagsabgeordneten, die mich fragten: Wie soll ich Dein Ja zu dieser Verfassung irgendjemandem begreiflich machen? Ich kann sie nicht lesen. Ich kann sie selbst nicht mehr verstehen. Ich weiß nicht mehr, was die Texte, Verweise, Fußnoten und Fußangeln zu bedeuten haben.
Ich glaube, am Ende dieser Regierungskonferenz droht ein Europa, in dem die Menschen zum ersten Mal in der Geschichte die politische Ordnung nicht mehr zu erkennen vermögen, in der sie leben. Und dann werden Sie viele Unterstützer – auch die, die viele Jahre um diese Verfassung gekämpft haben – verlieren.
Die Grundrechte! Frau Vizepräsidentin der Kommission, Sie beschwören den Geist der Kompromisse. Aber warum beschwören Sie nicht die Natur der universalen Grund- und Menschenrechte, die es undenkbar machen, dass wir eine Wertegemeinschaft bilden, in der ein paar Staaten erklären: Dieser Wertegemeinschaft gehöre ich aber nicht an. Wie sollen wir einem Herrn Putin begegnen und ihm sagen: Wir sind die große Wertegemeinschaft für die universalen Menschenrechte – außer ein paar von uns. Das ist ein solcher Riss in der Glaubwürdigkeit Europas, da kann man doch nicht den Geist der Kompromisse beschwören! Da geht es um einen ganz anderen Geist, da geht es um einen großen Ungeist, der hier herrscht. Ich glaube nicht, dass das, was hier im Augenblick geschieht, die Zustimmung der Bürger findet, die wir allerdings ohnehin nicht mehr beabsichtigen zu fragen.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL). – (PT) Herr Präsident! Zunächst möchte ich meine tiefe Trauer und die tiefe Trauer meiner Fraktion zum Ableben unseres Kollegen Fausto Correia zum Ausdruck bringen.
Was den Reformvertrag betrifft, so hat der Ratsvorsitz lediglich wiederholt, dass er sehr hoffe, im Prozess der Wiederbelebung des in der Europäischen Verfassung niedergelegten Projekts eine neue Phase, nicht die letzte, zu erreichen. Also einen Schritt in dem unter Führung des deutschen Ratsvorsitzes im Juni eingeleiteten Prozess voranzukommen, den wesentlichen Inhalt eines abgelehnten Vertrages durchzubringen, indem er in einer anderen Form vorgelegt wird, und so zu versuchen, die Sache widerstandslos und gegen den ausdrücklichen Wunsch der Menschen voranzutreiben, was ein echter politischer Betrug ist.
Dieser Vertrag ist ein Versuch, den Weg für neoliberale Politik freizumachen, die errungenen sozialen Rechten und Fortschritten entgegensteht und damit den Interessen der großen multinationalen Konzerne dient. Föderalismus wird mit den Großmächten am Ruder in einem Rahmen durchgedrückt, der der Union Rechtspersönlichkeit verleiht, während die Staaten ihre Befugnisse verlieren und die Europäische Union als Stützpfeiler der NATO betrachtet wird, um so Einmischung und Interventionsbestrebungen entsprechend den Interessen der Großmächte zu stützen. Dieser Vertrag stellt auf die Schaffung eines politisch-militärischen Wirtschaftsblocks mit imperialistischen Ansprüchen ab. Dieser Vertrag wird die tief greifenden und unüberwindbaren Widersprüche dieser europäischen Integration nicht lösen, sondern sie im Gegenteil noch vertiefen.
Wir unsererseits werden weiterhin die tatsächlichen Ziele dieses Vertrages anprangern, weiterhin dafür eintreten, dass er abgelehnt wird, und weiterhin eine umfassende nationale Debatte und Anhörung des portugiesischen Volkes für ein Europa der Zusammenarbeit für Fortschritt und Frieden zwischen souveränen und gleichberechtigten Staaten fordern.
Abschließend möchte ich meine Unterstützung für die große Kundgebung zum Ausdruck bringen, die von der CGTP-IN unterstützt wird und am 18. Oktober in Lissabon stattfinden soll.
Patrick Louis (IND/DEM). – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Egal, ob man sich darüber freuen oder entrüsten mag, alle sind sich einig, dass der Vertrag, der in Lissabon unterzeichnet werden soll, die Wiederaufbereitung der Europäischen Verfassung ist, die im Jahr 2005 durch zwei Referenden abgelehnt wurde. Wie gestern in einem Bericht des britischen Unterhauses festgestellt wurde, sind alle Aspekte in ihm vereint: der Vorrang des europäischen Rechts, selbst des abgeleiteten, vor dem nationalen und sogar vor dem verfassungsmäßigen Recht; die Rechtspersönlichkeit der Union, die es der Kommission gestatten wird, die Mitgliedstaaten auf der internationalen Bühne zu vertreten; der Außenminister unter anderer Bezeichnung; die größte Übertragung von Zuständigkeiten, die jemals im Verlauf der europäischen Integration stattgefunden hat sowie mindestens 40 neue Bereiche sowie das weite Feld der Grundrechte.
In diesem Gremium, in dem das Wort „Demokratie“ beständig im Munde geführt wird, würde ich gerne an das Gewissen jedes Einzelnen von Ihnen appellieren. Welcher aufrechte Demokrat kann es als normal empfinden, einen Text in Kraft treten zu lassen, den das Volk per Referendum abgelehnt hat? Warum sollte den Menschen ihr Recht entzogen werden, sich zu dem neuen Vertrag und zu jeder neuen Erweiterung zu äußern? Was für ein politisches System glauben Sie zu errichten, in dem unsere Demokratien noch ein bisschen mehr einem System untergeordnet werden, in dem es keine Gewaltenteilung, keine politische Verantwortlichkeit der Regierungen und keine Volksvertretung außer der des einheitlichen europäischen Volkes gibt?
Der italienische Föderalist Tomaso Padoa-Schioppa hat bereits die Antwort gegeben. Ich zitiere: „Zwischen den beiden Extremen, nämlich der allgemeinen Bevölkerungsmeinung und einigen Regierungsspitzen, wurde Europa nach einer Methode geschaffen, die man als ‚aufgeklärten Absolutismus’ bezeichnen könnte“. Er hat Recht! Und das Nein des Volkes zu ihrem aufgeklärten Absolutismus hat die Föderalisten davon überzeugt, dass sie unter anderer Maske noch einmal von vorne anfangen müssen, denn der einzige Unterschied zwischen dem abgelehnten Verfassungsvertrag und dem vorliegenden ist, dass der Erste ehrlich war.
Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Angesichts des bisherigen Vorgehens vermute ich, dass der Rat die Gelegenheit sein wird, wo die britischen roten Linien pinkfarben verwischt werden, um später von dem alles zu einer Föderation zusammenschließenden Europäischen Gerichtshof vollständig ausradiert zu werden. Ob Opt-out, Opt-in oder alles miteinander vermischt – die britische Regierung wird es als Sieg verbuchen, andere werden öffentlich nachgeben in dem Bewusstsein, dass alle scheinbaren Konzessionen eigentlich jeder Grundlage entbehren. All das ist dazu angetan, der britischen Öffentlichkeit weiszumachen, dass sich der Reformvertrag tatsächlich wesentlich von der abgelehnten Verfassung unterscheidet, was offenkundig nicht der Fall ist.
Jetzt, da Gordon Brown sich vor einer Wahl drückt, ist die Notwendigkeit eines britischen Referendums größer denn je zuvor. Keine Wahl bedeutet, dass das von Labour 2005 gegebene Wahlversprechen, ein Referendum abzuhalten, eingehalten werden muss. Wenn kein Referendum stattfindet, so erhält Mr. Brown kein Mandat, um den Vertrag zu ratifizieren, und das ist die Grundlage, auf der sich alle Demokraten im Vereinigten Königreich zusammenfinden sollten.
Timothy Kirkhope (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte dem Rat und der Kommission für ihre Erklärungen danken. Das informelle Gipfeltreffen in Lissabon wird ein herausragendes Ereignis, nachdem der Entwurf des Reformvertrags veröffentlicht wurde, und auf den sich die Staats- und Regierungschefs konzentrieren werden, wenn sie dort zusammenkommen. Aber der Prozess der Regierungskonferenz wurde zu sehr vorangetrieben. So erklärt die britische Regierung, dass sie lediglich zwei Tage Zeit hatte, um über das Mandat nachzudenken. Selbstverständlich gleichen die Vorschläge, wie bereits andere Redner sagten, im Wesentlichen denen im ursprünglichen Verfassungstext enthaltenen.
Der britische Premierminister hat ein Problem. Es heißt Vertrauen – Vertrauen in das, was er sagt. In den letzten Wochen hat er seine Minister ermutigt, für eine Wahl im Vereinigten Königreich Werbung zu machen, und als sich das politische Klima verschlechterte, machte er einen Rückzieher. Meiner Meinung nach sollten seine europäischen Kollegen, führende europäische Politiker wie er, sehr auf das achten, was er in Lissabon sagt, denn er könnte etwas völlig Anderes meinen. Die britischen Konservativen werden auch weiterhin ein Referendum über den Vertrag verlangen. Die große Mehrzahl der Briten spricht sich dafür aus, darunter auch die meisten Anhänger der britischen Regierung. Wenn der Premierminister sich diesem Druck weiterhin widersetzt – ungeachtet der eindeutigen Verpflichtung im Wahlprogramm – dann ist das für die Briten ein weiterer Beweis, dass man ihm nicht trauen kann. Der Vorsitzende meiner Partei erklärte, dass dies durchaus einen eklatanten Vertrauensbruch bedeuten könne – einen der größten und eklatantesten in der modernen Politik.
Auch ich wünsche mir, Europa würde sich stärker auf die Aspekte der Globalisierung konzentrieren und die Armut in der Welt verringern und den Klimawandel angehen. Das sind die Lehren, die wir bisher gezogen haben sollten. Ich hoffe, unser Premierminister ist bezüglich der Fragen, die in Lissabon auftauchen, aufrichtig zur britischen Bevölkerung. Wir wollen ein erfolgreiches Europa, aber es muss ein Europa sein, das sich auf Dinge konzentriert, die wirklich die Unterstützung der Menschen finden, und die sie verstehen.
Edite Estrela (PSE). – (PT) Zunächst möchte ich mich im Namen der Sozialistischen Delegation Portugals für alle Beileidsbekundungen zum Ableben meines lieben Freundes Fausto Correia bedanken. Wir alle – die Demokratie Portugals, die Portugiesische Sozialistische Partei und dieses Parlament – sind durch seinen Tod ärmer.
Eine Woche vor dem informellen Gipfel möchte ich optimistisch sein und daran glauben, dass die Vernunft Oberhand gewinnen wird. Ich möchte optimistisch sein und daran glauben, dass jeder der 27 Mitgliedstaaten seine politische Verantwortung gegenüber den Bürgern des jeweiligen Landes, gegenüber den Bürgern Europas und gegenüber der Welt wahrnehmen wird. Ich möchte daran glauben, dass der Europäische Rat am 19. Oktober eine politische Einigung erzielen und den Reformvertrag billigen wird und damit diesen Stillstand beendet, der schon zu lange anhält.
Ich bin optimistisch, denn wir alle sind uns bewusst, dass wir auf die Erwartungen und Zweifel der Bürger Europas eingehen müssen, die sich zu Recht Gedanken machen über die Rolle der Europäischen Union in der Welt und über die Vorteile, die dies für ihre Zukunft bringen wird. Ich möchte optimistisch sein, denn wir alle wissen, dass die Welt auf Europa schaut und auf ein positives Zeichen wartet. Wir alle wissen, dass die Welt ein vereintes und geschlossenes Europa braucht. Wir alle wissen, dass die Welt nicht stillsteht und dass Europa nicht weiter in seinen nationalen Egoismen verfangen sein darf. Wir alle wissen, dass wir den Stillstand überwinden müssen, um unsere gesamte Energie auf die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung des Klimawandels zu richten. Das sind die Prioritäten.
Die Juristen haben eine Einigung zum Text des Vertrages und seinen Anhängen erzielt. Die komplexen technisch-juristischen Schwierigkeiten wurden gelöst. Die Regierungskonferenz hat das ihr vom Rat übertragene Mandat erfüllt. Der portugiesische Ratsvorsitz hat alles in seiner Macht Stehende getan, um die Hindernisse zu überwinden. Das Europäische Parlament hat seine Arbeit getan, sowohl im Rahmen der Regierungskonferenz als auch außerhalb, wobei unsere Kollegen Elmar Brok, Enrique Barón Crespo und Andrew Duff einen unschätzbaren Beitrag leisteten. Das bedeutet, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt alle ihre Pflicht mit großem Verantwortungsbewusstsein und fristgerecht erfüllt haben. Nun hoffen wir, dass nicht künstliche Hindernisse aufgetürmt werden, die von kurzzeitigen nationalen politischen Umständen statt objektiver Einwände gegen den Inhalt des Vertrages diktiert werden. Niemand würde es verstehen, wenn dieselben Staats- und Regierungschefs, die das Mandat der Regierungskonferenz gebilligt haben, von ihren Aussagen abrücken würden. Das würde sie in Misskredit bringen. Dann würden wir mit Sicherheit in eine Krise mit unabsehbaren Folgen geraten. Der Text mag nicht der beste sein, aber er ist eine Chance und besser als gar nichts.
Lassen Sie mich zum Abschluss an die Worte von Jean Monnet erinnern, er sei immer überzeugt gewesen, dass Europa durch die Krisen entstehen würde, die zu überwinden ihm gelänge. Weise und prophetische Worte. Hoffen wir, dass Europa in der Lage sein wird, Geschichte zu schreiben, eine neue Seite im Buch über das Aufbauwerk Europa aufzuschlagen.
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Herr Präsident! Wir haben im Verfassungsprozess – jetzt im Prozess zu diesem Reformvertrag – für mehr Demokratie und mehr Effizienz gekämpft, relativ erfolgreich, aber von Transparenz kann wirklich nicht die Rede sein. Das, was die Ratspräsidentschaft hier als Unterrichtung dieses Hauses präsentiert hat, konnte man alles bereits in der Zeitung lesen. Hier wären ein paar substanziellere Einlassungen der Präsidentschaft schon ganz angebracht gewesen. Deswegen: Der Kampf für die Transparenz muss weitergehen! Wo dieses Parlament sich sehr stark engagiert hat – wofür ich unseren Vertretern außerordentlich dankbar bin – das ist der Kampf für mehr Rechtsstaatlichkeit. Datenschutz in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, mehr Parlamentsbeteiligung, die Abschaffung der dritten Säule zugunsten einer Gemeinsamen Innen- und Justizpolitik, Rechtsverbindlichkeit der Charta, das sind alles Themen, die gerade für Liberale zentral wichtig sind, die unsere gemeinsamen Werte berühren.
Was die opt-outs angeht, lassen Sie mich Folgendes sagen: Man kann sie unterscheiden nach denen, die den innenpolitischen Bereich berühren, und denen, die die Außenpolitik betreffen. Im innenpolitischen Bereich haben sie vielleicht zu tun mit einer Rechtskultur, nationalen Traditionen, unterschiedlichen Vorstellungen über gesellschaftliche Werte. Ich kann es gerade noch verstehen, wenn auch nicht gutheißen, dass man hier ein opt-out wählt. Was ich überhaupt nicht verstehen oder gutheißen kann, ist die Blockade einiger Mitgliedstaaten, insbesondere des Vereinigten Königreichs, im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Timothy Kirkhope hat es eben gesagt: Wir sollen Politik dort entwickeln, wo die Bürger sie unterstützen. Die Bürger unterstützen eine glaubwürdige Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Sie ist objektiv nötig angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen: Terrorismusbekämpfung, die Krise im Nahen und Mittleren Osten, Armutsbekämpfung, ansteckende Krankheiten, Migration. Es gibt eine Reihe von Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können.
Denn fragen wir uns doch eines einmal ganz objektiv – und Martin Schulz hat das getan, und ich fand, er hatte völlig Recht: Wer wird denn in zwanzig, dreißig Jahren die Geschicke der Welt bestimmen? Die USA, China, Indien und … das Vereinigte Königreich? Das glaubt doch kein Mensch! Auch Deutschland nicht, auch Frankreich nicht. Wir schaffen es entweder gemeinsam oder wir schaffen es gar nicht! Wir brauchen deswegen einen europäischen Geist, und wir brauchen diesen Reformvertrag!
VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS Vizepräsident
Miguel Portas (GUE/NGL). – (PT) Um etwas zum Mangel an Transparenz zu sagen, in der Charta der Grundrechte steht geschrieben, dass in Europa „niemand ... zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf“. So weit, so gut, aber das ist nicht alles. Grundlage für die Auslegung dieses Artikels ist der Rahmen der Europäischen Konvention, und dort sind einige nicht hinnehmbare Ausnahmen niedergelegt. So dürfen die Staaten beispielsweise die Todesstrafe wieder einführen, wenn eine unmittelbare Kriegsgefahr besteht. Was ist das denn für eine Denkart, meine Damen und Herren?
Dieselbe Rechtsquelle gibt Polizeibeamten im Falle eines Aufruhrs die Erlaubnis zum Töten und gestattet sogar, und ich zitiere erneut, die „Sicherheitsverwahrung“. Sie erinnern sich sicher an Jean Charles de Menezes, der 2005 in der Londoner Metro umgebracht wurde. War dies ein bedauerlicher Irrtum oder ein Verbrechen, das durch den künftigen Vertrag gesetzlich abgedeckt ist? José Sócrates und Durão Barroso haben sich heute in Lissabon gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Aber mit welcher Autorität tun sie das, wenn sie sich für einen Vertrag einsetzen, der die Todesstrafe jetzt durch die Hintertür wieder hereinlässt?
Alessandro Battilocchio (NI). – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Andere Mitglieder werden es in der anschließenden Aussprache bekräftigen, doch halte ich es für angebracht – auch im Hinblick auf den bevorstehenden Gipfel – zu betonen, dass Unionsbürger jeder ist, der nach innerstaatlichem Recht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt.
Unionsbürger ist folglich jeder, der die ihm durch diesen Status vorbehaltenen Rechte in Anspruch nimmt, allen voran das Wahlrecht und das Recht, zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt zu werden. Für wen setzen wir uns denn seit Jahren ein, wenn wir vom Recht auf Freizügigkeit, auf Bildung, Gesundheit, Arbeit oder Würde sprechen, wenn nicht für die Bürgerinnen und Bürger, die uns demokratisch gewählt haben?
Nicht weniger bedeutsam ist es meiner Meinung nach, die gegenseitige Achtung unter den Mitgliedstaaten zu wahren: Ein Gentlemen’s Agreement legt seit Jahrzehnten die Parität des Gewichts zwischen den drei größten EU-Staaten nach Deutschland fest. Auf der sprachlichen Ebene wurde sie jedoch schon unzählige Male verletzt. Nun will man mit dem Vorschlag Lamassoure-Severin diese Parität auch in Bezug auf das politische Gewicht abschaffen.
Wenn das der Hintergedanke ist, dann dürfen wir uns nicht allzu sehr wundern, dass es so schwierig ist, sich auf einen gemeinsamen Zukunftsentwurf zu einigen. Auf dem europäischen Gipfel sollte daher gründlich über die Begriffe Unionsbürgerschaft und demokratische Legitimität nachgedacht werden.
Josef Zieleniec (PPE-DE). – (CS) Ich hoffe, dass auf dem bevorstehenden Lissabon-Gipfel die endgültige Fassung des Reformvertrages verabschiedet wird. Mit der Unterzeichnung und Ratifizierung wird die institutionelle Krise nach den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden beendet.
Die institutionelle Reform ist notwendig, aber allein noch lange kein Erfolgsgarant für die EU in der globalisierten Welt und gegenüber ihren Bürgern. Die institutionelle Reform ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Lösung, aber nicht die Lösung selbst. Wenn der Reformvertrag in Kraft getreten ist, müssen wir eine Grundsatzdebatte über den Weg führen, den die europäische Integration in Zukunft gehen soll. Antworten auf Europas Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitsfragen finden wir nur mit einer rigorosen Verbesserung der bestehenden Politik.
Das Endziel des europäischen Projekts und die damit verbundenen Probleme an den Grenzen der EU müssen bei diesen Aussprachen im Mittelpunkt stehen. Die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden sowie die komplizierten Verhandlungen über den Wortlaut des Reformvertrages deuten darauf hin, dass die Grundsatzdebatte über die Inhalte des europäischen Projekts viel schwieriger wird als bisher angenommen.
Deshalb ist es so wichtig, klar und unverzüglich auf den Vorschlag von Präsident Sarkozy nach Einsetzung eines so genannten Ausschusses der Weisen zu reagieren, der den Gesprächen den dringend benötigten Schub in die richtige Richtung geben soll. Dieser Ausschuss braucht einen klaren Auftrag, darf aber auf keinen Fall aus Regierungsvertretern der Mitgliedstaaten bestehen. Es sollte eine ausgewählte Gruppe hoch angesehener Wissenschaftler, erfolgreicher Unternehmer, ehemaliger Diplomaten und Politiker sein, also Persönlichkeiten, die natürliche Autorität und Respekt ausstrahlen und nicht Beamte, die ihnen von der Regierung übertragene Aufgaben erfüllen. Ziel des Ausschusses darf es nicht sein, die öffentliche Diskussion zu ersetzen, sondern er sollte vielmehr zur Diskussion anregen und konkrete Vorschläge zur Zukunft der europäischen Integration unterbreiten.
Herr Präsident, der Reformvertrag liefert uns vielleicht nicht ganz perfekte, aber immerhin notwendige Arbeitsmittel. Und es liegt an uns, ob wir ihr Potenzial voll ausschöpfen. Die Bürger Europas erwarten von der EU konkrete, greifbare Ergebnisse. Es ist unsere Pflicht, diese Erwartungen zu erfüllen.
Robert Goebbels (PSE). – (FR) Herr Präsident! Die Regierungskonferenz hat sich vermutlich im tiefsten Innern des Ärmelkanaltunnels versammelt, um der öffentlichen Meinung zu entrinnen. Das Ergebnis, Frau Wallström, ist dem normalen Bürger nicht vermittelbar. Mehr als 300 Änderungen, die sich auf 150 Seiten verbergen, wurden an dem Vertrag über die Union und dem Vertrag über ihr Funktionieren vorgenommen. Obendrein wird es 53 Erklärungen und 12 Protokolle geben.
Nach den Symbolen der Union, wie der Flagge und der Hymne, werden andere politische Errungenschaften in der Versenkung verschwinden. Der soziale Dialog wird keine horizontale Pflicht der EU mehr sein. Die Sozialpartner werden gebeten, sich nicht den Kopf über die Wirtschaftspolitik zu zerbrechen, sondern sich ausschließlich mit der Sozialpolitik zu befassen. In dem Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse ist indirekt der Vorrang des Wettbewerbsrechts vor allen Diensten verankert, die den Bürgern durch die Kommunen oder Regionen erbracht werden, wie wenig marktorientiert sie auch sein mögen. Nationale Regierungen haben wie Nachtwächter nur über die nicht marktbestimmten Dienstleistungen zu entscheiden.
Uns werden Lügen über den verbindlichen Charakter der Charta der Grundrechte erzählt. In Protokoll 7 heißt es, ich zitiere: „um jeden Zweifel auszuräumen – werden mit Titel IV der Charta keine für Polen oder das Vereinigte Königreich geltenden einklagbaren Rechte geschaffen“. Auf gut Deutsch, der Europäische Gerichtshof kann die Charta nicht durchsetzen. Ich werde nicht weiter auf alle „Opt outs“ eingehen, mit denen das Europa der zwei Geschwindigkeiten bezüglich der Euro-Zone, des Schengen-Abkommens oder der Vorschriften in den Bereichen Justiz und Inneres manifestiert wird.
Eines totalitären Staates würdig ist Artikel 24, mit dem ausschließlich der Rat befugt wird, Vorschriften für den Schutz der personenbezogenen Daten unserer Mitbürger zu erlassen und deren uneingeschränkte Weitergabe an die USA zu genehmigen. Weder das Parlament noch selbst der Gerichtshof werden die Grundfreiheiten schützen können. Da ist George Orwell’s „Big Brother“ nicht mehr fern!
Schließlich droht uns die Verankerung eines aus dem „Kompromiss von Ioannina“ abgeleiteten dauerhaften Vetorechts der Regierungen. Das ist unannehmbar, Herr Präsident. Ich persönlich beginne, einige Tugenden des Vertrags von Nizza neu zu entdecken.
Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – (RO) Der Lissabon-Gipfel bietet der Europäischen Union die Chance zur Diskussion und vielleicht zur Entscheidung über ein Thema von äußerster Wichtigkeit für ihre Zukunft und Rolle im 21. Jahrhundert.
Mit der Erweiterung der Europäischen Union auf inzwischen 27 Mitgliedstaaten und der immer globaleren Ausrichtung auf dem internationalen Parkett sind wir gezwungen, Ziele, Prioritäten und Arbeitsweise der Europäischen Union zu hinterfragen.
Zweifelsohne sollten die Aktionen der Europäischen Union im 21. Jahrhundert auf zwei Grundprinzipien beruhen: demokratische Legitimität und enge Beziehung zu den europäischen Bürgern sowie verstärkte Kohärenz und Effizienz des gesamten Handelns, auch nach außen.
Das heißt in erster Linie Achtung und Förderung der demokratischen Werte und der Rechte der Bürger, auch der Minderheiten; und in diesem Zusammenhang begrüße ich natürlich, dass dieser Aspekt im vorgeschlagenen Vertragstext ausdrücklich erwähnt wird.
Zweitens darf sich die Europäische Union in der heutigen globalisierten Welt nicht auf ihre Rolle als strategischer Akteur beschränken, sie muss sich in der Außenpolitik auch der Lösung von Konflikten und der Förderung des internationalen und interkulturellen Dialogs widmen, insbesondere in der Politik zur Förderung der regionalen Zusammenarbeit.
Außerdem dürfen wir nicht vergessen, welche Triebkräfte Entwicklungen, besonders in der Bildung, freisetzen und sollten ihnen daher einen Platz in der überarbeiteten Fassung der Lissabon-Strategie einräumen.
Wenn wir der europäischen Forschungs- und Bildungspolitik nicht mehr Aufmerksamkeit schenken, dann werden wir auch nicht von einer reformierten, wettbewerbsfähigen und starken Union sprechen können.
Ich hoffe, dass der Lissabon-Gipfel auch für die heute gestellten Fragen klare Antworten bereithält.
Hannes Swoboda (PSE). – Herr Präsident! Mein sehr geschätzter Kollege Goebbels hat nach seiner Rede gesagt, dass er trotz seiner Kritik nicht für Nizza sterben würde – was ich auch sehr hoffe, dass er nämlich noch lange lebt. Vor allem ist Nizza kein Vertrag, für den es sich lohnen würde zu sterben. Ich hoffe, dass zumindest dieser Vertrag, den wir bekommen werden, gegenüber Nizza einen deutlich höheren Mehrwert besitzt.
Ich möchte da ansetzen, wo Kollege Lambsdorff aufgehört hat. Unsere Bürgerinnen und Bürger wünschen sich eine starke Europäische Union, nicht als Einmischung in das tägliche Leben, sondern als Vertretung nach außen, um die Interessen unserer Bürgerinnen und Bürger stärker vertreten zu können. Nun meine ich, dass dieser Vertrag bei all seinen Schwächen doch einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Er ist eine notwendige, wenngleich keine hinreichende Voraussetzung dafür, dass wir eine aktive Außen- und Sicherheitspolitik betreiben. Natürlich beschäftigt uns das Kosovo-Problem. Wir werden sehen, ob überhaupt der Wille vorhanden ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben. Sowohl die portugiesische als auch die slowenische Präsidentschaft müssen sich sehr intensiv darauf vorbereiten, was wir machen, wenn es dort zu keiner einvernehmlichen Lösung kommt. Aber es ist wichtig, dass wir auf lange Sicht die Voraussetzungen dafür schaffen.
Zwei Dinge möchte ich hier erwähnen: Zum einen brauchen wir natürlich einen funktionsfähigen diplomatischen Dienst, der bei der Kommission angesiedelt sein muss. Es macht keinen Sinn, die Außenpolitik beim Vizepräsidenten der Kommission und Hohen Beauftragten anzusiedeln, wenn man den diplomatischen Dienst dann erst recht wieder woanders organisieren muss. Zum anderen – worauf mehrere Kollegen wie Enrique Barón Crespo und andere schon aufmerksam gemacht haben – müssen wir klarstellen, dass dieses Parlament von Anfang an gerade auch bei der Nominierung dieses Hohen Beauftragten, um den es hier geht, beteiligt ist.
Zuletzt noch eine Bemerkung an die Frau Vizepräsidentin der Kommission: Sie weisen immer wieder darauf hin, wie wichtig die Vermittlung dieses Vertrags ist. Nicht – wie mein Kollege Schulz gesagt hat – mit der Vereinbarung, die hoffentlich beim Rat kommt, und nicht einmal mit der Ratifizierung ist die Sache abgeschlossen, sondern es geht darum, unsere Bürgerinnen und Bürger während und auch nach der Ratifizierung davon zu überzeugen, dass dieser Vertrag dazu beiträgt, ihre eigenen Interessen stärker in dieser Welt vertreten zu können.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Einige Überlegungen zu Lissabon. Die jüngsten Ereignisse in Verbindung mit der Verfassungskrise haben den Bürgern Europas bewusst gemacht, dass Reformen und Veränderungen notwendig sind.
Der Kern eines demokratischen Systems der Entscheidungsfindung ist Konsensbildung durch mehrheitliche oder einstimmige Unterstützung einer Idee, gegen die kein willkürliches Veto eines Partners bei wichtigen Themen eingelegt wird. Wir diskutieren die Frage des numerischen Verhältnisses bei der Entscheidungsfindung im Forum eines geeinten Europas, und wir berühren dabei die Prinzipien für das Funktionieren eines gemeinsamen Organismus. Deshalb ist es so wichtig, die Stimme der Minderheit zu beachten, die, zum Beispiel aufgrund ihrer geografischen Lage oder ihrer geschichtlichen Erfahrung und politischen Situation, einen Blick auf die Realität ausdrücken kann, der für Europa von Bedeutung ist.
Der lebendige und dynamische Organismus Europa darf nicht in ein festes und allgemeingültiges rechtliches Regelwerk eingesperrt werden, das vom derzeitigen Parlament oder der derzeitigen Kommission für immer festgelegt wird. Ein Mensch oder eine nationale Gruppe verfügt über ein unbegrenztes Repertoire an Verhaltensweisen, und das Leben und die fortschreitende Situation erfordern die Anpassung von Regelungen, wenn auch nicht von Werten, die in Bezug auf die Realität konstant bleiben sollten. Wir dürfen die nahe östliche Dimension der wirtschaftlichen, politischen und energiebezogenen Aspekte nicht unterschätzen. Es zählen nicht nur der Westen oder etwa Brasilien, und ich bin der Meinung, dass die derzeitige Präsidentschaft in dieser Hinsicht flexibler sein muss.
Und noch eine weitere Überlegung: Die erweiterte wirtschaftliche Perspektive, die wir diskutieren und die das Thema weiterer Diskussionen sein wird, sollte Teil der so genannten Lissabon-Strategie werden, wenn wir die USA einholen wollen.
Eine letzte Bemerkung, Herr Präsident: Die stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente, die von den Bürgern gewählt wurden, wird den Menschen die Themen der EU näher bringen. Dies bedeutet, dass mehr Entscheidungen über die Form, den Inhalt und die Zukunft Europas von den Bürgern getroffen werden sollten, und nicht nur von den Regierungsvertretern, die zufällig gerade an der Macht sind.
Richard Corbett (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte den portugiesischen Ratsvorsitz zu den Erfolgen beglückwünschen, die bei der Erreichung eines Konsenses gemacht wurden. Von vielen Kollegen haben wir jedoch erfahren, dass im Parlament große Enttäuschung vorherrscht. Viele sind enttäuscht, weil der Gedanke einer Verfassung verloren gegangen ist, die die gegenwärtigen Verträge ersetzt und unserer Union eine neue Rechtsgrundlage gegeben hätte.
Andere wiederum sind enttäuscht angesichts der zahlreichen Veränderungen, die festgeschrieben wurden, sowie der Sonderbestimmungen und Ausnahmeregelungen für bestimmte Mitgliedstaaten. Einige dieser Veränderungen sind allerdings bedauerlich, doch sie sind der Preis, der gezahlt werden musste, um die Zustimmung aller 27 Länder sicherzustellen, so dass der Vertrag von allen 27 Ländern ratifiziert werden kann.
So sieht die gegenwärtige Lage aus. Da beißt die Maus keinen Faden ab – dieser Vertrag muss für alle Mitgliedstaaten annehmbar sein und von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die Kollegen sollten den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Dieser Vertrag enthält – auch in dieser Form – viele lebenswichtige Reformen. Und wir brauchen diese Reformen; die Union braucht diese Reformen. Jeder, der eine gut funktionierende und demokratisch verantwortungsvolle Union will, muss diese Reformen unterstützen.
Die Alternative zu diesem reformierten Vertrag sieht nicht viel anders aus, jedoch würde sie weitere Jahre des Gerangels über die Institutionen und die Wirkungsweise der Europäischen Union bedeuten. Ich würde es vorziehen, den reformierten Vertrag festzuklopfen und dann weiterzugehen mit einer leistungsfähigeren Union, die sich mit den echten Fragen, an denen die Bürgerinnen und Bürger interessiert sind, befasst: Klimawandel; Leistungsfähigkeit unserer Union; Entwicklungshilfe; Umwelt – all die Dinge, für die wir die Union brauchen, denn alleine sind wir nicht effektiv genug und können gemeinsam mehr erreichen.
Lassen Sie uns vorwärtsgehen und diese institutionellen Fragen ein für alle Mal lösen.
Othmar Karas (PPE-DE). – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lissabon bringt uns wieder einen wichtigen Schritt weiter und beendet die Nachspielzeit der Konventarbeit erfolgreich. Lissabon bringt uns aber noch nicht ans Ziel. Der Ratifizierungsprozess liegt noch vor uns und wird uns alles abverlangen, ja, uns alle fordern.
Wir schaffen es gemeinsam oder gar nicht, die Europäische Union demokratischer, bürgernäher, transparenter, handlungsfähiger nach innen wie nach außen zu machen. Der Reformvertrag bedeutet einen weiteren Schritt in die richtige Richtung. Wir schaffen es nur gemeinsam, den Reformvertrag als einen Mehrwert für die Bürger Europas, die Europäische Union und ganz Europa im Bewusstsein der Bürger zu verankern.
Nur: Mit dem Reformvertrag allein haben wir den Egoismus, den Nationalismus, den Protektionismus, die EU-Neinsager und die EU-Verlogenheit noch nicht in die Schranken gewiesen. Sie sind das Krebsgeschwür der Gemeinsamkeit, das Krebsgeschwür der Zukunft Europas.
Die opt-out-Methode widerspricht dem gemeinschaftlichen Europa. Die opt-out-Methode schwächt die Wertegemeinschaft. Sie schafft Bürger erster und zweiter Klasse, und ich frage mich, warum die Vertreter Polens und des Vereinigten Königreichs die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union verhindern wollen.
Wir wollen den Datenschutz gerichtlich kontrolliert und unter parlamentarischer Beteiligung. Wir wollen die Personalentscheidungen nach der erfolgten Wahl zum Europäischen Parlament. Wir wollen die Sozialpartner und den sozialen Dialog weiterhin verankert und gestärkt wissen. Wir wollen eine Öffentlichkeitsarbeit über den Mehrwert des Reformvertrags und den weiteren Ausbau der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments, denn nur so wird Europa demokratischer, bürgernäher und transparenter.
Bernard Poignant (PSE). – (FR) Herr Präsident! Was den Vertrag anbelangt, so liegt der Teufel nicht im Detail, sondern in der Ratifizierung. Erinnert sei hier an Dänemark 1992, Irland 2001, Frankreich und die Niederlande 2005 und sogar Schweden beim Euro 2003. Nirgends ist man vor einem negativen Votum sicher. Natürlich ist jeder Staat selbst für seine Ratifizierung zuständig, ob nun durch das Parlament oder per Referendum, aber ist es denn unmöglich, das Ganze zu koordinieren? Meiner Ansicht nach könnten durch die Zusammenlegung der Ratifizierungen endlose nationale Debatten vermieden und eine stärkere Ausprägung der öffentlichen europäischen Meinung ermöglicht werden.
Ich schlage Ihnen ein Datum vor, Herr Präsident: Die erste Maihälfte 2008, da in diesen zwei Wochen der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, der Europatag am 9. Mai begangen wird und in diesem Jahr der 60. Jahrestag des Kongresses von Den Haag gefeiert wird, mit dem unter dem Vorsitz von Winston Churchill Europa in Gang gesetzt wurde. Und für uns Franzosen ist es auch die Zeit, da am 10. Mai ein großer Europäer, François Mitterrand, gewählt wurde.
Eine Koordinierung würde die Ratifizierungen etwas leichter machen. Letztlich sind wir die Symbole des Vertrags losgeworden, aber Symbole lassen sich durch einen Zeitplan zurückbringen. Warum sollten sie nicht an Daten festgemacht werden? Weil unabhängig davon, was wir von dem Vertragsentwurf halten – unser Kollege Goebbels war diesbezüglich reichlich schroff –, wir um jeden Preis gewährleisten müssen, dass diese Etappe der europäischen Geschichte trotz allem gemeistert wird. Deshalb mache ich Ihnen diesen Vorschlag: Einigen Sie sich auf diese zwei Wochen!
(Beifall)
Jerzy Buzek (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, Frau Präsidentin! Genau wie vor sieben Jahren steht die portugiesische Präsidentschaft vor einigen wichtigen Aufgaben und Herausforderungen.
Ich bin davon überzeugt, dass der europäische Vertrag in einer guten Atmosphäre und mit großer Zustimmung angenommen werden wird und damit eine Grundlage für die effektive und effiziente Verwaltung der EU bieten kann. Dies ist heute das wichtigste Thema überhaupt; denn nur so kann Europa schrittweise zu einer politischen Macht werden und einen positiven Einfluss auf die Geschicke der Welt nehmen.
Die wirtschaftliche Macht in der EU ist aber immer ein wesentlicher Punkt, und dies stimmt heute noch mehr als vor sieben Jahren. Wir stehen vor den Herausforderungen der Globalisierung und haben das Ziel, ich zitiere, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“. Heute aber wissen wir, wie schwierig dies ist. Deshalb muss ein soziales Europa, das die Beschäftigungsrate hebt und auch den Klimawandel bekämpft, was es vor sieben Jahren nicht getan hat, ein Europa mit einem komplett freien Markt sein. Mit einem offenen Markt, einem Markt frei von Protektionismus und Monopolen. Wir schulden dies unseren Bürgern, wenn wir in einem Raum von Wettbewerb, Innovation und Fortschritt nach den Prinzipien der Lissabon-Strategie handeln wollen. Wir sollten uns auch daran erinnern, dass die Verwaltung der Leitlinien der Strategie aus einer Position des freien Marktes heraus viel einfacher war als die Verwaltung auf Ebene der Mitgliedstaaten.
Und zuletzt ein drittes Thema – unser Erfolg hängt zu einem großen Teil von den Beziehungen zu unseren Nachbarn ab. Ich gratuliere der portugiesischen Präsidentschaft zu der weit reichenden Annäherung an den südlichen Grenzen der EU, wir sollten dabei aber für keinen Moment die östliche Dimension vergessen, insbesondere da die Ergebnisse der fairen und freien Wahlen in der Ukraine uns die Möglichkeit bieten, die östliche Grenze der Europäischen Union demokratisch, pro-europäisch und mit einer freien Markwirtschaft zu stabilisieren. Die Wahlen fanden vor nur zweieinhalb Wochen statt, und dies sollte im Europäischen Parlament erwähnt werden.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident! Die letzte Aussprache hat gezeigt, dass beim aktuellen Reformvertrag viel auf dem Spiel steht. Es geht um die Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Union. Die Bürger Europas verstehen jedenfalls nicht, dass wir seit Jahren am Verfassungsvertrag und den institutionellen Problemen arbeiten und als politische Elite daher einerseits sehr genau wissen, dass diese für die Reformierung und Erneuerung der Union sehr wichtig sind, dass dies aber andererseits auch für uns eine fremde, unverständliche Diskussion ist. Wir müssen endlich an den für die europäischen Bürger wirklich wichtigen Themen arbeiten, und genau wie Martin Schulz bin ich der Meinung, dass es in der Union kein erneutes Scheitern geben darf.
Und zwar darf es deshalb kein Scheitern mehr geben, weil die EU-Erweiterung im Jahr 2004 die erste war, die nicht durch radikale Reformen oder Radikalisierungen verhindert wurde. Das derzeitige Verhalten der Briten wundert mich nicht, aber dass meine polnischen Kollegen einen politischen Kurs einschlagen, der der europäischen Einheit ganz und gar nicht dienlich ist, erfreut mich als Vertreter eines neuen Mitgliedstaats natürlich nicht.
Es gibt keine Alternative zum Reformvertrag. Wir brauchen ihn, damit das Europäische Parlament – statt Haarspalterei zu betreiben – von Kommission und Rat ernst genommen werden kann. Und wir brauchen ihn, um Fortschritte bei Themen wie dem der nationalen Minderheiten zu erzielen, das schließlich eines der größten Probleme in Europa ist. Nehmen wir den westlichen Balkan, die Ukraine und Russland – (Satz unvollständig). Ohne den Reformvertrag wird es uns auch auf diesem Gebiet nicht gelingen, Fortschritte zu erzielen.
Herr Präsident, es gibt keine Alternative zum Reformvertrag, entweder der Reformvertrag kommt oder die Union stirbt! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
David Casa (PPE-DE) – (MT) Wir haben gerade die große Chance, die Europäische Union in einen effizienteren und demokratischeren Zusammenschluss zu verwandeln. Der neue Vertrag wird uns die nötigen Instrumente liefern, um die Europäische Union jetzt, nachdem mehr Bürger in ihre Mitte aufgenommen wurden, weiterzuentwickeln. Das ist eine einzigartige Gelegenheit, und wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die erforderlichen Kompromisse, die eine bessere Zukunft für die Bürger Europas bringen, nun erzielt werden.
Einige Redner haben Polen und England und ihre Ablehnung erwähnt. Ja, es ist wichtig, dass sich jeder die nationalen Interessen vor Augen hält, aber noch wichtiger ist es, dass wir die Interessen der Europäischen Union berücksichtigen, denn wir alle bilden diese Union. Das gilt nicht nur für den Rat, sondern ganz besonders auch für das Europäische Parlament. Ich finde nicht, dass es für bestimmte Bürger Europas die eine Europäische Union und für die europäischen Bürger in einem anderen Land eine andere Europäische Union geben sollte. Deshalb müssen wir die Gelegenheit, die sich uns in den nächsten Tagen in Portugal bietet, nutzen, um unseren Bürgern mit einem deutlichen Signal zu zeigen, dass die Europäische Union nicht stehengeblieben ist und dass wir mit dem neuen Vertrag sicherstellen, dass die Entwicklung weitergeht. Wir garantieren, dass wir nach dem jahrelangen, harten, ständigen Streit über die Zukunft Europas nun einen Weg der Einigung gefunden haben, der uns eine erfolgreichere Zukunft beschert. In einem Vertrag, der mehr Transparenz, und wie schon gesagt wurde, mehr Effizienz bringt. In einem Vertrag, der dazu beitragen wird, dass die Stimme jedes europäischen Bürgers deutlicher vernommen wird. Es freut mich, dass sogar meine Heimat, das Land, das ich hier vertrete, eine stärkere Rolle in diesem Parlament spielen wird.
Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen, die es so schnell wie möglich zu meistern gilt. Wir müssen in der globalisierten Welt bestehen und brauchen entsprechende Ziele, um die Probleme lösen zu können. Dazu gehören der Klimawandel, die Einwanderung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und bessere Arbeitsbedingungen. Lösen können wir diese Probleme nur mit einer effizienteren und transparenteren Europäischen Union.
Andrzej Jan Szejna (PSE). – (PL) Herr Präsident! Ich hoffe, dass die Vereinbarung, die in Berlin in Bezug auf die wichtigsten derzeitigen Probleme im Reformvertrag getroffen wurde, auf dem anstehenden Gipfel in Lissabon zu einem positiven Ergebnis führen wird.
Ich hoffe außerdem, dass die polnische Regierung – angesichts der Tatsache, dass 80 % der polnischen Bevölkerung unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union befürworten – den letzten Schritt zur endgültigen Akzeptanz des Vertragsentwurfs gehen wird und so zeigt, dass sie den Spruch „ein starkes Polen in einem starken Europa“ versteht.
Einer der wichtigsten Erfolge dieser Vereinbarung ist die künftige Rechtsverbindlichkeit der Charta der Grundrechte, und ich freue mich, dass der Präsident des Europäischen Parlaments, der Kommissionspräsident und die Präsidentschaft eine Zeremonie der gemeinsamen Verkündung der Charta während der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments planen. Dies beweist, wie wichtig dieses Dokument ist, das sich mit Problemen wie Würde, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und Justizverwaltung befasst.
Deshalb kann ich die Haltung der polnischen Regierung, die polnische Bürger von den Pflichten unter Kapitel IV der Charta, das den Titel „Solidarität“ trägt, ausnehmen will, nicht verstehen und auch nicht unterstützen. Dieses Kapitel enthält Vorschriften, die insbesondere der polnischen und europäischen Linken am Herzen liegen, und die sich auf Arbeits- und Gewerkschaftsrechte beziehen. Jeder klugen Regierung sollte daran gelegen sein, den Bürgern ihres Landes einen besseren und effektiveren Schutz der Arbeitnehmerrechte zuzusichern, vor allem in einem Land wie Polen, dessen Freiheit durch den Arbeiteraufstand der polnischen Solidarność herbeigeführt wurde. Ich fordere deshalb die polnische Regierung auf, ihre Haltung in diesem Punkt zu ändern.
Maria da Assunção Esteves (PPE-DE). – (PT) Der informelle Gipfel von Lissabon könnte eine unruhige Zeit beenden, in der Europas Ambitionen in einer Krise unterzugehen drohten. Der neue Reformvertrag wird nicht die Stärke besitzen, Europa neu zu gestalten; dazu bräuchte man eine Europäische Verfassung. Der neue Vertrag ist keine so große Leistung wie die verlorene Verfassung; er ist ein kleiner Sprung in der Geschichte, kein großer; er ist all das, was er sein kann, aber nicht alles, was er sein müsste. Gleichwohl stellt er einen gewissen Fortschritt insofern dar, als Europa seine Institutionen den neuen geopolitischen Herausforderungen und künftigen Debatte anpasst.
Wir müssen anerkennen, dass das emotionale Element des Referendums das rein rationale Element der politischen Vertretung eingeengt hat. Die Öffentlichkeit war schlecht auf einen visionären und kosmopolitischen Ansatz vorbereitet, und das führte uns zu einem Prozess, der zögerlicher und abgeschotteter war als im Konvent, der den Weg für eine Verfassung ebnete. Diese Tatsache sollten diejenigen, die bei der kommenden Tagung des Europäischen Rates am Tisch sitzen, nicht vergessen. Der Rat hat jetzt die Aufgabe, die für den Vertrag notwendige Einheit nach dem Prinzip möglichst weniger Ausnahmen sicherzustellen; in den Ausnahmeregelungen zur Charta eine versteckte Aushöhlung infolge der Opt-Outs in den ursprünglichen „Gentlemen‘s Agreements“ (wie dem Kompromiss von Ioannina) zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass der Vertrag ein einheitliches Rechtsgebilde und kein Stückwerk ist.
Die andere Aufgabe des Rates besteht darin, die Ratifizierung des Vertrages zu organisieren; das ist unabdingbar, um einen Richtungswechsel im europäischen Kurs zu verhindern, der allen Bürgern teuer zu stehen käme. Es ist an der Zeit zu akzeptieren, dass sich die Legitimität Europas vor allem aus den universellen Werten, für die es steht, aus der Beständigkeit seiner demokratischen Institutionen, aus dem gemeinsamen Projekt, globale Gerechtigkeit zu erzielen, die eben genau aus der Kompetenz des logischen Denkvermögens entspringt, ergibt. Darin liegt die Legitimität Europas.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte zunächst der portugiesischen Präsidentschaft zu ihrem Umgang mit dem Prozess einer Kompromissfindung für den Unionsvertrag gratulieren. Dies war ein sehr schwieriger Prozess und es waren große Anstrengungen erforderlich, um eine Vereinbarung zu erreichen.
Dieser Vertrag ist nicht der Vertrag unserer Träume, und es ist kein Vertrag, der die Visionen und Träume der heutigen Europäer abbildet. Und trotzdem stellt er dar, was wir in der heutigen Zeit auf dem Weg zwischen Träumen und Realität in der Europäischen Union haben. Ich bin überzeugt, und ich hoffe, dass dieser Vertrag von allen europäischen Staaten akzeptiert wird.
Gleichzeitig muss ich hier und heute im Europäischen Parlament meinen eindeutigen Widerspruch zur Erklärung der Regierung in Warschau ausdrücken, dass sie die Charta der Grundrechte der EU nicht akzeptieren will. Non possumus, ich sage dieses non possumus, d. h. „wir können nicht“, im Europäischen Parlament als Solidarność-Aktivist aus der Zeit der Militärherrschaft. Polen hat ganz Europa den Weg zu Freiheit und Demokratie gezeigt, und heute besitzt die polnische Regierung die Dreistigkeit zu sagen, dass sie die Charta der Grundrechte in unserem Land, in meinem Heimatland, nicht anwenden wird. Ich protestiere dagegen, im Namen des Teils der polnischen Bevölkerung, der Männer und Frauen, die niemals damit einverstanden sein werden, dass Polen nicht an die Charta der Grundrechte der EU gebunden ist.
Panayiotis Demetriou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich der portugiesischen Präsidentschaft zu ihrer Entschlossenheit, zum Tempo und zu der von ihr gezeigten vorausschauenden Handlungsweise gratulieren. Ihr verdanken wir den Text des Reformvertrages, der nun der Regierungskonferenz in Lissabon vorgelegt wird. Ich hoffe, dass die Regierungen bei dieser Gelegenheit ihrer Verantwortung gerecht werden, damit wir endlich aus der Sackgasse, in die wir geraten sind, herauskommen.
Ich möchte der portugiesischen Präsidentschaft versichern, dass die überwältigende Mehrheit der Mitglieder dieses Parlaments hinter ihr steht und in dieser Frage ein positives Ergebnis erwartet. Zunächst müssen wir uns einigen, dann folgt die Ratifizierung durch alle Staaten.
Ich habe unterschiedliche Stimmen zu den Bemühungen um mehr Einheit in Europa gehört. Überrascht haben mich dabei all jene, die ihre antieuropäische Haltung dadurch kaschieren, dass sie Verbesserungen fordern, dabei aber das Gute zerstören. Sollen sie doch ehrlich sein: Wenn es ihnen nicht gelingt, mehr Einheit und Integration in der EU durchzusetzen, dann sollen England, Frankreich, Deutschland und Polen sich doch allein den Herausforderungen der Globalisierung stellen. Dann sollen sie den Frieden wiederherstellen, wenn nationalistische Rivalitäten uns erneut in die Krise oder vielleicht sogar in einen Krieg führen.
Wir müssen begreifen, dass sich die Vision der EU nicht so einfach unter den Teppich kehren lässt, wir müssen sie fördern und umsetzen. Unser Ziel sollte dauerhafter Fortschritt sein, damit all diese Staaten und Völker nicht mehr nur eine europäische, sondern eine globale Zukunft haben, auf der Grundlage von Prinzipien und Werten. Das ist die Vision, für die wir uns einsetzen müssen, und dieses Europäische Parlament steht dabei hinter Ihnen, Herr Ministerpräsident.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Es ist wunderbar, meinen Namen an der Wand zusammen mit dem eines Staatssekretärs und eines Kommissionsmitglieds zu finden – es ist für mich schon ein großer Augenblick!
Wenn Sie gestatten, möchte ich auf drei Dinge eingehen. Ich habe selbst an drei Regierungskonferenzen als Beamter teilgenommen. Wenn ich an die letzten 25 Jahre denke, dann haben wir auf Regierungskonferenzen entweder einen neuen Vertrag vorbereitet, verhandelt oder ratifiziert. Ich weiß nicht, wie es Ihnen – Herr Corbett und den anderen – geht, aber ich habe zumindest ein Stadium der Regierungskonferenz-Müdigkeit erreicht. Wir müssen die ganze Sache endlich hinter uns bringen. Es gab einfach zu viele Regierungskonferenzen; es war immer das Gleiche. Ich habe nichts gegen Veränderungen – ganz im Gegenteil –, doch in einem gewissen Stadium müssen wir zur Ruhe kommen, und ich denke, in zwei Wochen sollten wir das endlich tun.
Meine zweite Anmerkung ist Folgende: Selbstverständlich hätte ich gerne eine Verfassung gehabt, doch lassen Sie uns mit dem reformierten Vertrag – so wie er ist – leben. Er stellt eine große Verbesserung gegenüber dem gegenwärtigen Zustand dar. Natürlich haben wir alle irgendetwas auszusetzen, nicht zuletzt an den Ausnahmeregelungen, an der Frage, ob damit alles einfacher wird oder ob er tatsächlich alles noch komplizierter macht. Wir haben alle unsere Bauchschmerzen, doch Sie sollten an eines denken: Er ist in außenpolitischen Fragen gut; damit erhalten wir eine Rechtspersönlichkeit; er gibt uns Grundrechte – zumindest einigen von uns – und er sorgt für mehr Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit. Selbstverständlich gibt es letzten Endes immer Verbesserungsmöglichkeiten, aber dieser reformierte Vertrag liegt uns vor. Deshalb möchte ich dem Vereinigten Königreich und Polen sagen: „Beruhigt Euch und akzeptiert ihn.“
Nun zu meinem letzten Punkt: Ich glaube wirklich, dass es höchste Zeit ist, das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten wiederherzustellen. Seit den Verhandlungen in Nizza gab es nur Negatives, als die kleinen Länder gegen die großen zum Kampf antraten. Meines Erachtens ist es jetzt an der Zeit, das Kriegsbeil zu begraben und das Vertrauen wiederherzustellen, so, wie es vor Nizza war. Es ist an der Zeit, dass bei den Institutionen wieder Ruhe einkehrt, dass Probleme gelöst werden und wir uns auf wirkliche politische Entscheidungsfindung konzentrieren.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst möchte ich den Abgeordneten des Europäischen Parlaments für ihre sehr bedeutsame Unterstützung der Bemühungen und der Arbeit des portugiesischen Ratsvorsitzes mit Blick auf die Regierungskonferenz danken, die, so hoffen wir, zur Annahme eines neuen Vertrages für unsere Union führen wird.
Denjenigen, die sich weniger zustimmend oder sogar ablehnend geäußert haben, möchte ich sagen, dass wir als Ratsvorsitz – wie es unsere Pflicht ist – diese Bedenken und Kritik zur Kenntnis nehmen, denn wir betrachten sie alle als Teil der Zusammenarbeit für unsere Arbeit und unsere Bemühungen, und sie müssen selbstverständlich ebenfalls berücksichtigt werden.
Ich glaube, es war Graham Watson, der hier gesagt hat, dass der Ministerpräsident Portugals das Gefühl haben muss, seine Armee für die Schlacht auf der Regierungskonferenz am 18. und 19. Oktober vorbereitet. Das ist eine mögliche Betrachtungsweise, und ich würde sagen, dass ich ein Soldat dieser Armee bin und hoffe, dass viele weitere Soldaten, die auch hier sind, sich unserer Armee anschließen, damit wir in Lissabon auch tatsächlich einen neuen Vertrag für die Europäische Union erreichen können.
Die Regierungskonferenz hat auf Ebene der Juristen und Sachverständigen ihre Arbeit abgeschlossen. Nun liegt es an den Politikern, sich auf der Ebene der Justiz zu äußern, und ich bin mir sicher, dass die Politiker und die Regierungen ihrer Verantwortung gerecht werden. Es wurde hier gesagt, dass wir nicht scheitern dürfen, und der portugiesische Ratsvorsitz stimmt dem voll und ganz zu. Wir dürfen nicht scheitern, und wir werden eine Übereinkunft erzielen, die, da bin ich mir sicher, von allen unterstützt wird – und das darf auch nicht anders sein.
Wir werden den Empfindlichkeiten, Interessen und Bedenken aller Aufmerksamkeit schenken. Wir werden niemanden übersehen. Deshalb sind wir, wie ich schon sagte, zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein werden, denn eine Debatte, die sich vielleicht schon zu lange hinzieht, muss zum Abschluss gebracht werden, und es ist dringend notwendig, dass wir einen Geist des Aufbaus, der Einheit und der positiven Energie schaffen, um die vielen anderen Problemen zu bewältigen, denen wir uns in der Zukunft stellen müssen und die hier genannt wurden: Klimawandel, Energiefragen, Einwanderung, unsere eigenen internen Reformen, die wir durchführen müssen, um für die allgemeineren Probleme der Globalisierung gewappnet zu sein. Ich bin sicher, dass wir in Lissabon spüren werden, dass wir dringend einen Vertrag abschließen müssen, damit wir andere Schlachten siegreich führen können, und dass wir, wenn wir hier in der darauf folgenden Plenarsitzung erneut zusammenkommen, Ihnen frohe Kunde, gute Nachrichten überbringen können.
Ich möchte den Abgeordneten des Europäischen Parlaments noch einmal für die Unterstützung unseres Juristenteams danken, und ich bin mir sicher, dass diese Unterstützung auch in künftigen Phasen geleistet werden wird, wie ja viele Redner hier erklärt haben.
Ein Wort noch zu der Frage der Lissabon-Strategie, um João de Deus Pinheiro für seinen Redebeitrag zu danken. Wir werden ein neues Element in die Debatte über die Lissabon-Strategie aufnehmen, und das hat mit der externen Dimension der Strategie zu tun. Es hat im Wesentlichen damit zu tun, dass Regeln festgelegt werden müssen, reguliert werden muss in Fragen, die nicht geregelt bzw. reguliert ist, um einen wirklichen Fortschritt, soziale Stabilität, wirtschaftliche Stabilität und Frieden in einer geordneten und regulierten Welt zu erreichen, in der die Regeln und Normen für alle deutlich sichtbar sind, denn wir alle müssen sozusagen mit ihnen leben, damit die Welt, die wir errichten, eine gerechtere Welt für alle wird.
Wie ich bereits sagte, werde ich hier mit dem Ratsvorsitz sein. Ich weiß, dass der Ministerpräsident Portugals ebenfalls beabsichtigt, hierher zu kommen. Ich werde mit ihm der nächsten Plenarsitzung beiwohnen; wir sind zuversichtlich, dass wir dann verkünden können, dass die Europäische Union einen neuen Vertrag hat: den Reformvertrag.
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich danke Ihnen für die interessante Aussprache. Man erfährt immer wieder viele neue Dinge, und ich kann Ihnen versprechen, dass ich der Kommission darüber Bericht erstatten werde. Ich habe mir ausführliche Notizen gemacht, so dass wir auch auf der Sitzung am kommenden Montag in Luxemburg darüber beraten können.
Es wurden drei direkte Fragen gestellt, auf die ich so gut ich kann antworten möchte. Die erste betrifft die Einbeziehung des Parlaments in das Ernennungsverfahren des ersten Hohen Vertreters. Im Vertrag findet sich in diesem Zusammenhang der Text aus dem Jahre 2004 wieder. Ich bin überzeugt, dass alle eine pragmatische politische Lösung wollen, mit der alle Seiten leben können, wenn es so weit ist. Sie werden sich sicherlich erinnern, wie die Kommissionsmitglieder nach den jüngsten Erweiterungen ernannt wurden. Auch hier konnte das Parlament in der Praxis zufrieden gestellt werden, obgleich die Rechtstexte nicht eindeutig waren. Ich denke, es liegt in unserem beiderseitigen Interesse sicherzustellen, dass das Parlament in diesem gesamten Prozess eine zufrieden stellende Rolle spielt.
Die zweite Frage betraf Artikel 24 des Vertrages bezüglich des Schutzes personenbezogener Daten auf dem Gebiet der Sicherheit. Hier zumindest kann ich für die Kommission antworten, die die Sorgen des Parlaments im Hinblick auf Bestimmungen versteht, die die Weitergabe von vertraulichen Angaben durch die Mitgliedstaaten betreffen. Gegenwärtig ist es so, dass Artikel 24 des EU-Vertrags einzig und allein dem Rat gestattet, die Regelungen auf diesem Gebiet festzulegen, ohne dass eine Einbeziehung des Europäischen Parlaments möglich ist. Diese neue Bestimmung ist auf das Mandat der Regierungskonferenz zurückzuführen. Sie gilt ausschließlich für Mitgliedstaaten, während die europäischen Organe und Institutionen weiterhin an die allgemeine Regelung gebunden sind. Die vorgesehene Verfahrensweise entspricht der ganz speziellen Regelung bezüglich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem Bereich ist die Zuständigkeit des Gerichtshofs eingeschränkt. Leider besteht wenig Spielraum, um den im Mandat vereinbarten Gegenstand zu verändern. Ich möchte Ihnen jedoch auf jeden Fall versichern, dass wir diesen Artikel nicht so auslegen, als würde er beispielsweise die Vereinbarung zwischen der EU und den Vereinigten Staaten über Fluggastdatensätze betreffen. Dieser Vereinbarung liegt gegenwärtig eine Rechtsgrundlage der dritten Säule zugrunde, so dass sie nach Ansicht der Kommission in Zukunft unter die normale Zuständigkeit des EP und des Gerichtshofs fällt. So sieht die Kommission jedenfalls diese Dinge.
Ich sitze so, dass ich eigentlich alle unsere Besucher beobachten kann. Ich bin mir nicht sicher, ob wir ihnen immer klarmachen können, worum es hier eigentlich geht, aber ich bin sicher, dass den Besuchern die Frustration nicht entgangen ist, die sich aufgrund dieser Aussprache und der Tatsache verbreitet hat, dass einige sehr glücklich sind und sagen, es sei ein guter Kompromiss; andere wiederum sind ganz und gar nicht zufrieden und erklären, er sei nicht gut genug, während weitere behaupten, wir gingen zu weit. All das spiegelt die politische Lage und das schwierige politische Spiel wider, die das Ergebnis eines langen Zeitraums sind, während dem wir diskutiert haben, wie wir unsere Entscheidungsprozesse so anpassen können, dass wir die Europäische Union mit 27 Mitgliedstaaten erweitern können; wie wir uns auch mit den neuen Fragen, die in letzter Zeit aufgetreten sind, wie Klimawandel und Energie, befassen können; und wie wir offener und effektiver werden können.
Alle diese Besucher erinnern mich auch daran, dass wir – wie auch immer das Ergebnis sein wird, und wir denken und hoffen, dass wir mit Hilfe des portugiesischen Ratsvorsitzes ein gutes Ergebnis haben werden und dass wir in der Lage sein werden, uns auf einen neuen Reformvertrag zu einigen – miteinander ins Gespräch kommen müssen; wir müssen auf die Bürger zugehen und unser Bestes tun, ihnen alles zu erklären. Ich hoffe, dass die Kommission und das Europäische Parlament in der Lage sein werden, auch gemeinsam die Kommunikationsaktivitäten zu planen und damit sicherzustellen, dass wir einen Text vorlegen, der so zugänglich und verständlich wie möglich ist; dass wir eine Debatte führen, die europäisch ausgerichtet ist, so dass Sie hoffentlich die Debatte auch in den Mitgliedstaaten verfolgen können – wobei wir, alle Institutionen die politische Verpflichtung eingehen, auf die Bürger zuzugehen: um zu erklären, sich einzusetzen und auch zuzuhören. Dies wird von jetzt an unsere Rolle sein.
Das ist nur der Anfang. Vor uns liegen außerdem seine Ratifizierung und Umsetzung. Aber sowohl ich als auch die Kommission sind der Ansicht, dass es ein guter Reformvertrag ist – kein perfekter: Es handelt sich selbstverständlich um einen Kompromiss; wir hätten lieber keine Opt-outs gehabt, sondern eine wirklich gute Unterstützung für das, was insbesondere in der Charta der Grundrechte steht, aber wir haben nun mal diesen Kompromiss, wir haben eine Vereinbarung zwischen allen Mitgliedstaaten – und wir werden jetzt das Beste daraus machen.
(Beifall)
Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Alexandra Dobolyi (PSE), schriftlich. – (HU) Ungarn hat den Verfassungsvertrag – bzw., in seiner neuen Form, den Reformvertrag – schon immer unterstützt. Das Interesse Ungarns und das Ziel der Union ist es, den Frieden und unsere grundlegenden Interessen zu wahren und den Wohlstand der Unionsbürger, inzwischen schon 500 Millionen an der Zahl, zu mehren. Europa hat sich verändert, die Welt hat sich verändert. Auf die neuen Sicherheitsrisiken muss mit neuen Strategien und neuer Politik reagiert werden. Europa muss sich auf Veränderungen in allen Bereichen einstellen.
Ich glaube, der Reformvertrag kann zur Kursbestimmung in Europa beitragen und damit zur Festlegung des zukünftigen Handlungsrahmens, der Politik und des Europas, in dem wir leben und Erfolg haben wollen.
Meines Erachtens ist es wichtig, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem informellen Gipfel am 18./19. Oktober Verantwortung zeigen, historisch begründete Ressentiments beiseite legen, einstimmig den endgültigen Text des Reformvertrages beschließen und damit die Union auf den richtigen Weg bringen.
Ziel des Gipfels ist es, sich einvernehmlich auf den Text des Reformvertrages zu einigen und damit die Wirksamkeit der erweiterten Europäischen Union zu erhöhen und die Rolle des Europäischen Parlaments als einzigem gewählten Gremium und das außenpolitische Handeln der EU zu stärken. Das Europäische Parlament garantiert dem Europäischen Verfassungsprozess und dem Reformvertrag heute und in Zukunft seine volle Unterstützung und ist zuversichtlich, dass die 27 Mitgliedstaaten den Vertrag so bald wie möglich ratifizieren werden. Abgeordnete der einzelnen Fraktionen werden das Europäische Parlament auf dem Gipfel in Lissabon vertreten und damit zur Vollendung des Reformvertrages beitragen.
Entscheidend ist doch, dass wir ein Europa brauchen, in dem 27 Mitgliedstaaten gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, dass auf dem Weg in eine bessere Zukunft die richtigen Schritte unternommen werden.
Die Zeit dafür ist reif, in Lissabon müssen wir das beweisen!
Margie Sudre (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Der vorgeschlagene Reformvertrag entspricht genau dem von den 27 im Juni gebilligten Mandat. Er setzt ihre politische Verpflichtung wortgetreu um und sollte es der Europäischen Union ermöglichen, aus der institutionellen Sackgasse herauszufinden, in der sie sich seit mehr als zehn Jahren befindet.
Ich bitte die Mitglieder des Europäischen Rates hiermit, ihr Wort zu halten und sich nicht in ausufernden Fragen „außerhalb des Mandats“ zu ergehen.
Dies ist nicht die Zeit für kleine Last-Minute-Absprachen, aufkeimende nationalistische Reaktionen oder Abkapselungsversuche, da der Vertrag durch die Einfügung einer Vielzahl von Gefälligkeitsausnahmen an Kohärenz verlieren könnte.
Bei der Annahme dieses Textes sollte der vorgesehene Zeitplan eingehalten werden, damit der Vertrag von Lissabon am 1. Januar 2009 in Kraft treten kann.
Wir sollten uns nun auf die Bewusstseinsbildung bei unseren Mitbürgern konzentrieren, die der Europäischen Union inzwischen viel fordernder und kritischer gegenüberstehen. Sie brauchen Erklärungen, die wir ihnen geben und uns dabei als gute Pädagogen erweisen sollten.
Es ist die Aufgabe jedes einzelnen von uns, unsere Begeisterung in diesem neuen Kontext, der gleichzeitig durch die Rückkehr zum europäischen Geist und die Forderung nach demokratischer Transparenz gekennzeichnet ist, mit anderen zu teilen.
17. Zusammensetzung des Parlaments
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Alain Lamassoure und Adrian Severin in Namen des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments (2007/2169(INI)) (A6-0351/2007).
Alain Lamassoure (PPE-DE), Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag, den wir heute prüfen, ist eine Antwort auf die Aufforderung durch den Europäischen Rat vom Juni. In Artikel 9 A des Vertragsentwurfs wird ausgeführt, dass die Zusammensetzung des Parlaments künftig dem Sekundärrecht unterliegt. Vorgesehen ist ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates auf Initiative und mit Zustimmung des Parlaments. Der Rat fordert uns auf zu erklären, wie dieses Verfahren funktionieren soll. Er möchte, dass wir uns mit dieser heißen Kartoffel beschäftigen.
Für unser Parlament ist das eine echte politische Herausforderung. Sind wir in der Lage eine Reform zu entwickeln, die für uns selbst gilt? Das letzte Mal waren wir dazu im Jahr 2000 aufgerufen und dem Parlament gelang dies damals nicht. Deshalb ist die im Ausschuss für konstitutionelle Fragen erzielte Abstimmung bereits ein beachtenswertes politisches Ergebnis. Wir haben eine große Mehrheit gefunden: zwei Drittel bei der Endabstimmung und drei Viertel beim wichtigsten Punkt, der zahlenmäßigen Verteilung der Sitze zwischen den Mitgliedstaaten.
Worin liegt nun das Problem? Vergegenwärtigen wir uns zunächst, dass das jetzige aus 785 Mitgliedern bestehende Parlament nicht mehr der aus dem geänderten Vertrag von Nizza resultierenden neuen Rechtslage entspricht. Wird kein neuer Beschluss gefasst, wäre dieses auf 736 Abgeordneten basierende System anzuwenden. Bislang sind die Mitgliedstaaten im Rat wie auch im Parlament in Länderkategorien unterteilt: ein super großer Staat, einige große, einige mittelgroße, einige kleine Staaten usw. Jede Kategorie hat dasselbe Stimmrecht im Rat, die gleiche Sitzanzahl im Parlament.
Damit ist Schluss! Gegenüber diesem System werden mit dem neuen Vertrag zweierlei Arten von Neuerungen eingeführt. Zum einen rein zahlenmäßig: Es gibt ein Maximum von 750 Abgeordneten sowie eine Höchstzahl von 96 und eine Mindestzahl von 6 Sitzen pro Mitgliedstaat. Zum anderen wird ein Grundsatz eingeführt: Zwischen der Höchst- und der Mindestzahl müssen die Mitgliedstaaten degressiv proportional vertreten sein, und uns, dem Parlament, kommt die Aufgabe zu, heute diesen Grundsatz zu definieren, d. h. festzulegen, wie viel Proportionalität und wie viel Degressivität es geben soll bzw. wie überrepräsentiert die bevölkerungsärmsten und wie unterrepräsentiert die bevölkerungsreichsten Länder sein werden.
Ihr Ausschuss schlägt vor, diesen Grundsatz folgendermaßen umzusetzen: Erstens müssen die im Vertrag festgesetzten Mindest- und Höchstzahlen uneingeschränkt ausgeschöpft werden. Insbesondere die Ausnutzung der Höchstanzahl von 750 Sitzen würde uns – in gewisser Weise – eine kleine Reserve an Sitzen bieten, so dass die degressive Proportionalität angewendet werden könnte, ohne die Sitzanzahl eines Landes zu verringern. Dies ist eine grundsätzliche politische Entscheidung und für die Erreichung der Einstimmigkeit im Europäischen Rat unabdingbar.
Zweitens: Je bevölkerungsreicher ein Land ist, desto mehr Anspruch hat es natürlich auf eine hohe Zahl von Sitzen. Drittens: Je bevölkerungsreicher ein Land ist, desto höher ist die Zahl von Bewohnern, die jeder seiner Abgeordneten im Europäischen Parlament vertritt. So repräsentiert ein spanischer Abgeordneter gegenwärtig mehr als 875 000 Bürger, Herr Präsident, während ein deutscher Abgeordneter nur 832 000 vertritt. Bislang ist die Bevölkerungszahl Deutschlands doppelt so hoch wie die Spaniens. Diese Anomalie wird ausgeglichen, indem Spanien vier zusätzliche Plätze zugewiesen bekommt. Insgesamt sind zehn Länder von den vorgeschlagenen Erhöhungen betroffen.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass dies nur eine Übergangslösung ist. Es wäre wünschenswert, eine mathematische Formel zu finden, die automatisch für zukünftige Erweiterungen gilt. Aber in Anbetracht des uns zur Verfügung stehenden engen Zeitrahmens, war dies nicht möglich. In der Entschließung sind jedoch diesbezügliche Empfehlungen formuliert. Zudem mussten wir auf die einzig verfügbaren Bevölkerungsdaten, nämlich die von Eurostat zurückgreifen, da uns keine Zahlen von den Bürgern selbst vorlagen. Adrian Severin wird darauf näher eingehen.
Schließlich möchten wir unsere Kollegen vor Änderungsanträgen warnen, die den Grundprinzipien des Berichts entgegenstehen und mit denen wahlweise die großen Länder gegenüber den kleinen oder die kleinen Länder gegenüber den großen über Gebühr bevorteilt würden. In diesem Fall wäre unsere Arbeit umsonst gewesen, da es mangels Einstimmigkeit im Rat bei den 736 Sitzen des Vertrags von Nizza bleiben würde.
Deshalb, meine Damen und Herren, verzichten Sie bitte auf das gegenseitige Überbieten aus nationalen Interessen. Wir haben den ganzen Nachmittag lang verkündet, dass wir das einzige demokratische Organ sind, das die Interessen der Europäer gegenüber den anderen Organen jenseits nationaler Egoismen verteidigt. Heute nun haben wird die ideale Gelegenheit, unseren Worten Taten folgen zu lassen.
(Beifall)
Adrian Severin (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Durch unsere Vorschläge – die von Herrn Lamassoure und mir –, die vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen bestätigt wurden, wird eine Reihe von Verbesserungen bei den gegenwärtigen Praktiken bezüglich der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments eingeführt. Werden diese angenommen und richtig durchgesetzt, wird es keine weiteren künstlichen Gruppierungen, keine weiteren willkürlichen Verhandlungen, keine weitere Erweiterung auf Kosten der Effizienz des Europäischen Parlaments geben, das mit der Zahl der Mitgliedstaten immer weiter anwächst. Stattdessen werden wir mehr Repräsentativität haben, die sich auf die demografische Realität und nicht auf nominelle oder symbolische Rechtsverhältnisse stützt, mehr Solidarität zwischen den großen und kleinen Ländern, die auf die degressive Proportionalität der Vertretung zurückzuführen ist, sowie vollständige Legitimität aufgrund der Bürgervertretung, die der Tatsache geschuldet ist, dass das Europäische Parlament von den Unionsbürgern gewählt wird.
Ich möchte auf den Unterschied zwischen der demokratischen Legitimität des Europäischen Parlaments, die auf dem Abstimmungsergebnis der europäischen Bürger basiert, und der nationalen Repräsentation innerhalb des Europäischen Parlaments hinweisen, die der demografischen Realität innerhalb der Mitgliedstaaten Rechnung trägt. Als Europäisches Parlament sind wir gleichzeitig Vertreter der Bürger und der Staaten.
(Unmutsäußerungen)
Sie sehen sofort, dass einige nur von Bürgern sprechen, andere von Staaten. Wir sind gleichzeitig Bundestag und Bundesrat. An eine eindeutige Trennung sollte vielleicht in Zukunft gedacht werden, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt – da wir einmal akzeptiert haben, dass die Bürger wählen und dass bei der degressiven Proportionalität die Bevölkerung, die in einem nationalen Hoheitsgebiet lebt, zu berücksichtigen ist – sind wir, so leid es mir tut, beides.
Selbstverständlich muss das Konzept der Unionsbürgerschaft in diesem Rahmen noch genau festgelegt werden, und ich hoffe, das geschieht in allernächster Zukunft. Unser Bericht ist jedoch nicht vorläufiger Natur, sondern ein Übergangsbericht. Er ist für einen Übergangszeitraum gedacht, weil ich davon ausgehe, dass die Grundsätze, die wir definiert haben, von Bestand sind, jedoch noch überarbeitet werden müssen, und ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft auf dem aufbauen können, was wir Ihnen bereits vorgeschlagen haben. Daher haben wir eine Reihe von Revisionsklauseln aufgenommen, die nach unserem Dafürhalten – d. h. von Herrn Lamassoure und mir – für Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und zukünftige Fortschritte bei der Zusammensetzung des Parlaments sorgen.
Durch diesen Bericht wird niemand benachteiligt. Vielleicht werden diejenigen, die eine bessere Bevölkerungspolitik betreiben, belohnt – und er ist zweifellos eine Aufforderung zur Ergreifung besserer demografischer Maßnahmen einschließlich einer Migrationspolitik. Ich denke nicht, dass irgendjemand etwas verliert – und vielleicht gewinnt auch niemand bei diesem Nullsummenspiel. Solange wir ein stärker demokratisch legitimiertes Parlament haben, gewinnen alle.
Wir haben einige Änderungsvorschläge eingebracht. Einige Kollegen möchten die Degressivität zugunsten der Proportionalität verringern. Mehr Proportionalität bedeutet mehr Sitze für die großen Länder. Andere wiederum möchten mehr Degressivität, jedoch nicht mehr Proportionalität. Mehr Degressivität bedeutet mehr Sitze für kleine Länder. Daher bin ich der Meinung, dass wir diese beiden extremen Positionen ablehnen müssen und uns für die – zugegebenermaßen – unvollkommene Lösung entscheiden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch die beste darstellt. Das ist die von Herrn Lamassoure und mir vorgeschlagene Option. Einige wollen eine Bezugsbasis. Andere möchten, dass alle ihre Staatsbürger ungeachtet des Wohnsitzstaates berücksichtigt werden. Wieder andere wollen, dass alle Einwohner ihres Landes in Betracht gezogen werden. Einige versuchen, nur die Unionsbürger, die in einem bestimmten Land wohnen, einzubeziehen. Es gibt also in dieser Frage unterschiedliche Ansichten. Die einzige Lösung besteht darin, die gegenwärtige Praxis beizubehalten und die tatsächlichen Zahlen von Eurostat zu verwenden.
Ich komme zum Schluss. Es gibt einige, die um politisches Prestige kämpfen und denken, dass wir in unserer politischen Gewichtung ungleich sind, wenn wir in diesem Parlament nicht in gleichem Maße vertreten sind. Wenn wir einmal die Degressivität – und die proportionale Degressivität – akzeptiert haben, können meines Erachtens diese künstlichen Gruppierungen nicht überleben. Wenn wir diese Entschließung nicht annehmen, fürchte ich, dass das Europäische Parlament die Botschaft aussendet, es sei nicht in der Lage, eine wichtige Reform anzunehmen, und dass es immer warten muss, bis das Exekutivorgan eine Entscheidung trifft. Meiner Meinung nach wird die Regierungskonferenz einen ersten Fehlschlag erleiden, noch bevor sie sich überhaupt mit der Tagesordnung befassen kann, und dieser Fehlschlag könnte das Vorspiel zu einem ganz großen Misserfolg sein. Ich befürchte, dass alle zu Nizza zurückkehren werden und ihre illusorischen Träume aufgeben müssen. Ich befürchte, wir würden dann eine Botschaft aussenden, die zeigt, dass eine Kluft zwischen den großen und kleinen Länder besteht, und das wird jeden Traum von einer Einheit, von Fairness und Integration zunichte machen. Daher möchte ich mit einem Aufruf an alle meine Kollegen enden. Ich appelliere an unsere europäische Verantwortung und unsere europäische Solidarität. Hic Rhodus, hic salta! Hier ist Rodos. Lasst uns hier beweisen, dass wir echte Europäer sind, und nicht, wenn wir die Kommission und den Rat belehren.
Ingo Friedrich, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Der Bericht gibt eine Klarstellung, für die ich den beiden Berichterstattern, Herrn Lamassoure und Herrn Severin, herzlich danken möchte. Er verdeutlicht, dass wir die vorgegebenen Obergrenzen und die vorgegebene Untergrenze immer ausschöpfen. Dafür möchte ich ausdrücklich danken. Dies ist eine Klarstellung, die für uns alle wichtig ist.
Zweitens: Es gibt zwei Ergebnisse dieses Berichts. Erstens, je weniger Degressivität wir haben, das heißt, je mehr wir uns an der Proportionalität orientieren, desto mehr echte Autorität und Legitimation hat das Parlament. Die Auseinandersetzung darüber, wie viel Degressivität wir brauchen – wie viel weniger, wie viel mehr –, muss immer wieder geführt werden, und da ist es, glaube ich, logisch, wenn man sagt, je weniger Degressivität desto mehr Legitimität. Als Deutscher darf ich hinzufügen, dass es natürlich schon ein wenig problematisch ist, dass wir als Deutsche die Einzigen sind, die weniger bekommen als auf der Grundlage von Nizza. Da bitten wir auch ein Stück weit um Unterstützung, denn die Diskussion in der deutschen Presse ist diesbezüglich sehr deutlich. Wir tragen dies mit, weil wir auch der Meinung sind, dass der europäische Aspekt wichtiger ist als alle anderen.
Abschließend zwei Erkenntnisse, die wir für die Zukunft nutzen sollten. Erstens: Wir sollten wirklich darauf hinarbeiten, dass wir langfristig ein logisches System bekommen, das wir nicht immer neu diskutieren müssen. Zweitens: Es gibt zwei strittige Änderungsanträge, 2 und 3. Unsere Fraktion hat beschlossen: Egal wie die Abstimmung zu den beiden strittigen Themen ausgeht, am Schluss gibt es ein Ja der Fraktion für den Bericht Lamassoure/Severin. Der Rat hat keine Ausrede. Im Änderungsantrag 2, der nur ganz minimal von den Zahlen im Bericht Lamassoure abweicht, würde es ein Ergebnis geben, so dass der Rat eine Botschaft des Parlaments für die Periode 2009–2014 bekommt. Deswegen haben unser Parlament und alle Fraktionen in Abwägung vieler Aspekte ihre Pflichten, wie ich meine, erfüllt, und der Rat kann entscheiden, wenn er guten Willens ist.
Vielen Dank für die Fairness der Diskussion bei einem schwierigen Thema!
Richard Corbett, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte mich im Namen der PSE-Fraktion für diesen Bericht aussprechen. Meine Fraktion wird dafür stimmen und wir hoffen, dass dieser Text, der mit einer 70 %igen Mehrheit im Ausschuss angenommen wurde, jetzt von einer ebenso beeindruckenden Mehrheit im Parlament insgesamt bestätigt werden kann.
Die Berichterstatter haben sich – vernünftig angesichts der vom neuen Vertrag festgelegten Zwänge und angesichts der knappen Zeit, die wir bis zum Abschluss der Regierungskonferenz haben, – auf die Berichtigung der größten Anomalien in der gegenwärtigen Verteilung der Sitze konzentriert, anstatt eine radikale Überarbeitung des Systems vorzuschlagen. Das hätte zu einer festgefahrenen Situation bei der Regierungskonferenz führen und die Annahme und Ratifizierung des neuen Vertrags gefährden können.
Vor allem wird es bei keinem Mitgliedstaat zu einer Verringerung der Zahl der Sitze kommen, auf die er im Rahmen der gegenwärtigen Verträge, wenn es um die Verteilung der Sitze ab 2009 geht, Anspruch hat – mit Ausnahme der Festlegung im Vertrag bezüglich der Bundesrepublik Deutschland. Mit dieser einzigen Ausnahme wird es für kein Land eine Verringerung im Vergleich zu dem geben, was bereits im Vertrag für 2009 vorgesehen ist.
Einige unserer Kollegen versuchen nun, für ihren Mitgliedstaat mehr Sitze zu gewinnen, indem sie zuweilen anführen, die Bevölkerung ihres Landes sei plötzlich wesentlich größer als wir vorher alle angenommen hatten, größer als die von Eurostat genannten Zahlen, auf die alle, auch der Rat, zurückgreifen.
Andere meinen – aus Gründen des nationalen Prestiges –, dass sie die gleiche Anzahl von Sitzen wie ein bestimmter anderer Mitgliedstaat haben müssten. Ich muss zugeben, dass mich die Haltung der italienischen Regierung sehr überrascht hat. Wie ich gehört habe, sollen Herr Prodi und auch einige italienische Abgeordnete hier gesagt haben, dass es für Italien wichtig sei, über die gleiche Anzahl von Sitzen wie Frankreich und das Vereinigte Königreich zu verfügen. Doch sie haben, wie wir alle, den Grundsatz der proportionalen Degression akzeptiert: in Abhängigkeit von der jeweiligen Bevölkerung. Ich akzeptiere, dass mein Land einen Sitz weniger als Frankreich haben wird, obwohl wir bisher immer die gleiche Anzahl hatten. Ich verstehe nicht, weshalb es für Italien so schwer sein sollte, ebenfalls zu akzeptieren, dass es aus eben diesen Gründen weniger Sitze als Frankreich besitzt. Und es überrascht mich, dass die Regierung eines Landes, das so oft behauptet hat, es sei für uns alle beispielgebend, weil es communautaire sei, weil es sich für Europa engagiere, nicht nationalistisch sei, Europa immer über seine nationalen Interessen stelle, dass Italien und Herr Prodi jetzt anführen, dass Italien – aus Gründen des nationalen Prestiges – die gleiche Sitzanzahl wie Frankreich und das Vereinigte Königreich haben müsste, obwohl es eine ganz andere Bevölkerungszahl hat.
Abschließend ersuche ich das Hohe Haus, diesen Bericht zu unterstützen, die Änderungsanträge abzulehnen und damit dem Europäischen Rat ein eindeutiges Signal zu geben.
VORSITZ: MECHTILD ROTHE Vizepräsidentin
Andrew Duff, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Auch die ALDE-Fraktion wird dem Vorschlag der Herren Lamassoure und Severin ihre Unterstützung geben. Die Regierungskonferenz verlangt von uns, unsere Zusammensetzung zu ändern, um sie mit dem Reformvertrag in Übereinstimmung zu bringen, und das ist eine durchaus angemessene Forderung. Als Parlament müssen wir ein klares, deutliches Signal geben, dass wir in der Lage sind, eine so komplizierte und mutige Entscheidung zu treffen.
Es gibt keine absolute, definitive Formel. In Ziffer 6 wird eine praktikable und vernünftige Definition der degressiven Proportionalität gegeben. Ich akzeptiere natürlich auch, dass einige nationale Delegationen versuchen, ihre Position in der Sprachtabelle zu verbessern, doch wie sich herausstellt, widersprechen sich alle solche Vorschläge gegenseitig. Alle Versuche, das System zu verändern, sind zum Scheitern verurteilt. Durch das d’Hondt-Verfahren würden die größeren Staaten mehr Einfluss erhalten, und Herrn Friedrich möchte ich sagen, dass sein Vorschlag den im Vertrag festgelegten Grundsatz der degressiven Proportionalität verletzt. Das Quadratwurzel-System würde den kleineren Staaten mehr Einfluss verleihen.
Ich verstehe vollkommen, wenn die Italiener die interessante Frage der statistischen Basis ansprechen, und wir sollten als Parlament den Unterschied zwischen Staatsbürgern, Bürgern, Einwohnern und Stimmberechtigten untersuchen. Aber das Thema ist außerordentlich kompliziert und hängt eng mit der nationalen Souveränität auf dem Gebiet des Wahlrechts und der Staatsbürgerschaft zusammen. Es ist unmöglich, dieses Problem innerhalb einer Woche bis zum Ende der Regierungskonferenz zu lösen.
Nach der Regierungskonferenz wird der Ausschuss für konstitutionelle Fragen einen Bericht vorlegen, und ich habe die Ehre, als Berichterstatter zu fungieren. Er wird sich mit all diesen Fragen befassen und eine Reform des Primärrechts aus dem Jahre 1976 vorschlagen. Doch all das ist für das kommende Jahr vorgesehen und nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Lassen Sie uns in der Zwischenzeit dem Vorschlag unsere einhellige Zustimmung geben und der Regierungskonferenz eine Lösung und kein Problem vorlegen.
(Beifall)
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte mich meinen Kollegen anschließen und den Ko-Berichterstattern für die Arbeit danken, die sie zu diesem äußerst schwierigen und komplizierten Thema geleistet haben.
Was immer einige Kollegen auch sagen mögen, die Türken wählen schließlich Weihnachten nicht, weshalb sollte irgendein gegenwärtiges Mitglied des Europäischen Parlaments danach trachten, ihnen ihren Sitz wegzunehmen? Der Wunsch derjenigen, die versuchen, die höchste Anzahl von Sitzen in jeder der nationalen Kategorien zu erhalten, ist legitim. Ich würde nicht unbedingt eine solche Haltung verurteilen wollen. Wenn wir zurückdenken an die Veränderungen, die sich seit den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Jahre 1979 ereignet haben, so hat es immerhin phänomenale Veränderungen in den demografischen Entwicklungen und Trends innerhalb der Europäischen Union gegeben, nicht zuletzt aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union nach Osteuropa im Jahre 2004. Dadurch wurde die Reisefreiheit so vieler Menschen in andere Länder ermöglicht und die Bevölkerungszahlen haben sich enorm verändert.
Meiner Meinung nach besteht einer der wesentlichen Aspekte, über die wir unbedingt sprechen müssen (und wir können über die degressive Proportionalität bis in alle Ewigkeit sprechen), darin, dass immer ein Gleichgewicht zwischen den einzelnen Institutionen – und auch ein Gleichgewicht zwischen den größeren und kleineren Mitgliedstaaten – bestand und damit gesichert wurde, dass keine Institution gegenüber einer anderen eine Vormachtstellung einnimmt oder dass größere Mitgliedstaaten mittlere oder kleinere Mitgliedstaaten dominieren. Deshalb ist es auch so wichtig, dieses Gleichgewicht so weit wie möglich beizubehalten.
Ich begrüße, dass die Berichterstatter in einem Kompromissänderungsantrag vorschlagen, dieses Gleichgewicht zwischen den Organen beizubehalten. Wenn wir uns außerdem die Zahlen ansehen, mit denen gearbeitet wurde – und zu den Eurostat-Zahlen wurde hier von anderen Kollegen bereits einiges gesagt – so sind die Zahlen von 15 der 27 Länder, die Eurostat verwendet, lediglich vorläufige Angaben von den zentralen statistischen Ämtern dieser Länder. Das heißt also, dass den Entscheidungen nur vorläufige Zahlen zugrunde liegen, obwohl das dauerhafte Auswirkungen auf die zukünftige Zuteilung der Sitze im Parlament haben könnte.
Wir müssen auch die weitere Erweiterung durch die Aufnahme von Kroatien im Auge behalten, denn das wird auch negative Auswirkungen haben. Deshalb mahne ich zur Vorsicht, wenn wir über diese Frage abstimmen.
Johannes Voggenhuber, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Meine Fraktion wird diesem Bericht nicht zustimmen, weil das vorgeschlagene Repräsentationssystem, die Sitzverteilung, elementare, demokratische Grundsätze missachtet, historische Ungleichheiten fortsetzt, und die Natur dieses Hauses, als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger sowie seiner Wählerinnen und Wähler verletzt.
Es sind nicht die Träume, die nicht erfüllt werden. Ja, Herr Severin, viele wünschen sich vieles, aber was wir uns alle wünschen sollten, ist ein wenig Ahnung von dem zu behalten, was ein Parlament ist. Ein Parlament ist nicht – wie uns die Berichterstatter in ihrem gestrigen nächtlichen Brief mitteilen – die Vertretung einer sozioökonomischen Kapazität der Staaten. Nein, es ist die Repräsentation von Wählerinnen und Wählern und sonst nichts. Es ist eine Vertretung der Bürgerinnen und Bürger oder es ist kein Parlament! Es ist kein Parlament, wenn es keinen Demos gibt, auf den wir uns stützen, und es ist nicht wahr, dass der citizenship-Begriff in Europa nichts zu tun hätte mit dem völkerrechtlichen oder dem Begriff der citizenship in den Vereinigten Staaten. Es ist genau dasselbe, und ich würde Ihnen einen Blick raten in die bestehenden Verträge. Ich würde Ihnen einen Blick raten in die Grundrechte-Charta, in der die Rechte dieser Bürger festgehalten sind. Ich würde Ihnen einen Blick raten in die Zugangsbestimmungen zum Europäischen Gerichtshof. Ich würde Ihnen einen Blick raten in die Bestimmungen, wie man Wähler wird. Dann werden Sie erkennen, dass es das Einfachste der Welt ist, festzustellen, wer Bürgerin oder Bürger dieser Union ist, und wer zu diesem Parlament wahlberechtigt ist. Das wird nämlich alle fünf Jahre festgestellt.
Die Einwohner, die Bevölkerung, das ist ein symbolischer Ausdruck für eine sozioökonomische Kapazität. Aber wir haben es ja schon einmal versäumt, wir wurden ja auch in Nizza gefragt: Liebes Parlament, sage uns doch selber, wie Du zusammengesetzt werden willst. Wir sind damals gescheitert. Leider haben wir diese sieben Jahre nicht genutzt, um zu klären, was dieses Parlament ist. Deshalb schreiben wir den historischen Humbug und die historischen Sachzwänge fort, die bis heute entstanden sind. Das hat mit Demokratie und Verfassungsdenken nicht das Geringste zu tun.
Sylvia-Yvonne Kaufmann, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! In meiner Fraktion gibt es unterschiedliche Sichten. Ich aber unterstütze den Bericht der Kollegen Lamassoure und Severin. Mit dem Bericht nimmt das Parlament verantwortungsvoll sein Initiativrecht wahr, selbst einen Vorschlag über seine künftige Zusammensetzung zu unterbreiten. Es tut dies dank der intensiven Arbeit beider Berichterstatter in einem wahrhaft europäischen Geist. Der Vorschlag ist ausgewogen, er basiert auf einem klaren, nachvollziehbaren und transparenten System, und er ist zudem im Hinblick auf künftige Erweiterungen tragfähig.
Der Vorschlag folgt zum einen dem Grundsatz der Pluralität. Durch die Inanspruchnahme aller möglichen 750 Sitze wird auch in Zukunft gewährleistet sein, dass das Parlament das Spektrum der wichtigsten politischen Orientierungen aus jedem Land widerspiegelt. Und: Der Vorschlag basiert auf dem Grundsatz der Solidarität, demzufolge die bevölkerungsreichsten großen Staaten akzeptieren, weniger stark präsent zu sein, um eine bessere Vertretung der bevölkerungsärmsten kleinen Staaten zu ermöglichen. All dies trägt dazu bei, den Zusammenhalt in der Union zu stärken. Von daher hoffe ich, dass der Rat den Parlamentsvorschlag vorbehaltlos und zügig vor den Wahlen 2009 umsetzt.
Noch eine Anmerkung zum Schluss: Die Grundlage für die Berechnung der Sitze eines Staates bilden – ebenso wie beim Rat – alle in dem betreffenden Staat lebenden Menschen, einschließlich der dort lebenden Drittstaatsangehörigen, denn sie sind Teil dieser Gesellschaft. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Drittstaatsangehörige, die ihren Lebensmittelpunkt in unseren Mitgliedstaaten haben, müssen auch das Wahlrecht zum Europäischen Parlament erhalten. Dafür habe ich immer gestritten, und dafür werde ich auch weiter streiten!
Bernard Wojciechowski, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! In der Regel geht es doch darum – wenn uns ein solcher Bericht vorliegt –, was ein Land gewinnt und ein anderes verliert. Das allein beweist, dass es sich bei der europäischen Solidarität um einen Mythos handelt und der nationale Egoismus immer an erster Stelle steht.
Angesichts des jüngsten aggressiven Vorgehens von Herrn Schulz gegen den Präsidenten der Europäischen Kommission sollten wir nach einer guten Möglichkeit suchen, in dem Nullsummen-Spiel zu gewinnen.
In Ziffer 8 kommt Bedauern zum Ausdruck, dass Deutschland Sitze verlieren wird. Dieses Wehklagen geht noch weiter: Mehr EU-Dokumente sollten ins Deutsche übersetzt werden, Deutschland sei der größte Nettobeitragszahler zum EU-Haushalt, das Land müsse einen eigenen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben und so weiter und so fort. Man könnte eine ganze Liste solcher Beschwerden aufstellen.
Gleichzeitig versucht Herr Severin uns davon zu überzeugen, dass durch diese nicht definierte degressive Proportionalität – die übrigens auf sein eigenes Land, Rumänien, keine Auswirkungen hat – Polen, wenn es drei Sitze verliert, eigentlich einen dazu bekommt. Ich kann nur wünschen, sein Konzept möge im Casino auch so gut funktionieren.
Aber lassen Sie uns eines klarstellen: Nur für einen Sozialisten aus Yorkshire ist zwei plus zwei fünf.
Luca Romagnoli, im Namen der ITS-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht Lamassoure-Severin sollte entrüstet zurückgewiesen werden, und zwar wegen des ideologischen Untertons, der sich gegen Italien richtet, und wegen der als Vorwand dienenden technischen Argumente im Gegensatz zu den politischen Argumenten, auf denen er tatsächlich beruht. Ich mag nicht näher darauf eingehen, was für mich das ius sanguinis, was offensichtlich in den Gedanken der Berichterstatter und derjenigen, die diese Initiative in Auftrag gaben, gar nicht vorkommt, im Vergleich zu dem jakobinischen ius loci bedeutet.
Weder bin ich Rechtsexperte noch genieße ich ein so ungetrübtes Ansehen wie Prof. Manzella, Vorsitzender des Ausschusses für Europaangelegenheiten des italienischen Senats, oder wie andere Kollegen, um mit ebensolcher Präzision die juristische Unstimmigkeit der in dem Bericht enthaltenen Aussagen anfechten zu können. Trotzdem glaube ich an meine Überzeugungskraft, wenn ich unterstreiche, dass für die Berichterstatter unstrittige Fakten nicht zählen. In der Politik sind das die Wertschätzung und die Rolle, die Italien beim Aufbau Europas hatte und immer noch hat.
Der so kläglich italianisierte Grundsatz der „degressiven Proportionalität“, der zur Neufestlegung der in dem auf Eis gelegten Verfassungsvertrag verankerten Sitzverteilung herangezogen wird, wurde unter offenkundiger Diskriminierung Italiens angewandt, denn für einige Länder wurde das System der Staffelungen beibehalten, was mit gewaltigen Verzerrungen verbunden ist, wenn man bedenkt, dass Estland dieselbe Anzahl von Sitzen zugeteilt wurde wie Malta, obwohl seine Bevölkerung drei mal so groß ist.
Es mag angehen, dass für Großbritannien die aufhältigen Nicht-EU-Bürger als Wahlberechtigte mitgezählt wurden und dass ihm die Berichterstatter auf dieser Grundlage einen Sitz mehr als Italien zugewiesen haben, obwohl schließlich nur ein Drittel der Wahlberechtigten an den Wahlen von 2004 teilgenommen hat. Wir können akzeptieren, dass Frankreich, das seine Wählerschaft und sein demografisches Profil mit der gleichen Vielfalt an Nationalitäten zusammensetzt und auffüllt wie seine Fußballnationalmannschaft, zwei Sitze mehr als Italien zugesprochen werden. Wir können die Ahnungslosigkeit der italienischen Regierung und die Flucht in die Zeiten der Vorbereitungen der Debatte im Rat akzeptieren.
Doch eines können wir nicht akzeptieren. Die Berichterstatter klammern sich an die für sie strittige Bedeutung von Bürgerschaft. Sie verlangen, alle Einwohner Europas als Wähler zu betrachten, selbst wenn sie einen Pass und die Staatsbürgerschaft eines Nicht-EU-Landes besitzen. Doch sie nehmen die Bürger, die außerhalb Europas wohnen, aus den Berechnungen heraus. Das vermittelt den Eindruck einer krassen, manipulatorischen, unannehmbaren Diskriminierung Italiens, die wir entschieden zurückweisen!
Irena Belohorská (NI). – (SK) Als Erstes möchte ich den Berichterstattern, Alain Lamassoure und Adrian Severin, meine Unterstützung für ihren Bericht zusichern. Wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, dass die Slowakische Republik durch den vereinbarten Grundsatz der degressiven Proportionalität einen Abgeordneten verliert. Wie bei der proportionalen Sitzverteilung im Parlament sollte dieser Grundsatz auf alle Bereiche der EU-Beschäftigungspolitik ausgedehnt werden. Deshalb fordere ich, dass in allen EU-Institutionen die Zahl der Abgeordneten und Angestellten aus den zwölf neuen Mitgliedstaaten erhöht wird. Ich glaube, jeder Mitgliedstaat verfügt über eine hinreichende Anzahl qualifizierter Menschen, die einen wertvollen Beitrag zur EU liefern können.
Gleichheit ist eines der Grundprinzipien der EU. Auch die alten Mitgliedstaaten verpflichteten sich zur Einhaltung dieses Prinzips, als sie zwölf neue Mitgliedstaaten in ihren Kreis aufnahmen. Es sollte in allen Bereichen gelten, nicht nur für die Posten als Mitglieder des Europäischen Parlaments oder der Kommission. Ich fordere die Einhaltung und Achtung des Gleichheitsprinzips. Als die neuen Mitgliedstaaten der EU beitraten, mussten sie viele Kriterien erfüllen. Nun appelliere ich an die EU als Ganzes, ihre Verpflichtungen diesen gegenüber ebenfalls einzuhalten.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (SV) Frau Präsidentin! Durch die Unterstützung des Berichts Lamassoure kann die Europäische Union einen historischen Schritt gehen. Mit diesem Bericht können wir die Zeit hinter uns lassen, in der die Plätze im Europäischen Parlament auf der Grundlage einer Kategorisierung einzelner Länder in verschiedene Gruppen verteilt werden, je nach Verhandlungsvermögen der Regierungschefs und ausgehend von der Annahme widerstreitender Interessen der EU-Mitgliedstaaten. Wenn das Parlament den Bericht Lamassoure befürwortet, werden wir dieses System zugunsten eines anderen aufgeben, das auf der Proportionalität basiert und bei dem die Größe der Länder ihre Vertretung im Parlament beeinflusst.
Das bisherige System war sehr schwer zu erklären, während man das, was wir mit dem Bericht Lamassoure erhalten, begreiflich machen kann. Dieses System geht von einer Höchst- und einer Mindestzahl aus und berücksichtigt die Einwohnerzahlen der einzelnen Länder, ein Prinzip, das auch für die Zukunft haltbar ist. Damit werden nicht die Interessen des einen oder anderen Landes bevorzugt, sondern es zählen allein die Einwohnerzahlen. Das ist ein Schritt noch vorn im demokratischen Prozess in der Europäischen Union.
Ich möchte, dass völlig klar ist, welche Alternativen wir haben. Entweder wir unterstützen die Vorschläge des Berichts Lamassoure oder wir gehen zurück zum Vertrag von Nizza mit seiner Willkürlichkeit und von widerstreitenden nationalen Interessen geprägten Verhandlungen. Wenn ich mir die letzten Redner von den Bänken da oben und ihre Agitation so anhöre, kann ich auch die nationalen Interessen in Konfliktsituationen heraushören.
Der Bericht des Kollegen Lamassoure verdient unsere Unterstützung, da er auf einem Grundsatz basiert.
Sérgio Sousa Pinto (PSE). – (PT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der von Alain Lamassoure und Adrian Severin verfasste Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die zukünftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ist ein wichtiger Beitrag, der auf eine ausgewogene und objektive Lösung in einer politisch hoch sensiblen Frage orientiert. Deshalb möchte ich den beiden Berichterstattern gratulieren.
Es sei daran erinnert, dass der Europäische Rat auf seiner letzten Sitzung im Juni dem Europäischen Parlament eine Lösung der Problematik seiner zukünftigen Zusammensetzung bis Oktober 2007 versprochen hat, damit diese dann rechtzeitig bei den Europawahlen 2009 umgesetzt werden kann. Für diejenigen, die befürchteten, das Parlament könnte es nicht schaffen, diese Frage wegen vorherrschender nationalistischer Ideologien zu lösen, liefert dieser Bericht eine passende Antwort und beweist, dass dieses Organ sehr wohl in der Lage ist, das gemeinsame europäische Interesse innerhalb der nationalen Dynamiken, die zwischenstaatliche Angelegenheiten oft kompliziert machen, genau zu bestimmen und zum Ausdruck zu bringen.
Für den reibungslosen Ablauf der Arbeit der Regierungskonferenz, die am 18. und 19. Oktober in Lissabon abgeschlossen werden soll, ist die Festlegung eines gemeinsamen Standpunktes des Europäischen Parlaments wichtig. Dafür muss unbedingt anerkannt werden, dass zwischen diesem neuen Vorschlag zur Sitzverteilung nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität und dem gesamten Reformpaket für die Organe der Union, insbesondere dem Prinzip der doppelten Mehrheit für die Festlegung der Mehrheit im Rat, ein politischer Zusammenhang besteht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit unterstreichen, dass der institutionelle Aspekt des Reformvertrags kohärent sein muss und dass hinsichtlich der Frage der doppelten Mehrheit, die ja offensichtlich erst im Zeitraum 2014-2017 in Kraft treten wird, die Verträge keine „Gentlemen‘s Agreements“ wie der Kompromiss von Ioannina enthalten sollten, die weiter Gültigkeit haben werden, aber, obwohl sie im gegenwärtigen Rahmen rechtlich anerkannt sind, nur dazu dienen würden, die Entscheidungsfindung im Rat blockieren würden.
Wir wussten von Anfang an, dass die Frage der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments keine rein rechnerische Angelegenheit sein würde. Innerhalb der Grenzen der bestehenden Bedingungen musste die zu findende Lösung drei Grundsätzen folgen: dem Grundsatz der Solidarität, bei dem die bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten eine Unterrepräsentation akzeptieren, dem Grundsatz des Pluralismus, der eine Vertretung des gesamten Spektrums der wichtigsten politischen Orientierungen in jedem Land ermöglicht, sowie dem Grundsatz der Effizienz, der die Höchstzahl der Abgeordneten auf ein Niveau begrenzt, das mit der Rolle einer gesetzgebenden Versammlung vereinbar ist. Durch die Anwendung des Grundsatzes der degressiven Verhältnismäßigkeit gelang es den Berichterstattern, einen vernünftigen einvernehmlichen Vorschlag zu erarbeiten.
Frau Präsidentin, abschließend möchte ich sagen, dass das Europäische Parlament die erzielte Einigung nicht als perfekt ansehen muss, damit es ihr seine politische Zustimmung geben kann. Trotz seiner Schwachstellen stärkt der Text die Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments und ist sehr viel besser als das rücksichtslose Gerangel zwischen nationalen Egoismen, die der Union und ihren Bürgern teuer zu stehen kommen würden.
Am Vorabend eines wichtigen Europäischen Rates fällt es diesem Hohen Haus – Vertreter unserer Bürger – und auch mir schwer, der Vorstellung zu folgen, dass dieses Parlament auch die Mitgliedstaaten vertritt, dem europäischen Interesse Vorrang einräumt und darauf vertraut, dass die Staatschefs dies ebenfalls tun.
Henrik Lax (ALDE). – (SV) Es gibt eine große Gruppe Bürger, die in der Diskussion über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nicht berücksichtigt worden sind. Ich denke dabei an die fast 50 Millionen Europäer, die einer regionalen oder nationalen sprachlichen Minderheit angehören. Heute sind wir nur eine Handvoll Abgeordneter, die diese Gruppen vertreten. Das ist inakzeptabel und vermittelt leider ein falsches Bild vom Europäischen Parlament. Es erscheint so, als würden wir die verletzliche Situation nicht verstehen, in der bestimmte sprachliche Minderheiten immer noch leben. Der auf der so genannten degressiven Proportionalität basierende Bericht der Kollegen Lamassoure und Severin ist ein Glanzstück statistischer Arbeit, und ich werde ebenfalls dafür stimmen, aber wir müssen jetzt auch den Mut haben, andere Sachfragen zu diskutieren. Wie können wir das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union stärken? Wie können wir sicherstellen, dass die EU und das Europäische Parlament die Ziele erfüllt, die wir anderen auferlegen, das heißt, wie gewährleisten wir, dass auch die Stimme der Minderheiten gehört wird?
Meine Damen und Herren, wollen wir Abgeordnete des Europäischen Parlaments zulassen, dass die sprachlichen Minderheiten dem Wohlwollen der nationalen Regierungen überlassen bleiben, die ihnen vielleicht einen Sitz zugestehen, oder wollen wir, dass diese Minderheiten nicht im Europäischen Parlament vertreten sind? Die Antwort sollte ein überwältigendes Nein sein! Zur Sicherung der Vielfalt ist es daher an der Zeit, einige Sitze im Europäischen Parlament für sprachliche Minderheiten zu reservieren. Ich selbst vertrete die schwedischsprachige Bevölkerung Finnlands sowie die Åland-Inseln.
Cristiana Muscardini (UEN). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht über die Sitzverteilung im Parlament enthält offenkundige Widersprüche, die durch das Schreiben, das die Berichterstatter gestern übermittelten, gleichsam um ihren Standpunkt zu politisch derart heiklen Fragen zu rechtfertigen, noch verschlimmert werden, und er stellt den Rechtsbegriff der Bürgerschaft, wie er seit jeher kodifiziert ist, auf den Kopf.
Der in dem Bericht vorgeschlagene Grundsatz hebelt sowohl die Nationalstaaten als auch die Verträge aus. Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die Unionsbürgerschaft der Rechtsstatus, in dem sich diejenigen – und nur diejenigen – befinden, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen und demzufolge alle mit diesem Status verbundenen Rechte und Pflichten haben. Und es ist die Bürgerschaft, die maßgebend sein muss, und nicht der Wohnsitz. Dieser Vorschlag verzerrt zudem den Ansatz, der dem nächsten Vertrag zugrundegelegt wurde, indem stattdessen eindeutig klargestellt wird, dass der Begriff der Bürgerschaft nichts mit dem des Wohnsitzes zu tun hat.
Das Europäische Parlament hat eine große Chance vertan, nämlich die, auch den anderen Organen zu beweisen, dass es aus sich heraus auf anerkannten und gemeinsamen Rechtsgrundsätzen basierende Lösungen zu finden vermag. Ich frage die Berichterstatter, warum sie nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung gezogen haben, für die Zuteilung der Sitze die Zahl der Bürger der Mitgliedstaaten anstatt die der Wohnbevölkerung als Kriterium heranzuziehen.
Vielleicht um einige Staaten mehr als andere zu begünstigen? Sehen Sie sich das Beispiel des Vereinigten Königreichs an, das auch Nicht-EU-Bürgern das Wahlrecht für die Europawahlen einräumt. Herr Lamassoure und Herr Severin: Ihre Behauptung, niemand würde im Vergleich zum Nizza-Vertrag benachteiligt, ist in meinen Augen eine grobe Entstellung, die andere gerade zu rücken haben werden.
Aus diesem Grund können wird dem Bericht nicht zustimmen. Darüber hinaus benachteiligt er nicht nur unser Land, nicht nur mein Land, sondern auch andere Länder der Union. Und er wirkt sich nachteilig auf die repräsentative Demokratie und auf den zukünftigen Vertrag aus, der, wie von Ihnen selbst anerkannt wird, Leitlinien und Grundsätze enthält, auf die sich die Sitzverteilung im Parlament stützen sollte. Man kann den Begriff der Unionsbürgerschaft als Grundlage der demokratischen Legitimation unseres Hohen Hauses nicht außer Acht lassen.
Roberto Musacchio (GUE/NGL). – (IT) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich befürworte eine entscheidende Rolle des Europäischen Parlaments, die oft in Abrede gestellt wird, doch mit diesem Vorschlag scheinen die Regierungen unser Hohes Haus zum Werkzeug machen zu wollen.
Dieser Vorschlag zur Sitzverteilung ist unserer Auffassung nach unvernünftig. Italien wird benachteiligt und das ist Grund zur Besorgnis, doch was vor allem zählt ist, dass die Gründe für diese Benachteilung abwegig sind.
Es wird mit einer historischen Parität gebrochen, insbesondere wird bei der Sitzzuteilung im Namen einer Wohnbevölkerung differenziert, der kein Staatsangehörigkeitsrecht gewährt wird. Und es werden diejenigen benachteiligt, die, wie Italien, den nicht im Lande wohnenden Bürgern das Wahlrecht eingeräumt haben. Es ist etwas ganz anderes vonnöten: Ich denke zum Beispiel, dass wir wirklich eine an den Wohnsitz gekoppelte Staatsangehörigkeit brauchen, die jedoch nicht nur für die Anzahl der zu wählenden Parlamentsmitglieder, sondern auch im Hinblick auf das aktive und passive Wahlrecht mitzuzählen ist.
Es ist erforderlich, die Vertretung der politischen Minderheiten und der kleinen Staaten zu gewährleisten, indem in den in den nationalen Wahlgesetzen zu befolgenden Kriterien ausdrücklich darauf hingewiesen wird, und es muss über neue Formen zur Aufwertung der europäischen Parteien und ihrer Fähigkeit, sich als solche zur Wahl zu stellen, nachgedacht werden. Nichts von dem ist in dem Bericht enthalten, und deshalb werde ich gegen ihn stimmen.
Jens-Peter Bonde (IND/DEM). – (DA) Frau Präsidentin! Der Bericht, den das Parlament morgen annehmen wird, blockiert gewissermaßen den Beitritt der Türkei und anderer bevölkerungsreicher europäischer Länder zur EU. Deutschland hat dann doppelt so viel Einfluss im Rat, während kleine Länder nur noch halb so viel zu sagen haben. Zugleich bekommen einige größere Länder mehr Sitze im Parlament. Insgesamt wird Deutschland weiterhin dafür entschädigt, dass es im Rat die gleiche Stimmenzahl hatte wie Italien, das Vereinigte Königreich und Frankreich, obwohl es derzeit im Rat den maximalen Wert umgerechnet auf jeden Deutschen bekommt. Ich denke nicht, dass die größeren Länder solche Gewinne wieder erreichen werden, und die kleineren Länder können nicht mehr erreichen, wenn die Wähler Entscheidungen als rechtmäßig anerkennen sollen: Hören Sie auf Herrn Lax.
Ich appelliere an die größten Länder, innezuhalten und nachzudenken. Es kann nicht beides geben, ein bevölkerungsabhängiges Abstimmungssystem im Rat und ein annähernd gleiches Abstimmungssystem auch im Parlament. In den USA herrscht im Senat Gleichheit zwischen den Bundesstaaten. In Deutschland hat das Saarland, mit einer Million Einwohner, drei Stimmen im Bundesrat, während Rheinland-Pfalz, mit einer Bevölkerung von 18 Millionen, sechs Stimmen hat; das deutsche System ist also kaum als gerecht zu bezeichnen. Als mein Land der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist, hatte Deutschland dreimal so viele Stimmen im Rat wie Dänemark; jetzt wird es 15-mal mehr Stimmen haben. Zuvor hatte Deutschland dreieinhalb Mal so viele Sitze im Parlament wie Dänemark; jetzt werden es 8-mal so viele sein. Dies ist zu unausgewogen und wird niemals das Verständnis der Wähler finden. Es wird die EU zerstören – das ist das Problem.
Philip Claeys (ITS). – (NL) Frau Präsidentin! Gestatten Sie mir, zunächst meine Bedenken gegen den Zeitpunkt des Entschließungsantrags, den wir heute behandeln, zu äußern. Auf seiner Tagung im Juni hatte der Europäische Rat das Parlament um die Vorlage eines Entwurfs der künftigen Zusammensetzung des Parlaments ersucht, doch jetzt stellen wir fest, dass der gesamte Vorschlag auf dem Reformvertrag beruht, einem Text, der noch nicht einmal ratifiziert, geschweige denn in Kraft getreten ist. Mit anderen Worten, wir zäumen das Pferd beim Schwanz auf. Übrigens geschieht dies nicht zum ersten Male, und allmählich wird es wirklich skandalös.
Ich spreche hier nicht im Namen der ITS-Fraktion, sondern als Vertreter eines kleineren Mitgliedstaates – oder besser gesagt, eines künftigen Mitgliedstaates, denn es geht nicht mehr um die Frage, ob, sondern wann Belgien geteilt und Flandern ein unabhängiger Staat wird. Dies nur nebenbei.
Der in dem vorliegenden Bericht verteidigte Grundsatz der degressiven Proportionalität stellt meines Erachtens den praktikabelsten und gerechtesten Ausgangspunkt dar, sofern zumindest die Auffassung vertreten wird, dass die kleineren Mitgliedstaaten und ihre Vertreter in diesem Parlament weiterhin eine bedeutsame Rolle spielen können müssen.
Ich befürworte jedenfalls eine breite Auslegung dieses Grundsatzes der degressiven Proportionalität und gedenke daher den entsprechenden Änderungsantrag von Herrn Bonde zu unterstützen. Meiner Meinung nach liegt es im Interesse der Europäischen Union, dass die kleineren Mitgliedstaaten im Europäischen Parlament optimal vertreten sind. Andernfalls werden die europäischen Institutionen bei der Bevölkerung weiter an Rückhalt verlieren.
Sylwester Chruszcz (NI). – (PL) Frau Präsidentin! Wir führen heute hier im Europäischen Parlament zwei aufeinander folgende Aussprachen, die uns sagen werden, wie die Ordnung der Europäischen Union aussehen wird und wie die Macht verteilt wird. Für mich, als Vertreter Polens und der Liga Polnischer Familien, ist dies eine sehr traurige Debatte.
Ich blicke sehr kritisch auf diesen neuen Versuch, den Verfassungsvertrag unter dem Namen Reformvertrag einzuführen, und auch auf die neue Stimmverteilung im Europäischen Parlament, die mein Land diskriminiert. Der Bericht, der auf dubiosen und weit hergeholten Argumenten beruht und vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Europäischen Parlaments angenommen wurde, benachteiligt eindeutig einige Länder und bevorzugt andere; und dies auch nicht zum ersten Mal. Ich kann ihm meine Zustimmung nicht geben.
Außerdem fordere ich den polnischen Präsidenten auf, diesen Vertrag in der nächsten Woche in Lissabon abzulehnen.
Alexander Stubb (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Nach meinem Dafürhalten ist dies einer der traurigsten Tage in unserer Parlamentsarbeit in diesen fünf Jahren, weil ich zumindest persönlich zum ersten Mal das Gefühl habe, dass wir zu einem zwischenstaatlichen Gremium geworden sind. Es erinnert mich an die Nächte in Amsterdam im Jahr 1997 und an die Nächte in Nizza im Jahr 2000. Und heute in der Fraktion und ich denke, auch hier im Plenum, können wir sehen, worum es geht.
Ich hatte wirklich geglaubt, das Europäische Parlament sei da, um die Interessen aller europäischen Bürger zu vertreten, nicht aber engstirnige nationale Interessen.
Auf dem Tisch liegen drei Optionen: einer ist der Vorschlag Severin-Lamassoure, bei dem es sich meines Erachtens um einen europäischen Vorschlag handelt. Es ist ein ausgezeichneter Vorschlag, und beide haben eine hervorragende Arbeit geleistet, die unseren Glückwunsch verdient.
(Beifall)
Die zweite Option besteht darin, zu Nizza zurückzukehren. Vielleicht wollen das einige; ich weiß es nicht. Aber wollen wir das wirklich? Führen wir deshalb diese ganze Debatte? Wollen wir zu Nizza zurückkehren? Will Spanien Sitze verlieren? Will Polen Sitze verlieren? Ich weiß es wirklich nicht.
Die dritte Option würde ich als provokatorische Option bezeichnen, die zwei Provokationen umfasst: eine besteht darin, den großen Ländern wesentlich mehr und den kleinen Staaten wesentlich weniger zu geben. Die andere Provokation kam von der anderen Seite, nämlich den Kleinen viel und den Großen absolut nichts zu geben. Wollen wir das? Sitzen wir deshalb hier zusammen? Ich glaube nicht. Zumindest hoffe ich das nicht.
Bei der morgigen Aussprache geht es um die Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments und darum, ob wir eine rationale, logische und gerechte Entscheidung treffen können. Sind wir in der Lage, einen Vorschlag zu unterbreiten oder sind wir auch nicht anders als die einzelnen Mitgliedstaaten?
(Beifall)
Jo Leinen (PSE). – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Parlament bringt mit diesem Bericht Lamassoure/Severin eine Vorleistung. Wir machen die Sitzverteilung schon im Jahr 2009, während die neue Formel für die Stimmverteilung im Ministerrat ja erst im Jahr 2014 zur Geltung kommt. Aber wir sind bereit, diese Operation für die nächste Periode schon jetzt einzuleiten. Allerdings gilt der ganze Vorschlag nur unter der Voraussetzung eines neuen Vertrags. Wird der neue Vertrag nicht angewendet, dann bleibt es bei dem Vertrag von Nizza und den Beitrittsverträgen, das heißt, alle Länder bekommen weniger Sitze. Deshalb müsste es ein großes Interesse geben, diesen Vorschlag morgen im Plenum zu unterstützen.
Ich danke den beiden Berichterstattern Lamassoure/Severin für die Arbeit, die sie geleistet haben. Man kann nicht alle zufrieden stellen, das wäre ein Wunder, aber ich verwehre mich dagegen, was hier von polnischer Seite gesagt worden ist, dass jemand diskriminiert wird. Es wird niemand diskriminiert. Im Gegenteil: Hier ist ein Vorschlag gemacht worden, der plausibel ist und Kriterien folgt, die objektiv sind und nach denen die Sitze, die wir haben, verteilt werden können.
Wir müssen allerdings eine Debatte weiterführen, die die italienischen Kollegen in Gang gesetzt haben, nämlich die Debatte darüber, ob die Begrifflichkeit der Bürgerschaft in der Europäischen Union dieselbe ist wie jene der Bürgerschaft auf nationaler Ebene. Der Nationalstaat hat die Grenzen zugemacht und hat alle anderen ausgeschlossen. Die EU beruht auf einem anderen Konzept, und wir sind in der Tat dabei, diese Debatte zu vertiefen, damit alle Bewohner der EU von uns repräsentiert werden und nicht nur diejenigen, die den Pass eines Mitgliedstaates besitzen. Es gibt 30 Millionen in der EU, die nicht den Pass eines Mitgliedstaates haben, die aber unsere Gesetze befolgen.
Wir kommen in der nächsten Periode noch einmal darauf zurück. Ich danke für diesen Vorschlag, der uns jetzt weiterbringt auf dem Weg zu einem erfolgreichen Abschluss der Regierungskonferenz und zum neuen Europavertrag.
Margarita Starkevičiūtė (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Herrn Stubb lediglich darauf aufmerksam machen, dass Litauen in keinem der von ihm angeführten Fälle etwas gewinnt.
– (LT) Ich möchte Alexander Stubb sagen, dass Litauen in allen drei Fällen die gleiche Anzahl an Sitzen hätte, denn im ersten Fall steht die Zahl fest, im zweiten Fall auch, und im dritten Fall... Wir führen hier als Parlament eine Aussprache (und der Parlamentspräsident hat in dieser wichtigen Sitzung nicht den Vorsitz), wir führen eine Aussprache über das Parlament und ich sehe auch Herrn Lamassoure nicht. Ist er im Saal? Warum also die Aussprache? Die Schlüsselfiguren sind nicht mehr da. Es ist doch alles klar. Ich erwähne das, weil wir über unser gemeinsames Haus, über das gemeinsame Europa sprechen müssen und dabei auch die Stimmen aus jedem Land gehört werden sollten.
Das Problem meines Landes besteht darin, dass wir jahrhundertelang ums Überleben gekämpft haben. Wir sind eine kleine Nation. Viele unserer Bürger leben inzwischen in anderen Ländern, arbeiten in Ihren Unternehmen und werden Europas Probleme praktisch nicht lösen können. Wir versuchen, die Beziehung zu erhalten, eine Nation zu sein und nicht von der Landkarte zu verschwinden, aber diese Menschen dürfen nicht wählen, weil die Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament von der Einwohnerzahl abhängt. Diese Menschen leben leider in Ihrem Land, Alexander, oder in Großbritannien und Irland, und gehen einer ehrlichen Arbeit nach. Natürlich könnten sie die Abgeordneten von Schweden, Finnland, Großbritannien oder Italien wählen, aber daran gehen wir als Nation kaputt. Das ist meine größte Sorge und deshalb tut es mir Leid, dass wir – wie es Herr Lamassoure sagte – in diesem Parlament so wenig über Werte sprechen. Die heutige Aussprache ist das perfekte Beispiel dafür. Wenn ich mir die Namen ansehe, weiß ich genau, wer wie viele Sitze hat und kann schon im Voraus sagen, welche Meinungen hier vertreten werden.
Bogdan Pęk (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Ich bin seit langem an die schamlose Scheinheiligkeit in diesem Hause gewöhnt. Heute aber möchte ich eine Frage stellen. Na gut, was Sie wollen, wie ich es aus den meisten der heutigen Reden entnehmen kann, ist eine Veränderung im Abstimmungsprinzip und bei der Sitzverteilung im Europäischen Parlament, sodass die Staatsangehörigkeit zu einem bestimmten Land nicht entscheidend ist. Anders ausgedrückt behaupten Sie, dass wir jetzt schon eine integrierte europäische Bevölkerung haben, mit einheitlichen Normen und Interessen. Dies wäre dann ein europäisches Volk.
Ich möchte alle Scheinheiligen hier fragen, wie es sein kann, dass das arme alte Polen nur ein Drittel der Agrarsubventionen erhält, und dass die Deutschen, die Reichsten von allen, trotz der gemeinsamen Energiepolitik über die Köpfe der anderen Staaten hinweg mit Russland verhandeln und eine Pipeline unter der Ostsee bauen wollen, trotz der Gefahren für die Umwelt? Wie passen diese beiden Dinge zusammen? Und wenn es stimmt, was ich sage, ist es dann nicht noch zu früh, den Mythos eines europäischen Staates zu schaffen? Wir müssen daran arbeiten, aber langsam und systematisch, wohingegen übereilte Handlungen dieser Art nur zu Ergebnissen führen können, die das Gegenteil von dem sind, was wir wollen.
Gerardo Galeote (PPE-DE). – (ES) Frau Präsidentin! Ich habe Verständnis für die Schwierigkeit des Unternehmens und zolle der Arbeit der Berichterstatter Lob und Anerkennung.
Allerdings hat ihr Vorschlag zur Sitzverteilung nach meiner Auffassung in einigen Punkten zu viel Ermessensfreiheit und berücksichtigt auch nicht ausreichend das aus dem bestehenden Vertrag von Nizza übernommene notwendige institutionelle Gleichgewicht.
Deshalb haben einige MdEP Änderungsanträge unterzeichnet, die dem Plenum morgen unterbreitet werden und die, das möchte ich betonen, das Prinzip der degressiven Proportionalität voll respektieren; und aus unserer Sicht objektivieren sie auch die künftige Verteilung der Sitze und verbinden sie mit klaren und transparenten Kriterien.
Einer dieser Änderungsanträge, auf den ich besonders eingehen möchte und der in den Wahlen von 2009 in Kraft treten würde, steht im Einklang mit einer der klügsten Studien, die von der spanischen Regierung erarbeitet und an das Parlament und den Rat übermittelt wurden.
Wie Sie verstehen werden, meine Damen und Herren, stehe ich nicht im Verdacht, die Vorschläge der gegenwärtigen spanischen Regierung aus Gründen der Parteizugehörigkeit zu verteidigen, doch es ist wahr, dass in diesem Fall der demografische Faktor stärker herangezogen wird und dass er bei der Zusammensetzung der Institution, die die Interessen der Menschen vertritt, als wichtig betrachtet werden sollte.
Deshalb, Frau Präsidentin, möchte ich die Berichterstatter ersuchen, die Änderungsanträge zu berücksichtigen, und meine Kollegen Abgeordneten bitte ich, für sie zu stimmen. Auf jeden Fall hoffe ich, dass sie präsentiert, verteidigt und vom Europäischen Rat in die Überlegungen einbezogen werden, wenn er in der nächsten Woche seinen Beschluss fasst.
Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Das war kein leichtes Unterfangen, und ich denke, dass uns Herr Lamassoure von der Fraktion der Europäischen Volkspartei und Herr Severin von der Sozialdemokratischen Fraktion einen ausgezeichneten Bericht vorgelegt haben, der von einem tiefen europäischen und proeuropäischen Geist durchdrungen ist.
Herr Stubb hat Recht: Dies ist eine der traurigsten Aussprachen, die ich in diesem Haus erlebt habe, doch ich hoffe, dass morgen das Abstimmungsergebnis zu diesem Bericht einer der besten Momente sein wird, die wir erfahren werden, denn dieser Bericht, der nicht mehr nur der ihre, sondern mit einer Zustimmung von 70 % auch der des Ausschusses für konstitutionelle Fragen ist, gibt erstens eine Antwort auf die Forderung des Rates an dieses Haus; zweitens wendet er das Prinzip der degressiven Proportionalität an, drittens garantiert er ein repräsentatives Parlament, was mit dem Vertrag von Nizza unmöglich gewesen wäre, zum Teil weil die Frage der Vertretung für einige Länder, wie Spanien, nach diesem Vertrag unbegründet und ungerechtfertigt jeder proportionalen Logik entbehrte.
Glücklicherweise löst der Vorschlag von Herrn Lamassoure und Herrn Severin vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen dieses Problem in angemessener Form.
Das ist die Frage: entweder dieser Bericht oder Nizza. Entweder dieser Bericht mit einem repräsentativen Parlament oder Nizza mit einem nicht voll repräsentativen Parlament. Dazu kann man so viele Versprechen geben, wie man will, doch was wir natürlich benötigen, ist ein realistischer Bericht, damit die Bemühungen des Parlaments auf dem Gipfel von Lissabon anerkannt und zusammen mit der Annahme des neuen Reformvertrags unterstützt werden. Vielen Dank.
Alexander Lambsdorff (ALDE). – Frau Präsidentin! Lassen Sie mich damit beginnen zu sagen, dass die Abgeordneten der FDP diese Abstimmung für morgen freigegeben haben. Es wird also keine einheitliche Linie geben. Warum ist das so? Es gibt ein Dilemma. Natürlich, die Situation für Deutschland verschlechtert sich. Statt bisher 832 000 Wählerinnen und Wähler pro Abgeordneten werden es jetzt 858 000 sein. Das Parlament will das schon ab 2009 machen. Im Rat geht es erst ab 2014 los. Hierauf wird unter anderem verwiesen.
Auch gute deutsche Zeitungen wie der Berliner Tagesspiegel schreiben, morgen würden die Sitze neu verteilt werden. Es gibt Kollegen, die hier im Parlament sagen: Morgen verliert Deutschland drei Sitze. Das Problem – und das geht jetzt zu dem Teil über, zu dem ich persönlich stehe – ist, dass das falsch ist. Der Bericht Lamassoure/Severin sichert die höchstmögliche Anzahl von Sitzen, die Deutschland nach dem Vertrag bekommen kann. Bereits in Nizza wurde festgelegt, dass es maximal 96 Sitze sind. Der Bericht schreibt das eindeutig fest.
Warum also diese Debatte? Warum die Provokation mit dem d’Hondt-Verfahren, bei dem ausschließlich die großen Länder gewinnen und die kleinen massiv verlieren? Es ist ein Vorschlag, der von den Kollegen der CDU zu meiner großen Überraschung unterstützt, sogar initiiert wird. Was soll das eigentlich? Ich glaube, dass das ein uneuropäischer Vorschlag ist. Die Balance, der gerechte und faire Ausgleich zwischen großen, mittleren und kleinen Ländern geht dabei verloren. Es ist zudem ein Vorschlag, der im Rat nicht die geringste Chance hat. Glauben wir und die Kollegen von der CDU denn wirklich, dass man in Belgien, Irland, Schweden oder Estland keine Analysen machen kann und diesem Vorschlag im Rat zustimmen wird? Nein! Dieser Vorschlag ist eine inhaltsleere Blase, die ohne jede Konsequenz zerplatzen wird – mit einer Ausnahme. Diese Konsequenz ist eine weitere europapolitische Verschlechterung des Klimas bei uns zu Hause in Deutschland.
Wir sollten den Bericht Lamassoure/Severin unterstützen. Wir sollten dafür sorgen, dass vom Europäischen Parlament ein starkes politisches Signal an den Rat ausgeht, dass wir unsere Angelegenheiten selber regeln können. Wenn dieses Signal, ein europäisches Signal, stark ist, dann ist das gut für uns alle, und ich schließe Deutschland ausdrücklich mit ein.
Jean-Luc Dehaene (PPE-DE). – (NL) Frau Präsidentin! Wie in diesem Haus schon mehrfach gesagt wurde, steht bei dieser Aussprache letztendlich die Glaubwürdigkeit des Parlaments auf dem Spiel. Es geht darum, ob das Parlament imstande ist, seine Aufgabe, einen Vorschlag mit großer Mehrheit zu unterbreiten, zu erfüllen, so dass es für den Rat schwierig sein wird, diesen Vorschlag zu ignorieren.
Der Bericht Lamassoure/Severin hat das Verdienst, dass darin ein pragmatischer Vorschlag gemacht wird, der allen Anforderungen des Vertrags gerecht wird. Es gibt nicht vier, sondern eigentlich nur zwei Alternativen, nämlich den Bericht Lamassoure/Severin oder Nizza. Gelingt es uns nämlich nicht, die Unterstützung einer breiten Mehrheit für einen Vorschlag zu finden, wird dies dem Rat ebenso wenig gelingen, und wir werden zum Nizza-Vertrag zurückkehren.
Einige der eingereichten Änderungsanträge verstehe ich nicht so richtig. Obwohl der Änderungsantrag, bei dem es um die Quadratwurzel geht, zweifellos eine starke Stütze für die kleineren Länder bedeutet, stellt er im Grunde eine Karikatur der Proportionalität dar. Ebenso wenig verstehe ich den vor allem auf deutsche Anregung eingereichten Änderungsantrag, in dem die Position der kleineren Länder nicht berücksichtigt und gefordert wird, den großen Mitgliedstaaten im Rat mehr Möglichkeiten einzuräumen.
Muss ich vielleicht verstehen, dass hiermit hinterlistig ein Zurück nach Nizza betrieben wird und Deutschland wieder 99 Sitzen erhalten soll? Wenn dies der Fall ist, hieße dies meines Erachtens eine erhebliche Schwächung dieses Parlaments. Hoffentlich wird das Parlament morgen zu der Einsicht gelangen, dass seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht, die es nur bewahren kann, wenn es den Bericht-Lamassoure/Severin mit breiter Mehrheit unterstützt, denn dies ist der einzig realistische Änderungsvorschlag.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Ich kann schwerlich einen Bericht akzeptieren, nach dem mein Land und – ich sollte es sagen, und ich werde es sagen, die polnischen Bürger, da sie es sind, die ihre Vertreter wählen – die Möglichkeit verlieren, drei zusätzliche MdEP zu wählen. Um diese Zahl soll laut dem heute vorgelegten Vorschlag die polnische Vertretung im Europäischen Parlament reduziert werden.
Warum finde ich dies ungerecht, und warum bin ich der Meinung, dass die Kriterien in diesem Bericht wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen haben, wie diejenigen, die meine Parlamentskollegin aus Litauen heute bereits erwähnt hat? Hier geht es um Arbeiter, um Angestellte, um Polen, die zeitweise im Ausland leben – drei Millionen Polen im Ausland. Nehmen wir an, sie haben in Großbritannien oder Irland das Recht zu wählen, aber sie kommen nach Hause. Meine Frage ist: Wer wird sie vertreten? Ihnen wird das Recht auf Vertretung vorenthalten, selbst wenn sie das Wahlrecht hätten.
Dieser Bericht, und dies ist meine zweite Bemerkung, betont das institutionelle Ungleichgewicht, das bisher, so fragil es auch sein mag, zwischen der Position der Mitgliedstaaten im Rat und im Parlament bestand. Polen hat beim Übergang zur Abstimmung mit doppelter Mehrheit die meisten Verluste im Rat, und es verliert auch im Parlament.
Meine letzte Bemerkung betrifft ein gewisses Ungleichgewicht, das hier heute schon angesprochen wurde, bei der Anstellung von Beamten bei EU-Institutionen, und insbesondere im Parlament. Dieses Ungleichgewicht, das alle neuen Mitgliedstaaten betrifft, könnte hier im Parlament ausgeglichen werden. Ich fordere eine Abänderung dieses Berichts.
Alfonso Andria (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich bin ich mir darüber im Klaren, dass die Aufgabe, die sich die Kollegen Lamassoure und Severin aufgebürdet haben, nicht leicht war, doch muss ich sagen, dass mich trotz ihrer Bemühungen das Ergebnis sowohl unter rechtlichem Gesichtspunkt als auch in rein politischer Hinsicht sehr bestürzt.
Der Vorschlag bezieht sich erstmals auf ein auf der Wohnbevölkerung eines Mitgliedstaates beruhendes Berechnungskriterium und setzt es an die Stelle des Kriteriums der Unionsbürgerschaft. Hier tut sich ein Problem der rechtlichen und politischen Übereinstimmung mit dem Inhalt des zukünftigen Reformvertrags auf, insbesondere mit Artikel 9A, wo der Grundsatz der Vertretung der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ausdrücklich festgeschrieben ist. Das Problem ist meiner Meinung nach auch ein politisches, weil die Funktion des Parlaments als Stimme und Sprachrohr der Bürger etwas getrübt wird, überdies zu einem Zeitpunkt, da sich die Union bemüht, die Kultur der Unionsbürgerschaft, der Identität und der Rechte der Unionsbürger zu verbreiten.
Und bitte reduzieren Sie das Problem nicht wieder auf eine nationale Forderung oder, schlimmer noch, auf ein rein quantitatives Problem. Das wäre ein absolut restriktiver und trivialer Ansatz, der schlichtweg kleinlich gegenüber der Reputation Italiens wäre. Ich stelle jedoch auch eine Ungleichbehandlung, eine uneinheitliche Staffelung fest; oft rechtfertigen die Bezugsparameter nicht in jedem Falle die Unterschiede in der Anzahl der Sitze der einzelnen Länder.
Abschließend, Frau Präsidentin, fordere ich die Kolleginnen und Kollegen zu einer Abstimmung auf, die im Einklang mit den Bestimmungen der Verträge und mit der Rolle steht, die wir als Abgeordnete bisher hatten und haben sollten: Sprachrohr der Bürgerschaft.
Riccardo Ventre (PPE-DE). – (IT) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stubb, der leider schon gegangen ist, sprach heute Abend von einem der traurigsten Tage, und auch andere Kollegen haben sich in dieser Richtung geäußert. Ich glaube jedoch, dass es traurig wäre, besonders jene Länder und EP-Mitglieder zu diskriminieren, die sich um die Durchsetzung der Grundprinzipien bemühen, wie es Herr Voggenhuber treffend formulierte und Frau Muscardini zum Ausdruck brachte.
Hier geht es nicht darum, den Bericht Lamassoure-Severin in Frage zu stellen, der vermutlich eine gute Arbeit, jedoch auf Sand gebaut ist. Es gibt in der Tat einen Rechtsgrundsatz, der in seiner Ganzheit und in seiner Prägnanz verletzt wird, nämlich der Grundsatz der Bürgerschaft. Das wurde auch von jenen gesagt, die ihn unterstützt haben; das ist auch an den Kompromissvorschlägen von Lamassoure und Severin zu sehen; das hat Herr Leinen gesagt und das wurde glänzend von Herrn Duff formuliert: Hier haben wir keine Sicherheit in Bezug auf die Wählerschaft!
Und auf dieser völlig ungewissen Wählerschaft wollen wir ein Kriterium oder ein Schloss errichten, das in sich stabil ist – mit Ausnahme der Basis, des Fundaments –, und das wird uns zu einer Zusammensetzung führen, die absolut keine Rücksicht auf den vorherigen Bestand und auf die Bürger nimmt. Das wird uns in letzter Konsequenz – passen Sie gut auf, ich möchte kein Unglücksprophet sein – vor den Gerichtshof bringen. Denn es ist ganz natürlich, wahrscheinlich sogar geboten, dass diejenigen, die sich als geschädigt betrachten, in extrema ratio vor den Gerichtshof ziehen werden als oberstem Entscheidungsgremium für eine so wichtige Frage.
Ich appelliere an meine Regierung, an die Regierung meines Landes, die vom Berliner Gipfel bis heute in dieser Angelegenheit große Schwäche gezeigt hat, endlich stolz ihr Haupt zu erheben und in Bezug auf diesen Vorschlag ihr Vetorecht auszuüben.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen haben wir die historische Chance, die Entscheidung über die zukünftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen. Der Bericht, den die Herren Lamassoure und Severin aus diesem Anlass vorgelegt haben, beweist ein hohes Maß an Qualität, Gleichgewicht und Verantwortung. Er bietet eine pragmatische Lösung, die die Regierungskonferenz uneingeschränkt annehmen sollte, da sie kein Hindernis für die Annahme des Reformvertrags darstellt.
Die vorgeschlagene Sitzverteilung beruht auf dem Grundsatz der degressiven Proportionalität. Es ist ein gerechtes Prinzip der Solidarität zwischen großen, mittleren und kleinen Ländern. Die vorgeschlagene Lösung beruht außerdem auf dem Grundsatz der Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Auch das ist ein gerechtes, korrektes Prinzip. Dennoch lehnen einige Mitglieder diese Lösung ab. Sie sind der Meinung, dass ihre Länder diskriminiert würden. Ich sehe allerdings keine Anzeichen von Diskriminierung. Diskriminierung und Ungleichheit wären gegeben, wenn zwei Länder die gleiche Zahl von Abgeordneten stellen würden, obwohl das eine Land fünf Millionen Einwohner mehr hat. Ich bin zuversichtlich, dass das Parlament morgen diese historische Chance nutzen und den Bericht von Alain Lamassoure und Adrian Severin mit großer Mehrheit annehmen wird.
Ihn nicht zu unterstützen, würde die Rückkehr nach Nizza bedeuten, zu einer Alternative, die auch jenen Mitgliedern Nachteile brächte, die erst kürzlich den Slogan „Nizza oder Tod“ skandiert haben.
Jacek Protasiewicz (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Wir diskutieren heute einen sehr wichtigen Bericht, auf dessen Grundlage über die Sitzverteilung in der nächsten Wahlperiode entschieden werden soll.
Die Berichterstatter haben einen sehr interessanten Vorschlag unterbreitet, der sicher viel Arbeit bereitet hat, sowohl analytisch als auch konzeptuell. Ich möchte Ihnen dafür meinen ehrlichen Dank aussprechen. Meiner Ansicht nach hat der Bericht aber zwei ernsthafte Schwächen. Erstens schlagen unsere Parlamentskollegen eine Ad-hoc-Lösung vor, die zeitlich begrenzt ist und sich ausschließlich auf die nächste Wahlperiode bezieht. Ich rufe aber in Erinnerung, dass wir zu Beginn der Arbeit an diesem Bericht im Ausschuss für konstitutionelle Fragen vereinbart haben, dass wir nach systematischen Lösungen suchen werden, die eine automatische Änderung der Zusammensetzung des Parlaments möglich machen, wenn neue Staaten der EU beitreten.
Der Alternativvorschlag, der von etwa 80 MdEP stammt, zu denen auch ich gehöre, erfüllt diese Bedingungen. Die Anwendung des d’Hondt-Verfahrens zur Berechnung der Stimmenanzahl der einzelnen Staaten ist ein objektives Instrument, das politischen Kuhhandel verhindert. Mit der Annahme dieser Änderungen könnte das Europäische Parlament die erste Institution werden, die sich über politische und nationale Auseinandersetzungen erhebt. Ich akzeptiere eine neutrale, mathematische Methode, um die Stärke der einzelnen Länder zu bestimmen. Dies wäre ein Schritt in die richtige Richtung und ein Modell, dem andere multinationale europäische Institutionen folgen könnten.
Eine andere Schwäche in dem vorgeschlagenen Konzept ist die fehlende Konsistenz in der Haltung gegenüber den Rechten der europäischen Bürger. Zu diesen gehört das Recht, in diesem Forum vertreten zu werden. Meiner Ansicht nach schwächt das Kriterium, die Größe der Vertretung im Parlament aufgrund der Bevölkerungszahlen zu berechnen, dieses Recht. Wie werden sich etwa die polnischen Bürger fühlen, die in Irland oder Großbritannien leben und arbeiten? Verschiedene Schätzungen legen nahe, dass davon zwei bis drei Millionen Menschen betroffen sind.
Gemäß den in Polen geltenden Wahlbestimmungen darf für Kandidaten gestimmt werden, die sich in Polen zur Wahl stellen. Legen wir aber das im Bericht vorgeschlagene Kriterium der Bevölkerungszahlen an, dann wird sich die Anzahl der MdEP aus meinem Land aufgrund der Bürger, die das Land verlassen, verringern, während sie auf den Britischen Inseln steigen wird. Wer also wird sie hier in diesem Forum vertreten? Irische MdEP oder britische oder polnische, von denen es dann weniger gibt? Der Bericht gibt keine Antwort auf diese Fragen. Ich bin in diesem Zusammenhang der Meinung, dass wesentliche Änderungen am Text des Berichts notwendig sind, und ich werde zusammen mit vielen Parlamentskollegen für bestimmte Änderungsanträge stimmen.
Stavros Lambrinidis (PSE). – (EL) Frau Präsidentin! Es ist unbestritten, dass die derzeitige Sitzverteilung im Europäischen Parlament die demografische Realität in den Mitgliedstaaten nicht ausreichend widerspiegelt und dass einige kleine und mittlere Länder dadurch benachteiligt werden.
Die Tatsache, dass die im Vertrag von Nizza festgelegte Zahl von Sitzen im Bericht nicht verringert wird, ist sicher positiv. Ich muss allerdings auch betonen, dass für Griechenland eine Erhöhung der Zahl der Sitze von 22 auf 23 vollauf gerechtfertigt wäre, weil das Land 10 % mehr Einwohner hat als andere Länder mit der gleichen Zahl an Sitzen im Parlament.
Ich möchte mich heute aber hauptsächlich auf die verschiedenen Änderungsanträge konzentrieren, die zur Berechnungsgrundlage der Sitzverteilung im Europäischen Parlament vorgelegt wurden. Das Problem ist, dass nicht die Gesamtbevölkerung des Landes, sondern nur die Einzelbürger berücksichtigt werden. Ich befürworte das Konzept des europäischen Bürgers, aber hier bin ich absolut dagegen, wie es hier in Anwendung gebracht wird. Als MdEP vertrete ich die Einwohner meines Landes: unabhängig davon, ob sie griechische oder europäische Bürger sind, ziehen sie unsere Kinder groß, kümmern sich um unsere alten Menschen, bauen unsere Häuser, lehren an unseren Universitäten, zahlen Beiträge in unser Versicherungssystem ein und schicken ihre Kinder auf unsere Schulen. Unsere Beschlüsse zu unzähligen Themen, wie z. B. Umwelt, Dienstleistungen, Einwanderung und Versicherung, verändern das Leben dieser, unserer Mitbürger, die oftmals gerade die am wenigsten privilegierten sind. Aus diesem Grund glaube ich, dass wir die demokratische Pflicht haben, die Sitzverteilung im Parlament an die Gesamtzahl der Gebietsansässigen eines Landes zu koppeln.
Reinhard Rack (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Die heutige Debatte über die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ist leider keine Sternstunde europäischer Demokratie geworden. Es ist vielleicht ganz gut, dass weder die Kommission noch der Rat die Zeit gefunden haben, hier zuzuhören.
Wir haben Rednern zuhören müssen, die mit sehr viel Pathos Grundsätze vorgetragen haben, Grundsätze, die uns allerdings im Konkreten nicht weitergeführt haben und die daher außer Pathos nichts zu bieten hatten. Eigentlich haben wir sehr, sehr viele gehört, die ihr nationales Eigeninteresse in den Vordergrund gestellt haben. Auf der Suche nach einer europäischen Lösung war das sicher kein zielführender Weg, so gesehen wird uns das wahrscheinlich auch nicht zu einer Lösung bringen.
Wir haben Gott sei Dank auch einige gehört, die pragmatisch vorgegangen sind, nach nachvollziehbaren Lösungen gesucht haben und daher im Vorschlag unserer beiden Berichterstatter – Alain Lamassoure und Adrian Severin – eine taugliche Grundlage gefunden haben. Ich glaube, wir haben den beiden Berichterstattern für die Arbeit, die sie im Ausschuss und auch in der weiteren Folge geleistet haben, herzlich zu danken. Das ist etwas, was die mediterrane Höflichkeit normalerweise immer gebietet, aber in diesem konkreten Fall haben sich die beiden Berichterstatter diesen Dank wirklich verdient. Daher auch von jemandem, der nicht aus dem Mittelmeerraum kommt, herzlichen Dank.
Ich hoffe, und ich freue mich auch darauf, dass wir vielleicht dann morgen bei der Abstimmung eine Sternstunde für dieses Parlament erleben. Dann nämlich, wenn wir es schaffen, klare und eindeutige Mehrheiten für den Vorschlag der Kollegen Lamassoure und Severin zu bekommen und auf diese Art und Weise dem Rat doch noch ein gutes Signal geben können. Das Europäische Parlament hat jedenfalls für die Wahlen 2009 eine vernünftige Geschäftsgrundlage vorgeschlagen.
VORSITZ: MAREK SIWIEC Vizepräsident
Panayiotis Demetriou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Um den Vorschlag der beiden Berichterstatter, Alain Lamassoure und Adrian Severin, richtig einschätzen zu können, müssen wir bestimmte Fakten berücksichtigen und nach bestimmten Regeln vorgehen.
Erstens sollten wir den Bericht aus europäischer und nicht aus nationalistischer Sicht betrachten. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir uns darüber streiten, welches Land mehr und welches weniger Sitze bekommt. Zweitens sollten wir gewisse Tatsachen nicht vergessen. Das Europäische Parlament entscheidet heute nicht über seine Zusammensetzung, sondern macht dem Rat nur einen Vorschlag. Der Rat muss bestimmte Grenzen und Prinzipien beachten, auch die Vergangenheit, obgleich uns das nicht besonders ausgewogen erscheinen mag.
Darüber hinaus dürfen wir die rechnerischen Fakten nicht außer Acht lassen. Es gibt insgesamt 750 Sitze, mit einer Höchstzahl von 96 und einer Mindestzahl von 6 pro Mitgliedstaat. Wir können nicht anfangen, mit Bevölkerungsteilen zu feilschen, die im oder außerhalb des Landes leben. Wir brauchen einen Kompromiss für die derzeitige Situation, abgestimmt auf die Einwohnerzahl und das, was in anderen Bereichen gilt. Wir sind doch nicht hier, um die EU neu zu gründen. Wenn das so wäre, müssten wir andere Berechnungsgrundlagen heranziehen. Heute kommt es darauf an, dass wir eine Entscheidung fällen, die auf größtmögliche Zustimmung im Europäischen Parlament trifft, damit wir unsere Glaubwürdigkeit erhalten und gleichzeitig den europäischen, nicht den nationalistischen Bewegungen den Weg bereiten. Ich appelliere dabei besonders an die hochverehrten Deutschen, die immer großzügig waren. Hätten sie in der Vergangenheit die gleichen Tendenzen gezeigt wie heute, gäbe es keine EU. Mein Appell geht aber auch an die Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten. Lassen Sie uns morgen den Bericht von Alain Lamassoure und Adrian Severin mit der größtmöglichen Mehrheit annehmen.
Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident! Wenn wir von der direkten Proportionalität bei Wahlen abweichen, wird uns das unvermeidlich zu politischen Kompromissen führen und wir werden nicht mehr mit reiner Mathematik arbeiten können. Der demokratische Grundsatz, dass alle Stimmen das gleiche Gewicht haben müssen, kann erst dann durchgesetzt werden, wenn die Europäische Union zu einem voll und ganz föderalen System wird.
Im Rahmen der vom Rat vorgegebenen Grenzen ist dieser politische Kompromiss von Herrn Severin und Herrn Lamassoure ein vernünftiger und ausgewogener Versuch, für alle Menschen der Europäischen Union gleiche Bedingungen und Solidarität zu schaffen. Ihm gilt meine Unterstützung, und ich lehne die vorgeschlagenen alternativen Systeme als weniger gerecht und weniger ausgewogen ab.
Da hier einige jedoch so vorgehen, als sei dies ein nationaler Egotrip, sei an dieser Stelle betont, dass es darum geht, wie die Bürger gemäß ihren politischen Präferenzen ihre Vertreter für dieses Parlament wählen, damit sie gemeinsam mit dem Rat als Teil der Legislativbehörde agieren. Der Staat wird vom Rat vertreten und nicht von diesem Haus.
Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Genau wie in der europäischen Verfassung wird auch im Reformvertrag der Grundsatz verankert sein, dass jeder Mitgliedstaat, egal wie groß er ist, angemessen, mit mindestens sechs Sitzen, im Europäischen Parlament vertreten sein muss. Mein Land, Malta, hat im Moment fünf Sitze und wird damit einen Sitz gewinnen. Das wird eine Wunde heilen, die uns vor sieben Jahren beigefügt wurde, als Malta im Vertrag von Nizza nur fünf und nicht wie Luxemburg, das die gleiche Einwohnerzahl hat, sechs Sitze bekam.
Sechs Sitze statt fünf, das ist eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl um 20 %, und es bedeutet, dass die maltesischen Abgeordneten in diesem Hohen Haus ihren ständig zunehmenden parlamentarischen Pflichten besser nachkommen können. Ich verweise nur auf die Arbeit in den mehr als zwanzig Parlamentsausschüssen, die selbst mit sechs Abgeordneten kaum zu schaffen ist. Mit fünf ist es völlig unmöglich. Diese Ausschüsse bereiten Gesetze vor, die für alle Bürger verbindlich sind, auch für die Malteser. Da ist es gut, wenn die Bürger jedes Landes, auch des allerkleinsten, in jedem dieser Ausschüsse gut, angemessen und vernünftig vertreten werden und Gehör finden. Erst recht, wenn man bedenkt, dass das Europäische Parlament mit dem neuen Vertrag mehr Befugnisse bekommt und neben der Kommission wirklich in allen Bereichen als Mitgesetzgeber fungiert.
Die Mindestzahl von sechs Sitzen ist ein positiver Schritt und wird gerade bei den kleinen Ländern das Vertrauen in die Europäische Union stärken. Daher sollten wir den Bericht Lamassoure-Severin, wie ich meine, unterstützen.
Adrian Severin (PSE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Es ist nur dann schwierig, eine Erklärung zu verstehen, wenn die Durchsetzung Ihrer Interessen davon abhängt, dass man diese Erklärung nicht versteht. Leider sind viele unserer Kollegen gegangen, weil sie gar keine Erklärung brauchen: Sie wollten lediglich ihren Standpunkt darlegen, mehr nicht.
Ich möchte jedoch ganz kurz einiges klarstellen. Wenn dieser Bericht nicht angenommen wird, werden wir nicht nur zu Nizza zurückkehren, sondern es wird noch schlimmer werden. Laut Mandat der Regierungskonferenz werden im Vertrag 96 Sitze als Maximum für ein Land genannt – und damit gilt Nizza, und Deutschland wird 96 Sitze haben. Wenn sich Deutschland jedoch gegen diesen Bericht stellt, dann sichert es sich damit nicht die 99 Sitze, die es gegenwärtig hat, und dessen sollte es sich bewusst sein.
Frau Grabowska wollte wissen, was mit den polnischen Bürgern geschieht, die teilweise in Polen und teilweise im Ausland leben. Das hängt von ihrem Wohnsitz ab: Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als Touristen im Ausland weilen oder sich nur kurze Zeit im Ausland aufhalten; wenn sie jedoch ihren Wohnsitz im Ausland haben und lediglich ihre Familie in Polen besuchen, dann zählt ihr Wohnsitzland. Natürlich können sie wie alle anderen Unionsbürger auf die gleiche Weise wählen. Ferner fragte Frau Grabowska an, wer sie vertreten wird. Das ist vollkommen klar – die Abgeordneten, denen sie ihre Stimme geben. Alle Unionsbürger haben das Wahlrecht, und alle europäischen Bürger werden durch die Abgeordneten vertreten, für die sie stimmen.
Einige Kollegen erklärten, und ich will dabei nur einen italienischen Kollegen zitieren: zum ersten Mal in der Geschichte der Union ziehen wir die Einwohner und nicht die Bürger in Betracht. Das ist falsch! Seit dem Vertrag von Rom haben wir immer die Einwohner, die Bevölkerung, in Betracht gezogen. Wenn Sie diese Gepflogenheit ändern wollen, dann können Sie das auf jeden Fall tun, aber bitte behaupten sie hier keine Dinge, die absolut unwahr sind.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sagen: Wenn es hier ein Problem gibt, dann ist es die fehlende Harmonisierung der einzelstaatlichen Wahlgesetze. Zugegebenermaßen wäre ich für eine Angleichung dieser Gesetzgebung, doch das ist ein anderes Thema. Das braucht Zeit, und wir müssen uns mit dieser Frage gesondert befassen. Ich wünsche den Berichterstattern, die sich mit der Angleichung der Wahlgesetze befassen werden, viel Glück und hoffe, dass ihnen das gelingen möge. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hoffe ich jedoch nur, dass wir morgen – nachdem wir eine Nacht darüber geschlafen haben – eine Abstimmung haben werden, die auf alle Fälle die Glaubwürdigkeit dieser Institution bekräftigen wird.
Der Präsident. – Meinem Parlamentskollegen wurde als Berichterstatter zusätzlich Zeit zugesprochen. Ich möchte Herrn Severin versichern, dass dies weder mit seinem Bericht noch mit seiner Person zusammenhängt. Meine Erfahrung sagt mir, dass Parlamentarier besser sprechen können als zuhören. Und so hat es sich auch während dieser Aussprache herausgestellt.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, am 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Dieser Vorschlag fällt in den Rahmen der so genannten Europäischen Verfassung, die auf dem Gipfel in Lissabon mit einem neuen Vertrag wieder mittels Druck und Drohungen, wie schon vor seiner Ablehnung bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden 2005, durchgesetzt werden soll.
Statt das Prinzip souveräner und gleichberechtigter Staaten zu achten, was von den bevölkerungsreichsten Ländern zumindest die so oft gerühmte Solidarität und eine Wahrung des Gleichgewichts innerhalb der einzelnen Organe (Rat, Kommission und Europäisches Parlament) verlangen würde, will man Mindest- und Höchstzahlen festlegen und die degressive Verhältnismäßigkeit auf der Basis der Einwohnerzahl anwenden, wodurch Länder in Abhängigkeit von ihrer Einwohnerzahl untergeordnet werden und der repräsentative Charakter der Demokratie stetig untergraben wird. Die Schieflage, die vor dem Vertrag von Nizza bestand, wird nicht einmal in Betracht gezogen.
So verliert beispielsweise Portugal zwei Abgeordnete und hat dann lediglich 22, während Spanien vier gewinnt; Deutschland wird mit Sicherheit drei Abgeordnete verlieren und hat dann noch 96; hinzu kommen Frankreich mit 74, das Vereinigte Königreich mit 73, Italien mit 72, Spanien mit 55 und Polen mit 51. Die sechs europäischen Mächte kommen allein schon auf 420 Abgeordnete und damit wesentlich mehr als die Mehrheit eines Europäischen Parlaments mit 750 Abgeordneten, die 27 Mitgliedstaaten vertreten.
Deshalb werden wir gegen den Bericht stimmen.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Herr Präsident! Ich vertrete einen kleinen Mitgliedstaat an der Peripherie der Europäischen Union. Für mich bedeutet das, dass ich Verständnis dafür aufbringe, wie wichtig es bisweilen ist, nationale Interessen vehement zu verteidigen und unsere unterschiedlichen Bedingungen in den Vordergrund zu rücken. In der Regel haben die Kolleginnen und Kollegen aus den großen Mitgliedstaaten dies begriffen, zumindest die in meiner Fraktion. Sie sind vorsichtig damit, unsere Auffassungen einfach abzulehnen, um zu verhindern, dass die großen Länder in der Union die kleinen überrollen.
Bei der Ausarbeitung des Berichts von Herrn Lamassoure wurde die Stimme eines kleinen Landes insoweit gehört, als ich, ebenso wie die anderen finnischen Abgeordneten, an den 14 Parlamentssitzen Finnlands festgehalten habe.
Es ist völlig statthaft, einmal gewonnene Vorteile zu verteidigen. Jetzt aber sind die Änderungsanträge zu dem Bericht, die von den finnischen Abgeordneten eingebracht wurden und die darauf abzielen, den einen Sitz zu behalten, weder im Ausschuss durchgegangen, noch hätten sie eine Chance, sich im Plenum durchzusetzen. Der Hauptgrund dafür ist vermutlich der, dass auf den erreichten Vorteil bereits gewissermaßen verzichtet worden ist; schließlich hat Finnland in den Verhandlungen von Nizza den 13 Sitzen zugestimmt.
Mit dem Lamassoure-Bericht gerät noch viel mehr in Gefahr. Die von den deutschen, spanischen und polnischen Delegierten in meiner Fraktion vorgeschlagenen Änderungen gefährden ernsthaft die Chancen der kleinen Mitgliedstaaten, Einfluss im Europäischen Parlament zu nehmen. Der Änderungsvorschlag, wonach jeder Mitgliedstaat ab 2014 sechs Sitze hätte und der Rest der Sitze im Parlament nach dem d'Hondt-Verfahren verteilt werden soll, würde das derzeitige System der degressiven Proportionalität, das die beste Garantie für eine objektive Entscheidungsfindung in der Union darstellt, komplett zerstören. Die Änderung würde in der Praxis bedeuten, dass beispielsweise die Zahl der finnischen Sitze, wenn die Erweiterung fortgesetzt wird, auf 10 zurückgehen würde. Das können wir nicht akzeptieren.
Deshalb appelliere ich an Sie alle, sich stets dessen bewusst zu sein, wie wichtig es ist, dass die kleinen Länder Einfluss in unserer Union nehmen können.
Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. – (SV) Die Verteilung der Sitze im Europäischen Parlament zwischen den Mitgliedstaaten darf grundsätzlich nicht willkürlich erfolgen. Bei den nächtlichen Verhandlungen auf dem Europäischen Rat von Nizza waren die Mitgliedstaaten im Prinzip davon abhängig, wie wach eine einzige Person, ihr Staatsoberhaupt, in diesen Nächten war.
Für Schweden war das Ergebnis ausgesprochen schlecht. Obwohl wir nur knapp eine Million Einwohner weniger als Ungarn und Tschechien haben, erhielten wir im Europäischen Parlament fünf Sitze weniger als diese Länder, 19 statt 24.
Es ist wichtig, dass wir für die Sitzverteilung ein Prinzip erhalten, das mit Blick auf zukünftige Erweiterungen der Union stabil ist. Der Grundsatz der Überrepräsentation kleinerer Staaten nach der degressiven Proportionalität muss festgeschrieben werden.
Dieser Bericht schlägt Verbesserungen im Vergleich zur gegenwärtigen Sitzverteilung im Europäischen Parlament vor. Darum unterstützen wir ihn. Allerdings lehnen wir den Gedanken eines einzigen Wahlkreises in der gesamten EU definitiv ab. Damit müsste die Größe der nationalen Delegationen weiter verringert werden. Ein gesonderter EU-Wahlkreis wäre der Versuch, künstlich ein europäisches Volk zu schaffen. Es gibt keine gemeinsame politische Arena in Europa. Ein Versuch, Sprach- und Traditionsgrenzen durch die Bildung eines EU-Wahlkreises zu überwinden, ist zum Scheitern verurteilt.
18. Humanitäre Lage im Gaza-Streifen
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Erklärung des Rates und der Kommission zur humanitären Lage im Gaza-Streifen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Frau Kommissarin! Meine Damen und Herren! In der kurzfristigen regionalen und internationalen Perspektive zeichnet sich die Gelegenheit für eine friedliche Dynamik zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts und Errichtung eines palästinensischen Staates. Diese Gelegenheit darf die internationale Gemeinschaft nicht ungenutzt lassen.
Wir erleben einen entscheidenden Moment, der eine Chance sein könnte, im Nahost-Friedensprozess spürbar voranzukommen. Der laufende bilaterale politische Dialog zwischen Premierminister Olmert und Präsident Abbas sowie die jüngste Bildung von Verhandlungsteams auf beiden Seiten sind mutige und ermutigende Schritte, die wir begrüßen und unterstützen und die, wie wir hoffen, auf dem internationalen Treffen im Herbst, das von den Vereinigten Staaten von Amerika angeregt wurde, zu greifbaren Ergebnissen führen werden.
Wir hoffen, dass die gegenwärtige Dynamik, an der insbesondere auch arabische Länder beteiligt sind, eine Entwicklung hin zur Errichtung eines lebensfähigen, demokratischen und unabhängigen palästinensischen Staates ermöglicht, der Seite an Seite mit Israel in Frieden und in Sicherheit existieren kann.
In diesem Prozess hat sich die Europäische Union innerhalb wie außerhalb des Nahost-Quartetts als ein unparteiischer und dem Erfolg des Dialogs zwischen den Parteien verpflichteter vertrauenswürdiger Partner erwiesen. Deshalb werden wir uns auch künftig für den politischen Prozess, die Aufgabe engagieren, die Grundlagen für einen palästinensischen Staat zu schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung der palästinensischen Gebiete zu unterstützen.
Die Treffen des Nahost-Quartetts und des Ad-hoc-Verbindungsausschusses für Palästina (AHLC) auf Ministerebene in New York am 23. beziehungsweise 24. September stellen erneut die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für die laufenden diplomatischen Bemühungen heraus. In der Abschlusserklärung des Nahost-Quartetts äußerten die Europäische Union und ihre Partner Besorgnis über die Bedingungen im Gaza-Streifen, betonten die Bedeutung einer fortgesetzten Dringlichkeitshilfe und humanitären Hilfe und forderten eine kontinuierliche Erbringungen der Grundversorgungsleistungen für die palästinensische Bevölkerung.
Auch der Gesandte des Nahost-Quartetts, Tony Blair, hat darauf verwiesen, dass es dringend notwendig sei, die palästinensische Wirtschaft und die entsprechenden Institutionen zu entwickeln, da dies die entscheidende Voraussetzung sei, damit ein künftiger palästinensischer Staat richtig funktionieren könne. Es wurde betont, dass der Gesandte des Nahost-Quartetts eine mehrjährige Strategie für die institutionelle und wirtschaftliche Entwicklung der palästinensischen Gebiete entwickeln müsse. Dieses Anliegen sowie die Notwendigkeit, die finanzielle und technische Hilfe der internationalen Gemeinschaft für diese Vorhaben zu mobilisieren, wurden auch von den internationalen Gebern herausgestellt, die im Rahmen des Treffens des Ad-hoc-Verbindungsausschusses für Palästina auf Ministerebene zusammengekommen waren.
In mehreren internationalen Berichten wird festgestellt, dass sich humanitären Bedingungen der Bevölkerung in diesem Gebiet verschlechtert haben; eine Situation, die Armut und Gewalt nährt, Radikalismus und Extremismus schürt – ein Kreislauf, der dringend unterbrochen werden muss. Der Beschluss Israels vom 19. September, Gaza zum feindlichen Gebiet zu erklären, und die vorgesehene Möglichkeit, die Sanktionen gegen den Gaza-Streifen auszuweiten, werden, sollten sie umgesetzt werden, könnten die jetzige Lage noch verschlimmern. Die Europäische Union erkennt das legitime Recht Israels auf Verteidigung an, unterstreicht aber auch, dass die israelischen Behörden die Folgen und Auswirkungen ihrer Beschlüsse für das Leben der Bevölkerung in Gaza sorgfältig abwägen müssen.
Die Europäische Union hat stets ihr uneingeschränktes Engagement bekräftigt, die humanitäre Hilfe für Gaza fortzusetzen. Die Union ist der größte Geber. Im Jahre 2006 belief sich die Hilfe von Kommission und Mitgliedstaaten zusammen auf insgesamt 688 Millionen Euro. Im Jahre 2007 stellte die Kommission bereits mehr als 425 Millionen Euro verteilt auf die Bereiche humanitäre Hilfe, soziale Hilfe, strategische Unterstützung für den Staatsaufbau und Beratung zu Wirtschaftsreformen zur Verfügung. Ein bevorzugtes Instrument, um die Hilfen der Geber angesichts der komplizierten Lage in dem Gebiet zu steuern, war der um weitere drei Monate bis Ende des Jahres verlängerte Vorläufige Internationale Mechanismus (Temporary International Mechanism). Darüber hinaus beabsichtigt die Kommission die Hilfe für die Abbas/Fayad-Regierung umzustrukturieren, um sie effizienter und produktiver zu gestalten.
Wir sind jedoch der Auffassung, dass diese finanziellen Lasten nicht nur von der EU getragen werden sollten. Deshalb wäre es wünschenswert, dass andere Partner, vor allem die arabischen Staaten, sich an diesen Anstrengungen und auch an den Kosten der Errichtung des palästinensischen Staates beteiligen. Die EU hat betont, dass die Grenzübergangsstellen in Gaza wieder geöffnet werden müssten, um entsprechend der Vereinbarung über Verkehrs- und Zugangsmöglichkeiten den freien Personen- und Warenverkehr sicherzustellen.
Im Rahmen der europäischen Hilfe soll auch der private Sektor als Motor der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung unterstützt werden, vor allem durch Unterstützung der palästinensischen Regierung zur Tilgung von deren Schulden beim Privatsektor. Das sind kurzfristige Lösungen, bei denen das langfristige Ziel der Entwicklung der Wirtschaft und der palästinensischen Finanzen nicht aus dem Blick geraten darf. Tatsächlich sollte die langfristige Perspektive überprüft werden, um Schritt für Schritt von der jetzigen Phase der Dringlichkeitshilfe in eine Phase der Hilfe für die wirtschaftliche Entwicklung überzugehen, also von „hate“ (Hass) zu „trade“ (Handel).
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Vor zwei Wochen weilte ich in New York, wo mehrere Treffen der internationalen Gemeinschaft zur Palästinafrage stattfanden. So gab es eine wichtige Sitzung des Quartetts, dessen ständiges Mitglied ich im Rahmen der EU-Delegation bin, sowie eine Konferenz der wichtigsten Geber für Palästina (Ad-hoc-Verbindungsausschuss) in Vorbereitung einer Geberkonferenz, die voraussichtlich Ende Dezember nach der internationalen Konferenz, die gegenwärtig vorbereitet wird, abgehalten wird.
Die wichtigste Schlussfolgerung für uns alle ist, wie der Ratspräsident bereits angemerkt hat, dass für die regionalen und internationalern Partner durchaus eine gute Gelegenheit besteht, den Friedensprozess wirksam zu unterstützen. Ich muss allerdings sagen, dass ich – weil ich weiß, wie schwierig das ist – zumindest vorsichtig optimistisch bezüglich der Aussichten einer ernsthaften und inhaltsreichen Konferenz bin, die von den USA im November abgehalten wird. Ich möchte mich bei denen bedanken, die unseren Beitrag erwähnt haben, möchte jedoch auch erklären, dass ich unseren arabischen Partnern unmissverständlich die Meinung gesagt habe, denn gerade sie haben bisher noch nicht in dem Maße geholfen wie wir. Ich habe sie eindringlich aufgefordert, für ihre arabischen Freunde das Gleiche zu tun. Wir sind bereit, auch in Zukunft unseren Beitrag zu leisten und hoffen, dass diese internationale Konferenz zum Nahen Osten ein nächster Schritt in Richtung weiterer positiver Gespräche und hoffentlich auch im richtigen Moment zu einem palästinensischen Staat ist, der Seite an Seite mit Israel innerhalb sicherer Grenzen besteht.
Selbstverständlich ist mir klar, dass die Bereitstellung humanitärer Hilfe für den Gazastreifen wesentlich schwieriger geworden ist. Beispielsweise mussten zwei Projekte im Bereich Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, die vom Amt für humanitäre Hilfe der Kommission finanziert werden, ausgesetzt werden. Den Partnern, die für die Durchführung zuständig waren, ist es nicht gelungen, die erforderlichen Materialien einzuführen, da die Einfuhr solcher Artikel wie Ersatzteile für Krankenhäuser und Wasserpumpen verboten ist.
Die Europäische Kommission hat nicht untätig zugesehen. Im Gegenteil, die humanitäre und Soforthilfe für die besetzten palästinensischen Gebiete, den Gazastreifen eingeschlossen, hat ein bisher nie gekanntes Ausmaß erreicht. Wir werden die unschätzbare Arbeit des UNRWA im Gazastreifen auch weiterhin unterstützen. Kommissar Michel hat erst kürzlich neue Unterstützung im Rahmen des Welternährungsprogramms zur Verfügung gestellt, um die Grundbedürfnisse der schutzbedürftigsten Palästinenser zu befriedigen. Wir setzen unsere direkte Soforthilfe für Personen mit geringem Einkommen und für soziale Härtefälle durch Zahlung von Sozialhilfe fort. Im September haben wir Leistungen an 35 000 arme Familien im Westjordanland und im Gazastreifen ausgezahlt. Daraus ist der zusätzliche Nutzen des vorläufigen internationalen Mechanismus (TIM) erkennbar, der in allen besetzten palästinensischen Gebieten gut funktioniert. Bis September haben wir über 90 Millionen Liter Kraftstoff an den Gazastreifen geliefert. Durch diese Lieferungen werden 25 % oder ein Viertel des Strombedarfs der einheimischen Bevölkerung gedeckt.
Aus diesen Gründen habe ich auch das Quartett auf der jüngsten Tagung in New York aufgefordert, diesen Finanzmechanismus bis Dezember zu verlängern. Bei mehreren Treffen mit unterschiedlichen Gesprächspartnern habe ich wiederum mehrfach für Fortschritte bei der Regelung der Zugangs- und Bewegungsfreiheit plädiert. Wir sind überaus glücklich, dass Tony Blair dieser Agenda große Aufmerksamkeit widmet, wenn er sich für wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten einsetzt. Ohne Zugangs- und Bewegungsfreiheit ist das natürlich nicht möglich – ungeachtet der berechtigten Sicherheitsinteressen der israelischen Regierung. Meiner Ansicht nach könnte und müsste wesentlich mehr getan werden, doch dazu ist mehr politischer Wille erforderlich als wir bisher gesehen haben.
Ich stimme mit dem Parlament überein, dass die Schließung der Grenzübergänge im Gazastreifen schlimme Auswirkungen auf das Leben der ohnehin schon verarmten Bevölkerung sowie auf die erforderliche humanitäre Reaktion hat. Der Grenzübergang Karni ist nunmehr bereits seit nahezu vier Monaten geschlossen, so dass unsere Hilfe über Karem Shalom und Sufa gehen muss. Wir betrachten dies als vorübergehende Lösung, weil erstens die Anlagen an diesen Grenzübergangsstellen unzureichend sind und zu zusätzlichen Beförderungskosten führen – bis zu 40 % der Kosten für die Hilfslieferungen –, und zweitens die Einschränkungen für die Ausrüstung, die wir in den Gazastreifen bringen wollen, Probleme für unsere Projektarbeit bereiten.
Allerdings müssen wir bei unseren Aktionen auch die illegale Übernahme des Gazastreifens berücksichtigen. Unsere Strategie stimmt mit der Linie des Quartetts sowie der Position der legitimen Regierung der Palästinensischen Behörde überein, und selbstverständlich unterstützen wir Präsident Mahmoud Abbas. Am 23. September haben wir und andere Partner im Quartett unsere Position ganz deutlich dargelegt. Wir haben unsere große Besorgnis angesichts der anhaltenden Schließung wichtiger Grenzübergangsstellen zum Ausdruck gebracht. Wir sind uns einig, dass weitere humanitäre und Soforthilfe ohne Behinderung wichtig ist, und wir haben die ununterbrochene Bereitstellung von lebensnotwendigen Dienstleistungen gefordert.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die Lage im Westjordangebiet eingehen, das wir nicht außer Acht lassen dürfen. Ungeachtet jüngster Ankündigungen seitens der israelischen Behörden, sie wollten die Zahl der Kontrollpunkte verringern, sieht es vor Ort leider ganz anders aus: Es wird immer schlimmer. Nicht nur, dass die Siedlungspolitik und der Bau der Sicherheitsbarriere fortgesetzt werden, sondern es wurden auch einem jüngsten Bericht von OTCHA zufolge 48 neue Kontrollpunkte eingerichtet.
Es ist dringend erforderlich, Fortschritte bei der Zugangs- und Bewegungsfreiheit zu erzielen, denn ansonsten werden die Aussichten für einen zukünftigen zukunftssicheren Palästinenserstaat untergraben. Hinzufügen möchte ich noch, dass in Vorbereitung des nächsten Rates „Außenbeziehungen“ im Entwurf der Schlussfolgerungen des Rates bereits ganz deutlich auf die schwierige Lage im Gazastreifen hingewiesen und die Bedeutung einer ununterbrochenen humanitären und Soforthilfe ohne Behinderung unterstrichen wird.
Jana Hybášková, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Wieder einmal stehen wir hier und wiederholen, wie entsetzlich die Lage im Gazastreifen ist. Wieder einmal sind wir uns einig, dass etwas getan werden muss. Ich habe die große Ehre, im Namen der PPE-DE-Fraktion diese Entschließung vorzulegen, und begrüße Ziffer 5, in dem die Maryland Convention nachdrücklich unterstützt wird. Aber offen gesagt, kann ich sicher sein angesichts dessen, dass wir Sie gedrängt haben und ich Sie hier vor Beginn des Sommers aufgefordert habe, für eine humanitäre Krisenoperation und für eine Notfallplanung bereit zu sein?
Viele von Ihnen waren der Ansicht, ich hätte für eine ausländische Intervention plädiert. Nein, das habe ich nicht! Ich wusste lediglich, dass für eine humanitäre Krisenoperation bereit zu sein uns helfen würde, schneller zu reagieren, wenn das Unausbleibliche eintritt. Wir haben bereits Oktober, sind allerdings noch nicht viel weiter gekommen.
Selbstverständlich verdienen die Menschen im Gazastreifen unsere Hilfe: unsere sofortige, kurzfristige schnelle Hilfe. Doch aufgrund unserer langjährigen Zusammenarbeit im Nahen Osten ist uns allen bekannt, dass schnelle Regelungen nicht zählen. Was wir hier wirklich brauchen ist die Beseitigung der Ursachen für das Leiden der Palästinenser.
Hier denken viele – und da bin ich völlig anderer Meinung –, dass Israel die einzige Ursache für dieses Leid ist. Ich habe 1990 zum ersten Mal den Gazastreifen besucht. Ich habe auch Hodeida, Tanta, Benghazi, Ismailia gesehen, um nur einige andere Orte im Nahen Osten zu nennen, die alle einander ähneln: keine Beschäftigung, keine militärische Intervention. Des Pudels Kern sind Missmanagement, Korruption, Günstlingswirtschaft, Polizeiregime. Wir müssen diese Dinge beim Namen nennen; wir müssen uns darauf konzentrieren, wie wir denen helfen können, die unter beidem zu leiden haben.
Wie brauchen Geduld, um zur Wahrheit vorzudringen, um richtig und objektiv zu analysieren, die Hilfe richtig zu gestalten, gezielte Projekte zu erarbeiten, Geld zu investieren, zu lehren und zu führen. Und wir müssen unversöhnlich sein. Wir müssen streng und verantwortungsvoll vorgehen.
Im Gazastreifen haben die Ottomanen, die Briten, die Ägypter, die Israelis, die Amerikaner und die Europäer alle ihren Anteil an diesem Problem. Aber der Hauptanteil entfällt auf die Palästinenser selbst. Wir können ihnen nur helfen. Sie müssen Schluss machen mit den Drohungen, den Beschimpfungen, der Gewalt, dem Terror und dem Töten. Sie müssen der Korruption Einhalt gebieten. Sie müssen Schluss machen mit Günstlingswirtschaft und den Pashaliks.
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
Thijs Berman, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Seit Mitte Juli, als Hamas die Macht im Gaza-Streifen ergriff, sind anderthalb Millionen Menschen in einem Getto, wie es die Einwohner selber bezeichnen, eingeschlossen, in dem sie gleichsam wie Vieh gehalten werden. Selbst Krebspatienten dürfen das Gebiet nicht verlassen. Israel zufolge wohnen sie in einem feindlichen Gebilde. Nur Lebensmittel, Medikamente und einige humanitäre Güter sind zugelassen. Menschen können jedoch nicht allein von Mehl, Linsen und Arzneimitteln leben.
Israels restriktive Definition humanitärer Güter ist absurd. Bestandteile medizinischer Geräte dürfen nicht importiert werden, das Wasserversorgungssystem kann nicht repariert werden. Es besteht ständig die Gefahr einer Unterbrechung der Energiezufuhr durch Israel. Die Wirtschaft im Gaza-Streifen ist zusammengebrochen, die Bevölkerung ist arbeitslos und verzagt, es gibt kein Geld mehr. Unterernährung kommt allmählich auf. Diese Blockade dient nicht dem Frieden, sondern ruft Verzweiflung, Wut und Hass hervor. Im Gaza-Streifen herrscht eine unhaltbare humanitäre Krise.
Angesichts der wachsenden Nachfrage nach Hilfe und der Tatsache, dass die Kosten für die Hilfe infolge des Embargos außerdem steigen, müssen die Mitgliedstaaten der UNHRA und den anderen Organisationen vor Ort mehr finanzielle Unterstützung gewähren. Sowohl die Europäische Kommission als auch einige Mitgliedstaaten haben bereits entsprechende Schritte unternommen. Auch das Europäische Parlament stimmte gestern für eine Aufstockung der Hilfe. Meine Fraktion richtet an den Rat den dringenden Appell, diese Entscheidung zu unterstützen.
Hilfe alleine ist allerdings nicht ausreichend. Der Vorsitz hielt sich heute Abend bei diesem Thema bedeckt, er hielt sich zurück – die Europäische Union kann jedoch nicht länger die moralische Verantwortung übernehmen, zwar Hilfe zu leisten, aber keine politischen Schritte gegen die Blockade zu unternehmen. Im Namen meiner Fraktion ersuche ich daher den Vorsitz, den Rat und die Europäische Kommission, Israel nachdrücklich zur unverzüglichen Beendigung der Blockade aufzufordern. Im Gazastreifen wird eine Bevölkerung kollektiv bestraft, was nach Artikel 33 der Vierten Genfer Konvention unrechtmäßig ist. Darüber hinaus ist eine solche Vorgehensweise Israel nicht dienlich, und die Europäische Union sollte Israel darüber aufklären, anstatt sich weiterhin passiv zu verhalten, denn sie ist ja ein Verbündeter. Das Assoziierungsabkommen mit Israel würde dadurch insofern einen Sinn erhalten, als die EU der darin enthaltenen Menschenrechtsklausel nur gerecht wird, wenn sie sich gegen die Blockade wendet.
Chris Davies, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich spreche nicht im Namen meiner Fraktion, sondern als ein Abgeordneter, der Dinge gesehen hat, die er besser nicht gesehen hätte.
Ich hoffe, der Herr Minister glaubt selbst nicht an den scheinheiligen Unsinn, den er in diesem Hohen Hause vorgetragen hat. Es ist einfach lächerlich, auch nur einen Moment lang zu behaupten, die Politik dieser Europäischen Union sei unparteiisch, wo doch jeder weiß, dass wir mit zweierlei Maß messen. Von den Palästinensern erwarten und fordern wir, alle Forderungen einzuhalten. Die Israelis ersuchen wir lediglich, unseren Wünschen nachzukommen.
Diese Doppelstandards stinken zum Himmel. Frau Kommissarin, erinnern Sie sich: erst vor wenigen Monaten standen Sie hier, nachdem die palästinensische Delegation von einem Treffen mit Herrn Haniyeh in Gaza zurückgekehrt war, bevor die Palästinensische Einheitsregierung scheiterte, und erklärten diesem Hohen Haus, sie wollten alles in Ihren Kräften Stehende tun, um diese Regierung zu unterstützen? Innerhalb von vierzehn Tagen war sie auseinander gebrochen! Sie war auseinandergebrochen, weil wir uns geweigert hatten, mit den gewählten Vertretern zu sprechen. Wir hatten uns geweigert, mit Herrn Haniyeh zu reden, und es überrascht nicht, dass die Kräfte der Gewalt die Macht übernahmen, nachdem wir die demokratischen Kräfte unterminiert hatten.
Wir scheinen niemals die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Wir müssen aufhören, die Wünsche des palästinensischen Volkes zu ignorieren. Wir müssen anfangen, den Kräften der Demokratie eine gewisse Achtung entgegenzubringen, und wir müssen erkennen, dass man keinen Frieden schließen kann, ohne mit dem Feind zu reden.
(Beifall)
Die anhaltende Weigerung, sich mit einigen der Mitglieder der Hamas zusammenzusetzen, die einen Schritt auf uns zugehen wollen, macht es unmöglich, den Frieden im Nahen Osten zu erreichen.
Eine Frage zu dem uns vorliegenden Entschließungsantrag: Weshalb denken wir überhaupt daran, dem Gazastreifen Geld zu geben? Was hat dieser mit der Europäischen Union zu tun? Der Gazastreifen ist ein israelisches Gefangenenlager! Er hat mit uns gar nichts zu tun. Die Israelis sollten dafür verantwortlich gemacht werden, eineinhalb Millionen Menschen am Leben zu erhalten. Sie sind es doch, die dort Not und Elend verbreiten. Es ist doch nicht unsere Aufgabe, das Geld unserer Steuerzahler zur Verfügung zu stellen, um der Verantwortung Israels nachzukommen.
Abschließend noch ein Wort zur Frage der Unparteilichkeit. Wir haben in den letzten Wochen vernommen, dass die israelische Armee angeordnet hat, weiteres palästinensisches Land zu beschlagnahmen, um dort Straßen zu bauen, die den Bau der Siedlung E1 ermöglichen – einer weiteren Erweiterung der jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem – entgegen allen Zusagen, um die wir die Israelis ersucht haben. Das zerschlägt alle Hoffnungen, die bevorstehenden Friedensgespräche könnten zu einem echten Ergebnis führen.
Wenn die Palästinenser alle Hoffnungen auf einen lebensfähigen, unabhängigen palästinensischen Staat schwinden sehen – was will die Europäische Union dagegen tun? Sie wissen sehr gut, dass sie nichts tun wird; sie wird heuchlerisch einige Worte sagen, jedoch nichts Konkretes unternehmen!
Ryszard Czarnecki, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Ich war einer der Teilnehmer der fünfköpfigen Delegation des Europäischen Parlaments, die einige wichtige Tage in den Palästinensischen Autonomiegebieten verbracht hat. Ich kann kategorisch sagen, dass unsere Mission humanitärer und nicht politischer Art war. Ich sage dies, weil ich nicht möchte, dass unsere Aussprache in eine sehr politische Debatte ausartet, in der das Europäische Parlament die Rolle eines Verteidigers gegen eine Seite einnimmt. Ich möchte, dass wir über den politischen Gräben stehen und darüber nachdenken, wie wir dem zivilen Palästina helfen können.
Lassen Sie uns dennoch klarstellen, dass ein besserer Lebensstandard im Gaza-Streifen, ein normales Funktionieren von Krankenhäusern und Schulen, allgemeiner Zugang zu Trinkwasser, Lebensmitteln und Elektrizität und die Möglichkeit, die Landwirtschaft normal zu betreiben, die Wahrscheinlichkeit vergrößern, dass die Spannungen in den Beziehungen zwischen Palästina und Israel abgebaut werden und dass das Feindschaftspotenzial gegenüber jüdischen Siedlern, israelischen Siedlern und dem Staat Israel an sich abgeschwächt werden kann.
Vor einigen Monaten sprach ich in diesem Hohen Haus von den kontroversen Texten, die in einigen palästinensischen Schulen in palästinensischen Lehrbüchern verwendet werden; jetzt aber sind wir von einem Extrem ins andere gelangt. Wir können nicht mehr bestimmte Aspekte des palästinensischen Schulunterrichts kritisieren, da das Schulsystem praktisch tot ist.
Diese Münze hat aber auch eine zweite Seite, einen innerpalästinensischen Aspekt. Die politische Sackgasse zwischen Hamas und Fatah und dem Lager des Präsidenten Abu Mazen bleibt bestehen. Die Pattsituation erschwert die Arbeit palästinensischer Institutionen und trifft deshalb die dort lebenden Palästinenser, was eindeutig nicht die Schuld Israels ist. Wir sprechen viel über den anhaltenden Frieden zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern, aber dies ist ein bisschen, als würden wir über ein Haus sprechen und dabei mit dem Dach beginnen. Wir sollten immer mit dem Fundament aufwärts beginnen, und das Fundament ist in diesem Fall die verbesserte Funktionsweise der palästinensischen Machtstrukturen, der öffentlichen Institutionen und der humanitären Hilfe für das palästinensische Volk.
Margrete Auken, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (DA) Herr Präsident! Der bereits erwähnte Besuch im Westjordanland und im Gaza-Streifen vor einigen Wochen war ein Schock – sogar für diejenigen von uns, die bereits viele Male dort waren. Die von Israel geschlossenen Grenzen und die zahllosen Straßensperren machen die Entwicklung einer gesunden Wirtschaft und ein Befolgen der EU-Regelungen für humanitäre Hilfe unmöglich. Der Rat und die Kommission sollten sofort eingreifen, um der palästinensischen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Lassen Sie es mich klar ausdrücken: Ohne ein solches Eingreifen kann eine Friedenskonferenz keinen Erfolg haben. Wie bereits wiederholt dargestellt wurde, ist die wirtschaftliche Dimension untrennbar mit der politischen Dimension verbunden. Mit anderen Worten: Die israelische Besetzung muss beendet werden, wenn je ein Frieden erreicht werden soll. Neben der wirtschaftlichen Erschöpfung nimmt derzeit die Radikalisierung der Palästinenser zu. Sie wächst unter den Armen – von denen es als Ergebnis der israelischen Blockade immer mehr gibt – und unter den jungen Menschen. Ältere Generationen von Palästinensern haben wiederholt davor gewarnt, dass die jungen Menschen, die heute heranwachsen, nie Seite an Seite mit Israelis gelebt haben, und dass ihre einzigen Erfahrungen mit ihnen hässliche Mauern, Militärinvasionen und Soldaten im Teenageralter sind, die ihre Väter beleidigen. Auf diese Weise wird nicht Frieden geschaffen, sondern unerbittliche Feindschaft.
Auch besteht kein Vertrauen in die EU, die die demokratischen Wahlen in den palästinensischen Gebieten nicht anerkannt hat und durch die Isolierung der Hamas sowohl ihre diplomatische Inkompetenz als auch, wieder einmal, ihre Doppelmoral bewiesen hat. Solange nicht alle Palästinenser in den laufenden Verhandlungen repräsentiert sind, wird es keinen Frieden geben, was jedem, der mit dem Thema zu tun hat, klar ist. Wie Herr Davies und andere schon sagten, werden alle Hoffnungen auf Frieden zerstört, wenn die israelische Regierung, wie berichtet wird, die E1-Zone enteignen will. Sowohl die USA als auch die EU haben in eindeutigen Worten erklärt, dass dies nicht geschehen darf. Die Frage, die der Rat und die Kommission jetzt beantworten sollten, ist, welche Maßnahmen geplant sind, um diese Enteignung des palästinensischen Ost-Jerusalems zu verhindern.
Luisa Morgantini, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Minute ist gar nichts. Herr Lobo Antunes sprach von mutigen Gesten und Schritten: Der mutige Schritt von Herrn Olmert müsste darin bestehen, jede neue Siedlungsaktion zu stoppen, Tausende von Palästinensern freizulassen, die militärischen Übergriffe im Westjordanland einzustellen, die Grenzkontrollposten abzuschaffen und das Embargo gegen den Gazastreifen aufzuheben! Und konkrete Maßnahmen für Verhandlungen zu ergreifen. Stattdessen haben wir gestern erlebt, wie um Jerusalem herum wieder Land beschlagnahmt wurde.
Der mutige Schritt, den wir, die Europäische Union, gehen müssten, wäre die Ablehnung jeder Form von Kollektivbestrafung der Zivilbevölkerung
durch die israelische Regierung. Unsere Vorhaben in Gaza liegen auf Eis, weil es keinen Zement und keine Rohre gibt. Die Kosten haben sich vervierfacht und das UNRWA schlägt weiterhin Alarm.
Mit der Entschließung, die wir morgen annehmen wollen, fordern wir die Aufhebung der Blockade des Gaza-Streifens und überall den freien Personen- und Güterverkehr zu gewährleisten, wohl wissend, dass die Palästinenserfrage kein humanitäres Problem ist! Unsere Verantwortung betrifft die politische Seite und besteht darin, der militärischen Besatzung ein Ende zu setzen und zwei Völker und zwei Staaten zu fordern, die in gegenseitiger Sicherheit nebeneinander bestehen können.
Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ende vergangener Woche diskutierte eine Delegation unseres Parlaments im Rahmen des Transatlantischen Gesetzgeberdialogs (TLD) mit unseren amerikanischen Kollegen über die ernste Lage in Nahost. Der amerikanische Friedensunterhändler Dennis Ross empfahl uns dabei, der palästinensischen Bevölkerung in ihrer prekären Situation praktische Hilfe zu leisten. Vonnöten sei ein Netzwerk zuverlässiger, politisch unabhängiger NRO.
Meine Frage an den Rat und die Kommission lautet: Inwieweit bestehen Ihrer Ansicht nach reale Möglichkeiten sowohl für das Westjordanland als auch für den Gaza-Streifen? Der externen und internen Krisensituation im Gaza-Streifen liegt meines Erachtens das Verhalten der Hamas zugrunde. Sie spricht dem Staat Israel nach wie vor das Existenzrecht ab und legitimiert Gewalt gegen Israel und so genannte dissidente Palästinenser.
Herr Präsident, der jüngste brutale Mord an dem erst dreißigjährigen palästinensischen Christen Rami Ayyad unterstreicht die hilflose Lage dieser Minderheit im Gaza-Streifen. Vom Rat und von der Kommission erwarte ich, dass sie der christlichen Minderheit in allen palästinensischen Gebieten ihre Aufmerksamkeit und Hilfe zuteil werden lassen.
Edward McMillan-Scott (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Herr Davies stellte vorhin die Frage, welche Rolle die Europäische Union im Nahen Osten spielt. Natürlich weiß ich, dass es eine rhetorische Frage war, denn er ist sehr an einer Lösung interessiert, aber Tatsache ist auch, dass die Europäische Union ein unmittelbares Interesse am Ergebnis des Nahost-Friedensprozesses hat.
Ich vertrete einen Wahlkreis in Yorkshire, aus dem die vier Bombenattentäter kamen, die vor einigen Monaten die Anschläge in London verübten. Die Ereignisse im Nahen Osten hatten sie motiviert. Gleiches gilt auch für die Bombenattentäter in Madrid. Daher steht die Sicherheit Europas in direktem Zusammenhang mit dem Nahen Osten.
Meiner Ansicht nach haben wir auch eine historische und humanitäre Verpflichtung, eine friedliche Lösung zu erreichen. Obwohl der Friedensprozess nur langsam voran ging und lückenhaft war, gab es zahlreiche Initiativen, eine Reihe von Regierungskonferenzen – Madrid, Oslo und so weiter. Wir sind jetzt, im Oktober 2007, an einem Punkt angelangt, wo fast verzweifelt nach einer Lösung gesucht wird.
Daher ist es jetzt höchste Zeit, einige ziemlich radikale neue Überlegungen anzustellen. Ein Vorschlag, den ich einbringen möchte, besteht darin, dass die jüngsten Gespräche zwischen Herrn Olmert und Herrn Mahmud Abbas über eine tatsächlich endgültige Lösung für den Status die Verhandlungen widerspiegeln sollten, die Herr Olmert selbst als junger Parlamentarier im Jahre 1987 führte, als er mit der PLO privat zusammentraf, um über die Hauptstadt des palästinensischen Staates in Ost-Jerusalem zu sprechen, über die Grenzen von 1967 sowie darüber, dass einige Siedler zurückkehren sollten. Anders gesagt, das geschah 1987, und vielleicht kommt die Zeit, noch in diesem Herbst, wo diese beiden führenden Politiker – ermutigt durch die internationale Gemeinschaft – zusammentreffen, um radikal die Zukunft für eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung des Nahost-Friedensprozesses zu gestalten.
Herr Triantaphyllides und seine Delegation, die kürzlich in Palästina weilte, kam mit zwei grundlegenden Schlussfolgerungen zurück: Wir sollten uns auf die humanitäre Lage in Palästina konzentrieren, aber auch über die Rolle nachdenken, die gewählte Parlamentarier dort und anderswo in diesem Prozess spielen können. Man sollte uns da hinzuziehen.
Véronique De Keyser (PSE). – (FR) Herr Präsident! Bei der Ausarbeitung dieser Entschließung haben wir uns gesagt: „Keine politischen, nur humanitäre Erwägungen“. Es ist unerträglich, dass heutzutage – verfolgt von den Kameras der ganzen Welt – ein Volk in einem riesigen Getto unter freiem Himmel langsam zu Grunde geht, ein ausgeblutetes Volk ohne Recht, sich zu entwickeln, sich frei zu bewegen oder seine Kinder auszubilden, aber ein Volk, für dessen Überleben wir teuer bezahlen und das uns vor allem nicht wegsterben darf, weil dies ein Makel wäre, den unsere Demokratien nicht ertragen könnten.
In diesem Jahr wird die Europäische Union mehr als 300 Millionen Euro zahlen, um dieses Drama zu verhindern. Das ist zu wenig für die Palästinenser, um zu überleben, aber es ist zehnmal, hundertmal zu viel, denn wenn alle internationalen Verpflichtungen, die vierte Genfer Konvention und die Menschenrechte eingehalten würden, wäre dies nicht nötig.
Schande über das Getto! Schande über uns Europäer, die wir Berlin in der Zeit der Blockade zu versorgen wussten. Schande über uns, die wir mit Freudentränen den Fall der Mauer in Deutschland begrüßt haben, die wir aber heute Gefangene und Komplizen anderer Mauern und anderer Ghettos sind! Schluss mit dem Einsperren!
Doch heute kann die humanitäre Gesinnung nicht die Politik vergessen machen. Die israelische Regierung hat am 24. September einen Befehl zur Beschlagnahme von 1 100 Dunums Land in vier arabischen Dörfern zwischen Jerusalem und Jericho für den Bau einer Straße bekannt gegeben, mit der das Westjordanland endgültig in zwei Teile geteilt werden soll. Dies ist ein alter israelischer Plan aus dem Jahr 2004, den Europa und sogar die USA immer abgelehnt haben. Heute, am Vorabend des internationalen Treffens in Washington, ist das eine wahre Zeitbombe. Mit einem eingezäunten Gaza-Streifen und einem zweigeteilten Westjordanland, wie lässt sich da noch von zwei Staaten träumen, die friedlich Seite an Seite leben?
Am 8. Februar 2005 erklärte Ariel Sharon in Sharm El-Sheikh: „Wir haben die Chance, einen neuen Weg einzuschlagen. Zum ersten Mal seit langer Zeit besteht in unserer Region die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder.“ Dies ist eine äußerst zerbrechliche Chance, die die Extremisten zunichte machen wollen. Wenn diese Straße und viele andere gebaut werden, werden die Extremisten gewonnen haben. Architekten und Geografen setzen heute perversere Waffen als Bomben ein. Sie umklammern Palästina mit Mauern und Straßen, die jeden Traum von einem echten Staat zunichte machen.
(Beifall)
Elizabeth Lynne (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Nichts ist demoralisierender als ein Leben in Armut, ein Leben ohne Zukunftschancen und ein Leben, das durch einen Konflikt getrübt wird. Angesichts der humanitären Katastrophe, von der die Bevölkerung im Gazastreifen heimgesucht wird, steht außer Zweifel, dass das Einzige, was die israelischen und palästinensischen Führer schaffen, darin besteht, Schmerz, Armut, Elend und Hass an eine neue Generation junger Palästinenser weiterzugeben.
Ein unmittelbares Ergebnis der israelischen Blockade des Personen- und Güterverkehrs ist, dass Kinder nicht einmal mehr elementare Bildungsmöglichkeiten haben. Allen werden die grundlegenden Versorgungsleistungen vorenthalten, die jeder hier in diesem Parlament für selbstverständlich hält. Existenzgrundlagen werden zerstört, weil Fischer, Landwirte und andere keinen Handel treiben können. Menschen müssen unnötig leiden und sterben infolge der begrenzten Gesundheitsdienste und unzureichender Behandlung. Und das geschieht alles vor dem Hintergrund von Gewalt und Unterdrückung.
Laut Schätzungen von NRO gibt es im Gazastreifen fast 2 000 neue Schwerbehinderte. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um junge Menschen, auf die von Scharfschützen oder von Panzern aus geschossen wurde, was vielfach zum Verlust von Gliedmaßen, zu Kopfverletzungen oder Verletzungen des Rückenmarks führte. Die mit der Versorgung von Behinderten befassten Organisationen werden jedoch durch die israelische Blockade in ihrer Arbeit behindert und können so die benötigten speziellen Lieferungen nicht erhalten! Die Israelis müssen ihre internationalen Verpflichtungen einhalten, beispielsweise die Genfer Konvention, und humanitäre Hilfe, humanitäre Unterstützung und Grundversorgungsleistungen gewährleisten sowie die Grenzen öffnen.
Zwar müssen Rat und Kommission den Druck beibehalten, allerdings auch mit allen Seiten sprechen. Das ist die einzige Möglichkeit, zu einer Lösung zu kommen. Es macht keinen Sinn zu sagen, dass wir mit einer Seite nicht sprechen werden. Wir müssen eine Lösung finden, indem wir mit allen sprechen. Wenn nichts geschieht, werden Menschen weiterhin sinnlos sterben. 1,3 Millionen Menschen im Gazastreifen werden weiterhin ihrer Würde beraubt, und das Gefühl von Schmerz, Armut, Elend und Hass wird an eine neue Generation von Palästinensern unaufhaltsam weitervermittelt.
Hélène Flautre (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident! In einer Zeit, da die Grenzübergänge zum Gazastreifen geschlossen sind und von der israelischen Armee kontrolliert werden, in einer Zeit, da täglich tödliche Überfälle verübt werden und die Zahl der Siedler in den besetzten Gebieten unaufhörlich steigt, in einer Zeit, da unter Verstoß gegen das Völkerrecht der Bau der Mauer und von Überwachungseinrichtungen weitergeht, gibt es in diesem Gremium, hier im Europäischen Parlament, nach wie vor Menschen, die den Status Israels als Besatzungsmacht leugnen. Das ist ungeheuerlich!
Israel ist eine Besatzungsmacht und hat als solche Verpflichtungen gemäß den Genfer Konventionen und darf insbesondere unter keinen Umständen eine kollektive Bestrafung vornehmen. Wir täten gut daran sicherzustellen, dass Israel seine Verpflichtungen einhält, anstatt fatale Signale auszusenden, wie wir es z. B. getan haben, indem wir die Finanzierung der Kraftstoffversorgung des Kraftwerks in Gaza ausgesetzt haben. Die Krokodilstränen, die wir angesichts der innerpalästinensischen Spaltungen vergossen haben, sind wirklich fehl am Platze, nachdem die Europäische Union nicht in der Lage war, die Bemühungen von Mahmoud Abbas zu unterstützen, den pragmatischen Flügel der Hamas zu integrieren.
Kann man sich Schlimmeres vorstellen? Die Ramallah gegen Gaza ausspielen? Zu entscheiden, wer die guten Palästinenser sind und ihnen dabei zu helfen, die schlechten loszuwerden? Wer kann an eine dauerhafte Lösung glauben, ohne dass die politische und territoriale Einheit Palästinas gewährleistet ist? Wer kann glauben, dass der Frieden für Israelis und Palästinenser im Gefolge einer Politik entsteht, die in Wahrheit zur Radikalisierung der Menschen in Israel und in Palästina führt?
Die humanitäre Situation in Gaza verletzt sämtliche Normen der Menschenwürde. Die Blockade des Gazastreifens muss so schnell wie möglich aufgehoben werden. Daher muss gebührender Druck auf Israel ausgeübt werden. Dieses Thema darf nicht länger tabu sein und ich frage Sie, den Rat und die Kommission, welche Maßnahmen Sie zu ergreifen gedenken, um die Aufhebung der Blockade zu befördern und Israel zu zwingen, seine Verpflichtungen und Zusagen einzuhalten. Ich frage Sie, was Sie zu unternehmen beabsichtigen, damit Israel einen Monat vor der internationalen Konferenz von seinem Plan Abstand nimmt, das Westjordanland in zwei Teile zu spalten, indem Jericho und Ost-Jerusalem verbunden werden.
(Beifall)
Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Frau Präsidentin! Die Entwicklung in Palästina vollzieht sich extrem schnell und lässt uns kaum Zeit zu reagieren. So erörtern wir jetzt die humanitäre Lage im Gaza-Streifen, wo doch die israelischen Behörden einseitig beschlossen haben, tausende Hektar arabischen Landes zu enteignen, um ihr Projekt E1, den Bau einer Straße, die das Westjordanland praktisch zweiteilt, fortzusetzen.
Sie wissen, dass die internationale Gemeinschaft diesen Plan ablehnt. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn das Parlament in dieser Frage Position beziehen würde. Die politischen Entwicklungen hinter den Kulissen haben dies bisher verhindert, mit einem ganz einfachen Ergebnis: Wieder einmal sind wir nur Beobachter, während sich die Lage in Palästina weiter verschärft, während die Verhandlungsposition der Palästinenser mit jedem Tag schwächer wird und die Zweifel am möglichen Erfolg der bevorstehenden Internationalen Konferenz über die Palästinafrage im November immer lauter werden.
Charles Tannock (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Gestern Abend hatte ich die Ehre, an der Eröffnung des Brüsseler Büros der European Friends of Israel teilzunehmen. Grundsatz dieser Organisation ist es, das Recht des demokratischen Staates Israel, zu existieren und zu prosperieren, zu unterstützen. Im Gegensatz dazu ist die Hamas gemäß ihrer Charta aus dem Jahre 1988 bestrebt, Israel zu zerstören, und steht auch weiterhin auf der EU-Liste terroristischer Organisationen.
Es überrascht mich nicht, dass in dieser Entschließung versucht wird, einen Großteil der Schuld für die gegenwärtige Lage im Gazastreifen Israel zuzuweisen. Natürlich messen Israels Kritiker dem einseitigen Rückzug des Landes aus dem Gazastreifen als gutgläubige Geste, Land für Frieden bereitzustellen, nur wenig Bedeutung bei.
Die Entschließung betrifft die humanitäre Krise im Gazastreifen, ohne dass die Ursachen untersucht werden. Die Hamas sprach die palästinensischen Wähler an, weil sie viele der sozialen Dienstleistungen bereitstellte, die von der korrupten Regierung der Fatah vernachlässigt wurden. Doch die gleichen Schulen sind nun leer, weil die Kinder zu große Angst haben, aus dem Haus zu gehen. In den Krankenhäusern werden die behandelt, die bei den täglichen Gewaltakten verletzt werden, die für die gewaltsame Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas und die Niederlage der säkularen Fatah typisch sind.
Vergangenen Sonnabend wurde der bekannte Christ aus Gaza-Stadt, Rami Ayyad, ermordet, und am Sonntag feuerte die Hamas acht Granaten und eine Katjuscha-Rakete wahllos auf Israel ab. Absonderlich ist auch, dass die Hamas sogar den Grenzübergang in Khani beschossen hat.
In der Entschließung wird Israel außerdem aufgefordert, Schritte einzuleiten, um den ungehinderten Durchgang von humanitären Lieferungen und lebenswichtigen Versorgungsgütern zu gewährleisten. Tatsache ist jedoch, dass Israel die Beförderung solcher Waren wie Lebensmittel, Elektrizität oder Wasser in den Gazastreifen nicht aufgehalten hat und wirklich zurückhaltend und moderat handelt, obwohl die Hamas Israel militärisch angegriffen hat.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Israel mit einem ständigen Schwall von Beschimpfungen aus diesem Parlament rechnen muss, doch Israel sollte auch wissen, dass es hier und in ganz Europa Freunde hat, die sich für Frieden und Sicherheit in dieser Region einsetzen. Doch dass wird niemals Wirklichkeit werden, solange so viele in diesem Hohen Haus so nachsichtig mit der Agenda der Hamas umgehen.
Richard Howitt (PSE). – (EN) Herr Präsident! Eine humanitäre Krise erfordert eine humanitäre Antwort, und hier und heute sollten wir uns vorrangig mit medizinischen Hilfsgütern und Schulbüchern befassen, die auf einer Seite der Grenze zurückgehalten werden, während Schüler und Kranke auf der anderen Seite darauf warten. Aus den internationalen humanitären Gesetzen erwächst der Europäischen Union eine direkte Verpflichtung, etwas zu tun, und vier Monate, nachdem der Gazastreifen abgeschnitten wurde, ist unsere direkte Zusage für eine EU-Mission zur Unterstützung der Grenzbehörden eine Verpflichtung, die wir nicht einhalten.
Ich danke der Frau Kommissarin für den vorsichtigen Optimismus, den sie heute bezüglich der Wiederbelebung des Friedensprozesses und des vorläufigen internationalen Mechanismus zum Ausdruck gebracht hat. Wir ersuchen sie dringend, alles in ihren Kräften Stehende zu tun. Ich stimme mit Herrn Tannock überein, dass wir Angriffe militanter Palästinenser mit Raketen und Granaten verurteilen müssen, doch seine Beschwerden wären wesentlich glaubhafter, wenn er auch das Töten von Zivilisten durch israelische Luftraketenangriffe verurteilen würde. Ich fordere Sie, Frau Kommissarin, sowie den Ratspräsidenten dringend auf, vorstellig zu werden und die Beschlagnahme von weiteren 3 % des Westjordanlandes zwischen Jerusalem und Jericho im Rahmen des Annexionsplans E1, von dem heute Morgen berichtet wurde, zu verurteilen.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Angesichts der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Juni 2007 zum MEDA-Programm und zur Finanzhilfe für Palästina, der Entschließung vom 12. Juli 2007 zum Nahen Osten und der Erklärung des Nahost-Quartetts vom 23. September 2007 sollte das Europäische Parlament unbedingt eine klare Haltung zur Lage in Palästina einnehmen. Wir müssen die Situation jedoch unter mindestens zwei Aspekten betrachten, dem humanitären und dem ökonomischen, aber auch unter dem politischen und dem sicherheitspolitischen Aspekt.
Aus humanitärer und wirtschaftlicher Sicht muss Europa nach der umfangreichen finanziellen Unterstützung für Palästina nun dafür sorgen, dass die humanitäre Hilfe und Unterstützung auch technisch durchführbar ist. Es geht nicht an, dass palästinensischen Zivilisten der Zugang zu Medikamenten verwehrt wird und dass Gesundheitseinrichtungen, Schulen und Privathäuser zerstört werden. Außerdem wird den Menschen aufgrund der Blockade des Personen- und Warenverkehrs oft der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrungsmitteln verwehrt.
Aus politischer und sicherheitspolitischer Sicht sollte klar zum Ausdruck gebracht werden, dass Palästina und damit auch die regierende Hamas-Bewegung den Staat Israel genauso anerkennen muss, wie die internationale Gemeinschaft das Recht der Palästinenser auf Autonomie anerkennt. Bis heute hat sich die Hamas noch immer nicht von ihrer Gründungscharta distanziert, die als eines ihrer Ziele die Zerstörung des Staates Israel ausgibt. Dies ist die Ursache des politischen Problems und des daraus erwachsenden bewaffneten Konflikts – Terrorismus auf der einen und harter Verteidigungskurs auf der anderen Seite.
Proinsias De Rossa (PSE). – (EN) Herr Präsident! Vor allem möchte ich Herrn Tannock sagen, dass er Israel mit seiner bedingungslosen Unterstützung der illegalen Aktivitäten des Landes gegen die Palästinenser, insbesondere in Bezug auf den Gazastreifen, einen schlechten Dienst erweist. Ich unterstütze diese Entschließung einschließlich Ziffer 5. Die humanitäre Krise im Gazastreifen ist nicht neu, noch ist sie über Nacht eingetreten. Die Abgeordneten, die das Gebiet im Laufe der Jahre regelmäßig besuchten, haben immer wieder vor israelischen Aktionen gewarnt, die die Bevölkerung zur Verzweiflung getrieben haben. Die Wirtschaft befindet sich gegenwärtig im freien Fall. Die Sozialdienste sind buchstäblich zusammengebrochen. Unterernährung und chronische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch, und es gibt keine Arzneimittel. Der Gazastreifen ist jetzt von ausländischer Hilfe vollständig abhängig, die jedoch durch israelische Embargos blockiert wird. Das Gebiet ist ein Gefängnis, das von Israel strengstens kontrolliert wird, und wir dürfen nicht zulassen, dass das Wohl der Bevölkerung im Gazastreifen den dort stattfindenden politischen Manövern geopfert wird.
Ich verurteile die einseitige israelische Entscheidung, Land von vier arabischen Dörfern zu beschlagnahmen, wodurch Ost-Jerusalem vom Westjordanland abgeschnitten wird. Ich bedaure, dass weder der Rat noch die Kommission darauf Bezug genommen haben, und ich wäre überrascht, wenn sie darüber nicht Bescheid wüssten. Das Parlament weiß es, und es ist allgemein bekannt. Diese Maßnahme Israels steht eindeutig im Widerspruch zum Fahrplan, und sie verletzt das Abkommen, die Grenzen von 1967 ohne eine gemeinsame Vereinbarung zwischen den Israelis und den Palästinensern nicht zu verändern.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Mit viel Hoffnung könnten wir darauf warten, dass sich dieser Konflikt mit der Zeit selbst lösen wird. Leerer könnte eine Hoffnung kaum sein. Neue Generationen wachsen heran, und der Konflikt geht weiter, ja er wird sogar noch schlimmer. Man sollte meinen, dass zwei Nationen, die einander recht nahe sind, wie die Hebräer und die Araber, nebeneinander existieren könnten; dies geht aber nicht unter den Bedingungen eines hierarchischen Systems. Jede Abhängigkeit des einen vom anderen, jede Ungleichheit, und vor allem die fehlende souveräne Staatsstruktur für die Araber werden bleibende Quellen für negative Gefühle, Überzeugungen und Vergeltungsmaßnahmen sein.
Wenn der Staat Israel keiner Gebietsaufteilung zustimmen kann, fällt es mir ehrlich gesagt schwer, für diese Gegend Frieden vorauszusagen. So wie die Juden ein Recht auf ihr Land, ihren Staat haben, so haben auch die Araber, die Palästinenser, ein Recht darauf. In der Vergangenheit, vor dem Zweiten Weltkrieg, hat Palästina existiert, und wie wir gerade erleben, ist es nicht leicht, das Land aus der arabischen Erinnerung zu löschen.
Jeden Tag wird die Situation für die Menschen im Gaza-Streifen schlimmer, bis zu einem Grad, der eine Entladung der aufgestauten Aggression unausweichlich macht, und uns bleibt nichts, als voll Scham und Trauer zuzusehen. Das Beste, was wir für unseren Teil tun können – abgesehen davon, Impulse zur gegenseitigen Zerstörung abzuschwächen und Vermittlungsversuche zu unternehmen – ist eine Ausweitung der humanitären Hilfe, um es den Menschen zu ermöglichen, unter so weit wie möglich angemessenen sanitären Bedingungen zu leben, etwas zu essen zu haben und eine Schule zu besuchen. Aber ich betone, dass dies nur ein Ersatz für eine Lösung ist, eine Lösung, die wir, auch wenn wir uns schämen dies zuzugeben, nicht herbeiführen können.
Die Erfahrungen aus Mittel- und Osteuropa im 19. Jahrhundert und die Gräuel in Europa und Afrika im 20. Jahrhundert belegen eindeutig die Macht, die vom Streben eines Volkes nach Unabhängigkeit ausgehen kann. Mit diesem Streben haben wir es auch hier zu tun.
Béatrice Patrie (PSE). – (FR) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich muss die Europäische Union alles tun, um die Bevölkerung von Gaza aus dem Würgegriff einer nie da gewesenen humanitären Krise zu befreien.
Ich persönlich möchte unterstreichen, dass die Erklärung des Gaza zu einem feindlichen Gebilde durch die israelische Regierung zahlreiche dramatische Auswirkungen hat. Israel kann auf diesem Territorium viel größere Operationen als in der Vergangenheit durchführen. Die israelische Stromgesellschaft kann die Stromversorgung der 1,5 Millionen Palästinenser in Gaza auf das absolute Mindestmaß reduzieren und die Gesellschaft Mekorot wird das Wasser rationieren und der Hamas die Verteilung auf die Viertel überlassen.
Diese israelische Strategie, die eindeutig darauf ausgerichtet ist, einen Volksaufstand gegen die Führer der Hamas zu provozieren, ist untragbar und kann nur zu einer neuen Eskalation der Gewalt führen. Ganz zu schweigen von den neuen Siedlungen, die aus Palästina ein weiteres Bantustan machen werden.
Ich würde mir wünschen, dass die Europäische Union als Mitglied des Quartetts die Zusicherung erhält, dass die für November geplante Friedenskonferenz nicht nur dem Ziel dient, den USA einen Ausweg aus der Sackgasse zu bieten, in der sie sich in Irak und in Afghanistan befinden, sondern dass sie einen wirklichen Friedensgipfel unter Einbeziehung aller arabischen Akteure darstellt.
Nickolay Mladenov (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Zivilisten sind die stillen Opfer jedes Konflikts, und wir sind verpflichtet, ja, wir haben die Pflicht, unsere Meinung zu sagen und sie zu schützen, dem Gelöbnis des Nobelpreisträgers Elie Wiesel gerecht zu werden, niemals stillzuschweigen, wenn und wo auch immer Menschen leiden und erniedrigt werden.
Daher begrüße ich die Initiative dieses Hohen Hauses, über die Lage im Gazastreifen zu sprechen, sowie den Appell in der Entschließung, Israel aufzufordern, seine Verpflichtungen zu erfüllen und die Bereitstellung von humanitärer Unterstützung im Gazastreifen sicherzustellen.
Heute müssen wir jedoch einige andere Fragen stellen. Wir müssen anfangen, uns zu fragen, weshalb jedes Mal, wenn etwas in Richtung Frieden getan wird, die Gewalt zunimmt. Weshalb erheben jedes Mal, wenn die Stimmen der Vernunft in Israel und in den palästinensischen Gebieten nach einer Lösung suchen, terroristische Gruppen die Waffen gegen den Frieden? Weshalb fürchten sich einige so vor einer Zwei-Staaten-Lösung, vor einem friedlichen Nebeneinander von Israel und Palästina, dass sie es vorziehen, ihrem eigenen Volk Leid und Schmerz zuzufügen?
Wir sollten nicht zurückschrecken zuzugeben, dass die Verantwortung für die furchtbare Lage der Menschen im Gazastreifen auch direkt die Hamas trägt, die gegen eine Lösung ist, die zur Vernichtung eines rechtmäßigen Mitglieds der Vereinten Nationen aufruft, die Angst vor Frieden hat und die Gewalt schürt.
2005 wurden vom Gazastreifen aus 400 Raketen auf Israel abgefeuert. 2006 waren es 1 762 Raketen, und 2007 waren es ungefähr eintausend. Viele starben, Hunderte wurden verletzt und Tausende evakuiert. Auch sie sind Zivilisten: Männer, Frauen und Kinder.
Am 26. September wurden 54 Granaten vom Gazastreifen aus auf den Grenzübergang Sufa abgefeuert. Am darauf folgenden Tag waren die von der Kommissarin genannten Grenzübergänge – Erez und Karem Shalom – das Ziel. Ja, auf sie wurde gezielt, weil die Hamas der Meinung ist, dass eine Schließung dieser Übergänge sie ihrem Ziel näher bringt, den Leidensdruck zu erhöhen, damit die Menschen für die Hamas Partei ergreifen. Das ist die falsche Strategie.
Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass es im Gazastreifen Kräfte des Terrors und Kräfte der Angst gibt, die versuchen, vom Leid ihres eigenen Volkes zu profitieren.
Jamila Madeira (PSE). – (PT) Diese Woche erklärte Jimmy Carter in einem Interview, dass es seit Clinton keine gutwilligen Verhandlungen zum Nahen Osten unter der Ägide der Vereinigten Staaten von Amerika mehr gegeben habe. Deshalb werden mit der internationalen Konferenz im November hohe Erwartungen verknüpft. Es wird erwartet, dass etwas Greifbares dabei herauskommt, sodass wir tatsächlich einen Zeitplan für Lösung des menschlichen Dramas und des Konflikts anvisieren können.
Die humanitäre Lage in Gaza verschlechtert sich derzeit immer mehr. Hatten wir es vor einigen Monaten noch mit einem echten Gefängnis unter freiem Himmel zu tun, kommen heute Tag für Tag Tote, Hunger, Angst, Waffengewalt und die innerhalb und außerhalb der Mauern vorherrschenden Lebensbedingungen von tausenden Zivilisten hinzu. Humanitäre Hilfe ist dringend erforderlich gemäß den Genfer Übereinkommen, und es ist unbedingt erforderlich, dass Israel die Leistung von Hilfe zulässt. Der freie Personen- und Warenverkehr muss Wirklichkeit werden, wenn wir in diesem Gebiet an der Meeresküste kein menschliches Drama erleben wollen.
Die wichtigsten Ziele, die wir auf der nächsten internationalen Konferenz in Angriff nehmen sollten, sind das Ende der Gewalt und die Suche nach einer Lösung auf der Basis der bestehenden Resolutionen, um Palästinensern und Israelis ein Zusammenleben in Frieden zu ermöglichen, ehe es zu spät ist.
Christopher Beazley (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Vor 20 Jahren gab es drei Schauplätze gewalttätiger Konflikte, die weltweit Bestürzung hervorriefen: Südafrika, Irland und der Nahe Osten. In den ersten beiden Fällen fanden eine Versöhnung und ein politischer Wandel statt. Im Nahen Osten wurden keine Fortschritte erzielt. Die Lage dürfte sich verschlechtert haben.
Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen verpflichtet uns zu handeln in dem Bewusstsein, dass eine Versöhnung und ein politischer Wandel möglich, notwendig und ratsam sind. Ebenso klar ist aber auch, dass die Palästinenser und die Israelis allein ihre Differenzen nicht klären können. Beide greifen sie zu Gewalt, so dass die Ausweglosigkeit kein Ende hat.
Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen stellt einen der Tiefpunkte in dem 60jährigen Konflikt im Nahen Osten dar. Wir fordern Sicherheit für den Staat Israel und wir fordern Sicherheit für den Staat Palästina. Heute haben wir weder das eine noch das andere. Wir brauchen ein neues Vorgehen, eine neue Methode.
Klar ist, dass die US-Administration die Verantwortung und die Fähigkeit hat, entscheidenden Einfluss auf Israel auszuüben, indem sie beispielsweise Israel auffordert, die Blockade des Gazastreifens aufzuheben.
So wie die Europäische Union auch die Palästinenser darauf orientieren muss, der Gewalt abzuschwören, damit beide ihre Zielsetzungen für einen eigenen sicheren Staat mit den einzig zur Verfügung stehenden effektiven Mitteln erreichen, und zwar mit friedlichen Mitteln.
Da diese Entschließung an die Parlamente Palästinas, Israels, Ägyptens und die Parlamentarische Versammlung Europa-Mittelmeer weitergeleitet wird, würde ein konstruktiver Beitrag durchaus darin bestehen, einen parlamentarischen Dialog zu unterstützen und zu fördern, damit er an die Stelle des gegenwärtigen Zermürbungskriegs tritt, der beendet werden muss, damit er nicht länger das Heilige Land verunstaltet.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Es herrscht menschliches Leid im Gaza-Streifen. Die humanitäre Krise hat sich in den letzten Monaten zweifellos zu einer Katastrophe ausgeweitet.
Es geht dabei nicht mehr nur um fehlende Grundnahrungsmittel. Die palästinensische Wirtschaft ist zusammengebrochen, und es ist schwieriger geworden, Geschäfte zu betreiben. Das Alltagsleben der Menschen wurde zerschlagen, und die Hilfsorganisationen können nicht in der Region tätig werden. Die dort lebenden Menschen sind in einer Blockade gefangen, und im Westjordanland drohen, wie es die Frau Kommissarin gesagt hat, die gleichen Probleme.
Die Bewohner des Gaza-Streifens sind Opfer einer gescheiterten Politik aller an der Krise beteiligten Parteien. Es ist das eine, von der Hamas als dem Feind und einer terroristischen Organisation zu sprechen, es ist aber etwas ganz anderes zu erklären, dass der gesamte Gaza-Streifen feindliches Gebiet ist. Es ist das Eine, von Israel als dem Feind zu sprechen, es ist aber etwas ganz Anderes, die Zusammenarbeit mit Anbietern von grundlegenden Dienstleistungen und mit internationalen Organisationen zu verweigern. Auch wenn die Krisenparteien in eine Sackgasse geraten sind, so tragen doch beide Verantwortung für die elementaren humanitären Rechte.
Die Entschließung der Fraktionen des Parlaments ist eine außergewöhnlich klare Stellungnahme zu der Krise im Nahen Osten. Sie ist frei von jedweden politischen Hintergedanken. Was bleibt, ist die tiefe Besorgnis Europas über das Leben der Menschen im Gaza-Streifen.
Ich möchte Sie alle daran erinnern, dass wir dieselbe Besorgnis bereits an früherer Stelle in diesem Jahr zum Ausdruck gebracht haben. Wir können uns jetzt nicht auf eine der beiden Seiten schlagen und wir können nicht mit dem Finger auf den einen oder anderen zeigen. Das Leiden unschuldiger Menschen macht das Verlangen, Entschuldigungen und Rechtfertigungen für die Lage im Gaza-Streifen zu finden, irrelevant. Wir fordern nur eines: dass die Parteien in der Krise uns gestatten, ihnen zu helfen, und dass sie sich insbesondere auch selber helfen, weil es sich hier um eine humanitäre Krise gewaltigen Ausmaßes handelt.
Frau Kommissarin, ich hoffe, Sie nehmen diese eine Forderung Europas in Bezug auf die Situation in Gaza mit zu den Krisenparteien, zur Arabischen Liga und zum Nahost-Quartett.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident − (PT) Herr Präsident! Frau Kommissarin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte Ihnen allen für ihre Beiträge und Reden danken, die ich aufmerksam verfolgt habe. Unserer Meinung nach ist die kontinuierliche und anhaltende Unterstützung für die wirtschaftliche Entwicklung der palästinensischen Gebiete einer der Grundpfeiler für den Frieden. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Sicherheit, politischer Stabilität und Wirtschaft. Deshalb können Frieden und Sicherheit nicht erreicht werden, wenn nicht eine solide und dauerhafte wirtschaftliche Basis begleitet von einem Friedensprozess, der ein glaubwürdiger Friedensprozess sein muss, aufgebaut wird.
All diese Initiativen sind Ausdruck unseres Engagements, die Verbesserung der Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland, aber auch im Gazastreifen zu fördern und zu unterstützen. Das sind die Aufgaben, denen wir nachgehen wollen, und wir sind zuversichtlich, dass sich auf der für Dezember in Paris geplanten Geberkonferenz für die internationale Gemeinschaft die Gelegenheit bieten wird, ihre Unterstützung hoffentlich in praktischer Form für die Palästinensische Autonomiebehörde und das palästinensische Volk allgemein zum Ausdruck zu bringen. Die internationale Gemeinschaft darf die Bevölkerung in Gaza keinesfalls aufgeben, damit deren äußerst prekäre humanitäre Lage nicht länger ein politischer Faktor für Instabilität, Spannungen und Streit ist.
Ich kann sagen, dass die Europäische Union eine politische Strategie für den Nahost-Friedensprozess verfolgt, die auf soliden Grundpfeilern und Grundsätzen ruht, und deshalb ist die Europäische Union im politischen Prozess ein willkommener Gesprächspartner. Wir haben auch eine konsequente Politik der Hilfe für diejenigen, die sie in den palästinensischen Gebieten am dringendsten benötigen. Ich denke, die Zahlen, die ich vorgelegt habe und die auch von der Kommissarin genannt wurden, sind ein unzweifelhafter Beweis dafür. Ich hoffe, andere werden diesem Beispiel der Europäischen Union folgen.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Wir alle wissen um die dramatische Lage im Gazastreifen. Allerdings wissen wir auch, dass wir selbst dann, wenn wir viel humanitäre Hilfe bereitstellen, am Ende auch eine politische Lösung finden müssen. Wie ich vorhin sagte, und der Ratspräsident hat es soeben erwähnt: diese internationale Konferenz ist eine äußerst wichtige Gelegenheit. Wir haben alle eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht nur um einen Fototermin handeln darf. Es muss eine inhaltsreiche Konferenz werden, während der hoffentlich die Verhandlungen und persönlichen Gespräche zwischen Ministerpräsident Olmert und Präsident Abbas in ein aussagekräftiges erstes Schriftstück münden, nicht zuletzt zu den äußerst schwierigen Fragen. Danach müssen Arbeitsgruppen diese Gedanken weiterführen.
Uns allen ist bekannt, dass viele mögliche alternative Lösungen auf dem Tisch liegen. Gleichzeitig bestand bisher sehr lange keine Möglichkeit, die beiden Parteien auf einer solchen internationalen Konferenz zusammenzubringen, die von der Europäischen Union, von den USA, Russland und den Vereinten Nationen unterstützt wird, und die auch die Unterstützung der Arabischen Liga hat.
Sehr wichtig ist, dass dieses Mal auch die Amerikaner erklärt haben, sie seien bereit, die so genannte Follow-up-Gruppe der Arabischen Liga einschließlich Syrien und Saudi-Arabien einzuladen. Das zeigt, dass eine gewisse Öffnung vorhanden ist.
Trotzdem wissen wir sehr genau – und das war beim zweiten Treffen, der Tagung des Ad-hoc-Verbindungsausschusses, zu spüren –, dass wir nicht nur politische Verhandlungen führen können. Wir müssen auch vor Ort etwas verändern. Das ist in der Tat äußerst wichtig. Es geht um die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, und die ist Bestandteil des Mandats von Tony Blair. Dabei wollen wir ihn auch so gut wie möglich unterstützen, denn dies ist eine Möglichkeit und eine Gelegenheit, die wir nutzen müssen.
Natürlich wissen wir wie er auch – ich habe längere Gespräche mit ihm geführt –, dass die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung, von denen auch die Weltbank ganz klar gesprochen hat, in einer Verbesserung der Bewegungsfreiheit und des Zugangs, der Unterstützung des Privatsektors im Gazastreifen bestehen, der Bestandteil der Wirtschaft dort bleiben muss, sowie in der Förderung einer verantwortungsvollen Regierungsführung. Wir wollen einen lebensfähigen palästinensischen Staat schaffen, sobald die Lage im politischen Bereich sozusagen herangereift ist.
Ich stimme zu. Eine schnelle Lösung gibt es nicht. Was wir jedoch jetzt brauchen ist ein Verhandlungsprozess, mit Hilfe dessen schließlich Projekte in Angriff genommen werden, unverzüglich in Angriff genommen werden. Das ist ein Gebiet, auf dem wir bereits Vorbereitungen treffen, damit nach der internationalen Konferenz, vielleicht auch nach oder zum Zeitpunkt der Geberkonferenz, alles bereit ist. Wir haben Projekte im Auge – die übrigens von uns und auch von Tony Blair ausgewählt und unterstützt wurden – wie die Instandsetzung von Schulen, damit die Menschen sehen, dass vor Ort etwas getan wird.
Es gibt auch noch viele andere Vorhaben, die wir gegenwärtig prüfen und wo wir nach der richtigen Lösung suchen, und für die wir auch die Unterstützung Israels benötigen.
Es besteht kein Zweifel, dass auch Israels Sicherheitsinteressen in Betracht gezogen werden müssen. Doch letzten Endes müssen wir eine politische Lösung finden, und Präsident Abbas ist nun einmal der gewählte Präsident aller Palästinenser. Daher müssen wir ihm Kredit geben, mit ihm zusammenarbeiten und ihn unterstützen.
Außerdem möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie es der Kommission so großzügig ermöglicht haben, dass 2008 gleich weitere 10 000 Euro im Haushalt für die Palästinenser zur Verfügung stehen. Wir werden dieses Geld unbedingt brauchen, und das ist auch für unsere Geberkonferenz äußerst wichtig.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass wir nicht nur Christen unterstützen – worauf Herr Belder hinwies –, sondern auch die besonders anfälligen palästinensischen Bevölkerungsgruppen, von denen einige, jedoch nicht alle, Christen sind. Unser Kriterium ist – wie ich bereits sagte – die Notwendigkeit, nicht die Religion.
Abschließend möchte ich noch einmal unterstreichen, dass wir uns dessen bewusst sind, was viele von Ihnen gesagt haben. Wir haben die Lage analysiert. Unser Vorgehen kann nur darin bestehen, eine politische Lösung vorzulegen und gleichzeitig zu versuchen, das Leid so gut wir können zu mildern.
Der Präsident. – Ich habe einen Entschließungsantrag gemäß Artikel 103 Absatz 2 GO erhalten.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, am 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
David Martin (PSE), schriftlich. – (EN) Ich schließe mich all denen an, die Israel aufgefordert haben, seinen aus den Genfer Konventionen erwachsenden Verpflichtungen nachzukommen und die Bereitstellung von humanitärer Hilfe, humanitärer Unterstützung und Grunddiensten wie Elektrizität und Brennstoff für den Gazastreifen zu gewährleisten. Israel muss die Blockade des Gazastreifens aufheben und die Freizügigkeit von Menschen und Waren in Rafah gemäß dem Abkommen über die Bewegungsfreiheit und den Zugang sowie der Mission der EU zur Unterstützung des Grenzschutzes am Grenzübergang Rafah sicherstellen und den freien Warenverkehr in Karni gewährleisten. Alle Einrichtungen der Union wie Rat, Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und Kommission müssen ihre Verantwortung für die Umsetzung dieses Abkommens in vollem Umfang wahrnehmen.
Abschließend wiederhole ich die Aufforderung an Israel, die Zuführung von finanziellen Mitteln in den Gazastreifen nicht weiter zu behindern, die seit dem 25. September 2007 unterbrochen ist, da der fehlende Zugang zu finanziellen Mitteln ernsthafte negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche, soziale und tägliche Leben des palästinensischen Volkes hat.
19. Eine Meerespolitik für die Europäische Union
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die Mitteilung der Kommission über eine Meerespolitik für die Europäische Union.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Heute ist ein denkwürdiger Tag. Vor genau 500 Jahren schuf der deutsche Kartograph Martin Waldseemüller seine eindrucksvolle einzigartige Vision einer tapferen neuen Welt, in der Europa durch seine Ozeane und Meere mit Afrika, Asien und den Amerikas verbunden war. Ebenfalls an einem 10. Oktober erteilte der König von Portugal Bartolomeu Dias den Auftrag, einen Handelsweg nach Asien zu suchen, und in den Vereinigten Staaten wird heute der Entdeckung der Neuen Welt durch Kolumbus gedacht. Dies ist also ein Tag, den zu würdigen der maritimen Welt durchaus ansteht.
Ich für meinen Teil bin stolz, heute hier in diesem Parlament über eine neue und aufregende maritime Zukunft für Europa sprechen zu können. Diese Zukunft baut auf einem starken maritimen Erbe auf, das Europa aus der Vergangenheit ererbt hat. Zugleich richtet es den strategischen Blick nach vorn, um herauszufinden, wie das Wohlergehen und der Wohlstand Europas, die so sehr von den Ozeanen und Meeren abhängen, gemehrt werden können.
Im Geiste unserer eigenen klaren Vision der Ozeane und Meere hat die Kommission heute früh eine integrierte Meerespolitik für die Union vorgeschlagen. Zum ersten Mal in den 50 Jahren ihres Bestehens erkennt die Europäische Union ausdrücklich an, dass ein integrierter Ansatz für die Meere und Ozeane notwendig ist. Dieser radikale Neuansatz hat seinen Ursprung in dem zwingenden Argument, dass nahezu jedes wichtige Thema, das Europa heute beschäftigt – Energie, Klimawandel, Innovation, internationale Wettbewerbsfähigkeit, Schaffung neuer Arbeitsplätze, Umweltschutz, Handel, Verkehr und so weiter –, eine maritime Dimension aufweist. Welche Sektoren man sich auch anschaut, man stößt auf enge Verbindungen zwischen ihnen und dem Seewesen. Es wäre unklug, ja, kurzsichtig gehandelt, wenn die Europäische Union bei ihrem Handeln in diesen Politikbereichen der Überschneidung mit Meeresangelegenheiten keine Beachtung schenken würde. Wir brauchen in der Tat eine einheitliche Betrachtungsweise, bei der die Politikgestaltung in zusammenhängender und allumfassender Weise stattfinden kann, um das Potenzial dieser starken und komplexen Wechselbeziehungen zu maximieren.
Zu einem Zeitpunkt, da die Diskussionen über die Erderwärmung, die Globalisierung und die Wettbewerbsfähigkeit der EU eine neue Dringlichkeit erlangt haben, kann man kaum die unleugbare Notwendigkeit einer Meeresstrategie übergehen, die diese Fragen unmittelbar berührt. Es freut mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass das Kollegium der Kommissare einen integrierten politischen Plan befürwortet hat, der genau das bringt, was der Europäischen Union bisher gefehlt hat: eine echte, einheitliche Sicht auf die Ozeane und Meere. Das ist nicht nur eine Frage der Fischerei oder der Schifffahrt, des Handels oder der regionalen Entwicklung, der Forschung oder der Beschäftigung, der Umwelt oder der Beziehungen zu Drittländern. Hier geht es um eine Politik, die all das umfasst, alle diese Stärken vereint und sie als zusammenhängendes Ganzes behandelt. Diese Politik basiert auf anderen Gemeinschaftspolitiken und fließt wiederum in andere ein.
In der Sitzung des Kommissionskollegiums heute früh wurde in der Tat ein Dokumentenpaket verabschiedet. Dieses Paket besteht aus drei Schlüsselbestandteilen. Der erste ist eine Mitteilung, in der die bereits erwähnte integrierte Meerespolitik für die Europäische Union erläutert wird. Damit verbunden ist ein Aktionsplan, in dem die ersten Schritte zur Umsetzung der Politik dargelegt werden. Schließlich gibt es noch eine Mitteilung, in der die Schlussfolgerungen aus der breit angelegten und überaus erfolgreichen öffentlichen Konsultation aufgezeigt werden, die im Zeitraum eines Jahres durchgeführt wurde.
Sie werden die Schlüsselelemente des Pakets rasch erkennen, glaube ich, weil sie weitestgehend die von Ihnen selbst zum Ausdruck gebrachten Prioritäten widerspiegeln. Gestatten Sie mir, nur die folgenden zu nennen: volle Entfaltung der Stärken Europas im Kampf gegen den Klimawandel durch Forschung und Innovation, durch eine verbesserte Planung für empfindliche Küstenlinien und indem wir in internationalen Diskussionen die Führung übernehmen; eine Europäische Strategie für Meeresforschung und die Verpflichtung zu Exzellenzleistungen in der Meeresforschungstechnologie und der Innovation als Beitrag zur Verwirklichung der Lissabonner Wachstums- und Beschäftigungsziele und zur vollen Ausschöpfung der durch die neuen Technologien gebotenen Möglichkeiten; eine bessere Regulierung des Seeverkehrs mit dem Ziel, einen wirklichen Europäischen Seeverkehrsraum ohne Hindernisse innerhalb des Binnenmarkts zu schaffen und den Außenhandel Europas in dieser Ära der Globalisierung zu fördern; Achtung der maßgeblichen Rolle für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Überprüfung, wie sich die Mittel der EU am besten zur Stärkung des nachhaltigen Wachstums und zur Anhebung des Wohlstands in abgelegenen und benachteiligten Gebieten einsetzen lassen; dafür Sorge zu tragen, dass bei allen Formen der Entwicklung auf die Umweltfolgen dadurch Rücksicht genommen wird, dass die umweltfreundliche Schifffahrt gefördert, die Gefahr der Verschmutzung verringert und die dem Ökosystemansatz verpflichtete Fischerei unterstützt werden; der verbesserte Einsatz von Planungswerkzeugen, Datennetzwerken und horizontaler Koordinierung zur Unterstützung der Entscheidungsfindung für Meeresräume und Küstengebiete und die Gewährleistung der Einhaltung von Regeln auf internationaler Ebene; die Förderung von maritimen Clustern und regionalen Exzellenzzentren im maritimen Bereich zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas.
Dadurch wird insbesondere Kleinbetrieben geholfen, die ein so bedeutender Teil der hoch technisierten maritimen Industrien in Europa sind. Außerdem wird ein Beitrag zur Nutzung des gewaltigen Wachstumspotenzials des Küsten- und Meerestourismus geleistet, und es steht ein zusätzliches Element zur Verfügung, um auf eine größere Attraktivität der Seeberufe hinzuwirken.
Die Kommission hat heute auch eine Mitteilung angenommen, deren Ziel es ist, die Attraktivität der Seeberufe zu erhöhen und zu diesem Zweck eine Überprüfung der Ausschlüsse von verschiedenen Bestimmungen des Arbeitsrechts der Europäischen Union einzuleiten, die für Seeleute und Fischer gelten. Dies ist ein sensibler Bereich, der für viele unserer Stakeholder von großer Bedeutung ist. Ein Hintergrunddokument über die wichtigen Zusammenhänge zwischen der Energie- und der Meerespolitik der Europäischen Union wurde ebenfalls heute veröffentlicht.
Wir wissen sehr wohl, dass gewaltige Herausforderungen vor uns liegen. Um uns ihnen stellen zu können, brauchen wir konkrete Vorschläge, Vorschläge, die ehrgeizig genug sind, um die Herausforderungen zu bewältigen, denen wir gegenüberstehen. In früheren Jahrhunderten eröffneten die Meere und Ozeane Europa neue und aufregende Möglichkeiten. Jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, hoffen wir, unsere eigene moderne Neue Welt der Möglichkeiten zu entdecken. Ich glaube, dass wir wirklich am Anfang von etwas Neuem stehen. Ich glaube auch, dass wir, indem wir die Maßnahmen aus dem heute beschlossenen Paket in Gang bringen, Europa entschlossen den Weg zur Erkundung dieser Möglichkeiten auf ganz neue Art ebnen. Eine Redensart lautet: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, und so sehr dies auch zutrifft und mit Sicherheit Teil der Inspiration ist, die uns vorwärts treibt, gebietet es die Vorsicht, darauf hinzuweisen, dass ebenso wie die Entdeckungsreisen in der Vergangenheit auch die heutigen Unternehmungen ihren Preis haben.
2008 wird es eine erste Phase geben, die durch eine Reihe vorbereitender Maßnahmen gekennzeichnet ist; dazu brauchen wir die Beteiligung anderer Partner, und wir müssen mit Ihrer Unterstützung die notwendigen Gelder bereitstellen. Diese Maßnahmen stellen eine unmittelbare Folge Ihres Berichts vom 12. Juli dar, dem ich erfreut entnommen habe, dass diese Maßnahmen von Ihnen nachdrücklich befürwortet wurden. Es gibt einige andere flankierende Maßnahmen, die bereits weit gediehen sind und zu denen eine Mitteilung vom 17. Oktober über die Hafenpolitik, eine weitere über illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei sowie eine dritte über einen nachhaltigen Fremdenverkehr gehören. Ihnen werden sich später Maßnahmen auf dem Gebiet maritimer Cluster und des Seeverkehrs anschließen. Ergänzt wird dies alles durch eine Beratung am 22. Oktober in Lissabon mit den für maritime Angelegenheiten zuständigen Ministern der 27 Mitgliedstaaten, zu denen unter anderem Verkehrs-, Fischerei-, Umwelt und Verteidigungsminister zählen. Sie wird in eine spätere Diskussion auf der Tagung des Europäischen Rates im Dezember einfließen, bei der diese Politik bestätigt werden soll.
Heute befinden wir uns daher noch nicht am Ende der Reise, aber auch nicht mehr an ihrem Beginn. Es ist jedoch ein wichtiger Meilenstein, der eine entscheidende Wende von einer Phase der Reflexion hin zu dem markiert, was Sie im Parlament von uns verlangt haben und worauf wir in der Kommission uns freuen: eine Phase des Handelns.
Das Europäische Parlament war an diesem Prozess maßgeblich beteiligt und hat uns Feedback von unschätzbarem Wert gegeben. Ich möchte deshalb dem Parlament allgemein und speziell den Berichterstattern und Abgeordneten, die sich ganz besonders mit diesem Projekt auseinandergesetzt haben, erneut meinen Dank aussprechen. Es hat mich besonders gefreut, an vielen Anhörungen und Sitzungen im Parlament teilnehmen zu können. Ich freue mich aufrichtig darauf, diesen Dialog fortzusetzen. Das Parlament wird weiterhin eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung dieser Politik spielen. Die Meerespolitik zu einem Erfolg zu machen, das kann und möchte die Kommission nicht alleine bewerkstelligen. Ihr Erfolg hängt davon ab, dass wir dauerhaft gemeinsam vorgehen. Ich hoffe, dass ich mit Ihrer anhaltenden Zusammenarbeit rechnen kann.
Wie ich eingangs sagte, ist heute ein wirklich denkwürdiger Tag. Wir sind zu einem neuen und aufregenden Abenteuer aufgebrochen. Dieses Abenteuer wird, darauf vertrauen wir und davon sind wir überzeugt, Europa größeren und nachhaltigen Wohlstand bescheren. Vor uns erstreckt sich ein Ozean der Möglichkeiten.
Matthias Groote (PSE). – Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissar! Ich möchte auf diesem Weg den Berichterstatter des Parlaments für das Grünbuch Meerespolitik, Willi Piecyk, entschuldigen. Er kann heute nicht hier sein, und ich soll die besten Grüße übermitteln.
Ich möchte ein Lob aussprechen – ich bin Mitglied im Umweltausschuss –, was die landseitige Anbindung der Schiffe angeht. Das ist aufgenommen worden, und es ist sehr gut für die Luftqualität in Europa, wenn wir eine solche Entscheidung herbeiführen können, und auch sehr gut für die Einsparung von CO2. Im Grünbuch Meerespolitik ist auch die Rede davon, dass die Schiffe in das Emissionshandelssystem aufgenommen werden sollen. Wir sind gerade in der ersten Lesung, was die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel angeht.
Der Flugverkehr ist ja auch nicht im Kyoto-Protokoll vorgesehen, und daher eine ganz konkrete Frage: Wann will die Kommission einen Vorschlag für die Einbeziehung des Schiffsverkehrs in den Emissionshandel vorlegen?
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Darf ich das Haus anlässlich dieser Mitteilung der Kommission über eine Meerespolitik für die EU an das anhaltende Embargo erinnern, das vor einigen Jahren von der Türkei gegen die gesamte Schifffahrt in Verbindung mit der Republik Zypern verhängt wurde. Dieses Embargo verursacht nicht nur für das Schiffsgewerbe Zyperns, sondern der EU ganz allgemein erheblichen Schaden...
(Zwischenrufe aus dem Plenum)
Ich spreche Englisch. Es wäre wirklich aufregend, wenn hier aus dem Englischen in das Englische gedolmetscht würde.
Ich sprach gerade über das Embargo, das die Türkei seit mehreren Jahren gegen Zypern verhängt hat, und ich sagte, dass es nicht nur Zypern, einem Mitgliedstaat, sondern der EU allgemein außerordentlichen Schaden zufügt.
Darf ich die Kommission noch einmal bitten, ihre Bemühungen zu verdoppeln, die türkische Regierung davon zu überzeugen, dass sie ihre Entscheidung überdenkt, dieses ungerechte und unnötige Embargo gegen die Schifffahrt eines EU-Mitgliedstaates aufrechtzuerhalten.
Ich bin mir bewusst, dass wir uns gegenüber der Türkei sanft – sehr sanft sogar – verhalten müssen, aber unsere Geduld geht zu Ende. Wie soll unsere Meerespolitik denn aussehen, wenn die Schiffe eines Mitgliedstaates nicht die Häfen an den Schifffahrtswegen eines Bewerberlandes anlaufen dürfen?
Ich bitte Sie, Herr Kommissar, uns zuzusichern, dass Sie sich dieser Angelegenheit unverzüglich und ernsthaft annehmen werden.
Struan Stevenson (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Herrn Kommissar Borg zu diesem sehr begrüßenswerten und visionären Aktionsplan beglückwünschen, der sich speziell der Fischereithemen annimmt, die für mich von Interesse sind: das integrierte Netzwerk für die Meeresüberwachung, das ich für unbedingt notwendig halte, wenn wir die Sicherheit verbessern und der illegalen, unregulierten und nicht gemeldeten Fischerei ein Ende machen wollen; der Plan, die destruktive Grundschleppnetzfischerei auf dem offenen Meer abzuschaffen; der Plan, die Bedingungen für die in der Fischerei tätigen Menschen zu verbessern, die eine der gefährlichsten und am schlechtesten bezahlten Tätigkeiten in der EU ausüben; die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Küstenwachen; die Abschaffung von Rückwürfen und die Förderung der Aquakultur, die 65 000 Vollzeitarbeitsplätze in der EU schafft – all das sind wunderbare Vorhaben.
Besonders gefällt mir der Gedanke eines Fahrplans für die maritime Raumplanung, und zu diesem speziellen Punkt habe ich eine Frage. Wer bezahlt das? Einige Mitgliedstaaten haben es bereits erledigt. Sie verfügen über eine Raumplanung für ihr Meeresgebiet. Ich denke, diese maritime Raumplanung wird sich kommerziell verwerten lassen. Wer kommt in der Zwischenzeit für die Kosten auf?
Joe Borg, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Zur Frage des Herrn Abgeordneten Groote nach CO2-Emissionen: Ich möchte betonen, dass die Emissionen von Schiffen im Zusammenhang mit dem Seeverkehr in absoluten Zahlen geringer sind als bei anderen Verkehrsarten wie etwa dem Luft- und sogar dem Straßenverkehr.
Individuell betrachtet trifft es allerdings zu, dass die CO2-Emissionen einzelner Schiffe beträchtlich sind. Es ist deshalb sinnvoll, tätig zu werden und die Schiffsindustrie darin zu unterstützen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den CO2-Ausstoß zu verringern, wenn wir das Wachstumspotenzial des Seeverkehrs voll zum Tragen bringen wollen – weil außer Zweifel steht, dass im Seeverkehr ein gewaltiges Potenzial für weiteres Wachstum steckt. Doch damit muss eine Verringerung der CO2-Emissionen einhergehen, wenn wir erreichen wollen, dass der Seeverkehr als wesentlich verbraucherfreundlicher erscheint.
Zu diesem Zweck gilt es hervorzuheben, dass, weil wir es mit einer globalen Industrie zu tun haben, Initiativen zuallererst auf internationaler Ebene ergriffen werden müssten. Deshalb sollte es internationale Bemühungen geben, und die Europäische Union wäre bereit, im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation dabei die Führung zu übernehmen, um Normen für die CO2-Emissionen festzulegen. Solange Fortschritte ausbleiben, sucht die Kommission nach anderen Optionen, um eine wirksame Verringerung der CO2-Emissionen zu erreichen.
Zu erwähnen wäre auch, dass es Fälle gibt, in denen sich wegen der bestehenden Unstimmigkeiten gewissermaßen ein Anreiz zur Erhöhung der CO2-Emissionen ergibt. So lassen viele Schiffe an ihrem Liegeplatz einfach ihre Motoren laufen, um Kosten zu sparen, weil für den Stromverbrauch im Hafen Steuern gezahlt werden müssen, während der Treibstoff steuerfrei ist.
Wenn sich diese Unstimmigkeit irgendwie beseitigen ließe, gäbe es also einen Anreiz für die Schiffe, die Stromversorgung aus dem Netz zu nutzen.
Zur Frage von Herrn Matsakis nach dem türkischen Embargo gegen Zypern möchte ich zunächst betonen, dass im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Beitritt der Türkei ein oder zwei der Kapitel, die noch nicht eröffnet worden sind und nicht eröffnet werden, solange die Türkei kein Entgegenkommen zeigt, den Verkehr und die Fischerei betreffen, also die Bereiche, für die ich zuständig bin. Daher tun wir unser Möglichstes, um die Türkei dazu zu bewegen, ihre Haltung zu überdenken.
Selbstverständlich beschäftigen wir uns damit, um festzustellen, wie eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei möglich ist, damit sie – auch in Vorbereitung ihres eventuellen Beitritts – den Besitzstand der Gemeinschaft im Bereich derartiger Maßnahmen anwendet.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass unser Vorschlag – und das betrifft die Frage von Herrn Stevenson nach der Raumplanung und danach, wer für die Kosten aufkommt – nicht vorsieht, die Raumplanung zu vergemeinschaften, sondern die Raumplanung in der Zuständigkeit und im Aufgabenbereich der Mitgliedstaaten zu belassen.
Wir möchten jedoch, dass die Mitgliedstaaten, die das Raumplanungssystem noch nicht übernommen haben, es einführen, wie es in anderen Mitgliedstaaten bereits geschehen ist, und wollen sie dabei unterstützen. Wir können Beispiele für eine Raumplanung nennen, die von einigen Mitgliedstaaten eingeführt wurde. An diesen Beispielen können sich die anderen Mitglieder orientieren.
Wir werden uns um ein gewisses Maß an Übereinstimmung bei den Raumplanungsmaßnahmen bemühen, die von den einzelnen Mitgliedstaaten getroffen werden, damit wir es am Ende nicht mit Regelungen zu tun haben, die sich erheblich voneinander unterscheiden.
Wir werden also die Schaffung von Raumplanungssystemen forcieren, wir werden an der Schaffung der notwendigen Instrumente mitwirken, um die Raumplanung wirksamer einsetzen zu können, und wir werden uns bemühen, Leitlinien mit dem Ziel festzulegen, ein gemeinsames Muster für die Raumplanung zu schaffen, aber letzten Endes fällt die Einführung der Raumplanung für die eigenen Hoheitsgewässer in die Zuständigkeit und den Aufgabenbereich der Mitgliedstaaten.
Margie Sudre (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich begrüße voll und ganz das Anliegen der Europäischen Kommission, die vormals getrennten und zum Teil ein wenig inkohärenten Sektorpolitiken in einer integrierten Politik zusammenzufassen.
Ich begrüße den Schwerpunkt, der auf eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen gelegt wurde, den Wunsch, ein maritimes Know-how zu entwickeln, dauerhafte Arbeitsplätze zu fördern sowie die Lebensqualität der Küstengemeinden zu maximieren. All dies sind Schritte in die richtige Richtung.
Bei der künftigen Meerespolitik sollte es stärker darum gehen, die Besonderheiten der Regionen in äußerster Randlage sowie ihre Vorteile einzubeziehen. Die Regionen in äußerster Randlage verfügen über geschützte Fischbestände. Dies gilt es zu berücksichtigen. Aber vor allem könnten diese Regionen ein echtes Laboratorium und eine fantastische Forschungs- und Entwicklungswerkstatt für maritime erneuerbare Energien sein.
Hat die Kommission die Absicht, das außergewöhnliche Land zu nutzen, das die zur Europäischen Union gehörenden Regionen in äußerster Randlage bieten?
Paulo Casaca (PSE). – (PT) Herr Kommissar! Meine herzlichsten Glückwünsche, denn dieses Dokument erreicht in der Tat eine Annäherung, die wir für die beiden großen Aufgaben der Fischerei auch brauchen. Zum einen müssen wir die Arbeitsbedingungen der Fischer schützen und zum anderen die Fischerei an eine ökosystemorientierte Bewirtschaftung anpassen.
Einstweilen möchte ich den Herrn Kommissar fragen, ob er den Bericht der „Financial Times“ bestätigen kann, wonach eine von der Generaldirektion Fischerei in Auftrag gegebene Studie die Auswirkungen der von Brüssel bis ins kleinste Detail festgelegten Bewirtschaftung auf die Ökosysteme scharf kritisiert, eine verheerende Bilanz der Gemeinsamen Fischereipolitik in den vergangenen 25 Jahren zieht und bestätigt, dass die Fischerei im Rahmen der GFP an einer wesentlich größeren Überfischung leidet als in der übrigen Welt. Gibt es diesen Bericht, wird er dem Fischereiausschuss des Europäischen Parlaments übermittelt und was hält der Herr Kommissar von dieser Kritik?
Philippe Morillon (ALDE). – (FR) Frau Präsidentin! Auch ich möchte mich den Glückwünschen an Kommissar Borg für die geleistete Arbeit anschließen. Er endete mit den Worten „hoffen und glauben“, und mir kam spontan „glauben und wagen“ in den Sinn, was auch einmal eine sehr schöne Devise war.
Glauben und wagen! Sie haben etwas gewagt. Ich denke, dass die Vision, die Sie nun besonders klar in der uns vorliegenden Mitteilung dargelegt haben, eindeutig in die richtige Richtung geht.
Ich möchte eine Frage ansprechen, die in besonderem Maße Bedenken – und da gibt es einige – beim Fischereisektor in dieser Angelegenheit aufwirft. Ein Teil der für die Umsetzung der integrierten Bewirtschaftung der Küstengebiete notwendigen Mittel wird natürlich aus dem Europäischen Fischereifonds stammen. Es besteht die Sorge, dass die Mittel ausschließlich aus diesem Europäischen Fonds entnommen werden, dessen unzureichende Ausstattung bereits viel Anlass zur Kritik geboten hat.
Ich würde mich freuen, wenn uns der Kommissar in diesem Punkt beruhigen und bestätigen könnte, dass die Strukturfonds – und somit natürlich die für die Entwicklung und den Schutz der Umwelt notwendigen Mittel – auch zur Umsetzung dieser Politik beitragen werden.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Zunächst zur Frage von Frau Sudre nach den Gebieten in äußerster Randlage: Zweifellos haben wir nicht die Absicht, im Rahmen einer Meerespolitik – wie meiner Meinung nach auch eindeutig aus dem soeben verabschiedeten Blaubuch und dem Aktionsplan hervorgeht – eine Politik der Einheitsgröße zu formulieren. Daher müssen die Besonderheiten der abgelegenen und der Gebiete in äußerster Randlage berücksichtigt werden.
Die andere Seite der Medaille ist, dass die Situation der äußersten Randlage für die Europäische Union mit gewaltigen Vorteilen verbunden ist. Sie verschafft uns eine Ausdehnung in andere Ozeane, zu denen wir anderenfalls keinen unmittelbaren Zugang hätten. Und wenn ich die Fischerei als ein Beispiel nennen darf, so ist die Tatsache, dass es Gebiete in äußerster Randlage im Indischen Ozean gibt, etwa La Réunion, ein Beispiel dafür, dass wir ein unmittelbares Mitspracherecht in den regionalen Fischereiorganisationen haben, die bereits bestehen, wie auch in denen, deren Gründung für dieses Meer wir zu fördern bemüht sind.
Ich bin also sehr dafür, auf die Besonderheiten der Gebiete in äußerster Randlage Rücksicht zu nehmen. Wir müssen auch erreichen, dass wir die Vorteile, in deren Genuss diese Gebiete in äußerster Randlage kommen können, bis zum Höchstmaß ausgestalten. Und auch wo wir sie als Laboratorium zum Beispiel für die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen benutzen können, sollten wir das ganz gewiss versuchen und fördern und unterstützen und dabei darauf achten, dass ihnen dort, wo sie empfindlich sind, kein Schaden zugefügt wird.
Zur Frage von Herrn Casaca nach dem Ökosystem-Ansatz möchte ich zunächst sagen, dass wir in der Generaldirektion für Fischerei und maritime Angelegenheiten in der Tat eine Expertenstudie in Auftrag gegeben hatten. Dies entspricht einem üblichen regelmäßigen Verfahren, das der Feststellung dient, wie die gemeinsame Fischereipolitik funktioniert hat, welche möglichen Fallstricke sich ergeben haben, damit wir anhand dieser Untersuchung aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen und uns bemühen können, die Dinge zu verbessern.
Zunächst einmal habe ich kein Problem damit, diese Studie dem Fischereiausschuss zur Verfügung zu stellen. Wir wissen, dass es eine sehr kritische Studie ist, aber wir akzeptieren diese Kritik, weil es uns schließlich darum geht, die Reform der gemeinsamen Fischereipolitik aus dem Jahre 2002 umzusetzen. Auch im Jahre 2007 befinden wir uns immer noch in der Anfangsphase der tatsächlichen Umsetzung der Reform von 2002 und bewegen uns in die Richtung der mehrjährigen Bewirtschaftungs- und Bestandserholungspläne sowie in die Richtung einer stärker am Ökosystem-Ansatz orientierten Fischereibewirtschaftung.
Viele Jahre lang hatten wir eine Fischereibewirtschaftung dergestalt, dass sie vom wissenschaftlichen Fortschritt, von der ungeheuer rasch wachsenden Zahl der Schiffe, die jede Kapazitätsgrenze überschritten, sozusagen als Konter gegen die im Sinne der Nachhaltigkeit vorstellbare Fangmenge, überholt wurde. Und wir müssen dafür sorgen, wieder zu geordneten Verhältnissen zurückzukehren und ein System der nachhaltigen Fischerei, nachhaltiger Maßnahmen und Initiativen zu schaffen, die, wie ich hoffe, erneut die volle Rückendeckung des Parlaments erhalten werden: so etwa eine Rückwurfpolitik; Maßnahmen und Initiativen zur mehrjährigen Fischereibewirtschaftung; die Bewirtschaftung der Fischerei durch mehr geschlossene Gebiete, längere Schonzeiten – alle diese Maßnahmen bewegen sich stark in die Richtung des Ökosystem-Ansatzes in der Fischerei und der höchstmöglichen Dauerfangmenge.
Das erste Beispiel eines Bewirtschaftungsplans auf der Grundlage der höchstmöglichen Fangmengen gab es im Bewirtschaftungsplan für Scholle und Seezunge, der vom Rat erst im vergangenen Juni angenommen wurde. Wir hoffen daher, in diese Richtung weitergehen zu können, um die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Fischerei auf der Grundlage des Ökosystem-Ansatzes wiederherzustellen.
Was die Frage von Herrn Morillon betrifft, so möchte ich ihm zunächst versichern, dass der integrierte Ansatz in maritimen Angelegenheiten nicht aus dem Europäischen Fischereifonds finanziert wird. Die Mittel des Europäischen Fischereifonds für 2007-2013 sind gebunden. Wir haben von fast allen Mitgliedstaaten die nationalen Strategiepläne und die operationellen Programme erhalten, wir prüfen sie, und natürlich haben sie die Fischerei und die Aquakultur zum Gegenstand.
Im Zusammenhang mit maritimen Angelegenheiten muss man sich auch andere Finanzierungsquellen anschauen. Ich möchte sagen, dass die sich am ehesten anbietende Finanzierungsquelle in den Strukturfonds, den Regionalfonds bestehen könnte, weil es sich bei den Küstengebieten schließlich um Regionen in der Europäischen Union handelt. Deshalb muss das Schwergewicht stärker auf die besonderen Bedürfnisse der Küstengebiete und der umgebenden Meere gelegt werden, damit die Finanzierung von Initiativen und Projekten auf diese Weise entsprechend dem Bedarf umgeleitet werden könnte, was sich sehr stark in die Richtung der Schaffung der geeigneten Werkzeuge für die Handhabung einer integrierten Meerespolitik bewegen dürfte.
Luís Queiró (PPE-DE). – (PT) Ich möchte mich den bisher geäußerten Glückwünschen an den Herrn Kommissar für das heute hier vorgelegte Dokument über den Aktionsplan für die Entwicklung der Europäischen Meerespolitik anschließen und feststellen, dass das heute vorgelegte Dokument eine Reihe nennenswerter Initiativen enthält, darunter einen Vorschlag für eine Europäische Strategie für Meeresforschung, die Förderung eines integrierten Ansatzes für nationale Meerespolitiken sowie die Empfehlung, dass Europa im Bereich der Meeresüberwachung als Netzwerk operieren sollte, und den Vorschlag zur Schaffung multisektoraler „Maritimer Cluster“ mit der entsprechenden finanziellen Anpassung auf europäischer Ebene.
Zum Abschluss dieser öffentlichen Debatte möchte ich dem Herrn Kommissar folgende Fragen stellen: Ein Großteil des vorgestellten Aktionsplans kann von der Kommission selbst verfolgt und gefördert werden, doch offenkundig wird er vom Rat und den Mitgliedstaaten nicht unterstützt werden. Wir haben hier vom Herrn Kommissar gehört, dass diese Unterstützung auf der Sitzung des Europäischen Rates im Dezember erreicht werden müsse. Damit stellt sich also die Frage, ob man darauf hofft, dass es eine echte Unterstützung geben wird, durch die diese Strategie an die erste Stelle der Prioritäten der Union treten und dort bleiben würde, oder lediglich eine formale Unterstützung?
Abschließen möchte ich mit der folgenden, meiner zweiten Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass eine europäische Meeresstrategie zu einer umfassenderen Zusammenarbeit und Koordinierung führt, ohne in eine Vergemeinschaftung der Meerespolitik und insbesondere der nationalen Meeresressourcen abzudriften?
Georgios Toussas (GUE/NGL). – (EL) Frau Präsidentin! Die Mitteilung der Kommission über eine künftige Meerespolitik für die EU ist ebenfalls arbeitnehmerfeindlich. Die darin vorgeschlagenen neuen Maßnahmen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und Profitsteigerung der großen Schifffahrtsunternehmen lassen bereits auf das Ausmaß des Angriffs auf die Arbeitnehmer schließen.
Die grundlegenden Ziele sind: schnellere und stärkere Bündelung von Schiffen und Kapital in den Händen großer Schifffahrtsunternehmen; vollständige Liberalisierung der Seeverkehrsdienste und der damit verbundenen Leistungen; Übernahme einer strategischen Rolle durch EU-Institutionen, um die vollen Interessen des Kapitals in internationalen Organisationen besser durchzusetzen; drastische Änderungen bei den Beschäftigungsbeziehungen; Abwertung und Privatisierung der Ausbildung für Seefahrtsberufe, um billige Arbeitskräfte heranzuziehen; Mehrfachbelastung der Hafenarbeiter und bürokratische Verordnungen und Richtlinien, die weder die Sicherheit auf Schiffen noch den Schutz menschlichen Lebens auf See verbessern.
Herr Kommissar, die internationale Vereinbarung über die Kodifizierung der Rechtsvorschriften für Seeleute steht noch aus. Welchen Standpunkt vertritt die Kommission in dieser Frage? Und – Frau Präsidentin, meine letzte Frage – welche Maßnahmen wird sie angesichts der Invasion an den Küsten der Mitgliedstaaten durch monopolistische Touristengruppen und Einzelpersonen unternehmen, auch wenn sie für dieses Problem vielleicht nicht die alleinige Verantwortung trägt?
Gerard Batten (IND/DEM). – (EN) Frau Präsidentin! Der Kommissar hat einige nautische Ereignisse aus der Geschichte erwähnt. Ich möchte es ihm gleichtun. Den meisten Menschen ist der Refrain der Hymne „Rule Britannia“ vertraut, aber manchmal verstehen die Leute ein Wort vollkommen falsch. Richtig muss es nicht „Rule Britannia, Britannia rules the waves“, sondern „Rule Britannia, Britannia rule the waves“ heißen. Die Wortform „rules“ macht aus dem eigentlich Gemeinten eine bombastische Behauptung. Die richtige Form „rule“ lässt das Gemeinte zu einer Ermahnung und Warnung werden. In der Vergangenheit wurde es so verstanden, dass Großbritannien die Wellen beherrschen müsse, um seine Freiheit und seine Unabhängigkeit zu wahren. Jetzt herrschen die Briten nicht einmal mehr über sich selbst, denn über 80 % unserer Gesetze werden von der Europäischen Union gemacht. Die gemeinsame Fischereipolitik hat die britische Fischereiindustrie ruiniert und in den britischen Hoheitsgewässern ein ökologisches Desaster angerichtet. Welchen Grund haben wir angesichts der bisherigen Bilanz der EU, anzunehmen, dass die Meerespolitik der EU auch nur im Geringsten weniger katastrophal ausfallen würde als die gemeinsame Fischereipolitik?
Die Präsidentin. – Es gibt zahlreiche weitere Wortmeldungen der Abgeordneten, und ich meine, wir sollten diese wichtige Aussprache vollständig nutzen.
Herr Kommissar, ich möchte Sie um eine kurze Antwort bitten, damit wir auch noch anderen Abgeordneten das Wort erteilen und die Aussprache dann beenden können.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Zur Frage von Herrn Queiró möchte ich unterstreichen, dass wir gewichtige Unterstützung erwarten. Am 22. Oktober findet eine informelle Ministertagung statt, bei der alle Mitgliedstaaten ihre Meinung zu dem von uns vorgeschlagenen Paket äußern können. Wir hoffen, dass dieses Paket im Dezember vom Europäischen Rat abgesegnet wird. Dies ist eine erste Phase. Wir müssen allerdings darauf achten, dass wir nicht über das hinausgehen, was kurzfristig erreichbar ist.
Wenn dies erfolgreich verläuft und wenn sich die ersten Initiativen, die auf den Weg gebracht werden, als erfolgreich erweisen, können wir auf die Mitgliedstaaten zugehen und feststellen, ob die Bereitschaft besteht, in die Richtung einer stärkeren Integration der maritimen Angelegenheiten weiterzugehen.
Es muss jedoch betont werden, dass sich diese Politik nicht auf den Legislativansatz, sondern darauf stützt, Anreize zu bieten, Erleichterungen zu gewähren und die notwendigen Instrumente zu schaffen, um eine stärkere Koordinierung, eine intensivere Zusammenarbeit und eine größere Beteiligung der Stakeholder zustande zu bringen.
Wenn man sich also den Aktionsplan anschaut, wird man eindeutig erkennen, dass ihm das Prinzip zugrunde liegt, bestimmte sektorübergreifende Instrumente zu schaffen, die nötig sind, um einen integrierten Ansatz in Bezug auf maritime Angelegenheiten zu entwickeln, wie auch damit zu beginnen, die sektoralen Maßnahmen in einer stärker ganzheitlichen Weise zu betrachten und zu diesem Zweck zu berücksichtigen, welche Auswirkungen es haben würde, wenn Fischereientscheidungen für andere Sektoren getroffen würden und umgekehrt.
Zur zweiten Frage möchte ich betonen, dass wir heute im Zusammenhang mit der Meerespolitik in der Tat auch eine Mitteilung von Kommissar Špidla angenommen haben, mit der die Diskussion über den Ausschluss von Seeleuten im Seeverkehr und in der Fischerei aus dem normalen Arbeitsrecht eingeleitet wird.
Wir müssen prüfen, ob eine Möglichkeit besteht, zunächst einmal diese Unstimmigkeiten zu verringern, um die Unterschiede zwischen den Arbeitnehmern an Land und denen auf See abzubauen, ohne dadurch jedoch Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit heraufzubeschwören, denn wir haben es ja immerhin mit einem internationalen Sektor zu tun. Wir müssen deshalb Hand in Hand mit den Betreibern handeln, damit wir ihnen auf diese Weise Anreize bieten und die Beseitigung dieser Unstimmigkeiten zwischen den Arbeitnehmern an Land und denen auf See fördern können.
Zu dem von Herrn Batten angesprochenen Thema möchte ich sagen, dass eine Meerespolitik, ein integrierter Ansatz auf dem Gebiet der maritimen Angelegenheiten nicht bedeutet, dass die Europäische Union das Rad neu erfindet. So etwas ist bereits in Ländern wie den USA, Kanada, Australien und soeben Japan unternommen worden, und wir hinken gewissermaßen hinterher. Wir müssen mehr Schwung in die Sache bringen, damit wir unseren internationalen Partnern in maritimen Angelegenheiten ebenbürtig sind.
Ich möchte Herrn Batten darauf hinweisen, dass die Probleme mit dem Vereinigten Königreich und der Fischerei auf die Zeit vor der gemeinsamen Fischereipolitik zurückgehen. Wir alle erinnern uns an Ereignisse wie den Kabeljaukrieg zwischen dem Vereinigten Königreich und Island, der vor der Einführung der gemeinsamen Fischereipolitik stattfand.
Wir sprechen über ein Problem mit der Überfischung und mit Fischereirechten, das bereits vorher bestand und das wir durch einen rationaleren Ansatz für die Fischereibewirtschaftung im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik aus der Welt schaffen wollen.
Avril Doyle (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte mich den Glückwünschen für Kommissar Borg zu diesem sehr wichtigen Dokument über die integrierte Politik anschließen. Ich stimme dem zu, was Präsident Barroso heute gesagt hat, dass unsere Zukunft nämlich zu einem großen Teil im ungenutzten Potenzial der Ozeane und Meere liegt und dass diese Politik für Wachstum und Arbeitsplätze sorgen wird. Wir müssen alle Möglichkeiten ergreifen, die die Meere und Ozeane uns bieten, dabei aber immer im Sinne der Nachhaltigkeit verfahren.
Herr Kommissar Borg, ich unterstütze Ihre Arbeit auf dem Gebiet der Technologie und Innovation der Meereswissenschaft und Ihr Engagement für die Erklärung von Aberdeen nachdrücklich. Ich möchte den Beitrag Irlands, insbesondere durch das Irish Marine Institute, zur Ausgestaltung dieser Politik würdigen. Ich begrüße Ihre Ankündigung, dass Sie das Dokumentenpaket in der Amtszeit dieser Kommission auf den Weg bringen wollen, aber da Ihnen nur noch zwei Jahre bleiben, frage ich mich, ob eher die Hoffnung als die Erwartung dahinter steht, dass die gesamte Liste der konkreten Maßnahmen tatsächlich von Ihnen umgesetzt wird. Die heutigen Bemerkungen von Kommissar Špidla zur Überprüfung der Ausschlüsse vom Arbeitsrecht im maritimen Sektor und der Bericht von Kommissar Piebalgs über die Wechselwirkungen zwischen der EU-Energiepolitik und der neuen integrierten Meerespolitik sind ein hervorragender Anfang, aber für wie viele Punkte des Pakets, das Sie heute angekündigt haben, werden gesonderte Legislativvorschläge notwendig sein?
Silvia-Adriana Ţicău (PSE). – (RO) Auch ich möchte dem Herrn Kommissar zu dem integrierten Konzept gratulieren.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Europäische Union nach dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens mit dem Schwarzen Meer nun eine neue Seegrenze hat, und dass es daher wichtig ist, auch in dieser Region die gemeinsame Meerespolitik zu fördern.
Ich wünsche mir, dass auch die Delta- und Mündungsgebiete geschützt und Teil der gemeinsamen Meerespolitik werden. Außerdem setze ich mich dafür ein, dass die Maßnahmen zum Kampf gegen Meeresverschmutzung auf Binnengewässer, die in Meere und Ozeane fließen, sowie auf Industriegebiete an den Küsten ausgedehnt werden.
Ich denke, die Mitteilung des Herrn Kommissars hat insbesondere in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Seeleute und derjenigen, die im Werftbereich tätig sind, große Bedeutung, und ich halte es für wichtig, dass die Finanzhilfen zur Entwicklung der Infrastruktur und der Tätigkeiten in den Küstengebieten erhöht werden.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich meine Missbilligung über die Form, in der diese Aussprache heute im Parlament geführt wird, zum Ausdruck bringen. Ich war der erste Abgeordnete, der die Hand erhoben und um das Wort gebeten hatte, der Erste, und nun bin ich dazu verurteilt, der Letzte oder unter den Letzten zu sein, und ich darf nicht mehr als eine Minute sprechen.
Nach dieser Bemerkung beglückwünsche ich den Kommissar und die Kommission zu dieser Mitteilung und insgesamt zu der Arbeit, die sie das Jahr über geleistet haben, denn sie führten Konsultationen mit den beteiligten Seiten mit dem Ziel, eine integrierte Meerespolitik für die gesamte Europäische Union zu entwickeln, eingedenk der Bedeutung der Meeresumwelt und ihrer ständigen Beeinträchtigung durch menschliche Aktivität.
In diesem Zusammenhang möchte ich den Kommissar fragen, ob der Militärsektor, dessen Aktivitäten sich zuweilen auf die Meeresumwelt auswirken und ihr Schaden zufügen, in diesem Bereich der Gemeinschaftspolitik in die Überlegungen einbezogen wird, um Beeinträchtigungen der Umwelt zu vermeiden.
Darüber hinaus finden ständig unkontrollierte Verklappungen statt. Wann werden die Blackboxes eingeführt, um alle Bewegungen von Flüssigkeiten in den Kielräumen und in den Tanks der Schiffe zu überwachen?
Die Präsidentin. – Herr Ortuondo! Da ich zu Beginn der Aussprache nicht anwesend war, kenne ich die festgelegte Reihenfolge nicht.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE). – (FI) Frau Präsidentin! Die Meerespolitik der EU ist eine der wichtigsten Initiativen, derer man sich der jetzigen Kommission im positiven Sinne erinnern wird, vor allem dann, wenn sie es versteht, die Vorteile der Erweiterung und der politischen Muskeln, die uns die Erweiterung bringt, zur Rettung unserer Meeresumwelt zu nutzen.
Ich appelliere hiermit an die Kommission, besondere Maßnahmen zur Rettung eines ganz besonderen Meeres in der EU, nämlich der Ostsee, zu ergreifen. Ich möchte Folgendes fragen: Kann sich die Kommission vorstellen, die Ostsee nicht nur als eine umweltpolitische Herausforderung, sondern auch als eine politische anzusehen? Wenn es gelingt, dieses sterbende Meer zu retten, dann können wir der Öffentlichkeit zeigen, dass die Union einen tatsächlichen Nutzen schafft und dass wir gemeinsam besser in der Lage sind, unsere Umwelt zu retten, als wenn wir allein wären.
Joe Borg, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Zunächst zur Frage von Frau Doyle: Jawohl, ich möchte bestätigen, dass wir nachhaltige Unterstützung von den Wissenschaftlern erhalten haben. Die Erklärung von Aberdeen war sehr begrüßenswert, und Irland selbst war äußerst kooperativ. Zu der Bemerkung, die gemacht wurde, möchte ich betonen, dass dies nicht auf meine Initiative zurückgeht, sondern dass es sich um einen von der Kommission gefassten Beschluss handelt, und dass es unabhängig von den jeweils Beteiligten sicherlich eine Kontinuität geben wird. Wenn es uns in den beiden ersten Jahren gelingen sollte, gewisse Fortschritte zu machen, bin ich sicher, dass die neue Kommission nur allzu bereit sein wird, an diese Erfolge anzuknüpfen. Vor uns liegen also entscheidende zwei Jahre, in denen wir dafür sorgen müssen, dass die erste Saat für eine künftige Meerespolitik auch wirklich aufgeht. Auf diese Weise können wir gewährleisten, dass künftige Kommissionen mit der Unterstützung des Europäischen Parlaments, mit der Unterstützung des Ausschusses der Regionen und ganz gewiss mit der Unterstützung des Ministerrates in der Lage sein werden, diese Meerespolitik Früchte tragen zu lassen.
Bei der zweiten Frage, die sich auf die Binnenschifffahrt bezog, kann es keinen Zweifel geben, dass die Binnenschifffahrt ein sehr wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts für eine Meerespolitik ist, so wie auch die Küsten und die Küstengebiete unbedingt zur Meerespolitik dazugehören. Nächste Woche wird Vizepräsident Barrot nämlich ein Paket vorlegen, das die Binnengewässer einschließlich einer Hafenpolitik und damit auch die Binnenhäfen betrifft. Somit sind sämtliche Parameter in Bezug auf Wasserstraßen und Häfen – und dies gilt auch für Binnenhäfen – Bestandteil dieses Pakets, das nächste Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Zur Frage von Herrn Ortuondo Larrea, ob militärische Aktivitäten in die Gemeinschaftspolitik einbezogen werden sollen, muss nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass wir hier einen sehr sensiblen Bereich betreten, der die Souveränität der Mitgliedstaaten betrifft. Deshalb ist Vorsicht geboten. Wenn diese Meerespolitik zu einem Erfolg werden soll, sollten wir Hand in Hand mit den Mitgliedstaaten vorgehen. Falls Mitgliedstaaten bereit sind, sich beispielsweise in die Richtung gemeinsamer Aktivitäten ihrer nationalen Küstenwachen zu bewegen, bei denen es um die Umwelt, die Fischerei, die illegale Einwanderung, den Drogen- und den Menschenhandel geht, dann spricht in diesen Fällen nach meiner Ansicht viel dafür, ein System nationaler Küstenwachen zu errichten, das effektiver und effizienter koordiniert werden könnte, indem zum Beispiel die positiven Merkmale, die verschiedene Mitgliedstaaten aufweisen, übernommen, Daten ausgetauscht und die notwendigen Instrumente geschaffen werden, darunter beispielsweise für die kartografische Erfassung der Meere, die für die Küstenwache, aber auch für andere Tätigkeiten von großem Nutzen sein könnte. Andererseits aber könnte es ein schwieriges Unterfangen werden, wenn wir uns mit sehr sensiblen militärischen Aspekten beschäftigen. Meine eigentliche Botschaft lautet, dass wir, wenn wir eine erfolgreiche integrierte Meerespolitik gestalten wollen, dabei Hand in Hand mit den Mitgliedstaaten vorgehen müssen, die schließlich in erster Linie dafür zuständig sind sicherzustellen, dass die notwendigen Instrumente für die erfolgreiche Gestaltung dieser Politik vorhanden sind.
Zur Frage bezüglich der Ostsee möchte ich bemerken, dass es, wie ich bereits in einer früheren Antwort sagte, keinen Zweifel geben kann, dass im Rahmen der Meerespolitik auf die besonderen Merkmale oder Eigenschaften der verschiedenen Meeresregionen in der Europäischen Union Rücksicht genommen werden muss. Wenn es also spezielle Probleme gibt, wie es bei der Ostsee der Fall ist, dann muss die Meerespolitik die Instrumente schaffen, mit denen diese Probleme in der Ostsee angegangen werden können. Wenn es also in der Ostsee spezielle Umweltprobleme gibt, gegen die etwas unternommen werden muss und gegen die auf die eine oder andere Weise auch etwas unternommen werden kann, sollten wir uns nach Kräften darum bemühen. In der Fischerei zum Beispiel ergreifen wir Maßnahmen, um entgegen allen Aussichten eine nachhaltige Fischerei in der Ostsee zu erreichen. Ebenso ergreifen wir hinsichtlich der Ostsee Maßnahmen mit dem Ziel, die Probleme zu beseitigen, die in Bezug auf die Seeverkehrswege durch die Ostsee bestehen. Deshalb würde ein integrierter Ansatz in maritimen Angelegenheiten sicherlich darauf hinauslaufen, uns mit allen diesen Problemen zu beschäftigen und eine engere Koordinierung in Fragen, die die Ostsee betreffen, zwischen den verschiedenen Stakeholdern, den einzelnen Mitgliedstaaten und auch Drittstaaten wie etwa Russland anzustreben, damit wir auf diese Weise ein besseres Ergebnis bei der Verwaltung der verschiedenen Sektoren erzielen, die mit der Ostsee zusammenhängen.
Die Präsidentin. – Herr Kommissar! Ich danke Ihnen. Ich möchte mich bei den Abgeordneten entschuldigen, die nicht zu Wort gekommen sind. Anscheinend müssen wir für solche Aussprachen künftig mehr Zeit einplanen.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, Donnerstag, den 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Die Kommission hat ihre Vorschläge zu einer „Vision“ und zu einem „Aktionsplan“ für eine zukünftige „integrierte Meerespolitik“ auf EU-Ebene vorgelegt. Auch wenn es nicht möglich war, die notwendige Analyse durchzuführen (steckt doch der Teufel im Detail), ist meine erste Reaktion folgende:
- Jede Initiative in diesem Bereich muss die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Raumordnung, insbesondere die Bewirtschaftung ihrer Hoheitsgewässer und ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) schützen, was beispielsweise folgende Bereiche betrifft: Nutzung von Ressourcen, Verkehr, Forschung, Grenzkontrollen und -sicherheit, Regionalplanung, Umwelt oder Wirtschaftsaktivitäten wie die Fischerei. Sie sollte also kein Trojanisches Pferd sein und unter dem Deckmantel des so genannten Subsidiaritätsprinzips die Souveränität der Mitgliedstaaten in Frage stellen.
- Die angeführte „solide finanzielle Basis“ für die „Meerespolitik“ darf nicht zu Lasten des Europäischen Fischereifonds geschaffen werden, denn für neue Prioritäten müssen neue und mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden.
- Die Aquakultur sollte nicht gefördert werden, da dies im Fischereisektor wegen dessen strategischer Bedeutung für zahlreiche Länder wie Portugal keine optimalen Ergebnisse zeitigen würde; die erforderliche sozioökonomische Nachhaltigkeit muss durch geeignete Politik und Finanzmittel sichergestellt werden
Robert Navarro (PSE), schriftlich. – (FR) Mit diesem „Blaubuch“ geht die Europäische Union einen Schritt nach vorn. Auch wenn zu bedauern ist, dass in einigen Punkten – wie der Frage der europäischen Küstenwache und der europäischen Flagge – die Europäische Kommission ihre ehrgeizigen Ziele mangels Unterstützung durch einige Mitgliedstaaten zurückschrauben musste, ist dieses Dokument ein guter Ausgangspunkt. Ich hoffe, dass es alle seine Versprechen hält. Die Frage der Finanzierung wird allerdings von entscheidender Bedeutung sein, wie es die Kommission selbst einräumt. Werden unsere Minister ihrer Verantwortung gerecht werden?
Ansonsten freue ich mich besonders über die Entscheidung der Kommission, die Überarbeitung der Sozialgesetzgebung im maritimen Sektor anzugehen, wo das klassische Arbeitsrecht und seine Schutzvorschriften oftmals nicht angewendet werden. Es war höchste Zeit! Dieser für die Attraktivität von Seeberufen entscheidende Faktor sollte es Europa erleichtern, sein maritimes Know-how zu schützen.
20. Frauenmorde in Mexiko und Mittelamerika und Rolle der Europäischen Union bei der Bekämpfung dieses Phänomens
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache zum Bericht von Raül Romeva i Rueda im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter über die Frauenmorde in Mittelamerika und in Mexiko und die Rolle der Europäischen Union bei der Bekämpfung dieses Phänomens (2007/2025(ΙΝΙ)) (Α6-0338/2007).
Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE), Berichterstatter. – (ES) Frau Präsidentin! Obwohl Frauenmörder ein globales Problem darstellen, gibt es Gebiete in der Welt, die aufgrund des Umfangs und der Vielschichtigkeit des Phänomens zu paradigmatischen Fällen geworden sind.
Leider spiegeln diese Orte auch sehr viele der Probleme wider, von denen solche Gesellschaften mehr oder weniger stark betroffen sind, die von auf einer patriarchalischen Kultur basierenden sozialen Modellen geprägt sind. Das betrifft beispielsweise Mexiko und die Länder Mittelamerikas.
In der Tat war es in Mexiko, wo der Begriff Feminizid Gestalt anzunehmen begann, vor allem als die Spezialeinheit zur Untersuchung und Strafverfolgung von Frauenmorden in den Vereinigten Mexikanischen Staaten unter der Leitung der Kongressabgeordneten Marcela Lagarde konstatierte, dass sich dieses Konzept auf, und ich zitiere, „sämtliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Verbindung mit Straftaten gegen Frauen und Mädchen, Entführungen und dem Verschwinden von Frauen und Mädchen vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Institutionen“ bezieht.
Es handelt sich, kurz gesagt, um ein Versagen des Rechtsstaats, durch das der Straflosigkeit Vorschub geleistet wird. Auch wenn der Begriff immer mehr Verbreitung findet, verwenden manche „Feminizid“ gern als Gegenstück zum Begriff „Mord“…
Ich möchte das Haus um etwas Ruhe bitten.
Berichterstatter. – (ES) Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich fahre fort.
Ich sagte, dass der Begriff zwar in ständiger Entwicklung begriffen ist, einige es jedoch für notwendig erachten, von Feminizid als Gegenüberstellung zum Begriff Mord zu sprechen. Wichtig ist, worauf er hinweist, nämlich auf eines der Besorgnis erregendsten Phänomene unserer Zeit: die Ermordung von Frauen aus dem einfachen Grund, dass sie Frauen sind.
In den letzten zwei Jahren hat das Europäische Parlament eine umfangreiche Arbeit zu diesem Thema geleistet, und ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess wird der morgige Tag, der 11. Oktober, sein, wenn das Plenum den Bericht über die Frauenmorde in Mexiko und Mittelamerika und die Rolle der Europäischen Union bei der Bekämpfung dieses Phänomens annimmt.
Der Bericht ist auch das Ergebnis eines langen und intensiven Dialogs mit allen beteiligten Sektoren und zahlreicher Kompromisse zwischen den Fraktionen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um allen Schattenberichterstattern für ihre Unterstützung zu danken und Ihnen mitzuteilen, dass heute auch Marjo Searle y Arsène Van Nierop hier anwesend sind, die Mütter von Brenda und Hester, die beide in Mexiko ermordet wurden.
Mit der Annahme dieses Berichts stellt sich das Europäische Parlament an die Seite anderer Institutionen, die bereits ihren Standpunkt zu dieser Frage zum Ausdruck gebracht haben, wie der Europarat und die Vereinten Nationen sowie mehrere Parlamente und Regierungen in der ganzen Welt. Sein Inhalt bedeutet einen beträchtlichen Fortschritt in der Definition des Problems und der Übernahme von Verantwortung durch verschiedene Seiten in dem Kampf, diesem Verbrechen Einhalt zu gebieten.
Eines der Prinzipien, für das dieser Bericht eintritt, besteht darin, dass er die vielfältigen Gründe und Formen derartiger Verbrechen zum Ausgangspunkt jeder Analyse nimmt.
Es ist sicher, dass beispielsweise der in den Medien ausgiebig erörterte Fall von Ciudad Juárez – mehr als 400 ermordete Frauen seit 1993 – viel mit der Tatsache zu tun hat, dass es sich um eine Grenzstadt mit den für solche Gebiete typischen Problemen handelt. Doch es gibt auch viele andere Faktoren, die es erforderlich machen, die Anstrengungen zu konzentrieren und umfassende öffentliche Maßnahmen zu ergreifen.
Zu diesen Maßnahmen gehören: Prävention, Investition in die Erziehung zur Gleichstellung und Umkehrung der patriarchalischen Kultur, Verbesserungen in der Datenerfassung und der kriminaltechnischen Untersuchung, Erleichterung und Beschleunigung der Anzeige von Straftaten, Ausbildung von Polizei, Richtern, Staatsanwälten und Ärzten in Bezug auf diese Verbrechen, Überwachung der in dem Gebiet tätigen lokalen Unternehmen und multinationalen Gesellschaften, von denen viele die Arbeitnehmerinnen unter unglaublich prekären Bedingungen beschäftigen, Gesetzesreformen und Übertragung von Regeln auf die entsprechenden Gesellschaftsebenen und schließlich besondere Betonung der Unterstützung der Opfer und ihrer Familien.
Was letztere Frage angeht, so möchte ich hier die zutiefst bedauerliche Tatsache anprangern, dass die Opfer häufig verachtet und sogar kriminalisiert werden und ihre Familien Verfolgungen und sogar Anschuldigungen ausgesetzt sind, sie würden das gute Image der Stadt oder des Landes beschädigen, nur weil sie auf das Problem aufmerksam machen wollen und weil sie Gerechtigkeit fordern wollen und auch fordern.
Natürlich tragen die Regierungsinstitutionen der unmittelbar betroffenen Länder, in diesem Fall sind es offenkundig Mexiko und die Länder Mittelamerikas, die größte und die wichtigste Verantwortung für die Durchführung aller vorgeschlagenen Maßnahmen.
Doch da die Europäische Union ein Assoziierungsabkommen mit diesem Land hat, das zudem eine Klausel über Demokratie und Achtung der Menschenrechte beinhaltet, und da ein ähnliches Abkommen auch mit der mittelamerikanischen Region verhandelt wird, ist es mehr als gerechtfertigt, dass die europäischen Institutionen Partei ergreifen und konkrete Verpflichtungen im Zusammenhang mit diesem Problem eingehen.
Niemand sollte dies als Einmischung der Europäischen Union in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes ansehen, insbesondere weil, auch wenn erhebliche Fortschritte erreicht wurden, wie der Bericht anerkennt, speziell aus legislativer Sicht, die Tragweite des Problems größere Anstrengungen und ein stärkeres Engagement der ganzen Welt, vor allem Europas, erforderlich macht.
Kurz gesagt, ich hoffe, dass wir nach all diesen Monaten das notwendige Einvernehmen und den Konsens gefunden haben, damit diese Entschließung morgen in der Abstimmung durch eine Mehrheit des Hauses angenommen wird und wir endlich eine klare und entschiedene Botschaft zur Bedeutung des Kampfes gegen die Gewalt gegen Frauen, insbesondere in den betroffenen Regionen, aussenden.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (EN) Frau Präsidentin! Als Frau und auch als Mitglied der Kommission möchte ich vor allem dem Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter meinen Dank aussprechen für die Verteidigung der Rechte von Frauen in Europa und der ganzen Welt.
Der heute hier vorliegende Bericht muss in genau diesem Zusammenhang gesehen werden – der globalen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Wir haben hier unsere Position dazu dargelegt, und ich danke dem Berichterstatter, Herrn Romeva i Rueda, vielmals für seine Ausführungen.
Frauenmorde (Feminizide) sind etwas ganz Tragisches. Sie fallen unter das umfangreichere Thema der Gewalt gegen Frauen, die wir auf allen Ebenen – sowohl lokal als auch global – bekämpfen müssen. Ich möchte heute darüber berichten, was wir als Kommission tun, um gegen das Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt im Allgemeinen und im Besonderen anzukämpfen, und wie wir mit unserer Politik im Bereich der Außenbeziehungen in Mexiko und Mittelamerika auf dieses Problem aufmerksam machen können.
Gestatten Sie mir, einige Worte über meinen kürzlichen Besuch in dieser Region zu sagen. Ich war in der letzten Woche dort – allerdings nicht in Mexiko, sondern in Panama, El Salvador, Honduras und Nicaragua. In Mexiko war ich vorher schon, und im nächsten Jahr werde ich wahrscheinlich noch einmal dorthin zurückkehren.
Ich kann nur bestätigen, dass die Kommission an vorderster Front Gewalt gegen Frauen bekämpft. Erinnern möchte ich Sie nur daran, dass am 8. März 2006 die Kommission den so genannten Fahrplan für die Gleichstellung von Männern und Frauen aufgestellt hat, in dem das Ausmerzen aller Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt ein vorrangiges Ziel ist.
Im März dieses Jahres haben wir eine Mitteilung zur Gleichstellung der Geschlechter bei der Entwicklungszusammenarbeit angenommen. Darin heißt es, dass jegliche Form geschlechtsspezifischer Gewalt die Menschenrechte von Frauen verletzt. Ja, sie stellt ein ernsthaftes Hindernis für die Erreichung von Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden dar.
Ferner unterstützt die Kommission Bildungsprojekte und Aufklärungsmaßnahmen, durch die alle Jugendlichen in Programme zur Änderung ihrer Einstellung gegenüber Gewalt gegen Mädchen und Frauen eingebunden werden sollen.
Ich war, wie bereits gesagt, z. B. gerade in El Salvador und habe mir dort ein Programm mit der Bezeichnung „Pro Jóvenes“ angesehen. Dieses Programm richtet sich an Mädchen und Jungen – ganz besonders aber an Mädchen –, die entweder schon einmal den Jugendbanden (den so genannten Maras), angehörten oder bei denen eine solche Gefahr besteht, und das die Jugendlichen eben davon abhalten soll. Das Programm hat mich stark beeindruckt.
Auch das neue Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte bietet einen breiten Handlungsspielraum in Bezug auf die Geschlechtergleichstellung.
Im Hinblick auf die Situation in Mexiko möchte ich betonen, dass die Beziehungen zwischen der EU und Mexiko auf dem allgemeinen Abkommen von 1997 basieren, das in Artikel 1 die Menschenrechte als fundamentalen Bestandteil dieser Beziehungen deklariert. Ausgehend davon haben meiner Meinung nach beide Seiten im Laufe der Zeit eine gewinnbringende Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Menschenrechte und Gerechtigkeit aufgebaut. Diese Zusammenarbeit erfolgt im Rahmen verschiedener Programme der Kommission, die durch die mexikanischen Bundesbehörden sowie in Projekten nichtstaatlicher Akteure und Nichtregierungsorganisationen umgesetzt werden. Die mexikanischen Behörden informieren uns auch über geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen in Mexiko. In diesem Zusammenhang haben wir erfahren, dass etliche Fälle gelöst werden konnten, während viele andere noch untersucht werden.
Bei meinem letzten persönlichen Gespräch mit der neuen mexikanischen Außenministerin – also auch einer Frau – in Santo Domingo diskutierten wir die Problematik der Frauenmorde, und ich erfuhr aufschlussreiche Details über Aktivitäten der mexikanischen Regierung. Dort befasst sich auch eine Beraterin für Menschenrechte ganz speziell mit dieser Thematik.
Die größten Probleme innerhalb der Region Mittelamerika gibt es in Guatemala. Wir gehen so vor, dass wir sowohl einen Dialog mit den Behörden führen, als auch, wie gesagt, verschiedene Aktivitäten zum Thema Gewalt gegen Frauen durchführen. Dazu gehört auch, die geschlechtsbezogene Dimension in alle Kooperationsprogramme einzubeziehen.
Außerdem hat die Kommission im März des vergangenen Jahres eine großangelegte Kommunikationskampagne gestartet, die sich an junge Menschen und politische Entscheidungsträger richtete und die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen thematisiert. Zur gleichen Zeit erfolgte die Einrichtung einer nationalen Kommission für Frauenmorde, die aus Vertretern der Exekutive, der Judikative und des Kongresses besteht und 18 staatliche Institutionen umfasst.
Erst kürzlich erfuhren wir auch von der Gründung der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala, die wir ebenfalls mit ganzer Kraft unterstützen. Im Rahmen des Unterstützungsprogramms für das Justizwesen ist ein spezieller Teil der Problematik der Frauenmorde und vor allem den Aktionen des so genannten CEPROM (Zentrum zur Förderung der Frauen) gewidmet. Zuständig hierfür ist das Präsidialamt, mit dem wir eine gemeinsame Absichtserklärung über eine Zusammenarbeit geschlossen haben.
Erwähnen möchte ich auch, dass wir die Vorbereitung der Revision der Gesetzgebung gegen Frauenmorde unterstützen, die jetzt dem Kongress vorliegt, und in die auch die Strafgesetzgebung einbezogen wird.
Abschließend möchte ich anmerken, dass ich während meiner Reise durch Mittelamerika auf sehr viel Wohlwollen und pro-europäische Einstellung in Bezug auf diese Problematik gestoßen bin. Mich hat wirklich positiv überrascht, dass die Verbesserung der regionalen Integration auf so viel Interesse stieß und dass mit Blick auf die kommenden Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen ein solcher Wille zur Zusammenarbeit zu spüren war. Ich fand es sehr beeindruckend, dass sogar in Panama das Interesse sehr viel größer war als ich erwartet hätte. Ich freue mich darauf, dort alle einbeziehen zu können.
Die erste dort von mir vermittelte Botschaft war, dass unbedingt Fortschritte bei den nun in Costa Rica beginnenden Verhandlungen zum San-José-Prozess erreicht werden müssen. Das ist deshalb wichtig, weil es dort natürlich einen politischen Dialog geben wird; außerdem ein Kooperationsprogramm und Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Es wird ein recht kompaktes Programm werden.
Der soziale Zusammenhalt gehört in ganz Lateinamerika, einschließlich Mittelamerika, zu den wichtigsten Themen, und dort ist dieses Programm auch sehr wichtig.
Um es noch einmal zu betonen: jugendliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen sind Probleme, die angesprochen werden müssen, denn wir müssen alle mit ganzer Kraft die Gewalt in unserer Gesellschaft eindämmen.
Anna Záborská, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Wir können die Realität der Frauenmorde in Mittelamerika nicht länger ignorieren. In vielen Regionen der Welt leisten Frauen einen unverzichtbaren Beitrag zu den menschenwürdigsten Formen gesellschaftlicher Strukturen. Dank ihrer weiblichen Intuition bereichern Frauen unser Weltverständnis. Sie tragen dazu bei, die zwischenmenschlichen Beziehungen ehrlicher und authentischer zu machen.
Der Zeitpunkt ist gekommen, sämtliche Formen der Gewalt gegen Frauen, nicht nur in Mittelamerika sondern auch in einigen Ländern Europas zu verurteilen und ernsthaft zu bestrafen. In diesem Zusammenhang könnte die Beteiligung von Frauen an der Verwaltung der materiellen Hilfe und der Unterstützung für die Opfer dieser Gewalt von grundlegender Bedeutung sein.
Meine Damen und Herren! Wenn die EU-Mitgliedstaaten ihre Erfahrungen zur Lösung der Probleme beisteuern können, sollten wir unser Wissen nicht für uns behalten. Deshalb bin ich nach wie vor überzeugt, dass die bilaterale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaten und den Staaten Mittelamerikas etwas bewirken kann.
Ich kann hier von der wirklich sensiblen Arbeit im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter berichten. Ich danke dem Berichterstatter, Herrn Romeva, für seinen politischen Sinn und seine Zusammenarbeit. Wir haben einvernehmlich einige Änderungsanträge eingebracht. Wenn diese Änderungsanträge angenommen werden, können wir stolz auf eine Arbeit sein, die zur Verbesserung der Lage der Frauen und somit der gesamten mittelamerikanischen Gesellschaft betragen kann.
Edite Estrela, im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) Zunächst möchte ich dem Berichterstatter zu seiner ausgezeichneten Arbeit, zu dem ständigen Dialog mit den Schattenberichterstattern und zu seiner Aufgeschlossenheit und Empfänglichkeit gegenüber den Vorschlägen, die ihm unterbreitet wurden, beglückwünschen. An diesem Prozess waren viele beteiligt, und das halte ich für beispielhaft.
Die Sozialdemokratische Fraktion wird deshalb den Bericht und die eingereichten Änderungsvorschläge unterstützen. Wir wissen, dass es, wenn Probleme – gleich welcher Art – auftreten, die Frauen in der ganzen Welt, in Europa, in Amerika, Asien, in Afrika, überall, stets am meisten darunter leiden. Armut und soziale Ausgrenzung ist das Los der Frauen, wie auch Gewalt, psychologische und physische Gewalt und extreme, zum Tod führende Gewalt. Dieser Bericht behandelt die extreme Gewalt, den Tod vieler Frauen in Ländern Mittelamerikas und Mexikos.
Ich hatte im Rahmen der Delegation Europäische Union-Mittelamerika zusammen mit dem Berichterstatter die Gelegenheit, Guatemala zu besuchen und die Erzählungen und Berichte zahlreicher Verantwortlicher von Nichtregierungsorganisationen zu hören. Wir wissen, dass in Guatemala und in Ciudad Juárez viele Frauenmorde verübt werden. Frauenmorde lassen sich, wie im Bericht festgestellt wird, nicht einfach durch ein allgemeines Klima der Gewalt erklären. Der Gesamtzusammenhang und die nach wie vor bestehende Diskriminierung sind zu berücksichtigen, und es ist eine wirkliche Tragödie, dass viele Taten ungesühnt bleiben. Außerdem ist da noch der im Bericht angeführte Fall zweier niederländischer Staatsbürgerinnen, die ebenfalls Opfer von Frauenmorden wurden.
Deshalb genügt es nicht, dass einige Fortschritte erzielt und einige Maßnahmen ergriffen worden sind. Wir müssen wesentlich weiter gehen, und vor allem brauchen wir wirksame Schutzmaßnahmen für Zeugen und Opfer, damit die Täter bestraft werden können; und das Europäische Parlament kann diese Frage bei seinen offiziellen Reisen in diese Länder immer wieder auf die Tagesordnung setzen.
Marios Matsakis, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Die Gewalt gegen Frauen hat in den letzten Jahren in Mexiko und Mittelamerika dramatische Ausmaße angenommen. Dabei waren Tausende von Frauen Opfer von Tötungsdelikten, die häufig durch besondere Grausamkeit gekennzeichnet waren und mit Vergewaltigung und Folter einhergingen.
Obwohl es oft psychisch gestörte Einzeltäter waren, die diese grausamen Verbrechen verübten, ist vielfach auch die organisierte Kriminalität involviert. Eine große Rolle spielen Menschenhandel, Prostitution und Drogenhandel.
Es ist sehr bedauerlich, dass in Mexiko und den Ländern Mittelamerikas die Rechtsstaatlichkeit in bestimmten Fällen mehr als zu wünschen übrig lässt, was einerseits tatsächlichen organisatorischen Defiziten im Polizei- und Justizsystem geschuldet ist, anderseits Korruption und fehlender Strafverfolgung.
Wir müssen unserem Berichterstatter, Herrn Romeva i Rueda, unsere Anerkennung dafür aussprechen, dass er diesen Bericht derart eindringlich verfasst hat, so dass die notwendigen Informationen über die absolut inakzeptable Häufung von Frauenmorden in den genannten Staaten nicht nur die Regierungen der betroffenen Länder, sondern die gesamte Welt erreichen.
Die wenigen abschließenden Änderungsanträge – die übrigens die volle Unterstützung des Berichterstatters haben – sind nützlich und runden diesen Bericht ab. Meine Fraktion unterstützt diese Anträge voll und ganz.
Es bleibt also nur zu hoffen, dass dieses Hohe Haus mit einer überdeutlichen Mehrheit für den Bericht stimmen wird, um allen Beteiligten ein klares Signal zu setzen, dass Feminizide in Mittelamerika wie auch in anderen Teilen der Welt ein Problem darstellen, das unsere volle Aufmerksamkeit verdient und das nach sehr drastischen und wirksamen Gegenmaßnahmen verlangt.
Eva Lichtenberger, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Als Mitglied der Mexiko-Delegation möchte ich mich besonders beim Ausschuss für die Rechte der Frau, und vor allem auch beim Berichterstatter bedanken, dass dieses Problem, das auch einen Schatten auf manche Auseinandersetzungen mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Mexiko geworfen hat, bearbeitet worden ist. Ich hoffe morgen auf eine sehr breite Mehrheit, die eine Meinung ausdrückt und die die Ernsthaftigkeit unserer Auseinandersetzung mit diesem Problem betont.
Angesichts der erschreckenden Zahlen, der Berichte über die Bedrohung von Zeugen und Anwälten, von Tod und Qual, von Bedrohung von Familien, von Situationen, die keinesfalls hingenommen werden können, ist es für die Europäische Union eine Verpflichtung, die Stimme zu erheben, und es ist auch eine Verpflichtung, auf die Besonderheit dieses Phänomens hinzuweisen. Es handelt sich hier um eine besonders dramatische Ausprägung eines globalen Phänomens von einem Umgang mit Frauen, der im 21. Jahrhundert schnell ein Ende finden muss.
Es muss in aller Freundschaft mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den entsprechenden Ländern angesprochen werden, denn eine positive Entwicklung in einer Gesellschaft ist nur dann möglich, wenn Frauen angstfrei leben können und wenn Bedrohungen, die ihnen angetan werden und unter denen sie leiden, weil sie Frauen sind, entsprechend verfolgt werden.
Deswegen begrüße ich alle positiven Maßnahmen, die hier eingesetzt werden. Wir brauchen Zeugenschutz, wir brauchen ein verbessertes Justizwesen, wir brauchen Aufklärung. Dann können wir – so glaube ich – die Frauen in Lateinamerika, in Mexiko unterstützen, damit ein Niveau ihres Schutzes erreicht wird, das für uns akzeptabel ist.
Eva-Britt Svensson, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (SV) Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich möchte dem Berichterstatter für seine ausgezeichnete Arbeit sowie für sein Engagement und sein Wissen auf diesem Gebiet danken und gleich zu Beginn erklären, dass unsere Fraktion diesen Bericht voll und ganz unterstützt.
Diese Form des Frauenmordes, die wir hier diskutieren, hat vor allem in den Gebieten zugenommen, in denen Firmen in Zulieferbetriebe investieren und Frauen sozial, wirtschaftlich und auf sonstigen Gebieten von den Männern abhängig sind. Die in diesen Montagewerken arbeitenden jungen Frauen sind nicht nur zunehmender Gewalt ausgesetzt, sondern arbeiten zudem unter äußerst erniedrigenden Bedingungen, die das Bild von Frauen als minderwertige Wesen verstärken, die man ermorden, foltern, verschleppen usw. kann. Ich nehme die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kenntnis, würde aber gern einen noch stärkeren und härteren Druck seitens der EU auf diese Länder sehen. Wir müssen deutlich machen, dass es inakzeptabel ist, Abkommen über die Achtung der Menschenrechte zu unterzeichnen, obwohl diesen Morden kein Ende bereitet wird. Wir könnten Handelsabkommen solange einfrieren, bis die von uns zu Recht gestellten Forderungen endlich erfüllt werden, bis die Regierungen der betreffenden Länder beispielsweise ausreichende Mittel zur Ermittlung und Verurteilung der Täter einsetzen. Diese weitläufige Brutalität gegen Frauen gibt es seit fast zehn Jahren und ist nicht zurückgegangen, sondern hat sich sogar noch erhöht. Es ist also höchste Zeit, Maßnahmen zu ergreifen. Vielen Dank!
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE). – (ES) Frau Präsidentin! Auch ich möchte dem Berichterstatter für seine Arbeit danken, insbesondere für seine Bereitschaft, das unabdingbare und konsequente Engagement des Parlaments für das gravierende und dringliche Problem der Gewalt gegen Frauen zum Ausdruck zu bringen.
Ich freue mich, dass der Bericht, nachdem er im Ausschuss behandelt wurde, nun ausgewogener, weniger paternalistisch ist und in die richtige Perspektive gebracht wurde, denn leider ist die Gewalt gegen Frauen nicht auf eine Region, ein Land oder einen Kontinent beschränkt, sondern sie existiert weltweit und ist universell, das sollten wir in der künftigen Arbeit dieses Hauses bedenken.
Bedauerlicherweise gibt es sie auch, obschon vielleicht unter anderen Umständen, in der Europäischen Union. Ohne ins Detail zu gehen, möchte ich bemerken, dass die Statistik in meinem Land verheerend ist: 166 000 gerichtlich angezeigte Fälle, 48 000 Verhaftungen im letzten Jahr (eine alle zwölf Minuten) und fast 70 ermordete Frauen, die letzte gestern, ihr wurde von ihrem Partner die Kehle durchgeschnitten.
Ich glaube, Frau Präsidentin, dass uns diese schreckliche Statistik Anlass sein sollte, um gründlich über die Rolle unseres Parlaments nachzudenken, das ich nicht als ein Gericht sehe, das bestraft und predigt, sondern als Institution, die eigene Strategien hat, um im gegenseitigen Einverständnis mit unseren Partnern und durch Dialog, Zusammenarbeit und bewährte Praxis nach Lösungen zu suchen, die diesen Prozess aufhalten.
Zum Fall von Mexiko, der sehr gravierend ist und im Bericht genannt wird: Es ist zunächst ein Land mit einer hohen Gewaltrate, der auch Bürger der Europäischen Union zum Opfer fielen, mit deren Familien wir mitfühlen. Doch wir müssen auch anerkennen, dass es sich um eine Gesellschaft handelt, die kämpft, die mit der Situation nicht zufrieden ist und die mutig darum ringt, dieses Problem zu meistern durch die Mobilisierung der staatlichen Organe, der Bundesbehörden und der lokalen Verwaltungen sowie der gesamten Gesellschaft und aller ihrer politischen Parteien, und deshalb, Frau Präsidentin, würdigt der Bericht auch die erreichten Fortschritte.
Man muss, und damit komme ich zum Schluss, von der Kommission verlangen, dass sie den Aktionsplan für die Menschenrechte zügig und ambitioniert fertig stellt, Frau Präsidentin. Abschließend möchte ich sagen, dass die Gewalt gegen Frauen ein Problem des Missbrauchs, der Feigheit, ein Problem der Intoleranz und vor allem, Frau Präsidentin, ein Problem der Angst und der Ohnmacht ist, der Furcht, den Willen anderer zu akzeptieren, und vor allem der Furcht, Willen und Vernunft friedlich und nicht gewaltsam durchzusetzen.
Zita Gurmai (PSE). – (HU) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Herrn Romeva i Rueda für seinen Bericht und die darin enthaltene Stellungnahme zu einem wichtigen Problem danken. Es freut mich zu hören, dass ein Kollege die Lage der Frauen so ernst nimmt.
Gewalt gegen Frauen ist eine Verletzung der Menschenrechte und hindert Frauen an der Ausübung ihrer Grundrechte. Sie ist damit eines der weltweit größten Hindernisse bei der Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft. Gewalt gegen Frauen tritt zwar in unterschiedlichem Ausmaß auf, aber sie ist ein globales Phänomen. Daher muss auch global dagegen vorgegangen werden, im Einklang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Die Staaten, in diesem Falle Mexiko, haben die Aufgabe, die Freiheit und Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten, sie müssen also die erforderlichen Mittel bereitstellen, um Gewalt gegen Frauen, und dazu zählt auch häusliche Gewalt, zu verhindern, aufzudecken und zu bestrafen.
Ich empfinde es als sehr positives Zeichen, dass Mexiko rechtliche Schritte zur Gleichstellung der Geschlechter unternimmt. Der Kampf gegen die Gewalt an Frauen darf sich aber nicht auf den Einsatz von Rechtsinstrumenten beschränken, denn es ist ein komplexes Phänomen und bedarf daher auch eines komplexen Ansatzes, der für den betreffenden Staat mit rechtlichen und verwaltungstechnischen Aufgaben sowie Maßnahmen und Pflichten zur Vorbeugung, Beratung, Opferhilfe, Dialog und Überwachung verbunden ist.
Die Europäische Union, die sich schon wiederholt verpflichtet hat, für globale Gleichstellung zu sorgen und die den von der Europäischen Kommission für den Zeitraum 2006-2010 vorgelegten Gleichstellungsfahrplan aufgestellt hat, dem die Kommissarin neben der Beendigung von Gewalt gegen Frauen oberste Priorität eingeräumt hat, darf angesichts solcher Grausamkeiten nicht schweigen.
Bei der Gestaltung von Außenbeziehungen müssen die Entwicklungen bei den Menschenrechten und die Gleichberechtigung der Frau als wichtige Kriterien berücksichtigt werden. Der Bericht ist hervorragend und ich empfehle daher, ihn anzunehmen.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Wir dürfen der Gewalt gegen Frauen überall in der Welt und ganz besonders in unseren Ländern nicht gleichgültig gegenüberstehen. Deshalb verfolgen wir mit besonderer Aufmerksamkeit dieses ernste Problem in Mexiko und einigen Ländern Mittelamerikas, wo es noch immer Frauenmorde gibt, die nicht allein einem allgemeinen Klima der Gewalt zugeschrieben werden können. Wir wissen, dass auch die Diskriminierung der Frauen, die für Frauen ungünstigen sozioökonomischen Umstände vor Ort, die für indigene Frauen noch schlimmer sind, die in großer Armut und wirtschaftlicher Abhängigkeit leben, und dazu die Aktionen krimineller Banden berücksichtigt werden müssen.
Deshalb erklären auch wir hier unsere Solidarität mit den Frauen, die Opfer dieser Gewalt sind, und schließen uns der Forderung nach Wahrung der Rechte der Frauen und der Achtung ihrer Würde an. Selbstverständlich unterstützen wir den Bericht unserer Kollegin Frau Romeva.
Maria Badia i Cutchet (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Zunächst gratuliere auch ich dem Berichterstatter zu seiner Arbeit. Einige Punkte daraus möchte ich hervorheben und auf einen Aspekt hinweisen, der meines Erachtens vielleicht fehlt.
Um den Kampf gegen die Frauenmorde und die Straflosigkeit zu gewinnen, müssen wir an mehreren Fronten angreifen. Auf kurze Sicht ist es notwendig, alle Diskriminierungen in der Gesetzgebung aufzuheben, die Anzeige von Straftaten und die Schutzmaßnahmen für die Opfer, Zeugen und Familienangehörigen zu erleichtern und die Rechts- und Gefängnissysteme zu verbessern.
Hier stimme ich zu, dass die Europäische Union diesen Ländern ihre uneingeschränkte Zusammenarbeit anbieten muss, um die Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Umsetzung der Rechte der Frauen in den Rechtsvorschriften zu überwinden, die Ratifizierung der internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte zu fördern und die Revision und Modernisierung der nationalen Gesetze auf diesem Gebiet zu unterstützen. Deshalb werde ich mich hinter den Änderungsantrag Obiols-Estrela zu dieser Frage stellen.
Um die Situation langfristig zu verbessern, ist es notwendig, dass wir die Erziehung zu den Werten durch die Gleichstellung der Geschlechter, durch Bildungskampagnen und eine Bewusstseinsbildung schon von Kind an in den Schulen fördern, um ein soziales Bewusstsein herauszubilden, das der Gewalt gegen Frauen und der Stigmatisierung der Opfer durch die Behörden Einhalt gebietet.
Eine konkretere Bezugnahme auf die Frage der Erziehung dürfte meiner Ansicht nach fehlen. Ich glaube, dass alle Anstrengungen, die wir in dieser Richtung unternehmen, wenig dazu beitragen werden, diesen gesellschaftlichen Schandfleck zu beseitigen, den es in den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts nicht geben dürfte.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Ich bedanke mich sehr für diese wirklich wichtige Debatte, vor allem auch dem Berichterstatter nochmals ein herzliches Dankeschön.
Ich habe vorhin schon gesagt: Als Frau und als Kommissarin für Außenbeziehungen ist mir das Thema natürlich ganz besonders wichtig, wobei es absolut richtig ist – und ich habe dies auch vorangestellt –, dass es ein allgemeines Thema ist, das uns leider alle in allen Ländern betrifft. Auch in der Europäischen Union, aber natürlich viel mehr in den Ländern, die arm sind, die nicht die richtigen sozioökonomischen Voraussetzungen haben, und wo vor allem nicht nur kein gutes Polizeisystem vorhanden ist – was heißt, dass es bereits bei der Aufklärung Schwierigkeiten gibt –, sondern meistens auch kein gutes Justizsystem. Denn auch das ist sehr wesentlich. Wir wissen auch, dass es in vielen der Länder, die hier angesprochen wurden – Zentralamerika, Mexiko, aber auch in vielen anderen Ländern – noch immer das Phänomen der Korruption gibt und hier Mafias zum Teil mit Persönlichkeiten der Justiz zusammenarbeiten, so dass die Aufklärungsrate noch immer eine sehr schlechte ist.
Ich stimme mit vielem überein, was hier gesagt wurde: erstens legislative Maßnahmen, zweitens Maßnahmen in der Umsetzung. Und ich kann Ihnen aus der Sicht der Kommission nochmals sagen, dass wir mit unseren Programmen bereits an diesen Dingen arbeiten. Aber Sie müssen natürlich auch den Zeitfaktor etwas berücksichtigen. Das ist leider ein Phänomen, das man nicht von heute auf morgen ausrotten kann, sondern im Rahmen einer sozioökonomischen Entwicklung nur allmählich in den Griff bekommt. Und es ist leider etwas, mit dem wir alle noch zu tun haben werden.
Natürlich müssen wir präventive Maßnahmen ergreifen, ich habe z. B. eben dieses Programm PROJOVENES herausgestrichen, weil es ein so interessantes Programm ist. Und wenn Sie, verehrte Parlamentarier, je wieder nach El Salvador oder auch nach Guatemala kommen – aber vor allem nach El Salvador –, schauen Sie sich das selber an! Das ist wenigstens ein Tropfen Positives!
Ich kann nur sagen, wir werden selbstverständlich unsere Programme weiterführen, wir werden auch weiter diesen durchaus kritischen Dialog mit Mexiko führen, aber ich gebe gerne zu, wie Herr Salafranca sagte, dass Mexiko selbst bereit sein muss, dieses Thema anzusprechen und es sich auf die Fahnen zu schreiben. Nur ist es, wenn die Aufklärung zu spät erfolgt ist, sehr schwer, jetzt im Nachhinein noch alle Elemente festzustellen. Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass alle Methoden der modernen Polizeitechnik hier mit angesprochen werden, denn Aufklärung ist der erste Faktor, Justiz ist der zweite, und selbstverständlich ist dann auch die Frage der generellen Nichtdiskriminierung in einer Gesellschaft entscheidend.
Ich kann nur sagen: Sie haben mich hier sicher an Ihrer Seite!
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, Donnerstag, den 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Zita Pleštinská (PPE-DE), schriftlich. – (SK) Aus Anlass des Internationalen Frauentages hat der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament am 8. März 2007 seine Kampagne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gestartet.
Der Bericht über die Frauenmorde in Mexiko und Mittelamerika ist Teil dieser umfassenden Initiative, deren Ziel es ist, die Gewalt gegen Frauen weltweit zu beenden. Besonders in den eben genannten Ländern ist die Anzahl von Todesfällen durch Gewalt in den letzten Jahren stark angestiegen.
Nach offiziellen Angaben aus Mexiko wurden von 1999 bis 2006 im Land 6000 Frauen und Mädchen ermordet. Die beunruhigendsten Statistiken kommen vor allem aus Ländern mit starker wirtschaftlicher Ungleichheit in der Gesellschaft, wo Frauen wirtschaftlich von Männern abhängig sind: Ländern wie Guatemala, Salvador, Honduras – dem drittärmsten Land in Südamerika – und Nikaragua.
Besonders angesichts der alarmierenden Frauenmorde in Ciudad Juárez und in Guatemala begrüße ich die heutige Aussprache. Ich glaube, dass wir nur mit einer tief greifenden Analyse dieser Fälle, die noch vor dem EU-Lateinamerikagipfel 2008 in Lima stattfinden sollte, die vereinbarten Maßnahmen beurteilen können, einschließlich der Erfahrungen der mexikanischen Behörden, die zum Kampf gegen die Gewalt an Frauen in der EU und Südamerika beitragen werden.
Wir müssen unsere Bemühungen zum Schutz der Frauen vor allen Arten von Gewalt verstärken.
Richard Seeber (PPE-DE), schriftlich. – Die Problematik der Frauenmorde und der Straffreiheit der Täter in Mexiko und Mittelamerika hat sich trotz massiver Anstrengungen nicht verbessert. Deshalb sollen die Regierungen von Mexiko und Mittelamerika ihre Bemühungen hinsichtlich der Prävention und der Aufklärung von Frauenmorden und von Gewalt gegen Frauen weiter intensivieren.
In diesem Zusammenhang ersuche ich die Regierungen Mittelamerikas, die Maquila-Unternehmen verstärkt hinsichtlich ihrer unternehmerischen und sozialen Verantwortung zu kontrollieren. Zudem müssen die europäischen Grundsätze der Gleichberechtigung und der gleichen Rechte für Männer und Frauen vermehrt in die aktive Menschenrechtspolitik der EU einfließen.
Deshalb fordere ich die Kommission dazu auf, einen Vorschlag zu unterbreiten, wie in Zukunft die verschiedenen europäischen Initiativen zur Bekämpfung der Frauenmorde besser mit den lokalen Behörden und Institutionen koordiniert werden können. Alle im Bereich der Außenpolitik zur Verfügung stehenden Instrumente müssen zur Anwendung kommen. Ich ersuche in diesem Sinne die Kommission und die Mitgliedstaaten, die Einhaltung der Demokratie- und Menschenrechtsklauseln in bestehenden und in Verhandlung befindlichen Abkommen verstärkt zu überprüfen.
Bei den Vertragsverhandlungen über das Assoziierungsabkommen mit den Ländern Mittelamerikas ist im Rahmen der Nachhaltigkeitsprüfung eine Gleichstellungsstudie durchzuführen. Die europäische Menschenrechtspolitik, aber vor allem die Rechte der Frauen, dürfen keinesfalls auf Grund von wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen zur Disposition stehen.
21. Ausführungen von einer Minute (Artikel 144 GO)
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgen die Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen.
Tunne Kelam (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Der 7. Oktober des letzten Jahres wird als ein dramatisches Alarmsignal für die Entwicklung in Russland in Erinnerung bleiben. An diesem Tag wurde Anna Politkovskaja, die als lebendiges Symbol für ehrlichen Journalismus galt, brutal ermordet. Präsident Putin hat die Rolle Anna Politkovskajas als nebensächlich abgetan, und ihr Fall ist bis heute ungelöst.
Im vergangenen Oktober haben die Abgeordneten dieses Hohen Hauses die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgerufen, das Vermächtnis von Anna Politkovskaja zu ehren, indem sie die Wiederherstellung der Pressefreiheit in Russland zur Grundvoraussetzung für die Weiterentwicklung der deutsch-russischen Beziehungen machen. Denn nur, wenn wir klar signalisieren, dass wir die Wahrheits- und Freiheitsliebe Anna Politkovskajas höher schätzen als Öl und Gas – nur dann werden sich die Zustände in Russland ändern.
Es steht außer Frage, dass wir in Europa die Werte unterstützen, für die Anna Politkovskaja sterben musste. Herr Putin tut dies bedauerlicherweise nicht. Aus Respekt für Anna Politkovskaja sind wir verpflichtet, das Präsident Putin auf den kommenden Gipfeltreffen klar zu machen.
Eduard Raul Hellvig (ALDE). – (RO) Ich möchte das Thema der zoologischen Gärten in Rumänien ansprechen.
Einschätzungen einiger internationaler Nichtregierungsorganisationen zufolge gilt auf diesem Gebiet die Umsetzung der EU-Zoorichtlinie in der rumänischen Gesetzgebung als eine der besten in Europa.
Dennoch scheint es schier unmöglich, die 41 rumänischen zoologischen Gärten innerhalb der gesetzten Frist, also bis Ende dieses Jahres, an europäische Standards anzupassen.
Unter dem Druck dieser Frist und unter den Bedingungen einer existierenden öffentlich-privaten Partnerschaft, befürworte ich die sofortige Umsetzung des gemeinsamen Aktionsplans mit den nächsten vorrangigen Schritten: Durchführung einer nationalen Studie zur Klassifizierung der bestehenden zoologischen Gärten, Einsetzung eines Notfallrettungsteams und einstweilige Unterbindung der Fortpflanzung der Tiere.
Ich bin außerdem der Ansicht, dass mehr Zeit für die Umsetzung des Plans eingeräumt werden müsste, ehe beschlossen wird, zoologische Gärten, die die rechtlichen Anforderungen nicht erfüllen, zu schließen.
Andrzej Tomasz Zapałowski (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Trotz der zahlreichen Anmerkungen, die in diesem Hohen Haus zu Herrn Schulz zu hören waren, hat er seine Angriffe und Beleidigungen von Mitgliedern der Europäischen Union nicht eingestellt, die diesem Haus nicht entsprechen.
Als Inhaber einer wichtigen Stellung in einem Gemeinschaftsorgan mischt er sich in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaates ein und beleidigt fortwährend seine Vertreter. Die meisten in diesem Haus würden es sich nie träumen lassen, sich in die demokratischen Wahlen von Völkern der Union einzumischen. Es würde mich sehr interessieren, zu erfahren, wie sich dieser Herr fühlen würde, wenn ein MdEP das deutsche Volk aufforderte, seine Kanzlerin auszuwechseln, da es Organisationen gibt, die Nazi-Ideen verbreiten und die Grenzen zwischen den europäischen Staaten außer Kraft setzen wollen. Ich denke, dieser Herr bedauert, dass er so spät geboren wurde, in der falschen geschichtlichen Epoche.
VORSITZ: LUIGI COCILOVO Vizepräsident
Gerard Batten (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Herr Pöttering hat heute eine Erklärung anlässlich des Internationalen/Europäischen Tages gegen die Todesstrafe abgegeben und betont, dass er die Todesstrafe „in jeder Form“ ablehne.
Er scheint anzunehmen, dass wir alle der gleichen Meinung sind. Ich bin es nicht. Am vergangenen Sonntag wurde eine Meile von meiner Wohnung entfernt im Londoner West Ham Park ein 17-jähriger Junge, Rizwan Darbar, mit einem Messer erstochen. Meldungen zufolge wollte er verhindern, dass seinem Freund das Mobiltelefon gestohlen wird.
Dies ist in Großbritannien kein ungewöhnlicher Fall. Immer öfter werden unschuldige Menschen erschossen, erstochen oder erschlagen. Und warum passiert das? Weil Schläger und Kriminelle keinen Respekt vor dem Gesetz haben. Selbst wenn sie aufgegriffen und verurteilt werden, erhalten sie oft sehr milde Strafen. Ich persönlich würde die Wiedereinführung der Todesstrafe in Großbritannien für Mörder dieser Kategorie begrüßen.
Natürlich ist dies unmöglich, solange wir uns in der Europäischen Union befinden. Ein guter Grund mehr, um auszutreten.
Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Obwohl das Thema Libyen heute bereits behandelt wurde, möchte ich mich noch einmal dazu äußern. Libyen musste finanzielle Entschädigungsleistungen für den durch Terroristen verursachten Flugzeugabsturz in Lockerbie leisten, so weit, so gut. Jedoch muss Libyen als weltweiter Unterstützer von terroristischen Anschlägen dazu gebracht werden, die Opfer in vollem Umfang zu entschädigen. Die abscheuliche Terrorkampagne der IRA hatte mit Hilfe des aus Libyen stammenden Semtex-Sprengstoffs und der Waffenlieferungen aus diesem Land ihren tödlichen Höhepunkt erreicht und ermöglichte es damit Martin McGuiness und seinen Heerführern, die heimtückischste Phase ihres Feldzugs zu entfesseln. Ohne die Mitwirkung Libyens wären Tausende Unschuldige noch am Leben. Deshalb möchte ich heute in diesem Haus die aktuelle Kampagne der Opfervereinigung in Nordirland –FAIR genannt – unterstützen. Libyen muss international zur Verantwortung gezogen werden und Entschädigung zahlen, so wie es bei Lockerbie der Fall war. Die EU hat damals Druck auf Libyen ausgeübt wegen der bulgarischen Krankenschwestern. Genauso muss sie auch Gerechtigkeit für die Opfer von IRA-Anschlägen einfordern, indem sie Libyen dazu bringt, sich der in den USA durch FAIR angestrengten Anklage zu stellen.
Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE). – (RO) Über den Haushaltsausschuss hat das Parlament eine überaus wichtige Entscheidung getroffen.
Die 30 % Reserven aus den Verwaltungsausgaben für den Europäischen Sozialfonds, den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds sind ein deutliches Signal an die Europäische Kommission.
Die Genehmigung operationeller Programme sollte innerhalb der in den europäischen Richtlinien festgelegten Fristen erfolgen, in diesem Fall innerhalb von vier Monaten.
Obwohl Rumänien bereits im Januar als eines der ersten Länder diese Unterlagen eingereicht hat, sind zwei der wichtigsten operationellen Programme noch immer nicht genehmigt. Ich meine das operationelle Programm zur Stärkung der Verwaltungskapazität und das operationelle Programm für Humanressourcen.
Angesichts der Tatsache, dass wir nicht der einzige Mitgliedstaat in dieser Situation sind, würde mich interessieren, aus welchen Gründen, sofern sie nicht bürokratischer Natur sind, die Kommission die Genehmigung auf November verschiebt.
Entsprechend der gemeinsamen Erklärung, die wir mit dem Rat nach der Vermittlung am 13. Juli verabschiedet haben, sollte die Kommission die unverzügliche Genehmigung der Programme und Projekte der Mitgliedstaaten sicherstellen und einen Fahrplan für ihre Annahme vorlegen.
Marian Harkin (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße die Gelegenheit, den Bericht über die Arbeitsbeziehungen im Postsektor noch einmal anzusprechen, der vor kurzem durch die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen veröffentlicht wurde. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass der Bericht bereits vor unserer Abstimmung zu den Postdiensten vorgelegen hätte. Doch auch jetzt kommt das Alarmsignal noch rechtzeitig für alle Regierungen, die in den kommenden Jahren ihre Postdienste privatisieren wollen.
Wir in der EU wollen die Lissabon-Strategie verwirklichen, um mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Aus diesem Bericht geht jedoch leider hervor, dass uns die Privatisierung des Postsektors bis jetzt weniger und, was noch schlimmer ist, schlechtere Arbeitsplätze zu schlechteren Arbeitsbedingungen eingebracht hat.
Im Bericht heißt es, dass seit Beginn des Liberalisierungsprozesses die Lohnentwicklungen in diesem Sektor unterdurchschnittlich ausfielen, mit Ausnahme von drei Ländern. Entscheidend ist jedoch, dass in allen Ländern ein Lohngefälle zwischen den Angestellten der Hauptanbieter und denen der neuen oder alternativen Anbieter besteht.
Wenn hier nichts getan wird, endet diese Situation letztendlich in, und hier zitiere ich aus dem Bericht „der Unterminierung der Beschäftigungsbedingungen und in zunehmend konfliktgeladenen Arbeitsbeziehungen“. Bis jetzt hat die Privatisierung des Postsektors den Lissabon-Test nicht bestanden.
Urszula Krupa (IND/DEM). – (PL) Herr Präsident! Ich habe mich während der derzeitigen Wahlperiode des Europäischen Parlaments bereits mehrere Male dafür eingesetzt, die Diskriminierung gegen Polen, und insbesondere gegen Katholiken, zu beenden. Auch dieses Mal erleben wir die Forderung einiger Medien, der Hochschule für Sozial- und Medienkultur die Beihilfen vorzuenthalten, was ein offenkundiger Ausdruck von Diskriminierung und einer Motivation ist, die von anderen Kriterien als der eigentlichen Leistung herrührt.
Die gegen die Einrichtung erhobenen Vorwürfe gewisser Medien sind nichts als Verleumdungen, die von Menschen ausgesprochen werden, die einst Polen und die Polen unterjocht haben. Heute, in demokratischen Zeiten, kommen diese Menschen nicht damit klar, dass sie die absolute Macht verloren haben. Die Hochschule, die um finanzielle Unterstützung bittet, vermittelt Erziehung und Ausbildung in einem universellen Wertesystem, und insbesondere für Studenten aus armen Familien.
Eine aus der Hexenjagd der Medien resultierende Einengung der Kriterien und die Weigerung, Gelder bereitzustellen, würden unserer Meinung nach, insbesondere im Jahr der Chancengleichheit für alle, nicht nur die Diskriminierung von Religion und Einstellung offenbaren, sondern wären auch ein Symptom der Anwendung totalitärer Methoden, was den erklärten Werten, Normen und Erfordernissen des europäischen Rechts widerspricht.
Sylwester Chruszcz (NI). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte auf ein sehr wichtiges Problem bei der Europäischen Kommission aufmerksam machen, das hier im Forum des Europäischen Parlaments ständig vernachlässigt wird: Es geht hierbei um Verkehrsverbindungen.
Der kürzeste Transportweg von Skandinavien, dem Norden Europas, in den Süden – in die Türkei, nach Griechenland und Bulgarien – verläuft über die zentraleuropäische Verkehrsachse. Diese Achse würde im schwedischen Ystad beginnen und durch die polnischen Städte Szczecin und Wrocław, das tschechische Prag, das slowakische Bratislava und durch Wien verlaufen, und dann weiter durch Constanţa, Thessaloniki und Triest. Diese Achse wird fortwährend ignoriert, dabei würde ihre Aufnahme in die Liste europäischer Straßen- und Schienenachsen meiner Meinung nach die Verkehrswege auf dieser Linie beschleunigen und verkürzen, und außerdem der gesamten zentraleuropäischen Achse und allen Städten und Regionen entlang dieser Linie einen Aufschwung bescheren.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Wir haben heute bereits über die Veröffentlichung des Berichts des Europäischen Verkehrssicherheitsrates gesprochen, in dem es darum geht, die Anzahl der Verkehrstoten bis zum Jahre 2010 um die Hälfte zu reduzieren. Er enthält einige gute und einige schlechte Nachrichten.
Ja, es ist richtig, die Länder haben Verbesserungen durchgesetzt, und das ist zu begrüßen. Allerdings ist die Zahl der Verkehrstoten immer noch zu hoch, und die EU wird, wenn die Entwicklung so weiter geht, die geplante Halbierung nicht erreichen. Nur drei Mitgliedstaaten werden das Ziel erreichen – Luxemburg, Frankreich und Portugal. Dort konnte die Anzahl der Verkehrstoten um mehr als 8 % pro Jahr reduziert werden.
Wir sollten nicht vergessen, dass innerhalb der vergangenen 12 Monate mehr als 39 000 Menschen auf europäischen Straßen starben. Wenn wir unser Ziel bereits erreicht hätten, wären 5 000 Menschen noch am Leben. Ich bedauere, dass mein Heimatstaat Irland noch immer in der unteren Hälfte rangiert, wenn es um die Durchsetzung der notwendigen Verbesserungen geht.
Wir könnten von den besser abschneidenden Ländern lernen. Diese haben viel Engagement und politischen Willen bewiesen, um die Durchsetzung in einigen Schlüsselbereichen zu verbessern. Der EU bleiben nur noch drei Jahre für den Einsatz von Maßnahmen, die uns dem Ziel der Halbierung von Verkehrstodesfällen näher bringen. Die Erfahrungen zeigen, dass es möglich ist, aber dafür brauchen wir einen neuen Anstoß auf EU-Ebene.
Pierre Pribetich (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich möchte die Aufmerksamkeit des Parlaments auf das Kosovo-Problem und insbesondere auf die Notwendigkeit lenken, dass sich das Europäische Parlament in dieser innereuropäischen Angelegenheit verbürgt und dafür sorgt, dass das Recht der Völker auf Selbstbestimmung umfassend geachtet werden kann. Viele politische Aspekte treten zutage und verschärfen den Druck, die Teilung des Kosovo zu vollziehen, was keine Antwort ist. Dies ist uns klar, insbesondere angesichts der Probleme mit dem palästinensischen Gebiet und dessen Teilung im Jahr 1946. Es muss deshalb – zusammen mit dem Europäischen Parlament – starker Druck ausgeübt werden, um eine Teilung zu verhindern, um einen daraus erwachsenden Konflikt zu verhindern und den Menschen zu ermöglichen, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, indem sichergestellt wird, dass das Europäische Parlament präsent sein kann, präsent auf der europäischen Bühne und auch präsent auf unserem gesamten Territorium.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Es ist tragisch: Am Ende meines Beitrags werden wieder zwei Menschen Selbstmord begangen haben. Und zwar deshalb, weil weltweit alle 30 Sekunden ein Mensch von eigener Hand stirbt. Jährlich setzen eine Million Menschen ihrem Leben ein Ende, darunter viele junge Männer und Frauen; und das ist eine erschreckende Zahl. Suizid ist für die EU deshalb von Bedeutung, weil 5 der 10 Länder mit den höchsten Selbstmordraten EU-Mitgliedstaaten sind: Litauen, Estland, Ungarn, Slowenien und Lettland. Litauen hat dabei die weltweit höchste Suizidrate.
Das ist eine traurige Statistik für die EU, insbesondere deshalb, weil die Selbstmordursache in den meisten Fällen vermeidbar gewesen wäre. Die EU ist ihren Bürgern gegenüber verpflichtet, die Suizidraten in den Mitgliedsstaaten zu senken. Ich appelliere an Sie, Herr Präsident, sich persönlich an die Regierungen und Parlamente aller Mitgliedstaaten, besonders der fünf genannten Länder, zu wenden, um diese mit allen Mitteln zu bewegen, ihre Bemühungen zu bewegen, ihre Bürger vom Selbstmord abzuhalten. Dies könnte jedes Jahr Tausende von Leben retten.
Maria Petre (PPE-DE). – (RO) Eine neue Studie hat ergeben, dass in Rumänien von etwa 170 000 Kindern der Klassenstufen 5 bis 8 ein oder beide Elternteile im Ausland arbeiten.
Mit jedem Tag steigt in den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie in den Beitrittsländern die ohnehin schon große Zahl der Kinder, die bei ihren Großeltern oder anderen Angehörigen aufwachsen.
Aus diesem Grund möchte ich auf die Notwendigkeit entsprechender Strukturen sowie einer auf dem Solidaritätsprinzip basierenden Sozialpolitik verweisen, damit diese Kinder und ihre Eltern zusammen sein können.
Ich bin der Ansicht, dass die Erleichterung der Familienzusammenführung als Faktor wirtschaftlicher und sozialer Integration ein wesentlicher Bestandteil der legalen Einwanderungspolitik sein sollte.
Gleichzeitig fordere ich die Europäische Kommission auf, eine Strategie zum Umgang mit den im Heimatland der Eltern zurückgebliebenen Kindern zu erarbeiten und die Schaffung entsprechender Strukturen in den Mitgliedstaaten zu unterstützen, um den Kindern und ihren Eltern bei der Anpassung an die neue Situation in der Familie zu helfen.
Der Präsident. – Damit ist dieser Tagesordnungspunkt geschlossen.
22. Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Jorgo Chatzimarkakis im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (KOM(2007)0122 – C6-0116/2007 – 2007/0045(CNS)) (A6-0321/2007).
Siim Kallas, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich danke Ihnen, dass Sie mir Gelegenheit geben, mich zum Bericht über die Verordnung Nr. 1290/2005 zur Finanzierung der gemeinschaftlichen Agrarpolitik zu äußern. Mein Dank gilt vor allem Herrn Chatzimarkakis und den Mitgliedern des Ausschusses für ihre Bemühungen.
Der Vorschlag der Kommission enthält zwei Punkte von politischer Bedeutung. Zum einen soll die Einhaltung der entsprechenden Bestimmungen aus Artikel 53b zur Haushaltsverordnung kontrolliert werden. Laut diesen Bestimmungen fällt Transparenz und Ex-post-Veröffentlichung von Fördermittelempfängern durch die Mitgliedstaaten in den Aufgabenbereich der sektorspezifischen Gesetzgebung.
Zweitens sollen die Mechanismen zur Wahrung der Haushaltsdisziplin gestärkt werden, indem ein neuer Mechanismus zur Kürzung und Aussetzung von Agrarhilfen etabliert wird. Dieser ist strukturierter und transparenter ausgelegt als der momentan in der Verordnung festgelegte, wobei der Kommission in Fällen mangelhafter Ex-post-Kontrolle Spielraum für mögliche finanzielle Korrekturen bleibt.
Die Kommission begrüßt nachdrücklich Offenheit und Transparenz. Dazu gehört unter anderem, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie die gemeinschaftlichen Mittel verwendet wurden und wer welche Gelder erhält. Artikel 53 der Haushaltsverordnung sieht vor, dass die Ex-post-Veröffentlichung von Begünstigten in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt. Wie die Kontrolle dieser allgemeinen Verpflichtung zu erfolgen hat, ist, zumindest was EAGFL- und ELER-Ausgaben betrifft, im Vorschlag der Kommission erläutert.
Die Kommission besteht darauf, dass die Veröffentlichung dieser Informationen durch die Mitgliedstaaten erfolgt, weil diese in gemeinsamer Verwaltung die Kontaktstelle für die Agrargemeinschaft darstellen und daher die zu veröffentlichenden Informationen viel besser auswerten können als die Kommission. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Unterstützung in diesem Punkt.
Die Kommission wird bei der Annahme der Durchführungsvorschriften einige Vorschläge der Änderungsanträge berücksichtigen. Eine bessere Regulierung und Vereinfachung wird jedoch nicht erreicht, wenn alle – zuweilen sehr technischen – Einzelheiten in die Verordnung des Rates integriert würden.
Lassen Sie mich jedoch eine Sache klarstellen. Die Empfänger von EU-Fördermitteln müssen im Vorfeld darüber aufgeklärt werden, dass bestimmte Informationen veröffentlicht werden müssen, doch dass die Veröffentlichung nur unter vollständiger Wahrung der geltenden Gesetzgebung über den Schutz der Privatsphäre erfolgt.
Ich hatte zuvor erwähnt, dass die Verordnung Nr. 1290/2005 bereits einen Mechanismus zur Kürzung und Aussetzung von Agrarhilfen enthält. Verglichen mit diesem Mechanismus enthält die vorgeschlagene Klausel einen neuen, transparenteren und effektiveren Mechanismus zur Vereinfachung bereits existierender Möglichkeiten zur Kürzung oder Aussetzung von Zahlungen an einen Mitgliedstaat, wenn dessen nationale Kontrollsysteme ernste und anhaltende Mängel aufweisen.
Diese neue Klausel hat den Vorteil, dass bestimmte Punkte von vornherein festgelegt sind, damit ein solches Instrument effektiver genutzt werden kann. Es versteht sich von selbst, dass der bestehende Kürzungsmechanismus in anderen Fällen seine Gültigkeit beibehalten wird. Allerdings sind Änderungsanträge, die auf die Verwässerung des Kürzungsmechanismus ausgelegt sind, für die Kommission nicht akzeptabel.
Abschließend möchte ich noch anmerken, dass einige Änderungsanträge darauf abzielen, das Verwaltungssystem von Agrarausgaben zu stärken, die jedoch nicht mit unserem Vorschlag im Zusammenhang stehen. Diesbezüglich stellt der vorliegende Text nach meinem Dafürhalten einen guten Mittelweg dar, und wir sollten allen Verantwortlichen Zeit zur Umsetzung geben, bevor wir Änderungen von Bestimmungen in Erwägung ziehen, die letztendlich erst vor nicht ganz einem Jahr in Kraft traten.
Jorgo Chatzimarkakis (ALDE), Berichterstatter. – Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissar, werte Kollegen! Vielen Dank, dass Sie trotz der späten Stunde die Zeit gefunden haben, heute Abend hier zu erscheinen. Es geht auch nicht um irgendein unwichtiges Randthema, es geht um die europäische Agrarpolitik. Und da möchte ich Ihnen doch zunächst einmal in Erinnerung rufen, was die europäische Agrarpolitik für den weit größten Teil unserer fast 500 Millionen Bürger eigentlich bedeutet. Für diese Bürger sind solche Plenardebatten hier ja gedacht.
Und da lässt sich doch feststellen, dass die EU-Agrarpolitik für viele Bürger zunächst einmal ein Aushängeschild der EU ist. Aber leider eines im negativsten Sinne. Exportsubventionen, vermeintlich ungerechter Handel mit der so genannten Dritten Welt, Futtermittelskandale, Bauernproteste, überhöhte Zuschüsse, genmanipulierte Pflanzen – die Zahl der negativ besetzten Themen europäischer Agrarpolitik ist immens und unübersichtlich.
Verfehlungen in der Europäischen Agrarpolitik haben einen wesentlichen Anteil daran, dass die EU in vielen Teilen Europas keinen guten Ruf hat. Diesen Ruf, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden wir heute Abend nicht mit einem Handstreich wegwischen können. Aber mit dem vorliegenden Bericht – und unter der Voraussetzung, dass der Rat diesem Bericht auch folgt – kann die europäische Agrarpolitik auf einen neuen Kurs gebracht werden, einen Kurs, der näher dran ist an den Vorstellungen der Mehrzahl der Bürger.
Lassen Sie mich zunächst noch einmal auf den Vorschlag der Kommission eingehen: Der Vorschlag der Kommission enthält im Wesentlichen vier Elemente: Transparenz, d. h. Veröffentlichung der Empfänger von Agrarzahlungen, Einführung der Möglichkeit, Zahlungen an Mitgliedstaaten auszusetzen aus der ersten Säule bei schweren Verstößen im Verwaltungs- und Kontrollsystem, Verkürzung der Prüfzeiträume für die Kommission im Fall der Nicht-Erfüllung der Kontrollpflichten (Ausnahmen von der so genannten 24-Monate-Regel) und Anpassung der Durchführungsbefugnisse. Politisch sind für das EP sicherlich die Vorschläge zur Transparenz von herausragender Bedeutung. Die Kommission setzt damit endlich die Entscheidung von Rat und Parlament zum Haushalt 2007 um.
Grundsätzlich begrüße ich das Vorhaben außerordentlich, allerdings kommt der Vorschlag von der Kommission – wohl auch wegen der Integration weiterer Sachverhalte in den Text – etwas spät! Schon jetzt sehen Durchführungsverordnungen der Kommission zum ELER eine Veröffentlichung aller Empfänger von Zahlungen aus der zweiten Säule vor. Die anderen Fonds (Regionalfonds, Fischereifonds, Kohäsionsfonds) enthalten inzwischen ebenfalls alle Regeln zur Veröffentlichung. Aufgrund des Haushaltsbeschlusses ist die Transparenz im Grunde nicht mehr strittig, es geht nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wie“. 11 Mitgliedstaaten veröffentlichen schon jetzt alle Zahlungen umfassend.
Wir brauchen also mehr Transparenz. Das Fehlen von Transparenz hat Gerüchte und Desinformationskampagnen entstehen lassen, die der GAP mehr geschadet haben als einzelne tatsächliche Fehler. Nur beim „wie“ gibt es Probleme, da die Kommission letztlich keine näheren Angaben über das Verfahren macht und alle näheren Regelungen in Durchführungsverordnungen regeln will. Da es um einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht, habe ich in meinem Bericht einige Präzisierungen vorgeschlagen, welche Daten unter welchen Bedingungen veröffentlicht werden sollen. Ich orientiere mich da ausdrücklich an einer Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten. Datenschutz müssen wir trotz aller Wünsche nach schneller Umsetzung sehr ernst nehmen! Und das tun wir hier im Europäischen Parlament.
Die Ziele dieses Berichts sind: mehr Transparenz, sowie gleichzeitig klarere Vorgaben zum Datenschutz. Darüber hinaus muss die breite Öffentlichkeit informiert werden. Nun, wie kann dieser Spagat gemacht werden?
Die Vorabinformation der Betroffenen ist meines Erachtens unabdingbar und Transparenz nur dann gegeben, wenn man mit den Zahlen etwas anfangen kann. Daher schlage ich von mir eine stärkere Differenzierung vor, z. B. nach dem Interventionszweck. Ich schlage in meinem Bericht Name, Zahlung und Wohnort/Firmensitz vor. Transparenz heißt heute, im Internet zu veröffentlichen. Es geht um die Einrichtung einer allgemeinen Internet-Plattform mit Links und Verweisen durch die Kommission. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, die Daten durch entsprechende Erläuterungen verständlich machen.
Den Mitgliedstaaten wird gestattet, die Daten auch auf Ebene der Regionen zu veröffentlichen, wenn dies sinnvoll erscheint. Unterschiedliche Datenbanken müssen verlinkt sein.
Im Rat war die Frage, wer veröffentlicht, sehr umstritten. Es handelt sich um eine gemischte Finanzverwaltung, damit sind klar die Mitgliedstaaten zuständig. So auch Artikel 53b des Budgetbeschlusses. Eine Veröffentlichung durch die Kommission wirft zudem Rechtsschutzprobleme auf, da Betroffene einer Fehlveröffentlichung dann gleich zum Europäischen Gerichtshof erster Instanz gehen müssen. Das ist nicht bürgerfreundlich und nicht gerade transparent. Der Vorschlag der Kommission ist einfacher, transparenter, weniger verwaltungsaufwändig und bürgerfreundlicher und wird daher von mir unterstützt. Er entspricht den Regelungen in allen anderen Bereichen (Strukturfonds und den Regeln, die bisher für die zweite Säule galten).
Da die Veröffentlichung der Daten im Zusammenhang mit der Haushaltskontrolle zu sehen ist, schlage ich in meinem Bericht für den Fall einer unterlassenen Veröffentlichung eine pauschale (allerdings moderate) Strafzahlung vor. Was die Strafkürzungen angeht, bin ich grundsätzlich dafür, möchte aber in einigen Punkten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stärker berücksichtigt sehen.
Mein Kollege Jan Mulder hat im Haushaltskontrollausschuss Vorschläge zur haushalterischen Dimension des Dossiers gemacht, die ich voll und ganz unterstützen kann. Der Haushaltsausschuss hat sich in seiner Stellungnahme zu den Transparenzaspekten geäußert, und dies stimmt weitgehend mit meinen Vorschlägen überein.
Meine Damen und Herren und insbesondere werte Vertreter des Rates. Der vorliegende Bericht ist im Agrarausschuss einstimmig angenommen worden. Auch für die morgige Abstimmung hoffe ich auf eine große Mehrheit. Ich bitte Rat und Kommission inständig, dieses Votum der europäischen Volksvertretung ernst zu nehmen.
Dieser Bericht und die Art und Weise, wie alle Beteiligten damit umgehen, steht sicherlich auch im Zusammenhang mit dem zu erwartenden health check. Im Rahmen dieses health check werden wir sicherlich auch auf dieses Thema zurückkommen.
Albert Deß, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Herzlichen Dank an den Kollegen Chatzimarkakis, der einen Bericht vorgelegt hat, dem die EVP-Fraktion in allen Punkten zustimmen kann.
Die Frage ist aber erlaubt: War diese Verordnung überhaupt notwendig? Sie wird zu starken Neid-Diskussionen führen, weil es schwierig ist, den Bürgern die Zusammenhänge entsprechend darzustellen. Ich finde es deshalb gut, dass bei der Veröffentlichung von Zahlungen an die Landwirtschaft erklärt werden soll, warum diese Zahlungen erfolgen. Unsere Bauern leisten in der Tat einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft, sie versorgen uns Tag für Tag mit Lebensmitteln, pflegen unsere Kulturlandschaft und leisten einen hohen Beitrag zur Funktionalität des ländlichen Raumes.
Transparenz darf aber keine Einbahnstraße sein. Sie muss beide Seiten betreffen. Deshalb unterstützt meine Fraktion die Forderung des Berichts, dass bei Nutzung der Informationen sich der Benutzer anmelden und registrieren muss. Wichtig ist auch – der Kollege hat es gerade angesprochen –, dass datenschutzrechtliche Vorschriften, vor allem auch der Mitgliedstaaten, mit der Richtlinie nicht außer Kraft gesetzt werden.
Ich fordere aber die Kommission im Interesse der Gleichbehandlung auf, eine Verordnung vorzulegen, mit der Transparenz z. B. auch bei Nichtregierungsorganisationen sichergestellt wird. Ich bin überzeugt, dass hier mehr EU-Gelder in zwielichtige Projekte fließen, als dies bei der Landwirtschaft der Fall ist. Wir haben mit diesem Bericht die Möglichkeit, der Öffentlichkeit darzustellen, warum der Steuerzahler Gelder für die Landwirtschaft ausgibt. Wenn wir diesen Bericht sinnvoll nutzen, kann es uns gelingen, der Bevölkerung die hohe Bedeutung der europäischen Landwirtschaft darzulegen, und dann hat diese Transparenzrichtlinie ihren Zweck erfüllt.
Bernadette Bourzai, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Bezüglich des ersten Ziel dieser Verordnung, das darin besteht, der Verpflichtung nachzukommen, Informationen über die Empfänger von Gemeinschaftsmitteln zu veröffentlichen, halte ich es für völlig legitim, dass wir am Ende wissen, wer wie viel von der GAP erhält. Dies ist eine lang erwartete Maßnahme, wobei es nicht darum geht, die Landwirte zu stigmatisieren, sondern vielmehr darum, für Transparenz bei den Finanzierungen zu sorgen, die uns als Steuerzahler und als Verbraucher alle betreffen und bezüglich derer wir ein Informationsrecht haben.
Ich glaube sogar, dass diese Offenlegung durchaus vorteilhaft sein und die Meinung verbessern kann, die die Bürger von den Landwirten und den Zahlungen haben, die diese für die Dienste erhalten, die sie der Allgemeinheit z. B. durch die Lieferung hochwertiger und unter Einhaltung hoher Produktionsstandards erzeugter Lebensmittel sowie durch den Erhalt des Bodens und der Landschaften erbringen. Die Veröffentlichung einer Erläuterung der getätigten Zahlungen und der landwirtschaftlichen Einkommen, so wie der Ausschuss für Landwirtschaft es fordert, wäre auch sehr nützlich.
Ich bin voll und ganz einverstanden mit den praktischen Modalitäten dieser Veröffentlichung, wie sie in dem Bericht unseres Kollegen Chatzimarkakis festgelegt sind, und darin bestehen, eine mit den nationalen Websites vernetzte europäische Internet-Plattform zu schaffen, auf der die Namen der Empfänger regionaler Beihilfen und ihre Wohnsitzgemeinde online veröffentlicht werden. Bei Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung müssen auch die Namen der Kapitalgeber und der Vorstände bzw. Geschäftsführer genannt werden.
Ich unterstütze auch die von der Europäischen Kommission in den Jahren nach der Umsetzung dieser Verordnung geforderten Bewertungsberichte, die sehr sinnvoll sein werden: die Bewertung des Nutzens der zentralen Informationsveröffentlichung durch die Kommission sowie die Bewertung der Aufteilung der Mittel, gegebenenfalls mit Legislativvorschlägen für eine objektivere Verteilung der Mittel im ersten und zweiten Pfeiler.
Was dagegen die Modalitäten des Zugangs zu diesen Daten anbelangt, so bin ich ganz und gar nicht mit den Vorschlägen für die Vertraulichkeit und die Zugangsbeschränkung einverstanden, die meiner Ansicht nach den Transparenzeffekt dieser Verordnung spürbar verringern würden. Wenn Transparenz insbesondere bezüglich der öffentlichen Mittel geschaffen werden soll, müssen meiner Meinung nach alle uneingeschränkt Zugang zu dieser Information haben. In der Praxis scheint es angesichts der Tatsache, dass die Daten zunächst in jedem Mitgliedstaat veröffentlicht und dann auf Gemeinschaftsebene übernommen werden, unmöglich, ein Registrierungssystem einzuführen und im Übrigen haben 13 Mitgliedstaaten diese Daten bereits uneingeschränkt öffentlich gemacht. Ich fordere Sie deshalb auf, die Änderungsanträge 4, 20, 21 und 23, mit denen die Registrierung der Identität und der Beweggründe der Nutzer der veröffentlichten Daten verlangt wird, ganz oder teilweise abzulehnen.
Bezüglich des zweiten Ziels – Instrument zur Reduzierung oder Aussetzung der Agrarzahlungen, sofern einige Schlüsselelemente eines nationalen Kontrollsystems fehlen oder ineffizient sind – denke ich, dass es ein nützliches Instrument für die Europäische Kommission zur Ergreifung von Maßnahmen ist. Aber es muss natürlich in Abhängigkeit von der Natur, Dauer und Schwere der Verstöße eingesetzt werden. Genauso wird der Verringerungsprozentsatz vermindert, wenn der Mitgliedstaat versucht hat, die Mängel zu beheben, und im Gegenzug erhöht, wenn er den ihm gegebenen Empfehlungen nicht nachgekommen ist.
Meiner Ansicht nach sollten die Mitgliedstaaten die Kommission auch weiterhin darüber unterrichten müssen, wie sie die aufgrund von Unregelmäßigkeiten annullierten Mittel wiederverwenden werden oder wollen.
Marian Harkin, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Als Erstes möchte ich dem Berichterstatter für seine ausgezeichnete Arbeit danken. Diese Verordnung wird positive Ergebnisse hervorbringen, denn sie fördert Transparenz und finanzielle Verantwortung. Dies ist nötig, weil es eine Grundvoraussetzung für alle europäischen Fördermaßnahmen sein muss, aber auch, weil damit einige übertriebene Gerüchte über die Gemeinsame Agrarpolitik zerstreut werden. Aus den Berichten des Europäischen Rechnungshofes geht hervor, dass sich in letzter Zeit die Kontrolle von Agrarausgaben deutlich verbessert hat. Darüber muss die Öffentlichkeit informiert werden. Ich stimme dem Vorschlag des Berichterstatters zu, dass es ähnliche Bedingungen für die Gewährung von Strukturfondsmitteln geben muss. Die Transparenz sollte nicht nur die GAP, sondern auch andere Bereiche betreffen. In Erwartung des so genannten Health Check, der Überprüfung der GAP, ist es wichtig, dass wir dieses Problem jetzt angehen, um es letztendlich aus dem Weg zu schaffen.
Die GAP wird in der Presse oft kritisiert, aber diese Kommentare beziehen sich häufig nur auf die negativen Aspekte und ignorieren völlig die immensen Vorteile, die den Verbrauchern durch die GAP zuteil werden. Seit Einführung der GAP liegt die Inflation der Lebensmittelpreise bei weitem unter der Gesamtinflation. Die GAP hat niedrigere Lebensmittelpreise für europäische Bürger gebracht, aber sie hat auch dafür gesorgt, dass Lebensmittel sicherer werden und dass ihre Herkunft zurückverfolgt werden kann. Genau dafür steht das Konzept „vom Erzeuger zum Verbraucher“. Die GAP sorgt für eine bessere Umwelt und auch eine bessere Gesundheit der Tiere. Außerdem gewährleistet die GAP die Nahrungsmittelsicherheit innerhalb Europas. Viele Mensche belächeln die Idee der Nahrungsmittelsicherheit, als ob diese längst vergangenen Tagen angehöre. Unsere Erde hält genügend Nahrungsmittel für alle bereit. Aber wie lange noch? Eine Woche vielleicht. Können Sie sich den Druck vorstellen, dem wir ausgesetzt sein werden, wenn wir statt Agrarerzeugnissen Pflanzen zur Produktion von Kraftstoff anbauen? Können Sie sich den Druck vorstellen, wenn aufstrebende Länder wie Indien und China mit der EU um die Herstellung von Nahrungsmitteln konkurrieren, und um den Anbau von Pflanzen zur Kraftstoffproduktion statt von Agrarerzeugnissen? Dann werden wir uns an die EU und die GAP wenden, damit sie sich um die Nahrungsmittelsicherheit kümmern. Die GAP hat, wie jede andere Politik auch, mit Problemen zu kämpfen, aber sie hat bis jetzt ihre Verpflichtungen gegenüber den europäischen Bürgern erfüllt, und diese Verordnung gewährleistet, dass sie das auch weiterhin mit aller Offenheit und Transparenz tun wird.
Janusz Wojciechowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Der Bericht von Herrn Jorgo Chatzimarkakis und der Verordnungsentwurf selbst haben meine volle Unterstützung. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung; wir führen eine größere Transparenz bei der Rechenschaftspflicht in Bezug auf die EU-Ausgaben ein. Die wichtigste Festlegung ist die Möglichkeit, oder besser die Pflicht, Informationen darüber zu veröffentlichen, von wem und in welchem Zusammenhang diese Gelder im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik genutzt wurden.
Die Öffentlichkeit und auch die Presse fordern dies seit langem, weshalb es sehr gut ist, dass dieses Prinzip jetzt eingeführt wurde. Keiner, der von öffentlicher Hilfe profitiert hat, sollte sich scheuen, dies öffentlich zu machen; und insbesondere die Landwirte haben keinen Grund, sich zu schämen, da diese Unterstützung ihnen schließlich zusteht und zum Wohle der ganzen Gesellschaft ist.
Die Verordnung zielt darauf ab, die EU-Ausgaben stärker zu kontrollieren, und das ist auch sehr gut. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, zwei Sätze über ein Problem zu sagen, das beim Besuch des Haushaltskontrollausschusses in Polen Anfang Oktober auftrat. Das Problem betrifft die Entdeckung von Unregelmäßigkeiten durch nationale Kontrollstellen. Dies ist eine Lösung, die es uns ermöglichen würde, die Folgen von Ausgabenbeschränkungen in einer Situation zu verhindern, in der nationale Kontrollstellen Unregelmäßigkeiten entdeckt haben. Es geht darum, dass diese Stellen richtig mit dem Europäischen Rechnungshof zusammenarbeiten und dass sie motiviert werden, solche Unregelmäßigkeiten auszumachen, ohne Folgen für ihr Land fürchten zu müssen.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Transparenz ist notwendig, nicht nur in der Landwirtschaft, aber auch in der Landwirtschaft. Herr Deß, Sie haben gesagt, Gelder gehen in zwielichtige Projekte. Ja, das wollen wir mit dieser Transparenz ebenfalls aufdecken, aber vielleicht werden Sie mir auch zustimmen: Es geht nicht zu viel Geld in die europäische Landwirtschaft und in die europäischen ländlichen Räume, es geht aber zum Teil in die verkehrten Kanäle. In den Haushalten der vergangenen Jahre sind Milliardenbeträge für die Bauern ausgewiesen, sie sind aber nicht bei den Bauern angekommen. Die ganzen Exportsubventionierungen zugunsten der Bauern, die ganze Interventionspraxis der Europäischen Union mit Lagerhaltung hat Milliardenbeträge verschlungen, den Bauern aber nicht geholfen. Sie hat allenfalls – und das hat die Kollegin von den Liberalen gesagt – die Preise unten gehalten, indem eine Marktstabilisierung nach unten hin stattfand, was einer Art Inflationsbremse entspricht. Natürlich gilt es insgesamt, die Preise stabil zu halten, aber es kann nicht im Interesse der Bauern liegen, der Büttel der Nation oder Europas zu sein, um dieses zu gewährleisten.
Es ist auch richtig, was vom Berichterstatter gesagt wurde, es muss einen Bezugsrahmen geben, man kann nicht einfach veröffentlichen. Ich will mal einen Bezugsrahmen geben: Auch nach der Reform der Agrarpolitik bekommt ein rationalisierter Betrieb, wo eine Arbeitskraft 400 Hektar macht – das ist die höchste Rationalisierungsstufe –, bei 300 Euro je Hektar ungefähr 120 000 Euro je Arbeitskraft. 80 Prozent der Bauern bekommen nicht ein Zehntel davon! Es geht also auch darum zu erklären, was mit diesen Geldern passiert. Diesen Bezugsrahmen müssen wir politisch herstellen, der stellt sich nicht automatisch mit der Veröffentlichung her.
Wenn jetzt die Kommission in ihrem Vorschlag sagt, wir müssen möglicherweise bei diesen Zahlungen Staffelungen machen, wir müssen eine Modulation einführen in die zweite Säule, weil hier auf Arbeitskraft, auf Ökologie mehr Leistung erbracht wird von den Geldern, dann ist das ein Vorgriff auf das, was wir jetzt zu erwarten haben, nämlich die Diskussion nach dieser Veröffentlichung. Und da müssen wir dann wieder die Politik walten lassen. Aber die Zahlen müssen erst einmal sprechen, die müssen stehen, und das müssen wir aushalten, und wenn sie dann nicht stimmig sind, dann müssen wir die Politik so ändern, dass die Zahlen wieder stimmen.
Schönen Dank für Ihren Bericht, wir werden ihm zustimmen.
Kartika Tamara Liotard, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Vielen Dank, Herr Präsident! Ich möchte mich auch bei dem Berichterstatter für seine Arbeit bedanken. Die europäischen Bürger und Bürgerinnen wollen wissen, wie ihre Steuergelder verwendet werden. Im Interesse einer transparenten EU-Politik ist die Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger landwirtschaftlicher Beihilfen unerlässlich, insbesondere angesichts des beträchtlichen Anteils dieser Beihilfen am EU-Haushalt. Noch wichtiger aber ist, dass eine solche Veröffentlichung möglicherweise den Beginn einer dringend erforderlichen, wirklich tief greifenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik markiert.
Als die Beihilfen in den Niederlanden 2005 offen gelegt wurden, stellten wir fest, dass einer kleinen, wohlhabenden Gruppe ein unverhältnismäßig hoher Anteil gewährt wurde. Multinationale Konzerne und Großgrundbesitzer erhalten umfangreiche Subventionen, während Tausende einfacher Landwirte kaum über die Runden kommen. Zunächst muss ein je Person oder Betrieb maximal zulässiger Beihilfebetrag festgelegt werden, der sich aber nicht auf 300 000 Euro, wie von Frau Kommissarin Fischer Boel unlängst vorgeschlagen wurde, belaufen darf. Mein Vorschlag lautet: nicht mehr als ein durchschnittliches Jahresgehalt. Die meisten Beihilfen dienen nämlich als Einkommensstütze.
Mitgliedstaaten, die keine adäquate Transparenz sicherstellen, sollten zur Strafe weniger EU-Gelder bekommen. Des Weiteren muss, wenn die Kontrollmechanismen in den Mitgliedstaaten unzulänglich funktionieren, dies bekannt gegeben werden, damit die Landwirte und ihre Interessenverbände, falls sie dadurch geschädigt werden, die betreffenden staatlichen Stellen dafür haftbar machen können.
Selbstverständlich sollte dies erst der Anfang einer ganzen Reihe von Transparenz-Maßnahmen des Parlaments sein. Bei der Verteilung der Strukturfondsmittel ist ebenfalls Offenheit gefordert. Ich erhoffe mir eine möglichst breite Unterstützung des Parlaments für den vorliegenden Bericht, weil dies unsere vorrangige Kontrollaufgabe wesentlich erleichtern würde. Eine transparente Agrarpolitik ist ein erster Schritt zu einer ehrlichen Agrarpolitik.
Hélène Goudin, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (SV) Vielen Dank, Herr Präsident! Ebenso wie meine Wähler bin ich der Ansicht, dass die EU zu geschlossen und bürokratisch ist. Ich begrüße daher den Vorschlag der Kommission, der in Bezug auf die Ausgaben der Institutionen größere Offenheit und Transparenz anstrebt. Die Agrarbeihilfen können diskutiert werden. Deshalb ist es äußerst wichtig, dass die Bürger sehen können, wer ihre Steuergelder in welcher Höhe erhält. Bedauerlicherweise laufen die Änderungsanträge des Ausschusses der Rolle der EU als transparente Organisation zuwider. Die Forderung des Ausschusses nach Registrierung zur Gewährung des Zugangs zu Informationen stellt einen ernsten Eingriff in den Datenschutz für alle Bürger dar, ob sie nun Landwirt, Journalist oder Kindergärtner sind. Eine Registrierung von Bürgern, die öffentliche Dokumente einsehen wollen, ist eine Entwicklung, die wir in der EU nicht anstreben. Aus diesem Grund appelliere ich an alle Abgeordneten, gegen die Änderungsanträge 4 und 23 des Ausschusses zu stimmen. Vielen Dank.
Jean-Claude Martinez, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Chatzimarkakis! Es fehlt an Getreide, es fehlt an Milch, die Preise für Mais und Butter schnellen empor und was machen wir? Wir diskutieren über die Internet-Veröffentlichung von Milchkuh-, Mutterschaf- und Hektarprämien und während die Welt vor Hungerproblemen steht, beschäftigen wir uns wie verspielte Teenager damit, den landwirtschaftlichen und finanziellen E-Mail-Verkehr im Internet zu organisieren.
Natürlich gibt es gute Gründe: die Transparenz, das Recht zu wissen und zu kontrollieren, was mit den Milliarden geschieht, die an die Bauern gezahlt werden. Aber in einer Demokratie wird die Kontrolle durch das Parlament im Plenarsaal ausgeübt und nicht von Surfern im Internet. Und dann, wenn die Transparenz für die Agrarmittel gilt, warum dann nicht auch ganz populistisch die Transparenz bei den Gehältern der hohen Beamten der Gemeinschaft einführen? Wenn wir die Prämien für Mutterkühe online veröffentlichen, warum dann nicht auch die von den hohen Beamten abgeschöpften Prämien?
Da liegt also die erste Ungerechtigkeit. Und es gibt noch eine zweite. Die kleinen Landwirte, sie werden transparent, aber die großen landwirtschaftlichen Handelsgesellschaften werden es nicht. Denn das Ziel dieser Verordnung ist in Wahrheit nicht die Transparenz. Sie ist eine teuflische Kriegsmaschine mit zwei versteckten Zielen. Das erste besteht darin, die Landwirte in große und kleine zu spalten und ihre gewerkschaftliche Einheit zerstören. Das nächste und wichtigste Ziel ist, über die Presse die öffentliche Meinung gegen die Landwirte aufzubringen, d. h. vor allem über die britische Presse, die uns wieder mit den Prämien für Prinz Charles, Königin Elizabeth, die Gewerkschaftsführer, die Großbauern und vielleicht sogar für den Mann von Frau Fischer Boel, einen Schweinezüchter, kommen wird.
Mit diesen Einzelbeispielen von Großeigentümern, die mit Hormonen aus Brüssel genährt werden, wird man die Öffentlichkeit glauben machen, dass die Landwirte eine riesige Förderung erhalten, und dies umso mehr, als die Öffentlichkeit nicht weiß, dass die Bauern gegen ihren Willen bezahlt werden, weil man ihnen die Produktion verbietet. Man zwingt sie, Land brachliegen zu lassen.
Sobald nun die öffentliche Meinung gegen die Landwirte aufgeheizt ist – die mit der Entkopplung dafür bezahlt werden, nicht zu produzieren – kann man 2013 ohne politisches oder wahltaktisches Risiko die Beihilfen streichen und etwa zwanzig Milliarden Euro sparen und für die Finanzierung nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeiten verwenden.
Unter dem Deckmantel der demokratischen Transparenz ist diese Verordnung eine moralische Schandtat, die die abscheuliche Triebfeder des Neids und der Missgunst im Dienste des strategischen Plans einsetzt, den die Kommission seit den 80er Jahren verfolgt: Die Abschaffung der Agrarexporte im Rahmen eines großen weltweiten Einvernehmens. Landwirtschaft in der südlichen Hemisphäre und Finanz-, Bank- und Energieleistungen in der nördlichen Hemisphäre. Das ist die Wahrheit über diese Verordnung!
Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Es ist manchmal sehr schwer, die Grenze zwischen Transparenz und Verletzung der Privatsphäre zu ziehen. Viele Landwirte werden – und meiner Meinung nach zu Recht – verärgert sein über die Veröffentlichung von Einzelheiten im Internet zu der Betriebsprämie, die ihr Landwirtschaftsbetrieb erhalten hat. Und zwar deshalb, weil hier der verzerrte Eindruck entstehen kann, dass Fördermittel nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet werden.
In Wirklichkeit ist es doch so, dass die Betriebsprämien eigentlich zum Großteil unsere Politik der Nahrungsmittelsubventionierung unterstützen. Nehmen wir einmal den Rindfleischsektor. Aus einem Bericht des Sonderstabs in meinem Wahlkreis geht hervor, dass die Erzeuger von Rindfleisch in diesem kleinen Gebiet jährlich Verluste in Höhe von 260 Millionen Euro erleiden. Nur diese Betriebsprämienregelung hält diese Produzenten am Leben, indem die Produktion subventioniert wird.
Es ist also irreführend, wenn veröffentlicht wird, dass ein Landwirt 20 000 Euro erhält, jedoch nicht gleichzeitig erwähnt wird, dass er 40 000 Euro oder mehr an Betriebs- und Erzeugungskosten einbüßt. Gerechtigkeitshalber sollte die Veröffentlichung also mit der herkömmlichen Gewinn- und Verlustrechnung über den Warenumsatz in jedem Sektor einhergehen.
Ioannis Gklavakis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Es freut mich zu hören, dass wir alle Transparenz und Kontrolle wünschen. Wir alle wollen, dass die EU-Gelder, zu denen die Bürgerinnen und Bürger als Steuerzahler ihren Beitrag leisten, geschützt werden und denen zugute kommen, die wirklich Anspruch auf Hilfe haben. Werden Unregelmäßigkeiten oder Verstöße festgestellt, müssen die dafür festgelegten Sanktionen folgen. Ich denke, in diesem Punkt sind wir uns alle einig und entschlossen. Natürlich dürfen die vorgeschlagenen Maßnahmen erst zur Anwendung kommen – und auch nur im folgenden Haushaltsjahr –, nachdem die entsprechenden Verordnungen in Kraft gesetzt wurden. Da wir glauben, dass diese Erläuterung absolut notwendig ist, haben wir den entsprechenden Änderungsantrag eingebracht. Wir wollen damit klarstellen, dass die in Artikel 17 Buchstabe a und Artikel 27 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik festgelegten Maßnahmen zur Aussetzung der monatlichen Zahlungen nicht vor dem 16. Oktober 2008 angewandt werden. Folglich finden wir es auch richtig, dass diese Maßnahmen keine rückwirkende Gültigkeit besitzen sollten.
Abschließend möchte ich unsere Anliegen noch einmal zusammenfassen:
- erstens sollten die Gelder des Steuerzahlers geschützt werden;
- zweitens darf das Geld, wie meine Vorredner zu Recht deutlich gemacht haben, nur an tatsächlich Berechtigte gehen;
- viertens sollten wir fair sein, denn nirgends auf der Welt besitzen Gesetze rückwirkende Gültigkeit; und das sollte auch gelten.
Sind diese Bedingungen erfüllt, stimmen wir gern und rückhaltlos für den Bericht von Herrn Chatzimarkakis.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident, verehrte Kollegen! Die Institutionen der Europäischen Union sind dabei etwas nachzuholen, was lange Jahre versäumt wurde. Wenn jemand ein Interesse daran hat, dass wir die europäische Agrarpolitik klar und transparent gestalten, dann ist das der europäische Agrarsektor.
Herr Chatzimarkakis, dem ich zu seinem Bericht gratulieren möchte, hat ganz richtig festgestellt, dass die Europäische Union bei den europäischen Bürgern keinen guten Ruf hat, und dass die europäische Landwirtschaft meist als Sündenbock dafür herhalten muss. Deshalb möchte ich, trotz dieser späten Stunde daran erinnern, dass General de Gaulle einmal gesagt hat, wir müssen das Unvermeidliche tun. Ja, wir, denen die Gemeinsame Agrarpolitik so wichtig ist, müssen auch das Unvermeidliche tun, um Transparenz zu schaffen.
Es ist ein großes Problem der Gemeinsamen Agrarpolitik – da stimme ich Herrn Graefe zu Baringdorf zu –, dass die Gemeinsame Agrarpolitik der EU ein großes, wenig transparentes und in vielen Fällen ungerechtes Wirrwarr ist. Wir beide und, so glaube ich, auch alle Anwesenden in diesem Hohen Haus, wollen die Gemeinsame Agrarpolitik zukunftsfähig machen, wir wollen sie aber auch schützen.
Meine lieben Freunde, wie gehen wir damit um, dass die Gemeinsame Agrarpolitik einige Bereiche wie Getreide, Zucker und Tabak bevorzugt und verwöhnt und andere wie Obst und Gemüse, Trauben und Wein, Schweine- und Geflügelzucht benachteiligt? Wie soll man das dem europäischen Bürger vernünftig erklären?
Es kann auch kaum jemand dem europäischen Bürger vernünftig erklären, warum so ein großer Teil der Gelder, wie das Herr Graefe zu Baringdorf sagte, nicht bei den Erzeugern ankommt, sondern von Handelsorganisationen abgeschöpft werden. Es existiert noch kein Bericht darüber, und es wäre gut, wenn Kommission und Rat endlich einen Bericht über die Beträge vorlegen würden, die aus dem Agrarsektor abfließen. Riesenbeträge!
Dieser Bericht ist so wichtig, weil er klar darlegt, wer Gelder bekommt und auch wie viel, damit die Medien nicht wieder mit Negativschlagzeilen aufwarten wie denen von 200 Rindern, die seit Jahren im 6. Stock eines Hauses in Rom gehalten werden, während Hunderttausende italienische Bauern ehrlich ihrer Arbeit nachgehen.
Meine lieben Freunde, Transparenz und Nutzung von Daten sind wichtig, und die Europäische Union muss dies auch auf andere Bereiche ausdehnen. Deshalb unterstütze ich den Bericht Chatzimarkakis. Ich danke Ihnen.
Hannu Takkula (ALDE). – (FI) Herr Präsident! Auch ich möchte gleich zu Beginn den Berichterstatter, Herrn Chatzimarkakis, zu diesem Bericht beglückwünschen. Man könnte sich durchaus fragen, was für einen Bericht man von einem Berichterstatter zu erwarten hat, der den Verstand eines Deutschen, das Herz eines Griechen und sogar ein bisschen von der finnischen Landschaft in seiner Seele hat. In einem solchen Fall könnte man annehmen, dass sich der Bericht in vielerlei Hinsicht als ein recht guter herausstellen könnte, und das trifft, ehrlich gesagt, auf diesen Bericht zu. Also nochmals, meine herzlichen Glückwünsche.
Es stimmt, dass es, wenn wir von der Landwirtschaft und dem System ihrer Finanzierung sprechen, sehr wichtig ist, die Bedeutung der Transparenz hervorzuheben. Transparenz ist die Grundlage von allem. Natürlich ist ein weiterer Faktor, der im Hinblick auf die Finanzierung von Programmen mit der Transparenz Hand in Hand gehen muss, die Fairness. In meinen wenigen Jahren hier im Europäischen Parlament musste ich allerdings erkennen, dass Fairness, wenn überhaupt, ein relativer Begriff ist, und dass die Art und Weise, wie wir sie wahrnehmen, unterschiedlich ist. Auf jeden Fall hoffe ich, dass verstärkte Transparenz auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in das System unserer Entscheidungsfindung und darin, dass wir hier die richtigen Beschlüsse zur Finanzierung der Landwirtschaft, wie auch für jeden anderen Bereich, fassen wollen, erhöhen wird.
Allerdings möchte ich meine Besorgnis über die Landwirtschaft im weiteren Sinne ausdrücken. Damit, dass ich Fairness angesprochen habe, verbinde ich die Hoffnung, dass wir unser besonderes Augenmerk in Zukunft nicht nur auf Transparenz, sondern auch auf Fairness richten.
Jetzt, da auch der Herr Kommissar anwesend ist, möchte ich sagen, dass es darauf ankommt, sicherzustellen, dass auch die kleinen Mitgliedstaaten angemessen behandelt werden, und dass wir auch weiterhin dafür Sorge tragen, dass jede Art von nationaler Selbstversorgung beibehalten werden kann. Wir in Finnland haben einige gravierende Beispiele dafür, zum Beispiel die vor kurzem von der Europäischen Union getroffene Entscheidung zum Zucker oder auch die Entscheidungen über Beihilfen für die Landwirtschaft. Die kleinen und die großen Mitgliedstaaten werden nicht gleich behandelt, und in dieser Hinsicht hoffe ich, dass künftig der Fairness größere Aufmerksamkeit gewidmet wird, jetzt, da wir die Frage der Transparenz im Zusammenhang mit dem Bericht von Herrn Chatzimarkakis geklärt haben.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Europäische Union und unser System der Entscheidungsfindung offen sind und dass unsere Bürgerinnen und Bürger ihnen vertrauen und sie auch weiterhin befürworten können.
Andrzej Tomasz Zapałowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Der heutige Bericht über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, und insbesondere das Thema ihrer Transparenz, sind für die soziale Akzeptanz der Bürger der Gemeinschaft von großer Wichtigkeit, und insbesondere für europäische Landwirte. Durch die Veröffentlichung der Nutznießer öffentlicher Unterstützung werden wir in allen Einzelheiten sehen können, in welchem Zusammenhang die Gelderverteilung stattfindet; und insbesondere zwischen den Ländern, die als altes und neues Europa bekannt sind.
Ein sehr wichtiger Vorschlag des Berichterstatters ist die erwähnte Notwendigkeit, die Daten zwischen den Mitgliedstaaten vergleichbar zu machen. Dadurch wird es möglich, falsche Anschuldigungen zwischen EU-Mitgliedern in Bezug auf die Größe und die Methoden der Unterstützung für bestimmte Märkte in einigen Ländern zu vermeiden, und Maßnahmen zu ergreifen, um die Möglichkeiten der Landwirte im Bereich der öffentlichen Unterstützung anzugleichen. Generell sollte betont werden, dass durch eine hinreichend klare Finanzierung der Agrarpolitik, zusammen mit einer hinreichenden Menge solcher Produkte, die Ernährungssicherheit für europäische Verbraucher sichergestellt wird. Aus diesem Grund sollten europäische Landwirte langfristige Sicherheit und finanzielle Aussichten in Bezug auf die Investitionen in landwirtschaftliche Betriebe haben.
Die derzeit zu hörenden Stimmen, die nach einer schnelleren Überprüfung der gemeinsamen Agrarpolitik rufen, sind unverantwortlich und bringen eine Bedrohung der Ernährungssicherheit der EU mit sich. Auch sollten wir nicht das Versprechen vergessen, die Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe bis zum Jahr 2013 für alle EU-Mitglieder anzugleichen.
Abschließend möchte ich dem Berichterstatter gratulieren.
Esther De Lange (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident! Auch ich möchte unserem Kollegen für diesen gründlichen Bericht danken, bei dem es auf den ersten Blick um sehr technische, um haushaltstechnische Bestimmungen zu gehen scheint. In Wirklichkeit geht es jedoch um Vorschriften, durch die die Tätigkeit unserer Landwirte – die ja schließlich die legitimen und unverzichtbaren Erzeuger unserer täglichen Nahrungsmittel sind – beeinflusst werden kann. Auf einige davon möchte ich nun näher eingehen, ohne eine umfassende Diskussion über den Gesundheitsscheck oder Sonstiges in Gang zu setzen. Allerdings muss ich doch noch kurz loswerden, dass mir rätselhaft ist, wo meine geschätzte Kollegin von der Niederländischen Sozialistischen Partei in einem dichtbevölkerten Land wie den Niederlanden diese Großgrundbesitzer gefunden hat, von denen sie sprach. Aber gut, dies nur nebenbei.
Zunächst möchte ich den Vorschlag der Kommission unterstützen, im Falle von Unzulänglichkeiten den betreffenden Mitgliedstaat wirksamer bestrafen – Abzüge vornehmen – zu können, möglicherweise durch Aussetzung oder Kürzung der Zwischenzahlungen. Meiner Meinung nach sollte die Kommission dabei nicht nur der Art und Schwere der Nichtübereinstimmung, wie sie schrieb, Rechnung tragen, sondern auch ihrer Dauer. Bei Verstößen von langer Dauer sollte die Kommission die Prozentsätze, um die Zahlungen gekürzt werden, beispielsweise alljährlich erneut erhöhen. Ferner ist dafür Sorge zu tragen, dass die jetzt eingeführten Neuregelungen nicht zu einem höheren bürokratischen Aufwand führen.
Ich komme schließlich zu dem heiklen Thema der Veröffentlichung der Namen der Empfänger der Beihilfe aus dem Europäischen Agrarfonds. In meinem Land geschieht dies bereits weitgehend, und die Kommission schlägt jetzt im Hinblick auf die Transparenz und Rechtfertigung dieser Ausgaben eine EU-weite Einführung vor. Ein solches Bestreben kann ich unterstützen, allerdings mit zwei Randbemerkungen, die auch in Form von Änderungsanträgen zum Ausdruck gebracht werden. Zunächst einmal kann die Veröffentlichung dieser Informationen die Rechte der Betroffenen tangieren. Deshalb ist ein angemessener Datenschutz sicherzustellen, damit die Daten nicht in falsche Hände geraten oder für die Aktionen beispielsweise radikaler Türschützer verwendet werden, ein Phänomen, dem sich bereits mehrere Mitgliedstaaten gegenübergestellt sehen.
Schlussendlich glaubt die Kommission, mit diesem Vorschlag auch die Haushaltskontrolle verbessern zu können. Bis zu einem gewissen Grad mag dies der Fall sein, nach meinem Dafürhalten ist der Haushaltskontrolle jedoch noch mehr gedient, wenn nationale Erklärungen über die national bewirtschafteten Haushaltsmittel eingeführt werden. Meine letzte Sekunde will ich daher nutzen, um die Kommission und den Rat aufzufordern, den Prozess der Einführung dieser nationalen Erklärungen zu beschleunigen.
Gyula Hegyi (PSE). – (HU) Die Verbesserung der Transparenz der Gemeinsamen Agrarpolitik ist ein wichtiges Gemeinschaftsziel. Deshalb befürworte ich den Bericht meines Kollegen, Herrn Chatzimarkakis. Doch wenn wir schon über die Gemeinsame Agrarpolitik sprechen, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auch auf eines der größten Probleme für die umweltbewusste Landwirtschaft lenken, das Natura-2000-Programm.
Wie Sie wissen, erhalten Bauern, die die belebte Natur nachhaltig nutzen, im Rahmen von Natura 2000 Beihilfen von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Fast ein Fünftel der Flächen in der Europäischen Union und 21 % der Flächen in Ungarn fallen unter den Schutz dieses Programms. Die Bauern rechnen mit diesen Geldern, denn nachhaltige Naturnutzung erfordert von ihnen finanzielle Selbstbeschränkung.
Für eine nachhaltige Zukunft ist es aber notwendig, dass wir so viele natürliche Lebensgrundlagen wie möglich schützen. Deshalb sollten wir in den Gebieten, die unter das Natura-2000-Programm fallen, auch so viel Geld wie möglich für Beihilfen bereitstellen.
Ich war Schattenberichterstatter der Sozialdemokratischen Fraktion für das Natura-2000-Programm. Leider ist es uns immer noch nicht gelungen, die Summe von drei Milliarden Euro pro Jahr, auf die wir damals gedrängt haben, aufzubringen. Wenn wir die Zerstörung der Natur im schon heute stark bevölkerten Europa aufhalten wollen, ist es allerdings höchste Zeit.
Es wäre hilfreich, wenn die geplante Liste im Internet über die Beträge, die die Landwirte im Rahmen von Natura 2000 erhalten haben, bald käme. So würden vorwärts gerichtete Methoden bekannt gemacht, und die Offenheit wird sich hoffentlich auch stimulierend auf die umweltfreundliche Landwirtschaft und den Schutz unserer einzigartigen Lebensgrundlagen auswirken.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Wir reden über die gemeinsame Agrarpolitik, dabei gibt es in Wirklichkeit keine gemeinsame Politik. Ich kann dies behaupten, weil die Unterstützung für die Landwirtschaft nicht nur nach einzelnen Regionen unterschieden wird, sondern die Unterschiede auch zwischen den alten und den neuen Mitgliedstaaten eindeutig sichtbar sind. Um über eine gemeinsame Agrarpolitik sprechen zu können, brauchen wir gemeinsame und standardisierte Prinzipien, Pflichten und Möglichkeiten, Produktionsunterstützung zu erhalten.
Ich bin aber der Ansicht, dass der Bericht sehr willkommen und notwendig ist, da letztendlich offenbart werden muss, wer was bekommt, und wie diese Gelder genutzt werden. Eine Verbesserung der Statistiken wird nicht direkt zu einer Erhöhung der Gelder für die Landwirtschaft führen, aber es wird die Wirtschaftlichkeit verbessern und zu Transparenz und einem größeren Vertrauen der Menschen führen. Außerdem bekommen wir als Parlamentarier die Möglichkeit, unsere eigenen Schlüsse zu ziehen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, die tatsächlich eine gemeinsame Agrarpolitik aufbauen würden, welche für alle Länder der Europäischen Union und für alle Landwirte, egal in welcher Region sie leben und arbeiten, auf den gleichen demokratischen und partnerschaftlichen Prinzipien beruhen würde.
Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE). – (RO) Auf die Beschränkung der Mittel aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft und dem Europäischen Fonds für ländliche Entwicklung sollte nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden.
Dabei ist festzustellen, dass die Umstände, die zu einer Kürzung oder Aussetzung der Zahlungen führen, im Vorschlag der Kommission nicht klar definiert sind.
Die Verordnung in der von der Kommission vorgelegten Form sieht nur vor, dass die Aussetzung erfolgt, wenn die Schlüsselelemente des nationalen Kontrollsystems aufgrund der Schwere oder Dauer der festgestellten Mängel nicht wirksam sind.
Ich gehe davon aus, dass dieses Kriterium nicht willkürlich eingesetzt werden darf und gefährliche Folgen für einige Mitgliedstaaten haben kann.
Natürlich brauchen wir eine sehr gute Gemeinschaftskontrolle über die Mittelvergabe, aber wir sollten dabei auch die Fortschritte berücksichtigen, die die jeweiligen, für diese Kontrolle zuständigen Einrichtungen in den Mitgliedstaaten erzielt haben.
Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass das Instrument, das wir der Kommission heute in die Hand geben, mit äußerster Vorsicht, unter klar eingegrenzten Bedingungen und strenger parlamentarischer Kontrolle eingesetzt werden sollte.
Außerdem darf die Verordnung keine rückwirkende Gültigkeit besitzen. Das Jahr 2007 ist für die Europäische Union ein Jahr der Erweiterung, und es wäre ungerecht, wenn die Bestimmungen aus der Verordnung, so wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen, mit sofortiger Wirkung in Kraft treten würden.
Deshalb befürworte ich die Variante eines Übergangsjahres bis zum Inkrafttreten der Verordnung. Die Veröffentlichung der Namen der Empfänger und der Gesamthöhe von europäischen Strukturfondsmitteln erscheint mir eine Maßnahme, die sicher zur Verbesserung der Transparenz des Mittelzuweisungssystems beitragen wird.
Dies könnte von vornherein mögliche Betrugsversuche oder Versuche, Mittel aus dem Europäischen Fonds für ländliche Entwicklung nach politischen Kriterien zu verteilen, verhindern und wäre Beweis für einen verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Geldern.
Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk (UEN). – (PL) Herr Präsident! Die Initiative der Europäischen Kommission, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, Auskünfte über die Nutznießer von EU-Geldern zu veröffentlichen, die unter dem Schirm der gemeinsamen Agrarpolitik erlangt wurden, hat in jeder Hinsicht Unterstützung verdient.
Die Veröffentlichung solcher Auskünfte im Internet, unter Nutzung von Standards, die die Daten der einzelnen Länder vergleichbar machen, wird nicht nur die Transparenz der Haushaltsausgaben und die Effizienz des Haushaltskontrollverfahrens verbessern, sondern auch auf mindestens zwei ernsthafte Probleme aufmerksam machen, die im Zusammenhang mit den Agrarausgaben der EU aufgetreten sind.
Erstens geht ein großer Teil der direkten Beihilfen in den einzelnen Ländern nicht an landwirtschaftliche Betriebe, sondern an große Konzerne wie Smithfield oder große Ländereien wie die Crown Estates von Königin Elizabeth II. Vielleicht können diese Daten auf der gesamten EU-Ebene den Entscheidungsträgern deutlich machen, dass die Subventionen für einen einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb begrenzt werden müssen, sodass diese Beihilfen eher Familienbetrieben zukommen als großen Landgütern.
Zweitens besteht ein sehr starkes Missverhältnis zwischen der Unterstützung pro Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche in den alten und den neuen Mitgliedstaaten. Im Zeitraum 2007-2013 beträgt dieser Faktor etwas über 60 %, und wenn Rumänien und Bulgarien dabei sind, wird er noch niedriger sein. Bisher werden für jeden Euro, der in der alten EU ausgezahlt wird, kaum 60 Cent in die neuen Länder der EU gegeben, obwohl die Landwirtschaft in den neuen Ländern Nachholbedarf gegenüber der besser entwickelten Landwirtschaft in den alten Mitgliedstaaten hat.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich wünschte, die Gruppe von Landwirten aus dem Nordwesten Irlands, mit der ich heute Nachmittag gesprochen habe, wäre jetzt bei dieser Aussprache anwesend, da sie zu diesem Thema vielleicht etwas zu sagen hätte. Seien wir ehrlich: Niemand legt großen Wert auf die Veröffentlichung seiner finanziellen Verhältnisse. Und ich denke, in diesem Haus sitzen Abgeordnete, die über Offenheit und Transparenz reden, sich jedoch selbst meilenweit davon entfernt befinden. Mir gefällt der heute Abend eingebrachte Vorschlag, dass jeder die Zahlungen offenlegt, die er aus öffentlichen Mitteln erhält. Ich bin mir sicher, dass wir die Veröffentlichung von Zahlungen durchsetzen werden, und ich befürworte auch generell das Konzept „Offenheit und Transparenz“, wobei dies ein zweischneidiges Schwert ist.
Ich bezweifle auch, dass Information das Gleiche wie Verständnis ist, und das ist genau der Punkt, der mich davon überzeugt, dass diese Zahlungen erklärt werden müssen. Die Gruppe von Landwirten, mit der ich mich heute traf, widmet sich der Aufzucht von Rindern und Schafen, und viele von ihnen verwenden diese Betriebsprämien, um ihre Produktion zu subventionieren. Vielleicht ist das dumm. Vielleicht sollten sie stattdessen ihren Agrarbetrieb aufgeben, die Anlagen verkommen lassen und weiterhin ihre Schecks einstreichen.
Einige meiner Vorredner äußerten sich bereits über fehlgeschlagene politische Maßnahmen, so, als ob die Landwirte dafür die Schuld trügen. Ich jedoch denke, dass die europäischen Politiker die Schuld für die begangenen Fehler übernehmen müssen. Diejenigen, die über Interventionen und Ausfuhrerstattungen sprechen, haben anscheinend die Reformen des Jahres 2003 aus den Augen verloren. Innerhalb der Europäischen Union herrschen bereits Engpässe. Wir importieren Rindfleisch, der Bedarf an Milchprodukten steigt weltweit, und auch das Getreide wird knapp. Da sind wir einen großen Schritt vorangekommen! Ja, ich bin für Veröffentlichung, aber auch für Erklärung. Schützen Sie die Menschen und gewährleisten Sie, dass sie keine ungerechtfertigten Diskriminierungen wegen der erhaltenen Zahlungen zu befürchten haben. All dies darf nicht als Waffe gegen Landwirte verwendet werden. Das tut die Kommission nämlich schon im Rahmen des „Health Check“, bei dem es darum geht, wie man diese Zahlungen nach deren Veröffentlichung nun am besten kürzen kann. Vielleicht sollten wir dies auf höherer Ebene durchführen. Aber lassen Sie uns diese Debatte in aufrichtiger Art und Weise führen. Meines Erachtens müssen wir noch einmal überprüfen, wie diese Informationen verwendet werden.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Wir diskutieren einen wichtigen Bericht über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Eine Politik, für die wir gut 45 % des EU-Haushalts aufwenden.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission hat zum Ziel, die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Ausgaben für EU-Landwirte und ländliche Gebiete zu verbessern. Außerdem soll er die Akzeptanz und Bewertung dieser Politik durch die EU-Bürger verbessern. Aber es tauchen immer wieder Personen auf, die der gemeinsamen Agrarpolitik nicht wohl gesonnen sind, Personen, die unseren Landwirten um jeden Preis die Unterstützung entziehen und sie dem offenen und ungleichen Wettbewerb mit Landwirten aus Drittländern aussetzen wollen.
Die Frage ist, was dann mit der Ernährungssicherheit in der EU passieren würde? Ich bin mir sicher, dass die MdEP des Landwirtschaftsausschusses mir zustimmen werden, dass an dem vorgesehenen Haushalt für die gemeinsame Agrarpolitik keine Einschnitte vorgenommen werden dürfen. Dieser Haushalt sinkt kontinuierlich, und wird im Jahr 2013 nur noch 33 % der gesamten Haushaltsausgaben ausmachen. Wir sollten hoffen, dass die neuen Regelungen dazu beitragen werden, die Gesetzgebung gemäß dem von der Kommission vertretenen Slogan der besseren Rechtsetzung zu vereinfachen. Unsere Bürger werden dann herausfinden können, zu welchen Zwecken wir EU-Gelder ausgeben.
Im November dieses Jahres wird die Kommission eine Mitteilung über den Gesundheitscheck herausgeben. Ich bin der Meinung, dass die EU-Regelungen für Direktzahlungen sehr viel einfacher und auch transparenter sein sollten, und dass die Höhe der Subventionen für alle Mitgliedsstaaten einheitlich, mit anderen Worten fair und nachvollziehbar, sein sollten.
Ich hoffe außerdem, dass sich unsere rumänischen Kollegen um die derzeitigen Probleme mit ihrem Zahlungssystem kümmern werden. Wir können nicht zulassen, dass rumänische Landwirte unter einer Kürzung der Subventionen leiden und bestraft werden. Diese sind in Rumänien ebenso notwendig wie in anderen Mitgliedstaaten. Anstatt rumänische Landwirte zu bestrafen, sollten wir ihnen helfen, das Subventionssystem zu regeln.
Siim Kallas, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich danke Ihnen für die interessanten Beiträge. Ich bin sehr froh, an dieser Diskussion teilnehmen zu dürfen, denn als die Kommission die Diskussion über den Vorschlag über mehr Transparenz in Bezug auf die Begünstigten von EU-Fördermitteln auf den Weg brachte, wurden Informationen lediglich in zwei Ländern veröffentlicht, und zwar in Dänemark und in Estland. Inzwischen sind es 13 Länder, und irgendwann werden es alle sein. Das ging in Anbetracht der Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene sehr schnell vonstatten.
Ich möchte hier lediglich einige Tatsachen beisteuern. Erstens erfolgt, wie bereits gesagt, die Veröffentlichung von Begünstigten in voller Einhaltung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung zum Datenschutz. Mehrere Abgeordnete haben die Frage der Veröffentlichung von Informationen über strukturelle Fonds angesprochen. Doch auf die strukturellen Fonds trifft die gleiche Logik zu, da für sie der gleiche Artikel 53b der Haushaltsverordnung gilt. Da besteht also kein Unterschied.
Alle aus dem europäischen Haushalt gezahlten Mittel werden veröffentlicht, einschließlich der Gehälter der höchsten Verwaltungsangestellten und Kommissionsmitglieder. Das ist absolut öffentlich. Es gibt also nichts Geheimes – und dies ist seit der Annahme des Statuts der Beamten so.
Ich ersuche das Parlament, das Vorgehen der Kommission entsprechend dem eingebrachten Vorschlag zu unterstützen. Wir begrüßen das Anliegen einiger Änderungsanträge, und einige werden in die Durchführungsvorschriften oder in den endgültigen Text Eingang finden, der vom Rat nach Vorlage des Kompromisstexts des Ratsvorsitzes angenommenen wird. Ich bin zuversichtlich, dass die hier vorliegenden Neuerungen die Verordnung 1290/2005 zu einem noch effektiveren Instrument als bisher machen werden.
Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Gábor Harangozó (PSE), schriftlich. – (HU) Ich unterstütze den Vorschlag der Kommission aus mehreren Gründen. Erstens wird dadurch transparent, wer von der Gemeinsamen Agrarpolitik profitiert, und der Umfang der Agrarsubventionen der EU-Mitgliedstaaten wird vergleichbar. Zweitens erhöht sich dadurch für den europäischen Bürger die Legitimität aller EU-Institutionen und der Politik der EU. Drittens bleibt diese Initiative nicht nur auf Agrarsubventionen beschränkt, sondern wird auf die Subventionen in allen Bereichen der EU ausgedehnt und erhöht damit die Effektivität der Haushaltskontrolle.
Ich stimme auch dem zweiten Punkt der Empfehlung zu, in dem die Kommission vorschlägt, die Regeln über Anlastungen im Falle von Mängeln der Kontrollsysteme der Mitgliedstaaten zu verschärfen. In Ungarn ist es uns unter großen Anstrengungen gelungen, das institutionelle System so zu entwickeln, dass es so effektiv wie möglich funktioniert und den Bestimmungen der Kommission entspricht.
Ich unterstütze den Vorschlag des Berichterstatters, die Daten zwingend im Internet zu veröffentlichen. Die Webseiten der Zahlstellen in den Mitgliedstaaten sollten mit den Seiten der Kommission oder mit einem gemeinsamen Netz innerhalb eines Mitgliedstaates verbunden werden. Natürlich muss eine solche Veröffentlichung von Daten auch der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten entsprechen. Es ist unter anderem wichtig, dass die jeweiligen Parteien vorab, so schnell wie möglich und, wenn möglich, schon bei Erhebung der Daten, über deren Veröffentlichung informiert werden.
Alexander Stubb (PPE-DE), schriftlich. – (EN) Mehr Transparenz ist gleichbedeutend mit weniger unbegründeter Anti-EU-Propaganda. Deshalb ist es einfach, die positive Haltung des Berichterstatters zu unterstützen und den Vorschlag der Kommission zur Verbesserung von Transparenz und Haushaltsvollzug der europäischen Agrarausgaben zu begrüßen.
Wir müssen im Auge behalten, dass die Agrarausgaben einen der größten Ausgabeposten der Gemeinschaft ausmachen. Deshalb geht es hier um die Frage der Legitimität der Europäischen Union.
Der mangelnde Überblick über die Gesamtausgaben, nicht nur über die Agrarausgaben, verzerrt das Bild über die Vergabe von EU-Mitteln. Allerdings wissen wir auch, dass sich die Verwaltung der Agrarausgaben kontinuierlich verbessert hat.
Die Informationen über die Ausgaben der Gemeinschaft müssen leicht über das Internet zugänglich sein. Volle Transparenz ist eine essentielle Voraussetzung für die Haushaltskontrolle. Aus diesem Grunde bin ich froh, dass Herr Chatzimarkakis im Ausschuss eine 100 %ige Zustimmung erhalten hat.
23. Die Auswirkungen der Vereinbarung zwischen der Gemeinschaft, Mitgliedstaaten und Philip Morris über die Bekämpfung des Zigarettenschmuggels und die Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses für das Versandverfahren (Aussprache)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Bart Staes im Namen des Haushaltskontrollausschusses über die Auswirkungen der Vereinbarung zwischen der Gemeinschaft, Mitgliedstaaten und Philip Morris über die verstärkte Bekämpfung von Betrug und Zigarettenschmuggel und die Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments für das gemeinschaftliche Versandverfahren (2005/2145(INI)) (A6-0337/2007).
Bart Staes (Verts/ALE), Berichterstatter. – (NL) Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissar, verehrte Damen und Herren! Die Berichte des Haushaltskontrollausschusses enthalten oft Nachrichten, die weniger gut sind – es handelt sich ja schließlich um den Betrugsbekämpfungsausschuss des Europäischen Parlaments. Häufig geht es dabei um Mängel, Unregelmäßigkeiten, Betrügereien, bisweilen sogar um arglistige Täuschung und Irreführung. Erfreulicherweise habe ich Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen, heute Positives zu berichten, eine Erfolgsgeschichte, eine Geschichte, die zeigt, wie durch Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten Probleme einer Lösung zugeführt werden können.
Welches ist der Hintergrund? Anfang der 90er Jahre wurde der Zigarettenschmuggel als das große Geschäft entdeckt. Hunderte Millionen Ecu – damals sprachen wir noch von Ecu, nicht von Euro – verschwanden in den Taschen Krimineller zu Lasten der Haushalte der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten. Bereits 1994 setzte die damalige UCLAF, die Vorgängerin von OLAF, eine Taskforce Zigaretten ein. 1996 und 1997 untersuchte ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments – übrigens der allererste Untersuchungsausschuss, der im Rahmen des Vertrags über die Europäische Union aus der Taufe gehoben wurde – sämtliche Aspekte des Betrugs beim Versandverfahren.
Der Untersuchungsausschuss stellte fest, dass das Kontrollsystem beim Versandverfahren veraltet war. Lastkraftwagen im Transitverkehr mussten bei der Zollstelle, an der die Waren in die Union eingeführt wurden, ein Papier abstempeln lassen und nach ihrem Transit durch die Union in dem Zollamt, in dem die Waren die Union verließen, dieses Dokument erneut abstempeln lassen. Anschließend musste dieses Dokument an die Einfuhr-Zollstelle zurückgeschickt werden. In diesem Zusammenhang kam es zu zahlreichen Problemen: Die Papiere kamen viel zu spät zurück, bisweilen drei, vier Monate später. Es bestand das Problem gefälschter Papiere sowie nachgemachter Stempel. Eine der wichtigsten Empfehlungen dieses Untersuchungsausschusses war daher ein EDV-System anstelle dieses völlig überholten Systems, das auf Papier und Stempeln beruhte.
Dieses neue EDV-gestützte Versandverfahren (NCTS) wurde schrittweise eingeführt, ist mittlerweile in allen Mitgliedstaaten in Betrieb und hilft den Zolldiensten, in Echtzeit festzustellen, ob Waren der Zollkontrolle illegal entgehen – mithin ein gewaltiger Fortschritt. Selbstredend ist damit nicht ausgeschlossen, dass nach wie vor falsche Zollerklärungen abgegeben werden, und deshalb fordern wir die Kommission auf, auch hier ein System einzurichten, durch das falsche Warenanmeldungen verhindert werden können. Ferner fordern wir, dass OLAF direkten Zugang zu diesem EDV-System erhält.
Wie schon gesagt, war dieser Untersuchungsausschuss vor allem mit dem Zigarettenproblem befasst. Zigaretten wurden im Transit von einem Zollamt zum anderen durch das Hoheitsgebiet befördert, doch landeten diese Waren, diese Zigaretten, sehr oft auf dem Schwarzmarkt. Dies führte zu erheblichen Problemen, bisweilen auch zur Gewalt. In Italien beispielsweise sind sogar zwei Beamten der Guardia di Finanza ermordet worden.
Bei der gesamten Untersuchung stellte sich des Weiteren heraus, dass einige Tabakgesellschaften mit den Schmugglern unter einem Hut steckten, und aufgrund dieser Erkenntnisse hat die Kommission zusammen mit mehreren Mitgliedstaaten einen Prozess gegen Philip Morris vor dem Gericht in New York angestrengt. Nach und nach wurde deutlich, dass es für Philip Morris äußerst schwierig sein würde, diesen Prozess zu gewinnen, und 2004 wurde mit dem Unternehmen eine Vereinbarung getroffen. Gegen Zahlung von 1,25 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von zwölf Jahren wurde von der Kommission und den Mitgliedstaaten von einer Weiterführung des Prozesses vor dem Gericht in New York abgesehen.
Im Grunde vielleicht noch wichtiger war der zweite Teil der mit Philip Morris getroffenen Vereinbarung. Er beinhaltete Bestimmungen über eine Zusammenarbeit zwischen Philip Morris und der Europäischen Union bei der Rückverfolgung und dem Aufspüren von Zigaretten. Wurden von den Zolldiensten Zigarettenladungen vorgefunden und die Bestimmungen dieser Vereinbarung nicht befolgt, dann war Philip Morris zur unverzüglichen Zahlung der entgangenen Zölle verpflichtet, und die betreffende Zahl kann sich bis auf 1,5 Millionen Euro pro Container Zigaretten belaufen.
Um es nochmals zu sagen, dies ist eine Erfolgsgeschichte: Sie veranschaulicht, wie Parlament und Kommission zusammenarbeiten können. Es gibt aber auch einige Kritikpunkte. Diese 1,25 Milliarden US-Dollar wurden zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Die Kommission erhielt lediglich 9,7 %, während der Löwenanteil an die Mitgliedstaaten ging. Das halte ich nicht für gerecht, insbesondere, da OLAF und die Kommission den größten Teil der Arbeit verrichten.
Ein zweiter Kritikpunkt: Dem Geist der Vereinbarung gemäß sollte dieses Geld für die Betrugsbekämpfung eingesetzt werden. Die Kommission hat ihre Aufgabe erfüllt. Sie hat einen Teil des Geldes für das Herculus-II-Programm verwendet. Die Mitgliedstaaten hingegen ließen es einfach in ihre Staatskassen fließen, obwohl sie es eigentlich zur besseren Ausrüstung ihrer Fahndungsdienste, beispielsweise der Zolldienste, und zur stärkeren Bekämpfung dieser Betrugsform nutzen sollten.
Nochmals, Herr Präsident, dies ist eine Erfolgsgeschichte, die vielleicht auch auf andere Produkte, wie Alkohol und bestimmte Agrarerzeugnisse, angewandt werden kann. Des Weiteren hoffe ich, mit diesem Bericht der wichtigen Arbeit, die von Herrn Kallas und der Kommission sowie von unserem Parlament bei der Betrugsbekämpfung geleistet wird, einen positiven Ton hinzugefügt zu haben.
Siim Kallas, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich bin Herrn Staes für seinen Initiativbericht und dem Europäischen Parlament für seine Unterstützung in diesen Fragen und die Suche nach Lösungen für diese schwierigen Fragen zu Dank verpflichtet.
In meiner Erklärung werde ich zunächst auf das gemeinschaftliche Versandverfahren eingehen, für das mein Kollege Lázló Kovács zuständig ist. Das Europäische Parlament begrüßt die erfolgreiche Einführung des neuen EDV-gestützten Versandverfahrens. Es stellt in der Tat eine gewaltige Veränderung im Vergleich zum früheren überholten papiergestützten Verfahren dar. Die vollständige Einführung des modernisierten Systems erfolgt bis zum 1. Juli 2009.
Das Risikomanagement ist ein modernes Kontrollinstrument. Die Kommission setzt den Rahmen für das Zoll-Risikomanagement aktiv um, damit die Kontrollen gezielter vorgenommen werden können. Derzeit legen wir mit den Mitgliedstaaten Kriterien, Prioritäten und die IT-Plattform fest. Das neue System schafft auch die Möglichkeit, die Effektivität der durchgeführten Risikoanalyse regelmäßig zu überprüfen. Die geplante Entwicklung des Versandinformationssystems zur Betrugsbekämpfung wird die Fähigkeit zur Analyse und Abwehr von Risiken im Zusammenhang mit der Verminderung der Betrugstätigkeit im Versandverfahren stärken, zunächst im Hinblick auf empfindliche Güter und später für Versandgüter aller Art. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitgliedstaaten der Kommission einen breiteren Zugang zu den Daten über die NCTS-Bewegungen gewähren. Das Einfrieren weiterer Mittel für das NCTS, wie es im Bericht vorgeschlagen wird, würde sich kontraproduktiv auf die notwendige Weiterentwicklung einer wirksameren Versandkontrolle auswirken.
Einige Worte zum Mehrwertsteuerbetrug. In seinem Bericht hat das britische Oberhaus auf zahlreiche Faktoren hingewiesen, die mit dem Phänomen des Betrugs durch Missing Traders verbunden sind. Wir haben jedoch keinen Beweis dafür, dass die Ursache des Karussellbetrugs in Schwachstellen des Versandsystems gelegen hat. Ich möchte klarstellen, dass der Versand bei unseren herkömmlichen Eigenmittelprüfungen zwischen 2001 und 2006, als die Veränderungen im Gange waren, zwar nicht zu den Prioritäten gehörte, doch auch nicht außer Acht gelassen wurde. Im Ergebnis zahlreicher Prüfungen wurde die Zahlung von Eigenmitteln und Zinsen gefordert. Dieses Vorgehen stellt eine effiziente Verwendung der Prüfungsressourcen der Kommission dar und erspart uns den Rückgriff auf Ex-ante-Prüfungen.
Nun möchte ich mich der Vereinbarung mit Philip Morris International über die Betrugsbekämpfung zuwenden, das in mein Ressort fällt. Ich bin dem Parlament für seine ständige starke Unterstützung zu Dank verpflichtet. Die Kommission hat immer wieder erklärt, sie hoffe, dass die Vereinbarung als Modell für gleichartige Vereinbarungen mit anderen Unternehmen dienen könne. Was die aus dieser Vereinbarung stammenden Mittel angeht, so wurden für das neue Programm Hercule in Griechenland Gelder für die neu hinzugekommenen Ziele Bekämpfung des Zigarettenschmuggels und der Zigarettenfälschung bereitgestellt. Wir untersuchen zurzeit, ob das Programm für die Finanzierung eines Labors zur Prüfung der Echtheit von Zigaretten genutzt werden kann.
Ich muss aber auch sagen – und Herr Staes weiß das ganz genau –, dass die Verteilung des Geldes ein wahrer Albtraum war und auch in den nächsten Finanzzeiträumen ein Albtraum bleiben wird. Natürlich freue ich mich sehr über die Unterstützung und das anhaltende Interesse des Parlaments an der Verwendung dieses Geldes, weil auch mir daran gelegen ist, dass dieses Geld für die Bekämpfung des Zigarettenschmuggels und andere Formen von Betrug verwendet wird.
Was die Beschlagnahmestatistiken betrifft, so teilen die meisten Mitgliedstaaten die Mengen der Kommission vierteljährlich mit. Nicht alle Mitgliedstaaten geben jedoch die Marken an, die beschlagnahmt wurden, und deshalb sind die vorliegenden Daten nicht vollständig. Darüber hinaus wird in den Beschlagnahmemeldungen der Mitgliedstaaten nicht immer zwischen echten und gefälschten Zigaretten unterschieden, zum Teil, weil es für die Verfolgung der Täter und die Erhebung von Zöllen und Steuern nicht notwendig ist, zum Teil, weil es zuweilen außerordentlich schwierig ist, zwischen gefälschten und echten Zigaretten zu unterscheiden. Wir bestärken die Mitgliedstaaten weiterhin darin, vollständigere Angaben zu liefern.
Schließlich ist die Kommission bereit, einen OLAF-Bericht zu diesem Thema auszuarbeiten und damit einer Anregung des Parlaments zu folgen, doch wäre es meiner Ansicht nach besser, mit einer umfassenden Übersicht bis 2010 zu warten. Das liegt daran, dass im Zollbereich viele einschneidende Änderungen bevorstehen und ein Bericht im Jahre 2008 nur vorläufigen Charakter haben und den Sachstand zu diesem Zeitpunkt wiedergeben könnte.
Jean-Pierre Audy, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Berichterstatter, Bart Staes, beglückwünschen, dem es gelungen ist, einen ausgezeichneten Bericht über das schwierige Thema der Schwächen unseres gemeinschaftlichen Versandverfahrens zu verfassen. Meine Anerkennung gilt auch dem Europäischen Rechnungshof, der in seinem Bericht vom Dezember 2006 die ganze Bandbreite des Problems sehr deutlich gemacht hatte.
Ich bedauere in dieser Hinsicht, dass wir die Folgen der Vereinbarung mit Philip Morris, die, es sei daran erinnert, eine Vereinbarung über die Einstellung der Strafverfolgung und kein Partnerschaftsabkommen ist, mit den großen Problemen des gemeinschaftlichen Versands verwechseln. Dies führte zu dem Änderungsantrag, den ich im Namen der PPE-Fraktion eingereicht habe, mit dem diese Verwirrung beseitigt werden soll.
Bezüglich der Industrie schlage ich vor, dass die Europäische Union gemeinsam mit der gesamten Tabakindustrie ein Programm zur Bekämpfung von Zigarettenfälschungen und -schmuggel kofinanziert.
Ich möchte mich in meinem Beitrag jedoch auf die Mängel unseres gemeinschaftlichen Versandverfahrens konzentrieren. Die Europäische Kommission sagt uns, dass sie das Zollgutversandverfahren durch die Einführung eines modernen und robusten IT-Systems gestärkt habe. Sie vergisst jedoch zu erwähnen, dass obgleich ein IT-System notwendig ist, dieses niemals ausreicht, und dass in Wirklichkeit das System selbst mangelhaft ist. Es ist mangelhaft, weil es unter der Aufsicht der Mitgliedstaaten steht, d. h. – so wie es unser Berichterstatter und der Europäische Rechnungshof zu Recht hervorgehoben haben –, dass die Mitgliedstaaten die neuen Vorschriften des gemeinschaftlichen Versandverfahrens mit gravierenden Mängeln anwenden.
Bereits 1997 setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein, der eindeutig feststellte, dass die EU einen Rahmen für die Zollverfahren schaffen müsste, damit diese identisch durchgeführt werden. Davon sind wir weit entfernt.
Im Jahr 2005 hat unser Kollege Herbert Bösch in einem ausgezeichneten Bericht die Bandbreite der Probleme und die Notwendigkeit der Bekämpfung von Betrugsfällen und Fehlern deutlich herausgestellt. In Wahrheit, meine Damen und Herren, ruft uns der Bericht zu einem viel weiter reichenden Nachdenken über die Qualität unseres Zollsystems, unserer Finanzkreisläufe und ganz allgemein über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union auf.
Sie können sich dabei, Herr Kommissar, der vollen Unterstützung der Abgeordneten sicher sein.
Herbert Bösch, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Wir begrüßen diesen Bericht ausdrücklich. Es ist ein hervorragender Bericht. Der Begriff Initiativbericht ist ein bisschen falsch. Was wir hier machen, ist ein Dranbleiben am Thema des ersten Untersuchungsausschusses des Europäischen Parlaments. Und wir werden weiter dranbleiben. Ich will nicht jammern, aber es ist schade, dass wir das zu so später Stunde tun müssen. Ich sehe auf der Rednerliste mit Interesse die Fraktionen, die sich heute zu diesem Thema zu Wort gemeldet haben. Es ist offenbar immer etwas leichter, über die Skandale in der EU zu jammern, als an konkreten und positiven Lösungen zu arbeiten. Das ist manchmal ein langer Weg – wir sind dabei im Bereich der Zigaretten –, und es ist ein guter Weg. Wir bringen etwas vorwärts, und das zeigt der Bericht des Kollegen Staes sehr wohl.
Natürlich haben wir es in diesem Bereich mit der Unvollkommenheit der europäischen Integration zu tun. Immer noch können verschiedene Finanzminister, wenn denn mal die Staatskasse ein bisschen leer ist, die Finger nicht davon lassen, dass sie ganz einfach einmal ein bisschen die Tabaksteuer anheben, und dann bekommen sie noch fälschlicherweise den Applaus von irgendwelchen Gesundheitspolitikern. Denn die Konsumenten von Zigaretten weichen ganz einfach auf geschmuggelte Zigaretten aus oder immer mehr auf gefälschte Zigaretten. Der Gewinn aus dem Betrug in diesem Bereich geht unmittelbar in die organisierte Kriminalität.
Und gerade weil wir heute Abend gemeinsam einen Fortschritt feiern können, möchte ich umso mehr an einen Fall erinnern, der weniger ein Ruhmesblatt auf dem europäischen Konto ist, vor allem auch für die Kommission. Wir haben in den Jahren 1992 bis 2001 nachweislich etwa 10 000 LKW-Ladungen Zigaretten über Montenegro vor allem Richtung Italien hereingeschmuggelt bekommen. Wahrscheinlich ist das der größte Betrug am europäischen Haushalt, der je stattgefunden hat. Die Staatsanwaltschaft Augsburg in Deutschland hat 60 Rechtshilfeansuchen in diesem Zusammenhang gestellt. Es gibt in der Schweiz Geständnisse, es gibt Verurteilungen, all diese Dinge. Nur, es gibt von Seiten der Europäischen Union keine Rückforderungen an Eigenmitteln gegenüber der Republik Montenegro. Herr Kommissar, ich hätte gerne, dass wir vor unsere Steuerzahler hintreten könnten und sagen würden: „Wir haben uns auch diesen Fall angeschaut“.
Es gibt kleine Zollbeamte aus Deutschland, aus Österreich, aus Mitteleuropa, die hier großartige Arbeit geleistet haben und die sich in diesem Zusammenhang ein bisschen verlassen vorkommen von der Europäischen Kommission. Wir müssen uns um diese Riesengeschichte – sie ist noch nicht verjährt – kümmern. Das wäre mein Wunsch bei dem im Großen und Ganzen sehr erfreulichen Anlass, über den wir heute reden.
Ingeborg Gräßle (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das hohe Haus beschäftigt sich ja viel lieber mit dem Geldausgeben als mit den Einnahmen. Deswegen ist es das große Verdienst des Kollegen Staes, dass wir uns heute doch einmal der Bagatelle der Einnahmen zuwenden. Es geht hier immerhin um 17 Milliarden Euro an Mehrwertsteuer und Eigenmitteln und 14 Milliarden Euro an Zöllen, das sind fast 30%. Ich glaube, es ist gut, dass wir heute dies zum Thema machen.
Es gibt offensichtlich nur Gewinner und dazu kann man auch Ihnen, Herr Kommissar, nur gratulieren. Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist – auch in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten –, hier Wege zu finden. Es ist zwingend erforderlich, die Zukunft von OLAF, dem Amt zur Betrugsbekämpfung, zu stärken, damit es innerhalb der EU seine Rolle noch besser und effizienter spielen kann. Zu dem, was OLAF bis jetzt gezeigt hat und was wir jetzt auch vorliegen haben, kann man eigentlich nur gratulieren. Wir sind alle sehr stolz auf diese Erfolge, weil es ja auch diese Experten waren, die sie möglich gemacht haben. Dass man mit dem Dossier der gefälschten Tabakprodukte wirklich vorangekommen ist, dass auch die Mitgliedstaaten mitgezogen haben, das ist ja gerade bei diesem Thema nicht selbstverständlich.
Wir würden uns wünschen, dass dies auch bei anderen Vorgängen der Fall wäre, wenn es um den Schutz der finanziellen Interessen der Union geht, etwa auch im Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug. Dann hätten wir den wahren Gewinner, nämlich den europäischen Steuerzahler, der uns hierher geschickt hat und auch diese Erwartung hegt.
Ich glaube, dass die Fortsetzung des Kampfes gegen den Zigarettenschmuggel eine wichtige Aufgabe ist, dass der Einsatz eines Ermittlers von OLAF in Peking dringend nötig ist und dass wir die weltweite Präsenz verstärken müssen. Jetzt wäre die Frage an die Kommission, wie wir denn den Druck auf die anderen Zigarettenhersteller verstärken, damit sie sich dem Abkommen zwischen Philip Morris und der Gemeinschaft in den Mitgliedstaaten anschließen. Ich glaube, dass wir sehr gezielt überlegen müssen, wie wir das Follow-up jetzt gestalten und wie wir an diesem Thema dranbleiben, weil wir uns sonst ja selbst unglaubwürdig machen.
Paulo Casaca (PSE). – (PT) Unser Berichterstatter, und in diesem Fall auch die Europäische Kommission, verdienen unseren aufrichtigen Glückwunsch. Das war, soweit ich mich erinnern kann, der bislang größte Erfolg der Europäischen Union im Kampf gegen Schmuggel und Steuerbetrug.
Die Botschaft, die von unserem Berichterstatter schon verkündet wurde und jetzt von allen Rednern unterstützt wird, lautet jedoch, dass wir diesen Kampf auch in andere Bereiche tragen müssen. In der Hauptsache geht es doch darum sicherzustellen, dass im Verkehr mit allen Stoffen im gesamten Zollsystem sowohl die finanziellen Interessen der Europäischen Union und aller Mitgliedstaaten wirklich geschützt sind, und aus dieser Perspektive gesehen gibt es meiner Ansicht nach noch viel zu tun. Deshalb möchte ich vor allem die Europäische Kommission auffordern, die Angelegenheit noch beharrlicher zu verfolgen.
Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE). – (RO) Die Vereinbarung zwischen der Kommission und dem Unternehmen Philip Morris ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Finanzinstrument der Gemeinschaft gleichzeitig verschiedene Ziele verfolgt.
Einerseits wird die verarbeitende Industrie im freien Zugang zum Markt nicht eingeschränkt, während gleichzeitig ein 1,25 Milliarden schweres, vollständig von dem amerikanischen Unternehmen finanziertes Programm den Steuerbetrug durch die Einfuhr nachgeahmter Waren bekämpft.
Dennoch sollten sich viel mehr Mitgliedstaaten an der unterzeichneten Vereinbarung beteiligen.
Die Vereinbarung wurde 2004 getroffen, und in der Zwischenzeit sind Rumänien und Bulgarien, beides Länder an der EU-Außengrenze, Mitgliedstaaten geworden.
Der Vertrieb nicht angemeldeter Waren in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schlägt sich im europäischen Haushalt in sinkenden Verbrauchssteuern und in den Staatshaushalten in Einnahmeverlusten bei der Ertragssteuer nieder.
Es ist leider eine Tatsache, dass die Einfuhr gefälschter Waren in die Gemeinschaft über europäische Häfen erfolgt, die nicht mit modernsten Technologien, z. B. zum Scannen und Erfassen von Paletten, ausgestattet sind.
Da sich dies auch negativ auf die Zolleinnahmen der Europäischen Union auswirkt, erscheint es mir normal, dass die Modernisierung der Hafenanlagen mit finanzieller Unterstützung der Gemeinschaft erfolgt.
Wegen der zu niedrigen Preisen auf dem Markt angebotenen nachgeahmten Waren, fangen immer mehr junge Leute an zu rauchen, was die Sozialversicherungs- und Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten auf lange Sicht Unsummen kosten wird.
Von der Weltgesundheitsorganisation veröffentlichte Berichte zeigen, dass gefälschte Zigaretten in den meisten Fällen 75 % mehr Teer, 28 % mehr Nikotin und 63 % mehr Kohlenmonoxid enthalten.
Wenn wir die schädlichen Auswirkungen des Rauchens allgemein betrachten, also unabhängig davon, ob die Zigaretten legaler oder illegaler Herkunft sind, sollten wir auch über ein anderes Thema nachdenken: Während die Europäische Union einerseits Antiraucherkampagnen fördert, wird andererseits der Tabakanbau mit umfangreichen Subventionen unterstützt, was, so finde ich, im Widerspruch zur Europäischen Gesundheitspolitik steht.
Szabolcs Fazakas (PSE). – (HU) Danke, dass ich zu Wort komme. Herr Präsident, verehrter Herr Kommissar Kallas, meine Damen und Herren! Herr Staes hat recht, und ich beglückwünsche ihn an dieser Stelle zu seiner soliden, aber auch opferbereiten Arbeit und zu dem vorgelegten Bericht.
Die Europäische Union und ihre Institutionen – einschließlich der Kommission, des Europäischen Rechnungshofes, des Amts für Betrugsbekämpfung, des Europäischen Parlaments und des Haushaltskontrollausschusses – betrachten die 2004 unterzeichnete Vereinbarung mit Philip Morris und die Entwicklung und Folgemaßnahmen seitdem als wirkliche Erfolgsgeschichte, und das zu Recht.
Im Kampf gegen Schmuggel und Betrug ist uns ein entscheidender Schritt gelungen, nicht nur für die Händler und Verbraucher am Ende der Kette, sondern auch für einen großen internationalen Hersteller, der am Anfang steht. Diese Vereinbarung gleicht nicht nur bereits erlittene Verluste finanziell aus, sondern sorgt auch dafür, dass diese in Zukunft verhindert werden.
Es ist uns gelungen, Philip Morris davon zu überzeugen, dass es auch in seinem Interesse ist, eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung von Schmuggel und Steuerbetrug festzulegen und für die finanziellen Mittel zu sorgen, damit diese auch verwirklicht werden kann. Es ist besonders erfreulich, und für uns, als neue Mitgliedstaaten, auch sehr wichtig, dass diese Zusammenarbeit nicht auf die zehn Staaten beschränkt ist, die die Vereinbarung unterzeichnet haben, sondern dass auch die neuen Mitgliedstaaten, die besonders von Schmuggel und Steuerbetrug betroffen sind, davon profitieren. Dadurch werden die finanziellen und technischen Voraussetzungen für den Kampf gegen Schmuggel und Steuerbetrug geschaffen, wenn auch noch mit unterschiedlichem Erfolg.
Bogusław Liberadzki (PSE). – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich akzeptiere und befürworte den Bericht von Herrn Staes, der vor allem dazu führen wird, den Zigarettenschmuggel so weit wie möglich einzuschränken. Dies ist der starke Punkt dieses Berichts. Außerdem gibt er wichtige Ratschläge dazu, wie Zölle so effizient wie möglich erhoben werden können.
Als Abgeordneter aus einem Land mit sehr langen Ostgrenzen, ich meine Polen, möchte ich aber auf die Außengrenzen aufmerksam machen. Herbert Bösch hat völlig Recht, wenn er davon spricht, erfahrene Zollbeamte einzusetzen. Diese werden viel gründlicher vorgehen als Geräte und Systeme, und deshalb möchte ich Sie, Herr Kommissar, auffordern, sich diese Vorschläge und Empfehlungen gründlich anzusehen und sie sich zu Herzen zu nehmen. Effizienz und Effektivität beim Kampf gegen Schmuggel werden der entscheidende Faktor für den Ruf unserer Gemeinschaft sein.
Siim Kallas, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Vielen Dank für Ihre beständige Unterstützung in den hier angesprochenen Fragen. Ich muss sagen, das größte Problem besteht darin, dass sämtliche Zuständigkeiten für den Zoll und die Mehrwertsteuer bei den Mitgliedstaaten liegen.
Ich kann wirklich nicht begreifen, warum einige Mitgliedstaaten so zögerlich sind, einen größeren Spielraum für die Nutzung der Einrichtungen zu gewähren, die innerhalb der Institutionen der Europäischen Union bestehen. So hat sich OLAF in mehreren Fällen, etwa in der Sache Philip Morris und bei der Operation Diabolo zur Bekämpfung von Fälschungen, als außerordentlich wirksam erwiesen, und dies kann nicht ohne Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und nicht ohne Unterstützung durch spezielle Kommissionsdienststellen vonstatten gehen.
Rechtlich jedoch sind allein die Mitgliedstaaten dafür zuständig, ebenso für die Stärkung des Zolls durch Bereitstellung der notwendigen Mittel. Die Kommission tut, was sie kann, um diese Zusammenarbeit zu befördern. Ich muss sagen, dass ohne Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten eine effiziente, effektive Bekämpfung des Zigarettenschmuggels und vor allem des Mehrwertsteuerbetrugs unmöglich ist.
Ich meine, dass wir hier gemeinsame Interessen haben, und wir sollten uns ständig mit diesem Problem beschäftigen, um die Zusammenarbeit zu verstärken. Auch wurde die Vereinbarung mit Philip Morris – möglicherweise habe ich dabei die Übersetzung nicht richtig verstanden – zwischen zehn Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission einerseits und Philip Morris andererseits geschlossen, was wohl einmalig ist. Es waren die Kommission, ihr juristischer Dienst und OLAF, die diese Vereinbarung zustande gebracht haben, und – damit wende ich mich an Frau Gräßle – sie machen damit weiter. Ich denke, dass wir in der Zukunft etwas zu berichten haben werden.
Das Hauptproblem aber ist wirklich die Abneigung einiger Mitgliedstaaten, den Vorschlag für eine gegenseitige Amtshilfe zu akzeptieren, die als Plattform dienen kann. Wir bieten eine Plattform für die Zusammenarbeit an, und es gibt immer noch einige Mitgliedstaaten, einige größere Mitgliedstaaten (ich selbst habe versucht, bestimmte Minister des größten Mitgliedstaats dazu zu bewegen, gegenüber diesem Vorschlag größere Aufgeschlossenheit an den Tag zu legen)… Irgendwie besteht großes Misstrauen, aber als früherer Finanzminister weiß ich auch, dass die Bekämpfung des Mehrwertsteuer- und Zollbetrugs nur durch Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten möglich ist.
Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 11. Oktober 2007, statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Francesco Musotto (PPE-DE), schriftlich. – (IT) Als Berichterstatter über Betrugsbekämpfung in der EU freue ich mich über die Vereinbarung mit Philip Morris zur Bekämpfung des Zigarettenschmuggels unter Umgehung des Zolls. Zollbetrug ist eine der Hauptquellen für die Schädigung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, wobei die Zigarettenbranche einer der anfälligsten Bereiche ist.
Die jüngsten Einsätze von OLAF wie die Operation DIABOLO (135 Millionen beschlagnahmte Zigaretten, geschätzter Schaden 220 Millionen Euro) haben bewiesen, dass Zollbetrügereien bekämpft werden können und müssen: An erster Stelle steht dabei der Ausbau der operativen Fähigkeiten der europäischen Behörden. Die Vereinbarung mit Philip Morris kann als Beispiel nicht nur im Tabaksektor, sondern auch in anderen Bereichen der Bekämpfung von Fälschungen dienen. Die Einnahmen aus den Entschädigungen, die Philip Morris zahlen muss, etwa 1 Milliarde Euro, sollten zur Verstärkung des Kampfes gegen Fälschungen in der EU verwendet werden.
24. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll