Der Präsident. − Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission über die Beziehungen EU-Türkei.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr verehrte Damen und Herren! Zunächst möchte der Vorsitz dem Europäischen Parlament und insbesondere Frau Oomen-Ruijten für den Entschließungsantrag zu den Beziehungen EU-Türkei danken.
Der Vorsitz würdigt und begrüßt das aktive Engagement des Parlaments mit Blick auf den Erweiterungsprozess als konstruktiven Beitrag zur allgemeinen Debatte über die Erweiterung und insbesondere über den Beitrittsprozess der Türkei. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass sich mit jeder Debatte die hervorragende Gelegenheit bietet, ein Bewusstsein für den türkischen Beitrittsprozess zu schaffen, die Unionsbürger und die Türkei in diesen Prozess einzubinden und die türkische Regierung auf ihrem Weg zum Beitritt zu unterstützen.
Ich kann Ihnen versichern, dass wir den Standpunkten des Europäischen Parlaments besondere Bedeutung beimessen werden. Die Kommission wird in wenigen Tagen ihren regelmäßigen Fortschrittsbericht zum türkischen Beitrittsprozess vorlegen. Der Rat wird diesen Bericht gründlich prüfen und beurteilen.
In der Zwischenzeit möchte ich kurz auf einige Aspekte der gegenwärtigen Phase der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eingehen. Wir vertreten die Auffassung, dass die türkischen Wähler unlängst den Wunsch nach Demokratie, politischer wie wirtschaftlicher Stabilität und Fortschritt zum Ausdruck gebracht haben.
Ferner begrüßen wir den Ablauf der Wahlen, die hohe Wahlbeteiligung und die verbesserte Repräsentativität des türkischen Parlaments. Der Vorsitz teilt die Ansichten und Bedenken dieses Hohen Hauses bezüglich des Reformprozesses in der Türkei. Wir denken, dass die neue Regierung über eine größere Legitimität und ein eindeutiges Mandat verfügt, um den Reformprozess in der Türkei entschlossen voranzubringen und weiterzuentwickeln.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die neue Regierung den Reformen und ihrer Umsetzung in Schlüsselbereichen zu neuem Schwung verhilft. In diesem Zusammenhang erhält die Umsetzung der Beitrittspartnerschaft – insbesondere mit Blick auf die kurzfristigen Prioritäten – besonderes Gewicht. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Beitrittspartnerschaft in den kommenden Monaten überarbeitet werden muss. In dieser Hinsicht möchte ich ferner betonen, dass umfassende Konsultationen und ein nationaler Konsens zur neuen türkischen Verfassung vonnöten sind.
Auch wir denken, dass Reformen in den Schlüsselbereichen Grundfreiheiten und Menschenrechte wichtig sind. Es bedarf insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit sowie der kulturellen und Frauenrechte weiterer spürbarer Fortschritte sowie eines verstärktes Kampfes gegen Folter und Misshandlung. Die meisten dieser Themen sind in der Beitrittspartnerschaft als von der Türkei umzusetzende, kurzfristige Prioritäten aufgeführt.
Wir stellen mit Bedauern fest, dass vor allem mit Blick auf die Meinungsfreiheit trotz einer umfassenden öffentlichen Debatte zu dieser Frage keine Fortschritte zu verzeichnen sind. Außerdem bereiten uns die Zunahme des Nationalismus und die damit einhergehende Selbstzensur Bedenken. Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Meinungsfreiheit nur garantiert werden kann, wenn Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches aufgehoben oder grundlegend geändert wird. Für den Fortgang der Beitrittsverhandlungen sind Fortschritte in diesem Bereich unerlässlich.
Bei der Religionsfreiheit bedarf es vor allem nach den tragischen Ereignissen zu Beginn dieses Jahres dringend deutlicher Verbesserungen. Dazu gehört die lang erwartete Verabschiedung von Rechtsvorschriften, die alle Probleme von Nichtmuslimen – wie Rechtsstellung, Registrierung von Grundeigentum, Ausbildung von Geistlichen – betreffen, um in Übereinstimmung mit europäischen Standards den religiösen Pluralismus zu gewährleisten.
Das Stiftungsgesetz könnte in dieser Hinsicht ein positiver Schritt sein und wird nach seiner Annahme und Umsetzung gründlich geprüft. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs zum Ökumenischen Patriarchat bietet ebenfalls Anlass zu Besorgnis.
Wir teilen Ihre Ansichten zu den Beziehungen zwischen der Zivilregierung und dem Militär. Die jüngsten Entwicklungen – insbesondere vor und im Verlauf der Wahlkampagne – machen deutlich, dass in diesem Bereich weitere Maßnahmen notwendig sind, damit die Streitkräfte keinen politischen Einfluss ausüben können.
Es muss nach wie vor für eine zivile demokratische Kontrolle des Militärs nach dem Vorbild der EU-Mitgliedstaaten gesorgt werden.
Mit Blick auf den Südosten haben wir die jüngsten Terroranschläge in der Provinz Sirnak und auch weitere Terroranschläge in der Türkei mit aller Deutlichkeit verurteilt und werden dies auch weiterhin tun. Es gibt niemals eine Rechtfertigung für Terror. Wir möchten in dieser Hinsicht unsere Solidarität mit dem türkischen Volk bekräftigen. Andererseits dürfen wir über den Terrorismus nicht vergessen, dass unverzüglich eine umfassende Strategie entwickelt und umgesetzt werden muss, um die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung des Südosten zu gewährleisten. Dies ist ein weites Feld, das wir im Rahmen des laufenden Reformprozesses nicht aus den Augen verlieren werden.
Neben der Einhaltung der Kriterien von Kopenhagen werden wir die Fortschritte der Türkei bei den Beitrittsvorbereitungen daran messen, ob sie die Anforderungen erfüllt, die im Verhandlungsrahmen genau festgelegt sind. In diesem Zusammenhang werden, wie vom Rat im vergangenen Dezember beschlossen, die Fortschritte bei den unter die Erklärung vom 21. September 2005 fallenden Bereichen geprüft und beurteilt, dazu gehören vor allem eine vollständige und diskriminierungsfreie Umsetzung des Zusatzprotokolls des Abkommens von Ankara. Bedauerlicherweise konnten in dieser Frage bisher keinerlei Verbesserungen verzeichnet werden.
Ich möchte ferner hervorheben, dass die Anerkennung aller Mitgliedstaaten eine wichtige Voraussetzung für die Beitrittsprozess darstellt und dass es daher von grundlegender Bedeutung ist, dass die Europäische Union eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und allen Mitgliedstaaten herbeiführt.
Die Bemühungen um die Einhaltung der Unionsnormen und der mit der Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen sind umfangreich und erfordern kontinuierliche Anstrengungen und Entschlossenheit. Wir messen dem türkischen Beitrittsprozess besondere Bedeutung bei, und ich kann Ihnen versichern, dass der portugiesische Ratsvorsitz ebenfalls alles in seiner Macht Stehende unternehmen wird, um den Fortgang dieser Verhandlungen zu ermöglichen.
Eingegangene Verpflichtungen müssen erfüllt werden. Durch eine Fortführung des Reformprozesses und die Erfüllung bestehender Verpflichtungen kann der türkische Beitrittsprozess zum maßgeblichen Wohle aller türkischen Bürger voranschreiten. Nichtsdestotrotz ist grundsätzlich und vorrangig die Türkei für ein Fortschreiten des Beitrittsprozesses verantwortlich.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Frau Oomen-Ruijten für ihren fundierten Bericht danken. Der von ihr eingereichte Entschließungsantrag ist hart, aber fair.
Die Türkei befand sich in diesem Jahr mit der schweren Verfassungskrise und den großen politischen Spannungen in einer extrem schwierigen Lage. Trotz dieser Probleme fanden unter vollständiger Wahrung der demokratischen Grundsätze Parlaments- und Präsidentschaftswahlen mit sehr hoher Wahlbeteiligung statt.
Gewonnen hat am Ende die Demokratie. Das neue türkische Parlament spiegelt weitestgehend die politische Vielfalt im Land wieder, und wie Herr Lobo Antunes bereits sagte, kann sich die neue Regierung in ihrer Arbeit auf eine stabile Mehrheit und die breite Unterstützung der Bevölkerung stützen. Der Weg in die Zukunft ist in dieser Richtung frei. Nun ist die Zeit gekommen, um den Reformprozess wieder in Schwung zu bringen.
Aus diesem Grunde unterstützt die Kommission den auch im Entschließungsantrag verfolgten Grundansatz, der darin besteht, die Probleme zu erkennen und der Türkei bei der Lösung der politischen Aufgaben zu helfen. Das heißt, die Arbeit der neuen türkischen Regierung muss unterstützt werden, damit die Reformbemühungen vorankommen und den Anstrengungen schnell Taten folgen. Dies betrifft sowohl den Reformprozess als auch das Protokoll von Ankara.
Die Kommission begrüßt, dass die türkische Regierung die Verfassungsreform ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt hat mit dem Ziel, die Demokratie zu stärken und die Grundrechte zu erweitern. Dies darf aber nicht dazu führen, dass andere, derzeit dringend notwendige Reformen aufgeschoben werden, wie z. B. die Revision des berüchtigten Artikels 301 im türkischen Strafgesetz sowie anderer Paragraphen zur Meinungsfreiheit oder die Verabschiedung eines neuen Stiftungsgesetzes zur Sicherstellung der Religionsfreiheit.
Weitere Anstrengungen sind erforderlich, um die demokratische Ausrichtung des zivil-militärischen Verhältnisses zu sichern, die Rechte von Frauen, Kindern und Gewerkschaften zu schützen, das Rechtssystem zu verbessern und den Kampf gegen die Korruption zu verstärken.
Ich möchte kurz auf die letzten Ereignisse und die derzeitige Lage im Land eingehen, wobei wir uns eng mit der Ratspräsidentschaft und Herrn Solana abgestimmt und auch die Meinungen des Parlaments berücksichtigt haben. Die Türkei muss sich ständig grenzüberschreitender terroristischer Angriffe durch die PKK, die von der EU als terroristische Organisation eingestuft wurde, erwehren. Die Europäische Union verurteilt alle terroristischen Angriffe und versteht das Bedürfnis der Türkei, die eigenen Bürger zu schützen.
Die EU und die Türkei setzen sich beide für die Unabhängigkeit, Souveränität, Einheit und territoriale Integrität des Irak ein. Wir ersuchen die Türkei und den Irak auch weiterhin dringend, das Problem durch Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und unter Achtung des Völkerrechts zu lösen. Das neue gemeinsame Abkommen zwischen der Türkei und dem Irak zur Bekämpfung des Terrorismus bietet dafür die Grundlage.
Die türkischen Behörden sind verständlicherweise bemüht, sowohl die amerikanischen als auch die irakischen und irakisch-kurdischen Stellen in ihre Bemühungen einzubinden. Dabei werden gerade erste Erfolge sichtbar. Die letzte Woche im Parlament angenommene Entschließung sollte hier als Teil dieser gesamtpolitischen Strategie betrachtet werden.
Die Perspektive des EU-Beitritts hat sich für die Türkei als wichtigster Anreiz für die Durchführung von Reformen im Land erwiesen. Entsprechend unserem Kerngrundsatz der Konditionalität in der Erweiterungspolitik entscheidet die Durchsetzung von Reformen im Land auch über Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen.
Wenn wir jedoch diesen Grundsatz wirkungsvoll durchsetzen wollen, um politisch ernsthaft Druck auszuüben, damit Reformen angekurbelt werden, muss die Europäische Union auch den eigenen Verpflichtungen treu bleiben. Wir müssen Wort halten – pacta sunt servanda.
Alle Mitgliedstaaten unterstützen auch weiterhin Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, und es ist für die Glaubwürdigkeit der Union von grundsätzlicher Bedeutung, dass der Verhandlungsprozess in Einklang mit dem Verhandlungsrahmen vom 3. Oktober 2005 und dem Beschluss des Rates vom 11. Dezember 2006 fortgesetzt wird. Diese Beschlüsse hatten alle 27 Mitgliedstaaten einstimmig gefasst.
Daher sollten wir weitere Verhandlungskapitel öffnen, sobald diese technisch vorgeklärt sind. Zumindest zwei Kapitel – der Verbraucher- und Gesundheitsschutz sowie die transeuropäischen Netze – könnten schon in der kommenden Woche geöffnet werden. Wir möchten die Türkei dazu ermutigen, sich schon jetzt um die Erfüllung der für 13 Kapitel festgelegten Eröffnungskriterien zu bemühen.
Abschließend versichere ich Ihnen, dass Ihre Beiträge in dem am 6. November von der Kommission zu veröffentlichenden Fortschrittsbericht zum Türkei-Beitritt gebührend berücksichtigt werden.
Ria Oomen-Ruijten, im Namen der PPE-DE Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ich danke dem Rat und der Kommission für ihre freundlichen Worte. Die Aussprache heute und die Entschließung, vor deren Annahme wir stehen, richten sich in der Tat in erster Linie an die Kommission, denn wir beabsichtigen, dem Fortschrittsbericht etwas hinzuzufügen.
Allerdings richten sie sich auch an den Rat, der im Dezember als Reaktion auf den Fortschrittsbericht zusammentreten wird. Was machen wir in der Entschließung? Was machen wir im Text? Wir beschreiben den Fortschritt und die Vereinbarungen, die wir erzielt haben. Wir beschreiben ferner, was aus der Zusage der Türkei geworden ist.
Die Entschließung ist daher eine Zusammenfassung dessen, was erreicht wurde, enthält allerdings auch alle jene Dinge, die nicht erreicht wurden. Herr Präsident, sie beinhaltet darüber hinaus, was wir von der türkischen Regierung erwarten, denn jetzt ist die Gelegenheit, dem Reformprozess neue Impulse zu verleihen.
Ich möchte noch eine dritte Anmerkung machen: Wir haben versucht, die Debatte mit der Türkei zu vertiefen und auszudehnen. Das bedeutet, dass ich aus diesem Grund darum bitte, auf die Bereiche sozialer Zusammenhalt, Logistik, Verkehr und Energie zu achten.
Redefreiheit und Religionsfreiheit nehmen in unserem Text zu Recht eine wichtige Position ein. Die Verfassung, die neue Verfassung, sollte keine Entschuldigung dafür sein, nicht sofort alle Hebel in Bewegung zu setzen, um sicherzustellen, dass alle erforderlichen Reformen, insbesondere die bezüglich Artikel 301, durchgeführt werden.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Beziehung zu den Nachbarländern. Gute Beziehungen mit den Nachbarn sind unbedingt erforderlich. Wenn ich mir die Türkei und Armenien ansehe, heißt das, dass die Grenzen geöffnet werden müssen. Alle Wirtschaftsblockaden müssen beendet werden. Mehr noch – und das ist mein letzter Punkt – wenn ein Volk nicht zu seiner Vergangenheit steht, dann hat es keine Zukunft. Daher bitte ich die Kommission auch, die Türkei und Armenien in dieser Frage zu unterstützen.
Herr Präsident, zur PKK kann ich nichts mehr sagen, weil die Vorschriften in diesem Parlament mir nicht genügend Zeit lassen.
Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich möchte zuerst der Kollegin Oomen-Ruijten zu diesem sehr guten Bericht gratulieren, und ich danke ihr auch sehr für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.
In diesem Bericht gibt es mehrere Botschaften, die ich bei dem Besuch gemeinsam mit Martin Schulz in der Türkei die Gelegenheit hatte, auch den türkischen Autoritäten klar zu vermitteln. Erstens: Die Reformen müssen fortgesetzt, ja sie müssen sogar intensiviert werden. Von Herrn Kommissar ist schon der Artikel 301 des Strafgesetzbuches erwähnt worden und andere Reformen, die garantieren müssen, dass es in der Türkei auch wirklich die volle Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt gibt. Dies gilt natürlich auch für die Religionsfreiheit und viele andere Fragen, auf die meine Kolleginnen und Kollegen noch zu sprechen kommen werden. Der Reformprozess muss intensiviert werden.
Zweitens zur Kurdenfrage: Ich möchte hier ganz klar Stellung nehmen. Ich habe seit vielen Jahren, ja schon seit Jahrzehnten, versucht, meinen Beitrag zur Lösung der Kurdenfrage zu leisten. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo es möglich ist, die Kurdenfrage auch politisch-parlamentarisch zu lösen und von Gewalt abzusehen. Daher kann ich nicht verstehen, dass die PKK den Terrorismus fortsetzt. Ich kann es schon verstehen, weil die PKK keine friedliche Lösung möchte und es vielleicht auch manche beim Militär gibt, die keine friedliche Lösung haben wollen.
Wir allerdings sollten ein klares Signal geben, dass wir eine friedliche Lösung wünschen, wie es der Irak auch will. Wir hatten auch ein Gespräch mit dem Vertreter von Präsident Talabani in Ankara, der ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht hat, dass man nicht die Fortsetzung des PKK-Terrorismus, sondern eine politische Lösung will. Ich hoffe, dass inzwischen auch die Vertreter der kurdischen Regionalregierung zu der Einsicht gelangt sind, dass die Fortsetzung des PKK-Terrorismus nicht nur der Türkei, sondern auch dem Irak schadet.
Daher kann ich mich, können wir, die Sozialdemokraten, uns nur dem Appell anschließen: Die Türkei und der Irak müssen gemeinsam daran arbeiten, auf eine friedliche Art und Weise, in einer guten Kooperation, einschließlich der kurdischen Regionalregierung, den Terrorismus zu beenden. Andererseits muss die Türkei Angebote an die kurdische Bevölkerung im Land machen, damit diese sich in der Türkei wohlfühlen und das Land auch als ihre Heimat betrachten kann.
Alexander Lambsdorff, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch von mir zunächst einmal herzlichen Dank an die Berichterstatterin, Ria Oomen-Ruijten, aber auch an Jos Lagendijk und Hannes Swoboda für die wirklich gute Zusammenarbeit bei der Erarbeitung dieser Entschließung. Ich glaube, es ist ein guter Text, ein von überraschend viel Konsens gekennzeichneter Text, den wir hier erarbeitet haben. Ich finde das sehr gut.
Für meine Fraktion will ich die wichtigsten Aussagen hier noch einmal hervorheben und unterstreichen. Erstens, diese Entschließung ist ein positives, konstruktives Signal in Richtung Türkei. Wir begrüßen es, dass die Verfassungskrise des Sommers überwunden werden konnte; wir begrüßen es, dass die neue Regierung ein starkes unzweideutiges Mandat für weitere Reformen bekommen hat. Wir fordern allerdings auch in aller Deutlichkeit, dass dieses Mandat genutzt wird, um die Reformen auch tatsächlich voranzutreiben.
Wichtig ist dabei, und das steht auch in der Entschließung, dass diese Reformen zu allererst wichtig sind für die Türkei selber, für die türkische Bevölkerung, für die türkische Gesellschaft und für die türkische Volkswirtschaft. Die Türkei muss sich eigenständig und kontinuierlich verbessern. Ich bin froh, dass der Konsens darüber in der Türkei gewachsen ist. Insbesondere im April-Programm ist er zum Ausdruck gekommen. Es ist gut, dass das weiterhin der Fall ist.
Für uns gilt, dass die Kopenhagener Kriterien weiterhin die entscheidende Messlatte für die Verhandlungen sind, genauso wie die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union weiterhin ein wichtiges und unentbehrliches Kriterium bleibt.
Insbesondere in folgenden Bereichen sind dringend Reformen notwendig; einige sind bereits erwähnt worden: Das Strafrecht. Artikel 301 ist hier erwähnt worden, vollkommen klar. Ich denke, wir sollten langsam auch den Artikel 252 in die Debatte miteinbeziehen. Die Beleidigung des Andenkens von Kemal Mustapha Attatürk ist ein Problem, auch das ist eine Einschränkung der freien Rede.
Zweiter wichtiger Punkt ist die Verbesserung der Situation der Frauen. Die Anzahl der Ehrenmorde gibt nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis. Die Verfassungsreform muss vorangehen. Fundamentale Menschenrechte und persönliche Freiheiten müssen geschützt werden. Ich füge hinzu, dass aus unserer Sicht auch das Wahlrecht ein Problem ist. Eine 10%-Hürde kennt sonst niemand in der OSZE.
Lassen Sie mich abschließend sagen, dass wir Verständnis haben für die schwierige Lage in der Türkei angesichts der dramatischen Entwicklung im Südosten an der türkisch-irakischen Grenze. Wir verurteilen unzweideutig den Terror der PKK in den letzten Wochen, und ich möchte im Namen meiner Fraktion den Familien der getöteten Soldaten unser Beileid aussprechen.
Wir fordern die türkische Regierung auf, umsichtig auf diese Situation zu reagieren. Wir haben keine Anzeichen dafür, dass das nicht der Fall wäre. Wichtig ist aber, dass Maßnahmen, die getroffen werden, um die Bedrohung des türkischen Territoriums zu verringern, folgende Bedingungen erfüllen: Sie müssen geeignet, verhältnismäßig und zeitlich und räumlich begrenzt sein. Es gibt in der Europäischen Union Verständnis für die schwierige Lage. Aus türkischer Sicht ist es wichtig, dass dieses Verständnis erhalten bleibt. Eine friedliche Lösung ist selbstverständlich unser oberstes Ziel.
Die heutige Entschließung ist ein wirklich konstruktives Signal für einen guten Dialog mit der Türkei. Die Türkei wird weiterhin ein sehr wichtiger Partner der EU bleiben und muss in ihrem eigenen Interesse die Reform jetzt entschieden vorantreiben.
Sebastiano (Nello) Musumeci, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein Jahr nachdem dieses Haus die letzte Entschließung über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei verabschiedet hat, ist es traurig feststellen zu müssen, dass einige grundlegende Fragen noch immer auf tragische Weise aktuell sind. Die Türkei erkennt Zypern, das in jeder Hinsicht ein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, nicht an. Die Pressfreiheit ist nach wie vor eingeschränkt, weil Paragraf 301 des Strafgesetzbuches noch nicht geändert wurde, und die Türkei besteht weiter darauf, den Völkermord an der armenischen Bevölkerung von 1915 nicht anzuerkennen.
Die jüngsten fürchterlichen Terroranschläge der PKK, die darauf folgende harte Reaktion der türkischen Armee und die Drohung, im nördlichen Teil des Irak einzugreifen, wenn die PKK ihre terroristischen Aktivitäten nicht ein für allemal unterlässt: Diese Faktoren verschlimmern die gefährliche und empfindliche geopolitische Lage, in der sich die Türkei befindet.
Natürlich konnten einige Fortschritte erzielt werden. Ich denke da insbesondere an die gestiegene Anzahl der Frauen im neu gewählten türkischen Parlament, in Wirtschaftskreisen und in der akademischen Welt. Aber wir müssen uns jetzt mehr denn je fragen, ob das Europa von morgen eine große politische Einheit sein oder eine starke kulturelle Identität haben soll, denn diese Unsicherheiten spielen der Türkei, die nicht aufhören möchte, sie selbst zu sein, zu.
Joost Lagendijk, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Aussprache wird leider von den Terroranschlägen in der Türkei überschattet. Ich hätte lieber darüber gesprochen, wie wünschenswert es ist, die Reformen wieder aufzunehmen. Leider bin ich zu dem Schluss gekommen, dass trotz vieler schöner Worte in der Praxis bisher viel zu wenig dabei herausgekommen ist. Indes ist die wichtigste Frage meiner Auffassung nach jetzt: Was sollte die Türkei unseres Erachtens tun?
Lassen Sie uns diese Aussprache ohne Heuchelei führen, meine Damen und Herren. Jeder von uns weiß oder sollte wissen, dass es auf dieses teuflische Dilemma keine einfachen Antworten gibt. Einerseits stellen wir fest und wissen wir, dass ein Land, in dem im vergangenen Monat fünfzig Menschen getötet wurden, reagieren muss, während gleichzeitig vielen von uns bewusst ist – und dazu gehören meines Erachtens auch viele Mitglieder der türkischen Regierung – dass aufwändige militärische Operationen keine Lösung sind. Sie werden die PKK nicht entwurzeln, sie verursachen immense diplomatische und politische Schäden und – und das ist das Wichtigste – sie erschweren eine Lösung des kurdischen Problems in der Türkei beträchtlich.
Lassen Sie uns deshalb hoffen, dass alle derzeitigen Versuche, eine diplomatische und politische Lösung zu finden, erfolgreich sein werden. Letztlich liegt das Problem nicht in den irakischen Bergen, das Problem liegt in der Türkei, aber die Lösung des Problems – des kurdischen Problems – ist nicht Türken gegen Kurden. Meiner Meinung nach ist das Problem eines der Probleme, die es in der Türkei gibt und bei dem sich Türken und Kurden, die wissen, dass die einzige Lösung des Problems eine politische Lösung ist – die AKP und die DTP – und Radikale sowohl auf der türkischen als auch auf der kurdischen Seite, die nicht an einer politischen Lösung interessiert sind und glauben, militärische Gewalt könne helfen, gegenüberstehen: auf der türkischen Seite die Armee und ein Teil der Opposition und auf der kurdischen Seite die PKK.
Lassen Sie uns klare Worte sprechen: Die gegenwärtigen Übergriffe der PKK sind natürlich gegen den türkischen Staat gerichtet, jedoch sind sie auch ein Angriff der kurdischen DTP-Partei im türkischen Parlament, die nach einer politischen Lösung des Problems strebt. Deshalb ist es so wichtig, dass dieses Parlament die PKK und ihre Terroranschläge streng verurteilt und gleichzeitig die Unterstützung all jener auf der kurdischen und auf der türkischen Seite zum Ausdruck bringt, die versuchen, eine friedliche politische Lösung für dieses Problem zu finden.
Kyriakos Triantaphyllides , im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Vor dem Hintergrund eines möglichen EU-Beitritts der Türkei ist die Kommission und damit die gesamte Union aufgefordert, in den kommenden Tagen zu beurteilen, ob die Türkei in den unterschiedlichen Bereichen der Übernahme und praktischen Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstands Fortschritte erzielen konnte.
Wir haben erklärt, dass der Türkei ein Beitritt gestattet werden sollte, sofern sie sämtliche Kopenhagener Kriterien erfüllt und den Verpflichtungen gerecht wird, die sie gemäß dem Verhandlungsrahmen und dem Zusatzprotokoll eingegangen ist. In unseren Augen können Kompromisslösungen nicht zu den Ergebnissen führen, die sich die Türkei oder die Union erhoffen. Wir möchten hervorheben, dass die Türkei einige Fortschritte erzielen konnte, doch erneut darauf hinweisen, dass sich die Türkei für einen problemlosen Beitritt ein Beispiel an früheren Beitrittskandidaten nehmen sollte und ihre Verpflichtungen gegenüber der gesamten EU im Rahmen des Übereinkommens einhalten muss. Demzufolge ist die Türkei gehalten, ihre Verpflichtungen gegenüber Zypern zu erfüllen, ihre See- und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge der Republik Zypern zu öffnen und das Veto gegen die Beteiligung Zyperns in internationalen Organisationen und an multilateralen Verträgen aufzuheben.
Als linke Fraktion und insbesondere als AKEL (zyprische Fortschrittspartei des werktätigen Volkes) sind wir zuversichtlich, mit der Aussicht auf einen EU-Beitritt sicherstellen zu können, dass die Türkei ihre Verpflichtungen einhält, insbesondere was den Abzug der türkischen Besatzungstruppen aus Zypern betrifft.
Ferner sind wir der Auffassung, dass wir Druck ausüben können, wenn wir die Türkei auf ihrem Weg in die EU unterstützen, vorausgesetzt, sie kommt gleichzeitig ihren Verpflichtungen gegenüber der EU nach. Diese lauten wie folgt: Verteidigung und Achtung der Menschenrechte aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich der Kurden und anderer Minderheiten; Anerkennung des Völkermords an den Armeniern und Öffnung der Grenze nach Armenien, mit allen sozioökonomischen Folgen, die dies mit sich bringen wird.
Wenn die Türkei ihren Weg zum Beitritt fortsetzen und erfolgreich abschließen will, dann liegt auf der Hand, dass sie Maßnahmen und Strategien ergreifen muss, um eine vollständige Übernahme und praktische Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstands und die uneingeschränkte Achtung des Völkerrechts sicherzustellen, auf das sich die EU bei ihrer Arbeit letztendlich stützt.
Georgios Georgiou, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Wir haben Erstaunliches vernommen, und zwar von keinem Geringeren als dem zuständigen Kommissar, der geradeheraus diejenigen als Terroristen gebrandmarkt hat, die sich selbst als Freiheitskämpfer bezeichnen. Ich frage mich, ob wir nicht ein bisschen voreilig mit unserer Behauptung sind, die Türkei würde von allen Seiten angegriffen. Dieses Land hat Truppen in einem EU-Mitgliedstaat stationiert, und ist nicht das erste und einzige Land, das sich den Forderungen der EU beugen muss.
Abschließend möchte ich auf eine weitaus technischere Frage eingehen. Der türkische Ölpreis lag kurz vor den aufregenden Ereignissen an der Ostgrenze bei 76 USD pro Barrel; dank der Waffen, die das Land stets zur Lösung seiner Probleme zum Einsatz bringt, ist der Ölpreis auf mehr als 90 USD pro Barrel gestiegen.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Philip Claeys, im Namen der ITS-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Während der Diskussion über die Entschließung im Ausschuss schien es, als hätte das Parlament insgesamt schon halb geschlafen. Leichte Kritik wird als eine reine Formalität vorgebracht, aber abgesehen davon scheint es, als müssten wir den Beitritt der Türkei als einen „Fait accompli“ hinnehmen.
Allerdings hat die Türkei seit Aufnahme der Verhandlungen kaum einen Fortschritt gemacht. Ich verweise z. B. auf einen unlängst erschienenen Bericht von Amnesty International über die Menschenrechtssituation und die Behandlung von Minderheiten. Die Position der Türkei zu Zypern wird kaum noch erwähnt. Mehr noch, es besteht die ernste Gefahr, dass die Türkei vor einem aufwändigen Militärangriff des Irak steht. Dann wären wir mit einer Situation konfrontiert, in der ein Beitrittsland nicht nur einen Teil des Gebietes eines Mitgliedstaates mit seinen Truppen besetzt, sondern darüber hinaus eine Art lokalen Krieg in einem anderen Nachbarland, in diesem Fall Irak, führen wird.
Herr Präsident, die Mehrheit der europäischen Bevölkerung ist gegen den möglichen Beitritt der Türkei. Der Grund dafür ist, dass die Türkei kein europäisches Land ist und somit nicht in die Europäische Union gehört. Anstatt die Glaubwürdigkeit Europas noch stärker zu untergraben, täten wir besser daran, statt einer vollen EU-Mitgliedschaft in aller Offenheit und vorbehaltlos eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei zu verfolgen.
Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Ich stelle besonders auf Seiten der Kommission eine Tendenz fest, den nichteuropäischen Teil der Türkei im bestmöglichen Licht darzustellen. Angesichts der bereits fließenden Heranführungshilfen ist das vielleicht keine Überraschung, doch wir müssen unangenehmen Wahrheiten ins Auge blicken. Ehrenverbrechen, grobe Menschenrechtsverletzungen, mangelnder Schutz nicht-muslimischer Minderheiten, keinerlei Religionsfreiheit sowie antichristliche Übergriffe und Propaganda bereiten mir die größten Sorgen.
Auch in diesem Jahr gab es wieder tödliche Angriffe auf Christen, wie z. B. den Mord an drei Männern in Malatya im April. Echte Religionsfreiheit ist oftmals der Prüfstein für die beständige Verpflichtung eines Landes zur Wahrung der Menschenrechte. Im Falle der Türkei ist da noch viel zu tun. Der rechtliche Status religiöser Gemeinschaften, die Eigentumsrechte und nicht zuletzt das Recht auf freien Gottesdienst und freie Glaubenswahl müssen respektiert werden.
Werner Langen (PPE-DE). - Herr Präsident! Ich möchte der Kollegin Oomen-Ruijten zuerst danken, dass sie, auch als Vorgabe des Parlaments an die Kommission, diesen Bericht vorgelegt hat, der für die Stellungnahme zum Fortschrittsbericht beachtet werden sollte.
Die Türkei hat innenpolitische Probleme überwunden, die Regierung hat ein klares Mandat, das Referendum am Sonntag für die Änderung der Präsidentenverfassung war erfolgreich und es gibt keinen Grund mehr, jetzt noch weiter mit den Reformen zu zögern. Deshalb mein erster Appell an die türkische Regierung: Wenn sie es ernst meint mit dem Weg hin zu Europa, dann muss sie die Reformintensität erhöhen! Im letzten Jahr ist hier relativ wenig geschehen, wie wir alle wissen.
Zweitens: die Reformen dienen in erster Linie der türkischen Bevölkerung selbst, sind kein Selbstzweck oder keine Schikane Europas, sondern in einer Demokratie müssen diese Defizite bei Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Frauenrechten, Minderheitenrechten, Wahlrecht etc. aufgearbeitet und aus eigenem Antrieb abgebaut werden.
Ich will ein Thema erwähnen, nämlich die Armenierfrage. Gerade als Deutscher glaube ich, dass wir in dieser Frage von der Türkei ein klares Bekenntnis zur historischen Verantwortung einfordern können. Denn die Weigerung bisher, sich dazu klar zu äußern und die Blockaden gegenüber Armenien aufzulösen, ist ein Punkt, der weiter in den Gesprächen eine Rolle spielen muss. Wir haben im Augenblick – Kollege Swoboda hat das ja erwähnt – zu befürchten, dass es militärische Auseinandersetzungen im Kurdengebiet, Grenzüberschreitungen im Irak, geben wird. Wir bevorzugen ganz klar eine diplomatische Lösung, eine Verhandlungslösung gegenüber einer militärischen Lösung. Ich kann die Position der Sozialdemokraten in dieser Frage nur uneingeschränkt unterstützen.
Im Endeffekt muss die Türkei selbst entscheiden, ob und wie sie den Weg nach Europa gehen will. Für uns ist das Ziel einer Vollmitgliedschaft nicht der einzige Weg, sondern ausdrücklich sind die Verhandlungen ergebnisoffen gewesen, und es wird auch an der Türkei liegen, ob sie diesen Weg offensiv beschreiten will, nicht nur daran, ob Europa selbst aufnahmefähig ist.
Jan Marinus Wiersma (PSE). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte der Berichterstatterin Frau Oomen-Ruijten ein Kompliment aussprechen. Meine direkte Antwort auf Herrn Langens Anmerkung ist, dass wir in meiner Fraktion definitiv über Verhandlungen mit dem Ziel der Mitgliedschaft in der Europäischen Union sprechen!
Die Entschließung, über die wir heute diskutieren, soll die türkische Regierung ermutigen, bei allem, was sie tut, weiter in diese Richtung zu gehen. Dazu ist Ministerpräsident Erdoğan von den türkischen Wählern mit einem starken Mandat ausgestattet worden. Das versetzt ihn in der Tat in die Lage, die Reformen voranzubringen. Wir erwarten jetzt zügig Ergebnisse und hoffen aus diesem Grund, dass die Kommission dazu bald einen Fortschrittsbericht vorlegen wird.
Wir sollten dringende Fragen natürlich nicht übersehen. Meines Erachtens wäre es ein äußerst wichtiger symbolischer Schritt mit einer enormen, weit verbreiteten Wirkung, wenn die türkische Regierung in Sachen Artikel 301 etwas unternehmen würde, wenn sie ihn außer Kraft setzen oder neu formulieren würde. Es würde zu der notwendigen Offenheit der Türkei für die Debatte, einschließlich der Debatte über Fragen der Vergangenheit, führen. Damit komme ich zur armenischen Frage. Nach unserem Dafürhalten ist es sehr wichtig, dass darüber eine interne Debatte in der Türkei geführt wird, aber das zu organisieren ist im Wesentlichen die Aufgabe der Türkei selbst, und es ist nicht so sehr die Aufgabe des Parlaments oder des US-Repräsentantenhauses, zu versuchen, dies zu erzwingen. Es ist vor allem eine interne Angelegenheit. Wir können helfen, aber es gibt keinen wirklichen Grund, dafür, dass wir hier fortwährend von außen Druck ausüben.
Die neue Verfassung ist angekündigt worden. Unserer Meinung nach eröffnet das auch Möglichkeiten, endlich eine politische Lösung der Kurdenfrage zu erreichen. Ich teile die Ansicht jener, die sagen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun sollten, um eine militärische Eskalation im Norden Iraks zu verhindern, aber wir können das nur, wenn wir uns zunächst von den Terroranschlägen der PKK distanzieren und die PKK auffordern, damit aufzuhören.
Zweitens müssen wir die Türkei auch in ihrem Dialog mit dem Irak und den irakischen Behörden unterstützen, ebenso wie in ihrem Dialog mit regionalen Behörden in Kurdistan-Irak, mit dem Ziel, in der Praxis zu kooperieren und diesen Anschlägen ein Ende zu setzen. Wir begrüßen neue diplomatische Initiativen, jedoch sind wir der Auffassung, dass vor allem eine praktische Zusammenarbeit in der Region selbst zu einem Rückgang und einem Ende der Gewalt führen wird.
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ratspräsidentschaft sagt, es hänge von der Türkei ab, und viele Kolleginnen und Kollegen haben diese Äußerung wiederholt, auch Herr Langen, der sagte: „Sie muss selbst entscheiden.“ Nun, ich denke nicht, dass dem so ist. Meiner Meinung nach muss Europa selbst Verantwortung übernehmen.
Das ist nicht nur ein Problem mit Blick auf die Türkei und deren Erfüllung der formalen Beitrittskriterien. Die Wahrheit ist, dass Europa, Europas Regierungen – beginnend, aber nicht nur, mit der französischen Präsidentschaft –, in den vergangenen Monaten die Botschaft ausgesendet haben, die Türkei werde der Europäischen Union nicht beitreten. Der Bericht Oomen-Ruijten geht von dieser Annahme aus und der Text ist möglicherweise der Beste, der in diesem Hause entstehen konnte, aber wir müssen den Mut haben, den Gesamtkontext zu ändern: Die Europäische Union ist zum Teil verantwortlich für die gegenwärtige politische und militärische Krise an der Grenze zwischen der Türkei und dem Irak, weil wir der Türkei politisch betrachtet die Tür vor der Nase zugeschlagen haben, obwohl die entsprechenden Verhandlungen fortgesetzt werden.
Was wir benötigen, ist ein großer Schritt nach vorn, wobei die Europäische Union, die Regierungen, mit Blick auf den Beitritt zu Europa, ausdrücklich einen politischen Bericht über das Individualrecht der auf türkischem Boden lebenden Bürger auf Demokratie und einen Rechtsstaat fordern. Das könnte der Türkei auf dem Weg in Richtung Europa und nicht in Richtung Naher Osten helfen.
Feleknas Uca (GUE/NGL). - Herr Präsident! Leider wird die heutige Abstimmung über die Entschließung des Parlaments zur Türkei von traurigen und besorgniserregenden Entwicklungen überschattet.
Letzten Mittwoch hat die türkische Nationalversammlung mit überwältigender Mehrheit einem türkischen Militäreinsatz im Nordirak grünes Licht erteilt. Seitdem erreichen uns traurige Nachrichten über Tote und Gefallene an der türkisch-irakischen Grenze, über blutige Kämpfe und Gefechte, über den türkischen Beschuss nordirakischer Dörfer, über Anschläge auf kurdische Einrichtungen und DTP-Parteibüros, über Lynchversuche aufgebrachter Nationalisten gegen ihre kurdischen Mitbürger. Dabei waren die Signale, die nach der Beilegung der Staatskrise Ende August von der Türkei ausgingen, so erfolgversprechend. Von einer neuen zivilen Verfassung war die Rede, von weiteren Reformen und verstärkten Reformbemühungen, die noch ungelösten Fragen in Angriff zu nehmen. Diesen positiven Signalen und Entwicklungen in der Türkei wollten Sie, Frau Oomen-Ruijten, und ein Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen nach dem letztjährigen Stillstand in den Reformbemühungen der Türkei Rechnung tragen.
Der Entschließungsantrag ist ausgewogen und fair in seiner Bewertung und Beurteilung. Doch angesichts der jüngsten Entscheidung der Türkei, der unverhohlenen Drohung mit einem militärischen Einmarsch, um damit die territoriale Integrität des Iraks zu verletzen, frage ich mich schon, welche Ziele die Türkei hiermit wirklich verfolgt. Geht es wirklich um die PKK? Denn in den vergangenen Jahren hat das türkische Militär bereits 24 grenzüberschreitende Operationen durchgeführt und keine hat dauerhaften Erfolg gebracht. Warum sollte es gerade dieses Mal anders sein? Oder geht es vielleicht um die Ölvorkommen in der Region um Kirkuk und die Absicht der Türkei, den autonomen Status der Kurden im Nordirak zu beseitigen?
Fest steht auf jeden Fall, dass die Lösung der Kurdenfrage mit einem Einmarsch in den Nordirak nicht gelöst werden kann. Fest steht für mich aber auch, dass die Türkei vor den Augen der Europäischen Union und der internationalen Gemeinschaft nicht gegen internationales Recht verstoßen und die Souveränität des Iraks verletzen kann. Europa muss jetzt Verantwortung übernehmen und sich aktiv an der Entwicklung einer Strategie zur Lösung der Kurdenfrage beteiligen. Denn in dieser Frage liegt der Schlüssel für die eigentliche Befriedung und Demokratisierung der Türkei.
Bastiaan Belder (IND/DEM). – (NL) Herr Präsident! In einem unlängst in der niederländischen Presse erschienenen Interview führte Kommissar Rehn vorbehaltlos auf, welche Reformen in der Türkei für die EU am dringlichsten seien. Ich zitiere: „Sie betreffen die Bereiche der Rede- und Religionsfreiheit, grundlegende Prinzipien der Demokratie“.
Ich danke dem Kommissar für diese klare Stellungnahme. Es veranlasst mich auch, seine Aufmerksamkeit auf ein Dokument der Türkischen Union Protestantischer Kirchen zu lenken. In dem Dokument vom 1. September 2007 werden die ernste Notlage der türkischen Protestanten und deren Besorgnis über die nicht vorhandene Religionsfreiheit beschrieben. Herr Kommissar, ich bin voller Vertrauen, dass Sie mit ihren türkischen Gesprächspartnern offen über die unsichere Position der türkischen Protestanten bzw. aller türkischen Christen in der türkischen Gesellschaft sprechen werden.
Die Symptome zu behandeln, reicht wirklich nicht aus, Herr Präsident. Medien und Politiker erzeugen ein sehr intolerantes, gefährliches Klima für nicht muslimische Minderheiten in der Türkei. Auch hier schreit die Lage nach einer umgehenden Reaktion aus Brüssel in Richtung Ankara. Ich werde dem Kommissar ein zweites Dokument zu diesem Thema aushändigen und erwarte voller Ungeduld eine rasche schriftliche Antwort von ihm.
Andreas Mölzer (ITS). - Herr Präsident! Ich habe mir vor einigen Tagen im türkisch besetzten Teil Zyperns ein Bild von der systematischen Zerstörung von etwa 500 griechisch-christlich-orthodoxen Kirchen machen können, von der Zerstörung europäischen Kulturguts, das unwiederbringlich vergangen ist und unwiederbringlich kaputt gemacht wurde. Dies ist meines Erachtens ein Vorgehen, das ebenso klar dem europäischen Geist widerspricht wie die nach wie vor nicht vorhandene Toleranz gegenüber Christen und anderen Minderheiten. Oder etwa die Beleidigung des Türkentums, mit dem die Presse- und Meinungsfreiheit unterdrückt wird, ganz zu schweigen von den nach wie vor anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, dem nicht aufgearbeiteten Armeniergenozid und der fortschreitenden Islamisierung.
Schon gar nicht kann es sein, dass ein Beitrittskandidat Teile eines EU-Mitgliedstaats militärisch besetzt hält, eben Nordzypern, oder gar nunmehr einen militärischen Angriff gegen ein anderes Land plant wie jetzt gegen den Irak.
Brüssel wird nicht müde zu betonen, dass für einen EU-Beitritt die Einhaltung von Grundrechten, vor allem Religions- und Meinungsfreiheit, von höchster Bedeutung sei. Im Falle der angestrebten türkischen Mitgliedschaft sind das eindeutig nichts als leere Worte.
Ioannis Kasoulides (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Eingangs möchte ich Frau Oomen-Ruijten zu ihrem Bericht gratulieren.
Und nun zu einer aktuellen Frage: Herr Präsident, was wird passieren, wenn der Beitrittskandidat Türkei die Ermahnungen der EU ignoriert und im Nordirak einmarschiert? Welche Absichten verfolgt die Türkei? Geht es möglicherweise darum, die Situation auf Zypern zu beeinflussen oder Territorium im kurdischsprachigen Teil des Irak zu besetzen und damit die Bemühungen um eine Stabilisierung des Irak, die auf vielen und auch auf Seiten europäischer Staaten unternommen werden, weiter zu erschweren? Warum kann es Mitgliedstaaten oder Beitrittskandidaten gestattet sein, als Störfaktoren in einer Region aufzutreten, in der europäische Soldaten im Einsatz für Stabilität ihr Leben lassen?
Ich möchte Sie daran erinnern, dass türkische Truppen 40 % von Zypern besetzt halten. Dies hat das Land nicht daran gehindert, Beitrittsgespräche aufzunehmen. Darf ich Sie daran erinnern, dass die Türkei noch immer nicht der Forderung der EU nachgekommen ist, das Ankara-Protokoll auszuweiten. Ich bin gespannt, wie der Bericht der Europäischen Kommission, der am 6. November vorgelegt werden soll, mit diesem Sachverhalt umgeht. Wenn die Botschaft Toleranz lautet, warum sollen wir dann nicht Toleranz mit Blick auf zahlreiche weitere Grundsatzfragen und Werte, auf die sich die EU beruft, walten lassen?
Letzten Endes lautet die Schlüsselfrage doch: Geht es uns darum, unsere gemeinsamen Werte zu verbreiten oder ihren Einflussbereich zu schmälern?
Béatrice Patrie (PSE). – (FR) Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst Lob an Frau Oomen-Ruijten für die konstruktive Botschaft, die wir gerade an den Rat und an die Kommission richten, aber auch an die türkische Regierung und das türkische Parlament.
Ich bedauere jedoch, dass sich unser Parlament zu einer Frage, die zweifellos heikel, jedoch nicht weniger wichtig ist, nicht klarer geäußert hat: Ich spreche von der Frage des Völkermords an den Armeniern. Bereits 1987 hat unser Parlament das zwischen 1915 und 1917 organisierte Massaker an 1,2 Millionen Armeniern, das heißt zwei Dritteln der armenischen Bevölkerung, die zu jener Zeit im Osmanischen Reich lebte, als „Völkermord“ bezeichnet. Der Senat und das Repräsentantenhaus der USA haben dies ebenfalls getan, und ich bedauere, dass unser Parlament an die amerikanischen Positionen zu diesem Thema nicht heranreicht.
Wie kürzlich in einer Pressemitteilung der Internationalen Föderation für Menschenrechte hervorgehoben wurde, werden zahlreiche türkische Bürger auf der Grundlage von Artikel 301 des Strafgesetzbuchs wegen Verunglimpfung des Türkentums verfolgt. Um diesen Zeitraum der Geschichte öffentlich anzusprechen, muss dieser Artikel meiner Ansicht nach so bald wie möglich außer Kraft gesetzt werden. Wir erweisen unseren türkischen Freunden keinen Dienst, wenn wir sie ihre Geschichte vergessen lassen. Dieses Erinnerungsgebot ist auch eine Pflicht gegenüber den Nachkommen der Überlebenden dieses Völkermords und gegenüber der internationalen Gemeinschaft selbst. Ich rufe also unser Parlament dazu auf, alle Änderungsanträge, die eine Anerkennung des Völkermords an den Armeniern fordern, wie auch Änderungsanträge, die die Notwendigkeit der absoluten Wahrung der Glaubensfreiheit und von Minderheitenrechten unterstreichen, zu unterstützen.
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Die Türkei ist ein politisch, wirtschaftlich, militärisch und kulturell bedeutendes Land, und daher auch wichtig für die EU. In diesem Bewusstsein hat sich die EU zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entschlossen. Der Weg zu diesem Beitritt ist immer noch steinig, aber er trägt dazu bei, in der Türkei ein dringend notwendiges demokratisches Reformprogramm in Gang zu bringen.
Sowohl die EU als auch die Bürger in der Türkei begrüßen diese Reformen. Sie müssen fortgesetzt werden, und zumindest aus diesem Grund, sollten wir an der Unterstützung des Türkeibeitritts festhalten. Niemand verleugnet, dass es Probleme gibt. Mein Heimatland, Zypern, steht im Mittelpunkt eines dieser Probleme, doch wie die meisten in diesem Haus, ist auch mir klar, dass sich Probleme nicht durch Auseinandersetzungen, sondern nur durch friedliche Verhandlungen lösen lassen.
Mit einer europäischeren Türkei lassen sich Probleme viel besser diskutieren und lösen, daher unterstütze ich den EU-Beitritt der Türkei voll und ganz. Demzufolge billige ich auch den Kompromiss, den wir dem klugen Vorgehen von Frau Oomen-Ruijten in ehrlicher, fruchtbarer Zusammenarbeit mit allen interessierten Kollegen zu verdanken haben. Auch wenn sie in Einzelfragen anderer Meinung sind, stimmen doch alle zu, dass die EU durch konstruktive Zusammenarbeit mit dem türkischen Volk grundsätzlich mehr erreichen kann als durch destruktive Verstimmung.
Die Türkei befindet sich zurzeit in einer schwierigen Phase. Daher ist gegenwärtig mehr Zuckerbrot und weniger Peitsche von Seiten der EU die angemessene Vorgehensweise. Mit der überwältigenden Zustimmung zu diesem Bericht beweisen wir den Menschen in der Türkei, dass wir sie wirklich in der EU haben wollen, und tragen dazu bei, dass die Reformen im Land schneller und umfassender vonstatten gehen und die viel zu lange ausstehende Lösung der Zypernfrage erleichtert wird.
Mario Borghezio (UEN). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Viele von uns haben geopolitische Gründe für den Widerstand gegen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union angeführt. Die Fakten zeigen, dass wir richtig liegen, denn Ankara ist in das empfindliche Gleichgewicht des Irak hineingeplatzt wie ein Elefant in den Porzellanladen, dort, wo unsere Truppen jeden Tag ihr Leben riskieren und für die Freiheit der Bevölkerung kämpfen.
Meiner Meinung nach sollten wir darüber nachdenken, denn, Kolleginnen und Kollegen, Ihre liebe demokratische Türkei, das Paradies der Menschenrechte auf Erden, klopft zu einem Zeitpunkt an die Tür der Europäischen Union, zu dem sich an der irakischen Front ein grausames, unvorhersehbares und tragisches Kriegsszenario zusammenbraut.
Wenn Sie nach Brüssel zurückkehren, tun Sie, was ich beabsichtige zu tun: Gehen Sie in das armenische Restaurant. Gehören zu Ihren Freunden aus Nicht-EU-Ländern nicht auch Armenier? Ja, ihr Grundstück ist von Randalierern, türkischen Kriminellen zerstört worden, die in der Hauptstadt Europas ein Restaurant niedergebrannt haben, nur weil es armenisch ist. Das ist der demokratische Charakter türkischer Nationalisten! Warum sollten wir sie willkommen heißen, wenn sie den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennen? Ich möchte Sie auffordern, für meinen Änderungsantrag zu stimmen.
Gerard Batten (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! In der Entschließung wird betont, dass die vollständige Erfüllung der Kriterien von Kopenhagen Grundlage für einen Beitritt der Türkei zur EU ist. In dem Bericht wird die türkische Regierung auch eindringlich aufgefordert, die Einstellung zur Religionsfreiheit mit den vom Europäischen Gerichtshof definierten Grundsätzen in Einklang zu bringen.
Seit Kemal Atatürk ist die Türkei ein säkularer Staat und wehrt sich gegen die wachsende Macht eines dogmatischen, fundamentalistischen Islam. Ich frage mich, ob den Türken klar ist, dass ein EU-Beitritt ihre Möglichkeiten zum Widerstand gegen den militanten Islam wesentlich einschränkt. Ist die Türkei erst einmal Mitglied der Europäischen Union, werden die Islamisten im Land die Menschenrechtsgesetzgebung als Schutzschild benutzen, um ihren Dschihad gegen die Türkei und Europa voranzutreiben.
Den Menschen in Großbritannien wird langsam klar, dass nach einem EU-Beitritt der Türkei weitere 70 Millionen Menschen das Recht haben, nach Großbritannien zu kommen. Ein türkischer Beitritt wäre katastrophal für die Türken und katastrophal für Großbritannien.
Koenraad Dillen (ITS). – (NL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Aussprache über den Entschließungsantrag von Herrn Florenz wurde gestern richtig beobachtet, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung strenge Maßnahmen zum Rauchverbot am Arbeitsplatz, in Bars und Restaurants befürwortet.
Ich hatte gehofft, dass die vorliegende Entschließung auch die Meinung einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung berücksichtigen würde, nämlich, dass die Türkei der Europäischen Union nicht beitreten kann. Offensichtlich gebe ich mich zu vielen Illusionen hin. Wenn es um entscheidende Angelegenheiten wie die Verfassung oder den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union geht, zählt die Meinung des Volkes plötzlich nicht mehr.
Die Türkei, eine freundliche Nation, ist kein europäisches Land. Punkt, aus, Ende. Damit sollte die Diskussion beendet sein. Doch das Parlament steht nicht nur nicht zu seiner Verantwortung, sondern es war mehr als einmal blind für bestimmte jüngste Entwicklungen, die klar zeigen, dass die Türkei nicht in die Europäische Union gehört und dass die Entscheidung, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, ein Fehler war.
Warum wird in der Entschließung der Widerstand der AKP gegen eine verfassungsrechtliche Bestimmung, die die Konvertierung zu einer anderen Religion nicht länger per Gesetz unter Strafe stellt, nicht erwähnt? Warum sind die Menschen in der Frage der Armenier oder Zyperns so vage? Das ist ein weiteres Beispiel für europäische Realpolitik, bei der Sie auf uns nicht zählen können.
Charles Tannock (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! In der Londoner Tageszeitung „The Times“ war kürzlich zu lesen, dass die Resolution des US-Kongresses zum Völkermord an den Armeniern zum ungünstigsten Zeitpunkt gekommen sei. Wann ist ein günstiger Zeitpunkt, über Volkermord zu sprechen?
Die armenische Lobby äußert sich in diesem Parlament schon deshalb so lautstark, weil die Frage des Völkermordes seit fast einem Jahrhundert von einem verabredeten Schweigen umgeben zu sein scheint. Die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink hätte Anlass für das Land sein müssen, das Problem zu überdenken. Leider ist dies bisher nicht geschehen.
Die Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien, und dazu zählt auch die Wiederöffnung der geschlossenen Grenze, ist sicher ein wichtiger Baustein auf dem Weg der Türkei in die EU. Doch meines Erachtens darf eine wahre Demokratie auch die tiefsten und dunkelsten Geheimnisse ihrer Vergangenheit nicht verleugnen.
Genauso wichtig ist eine dauerhafte Beilegung des Zypernkonflikts. Aufgrund der anhaltenden Präsenz türkischer Truppen in einem EU-Mitgliedstaat und der Nichtumsetzung des Protokolls von Ankara befinden wir uns hier nach wie vor in einer Sackgasse.
Die Glaubensrechte der Minderheiten, insbesondere der Christen, geben ebenfalls Anlass zur Sorge. So ist das griechisch-orthodoxe Seminar von Halki seit 1971 geschlossen, und den assyrischen Christen, die während des Krieges mit der PKK nach Deutschland und Schweden flohen, wurde die türkische Staatsbürgerschaft entzogen, so dass sie ihre während des Konflikts verlorenen Häuser nicht zurückfordern können. Außerdem macht die Türkei keinen Unterschied zwischen den Aleviten und der großen Mehrheit sunnitischer Moslems und erkennt damit auch nicht deren besondere religiöse Bedürfnisse an.
Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches zur Beleidigung des Türkentums führte bereits zu zahlreichen Verurteilungen. Im März ließ ein Gericht in Istanbul dann bizarrerweise wegen Anspielungen auf die Sexualität des Begründers der modernen Türkei, Kemal Atatürk, den Zugang zum Internetportal YouTube sperren.
Ich sage an dieser Stelle ganz persönlich und nicht im Namen meiner Partei oder Fraktion: Es bleibt ganz offensichtlich noch eine Menge zu tun.
VORSITZ: MIGUEL ANGEL MARTÍNEZ MARTÍNEZ Vizepräsident
Maria Eleni Koppa (PSE). – (EL) Herr Präsident! Die heutige Aussprache gibt uns Gelegenheit, unsere Freude über den Ausgang der Wahlen in der Türkei zum Ausdruck zu bringen und zu begrüßen, dass die türkischen Bürger ihren Wunsch nach einer Fortsetzung der Reformen zum Ausdruck gebracht haben.
Die Perspektive einer Mitgliedschaft der Türkei als unverändertes Ziel hat den Weg für Reformbemühungen geebnet. Unglücklicherweise sind diese Bemühungen ins Stocken geraten und haben an Triebkraft verloren. Die neue Regierung muss sich mit ihrem erneuerten, eindeutigen Mandat schnellstmöglich um die vollständige Umsetzung aller Bestimmungen des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls bemühen.
Bei dem Reformprozess geht es vor allem um Demokratisierung, grundlegende Menschenrechte und Religionsfreiheiten. Vor diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, Artikel 301 des Strafgesetzbuchs aufzuheben und entschlossen auf die Forderung des Ökumenischen Patriarchen zu reagieren. Leider hat die bisherige Haltung der türkischen Regierung in dieser Frage radikale Kräfte zu Aktionen ermutigt. Ferner sei darauf hingewiesen, dass die türkischen Behörden unerklärlicherweise an der Schließung des Priesterseminars in Halki festhalten.
Zudem dürfen wir die angespannte Lage im Südosten der Türkei nicht aus den Augen verlieren. Meines Erachtens darf die Kultur der gewaltsamen Streitbeilegung nicht die Oberhand gewinnen, denn sie führt über die Region hinaus zu Instabilität. Es ist Aufgabe der gegenwärtigen Regierung, eine friedliche Lösung der Kurdenfrage herbeizuführen, und dies setzt einen Dialog zwischen den beiden Seiten voraus. Die internationale Gemeinschaft muss in dieser drohenden Krise die Rolle des Friedensstifters übernehmen.
Abschließend möchte ich zum Ausdruck bringen, dass wir von der Türkei erwarten, dass sie allen ihren Verpflichtungen nachkommt, damit sie sich schrittweise auf einen möglichen Unionsbeitritt vorbereiten kann.
Giorgos Dimitrakopoulos (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Zunächst möchte ich Frau Oomen-Ruijten zu ihrer hervorragenden Arbeit gratulieren.
Angesichts des klaren Mandats, das die Regierung von Ministerpräsident Erdoğan und vor allem Herr Erdoğan persönlich erhalten haben, kann der Reformkurs fortgesetzt werden, der verfolgt wird, seit die Aussichten der Türkei auf einen EU-Beitritt immer weiter gestiegen sind. Gleichzeitig wurden mit dem Mandat neue Hoffnungen auf eine gerechte und dauerhafte Lösung der Zypernfrage geweckt, die zunächst einmal den Rückzug der türkischen Truppen voraussetzen würde.
Es besteht der neue Wunsch nach echten nachbarschaftlichen Beziehungen mit allen Staaten und ganz besonders mit Griechenland.
Dank des Mandats wurden neue Rechtsvorschriften wie das Stiftungsgesetz und das Gesetz zum Schutz von Rechten und Freiheiten erlassen, die zur Achtung der Menschenrechte beitragen. Dies kommt einer historischen Vergangenheitsbewältigung gleich, und die Völkermorde an den Armeniern, Pontiern und Assyrern werden anerkannt.
Dank des Mandats wird die Kurdenfrage in einem anderen Licht betrachtet. Die mögliche Invasion im Nordirak sollte der EU große Sorgen bereiten. Ein solcher Schritt ist zu unterbinden, denn die Notwendigkeit der Terrorismusbekämpfung, über die wir uns alle einig sind, darf niemals als Vorwand dafür herhalten, mit der Besetzung von Gebieten im Nordirak einen „Fait accompli“ wie auf Zypern zu schaffen.
Richard Howitt (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich weiß nicht, ob die heutige Aussprache in der Frage des Türkei-Beitritts viel mehr bringt, als der kleinen Anzahl vehementer Beitrittsgegner die Gelegenheit zu bieten, ihre Argumente vor diesem Hohen Haus zu wiederholen. Natürlich sollten wir die Türkei dazu drängen, Zurückhaltung zu zeigen und auf die terroristische Bedrohung aus dem Nordirak angemessen zu reagieren, doch mir fällt auf, dass die Kritik am heutigen Vormittag von genau den Leuten kommt, die sich in anderen Sitzungen gegen die Beteiligung der Europäischen Union am Wiederaufbau des Irak ausgesprochen haben.
Ich begrüße die strategische Partnerschaft zwischen Großbritannien und der Türkei, die Premierminister Brown und Ministerpräsident Erdogan gestern in London verkündet haben, zu der auch die positive Zusammenarbeit im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Terrorismus gehört. Ich fordere die anderen Mitgliedstaaten auf, hier nachzuziehen.
An dieser Stelle grüße ich die jüngste weibliche Abgeordnete im türkischen Parlament, Ayla Akat, die letzte Woche in Brüssel war und die neue kurdische Fraktion vertrat, die nach 14 Jahren Abwesenheit ins Parlament zurückgekehrt ist. Dies gibt uns die Hoffnung, dass das Problem der kulturellen und politischen Rechte der Kurden auf dem Wege der Demokratie und nicht durch Gewalt gelöst wird.
Josef Zieleniec (PPE-DE). – (CS) Frau Ria Oomen-Ruijten hat mit der Kompromissformulierung, die sie zu einem Thema gefunden hat, das dieses Haus spaltet, hervorragende Arbeit geleistet.
Meiner Überzeugung nach sollte jedoch in Zukunft auf die Annahme von Entschließungen und Berichten abgesehen werden, die nach einem Kompromiss streben, in dem dann die Auffassung des Parlaments zu strittigen Schlüsselfragen nicht zum Ausdruck kommt. Unsere Bemühungen, Einstimmigkeit zu erreichen, übermitteln der Türkei eine Botschaft, die die unterschiedlichen Meinungen zur Mitgliedschaft der Türkei in diesem Parlament wie auch in der europäischen Öffentlichkeit nicht ausreichend widerspiegelt.
Ich mache kein Hehl daraus, dass ich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei an sich für einen grundlegenden Fehler halte. Gleichzeitig bin ich mir der Tatsache bewusst und respektiere sie, dass nicht jeder in diesem Hause diese Auffassung teilt.
Die europäische Öffentlichkeit ist selbst in dieser Frage von höchster Bedeutung für die Zukunft der europäischen Integration stark gespalten. Es ist unsere Pflicht, dieser Polarität Ausdruck zu geben. Ich hoffe deshalb, dass unsere künftigen Entschließungen und Berichte diese Spaltung innerhalb des Parlaments zu der möglichen Mitgliedschaft der Türkei in der EU klar widerspiegeln. Während Kompromisse auf zahlreichen anderen Gebieten willkommen sind, über die im Parlament beraten wird, gehören die Mitgliedschaft der Türkei und die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei nicht dazu.
Lassen Sie uns unsere Vorgehensweise ändern. Lassen Sie uns nicht immer noch mehr Berichte und Entschließungen produzieren, die den Eindruck der Übereinstimmung und Einstimmigkeit zu vermitteln versuchen. Zeigen wir stattdessen durch unsere Zustimmung zu oder Ablehnung von eindeutig formulierten Standpunkten, dass wir in der Frage der Mitgliedschaft der Türkei gespalten sind.
Es geht dabei um unsere Verantwortung sowohl gegenüber den Bürgern der EU als auch gegenüber der Türkei, die keine Halbwahrheiten verdient haben. Ich bin sicher, dass das türkische Volk eine Bekundung der Uneinigkeit sehr viel stärker begrüßen wird als eine Bemäntelung der tatsächlichen Lage, wie sie das Parlament und Europa insgesamt seit langer Zeit betreiben.
Vural Öger (PSE). - Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit der Entschließung von Frau Oomen-Ruijten zur Türkei setzt das Europäische Parlament ein positives Zeichen und ist in seinen Beziehungen zur Türkei damit in eine neue Phase des konstruktiven Dialogs getreten. Die Türkei befindet sich derzeit in einer intensiven Reformdebatte.
An der Macht ist jetzt eine Regierung, die mit einem klaren Mandat des Volkes an die Arbeit gehen kann. Das bietet die Chance, dem Beitrittsprozess in einigen zentralen Bereichen Auftrieb zu verleihen. Das Vorbringen von zusätzlichen Forderungen, die nicht Gegenstand der Beitrittsverhandlungen sind, ist kontraproduktiv. In der Türkei hat die Ausarbeitung einer neuen Verfassung jetzt höchste Priorität. Die Grundzüge dieser neuen Verfassung sind bereits erkennbar.
Die Forderung, den Paragraphen 301 des türkischen Strafgesetzbuchs zu revidieren, wird von türkischer Seite erwogen. Jetzt braucht die Türkei weitere positive Signale von der EU. Sie muss ermutigt werden, diesen Reformprozess mit größtem Eifer fortzusetzen.
Die Kommission wird voraussichtlich am 7. November ihren Fortschrittsbericht vorlegen. Es erscheint mir sehr wichtig, dass sich die aktuellen positiven Entwicklungen der Türkei im Kommissionsbericht widerspiegeln.
Yiannakis Matsis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Die Türkei ist Beitrittskandidat eines vereinten Europas. Das Land hat Rechte und Pflichten. Die Berichterstatterin hat einen ausgewogenen Zwischenbericht verfasst. Damit erhält die Türkei eine weitere Möglichkeit, ihre Reformen fortzusetzen und ihren Verpflichtungen nachzukommen, die sich hauptsächlich auf den wirtschaftlichen Wandel, die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sowie Menschen-, religiöse und Minderheitenrechte beziehen.
Wir wollen Reformen in der Türkei, weil die Türkei selbst diese Reformen wünscht und weil es Zeit für Reformen ist. Wandel in der Türkei bedeutet, dass die Türkei ihre Verpflichtungen gegenüber Zypern erfüllt, indem sie die Republik Zypern anerkennt und die Besetzung beendet. Im Bericht wird zu Recht darauf verwiesen, dass der Rückzug der türkischen Truppen zu einer Lösung beitragen wird und dass die türkischen Soldaten durch eine kleine europäische Truppe unter dem Kommando des Sicherheitsrates ersetzt werden können. Die Türkei muss die folgenden Verpflichtungen erfüllen: Sie muss erstens die Siedlungspolitik beenden und den demografischen Charakter Zyperns ändern; zweitens die Siedler zurückführen, die die große Mehrheit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten darstellen und als tickende Zeitbombe jede Lösung im Keime ersticken und drittens der Aneignung des Eigentums griechischer Zyprer im besetzten Zypern und der Zerstörung unseres Kulturerbes ein Ende setzen. Zunächst muss die Türkei die Entscheidungen der UNO respektieren und die Stadt Famagusta ihren rechtmäßigen Bewohnern zurückgeben.
Ankara behauptet, die türkischen Zyprer seien isoliert angesichts der Präsenz von 45 000 türkischen Soldaten, die die griechischen Zyprer daran hindern, zu ihren Häusern und Besitztümern zurückzukehren. Die Türkei hält sowohl den Schlüssel für ihren EU-Beitritt als auch für eine Lösung der Zypernfrage in der Hand. Die türkische Politik der Teilung Zyperns in zwei Staaten stellt keine Lösung dar. Wir leben in einem Zeitalter der Vereinigung, nicht der Teilung. Wir sagen Ja zu einer europäischen Türkei und zu einer europäischen Lösung, die mit Demarkationslinien und -zonen nicht viel gemein haben; wie die Berichterstatterin zu Recht betont, sollten hierfür die Grundsätze des vereinten Europas gelten. Auf diese Weise wird ein überlebensfähiger Modellstaat für ganz Europa entstehen, in dem griechische und türkische Zyprer, Christen und Muslime friedlich und produktiv auf der Grundlage der beiderseitigen Achtung der Grundsätze und Werte eines vereinten Europas zusammenleben.
Carlos Carnero González (PSE). – (ES) Herr Präsident! Wie Sie wissen, ist die Erweiterung der Europäischen Union um ein weiteres Land stets ein dialektischer Prozess, in dem der Kandidat energische Anstrengungen unternehmen, das Engagement der Union aber auch klar sein muss.
Wenn die Europäische Union einen neuen Reformvertrag hat, um sie demokratischer und effektiver zu gestalten, wird sie meiner Ansicht nach auch besser in der Lage sein, diese Erweiterung fortzusetzen.
Dies ist der Fall nach dem Vertrag von Lissabon. Die Türkei verzeichnet bedeutende Fortschritte. Wir alle stehen hinter der Regierung von Ankara, hinter dem türkischen Volk im Kampf gegen den Terrorismus. Doch um diese gerade genannte Entwicklung weiterzuführen, ist es notwendig, Zurückhaltung, Mäßigung und Einhaltung des Völkerrechts zu fordern. Eine groß angelegte Militäroperation im Nordirak würde dort nur Öl ins Feuer gießen und könnte auch zu ernsten Problemen in der Türkei führen.
Abschließend möchte ich Frau Oomen-Ruijten zu ihrer Entschließung beglückwünschen, obwohl ein Thema ausgelassen wurde: Warum vergessen wir häufig, dass die Türkei nicht nur ein Beitrittskandidat sondern auch ein wichtiger euro-mediterraner Partner im Barcelona-Prozess ist? Dieser Punkt fehlt wirklich im Text. Die Türkei spielt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle, wie auch wir sie für die Türkei im Europa-Mittelmeer-Prozess spielen.
Emine Bozkurt (PSE). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte Frau Oomen-Ruijten für ihre ausgewogene Entschließung danken. Ich war vor zehn Tagen in der Türkei und habe dort mit Abgeordneten der neuen türkischen Regierung und des neuen Parlaments gesprochen. Ich habe unterstrichen, wie wichtig es ist, die Reformen fortzusetzen und habe dabei insbesondere die Redefreiheit hervorgehoben.
Der Justizminister und andere Kabinettsmitglieder haben mir versichert, dass Artikel 301 geändert werden wird. Die neue Regierung hat außerdem Reformen auf dem Weg in Richtung EU-Mitgliedschaft versprochen. Die Entschließung bezieht sich auf diese Mitgliedschaft als höchstes Ziel. Die Entschließung ist daher ein direkter Beitrag zu den Reformen in der Türkei, einschließlich der Reformen in den Bereichen Rechte der Frauen, Gewerkschaftsrechte und Sozialgesetzgebung.
Allerdings bedarf es der Ruhe, um Reformen durchzuführen, und gegenwärtig sind Angst und Wut in der Türkei weit verbreitet. Angst vor Anschlägen der PKK, Wut, die zur Eskalation führen könnte. Um dem entgegenzuwirken, müssen die Türkei und die EU mit vereinten Kräften diplomatische und politische Maßnahmen ergreifen, um Terrorismus zu verhindern und zu bestrafen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese lebhafte Aussprache war für den Vorsitz von großem Nutzen. Falls dies überhaupt noch notwendig war, so hat sie deutlich gemacht, wie sehr die Meinungen der einzelnen Mitgliedstaaten zu den Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei auseinandergehen. Doch ungeachtet der zahlreichen Ansichten zu diesem Thema hat die Aussprache meines Erachtens deutlich gezeigt, dass die Türkei in politischer, wirtschaftlicher sowie sicherheitspolitischer Hinsicht bereits ein wichtiger strategischer Partner der Europäischen Union ist.
Ich denke, aus dieser Aussprache ist auch ersichtlich geworden, dass die Aussichten der Türkei auf einen EU-Beitritt die Triebkraft hinter den grundlegenden politischen und sozialen Reformen in der Türkei gewesen sind. Natürlich wird von einigen bedauert, dass diese Reformen nicht so schnell oder umfassend ausfallen wie erhofft, doch Tatsache ist, dass die Türken und ihre Regierung schrittweise Fortschritte auf dem von uns vorgegebenen Weg machen, um eine demokratischere und pluralistischere Gesellschaft aufzubauen, in der der Rechtsstaat an Gewicht gewinnt.
In den Kriterien von Kopenhagen, die als Leitfaden oder Referenzrahmen für den gesamten Verhandlungsprozess dienen, wird sowohl für die Türkei als auch für andere Beitrittskandidaten eindeutig formuliert, dass nur diejenigen Staaten der Europäischen Union beitreten können, die unsere wirtschaftlichen sowie insbesondere, was womöglich noch wichtiger ist, unsere politischen Grundsätze uneingeschränkt achten. Sofern die Türkei alle diese Kriterien erfüllt, kann sie natürlich Mitglied der Europäischen Union werden. Daran besteht keinerlei Zweifel, sodass diese Feststellung nicht in Frage gestellt werden kann oder sollte.
Mit Blick auf die Terrorangriffe der PKK an der türkischen Grenze zum Irak möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Erklärung der Ratspräsidentschaft vom 22. Oktober zu diesem Thema lenken. In dieser Erklärung hat der Vorsitz die terroristischen Gewalttaten der PKK ausdrücklich verurteilt und unsere aktive Solidarität mit den Familien der Opfer zum Ausdruck gebracht. Wir haben zudem festgestellt, dass die internationale Gemeinschaft die Bemühungen der Türkei um die Bekämpfung des Terrorismus unter Achtung der Rechtstaatlichkeit, unter Wahrung des internationalen und regionalen Friedens und der internationalen und regionalen Stabilität sowie unter Verzicht auf unverhältnismäßige militärische Aktionen unterstützen muss. Ferner fordern wir die türkische und die irakische Regierung auf, dieses Problem gemeinsam und wirksam anzugehen, um insbesondere zu verhindern, dass von irakischem Boden Terrorangriffe gegen die Türkei ausgehen.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident, sehr verehrte Abgeordnete! Ich danke Ihnen für diese überzeugende Aussprache zum richtigen Zeitpunkt, kurz vor Erscheinen unseres Fortschrittsberichts zur Türkei am 6. November, also in zwei Wochen. Ziel der Kommission ist es, einen ebenso objektiven und fairen Bericht zu veröffentlichen wie Frau Oomen-Ruijten.
Mit der heutigen Aussprache und der nachfolgenden Entschließung sendet das Parlament eindeutige Signale an die Türkei. Zunächst einmal sind wir uns sicher alle einig, dass es an der Zeit ist, die Reformen im Lande zu beschleunigen, natürlich zum Wohle der türkischen Bevölkerung, aber auch, um die EU-Beitrittsverhandlungen ernsthaft voranzubringen. Besonders anmahnen möchten wir dabei unverzügliche Reformen, was die Meinungsfreiheit, den berüchtigten Artikel 301 und andere entsprechende Paragraphen sowie die Religionsfreiheit betrifft. Aber auch in Bezug auf die Rechte der Frauen, der Gewerkschaften, auf kulturelle und Glaubensrechte sowie die Türkei betreffende internationale Verpflichtungen wollen wir Fortschritte sehen.
Darüber hinaus verurteilen wir natürlich alle terroristischen Übergriffe und verstehen das Bedürfnis der Türkei, die eigenen Bürger zu schützen, aber wir fordern die Türkei auch eindringlich auf, gemeinsam mit den zuständigen Behörden im Irak und der internationalen Gemeinschaft nach einer politischen Lösung zu suchen und auf den Terrorismus der PKK mit Verhältnismäßigkeit zu reagieren.
Was die Armenierfrage betrifft, so unterstützt die Kommission den im Entschließungsantrag formulierten Aufruf zur Aussöhnung zwischen der Türkei und Armenien. Dies ist die beste und wirksamste Methode, schnell echte Ergebnisse und damit Frieden und Gerechtigkeit zu erzielen.
Wir sind außerdem der Ansicht, dass alle türkischen Fragen, einschließlich der Armenier-Problematik – schon um der Meinungsfreiheit willen – offen und friedlich innerhalb der türkischen Gesellschaft debattiert werden sollten. Eine Reform des Artikels 301 ist auch deshalb von wesentlicher Bedeutung, damit die Aussprache über die Armenierfrage ernsthaft und effektiv geführt werden und echte Versöhnung bringen kann.
Die derzeitigen Einschränkungen der Meinungsfreiheit wirken lähmend und lassen eine Atmosphäre von Intoleranz und Hass entstehen, wie sich das leider im Fall der Ermordung von Hrant Dink Anfang des Jahres gezeigt hat.
Abschließend möchte ich noch an eine Sache erinnern: Wir alle, mich eingeschlossen, stellen hinsichtlich des Reformprozesses hohe Anforderungen an die Türkei. Dies zu Recht! Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass die Gleichung nur dann aufgeht, wenn beide Seiten sich an die Abmachung halten. Wenn wir also streng sind, müssen wir auch fair sein. Und wir müssen Wort halten und zu den im Verhandlungsmandat eröffneten Beitrittsperspektiven der Türkei stehen.
(Beifall)
Sonst können wir rufen, so laut wir wollen. Es wäre, als würden wir gegen die Wand reden, es käme keine Antwort, sondern nur langes Schweigen.
Der Präsident. − Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung zwei Entschließungsanträge(1) eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Richard Corbett (PSE), schriftlich. – (EN) Es ist für die Türkei noch ein weiter Weg, ehe sie die Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt. Trotz wesentlicher Fortschritte in den letzten Jahren, gibt es noch ungeklärte Fragen hinsichtlich der Meinungsfreiheit (besonders bei Artikel 301 des Strafgesetzbuches), der Menschenrechte und Armeniens.
Doch ich widerspreche den Argumenten derer, die sagen, die Türkei dürfe niemals Mitglied werden, weil sie kein europäisches Land sei. Wir akzeptieren die Türkei seit mehr als einem halben Jahrhundert als vollwertiges Mitglied im Europarat. Wir haben Beitrittsverhandlungen begonnen und damit anerkannt, dass die Türkei im Prinzip das Recht hat, der EU beizutreten. Wer behauptet, die Türkei sei nicht europäisch, meint damit, sie ist nicht christlich. Aber wieso sollte das ein Kriterium sein? Das Motto der Europäischen Union ist doch „in Vielfalt geeint“ – wir versuchen nicht, Kulturen anzugleichen, sondern suchen Wege, um zusammenzuarbeiten und gleichzeitig unsere Sprachen, Religionen usw. zu erhalten. Die Aufnahme eines säkularen Staates mit einer hauptsächlich islamisch geprägten Bevölkerung würde dieses Motto unterstreichen.
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zum Gipfel EU-Russland.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, wird am kommenden Freitag das 20. Gipfeltreffen EU-Russland im portugiesischen Mafra stattfinden. Damit bietet sich unserer Meinung nach für die Staats- und Regierungschefs Russlands und der Europäischen Union die hervorragende Gelegenheit, Bilanz über unsere Beziehungen zu ziehen.
Wir denken, dass die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland im Großen und Ganzen gut und sicherlich weitaus besser sind, als die internationale Presse uns bisweilen glauben machen möchte. Russland ist ein Schlüsselpartner der EU, und wir nehmen unsere Beziehungen ausgesprochen ernst. Thema des Gipfeltreffens wird die Lage in der EU und in Russland sein. Wir werden über die Entwicklungen in der Europäischen Union berichten, insbesondere über die Fortschritte bei der Ausarbeitung des neuen Reformvertrags, der vor Kurzem in Lissabon angenommen wurde, und über das Liberalisierungspaket für den Energiebereich, das von der Kommission vorgelegt und am 9. September verabschiedet wurde.
Mit Blick auf die gemeinsamen Räume werden wir die Fortschritte bei der Umsetzung der Fahrpläne prüfen. Dieser Prozess erweist sich weiterhin als insgesamt positiv, auch wenn es in einigen Bereichen noch zusätzlicher Bemühungen bedarf. In einigen wichtigen Sektoren hat der Ständige Partnerschaftsrat an der Verwirklichung dieser Zielsetzung mitgewirkt. Der Ständige Partnerschaftsrat für Kultur, der am Tag vor dem Gipfeltreffen tagt, wird zu einem Ausbau unserer kulturellen Zusammenarbeit beitragen.
Zu unseren Prioritäten für das Gipfeltreffen gehört eine Einigung über die Einleitung eines Frühwarnsystems für den Energiesektor, zu dem auf dem letzten Gipfeltreffen in Samara eine grundsätzliche Einigung erzielt werden konnte. Angesichts der gegenseitigen Abhängigkeit der Europäischen Union und Russlands im Energiebereich müssen das Vertrauen gestärkt und die Zusammenarbeit ausgebaut werden. Aus diesem Grund werden wir die Zielsetzungen und Grundsätze hervorheben, die die EU mit Blick auf unsere Energiepartnerschaft befolgen muss; dazu gehören insbesondere Gegenseitigkeit, Transparenz, Offenheit und die Schaffung eines Rechts- und Regulierungsrahmens. Wir sind der Auffassung, dass die Grundsätze des Energiechartavertrags und das Dokument zur weltweiten Energiesicherheit, das von den G8 in Petersburg verabschiedet wurde, in das neue Abkommen zwischen der EU und Russland aufgenommen wird, das rechtsverbindlichen Charakter hat und das bisherige Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) ablösen wird.
Im Investitionsbereich begrüßen wir den im Fahrplan für den gemeinsamen Raum vorgesehenen förmlichen Dialog. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass unter Berücksichtigung des von der Duma geplanten Gesetzes zum Schutz strategischer Branchen transparente, nicht diskriminierende und vorhersehbare Bedingungen für EU-Unternehmen geschaffen werden, die in Russland investieren. Ferner werden wir Russland dazu auffordern, darauf zu verzichten, gezielt flankierende Strategien wie beispielsweise die Umwelt- oder die Steuerpolitik zum Einsatz zu bringen, bestehende Investitionen zu behindern oder verkappte Hindernisse für Neuinvestitionen zu schaffen. Wir betrachten den Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO) als Priorität und wollen dieses Thema daher auf dem Gipfeltreffen zur Sprache bringen. Die Kommission wird dazu sicherlich Einiges zu sagen haben.
Ich muss betonen, dass wir den Gipfel auch dazu nutzen werden, auf weitere Fortschritte zu drängen, sofern bisher keine zufrieden stellenden Antworten auf die wichtigsten noch offenen Fragen wie Holzausfuhrzölle oder diskriminierende Eisenbahntarife gefunden werden konnten.
Uns ist bewusst, dass dieses Gipfeltreffen kurz vor den russischen Präsidentschaftswahlen und den Wahlen zur Duma stattfinden wird. Im Verlauf der Wahlen werden Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit einen wichtigen Stellenwert erhalten und die demokratische Legitimität Russlands auf die Probe stellen. Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) muss ungehinderten Zugang erhalten, um die Duma-Wahlen zu beobachten. Russland trägt als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates eine besondere Verantwortung für den Schutz unserer gemeinsamen Werte. Angesichts der Tatsache, dass unsere gegenseitige Abhängigkeit zu- und nicht abnimmt ist es bedauerlich, dass gewisse Aspekte die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland überschattet haben.
Russland und die EU müssen ihre Differenzen gemeinsam beilegen, denn es gibt keine Alternative zu unserer Zusammenarbeit. Unglücklicherweise liegen die Gespräche über ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland nach wie vor auf Eis. Ein Haupthindernis für die Aufnahme der Verhandlungen ist das russische Importverbot für Fleisch und Gemüse aus Polen. Die Kommission hat ihre Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, die Kontakte aufrechtzuerhalten, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Unglücklicherweise hat sich die Lage aber aufgrund der Entscheidung der russischen Veterinärbehörden vom vergangenen Monat, die Einfuhr der Fleischprodukte von 36 EU-Unternehmen zu verbieten, weiter zugespitzt.
Die Unterbrechung der Erdölversorgung von Litauen durch die Druschba-Pipeline stellt einen weiteren Streitpunkt dar, der der Aufnahme der Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der EU und Russland im Wege steht. Seit mehr als einem Jahr gibt es von Russland keinerlei offizielle Informationen über das Leck in der Pipeline oder über die Aussichten auf eine Fortsetzung der Lieferungen. Es ist daher unerlässlich, zu einer zufrieden stellenden Lösung zu kommen, um das nötige Vertrauen zu schaffen und auf dieser Grundlage die Entwicklung der Partnerschaft zwischen der EU und Russland im Energiebereich fortzusetzen.
Trotz des gegenwärtigen Stillstands der Verhandlungen sollte die Lage nicht überdramatisiert werden. Wir haben uns mit Russland 2006 darauf geeinigt, dass das PKA in Kraft bleibt, um ein rechtliches Vakuum in unseren Beziehungen mit Russland auszuschließen.
Schließlich werden wir sicherlich auf die wichtigsten weltpolitischen Fragen wie insbesondere die Lage im Kosovo und im Irak eingehen. Ferner wollen wir betonen, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit mit Russland für unsere gemeinsame Nachbarschaft ist, um Fragen von allgemeinem Interesse und insbesondere die festgefahrenen Konflikte zu lösen.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Russland ist nicht nur ein enger Nachbar, es ist für uns auch ein strategischer Partner. Wir sehen, dass Handel und Investitionen boomen, und wir erleben – wie unser Präsident gesagt hat – auch eine zunehmende gegenseitige Abhängigkeit. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass Russland für uns ein wichtiger Partner bei der Lösung regionaler Konflikte und globaler Aufgaben ist – wie ebenfalls bereits erwähnt wurde – und dass noch viel zu tun bleibt, wenn wir das Potenzial voll ausschöpfen wollen, das diese Beziehung bietet.
Der am Freitag stattfindende Gipfel bietet erneut Gelegenheit, unsere Beziehung einzuschätzen. Viele noch offene Fragen werden wir nicht klären können, aber bei einigen werden wir Fortschritte erzielen und damit in dieser Übergangsphase die Grundlagen für die zukünftige Arbeit schaffen.
Wir wissen, dass sich Russland in einer kritischen Phase befindet. Bis zu den entscheidenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen verbleiben nur noch wenige Monate, und wir haben nicht vergessen, dass die Europäische Union wiederholt Besorgnis über die Umsetzung der demokratischen Grundrechte und die Einhaltung der Menschenrechte in Russland geäußert hat. Wir, die Europäische Union, beobachten die Entwicklung sehr genau – die bevorstehenden Wahlen werden da ein wichtiger Test sein – und wir erwarten, dass Russland eine vernünftige Entscheidung trifft und die OSZE-Beobachter zur Überwachung der Wahlen einlädt.
Wir möchten an dieser Stelle auch unsere Sorge über den Umgang mit den Menschenrechten zum Ausdruck bringen. Dies gilt besonders für die Einschränkungen der Pressefreiheit, die Übergriffe auf Journalisten, den Druck auf Nichtregierungsorganisationen und die Lage im Nordkaukasus.
Ich hatte Gelegenheit, den bevorstehenden Gipfel mit dem Sondergesandten und Berater des Präsidenten, Sergej Jastrschembski, zu erörtern, als ich am 11. und 12. Oktober in Kaliningrad war. Ich nenne zunächst einige gute Beispiele und dann die Punkte, wo wir keine Fortschritte erzielen werden.
Meiner Meinung nach wird Russland bald eine umfassende finanzielle Beteiligung an verschiedenen grenzüberschreitenden Kooperationsprogrammen der EU verkünden. Wir begrüßen das sehr, denn seit der Erweiterung 2004 spielt die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg eine wichtige Rolle. Und Kaliningrad ist aufgrund der besonderen geografischen Lage ein ganz spezieller Fall.
Wir wissen bereits, dass zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und des kleinen Grenzhandels besondere Vereinbarungen erforderlich sind. Beteiligt sich Russland jetzt finanziell, käme dies angesichts des hohen Verkehrsaufkommens an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten und Russland in Kaliningrad und den Grenzübergangsstellen mit anderen Mitgliedstaaten genau zum richtigen Zeitpunkt.
Lkw-Staus von bis zu 50 km Länge auf EU-Seite der Grenze sind ganz sicher nicht akzeptabel. Wir müssen Maßnahmen ergreifen und sind mit Russland übereingekommen, die Engpässe zu verringern. Wir starten in der Kommission gerade ein Pilotprojekt zum Austausch von Zolldaten und zur Finanzierung des Infrastrukturausbaus an der Grenze. Russlands Aufgabe muss es sein, die eigenen Abfertigungsverfahren zu straffen. Im Prinzip ist man dazu bereit, aber es braucht eben Zeit.
Unser Präsident hat das Thema Energie bereits erwähnt. Ich möchte nur ergänzen, dass wir hoffentlich ein Abkommen über ein Frühwarnsystem verkünden werden, und damit Versorgungsengpässe lösen können, ehe es kritisch wird. Der Herr Ratspräsident hat Energiekultur und Investitionen angesprochen, da muss ich nichts hinzufügen. Ich möchte nur ergänzen, dass Investitionen und Geschäftsbeziehungen auch Thema des am morgigen Donnerstag beginnenden ERT in Lissabon sein werden, an dem Günter Verheugen und Andris Piebalgs teilnehmen. Der Runde Tisch wird dann am Freitag seine Schlussfolgerungen auf dem Gipfel vortragen. Ich denke, dies ist ein guter Beitrag zu einer wachsenden Wirtschaftsbeziehung.
Russland ist eine wirtschaftliche Schlüsselmacht, und zur Frage der WTO möchte ich ergänzen, dass wir Russlands Bemühungen unterstützen. Wie Sie wissen, haben wir uns stets für den Beitritt Russlands zur WTO ausgesprochen. Wir sind der Ansicht, dass gleiche Voraussetzungen für alle sehr wichtig sind. Deshalb legen wir so großen Wert darauf, dass Russlands Beitritt zur WTO endlich vollzogen wird. Der Gipfel wird dem komplizierten Prozess in dieser schwierigen Phase neuen Auftrieb verleihen
Am Rande des Gipfels werden wir außerdem ein neues Abkommen über Stahl unterzeichnen, in dem die Mengen erhöht werden, die Russland in die Europäische Union ausführen darf. Ein weiterer Beweis für die positive Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU ist die Tatsache, dass am Rande des Gipfels auch die gemeinsame Erklärung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und der russischen Anti-Drogen-Behörde unterzeichnet wird.
Weniger positiv hingegen ist der nächste Punkt, über den ich Sie informieren möchte. Obwohl es im Mai in Samara von russischer Seite die klare Zusage gab, das Abkommen zu den Sibirienüberflügen bis zum nächsten Gipfel in Mafra endgültig zu unterzeichnen, scheinen die Aussichten dafür zurzeit eher schlecht. Wir wollen diese lang anhaltende Auseinandersetzung endlich beenden. Ein positiver Schritt Russlands würde es uns ermöglichen, auf dem im November in Moskau geplanten Luftverkehrsgipfel die ungeheuren Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in diesem Bereich herauszustellen.
Was internationale Themen betrifft, so gehört der Kosovo sicherlich zu den wichtigsten, und wir müssen gemeinsam mit Russland überlegen, wie wir dieses Problem auf der Grundlage wachsender Bemühungen der Troika lösen können. Ein Wiederaufflammen des Konflikts auf dem Balkan muss verhindert werden.
Wir werden auch andere wichtige internationale Themen ansprechen, z. B. die Lage im Nahen Osten im Vorfeld von Annapolis, im Iran nach Präsident Putins jüngstem Besuch in Teheran, in Afghanistan, in Burma/Myanmar sowie die Situation in Bezug auf die ungelösten Konflikte in Georgien und der Republik Moldau.
Wir möchten bei der Suche nach Antworten auf diese schwierigen Fragen mit Russland in einem konstruktiven Geist zusammenarbeiten. Daher müssen wir unsere Arbeit fortsetzen und dürfen die langfristigen Ziele nie aus den Augen verlieren.
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Wir hoffen, dass, wie die Presse bemerkt, der portugiesische Herbst wärmer wird als der russische Frühling, was den Gipfel von Samara betrifft.
Ebenso wie die Kommissarin bin ich der Ansicht, dass wir unsere Arbeit fortsetzen müssen, um die strategische Partnerschaft mit Russland zu errichten, doch das Klima wird mehr von der Temperatur Russlands als der der Europäischen Union abhängen: zum gewissen Grad im Licht dessen, was die Kommissarin sagte, vor allem im Licht der neuen Rolle, die Russland auf der internationalen Bühne und insbesondere bei der Energieversorgungssicherheit spielen will.
Doch diese Beziehungen müssen sich auf eine Reihe von Pfeilern gründen, Herr Präsident. Der erste ist, dass jede Entscheidung oder jeder Akt gegen einen Mitgliedstaat als Entscheidung oder Akt gegen die gesamte Europäische Union zu betrachten ist.
Zweitens, Herr Präsident, die Europäische Union ist unwiderruflich und unbestreitbar den Menschenrechten verpflichtet und muss bei der Verteidigung dieser Positionen große Entschlossenheit zeigen. In diesem Zusammenhang sollten wir, wie ich meine, die Entscheidung der russischen Regierung begrüßen, die Visa für die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz zu genehmigen und letztendlich zu erteilen, um ihr die Möglichkeit zu einem Treffen in Moskau zu geben.
Ein Aspekt, der Anlass zur Sorge gibt, ist die Erklärung, die zum jüngsten Gipfel von Ländern des Kaspischen Meers über die Bildung einer Art breiter Front abgegeben wurde, um irgendwie den regionalen und internationalen Bedrohungen und einigen Positionen in den Vereinten Nationen entgegenzutreten.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Frau Kommissarin, Herr Ratspräsident, verteidigen Sie mit Pragmatismus die Interessen der Europäischen Union, schaffen Sie diese Assoziation, doch vergessen Sie nicht, dass die Zahlen den Idealen entsprechen müssen. Ich erinnere mich an einen – natürlich ausgezeichneten – Artikel im „The Economist“, der kürzlich erschien und wo es hieß, dass Herr Putin offenbar auf dem Gipfel von Wiesbaden zu Bundeskanzlerin Merkel sagte, dass Dostojewski dort im Roulett verloren hätte.
Ich hoffe, dass die Europäische Union in Portugal mehr Glück hat als der russische Schriftsteller in Wiesbaden.
Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Im Vorfeld des bevorstehenden Gipfels bleibt die wichtigste Voraussetzung für meine Fraktion, dass Russland und die Europäische Union eine Reihe wichtiger Interessen gemeinsam haben. Die Europäische Union sollte auf dem kommenden Gipfel trotz vieler Meinungsverschiedenheiten weiterhin auf dieser Voraussetzung aufbauend handeln. Russland und Europa brauchen einander, um Probleme in Europa in Angriff zu nehmen, aber sie brauchen einander besonders, um wichtige internationale Fragen zu klären. Nachhaltige Sicherheit in Europa ist nur in Zusammenarbeit mit Russland möglich.
Aus diesen Gründen haben meine Fraktion und ich die strategische Partnerschaft mit Russland stets unterstützt. Die Agenda für diesen Gipfel ist sehr voll und der Kommissar und die Vertreter der Präsidentschaft haben bereits darüber gesprochen. Dennoch hoffen wir, dass es in der Frage des Verhandlungsmandats für das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen in gewisser Weise Bewegung geben wird. Wir hoffen, dass eine neue polnische Regierung in der Lage sein wird, besser mit Moskau zu kooperieren und als Folge dessen vielleicht etwas Raum für Fortschritt zu schaffen.
Die Energie-Beziehung ist extrem wichtig und wir sind ferner der Auffassung, dass von Gegenseitigkeit auszugehen ist, allerdings müssen wir auch begreifen, dass wir es hier mit einer Art gegenseitiger Abhängigkeit zu tun haben, die wir lieber gemeinsam lenken sollten. Wir wünschen uns darüber hinaus eine engere Zusammenarbeit mit den Schwarzmeerregionen und hoffen, dass auf diesem Gipfel Fragen wie Transnistrien und Georgien zur Sprache kommen werden.
Meine Vorredner haben bereits den Zustand der Demokratie in Russland angesprochen und das ist natürlich etwas, was in der Diskussion nicht außer Acht gelassen werden darf. Wir sind ebenfalls besorgt über die Vorbereitungen der Wahlen zur Duma. Wir wollen auch freie und faire Kampagnen und gleiche Chancen für alle Parteien, sich zu äußern. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Frage der Beobachter in Moskau drängen: nicht nur Beobachter am Wahltag selbst, sondern auch Beobachter während der Kampagne im Vorfeld der Wahlen. Wir alle wissen, wie wichtig es ist, sich ein eigenes Urteil über die Wahlen bilden zu können. Ein Land, das Ambitionen hat, die Präsidentschaft der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu übernehmen, sollte wirklich auch in der Lage und gewillt sein, mit der OSZE zusammenzuarbeiten, wenn es um die Beobachtung der Wahlen geht.
Schließlich, und ich bekräftige nachdrücklich, was ich eingangs sagte, sollten wir Russland gegenüber weiterhin kritisch sein. Kritisch, wenn es um Menschenrechte und Demokratie geht, aber wir sollten die Dinge auch nicht unnötig polarisieren. Unser Ausgangspunkt sollte noch immer sein, ein guter Nachbar zu sein, zu kooperieren und zu versuchen, die Probleme in Europa gemeinsam anzugehen und nicht permanent aus Kleinigkeiten eine große Sache zu machen.
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Der Samara-Gipfel im Mai hat gezeigt, bei welchen Themen unsere strategische Partnerschaft mit Russland Risse aufweist – bei der Energie, beim Kosovo und bei den Menschenrechten. Aus den kleinen Rissen sind inzwischen tiefe, breite Gräben geworden, so dass es uns schwer fällt zu sagen, wie eine auf gemeinsamen Werten basierende, sinnvolle „Partnerschaft“ fortgesetzt werden kann.
Präsident Putin hat selbst eingeräumt, dass „Russland nicht so bald, wenn überhaupt jemals, zu einem Land werden wird, wo liberale Werte eine tief verwurzelte Tradition haben“.
Wie lange wollen wir die wachsenden Anzeichen noch übersehen? Nicht, dass die Russen das kulturelle Drumherum des Westens ablehnen, Präsident Putin weist ja immer wieder darauf hin, dass sein Land zum kulturellen Mittelpunkt Europas gehört. Nein, die Ablehnung in dieser Vehemenz richtet sich hauptsächlich gegen das, was Kommissionspräsident Barroso Europas „heilige Werte“ nennt – Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die im heutigen Russland offenkundig fehlen.
Herr Salafranca Sánchez-Neyra hat Recht. Von Rat und Kommission hören wir zu viel Realpolitik und zu wenig Moralpolitik. Strategisch ist unsere Beziehung zu Russland mit Sicherheit, aber als Partnerschaft kann man sie nicht bezeichnen.
Wir müssen pragmatisch herangehen und dort zusammenarbeiten, wo es möglich und in beiderseitigem Interesse ist, beim Grenzverkehr, bei der Energieversorgung und bei dem Beitritt zur WTO – auch wenn die gestrige Ankündigung von Preiskontrollen für Nahrungsmittel eine Rückkehr zur Wirtschaftspolitik vergangener Zeiten suggeriert.
Es kann mit Russland Fortschritte geben, doch bitte ohne den Jubel und die darauf folgende Ernüchterung wie bei so vielen anderen EU-Russland-Gipfeln.
Es ist auch mehr Ehrlichkeit vonnöten, schließlich stehen in Russland zwei wichtige Wahlen an. Wenn das Klonen von Menschen weiterentwickelt wäre, würde Präsident Putin es wahrscheinlich halten wie die Kaczyńskis in Polen und sowohl als Präsident als auch als Ministerpräsident antreten! Es ist unglaublich, dass in einem Land, das die Oligarchie 1917 abgeschafft hat, eine neue Autokratie so an Macht gewinnt. Wir sollten nicht aufhören, dies zu kritisieren, nur weil wir Angst haben, wir könnten eine Partnerschaft gefährden, die eh nur auf dem Papier existiert.
Nur wenn unabhängige Gerichte, Meinungsfreiheit und Demokratie mehr sind als nur schöne Worte und wenn Journalisten, Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen ohne Angst vor Vergeltung agieren, kann Europa solidarisch zu Russland stehen.
Aus diesem Grunde hat meine Fraktion zum Abschluss der Aussprache einen Entschließungsantrag eingereicht, und 300 Abgeordnete sind unserem Aufruf gefolgt. Wir müssen bereit sein, das, was wir öffentlich sagen, auch zu Papier zu bringen und damit diejenigen eines Besseren belehren, die meinen, dieses Haus sei nichts weiter als eine Quasselbude.
Der Reformvertrag verspricht dem Parlament erstmals echte Mitsprache bei den Außenbeziehungen. Bemühen wir uns, den Anforderungen gerecht zu werden und setzen wir auf dem Gipfel ein Signal, das Präsident Putin nicht überhören kann.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Die gestern von führenden Vertretern der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten getroffene Entscheidung, vor dem EU-Russland-Gipfel keine Entschließung zu verabschieden, zeigt, dass wir nach wie vor ein Problem mit Russland haben. Die Entscheidung war ein schwerer Fehler. Das ist nicht die Art deutsch-französischer Motor, den wir uns in unserem Teil Europas erhoffen.
Unsere Entschließung vom 2. Mai vor dem Samara-Gipfel war sehr hilfreich. Ich vertraue darauf, dass unser Schweigen heute kein Anzeichen für den Versuch ist, von einer klar festgelegten und anspruchsvollen Politik gegenüber Russland abzuweichen. Wenn das auf dem Samara-Gipfel beschlossene Konzept untergraben wird, wird Russland mehr denn je davon überzeugt sein, dass die Integration und insbesondere die Erweiterungsrunde 2004 Entwicklungen sind, die missachtet oder heruntergespielt werden können. Die Politiker, die derzeit versuchen, in Bezug auf Russlands Schritt hin zu einer Diktatur im Namen eines Pseudorealismus die Augen zu verschließen, nehmen die Wiederholung des finnischen Falls hin. Sie stimmen der Diskriminierung Mitteleuropas und somit der Schwächung der Position der Europäischen Union als globalem Partner zu.
Bart Staes, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Minister, meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie sagten in Ihrer Einführung, dass die Beziehungen zu Russland gut, beziehungsweise in jedem Fall besser als in der internationalen Presse dargestellt, seien. Herr Minister, leben Sie auf dem Mars? Leben Sie auf der Venus? Wagen Sie es, den Russen zu sagen, was Sache ist, oder geht es Ihnen bei der Europäischen Union schließlich nur um Geld und blanken Kommerz? Ist Ihnen das wichtiger als Demokratie und Menschenrechte?
Lassen Sie uns kein Blatt vor den Mund nehmen: Russland ist auf dem besten Weg, eine ausgewachsene Diktatur mit einem starken Führer zu werden: einem starken Führer, der keinen Protest dulden wird und der seine geheime FSB-Politik immer dann nutzt, wenn er es für nötig hält; einem Führer, der unter keinen Umständen Macht abgeben und sämtliche Tricks anwenden wird, um die Zügel der Macht auch nach den Parlamentswahlen im Dezember und den Präsidentschaftswahlen im März in der Hand zu halten. Russland, Herr Minister, entwickelt sich zu einer geschlossenen Gesellschaft, in der das regierende Regime sich lieber von niemandem über die Schulter schauen lassen möchte.
Ich möchte mich nicht auf theoretische Betrachtungen beschränken. Realität ist, dass die Menschenrechte in Russland permanent unter Druck sind und der Zustand der Demokratie beklagenswert ist. Realität ist, dass Rede- und Pressefreiheit einer strengen Selbstzensur unterliegen. Das unlängst verabschiedete Extremismusgesetz kann mit Leichtigkeit benutzt werden, um unabhängige Journalisten und politische Oppositionelle mundtot zu machen.
Realität ist, dass das russische Regime eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft als unerwünscht erachtet und dass die Position von NRO durch die sehr restriktive Gesetzgebung ernsthaft unter Druck gerät. Realität ist, Herr Minister, dass freie Wahlen dort eine Utopie sind. Nur, wer vom Regime toleriert wird, darf mitmachen. Die Koalition „Anderes Russland“ um Gary Kasparow darf beispielsweise nicht mehr an den bevorstehenden Parlamentswahlen teilnehmen.
Abschließend, Herr Minister, mag die Situation in Tschetschenien vielleicht keine aktuelle Frage mehr sein, aber die Realität dort ist noch immer sehr besorgniserregend. Es werden noch immer Menschen umgebracht, Menschen werden illegal aufgegriffen und festgehalten, Menschen werden erpresst, Entführungen sind an der Tagesordnung und Folter ist Standard. Das ist die Realität in Russland, Herr Minister, und ich hoffe, dass Sie daran denken werden, wenn Sie Ende der Woche mit Herrn Putin sprechen werden.
Helmuth Markov, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Stabilität und Entwicklung in Europa und in der Welt ist ohne eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland nicht möglich. Was würde ich mir wünschen, im Gegensatz zu Samara? Wenn Sie wiederkommen, berichten Sie uns bitte: Sie haben eine gemeinsame Strategie mit Russland für die Lösung des Kosovo-Problems. Sie haben eine gemeinsame Strategie für den Friedensprozess im Nahen Osten. Sie vertreten eine gemeinsame Position zum Nuklearproblem im Iran, und es gibt eine gemeinsame Strategie zur Lösung des Transnistrien-Problems.
Es geht nicht nur um Energielieferungen. Lassen Sie uns Galileo vergessen! Die Industrie will es nicht, der Steuerzahler soll es bezahlen. Lassen Sie uns mit Russland gemeinsam vernünftige Energiepolitik mit neuen Technologien betreiben. Lassen Sie uns das Problem des visafreien Verkehrs mit Russland lösen. Warum sind wir dort noch immer nicht viele Schritte weitergegangen, nur für diese speziellen Gruppen? Ich glaube, es gibt eine ganze Menge.
Wie wird sich die Europäische Union zum Raketenschild stellen? Werden wir mit Russland gemeinsam sagen: Wir wollen keinen US-amerikanischen Raketenschild? Ich fände es wunderbar, wenn wir das erreichen könnten. Natürlich müssen wir Russland auch kritisieren und ihm sagen: Wenn ich in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Antiterrorismuspläne von Herrn Schäuble und Herrn Jung auftrete, dann muss ich auch Russland sagen, dass ich dieses Antidiskriminierungsgesetz nicht will. Das ist vollkommen klar.
Wenn wir der Auffassung sind, dass die Lage in Tschetschenien in keiner Art und Weise den Menschenrechten entspricht, dann müssen wir das auch klar und deutlich sagen, und das dürfen wir eben dann auch nicht vergessen. Ich glaube, guten Partnern, wenn man ein vernünftiges Partnerschaftsabkommen hat, darf man dies sagen, muss man dies sagen. Wir brauchen Russland, Russland braucht uns, und wir werden gemeinsam vorankommen, wenn wir alle Fragen auf den Tisch legen und vor allem Lösungsvorschläge vorlegen.
Jana Bobošíková (NI). – (CS) Meine Damen und Herren! Wenn wir uns auf globaler Ebene behaupten wollen, ist es notwendig, dass die EU als starker Staatenverbund und Russland als Supermacht ihre Volkswirtschaften integrieren.
Nur so werden sie fähig sein, dem unausweichlichen politischen Druck standzuhalten, der sonst diese vernunftbestimmte Partnerschaft spalten könnte. Nach dem aktuellen Stand entsprechen die russischen Ausfuhren in die EU, lässt man den energiebezogenen Handel außer Acht, in etwa denen von Marokko oder Argentinien. Deshalb unterstütze ich den Aufruf des für den Handel zuständigen Kommissars, Herrn Mandelson, der die EU und Russland aufgefordert hat, sich nicht länger wie zwei Städte zu verhalten, die nur durch eine enge Straße und eine Gasleitung verbunden sind.
Nach meiner Überzeugung sollten sich beide Partner auf den Aufbau langfristiger, gegenseitig vorteilhafter Wirtschafts- und Handelsbeziehungen konzentrieren und nicht zulassen, dass kurzfristige taktische Politspielchen die Oberhand gewinnen. Meiner Ansicht nach ist es im Interesse der EU-Bürger, dass die EU gegenüber Russland konsequent handelt, was im Augenblick nicht der Fall ist. Wir sollten auf die Schaffung eines stabileren politischen und unternehmerischen Klimas in Russland dringen, das mit weniger Hindernissen für den Import verbunden wäre und Investoren aus der EU eine bessere Plattform bieten würde.
Reino Paasilinna (PSE). – (FI) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt zwei Möglichkeiten, die Beziehungen zwischen der EU und Russland zu bewerten. Wir können diese entweder als Problem oder als Chance sehen. Wie wir wissen, haben wir derzeit von beidem reichlich.
Letzte Woche haben die führenden Politiker der Union in Lissabon einen Schritt in Richtung auf eine kohärentere Außenpolitik unternommen. Könnte nicht die Russland-Politik die erste Anlaufstelle für beide Seiten, also auch für Russland, sein? Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommens bedarf einer Erneuerung, und das wissen wir. Im Bereich der Nördlichen Dimension ist in den Angelegenheiten der Ostsee etwas erreicht worden, aber wir müssen zu neuen Bereichen aufbrechen. Fahrpläne dafür gibt es, aber es gibt nicht viele Reisende auf diesem Weg.
Wir haben die russische Mitgliedschaft in der WTO befürwortet. Jetzt müssen wir nur noch zum Abschluss der Vereinbarung kommen. Dann bekäme man auch die Zölle auf Holz und die ungesetzlichen Abgaben an den Grenzen, die Frau Kommissarin Ferrero-Waldner angesprochen hat, in den Griff. Wir sind in Fragen der Energie vollkommen abhängig voneinander, aber diese Abhängigkeit muss in beide Richtungen funktionieren. Exporte stehen für diese Abhängigkeit genauso wie Importe.
Wir müssen deshalb das stumme Schauspiel mit Russland beenden. Leider dauert die Situation bereits seit langem an, aber ich ziehe den Hut vor dem neuen Staatschef Polens, der eine Verbesserung der Beziehungen mit Russland und auch Deutschland anstrebt, wobei Russland offensichtlich das größere Problem ist.
In den Gesprächen müssen auch Ergebnisse im Bereich der Bürgerrechte erzielt werden, und nicht nur im Hinblick auf Waren. Ich möchte den Rat fragen, ob die Angelegenheit der Holzzölle auf dem Gipfel angesprochen werden soll. Außerdem, was ist mit dem neuen Gesetz in Russland und der Praxis, dass ein Verdächtiger zur Befragung nicht an das Land überstellt wird, in dem die Straftat begangen wurde? Das ist ein merkwürdiges Verfahren. Es bedeutet, dass ein Krimineller, der in irgendeinem Mitgliedstaat eine Straftat begangen hat, in Russland Asyl suchen kann. Wird der Rat dieses Thema auf dem Gipfel ansprechen?
Annemie Neyts-Uyttebroeck (ALDE). – (NL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! In dieser ganzen Aussprache und den Stellungnahmen des Rates und der Kommission ist mehr als deutlich geworden, wie schwer es ist, in Bezug auf Russland den gebotenen Respekt für das große und wichtige Land und das große und wichtige Volk mit der Verbreitung unserer Grundprinzipien des Rechtsstaates, einer funktionierenden Demokratie, freier Medien und der Einhaltung der Menschenrechte in Einklang zu bringen. Es ist schwer, das richtige Gleichgewicht zu finden, und das umso mehr, weil Präsident Putin es wie kein anderer versteht, jede Meinungsverschiedenheit oder auch nur die kleinste Nuance in den Meinungen der Mitgliedstaaten auszunutzen.
Wir haben gehört, dass in Russland bald Wahlen stattfinden werden und wissen, dass dies in wenigen Wochen sein wird. In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass die Bedingungen, die den nicht in der Duma vertretenen Parteien auferlegt werden, absolut nichts mit Demokratie zu tun haben. Ob wir über die Höhe der Einlagen, die Anzahl der erforderlichen Unterschriften oder deren Prüfung sprechen – sehen Sie sich an, was vor einigen Monaten in St. Petersburg vorgefallen ist – in keinem einzigen Punkt erfüllen sie die Kriterien, die unserer Meinung und der Meinung der übrigen Welt nach freie und faire Wahlen kennzeichnen. Mit anderen Worten, das verheißt überhaupt nichts Gutes.
Ferner haben wir einige besorgniserregende Berichte über Versuche gehört, die Kontakte von Studenten und Menschen, die an Besuchsprogrammen teilnehmen, streng zu kontrollieren. Mit anderen Worten, und damit komme ich nun zum Schluss, Herr Präsident: Die Mitgliedstaaten müssen sich stärker zusammentun und aufmerksamer sein denn je, damit die Zusammenarbeit fortgesetzt werden kann.
Inese Vaidere (UEN). – (LV) Meine Damen und Herren! Russland ist ein wichtiger Partner, seine Politik gibt jedoch Anlass zur Sorge. Zwar wurden bisher noch keine Statuen von Herrn Putin auf den Straßen von Russland errichtet, es sind jedoch Zeichen eines Personenkults sichtbar. Die Kandidatur des Staatspräsidenten bei den Parlamentswahlen ist ein noch nie dagewesener Präzedenzfall in der Geschichte eines demokratischen Staates, genauso wie die Ernennung des Anführers der radikalen Jugendbewegung „Nashi“ für den Posten als Jugendminister sowie die Weigerung, eine Delegation des Unterausschusses des Europäischen Parlaments für Menschenrechte zu empfangen. Die Manipulationen Russlands von anderen Nationen sind gefährlich. Untersuchungen in Lettland lassen erkennen, dass die Unterstützung Russlands für die Völker im krassen Gegensatz zu der Integration der Gesellschaft steht. Des Weiteren befürchte ich, dass die Geschichte der politischen Aktivitäten jener Personen, die vor kurzem das Russland-Forum im Europäischen Parlament organisiert haben, Anlass für die Annahme ist, dass möglicherweise destruktive Pläne in anderen europäischen Staaten vorliegen. Unsere Pflicht ist es, diese Manipulationen zu bekämpfen, da Russland die Grenzen unserer Geduld überschreitet. Was den Energiedialog betrifft, so müssen die Grundsätze und die Ratifizierung der Energiecharta ein integraler Bestandteil der neuen Vereinbarung werden – trotzt Moskaus Unzufriedenheit mit dem Grundsatz der Gegenseitigkeit. Vielen Dank.
Hélène Flautre (Verts/ALE). – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, drücken wir uns doch klar aus! Der Beschluss, den wir gestern gefasst haben, wird von den russischen Behörden – und sie haben dies tatsächlich bereits getan – als großer Erfolg gewertet werden: keine Entschließung, keine Mitteilung. Das ist nach der Ablehnung einer offiziellen „Menschenrechtsdelegation“ des Europäischen Parlaments eine richtige Belohnung. Die russische Gesellschaft ist mehr denn je Geisel einer propagandistischen Presse und ist in einen gefährlichen Nationalismus verfallen.
Heute herrscht in Russland auf Angst beruhende Gewalt, während sich Rassismus und Ausländerfeindlichkeit auf dem Vormarsch befinden. Das Wort „unabhängig“ darf nicht mehr verwendet werden. „Unabhängige“ Verfechter der Menschenrechte, Journalisten oder politische Gegner werden automatisch als „Regimegegner“ abgestempelt. Ein 2007 verabschiedetes Gesetz ist offiziell ihnen gewidmet. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Extremismus gibt es den Behörden in Wirklichkeit alle Freiheiten in diesem unfairen Kampf. Und wie uns gestern Marie Mendras sagte, bringt dieses Klima der ständigen Verletzung der Menschenrechte die Menschen dort nicht dazu zu handeln. Putin hat so sein Ziel erreicht: Es ist ihm gelungen, seine Mitbürger zu überzeugen, dass Russland seinen eigenen besonderen Gesetzen in Bezug auf die Demokratie und die Menschenrechte folgt.
Mit einer solchen Ansicht ist es keineswegs verwunderlich, dass Russland der letzte Mitgliedstaat des Europarates ist, der das Protokoll 14 nicht ratifiziert hat. Das ist für Putin ein Geschenk des Himmels, ein Segen. Es bedeutet, dass er sich nicht an die Regeln halten muss und verhindern kann, dass die Anträge, insbesondere seitens tschetschenischer Folteropfer, bearbeitet werden. Angesichts dieser Situation wäre es naiv zu denken, dass in Russland am 2. Dezember freie und transparente Wahlen stattfinden werden. Sind sie unter diesen Umständen nicht vielmehr eine Volksabstimmung für oder gegen Wladimir Putin? Ohne Änderung der Verfassung wird er weiter die Macht über alle politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten sowie in Verwaltungs-, Rechts- und Sicherheitsfragen innehaben.
Am Vorabend des EU-Russland-Gipfels appelliere ich an den Rat und die Kommission, die Menschenrechte auf die höchste politische Ebene zu stellen. Sie müssen unbedingt eine Schlüsselrolle spielen, ob es nun um die künftige Vereinbarung, das Kosovo oder den Energiebereich geht. Das fordern die russischen Demokraten von uns, sie sagen uns einfach: „Sprechen Sie weiter darüber, sagen Sie weiter die Wahrheit“. Wir setzen zumindest nicht unser Leben aufs Spiel, wenn wir das tun.
VORSITZ: MECHTILD ROTHE Vizepräsidentin
Vladimír Remek (GUE/NGL). – (CS) Meine Damen und Herren! Die Debatte über die Beziehungen zwischen der EU und Russland steht am häufigsten auf der Tagesordnung in diesem Hause.
Regelmäßig sind dieselben Klischees zu hören, ob nun absichtlich oder aus Unverständnis oder Unkenntnis der Fragen. Trotzdem müssen wir, ob wir wollen oder nicht, Russland als Partner behandeln. Wenn wir keine gemeinsame Sprache finden können und uns nicht um eine allmähliche Verbesserung der Beziehungen bemühen, wird die EU darunter stärker leiden als Russland. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Augen vor Schwierigkeiten verschließen, sondern dass wir vielmehr der Realität ins Gesicht sehen und jeden mit demselben Maß messen.
Tatsache ist, dass das heutige Russland wirtschaftlich stärker und dadurch selbstbewusster ist. Es schützt auch seine eigenen Interessen, wie es die USA und übrigens auch die EU tun. Wir brauchen eine nüchterne Vorgehensweise. Deshalb freut es mich, dass wir mit der Vertagung des Entschließungsantrags unserem Vertreter beim Gipfel in Portugal freiere Hand gegeben haben.
Das heutige Russland ist nicht die frühere Sowjetunion. Ich sage das nicht aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen während einer langjährigen Tätigkeit in diesem Land, sondern auch in Anlehnung an die Worte der Chefin der amerikanischen Diplomatie.
Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE). – (NL) Frau Präsidentin! Ich möchte der amtierenden Ratspräsidentschaft und dem Präsidenten der Kommission danken. Ich habe nicht vor, den Erfolg des Gipfels an der Länge der gemeinsamen Abschlusserklärungen zu messen. Für mich ist wichtig – und ich hoffe, dass darüber gesprochen wird –, dass wir die Details der Themen ausarbeiten, von denen wir wissen, dass wir gemeinsame Lösungen für sie finden müssen.
Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind unglaublich komplex. Das wird sich bei diesen Wahlen nicht ändern. Allerdings müssen wir akzeptieren, dass es für Russland und die EU keine wirtschaftliche und politische Alternative zur Partnerschaft gibt. Frau Präsidentin, für diese Partnerschaft verfügen wir über ein hervorragendes Abkommen. Das gibt es seit nunmehr zehn Jahren. Wie werden wir in Zukunft kreativ damit umgehen? Der Gipfel ist ferner eine wichtige Gelegenheit, um Erläuterungen des Demokratiekonzepts zu verlangen und ich danke der Kommission für das, was sie in diesem Punkt zu tun plant.
Was mich immer erschüttert, ist, dass in Russland Stabilität und Demokratie als Gegensätze betrachtet werden. Natürlich ist das nicht unsere Ansicht und wird es niemals sein. Für uns alle ist es sehr wichtig, dass Russland der WTO beitritt.
Hannes Swoboda (PSE). - Frau Präsidentin! Es ist nicht sehr sinnvoll, die Realpolitik gegenüber der Moralpolitik – wie Kollege Watson gesagt hat – auszuspielen. Wir brauchen beides: Wir brauchen eine realistische Einschätzung Russlands und einen klaren und festen Standpunkt, was die moralischen Fragen, also die ethischen Fragen, betrifft.
Viele von uns haben geglaubt, dass nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Russland eigentlich von der Weltbühne verschwindet, und viele haben sich das gewünscht. Es ist nicht so gekommen, es ist vor allem auch nicht so gekommen, weil Russland sicherlich durch die steigenden Energiepreise höhere Einnahmen und eine erhöhte Kraft auch für weltpolitisches Auftreten hat. Das sollten und müssen wir zur Kenntnis nehmen, alles andere ist unrealistisch.
Was wir nicht einfach zur Kenntnis nehmen wollen, sind natürlich die negativen Entwicklungen, und sowohl die Ratspräsidentschaft als auch die Frau Kommissarin haben das deutlich gemacht. Wir wollen nicht einfach zur Kenntnis nehmen, dass es immer wieder Schritte zur Entdemokratisierung in Russland gibt, Schritte, die wir nicht akzeptieren können, die nichts mit der Fortentwicklung der Demokratie, sondern etwas mit der Rückentwicklung der Demokratie zu tun haben. Wir wollen nicht einfach zur Kenntnis nehmen, dass Russland leider nicht bereit ist, gegenüber seinen Nachbarn oder unseren gemeinsamen Nachbarn eine offene Partnerschaft einzugehen. Das wäre unser Interesse, und das sollen wir auch ganz klar und deutlich sagen: Wir wollen mit Russland gemeinsam diese Partnerschaft entwickeln, aber mit einem Russland, das die Selbständigkeit und Souveränität aller Nachbarn anerkennt.
Was wir nicht akzeptieren können ist, dass Russland einerseits als Mitglied zum Beispiel des Europarates oder der OSZE mit Recht Einfluss nehmen möchte, aber nicht andererseits die Verantwortung übernehmen möchte und sich zum Beispiel gegen Wahlbeobachtung wehrt. Wir sollten den Wahlen nicht prinzipiell misstrauen, aber ein Land wie Russland, das meint, dass seine Demokratie voll entwickelt ist, muss sich auch gefallen lassen, dass man das auch konkret überprüft. Wenn Russland im Europarat und in der OSZE eine große Rolle spielen will, dann fordern wir Russland auf, das auch zu demonstrieren, indem es Wahlbeobachter zulässt, damit klargestellt wird, dass die Wahlen transparent und fair ablaufen. Das ist das Interesse, das die Europäische Union gegenüber Russland klar zum Ausdruck bringen soll.
Bronisław Geremek (ALDE). – (PL) Herr amtierender Ratspräsident, Frau Kommissarin! Bei einer Debatte über die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union sollten wir uns nach meinem Dafürhalten selbst die Frage stellen, was Russland von der Europäischen Union und was die Europäische Union von Russland erwarten. Ein bestimmter russischer Politiker hat gesagt, Russland solle sich nunmehr für die so genannte Politik der Eindämmung entscheiden. Wenn Russland das wirklich umsetzt, bedeutet das in gewisser Weise eine Rückkehr in das Zeitalter des Kalten Krieges. Wir sollten darüber nachdenken, was genau Russland versuchen würde, einzudämmen. Möglicherweise den Sturm der Freiheit, der von der Europäischen Union ausgeht? Das ist ein schwer wiegendes Problem. Zur selben Zeit erklärt die Europäische Union, dass sie eine strategische Partnerschaft mit Russland anstrebt.
Das ist mit Sicherheit eine schwierige Herausforderung, und wir täten gut daran zu bedenken, dass die Grundsätze des Rechtsstaates eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Aufbau einer gesunden Partnerschaft mit Russland sind. Zu einem Rechtsstaat gehört die Unabhängigkeit der Gerichte. Dazu gehören Pressefreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung und wirtschaftliche Freiheit. Dazu gehört auch, Unternehmer nicht gefangen zu halten. Ferner gehört dazu, die Umsetzung der Rechtsstaatlichkeit im Bereich der internationalen Beziehungen, deren Voraussetzung eine Entschärfung der Konflikte im Kaukasus und in der Republik Moldau und der Druck auf die internationale Gemeinschaft, sich mit der Kosovo-Frage zu befassen, sind.
Hanna Foltyn-Kubicka (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Der EU-Russland Gipfel fällt in eine äußerst wichtige Phase der Geschichte Russlands, nämlich dem Ende der Ära Putin. Wird das wirklich das Ende dieser Ära sein?
Die Präsidentschaftswahlen in der Russischen Föderation werden zu keinem Wandel führen. Die Macht wird nach wie vor in den Händen derselben Person liegen, die dieses Mal den Titel Ministerpräsident tragen wird. Andrei Lugovoi, der mutmaßliche Mörder von Alexander Litvinenko, soll Mitglied des Parlaments werden und somit Immunität erhalten. So schützen die russischen Behörden unverhohlen eine Person, die auf dem Boden der Europäischen Union offenbar ein schweres Verbrechen begangen hat. Indem sie das tun, senden sie die klare Botschaft aus, dass die Interessen des Kreml über allen Gesetzen und über dem Respekt gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Union stehen.
Nach den Wahlen wird sich nichts ändern. Das tschetschenische Volk wird weiterhin ausgerottet und die Presse weiterhin zum Schweigen verpflichtet werden, und die ergiebigen Reserven natürlicher Rohstoffe des Kreml werden ihm die Fortsetzung einer brutalen Außenpolitik ermöglichen. Ich hoffe sehr, dass die Vertreter der Europäischen Union das während ihrer Gespräche mit der russischen Delegation im Hinterkopf behalten. Unsere Vertreter müssen sich ferner daran erinnern, dass die Gespräche an sich nicht wichtig sind. Sie werden es erst, wenn sie zu wirklichen Veränderungen in der Russischen Föderation führen.
Christopher Beazley (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte den Herrn Ratspräsidenten und die Frau Kommissarin bitten, diesem Hohen Haus – wie bereits gestern gefordert – die Zusicherung zu geben, dass die hier geäußerten Meinungen am Freitag in Mafra direkt an Präsident Putin und seine Berater weitergeleitet werden.
Wir kennen die drei Grundsätze, die Kommissionspräsident Barroso heilige Grundsätze nennt: Solidarität, Gegenseitigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Als Portugiese weiß der Herr Ratspräsident sicher, dass meine Heimat, England, eine der ältesten Allianzen mit seinem Heimatland verbindet. Wir wissen also durchaus, was Solidarität und gegenseitige Hilfe bedeuten. Und wenn wir es vergessen, erinnert uns der gemeinsame Schutzheilige São Jorge wieder daran.
Der Angriff auf einen Mitgliedstaat oder seine Diplomaten bzw. Cyberattacken auf einen Mitgliedstaat sind ein Angriff auf die gesamte EU. Es ist sicher angemessen, Präsident Putin daran zu erinnern, dass diese Solidarität und Reziprozität für uns wesentlich sind. Wir können das Konzept der souveränen Demokratie nicht akzeptieren, wenn dies bedeutet, dass Russland internationalen Organisationen – wie der von der Frau Kommissarin erwähnten WTO – beitritt und dort Zusicherungen gibt, diese dann aber nicht einhält. Das muss betont werden.
Morgen endet Michail Chodorkowskis vierjährige Haftstrafe in Sibirien. Nach dem russischen Gesetz hätte diese Strafe eigentlich in Moskau verbüßt werden müssen. Es ist daher sicher auch angemessen, Präsident Putin daran zu erinnern, dass Rechtsstaatlichkeit eine beidseitige Angelegenheit ist, zumindest was unsere Beziehung betrifft. Michail Chodorkowski wird nicht freigelassen, weil neue Vorwürfe erhoben wurden.
Sie fragen sich vielleicht, was das die EU angeht. Die Antwort ist: Viele Anteilseigner in der EU befürchten, dass wirtschaftliche und rechtliche Verpflichtungen nicht eingehalten werden.
Schließlich, Herr Ratspräsident, sind wir ja nicht zur Kooperation gezwungen, und ohne gegenseitige Achtung und gegenseitiges Verständnis wird die Partnerschaft auch nicht funktionieren. Wir bemühen uns sehr darum. Aber wir brauchen Präsident Putins Zusicherung, dass er unsere Grundsätze auch verstanden hat.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Meine Damen und Herren! Ich stimme der Aussage von Minister Antunes voll und ganz zu, dass die Beziehungen zwischen der EU und Russland stärker und fester sind, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Die EU und Russland haben ein gemeinsames Interesse an einer strategischen Partnerschaft. Schließlich bewohnen wir alle denselben Kontinent. Es besteht eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit. Ohne Zusammenarbeit beider Seiten können wir kein gewichtiges internationales Problem lösen, seien es die Erderwärmung, die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Konflikt im Nahen Osten oder im Kosovo und so weiter. Mit anderen Worten, starke, flexible und ausgewogene nachbarschaftliche Beziehungen zwischen der EU und Russland sind von grundlegender Bedeutung für die Stabilität, die Sicherheit und den Wohlstand ganz Europas.
Über der Pflege und Stärkung dieser Beziehungen sollten wir jedoch nicht die der EU zugrunde liegenden Grundwerte vergessen wie etwa die Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit. Meiner Überzeugung nach sollten wir unsere russischen Kollegen jetzt angesichts der bevorstehenden Wahlen in Russland an diese Werte erinnern.
Beim kommenden Gipfel in Mafra sollte die EU unsere russischen Partner ebenfalls an die Grundsätze der Transparenz und der Gegenseitigkeit in den Wirtschaftsbeziehungen erinnern. Die europäischen Märkte sollten in der Tat für russische Unternehmen offen bleiben. Gleichermaßen sollten aber auch die russischen Märkte für europäische Märkte vollständig offen sein, und zwar einschließlich der Energiemärkte und verbundener Firmen.
Georgios Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Frau Präsidentin! Der Übergang zu einer neuen Strategischen Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland ist kein einfaches Unterfangen. Behindert wird er durch immer neue Divergenzen, die bisweilen zu beachtlichen Spannungen führen. Werden diese Unterschiede überinterpretiert, gewinnen die hemmenden Verhaltensmuster der Vergangenheit erneut an Oberhand, die Gegenwart wird ungewiss und konstruktive Fortschritte werden im Keim erstickt.
Die Partnerschaft EU-Russland wirft einige nahe liegende Fragen auf. Hat sich Russland mit der Realität einer erweiterten Union abgefunden? Konnte die Union ihre anfänglichen Schwierigkeiten mit der Osterweiterung überwinden? Haben die neuen Mitgliedstaaten den Eindruck, dass sie in ein wirksames europäisches Sicherheitssystem eingebunden sind? Wie reagiert die Union auf die russischen Bemühungen, seine neue Rolle im internationalen Machtgefüge zu definieren und zu stärken? Werden beide Seiten am Klima des Misstrauens und an der „stillen Diplomatie“ festhalten oder sich um gemeinsame Aktionspläne bemühen?
Meines Erachtens sind sektorspezifische Ansätze allein nicht die beste Lösung. Das erklärte Ziel der Schaffung vier gemeinsamer Räume wie auch der geplante WTO-Beitritt Russlands müssen politisch verbindlich bleiben. Demzufolge bedarf es breit angelegter, stabiler Partnerschaftsstrukturen für die Zusammenarbeit in den folgenden Bereichen: Wirtschaft; Freiheit, Sicherheit und Recht; äußere Sicherheit und Forschung, Bildung und Kultur. Russophobie ist völlig inakzeptabel in einer EU, die sich auf demokratische Grundsätze, auf Rechtsstaatlichkeit und auf Grundfreiheiten beruft. Ich verstehe die Befindlichkeiten, die bei einigen Bürgern der neuen Mitgliedstaaten bestehen, doch eine Überbewertung der Erfahrungen der Vergangenheit könnte die Aussichten auf eine transparente politische Zusammenarbeit und enge institutionelle Beziehungen schmälern.
Herr Ratspräsident, Frau Kommissarin, es ist im beiderseitigen Interesse Russlands und der Union, gemeinsame politische und wirtschaftliche Zielvorgaben im Sinne von Demokratie, Frieden, Stabilität und Sicherheit zu definieren.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Ich möchte zunächst die Bedeutung einer strategischen Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland hervorheben und meine Zuneigung zu den Menschen der Russischen Föderation und in der Tat zu allen Nationen Russlands zum Ausdruck bringen. Ferner möchte ich die Errungenschaften Russlands im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Umgang mit sozialen Krisen würdigen. Eine echte strategische Partnerschaft erfordert jedoch eine ernsthafte und ehrliche Herangehensweise an gegenseitige Beziehungen. Die Europäische Union hat die Entwicklung eines neuen autoritären Systems um Präsident Putin mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Dieses System droht, die liberale Demokratie in Russland selbst permanent zu schwächen. Darüber hinaus wird das Feuer des Neoimperialismus in der russischen Außenpolitik angefacht. Amnesty International weist in ihren im Vorfeld des EU-Russland-Gipfels erstellten Dokumenten auf Verstöße gegen die Menschenrechte in Russland hin. Die Angaben von Amnesty beziehen sich auf Verstöße gegen die Menschenrechte durch Regierungsbehörden im Nordkaukasus, insbesondere in Tschetschenien und Inguschetien, auf die Besorgnis erregende Situation in Bezug auf das Recht der freien Meinungsäußerung und die Vereinigungsfreiheit, auf die Ermordung von Journalisten und die wachsende rassistisch motivierte Gewalt.
Die portugiesische Ratspräsidentschaft sollte die von Amnesty International dargelegten Aspekte auf dem am 26. Oktober 2007 in Mafra stattfindenden Gipfel ansprechen. Die russische Zivilgesellschaft, die Journalisten und Menschenrechtsaktivisten müssen die Europäische Union als Hüterin der Grundrechte und Verbündeten eines Russlands wahrnehmen, das demokratisch, liberal und der Welt gegenüber offen ist.
Elmar Brok (PPE-DE). − Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Frau Kommissarin, Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass der EU-Russland-Gipfel dazu führt, dass man auch einen Augenblick innehält und dass wir einmal unsere gemeinsamen Interessen definieren, die es zweifellos gibt. Interessen, die wirtschaftlicher Art sind, die sicherheitspolitischer Art sind, die in Fragen wie Nahost und Iran, Bekämpfung des Terrors und so weiter gegeben sind und bei denen wir sehen müssen, dass wir unsere Ziele nicht erreichen können, ohne dass Russland im Boot ist. Aber Russland muss auch verstehen, dass es, wenn es dies nicht tut, gegen seine eigenen Interessen verstößt.
Wenn ich mir die demografische Entwicklung Russlands ansehe und die Weiten Sibiriens und dass da Länder mit vielen Einwohnern sind, dann würde ich mir auf der russischen Seite nicht Bedrohung aus Europa vorstellen, sondern langfristig von woanders her. Ich glaube, hier gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung, wo wir etwas tun müssen.
Wir haben von Seiten des so genannten Westens, auch der Amerikaner, Russland nicht wirklich ernst genommen, als es darnieder lag, wodurch es jetzt wieder ins imperiale Gehabe fällt, auch was die Entwicklung in Russland selbst angeht, was Menschenrechte und Pressefreiheit betrifft, mit wieder zu vernehmenden Äußerungen, die nicht akzeptabel sind, die mit der Unabhängigkeit der Nachbarstaaten zu tun haben. Es kann nicht sein, dass aus near abroad Ansprüche erhoben werden, dass man sich gegenüber einem Land so oder so zu verhalten habe. Jedes einzelne Land hat das Recht auf eigene, souveräne Entscheidungen, wohin der Weg geht. Dies muss Russland akzeptieren. Es kann nicht zu alten Vorstellungen zurückkommen und die Energie als eine Waffe einsetzen, was noch weniger akzeptabel ist.
Wir können dies nur überwinden, wenn wir auch mit der Interessenanalyse wieder beginnen. Ich hoffe, dass dies, wenn in Russland die Wahlen vorbei sind, wieder möglich wird, und dass dies auch dazu führt, dass man nicht in Russland eine falsche wirtschaftliche Entwicklung verfolgt. Mit viel Geld aus dem Öl- und Gasgeschäft baut man die alten Kombinate der Großindustrie im Bereich Flugzeug- und Schiffbau und ähnlichem wieder auf. Wenn das einmal schlechter geht, werden sie dasselbe Desaster haben wie bisher, weil sie nicht eine vernünftige mittelständische breite Wirtschaftsstruktur aufbauen, mit all den Konsequenzen, die damit verbunden sind. Auch dürfte in unserem Interesse sein, dass hier innerhalb Russlands nicht neue Vakua entstehen, wenn das mit dem Ölpreis einmal nicht mehr so stimmen sollte.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Das Gipfeltreffen kann sich bei der Klärung der noch offenen Fragen zwischen der Europäischen Union und Moskau als nützlich erweisen. Allerdings hat Herr Amado das Ziel bereits vorsorglich niedriger gesteckt und erklärt, dass der Vorsitz über keine ehrgeizige Agenda für das Gipfeltreffen in Mafra verfügt.
In einem aktuellen Interview mit der Nachrichtenagentur LUSA beschwerte sich sein Amtskollege Sergej Lavrov über eine um sich greifende Seuche in der Europäischen Union und meinte damit das destruktive Verhalten einiger Mitgliedstaaten. Doch unsere Beziehungen werden durch den langsamen Tod der Demokratie, der Menschenrechte, der Pressefreiheit und des Rechtsstaates in Russland und die Tatsache vergiftet, dass einige ehemalige Angehörige der Sicherheitskräfte die Agenda der Russischen Föderation bestimmen. Dies bereitet der europäischen Öffentlichkeit Sorgen und spiegelt sich in unseren Beziehungen wider. Diese in der Europäischen Union um sich greifende Seuche der Uneinigkeit wird behandelt und der Reformvertrag ist ein wirksames Heilmittel. Leider ist keinerlei Heilung für das Abdriften von Putins Russland in eine Alleinherrschaft in Sicht, und wenn der Rat der Europäischen Union weiterhin seine Augen vor der Situation verschließt, wird eine Gesundung noch weitaus mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – (RO) Der Gipfel in Mafra am 26. Oktober 2007 findet in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Ereignissen statt, die für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland von entscheidender Bedeutung sind. Ich möchte nur einige davon nennen: das Auslaufen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Union und Russland, die russischen Parlamentswahlen im Dezember 2007 und die russischen Präsidentschaftswahlen im März 2008. Durch diesen Zusammenhang bietet sich nicht nur die Möglichkeit, Russland zu einem offenen und aufrichtigen Dialog mit der Europäischen Union anzuhalten, sondern auch, eine nüchterne Bilanz über die vergangenen zehn Jahre der Zusammenarbeit zu ziehen.
Ich möchte mich meinen Vorrednern anschließen und betonen, dass Russland in der gemeinsamen Nachbarschaft und in der Schwarzmeerregion eine wichtige Rolle übernehmen sollte. Ein Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre zeigt, dass in dieser Region nach wie vor Konflikte schwelen und dass die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen Russlands mit den Ländern der Region und mit den Nachbarstaaten, die gleichzeitig Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, nicht immer auf Gegenseitigkeit, Vertrauen und dem Grundsatz der guten Nachbarschaft gründen. Für die schwelenden Konflikte, die ich eben erwähnt habe, lässt sich ein gutes aktuelles und bekanntes Beispiel anführen: die Umstände der Freilassung der politischen Gefangenen Andrei Ivantoc und Tudor Popa. Sie sind der lebende Beweis für die dortige Instabilität und für eine gewisse Unsicherheit, von der die gesamte Region betroffen ist. Demzufolge sollten sich die Teilnehmer des Gipfels in Mafra dieser Themen annehmen, die an die grundlegenden Zielsetzungen der Europäischen Union erinnern, nämlich die Errichtung eines echten Raums der Demokratie, Stabilität und des Wohlstands in der Schwarzmeerregion und der gemeinsamen Nachbarschaft.
In diesem Zusammenhang sollte sich der Dialog zwischen der Europäischen Union und Russland kontinuierlich um den Status und die konstruktive Einbeziehung Russlands unter Einhaltung internationaler Standards und Verpflichtungen drehen. Eine strategische Partnerschaft, die diesen Namen verdient, sowie starke und zweckmäßige Beziehungen erfordern mehr Verantwortung und ein klares Engagement auf beiden Seiten.
Katrin Saks (PSE). – (ET) Gestern gab es eine ungarische Marionettenvorstellung im Parlament. Und dabei musste ich daran denken, wie wir mitunter hier abstimmen, nämlich indem wir wie im Trance unser Handzeichen geben. Sind wir etwa inzwischen auch schon zu Marionetten geworden?
Es gibt Gerüchte über hinter verschlossenen Türen getroffene Vereinbarungen zu einem Vorschlag seitens des EU-Ratspräsidenten, die Entschließung zu Russland einfach so durchrutschen zu lassen, angeblich, um die Stimmung auf dem EU-Russland-Gipfel nicht zu trüben. Es ist ein Skandal, dass wir der Selbstdarstellung willen unsere eigene Haltung so kleinlaut aufgeben.
Dies ist das beste Beispiel dafür, dass Europa nicht begriffen hat, dass das Problem in Bezug auf die Beziehungen zu Russland nicht in Details liegt, sondern darin, wie wir uns selbst verhalten. Früher hat sich das Europäische Parlament gegen Situationen wie diese gewehrt, aber heute habe ich den Eindruck, dass die (gleiche) Angst, die die Gesellschaft Russlands nach wie vor lähmt, so langsam auch unser Verhalten beeinträchtigt.
Warum machen wir immer wieder Ausnahmen für Russland? Glauben wir weiterhin, so wie früher, an unsere eigenen Prinzipien, oder lassen wir es zu, dass sich der Gedanke in unseren Köpfen ausbreitet, Russland ist so anders, dass nicht nur unsere Eierkuchen, sondern auch unsere Beziehungen für eine Partnerschaft auf russische Art geformt werden müssen? Solch ein Verhalten ist für beide Seiten, sowohl für die Europäische Union als auch für Russland, destruktiv.
Tunne Kelam (PPE-DE). - (EN) Frau Präsidentin! Ich denke, es ist höchste Zeit, der Realität ins Auge zu blicken. Herr Watson sagte, der derzeitige Mechanismus der Zusammenarbeit weise Risse auf, die immer größer werden. Im Partnerschafts- und Kooperationsabkommen steht, dass wir über gemeinsame Werte verfügen. Doch Chris Patten hat bereits vor einigen Jahren geschrieben, er glaube nicht, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt gemeinsame Werte besäßen. In der russischen Staatspolitik ist es traditionell üblich, sich zu verstellen und potemkinsche Dörfer zu bauen, und Präsident Putin tut nach wie vor so, als gäbe es Demokratie im Land, obwohl er inzwischen einen autoritären, höchst nationalistischen Staat errichtet hat.
Wir tun auch alle so, als wären die bevorstehenden Wahlen entscheidend. Ich bezweifle das, denn es ist doch alles längst vorbereitet, um diese Wahlen so zu manipulieren, dass die Ergebnisse Herrn Putins Wünschen entsprechen, dazu zählen auch künstliche Oppositionsparteien und die Gründung zweifelhafter Nichtregierungsorganisationen. Wenn wir jetzt bei diesem Spiel der Täuschungen mitmachen und vorgeben, an diese Art Demokratie zu glauben, tragen wir Mitverantwortung an dem, was in Russland geschieht, und am Schicksal der einfachen Russen, die etwas Besseres verdient haben als diese Scheindemokratie.
Deshalb bin ich mit der Erklärung des Rates, zur Zusammenarbeit gäbe es keine Alternative, ganz und gar nicht einverstanden. Demokratie basiert auf der Schaffung und Nutzung von Alternativen, und wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass die Menschenrechte entschieden verteidigt werden. Wir müssen in unseren Beziehungen abwägen und zeigen, dass wir auch bereit sind, die Zusammenarbeit einzustellen, wenn Russland nicht mit Offenheit und Gegenseitigkeit reagiert.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Ich habe alle heutigen Wortmeldungen zum bevorstehenden Gipfeltreffen der Europäischen Union mit Russland, zu den generellen Beziehungen zwischen der EU und Russland und zu ihrer Sicht der innenpolitischen Lage in Russland aufmerksam verfolgt. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich, wie es natürlich meine Aufgabe ist, alle Standpunkte zur Kenntnis genommen habe und gebührend berücksichtigen werde.
In meinen Augen zieht sich die Feststellung, dass Russland ein strategischer Partner der Europäischen Union ist, wie ein roter Faden durch alle heutigen Kommentare und Analysen. Die EU braucht Russland genauso wie Russland die EU braucht. Auf dieses eindeutige Urteil müssen wir unsere Beziehungen gründen, die natürlich für beide Seiten Vorteile bringen, aber auch solide und stark sind und auf gemeinsamen Werten und Grundsätzen beruhen.
Es wurde auf Solidarität, Menschenrechte und Gegenseitigkeit hingewiesen. Heute muss die Europäische Union mehr denn je innere Geschlossenheit gegenüber Russland an den Tag legen. Ich habe schon immer gesagt, dass das Problem eines Mitgliedstaates ein Problem aller Mitgliedstaaten ist. Diese Solidarität darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden.
Mit Blick auf die Menschenrechte wissen wir alle, dass sich unsere Union seit jeher auf die Achtung von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten stützt. Dies sind unsere unveräußerlichen Werte und Grundsätze, die unsere Beziehungen mit Drittstaaten auf jeden Fall bestimmen müssen.
Wir für unseren Teil müssen natürlich die Gegenseitigkeit sicherstellen. Jedoch dürfen wir dabei auch Gegenseitigkeit von anderen erwarten. Wenn es gegenwärtig, wie der Abgeordnete bemerkt hat, Bruchlinien gibt, dann können meines Erachtens die Europäische Union und Russland nur profitieren, wenn sie alles unternehmen, was gemäß dem von mir genannten Referenzrahmen möglich ist, der anders gesagt ein Rahmen der Solidarität, der Gegenseitigkeit und der Achtung der Menschenrechte ist.
Es ist zweifellos von grundlegender Bedeutung für die Europäische Union, dass diese Bruchstellen heilen, und genau darum werden wir uns bemühen. Wir werden uns dabei natürlich die Schwierigkeiten und unterschiedlichen Zielsetzungen vor Augen führen, aber auch mit Entschlossenheit vorgehen, denn wir sind uns bewusst, dass die gegenwärtige Situation nicht im besten Interesse der Union ist. Wir sind ohne Zweifel dazu verpflichtet, im Interesse der Europäischen Union zu handeln, und werden dies auf offene und transparente Weise tun, indem wir von Angesicht von Angesicht sprechen, wie wir es immer mit Partnern machen sollten, die wir als strategisch betrachten.
Dieser Dialog wird sicherlich intensiv und entscheidend sein. Es wird um Wirtschaft, Handel, Menschenrechte und natürlich um welt- und regionalpolitische Fragen gehen. Wir hoffen und werden uns darum bemühen, dass wir, ungeachtet der Schwierigkeiten, Probleme und Meinungsverschiedenheiten, trotz allem zum Abschluss des Gipfeltreffens am Freitag verkünden können, dass unsere Beziehungen Fortschritte gemacht haben und dass wir ungeachtet der Schwierigkeiten unsere Ziele verwirklichen konnten.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich ein paar Dinge herausgreifen. Die Diskussion hat vor allem eines gezeigt: das wirklich große Spannungsverhältnis, das heute da ist.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Russland ein strategischer Partner ist. Ich habe aber auch gesagt, es ist natürlich ein Nachbarland, und daher ist es besonders wichtig, dass wir die Fragen, die Graham Watson, Christopher Beazley und andere angesprochen haben, hier ganz besonders ernst nehmen. Und wir nehmen sie ernst.
Erinnern Sie sich nur an den letzten Gipfel in Samara. Hier hat Angela Merkel, die Ratspräsidentin, ganz klar – und nicht nur in der Sitzung, sondern auch vor den Medien – die Dinge auf den Tisch gelegt. Das heißt, glauben Sie nicht, dass uns diese Werte nicht wichtig sind. Wir wissen, dass sehr besorgniserregende Entwicklungen im Bereich der Medienfreiheit, im Bereich der Unabhängigkeit der Justiz, im Bereich der Frage der Fairness auch für die Wahlen bestehen.
Alles das, was hier angesprochen wurde, ist natürlich richtig. Aber ich möchte Ihnen auch sagen, dass die Intervention von Elmar Brok hier eigentlich ein bisschen das beschreibt, was ich selbst sehe, nämlich dass wir unsere Interessen klar definieren müssen. Hier sind natürlich auf der einen Seite ganz wesentliche sicherheitspolitische Interessen vorhanden und auf der anderen Seite die menschenrechtlichen demokratiepolitischen Interessen.
Ferner sind selbstverständlich auch die drei großen Prinzipien anzusprechen, die Herr Beazley genannt hat: Solidarität, Reziprozität und Rechtsstaatlichkeit. Natürlich sind die verschiedenen Ausformungen gegeben. Man kann nichts dagegen sagen – Sie haben vollkommen Recht, Herr Beazley –, aber ich kann Ihnen versichern, dass die auch auf den Tisch gelegt werden.
Ich weiß, dass Kommissionspräsident Barroso hier sehr klar diese Dinge ansprechen wird, vor allem auch, was zum Beispiel die Energiefragen betrifft. Sie wissen, dass die Kommission ja auch gerade erst ein Paket verabschiedet hat, das in diese Richtung geht. Wir wollen hier klare Spielregeln, die von allen im Sinne einer echten Gegenseitigkeit eingehalten werden.
Das gesagt habend, möchte ich aber auch an eines erinnern: Wir werden umso stärker sein, je mehr wir in der Europäischen Union bereit sind, wirklich mit einer Stimme zu sprechen. Wie wir alle wissen, gelingt uns das nicht immer. Aber je stärker Russland wird, desto mehr sollten wir mit einer Stimme sprechen. Wir haben diese Energieabhängigkeit, aber wir können unsere Interessen nur dann wirklich verteidigen, wenn wir klar und stark sind.
Vielleicht haben wir in der Vergangenheit nicht darauf geachtet, und als Russland in einer sozusagen schwächeren wirtschaftlichen Position war, haben wir es wahrscheinlich nicht genug unterstützt. Aber heute müssen wir eine Haltung einnehmen, die auf Gegenseitigkeit beruht, und einen echten partnerschaftlichen Ansatz suchen, der aber auch beinhaltet, dass wir von Russland eine Anerkennung dessen bekommen, was uns wesentlich ist.
Die Präsidentin. − Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge(1) eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet während der nächsten Plenartagung statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
András Gyürk (PPE-DE), schriftlich. – (HU) Im Zusammenhang mit dem EU-Russland-Gipfel möchte ich die Aufmerksamkeit auf einige die Energiepolitik betreffende Faktoren lenken. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Regeln der Marktwirtschaft in der russischen Energieindustrie keine Anwendung finden. Russland identifiziert sich nicht mit den Grundsätzen des Schutzes von Auslandsinvestitionen und uneingeschränktem Handel. Es strebt nach Zugang zum europäischen Energiesektor, öffnet in der Zwischenzeit jedoch seinen eigenen Markt für ausländische Unternehmen nicht. In den letzten Jahren haben wir auch beobachtet, wie Moskau bei energierelevanten Themen den eigenen Energieexport ausnutzt, um bei zahlreichen Anlässen politischen Druck auszuüben. Dies ging einher mit den Bemühungen, Uneinigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu säen.
Bei der Ausarbeitung einer gemeinsamen Europäischen Energiepolitik müssen wir bedenken, dass Russland bereits jetzt seinen eigenen Erdgasbedarf sowie die Exportanforderungen aus den eigenen Erdgasvorkommen nicht mehr decken beziehungsweise erfüllen kann. Ein nicht unbeachtlicher Prozentsatz seines Erdgasbedarfs wird demzufolge aus Zentralchina importiert. Ein Rückgang der Lieferungen könnte bedeuten, dass Moskau in der Zukunft die Politik in noch stärkerem Ausmaß als Grundlage dafür benutzt, seine Energieaufträge zu erfüllen.
Wir sind der Meinung, dass es jetzt darauf ankommt, den Grundsatz des freien Wettbewerbs auch in den Außenbeziehungen der Europäischen Union anzuwenden. Es gilt ganz klar das Signal auszusenden, dass wir es nicht hinnehmen, wenn ein Monopol über Energieressourcen geschaffen wird. Das Sicherstellen einer stabilen Energieversorgung ist ein grundlegendes Anliegen der Europäischen Union. Wir sind davon überzeugt, dass wir nur durch eine geeinte Europäische Union, die nach dem Grundsatz der gemeinschaftlichen Solidarität handelt, gegen den zunehmenden Druck, der auf die Mitgliedsstaaten ausgeübt wird, vorgehen können.
Zurzeit können wir uns die Energieversorgung Europas ohne Russland gar nicht vorstellen. Diese besondere Beziehung muss jedoch auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit beruhen.
Richard Seeber (PPE-DE), schriftlich. – Gestern und heute verbinden die EU und Russland eine gemeinsame Geschichte, starke wirtschaftliche und politische Kontakte sowie gemeinsame Traditionen. Die enge Zusammenarbeit hat sich durch die fortschreitende Globalisierung und den steigenden Bedarf der europäischen Staaten an fossilen Energieträgern weiter vertieft. Um die Versorgung im Energiebereich auch in Zukunft zu gewährleisten, setzten die EU-Mitgliedstaaten bereits seit den 90er Jahren auf eine verstärkte Kooperation in diesem Sektor.
Ein zentrales Instrument stellt in diesem Zusammenhang die Energiecharta dar. Dieser Vertrag dient einerseits dazu, das energiewirtschaftliche Potenzial osteuropäischer Länder fortzuentwickeln und andererseits die Energieversorgung der EU-Mitgliedstaaten weiterhin sicherzustellen. Die fehlende Ratifizierung der Energiecharta von Seiten Russlands ist im Lichte zunehmender Vermischung außenpolitischer und außenwirtschaftlicher Interessen mit Fragen der Energieversorgung besorgniserregend. In diesem Sinne dürfen die in der Grundrechtecharta niedergelegten Rechte auch in den Außenbeziehungen der EU nie zur Disposition stehen.
Wirtschaftliche Drohgebärden können im Lichte der starken wirtschaftlichen Interdependenz zwischen der EU und Russland niemals ein sinnvolles Mittel zur Erreichung außenpolitischer Ziele darstellen und sind daher abzulehnen. Ich fordere sowohl die Kommission als auch den Rat auf, sich russischen Versuchen zur Erlangung einseitiger Vorteile auf den europäischen Energiemärkten zu verweigern. Die volle Gegenseitigkeit bei der Marktöffnung und der Schutz der Investitionen müssen gewährleistet werden.
(Die Sitzung wird um 11.40 Uhr wegen der Verleihung des Lux-Preises unterbrochen und um 12.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: GÉRARD ONESTA Vizepräsident
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich habe eine Bitte an den Präsidenten des Hauses, nicht an Sie als amtierenden Präsidenten, sondern an den Präsidenten der Kammer.
Ich habe eine Bitte im Namen meiner Fraktion vorzutragen. Aber ich denke, ich trage diese Bitte im Namen aller demokratischen Fraktionen dieses Hauses vor. Es handelt sich nach meiner Einschätzung und nach der Einschätzung meiner Kolleginnen und Kollegen um einen so schwerwiegenden Vorgang, den ich Ihnen jetzt hier vortragen möchte, dass ich den Präsidenten Pöttering bitte, gegenüber den Personen, die ich hier nenne, aktiv zu werden.
In den letzten beiden Tagen ist es in Budapest zu schwerwiegenden Ausschreitungen gekommen. Das ist nichts Ungewöhnliches – Demonstrationen in europäischen Hauptstädten sind normal, auch gewalttätige Demonstrationen. Dagegen kann man sicherlich etwas haben, aber sie sind nicht zu verhindern. Aber das, was in den letzten Tagen in Budapest geschehen ist, ist eine neue Qualität. Ich möchte Ihnen sagen, warum.
Man kann über Ministerpräsident Gyurcsány denken wie man will. Man kann für ihn sein, man kann gegen ihn sein. Was nicht erlaubt ist, meine Damen und Herren …
(Heftige Unruhe im Saal.)
Man kann für Ministerpräsident Gyurcsány sein, oder man kann gegen ihn sein. Was nicht erlaubt ist, meine Damen und Herren – und ich verweise darauf, dass Sie genau hinschauen sollten, wer jetzt schon schreit –, was nicht erlaubt ist, ist, dass ein Ministerpräsident in dieser Europäischen Union bei Demonstrationen als „dreckiger Jude“ beschimpft wird. Das ist eine Qualität, die neu ist, aber sie ist eine Qualität der Faschisten, auf dieser Seite des Hauses.
(Anhaltender Beifall)
Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Präsident, wenn Sie Herrn Pöttering bitten würden, die überwältigende Zustimmung des Hauses zu dem Tadel gegenüber diesen Leuten zum Ausdruck zu bringen.
(Die Versammlung erhebt sich und spendet dem Redner Beifall.)
Der Präsident. - Vielen Dank. Ich denke, die Botschaft ist gehört worden, aber sie wird natürlich übermittelt werden.
Graham Watson (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte zu einem völlig anderen Thema sprechen und Ihnen im Namen vieler Kollegen aus meiner Fraktion und sicher auch im Namen vieler anderer dafür danken, dass die Verleihung des LUX-Preises hier stattfinden konnte. Das ist etwas, was wir als Parlament bisher nie getan haben, aber tun sollten. Denn wie ein ehemaliger schwedischer Ministerpräsident einmal sagte: „Politiker täten gut daran, öfter einmal ins Kino zu gehen.“
(Beifall)
Der Präsident. - Danke, ich bin Ihnen für Ihre Anmerkungen sehr dankbar.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie daran erinnern zu dürfen, dass wir heute den 62. Jahrestag des Bestehens der Vereinten Nationen feiern. Sie sollten in den letzten Tagen per Post eine Kopie der aus diesem Anlass verfassten Botschaft des UNO-Generalsekretärs erhalten haben.
Ich möchte Sie auch informieren, dass heute im Europäischen Parlament in Straßburg offiziell der Jahresbericht zur Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinten Nationen im Bereich Krisenmanagement, Entwicklung und Förderung von Demokratie und Grundrechten vorgelegt wird. Dies zeugt von der Bedeutung der Beziehungen zwischen unseren Institutionen, von unserem gemeinsamen Engagement für den Multilateralismus und der Bedeutung unserer Zusammenarbeit für Frieden und das Wohl unserer Mitbürger.
Der Präsident. - (FR) Ich freue mich Ihnen mitzuteilen, dass eine mauretanische Delegation unter der Leitung von Ould Tolba in diesen Tagen im Rahmen der interparlamentarischen Treffen das Europäische Parlament besucht. Ich heiße unsere Gäste sehr herzlich willkommen und möchte die Bedeutung hervorheben, die wir einem solchen Besuch, dem ersten in Europa seit fast zehn Jahren, beimessen.
Durch ihre Wahlbeobachtungsmissionen hat die Europäische Union mit großem Interesse den jüngsten politischen Reformprozess in Mauretanien verfolgt, der Beispielcharakter für die Region haben könnte. Wir beglückwünschen Sie zur demokratischen Wahl Ihres Staatschefs sowie Ihres Parlaments, und ich hoffe im Namen dieses Parlaments, dass Ihre Begegnungen in unserem Hause fruchtbar sind und Ihr Aufenthalt in Straßburg aktiv zur Annäherung zwischen unseren beiden Institutionen beitragen kann. Ich danke Ihnen nochmals für Ihren Besuch.
8. Abstimmungsstunde
Der Präsident. - Als nächster Punkt folgt die Abstimmungsstunde.
(Abstimmungsergebnisse und sonstige Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll.)
8.1. Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen (Abstimmung)
- Empfehlung für die zweite Lesung: Gauzès (A6-0366/2007)
8.2. Rückübernahme: Abkommen EG/Bosnien und Herzegowina (Abstimmung)
Bruno Gollnisch, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Ich glaube, der nächste Bericht ist der Bericht von Frau Wallis. Im Namen meiner Fraktion Identität, Tradition, Souveränität möchte ich unter Berufung auf Artikel 168 einen Antrag auf Rücküberweisung dieses Berichts an den Ausschuss stellen.
Herr Präsident, dieser Antrag gründet sich auf Artikel 168 unserer Geschäftsordnung. Beim Lesen des Berichts von Frau Wallis wird sehr klar, dass bei der Berichterstatterin und vielleicht bei dem Ausschuss keine Klarheit über Artikel 9 und Artikel 10 des Protokolls über Vorrechte und Befreiungen besteht.
Der Bericht sagt aus, dass das Verhalten von Herrn Gobbo nicht dem Artikel 9 entsprach, aber Artikel 9 bezieht sich auf die Äußerungen und Handlungen des Parlamentsmitglieds in Ausübung seiner Funktionen und insbesondere in diesem Plenarsaal. Demzufolge hätte nicht Artikel 9 des Protokolls herangezogen werden dürfen, sondern Artikel 10, der sich auf andere Handlungen eines Parlamentsmitglieds bezieht. Es war zu untersuchen, ob die Handlungen von Herrn Gobbo – die ich, wie ich hinzusetzen muss, auf politischer Ebene nicht unterstütze – in den politischen Bereich fielen oder nicht.
Diese Handlungen fallen offensichtlich in den politischen Bereich. Herr Gobbo hat einige Handlungen im Namen von etwas begangen, das er „Padanien“ nennt. Das sind natürlich politische Handlungen, und zweifellos wäre angesichts der traditionellen Rechtsprechung in Bezug auf die Immunität einem Abgeordneten einer anderen politischen Couleur die Immunität bestätigt worden, wie es im italienischen Parlament für die nationalen Parlamentsmitglieder, die dieselben Handlungen wie Herr Gobbo begangen haben, der Fall war.
Wenn der Bericht von Frau Wallis so angenommen wird, wie er ist, laufen wir folglich Gefahr, eine Unterscheidung, eine Form der Diskriminierung zwischen nationaler Immunität und europäischer Immunität im Gegensatz zu dem Protokoll einzuführen, das eben auf die nationale Immunität verweist. Deshalb glaube ich, dass dieser Bericht an den Ausschuss rücküberwiesen werden sollte.
Francesco Enrico Speroni (UEN). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin auch dafür, die Angelegenheit an den Ausschuss zurückzuverweisen, auch wenn ich möglicherweise etwas andere Gründe dafür habe.
In der Tat ist das Parlament, wenn wir nach Artikel 5, 6 und 7 der Geschäftsordnung und Artikel 9 und 10 des Protokolls urteilen, eindeutig nicht zuständig, um zu den gegen Herrn Gobbo vorgebrachten Sachverhalten Stellung zu beziehen, einfach, weil Gian Paolo Gobbo zum Zeitpunkt dieser Ereignisse kein Abgeordneter des Europäischen Parlaments war.
Artikel 9 des Protokolls, der das Recht der MdEP auf Meinungsäußerung schützt, bezieht sich auf Personen, die, als sie bestimmte Begriffe benutzten oder Taten begingen, die ihnen eindeutig zugeschrieben werden können, Abgeordnete dieses Hauses waren. Da Herr Gobbo zum Zeitpunkt der Ereignisse kein MdEP war, ist es meiner Meinung nach am besten für das Parlament, wenn es dazu keine Stellung bezieht, da er ja kein Kollege von uns war.
Diana Wallis (ALDE), Berichterstatterin. – (EN) Herr Präsident! Als Verfasserin dieses Berichts im Auftrag des Rechtsausschusses kann ich dem Hohen Haus bestätigen, dass im Ausschuss eine umfassende Debatte stattgefunden hatte, bevor der Bericht der Plenarsitzung vorgelegt wurde. Der Ausschuss hat auch Herrn Gobbo angehört, und es gab eine klare Mehrheit für den Bericht.
Es ist beschämend, dass Herr Gollnisch die von ihm erwähnten Sachverhalte nicht früher zur Sprache gebracht hat, aber ich habe da keinerlei Bedenken und bin vollkommen überzeugt, dass der Ausschuss seinen Standpunkt in voller Kenntnis aller Fakten und aller Bestimmungen angenommen hat. Ich sehe keinen Grund, warum der Bericht an den Ausschuss zurückverwiesen werden sollte.
(Das Parlament lehnt den Antrag auf Rücküberweisung an den Ausschuss ab.)
8.12. Inanspruchnahme des Solidaritätsfonds der Europäischen Union (Abstimmung)
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich möchte eine Stellungnahme im Namen der Kommission abgeben. In ihrem Vorentwurf des Berichtigungshaushaltsplans Nr. 6/2007 hatte die Kommission vorgeschlagen, als neuen Haushaltsartikel „Schadenersatzanforderungen im Zusammenhang mit Rechtsverfahren gegen Entscheidungen der Kommission im Bereich Wettbewerb“ aufzunehmen und die entsprechenden Ausgaben in die Rubrik 1a des mehrjährigen Finanzrahmens einzustellen, da es sich hier um eine operationelle Tätigkeit im Bereich Wettbewerbspolitik handelt.
Mit diesem Haushaltsartikel wollte die Kommission mögliche finanzielle Auswirkungen auf den Haushaltsplan verrechnen, die aus Urteilen des Gerichtshofs oder des Gerichts erster Instanz im Wettbewerbsbereich herrühren. Die Notwendigkeit dieses Haushaltsartikels ergibt sich aus jüngsten Urteilen des Gerichts erster Instanz und aus der Struktur des Haushaltsplans. Während Bußgelder im Bereich Wettbewerbspolitik als Einnahmen aus dem Gesamthaushaltsplan verbucht werden, ist es notwendig, für die zu zahlenden Beträge einen Haushaltsartikel auf der Ausgabenseite einzurichten, den es bis jetzt nicht gibt.
Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass die Haushaltsbehörde nicht beabsichtigt, die Aufnahme dieses Haushaltsartikels für das Jahr 2007 zu unterstützen. Trotz dieser Entscheidung wird die Kommission möglicherweise gezwungen sein, im Rahmen des ordentlichen Haushalts und unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen erforderlichenfalls Zahlungen vorzunehmen, um den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen, die sich aus den im Jahr 2007 ergangenen gerichtlichen Entscheidungen ergeben könnten.
Der endgültigen Entscheidung über die Schaffung der zweckbestimmten Haushaltslinie und die Zuordnung der entsprechenden Ausgaben zu einer Rubrik im mehrjährigen Finanzrahmen wird von der Kommission nicht vorgegriffen.
8.14. Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) (Abstimmung)
Carl Schlyter (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident! Die Grundlage für die Zustimmung zu diesem Bericht im Sinne des Rates war eine Stellungsnahme der Kommission, die eigentlich gestern während der Debatte verlesen werden sollte. Die Stellungnahme wurde jedoch nicht verlesen. Wenn der Rat einverstanden wäre, sie als Anlage dem Protokoll anzufügen oder ihr irgendeinen rechtlichen Status und Transparenz zu verleihen, dann könnte das dazu beitragen, das Verfahren in dieser Angelegenheit voranzubringen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (EN) Herr Präsident! Der Zugang zu pharmazeutischen Erzeugnissen in den armen und ärmsten Entwicklungsländern zu erschwinglichen Preisen ist für die Erreichung der vorgeschlagenen EU-Entwicklungsziele unentbehrlich und würde zur Armutsbekämpfung beitragen, die Sicherheit für die Menschen erhöhen und die Menschenrechte und eine nachhaltige Entwicklung fördern. Wir sind uns wohl darin einig, dass die Kohärenz der EU-Politik gewährleistet werden muss und dass es im außenpolitischen Handeln der EU Beständigkeit geben muss, nämlich dass die Handels- und die Entwicklungspolitik Hand in Hand gehen müssen.
Wir erkennen an, dass der durch den WTO-Beschluss und das Protokoll zum TRIPS-Übereinkommen geschaffene Mechanismus lediglich eine Teillösung für das Problem des Zugangs zu Arzneimitteln und zum öffentlichen Gesundheitswesen darstellt und dass andere Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitspflege und der Infrastruktur ebenso unverzichtbar sind. Auch wenn die TRIPS-Änderung noch nicht die vollständige Lösung ist, sind wir doch der Auffassung, dass die positive Akzeptanz des Protokolls einen wichtigen Schritt darstellt.
In diesem Sinne sei daran erinnert, dass es den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemäß den WTO-Bestimmungen nach wie vor freisteht, im Rahmen ihrer nationalen Patentgesetze die verschiedenen im TRIPS-Übereinkommen vorgesehenen Ausnahmen, einschließlich Artikel 30, anzuwenden.
Um in Ländern mit unzureichenden oder gar keinen Produktionskapazitäten im pharmazeutischen Sektor den Zugang zu Arzneimitteln zu erleichtern, haben der Rat, das Europäische Parlament und die Kommission mit großem Engagement um die Annahme der Verordnung (EG) Nr. 816/2006 über Zwangslizenzen für Patente an der Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit gerungen.
Ich möchte hinzufügen, dass wir die Nutzung der in das TRIPS-Übereinkommen eingebauten und durch Ziffer 4, 5 und 6 der Erklärung von Doha anerkannten so genannten Flexibilitäten sowie der nach Ziffer 7 der Erklärung von Doha vorgesehenen zusätzlichen Flexibilitäten für weniger entwickelte Länder unterstützen, damit sie im Rahmen ihrer nationalen Programme für die öffentliche Gesundheit die wichtigsten Arzneimittel zu erschwinglichen Preisen beschaffen können.
Was die Erklärung von Doha betrifft, so stellt die Europäische Union nicht die Forderung – und hat dies auch nicht vor –, im Rahmen der WPA-Verhandlungen mit den AKP-Ländern und in anderen künftigen bilateralen und regionalen Abkommen mit armen und ärmsten Entwicklungsländern über die so genannten TRIPS+-Klauseln, die Arzneimittel und die öffentliche Gesundheit sowie den Zugang zu Arzneimitteln betreffen, zu verhandeln.
Abschließend möchte ich betonen, dass wir Initiativen zur Förderung von Technologietransfer, der Forschung, des Ausbaus der Kapazitäten, der regionalen Beschaffungssysteme und der Unterstützung bei der Registrierung, um die Produktion von Arzneimitteln durch die Entwicklungsländer selbst zu erleichtern und zu fördern, positiv bewerten müssen und dass wir mit den Mitgliedstaaten auf dieses Ziel hinarbeiten werden.
Was die entsprechenden Maßnahmen und das Haushaltsverfahren betrifft, so sind wir uns sicher, dass das Engagement des Europäischen Parlaments, das bereits eine bessere Sichtbarkeit der Frage des Zugangs zu Arzneimitteln bewirkt hat, auch zur Erhöhung ihrer Effektivität beitragen wird.
8.15. Änderung von Artikel 173 GO (Ausführlicher Sitzungsbericht) (Abstimmung)
Anna Záborská (PPE-DE). - (FR) Herr Präsident! Entschuldigen Sie, aber ich habe etwas Wichtiges zu sagen. Die Abstimmung über den Bericht Corbett gestattet uns jetzt, zur Normalität zurückzukehren. Alle Aussprachen im Plenum werden in alle Sprachen übersetzt. Jetzt brauchen wir auch eine effektive Umsetzung, und da wir morgen über den Etat abstimmen, schlage ich vor, dass wir Änderungsanträge für den Haushaltsplan vorbereiten, sodass...
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
Der Präsident. - Am ersten Tag der neuen Sitzungsperiode, das heißt, am 12. November, werden neue Bestimmungen in Kraft treten.
8.16. Europäisches Beratungsgremium für die Statistische Governance (Abstimmung)
- Nach der Abstimmung über den Vorschlag der Kommission:
Gerard Batten (IND/DEM). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen. Sie führen die Geschäfte wieder in einem Tempo, bei dem eine Abstimmung unmöglich ist. Gestern sagte uns der Parlamentspräsident, es sei vertretbar, wenn ein paar Fehler gemacht werden und versehentlich falsch gestimmt wird, weil das statistisch gesehen ohnehin passieren würde. In Ihrem Fall trifft das aber nicht zu, denn wir stimmen hier so schnell ab, dass es unmöglich ist, überhaupt zu sehen, wie die Leute abstimmen. Können Sie bitte etwas langsamer vorgehen?
(Beifall)
Der Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich zeige Ihnen die Aufgaben, die wir heute noch abarbeiten müssen. Sie verstehen, dass wir das nicht schaffen werden, wenn wir nicht zügig vorankommen.
(Beifall)
8.19. Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren (Durchführungsbefugnisse der Kommission) (Abstimmung)
8.21. Beitritt von Bulgarien und Rumänien zu dem Übereinkommen vom 18. Dezember 1997 über gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit der Zollverwaltungen (Abstimmung)
Martin Schulz (PSE). - Herr Präsident! Ich habe eine Bitte: Nach Artikel 155 Absatz 2 bitte ich, die Reihenfolge der Abstimmung über die Änderungsanträge zu ändern. Es geht schon aus der Abstimmliste hervor, dass der Änderungsantrag 51 weitergehend ist als die Änderungsanträge 42 und 52. Deshalb bitte ich darum, dass wir über Änderungsantrag 51 zuerst abstimmen und erst danach über die Änderungsanträge 42 und 52.
Der Präsident. - Der Sitzungsdienst ist nicht einverstanden, aber ich bitte Herrn Davies um eine kurze Erklärung.
Chris Davies (ALDE), Berichterstatter. – (EN) Herr Präsident! Die Antwort ist ganz einfach. Ich bin mit der dem Parlament vorliegenden Abstimmliste einverstanden.
Der Präsident. - In diesem Fall will es die Tradition, dass wir unserem Berichterstatter folgen.
8.25. Der Beitrag der Steuer- und Zollpolitik zur Lissabon-Strategie (Abstimmung)
Piia-Noora Kauppi (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Wir möchten als Änderung vorschlagen, dass das Parlament zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Mitteilung der Kommission über die steuerliche Behandlung von Verlusten „zur Kenntnis nimmt“ anstatt „begrüßt“, da zu diesem Thema im Ausschuss für Wirtschaft und Währung noch am Bericht gearbeitet wird.
(Der mündliche Änderungsantrag wird angenommen.)
- Vor der abschließenden Abstimmung:
Sahra Wagenknecht (GUE/NGL), Berichterstatterin. – Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr bedauerlich, dass dieses Haus nicht den Mut gefunden hat, eine steuerpolitische Entwicklung in der Europäischen Union wirklich ernsthaft zu kritisieren, die in eine völlig falsche Richtung läuft, die multinationale Konzerne begünstigt, die Vermögensbesitzer begünstigt, in unglaubwürdiger Weise, während auf der Gegenseite Konsumenten und Arbeitnehmer und vor allem auch niedrig verdienende Arbeitnehmer immer mehr Steuern zahlen sollen.
Ich finde diesen Bericht in der vorliegenden Form nicht akzeptabel. Ich möchte meinen Namen von diesem Bericht zurückziehen und bitte alle diejenigen in diesem Haus, denen tatsächlich an einer Steuerpolitik in der Europäischen Union gelegen ist, die nicht nur den Interessen der oberen Zehntausend dient, sondern wirklich den Interessen der Mehrheit der Europäerinnen und Europäer, gegen diesen Bericht zu stimmen.
Der Präsident. - Wir nehmen Ihre Erklärung zur Kenntnis, Frau Wagenknecht.
8.26. Grünbuch: Für ein rauchfreies Europa: Strategieoptionen auf EU-Ebene (Abstimmung)
Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE). - (EN) Herr Präsident! Ich habe einen mündlichen Änderungsantrag, er ist aber im Text enthalten. Mein mündlicher Änderungsantrag lautet: „und die Anwendung der EU-Umweltnormen auf großräumige Bergbau- und Staudammprojekte zu fördern“.
Daniel Strož (GUE/NGL), schriftlich. − (CS) Wir können mit Fug und Recht davon ausgehen, dass die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen gemäß der Empfehlung für die zweite Lesung (gemeinsamer Standpunkt des Rates) zur Stärkung der Rechtssicherheit natürlicher wie juristischer Personen in den Mitgliedstaaten beiträgt. Es ist wohlbekannt, dass die Zustellung dieser Schriftstücke ein ernstes Problem darstellt, das erhebliche Auswirkungen sowohl auf das Rechtsverfahren als auch auf Zivil- und Handelssachen hat. Nach meinem Dafürhalten entspricht die Empfehlung des Europäischen Parlaments den Bemühungen, eine qualitativ hochwertige Gesetzgebung auf Gemeinschaftsebene zustande zu bringen.
Daniel Strož (GUE/NGL), schriftlich. − (CS) Im Zusammenhang mit den Abkommen zwischen der EG und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien über die Rückübernahme und die Erleichterung der Ausstellung von Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt, die vom Europäischen Parlament gebilligt werden müssen, bin ich der Ansicht, dass, insoweit diese Abkommen – und vergleichbare Abkommen mit den Ländern des Westbalkans – von Bedeutung für die allgemeine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Verbrechensbekämpfung sind, durch die illegale Einwanderung verursachte Probleme zuallererst mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln gelöst werden sollten. Darüber hinaus möchte ich einen weiteren wichtigen Faktor hervorheben, der in den einschlägigen Berichten erwähnt wird und dem zufolge der Abschluss dieser Abkommen für Mazedonien und andere Länder des Westbalkans mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden ist. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage in diesen Staaten ist es unbedingt erforderlich, dass die Gemeinschaft angemessene und wirksame Hilfe, vor allem finanzieller Art, leistet.
Erik Meijer (GUE/NGL), schriftlich. – (NL) Ich erinnere mich, dass es in den frühen 1960er Jahren gegenseitige Visumspflichten für Bewohner der Länder der Europäischen Gemeinschaft und denen der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien gab. Kurze Zeit später wurden diese Visumspflichten abgeschafft.
Das bedeutete, dass die Bevölkerung von sieben Ländern, die gemeinsam Jugoslawien bildeten, damals in einem großen Teil Europas frei reisen konnte. Lediglich für den EU-Mitgliedstaat Slowenien und das Beitrittskandidaten Kroatien hat sich das nicht geändert. Die Bewohner der anderen Gebiete, einschließlich des Kandidatenlandes Mazedonien, sind seit 1992 von den EU-Mitgliedstaaten abgeschnitten. Die junge Generation, die seitdem groß geworden ist, hatte kaum die Möglichkeit, über ihre Landesgrenzen hinaus zu kommen. In den Botschaften der EU-Staaten in der mazedonischen Hauptstadt Skopje finden Sie z. B. große Schilder, auf denen zahlreiche rigorose Verpflichtungen aufgeführt sind. Nur Kriminelle können diese mit Leichtigkeit erfüllen, aber Studenten, Forscher und Journalisten nicht.
Ich unterstütze den verbesserten Zugang für jene Gruppen ab 2008 und die Senkung der Visumsgebühr auf 35 Euro. Anders als für einige Mitglieder meiner Faktion ist die Einführung der biometrischen Registrierung für mich kein Grund, diese Verbesserung abzulehnen. Ich bedauere das Koppelungsgeschäft mit der Rückübernahmepolitik, das die Sicherheit der betroffenen Flüchtlinge nicht in angemessener Weise gewährleistet.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Die Inanspruchnahme des Solidaritätsfonds zur Unterstützung der Bürger Deutschlands und Frankreichs (La Réunion), die im Januar und Februar Opfer von Naturkatastrophen wurden, verdeutlicht ungeachtet der Verzögerungen die Bedeutung, die diesem Fonds bei der Unterstützung der Mitgliedstaaten zufällt.
Angesichts der Blockade einer Entscheidung im Rat über einen Kommissionsvorschlag zur Verbesserung des Fonds möchten wir betonen, dass die Beibehaltung der Zuschussfähigkeit regionaler Katastrophen verteidigt werden muss. Das Europäische Parlament hat bereits bestätigt, „dass ein Einsatz des EUSF im Fall von Katastrophen weiterhin möglich sein muss, die trotz ihrer Schwere nicht das erforderliche Mindestniveau erreichen, und dass bei außergewöhnlichen Katastrophen Hilfe gewährt werden kann, wenn der größte Teil der Bevölkerung einer spezifischen Region von einer Katastrophe mit schweren und dauerhaften Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bürger betroffen ist“.
Weiterhin ist es von entscheidender Bedeutung, die besonderen Merkmale von Naturkatastrophen im Mittelmeerraum wie Dürren oder Waldbrände – insbesondere was die zeitlichen Grenzen und förderungswürdigen Maßnahmen anbelangt – sowie die Möglichkeit einer höheren Finanzhilfe für „Kohäsionsländer“ und „Konvergenzregionen im Katastrophenfall in Erwägung zu ziehen. Ferner ist die Einrichtung eines Fonds für Katastrophen in der Landwirtschaft zu prüfen.
Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Frau Castex hat für den Bericht Susta zum Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) gestimmt
Die französischen Mitglieder der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament erachten das damit erzielte Übereinkommen, das Ländern die Herstellung von Generika und deren Export in arme Entwicklungsländer, die nicht in der Lage sind sie herzustellen, gestattet, als wichtigen Fortschritt.
Die französischen Mitglieder der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament sehen in diesem Bericht einen positiven Beitrag zur Lösung eines Problems der öffentlichen Gesundheit, das unbestritten von großer Dringlichkeit ist.
Proinsias De Rossa (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für das Protokoll zur Änderung des TRIPS-Übereinkommens und für den Zugang zu Arzneimitteln gestimmt, weil ich ausdrücklich der Auffassung bin, dass die EU ein Hauptakteur bei der Förderung des Gesundheitswesens und des Zugangs zu Arzneimitteln für alle in der Dritten Welt sein sollte. Dieses Protokoll ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL) , schriftlich. − (PT) Es ist seit langem bekannt, welche Kosten für die Entwicklungsländer mit der Einführung eines höheren IP-Schutzstandards im pharmazeutischen Sektor verbunden sind.
Seit langem wurde darauf hingewiesen und davor gewarnt, in was für eine dramatische und unhaltbare Lage diese Länder durch die Anwendung der „Rechte am geistigen Eigentum“ im Gesundheitssektor und insbesondere im Kampf gegen Krankheiten wie Malaria, HIV/Aids und Tuberkulose gebracht werden.
Wir vertreten daher die Auffassung, dass sich mit diesem Bericht eine Gelegenheit bietet, die von der Mehrheit dieses Hauses im Rahmen seiner Zuständigkeiten ungenutzt bleibt, nämlich einen humanistischen Standpunkt einzunehmen und sich mit Nachdruck für eine Strategie einzusetzen, die dem Schutz der Rechte am geistigen Eigentum im Arzneimittelsektor ein Ende setzen würde.
Die Mehrheit dieses Hauses hat sich hinter dem Argument versteckt, dass die Aushandlung des Protokolls mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden wäre, und damit dem Rat einen Blankoscheck ausgestellt, denn derart vage Empfehlungen können nur dazu führen, dass sich an der bisherigen Situation nichts ändert und finanzielle sowie rechtliche Hemmnisse geschaffen werden, die wirtschaftlich schwächere Staaten daran hindern, in den Genuss der wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte in diesem Bereich zu kommen.
Es ist verwerflich, dass gerade die multinationalen Pharmakonzerne von dieser unmenschlichen Politik profitieren, weil sie auf Kosten unzähliger Menschenleben ihre astronomischen Profite sichern können.
Richard Corbett (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Wie die Abstimmung zeigt, hat sich das Parlament sowohl für einen ausführlichen schriftlichen Sitzungsbericht als auch für eine audiovisuelle Aufzeichnung seiner Sitzungen entschieden. Das hat natürlich finanzielle Auswirkungen auf den Haushaltsplan, und ich möchte das Präsidium dringend bitten, den Sachverhalt zu prüfen, die notwendigen Haushaltsänderungen zu beschließen oder einen neuen Vorschlag vorzulegen, sofern eine erneute Prüfung dieser Angelegenheit durch den Ausschuss gewünscht wird.
In Anbetracht der großen Mehrheit im Hohen Haus zu dieser Frage vermute ich fast, dass der Wille des Parlaments ziemlich eindeutig ist – somit werden wohl eher die erstgenannten Aktionen in Angriff zu nehmen sein.
Graham Booth (IND/DEM), schriftlich. − (EN) Berichte von allen Debatten anzufertigen und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, könnte die Euroskepsis fördern. Gleichwohl wird sich die EU jedoch auch einer größeren Transparenz rühmen können, obgleich das in Wirklichkeit eigentlich kaum zur Verbesserung der Demokratie beiträgt, da ja das Europäische Parlament keine Gesetzesinitiativen ergreifen kann und von der Europäischen Kommission ignoriert werden kann. In der EU gehen EU-Gesetzesinitiativen von der nicht gewählten Kommission aus, und die bietet überhaupt keine Transparenz.
Die Möglichkeit, binnen einer Woche Korrekturen an Redebeiträgen vorzunehmen (Änderungsantrag 4), war gut gemeint und würde die europäischen Abgeordneten vor Fehlern bewahren. Eine Verzögerung von einer Woche könnte jedoch möglicherweise das Aus für die tagaktuelle Berichterstattung über die EU bedeuten, weil dadurch die freie Presse bei der Information der Öffentlichkeit behindert würde. Deshalb habe ich gegen den Bericht gestimmt.
Derek Roland Clark (IND/DEM), schriftlich. − (EN) Berichte von allen Debatten anzufertigen und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, könnte die Euroskepsis fördern. Die EU wird sich jedoch auch einer größeren Transparenz rühmen können, obgleich das in Wirklichkeit eigentlich kaum zur Verbesserung der Demokratie beiträgt, weil das Europäische Parlament keine Gesetzesinitiativen ergreifen kann und von der Europäischen Kommission ignoriert werden kann. In der EU gehen EU-Gesetzesinitiativen von der nicht gewählten Kommission aus, und die bietet überhaupt keine Transparenz.
Ich unterstütze nicht die Möglichkeit, Korrekturen an Redebeiträgen vorzunehmen (Änderungsantrag 4). Der ausführliche Sitzungsbericht sollte mit der gesprochenen Fassung übereinstimmen. Ich mache genauso Fehler wie jeder andere. Eine Verzögerung von einer Woche könnte möglicherweise das Aus für die tagaktuelle Berichterstattung über die EU bedeuten, weil dadurch die freie Presse bei der Information der Öffentlichkeit behindert würde. Annehmbar wäre vielleicht eine separate Anmerkung in Form einer Erklärung. Deshalb habe ich gegen den Bericht gestimmt.
Bruno Gollnisch (ITS), schriftlich. – (FR) Der Bericht Corbett empfiehlt, dass die mündlichen Aussprachen in diesem Parlament nicht mehr in alle Amtssprachen übersetzt werden, um etwa 10 Millionen Euro im Jahr einzusparen. Der Zugang zu diesen Aussprachen in jeder Sprache würde dann nur noch über die im Internet verfügbaren audiovisuellen Aufzeichnungen möglich sein, und der einzelne Abgeordnete könnte die Übersetzung bestimmter Auszüge beantragen.
Doch nicht jeder Europäer verfügt über einen Breitband-Internetzugang und außerdem ist vorgeschlagen worden, dass Anträge von Mitgliedern auf Übersetzungen auf etwa 30 Seiten im Jahr begrenzt werden sollten. Der Vorschlag von Herrn Corbett besteht also darin, den Zugang der Bürger Europas zur Arbeit derer zu beschränken, die sie gewählt haben, um sie in der Europäischen Union zu vertreten und sich für ihre Interessen einzusetzen. Das ist inakzeptabel. Es ist umso inakzeptabler, da dieselbe Institution gleichzeitig jährlich 100 Millionen Euro für ihre eigene Werbung ausgibt. Ganz zu schweigen von der Kommission, die mehr als 200 Millionen Euro für wichtige Aktivitäten wie die umfangreiche Ausstrahlung von pornografischen Internetvideos ausgibt, die das europäische Kino fördern sollen.
Glücklicherweise hat der gesunde Menschenverstand – oder die heilige Furcht vor der Wählerschaft – bei den meisten unserer Kollegen die Oberhand behalten, und die Mehrsprachigkeit ist bewahrt worden.
Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. − (SV) Wir lehnen mit aller Entschiedenheit den Vorschlag des Berichts ab, dass mündliche Beiträge nur im ausführlichen Sitzungsbericht in ihrer Originalsprache erscheinen können.
Das Europäische Parlament ist bestrebt, die Tatsache herauszustellen, dass die Redner als Sprecher ihrer europäischen Fraktionen zu ganz Europa sprechen, gleichzeitig aber lehnen wir es ab, dass die Bürger Zugang zu ihren Reden haben, indem die Übersetzungen in zahlreiche Sprachen eingeschränkt wird.
Wenn wir eine demokratisch funktionierende EU haben wollen, müssen wir bereit sein, dafür zu bezahlen. Eine Organisation, die mehr als 360 Milliarden Schwedische Kronen für eine protektionistische Agrarpolitik ausgibt, muss auch 90 Milliarden Schwedische Kronen bezahlen können, um den EU-Bürgern Achtung entgegenzubringen.
Sollten die Übersetzungskosten in der Zukunft unbezahlbar werden, muss zumindest ein vollständiger Sitzungsbericht in der Originalsprache der Redner sowie eine Übersetzung ins Englische angefertigt werden.
Patrick Louis (IND/DEM), schriftlich. – (FR) Die französischen Abgeordneten der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie haben gegen den Bericht Corbett zur Abänderung von Artikel 173 der Geschäftsordnung der Europäischen Parlaments gestimmt, der die Abschaffung der vollständigen und systematischen Übersetzung der Plenardebatten vorsah.
Das Prinzip der Öffentlichkeit der Debatten steht, das sowohl für gerichtliche wie auch politische Debatten gilt, ist eines der grundlegenden Prinzipien der Demokratie.
Diese Veröffentlichung trägt dazu bei, ideologische Voreingenommenheit, Willkür, Vetternwirtschaft, schmutzige Tricks zu verringern. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass alle in ihrer Sprache Zugang zu den vollständigen veröffentlichten Sitzungsberichten haben, wobei gewährleistet werden muss, dass dieselben Worte tatsächlich für jeden dieselben Bedeutungsinhalte ausdrücken.
Wer von den Bürgern Europas wäre in der Lage, eine Debatte zu verfolgen und zu verstehen, wenn ihm eine Mischmaschversion dieser Debatte in 20 Sprachen vorliegt?
Es wäre wahrscheinlich genau so, als würde jemand versuchen, den so genannten „vereinfachten“ Vertrag zu verstehen, und selbst versuchen, die 400 neuen Klauseln in den bestehenden Verträgen zu ersetzen, da auch hier, wie es scheint, während des Ratifizierungsprozesses keine konsolidierte Version verfügbar war.
Den zunehmenden Vorbehalten der Bürger ihrer Mitgliedstaaten scheint die Europäische Union nur mit Undurchsichtigkeit, Verschleierung und Lügen begegnen zu können.
Jules Maaten (ALDE), schriftlich. – (NL) Die Entscheidung des Sekretariats des Parlaments, über die Aussprachen im Plenum nicht länger in allen Sprachen zu berichten, ist 2006 unbemerkt geblieben. Das Parlament hat diese Entscheidung jetzt verworfen. Ich bin ebenfalls der Auffassung, dass in die Übersetzung der Aussprachen und Dokumente in die 23 Amtssprachen unserer Union zu viel Zeit und Geld investiert wird. Es ist schade, dass uns kein Kompromiss vorgeschlagen wurde, wie eine mögliche Übersetzung der Aussprachen ins Englische und Französische, damit die Verfahren zusätzlich zu den audiovisuellen Daten auch weiterhin in schriftlicher Form verfügbar wären.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Mehrsprachigkeit ist mehr als nur Ausdruck der kulturellen Vielfalt der Europäischen Union. In einer Organisation souveräner und unabhängiger Staaten, die sich zusammengefunden haben, um auf dem Wege der Zusammenarbeit die größtmöglichen Vorteile für ihre Bürger zu erlangen, ohne auf diesem Wege ihren Status als freie und souveräne Staaten aufgegeben zu haben, bedeutet Mehrsprachigkeit die Anerkennung einer gleichberechtigten Beziehung aller Mitglieder.
Dieser Grund allein würde uns ausreichen, diese Mehrsprachigkeit für die Funktionsweise der Gemeinschaftsorgane aufrechtzuerhalten. Doch es gibt weitere Argumente. Mit einer Aufgabe der internen multilingualen Kommunikation würden wir den politischen Handlungsspielraum der Abgeordneten des Europäischen Parlaments einschränken, die über das uneingeschränkte Recht verfügen, sich in ihrer Muttersprache zu Wort zu melden. Wenn wir zudem die Mehrsprachigkeit in unserer externen Kommunikation einschränken, könnte dies letzten Endes dazu führen, dass sich eine Institution, die viel Energie darauf verwendet, die EU ihren Bürgern näher zu bringen, weiter von ihnen entfernt.
Außerdem gibt es ein wirtschaftliches Gegenargument zu der angeführten wirtschaftlichen Begründung: die sprachliche Vielfalt der Europäer und das Beherrschen zahlreicher Sprachen muss als Wettbewerbsvorteil und nicht als Kostenpunkt betrachtet werden.
Frédérique Ries (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht Corbett zur Abänderung von Artikel 173 in Bezug auf die ausführlichen Sitzungsberichte gestimmt, auch wenn ich die Annahme einer ganzen Reihe von Änderungsanträgen bedauere, die die Übersetzung der ausführlichen Sitzungsberichte in alle Amtssprachen empfehlen.
Den kompromisslosen Verfechtern der Mehrsprachigkeit würde ich mit einem euphemistischen Ausdruck sagen, dass es eine Fiktion ist zu behaupten, dass das Europäische Parlament ohne Erweiterung dieser Übersetzung die einzige parlamentarische Versammlung in der Welt wäre, der nicht alle ihre Protokolle und Debatte in Papierform in alle Sprachen übersetzt vorliegen. Es ist insofern eine Fiktion, als vereinbart worden ist, dass nicht nur die mehrsprachige Version beibehalten wird, sondern auch die Simultanübersetzung in alle Amtssprachen auf Antrag allen Europaabgeordneten sowie der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Das ist, wie mir scheint, das Wesentliche!
Schließlich bedauere ich, dass das Europäische Parlament sich in Bezug auf den Zugang zu den Dokumenten nicht für ein wirklich modernes Verfahren entschieden hat: Ich sage ja, tausend Mal ja zur Mehrsprachigkeit. Dennoch werde ich mich gegen die so genannte Verteidigung der sprachlichen Vielfalt stellen, wenn sie denjenigen, die den Status quo verfechten und sich offen gegen Veränderungen stellen, als Entschuldigung dient.
Marianne Thyssen (PPE-DE), schriftlich. – (NL) Ich habe gegen den Vorschlag des Berichts Corbett gestimmt und zwar aus demselben Grund, aus dem ich mich auch früher gegen die Kürzung unseres Budgets für die Übersetzung des ausführlichen Sitzungsberichts dieses Hauses ausgesprochen habe.
In einem Parlament ist das gesprochene Wort heilig. Was wir sagen, ist, wenn wir Glück haben, nicht nur eine Randnotiz in den Nachrichten, sondern Teil eines demokratischen Gesetzgebungsprozesses. Diesen in den europäischen Amtssprachen zugänglich zu machen, ist kein Luxus. Übersetzungen sind für ein eigenes Archivierungssystem, das schließlich den freien Zugang zu Informationen ermöglicht, politisch erforderlich.
Wir müssen die Folgen unserer Grundsatzentscheidung für die Mehrsprachigkeit tragen und sie nicht klammheimlich verschwinden lassen. Ein Parlament, das Respekt vor sich selbst empfindet, verwirft sein traditionelles Archivierungssystem nicht. Wenn wir sparen müssen, sollten wir lieber andere Bereiche des Budgets wählen. Wie dem auch sei, ich halte an meiner Auffassung fest, dass unser Beharren auf Mehrsprachigkeit eine nötige Form des Respekts für die verschiedenen Kulturen und Sprachen in der EU und ein Segen für die Demokratie ist.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, der im Ergebnis eines Vorschlags der Kommission die Einsetzung eines Europäischen Beratungsgremiums für die Statistische Governance zur Verbesserung der Erstellung von EU-weiten Statistiken befürwortet.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für diesen unumstrittenen Bericht gestimmt, in dem de Einsetzung eines Europäischen Beratenden Ausschusses für die Gemeinschaftspolitik im Bereich der statistischen Information vorgeschlagen wird. Die vom Parlament zusätzlich eingebrachten Änderungen werden die Effizienz des Ausschusses gewährleisten und sich auf seine Bezeichnung und Zusammensetzung auswirken.
Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – (RO) Die heutige Abstimmung über den Bericht von Herrn Mantovani ist wichtig, weil damit der Unionsstrategie im Bereich des lebenslangen Lernens ein neuer Impuls verliehen wird.
Themen des Berichts sind die gegenwärtige Lage in diesem Bereich und die Wechselbeziehungen mit dem Arbeitsmarkt, und es zeigt sich erneut, dass wir seit vielen Jahren mit einer Realität und den dazugehörigen Herausforderungen konfrontiert sind, die sich jeder klaren und kohärenten Strategie widersetzen. Ich halte es daher für dringend geboten, die neuen Vorschläge schnellstmöglich umzusetzen. Ich möchte darauf hinweisen, wie wichtig es für die Toleranz innerhalb der gesamten Europäischen Union ist, Bildung anzuerkennen und zu fördern. Nur so lässt sich verhindern, dass Mobilität auf dem Arbeitsmarkt zur gesellschaftlichen Ausgrenzung bestimmter Gruppen führt, deren Verhalten wir über kurz oder lang nicht mehr unter Kontrolle haben werden.
Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Frau Castex hat für den Bericht Mantovani zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens gestimmt.
Die französische Abgeordnete, die der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament angehört, begrüßt die künftige Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens, der die transnationale Mobilität von Beschäftigten und Lernenden ermöglichen wird und den Anforderungen des Arbeitsmarkts mit einem gemeinsamen Bezugspunkt für die Übertragung der Qualifikationsstufen entspricht.
Entsprechend dem Vorschlag sollten alle Qualifikationen vom allgemeinen und beruflichen Pflichtschulabschluss bis zu Qualifikationen, die auf der höchsten Stufe akademischer und beruflicher Aus- und Weiterbildung verliehen werden (der ursprüngliche Text des Ausschusses betraf nur die Qualifikationen der allgemeinen Bildung), nach einem der acht auf Kenntnisse, Fähigkeiten und erworbenen Fertigkeiten basierenden Referenzniveaus eingestuft werden.
Frau Castex sieht in dem EQR ein Instrument Hilfsmittel für den Vergleich, die Übersetzung und die Umwandlung der Qualifikationen eines Mitgliedstaates in die eines anderen unter Achtung der Vielfalt der Qualifikationssysteme und der Fülle der in der Europäischen Union existierenden Qualifikationen. Er ist zugleich ein Instrument, das den Bürgern Europas auch eine größere Mobilität ermöglicht.
Nun müssen die Mitgliedstaaten die umfangreiche Aufgabe der Klassifizierung der für den EQR erforderlichen Referenzniveaus in Angriff nehmen, sonst wird der Europäische Qualifikationsrahmen unweigerlich eine leere Hülle bleiben.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Dieser Bericht enthält mehrere Widersprüchlichkeiten, und wir stehen dem Kompromiss, der von einer Mehrheit des Europäischen Parlaments zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens angenommen wurde, kritisch gegenüber. Es gibt in den einzelnen Mitgliedstaaten jedoch auch einige positive Aspekte bei der Anerkennung von Qualifikationen, die unsere Unterstützung verdienen.
Allerdings wird mit der Festlegung spezifischer Termine für die Anpassung und den Abgleich der unterschiedlichen Bildungs- und Ausbildungssysteme der Mitgliedstaaten im verabschiedeten endgültigen Text der föderale Charakter des Parlamentsvorschlags betont, auch wenn darauf verwiesen wird, dass er in den kommenden Jahren nicht verbindlich ist.
Wir möchten hervorheben, dass allein die Mitgliedstaaten für ihre Bildungspolitik verantwortlich sind und wir daher die Auffassung vertreten, dass die vorgeschlagene „Anpassung“ diesen Grundsatz verletzt.
Wir sprechen uns gegen die Verbindung mit dem Prozess von Bologna und die Tendenz zu einer Vermarktung der Bildung aus, bei der der Schwerpunkt auf der „Beschäftigungsfähigkeit“ und auf den Aussichten auf dem Arbeitsmarkt im Zusammenhang mit der Agenda von Lissabon liegt.
Carl Lang (ITS), schriftlich. – (FR) Dieser Bericht beschäftigt sich mit der Zertifizierung von im Prozess des lebenslangen Lernens erworbenen Qualifikationen auf Gemeinschaftsebene. Das ist eine sehr wünschenswerte Maßnahme, die gefördert werden sollte. Ich lehne jedoch die in diesem Dokument verwendete globalistische Begründung ab, insbesondere weil ich mich an das vollständige Scheitern der Strategie von Lissabon erinnere.
Dieser Text ist von einer europäistischen Ideologie geprägt. Es steht geschrieben, dass die sakrosankte Globalisierung unser einziger Heilsbringer und wirtschaftlich wie auch gesellschaftlich vorteilhaft sei. Meiner Ansicht nach ist die ultra-liberale Globalisierung eine Maschine für die Zerstörung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Netzes der Nationen.
Außerdem bezieht sich dieser Bericht nur auf potenziellen Fortschritt … in der Zukunft. Sollten wir nicht auf die Gegenwart schauen, um zu versuchen, die Misserfolge und die bereits durch die Globalisierung in unseren Gesellschaften angerichteten Schäden zu analysieren?
Angesichts einer solchen Blindheit, Unverantwortlichkeit und Unzulänglichkeit beabsichtige ich gegen diesen Bericht zu stimmen.
Bogusław Liberadzki (PSE), schriftlich. − (PL) Frau Präsidentin! Ich habe für den Bericht über die Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen gestimmt.
Die Entwicklung der europäischen Gesellschaft wird in Zukunft zunehmend von Bildung, wissenschaftlicher Forschung, Innovation und Technologie abhängen. Deshalb ist es so wichtig, die Mobilität innerhalb des europäischen Arbeitsmarktes zu unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass die Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt erleichtern wird.
Der Berichterstatter, Herr Mantovani, hat in seinem Bericht zutreffend hervorgehoben, dass ab 2012 alle Qualifikationsnachweise, Zeugnisse und Europass-Dokumente auf das zutreffende Niveau des EQR verweisen sollten. Der Europäische Qualifikationsrahmen sollte den Vergleich der Qualifikationsniveaus vereinfachen. Für die Mitgliedstaaten ist es äußerst wichtig, für die Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens insbesondere durch den Austausch bewährter Vorgehensweisen Unterstützung einzuholen. Die in diesem Bericht erwähnte beratende Gruppe für den Europäischen Qualifikationsrahmen ist in der Position, die Kohäsion des Kooperationsprozesses sicherzustellen und diesen zu überwachen.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, bei dem es um die Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens geht, um die EU-weite Anerkennung der erlangten Qualifikationen zu erleichtern. Für Personen, die in anderen Mitgliedstaaten arbeiten möchten, sollte er zu einer Verbesserung der Mobilität führen, indem ein neutraler und vertrauenswürdiger Bezugspunkt für den Vergleich verschiedener Qualifikationen bereitgestellt wird.
Andreas Mölzer (ITS), schriftlich. − Theoretisch soll es möglich sein, dass die Qualifikationen eines Berufsausübenden in jedem anderen EU-Mitgliedstaat anerkannt werden und die gleichen Voraussetzungen wie für Inländer gelten. In der Praxis finden sich nach wie vor noch einige Probleme, die es zu bereinigen gilt. Wenn etwa ein erfahrener österreichischer Lehrer in Deutschland auf einmal für die gleiche Arbeit ein zweijähriges Praktikum absolvieren müsste, läuft einiges schief. In manchen EU-Staaten werden Praktikumsstellen nicht nur dazu missbraucht, hochqualifizierte Fachkräfte mit akademischem Abschluss billigst zu lukrieren, sie werden auch zur Schaffung von Berufszutrittsbarrieren verwendet.
Prekäre Arbeitsverhältnisse, vorerst nur charakteristisch für den Niedriglohnbereich, haben also längst auch auf hochqualifizierte Fachkräfte übergegriffen. Die EU darf dieser Entwicklung nicht auch noch mit der „Blue Card“ Vorschub leisten. Wir haben genug qualifizierte Fachkräfte, wenn wir nur breit sind, diese auch anständig zu zahlen.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Mit der Annahme des Europäischen Qualifikationsrahmens ist es möglich, den Einfluss der EU auf die einzelstaatlichen Bildungssysteme zu stärken und die Vereinheitlichung und Einhaltung vorher festgelegter Qualitäts- und Leistungsindikatoren zu verbessern. Er bietet eine weitere Möglichkeit, Bildung durch flexibles „Lernen“ außerhalb des gesellschaftlich vorgegebenen Bildungsprozesses zu ersetzen. Wissen wird gegen kurzlebige, oberflächliche Weiterbildungsmaßnahmen ausgetauscht, um Arbeitnehmer mit den Fähigkeiten auszustatten, die das Kapital zu einem bestimmten Zeitpunkt benötigt.
Diese Qualifikationen werden nicht durch Bescheinigungen der formellen Bildungseinrichtungen der einzelnen Länder, sondern anhand von Zertifizierungsprüfungen nachgewiesen, die von arbeitgebernahen Einrichtungen durchgeführt werden. Auf diese Weise werden die Möglichkeiten, nach einem Hochschulabschluss eine Karriere anzustreben, weiter eingeschränkt.
Die Vermischung der unterschiedlichen Bildungsebenen und Bildungsformen, die darauf abzielt, das praktische Lernen mit der systematischen Bildung gleichzustellen, dient dazu, die Arbeitnehmerrechte zu beschneiden und die Löhne aller Arbeitnehmer so weit wie möglich nach unten zu drücken.
Mit dem System des lebenslangen Lernens und der Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise verfolgt die EU das übergeordnete Ziel, das gesamte Bildungssystem den Marktanforderungen zu unterwerfen und den Kapitalprofit zu steigern. Dies lässt sich ganz und gar nicht mit den Bildungsbedürfnissen der Arbeitnehmer und der jungen Menschen vereinbaren.
Aus diesen Gründen stimmen wir gegen den Bericht und den Vorschlag der Kommission.
Zita Pleštinská (PPE-DE), schriftlich. − (SK) Grenzüberschreitende Arbeitsmobilität ist in der EU eine Notwendigkeit. Nach der Erweiterung ist sie in der EU-27 zu einer täglichen Realität geworden. Diese Veränderungen stellen Anforderungen an eine innovativere und flexiblere Bildung, die die Europäer auf ihre Eingliederung in einen modernen Arbeitsmarkt, in dem Bildung für alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten zu einer grundlegenden Voraussetzung wird, vorbereitet.
Ich habe für den Bericht von Mario Mantovani über den Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen gestimmt, denn ich bin überzeugt, dass nur das der richtige Weg ist, um die Ziele der Lissabon-Strategie zu erfüllen.
Die Struktur des Europäischen Qualifikationsrahmens besteht aus acht vertikalen Ebenen, den so genannten Referenzniveaus, die durch drei horizontale Kriterien – Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen – miteinander verbunden sind und es dadurch gestatten, den Einzelnen anhand der Ergebnisse des Lernprozesses besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Um dem Europäischen Qualifikationsrahmen zum Erfolg zu verhelfen, ist es absolut notwendig, dass die Mitgliedstaaten und Sozialpartner während der Einführungsphase vertrauensvoll zusammenarbeiten.
In einem Europa, in dem die Struktur des Arbeitsmarktes im Wandel begriffen ist und wir die Notwendigkeit erkennen, Bildung flexibel zu behandeln, sollten die Mitgliedstaaten den EQR dazu nutzen, die Programme für lebenslanges Lernen zu verbessern. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sowohl die Arbeitgeber als auch die europäischen Bürger verstehen, welche praktische Bedeutung Qualifikationen haben, denn sie ermöglichen ihnen eine größere und vor allem barrierefreie Mobilität innerhalb der EU.
José Albino Silva Peneda (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Die Globalisierung der Wirtschaft ist ein Problem, für das Europa bisher noch keine eindeutige und überzeugende Antwort finden konnte.
Eine stärker globalisierte Wirtschaft erfordert die Bereitschaft zur Veränderung und damit eine größere Mobilität.
Die Schaffung eines Gemeinsamen Bezugsrahmens für die Anerkennung, Vergleichbarkeit und Anrechnung von Qualifikationen aus unterschiedlichen Systemen ist eine grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung einer entscheidenden Komponente des europäischen Einigungswerks. Mit anderen Worten: Die Mobilität der Arbeitnehmer wird durch die Übertragbarkeit ihrer Qualifikationen gefördert.
Durch eine bessere Ausbildung unserer Arbeitnehmer und ein harmonisiertes System der Anerkennung ihrer Kenntnisse, Qualifikationen und Fähigkeiten wird ihre Mobilität gestärkt und die Entwicklung des Binnenmarktes vorangetrieben.
Wenn die europäischen Arbeitnehmer über zusätzliche und bessere Fähigkeiten verfügen, können wir eine bessere Organisation, mehr Innovation und eine größere Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gewährleisten.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Es ist bedauerlich, dass die Einführung des SIS II immer wieder verschoben wird. Heute haben wir zu diesem wichtigen Thema einen Entschließungsantrag angenommen. Wir sind so weit im Verzug, dass es jetzt wirklich darauf ankommt, einen Ausweg aus der Situation zu finden, damit wir ab dem 13. November 2008 das SIS I+Netzwerk verwenden können.
Nun steht fest, dass die Humanressourcen und Finanzmittel, die für die Umsetzung des SIS II eingesetzt werden, auf drei gleichzeitig laufende Projekte – SIS II, SISone4all sowie die Einrichtung, den Betrieb und die Verwaltung einer Kommunikationsinfrastruktur – aufgeteilt werden müssen.
Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach die richtige Verteilung der Ressourcen der EU und der Mitgliedsstaaten äußerst wichtig. In Anbetracht der Bedeutung des Projekts im Hinblick auf die Sicherheit der EU hat jedoch offensichtlich SIS II die höchste Priorität. Wir müssen Mittel für die Sicherheit der EU sowie für die Entwicklung einer Kommunikationsinfrastruktur aufwenden.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL) , schriftlich. − (PT) Um während der Ausweitung des Schengener Informationssystem und des Visa-Informationssystems (VIS) eine „Lücke zu füllen“, zielt der vorliegende Vorschlag darauf ab, eine kurzfristige Lösung zu liefern, um mögliche Unterbrechungen aufgrund der verzögerten Schaffung der „Infrastrukturen“ des neuen „Systems“ zu vermeiden. Die Kosten werden auf den Gemeinschaftshaushalt und die Mitgliedstaaten verteilt.
Wir möchten hervorheben, dass dies auch die Erweiterung und Entwicklung der Funktionen des SIS, die Ausweitung des Zugangs auf die neuen Behörden und ihre Vernetzung und die Aufnahme neuer Datenkategorien (wie die Datenerfassung und biometrische Daten) umfasst.
Mit dieser Ausweitung des bisherigen Systems werden die Rechte, Freiheiten und Garantien gefährdet, indem neue Elemente in eine Datenbank aufgenommen werden, die zudem auch noch von vielen Einrichtungen gemeinsam genutzt wird. Die Vertraulichkeit dieser Daten kann nicht vollständig gewährleistet werden, weil die Protokolle „über einen längeren Zeitraum“ gespeichert und an Drittländer weitergeleitet werden können.
Dem liegen die Bemühungen zugrunde, das SIS mit den gefährlichen und nicht hinnehmbaren Zielsetzungen der gegenwärtigen Sicherheitsoffensive sowie mit der Ausweitung und zunehmenden Vergemeinschaftung der inneren Angelegenheiten in der EU in Einklang zu bringen, was wir in aller Deutlichkeit ablehnen.
Bairbre de Brún, Jens Holm, Mary Lou McDonald und Eva-Britt Svensson (GUE/NGL), schriftlich. − (EN) Wir sind nicht gegen die vorgeschlagene befristete Lösung zur Gewährleistung der Existenz eines Netzes für SIS 1+ für den Zeitraum vom 13. November bis zum 17. Dezember 2008. Die von Herrn Coelho vorgeschlagene Anwendung der Überleitungsklausel in Artikel 67(2) Bezugsvermerk 2 des EG-Vertrags können wir jedoch nicht unterstützen. Deshalb haben wir uns entschieden, gegen den Bericht zu stimmen.
Andreas Mölzer (ITS), schriftlich. − Wir haben bereits jetzt ein großes Problem mit organisierten kriminellen Banden und illegalen Einwanderern, die sich gerne im Grenzraum aufhalten, und dort kann man sie auch leichter stoppen als in einer Stadt. Beide harren schon in den Startlöchern, um bei Grenzöffnung in andere Länder abzutauchen. Dem müssen wir verstärkte grenzübergreifende Kooperation und intensive Kontrollen im Grenzbereich entgegensetzen. Eine Schengen-Erweiterung bedeutet schließlich für alle Staaten eine große Verantwortung.
Der Schengen-Beitritt darf demnach nicht ausschließlich von der Funktionstüchtigkeit des Schengen-Informationssystems abhängig gemacht werden – was Polen z. B. noch nicht geschafft zu haben scheint –, vielmehr muss gewährleistet sein, dass die künftigen Schengen-Mitglieder die EU-Außengrenze auch tatsächlich effektiv überwachen können, es zu keiner Aushöhlung der Übergangsfristen zum Schutz der Arbeitsmärkte kommt und das Bettlerwesen nicht weiter zunimmt. Solange dies nicht garantiert ist, darf es nicht zu einer „Husch-Pfusch-Erweiterung“ kommen.
Der Erweiterung zuzustimmen, ist überaus fragwürdig, weil laut FRONTEX-Jahresbericht 2006 die Aufgriffszahlen an den aktuellen Schengen-Außengrenzen (überwiegend in Österreich und Deutschland) nach wie vor bedeutend höher sind als jene an den EU-Außengrenzen. Überhaupt ist in Frage zu stellen, ob man Schengen nicht teilweise aufheben sollte, zumal laut Schlepperbericht des österreichischen Innenministeriums fast 50 Prozent der Illegalen, die in Österreich aufhältig sind, über die Schengen-Grenze aus Italien kommen.
Søren Bo Søndergaard (GUE/NGL), schriftlich. − (EN) Ich bin nicht gegen die vorgeschlagene befristete Lösung zur Gewährleistung der Existenz eines Netzes für SIS 1+ für den Zeitraum vom 13. November bis zum 17. Dezember 2008. Die von Herrn Coelho vorgeschlagene Anwendung der Überleitungsklausel in Artikel 67(2) Bezugsvermerk 2 des EG-Vertrags kann ich jedoch nicht unterstützen. Deshalb habe ich mich entschieden, gegen den Bericht zu stimmen.
Zita Pleštinská (PPE-DE). – (SK) Ich bin für einen vernünftigen Kompromiss, wenn es darum geht, das Gleichgewicht zwischen dem Gesundheits- und dem Umweltschutz einerseits und der landwirtschaftlichen Produktion andererseits herzustellen. Deshalb habe ich für den Bericht meiner slowakischen Kollegin Irena Belohorská gestimmt, die eine anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Prävention und Behandlung von Krebserkrankungen ist. Ich beglückwünsche sie zu dem Bericht, in dem sie von ihren reichen Erfahrungen als Medizinerin ausgeht und eine ausgewogene Strategie der nachhaltigen Nutzung von Pestiziden vorlegt. Ich glaube, dieser Bericht wird die Annahme wirksamerer Maßnahmen für eine bessere Unterrichtung der Öffentlichkeit fördern und zur Gewährleistung der richtigen Ausbringungsmethoden und einer schrittweisen Verringerung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft beitragen.
Eine mögliche Lösung wäre, die Landwirte dahingehend zu unterstützen, dass sie in ihren Betrieben bei der Bekämpfung von Krankheiten, Schädlingen und Unkraut weniger chemische Düngemittel einsetzen; das könnte ihnen bei der schrittweisen Umstellung auf Bioproduktion helfen. Der Bericht kann die Verbraucher dazu anregen, auf dem Markt oder im Supermarkt nicht die am besten aussehenden Produkte auszusuchen, sondern im Interesse ihrer Gesundheit auch zu den weniger ansehnlichen, aber gesünderen Bioprodukten zu greifen.
Zuzana Roithová (PPE-DE). – (CS) Wir alle wollen saubere Luft atmen und dem Abschmelzen der Gletscher ein Ende machen. Zugleich aber steigt unser Energiebedarf trotz der Energiesparprogramme exponentiell an. Auch die Abhängigkeit Europas von Öl- und Gaseinfuhren spielt eine große Rolle.
Wir müssen deshalb in die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen investieren und Fragen der Sicherheit von Atomkraftwerken angehen, vor allem das Thema der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Dadurch könnten wir bis zu 14 % unserer Energie aus sauberen Quellen gewinnen. Wir können aber nicht außer Acht lassen, dass 32 % unserer Energie aus fossilen Brennstoffen stammen, was 300 000 Menschen Arbeit gibt und die Umwelt stark verschmutzt. Deshalb begrüße und unterstütze ich den Bericht von Herrn Reul über konventionelle Energiequellen. Ich stimme dem Berichterstatter zu, dass wir die Investitionen überprüfen und auch die Technologien entwickeln sollten, durch die es möglich wird, den Wirkungsgrad der Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen zu erhöhen und die Emissionen zu senken. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Wir haben heute eine wichtige Entscheidung zur Strategie zur Nutzung von Pestiziden getroffen. Ich habe für diese Entscheidung gestimmt. Wir sind uns alle sehr wohl der Tatsache bewusst, dass die Luft, die wir einatmen, verschmutzt ist und demzufolge ein Risiko für die Gesundheit darstellt und dass die Nahrung, die wir zu uns nehmen, unter Verwendung von Chemikalien verarbeitet worden ist, die für die menschliche Gesundheit schädlich sind. Unsere Kinder, die zukünftige Generation, wachsen unter diesen Bedingungen auf.
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die Gefahren, die Pestizide für die menschliche Gesundheit darstellen, reduziert werden müssen. Aus diesem Grund sollten wir entscheidende Maßnahmen ergreifen und unser Bestes tun, um die notwendigen Mittel dafür bereitzustellen. Ich begrüße die Pläne, durch die die Mitgliedsstaaten dazu angehalten werden, Aktionspläne zu entwickeln, mit denen die Gebiete hervorgehoben werden sollen, in denen Pestizide völlig verboten und in denen in den nächsten zehn Jahren weitaus weniger Pestizide verwendet werden.
Irena Belohorská (NI), schriftlich. − (PT) Es ist allgemein bekannt, dass die Kommission im Juli 2006 eine thematische Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden und gleichzeitig einen Vorschlag für eine Richtlinie über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden sowie einen Vorschlag für eine Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln unterbreitet hat, um die mit dem Einsatz von Pestiziden verbundenen Risiken und Auswirkungen für bzw. auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verringern.
Die mit dem Einsatz von Pestiziden verbundenen Risiken wurden bereits verringert, doch in einigen Bereichen und insbesondere in Staaten, die lange Zeit eine intensive Landwirtschaft betrieben haben, können diese nach wie vor in nicht schädlichen Mengen im Boden und im Wasser nachgewiesen werden. Dies bedeutet ebenfalls, dass Länder, die eine traditionellere Form der Landwirtschaft betreiben, mehr Unterstützung erhalten sollten, um diese weniger intensive landwirtschaftliche Produktion aufrechterhalten zu können.
Wir vertreten allerdings nicht die Auffassung, dass die Lösung darin besteht, Pestizide durch GMO zu ersetzen. Da die schädlichen Gesundheitsauswirkungen von chemischen Stoffen und Pestiziden hinlänglich bekannt sind, sollte mit Blick auf die Auswirkungen von GMO auf die menschliche Gesundheit der Vorsorgegrundsatz gelten, solange diese noch nicht erforscht worden sind.
Diese thematische Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden bezieht sich lediglich auf Pflanzenschutzmittel, mit anderen Worten also nur auf eine Gruppe von Pestiziden.
Genowefa Grabowska (PSE), schriftlich. − (PL) Ich begrüße, dass das Europäische Parlament eine neue Richtlinie über die Herstellung und Nutzung von Pestiziden verabschiedet hat. Die Richtlinie verschärft die Bedingungen, unter denen der Handel mit chemischen Substanzen, die zur Herstellung von Pflanzenschutzmitteln verwendet werden, zugelassen werden kann. Das Ergebnis wird den Bürgern der Europäischen Union insbesondere im Hinblick auf ihr Leben und ihre Gesundheit nützen. Ferner werden in der Richtlinie die Fälle detailliert aufgeführt, in denen das Sprühen aus der Luft erlaubt ist. Darüber hinaus wird empfohlen, den Einsatz von Pestiziden zu verringern und nicht chemischen Alternativen Vorrang einzuräumen.
Der Bericht von Frau Belohorská verdient Unterstützung, und sei es nur wegen des sehr weit gefächerten, doch auch aktuellen Umfangs der Bestimmungen. Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass die Bürger der Europäischen Union nicht länger täglich mit Giften in Berührung kommen und keine kontaminierten Produkte verzehren möchten. Unsere Bürger möchten weder mit krebserregenden oder toxischen Stoffen, noch mit Stoffen, die Störungen des Hormonhaushalts auslösen können, belastet werden. Als Reaktion auf diese klaren, von der europäischen Gesellschaft zum Ausdruck gebrachten Erwartungen, war es angemessen, auch ein Verbot des Einsatzes von Pestiziden in ländlichen und städtischen öffentlichen Räumen zu unterstützen. Der Einsatz von Pestiziden in Gebieten um Hospize, Sanatorien, Rehabilitationszentren, Kliniken und Krankenhäuser sollte verboten werden. Ein solches Verbot sollte ferner auf Parks, öffentliche Gärten, Sport- und Freizeitanlagen, Schulhöfe, Kinderspielplätze und ähnliche Orte ausgedehnt werden.
Karin Scheele (PSE), schriftlich. − Die thematische Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden ist eine wichtige Ergänzung zum Verordnungs- und Richtlinienvorschlag, über den heute in erster Lesung abgestimmt wurde.
Die thematische Strategie ist notwendig, weil der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Europäischen Union trotz der erfolgreichen freiwilligen Maßnahmen mancher Mitgliedstaaten zwischen 1992 und 2003 nicht zurückgegangen ist und auf einem hohen Niveau liegt. Der Bericht Belohorská unterstreicht einmal mehr die notwendige Anwendung des Vorsorgeprinzips bei der Verwendung von Pestiziden.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Meiner Ansicht nach ist der Bericht zu konventionellen Energiequellen und Energietechnologien äußerst wichtig. Die Realitäten des Lebens zwingen die EU-Mitgliedstaaten, ihre Einstellung zu Energie sowohl auf den EU- als auch auf den Weltmärkten im Hinblick auf Ressourcen, den Energiemix und die Versorgungssicherheit zu verändern.
Ich möchte hierbei die Bedeutung der Kernenergie als sichere, zuverlässige und umweltfreundliche Ressource hervorheben. Die Tatsache, dass Deutschland, in dem es 17 Kernkraftwerke gibt, einen sechsmal so hohen CO2-Ausstoß erzeugt wie Frankreich mit seinen 59 Kernkraftwerken, spricht ja wirklich für sich.
Die Kernenergie ist ganz besonders für die Länder wichtig, in denen es keine großen Vorkommen an erneuerbaren Energiequellen, wie beispielsweise Wind, Solarenergie, Wasser und Biomasse gibt, wobei die Nutzung Letzterer auch ganz besonderes kostenintensiv ist. Elektrizität ist von größter Wichtigkeit und sollte für jeden zugänglich sein.
Ich habe für den Bericht gestimmt und möchte noch einmal betonen, wie wichtig die Hilfe von der EU für den Bau von Kernkraftwerken und anderen umweltfreundlichen Kraftwerken ist.
Romano Maria La Russa (UEN). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe das Bedürfnis, einige Aspekte der neuen Generation der Nukleartechnologie klarzustellen. Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass Italiens Atomkraftwerke nach einem Referendum 1987 vielleicht zu Recht abgeschaltet wurden, obwohl uns das nach und nach in die Abhängigkeit von ausländischen Energiequellen getrieben hat.
Zweifelsohne ist die neue Generation der sauberen, sicheren und umweltfreundlichen Nukleartechnologie erforderlich, um dem Problem der Energieversorgung und des Klimawandels entgegenzuwirken. Also muss der Energiemix aktualisiert werden, und in Verbindung mit erneuerbaren Energien, sauberer Kohle und Gas wird Europa mit Hilfe der Kernenergie seine Abhängigkeit in Zukunft einschränken können.
Aus diesem Grund habe ich für den Bau von Atomkraftwerken der vierten Generation gestimmt, mit denen Energie sicherer und umweltfreundlicher erzeugt werden kann. Allerdings habe ich nach wie vor Zweifel, ernsthafte Zweifel und Bedenken in Bezug auf die Lagerung des Atommülls. In dem Bericht mag das Problem der Mülllagerung als gelöst dargestellt werden, ich kann dem aber ehrlich gesagt nicht zustimmen. Das Müllproblem ist enorm wichtig, und wenn es in naher Zukunft gelöst werden soll, dann bedarf es einer großen Investition in die Forschung.
Abschließend bin ich der Auffassung, dass die Wahl eines Energiemixes – bitte noch drei Sekunden –, um die Sicherheit der Energieversorgung in der Union für die kommenden Jahre sicherzustellen, einhergehend mit den Fortschritten und der Entwicklung neuer Technologien geändert werden muss.
Karin Scheele (PSE). - Frau Präsidentin! Die Kollegen aus meiner Delegation und ich selbst haben gegen den Bericht Reul gestimmt, weil wir weder an die Sicherheit noch an die Sauberkeit von Kernenergie glauben, auch nicht an die neue Generation der Atomkraftwerke und die neue Generation der Kernenergie.
Wenn es denn wirklich so sein sollte – und da gibt es ja Studien und Zahlen dazu –, dass die Kernenergie massiven Einfluss auf unsere CO2-Reduktionen haben sollte, dann müssten wir eine Vervielfachung der jetzigen Kraftwerke haben. Das ist nicht realistisch und auch nicht durchführbar. Deswegen – und dazu werde ich mich dann beim nächsten Bericht äußern – wären gute Maßnahmen bei der Energieeffizienz, aber auch bei weniger CO2-Emissionen bei den PKWs der bessere Weg, um Europa fit zu machen und auch andere Länder und Kontinente zu überzeugen.
Jan Andersson, Göran Färm und Inger Segelström (PSE), schriftlich. − (SV) Wir haben gegen den Bericht gestimmt, da es ihm unserer Ansicht nach an Ausgewogenheit mangelt und unter anderem wichtige Probleme im Zusammenhang mit der Atomenergie nicht angesprochen werden.
Darüber hinaus sollten unserer Ansicht nach keine Forschungsmittel der Gemeinschaft im Bereich der Energie zur Entwicklung neuer Generationen von Kernreaktoren verwendet werden.
Wir bezweifeln den Umweltwert der Herstellung synthetischer Kraftstoffe oder Wasserstoffgas aus fossilen Energiequellen oder auch von Kernenergie, da keine dieser Energiequellen vom Standpunkt des Umweltschutzes oder der Energieversorgung aus langfristig nachhaltig ist.
Ferner sollten unserer Meinung nach fossile Brennstoffe auf längere Sicht aktiv abgewickelt werden, und darauf wird im Bericht nicht eingegangen.
Nach unserem Dafürhalten kann die CO2-Speicherung einen wichtigen Beitrag zur Senkung der CO2- Emissionen leisten, jedoch sind andere Maßnahmen im Bereich der Energieeinsparung und Energieeffizienz sowie die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen langfristig nachhaltiger und sollten daher das letztlich zu erreichende Ziel sein.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Dieser Bericht enthält zahlreiche positive Aspekte, darunter die Anerkennung der Rolle der konventionellen Energiequellen und der Notwendigkeit ihres Einsatzes bei der Energieerzeugung, womit Aussichten auf eine Wiederaufnahme der Kernspaltungsenergie und die Forderung nach einer Aufhebung der Beschränkungen für neue Kohlekraftwerke verbunden sind.
Er legt zudem Möglichkeiten der Wiederaufnahme der Kohleenergie und des Kohleabbaus dar und fordert eine internationale Zusammenarbeit auch mit Staaten außerhalb der EU wie China und Indien. Ferner wird die Bedeutung der endogenen Ressourcen hervorgehoben und der Beitrag der erneuerbaren Energien realistischer betrachtet. Er enthält einige Kritikpunkte zur Herstellung und Verwendung von flüssigen Biokraftstoffen und verweist auf die Notwendigkeit, dass die Mitgliedstaaten Forschung und Entwicklung im Energiesektor zusätzlich fördern, um insbesondere die Probleme im Bereich der Umwelt und der nuklearen Sicherheit in den Griff zu bekommen.
Allerdings weist er auch einige negative Aspekte wie die Feststellung auf, dass die wachsenden Probleme auf den Erdölmärkten lediglich der Situation geschuldet und vorübergehender Natur sind. Gleichzeitig wird der strategischen Frage der Ressourcenerschöpfung sowie dem enormen Potenzial der Herstellung von Biomethan aus Abfällen keinerlei Beachtung geschenkt, obwohl dieser Ansatz bereits in zahlreichen europäischen Ländern verfolgt wird.
Aus diesem Grund haben wir uns der Stimme enthalten.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für diesen Initiativbericht zu Energiefragen gestimmt, der sich mit vielen Bereichen der Energieeffizienz, -versorgung und -einsparung befasst. Änderungsanträge zur Billigung der Kernenergie habe ich nicht unterstützt, da meiner Ansicht nach nachhaltige, erneuerbare Energieressourcen entwickelt und Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zuerst auf diese Bereiche konzentriert werden sollten.
Andreas Mölzer (ITS), schriftlich. − Prinzipiell sind wir uns alle einig, dass wir mehr Energieeffizienz und rationellere Energieübertragung benötigen und der Ausbau erneuerbarer Energiequellen wichtig ist. Dennoch darf die Förderung erneuerbarer Energien nicht als Vorwand dazu dienen, im Zuge der EU-Verfassung über die Hintertür noch mehr die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten einzuschränken. Da im vorliegenden Bericht eine diesbezügliche Klarstellung fehlt, ist er abzulehnen.
Trotz dem nach wie vor voranschreitenden Ausbau erneuerbarer Energiequellen werden wir noch jahrzehntelang von konventioneller Energieerzeugung abhängig bleiben und müssen deshalb ebenso dafür sorgen, dass diese umweltfreundlicher erfolgt. In der EU scheint man jedoch nach wie vor zu sehr auf Kernkraftwerke fixiert zu sein, was sich nicht nur in deren Anpreisung als „umweltfreundlicher Energielieferant“ widerspiegelt – an sich schon ein Hohn –, sondern auch im hoch dotierten Atomforschungsbudget seinen Niederschlag findet. Hier fehlt es mir ebenfalls an erkennbarem Umdenken, was ein weiterer Grund für meine Ablehnung des den Abstimmungen zu Grunde liegenden Berichts ist.
Tobias Pflüger (GUE/NGL), schriftlich. − Der Bericht Reul ist ein Protegierbericht der Atomindustrie. Die Atomenergie wird wider jede Vernunft als Zukunftstechnologie dargestellt. Noch mehr EU-Forschungsgelder und EU-Haushaltsmittel sollen in die Förderung dieser gefährlichen Dinosauriertechnologie fließen.
Ungeachtet der jüngsten „Störfälle“ in Vattenfall-Atomreaktoranlagen wird sogar noch auf den Ausbau der Atomenergie in Europa gesetzt. Angesichts dessen wirkt es geradezu zynisch zu behaupten, die atomare Energieerzeugung werde „immer sicherer“. Statt weiterhin in eine derart problematische Energieerzeugung zu investieren, bei der die Frage der Endlagerung bewusst ausgeklammert wird, muss endlich ein sozial-ökologischer Wechsel angestrebt werden.
Dazu müssen die privaten Monopole der Atomwirtschaft zerschlagen, eine massive Förderung regenerativer Energien und eine Kommunalisierung der Energieerzeugung in die Wege geleitet werden. Auch vor dem Hintergrund, dass gerade die Atomkonzerne eine neue Runde massiver Preissteigerungen in die Wege geleitet haben, besteht dringender Handlungsbedarf. Der Bericht bedient allein das Profitinteresse der Atomindustrie in Europa. Die Förderung neuer Atomkraftwerke in der EU ist nicht hinnehmbar.
Im EU-Reformvertrag soll die rechtliche Grundlage der Förderung auf unbestimmte Zeit festgeschrieben werden. Ein Grund mehr, den EU-Reformvertrag abzulehnen. Jeder weitere Cent für die EU-Atomförderung ist einer zuviel! Die einzig zukunftsfähige Energiepolitik ist die Förderung der Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen, Solar, Wind und Wasserkraft.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Die Europäische Kommission hat Anfang des Jahres im Rahmen der Einführung des Energiepakets die Notwendigkeit betont, einen technologischen Aktionsplan für fossile Brennstoffe zu erstellen und einen pragmatischen Ansatz an die Kernenergie zu wählen.
Tatsache ist, dass es keinerlei Alternative zu fossilen Brennstoffen gibt, die sowohl günstig als auch effizient sind. Dies bedeutet, dass diese Brennstoffe auch nach 2020 im Mittelpunkt der EU-Energiepolitik stehen werden.
Deshalb müssen wir nach neuen Lösungen für das Problem der Energieversorgung in der EU suchen und dürfen dabei die Erfordernisse der Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit nicht außer Acht lassen. Demzufolge sind alle Investitionen in die Entwicklung neuer Energiequellen von besonderer Bedeutung, um erstens die Umweltauswirkungen zu reduzieren und die Sicherheit der bestehenden Einrichtungen zu stärken und zweitens neue Energiequellen zu entwickeln und eine wirksamere und umweltfreundlichere Nutzung fossiler Energiequellen zu gewährleisten.
Ich habe für diesen Bericht gestimmt, da es von entscheidender Bedeutung ist, dass die Mitgliedstaaten und die EU ihre Bemühungen auf die Energieforschung konzentrieren, die von einer wirksameren Nutzung der Energiequellen über neue Technologien bis zum umweltfreundlicheren Einsatz bestehender Energiequellen reicht.
Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. − (PL) Ich habe für den Bericht von Herrn Reul über konventionelle Energiequellen und Energietechnologie gestimmt.
In diesem Bericht wird eine sehr wichtige, aktuelle Frage aufgeworfen, die eine umfassende Debatte in der Europäischen Union erfordert, nämlich, dass wir eine einheitliche Strategie benötigen und eine gemeinsame Energiepolitik entwickeln sollten. Die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit ist eine vorrangige Frage, und der Vorschlag der Kommission, der Frühjahrstagung 2008 des Europäischen Rates einen Europäischen Strategieplan für Energietechnologie vorzulegen, ist daher sehr begrüßenswert.
Die Europäische Union hat in der Welt eine Führungsrolle inne und muss auch im Bereich der Entwicklung moderner Energietechnologien eine führend sein und gleichzeitig alle einschlägigen Wirtschafts- und Umweltstandards beibehalten.
Lars Wohlin (PPE-DE), schriftlich. − (SV) Ich habe für den Bericht gestimmt, da die EU in ungewöhnlich ausgewogener Art und Weise die Notwendigkeit der Einbeziehung der Kernenergie in den zukünftigen Energiemix für Europa diskutiert. Im Bericht wird unter anderem festgestellt, „dass die Kernenergie für die Gewährleistung der Grundlast mittelfristig in Europa unverzichtbar ist“ und „dass die Kernenergie die derzeit größte kohlenstoffarme Energiequelle in Europa ist“, und der potenzielle Beitrag der Kernenergie zur Bekämpfung des Klimawandels betont. Gegenwärtig macht die Kernenergie ein Drittel der Energieversorgung der EU aus, und sie wird auch zukünftig in vielen EU-Mitgliedstaaten eine der wichtigsten Energiequellen sein.
Es ist meiner Meinung nach bedauerlich, dass in der Diskussion über die CO2-Emissionen der Kernenergie keine größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wenn wir den zukünftigen Energiebedarf decken wollen ohne dass wir zunehmend von fossilen Brennstoffen abhängig sind oder dass die CO2-Emissionen steigen, wird die Entwicklung neuer und sicherer Kernkraftwerke von entscheidender Bedeutung sein. Leider wird die Kernenergie nicht zu den Maßnahmen gerechnet, die zum Erreichen des Ziels von 20-30 % bis zum Jahr 2020 für realistisch gehalten werden.
Zuzana Roithová (PPE-DE). – (CS) Heute haben wir der Autoindustrie den Auftrag erteilt, Motoren zu entwickeln, die die CO2-Emissionen auf weniger als 120 g/km verringern. Gegenwärtig liegt dieser Wert bei 157 g. Ich möchte jedoch diejenigen, die diesem Vorschlag Beifall gespendet haben, warnend darauf hinweisen, dass die Verringerung der Emissionen durch die wachsende Zahl von Autofahrern im Allgemeinen wie auch durch die hohe Zahl der Fahrer alter Autos erheblich erschwert wird.
Eine doppelte Regulierung der Werbung löst das Problem nicht. Es ist wohlbekannt, dass für die Menschen beim Autokauf die Kostenwirksamkeit und nicht so sehr die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs im Vordergrund stehen. Die Kosten, aber auch die Emissionen nehmen auch wegen der strengeren Sicherheitsauflagen für Kraftfahrzeuge zu.
Meine Damen und Herren, bis Fahrzeuge mit geringeren Umweltauswirkungen und Betriebskosten erschwinglicher werden, wird der Anteil des Straßenverkehrs an den Emissionen nicht merklich zurückgehen. Aus diesem Grund gehörte ich nicht zu denen, die dem heutigen Bericht Beifall gespendet haben. Weder der Bericht des Ausschusses noch die Strategie der Kommission sind umfassend genug. Deshalb habe ich andere Vorschläge unterstützt, die Bußgelder für das Überschreiten von Emissionsgrenzen und vor allem steuerliche Maßnahmen und Beihilfen für die Erneuerung der Fahrzeugflotte vorsahen.
Zita Pleštinská (PPE-DE). – (SK) Der soeben angenommene Bericht über die künftige CO2-Strategie für Personenkraftwagen trägt zweifellos zu einer der am meisten polarisierenden Debatten bei, die gegenwärtig im Europäischen Parlament stattfinden. Dabei geht es nicht nur um die Umweltsituation und damit die Gesundheit der EU-Bürger, sondern auch um die Wettbewerbsfähigkeit eines der wichtigsten Industriezweige. Ich habe für den Änderungsantrag gestimmt, der einen Kompromiss zwischen beiden Aspekten darstellt und sowohl den Umweltschutz als zugleich auch geeignete und reale Bedingungen für die europäische Automobilindustrie berücksichtigt.
Bei den Herausgebern der Printmedien macht Autowerbung bis zu 20 % der Werbeumsätze aus. Die Einführung eines Werbekodexes, wie ihn der ursprüngliche Bericht von Chris Davies vorsah, würde das Grundprinzip der freien Meinungsäußerung verletzen. Deshalb habe ich für die Änderungsanträge gestimmt, die die strittigen Ziffern 36 bis 41 aus dem Bericht streichen. Ich habe den Antrag der PPE-DE-Fraktion unterstützt, der die Automobilhersteller zur Annahme eines freiwilligen Verhaltenskodex für Autowerbung auffordert. Nachdem die meisten dieser Änderungsanträge angenommen wurden, habe ich in der Schlussabstimmung für den Bericht von Chris Davies gestimmt. Das Abstimmungsergebnis ist ein klares politisches Signal für die Ausarbeitung einer europäischen Gesetzgebung zur Verringerung der CO2-Emissionen.
Karin Scheele (PSE). - Frau Präsidentin! Wir haben ja noch das Gesetz, mit dem das Parlament zeigen kann, dass wir den Klimaschutz in Europa ernst nehmen, und da müssen wir alle unsere Kräfte mobilisieren, damit wir das, worüber wir heute nicht abgestimmt haben, dann im Gesetz wirklich schaffen.
Ich finde es schade, dass wir nicht klar erklärt haben, dass wir einen Höchstwert von 120 Gramm pro Kilometer ab 2012 wollen. Das hat uns die Industrie mit dem Vorschlag, sich selbst zu regulieren, weil das besser und effizienter wäre, vor mehr als zehn Jahren versprochen, und ich hätte mir gewünscht, dass wir ein klares klimapolitisches Signal hier von diesem Haus aussenden. Das haben wir nicht gemacht.
Deswegen habe ich auch gegen den Bericht gestimmt und hoffe, dass wir bei der Gesetzgebung mehr Mumm und mehr Mut haben, den Klimawandel in Europa wirklich ernst zu nehmen.
Jan Březina (PPE-DE). – (CS) Ich habe gegen den Vorschlag im Bericht über die Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen gestimmt, allerdings aus anderen als den zuvor hier bereits genannten Gründen.
Ich habe gegen den Vorschlag gestimmt, weil wir uns damit von einem integrierten Ansatz wegbewegen, wie er in den früheren Strategiedokumenten enthalten war, und stattdessen die volle Last der Verringerung des CO2-Ausstoßes der europäischen Autoindustrie aufbürden. Ich bin auch nicht mit der Forderung nach der Bereitstellung von 20 % der Werbefläche einverstanden. Sie ähnelt in gefährlicher Weise der Informationskampagne über die schädlichen Folgen des Rauchens.
Eine solch generelle Vorgehensweise macht aus der Reduzierung der CO2-Emissionen ein Dogma, das, wenn es in künftigen bindenden Rechtsvorschriften seinen Niederschlag findet, zu einer Verringerung unserer Wettbewerbsfähigkeit führt.
Christoph Konrad (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Ich habe gegen den Bericht Davies gestimmt, weil ich denke, dass wir mit unserer Entscheidung im Prinzip eine inakzeptable und weltfremde Entscheidung getroffen haben, in der Weise, dass wir einheitliche Grenzwerte beim CO2-Ausstoß für PKWs vorsehen.
Eine Staffelung nach Größe und Gewicht hätte es geben müssen, auch und insbesondere aus Gründen der Chancengleichheit für Hersteller in der Europäischen Union. Es ist ein Unterschied – um ein Beispiel zu nennen – ob ich ein Zimmer beheize oder ein Haus beheize. Deshalb ist es auch ein Unterschied, ob man ein großes Auto oder ein kleines Auto fährt. Von daher hätte es eine Segmentierung, eine Staffelung nach Gewicht geben müssen. Dies haben wir versäumt, was ich bedaure, und wir haben mit dieser Entscheidung – die ich nicht mitgetragen habe – eine Chance vertan, Umwelt- und Industrieinteressen in einen gewissen Ausgleich zu bringen.
Kurt Joachim Lauk (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Ich habe gegen den Bericht Davies gestimmt, weil wir durch die angenommenen Änderungsanträge weit weg geblieben sind von dem Optimum, die Umwelt auf der einen Seite zu schützen, aber gleichzeitig auch Beschäftigung in Europa zu fördern und die Verbraucher nicht unmäßig durch hohe Preise zu belasten. Wir haben uns im Wesentlichen zu Lasten der Beschäftigung, zu Lasten der Verbraucher entschieden.
Wir sind technisch vom integrierten Ansatz weggegangen, der notwendig gewesen wäre, nämlich zu fordern, dass alle zur CO2-Minimierung beitragen, nicht nur die Automobilhersteller, sondern auch Hersteller anderer Komponenten der Fahrzeuge. Den Weg haben wir verlassen. Wir haben ferner das Gewicht nicht einbezogen, wir haben die Gewichtssegmentierung nicht vollzogen, die wichtig ist für die europäische Wettbewerbsfähigkeit, weil bei den höhergewichtigen Fahrzeugen die Innovation stattfindet, die wir in Europa brauchen.
Wir haben Zeithorizonte gesetzt, die schwer oder nur mit hohen Kosten zu erreichen sind, und wir haben darüber hinaus die Absurdität begangen, dass wir die Forderung nach CO2-basierten Steuern in den Ländern nicht angenommen haben und damit die Altautos, die CO2-Schleudern sind, weiterhin auf dem Markt lassen. Aus diesem Grund habe ich dagegen gestimmt.
Linda McAvan (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte zwei Dinge ansprechen, zum einen die Verfahrensweise und zum anderen die Stimmliste.
Was die Abstimmliste betrifft, so steht da erstens nichts von Ziffer 3; zweitens sollten wir meiner Meinung nach noch einmal prüfen, was mit den Änderungsanträgen 52 und 51 passiert ist. Wenn man sich die Sache einmal anschaut, dann entspricht Änderungsantrag 51 eindeutig mehr dem Originaltext und hätte zuerst zur Abstimmung gestellt werden müssen. Da Änderungsantrag 52 davon am weitesten entfernt ist, hätten wir erst danach über ihn abstimmen müssen.
Ich möchte das Präsidium bitten, dies zu prüfen, denn die Abstimmung hätte ganz eindeutig so ablaufen müssen. Auf diese Verfahrensfragen möchte ich daher gern Antworten haben.
Zweitens: Was den politischen Aspekt betrifft, so war dies die erste echte Abstimmung zum Klimawandel. Es ging zwar nicht um eine Rechtsvorschrift – die kommt noch – aber mit der Verweigerung ihrer Zustimmung zu dem von der Europäischen Kommission unterstützten Ecktermin 2012 haben meiner Meinung nach die ALDE- und die PPE-DE-Fraktion dieses Hauses bereits die erste Prüfung zum Thema Klimawandel nicht bestanden, und wenn die Menschen da draußen sehen, was heute hier geschehen ist, werden sie sich fragen, ob wir unsere im März eingegangenen Verpflichtungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes wirklich ernst nehmen.
Wir sprechen über Europa als ein Europa der Umwelt. Wenn das jemals wahr werden soll, dann müssen wir auch die entsprechenden Rechtsvorschriften erlassen.
Françoise Castex (PSE), schriftlich. – (FR) Frau Castex hat für den Bericht Davies über die Strategie zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen gestimmt.
Während Frankreich weiterhin vom Umweltforum „Grenelle de l’Environnement“ monopolisiert wird, hat die Europäische Union ihrerseits der Qualität unserer Umwelt einen weiteren wertvollen Baustein hinzugefügt, indem sie eine Strategie zur Minderung der CO2-Emissionen für Personenkraftwagen angenommen hat.
Frau Castex ist sehr erfreut darüber, dass das Parlament an die europäische Automobilindustrie die Forderung gestellt hat, dass die Emissionen von Neuwagen ab 2012 unter 120g CO2/km liegen.
Dieses französische Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments begrüßt das CO2-Emissionslizenzsystem (Carbon Allowance Reductions System, CARS), das vorsieht, Herstellern, die die Quoten nicht einhalten, Bußgelder aufzuerlegen, während gleichzeitig diejenigen Hersteller Gutschriften erhalten sollen, die die Initiative ergriffen haben, indem sie Emissionswerte erreichen, die unter der Grenzwertkurve liegen.
Charlotte Cederschiöld und Christofer Fjellner (PPE-DE), schriftlich. − (SV) Wir haben generell für den Bericht Davies über die Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen (A6-0343/07) gestimmt.
Bei dem Ziel, die CO2-Emissionen zu verringern, muss der Verringerung des vom Fahrzeugverkehr verursachten Anteils Priorität eingeräumt werden. Dabei ist die Entwicklung umweltfreundlicherer Alternativen zur Nutzung von Kraftfahrzeugen äußerst wichtig. Unserer Ansicht nach muss den Autoherstellern jedoch die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu wählen, wie sie die von den Politikern aufgestellten Umweltziele erreichen wollen. Der Weg dorthin sollte nicht detailliert durch gesetzliche Vorschriften geregelt werden.
Darüber hinaus sind wir gegen die vom Berichterstatter angesprochene Regulierung der Werbung, die anmaßend ist und eine Einschränkung der freien Meinungsäußerung darstellt.
Françoise Grossetête (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für den Bericht gestimmt.
19 % der CO2-Emissionen in der Europäischen Union werden heute von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen verursacht. Die EU muss sich zu einem ehrgeizigen und realistischen Ziel zur Minderung der durchschnittlichen Emissionen aller Fahrzeuge, die auf den EU-Markt kommen, verpflichten.
Die Auswirkungen des Straßenverkehrs auf die Luftqualität müssen mit der allmählichen Erneuerung der Fahrzeugflotte verringert werden.
Ich begrüße die Annahme der vom Europäischen Parlament festgelegten Fristen. Wenn die Automobilindustrie nach 2011 nachprüfbare und messbare Maßnahmen durchführen muss, scheint mir 2015 als Zieldatum, an dem ein Grenzwert von 125 g/km erreicht werden soll, sehr vernünftig. Dies entspricht zugleich dem Inkrafttreten der Euro-VI-Emissionsstandards.
Damit eine Gesetzgebung effektiv ist, muss sie vor allem realistisch sein, und die Industrie hat seit Langem Umweltthemen in den Mittelpunkt ihre Politiken gestellt. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel gilt es, der Reduzierung der absoluten Mengen der CO2-Emissionen Vorrang einzuräumen.
Jules Maaten (ALDE), schriftlich. – (NL) Der Bericht Davies verdient aufgrund des politischen Signals, das von ihm ausgeht, Unterstützung. Alle Sektoren werden ihren Teil dazu beitragen müssen, um dem Problem des Klimawandels entgegenzuwirken, auch die europäische Automobilindustrie. Deshalb unterstütze ich den Kompromiss, bis 2015 einen maximalen Ausstoß von 125 g CO2/km zu erreichen, sehr.
Für die Niederlande besitzt der Bericht Davies zweifelsohne eine weitere, zusätzliche Dimension. Aufgrund des Problems der Schwebstoffe in der Luft in den Niederlanden müssen auf europäischer Ebene Maßnahmen ergriffen werden, um das Problem an der Wurzel zu packen. Geschieht das nicht, werden wir in verkehrsintensiven Gebieten wie z. B. dem Hafen von Rotterdam und dem Flughafen Schiphol die gegenwärtigen bzw. strengere Schwebstoffnormen nicht erfüllen können.
Ich bin dafür, die Verbraucher besser über die Umweltverträglichkeit bestimmter Fahrzeuge zu informieren, so, wie wir es jetzt beispielsweise bei Kühlschränken oder Waschmaschinen tun. Gleichwohl habe ich gegen den Vorschlag gestimmt, bei sämtlichen Werbe- und Marketingmaßnahmen der Automobilindustrie ähnliche Warnhinweise wie in der Zigarettenindustrie zwingend einzuführen. Im Bereich Werbung und Marketing habe ich mehr Vertrauen in eine Selbstregulierung als in jedwede Art europäischer gesetzlicher Verpflichtungen.
Erika Mann (PSE), schriftlich. − Ich habe dem Bericht des Kollegen Davies über eine „Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen“ nicht zugestimmt. Allerdings habe ich in der direkten Abstimmung im Plenum zuerst zugestimmt und dann meine Zustimmung schriftlich widerrufen. Diese Information erscheint in den Parlamentsdokumenten vom 25. Oktober 2007.
Meiner Meinung nach ist der Bericht sehr willkürlich, und weder die Bedürfnisse des Automobilbereiches in Deutschland noch die Umweltbelange sind in angemessenem Umfang berücksichtigt.
So differenziert der Bericht nicht zwischen den unterschiedlichen Gewichtsklassen der Fahrzeuge und stellt damit nicht zu realisierende Anforderungen an die Fahrzeughersteller.
Gleichzeitig wird auch ein zunehmender Vergleich im Werbebereich zwischen Kennzeichnungsnotwendigkeiten zwischen Tabak- und Automobilerzeugnissen hergestellt.
Der Berichterstatter (Davies, englischer grüner Liberaler) war erst ganz zum Ende des Verfahrens während der Beratung seines Berichtes in einem Punkt kompromissfähig. Dies war viel zu spät, um noch eine fraktionsübergreifende und vernünftige Empfehlung des Parlaments insgesamt zu formulieren.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für die ursprüngliche Fassung dieses Berichts gestimmt, in der bis 2012 kompromisslose Emissionsziele von 120 g CO2/km vorgeschlagen wurden. Der Vorschlag wurde leider von konservativen und liberalen Abgeordneten dahingehend abgeschwächt, dass ein höherer Emissionsgrenzwert und eine längere Anlaufzeit zugelassen werden sollen. Die Gesamtstrategie ist gut, aber es ist bedauerlich, dass sie unnötigerweise abgeschwächt wurde.
Tokia Saïfi (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Das Europäische Parlament hat die Gemeinschaftsstrategie zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen bestätigt, und ich begrüße das sehr.
Diese Initiative wird es uns ermöglichen, nicht nur die Kohlendioxidemissionen zu mindern, sondern auch zur Erreichung der allgemeineren Ziele in Bezug auf die Umwelt und die Sicherheit der Energieversorgung der EU beizutragen. Ich glaube jedoch, dass die Botschaft, die diese Abstimmung an die Europäische Kommission und die internationale Gemeinschaft gesandt hat, hätte ehrgeiziger sein können.
Seit 1995 ist der CO2-Grenzwert von 120 g/km als erreichbares Ziel für die Automobilindustrie vorgeschlagen worden. Jetzt, zwölf Jahre später stößt seine Umsetzung immer noch auf Widerstand, obwohl der technische Fortschritt es heute gestattet, den CO2-Ausstoß noch mehr zu reduzieren kann, als das vor zwölf Jahren möglich war.
Indem es sich mit einem verbindlichen oberen CO2-Grenzwert von 125 g/km zufrieden gibt, geht das Europäische Parlament nicht weit genug. Aus diesem Grund habe ich gegen die Änderungsanträge 42 und 52 gestimmt, deren vorgeblich realistische und vorsichtige Ziele in Wirklichkeit zu moderat sind.
In einer Zeit, in der der Verbraucher immer sensibler gegenüber der Umweltverschmutzung durch Fahrzeuge wird, kommt jede Maßnahme zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes der Fahrzeuge der Autoindustrie, dem Verbraucher und natürlich unserem Planeten selbst zugute.
Renate Sommer (PPE-DE), schriftlich. − Ich habe den Vorschlägen zur Einführung eines durchschnittlichen verbindlichen Emissionsgrenzwertes mit einigen Bauchschmerzen zugestimmt: Besser wäre eine Staffelung nach Größe und Gewicht der Pkw.
Obwohl ich ansonsten eher für freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie eintrete, halte ich für die Automobilindustrie verbindliche gesetzliche Vorgaben für erforderlich. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung hier scheitern würde.
Wir wissen, dass die Treibhausgasemissionen der EU-25 zwischen 1990 und 2004 insgesamt um knapp 5 % gesenkt werden konnten. Für den Straßenverkehr aber gilt dies nicht: Hier ist im Gegenteil ein Anstieg um 26 % zu verzeichnen. Es besteht also dringender Handlungsbedarf in diesem Sektor. Und auch die Automobilindustrie muss ihren Beitrag zur Reduzierung von Emissionen leisten.
Das wegen seiner angeblichen Kurzfristigkeit kritisierte Einführungsdatum 2012 ist übrigens schon seit Jahren im Gespräch. Die Industrie weiß also schon lange, was auf sie zukommt!
Was wir aber immer zu berücksichtigen haben: Im Interesse der Arbeitsplätze und der Wettbewerbsfähigkeit der EU muss ein Ausgleich zwischen Umweltinteressen und Interessen der Automobilindustrie gefunden werden. Diese Industrie ist leistungsfähig und wichtig für die EU. Wenn wir keine leistungsfähige Wirtschaft mehr hätten, würde uns auch das Geld für Umweltschutzmaßnahmen fehlen!
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Bisher ist es den Mitgliedsstaaten lediglich gelungen, eine Vereinbarung zur Konsolidierung der indirekten Besteuerung zur Verbrauchsteuer und MwSt., der Bestimmung des Mindeststeuersatzes und der Anwendung einer Vielzahl von Mehrwertsteuerbefreiungen zu erzielen. Ich bezweifle, dass ein Mindestverbrauchsteuersatz, beispielsweise für Kraftstoff, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit erhöhen würde. Er wird wahrscheinlich eher zu höheren Preisen und einem geringeren Konsum führen, vor allem in Anbetracht des globalen Preisanstiegs. Die vorgeschlagene Koordinierung von Verbrauchsteuern würde eine untragbare Belastung für die neuen Mitgliedstaaten darstellen.
Die vorgeschlagene Konsolidierung der Steuerbemessungsgrundlagen auf EU-Ebene wäre für die fünfzehn alten Mitgliedsstaaten eher geeignet gewesen, da diese einen ähnlichen Entwicklungsstand aufweisen. Dieser Vorschlag ist ein Schritt in Richtung Konsolidierung der Gewerbeertragsteuer. Die größte Belastung würde auf die schwächeren Wirtschaften der neuen Mitgliedstaaten zukommen. Dadurch würden sie die Möglichkeit verlieren, vom Steuerwettbewerb zu profitieren und ihr Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Sie würden ihrer Chance beraubt, ihren Lebensstandard so anzuheben, dass dieser an den der alten Mitgliedsstaaten angeglichen werden kann. Ich habe gegen diesen Bericht gestimmt, da er trotz der Änderungsanträge zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt verfasst wurde.
Jan Andersson, Göran Färm und Inger Segelström (PSE), schriftlich. − (SV) Wir schwedischen Sozialdemokraten sind in erster Linie der Ansicht, dass die Steuerpolitik eine nationale Angelegenheit sein sollte.
Im Bericht wird darüber hinaus die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten betont.
Wir haben für diesen Bericht gestimmt, da er auf verschiedene Art und Weise die Rolle der Steuerpolitik in den Mitgliedstaaten für Beschäftigung, Wohlstand und Umwelt sowie für einen gut funktionierenden Binnenmarkt betont.
Gérard Deprez (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich haben den Änderungsantrag 20 der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz zur Streichung von Punkt 17 des Berichts Wagenknecht zum Beitrag der Steuerpolitik zur Lissabon-Strategie unterstützt.
Um das einwandfreie Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, bin ich wirklich für jede Maßnahme, die zur Harmonisierung der Steuerpolitiken innerhalb der EU beiträgt.
Und selbst wenn die Steuerpolitik im Wesentlichen in die nationale Zuständigkeit fällt, hat sich sehr schnell gezeigt, dass wir ein Mindestmaß an steuerlicher Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten gewährleisten müssen. Aus diesem Grund hat die Kommission stufenweise einen Mindestsatz für die Verbrauchsteuer zur Verringerung der Wettbewerbsverzerrungen eingeführt.
Doch in dem Bericht, über den heute abgestimmt werden soll, stellt nun Punkt 17 genau dieses System erneut in Frage und schlägt vor, es durch einen Verhaltenskodex zu ersetzen!
Ich glaube nicht, dass es ausreicht, Mitgliedstaaten lediglich „dazu anzuhalten“, wenn es um die Koordinierung der indirekten Steuern geht. Noch weniger glaube ich an die Wirksamkeit eines Verhaltenskodex in Bezug auf die Verbrauchsteuern: dies wird vielmehr die Versuchung noch vergrößern, die Vorschriften und Praktiken der EU zu unterlaufen, was wiederum bedauerliche Effekte des unlauteren Wettbewerbs in diesem Bereich zur Folge haben wird.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. − (PT) Wir haben gegen den endgültigen Text gestimmt, weil er unter anderem für Wirtschafts- und Finanzgruppen eintritt, wie die Berichterstatterin betont, die ihren Namen vor der endgültigen Abstimmung aus dem Bericht gestrichen und seine Ablehnung gefordert hat. Mit der Entschließung sollen die Vorschriften und Verfahren gelockert werden, damit große Unternehmen problemlos auf den unterschiedlichen Märkten tätig werden und möglichst ungehindert in allen Mitgliedstaaten den größtmöglichen Profit erzielen können.
Ferner sind wir der Auffassung, dass bei allen Erörterungen zu diesem Thema der Steuersouveränität der Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer eigenen Steuerpolitik gebührend Rechnung getragen werden muss. Dies ist hier nicht geschehen. Eine angeblich gemeinsame europäische Steuerpolitik, die den „Steuerwettbewerb“ begünstigt, würde lediglich den Interessen des europäischen und internationalen Großkapitals dienen.
Die verfügbaren Daten zeigen, dass der durchschnittliche Satz zur Besteuerung von Unternehmensgewinnen in den vergangenen zehn Jahren stark gefallen ist, während sich die Einkommensteuer kaum geändert hat.
Wir bedauern, dass die Vorschläge der Berichterstatterin, die auf die Umverteilungsmöglichkeiten im Steuersystem und die Umverteilung der Steuerlast zwischen Groß- und Geringverdienern verwiesen hat, nicht in den endgültigen Text übernommen wurden.
Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. − (SV) Die Juniliste lehnt diesen Bericht kategorisch ab, da er eine Annäherung an eine gemeinsame Steuer- und Zollpolitik der EU zum Ziel hat.
Es ist schon erstaunlich, dass das Europäische Parlament heute Fragen beschließt, bei denen es keine gemeinsame Politik gibt. Beschlüsse zu Steuerfragen und Appelle an die Mitgliedstaaten zur Harmonisierung ihrer nationalen Steuern sind keine Aufgabe der EU. Zudem ist der Versuch der Einführung einer Gemeinschaftssteuer wirklich unangemessen.
Überdies zeigt der Bericht, dass die Lissabon-Strategie Tür und Tor dafür öffnet, dass die EU weitere Politikbereiche übernehmen kann, was Überstaatlichkeit, neue Projekte und steigende Kosten zur Folge hat.
Die Juniliste stimmt gegen diesen Bericht, denn Steuern müssen auf nationaler Ebene und souverän von den Mitgliedstaaten beschlossen werden.
Astrid Lulling (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Der Bericht zum Beitrag der Steuer- und Zollpolitik zur Lissabon-Strategie war, so wie der Ausschuss für Wirtschaft und Währung über ihn abgestimmt hat, ein annehmbarer Kompromiss zwischen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten auf der einen und der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa auf der anderen Seite, und ich unterstütze ihn. Ich bin auch erfreut zu sehen, dass es uns gelungen ist, dieses Gleichgewicht bei der Abstimmung im Plenum zu halten.
Für mich ist Artikel 4, der die positiven Auswirkungen eines gesunden Steuerwettbewerbs in der Europäischen Union hervorhebt, der Schlüsselpunkt im Bericht. Wenn wir wirklich die Ziele der Lissabon-Strategie in Bezug auf Wachstum in der Wirtschaft und Schaffung von Arbeitsplätzen erreichen wollen, müssen wir darauf achten, dass wir die Unternehmen nicht zu hoch besteuern, da sie die Arbeitsplätze schaffen. Weiterhin dürfen wir keinesfalls Arbeitnehmer und Verbraucher, die wesentlich zum Wachstum beitragen, direkt oder indirekt zu hoch besteuern.
Der Steuerwettbewerb zwingt die Mitgliedstaaten in der Union, ihre Steuerforderungen moderat zu halten und die Verwaltung der öffentlichen Ausgaben effektiver zu gestalten, und das kann nur von Vorteil für den Steuerzahler sein.
Die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, die ein weiteres kontroverses Thema im Bericht ist, würde meines Erachtens ein Element zur Koordinierung der Steuerpolitik bringen, durch das die europäische Körperschaftsteuer weniger bürokratisch und effektiver wird.
Diamanto Manolakou (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Die Steuerpolitik dient der Einkommensumverteilung im Sinne des Kapitals. Sie wird von allen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen praktiziert und regelt den Kapitalfluss in der EU.
Das Fehlen einer gemeinsamen Steuerpolitik ist auf innerimperialistische Konflikte zurückzuführen. Doch auch mit einer solchen Politik würde das Kapital seinen eigenen Profit auf Kosten der Einkommen und Bedürfnisse der einfachen Bürger vorantreiben.
Im Zuge des unerbittlichen Wettbewerbs fließt das Kapital heutzutage einfach und schnell aus Hochsteuerländern in Länder mit niedrigeren Steuersätzen. In allen Mitgliedstaaten geht die Körperschaftssteuer auf Kosten der Einkommen zurück.
Allerdings ist die Besteuerung der Arbeitseinkünfte nicht davon betroffen; sie bleibt konstant, während indirekte Steuern sowie die Mehrwertsteuer gestiegen sind. Das schafft zusätzliche Ungleichheiten und verschärft noch mehr die Kluft zwischen Arm und Reich. Dies geht auch aus Zahlen der OECD hervor, die belegen, dass indirekte Steuern in Form der Mehrwertsteuer im Jahr 2006 auf 6,9 % gestiegen sind. Nichtsdestotrotz werden für das Kapital systematisch Steuerbefreiungen geschaffen, während die Belastung der Arbeitnehmer durch indirekte Steuern steigt.
Dies geschieht auch in Griechenland: die Körperschaftssteuer wurde um 10 % gesenkt, die Mehrwertsteuer dagegen um 1 % erhöht, und eine weitere Erhöhung um 2 % ist geplant.
Das ist das grausame Antlitz des Kapitalismus, der für die meisten Menschen mit Ungleichheit und Armut verbunden ist, und diesem Trend müssen wir entgegenwirken.
Mary Lou McDonald (GUE/NGL), schriftlich. − (EN) Der Bericht enthält zwar einige positive Aspekte in Bezug auf eine gerechtere Verteilung der steuerlichen Belastung, aber eine stärkere Rolle der Europäischen Union auf steuerlichem Gebiet kann ich nicht unterstützen, denn das würde die wirtschaftliche Souveränität der Mitgliedstaaten noch mehr unterminieren.
Gay Mitchell (PPE-DE), schriftlich. − (EN) Die Delegation der Fine-Gael-Partei im Europäischen Parlament hat beschlossen, den Bericht wegen der zahllosen Bezugnahmen auf die GKKB und damit zusammenhängende Aspekte bei der Endabstimmung abzulehnen.
Wir unterstützen die Lissabon-Agenda und sind für den Bericht, wenn es beispielsweise um die Anerkennung der positiven Aspekte niedrigerer Steuersätze und die Vorzüge des Steuerwettbewerbs geht, aber wir sind nicht einverstanden, dass EU-Institutionen berechtigt sein sollen, sich in die Rechte von Mitgliedstaaten wie Irland einzumischen, die auch in der Eurozone liegen. Die Zinssätze werden von der Europäischen Zentralbank festgelegt, und der Stabilitäts- und Wachstumspakt bestimmt über den Finanzierungs- und Inflationsbedarf. Somit ist die Steuerpolitik eines der wenigen Instrumente, die den Mitgliedstaaten des Vertrags noch bleiben, und das sollte bewahrt werden.
Peter Skinner (PSE), schriftlich. − (EN) Es gibt viele Möglichkeiten, wie steuerrechtliche Positionen in der gesamten EU dazu beitragen könnten, bessere Schlussfolgerungen für die Lissabon-Strategie zu entwickeln. Einfacher gesagt, die Entwicklung von Wachstumsanreizen für kleine Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Umweltaspekte werden als positiv gesehen. Hier sollen die Mitgliedstaaten aktiv werden und entsprechende Maßnahmen durchführen – das liegt in ihrer Zuständigkeit.
Eine Vereinheitlichung von steuerlichen Bemessungsgrundlagen auf EU-Ebene hätte nicht die von der Berichterstatterin angedeuteten Wirkungen. Die Labour-Partei im Europäischen Parlament vertritt die Auffassung, dass viele gute Dinge im Sinne der Lissabon-Strategie besser durch Aktionen der Mitgliedstaaten erreicht werden können als durch Aktionen der EU.
Sahra Wagenknecht (GUE/NGL), schriftlich. − Das Europäische Parlament hat in seiner heutigen Abstimmung gezeigt, dass es mehrheitlich eine Steuerpolitik befürwortet, die den oberen Zehntausend nutzt, jedoch zum Nachteil der großen Mehrheit der Bevölkerung in der EU ist. Zwar wurden einige meiner Vorschläge angenommen – schließlich plädiert niemand gern offen für steigende Mehrwertsteuersätze, höhere Steuern auf Arbeitseinkommen oder verbesserte Möglichkeiten des EU-weiten Steuerdumpings. Die von uns eingebrachten Vorschläge zur Erhöhung von Steuern auf Vermögen oder Finanztransaktionen sowie auf Begrenzung des Steuerdumpings durch Einführung von EU-weiten Mindeststeuern auf Unternehmensgewinne wurden jedoch von einer Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt.
Da der endgültige Bericht nach den Einzelabstimmungen mit meinem ursprünglichen Berichtsentwurf kaum noch etwas gemeinsam hatte und den im Wirtschaftsausschuss abgestimmten Bericht in bestimmten Punkten noch weiter verschlechtert hat, sah ich mich gezwungen, meinen Namen vom Bericht zurückzuziehen und dazu aufzurufen, in der Endabstimmung gegen den Bericht zu stimmen. Ich betrachte es als positiv, dass relevante Teile der Sozialdemokraten die Endfassung des Berichts ebenfalls nicht mehr mittragen konnten, wie das Abstimmungsergebnis zeigt.
Vertan wurde heute die Chance, Forderungen nach einer gerechteren und sozial verträglichen Steuerpolitik deutlich als Position des Europäischen Parlaments zu verankern. Stattdessen wurde einmal mehr die verfehlte Politik der EU von der Mehrheit des Europäischen Parlaments kritiklos bestätigt.
Lars Wohlin (PPE-DE), schriftlich. − (SV) Ich habe heute für den Bericht über den Beitrag der Steuerpolitik zur Lissabon-Strategie gestimmt, denn ich befürworte einen gesunden Steuerwettbewerb und eine einheitliche konsolidierte Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage für multinationale Unternehmen ohne Harmonisierung der Steuersätze und mit der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, nach Wunsch außen vor zu bleiben. Außerdem ist eine Betonung der Souveränität der Mitgliedstaaten in Steuerfragen wichtig. Ich wende mich ferner gegen jeden Versuch der Einführung einer Gemeinschaftssteuer.
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Ich bewundere und schätze die Entschiedenheit, mit der einige Länder nicht nur in Behörden und Büros und an Arbeitsplätzen allgemein, sondern auch in Gaststätten, Bierstuben, Bars und Klubs das Rauchverbot eingeführt haben. Es gibt Studien zu den wirtschaftlichen Auswirkungen, die die Befürchtungen der Restaurantbesitzer über Einkommenseinbußen nicht bestätigt haben. Andererseits wissen wir, dass uns die Behandlung von Krebserkrankungen der Atemorgane und anderen Krankheiten jährlich bis zu 50 Millionen Euro kostet.
In den Krankenhäusern Schottlands ist die Zahl der eingelieferten Herzinfarktfälle seit Einführung des Rauchverbots um etwa 20 % zurückgegangen. Die Kinder von Raucherinnen und Frauen, die während der Schwangerschaft passivem Rauchen ausgesetzt sind, werden zu früh geboren und haben ein geringeres Geburtsgewicht. Ich fordere die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einschließlich meines Landes auf, beschleunigt wirksame Gesetze für ein Rauchverbot am Arbeitsplatz und in der Gastronomie einzuführen sowie wirksame Maßnahmen zur Verringerung des allgemeinen Tabakmissbrauchs zu treffen.
Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – (RO) Im Zusammenhang mit der Abstimmung über diesen Bericht möchte ich hervorheben, wie wichtig er für die Zukunft der europäischen Bürger und der gesamten Europäischen Union ist. Ich begrüße das strategische Herangehen an Fragen des Rauchens und des Passivrauchens sowie den Vorschlag, im Kampf gegen das Rauchen und seine negativen Folgen auf europäischer Ebene konkrete und anspruchsvolle Maßnahmen zu ergreifen. Ferner bin ich davon überzeugt, dass die Prävention als wesentlicher Bestandteil eines strategischen Ansatzes in diesem Bereich gelten muss und durch ein fundiertes Informationssystem sichergestellt werden kann. Die Realität sieht doch so aus, dass ein eindeutiger und steigender Bedarf besteht, das Bewusstsein der gesamten europäischen Gesellschaft für die Folgen des Rauchens zu schärfen. Ebenso wichtig ist es, sich mit diesen Bemühungen schon früh auf die Information von Kindern und Jugendlichen und ihre Eltern zu konzentrieren, um künftigen Generationen ein rauchfreies Europa zu garantieren.
Ryszard Czarnecki (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Ich möchte mein Stimmverhalten zum Bericht von Herrn Florenz über die Bekämpfung des Besorgnis erregenden Phänomens der Nikotinsucht erläutern und dabei betonen, dass ich für diesen Bericht gestimmt habe, obwohl ich ein Fürsprecher der Freiheit der Raucher bin und ganz klar den Pluralismus verteidige. Nichtsdestotrotz ist das Problem der schädlichen Auswirkung des so genannten Passivrauchens, d. h. der Auswirkungen auf Nichtraucher, die von Rauchern umgeben sind, in der Tat überaus alarmierend. Es sei nur daran erinnert, dass jährlich 650 000 Menschen im Zusammenhang mit dem Rauchen sterben, davon sind 80 000 Passivraucher, einige von ihnen Kinder. Deshalb sollten wir, um Todesfälle zu verhindern, die Freiheit Einzelner einschränken.
Hannu Takkula (ALDE). – (FI) Frau Präsidentin! Zunächst einmal möchte ich meine Zufriedenheit mit diesem Bericht ausdrücken. Ich finde es hervorragend, dass wir klar Stellung gegen das Passivrauchen beziehen.
Ich habe für diesen Bericht gestimmt, weil es höchste Zeit war, dass wir auf Ebene der Europäischen Union tätig geworden sind, um Menschen davor zu schützen, dass sie unmittelbar den Gefahren des Tabakrauchs ausgesetzt sind. Wie wir vorhin gehört haben, sterben jedes Jahr 650 000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Es ist an der Zeit, dass Maßnahmen ergriffen werden.
Ungeachtet dessen, dass ich den Vorschlag unterstütze, bin ich mir bewusst, dass es schwierig sein wird, ihn überall in die Praxis umzusetzen. In Artikel 11 wird der Gedanke geäußert, überall in der EU das Rauchen in privaten Autos zu verbieten, wenn sich Minderjährige im Auto befinden. Das ist ein gutes Ziel, aber wir müssen uns überlegen, wie das kontrolliert werden könnte. Eine rauchfreie Umgebung ist ein Ziel, das wir anstreben sollten, aber wir werden künftig mehr darauf achten müssen, dass Maßnahmen, die wir ergreifen, vernünftig sind und dass die Einhaltung von Vorschriften überwacht werden kann.
Christoph Konrad (PPE-DE). - Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich wissen wir alle, dass Rauchen schädlich ist. Trotzdem habe ich aus grundsätzlichen Erwägungen gegen den Bericht für ein rauchfreies Europa gestimmt, denn Folgendes ist festzustellen: Nirgendwo sonst hat der Staat sich so sehr durchgesetzt wie bei dem Kampf gegen die öffentliche Zigarette. Wie noch nie greifen Staaten in der EU, also auch wir, mit Rauchverbotsgesetzen in private Gewohnheiten der Bürger ein.
Wir erleben in allen Bereichen staatliche Verbotspolitik, im Prinzip staatliche Volkserziehung. Auch der Bericht macht dies deutlich. Einstimmigkeit oder, so wie heute, fast Einstimmigkeit ist keine Garantie für Freiheit. Das Gegenteil ist richtig: Im Grunde – und das müssten wir wissen – lebt Freiheit von der Möglichkeit der Abweichung von der Norm. Die Gutmenschen sind unterwegs, der Staat schlüpft in die Rolle der Gouvernante und alle diejenigen, die damit zu tun haben und das unterstützen, tun so, als habe das nichts mit Freiheit zu tun. Sie irren!
Renate Sommer (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Ja, ich habe auch gegen den Bericht über ein rauchfreies Europa gestimmt. Obwohl ich mich damit fast einer Hexenjagd aussetze – auch in diesem Hause übrigens. Das ist der Grund dafür, dass so viele Kollegen sich einfach nicht getraut haben, gegen den Bericht zu stimmen, obwohl sie auch diese Gängelungspolitik nicht haben wollen.
Natürlich bin auch ich für den Schutz der Nichtraucher, der Kinder, der Jugendlichen, aber es geht um eine Grundsatzfrage. Erstens: Wir sind nicht für die Gesundheitspolitik zuständig. Das ist Sache der Mitgliedstaaten. Alles andere ist eine Verletzung der Subsidiarität, eine konstruierte Zuständigkeit der europäischen Ebene. Zweitens, und dies besonders: Es reicht! Es reicht, Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren zieht die europäische Ebene gegen Raucher, gegen Alkohol, gegen die Dicken in Europa zu Felde, und dies unter dem Motto: Unsere Bürger sind dumm, und deshalb müssen wir sie durch Gesetze gängeln. Genau dagegen wehre ich mich.
Die Bürgerinnen und Bürger, die ich vertrete, sind nicht dumm. Verbotspolitik ist immer kontraproduktiv, und ich bin Volksvertreter, kein Volkserzieher.
Daniel Hannan (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Wenn es jemals eine Frage gäbe, die nach Subsidiarität schreit, dann ganz gewiss die des Rauchens. Lassen wir mal die Heuchelei beiseite, dass in der Europäischen Union einerseits der Anbau von Tabak subventioniert und andererseits sein Konsum bestraft wird. Vergessen wir mal die Doppelmoral, dass innerhalb der EU vom Rauchen abgeraten wird, während außerhalb der EU dazu ermuntert wird. Konzentrieren wir uns stattdessen auf die eher grundlegende Frage, was das alles denn mit Brüssel zu tun hat.
Der gesetzliche und steuerliche Status des Tabaks ist ganz gewiss eine Sache des nationalen Rechts, und über die Frage, wo und wann wir ihn konsumieren dürfen, sollte auf einer noch viel niedrigeren örtlichen Ebene entschieden werden – in privaten Räumen durch den Eigentümer des jeweiligen Raums und an öffentlichen Orten durch die Gemeindebehörden. Das sollte nichts mit nationalen Regierungen und erst recht nichts mit der Europäischen Union zu tun haben. Subsidiarität, werte Kollegen, erinnern Sie sich?
Marcin Libicki (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! In dieser Sitzung haben wir über den Bericht von Herrn Florenz über die Einschränkung des Rechts, Zigaretten zu rauchen, diskutiert. Ich habe gegen diesen Bericht gestimmt, weil ich der Auffassung bin, dass Einschränkungen nur in den Fällen auferlegt werden sollten, wo Rauchen anderen Menschen schadet. Wir können Menschen, die sich selbst Schaden zufügen wollen, nicht mit einem Verbot belegen. Das kommt einem Eingriff in die persönlichen Rechte gleich, der über die Rechte eines jeden Arbeitgebers hinausgeht. Die Frage der behandlungsbezogenen Kosten ist natürlich wichtig, jedoch ist das schlicht und einfach die Angelegenheit derer, die für die Versicherung Anderer zuständig sind. Würde man es für angemessen halten, könnten, um die Behandlungskosten zu decken, die Beiträge für Raucher angehoben werden. Es gibt noch einen weiteren Punkt, der erwähnt werden sollte, nämlich die Subsidiarität. Einige meiner Vorredner haben sich bereits darauf bezogen und ich stimme Ihnen natürlich voll und ganz zu, dass diese keineswegs abgeschlossene Frage in die Zuständigkeit der nationalen Behörden und nicht der Europäischen Union fallen muss.
Daniel Caspary (PPE-DE), schriftlich. − Ich begrüße sämtliche Maßnahmen in den Mitgliedstaaten, die Bürgerinnen und Bürger über die Gefahren des Rauchens zu informieren. Aus meiner Sicht fallen alle diese Maßnahmen in die Verantwortung der Mitgliedstaaten und nicht in die der EU.
Aus diesem Grund habe ich den Bericht Florenz in der Schlussabstimmung abgelehnt.
Edite Estrela (PSE), schriftlich. − (PT) Ich habe für den Bericht von Frau Florenz zum Grünbuch „Für ein rauchfreies Europa: Strategieoptionen auf EU-Ebene“ gestimmt, weil ich es für wichtig halte, dass die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Zahl der Todesfälle und schweren Erkrankungen aufgrund von Tabakrauch zu senken.
In diesem Zusammenhang unterstütze ich die Forderung an die Kommission, die Richtlinie 2001/37/EG zu Tabakerzeugnissen zu ändern, um im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Vorschriften für die Verwendung von Zusatzstoffen und anderen Substanzen in diesen Erzeugnissen insbesondere mit Blick auf krebserzeugende, erbgutverändernde und toxische Zusatzstoffe zu überarbeiten.
Robert Goebbels (PSE), schriftlich. – (FR) Straßburg ist nicht Qom, und das Europäische Parlament ist nicht der „Oberste Führer“, der gesandt worden ist, um Anstand und Rechtschaffenheit in der ganzen Union zu verbreiten. Jeder weiß, dass Rauchen schädlich für die Gesundheit sein kann. Aber das Leben selbst ist gefährlich, da es immer mit dem Tod endet. Ich persönlich habe nie in meinem Leben geraucht.
Während es mich nicht schockiert, dass Erwachsene bereit sind, dieses Risiko auf sich zu nehmen, bleibt meine Verwunderung über den Bekehrungseifer der Ayatollahs des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Nahrungsmittelsicherheit bestehen, die Initiativbericht für Initiativbericht versuchen die Erde zum Nachteil der Menschen und ihrer Schwächen zu retten. Ich sage ‚nein’ zu diesen Fanatikern.
Genowefa Grabowska (PSE), schriftlich. − (PL) Als Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit und als Nichtraucherin, die sich der unzähligen negativen Auswirkungen des Rauchens von Zigaretten auf die unmittelbare Umgebung bewusst ist, begrüße ich den Bericht von Herrn Florenz mit dem Titel „Für ein rauchfreies Europa“.
Meiner Auffassung nach sendet das Europäische Parlament völlig zu Recht eine starke und unmissverständliche Botschaft an alle EU-Bürger und Mitgliedstaaten und stellt klar, dass wir keine Menschen in öffentlichen Räumen rauchen sehen möchten, vor allem nicht in Restaurants, Bars und öffentlichen Verkehrsmitteln. Insbesondere möchten wir niemanden am Arbeitsplatz rauchen sehen.
Ferner fordern wir strengere Maßnahmen gegen den Verkauf von Zigaretten an Minderjährige. Meiner Meinung nach sollte darüber hinaus die Einführung von Einschränkungen von einer umfassenden Informationskampagne, die sich nicht nur auf die schädlichen Auswirkungen des Rauchens beschränkt, flankiert werden. Letztere sind gut bekannt, aber es gilt klarzustellen, dass die Rechte der Nichtraucher, in einer rauchfreien Umgebung zu leben, nicht von den Rauchern, die ihr Recht, zu rauchen, auf Kosten der Nichtraucher wahrnehmen möchten, abhängen oder eingeschränkt werden dürfen.
Wenn unser Aufruf für ein rauchfreies Europa Früchte tragen soll, müssen wir, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, mit gutem Beispiel vorangehen und das Rauchen an unserem Arbeitsplatz aufgeben. Das bedeutet, dass auf dem Gelände des Parlaments nicht mehr geraucht wird.
Françoise Grossetête (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, der vorschlägt, die Mitgliedstaaten nicht nur bei ihren strengen Maßnahmen zur Bekämpfung der Tabakabhängigkeit zu unterstützen, sondern auch die Volksgesundheit zu fördern.
Tabakrauch ist nicht nur eine wesentliche Ursache von Luftverschmutzung, die in Zigaretten enthaltenen chemischen Substanzen setzen Raucher und Nichtraucher gleichermaßen einem hohen Risiko aus. Das ist besonders in Innenräumen, wie Arbeitsplätze, Bars, Restaurants usw., der Fall. Mir erscheint es daher sehr wichtig, dass wir das Rauchen an solchen Orten klar und einseitig verbieten.
Die Einführung strikter gesetzlicher Vorschriften zum maximalen Schutz der Gesundheit unserer Mitbürger kann ohne eine wirkliche Anstrengung, die Öffentlichkeit in Bezug auf die mit dem Rauchen verbundenen Risiken aufzuklären und zu sensibilisieren, nicht effektiv erfolgen. Ich begrüße ebenfalls die Bereitschaft, wirkungsvolle zielgruppenspezifische Aufklärungskampagnen, insbesondere bei Jugendlichen, Schwangeren und Eltern durchzuführen.
Schließlich bedauere ich, dass ein Änderungsantrag angenommen worden ist, der die Kommission auffordert, die mit dem Kauen von Tabak verbundenen Gesundheitsrisiken und dessen Auswirkung auf den Zigarettenkonsum zu untersuchen. Ich glaube, diese Forderung hat in einem solchen Bericht nichts zu suchen, da die Gesundheitsrisiken von Kautabak, wie Zungenkrebs usw. allgemein anerkannt sind.
David Martin (PSE), schriftlich. − (EN) Ich habe für diesen Bericht gestimmt, in dem Optionen zur Minderung der schädlichen Wirkungen von Tabakrauch in der ganzen Europäischen Union aufgezeigt werden. In ihm wird nicht die Forderung nach EU-Regelungen gestellt, sondern die Mitgliedstaaten werden aufgerufen, innerhalb von zwei Jahren umfassende Rauchverbote einzuführen. Im Vereinigten Königreich gibt es ein solches Verbot bereits, aber aufgrund der schädlichen Wirkungen des Tabaks bin ich dafür, dieses vernünftige Konzept auf die ganze EU auszudehnen.
Andreas Mölzer (ITS), schriftlich. − Natürlich sind Rauchverbote im Sinne der Volksgesundheit und daher für öffentliche Gebäude zu begrüßen. Ebenso sinnvoll ist es auch, Kinder und Jugendliche zu schützen. Gerade bei diesen wird jedoch mehr fruchten, wenn Menschen mit Vorbildfunktion mit gutem Beispiel voran gehen und bestehende Anti-Raucher-Kampagnen beibehalten werden. Aber es ist heuchlerisch, wenn die EU großartig Rauchverbote für alle Mitgliedsstaaten vorschreiben will, man sich aber nicht einmal für die Räumlichkeiten hier in diesem Hause darauf einigen konnte.
Unserem demokratisches System und der modernen Lebenseinstellung liegt Wahlfreiheit zu Grunde, weshalb dies konsequenterweise auch für Rauchen gelten sollte. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung für ein Rauchverbot in Restaurants ist, dann wird sich dies auch über kurz oder lange durchsetzen. Der Trend zum Nichtraucher besteht bereits, gemäß dem Souveränitätsprinzip muss weiterhin jedem Land überlassen bleiben, ob und wie Rauchverbote etwa im gastronomischen Bereich ausgestaltet werden.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL), schriftlich. – (EL) Ich habe für den Bericht von Karl-Heinz Florenz zu dem Grünbuch „Für ein rauchfreies Europa“ gestimmt. Meines Erachtens wird damit zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zu einer deutlichen Reduzierung der schädlichen Auswirkungen des Rauchens auf junge Menschen sowie auf chronische Raucher beigetragen. Dies lässt sich durch die Forderung nach einem sofortigen Verbot aller Sucht fördernden Zusatzstoffe und durch die Förderung von Präventivmaßnahmen auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene erreichen.
Catherine Stihler (PSE), schriftlich. − (EN) Ich unterstütze mit ganzer Kraft Rauchverbote an öffentlichen Orten zum Schutz der Volksgesundheit und zur Abwendung der Gefahren des passiven Rauchens.
In Schottland besteht seit nunmehr 19 Monaten ein Rauchverbot an öffentlichen Orten, und die Zahlen zeigen, dass seit der Einführung des Rauchverbots Einlieferungen in ein Krankenhaus wegen Herzinfarkt um 20 % zurückgegangen sind.
Das Rauchverbot hat also Leben gerettet und ist bei der Förderung einer besseren Gesundheit für die Schotten wirksam gewesen. Ich freue mich, dass dieses Konzept auch in den anderen Ländern Europas zur Anwendung kommt.
Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. − (PL) Ich habe für den Bericht von Herrn Florenz mit dem Titel „Für ein rauchfreies Europa“ gestimmt.
Tabakrauch ist eine sehr schädliche Substanz. Er enthält Tausende chemischer Stoffe mit mehr als 250 krebserregenden und toxischen Bestandteilen. Auch kleinste Belastungen mit diesen Stoffen können zur Entwicklung von Tumoren beitragen. Tabakrauchpartikel werden fortwährend in geschlossenen Räumen ausgestoßen und führen zu einer Verschmutzung der Luft, der selbst die besten Belüftungssysteme nicht wirksam entgegenwirken können.
Jedes Jahr sterben in der Europäischen Union Tausende von Menschen an den Folgen des Passivrauchens. Diese Todesfälle könnten verhindert werden. Es muss jedem europäischen Bürger möglich sein, in einem von Tabakrauch freiem Umfeld zu leben und zu arbeiten. Dies muss insbesondere im Zusammenhang mit öffentlichen Einrichtungen und Gebäuden hervorgehoben werden. Siebzig Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union sind Nichtraucher. Wir müssen das bedenken und sicherstellen, dass sie in einem sauberen und sicheren Umfeld leben können.
- Entschließungsantrag RC-B6-0376/2007
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Ich habe gegen den Bericht gestimmt, da er keine klare Position der Europäischen Union gegenüber der Türkei erkennen lässt. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten vollständig eingestellt werden. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Die Türkei ist gegenwärtig ein unzuverlässiger Partner. Mit einer Ablehnung des EU-Beitritts der Türken, mit anderen Worten, indem wir den Türken die Wahrheit über ihre zukünftige EU-Mitgliedschaft sagen, würden wir dem Land helfen, seine Gesellschaft zu demokratisieren.
Die Türkei okkupiert nach wie vor einen Mitgliedstaat der Europäischen Union: 40 % des zyprischen Territoriums befinden sich unter türkischer Militärbesatzung. Es gibt keine Religionsfreiheit in der Türkei. Nichtmuslime, Christen, Anhänger der orthodoxen katholischen Kirche und Protestanten werden verfolgt, denn sie dürfen keine Gotteshäuser errichten. Während die Muslime überall in Europa Moscheen bauen, wurden 500 orthodoxe Kirchen vernichtet. In der Türkei herrscht keine Freiheit der Meinungsäußerung. Die Türkei erkennt das Massaker an einem Drittel der armenischen Bevölkerung aus seiner Vergangenheit nicht an. Das Land bereitet sich auf eine weitere militärische Intervention im Irak vor. Es löst die Probleme der kurdischen Minderheit auf seinem Territorium nicht. Die Türkei liegt nicht in Europa und gehört nicht in die EU. Eine privilegierte Partnerschaft anstelle einer Vollmitgliedschaft ist ausreichend.
Christoph Konrad (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Ich habe nicht für die Entschließung zur Türkei gestimmt, weil mich schon sehr beschäftigt – das konnte in dem Bericht nicht berücksichtigt werden, aber das ist nun einmal aktuell –, dass das türkische Parlament einen Militärschlag gegen den Nordirak beschlossen hat.
Also der Kampf gegen eine Terrorgruppe ist etwas anderes als der Beschluss, in ein Nachbarland einzumarschieren. Die EU kann kein Interesse daran haben, dass eine Destabilisierung des Iraks stattfindet. Wir sollten die Türkei daran erinnern, dass man als Kandidatenstaat im Rahmen der gemeinsamen Interessen schon auch die EU-Interessen mit berücksichtigen sollte. Hier zeigt sich, dass ein Vollmitglied Türkei – was ich nicht befürworte – mit gemeinsamen Grenzen zum Iran und zum Irak eine völlige Veränderung der politischen Landkarte innerhalb der EU bedeutet. Dies birgt Gefahren, das sollten wir uns ersparen.
Philip Claeys (ITS). - (NL) Frau Präsidentin! Ich habe gegen die Entschließung Oomen-Ruijten gestimmt, weil das Parlament meines Erachtens eine aktivere und ehrgeizigere Rolle bei der Begleitung der Verhandlungen mit der Türkei spielen sollte.
Nun müssen wir offenbar sicherstellen, dass wir keineswegs die Empfindsamkeiten von Herrn Erdoğan und Herrn Gül zu verletzen gedenken. Es stellt sich immer deutlicher heraus, dass die Türkei kein Beitrittsland wie irgendein anderes ist. Die Türkei muss offensichtlich trotz all der Versprechungen des Rates, der Kommission und des Parlaments die Kriterien von Kopenhagen nicht so rigoros erfüllen, wie sie es eigentlich müsste.
So, wie die Dinge laufen, dürfte es uns nicht im Geringsten überraschen, wenn immer mehr EU-Bürger der Union den Rücken kehren.
Frank Vanhecke (ITS). – (NL) Frau Präsidentin! Diese neuerliche Abstimmung über den Beitritt der Türkei zeigt deutlich, dass Europa für die meisten unserer Bürger nicht nur weit weg und nicht besonders wichtig ist, sondern dass sich die EU-Organe zunehmend von den Bürgern Europas entfernen.
Für die Eurokraten ist Europa nicht mehr wirklich Europa, denn frohen Mutes sind wir dabei, den Beitritt eines Landes vorzubereiten, das ganz und gar nicht europäisch ist – nicht europäisch in historischer, kultureller beziehungsweise religiöser Hinsicht, nicht europäisch in Bezug auf den Euro, ja nicht einmal in geografischer Hinsicht. Mehr noch, dieses ganze Unterfangen wurde uns auf zutiefst undemokratische Art und Weise geradezu aufgezwungen, weil die große Mehrheit der europäischen Bürger wirklich gegen den Beitritt der Türkei ist, sich jedoch nicht dazu äußern darf.
Die Bürger dürfen sich nicht zur Türkei äußern und ebenso wenig zur neuen Verfassung, die wir nicht als Verfassung bezeichnen dürfen. Fürchten die Eurokraten die Demokratie? Haben Sie Angst, das Volk zu fragen? Dieses Europa arbeitet zunehmend un- und antidemokratisch und wird ein sehr böses Ende nehmen.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE). – (FI) Frau Präsidentin! Vor zwei Wochen wurden Arat Dink, der Sohn von Hrant Dink, und der Verleger Serkis Seropyan nach Artikel 301, also wegen Beleidigung des Türkentums, zu Gefängnisstrafen von einem Jahr verurteilt. Was war ihr Verbrechen? Vor über einem Jahr, also vor der Ermordung von Hrant Dink, veröffentlichte ihre Zeitung Argos einen Artikel, in dem es hieß, dass Hrant Dink in einem Interview mit Reuters gesagt hatte, er sei der Auffassung, dass die Bluttaten im Jahre 1915 Völkermord waren. Die Zeitung hat also lediglich darüber berichtet, und das war’s.
Ich halte es deshalb für äußerst wichtig, dass wir für unseren Entschließungsantrag stimmen, der die Türkei auffordert, den armenischen Völkermord anzuerkennen. Ich sage das als Freund der Türkei. Es wäre gut, wenn die Türkei verstehen würde, dass dies nicht Ausdruck einer antitürkischen Haltung ist. Es geht vielmehr darum, dass die EU bestrebt ist, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, in der die Schrecken der Geschichte vermieden werden können. Eine Denkweise, die die nationale Identität durch das Strafgesetzbuch schützt, bei der Artikel 301 einen ständigen Bezugsrahmen darstellt und durch die Fehler einer Nation geleugnet werden, steht im klaren Widerspruch zu dieser Haltung.
Eine der Grundlagen der europäischen Identität besteht darin, der Geschichte direkt ins Auge zu blicken und entsprechend Rechenschaft abzulegen. Der Völkermord an den Armeniern ist eine historische Wahrheit. Das Parlament wird verlangen, dass die Türkei dies in der Entschließung bei Aufnahme der Verhandlungen anerkennt.
Gérard Deprez (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich möchte die Änderungen unterstützen, die an dem heute zur Abstimmung vorgelegten Text zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei vorgenommen wurden, und erinnere in diesem Zusammenhang an die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in Brüssel von Dezember 2006. Sie haben das Prinzip festgelegt, nach dem die Europäische Union in Bezug auf die Erweiterung von jedem Bewerberland die vollständige Einhaltung aller Kopenhagen-Kriterien fordert, dass jedoch jede Erweiterung von der Fähigkeit der Union zur weiteren Integration abhängt.
Viele von Ihnen kennen seit einiger Zeit die Zweifel oder besser Sorgen, die ich in Bezug auf die Fähigkeit der Europäischen Union habe, weiterhin korrekt zu funktionieren, wenn die Türkei einer ihrer Mitgliedstaaten werden würde.
Natürlich ist die Türkei ein „befreundetes Land“ und geostrategisch gesehen ist sie ein sehr wichtiger Partner für die Europäische Union. Daher bin ich vollkommen dafür, dass die EU eine privilegierte Partnerschaft mit der Türkei unterhält. Ich bin jedoch entschieden dagegen, dass dieses Land Teil der Gemeinschaft wird.
Ich denke übrigens, dass die Integrationsprobleme der Türkei als einem der potenziellen Mitgliedstaaten mit dem Voranschreiten der Beitrittsverhandlungen immer deutlicher zutage treten.
Patrick Gaubert (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich beglückwünsche die Berichterstatterin zur Annahme der Entschließung zu den Beziehungen zwischen den Europäischen Union und der Türkei. Die Entschließung von Frau Oomen-Ruijten ist ein einvernehmliches und ausgewogenes Dokument, und sie hat darin versucht, alle Fragen in Bezug auf diese spezielle Problematik zu behandeln.
Zum einen beglückwünscht die Entschließung die Türkei zu den kürzlich stattgefundenen freien Wahlen, ruft die Regierung auf, den Reformprozess zu beschleunigen, und begrüßt die Absicht der Regierung eine neue bürgerliche Verfassung anzunehmen. Der Entschließungsantrag fordert zudem, eine neue politische Initiative zur dauerhaften Lösung der Kurdenfrage einzuleiten, und nennt auch die Versuche, die Zypern-Frage innerhalb des UN-Rahmens zu lösen.
Im Sinne der von Frankreich verteidigten Position begrüße ich es, dass die Entschließung daran erinnert, dass der Beitritt der Türkei weiterhin von der vollständigen Einhaltung aller Kopenhagen-Kriterien und von der Integrationsfähigkeit der Europäischen Union abhängt.
Alle diese Gründe haben mich dazu bewogen, bei der Endabstimmung in der Plenarsitzung für die Annahme dieser Entschließung zu stimmen. Ich kann nur noch einmal mein tiefstes Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass das Europäische Parlament die Türkei nicht formell aufgefordert hat, den Völkermord von 1915 an den Armeniern anzuerkennen.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL) , schriftlich. − (PT) Wie wir bereits betont haben, werfen die Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei zahlreiche Fragen auf. Dieser Prozess wird von den Großmächten vorangetrieben, die dieses große Land trotz aller Widersprüchlichkeiten in den EU-Binnenmarkt integrieren möchten, um auf diese Weise seine Wirtschaft zu kontrollieren und seine geostrategische Lage für ihre eigenen Pläne im Nahen Osten, in der Kaukasusregion und in Zentralasien zu nutzen.
Die Entschließung ist in dieser Hinsicht aufschlussreich, denn sie „hebt die Bedeutung der Türkei als Transitknotenpunkt für die Diversifizierung von Gaslieferungen in die Europäische Union“, „Energieprojekte, an denen die Türkei im Südkaukasus beteiligt ist“ sowie die „geostrategische Lage der Türkei in der Region“ hervor, deren „Rolle im Verkehr und in der Logistik in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen wird“.
Im Folgenden möchte ich auf weitere wichtige Aspekte verweisen:
- Die Türkei hat keinerlei Schritte unternommen, um den EU-Mitgliedstaat Zypern anzuerkennen; sie hält an der militärischen Besetzung des Nordens fest und missachtet entsprechende UNO-Resolutionen.
- Die Kurden werden nach wie vor von den türkischen Behörden unterdrückt und ihrer rechtmäßigen kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte beraubt.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL) , schriftlich. – (EL) Der Bericht über den Fortschritt der Türkei auf dem Weg zum EU-Beitritt enthält einige völlig unbegründete Gratulationen an die türkische Regierung und den neuen Präsidenten. Es werden vage und allgemein Fragen der Menschenrechte aufgegriffen und ein scheinheiliges und völlig haltloses Wunschdenken an den Tag gelegt, der Terrorismus verurteilt und der gemeinsame Kampf der EU und der Türkei gegen den Terror betont.
Andererseits wird die andauernde Besetzung Nordzyperns durch das türkische Militär mit keinem Wort erwähnt. Die Tatsache, dass sich die Türkei nach wie vor weigert, die Republik Zypern anzuerkennen, wird nicht einmal im Ansatz verurteilt, und es wird auch keinerlei Druck in dieser Frage ausgeübt. Es wird nicht angeprangert, dass die Politik der türkischen Regierung darin besteht, die Souveränitätsrechte Griechenlands in Frage zu stellen, und sie ihren Nachbarländern mit Gewalt droht. Die grausame Verfolgung und die Verbrechen, denen die kurdische Bevölkerung durch die türkischen Behörden ausgesetzt ist, stoßen nicht auf ernstzunehmende Kritik. Es wird in keiner Weise darauf eingegangen, dass die türkische Mittelklasse in all ihren Erscheinungsformen, ob strenggläubig oder säkular, Kommunisten und andere fortschrittlich denkende Menschen politisch verfolgt. Trotz alledem wird die Türkei dringend aufgefordert, mit Blick auf den drohenden Angriff gegen den Nordirak keine unverhältnismäßige Gewalt anzuwenden!
Was die EU anbelangt, so spiegelt der Bericht die Zielsetzungen und damit die weit reichenden geopolitischen Interessen mächtiger imperialistischer Staaten wider.
Es ist im Interesse der Türken und anderer Völker der Region, sich dem EU-Beitritt der Türkei und ihren imperialistischen Plänen zu widersetzen.
Pierre Pribetich (PSE), schriftlich. – (FR) Dieser Entschließungsantrag verliert seine Wirkung, da wichtige Änderungsanträge in Bezug auf die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern von der Mehrheit der Mitglieder abgelehnt worden sind.
Ich befürworte nach wie vor den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Dieser Beitrittsprozess muss jedoch einige historische Fakten anerkennen.
Außerdem bin ich vollkommen gegen den Widerspruch, den das Parlament jetzt hineingebracht hat. In Ziffer 5 des Entschließungsantrags vom 28. September 2005 hatte es ja die Türkei dazu aufgefordert, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, und diese Anerkennung als eine Voraussetzung für den Beitritt zur Europäischen Union betrachtet. Die Entscheidung, den Völkermord an den Armeniern in dem neuen Entschließungsantrag nicht zu erwähnen, ist ein Schritt zurück, den ich nicht unterstützen kann.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Ungeachtet des eigentlichen Ergebnisses müssen die laufenden Verhandlungen mit der Türkei zu den Reformen führen, die das Land so dringend benötigt und die an sich den wichtigsten Gesichtspunkt für einen möglichen Beitritt des Landes zur EU darstellen.
In diesem Zusammenhang müssen wir den Sieg der AKP eher als klare Willensbekundung für wirtschaftliche Reformen denn als Stimme für den Islam werten.
Angesichts der jüngsten Ereignisse muss die Kurdenfrage gemeinsam mit den Vereinigten Staaten gelöst werden, ohne dabei außer Acht zu lassen, dass die Lage im überwiegend von Kurden bewohnten Norden des Irak friedlich ist. Andererseits dürfen wir kein Blatt vor den Mund nehmen und müssen die kurdischen Terrorangriffe in der Türkei oder die mangelnde Integration und Akzeptanz von Kurden innerhalb der Türkei kritisieren.
Schließlich können wir nicht oft genug die geostrategische Bedeutung betonen, die die Türkei für die Sicherheit der europäischen Grenzen, die Energieversorgung insbesondere als Alternative zur Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen und als Partner im Dialog mit islamischen Staaten sowie mit Blick auf den Irak hat.
Aus den vorgenannten Gründen muss die EU eine Strategie ernsthafter und entschiedener Verhandlungen verfolgen.
Frédérique Ries (ALDE), schriftlich. – (FR) Ich habe für die Entschließung gestimmt, die die Türkei auffordert, das Tempo ihrer Reformen zu beschleunigen.
Wir müssen von der Türkei fordern, mehr zu tun: die Kontrolle des Militärs durch die Bürger sicherstellen, „Null Toleranz“ gegenüber Folter; den Schutz von Frauen und Minderheitsgruppen gewährleisten und den Völkermord an den Armeniern anerkennen.
Der Umgang mit der Kurdenfrage muss ebenfalls als Kriterium zur Bewertung des Reformprozesses herangezogen werden. Der von uns verabschiedete Bericht fordert die türkische Regierung auf, eine politische Initiative zur dauerhaften Lösung der Kurdenfrage einzuleiten. Er bedauert auch die Verletzung des Territoriums des Irak, während er gleichzeitig natürlich die von der PKK begangenen Gewaltakte verurteilt.
Es geht nicht darum, die Türkei an sich ins Visier zu nehmen, sondern es soll daran erinnert werden, dass nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf, dass wir die Werte, die uns teuer sind, nicht mit Füßen treten dürfen.
Es wäre im Übrigen verhängnisvoll, weiterhin die öffentliche Meinung zu ignorieren, die sich erneut in einer von Notre Europe vor dem Lissabonner Gipfel durchgeführten Umfrage ausgedrückt hat. Die Bürger Europas sind beunruhigt über schlecht vorbereitete Entscheidungen zu einer künftigen Erweiterung und über die Aufnahmefähigkeit der EU nach der großen Welle von Beitritten zwischen 2004 und 2007.
Renate Sommer (PPE-DE), schriftlich. − Ich unterstütze die Entschließung zur Türkei: Die türkische Regierung muss endlich energisch Reformen umsetzen!
Zum Armenier-Genozid: Auch wenn das Eingeständnis dieses Völkermordes kein Kopenhagener Kriterium ist, muss sich doch ein Land, das sich der EU anschließen will, auch den Schattenseiten seiner Geschichte stellen!
Generell ist die Türkei noch meilenweit von der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien entfernt. Erhebliche Defizite bei Menschen- und Minderheitenrechten, im Umgang mit Bürgerrechten und politischen Rechten sowie eine allgemeine Schwäche der Demokratie gegenüber dem Militär bestehen weiterhin.
In der Zypernfrage gibt es nach wie vor keine Fortschritte. Deshalb müssen wir auch dieses Jahr die Ratifizierung des Ankara-Protokolls anmahnen. Ohne dies, aber auch ohne einen Abzug der türkischen Streitkräfte von der Insel wird es keine Lösung geben. Die Türkei will offenbar nicht verstehen, dass die EU aus 27 Mitgliedstaaten besteht, zu denen eben auch die Republik Zypern gehört!
Was den Konflikt im Südosten der Türkei angeht, so besteht der Plan, in den Nordirak einzumarschieren, spätestens seit dem Frühjahr 2006. Momentan ist zu befürchten, dass die Invasion tatsächlich stattfinden wird. Ein Land aber, das trotz internationaler Unterstützung zur Sicherung seiner Grenzen für sich in Anspruch nimmt, nach eigenem Ermessen Völkerrecht verletzen zu dürfen, disqualifiziert sich endgültig für einen EU-Beitritt!
Konrad Szymański (UEN), schriftlich. − (PL) Ich habe mich bei der Schlussabstimmung über den Bericht über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei der Stimme enthalten, weil in der Entschließung trotz der mehrere Monate andauernden Verhandlungen kein Bezug zur Frage der türkischen Verantwortung für das Massaker an den Armeniern 1915 genommen wird.
Die Türkei versucht, der internationalen Gemeinschaft in dieser Angelegenheit eine Zensur aufzuerlegen. Der jüngste Beweis dafür war der Druck, der auf den US-amerikanischen Kongress ausgeübt wurde. Dieser ist dennoch hart geblieben und hat eine angemessene Position bezogen. Es ist ein Fehler, dem ungerechtfertigten Druck der Türkei in dieser Angelegenheit nachzugeben.
Dennoch möchte ich hinzufügen, dass ich es begrüße, wenn Erklärungen zu den Rechten christlicher Minderheiten in der Türkei, wie beispielsweise das Recht, den Klerus auszubilden und das Recht der kirchlichen Einrichtungen, eine Rechtspersönlichkeit darzustellen, in die genannte Entschließung aufgenommen werden.
Dominique Vlasto (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Ich habe mich zu der Entschließung zu den Beziehungen EU-Türkei der Stimme enthalten, um meine Ablehnung gegen die gegenwärtig laufenden Beitrittsverhandlungen zu signalisieren. Zwei Ereignisse der jüngsten Zeit sollten uns die Risiken bewusst machen, die mit diesem hypothetischen Beitritt verbunden sind. Zunächst die politische Krise, die das Land vor der Vereidigung des Staatspräsidenten durchgemacht hat: Das hat die Spannungen in der türkischen Gesellschaft und auch die Schwäche der Institutionen dieses Landes veranschaulicht. Ich denke auch an die Spannungen an der Grenze zum Irak und an die Gefahr, dass es dadurch zu einer Destabilisierung eines der wenigen Gebiete in diesem Land kommt, in denen die Gewalt eingedämmt worden ist. Der Beschluss des türkischen Parlaments, der Armee grenzüberschreitende Militäraktionen im Irak zu gestatten, ist nicht akzeptabel. Die Türkei spielt eine gefährliche Rolle in der Region, und die EU sollte diese populistischen und kriegerischen Aktionen in keiner Weise unterstützen.
All das bestärkt mich nur in meiner Überzeugung: Wenn wir die Union bis an die Grenzen des Irak erweitern, sehe ich ihren europäischen Charakter gefährdet! Ich denke, dass die Türkei immer noch ungeeignet für den Beitritt zur EU ist. Es ist an uns, eine Alternative anzubieten: Hier bietet die von Nicolas Sarkozy vorgeschlagene Mittelmeerunion sicher eine Möglichkeit, die die EU und die Türkei nutzen sollten.
Anna Záborská (PPE-DE), schriftlich. − (SK) Ich habe nicht für die Entschließung des Europäischen Parlaments über die Beziehungen EU-Türkei gestimmt, denn die Erweiterung der Europäischen Union und die Aufnahme der Türkei in die Gemeinschaft sind eine ernste Angelegenheit, die detailliertere Kenntnisse und eine intensivere Diskussion erfordert. Meiner Ansicht nach sollten im Beitrittsverfahren für jeden Staat die gleichen Regeln gelten.
Die eingereichten Änderungsanträge, in denen das Eingeständnis des Völkermords an den Armeniern und eine Entschuldigung gegenüber Armenien und dem armenischen Volk gefordert werden, haben im Plenum keine Zustimmung gefunden. Dabei kann nur ein solches Eingeständnis, eine solche Entschuldigung den Versöhnungsprozess zwischen der Türkei und Armenien in Gang setzen. Die Türkei verhindert auch nach wie vor Fortschritte in der Suche nach einer Lösung der Zypernfrage. Die grenzverletzende militärische Aktion gegen die an der Grenze zum Irak lebenden Kurden, die vom türkischen Parlament gutgeheißen wurde, wird nicht zu einer konstruktiven Lösung des Terrorismusproblems im Land führen. Sie bewirkt lediglich eine Destabilisierung der gesamten Region.
Auf dem Territorium der Türkischen Republik ist auch kein Fortschritt in der Frage der Glaubensfreiheit erkennbar. Die Sicherheit der in der Türkei lebenden Christen ist nicht gewährleistet, ihre Rechte werden nicht geachtet. In jüngster Zeit waren wir Zeuge von Gewalttaten gegen christliche Priester, Missionare, Herausgeber und Konvertiten. Die Türkei hat auch das orthodoxe Kirchenseminar, ohne dass diese alte Kirche in ihrer Existenz bedroht ist, noch immer nicht wiedereröffnet.
10. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
(Die Sitzung wird um 14.00 Uhr unterbrochen und um 15.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: LUIGI COCILOVO Vizepräsident
11. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
12. Beziehungen EU-Serbien (Aussprache)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von Jelko Kacin im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Serbien mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Serbien (2007/2126(INI)) (A6-0325/2007).
Jelko Kacin (ALDE), Berichterstatter. – (SL) Heute spreche ich zu Ihnen als Berichterstatter und gleichzeitig auch als Liberaldemokrat, als Slowene, als ehemaliger Jugoslawe und als Europäer. Es ist gerade einmal fünfzehn Jahre her, dass das Land, in dem ich geboren wurde, durch eine Reihe von blutigen Kriegen, die fast ein ganzes Jahrzehnt andauerten, zerstört wurde.
Heute haben viele Länder dieser Region, einschließlich Serbien, immer noch mit den zerstörerischen Auswirkungen des Konflikts zu tun. Für diese zerbrechlichen und jungen Demokratien ist die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein starker Anreiz für eine weitere Demokratisierung. Die Europäische Union, der diese Länder so bald wie möglich beitreten möchten, beruht auf gemeinsamen Werten und Standards, von denen die Rechtsstaatlichkeit einer der wichtigsten ist.
Bei den Balkanländern geht es nicht nur um die Reformierung des Rechtssystems, sondern auch um die umfassende Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
(EN) Serbien ist seiner nationalen und internationalen Pflicht bislang nicht nachgekommen, vier noch flüchtige Kriegsverbrecher festzunehmen, darunter Mladić und Karadžić, die angeklagt sind, den Massenmord an fast 8 000 Zivilisten bei Srebrenica angeordnet zu haben. Jeder, der einen einzigen Menschen tötet, begeht ein Verbrechen, aber wer einen Völkermord begeht, stellt eine internationale und politische Herausforderung dar.
Bevor ich diesen Bericht ausgearbeitet habe, bin ich nach Srebrenica gereist. Ich vertraue auf die Selbstachtung der Serben. Deswegen halte ich es für unerlässlich, dass der serbische Staat seine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) unter Beweis stellt. Im Mai hat eine neue, pro-europäische Regierung ihre Arbeit aufgenommen, die eine Zusammenarbeit mit dem ICTY als eines ihrer Kernziele bezeichnet. Diese Entwicklung begrüße ich sehr. Ebenso begrüße ich die Tatsache, dass die Regierung gegen Tolimir und Djordjevic, zwei der sechs meistgesuchten flüchtigen Kriegsverbrecher, vorgegangen ist, sie festgenommen und ausgeliefert hat.
Diese Festnahmen belegen, dass Serbien durchaus in der Lage ist, die Aufenthaltsorte der verbleibenden flüchtigen Kriegsverbrecher auszumachen und sie festzunehmen. Wie Chefanklägerin Del Ponte bemerkte, ist das größte Hindernis nicht etwa, dass man keine Möglichkeit hätte, sondern dass diese Möglichkeiten nicht in greifbare Ergebnisse umgesetzt werden. Aus diesem Grund kann es sich die EU nicht leisten, Serbien zu diesem kritischen Zeitpunkt die Auflagen zu erlassen.
Angesichts wachsender Spannungen um den zukünftigen Status des Kosovo wäre es falsch, davon auszugehen, dass der EU oder Serbien langfristig gedient wäre, wenn die EU in Bezug auf ihre Auflagen nachgibt und sich die allergrößte Mühe gibt, Zugeständnisse an Belgrad zu machen. Die Augen vor der Kriegsverbrecherproblematik zu verschließen, mag vielleicht im Sinne einer Realpolitik der heutigen Zeit sein, wird jedoch keinesfalls zu nachhaltigem Frieden oder regionaler Stabilität beitragen.
Es wird immer wieder behauptet, Serbien sei der Schlüssel zu Stabilität in der Region, doch wenn Politiker in Belgrad meinen, Serbien müsse deswegen bevorzugt behandelt werden, liegen sie falsch. Serbien würde gut daran tun, seine zahlreichen Talente und Potenziale einzusetzen, um seinen Nachbarländern als Vorbild zu dienen, anstatt sie durch serbische Widerspenstigkeit lahm zu legen.
Mit Sicherheit wird die EU erst dann vollständig sein, wenn die Balkanstaaten ein Teil von ihr sind. Dies darf jedoch nicht um jeden Preis geschehen, und schon gar nicht durch Untergrabung des Völkerrechts und unter Missachtung grundlegender europäischer Werte.
Die Bürger Serbiens haben das Recht, die Wahrheit über die Kriegspolitik, die unlängst in ihrem Namen betrieben wurde, zu erfahren. Aus diesem Grund unterstütze ich auch die Entschlossenheit des Sonderstaatsanwalts, die politischen Motive hinter dem Mord an Premierminister Djindjić aufzudecken. Ebenfalls aus diesem Grund bedauere ich auch die milden Strafen, die das serbische Kriegsgericht gegen vier Mitglieder der „Škorpioni“ wegen der Hinrichtung von sechs Muslimen aus Srebrenica verhängt hat.
Serbien verfügt über ein enormes wirtschaftliches und kulturelles Potenzial und dazu über eine große Anzahl begabter Personen in allen Lebensbereichen. Die neue Regierung hat bewiesen, dass sie über einige dynamische und ehrgeizige Minister verfügt. Es besteht kein Zweifel daran, dass Serbien die institutionellen und administrativen Kapazitäten besitzt, um über eine EU-Mitgliedschaft professionell weiter zu verhandeln.
In vielen Bereichen wurden in den vergangenen Monaten bereits Fortschritte erzielt, zum Beispiel durch den Abschluss der technischen Gespräche über die SAA-Verhandlungen, die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls und des CEFTA, sowie durch die Wahl eines Bürgerbeauftragten, eines Präsidenten der serbischen Nationalbank, eines Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit und der Mitglieder des Rates der staatlichen Rechnungsprüfungsbehörde.
Leider gibt es bei der Ernennung von Richtern für das Verfassungsgericht bislang kaum nennenswerte Fortschritte. Darüber hinaus hält die öffentliche Verunglimpfung von Akteuren der Zivilgesellschaft an, die die Regierung kritisieren oder auf sensible Fragen wie Kriegsverbrechen aufmerksam machen. In diesem Zusammenhang verurteile ich die jüngsten Ereignisse in Novi Sad, wo eine Neonazigruppe einen Angriff auf Personen verübte, die sich zu einer friedlichen antifaschistischen Demonstration versammelt hatten. Die zuständigen Behörden müssen unter allen Umständen die Täter ausfindig machen und das Verbrechen vollständig aufklären.
Gleichermaßen stelle ich jedoch fest, dass die strengen Visabestimmungen der EU – indem sie verhindern, dass einfache serbische Bürger ihre Landsleute in der Europäischen Union besuchen können – den demokratischen Prozess in Serbien verlangsamen und Fremdenhass und Nationalismus schüren.
Ich begrüße die Abkommen, die ausgehandelt wurden. Wenngleich sie einen wichtigen ersten Schritt darstellen, muss das eigentliche Ziel jedoch darin liegen, allen Bürgern der Region Reisefreiheit zu gewähren. Wussten Sie, dass nur ein Zehntel aller Serben einen Reisepass besitzt? Wir müssen dem Rest der Bevölkerung etwas Konkretes anbieten. Ich ersuche den Rat eindringlich sicherzustellen, dass die Abkommen zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten. Zudem appelliere ich an den Rat, eine konkrete Roadmap für die Visaliberalisierung auszuarbeiten.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, meinen Mitarbeitern und Kollegen, dem Sekretariat des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, den Fraktionen, der Kommission, der serbischen Mission bei der EU und dem serbischen Amt für europäische Integration zu danken.
Abschließend möchte ich mir noch eine kurze persönliche Bemerkung erlauben. Als einer der wenigen Abgeordneten, die aus dem westlichen Balkan stammen, erfüllt es mich mit Stolz, die Rolle eines Berichterstatters übernommen zu haben. Mein Heimatland Slowenien trat der EU bei, nicht, weil es einfach war, sondern weil es schwierig war. Wir haben es geschafft; so wie es auch serbische Politiker, Intellektuelle und Geschäftsleute schaffen werden, wenn sie sich einmal dazu entschließen. Ich rufe Serbien und die serbische Bevölkerung auf, jetzt aufzuwachen, jetzt anzufangen, sich selbst, ihren Nachbarn und der ganzen Region zu helfen und uns beizutreten. Tun Sie es. Sie sind stark genug. Gemeinsam schaffen wir es.
Der Präsident. − Ich danke dem Haus für seine Nachsicht in Bezug auf die übliche Aufteilung der Redezeit. Ich entschuldige mich im Namen des Berichterstatters beim Haus. Ich danke Ihnen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, sehr verehrte Damen und Herren! Serbien liegt ohne Frage innerhalb des europäischen Raums, wir alle sind uns bewusst, dass das Land in den vergangenen Jahren vor großen Aufgaben, angesichts seiner Bedeutung für die Stabilität und Entwicklung der Westbalkanregion sogar vor ausgesprochen schwierigen Aufgaben gestanden hat. Die Europäische Union hat Serbien dabei unterstützt, diese Aufgaben zu meisten, indem sie die Vorteile der europäischen Perspektive verstärkt und konkretisiert hat.
Wir waren daher bemüht, unser Engagement für eine Annäherung Serbiens an die Europäische Union gegenüber den serbischen Bürgern und Behörden unter Beweis zu stellen. Mit unserer Unterstützung der pro-europäischen politischen und gesellschaftlichen Kräfte, die sich für eine Durchführung der notwendigen Reformen zur Festigung von Demokratie und Entwicklung in Serbien aussprechen, wollten wir zeigen, dass es eine Alternative gibt.
Die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen sind ein wichtiger Schritt für die Annäherung der westlichen Balkanstaaten an die Union. Sie dienen zudem als grundlegende Instrumente, um die europäische Perspektive deutlich zu machen. In dieser Hinsicht sind wir erfreut, dass die Kommission die Verhandlungen mit Serbien über den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zum Abschluss gebracht hat. Wir hoffen sehr, dass in Kürze die Voraussetzungen erfüllt sein werden, damit die Kommission das Abkommen unterzeichnen kann.
Der Rat setzt sich mit Nachdruck dafür ein, das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, sobald die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Bevor der Rat das Abkommen umsetzen kann, muss Serbien allerdings umfassend mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten.
Reiseerleichterungen für Serben in der Europäischen Union würden zudem zu engeren Bindungen zwischen uns und zum Demokratisierungsprozess beitragen und in der serbischen Gesellschaft ein positives Bild der Europäischen Union übermitteln.
Die im September unterzeichneten Vereinbarungen über Visaerleichterungen und Rückübernahmen, die im Januar 2008 in Kraft treten werden, sind in unseren Augen von entscheidender Bedeutung.
Die Kommission hat sich mit Serbien darauf geeinigt, den Dialog über die Visaerleichterungen nach Inkrafttreten dieser Vereinbarungen aufzunehmen. Die EU hat Serbien ferner zu verstehen gegeben, dass der Integrationsprozess nicht mit der Entscheidung über den künftigen Status des Kosovo in Zusammenhang gebracht werden kann. Jedes Land wählt entsprechend den Voraussetzungen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses und den Kriterien von Kopenhagen seinen eigenen Weg zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union.
Abschließend möchte ich erneut darauf hinweisen, welche Bedeutung der EU-Ratsvorsitz der Möglichkeit beimisst, mit dem Europäischen Parlament darüber zu diskutieren, welchen Stellenwert sowohl für Serbien als auch für die Region eine mögliche Beitrittsgarantie für Serbien hat. Es steht außer Frage, dass der westliche Balkan weiterhin zu den Prioritäten der Europäischen Union gehören wird und unser Ziel letztendlich darin besteht, Frieden, Stabilität, Demokratie und Wohlstand in der Region zu schaffen.
Deshalb haben wir die Vision einer Aufnahme dieser Länder in die Union entwickelt. Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess bildet nach wie vor den Rahmen für die Vorbereitung dieses möglichen Beitritts. Serbien ist ein Land mit großer geostrategischer Bedeutung, sodass Fortschritte in diesem Prozess wichtig sind, um das endgültige Ziel der EU für den Westbalkan zu verwirklichen: die Entwicklung einer Region der Stabilität, des Friedens und des Fortschritts.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Kacin zu seinem fundierten Bericht gratulieren, der die entscheidenden Aspekte des gegenwärtigen Standes der Beziehungen zwischen der EU und Serbien anspricht. Ich habe meine Dienststellen gebeten, die Empfehlungen des Berichts anzunehmen, was sich bei der Ausarbeitung des am 6. November zu verabschiedenden Jahresfortschrittberichts der Kommission bereits als sinnvoll erwiesen hat.
Ihr Bericht hebt einige Bereiche hervor, in denen sowohl die Europäische Union, als auch Serbien ihre Bemühungen verstärken müssen, was ich voll und ganz unterstütze. Insbesondere stimme ich der Bedeutung zu, die Sie den Visaerleichterungen beigemessen haben, und Ihrem Aufruf, die Visaliberalisierung jetzt voranzutreiben.
Aus eben diesem Grund beabsichtigt die Kommission, zu Beginn des kommenden Jahres in einen Dialog mit den Ländern des westlichen Balkans über eine Roadmap für die Visaliberalisierung zu treten, bei dem Anforderungen und Bedingungen festgelegt werden sollen. Dies ist eine äußerst wichtige Angelegenheit, nicht zuletzt aufgrund der Notwendigkeit, der jungen Generation in dieser Region konkrete Beispiele dafür zu liefern, was Europa wirklich bedeutet.
In unseren Beziehungen mit Serbien befinden wir uns an einem äußerst kritischen Punkt. Während der vergangenen 14 Tage habe ich mit dem Ratsvorsitzenden, den Mitgliedstaaten und mit den serbischen Behörden intensive Gespräche zum aktuellen Stand der Beziehungen geführt. Es wird Sie nicht überraschen, dass die Entwicklungen um den Status des Kosovo sowie das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, einschließlich der Auflagen des ICTY, dabei im Vordergrund standen.
Die Frist für den Abschluss der Kosovo-Gespräche am 10. Dezember endet bald, und die Arbeit der internationalen Troika befindet sich in einer entscheidenden Phase. Wir unterstützen voll und ganz die Arbeit des EU-Beauftragten, Botschafter Wolfgang Ischinger, und wir werden nichts unversucht lassen, um eine ausgehandelte Lösung zu erzielen.
Es ist nun von entscheidender Bedeutung, dass die beiden Parteien – Belgrad und Priština – sich ihrer Verantwortung stellen und sich ernsthaft um die Ausarbeitung konstruktiver, kreativer Vorschläge bemühen, die zu einer ausgehandelten, nachhaltigen Lösung führen. Ich habe mit den Mitgliedstaaten und den serbischen Behörden auch intensive Gespräche über das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen geführt. Dieses Abkommen wird ein politischer Meilenstein in unseren Beziehungen mit Serbien sein und dem Land den Weg eröffnen, den Bewerberstatus für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu erzielen.
Die Kommission hat zunächst die technische Seite des Entwurfs des Abkommenstextes ausgehandelt und anschließend nochmals überarbeitet. Der Entwurf wird gegenwärtig von der Arbeitsgruppe des Rates einer Bewertung unterzogen.
Die Gruppe arbeitet gemeinsam mit dem Vorsitz und den Mitgliedstaaten intensiv an der rechtlichen und sprachlichen Überprüfung des Entwurfs, so dass wir, die Europäische Union, in technischer Hinsicht bald zur Unterzeichnung des Abkommens bereit sind, vorausgesetzt, die politischen Bedingungen werden erfüllt – nämlich uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem ICTY –, das heißt Festnahme der noch flüchtigen Angeklagten. Dies deckt sich nach meiner Einschätzung mit der Empfehlung, die Sie in Ihrem Bericht an den Rat ausgesprochen haben.
Was den ICTY betrifft, so ist aus meiner Sicht, wie bereits erwähnt, Serbiens Teil des Glases zurzeit eher halb voll als halb leer. Ich habe der serbischen Regierung deutlich gemacht, dass eine Unterzeichnung des SAA absehbar ist. Nun hängt alles von Serbiens politischem Willen ab und davon, die vorhandenen Möglichkeiten in Ergebnisse umzusetzen. Wir sind bereit, sobald Serbien sich durch die Erfüllung der Auflagen bereit zeigt. Serbien hat es in der Hand, das Spiel für sich zu entscheiden.
Gleichzeitig sollten wir aber auch Serbiens bisherige Bemühungen würdigen. Zu oft neigen wir dazu, diese in unseren Debatten außer Acht zu lassen. Seit 2004 hat Serbien an der Auffindung und Auslieferung von 20 der 24 vom ICTY angeklagten Personen mitgewirkt. Das beweist, dass unsere Politik der Konditionalität Wirkung zeigt.
Die Zusammenarbeit mit dem ICTY kann jedoch kein Start-Stopp-Vorgang sein. Um eine uneingeschränkte Zusammenarbeit zu erreichen, muss noch mehr geschehen, insbesondere in Form verschärfter Ermittlungen und Fahndungen sowie durch die Gewährung von Einsicht in Archive und Dokumente.
Die Chefanklägerin wird morgen erneut für zwei Tage nach Belgrad reisen, und die Ergebnisse ihres Aufenthalts werden großen Einfluss auf die Entscheidung der Kommission über eine mögliche Unterzeichnung des SAA-Abkommens haben.
Die Unterzeichnung wird daher von Serbiens uneingeschränkter Zusammenarbeit mit dem ICTY abhängen. Ob diese gegeben ist, werden wir gemeinsam mit dem Rat bewerten. Daraus folgt, dass Serbien alles in seiner Macht Stehende tun muss, um die flüchtigen Personen ausfindig zu machen und festzunehmen. Weiterhin muss Serbien dem ICTY sämtliche einschlägigen Informationen zukommen lassen, die zu einer Verhaftung und Überführung der Angeklagten zum Tribunal in Den Haag führten.
Abschließend sei gesagt, dass Serbien in der Tat über gewaltiges wirtschaftliches, kulturelles und intellektuelles Potenzial verfügt, das nur darauf wartet, freigesetzt zu werden und dem Land seinen Weg nach Europa zu weisen.
Die Kommission ist von Serbiens europäischer Zukunft voll und ganz überzeugt. Ich bin sicher, dass das Land auf seinem Weg nach Europa schnell vorankommen kann, wenn es einmal die erforderlichen Auflagen erfüllt hat.
Das ist unumgänglich, und zwar nicht allein für Serbiens Bestrebungen in Richtung einer EU-Mitgliedschaft, sondern für die Stabilität und den Fortschritt des gesamten westlichen Balkans. Daher wird es für Serbien höchste Zeit, mit seiner schmerzhaften Vergangenheit abzuschließen und sich seiner Zukunft in Europa zuzuwenden.
György Schöpflin, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Jeder in diesem Haus ist bestimmt einer Meinung mit mir, dass Serbien eine Zukunft in Europa hat und dass diese Zukunft sowohl für Serbien, als auch für Europa überaus wünschenswert ist. Die Frage ist daher, wie wir dieses Ziel erreichen.
Der Kern des Problems ist, dass Serbien zwar sicherlich schon über einige Merkmale einer Demokratie verfügt, dennoch aber von einer stabilen, demokratischen Infrastruktur noch ein gutes Stück entfernt ist. Das Vermächtnis des Kommunismus und der Kriege, die dem Zerfall Jugoslawiens folgten, hat in der serbischen Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen. Umso schwieriger ist es, für ein gutes Funktionieren vertrauenswürdiger, neutraler Einrichtungen zu sorgen. Defizite in der Rechtsstaatlichkeit, Korruption und Günstlingswirtschaft sowie das beunruhigend hohe Maß ziviler Gewalt – all dies sind Kennzeichen einer Gesellschaft, in der es noch eines großen Wandels bedarf, bevor ihre Demokratie nach den Kopenhagener Kriterien als solche bezeichnet werden kann.
Die vielleicht schädlichste Folge dieses Vermächtnisses ist, dass der Nationalismus für einen politisch wichtigen Teil der Gesellschaft, zu der auch ein Teil der Elite gehört, seinen Reiz behält. Für die Protagonisten des serbisch-ethnischen Nationalismus ist die serbische Staatsbürgerschaft gleichbedeutend mit der serbischen Nation. Das belastet den nichtserbischen Teil der Bevölkerung sehr. Auf diesem Gebiet gibt es für die politische Elite des Landes noch viel Arbeit. Denn nur Serbien – die politischen Eliten des Landes sowie die serbische Gesellschaft – kann diesen notwendigen Schritt in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Bürgerschaft gehen.
Andererseits liefern die Schlussfolgerungen dieses gut durchdachten Berichts überzeugende Hinweise darauf, wie dieser Wandel vollzogen werden und Serbien seinen Platz in Europa wieder einnehmen kann.
Justas Vincas Paleckis, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Der Winter steht vor der Tür, doch in Serbien heizt sich die politische Stimmung auf. Durch ihre Mitarbeit an diesem Bericht versucht die PSE-Fraktion daher vor allem, die Lage einer Nation zu erfassen, die ihre einst privilegierte Stellung innerhalb der ehemaligen jugoslawischen Föderation verloren hat – eine Nation, deren nationalistische Ausbrüche einer ganzen Region geschadet, viele Leben zerstört und zahlreiche Opfer gefordert haben und mit Bomben und Raketen beantwortet wurden.
Trotz allem wünscht sich die Mehrheit der serbischen Bevölkerung nichts mehr, als dem europäischen Weg zu folgen und auf diese Weise ihre eigenen Wunden und die Wunden ihrer Nachbarn zu heilen. Freundschaftlich, aber bestimmt möchte dieser Bericht helfen, die Straßenschilder für diesen bedeutungsvollen Weg zu errichten. Ich möchte insbesondere unserem Kollegen, Herrn Kacin, danken, der in diesen Bericht nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Herz und Verstand gesteckt hat.
Ich möchte die erfolgreiche Arbeit der europafreundlichen serbischen Regierung in dieser nicht ganz einfachen Zeit betonen. Dank ihrer Arbeit konnte das Europäische Parlament die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens anregen, die möglicherweise schon zum Ende des Jahres vollzogen sein wird. Ob das Land jedoch in der Lage sein wird, in seinen Beziehungen mit der EU eine neue Seite aufzuschlagen, hängt in erster Linie von den Serben selbst ab. Wir halten unsererseits auf jeden Fall an der Haltung fest, dass das Abkommen nur dann unterzeichnet wird, wenn Serbien Ergebnisse in Form einer Verhaftung der verbliebenen Kriegsverbrecher vorweist.
Die PSE-Fraktion hat einige Änderungen an dem Bericht vorgeschlagen, die darauf abzielen, Formulierungen im Zusammenhang mit für Serben sensiblen Themen abzumildern. Unter anderem schlagen wir vor, die Formulierung von Erwägung M so zu ändern, dass deutlich wird, dass die interethnische Aussöhnung oberste Priorität hat, um die Stabilität in der Region zu sichern.
Wir vertreten den Standpunkt, dass die Kosovofrage ein ganz eigenes Problem darstellt. Aus diesem Grund wird sie in unserem Bericht nur am Rande erwähnt. Die Lösung dieses Problems sollte Serbien nicht von seinem europäischen Weg ablenken, denn der wird es früher oder später zum Kosovo und den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens führen, ebenso wie zum übrigen Europa.
István Szent-Iványi, im Namen der ALDE-Fraktion. – (HU) Herr Präsident, Herr Minister, Herr Kommissar! Zuallererst möchte ich den Berichterstatter, Herrn Kacin, zu seinem konstruktiven und ausgewogenen Bericht beglückwünschen. Im Jahr 2003 verpflichtete sich die Europäische Union zur Aufnahme Serbiens in die EU, weil sie überzeugt war, dass Serbien ein wichtiger Faktor für die Stabilität in der Region ist und die Zukunft Serbiens in Europa liegt. Seitdem hängt das Tempo der Aufnahme allein von Serbien ab.
Die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist eine wichtige Voraussetzung. Fortschritte wurden bereits erzielt; zwei der am meistgesuchten Kriegsverbrecher wurden bereits ausgehändigt, die schlimmsten Kriegsverbrecher, Mladić und Karadžić, befinden sich jedoch immer noch auf freiem Fuß. Hier sind weitere Anstrengungen gefragt. Die größte Machtprobe sowohl für Serbien als auch für Europa ist das Thema der Festlegung des Status des Kosovo. Die derzeitige Situation ist das schwerwiegendste Hindernis sowohl für die Stabilität in der Region als auch für den Beitritt Serbiens in die EU. Wir erwarten von Serbien ein konstruktives Vorgehen, um diese Situation so schnell und so zufrieden stellend wie möglich zu klären.
Im Bereich der Minderheitenrechte wurden bereits Fortschritte erzielt; die Zahl von gewalttätigen Übergriffen ist gesunken, und in der neuen Verfassung wurden den Minderheiten neue Rechte gewährt. Die erzielten Fortschritte reichen jedoch bei weitem noch nicht aus. Es gibt immer noch keine Regelungen zu den Nationalräten, und es gibt nach wie vor keine Gesetzgebung, die die Selbstbestimmung von Minderheiten garantiert. Darüber hinaus muss Serbien auch seine Aufgaben für Europa erfüllen, wenn man bedenkt, dass der Verfassungsgerichtshof in der Praxis noch nicht funktioniert, dass das Rechtssystem nur schleppend funktioniert und politischem Einfluss unterliegt und dass Korruption und organisiertes Verbrechen sämtliche Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Lebens durchdringt. Wenn Serbien ernsthaft die Aufnahme anstrebt, muss es jetzt alles dafür tun, um die Anstrengungen in diesen Bereichen zu verstärken. Europa wird Serbien alle erdenkliche Unterstützung geben, damit es diese Aufgaben erfolgreich lösen kann. Jedoch muss Serbien diese Aufgaben selbst bewältigen. Wir müssen an dieser Stelle betonen, dass die Verantwortung und die Verpflichtung alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den erfolgreichen Beitritt Serbiens in die EU sicherzustellen, bei unseren serbischen Freunden selbst liegt. Vielen Dank, Herr Präsident.
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (GA) Herr Präsident! Die Kommission wird demnächst einen Beschluss zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das zwischen der EU und Serbien abgeschlossen werden soll, fassen. Ich befürworte dieses Abkommen. Es sendet eine klare Botschaft auf internationaler Ebene, dass die EU-Mitgliedschaft Serbiens auf der aktuellen politischen Tagesordnung steht. Dies ist der erste bedeutsame Schritt des Landes in Richtung einer EU-Mitgliedschaft.
(EN) Viele meiner Kollegen haben die Schwierigkeiten angesprochen, mit denen Serbien in der Vergangenheit zu kämpfen hatte, sowie die andauernden Probleme bezüglich des Beitritts Serbiens und des Stabilisierungsabkommens. Doch wir müssen auch anerkennen, welchen ungemein langen Weg Serbien trotz der aufgetretenen Schwierigkeiten schon zurückgelegt hat.
Wie bei allen Beziehungen zwischen Ländern, die in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander liegen, wird es auch zukünftig immer wieder Schwierigkeiten geben, wenn es um Serbiens Rolle in der Kosovofrage geht, um seine anhaltende Zusammenarbeit mit dem internationalen Kriegsverbrechertribunal und insbesondere um seine Beziehungen mit den anderen Nachbarländern, die zuvor zu Jugoslawien gehörten.
Das klare Signal, das die serbischen Behörden aussenden, ist jedoch das eines ungebrochenen Wunsches nach sichtbarem Fortschritt. Sie sind offen für die durch uns geförderten Modelle der am besten geeigneten Vorgehensweisen. Und sehen Sie sich an, welche Mittel die Europäische Union bisher aufgewendet hat – über 165 Millionen Euro für den Wiederaufbau. Wir alle dürfen nicht vergessen, dass die Entwicklung Serbiens, wie auch anderer Länder, noch immer durch den riesigen psychologischen Schaden, den der Balkankrieg hinterlassen hat. beeinträchtigt wird. Und tatsächlich werden wir bei einem Blick auf die jüngere Vergangenheit unserer eigenen Länder feststellen, dass es dort ähnliche psychologische Brüche gegeben hat, deren Heilung einige Zeit in Anspruch genommen hat.
Wir sollten Serbien den Freiraum geben, den es benötigt, um diesen Wandel und diesen Fortschritt zu erzielen. Unsere Aufgabe und unsere Pflicht ist es, als guter Nachbar und vertrauensvoller Lehrer aufzutreten, der vermittelt, wie die Dinge am besten ablaufen sollten, dabei aber auch positive Entwicklungen belohnt.
Gisela Kallenbach, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Zuerst herzlichen Dank an den Berichterstatter für seine umfassende und gute Arbeit. Wir begrüßen sehr, dass sich das Europäische Parlament regelmäßig und deutlich in die politische Diskussion zur Lage in Südosteuropa einmischt. Serbien spielte und spielt dabei eine herausragende Rolle in der Region.
Daher ist es unerlässlich, immer wieder zu unterstreichen, dass Serbiens Zukunft in der EU liegt und wir gute und verlässliche Partner sind. Nur, zu einer Partnerschaft gehören mindestens zwei. Ich appelliere daher an Serbien, an dem Weg der EU-Integration festzuhalten und auch konstruktiv an der Lösung der Kosovo-Frage mitzuwirken.
Wir erwarten endlich die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal – das wurde mehrfach gesagt –, aber auch die Erfüllung der Anforderung der europäischen Standards. Ich hoffe sehr, dass die verbesserten Reisemöglichkeiten auch dazu beitragen werden und eine Verbesserung in der Zukunft bringen.
Nichts halte ich allerdings von hier und da aufgeworfenen Vorschlägen zur Anwendung unterschiedlicher Standards für einen EU-Beitritt. Ich bin froh, dass sowohl der Berichterstatter als auch der Kommissar und der Vertreter des Rates in die gleiche Richtung denken, zumal wir ja erst kürzlich vielleicht etwas Lehrgeld bezahlt haben.
Ich habe großes Verständnis für die schwierige und schmerzliche Lage Serbiens, aber dennoch und nochmals: Zu einer Partnerschaft gehören mindestens zwei.
Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Wie in jedem Land, das erst kürzlich einen Krieg verloren hat, dessen Folge Gebiets- und Einflussverluste waren, erfreuen sich auch in Serbien nationalistische Gefühle der Überlegenheit großer Unterstützung. Anstatt Serbien zu isolieren und zu bestrafen, weil der Kriegsverbrecher Ratko Mladić nicht gefunden werden kann, sollte dem Land eine Zukunft angeboten werden, die auch für die ethnischen Minderheiten in Vojvodina, Sandžak und Preševo Sicherheiten einschließt.
Meine Fraktion unterstützt die Bemühungen des Berichts Kacin mit der Perspektive einer Mitgliedschaft Serbiens in der Europäischen Union. Leider greift die vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hinzugefügte Ziffer 8 einer Entscheidung über den Kosovo vor. Nach dem 10. Dezember werden die USA und eine Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Union möglicherweise einseitig den Kosovo als Staat anerkennen, und Serbien wird den nördlichen Teil des Kosovo einseitig zurücknehmen. Aus diesem Grund teilen wir keineswegs die Auffassung, der zukünftige Status des Kosovo könne nur zu Stabilität und Integration beitragen.
Da dieser grundlose Optimismus aus Ziffer 8 aufrechterhalten wird, zieht meine Fraktion ihre Unterstützung für diesen Bericht zurück.
Gerard Batten, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Dieser Bericht beginnt mit dem Satz, „…dass die Zukunft Serbiens in der Europäischen Union liegt“. Er besagt weiter, „…dass die Zukunft aller Länder in der Region in der EU liegt“. Die Länder in der Region sind natürlich Kroatien, Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Albanien. Zwischen einigen von ihnen herrschen historisch bedingte Feindschaften, die in jüngerer Vergangenheit zu tragischen Kriegen ausgeartet sind.
Die EU ist schlicht und einfach der Ansicht, dass sich durch einen Beitritt dieser Länder alles in Wohlgefallen auflösen würde. Aber führen Sie sich eine der möglichen Folgen vor Augen, die ihr Beitritt nach sich ziehen könnte. Zusammengenommen haben diese Staaten eine Bevölkerung von über 24 Millionen Menschen. Viele dieser Menschen würden von ihrem Recht Gebrauch machen, in andere Teile der EU zu ziehen. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass viele von ihnen nach Großbritannien kommen würden. Großbritannien wird schon jetzt von Einwanderern und Asylbewerbern von inner- und außerhalb der EU überschwemmt. Aus Furcht vor eventuellen Gewaltausbrüchen und Konflikten schickt das britische Innenministerium in einem inoffiziellen Verfahren Gruppen von Asylbewerbern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Zugehörigkeit in unterschiedliche Teile des Vereinigten Königreichs. Sollten Serbien und andere Balkanstaaten eines Tages der EU beitreten, würde Großbritannien nur noch mehr ihres historischen Hasses und ihrer Blutfehden auf britischen Boden importieren.
Für Serbien und seine Nachbarn liegt der Weg nach vorn in ihrer Eigenständigkeit als demokratische Nationalstaaten, die ihre Probleme friedlich lösen, und nicht in ihrem Beitritt zur Europäischen Union.
Carl Lang, im Namen der ITS-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Die europäischen Behörden und insbesondere der Bericht Kacin behandeln Serbien im Allgemeinen nicht als souveränen Staat, sondern wie einen ungezogenen Schuljungen, der nie etwas richtig macht, jemanden, dem die Europäische Union gute Noten und schlechte Noten geben darf.
Serbien bekommt gute Noten, wenn es eine Regierung bildet, die als pro-europäisch gilt. Dieser pro-europäische Bezug bedeutet natürlich, dem in Brüssel geltenden Dogma verpflichtet und unterworfen zu sein. Es bekommt schlechte Noten, wenn die Serben nicht allzu viel Eifer zeigen, mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zusammenzuarbeiten. Es ist hier sinnvoll daran zu erinnern, dass dieses Gericht zwei Prinzipien mit Füßen tritt, die die Grundlage unseres Rechtssystems bilden: die rechtliche Souveränität der Staaten und die Meinungsfreiheit. So ist Vojislav Seselj, Vorsitzender der serbischen radikalen Partei, die 28 % der Wähler ausmacht, seit Februar 2003 in Den Haag in Haft und wartet immer noch auf ein Urteil, obwohl er sich freiwillig gestellt hat. Dieses Gericht verletzt auf diese Weise ungeniert genau die Prinzipien, die von der Europäischen Union verkündet worden sind, nämlich die Achtung der Grundrechte und der Menschenrechte. In Wahrheit besteht Herrn Seseljs einziges Verbrechen darin, ein serbischer Patriot zu sein.
Die Führer der Europäischen Union, die die Nationen Europas auseinanderbrechen wollen, können den Serben nicht verzeihen, dass sie sich der Zerschlagung ihres Staates und insbesondere der Abspaltung des Kosovo, des historischen Herzens von Serbien, widersetzt haben. Die Behandlung der Serben im Kosovo ist eine Warnung an alle Völker Europas. Wenn die Albaner heute die Bildung eines kosovarischen Staates fordern, so geschieht dies, weil sie durch die Einwanderung aus Albanien und die sinkende Geburtenrate unter den Serben eine Mehrheit in einer Provinz erreicht haben, wo sie vor 50 Jahren in der Minderheit waren. Das Beispiel des Kosovo sollte uns mehr denn je dazu bewegen, das Recht der Völker Europas zu bekräftigen, sie selbst zu sein und selbst zu entscheiden, mit anderen Worten ihre Identität und Souveränität zu bewahren, und in einem erweiterten Europäischen Europa der Nationen und der Vaterländer sollte es eindeutig auch einen legitimen Platz für das serbische Volk geben.
Doris Pack (PPE-DE). - Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kacin hat einen Bericht vorgelegt, der unsere größte Zustimmung gefunden hat. Wir haben gemeinsam viel daran gearbeitet. Ich möchte auf die Einzelheiten daher nicht mehr eingehen und nur einige persönliche Bemerkungen machen.
Zu spät haben die demokratischen Kräfte den radikalen Schnitt mit der Ära Milošević gemacht – viel zu spät. Das heißt, die Kooperation mit dem Haager Tribunal wurde nicht seriös und glaubhaft aufgenommen. Deswegen haben wir unsere Zusammenarbeit im Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen spät begonnen, dann unterbrochen, wieder aufgenommen, und nun warten wir wieder. Also, der Weg in die EU ist vorprogrammiert und die Kapazität Serbiens ist vorhanden, aber es muss schon einiges selbst leisten.
Wie eine dunkle Wolke hängt das ungelöste Kosovo-Problem über der Politik Serbiens und lähmt sie. Wer leidet darunter? Ganz besonders die junge Generation. Nach einem Embargo, dem Nato-Bombardement – und beides haben die Serben Herrn Milošević zu verdanken und nicht den demokratischen Kräften, die jetzt an der Regierung sind – schaut diese Jugend jetzt schon wieder auf ein schier unlösbares Problem, nämlich die Kosovo-Frage. Darunter leidet auch die effiziente politische Tagesarbeit, und das arbeitet den Radikalen – und ihren Freunden da oben – in die Hände.
Gott sei Dank wird jetzt endlich die Visaerleichterung Platz greifen, für die das Parlament schon so lange gefochten hat. Wir wünschen uns eine baldige Teilnahme junger Serben an unseren Bildungs- und Jugendprogrammen, die wir ja ab dem Jahr 2007 geöffnet haben. Ich möchte auch einmal loben, dass die begrüßenswerte Arbeit des Wojwodiner Regionalparlaments im Bereich der Toleranz und der Jugendzusammenarbeit gerade groß Platz greift. In der Donau-Region haben sich in diesem Jahr ganz viele junge Menschen zusammengefunden. Es ist eine wunderbare Arbeit für Toleranz und Zusammenleben geworden.
Es gibt in Serbien viel Sehnsucht nach Normalität. Die Politiker sollten mehr für die Gegenwart und für die Zukunft tun und die Vergangenheit endlich dort lassen, wo sie ist. Deswegen müssen sie mehr für die Verbesserung des täglichen Lebens der Bevölkerung tun, damit die ihnen nicht wegläuft.
Hannes Swoboda (PSE). - Herr Präsident! In der Rede des sehr geschätzten Kollegen Kacin habe ich zweierlei vermisst. Einerseits den Dank an den großzügigen Präsidenten und zweitens, was entscheidender ist, die Ausgewogenheit, die in seinem Bericht sehr wohl zum Ausdruck kommt.
Wir haben gut zusammengearbeitet, ich möchte mich da ausdrücklich bedanken, und ich glaube, es ist ein sehr guter Berichtsentwurf geworden. Wenn ich das sage, dann meine ich genau das, was Kommissar Rehn gesagt hat. Es hat einige wesentliche Fortschritte gegeben, aber bei der Beurteilung eines Landes soll man das Positive und auch das Negative sagen. Es gibt auch wesentliche Fortschritte in der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, aber – und da treffen wir uns wieder – die Fortschritte sind nicht genug. Ich hoffe dass es in den nächsten Tagen noch eine Einigung mit Carla del Ponte, und ich habe das auch im Namen meiner Fraktion im Gespräch mit Minister Ljajić deutlich gemacht, dass alle Fragen gelöst werden sollen. Man kann nicht auf halbem oder dreiviertel Weg stehen bleiben, sondern es muss jetzt die volle Kooperation hergestellt werden. Das ist eine gemeinsame Position dieses Parlaments und der Europäischen Union.
Was mir entscheidend zu sein scheint, ist, dass in diesem Land leider noch immer – und da schließe ich mich dem an, was Doris Pack gesagt hat – die Nationalisten oft die Tagesordnung bestimmen. Man kann nicht die rechtsextremen Nationalisten noch weiter rechts überholen, wie das einige versuchen zu tun. Das führt in das Chaos. Und die Tatsache, dass Herr Nikolić auch nur für vier Tage Parlamentspräsident war, ist ein Skandal. Es ist ein Skandal, dass man in dieser schwierigen, heiklen Situation überhaupt auf die Idee kommen kann, den Führer der Rechtsextremen zum Parlamentspräsidenten zu machen. So kann man keine Politik machen und Serbien voranbringen. Das ist etwas, was immer wieder bestätigt, dass Serbien eigentlich den nationalistischen Weg geht. Ich hoffe, dass alle Kräfte der Mitte sich besinnen und sagen: Es muss eine klare Trennlinie gefunden werden zwischen den Nationalisten auf der einen Seite und den anderen, ob sie jetzt konservativ oder sozialdemokratisch sind. Allein die Kräfte der Mitte können das Land voranbringen, wenn sie nicht mit den Nationalisten liebäugeln.
Ja, wir müssen mehr tun, gerade was die Visafreiheit betrifft. Ein Schritt zur Visaerleichterung ist getan worden, jetzt muss es in Richtung Visafreiheit gehen, um den jungen Menschen Europa zeigen zu können. Das brauchen die jungen Serben, das braucht Serbien.
Samuli Pohjamo (ALDE). – (FI) Herr Präsident, Herr Kommissar! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Kacin, für seinen ausgezeichneten und gründlichen Bericht danken. In ihm werden die schwierigen Probleme, die die Beziehungen zwischen der EU und Serbien belasten, aber auch viele positive Faktoren, die sich in Serbiens Entwicklung gezeigt haben, genannt.
Ich möchte hervorheben, wie wichtig natürliche Beziehungen in der Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Serbien sind. Es ist wichtig, dass junge Serben mehr Möglichkeiten bekommen, im Rahmen des Studentenaustauschs und kultureller Programme ins Ausland zu reisen. Es hat damit positive Erfahrungen mit vielen Ländern gegeben, zum Beispiel im Rahmen der Programme Erasmus-Mundus und Leonardo da Vinci.
Auch das geschlossene Visa-Abkommen wird den natürlichen Beziehungen mit Serbien einen Schub verleihen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Abkommen bis Ende des Jahres in Kraft tritt, sowie gleichzeitig, dass die Bearbeitung der Visa beschleunigt wird und dass Maßnahmen zur Förderung der Reisemöglichkeiten, insbesondere für junge Menschen und Fachkräfte, ausgebaut werden.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass auch die Europäische Agentur für Wiederaufbau ihrer Rolle in Serbien gerecht wurde. Ihre Arbeit geht nun zu Ende, und die Aufgaben der Agentur können den Abteilungen der Kommission übertragen werden, wobei der Schwerpunkt auf der Unterstützung für die Entwicklung der Verwaltungs- und Justizbehörden liegen sollte. So können wir Serbien und andere Länder in der Region ermutigen, engere Beziehungen zur Europäischen Union zu unterhalten.
Hanna Foltyn-Kubicka (UEN). – (PL) Der Bericht bezieht sich auf jüngste Veränderungen in Serbien. Allerdings gibt es auch noch viel zu tun, insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Trotz aller Versprechen ist Radko Mladić noch nicht verhaftet und dem Gericht in Den Haag überstellt worden. Der unbefriedigende Fortschritt in diesem Bereich der Zusammenarbeit gibt Anlass zur Sorge und wirkt sich negativ auf die Wahrnehmung der Maßnahmen aus, die die serbischen Behörden zur Stärkung des Rechtsstaates ergriffen haben.
Die neue Verfassung und die Bestimmungen über den Schutz der Menschenrechte und der Rechte nationaler Minderheiten, die Sicherheitsdienste, den Justizapparat und die Armee sowie die Bemühungen zur Beseitigung der Korruption sind Schritte in die richtige Richtung. Die Reformen sind jedoch unzureichend. Es wird beispielsweise kein Verfassungsgericht berufen, das als Hüter der Demokratie agieren würde. Die beschlossenen Maßnahmen und die Zusagen Serbiens müssen unbedingt überwacht werden. Trotz des bereits erzielten Fortschritts bleibt in Serbien noch viel zu tun.
Joost Lagendijk (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident, verehrtes Parlament, meine Damen und Herren! Wir versuchen heute, die positiven Entwicklungen in Serbien hervorzuheben. Damit wir uns nicht missverstehen, daran ist nichts falsch. Für die Europäische Union ist es wichtig, dass sich Serbien zu einer Demokratie entwickelt, und es ist wichtig, dass wir, die Europäische Union, diesen Prozess anerkennen und ihn, dort, wo es möglich ist, unterstützen. Es handelt sich dabei um dieselben Anstrengungen, die gegenwärtig auch in anderen EU-Organen, insbesondere im Rat, unternommen werden.
Wir dürfen aber auch nicht übertreiben, meine Damen und Herren. Auch wenn Serbien alle Forderungen aus dem Bericht erfüllt, zugleich bei den Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo aber eine negative und destruktive Rolle spielt, wird das natürlich negative Folgen für die Perspektive Serbiens, zur Europäischen Union zu gehören, haben. Meine Damen und Herren, so sollten wir uns verhalten. Deshalb ist es meines Erachtens unverständlich und nicht gut, dass bislang kein Zusammenhang zwischen der serbischen Position in den Verhandlungen über den Kosovo und Serbiens Weg in Richtung Europa hergestellt wurde, die, wie jeder weiß und auch meiner Auffassung nach tatsächlich im Zusammenhang stehen.
Daher appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen, den Änderungsantrag, in dem dieser Zusammenhang hergestellt wird, zu unterstützen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der serbischen Position zum Kosovo und dem Tempo und Inhalt der Verhandlungen zwischen Serbien und der Europäischen Union. Die bisherige Weigerung, diesen herzustellen, lässt sich mit dem Argument erklären, dass wir, die Europäische Union, es den Demokraten in Serbien und Präsident Tadić nicht noch schwerer machen wollen. Deshalb müssen wir uns in diesen schwierigen Fragen zurückhalten.
Meine Damen und Herren, ich bin ganz und gar nicht mit dieser Beurteilung der Lage einverstanden. Ich stimme dem Vorgänger des derzeitigen Kommissars, Chris Patten, zu, der unlängst geschrieben hat, es sei ein Irrtum zu glauben, dass wir den Demokraten helfen, indem wir nachgiebig und Serbien gegenüber nicht aufrichtig und ehrlich sind. Wenn wir nicht offen und ehrlich sind, stärken wir Kostunica, der dann sagen kann: Wenn wir einen harten Kurs verfolgen, können wir die Europäische Union zu Zugeständnissen zwingen. So kommen wir aber nicht voran. Ich bitte Sie noch einmal: Seien Sie positiv, aber seien Sie ehrlich und sprechen Sie die Dinge an. Die Bürger der EU und Serbiens haben ein Recht darauf.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Auch die EU trägt Verantwortung an dem ungerechtfertigten und schmutzigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien. Sie ist mitverantwortlich für den Mord an Tausenden Jugoslawen, dafür, dass die Zerstörung der Infrastruktur, von Fabriken sowie des gesamten Landes ein verheerendes Ausmaß angenommen hat, und sie ist mitverantwortlich für den Einsatz von angereichertem Uran. Bill Clinton, Tony Blair, Javier Solana (der ehemalige NATO-Generalsekretär) und alle anderen führenden Vertreter derjenigen Länder, die Jugoslawien angegriffen haben, sollten verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Leider ist nichts dergleichen geschehen. Jugoslawien wurde zerschlagen; Sie schaffen Protektorate und versuchen nun, Serbien zu annektieren. Sie fordern ein Volk auf, Reue zu zeigen, das nur das Naheliegende getan hat, nämlich die Unabhängigkeit seines Landes zu verteidigen. Die Regierung mag ein solches Bekenntnis ablegen, doch die jungen Menschen werden nicht vergessen und die Verbrechen der NATO und der EU nicht vergeben.
Sie setzen Ihre politische Strategie nun mit der Unabhängigkeit des Kosovo und der Schaffung eines neuen Protektorats fort. Unter anderem dienen die im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen dazu, Mord und Zerstörung mit dem Geld der europäischen Arbeitnehmer wieder gutzumachen. Sie zielen darauf ab, die Mörder der Jugoslawen als Erlöser darzustellen und damit günstige Bedingungen dafür zu schaffen, dass Serbien auf den imperialistischen Wagen aufspringt und das europäische Kapital das Land übernehmen kann.
Die Kommunistische Partei Griechenlands verurteilt diesen Bericht und ist der Auffassung, dass den Interessen der Balkanvölker am besten gedient ist, wenn wir nicht vergessen, sondern uns gegen die EU und die von Ihnen betriebene Barbarei auflehnen.
Bastiaan Belder (IND/DEM). – (NL) Herr Präsident! Der gründliche, weit gefasste Bericht von Herrn Kacin gibt uns einen ausgewogenen Überblick über die sozioökonomische Entwicklung Serbiens. Es werden sowohl die positiven als auch die negativen Seiten dargelegt, beispielsweise die hervorragenden Wachstumszahlen gegenüber der hohen Arbeitslosigkeit – in Zahlen: 7,2 % gegenüber mehr als 20 % in den letzten drei Jahren.
Ausländische Direktinvestitionen sind für die Entwicklung Serbiens grundlegend, und genau daran mangelt es gegenwärtig. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Sie sind maßgeblich auf das Imageproblem Belgrads zurückzuführen. Was ausländische Investoren mehr als irgendetwas sonst abschreckt, sind die andauernde politische Unsicherheit – Stichwort Kosovo – sowie die zu verzeichnende Verlangsamung der Marktreformen von Seiten Belgrads.
Das führt mich zu einer äußerst wichtigen Frage. Steht Serbien sich selbst im Weg? Der Bericht Kacin beginnt mit der Aussage, die Zukunft Serbiens liege in der Europäischen Union. Belgrad sind die Bedingungen dem Weg dahin sehr wohl bekannt, ebenso wie die Zusage Europas, auf diesem Weg zusammenzuarbeiten. Am Ende sollten die serbischen Behörden sich selbst die dringende Frage beantworten: Steht Serbien sich selbst im Weg?
Zsolt László Becsey (PPE-DE). – (HU) Vielen Dank, Herr Präsident. Der Bericht von Herrn Kacin war brillant, eine sehr professionelle Arbeit. Man merkt gleich, dass er in dieser Region geboren wurde und sie gut kennt. Ich möchte dazu folgende Bemerkungen anbringen:
Erstens der Grundsatz der Werte. Es ist von größter Wichtigkeit, dass es niemandem erlaubt werden sollte, der EU beizutreten, dessen Vermächtnis darin besteht, nicht nur die Untersuchung von Kollektivverbrechen und Massenmorden zu verhindern, sondern der darüber hinaus verbietet, sich daran zu erinnern und der Toten zu gedenken. Dies ist doch seit Antigone ein grundlegendes Menschenrecht, das Recht auf Menschenwürde. Es sollte uns nicht wundern, wenn in einem Land, in dem dies noch nicht erreicht ist und in dem nicht einmal danach gestrebt wird, radikale Gruppen auf den Straßen umherziehen und zunehmend an Stärke gewinnen oder Neofaschisten in der Vojvodina aufmarschieren. Für diese Situation müssen wir eine Lösung finden, tun wir das nämlich nicht, müssen wir uns nicht nur um Serbien Sorgen machen, sondern auch um Europa.
Zweitens bin ich der Meinung, dass wir hierbei mindestens die Maßnahmen ergreifen sollten, die wir uns selbst in Bezug auf den Bericht vorgenommen haben. Mit anderen Worten, sollten wir den Bericht nicht mit Änderungsanträgen abschwächen oder die Entschließungsanträge, die wir angenommen haben oder die Aspekte darin zensieren, sondern diese genau so zitieren, wie sie formuliert sind. Das gleiche trifft auf Territorialabsprachen zu, die Herr Kacin ganz richtig in seinen Bericht von der Kommission aufgenommen hat. Schließlich wird niemand verstehen, was wir wollen, wenn wir den Bericht sinnlos verwässern.
Drittens müssen wir Serbien helfen und nicht nur davon reden, es tun zu wollen. Nachdem die Visa-Bestimmungen gelockert wurden, müssen wir diese nun völlig abschaffen, damit jeder Bürger Serbiens wann immer er es wünscht in Europa einreisen kann. Es hat keinen Sinn, vorher ständig über die Aussichten Serbiens hinsichtlich der EU zu diskutieren, da wir ja nicht den dritten vor dem ersten Schritt tun können. Dasselbe gilt für den Beitritt Serbiens zum Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen (CEFTA), die Umsetzung des (Stabilisierungs- und) Assoziierungsprozesses und die Zukunft des Landes in der Welthandelsorganisation.
Als Letztes möchte ich gern anmerken, dass wir eine „Bottom-up-Gesellschaft“ benötigen und eine Gesellschaft, die Verhältnismäßigkeit sowohl für die Vertretung der ethnischen Minderheiten in der öffentlichen Verwaltung, was wirklich wichtig ist, und für die Sicherstellung der geeigneten Autonomieformen benötigt. Fehlende Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass kein Vertrauen da ist, und wenn kein Vertrauen da ist, werden wir nicht wirklich in der Lage sein, uns in Richtung einer neuen, lang ersehnten Zusammenarbeit in den Balkanstaaten bewegen. Vielen Dank.
Véronique De Keyser (PSE). - (FR) Herr Präsident! Der Bericht Kacin befasst sich mit Serbien und nicht mit dem Kosovo und nicht damit, was nach Dezember passieren wird. Es stimmt auch, dass er die Reaktion Serbiens auf das Kosovo-Problem nicht an das Versprechen des Beitritts zur Europäischen Union bindet. Herr Lagendijk bedauert das, während meine Fraktion dies begrüßt und die Position vertritt, dass das Europäische Parlament sich hier jeder Mauschelei oder Doppeldiplomatie enthalten muss.
Es stimmt, dass es eine Frage gibt, die ständig aufgeworfen wird, und zwar der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und die Zusammenarbeit Serbiens mit dem Gerichtshof. Jetzt hat Carla Del Ponte gerade die Alarmglocken geläutet oder zumindest etwas sehr ähnliches getan, indem sie eine konsequente Haltung fordert und die Europäische Union für alles heranzieht, was mit den Menschenrechten, sozusagen als Bedingung, zu tun hat, und ich glaube, sie hat nicht Unrecht.
Ich denke nicht wie Herr Lang, dass es einfach um die Verteilung von guten und schlechten Noten geht. Meiner Ansicht nach kann die Frage des Nationalismus, diese Kultur der Straffreiheit, bei der vier gesuchte Verbrecher – und keine kleinen Fische – noch immer frei in Serbien herumlaufen, nicht toleriert werden. Außerdem würde ich sagen, dass wir aus Erfahrung wissen, dass ein Land alles zu gewinnen hat, wenn es zu seiner Vergangenheit steht und seine Verbrechen eingesteht. Wir haben von Kroatien gefordert, große Anstrengungen zu unternehmen, und wir haben dies auch von Bosnien verlangt; und genau durch diese Anstrengungen war es uns nach dem Zweiten Weltkrieg möglich, Europa wieder aufzubauen.
All das betrifft den Kern dessen, was uns am teuersten ist. Das ist keine Sache der Notenverteilung, es ist das Herzstück unserer Werte und der Schlüssel zur Versöhnung auf dem Balkan. Abschließend würde ich, auch wenn wir nicht über den Kosovo diskutieren, hinzusetzen, dass uns der stellvertretende Ministerpräsident Djelic, der vor einigen Wochen das Europäische Parlament besucht hat, erneut bestätigt hat, dass sein Land, gleich welche Entwicklung das Kosovo nimmt, nicht beabsichtigt Waffen einzusetzen. Ich erinnere an diese Worte und hoffe, ohne diese mit dem Bericht Kacin zu verbinden, dass dieser Appell von seinem Volk gehört worden ist.
Andrzej Tomasz Zapałowski (UEN). – (PL) Herr Präsident! Mir ist die negative Haltung aufgefallen, die einige europäische Länder Serbien gegenüber in den letzten Jahren eingenommen haben. Serbien wird als das Land wahrgenommen, das Russlands Balkan-Politik umsetzt. Ein anderer Aspekt ist jedoch weitestgehend unberücksichtigt geblieben. Serbien liegt an einer der Hauptstraßen für die Ausbreitung des Islams innerhalb Europas. Ich persönlich bin dafür, die bestmöglichen Beziehungen mit der Türkei und anderen muslimischen Staaten zu pflegen, aber es liegt nicht im Interesse Europas, eine fortwährende Beleidigung eines christlichen Landes zuzulassen, während muslimische Länder begünstigt werden. Das kann in Zukunft weit reichende Folgen für unseren Kontinent haben. Was besagte Region braucht, ist Stabilität, keine Aufstachelung zu rassistischen und religiösen Spannungen. Die anhaltende Demokratisierung des politischen Lebens in Serbien muss sicher von allen begrüßt werden.
Unsere Beziehungen zu Serbien sollten den Stolz und die nationale Tradition dieser Nation respektieren. Nur dann wird Serbien die Union anderen Mächten vorziehen und zugleich die Region stabilisieren.
Michael Gahler (PPE-DE). - Herr Präsident! Die Zukunft der ehemaligen jugoslawischen Republik Serbien liegt in Europa. Das gilt für alle Republiken des ehemaligen Jugoslawien. Wie für jeden potenziellen Kandidaten gibt es Voraussetzungen für den Beitritt zu dieser Wertegemeinschaft. Ich bin dem Berichterstatter deshalb nicht nur für seinen Bericht dankbar, sondern auch dafür, dass er in seiner Rede deutlich gemacht hat, welche die Konditionalitäten sind. Die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ist in der Tat eine Vorbedingung für die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens. Für mich ist es schwer erträglich, mir vorzustellen, dass Kriegsverbrecher wie Mladić und Karadžić noch über viele Sympathisanten, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Polizei, Militär und bei vielen Funktionsträgern in Serbien verfügen, also bei Personen, mit denen man bald über die Annäherung an die EU verhandeln soll.
Vergangenheitsbewältigung ist keine formelle Voraussetzung für eine Annäherung an die EU, wäre aber eine Erleichterung für die Serben, ihre unmittelbaren Nachbarn und die EU insgesamt.
Auch die Kosovofrage ist formell separat zu betrachten. Aber ich halte die Politik der nationalistischen Verweigerung nicht für hilfreich. Ich halte es auch für falsch, sich ein russisches Veto im Sicherheitsrat durch großzügigen Verkauf von Schlüsselunternehmen an russische Unternehmen zu erkaufen. Am Ende – so ist wohl das Kalkül in Belgrad – erwartet man von der EU Kompensation in Form des Stabilitäts- und Assoziierungsabkommens für Konzessionen, die man in der Kosovofrage gar nicht gemacht hat. Das wird sich nach dem 10. Dezember zeigen.
Ich unterstütze daher ausdrücklich die Haltung des Kollegen Lagendijk. Der Grad der Kooperation in der Kosovofrage ist für die Annäherung an die EU also entweder eher hilfreich oder eher hinderlich. Das sollte man in Belgrad zur Kenntnis nehmen.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr haben sich in Serbien einige einschneidende Veränderungen vollzogen, die nach meiner Überzeugung auch erfolgreich ausgehandelt wurden.
Der schwierige und schmerzhafte Auflösungsprozess der Staatenunion Serbien und Montenegro wurde erfolgreich abgeschlossen. Es fanden faire und freie Parlamentswahlen statt, und es wurde eine neue proeuropäische Regierung gebildet. Darauf folgte ein beträchtliches und dringend benötigtes Wirtschaftswachstum.
Nach 13-monatiger Unterbrechung wurden die Verhandlungen zwischen der serbischen Regierung und der EU über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) wieder aufgenommen. Es besteht die realistische Aussicht, dass die Unterzeichnung des SAA in naher Zukunft erfolgen kann. Dies wäre ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft Serbiens. Wie heute bereits mehrmals erwähnt wurde, ist die Zusammenarbeit Serbiens mit dem IStGHJ eine Voraussetzung dafür. Ich bin zuversichtlich, dass morgen und übermorgen im Laufe des Besuchs von Carla del Ponte in Belgrad wenigstens einige der Hindernisse, wie zum Beispiel der eingeschränkte Zugang zu Archivunterlagen in Ministerien, überwunden werden.
In meinem kurzen Redebeitrag gehe ich heute nicht auf den Kosovo ein, weil wir den Bericht über Serbien erörtern. Wohl aber möchte ich Serbien wegen seines verantwortungsvollen und proaktiven Verhaltens und seiner Zusammenarbeit im Rahmen regionaler Initiativen wie des Stabilitätspakts und der CEFTA (Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen) Lob aussprechen. Diese Zusammenarbeit ist der Beweis für das eindeutige Interesse Serbiens an der Entwicklung und Aufrechterhaltung guter Beziehungen mit seinen regionalen Nachbarn.
Ryszard Czarnecki (UEN). – (PL) Herr Präsident! Serbien ist ein europäisches Land, das in den letzten Jahren einen beträchtlichen Fortschritt in Richtung Integration in die Europäische Union gemacht hat. Natürlich könnte man eine ganze Reihe von Problemen anführen, die in Serbien tatsächlich nicht größer sein können als in Albanien oder in Bosnien-Herzegowina, auch wenn es auch so aussieht, als würden wir im Falle der beiden Letztgenannten die Augen verschließen.
Ich bin der Auffassung, dass wir ein Anreizsystem für Serbien entwickeln sollten, um es zu ermutigen, noch vehementer danach zu streben, die europäischen Standards zu erfüllen. Dennoch sollte das Ziel, nämlich die Europäische Union, klar sichtbar sein. Sicher ist an dem, was Herr Gahler über die Beziehungen zwischen Russland und Serbien gesagt hat, etwas Wahres dran. Serbien muss deutlich gemacht werden, dass es in die Europäische Union gehört und dass es leichter für uns wird, mit Serbien zu arbeiten, wenn es in der Union ist, und nicht außen vor. Das ist für mich ganz klar.
Marcello Vernola (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, dass die serbischen Behörden bei der Kooperation mit der Anklägerin Carla Del Ponte mehr Engagement zeigen müssen, um sicherzustellen, dass die Kriegsverbrecher gefasst werden. Wir sind uns alle einig, dass dies eine Voraussetzung für die Sicherheit auf dem gesamten Balkan und in der ganzen Europäischen Union sowie eine rechtliche und moralische Verpflichtung ist.
Wir müssen auch darauf achten, dass die serbische Regierung ihre Zusage zu einem Klima der friedlichen Koexistenz aller in diesem Land lebenden ethnischen Gruppen erneuert. Das Innenministerium ergreift bereits seit 2004 Initiativen, um Zwischenfälle zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in Vojvodina zu verhindern und zu kontrollieren. Nichtsdestoweniger müssen die Einbeziehung der Minderheiten in das gesellschaftliche Leben und ihre Vertretung in den Institutionen gefördert werden.
Wir sind alle für eine alsbaldige Festlegung des Status des Kosovo im Dezember. Dessen ungeachtet werden viele Probleme nach wie vor ungelöst sein, angefangen damit, dass gegen das albanische organisierte Verbrechen, das den gesamten geografischen Raum einschließlich der Grenzregionen zu Mazedonien und Albanien destabilisiert und somit die Sicherheit auf dem Balkan insgesamt stark gefährdet, hart vorgegangen werden muss.
Wir dürfen den Kosovo nicht seinem Schicksal überlassen. Wir müssen fordern, dass die Sicherheit auf dem gesamten Balkan durch eine anhaltende Präsenz der Europäischen Union gewährleistet wird. So gesehen würde ein beschleunigter EU-Beitritt Serbiens die Region stabilisieren, nicht zuletzt mit Blick auf den illegalen Handel in allen nur möglichen und vorstellbaren Bereichen: Illegaler Handel ist auf dem gesamten Balkan weit verbreitet, beginnend im Umweltsektor.
Wir müssen an Serbien appellieren, umgehend zu handeln und im Hinblick auf Energie, Wasseraufbereitung und einen integrierten Abfallkreislauf eine eigene Umweltpolitik einzuführen, um zu verhindern, dass das organisierte Verbrechen auch in diesem Bereich seine Hände im Spiel hat.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (HU) Herr Präsident! Der Bericht von Herrn Kacin markiert einen Wendepunkt in der Einstellung des Europäischen Parlaments. Lange Zeit lobte das Europäische Parlament ganz einseitig die Albaner und rügte die Serben in jeder Erklärung, die es zum Kosovo abgab. Mit dem Bericht haben wir wenigstens einmal ein glaubhaftes, objektives Bild von Serbien, und dies ist deshalb so wichtig, weil wir sicherstellen müssen, dass Serbien nicht länger die Rolle des Sündenbocks zugeschrieben wird, auf dem immer herumgehackt wird. Das soll natürlich nicht heißen, dass Serbien sich nicht eines Tages mit den Verbrechen aus der Milošević-Zeit auseinandersetzen muss, genauso wie die Kosovo-Albaner und jedes Volk sich mit seinen Verbrechen aus der Vergangenheit auseinandersetzen müssen.
Es ist richtig und angebracht, dass wir Serbien näher an die Europäische Union heranführen, und ich stimme zu, dass Visa-Erleichterungen dafür nicht ausreichend sind Wir sollten den Bürgern Serbiens eine visumsfreie Einreise ermöglichen, und es ist mindestens genauso wichtig, den Prozess zu beschleunigen, mit dem Serbien der Kandidatenstatus verliehen wird. Dann gibt es noch den Kosovo, der ein enormes Risiko darstellt. Schätzungen des Europarates zufolge wird erwartet, dass zirka 100 000 Flüchtlinge, serbische Flüchtlinie, den Kosovo verlassen werden, und es wird wohl die Vojvodina sein, die mit dieser Situation zurechtkommen muss.
Herrn Kacin gebührt Dank für seine vorgeschlagenen Änderungen, da diese ein objektives Bild der Prozesse zwischen den einzelnen ethnischen Minderheiten in Vojvodina abgeben, von den Grausamkeiten, die immer noch begangen werden, und von der Notwendigkeit, den Rechtsstatus der Nationalen Räte gesetzlich festzulegen, der Notwendigkeit einer proportionalen Vertretung von Minderheiten bei der Polizei und im Rechtssystem, und der Notwendigkeit, Rund- und Fernsehfunk für Minderheiten aufrechtzuerhalten und zu finanzieren. Zusammenfassend beglückwünsche ich Herrn Kacin: Serbien an die EU heranzuführen ist ein wichtiger Schritt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Kinga Gál (PPE-DE). – (HU) Frau Präsidentin! Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. Meine Damen und Herren, ich begrüße diesen Bericht und bin der Meinung, dass die von der Kommission angenommene Version eine ganz besonders gute und ausgewogene Version ist. Die Aussichten Serbiens hinsichtlich der EU sind für Ungarn ganz besonders wichtig. Wir haben ein grundlegendes Interesse daran, dass unser Nachbar so bald wie möglich, in diese Gemeinschaft aufgenommen wird. Das ist die einzige Alternative für eine Versöhnung im Gegensatz zu Konflikten zwischen den einzelnen Minderheiten, Krieg und Diskriminierung und Erniedrigung von Menschen, weil sie eine andere Sprache sprechen oder ihre Bräuche zufällig andere sind
Wir stehen dem Schicksal der ungarischen Minderheit in Serbien offenkundig nicht gleichgültig gegenüber, und wir haben in der Tat einige Anstrengung unternommen, um das Thema der Vojvodina auf der europäischen Tagesordnung zu halten. Es gibt da etwas ganz Wichtiges, und ich bin froh, dass dieser Punkt auch in dem Bericht enthalten ist, und zwar geht es darum, die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit zu lenken, den multiethnischen Charakter der Vojvodina, der sich über viele Jahrhunderte entwickelt hat, aufrechtzuerhalten. Die Grundlage für diese Multiethnizität ist das Nebeneinanderleben von unterschiedlichen ethnischen Gruppen, und zwar des Nebeneinanders, das nicht auf Schweigen und Erniedrigung sondern auf wahrer Gleichheit vor dem Gesetz und Chancengleichheit beruht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat dies dort leider noch nicht Einzug in den Alltag gehalten.
Ich glaube, es ist ganz besonders wichtig, das ethnische Gleichgewicht und die besonderen Eigenschaften der Region aufrechtzuerhalten, und meiner Meinung nach würde die Wiederansiedlung von serbischen Flüchtlingen in dieser Region die Chancen für das Aufrechterhalten dieses unsicheren Gleichgewichts aufs Spiel setzen und könnte einen Konflikt zwischen den ethnischen Minderheiten verschärfen. Wir haben in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl solcher hässlichen Beispiele gesehen. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Fall lenken, der bis zum heutigen Tage ungeklärt ist: und zwar das Schicksal zweier Jugendlicher ungarischer Ethnizität, die in einem ganz eindeutigen Fall von ethnischer Diskriminierung in Temerin ein unangemessen hohes Strafmaß erhalten haben. Zusammenfassend können wir sagen, dass die Balkanstaaten deshalb die Europäische Union brauchen, da der Geist, die Grundsätze und das institutionelle System der Europäischen Union, sowie die Tatsache, dass es kohärent ist – und ich betone Letzteres ganz besonders – ein Leben hervorbringen können, das lebenswert ist. Vielen Dank.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Natürlich habe ich diese Aussprache mit großem Interesse verfolgt und die Anregungen und Bedenken zahlreicher Abgeordneter zur Kenntnis genommen.
In diesem Fall scheint mir das Ergebnis dieser Aussprache eindeutig zu sein: Nur wenn wir Serbien eine wirkliche europäische Perspektive in Aussicht stellen, können Frieden, Stabilität und Fortschritt in diesem Land sowie auf dem gesamten westlichen Balkan verwirklicht werden. Dies steht außer Frage, denn der Rat hat wiederholt bekräftigt, dass die Zukunft Serbiens zweifellos in seiner künftigen EU-Mitgliedschaft liegt.
Wir alle wissen, dass zu diesem Vorhaben auch Bedingungen gehören. Es müssen natürlich Bedingungen an die innenpolitische Entwicklung in Serbien sowie an die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Werte geknüpft werden. Diese Bedingungen beziehen sich ferner selbstverständlich auch auf die umfassende Zusammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Serbien hat sich bereits ausgiebig um eine Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof bemüht. Uns allen ist bekannt, dass weitere Maßnahmen und Schritte erforderlich sind. Ich vertraue jedoch darauf und möchte die serbischen Behören dazu ermutigen, dass sie bis zum Abschluss dieses Prozesses in der Lage sein werden, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit aus dieser Zusammenarbeit eine umfassende Zusammenarbeit werden kann.
Als Europäische Union müssen wir Serbien unterstützen. Unseres Erachtens wäre es ein strategischer Fehler, das Land und seine Bürger ohne Anhaltspunkte, Perspektiven oder Pläne sich selbst zu überlassen. Diesen strategischen Fehler dürfen wir nicht begehen und müssen alles dafür tun, um ihn zu vermeiden.
Natürlich bin auch ich über die größere Freizügigkeit serbischer Staatsbürger innerhalb des europäischen Raums erfreut. Hier müssen wir anknüpfen. Es konnten bereits Ergebnisse erzielt werden, und diese und andere Initiativen sind mit Nachdruck zu begrüßen.
Ferner müssen wir der serbischen Jugend Zukunftsaussichten bieten, denn vor allem durch sie und mit ihnen kann ein demokratisches Serbien entstehen, das unsere Werte und Grundsätze uneingeschränkt teilt und eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebt.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. – (FI) Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen für die objektive und verantwortungsvolle Debatte sowie dem Berichterstatter für seinen sehr sachlichen Bericht. Aus der Diskussion lässt sich schließen, dass es einen breiten Konsens im Parlament und in der gesamten Union darüber gibt, dass die Zukunft Serbiens in der Europäischen Union liegt und dass die Tür zur Europäischen Union Serbien offen stehen wird, wenn das Land die Bedingungen dafür erfüllt und seine Regierung über die Instrumente verfügt, Serbien nach Europa zu führen. Die Mehrheit der serbischen Bürger unterstützt und befürwortet diese Entwicklung.
Die serbische Regierung befindet sich nun sehr stark in der Rolle eines Wachpostens: Sie hält die Schlüssel in ihren Händen. Ich hoffe, dass die serbische Regierung von ihren Schlüsseln jetzt Gebrauch macht und den Willen des serbischen Volkes umsetzt – den Wunsch der Serben, sich auf die Europäische Union zuzubewegen. Seien Sie versichert, dass wir die in dem Bericht enthaltenen Auffassungen berücksichtigen werden, und dass wir sie auch in unseren eigenen Fortschrittsbericht aufnehmen.
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen, Donnerstag, den 25. Oktober 2007, statt.
13. Stand der Beziehungen EU-Afrika (Aussprache)
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von Maria Martens im Namen des Entwicklungsausschusses zum Stand der Beziehungen EU-Afrika (2007/2002(ΙΝΙ)) (Α6-0375/2007).
Maria Martens, Berichterstatterin. – (NL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Wir diskutieren über den Bericht über den Stand der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Afrika, in dem eine von Afrika und Europa geteilte Vision in Bezug auf die zukünftige Zusammenarbeit zur Förderung der Entwicklung in Afrika und Bekämpfung der Armut beleuchtet wird. Diese Strategie muss mehr, als lediglich die gegenwärtige Politik zu verteidigen. Es geht um eine Vision, die auf gemeinsamen Werten und Prinzipien basiert, auf gegenseitigem Respekt, um eine Vision, die auf das Wohlergehen der Menschen gerichtet ist.
Afrika und Europa haben eine lange gemeinsame Geschichte, die Beziehungen zwischen ihnen haben sich allerdings wirklich verändert: Sie dürfen nicht länger eine Einbahnstraße sein. Es geht nunmehr um eine gleichberechtigte Partnerschaft und darum, gemeinsame, beide Kontinente betreffende Probleme wie beispielsweise Sicherheit, Handel, Migration und Klimawandel, anzugehen.
Die Europäische Union hat im Jahr 2005 eine Europäische Strategie für Afrika entwickelt. Damals war ich ebenfalls die Berichterstatterin. Unserer Meinung nach hatte diese Strategie zwei bedeutende Fehler: Es war eine Strategie, die zu sehr für Afrika war, allerdings ohne Afrika zu involvieren, und das Parlament und die Zivilgesellschaft waren an der Entwicklung dieser Strategie nicht hinreichend beteiligt. Ich freue mich darüber, dass wir jetzt über eine gemeinsame Strategie EU-Afrika sprechen, und dass das Parlament und die Zivilgesellschaft dieses Mal stärker eingebunden werden. Diese Zusammenarbeit verheißt viel Gutes für die Zukunft.
Frau Präsidentin, diese Strategie sollte uns mit der Struktur und der Richtung für zukünftige gemeinsame Maßnahmen ausstatten. Die Bekämpfung der Armut und die Millenniums-Entwicklungsziele müssen dabei auch weiter im Mittelpunkt stehen. Obwohl die neuesten Zahlen zu den Millenniumszielen zu einem gewissen Grad optimistisch stimmen, müssen 41,1 % der Menschen in den afrikanischen Gebieten südlich der Sahara noch immer von einem Dollar am Tag leben. Diese Situation kann nicht allein durch Entwicklungshilfe verbessert werden. Es ist auch erforderlich, das Wirtschaftswachstum zu fördern.
Die zurzeit verhandelten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen könnten ein gutes Instrument dafür sein, vorausgesetzt – und diesen Punkt möchte ich hervorheben – ihr Herzstück ist eine nachhaltige Entwicklung und sie sind mehr als lediglich europäische Handelsabkommen. Mich würde sehr interessieren, was der Kommissar über den Stand der Dinge mit Blick auf eine mögliche Verschiebung der Frist vom 1. Januar 2008 sagt.
Frau Präsidentin, die afrikanischen Regierungen sind für die Entwicklung in ihren Ländern natürlich in erster Linie selbst verantwortlich. Sie sind sowohl politisch als auch wirtschaftlich unabhängiger geworden. Die afrikanische Entwicklung ist in vollem Gange, nicht zuletzt durch die Entstehung neuer Organe wie der NEPAD (neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas) und dem African Peer Review Mechanism. Europa war lange Zeit der einzige und exklusive Partner für finanzielle und politische Unterstützung. Andere Länder beginnen verstärkt, ihren Einfluss in und auf Afrika geltend zu machen: Schauen Sie sich z. B. China an. Wir können unsere Beziehung zu Afrika nicht länger als selbstverständlich betrachten.
Frau Präsidentin, in dem Bericht werden drei vorrangige Politikbereiche hervorgehoben: Frieden und Sicherheit, verantwortungsvolle Regierungsführung und Wirtschaftswachstum und Investitionen in Menschen. Was die europäischen Politikbereiche angeht, so wird in dem Bericht die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung einer größeren Kohärenz zwischen Entwicklungsmaßnahmen einerseits und anderen Politikbereichen wie Handel, Landwirtschaft und Migration andererseits, gelenkt. Nur wenn Europa seine Unterstützung kohärenter und besser koordiniert gestaltet und seiner finanziellen Verantwortung besser gerecht wird, kann die Entwicklungspolitik der Europäischen Union wirksamer und effizienter werden.
In Afrika sind Frieden und Sicherheit ein gewaltiges Problem. In dem Bericht wird die Bedeutung eines integrierten Ansatzes zur Lösung von Konfliktsituationen betont. Oberste Priorität in diesem Bereich sollte unsere Verantwortung sein, die Menschen zu schützen und einen Beitrag zur Verhinderung und Lösung von Konflikten sowie zum Wiederaufbau zu leisten. Eine verantwortungsvolle Regierungsführung, ein funktionierender Rechtsstaat und eine stabile Demokratie sind Voraussetzungen für Stabilität und Entwicklung. Der Aufbau von Kapazitäten in diesen Bereichen ist von lebenswichtiger Bedeutung. Wir unterstützen die Ambitionen der Kommission auf diesem Gebiet.
Frau Präsidentin, nach sieben Jahren wird im Dezember in Lissabon der zweite EU-Afrika-Gipfel stattfinden. Dort wird über die gemeinsame Strategie EU-Afrika und den Aktionsplan entschieden. Dabei steht eine Menge auf dem Spiel und es liegt in unser aller Interesse, dass dieser Gipfel ein Erfolg wird. Darüber hinaus sollten wir, wenngleich die Lage in Simbabwe Anlass zu großer Sorge ist, uns daran erinnern, dass dies ein europäisch-afrikanischer Gipfel und kein europäisch-simbabwischer Gipfel ist, dass es dort um einen Ansatz mit den Menschen als Mittelpunkt und nicht um eine Partnerschaft mit einem Präsidenten als Mittelpunkt geht.
Es ist gut, dass das Europäische Parlament und das Panafrikanische Parlament auf dem Gipfel die Möglichkeit haben werden, die Ansichten der Parlamente zu der gemeinsamen Strategie darzulegen. Die Delegationen des Panafrikanischen Parlaments und unseres Parlaments haben sich in der letzten Woche getroffen, um eine gemeinsame Erklärung auszuarbeiten. Ich hoffe, dass unsere Präsidenten sie auf dem Gipfel den Regierungschefs präsentieren können.
Frau Präsidentin, natürlich gibt es noch viel mehr dazu zu sagen, aber meine Redezeit ist, wie ich sehe, vorbei. Deshalb werde ich es dabei belassen, allerdings nicht, ohne meinen Kolleginnen und Kollegen und der Kommission für die sehr fruchtbare Zusammenarbeit zu danken.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, Frau Berichterstatterin! Im vergangenen Jahrzehnt haben sich Europa, Afrika und die Welt stark verändert. Die Europäische Union bildet mittlerweile einen Block aus 27 Mitgliedstaaten, die teils völlig unterschiedliche außenpolitische Prioritäten und Ansätze miteinander vereinen. Es stimmt zwar nicht ganz, dass der afrikanische Kontinent vernachlässigt wurde, wenn man bedenkt, auf welche Summe sich die öffentliche Entwicklungshilfe beläuft, die Europa diesem Kontinent zur Verfügung gestellt hat, gleichwohl können wir von einem strategischen Vakuum in den Beziehungen zwischen Europa und Afrika sprechen. In den vergangenen Jahren sind die negativen Folgen dieses Vakuums deutlicher zu Tage getreten. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind sich mittlerweile der Notwendigkeit bewusst, die Beziehungen zu Afrika auf eine neue Ebene zu bringen, und mit dem zweiten EU-Afrika-Gipfel bietet sich eine hervorragende Gelegenheit, diesen Wunsch in aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen.
Es gibt zahlreiche Gründe, warum die Bedeutung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Afrika neue Anerkennung findet. Es hat sich das Bewusstsein durchgesetzt, dass alle globalen Herausforderungen wie Frieden und Sicherheit oder Welthandel ein konzertiertes Handeln der Weltgemeinschaft erfordern, wodurch sich das Entstehen neuer Zusammenarbeitsformen begründet; es wird nach Lösungen für Probleme gesucht, die sowohl Europa als auch Afrika betreffen, darunter insbesondere die Auswirkungen des Klimawandels, die Bewirtschaftung der Energieressourcen und die Steuerung der Migrationsströme, der Wunsch Afrikas, gemeinsame Probleme zusammen anzugehen und das Erfordernis der Anpassung an spezifische internationale geopolitische Veränderungen.
Diese neue Beziehung zwischen der EU und Afrika wird in den Dokumenten dargelegt, die wir hoffentlich im Verlauf der Dezember-Tagung verabschieden können: die gemeinsame Strategie EU-Afrika, der dazugehörige erste Aktionsplan und, so hoffen wir, die Erklärung von Lissabon. Diese Dokumente spiegeln den besonderen Charakter der Beziehungen zwischen Europa und Afrika wider. Sie legen einen Ansatz dar, der einerseits vorrangig auf multilaterale Instrumente zurückgreift und mit dem wir andererseits den zahlreichen Aspekten unserer Beziehungen umfassender begegnen wollen. Auf diesen Ansatz kann die EU im Unterschied zu anderen internationalen Akteuren verweisen. Die Anerkennung Afrikas als strategischer internationaler Partner zeigt sich zudem in der Methode, die bei den Vorbereitungen des Gipfels und der zur Abstimmung stehenden Dokumente zum Einsatz kam. Während die EU-Afrika-Strategie lediglich für die Union verbindlich ist, sind die neue Strategie – erstmals eine gemeinsame Strategie – und der Aktionsplan das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit unseren afrikanischen Partnern.
Die Dokumente für den Gipfel wurden vom ersten Tag an von einer gemeinsamen Fachgruppe erarbeitet, und wir hoffen, dass sie auf dem für den 31. Oktober geplanten 8. Troika-Ministertreffen EU-Afrika in einem Verfahren, an dem auch Nichtregierungsorganisationen und die afrikanischen und europäischen Zivilgesellschaften beteiligt sind, unterstützt wird. Die gemeinsame Strategie und der erste Aktionsplan sind also das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen. Demzufolge entspricht ihr gegenwärtiger Wortlaut vielen der in dem ausgesprochen umfassenden Bericht von Frau Martens formulierten Bedenken und Anregungen.
Die sowohl in der Gemeinsamen Strategie als auch im Entwurf des Aktionsplans genannten Partnerschaften zwischen der Europäischen Union und Afrika müssen Fragen von gemeinsamem Interesse zum Gegenstand haben. Zu ihren Hauptkriterien muss es gehören, der gegenwärtig bestehenden Zusammenarbeit und dem politischen Dialog einen Mehrwert zu verleihen sowie unserer Ansicht nach eine positive Wirkung auf den Alltag der Europäer und Afrikaner zu gewährleisten. Mit den von uns angestrebten Partnerschaften soll zudem ein Ausgleich zwischen den Verpflichtungen beider Seiten geschaffen werden, um der einseitigen und hilfsorientierten Logik der Beziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten (Afrika, karibischer Raum und Pazifischer Ozean) entgegenzuwirken.
Die Erfahrung hat zudem gezeigt, dass politische Zusagen von Umsetzungs- und Kontrollmechanismen begleitet werden müssen, damit mehr als nur gute Absichten daraus werden. Zwischen den Gipfeltreffen und parallel zu den regelmäßigen Treffen zwischen den beiden Kommissionen besteht nun die Möglichkeit, bei Bedarf zusätzliche sektorbezogene Ministertreffen abzuhalten. Ein tatsächlicher Wandel in den Beziehungen zwischen der EU und Afrika kann allerdings nur herbeigeführt werden, wenn dieser Prozess tatsächlich auch von vielen anderen Akteuren übernommen wird.
In diesem Zusammenhang wollen wir informelle gemeinsame Expertengruppen für die Umsetzung der einzelnen Partnerschaften ins Leben rufen. Diese werden zahlreichen Interessengruppen wie europäischen und afrikanischen Parlamenten, lokalen Behörden, der europäischen und afrikanischen Zivilgesellschaft, afrikanischen subregionalen Organisationen, Forschungsinstituten, spezialisierten internationalen Organisationen und Instituten sowie dem Privatsektor offen stehen. Gleichzeitig werden die Zusammenarbeit und der Dialog zwischen dem Panafrikanischen Parlament und diesem Hohen Haus ausgedehnt, und diese Institutionen werden ferner als Kanäle für die Ausführung der Gemeinsamen Strategie und des Aktionsplans dienen.
Auch wenn derart grundlegende Veränderungen nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen können, stehen wir an einem Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den beiden Kontinenten. Unsere Aufgabe besteht nun darin, diese Gelegenheit umfassend zu nutzen, indem wir mit der Umsetzung dieser neuen strategischen Vision für einen Dialog zwischen der EU und Afrika beginnen. Mit diesem Ziel vor Augen und mit Vertrauen und in dem Bewusstsein, dass wir das Notwendige tun, wollen wir im Dezember in Lissabon den nächsten EU-Afrika-Gipfel abhalten.
Louis Michel, Mitglied der Kommission. − (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Frau Martens meinen Glückwunsch und meinen Dank für ihren hervorragenden Bericht aussprechen, der verschiedene Fragen aufwirft und nützliche Lösungswege vorschlägt. Er bietet uns sicherlich eine Inspirationsquelle als Beitrag des Parlaments zu einem Thema, das äußerst wichtig ist und einen neuen Ansatz erfordert, nämlich die Beziehungen zwischen der EU und Afrika.
Wie Sie wissen, wird das Jahr 2007 ein besonderes Jahr für die Zukunft der Beziehungen zwischen Europa und Afrika sein. Fünf Jahre nach dem Aufschub des Lissabonner Gipfels von 2003 und nicht weniger als sieben Jahre nach dem ersten Europa-Afrika-Gipfel im Jahr 2000 in Kairo scheint es mir dringend geboten, diese Beziehung auf einer neuen Grundlage neu zu definieren. Afrika hat in den letzten Jahren einen tief greifenden Wandel erfahren und sich mit einer kontinentalen institutionellen Architektur ausgestattet, die unserer in vielerlei Hinsicht ähnelt. Die neue Institution Afrikanische Union muss nun gestärkt und gefestigt werden. Diese Institution hat in Schlüsselbereichen wie sozioökonomische Entwicklung, Frieden und Sicherheit sowie gute Regierungsführung ehrgeizige Politiken für den Kontinent ausgearbeitet, die alle eindeutig unsere Unterstützung und Anerkennung verdienen.
Afrika hat nun eindeutig eine internationale Dimension angenommen. Hier denke ich an die von Frau Martens erwähnte Vielfältigkeit seiner Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft, und ich denke beispielsweise an Chinas neue Rolle und dessen Einfluss auf Investitionsvorhaben auf diesem Kontinent. Ich denke natürlich auch an die globalen Herausforderungen, die Afrika wie alle anderen globalen Akteure zu bewältigen hat, das heißt, Klimawandel, Energieversorgung, Reform der multilateralen Institutionen, Pandemierisiko, Migration und so weiter, und es ist klar, dass Afrika sich Gehör verschaffen muss, dass es seinen Einfluss geltend machen und vor allem seine Rechte wahrnehmen muss. Denn schließlich sind diese globalen Herausforderungen, die ich gerade genannt habe, auch die unseren. All diese Herausforderungen und Fragen sind uns gemein, und darüber hinaus unterstreichen sie die gegenseitige Abhängigkeit, die zwischen Europa und Afrika besteht. Denn wir haben dasselbe Schicksal.
Eine gemeinsame Strategie mit einer stärkeren politischen Ausrichtung könnte bedeutende Auswirkungen für Afrika, Europa und ich würde sogar sagen, den Rest der Welt, haben. Die beiden Kontinente müssen sich daher dringend einen neuen Rahmen mit neuen Instrumenten schaffen, um den Dialog zwischen Europa und Afrika auf die höchste Ebene zu heben. Die gemeinsame EU-Afrika-Strategie, die wir in den letzten Monaten mit unseren afrikanischen Partnern ausgearbeitet haben, soll diesen Rahmen schaffen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir unserer traditionellen auf Solidarität beruhenden Beziehung den Rücken kehren. Stattdessen müssen wir einen qualitativen Sprung machen, um bei den Beziehungen zwischen der EU und Afrika eine neue Ära einzuläuten, in der sich zwei Partner mit gleichen Rechten und Pflichten gegenüber stehen.
Dies sind die Anliegen, die im Bericht sehr gut herausgearbeitet wurden, und ich kann die wichtigen neuen Ideen, die das Parlament zur Überwachung und Unterstützung dieser Strategie und der sich daraus ergebenden Aktionspläne vorgebracht hat, nur befürworten. Im Hinblick darauf halte ich die Bildung einer gemeinsamen Delegation des Europäischen Parlaments und des Panafrikanischen Parlaments für wesentlich zur Ergänzung der institutionellen Architektur, die aufgebaut werden muss. Dem würde ich regelmäßige Treffen zwischen den Präsidenten dieser beiden Institutionen hinzufügen, sowie die gemeinsame Organisation von Anhörungen und die ebenfalls gemeinsame Ausarbeitung politischer Berichte zur Erläuterung der erzielten Fortschritte. All dies wird von wesentlicher Bedeutung sein, damit der Prozess nicht an Schwung verliert, und um ihm die für den Erfolg notwendige politische Vitalität zu verleihen.
Wir sind uns bewusst, dass dieser Ansatz auch starke und stabile Institutionen auf Seiten der Afrikanischen Union erfordert, Organe, die zur Aktion und zur Interaktion mit den unseren fähig sind. Genau mit diesem Ziel sollten wir die Afrikanische Union weiterhin beim Umbau und bei der Stärkung ihrer Institutionen unterstützen. Als erste konkrete Bestätigung dieses Engagements freue ich mich, ankündigen zu können, dass der erste vom Panafrikanischen Parlament vorgelegte Aktionsplan mit einem Betrag in Höhe von 275 000 Euro aus dem Programm zur institutionellen Förderung unterstützt wird, das derzeit aus dem neunten Europäischen Entwicklungsfonds finanziert wird. Dies war eines der konkreten Anliegen, die vom Ausschussvorsitzenden Borrell an mich herangetragen wurde.
Ich hoffe, dass diese erste finanzielle Unterstützung es dem Panafrikanischen Parlament ermöglichen wird, sich voll an der Initiative zu beteiligen, die Sie im Hinblick auf die Organisation einer gemeinsamen parlamentarischen Veranstaltung im Vorfeld des Lissabonner Gipfels im Dezember ergriffen haben, damit die Ergebnisse Ihrer Arbeit dann bei diesem Gipfel den Staats- und Regierungschefs vorgestellt werden können.
Schließlich stellen, wie ich wiederholt betont habe, die Einbeziehung und das Engagement der Zivilbevölkerung unserer beiden Kontinente und ihrer gewählten Volksvertretungen einen wesentlichen Faktor für das Gelingen eines echten Dialoges und einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika dar. Wir neigen vielleicht manchmal dazu, es zu vergessen, aber wir sprechen hier über die gemeinsame Zukunft von 1,5 Milliarden Menschen, und eben diese sind die wichtigsten Akteure der Partnerschaft, die wir jetzt aufbauen.
Frau Martens, ich bin ganz Ihrer Meinung, was die Notwendigkeit der Koordinierung angeht; aus diesem Grund haben wir den Verhaltenskodex vorgeschlagen, der für eine bessere Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Geberländern sorgen und folglich zur Harmonisierung führen soll. Ich denke, dass wir in dieser Hinsicht konsequent waren, weil wir, wie Sie wissen, im zehnten Europäischen Entwicklungsfonds einen besonderen Betrag für Regierungsführung vorgesehen haben, die einen der Aspekte – und sicherlich einen sehr wichtigen – des politischen Dialogs darstellt, den wir mit unseren afrikanischen Partnern aufbauen möchten. Was die WPA (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen) betrifft, bin ich sicher, dass ich nach Ihren Redebeiträgen auf Fragen zu antworten habe. Ich werde meine Antwort also für die Redebeiträge aufsparen, um jetzt nicht zuviel zu sagen und folglich zuviel Zeit in Anspruch zu nehmen.
Abschließend möchte ich auf etwas eingehen, das der Ratspräsident bereits hervorgehoben hat: Die Bedeutung des EU-Afrika-Gipfels ist unbestreitbar. Es ist jetzt Zeit für ein solches Gipfeltreffen, da eine Richtungsänderung geboten ist. In gewisser Hinsicht geht es darum, die Art der Beziehungen zwischen unseren beiden Kontinenten neu zu bestimmen. Wir müssen die traditionelle – man könnte auch sagen, ein wenig banale – Beziehung, diese ziemlich archaische Partnerschaft zwischen Empfänger und Geber oder Geber und Empfänger hinter uns lassen und eine Verbindung anstreben, die stärker politisch geprägt ist, bei der beide Seiten über die gleichen Rechte und Pflichten verfügen. Mir erscheint dies weitaus wichtiger. So, das wäre es vorerst, und ich bin sicher, dass ich auf einige dieser Punkte zurückkommen werde, wenn Sie die Gelegenheit hatten, mir konkretere Fragen zu stellen.
Michel Rocard (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, dessen Stellungnahme ich vortrage, befürwortet all diese Anstrengungen. Er sorgt sich um Afrika und unterstützt alles, was gesagt wurde. Er fragt sich nur, ob wir kühn genug sind.
Was wir – obwohl in unserem Bericht angedeutet – nicht schreiben können, ich jedoch sagen kann, ist, dass beim Thema Afrika viel politisch korrekte und erstickende Heuchelei im Spiel ist, von der wir uns lösen müssen, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Wenn wir Afrika Entwicklungsmöglichkeiten bieten wollen, indem wir unsere Märkte für seine Produkte öffnen, müssen wir bedenken, dass etwa 40 afrikanische Länder gar nichts zu exportieren haben. Diese Parole ist einfach unehrlich. Kein einziges afrikanisches Land ist unabhängig, was die Lebensmittelversorgung angeht. Sie müssen importieren, um zu essen, und es sind unsere Exporte und die aus Brasilien, die die lokale Subsistenzlandwirtschaft zerstören. Wir müssen Afrika helfen, sich selbst zu schützen. Das ist die Botschaft, die wir in dem Bericht wiederholt haben.
Natürlich wirkt sich die Korruption zerstörerisch auf Afrika aus. Aber diese Plage ist in extrem armen Ländern endemisch. Wir müssen daher mit den dicken Fischen beginnen und uns auf diese konzentrieren. Das bedeutet, auf die üblichen Verdächtigen, auch wenn es sich dabei um Minister handelt, und auf die Bestecher in unserem eigenen Lager. Die Korruption im kleinen Maßstab wird erst mit der wirtschaftlichen Entwicklung verschwinden. Klagen wir sie nicht wegen derselben Dinge an, die wir selbst vor ein paar Jahrhunderten getan haben, denn unsere Expansion und Entwicklung haben sich anfangs auch auf Korruption gestützt.
Schließlich kann aus einer Diktatur keine Demokratie werden, auch nicht durch Handel und Entwicklungshilfe. Aus ihr kann jedoch ein aufgeschlossener Despotismus werden. Das Ende von Folter und Entführungen, freie Meinungsäußerung, unabhängige Gerichte und deren Kontrolle über die Polizei haben alle Vorrang vor den pluralistischen Wahlen, die nur dem Westen zuliebe durchgeführt werden und während derer ständig Menschen entführt und Journalisten und Wahlkandidaten ermordet werden. Die Bedingungen, die wir stellen, sollten diese Faktoren berücksichtigen. Es gibt zu diesem Thema noch viel zu sagen.
Filip Kaczmarek, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Frau Martens hat einen hervorragenden Bericht erarbeitet, den der Entwicklungsausschuss einstimmig angenommen hat. Afrika und Europa beginnen zum allerersten Mal, langsam in einer Partnerschaft zu arbeiten und ein gemeinsames Konzept für die Entwicklung der Demokratie, die Unterstützung der Entwicklung und die Stärkung des Friedens und der Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent zu entwickeln. Ich teile die Hoffnung der Vertreter des Rates und der Kommission, dass dieser Bericht sich im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels in Lissabon als eine gute Quelle der Inspiration erweisen wird. Viele der Bestimmungen in dem Bericht und vor allem deren Umsetzung sind für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Europa und Afrika äußerst wichtig. Es wird schwer sein, unsere gegenseitigen Beziehungen voranzubringen, wenn es uns nicht gelingt, die zahlreichen EU-Politiken wie die Handels-, die Entwicklungs-, die Umweltschutz-, die Agrar- und die Migrationspolitik voranzubringen.
Ferner ist es wichtig, die Entscheidungen und Zusagen der Vergangenheit zu würdigen. Der Rat der Europäischen Union hat im Jahr 2005 festgelegt, dass die afrikanischen Länder mindestens 50 % mehr Entwicklungshilfe erhalten sollen. In meinem Heimatland Polen ist die Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass im vergangenen Jahr gerade noch 1,4 % der polnischen bilateralen Beihilfen in südlich der Sahara gelegene Länder geflossen sind. Die Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten das geänderte Abkommen von Cotonou und die interne Vereinbarung über den 10. Europäischen Entwicklungsfonds nur schleppend ratifiziert haben, gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. Nach dem derzeitigen Stand hat lediglich die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten das Partnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten (Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean), das am 1. Januar 2008 in Kraft treten soll, ratifiziert.
Wenn es nicht von allen ratifiziert wird, wird es sehr schwer werden, afrikanische Programme fortzusetzen und die Pläne zur Unterstützung Afrikas werden nichts als Pläne bleiben. Daher ersuche ich die Abgeordneten dieses Hauses, Druck auf ihre nationalen Parlamente und Regierungen auszuüben, um sicherzustellen, dass das überarbeitete Abkommen von Cotonou ratifiziert wird.
Alain Hutchinson, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar! Die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament hat stets entschieden das Prinzip unterstützt, dass die direkt betroffene Bevölkerung über die Entwicklungsstrategien bestimmen sollte, damit ihre Prioritäten wirklich berücksichtigt werden.
In diesem Bericht haben wir daher natürlich betont, dass die nationalen Parlamente und die Zivilgesellschaft in die neue EU-Afrika-Strategie einbezogen werden müssen. Diese Einbeziehung fehlte größtenteils bei den derzeit laufenden Vorbereitungen für diese neue Strategie, mit der die Schaffung einer neuartigen strategischen Partnerschaft angestrebt wird. Wir müssen dies dringend korrigieren. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Initiative des portugiesischen Vorsitzes sehr, Delegationen des Europäischen und des Panafrikanischen Parlaments zur Teilnahme am Dezember-Gipfel in Lissabon einzuladen. Hoffen wir, dass dies nicht nur eine symbolische Geste ist.
Wir haben auch betont – und Frau Martens hat dies gerade erwähnt –, dass es eine wirkliche Kohärenz zwischen den verschiedenen europäischen Politiken geben muss. Dies bedeutet, dass beispielsweise bei der Annahme der im Rahmen unserer Handels-, Landwirtschafts-, Fischerei- und Einwanderungspolitik getroffenen Maßnahmen jegliche Auswirkungen berücksichtigt werden müssen, die diese für die Entwicklung der Länder des Südens und insbesondere Afrikas haben können.
Wir haben auch daran erinnert, dass die Europäische Union versprochen hat, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, und alle erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut zu ergreifen. Angesichts dessen betonen wir nachdrücklich, dass in dieser neuen EU-Afrika-Strategie die damit eingegangenen Verpflichtungen klar dargelegt und die konkreten Maßnahmen zu deren Erfüllung im Hinblick auf Afrika genau festgelegt werden sollten.
Was die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen anbelangt, ist unsere Haltung sehr klar: Wir sind in keiner Weise – weder ideologisch, noch anderweitig begründet – gegen die Unterzeichnung von Abkommen zur Festschreibung der Bedingungen einer Partnerschaft, die für die Europäer und die Völker der AKP-Staaten gleichermaßen von Nutzen wäre. Wir werden uns jedoch vehement gegen jegliches Abkommen aussprechen, das nach seiner Unterzeichnung insbesondere die Völker Afrikas in eine Lage versetzt, die weniger vorteilhaft ist als ihre jetzige. Das ist der Zweck unseres Änderungsantrags.
Schließlich möchte ich hervorheben, dass wir zur Stunde immer noch nicht den Wortlaut kennen, der beim kommenden Lisabonner Gipfel vorgestellt werden soll. Sie haben uns unterrichtet, dass das betreffende Dokument gerade ausgearbeitet werde. Wir werden also sehr genau darauf achten, inwieweit die in unserem Bericht dargelegten Empfehlungen bei der Ausarbeitung dieses Dokuments berücksichtigt werden, und behalten uns natürlich das Recht vor, dementsprechend darauf zu reagieren, sobald uns der Text vorliegt.
Johan Van Hecke, im Namen der ALDE-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Bericht von Maria Martens enthält eine Reihe interessanter Empfehlungen, obwohl ich auch gestehen muss, dass meine Fraktion ein Problem mit dem eher negativen Unterton und der fehlenden klaren und kohärenten Vision für die Zukunft hat.
Sieben Jahre nach dem ersten Gipfel in Kairo versucht die portugiesische Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der Kommission, einen neue Strategie EU-Afrika zu entwickeln, und zwar in dem – wie ich wirklich glaube – ehrlichen Versuch, das alte Modell der Spender und Begünstigten hinter sich zu lassen. Die Tatsache, dass dieser Gipfel stattfindet, ist äußerst wichtig, und das nicht nur aus negativen Gründen, nicht nur als eine ängstliche Reaktion auf den wachsenden Einfluss Chinas.
Im Gegenteil, die wachsende Erkenntnis beider Seiten, dass Europa und Afrika nicht länger die alleinigen vorrangigen Partner des jeweils Anderen sind, stellt eine einzigartige Gelegenheit dar, eine vollkommen neue, ausgewogenere Beziehung zu gestalten. Auf den ersten Blick scheint der Graben zwischen Europa und Afrika gar nicht so tief zu sein. Für Afrika ist es sehr wichtig, dass jede neue Partnerschaft sich von der traditionellen Abhängigkeit von Beihilfen und der Kultur der Wohltätigkeit und Vorbedingungen löst. Die Rufe nach mehr Industrialisierung, mehr Entwicklung im privaten Sektor und mehr Investitionen in die wissensbasierte Wirtschaft werden immer lauter.
In Afrika wächst glücklicherweise auch das Bewusstsein dafür, dass die Menschen für die Lösung ihrer eigenen Probleme in erster Linie selbst verantwortlich sind. Europa sollte nunmehr deutlich machen, wie es diese vielversprechenden Entwicklungen unterstützen wird, ohne in die Falle der Bevormundung und der Beeinflussung zu tappen. Eine zukünftige Partnerschaft zwischen der EU und Afrika muss unbedingt auf den Grundsätzen der gegenseitigen Rechenschaftspflicht basieren. In diesem Sinne könnte eine vollständige Abschaffung der Agrarsubventionen die Glaubwürdigkeit der EU bei ihren afrikanischen Freunden mehr als jede andere Geste stärken.
Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte dem Herrn Ratspräsidenten und dem Herrn Kommissar für ihre Äußerungen danken, ganz besonders aber auch unserer Berichterstatterin, Frau Martens, für ihre Arbeit an diesem Thema, denn es ist in der Tat so, dass wir es mit einer neuen Partnerschaft zu tun haben, mit einer neuen Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und Afrika. Ich beglückwünsche den Rat zu seinem Vorschlag, den EU-Afrika-Gipfel im Dezember abzuhalten, und ich hoffe, dass dieser Gipfel nicht von der Teilnahme einer einzelnen Person abhängt.
Für die Beziehungen zwischen Europa und Afrika steht zuviel auf dem Spiel, als dass sie durch Robert Mugabes An- oder Abwesenheit bei dem Gipfel bestimmt werden dürften. Wir alle kennen und kritisieren die Taten Robert Mugabes in Simbabwe. Wir alle verteidigen die Rechte demokratischer Einrichtungen und Bewegungen in Simbabwe, und wir alle fordern zum Schutz dieser demokratischen Rechte auf, aber das sollte die eigentliche Entwicklung und die eigentliche Arbeit, die zwischen der Europäischen Union und dem gesamten Afrika stattfinden muss, nicht behindern.
Die Fragen bezüglich Governance, Entwicklungshilfe und insbesondere bezüglich des freien Handels sind für die zukünftige Entwicklung Afrikas äußerst wichtig. Was die Entwicklung betrifft, so leistet die Europäische Union weltweit die größte Entwicklungshilfe. Mein Heimatland Irland steht, gemessen an Spenden pro Kopf, an sechster Stelle der weltweiten Geberländer. Dabei sollte es jedoch nicht darum gehen, Hilfe zu leisten und eine Gegenleistung zu erwarten. Vielmehr sollte es darum gehen, Menschen die Freiheit zu geben, sich selbst zu befreien und Handel zu betreiben, um so ihre persönliche Situation zu verbessern. Es sollte darum gehen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie eine Infrastruktur zu schaffen, die sicherstellen, dass diese Menschen zukünftig nicht mehr auf Hilfe angewiesen sein werden.
Chinas Mitwirkung sollte berücksichtigt werden, da Themen wie Governance, Korruptionsbekämpfung, Offenheit und Transparenz in China nicht die gleiche Bedeutung beigemessen wird wie in Europa. Wir sollten den Einfluss zur Kenntnis nehmen, den China in dieser sich entwickelnden Welt ausübt. Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Erlaubnis.
Marie-Hélène Aubert, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin! Trotz der Absichtsbekundungen kann man nicht wirklich sagen, dass neue Elemente in die Debatte eingeführt wurden, die seit einigen Monaten zur Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Afrika geführt wird. Natürlich müssen Frieden und Rechtsstaatlichkeit oberste Priorität sein; die EU spielt in dieser Hinsicht eine zunehmende Rolle, was nur zu begrüßen ist. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Unterstützung, die beispielsweise zur Abhaltung von Wahlen gewährt wird, sorgfältig überwacht wird, damit die betroffenen Gemeinschaften die praktischen Vorteile sehen, die die Demokratie für ihren Alltag bringen kann.
Was die anderen Maßnahmen betrifft, würde ich sagen, dass die Vorschläge der Europäischen Union insgesamt recht klassisch sind und irgendwo zwischen der Förderung einer guten Regierungsführung und dem Freihandel liegen, mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaftsentwicklung und Gesundheitsversorgung. Vor dem Hintergrund brennender Fragen vernachlässigen diese EU-Afrika-Strategien unseres Erachtens jedoch zwei wesentliche Probleme. Erstens ist da die Ernährungssicherheit zu nennen, die im Zusammenhang mit den steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel, insbesondere für Getreide, dem Aufschwung der Biokraftstoffe sowie mit der Notwendigkeit, die Landwirtschaft zu schützen und zu fördern, zu sehen ist. Im nächsten Europäischen Entwicklungsfonds – wie von den meisten Regierungen in Afrika – ist jedoch nur ein kleiner Prozentsatz der Haushaltsmittel für dieses Ziel vorgesehen. Sogar die Weltbank betonte kürzlich, dass in diesem Bereich ein Umdenken erforderlich sei, und das heißt etwas. Die Frage der Lebensmittelversorgung ist nun absolut entscheidend geworden, so wie auch die Zukunft kleiner Landwirte, die von den Entwicklungshilfemaßnahmen allzu oft vernachlässigt werden.
Der zweite Schlüsselaspekt ist, dass Afrika bekanntlich über einen unermesslich großen Vorrat an natürlichen Ressourcen verfügt, wovon die Bevölkerung leider nicht profitiert, obwohl der Preis dieser Waren enorm angestiegen ist. Alle großen Wirtschaftsmächte, einschließlich der Schwellenländer wie China, stürzen sich auf diese immer seltener werdenden Ressourcen. Dieser neue Goldrausch, diese Gier nach Rohstoffen hat nun extrem brutale Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt und nährt weiter Kriege und Korruption.
Angesichts all dessen führt die Europäische Union sehr theoretische und blauäugige Reden, während auch sie an der Ausbeutung dieser Ressourcen beteiligt ist. Wie kann der Zugang zu diesen Reserven rationalisiert, verwaltet und geteilt werden, sodass die betroffenen Gemeinschaften einen echten Nutzen daraus ziehen und ohne dass ihre Umwelt verwüstet wird? Das ist eine wesentliche Frage, die in der EU-Afrika-Strategie stärker berücksichtigt werden muss, denn angesichts der rasanten Entwicklungen in diesem Bereich werden wir früher oder später mit ihr konfrontiert werden.
Luisa Morgantini, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin Frau Martens dankbar, insbesondere für die Art, wie es uns gelungen ist, im Ausschuss gemeinsam zu arbeiten, für ihre Aufmerksamkeit und auch für die aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten, die Differenzen zwischen uns. Aber ich denke, dass das Ergebnis abgesehen von einigen wenigen Punkten nennenswert ist.
Seit der Erklärung von Kairo im Jahr 2000 haben die Beziehungen zwischen der EU und Afrika einen langen Weg zurückgelegt. In Afrika, einem Kontinent, der voller Vielfalt und vom Krieg zerstört ist, hat sich vieles verändert. Mit der Bildung der Afrikanischen Union, der Politik der Einheit in Vielfalt, ist ein Fortschritt erzielt worden.
Das Panafrikanische Parlament hat das Motto „ein Afrika, eine Stimme“ verabschiedet. Soziale Bewegungen in Afrika sind dynamisch und fordern das, worauf sich Herr Öger gerade bezogen hat. Sie sind dynamisch, organisieren sich selbst in Netzwerken und haben auf dem Welt-Sozialforum in Nairobi eine wichtige Rolle gespielt. Echte Fortschritte konnten auch bei der Formulierung nicht einer europäischen Afrika-Politik, sondern einer gemeinsamen europäisch-afrikanischen Partnerschaftspolitik erzielt werden.
Mit dem Treffen zwischen dem Panafrikanischen Parlament und dem Europäischen Parlament und deren Präsenz auf dem Gipfel von Lissabon wird das umgesetzt, was wir im Dokument noch als mangelhaft bezeichnet haben – die Rolle, die dieses Haus zu spielen hat. Wir fordern nicht nur, dass es eine Rolle übernehmen muss, sondern füllen diese in der Praxis aus, und meiner Meinung nach war die Unterstützung von Louis Michel – natürlich neben der Unterstützung durch die portugiesische Ratspräsidentschaft – äußerst wichtig. Nichtsdestotrotz sind unsere unterschiedlichen Auffassungen offensichtlich.
Die verschiedenen Aspekte der Strategie sind wichtig, aber wir müssen sie mit kohärenten Politiken voranbringen, und dabei beziehe ich mich auf Waffenverkäufe und -handel. Daher müssen wir diesen Weg fortsetzen, wissend, dass es ein Weg voller Hindernisse ist.
Kathy Sinnott, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Bildung ist die Brücke zwischen Elend und Hoffnung. In einer modernen Gesellschaft ist sie ein Werkzeug des Alltags. Sie ist das Bollwerk gegen Armut und der Baustein für Entwicklung. So beschrieb Kofi Annan die Strategie in den Millenniumszielen, ähnlich der in der Entwicklungsstrategie der EU für Afrika formulierten Ziele. Sie stellt Bildung neben dem Handel als den Schlüssel für die Entwicklung des Kontinents dar.
Dennoch ist die EU entschlossen, es reichen Nationen wie den USA, Australien, Kanada und Neuseeland gleichzutun und qualifizierte, gebildete Afrikaner und Asiaten systematisch zu exportieren.
Kommissar Frattini kündigte letzten Monat an, die EU werde, um sicherzustellen, dass es die „Migranten [bekomme], die seine Wirtschaft braucht“, in den kommenden 20 Jahren 20 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte aus diesen Kontinenten per Blue Card importieren, einem System, das der amerikanischen Green Card gleicht. Wenngleich es für uns von Vorteil sein wird, wenn ein ständiger Vorrat an qualifizierten Arbeitskräften die Lücken füllt, die unsere alternden Erwerbstätigen hinterlassen, wird diese Art des Braindrains verheerende Folgen für die armen und unterentwickelten Länder Afrikas haben.
Europa betreibt zudem ein „Asset-stripping“ unter Afrikas Bedürftigen und schlachtet ihre Vermögenswerte aus. Kinder sind die Zukunft unserer Länder, doch Entwicklungsgelder der EU sind grundsätzlich an Geburtenkontrollprogramme gebunden, die darauf abzielen, zukünftige Afrikaner zu beseitigen.
Das Grünbuch zum demografischen Wandel der EU besagt ausdrücklich, dass es ohne Bevölkerungswachstum kein Wirtschaftswachstum geben kann. Afrika ist inzwischen der einzige Kontinent, dessen Geburtenrate über der Reproduktionsziffer liegt. Wenn wir an unseren Millenniumszielen festhalten und unsere Versprechen einlösen, wird Afrika sich in diesem Jahrhundert zu einer Weltmacht entwickeln.
Koenraad Dillen, im Namen der ITS-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin! Niemand kann leugnen, dass in diesem Bericht viele Probleme des afrikanischen Kontinents und die verschiedenen Herausforderungen für die Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Afrika sehr ausführlich beschrieben werden. Auch wenn ich allergrößtes Vertrauen in die Kompetenz der Berichterstatterin auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik habe, werden meiner Meinung nach die wesentlichen Ursachen für die Probleme Afrikas in diesem Bericht nicht hinreichend hervorgehoben und keine Antworten auf einige sehr grundlegende Herausforderungen gegeben.
Möglicherweise ist es politisch nicht korrekt, das so zu sagen, aber so ist es nun einmal. Im Gegensatz zu dem, was in dem Bericht erklärt wird, denken Afrika und die Europäische Union gegenwärtig nicht auf dieselbe Weise über mehr Demokratie, verantwortungsvolle Regierungsführung und Menschenrechte nach. Die Hauptursache für Armut, Hunger, mangelnde Sicherheit und sozioökonomische Probleme, die den Kontinent plagen und die in diesem Bericht korrekt genannt werden, sind in der Tat die unfähigen und korrupten Regimes, die keinerlei Anstrengungen unternehmen, sich an verantwortungsvolle Regierungsführung, Demokratie und Menschenrechte zu halten.
So bestreitet z. B. niemand mehr, dass Robert Mugabe ein Verbrecher ist, der sein Land in die Knie gezwungen hat und seine eigene Bevölkerung terrorisiert. Und was haben die Entwicklungsländer des südlichen Afrikas zu sagen? Dass die Wahlen ordnungsgemäß durchgeführt wurden und die westlichen Länder sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollen. Ich habe wirklich Zweifel an den Versprechen, die eben diese Politiker zur verantwortungsvollen Regierungsführung abgegeben haben.
In diesem Bericht werden zu Recht Frieden und Sicherheit behandelt. Laut Oxfam übersteigen die Ausgaben für Waffen in Afrika mit seinen unzähligen undemokratischen Regimes den beträchtlichen Betrag der Entwicklungshilfe, die diese Länder erhalten. All diese Probleme sind daher auf dieselbe Ursache zurückzuführen.
Abschließend muss ich sagen, dass ich dem Teil über Einwanderung nicht zustimme, denn ich fürchte, dass jeder, der glaubt, das Konzept der zirkulären Migration könne dem Braindrain aus Afrika und dem Einwanderungsdruck auf Europa ein Ende setzen, sich in dieser Hinsicht beträchtlich täuscht.
Michael Gahler (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Ich danke unserer Berichterstatterin für ihren guten, umfassenden Bericht. In den Grundsätzen besteht in diesem Haus ein breiter Konsens. Es ist höchste Zeit, dass der Gipfel zwischen der EU und Afrika im Dezember stattfindet. Es ist gut, dass wir uns auf eine gemeinsame Strategie einigen werden.
Die Haltung des EP zum Sonderfall Mugabe ist seit Jahren bekannt. Aber dieser Herr darf nicht zum Stolperstein für ein neues Kapitel der europäisch-afrikanischen Beziehungen werden. Ich bin überzeugt, es gibt genügend europäische Regierungschefs, die klare und explizite Worte gegenüber diesem Herrn parat haben. Dazu muss er anwesend sein und die Worte ertragen.
Als Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zum Panafrikanischen Parlament darf ich Ihnen einige spezifische parlamentarische Wünsche an die künftige Zusammenarbeit mit auf den Weg geben, auf die wir uns letzte Woche in Midrand geeinigt haben. Die Parlamente Afrikas sind bisher weitgehend vernachlässigte Institutionen, das heißt, sie werden trotz ihrer auf dem Papier stehenden verfassungsmäßigen Rolle in der Regel weder von den eigenen Regierungen noch von den Geldgebern wirklich ernst genommen. Dabei hätten diese Parlamente bei entsprechender Ausstattung und nach erfolgreichem umfänglichem capacity building für die Abgeordneten und die Mitarbeiter in den Parlamentsverwaltungen, den Ausschüssen und den Fraktionen durchaus das Potenzial, ihre eigentlich vorgesehene politische Kontrolle der Exekutive tatsächlich wahrzunehmen. Das hätte auch den unwiderstehlichen Charme, dass wir eine einheimische, demokratisch legitimierte Überprüfungsinstanz hätten, die gerade bei auftretenden Problemen als Kritiker eher akzeptiert würde als auswärtige Geldgeber.
Ich fordere daher die Kommission auf, in ihre Länderprogramme gezielt das capacity building von Parlamenten mit aufzunehmen, damit wir in einigen Jahren tatsächlich feststellen können, dass afrikanische Politik in der Umsetzung zugunsten der Menschen besser geworden ist, auch mit Hilfe der jeweiligen nationalen Parlamente.
Alessandro Battilocchio (PSE). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte Frau Martens für Ihre Arbeit ein Kompliment aussprechen und bin voller Anerkennung für den politischen Willen der EU und der Afrikanischen Union, eine gemeinsame Strategie aufzubauen, die viele Interessengebiete beider Gemeinschaften umfasst: von der Sicherheit bis hin zur Umwelt, von der Migration bis hin zur Entwicklung und Förderung von Menschenrechten und Demokratie.
Damit diese Strategie auch wirklich wirksam sein kann, muss die EU ab sofort die Partnerschaft aufbauen und dabei die Zivilgesellschaft und die lokalen Parlamente entsprechend einbinden. Die EU muss greifbare und prägnante Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte, des Rechts auf Meinungsäußerung, der Vereinigungsfreiheit und des Prinzips der Demokratie fördern, damit die wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent wirklich nachhaltig sein kann und alle Schichten der afrikanischen Gesellschaft umfasst.
Ferner möchte ich mich anderen Kolleginnen und Kollegen anschließen und das größtmögliche Engagement der EU fordern, die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen, AIDS – das die arbeitende Bevölkerung dezimiert – zu bekämpfen und europäische Politiken zu erarbeiten, die wahrhaftig mit dem Geist der Entwicklungszusammenarbeit einhergehen, vor allem im Bereich des internationalen Handels.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Ich möchte Frau Martens zu ihrem Bericht über den Stand der Beziehungen zwischen der EU und Afrika und zu den vorgeschlagenen Maßnahmen für die Verbesserung dieser Beziehungen beglückwünschen. Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass Afrika nach wie vor der ärmste Kontinent der Welt ist. Trotz der internationalen Hilfe, die durch die EU und andere Länder geleistet wird, wurde die Armut nicht gemindert; sie hat in der Tat sogar noch zugenommen. Die Millenniumsziele gilt es immer noch zu erfüllen.
Und dies geschieht in Afrika, dem Kontinent, der weltweit über die meisten Bodenschätze verfügt. Der Hauptgrund hierfür liegt darin, dass Rohstoffe zu Niedrigstpreisen exportiert werden, während für Fertigerzeugnisse Höchstpreise bezahlt werden. Die Situation könnte durch die Entwicklung der verarbeitenden Industrie, sowie klein- und mittelständischer Unternehmen und durch die Einführung neuer Arbeitsplätze sowie die Förderung der regionalen Zusammenarbeit verändert werden.
Es besteht kein Zweifel daran, dass das Thema Bildung einer der Schlüsselfaktoren bei der Entwicklung der unabhängigen Wirtschaft Afrikas ist, wie dies bereits in dem fortwährend vom Europäischen Parlament hervorgehobenen Bericht herausgestellt wurde.
In Bezug auf die Zukunft für Afrika möchte ich die militärischen Konflikte erwähnen, von denen bestimmte Gebiete, wie beispielsweise der Sudan, seit Jahren betroffen sind. Zum einen schürt die Situation sowohl für Investoren vor Ort als auch für ausländische Investoren Unsicherheit. Zum anderen nutzen einige Länder die Konflikte zur Steigerung der Rohstoffproduktion unter vorteilhaften Bedingungen aus.
Die EU und die internationale Gemeinschaft sollten mehr Anstrengungen für eine Lösung der militärischen Konflikte in Afrika unternehmen. Dies würde die Effizienz der Umsetzung des Programms für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen.
Helmuth Markov (GUE/NGL). - Frau Präsidentin! Ein ganz wichtiger Faktor für die afrikanische Entwicklungspolitik ist der Handel. Und Handel kann natürlich, wenn er richtig angesetzt wird, durchaus Hilfe leisten, um Armut zu minimieren, und er kann Hilfe leisten, dass die Gesundheitsvorsorge in Afrika verbessert wird. Er kann Hilfe leisten, dass die Bildung besser wird. Er kann Hilfe leisten, dass das Analphabetentum zurückgedrängt wird. Aber nicht so, wie die Kommission den Handel bisher verstanden hat.
Ich bin heilfroh, dass entweder, weil der Verstand gesiegt hat oder weil der Druck der afrikanischen Staaten so stark geworden ist, jetzt seit Montag ein anderes Herangehen der Kommission bezüglich der ökonomischen Partnerschaftsabkommen durchgreift, dass nämlich nicht mehr unsinnige Forderungen nach Reziprozität der Öffnung der Märkte gestellt werden, dass nicht mehr darauf bestanden wird, dass die Singapur-Ziele Bestandteil werden, dass man damit einverstanden ist, einzelne Themen herauszunehmen und jetzt nur noch über die goods redet und dann zu einem späteren Zeitpunkt über die anderen Dinge.
Wenn man den gleichen Weg auch noch bei der Doha-Entwicklungsrunde geht, dann hat man vielleicht auch dort Erfolg, denn daran ist es ja bisher immer gescheitert. Daran ist die WTO gescheitert, daran ist die Entwicklungsrunde von Doha gescheitert, weil die Kommission immer darauf besteht: Ihr müsst begreifen, wir wollen nur das Gute für euch, und wenn ihr das nicht begreift, dann kriegen wir kein Abkommen.
Zum Glück! Wenn man sich den Bericht dieses Parlaments – das in diesem Falle viel klüger war als die Kommission – anschaut, den mein Kollege Sturdy 2006 ausgearbeitet hat, dann wird klar: Auf die Forderungen, auf die sich Kommissar Mandelson jetzt einlassen musste, hätte er viel früher freiwillig eingehen können, und wir hätten es nicht so weit kommen lassen.
Auch Sie waren bei uns im Ausschuss, und wir haben Sie genau befragt. Was haben Sie gesagt? Kommissar Mandelson macht alles wunderbar! Da muss ich mal ganz ehrlich sagen, auch der Rat hat eine Verantwortung, er muss nämlich zum Schluss dem Partnerschaftsabkommen zustimmen. Er kann sich durchaus auch einmal zwischenzeitlich in die Verhandlungen einmischen, und nicht einfach sagen, wir lassen den Kommissar jetzt einmal machen, bis er irgendwann etwas fertigbringt. Nein, Sie haben eine Verantwortung, und ich finde, bezüglich der EPA. sind Sie dieser nicht nachgekommen, zumindest nach Ihren Aussagen bei uns im Ausschuss zu schließen.
VORSITZ: LUISA MORGANTINI Vizepräsidentin
Robert Sturdy (PPE-DE). - (EN) Frau Präsidentin! Es überrascht mich, dass ich einer Kollegin von der anderen Seite des Hauses so voll und ganz zustimmen muss.
Ich beglückwünsche Frau Martens zu ihrem Bericht. In diesem Saal wurden an diesem Nachmittag viele große Worte gesprochen; in Bezug auf Afrika haben wir jedoch versagt. Wir haben schon früher beim Thema Afrika versagt, und ich als Berichterstatter über die EPA hoffe, dass diese Europäische Union beim Thema Afrika nicht abermals versagen wird.
Die Kommission hat gestern eine Mitteilung über die EPA veröffentlicht, die endlich anerkennt, dass ein Abschluss der Verhandlungen bis Ende 2007 – wie er zuvor vorgesehen und in meinem Bericht dargelegt war – unmöglich ist. Die Kommission besteht jedoch unverändert darauf, dass die Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean sich verpflichten, die EPA 2008 vollständig zu unterzeichnen, und dass einige Staaten in der Region die EPA unterzeichnen, während andere dies nicht tun. Ist das nicht unfassbar absurd?
Angesichts der wenigen verbleibenden Zeit ist in diesen Gesprächen zu vieles unklar und unsicher. Die Mitteilung ist gewollt vage gehalten, und obwohl ich verstehe, worum es geht, beunruhigt sie mich. Ich unterzeichne grundsätzlich keine Verträge über etwas, das ich nicht verstehe; doch genau dies verlangen wir von Afrika.
Zudem würden diese neuen Vorschläge, innerhalb bestimmter Regionen subregionale Abkommen mit den zur Unterzeichnung bereiten afrikanischen Staaten zu treffen, zu einem spaghettigleichen Durcheinander unterschiedlicher Abkommen in benachbarten Ländern führen.
Der Gedanke, andere Staaten und AKP-Regionen sollten sich später anschließen, würde bedeuten, dass sie einen Vertrag unterzeichnen, über den sie nicht verhandelt haben. Inwiefern ist das ein guter Gedanke? Sollten die EPA nicht eigentlich regionale Integration bezwecken?
Wer beschäftigt sich also mit Umsetzung, Beobachtungssystemen und Folgenabschätzung, während die verhandelnden Parteien um Einigung über diese kleineren Pakete ringen? Die AKP-Staaten sollten nicht die Wahl haben müssen zwischen Handelsabkommen, die ihren lokalen/regionalen Märkten schaden können, und Hemmnissen, die ihre Exportmärkte zerstören. Es gilt noch immer, eine Wahl zu treffen, und kurzfristige Richtungswechsel der Kommission tragen nicht dazu bei, das Vertrauen der Ausgegrenzten wiederherzustellen.
Josep Borrell Fontelles (PSE). – (ES) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kommissionsmitglieder, Herr Minister! Diese Debatte muss uns auf dem Weg nach Lissabon und zum Gipfel voranbringen, und der portugiesischen Präsidentschaft sei dafür gedankt, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen Europa und Afrika konzentriert hat. Wir hoffen, dass dies den Europäern helfen wird, endlich zu verstehen, dass die Entwicklung Afrikas eine Voraussetzung für unser Wohlergehen ist und dass wir ohne eine enge Partnerschaft mit Afrika die Migrationsströme nicht kontrollieren und keine Energieversorgungssicherheit haben können.
Uns muss klar sein, dass es nicht darum geht, den Armen zu helfen, sondern wir handeln in unserem eigenen Interesse. Uns muss auch klar sein, dass die Afrikaner zuweilen unseren Erklärungen wenig Glauben schenken und sie als Rhetorik betrachten, weil wir die koloniale Vergangenheit noch nicht hinter uns gelassen haben, um diese solide Partnerschaft auf gleichberechtigter Grundlage zu errichten, die wir alle wünschen, die wir verkünden, die aber noch weit von der Realität entfernt ist.
Die Modernisierung Afrikas ist eine gewaltige Aufgabe. Die Afrikaner tragen dabei eine große Verantwortung, aber wir auch. Ohne uns, ohne unsere Hilfe und unsere Zusammenarbeit, werden sie keinen Ausweg aus der im Bericht Martens beschriebenen Situation finden, denn sie brauchen nicht nur fairen Handel sondern auch Hilfe und Beziehungen auf gleichberechtigter Basis, damit sie ihre Vergangenheit überwinden können, für die wir natürlich zum Teil verantwortlich sind.
Olle Schmidt (ALDE). - (SV) Vielen Dank, Frau Präsidentin! Im Dezember findet nach mehreren Jahren wieder das erste Gipfeltreffen zwischen der Afrikanischen Union und der EU statt. Das ist ein wichtiges Treffen für die EU, die eine große Verantwortung für die Unterstützung der wirtschaftlichen und demokratischen Entwicklung in Afrika trägt. Der portugiesischen Ratspräsidentschaft gebührt ein Lob für diese Initiative. Die EU muss auf dem afrikanischen Kontinent aktiver werden.
Im Gegensatz zum Kollegen Crowley bin ich beunruhigt darüber, dass Simbabwes Diktator, Robert Mugabe, höchstwahrscheinlich an diesem Gipfel teilnehmen wird. Mit Mugabe am gleichen Verhandlungstisch zu sitzen, ist der Europäischen Union nicht würdig. Seine Misswirtschaft und Korruption lähmen das gesamte Land. Die politische Opposition wird unterdrückt und ins Gefängnis geworfen, es gibt keine Redefreiheit, und in diesem Land, das einmal die Kornkammer Afrikas war, herrscht Nahrungsmittelmangel und Tausende Menschen sind obdachlos. Die Wirtschaft bricht zusammen, die Inflation liegt bei über 7 000 %, die durchschnittliche Lebenserwartung ist die niedrigste der Welt, und 20 % der Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, eine Möglichkeit, unseren Abscheu gegenüber Mugabes Diktatur zum Ausdruck zu bringen, wäre es, seine Anwesenheit auf dem Gipfeltreffen nicht zu akzeptieren. Mugabes furchtbarer Herrschaft muss ein Ende gesetzt werden. Diktatoren brauchen eine deutliche Sprache, meine Freunde. Vielen Dank.
Eija-Riitta Korhola (PPE-DE). – (FI) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Ich danke der Berichterstatterin, Frau Martens, für diesen wichtigen Bericht. Auf der einen Seite ist er ein deutliches Zeichen an die Kommission, dass die parlamentarische Dimension dieses Mal bei der Ausarbeitung der gemeinsamen EU-Strategie für Afrika eine Rolle spielen muss. Die Tatsache, dass die Kommission, als sie im Jahr 2005 die EU-Strategie für Afrika vorbereitet hat, nicht nur ihren Gegenpart, sondern auch das Parlament, außen vor gelassen hat, hat sich leider als gängiges Verhaltensmuster der Kommission herausgestellt. Auf der anderen Seite wirft der Bericht, was ihm hoch anzurechnen ist, eine Reihe von wichtigen inhaltlichen Fragen auf, die einer Antwort bedürfen, sowie auch das Thema der zu verabschiedenden Strategie.
Erstens zeigt die Geschichte deutlich, dass die universellen Menschenrechte zu ihrer Durchsetzung eines universellen Schutzes bedürfen. Aus diesem Grund ist es ausgesprochen wichtig, dass die EU-Strategie für Afrika eine Schwerpunktsetzung für Frieden und Sicherheit enthält, die die Doktrin „Verantwortung für den Schutz“ anerkennt und diese fördert. Wir haben eine Verantwortung für den Schutz, und das muss auch Gegenstand einer Debatte innerhalb der EU sein.
Zweitens muss dem Klimawandel, wie in dem Bericht lobenswerterweise betont wird, oberste Priorität in der Strategie eingeräumt werden. Wasser, dessen Qualität und Verfügbarkeit, wird, zusammen mit der Energiefrage, zu einem ernsten politischen Problem werden, und Afrika wird dann sein erstes Opfer sein. Ich möchte dennoch daran erinnern, dass die gravierendsten Umweltprobleme Afrikas derzeit die Erosion und die Überweidung sind. Der Klimawandel macht die Sache natürlich noch schlimmer. Anpassung und flankierende Maßnahmen sind erforderlich. Andererseits ist die EU für Afrika im internationalen Kontext ein natürlicher Partner im Kampf gegen den Klimawandel.
Drittens möchte ich die Bedeutung der kleinen Unternehmen und des lokalen Unternehmertums als Bedingung für eine echte und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Afrika hervorheben. Wir sollten Sorge dafür tragen, dass Maßnahmen, die wir ergreifen, dies unterstützen. Nur die lokale Bevölkerung selbst kann Afrika auf die Beine helfen.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Ich muss Frau Martens zu diesem wichtigen Bericht gratulieren, der zu einer Zeit vorgelegt wird, da die EU ihre Beziehungen zu Afrika vor allem angesichts der Tatsache, dass China auf diesem Kontinent als Akteur in Erscheinung tritt, neu definiert. Die Beziehungen zwischen der EU und Afrika können jedoch nur dann Fortschritte machen, wenn der doppelte Ansatz von Entwicklung und Sicherheit insbesondere mit Blick auf Menschenrechte, Demokratie und Regierungsführung in sich schlüssig ist.
Angesichts des Stellenwerts der Gemeinsamen Strategie und des dazugehörigen Aktionsplans, der auf dem EU-Afrika-Gipfel verabschiedet werden soll, möchte ich den portugiesischen Ratsvorsitz darum bitten, das Europäische Parlament in angemessener Form über die Fortschritte bei der Aushandlung dieser Dokumente und ihres Wortlauts zu unterrichten. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass die in der Gemeinsamen Strategie und im Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen mit Unterstützung des Europäischen Parlaments und unter der Kontrolle der verschiedenen geltenden Finanzinstrumente umgesetzt werden können.
In diesem Hohen Haus hoffen wir, dass die Gemeinsame Strategie und der Aktionsplan die Verpflichtungen der Europäischen Union widerspiegeln und der Armutsbekämpfung sowie den Millenniums-Entwicklungszielen, und hier insbesondere der medizinischen Grundversorgung und der Bildung, die gebührende Priorität eingeräumt wird. Wir fordern die Aufnahme gemeinsamer Maßnahmen zur Kontrolle des Handels mit Kleinwaffen und leichten Waffen, die die wahren Massenvernichtungswaffen in Afrika sind, sowie Maßnahmen zur Teilhabe der Frauen und der Zivilgesellschaften, die die wahre Macht für Veränderung, Frieden und Entwicklung in sich tragen, die Afrika so dringend benötigt.
Zuzana Roithová (PPE-DE). – (CS) Europa pflegte aufgrund seiner Kolonialpolitik in der Vergangenheit ein schlechtes Gewissen gegenüber Afrika zu haben. Heute versuchen wir, den Entwicklungsländern beim Eintritt in die globalisierte Welt zu helfen. Deshalb hat sich der Brennpunkt hinsichtlich dieser Länder hin zu globalen Herausforderungen verlagert. Neben Seuchen, Hunger und Trinkwasserknappheit gehören zu diesen Problemen auch Sicherheit, Handel, Migration, Braindrain und Klimawandel.
Neben karitativen Zwecken besteht unsere Aufgabe in der Begleitung einer verantwortungsvollen Beschlussfassung auf der Grundlage demokratischer Prinzipien durch die afrikanischen Institutionen. In dieser Hinsicht halte ich die Entwicklungsstrategie von Kommissar Mandelson für gefährlich, weil sie sich ausschließlich auf die Handelsbeziehungen im Pazifik konzentriert.
Meine Damen und Herren, wir müssen nachdrücklich dafür eintreten, dass die Kommission den Kapazitätsaufbau auf dem Gebiet der Menschenrechtsagenda intensiviert. Ohne ihn hat die Demokratie in Afrika und eigentlich überall auf der Welt keine Chance. Sorgen macht mir, wie tief die frühere kommunistische Blockideologie in Afrika verwurzelt ist. Besorgniserregend ist auch der wachsende Einfluss des totalitären chinesischen Marktmodells, das die Rohstoffe Afrikas abbaut und den Afrikanern Arbeit wegnimmt.
Ich möchte die Berichterstatterin Frau Martens zur umfassenden und ausgewogenen Definition der neuen Strategie in ihrem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen. Wir müssen aber auch ihren finanziellen Rahmen beachten und lernen, die Ergebnisse aus den geeigneten Kennziffern abzulesen.
Ich habe auch den Eindruck, dass die Kommission den europäischen Bürgern die Bedeutung der Zusammenarbeit der EU mit ihrem unmittelbarsten Nachbarn in Afrika nicht genügend vermittelt. Ich hoffe, dass auf dem Dezembergipfel in Lissabon auf der Grundlage dieses Berichts eine neue Sichtweise der in der Menschenrechtsagenda verwurzelten Beziehungen beschlossen wird.
Abschließend möchte ich sagen, dass der Gipfel von grundlegender Bedeutung für eine Wende in den Beziehungen zwischen der EU und Afrika ist. Deshalb bin ich nicht damit einverstanden, dass die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich diesen panafrikanischen Gipfel wegen der Teilnahme des Diktators aus Simbabwe zu verhindern versuchen. Selbstverständlich sollte seine Anwesenheit kategorisch angefochten und verurteilt werden.
Thijs Berman (PSE). – (NL) Frau Präsidentin! Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den afrikanischen Ländern sind durch die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) unannehmbar belastet worden. Wenn diese Verhandlungen scheitern, wird Cotonou für eine Reihe von Ländern ab dem 1. Januar in einem schwarzen Loch enden, weil dann unsere Handelsbeziehungen sich nach dem weit weniger günstigen Allgemeinen Präferenzsystem richten werden.
Es wäre allerdings eine Schande, wenn arme Länder auf diese Weise bestraft würden, weil sie spüren, dass die EU und die AKP-Staaten gegenwärtig keine gleichwertigen Partner sind. Wir müssen armen Ländern das Recht gewähren, ihre Märkte in den Bereichen zu schützen, die schwach sind und die im Hin und Her des freien Handels untergehen würden. Diese Verhandlungen stehen in krassem Widerspruch zu den bewährten Grundsätzen und Zielen des Berichts von Maria Martens, die ich unterstütze.
Uns als Sozialdemokraten lag daran hinzuzufügen, dass die Handels- und Agrarpolitik der EU der Entwicklungspolitik nicht im Wege stehen darf. Wir brauchen Kohärenz, und es versteht sich von selbst, dass die Politik weiterhin auf die Emanzipation und die Rechte der Frauen abzielen sollte. Es ist an der Kommission, dies zu einer konkreten Politik zu entwickeln und dann die Entwicklungszusammenarbeit streng zu überwachen.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Obwohl Afrika Milliarden von Euro erhält, nimmt die Armut auf diesem Kontinent zu, wie aus dem umfassenden Bericht von Frau Martens hervorgeht. Ich habe nicht mit Herrn Antunes, dem Vertreter der portugiesischen Ratspräsidentschaft, oder Herrn van Hecke gesprochen, möchte aber betonen, dass die Kooperation mit lokalen afrikanischen Behörden eine Grundvoraussetzung für die Effizienz finanzieller Beihilfen ist.
Die Wirtschaft benötigt Unterstützung, um Technologie einzuführen, den Unternehmergeist zu wecken, die Bürger zu Engagement zu ermutigen und Einzelinitiativen zu fördern. Missionare engagieren sich z. B. bei solchen Aktivitäten, ohne über Mittel zu verfügen, wogegen die Union nicht involviert ist, obwohl sie auf beträchtliche finanzielle Ressourcen zurückgreifen kann. Eine der größten Herausforderungen ist die Bildung, d. h. die Investition in Humankapital, die sehr viel bringt. Afrika selbst ist auch einige Verpflichtungen eingegangen. Dazu gehören das Einstellen des Waffenimports und die Einführung gesetzlicher Bestimmungen insbesondere mit Blick auf das Eigentumsrecht, was für die Entwicklung der Wirtschaft von grundlegender Bedeutung ist. Abschließend möchte ich sagen, dass die Rolle der Regierungen so zu verstehen sein sollte, dass sie dem Volk dienen und nicht von unseren Beihilfen profitieren sollten, wie man es bei den Luxuswagen, die die Vertreter der afrikanischen Behörden benutzen, denken könnte.
Marie-Arlette Carlotti (PSE). – (FR) Frau Präsidentin! Das heutige Afrika hat zwei Gesichter: auf der einen Seite das extremer Armut und menschlicher Tragödien wie im Fall von Darfur und Somalia und auf der anderen Seite das allzu oft ignorierte Gesicht eines Kontinents, der trotz allem neue Wege beschreitet, demokratischer wird, auch wenn zu langsam, und der Schritt für Schritt auf den Wachstumspfad zurückkehrt.
Die neue EU-Afrika-Strategie muss daher diesen Dualismus berücksichtigen und diesen noch unsicheren Prozess durch eine echte politische Partnerschaft unterstützen, die auf drei Pfeilern ruht: erstens auf Einheit, da ganz Afrika – mit der Stimme der Afrikanischen Union – unser Hauptansprechpartner sein muss, zweitens auf Gleichheit, mit einem Zeitplan, der gemeinsam entworfen und nicht vom Norden aufgezwungen wird, und drittens auf Bescheidenheit, weil Europa nicht mehr der einzige Partner Afrikas ist. Die EU muss diesen Prozess auch unterstützen, indem sie die Millenniums-Entwicklungsziele als Fahrplan nutzt, ihre Versprechen hält, die von der EU und den Mitgliedstaaten eingegangenen finanziellen Verpflichtungen erfüllt und, schließlich, die Rolle der afrikanischen Parlamente anerkennt. Der Bericht Martens ist die Botschaft, die wir heute an die Kommission und den Rat richten, und wir werden im Dezember in Lissabon sein, um zu sehen, ob sie wirklich Gehör gefunden hat.
Luís Queiró (PPE-DE). – (PT) Frau Präsidentin! Wie im Bericht von Frau Martens, mit dem ich in weiten Strecken übereinstimme, zu lesen ist, wird das Potenzial der gegenwärtigen EU-Strategie für Afrika zweifellos dadurch eingeschränkt, dass diese nicht in Partnerschaft mit den Völkern Afrikas erarbeitet wurde. Dieser Fehler muss und wird in der nächsten EU-Strategie korrigiert werden, die die Rolle der Afrikanischen Union stärken und sich auf Konzepte der Partnerschaft und der Gleichberechtigung stützen muss. Besorgniserregende Themen wie Frieden, das Problem der Vertriebenen und die Bekämpfung schwerer Krankheiten wie Aids und Malaria müssen darin berücksichtigt werden.
Entwicklung ist unser Ziel und der Handel eines der dazugehörigen Instrumente. Zu diesem Zweck müssen wir kleine und mittlere Unternehmen unterstützen und uns für einen gerechteren internationalen Handel einsetzen. Wir werden diese Strategie jedoch nur dann zum Erfolg führen, wenn wir auf dem gesamten Kontinent zu einer Stärkung von Demokratie und Menschenrechten beitragen können.
Bei der Neuformulierung und Änderung der EU-Strategie für Afrika ist den neuen lokalen und internationalen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Die Tatsache an sich, dass wir heute mit einer Afrikanischen Union Gespräche führen, ist bereits von Bedeutung. Hingegen ergibt sich aus der allgemeinen Zunahme des Erdöl- und Nahrungsmittelverbrauchs die Notwendigkeit, die internationalen Produktionskapazitäten zu steigern, und was dies betrifft, verfügt Afrika über große Erdöl- und Erdgasreserven, aber auch über ein enormes landwirtschaftliches Potenzial, das es zu nutzen gilt.
Abschließend möchte ich auf das Gipfeltreffen eingehen. Es ist nicht erforderlich, einen Gipfel zu veranstalten, um eine Strategie für Afrika festzulegen. Da der portugiesische Ratsvorsitz allerdings diesen Weg gewählt hat, wäre es falsch, ihn nicht zu Ende zu gehen, weil wir uns sonst eine Gelegenheit entgehen lassen würden, das Leben der Afrikaner positiv zu beeinflussen. Die Gespräche können sich nicht nur um den Schuldenerlass drehen, denn mehr Wohlstand in der Welt kann und muss auch die Gelegenheit für mehr Wohlstand in Afrika bieten. Dieser Wohlstand muss den Menschen und nicht nur den Mächtigen zugute kommen.
Die internationale Zusammenarbeit darf, wie in einem Redebeitrag angemerkt wurde, nicht weiterhin ein Problem für Afrika verkörpern. Aus diesem Grund müssen wir uns um Verbesserungen bemühen, damit Bildung sowie die Förderung von Gesundheit, Demokratisierung und Entwicklung sichergestellt werden können.
Luis Yañez-Barnuevo García (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Ich möchte der Berichterstatterin gratulieren und erklären, dass ich mit Herrn Michel übereinstimme, was die Herausbildung einer neuen Art von Partnerschaft und Beziehungen zwischen Europa und Afrika betrifft. Weiterhin möchte ich Herrn Lobo Antunes meinen Glückwunsch für die Organisation eines Gipfels EU-Afrika durch die portugiesische Präsidentschaft aussprechen.
Doch solange diese neue Art von Beziehungen im Entstehen ist, wird die öffentliche Entwicklungshilfe fortgesetzt und für einige Jahre ein sehr nützliches Instrument in den Beziehungen Europas zu Afrika bleiben, und nicht nur Europas als Ganzem sondern auch der Mitgliedstaaten.
Wir sollten einen gesunden Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Quantität und Qualität der Entwicklungshilfe fördern. Mein Heimatland Spanien hat seine Hilfe in dieser Legislaturperiode verdreifacht und im Vergleich zur vorhergehenden Regierung seinen Beitrag von 200 Millionen im Jahr 2004 auf geschätzte 850 Millionen 2008 erhöht. Spanien ist heute der zweitgrößte Entwicklungshilfegeber in der Welt und auch das Land im Entwicklungshilfeausschuss, dessen Beitrag in dieser Zeit am stärksten gewachsen ist.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen für Ihre Anmerkungen, Anregungen und sogar für Ihre Kritik an den geplanten Maßnahmen des Ratsvorsitzes mit Blick auf die Beziehungen zwischen der EU und Afrika danken. Natürlich habe ich alle Anregungen, Anmerkungen und Kritikpunkte aufmerksam zur Kenntnis genommen.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen, dass unsere Vorschläge für neue Beziehungen zu Afrika zwei Aspekte beinhalten, die ich als innovativ bezeichnen würde, zumindest hoffen wir, dass sie innovativ sind oder sich als innovativ erweisen werden. Zunächst wollen wir eine effiziente Partnerschaft mit unseren afrikanischen Partnern errichten; Diese Partnerschaft muss sich auch mit Blick auf die Eigenverantwortlichkeit als effizient erweisen.
Wie ich bereits gesagt habe, handelt es sich bei der Strategie, die wir für Afrika entwickeln, nicht um eine einseitige, sondern um eine gemeinsame Strategie, mit anderen Worten eine Strategie, die gemeinsam entworfen, analysiert und diskutiert wird, sodass die Ergebnisse und Vorschläge im Grunde den Wünschen und Erwartungen entsprechen, die unsere afrikanischen Freunde an uns haben und die wir in einem positiven Sinne natürlich auch an unsere Partner in Afrika haben.
Andererseits wollen wir auch die Zahl der in diese Strategie eingebundenen Akteure erhöhen, damit nicht nur wie üblich Regierungen daran beteiligt sind. Neben den Regierungen wünschen wir uns die Beteiligung anderer staatlicher Einrichtungen und der Parlamente, die ich bereits genannt habe, sowie breiter Kreise der Zivilgesellschaft, ihrer Vertreter und Akteure. Der zweite Aspekt, den ich für ausgesprochen entscheidend halte, ist unser Plan, die Agenda zwischen der Europäischen Union und Afrika zu überarbeiten. Wir wollen die Agenda an die neuen globalen Herausforderungen anpassen, damit sie dem grundlegendem Wandel in der Welt Rechnung trägt und insbesondere Afrika die Möglichkeit bietet, sich voll in die neue Weltordnung zu integrieren.
Aus diesem Grunde wollen wir mit Afrika neue und zeitgemäße Themen wie die Energiekrise, den Klimawandel sowie Fragen der Migration, Mobilität und Beschäftigung erörtern, ohne dabei natürlich Sachverhalte zu vernachlässigen, die für unsere bisherige Partnerschaft von Bedeutung waren und immer noch sind, wie Frieden, Sicherheit, demokratische Staatsführung und Menschenrechte sowie Fragen der Wissenschaft und der Informationsgesellschaft.
Ich denke, dass diese Agenda umfassend, ehrgeizig und, wie ich bereits gesagt habe, zeitgemäß ist. Wir müssen unsere Agenda mit Afrika erneuern, um wirksam auf die derzeitigen Bedürfnisse reagieren zu können. Ich möchte ferner betonen, dass der portugiesische Ratsvorsitz und Portugal nie gezögert haben, Diktatoren in Afrika und in anderen Teilen der Welt beim Namen zu nennen und somit anzuprangern, und wir werden dies falls nötig auch weiterhin tun.
Abschließend möchte ich auch der Kommission für ihre Hilfe bei den Vorbereitungen für den zweiten EU-Afrika-Gipfel danken. Wir haben von der Kommission und von Kommissionsmitgliedern mit besonderen Zuständigkeiten in diesen Bereichen engagierte und erstklassige Unterstützung erfahren, und wir sind uns sicher, dass wir alle auf das gemeinsame Ziel hinarbeiten, Veränderungen in Afrika und für Afrika herbeizuführen.
Louis Michel, Mitglied der Kommission. − (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst beim Rat für seine ausführliche Antwort auf die Redebeiträge bedanken, denen ich nur beipflichten kann.
Ich teile viele der vorgebrachten Sorgen. Die Kommission bemüht sich, ihren Überseetätigkeiten mehr Kohärenz zu verleihen, und gerade die Art des Dialogs zwischen Europa und Afrika sollte es uns schrittweise ermöglichen, einige der Widersprüche, einschließlich der von Herrn Rocard aufgezeigten, zu beseitigen. Es versteht sich von selbst, dass wir manchmal widersprüchliche Politiken verfolgen: Sie brauchen nur an die Agrarbeihilfen zu denken. Das ist ein Widerspruch. Leider muss hier zwischen auseinander gehenden Interessen eine Wahl getroffen und dies manchmal einfach akzeptiert werden. Ich stelle fest, dass Europa wahrscheinlich der einzige internationale Akteur ist, der sich ständig selbst korrigiert und zumindest eindeutig versucht, in die richtige Richtung zu gehen.
Ein zweiter Punkt, der angesprochen wurde, ist Simbabwe. Ich möchte darauf nicht zurückkommen. Frau Martens hat darauf besser geantwortet als ich es könnte. Wir haben es hier mit einem EU-Afrika-Gipfel und nicht mit einem EU-Simbabwe-Gipfel zu tun. Das ist der erste Punkt. Der zweite ist, dass ich die Aufrufe zur Anprangerung Mugabes deutlich vernommen habe. Ich könnte das Gleiche tun, aber es würde nichts ändern. Die Entscheidung, Herrn Mugabe einzuladen, hängt nicht von uns ab. Es tut mir Leid, aber wir können nicht die Rolle unserer afrikanischen Partner übernehmen. Als Kommissar für Entwicklung und humanitäre Hilfe mit besonderer Zuständigkeit für die AKP-Staaten und für die politischen Beziehungen und den Dialog mit Afrika bedauere ich, Ihnen sagen zu müssen, dass wir nicht das Recht haben, auf unsere afrikanischen Partner Zwang auszuüben, indem wir ihnen sagen: „Sie können jeden einladen, nur ihn nicht.“ Auf die Gefahr hin, etwas zu weit zu gehen, werde ich auch Folgendes sagen: Wenn wir die Dinge am Maßstab von Diktatoren oder besser derer, die wir für angemessen halten, beurteilen müssten, hätten wir nicht nur mit Herrn Mugabe Probleme. Gestatten Sie, dass ich dies bemerke. Das ist die Realität.
Wichtig ist, dass der Gipfel stattfindet, und auch, dass wir auf diesem Gipfel verschiedene Punkte erörtern und die Frage der Menschenrechte in Simbabwe ansprechen können. Das ist es, was mir nützlich und wichtig erscheint; das will ich gesagt haben. Der Gipfel muss daher stattfinden. Wir haben lang genug gewartet. Es hat bereits einen Afrika-China-Gipfel gegeben. Darüber hinaus ist ein Afrika-Japan-Gipfel in Vorbereitung, und wir, wir würden warten, dass dieser Gipfel – ich weiß nicht wann – stattfindet.
Ich möchte im Übrigen darauf hinweisen, dass die Frage der Hilfe Südafrikas aufgeworfen wurde. Wenn es ein afrikanisches Land gibt, das bedeutende Anstrengungen geleistet hat, um dieses Problem im besten Interesse aller zu lösen, dann ist es Südafrika. Darüber hinaus ist dieses Land sehr wahrscheinlich im Begriff, ein wichtiges Übereinkommen zwischen der Mehrheit und der Opposition in Simbabwe zu bewirken, anzuregen und auszuarbeiten, was zu ehrlichen und fairen Wahlen im März 2008 führen sollte. Diese Verhandlungen laufen noch, aber das letzte Gespräch, das ich mit Präsident Mbeki geführt habe, schien jedenfalls echten Grund zur Hoffnung zu geben. Kritisieren wir Südafrika also nicht, denn es tut, was es kann, und das gar nicht so schlecht.
Was den Anteil der Finanzhilfe für die Landwirtschaft angeht, möchte ich lediglich darauf hinweisen, dass der für diesen Sektor vorgesehene Betrag zwischen dem neunten und dem zehnten Europäischen Entwicklungsfonds von 663 Millionen Euro auf 1,1 Milliarden Euro angehoben wurde. Es stimmt, dass es trotz der Mittelaufstockung zwischen dem neunten und dem zehnten EEF zu einer Verringerung in absoluten Prozentzahlen gekommen ist, aber was die konkreten Zahlungen angeht, ist der tatsächliche Anstieg nicht zu übersehen. Zusätzlich sollte ich erwähnen, dass ich bei einem Treffen in Washington vor einigen Tagen mit Freude vernahm, wie der Präsident der Weltbank ankündigte, dass ein größerer Schwerpunkt auf die Entwicklung der Landwirtschaft gelegt werde. Ich teile also die Sorgen, die gerade geäußert wurden.
Was die Rolle der Zivilgesellschaft und der Parlamente und auch des Panafrikanischen Parlaments anbelangt, kann ich dem im Bericht verfolgten Ansatz nur voll und ganz zustimmen.
Mit einem Wort – ich will es kurz machen, weil mir nicht viel Zeit bleibt – möchte ich, wie versprochen, noch einmal auf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die WPA, zurückkommen. Sie kennen meinen Standpunkt, was diese Abkommen betrifft. Sie stellen eine wesentliche Bedingung für die Integration Afrikas in die Weltgemeinschaft dar. Wie die Erfahrung aus Asien gezeigt hat, ist nicht die Entwicklungshilfe der entscheidende Faktor für den Fortschritt, sondern die wirtschaftliche Entwicklung und die Integration in den Weltmarkt. Meines Erachtens stellen die WPA für die AKP-Länder eine Chance dar, sich schrittweise in die internationale Handelsgemeinschaft zu integrieren, indem zunächst ihre regionalen Märkte aufgebaut werden. Ich möchte jedoch betonen, dass der 1. Januar 2008 nicht den Startschuss für eine plötzliche und schonungslose Marktliberalisierung geben wird. Was bedeutet dieses Datum also? Es bedeutet, dass die Märkte schrittweise geöffnet werden, mit unterschiedlichen Übergangszeiten je nach Erzeugnis und mit der Unterstützung von Regionalfonds, die finanzielle Hilfe bereitstellen und auch zur Lösung des Problems des durch die Liberalisierung verringerten Steueraufkommens beitragen werden. Es mangelt da nicht an interessanten Vorschlägen.
Darüber hinaus werden wir in einer ganzen Reihe von Bereichen bedeutende Mittel bereitstellen können, wodurch optimale Voraussetzungen geschaffen werden könnten, um diesen Liberalisierungsprozess schrittweise und diese progressive Öffnung der Märkte nützlich, positiv und produktiv zu gestalten. Ich verstehe die von einigen geäußerten Vorbehalte nur zu gut, aber was die Forderung nach einer Verschiebung des Abschlusses dieser Wirtschaftspartnerschaftsabkommen angeht, muss ich Ihnen sagen, dass ich darin keinen Vorteil sehe. Die WTO wird uns keine Ausnahme für die AKP-Länder gewähren – auch wenn es schön ist, diese Möglichkeit in Aussicht zu stellen –, denn unser derzeitiges System benachteiligt andere Entwicklungsländer, die auf die gleiche Weise behandelt werden möchten wie die ehemaligen Kolonien.
Die einzige Alternative ist daher, das allgemeine
Präferenzsystem anzuwenden. Die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) werden den Zugang haben, der gemäß der Alles-außer-Waffen-Initiative gewährt wird, aber für die übrigen Länder – und das sind immerhin 36 – würde dies eine Verschlechterung im Vergleich zu ihrem derzeitigen Zugang darstellen. Durch die WPA werden wir unseren traditionellen Partnern weiterhin diesen präferenziellen Zugang gewähren können, aber vor allem wird der Prozess regionaler wirtschaftlicher Integration unterstützt. Ich denke, dass gerade darin das echte Potenzial für den Beitrag des Handels zur wirtschaftlichen Entwicklung liegt.
Wir sind uns natürlich der Probleme bewusst, die unsere Partner damit haben, wir erkennen ihre Vorbehalte und verstehen ihre – zugegebenermaßen – berechtigten Ängste. Genau aus diesem Grund haben wir ursprünglich vorgeschlagen, Etappen-Abkommen abzuschließen, die zunächst das Handelsproblem lösen sollen, indem die gegenseitige Marktöffnung im Einklang mit den WTO-Regeln festgelegt wird. Wie ich immer betont habe, werden die Marktzugangsangebote unserer AKP-Partner natürlich auf den Grundsätzen der Asymmetrie beruhen. Es sollte daran erinnert werden, dass wir für unseren Teil unsere Märkte vollständig öffnen, dass wir so flexibel wie möglich sein wollen und von sämtlichen uns verfügbaren Spielräumen Gebrauch machen werden, um bei unseren Entwicklungsbemühungen insbesondere die Notwendigkeit zu berücksichtigen, den wichtigsten Teil der landwirtschaftlichen Erzeugung und der neuen Industriezweige zu schützen.
Momentan arbeiten wir weiter an dieser Frage. Die wahre Herausforderung besteht darin zu verhindern, dass die Nicht-LDC-Länder am 1. Januar in eine verheerende Handelslage abrutschen. Für diese Länder stehen eindeutig riesige kommerzielle Interessen auf dem Spiel. Wenn wir die Frage des Marktzugangs bis zum 1. Januar immer noch nicht geklärt haben, ist es klar, dass sie wieder beim allgemeinen Präferenzsystem landen werden. Dann stehen sie im Abseits und befinden sich in einer wirklich katastrophalen Lage. Wir müssen also das Tempo beschleunigen, wenn wir zumindest zeitweilige Abkommen erzielen wollen. Das ist es im Wesentlichen, was die WPA betrifft.
Schließlich möchte ich sagen, dass ich den Ansichten, die Herr Borrell so deutlich vorgetragen hat, voll und ganz zustimme. Bei diesem Gipfel und bei der EU-Afrika-Strategie geht es um eine grundlegende Änderung der Beziehungen zwischen Europa und Afrika. Wir sollten daher versuchen – und hier möchte ich ihn zitieren – eine starke Partnerschaft zwischen zwei Seiten zu schaffen, die sich gegenseitig respektieren und einander gegenüber Rechte und Pflichten haben, und wir sollten die jetzige Beziehung – ich würde sie nicht banal nennen, dafür ist es zu ernst –, diese überholte, archaische und kontraproduktive Beziehung, diese oftmals demütigende Verbindung zwischen Geber und Empfänger hinter uns lassen.
Die Präsidentin. − Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 11.30 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Der EU-Afrika-Gipfel sollte einen Wendepunkt in der Gemeinschaftsstrategie darstellen, die die Souveränität und die Entwicklungsrechte der afrikanischen Staaten und Völker achten muss, indem sie sich um eine gerechtere, friedlichere, menschlichere und solidarischere Welt bemüht.
Dies erfordert beispielsweise:
- sofortige Solidaritätsmaßnahmen, um die dringendsten Grundbedürfnisse von Millionen von Menschen zu befriedigen;
- Achtung der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit, Nichteinmischung in die innerstaatlichen Angelegenheiten aller Länder und friedliche Beilegung internationaler Konflikte;
- Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen und allmähliche Reduzierung der Rüstungs- und Militärausgaben;
- gerechte internationale Wirtschaftsbeziehungen und Ablehnung der Auflagen des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation sowie der „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ zur Handelsliberalisierung;
- Erlass der Auslandsschulden, die bereits mehr als beglichen wurden;
- geeignete Kooperationsstrategien sowie eine aktive und gegenseitige Entwicklungsförderung;
- Gewährleistung der Rechte von Einwanderern.
Diese Beziehungen dürfen nicht länger auf neokolonialistischen Bestrebungen oder paternalistischen Sichtweisen gründen, die dazu dienen, das Terrain zurückzugewinnen, das mit der nationalen Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verloren ging, und den Einfluss, die militärische Präsenz der EU-Großmächte sowie die Kontrolle und Ausbeutung der nationalen Ressourcen durch transnationale Unternehmen zu fördern.
Tokia Saïfi (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Wenn die Bedeutung herausgestellt werden soll, die der Bericht des Parlaments über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Afrika im Hinblick auf den EU-Afrika-Gipfel im Dezember hat, dann ist vor allem dessen realistischer Ansatz zu begrüßen.
Der Bericht fordert eine echte Partnerschaft zwischen der EU und Afrika, eine demokratische und realistische Partnerschaft, die sich auf eine effektive und koordinierte Entwicklungshilfe, aber auch auf den Handel stützt.
Insbesondere unterstütze ich die Aushandlung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA), da – wie im Bericht betont wird – der internationale Handel als Instrument im Dienste der Entwicklung gesehen werden muss. Eine dauerhafte Armutsverringerung kann nur durch ein faires, nachhaltiges und sorgfältig überwachtes Wirtschaftswachstum erzielt werden, das sich aus einer durch den Marktzugang angeregten Handelstätigkeit ergibt.
Der Freihandel ist kein Selbstzweck, sondern muss den Bedürfnissen der AKP-Staaten dienen. Aus diesem Grund müssen die WPA schrittweise und asymmetrisch umgesetzt werden, um den lokalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
Wir können uns nicht mit punktuellen Hilfsmaßnahmen zufrieden geben, da wir die Probleme damit nicht lösen, sondern allenfalls verschieben.
Afrika ist nicht nur eine Bühne für die humanitäre Hilfe, sondern muss bei seiner eigenen Entwicklung eine aktive Rolle übernehmen, mit der Europäischen Union als Partner.
14. Internationaler Vertrag zum Verbot von Streumunition (Aussprache)
Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt eine Aussprache über
- die mündliche Anfrage an den Rat über einen internationalen Vertrag zum Verbot von Streumunition; Folgemaßnahmen auf die Erklärung von Oslo von Josep Borrell Fontelles im Namen des Entwicklungsausschusses (O-0048/2007 – B6-0319/2007),
- die mündliche Anfrage an die Kommission über einen internationalen Vertrag zum Verbot von Streumunition – Folgemaßnahmen auf die Erklärung von Oslo von Josep Borrell Fontelles im Namen des Entwicklungsausschusses (O-0052/2007 – B6-0320/2007).
Josep Borrell Fontelles (PSE), Verfasser. – (ES) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, Herr Minister! Der Ruf nach einem Verbot von Splitterbomben wird immer lauter. Der Einsatz dieser Bomben im Sommer 2006 im Libanon machte deutlich, in welchem Ausmaß sie zu einer humanitären Katastrophe führen können.
Es handelt sich um Waffen, die eine Gefahr für Zivilisten und Armeekräfte darstellen, doch in der Praxis stammen 90 % ihrer Opfer aus der zivilen Bevölkerung. Darüber hinaus explodieren 10 % dieser tödlichen Bomben nicht, sie bleiben im Boden liegen und haben die gleiche Wirkung wie Landminen.
Deshalb ist das mit dieser Munition verseuchte Land für die Bevölkerung und auch für die internationalen Friedenskräfte gefährlich. Diese Bomben werden nicht nur für den Krieg verwendet, sie sind über einen langen Zeitraum ein Hindernis für Verkehr und Landwirtschaft sowie Handelsbarrieren und Hemmnisse für die humanitäre Hilfe.
Daher sind sie eines der Hauptprobleme, die sich nachteilig auf die Entwicklung der armen Länder auswirken. Gerade die ärmsten Länder sind besonders von ihnen betroffen, und in diesen Ländern kommen die Opfer vor allem aus den ärmsten Bevölkerungsgruppen mit dem niedrigsten Bildungsgrad.
Wir können nicht mehr sagen, dass die Bombardierung eines Feindes aus einer Höhe von 10 000 Metern und die gießkannenartige Streuung von Bomben, die dann am Boden liegen bleiben, ein wirksamer Weg zur Erhaltung des Friedens oder der militärischen Intervention ist.
Die Stationierung von Friedenstruppen und der Einsatz der humanitären Hilfe sind heute von wesentlicher Bedeutung, um die vom Konflikt betroffenen Regionen zu stabilisieren und wiederaufzubauen, und diese Bomben sind jetzt durch nichts mehr zu rechtfertigen, auch nicht aus militärischer Sicht.
Heute wollen wir mit der Kommission und dem Rat konkret über die Initiativen sprechen, die infolge eines breiten Wandels im Denken der internationalen Gemeinschaft zu diesen Splitterbomben entstanden sind.
Das Europäische Parlament hat wiederholt einen ganz klaren Standpunkt eingenommen: Wir wollen eine internationale Rechtsvorschrift globalen Charakters, mit der die Anwendung, Produktion, Weitergabe, Finanzierung und Lagerung von Splitterbomben verboten werden. Bis dahin sollten die Mitgliedstaaten einseitige Maßnahmen ergreifen, um den Einsatz und die Weitergabe dieser Bomben zu unterbinden, wie es viele Staaten bereits getan haben und andere jetzt vorbereiten.
Frau Kommissarin, Herr Minister, der Dank des Europäischen Parlaments gilt der Ratspräsidentschaft, der Kommission und den Mitgliedstaaten für ihre Bemühungen um die Verhandlung eines neuen Protokolls zur Konvention der Vereinten Nationen über den Einsatz bestimmter konventioneller Waffen, in dem alle humanitären Probleme in Verbindung mit der Verwendung von Splitterbomben aufgegriffen werden. Doch leider müssen wir eingestehen, dass bis jetzt sehr wenige Fortschritte gemacht wurden.
Deshalb brauchen wir einen soliden Oslo-Prozess, auf dessen Grundlage die Staaten, die NRO, das Rote Kreuz und die internationalen Organisationen eine ambitiöse Agenda festlegen und umsetzen können. Im Moment wird Oslo von 80 Ländern unterstützt, einschließlich vieler Entwicklungsländer, doch es ist keineswegs sicher, dass dieser Prozess in einem vollständigen Verbot von Splitterbomben münden wird.
Klar ist, dass wir einen integrierten, umfassenden Ansatz benötigen, der ein humanitäres Wesen besitzt und nicht nur auf die Abrüstung sondern vor allem auf den Schutz von Zivilisten gerichtet ist, um ihnen zu helfen, die Folgen des Krieges zu überwinden und dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Bestände dieser Bomben vernichtet und die kontaminierten Flächen geräumt werden.
Mit einer Reihe von wichtigen Veranstaltungen, die kurz bevorstehen, wie dem Treffen in Wien im Dezember und dem Treffen in Brüssel nächste Woche sowie dem weltweiten Aktionstag zum Verbot von Splitterbomben am 5. November, wird es viele Aktivitäten weltweit geben, und was werden wir tun?
In diesem Zusammenhang möchte ich die Kommission und die Vertreter des Rates fragen, was wir tun werden, welche Position wir einnehmen. Wie ist die Position der Europäischen Union zum Stand der Diskussionen im Rahmen der Konvention über den Einsatz bestimmter konventioneller Waffen?
Werden wir einen Gemeinsamen Standpunkt des Rates zu dieser Angelegenheit haben? Welche Initiativen entwickeln wir, um die Mitgliedstaaten zu ermuntern, nationale Maßnahmen zum Verbot von Splitterbomben zu ergreifen? Was tun wir, um Drittländer bei der Räumung der von dieser Munition verseuchten Gebiete, bei der Information über die Gefahren und der Vernichtung der Bestände bereits verbotener Munition zu unterstützen?
Und zum Schluss, wird die Kommission die Durchführung einer internationalen Konferenz über die Rolle der Europäischen Union bei der Bewältigung der sozioökonomischen, humanitären und entwicklungspolitischen Folgen nach Konflikten, bei denen diese Waffen zum Einsatz kamen, in Erwägung ziehen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Herr Borrell, ich möchte Ihnen eingangs für Ihre drei Fragen zu diesem speziellen Thema des Verbots von Splitterwaffen danken. Ich werde versuchen, alle drei Fragen an den Rat kurz und so objektiv wie möglich zu beantworten.
Zu Ihrer ersten Frage muss ich sagen, dass die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem Übereinkommen über bestimmte konventionelle Waffen – um mich kurz zu fassen, werde ich lediglich vom Übereinkommen sprechen – im Namen der Europäischen Union ihre Besorgnis angesichts der humanitären Auswirkungen von Streumunition zum Ausdruck gebracht hat. Die Europäische Union hat insbesondere auf der Dritten Konferenz der Unterzeichnerstaaten zur Überprüfung des Übereinkommens, die vom 7. bis zum 17. November in Genf abgehalten wurde, darauf hingewiesen, dass Streumunition künftig einen wichtigen Stellenwert im Übereinkommen über bestimmte konventionelle Waffen erhalten wird.
Die EU hat einen Vorschlag zur Einrichtung einer offenen Gruppe von Regierungsexperten unterbreitet, die Empfehlungen für ein weiteres Vorgehen im Rahmen des Übereinkommens vorlegen sollen. Dieser Vorschlag wurde von den Unterzeichnerstaaten abgelehnt. Man hat sich allerdings darauf geeinigt, möglichst schnell eine Zwischentagung der Gruppe von Regierungsexperten für explosive Kampfmittelrückstände einzuberufen, die sich insbesondere mit Streumunition befassen soll.
Diese Tagung fand vom 19. bis 22. Juni 2007 in Genf statt. Die EU hat bei dieser Gelegenheit den Entwurf für ein Verhandlungsmandat für ein rechtsverbindliches Instrument vorgelegt, um alle humanitären Aspekte von Streumunition zu berücksichtigen. Dieses Instrument sollte bis Ende 2008 angenommen werden.
Die EU-Troika hat sich ausführlich mit Drittstaaten beraten, um diesen EU-Ansatz voranzubringen. Die Gruppe von Regierungsexperten hat jedoch beschlossen, alle Entscheidungen über ein rechtsverbindliches Instrument bis zur nächsten Sitzung der Hohen Vertragsparteien zum Übereinkommen zu vertagen, die im nächsten Monat stattfinden wird.
Neben diesen Bemühungen, den Besorgnissen im Zusammenhang mit Streumunition zu begegnen, haben sich, wie Sie wissen, einige Mitgliedstaaten zur Einhaltung der Erklärung von Oslo verpflichtet und an einer Reihe von Zusammenkünften im Rahmen des so genannten „Prozesses von Oslo“ teilgenommen, der ein vollständiges Verbot von Streumunition zum Ziel hat.
Die EU-Mitgliedstaaten haben sich als Einzelstaaten daran beteiligt. Bisher konnte keine Einigung zu einem Standpunkt der Gemeinschaft zum Prozess von Oslo erzielt werden. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten betrachtet diese beiden Prozesse als einander ergänzend und als parallele Bemühungen um ein gemeinsames Ziel, nämlich ein internationales rechtsverbindliches Instrument für Streumunition zu schaffen.
Zu Ihrer zweiten Frage bezüglich der bevorstehenden Sitzungen in Brüssel und Wien muss ich sagen, dass sich, wie ich bereits angemerkt habe, die EU-Mitgliedstaaten und damit auch der Ratsvorsitz auf Wunsch als Einzelstaaten daran beteiligen können. Es ist kein gemeinsamer Standpunkt der EU vorgesehen.
Zu Ihrer dritten Frage kann ich abschließend sagen, dass die jüngsten Entscheidungen Österreichs und Belgiens zum Verbot von Streumunition, auf die sich Herr Borrell in seiner Frage bezogen hat, wie Sie wissen rein einzelstaatlicher Natur sind. Der Rat hat in dieser speziellen Frage keine spezifischen Maßnahmen ergriffen.
Die Präsidentin. − Lassen Sie uns hoffen, dass er sich bald dazu äußern wird.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich möchte Herrn Borrell Fontelles dafür danken, dass er diese mündliche Anfrage an uns gerichtet hat. Ich bin froh darüber, denn meiner Meinung nach ist dies für uns eine Gelegenheit, diese Frage umfassend zu beantworten, geht es doch um eine Sache mit besonders erschreckenden Konsequenzen. Die Auswirkungen auf die Menschen, insbesondere auf die Zivilbevölkerung, sind in hohem Maße negativ. Deshalb schätze ich diese Frage sehr, denn alles, was die Sicherheit der Menschen betrifft, liegt mir immer sehr am Herzen. Ich stimme voll und ganz mit dem Standpunkt unseres Ratspräsidenten überein, möchte aber auch noch ein paar andere Dinge ansprechen.
Im Laufe des vergangenen Jahres hatte ich Gelegenheit, diese Frage in verschiedenen offiziellen und inoffiziellen Foren zu erörtern, darunter auf zwei Tagungen – einer ersten in Paris und später einer weiteren in Alexandria – die vom Institut für Friedensfragen unter Leitung von Frau Mubarak veranstaltet wurden. Sie hat sich dieser Sache sehr angenommen und meiner Meinung nach versucht, die Dinge voranzubringen. Ebenso wie Antipersonenminen sind auch explosive Kampfmittelrückstände eine große Bedrohung für das Leben und die Sicherheit der Zivilbevölkerungen, und ich möchte auf die von Herrn Borrell Fontelles gestellten Fragen gern ausführlich antworten.
Solche Kampfmittel können sowohl Sofortwirkungen als auch Langzeitwirkungen haben. Durch das Ausstreuen von Sprengstoffen über große Flächen können sie, wie wir alle wissen, viele Zivilisten töten und verwunden; häufig, handelt es sich dabei um Kinder. Darüber hinaus kommt es oft vor, dass Kleinbomben oder Submunition beim Aufprall nicht implodieren bzw. explodieren und ihre tödliche Wirkung nach dem Konflikt weiter besteht, sodass durch Streumunition auch die internationale humanitäre Hilfe ernsthaft behindert wird. Das haben wir im Libanon-Krieg gesehen.
Was das Krisenmanagement in den letzten Jahren und die Nachkriegswiederaufbauprogramme in Kriegs- und Nachkriegszeiten betrifft, so haben wir in der Kommission sehr aktiv den durch Landminen und auch durch andere explosive Kampfmittelrückstände einschließlich Streumunition entstandenen Problemen entgegengewirkt.
Im Rahmen der beiden Antiminenstrategien der Europäischen Kommission für den Zeitraum 2002 bis 2007 sind weltweit über 300 Millionen Euro in Projekten gebunden worden, bei denen es um Aktivitäten wie Minenräumung, Vernichtung von Munitionsvorräten, Aufklärung über Minengefahren, Minenopferhilfe, Rehabilitation und soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung ging. Projekte zum Thema Streumunition sind auch in Ländern durchgeführt worden, die stark unter diesen Waffen zu leiden hatten, wie zum Beispiel Afghanistan, Laos und Kambodscha, um nur einige zu nennen.
Auch in Zukunft werden wir unser Engagement fortsetzen, indem wir die Aktionen gegen Antipersonenminen und explosive Kampfmittelrückstände in unseren gemeinschaftlichen Programmen und Strategien unserer externen Hilfe festschreiben – das wird also überall sein.
Bei der Finanzierung von humanitären Minenräumaktionen greift die Kommission auch auf das von ECHO verwaltete Instrument für humanitäre Hilfe zurück. Das jüngste Beispiel für die Unterstützung einer humanitären Minenräumung war Libanon, wohin nach dem bereits von mir erwähnten Konflikt im Dezember 2006 bedeutende humanitäre Hilfe geflossen ist.
Was die Rolle der Kommission bei den Verhandlungen zu Abrüstungsverträgen oder -übereinkommen betrifft, so möchte ich daran erinnern, dass solche Verhandlungen manchmal nicht in unserer Zuständigkeit liegen. Wenn die Gemeinschaft nicht als Partei an den Abrüstungsverträgen oder -übereinkommen beteiligt ist, dann kann sie rechtlich nur an Partnerländer appellieren, sich für den Multilateralismus stark zu machen, besonders durch Beteiligung an Verträgen und Abkommen. Ich denke, dazu hat sich unser Präsident bereits ausführlich geäußert.
Wir haben bei den Demarchen der EU-Troika in Kernländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika, Japan, Brasilien, Südkorea, Kanada, Pakistan und der Ukraine mitgewirkt, um die multilateralen Initiativen zu Streumunition im Rahmen des Übereinkommens über das Verbot bestimmter konventioneller Waffen, insbesondere Verhandlungen über ein rechtsverbindliches Instrument zur Behandlung der humanitären Probleme von Streumunition, zu fördern. Das Ziel besteht darin, die Verhandlungen bis Ende nächsten Jahres abzuschließen.
Gleichzeitig verfolgt die Kommission aufmerksam den Oslo-Prozess und beabsichtigt, als Beobachter an den in diesem Zusammenhang geplanten Zusammenkünften in Brüssel und in Wien teilzunehmen.
Abschließend möchte ich Ihnen, Herr Borrell Fontelles, und auch dem Europäischen Parlament versichern, dass sich die Kommission weiterhin nach besten Kräften bemühen wird, alle multilateralen Initiativen zu unterstützen, die auf ein umfassendes und wirksames Verbot von Streuminen abzielen.
Tunne Kelam, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte der Frau Kommissarin sagen, dass ich es ermutigend finde, dass wir die gleichen Sorgen und Ziele haben, und ich möchte ihr für ihre Darstellung und Beschreibung der Entwicklungen danken. Ich bin auch froh über die gute Zusammenarbeit zwischen den Abgeordneten bei der Vorbereitung eines entsprechenden Entschließungsantrags.
Zuallererst einmal ist die Sache dringend, sie ist menschlich und politisch gesehen dringlich, weil Streubomben ungeachtet der von überall in der Welt kommenden Warnsignale nach wie vor eingesetzt werden. Wir müssen uns also mit zwei Problemen auseinandersetzen.
Erstens ist der Einsatz von Streubomben ganz besonders unmenschlich. Diejenigen, die solche Bomben abwerfen, sind in der Regel nicht in der Lage, sie ganz genau auf ein Ziel auszurichten. Mitunter sind ja die Fehlerquoten viel höher als zu erwarten gewesen wäre. Das tragische Ergebnis sind extrem hohe Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung, über 90 %, wie es hieß.
Ein zweites Problem ist die Vielzahl von nicht gezündeten Streubomben, die in den ehemaligen Konfliktgebieten liegen. Das ist für Staaten, die sich entschlossen haben, nach einem Konflikt mit dem Wiederaufbau ihrer Wirtschaft zu beginnen, ein großes Hindernis. Vor diesem Hintergrund sollte die EU meiner Ansicht nach vorangehen und versuchen, jede Form der Produktion, des Einsatzes und des Verkaufs von Streumunition zu verbieten.
Der erste Schritt sollte darin bestehen, ein sofortiges Moratorium für den Einsatz dieser Waffen zu bewirken. Weiterhin fordern wir in unserer Entschließung, dass die Truppen der EU unter gar keinen Umständen Streumunition jedweder Art einsetzen dürfen, bis die entsprechenden internationalen Verträge zustande gekommen sind. Wir appellieren eindringlich an das Parlament und die Kommission, die finanzielle Unterstützung für Bevölkerungsgruppen und Personen, die unter gezündeter oder nicht gezündeter Streumunition zu leiden haben, zu erhöhen und dafür alle verfügbaren Instrumente zu nutzen.
Ana Maria Gomes , im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) Herr Präsident! Ich melde mich im Namen der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament zu Wort. Diese Fragen lassen auf die führende Rolle schließen, die unser Hohes Haus bei der Abrüstung von konventionellen Waffen, der Kontrolle des Munitionstransfers und der Stärkung des humanitären Völkerrechts übernimmt.
Wir haben uns für die Ausweitung des Ottawa-Übereinkommens auf alle Arten von Minen eingesetzt. Lange vor dem Europäischen Rat haben wir uns um einen internationalen Vertrag zum Waffenhandel bemüht. Ferner hat unser Parlament wiederholt auf das dringende Erfordernis verwiesen, den EU-Verhaltenskodex zu Waffenausfuhren rechtsverbindlich zu gestalten.
Diese Fragen befassen sich mit der Zukunft der Splitterwaffen und mit den Maßnahmen, die die EU ergreifen muss, um diese Waffen zu beseitigen, die keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Soldaten machen und unzählige Menschenleben fordern. Wir sprechen uns für ein sofortiges Moratorium für die Verwendung, Herstellung, Lagerung, und Ausfuhr dieser Waffen aus. Das Moratorium muss schnellstmöglich in ein Rechtsinstrument umgewandelt werden, das darauf abzielt, diese barbarische Munition dauerhaft aus den Arsenalen und von den Kriegsschauplätzen zu verbannen, nach dem Vorbild von Antipersonenminen, deren Zahl bereits kontinuierlich zurückgeht.
Neben unserer Forderung an die Europäische Union, eine diplomatische Offensive für dieses neue Instrument zu starten, wollen wir, dass die Mitgliedstaaten mit gutem Beispiel vorangehen und den Einsatz dieser Waffen durch ihre Streitkräfte untersagen. Und nicht nur das, sie müssen sich auch um ein dauerhaftes Verbot der Ausfuhr, Herstellung und Lagerung bemühen. Tagtäglich zahlen Menschen im Libanon, in Tschetschenien, Afghanistan und Dutzenden anderen Ländern mit ihrem Leben für die kriminelle und unmoralische Verantwortungslosigkeit der Streitkräfte, die jegliches Gefühl für die ethischen und rechtlichen Grenzen, die das Handeln zivilisierter Menschen bestimmen sollten, verloren haben.
Es ist Aufgabe Europas, sich an die Spitze einer internationalen Allianz zu stellen, die diese Grenzen wieder herstellt, bekräftigt und stärkt. Wir benötigen dringend einen gemeinsamen Standpunkt, um Streuwaffen und andere Streumunition aus der Welt zu schaffen.
Elizabeth Lynne, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Durch Streubomben werden unterschiedslos Zivilisten getötet oder verwundet, darunter auch viele Kinder. Es werden Träume zerstört und Leben vernichtet. Nehmen Sie das Beispiel des irakischen Jungen, Ahmed Kamel. Neugierig geworden durch einen glänzenden Gegenstand, nahm Ahmed eine kleine Bombe auf, und da explodierte sie. Er verlor beide Hände und sein Augenlicht. Wie soll ein Zwölfjähriger damit klarkommen?
Und dennoch haben wir es mit der schockierenden Tatsache zu tun, dass in mehr als 15 EU-Mitgliedstaaten Streumunitionsvorräte gelagert werden. Entsetzlich dabei ist, dass mindestens zehn EU-Mitgliedstaaten solche Waffen herstellen: Frankreich, Spanien, Griechenland, Italien, die Niederlande, Polen, Rumänien, die Slowakei, Schweden und Bulgarien. Mein Standpunkt ist, dass sowohl diese Länder als auch diejenigen, die solche Waffen eingesetzt haben, einschließlich Großbritannien, Blut an ihren Händen haben.
Ich begrüße Schritte von Ländern wie Belgien zur Einführung innerstaatlicher Rechtsvorschriften zum Verbot von Streumunition, aber alle anderen EU-Mitgliedstaaten müssen diesem Beispiel folgen. Ich appelliere dringend an den Rat und die Kommission, sich dem Oslo-Prozess anzuschließen, denn dazu hatten wir sie ja bereits aufgefordert.
Mit diplomatischen Manövern der britischen Regierung und von anderer Seite, wo behauptet wird, es gäbe „dumme“ und „intelligente“ Streumunition, muss kurzer Prozess gemacht werden – sie alle töten und verstümmeln. Das Wort „intelligent“ könnte nicht irreführender oder unangebrachter sein.
Wir brauchen ein sofortiges Moratorium aller EU-Mitgliedstaaten für den Einsatz, die Finanzierung, die Lagerung, die Produktion, den Umschlag oder die Ausfuhr jeglicher Streumunition. Alle Staaten, die solche Waffen eingesetzt haben, müssen die Verantwortung für ihre Räumung übernehmen, und die Kommission muss dringend die finanzielle Unterstützung für die von nicht gezündeten Kleinbomben betroffenen Bevölkerungsgruppen aufstocken. Ich bitte Sie alle, diese Entschließung zu unterstützen.
Frithjof Schmidt, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Oslo-Prozess eröffnet eine historische Chance, zu einem internationalen Vertrag – nicht nur zu irgendeiner Erklärung, sondern zu einem internationalen Vertrag – über die Ächtung der Streubomben zu kommen. Es gab zwei Jahrzehnte lang Kampagnen, internationale Initiativen, die immer wieder im diplomatischen Gestrüpp von militärischen und wirtschaftlichen Interessen steckengeblieben sind. Jetzt haben wir die Chance, 2008 einen solchen Vertrag zu erreichen.
Das bedarf der Unterstützung nicht nur des Parlaments, das hier über alle Fraktionen hinweg eine klare Position einnimmt. Ich habe mit Interesse und Freude gehört, Frau Ferrero-Waldner, dass die Kommission diese Haltung unterstützt. Jetzt ist es ganz wichtig, dass der Rat dieser klaren Haltung von Parlament und Kommission folgt. Denn es geht ja nicht nur um den Einsatz und die Lagerung von Streubomben und den Handel damit, die geächtet werden sollen, sondern es geht auch um die Produktion. Die Produktion dieser Bomben soll verboten werden, und nach wie vor ist die Europäische Union einer der Hauptproduzenten dieser Waffen. In Deutschland, in Großbritannien, in Frankreich, in Spanien, in Belgien werden diese Waffen nach wie vor produziert. In Belgien und Österreich hat es jetzt ein Gesetz zum Verbot der Produktion gegeben, aber ich weiß, dass die Produktion in Belgien noch immer nicht gestoppt ist. Auch dieses Gesetz hat Lücken.
Wir müssen vorangehen in der Ächtung dieser Waffen. Die Mitgliedstaaten müssen vorangehen in der Ächtung dieser Waffen, und der Rat muss diese klare Position, die hier formuliert wird, aufnehmen. Dann können wir gemeinsam erreichen, dass wir 2008 diesen Vertrag abschließen können!
Tobias Pflüger, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! Persönlich habe ich mich zum ersten Mal mit Streubomben intensiver während des NATO-Angriffskriegs gegen Jugoslawien beschäftigt. Das war einer der Kriege, gegen den ich gekämpft habe, und der wie viele andere Kriege von westlichen Staaten geführt wurde.
98 % der Opfer von Streubomben sind Zivilisten. 5 bis 40 % der Submunition von Streubomben explodieren nicht. Ich will hier einfach einmal Klartext reden: Es sind vor allem große westliche Industriestaaten, die Splitterbomben produzieren, ihre Armeen damit ausrüsten und Streubomben in Kriegen einsetzen. 34 Länder produzieren Streubomben, davon 13 EU-Staaten. Streubomben sind Teil einer Art von Kriegsführung, an der EU-Staaten beteiligt sind, zum Beispiel in Jugoslawien, Afghanistan oder im Irak. Deshalb, vergießen Sie hier bitte keine Krokodilstränen!
Die EU muss sich an die eigene Nase fassen. Das heißt ganz konkret, dass es einer gemeinsamen ablehnenden Position der Europäischen Union gegen diese schlimmen Mordwaffen bedarf. Das heißt: keine Produktion mehr von Streubomben und natürlich auch kein Einsatz von Splitterbomben, so wie im Golfkrieg oder in Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak und im Libanon geschehen. Das darf nicht mehr sein!
Alain Hutchinson (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Frau Kommissarin! Es ist schon viel zu diesem Thema gesagt worden und natürlich bedauern wir – das Wort ist nicht stark genug – die Verwendung von Streumunition, die in einer Reihe von Ländern so schwere Schäden angerichtet hat, und ich möchte Herrn Borrell dafür danken, dass er dieses beunruhigende Thema angesprochen hat.
Doch wenn dieses Verbot wirksam sein soll und wenn der in der Entschließung ausgedrückte Wille Erfolg haben soll, müssen wir natürlich viel weiter gehen als den Einsatz Verwendung solcher Waffen zu verbieten. Wir müssen uns auch mit ihrer Herstellung und ihrem Vertrieb befassen, weil wir nicht auf der einen Seite humanitäre Debatte führen können – und es stimmt, dass diese Bomben, die nicht explodieren, sondern an allen möglichen Orten verborgen in der Erde liegen und somit Gemeinschaften und Flüchtlinge daran hindern in ihr Heimatland zurückzukehren, auch humanitäre Hilfe verhindern – wir können nicht eine solche Debatte führen, um den humanitären Aspekt des Problems hervorzuheben, ohne zugleich wirksame Maßnahmen gegen die Industrien hier bei uns zu ergreifen, die leider diese Waffen immer noch herstellen und vertreiben.
Ich möchte abschließend sagen, dass diese Entschließung uns vielleicht eine Möglichkeit gibt, auch an die Mitgliedstaaten zu appellieren. Mein Land, Belgien hat die notwendigen Gesetze verabschiedet, ich denke wirklich, dass es damit das erste Land war und ich glaube, dass wir uns von dem Gesetz, das in Belgien angenommen worden ist, inspirieren lassen können, um an die anderen 26 Mitgliedstaaten zu appellieren, dies auch zu tun.
Annemie Neyts-Uyttebroeck (ALDE). – (NL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin, Herr Minister, Herr amtierender Präsident des Rates! Ich möchte mich meinerseits dafür aussprechen, sowohl die Frage und ihre Formulierung durch Herrn Borrell als auch unseren gemeinsamen Entschließungsantrag in dieser Angelegenheit zu unterstützen.
Mir ist vollkommen bewusst, dass die Bemühungen um Rüstungskontrolle immer sehr schwierig sind und manchmal der Springprozession von Echternach gleichen, wo man einen Schritt vorwärts und zwei zurück geht. Meines Erachtens müssen wir diese Bemühungen intensivieren, denn, jetzt, da die Aufrüstung wieder auf der Tagesordnung steht, sind Menschen, die sich für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Kontrolle von Waffen einsetzen, in den letzten Jahren offensichtlich zu altmodischen Wesen aus vergangenen Zeiten geworden. Ich finde das außerordentlich alarmierend.
Wenn man bedenkt, dass ein Staatschef der einzig noch verbliebenen Supermacht in der Welt unlängst mit einem möglichen dritten Weltkrieg gedroht hat, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. In diesem Zusammenhang, der einer Bündelung der Kräfte weit weniger förderlich ist, ist es meines Erachtens wichtiger denn je, dass der Rat und die Kommission unablässig betonen, dass die Mitgliedstaaten in dieser Sache gemeinsam handeln müssen, was bisher leider nicht der Fall war.
Carl Schlyter (Verts/ALE). - (SV) Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich spreche auch im Namen meines Kollegen Raül Romeva, der aus Spanien kommt, während ich aus Schweden bin. Beide Länder stellen diese schrecklichen Waffen her und haben zugesagt, sie zu verbieten. Aber was tut mein Heimatland? In den Verhandlungen in Oslo hat Schweden argumentiert, dass es eine begrenzte Anwendung einem Verbot vorziehen würde. Das ist eine skandalöse Einstellung, kein zivilisiertes Land kann diese grausamen Waffen befürworten. Darum freut mich die heute deutlich gewordene große Einigkeit zwischen Rat, Kommission und Parlament für ein Totalverbot.
Wenn diese Waffen eingesetzt werden, bedrohen sie unschuldige Kinder. Es ist eine effektive Waffe gegen Menschenrechte und wirtschaftliche Entwicklung. Aus diesem Grunde müssen wir auch einen außerordentlich effektiven Kampf für ihr Verbot führen. Dies ist also erst der Anfang. Lassen Sie uns den Prozess schnellstmöglich zu Ende bringen, denn jede Minute stirbt ein weiteres Kind. Vielen Dank.
VORSITZ: MANUEL ANTONIO DOS SANTOS Vizepräsident
Luis Yañez-Barnuevo García (PSE). – (ES) Herr Präsident! Ich möchte mich den Rednern anschließen, die bereits über das Verbot der Produktion, des Exports und der Lagerung dieser Waffen – der Splitterbomben – sprachen, die den Zivilpersonen so großen Schaden zufügen, und ich möchte meine Unterstützung für den Oslo-Prozess zum Ausdruck bringen, trotz der Tatsache, dass mein Heimatland, wie Vorredner sagten, diese Art von Waffen herstellt, lagert und exportiert.
Doch ich muss eine Anmerkung machen: Am 21. September, das heißt vor nur einem Monat, legte die Regierung durch die Partei, die sie stützt, die Sozialistische Partei, im Parlament einen Änderungsantrag zum Gesetz über die Kontrolle des Außenhandels mit Verteidigungs- sowie zivil und militärisch nutzbaren Materialien auf den Tisch, der unter anderem die Einschränkung – und gegebenenfalls das Verbot – von Splitterbomben vorsieht, die für die Zivilbevölkerung besonders gefährlich sind.
Mit anderen Worten, in meinem Heimatland ist eine Trendwende zu beobachten: Die Herstellung, Lagerung und Ausfuhr dieser Waffen wurden von vorhergehenden Regierungen beschlossen. Diese Regierung bekennt sich vorbehaltlos zum Oslo-Prozess und wünscht eine schrittweise Abschaffung und eventuell ein vollständiges Verbot ihrer Produktion, Lagerung und ihres Exports. Das war die wichtige Anmerkung, die ich machen wollte.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin, werte Damen und Herren! Ich möchte auf zwei wichtige Punkte eingehen, werde mich aber kurz fassen, weil ich weiß, dass wir bereits weit über der Zeit liegen. Erstens hat mir diese Aussprache einen klaren Eindruck darüber vermittelt und mich davon überzeugt, dass das Europäische Parlament diese Frage nicht aus den Augen verlieren wird und dass viele Abgeordnete davon betroffen sind. Ich werde ihr daher natürlich angemessen Rechnung tragen.
Zweitens möchte ich betonen, dass die Europäische Union ebenfalls eine führende Rolle in dieser Angelegenheit übernimmt, wenn auch nicht mit der von vielen Mitgliedstaaten gewünschten Energie und sicherlich mit einigen Schwierigkeiten, aber dennoch mit einem gewissen Optimismus.
Wir haben bei gegebenem Anlass, also im Rahmen des Übereinkommens über bestimmte konventionelle Waffen, bereits die Besorgnisse der Europäischen Union angesichts der humanitären Folgen dieser Waffenart zum Ausdruck gebracht. Ferner haben wir bereits die Aushandlung eines rechtsverbindlichen Instruments, das spätestens bis Ende 2008 angenommen werden soll, vorgeschlagen, wenn auch nicht mit dem Einsatz, den sich viele von Ihnen gewünscht hätten. Dennoch muss festgestellt werden, dass wir grundlegende Schritte geplant haben. In diesem Prozess werden sich hoffentlich ein zusätzlicher politischer Wille, Enthusiasmus und Einsatz bündeln lassen, damit wir letzten Endes die vorgegebenen Zielsetzungen erreichen können.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Ich möchte lediglich noch eine Ergänzung zu dem machen, was ich bereits gesagt hatte. Ich kann natürlich nur über Bereiche sprechen, die in der Zuständigkeit der Kommission liegen, und Sie wissen ja, dass dieser Bereich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Ich kann jedoch etwas zur finanziellen Unterstützung von Betroffenen sagen.
Ich möchte noch einmal meine Darlegung von vorhin bekräftigen, dass wir bereits unser Möglichstes getan haben, um die durch explosive Kampfmittelrückstände einschließlich Streumunition entstandenen Probleme insbesondere durch unsere Antiminenstrategien und die erwähnte horizontale Haushaltslinie, auf die etwa ein Drittel der Ausgaben in diesem Bereich entfiel, zu mildern.
Ich kann Ihnen versichern, dass durch die neuen geografischen Instrumente weiterhin Aktionen gegen Minen und explosive Kampfmittelrückstände durchgeführt werden und dass sie jetzt sogar in unseren Strategien und Programmen für die externe Hilfe festgeschrieben werden – und das ist neu.
Einige Aktionen können auch im Rahmen des neuen Stabilitätsinstruments finanziert werden, sodass uns jetzt für dieses wichtige Anliegen mehr Instrumente zur Verfügung stehen, und natürlich werden wir die vom Parlament zum Ausdruck gebrachte energische Position berücksichtigen, indem wir diese Mittel bei Bedarf so effektiv wie möglich einsetzen, denn ich stimme völlig mit den von Ihnen geäußerten Zielsetzungen überein.
Der Präsident. − Ich habe gemäß Artikel 108 Absatz 5 der Geschäftsordnung einen Entschließungsantrag erhalten.(1)
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
(Die Sitzung wird vor der Fragestunde für einige Augenblicke unterbrochen.)
Der Präsident. – Meine Damen und Herren, als nächster Punkt folgt die Fragestunde. Wie bereits gestern bei den Anfragen an die Kommission werden wir heute einige neue Vorschriften erproben, die als Teil der Parlamentsreform vorgeschlagen wurden. Sie werden von einer eigens dafür eingerichteten Gruppe geprüft und betreffen insbesondere zwei Aspekte. Erstens möchte ich die Abgeordneten bitten, sich in die vordersten Sitzreihen zu begeben, um alle Teilnehmer einzubeziehen. Zweitens wird der amtierende Ratspräsident alle ergänzenden Fragen in einer Antwort berücksichtigen. Das bedeutet, dass der Rat auf die üblichen zwei ergänzenden Fragen nicht sofort im Anschluss an ihre Formulierung, sondern zum Abschluss der Fragestunde antwortet.
Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0318/2007).
Wir behandeln die folgenden Anfragen an den Rat.
Anfrage Nr. 1 von Manuel Medina Ortega (H-0678/07)
Betrifft: Solidaritätsfonds für Katastrophenfälle
Die schweren Waldbrände, die sich diesen Sommer in einigen Mitgliedstaaten der Union wie etwa Griechenland und Spanien ereignet haben, haben das Unvermögen der Union aufgezeigt, solchen Situationen rasch und wirksam zu begegnen. Beabsichtigt der Rat, die Modalitäten des Solidaritätsfonds dahin gehend zu ändern, dass uns in Zukunft geeignete Mechanismen zur Verfügung stehen, um derlei Katastrophen gewachsen zu sein und ihre Auswirkungen zu mildern?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auf diese Frage möchte ich damit antworten, dass, wie Sie wissen, der gegenwärtige Solidaritätsfonds der Europäischen Union errichtet wurde, um im Anschluss an die Überschwemmungen im Sommer 2002 in Mitteleuropa Katastrophenschutz im Falle von Katastrophen größeren und außergewöhnlichen Ausmaßes bereitzustellen.
Im Jahre 2002 hat der Rat auf Vorschlag der Europäischen Kommission eine Verordnung zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union angenommen. Artikel 14 dieser Verordnung über den Solidaritätsfonds sieht vor, dass der Rat diese Verordnung auf Ersuchen der Kommission bis spätestens 31. Dezember 2006 überprüft.
Die Kommission hat im Jahre 2005 vorgeschlagen, dass die Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 durch eine neue Verordnung zum Solidaritätsfonds ersetzt wird. Dieser Vorschlag zielte insbesondere darauf ab, den Anwendungsbereich des Instruments auf Industrie- und Technologiekatastrophen, Krisensituationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und terroristische Akte auszuweiten und die Schwelle für die Bestimmung einer Katastrophe größeren Ausmaßes zu senken.
Der Vorschlag bestand darin, dass regionale Ausnahmekriterien aus der geltenden Verordnung zwar gestrichen werden, die Kommission allerdings unter außergewöhnlichen Umständen eine Katastrophe größeren Ausmaßes anerkennen könnte.
Das Europäische Parlament hat im Mai 2006 eine Stellungnahme zu dieser Frage abgegeben, und der Kommissionsvorschlag und die Stellungnahme des Parlaments wurden noch im Jahre 2006 von den geeigneten Ratsgremien erörtert. Es konnte allerdings keine Einigung erzielt werden.
Demzufolge gilt unverändert die Verordnung (EG) Nr. 2012/2002, und die Kommission hat ihre Mobilisierung für 2007 angeregt. Wie ich Ihnen bereits im vergangenen Monat in meiner Antwort auf eine ähnliche Frage mitteilen konnte, wurde die Verordnung, soweit dies dem Rat bekannt ist, in Katastrophenfällen innerhalb ihres Anwendungsbereichs wirksam umgesetzt. Die Europäische Kommission erstellt in regelmäßigen Abständen Berichte, in denen sie die Verwendung des Solidaritätsfonds ausführlich erläutert.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Der Vorschlag des Rates war völlig klar. Diese neue Verordnung kommt mit sehr großer Verzögerung. Die zusätzliche und konkrete Frage, die ich dem Rat stellen möchte, lautet: In diesem Sommer wäre beinahe die Wiege der westlichen Welt, das antike Griechenland zusammen mit den Olympiastadien, abgebrannt. Wartet der Rat, bis der Vatikan abbrennt, der Prado oder der Palast von Belém, oder können wir hoffen, dass bis zum nächsten Sommer eine Verordnung auf unserem Tisch liegen wird, mit der wir solchen Katastrophen die Stirn bieten können?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Medina! Wir werden sicherlich nicht warten, bis Rom, Lissabon, London oder Paris von Naturkatastrophen betroffen sind, bevor wir uns mit diesem Sachverhalt ausführlicher befassen. Wir hoffen sehr, dass der Belém-Palast und der Belém-Turm noch viele weitere Jahrhunderte überdauern.
Zur Frage konkreter Fristen für die Änderung der gegenwärtigen Vorschriften kann ich im Namen des Rates natürlich keinen konkreten Termin festlegen.
Elizabeth Lynne (ALDE). - (EN)Vielen Dank für Ihre Antwort, ich möchte aber noch folgende Frage anschließen. Wir müssen wissen, wann das geändert wird.
Ich meine vor allem das Hochwasser im Vereinigten Königreich. Offensichtlich bezieht sich das auf Brände, der Solidaritätsfonds betrifft jedoch das Hochwasser. Meine Region in den West Midlands war sehr schwer davon betroffen. Besonders mein Heimatdorf in Worcestershire und der Rest von Worcestershire sowie die umliegenden Gebiete in Hereford und Shropshire hatten darunter zu leiden.
Offensichtlich hat die Regierung des Vereinigten Königreichs um Bereitstellung von Mitteln aus dem Solidaritätsfonds ersucht. Ich hoffe, die Kommission betrachtet das wohlwollend und der Rat bemüht sich wirklich, an der Funktionsweise des Solidaritätsfonds etwas zu ändern, damit uns diese Mittel in Zukunft schneller zur Verfügung stehen.
Kann uns der Vertreter des Rates auch etwas zu der schnellen Eingreiftruppe sagen und mitteilen, ob mit einer baldigen Umsetzung zu rechnen ist, damit in den betroffenen Gebieten Hochwasserschutzmaßnahmen ergriffen werden können?
Jörg Leichtfried (PSE). - Herr Präsident! Vorab möchte ich sagen, dass ich es sehr gut finde, dass wir jetzt hier unten zusammensitzen können. Ich denke, das ist eine sehr gute Idee.
Zur Frage selber: Ich möchte mich auf die Brände beziehen, Herr Minister, die teilweise aus natürlichen Ursachen entstehen, teilweise aber auch gelegt sind. Und dieses Legen von Bränden wird durch gewisse Rechtsbestände in den einzelnen Staaten gefördert, weil sich daraus gewisse Vorteile für gewisse Menschen ergeben.
Wird hier daran gedacht, unter Umständen auf Länder einzuwirken, diese Rechtsbestände dahingehend zu ändern, dass dieser Anreiz in Zukunft nicht mehr gegeben sein wird?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Gut. Ich denke, dass ich zumindest einige Ihrer Fragen bereits beantwortet habe. Außerdem habe ich bereits darauf hingewiesen, dass wir die bisherige Funktionsweise des Solidaritätsfonds als positiv und demnach ordnungsgemäß eingestuft haben.
Die Idee einer schnellen Eingreiftruppe wird in Erwägung gezogen. Es wurde jedoch noch keine Entscheidung getroffen, da der Rat diese Möglichkeit noch prüft und erörtert. Es liegt ferner noch keine Entscheidung zum Brandschutz vor, obgleich in diesem Bereich schon viel unternommen wurde. Es gibt noch viel zu tun, und ich denke, dass sich in diesem Zusammenhang der Austausch von Erfahrungen oder auch „bewährten Verfahren“ sowie eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf Unionsebene als nützlich erweisen können.
Es müssen noch weitere Anstrengungen unternommen werden. Ich möchte darauf hinweisen, dass mein Heimatland Jahr für Jahr immer wieder schwer von Bränden, Brandstiftung und allem, was damit zusammenhängt, sowie insbesondere von Waldbränden betroffen ist. Auf nationaler Ebene haben wir eine Reihe von Maßnahmen und Initiativen eingeleitet, die sich im Kampf gegen Brände und Brandstiftung als erfolgreich erwiesen haben, und natürlich sind wir bereit, unsere Erfahrungen mit allen Mitgliedstaaten zu teilen.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 2 von Marie Panayotopoulos-Cassiotou (H-0680/07)
Betrifft: Integrierte europäische Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen
Erwägt der Rat einen gemeinsamen Beschluss zur Schaffung integrierter europäischer Maßnahmen zur Unterstützung, beruflichen Bildung und Integration von Bürgern mit Behinderungen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Vielen Dank für Ihre Anfrage, Frau Panayotopoulos-Cassiotou. Wie Sie wissen, kann der Rat nur als Gesetzgeber tätig werden, sofern ihm die Kommission einen Vorschlag vorlegt.
Bisher hat der Rat keinen Legislativvorschlag für einen Beschluss des Rates zur Schaffung integrierter europäischer Maßnahmen zur Unterstützung, beruflichen Bildung und Integration von Bürgern mit Behinderungen enthalten.
Wie Ihnen bekannt sein wird, hat der Rat im Jahre 2000 die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf erlassen. Sie beinhaltet ein Verbot der Diskriminierung aus zahlreichen Gründen, darunter Behinderungen. Darüber hinaus wurde das Jahr 2007 mit einem Beschluss, den Rat und Parlament gemeinsam im Mitentscheidungsverfahren getroffen haben, zum „Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle“ erklärt.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte dem amtierenden Ratspräsidenten danken. Die Beseitigung von Diskriminierung im Bereich der Beschäftigung ist kein geeignetes Mittel, um die Probleme von Menschen mit Behinderungen in den Griff zu bekommen. Gerade gestern wurde das Gesundheitsprogramm verkündet, das neue Technologien beinhaltet. Könnte dieser Vorschlag nicht dazu dienen, einen Großteil der europäischen Bürger, die aktiv sein und der gesamten Gesellschaft in Zeiten des Bevölkerungsrückgangs dienen könnten, in die Lage zu versetzen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und sozialen Zusammenhalt zu erfahren?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau Panayotopoulos-Cassiotou! Ich habe Ihre Wortmeldung eher als allgemeine Anmerkung denn als direkte Frage verstanden. Meines Erachtens ist aber dessen ungeachtet das Bewusstsein in den Mitgliedstaaten sowie auf EU-Ebene kontinuierlich gestiegen, dass wir zusammenarbeiten müssen, um eine angemessene Lösung für die Probleme in diesem Bereich zu finden.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass der Ratsvorsitz im Rahmen der portugiesischen Ratspräsidentschaft und des Europäischen Jahres der Chancengleichheit für alle am 19. und 20. November in Lissabon eine Konferenz zu diesem Thema veranstalten wird, in deren Verlauf wir uns natürlich um eine Prüfung der Sachlage unter Berücksichtigung der relevanten Fragen bemühen werden. Selbstverständlich werden wir auch bestrebt sein, in dieser Hinsicht politische Zusagen für die Zukunft zu erwirken.
Paul Rübig (PPE-DE). - Welche Maßnahmen plant der Rat, um die Benutzung des öffentlichen Verkehrs für Behinderte besser zu gestalten? Sehen Sie hier die Möglichkeit der Anwendung von best practice und benchmarking, um hier ganz einfach besser helfen zu können?
Reinhard Rack (PPE-DE). - Herr Ratspräsident, in der Grundrechtecharta, die Teil des Lissabonner Vertrags werden und damit Rechtsverbindlichkeit in voller Form erhalten wird, haben wir auch ausdrücklich Rechte für Behinderte verankert. Sehen Sie die Möglichkeit, dass der Ratsvorsitz die Mitgliedstaaten auffordert, hier ganz konkret auf die neu geschaffenen Möglichkeiten zu reagieren und mit entsprechenden Maßnahmen Vorsorge zu treffen, dass Behinderte mehr und bessere Chancen haben?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Ich möchte zwei Anmerkungen machen. Die Charta der Grundrechte ist noch nicht vollständig in Kraft und wurde noch nicht veröffentlicht, genauso wenig wie der Vertrag von Lissabon, und wir müssen daher abwarten. Ich kann natürlich im Oktober nicht voraussagen, welche Initiativen oder Beschlüsse der Rat in diesem Bereich annehmen wird. Darüber hinaus wird Ihnen bekannt sein, dass die Charta der Grundrechte als solche nicht als Rechtsgrundlage für Gesetzgebungsinitiativen dient.
Was den öffentlichen Nahverkehr anbelangt, schlägt die Kommission in diesem Bereich keine durch den Rat anzunehmenden Initiativen vor, sodass dieser Sachverhalt nach wie vor unter die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Es ist natürlich ihre Aufgabe, auf nationaler Ebene angesichts der gegebenen Umstände die geeigneten erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
Der Präsident. − Meine Damen und Herren! Die folgenden drei Anfragen von Marian Harkin, Avril Doyle und Esko Seppänen wurden im Verlauf der gestrigen Aussprache vorgelegt. In Übereinstimmung mit Anlage II a, Absatz 2 der Geschäftsordnung sind diese Anfragen nicht zulässig, wir werden also zur nächsten Anfrage übergehen.
Die Anfragen Nr. 3, 4 und 5 werden nicht behandelt, da sie sich auf einen Gegenstand beziehen, der bereits auf der Tagesordnung dieser Tagung stehen.
Anfrage Nr. 6 von Sarah Ludford (H-0687/07)
Betrifft: Sexualstraftäter
Ist der portugiesische Ratsvorsitz davon überzeugt, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihr Möglichstes tun, um Sexualstraftäter zu identifizieren, vor Gericht zu bringen und nach der Verurteilung zu überwachen, Informationen über Sexualverbrechen an Kindern auszutauschen und vermisste, entführte oder gefährdete Kinder zu schützen bzw. zu retten?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau Ludford! Die Europäische Union misst dem Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und der Bekämpfung des Menschenhandels große Bedeutung bei.
In dieser Hinsicht möchte ich Sie auf die Entschließung des Rates vom 27. September 2001 über den Beitrag der Zivilgesellschaft bei der Suche nach vermissten oder sexuell ausgebeuteten Kindern verweisen, in der der Rat zum Ausdruck gebracht hat, dass die Bekämpfung des Verschwindens und der sexuellen Ausbeutung von Kindern ein vordringliches Ziel der Europäischen Union darstellt.
Der Rat hat in diesem Zusammenhang zahlreiche Rechtsinstrumente angenommen, die sich mit spezifischen Aspekten dieses Sachverhalts befassen, darunter die gemeinsame Maßnahme vom 24. Februar 1997 betreffend die Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern, die bereits erwähnte Entschließung des Rates vom 27. September 2001 über den Beitrag der Zivilgesellschaft bei der Suche nach vermissten oder sexuell ausgebeuteten Kindern sowie schließlich den Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie.
Der Rat hat den jüngsten Vorschlag für einen Rahmenbeschluss im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung der gutachterlich festgestellten Schuldunfähigkeit bei Sexualstraftaten gegen Kinder in der Europäischen Union, der vom Königreich Belgien vorgelegt wurde, zusammen mit anderen Vorschlägen geprüft, darunter der Rahmenbeschluss des Rates zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren und der Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten.
Im Anschluss an die Verhandlungen hat der Rat beschlossen, die Bestimmungen der vom Königreich Belgien vorgelegten Initiative mit dem Rechtsinstrument zum elektronischen Austausch von Strafregisterinformationen zusammenzufassen. Demzufolge sollten den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Informationen über Personen zur Verfügung gestellt werden, die wegen der sexuellen Nötigung von Kindern verurteilt wurden.
Der Rahmenbeschluss des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie enthält eine Festlegung von Straftatbeständen der Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, und die Mitgliedstaaten werden darin aufgefordert, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Straftaten mit Freiheitsstrafen von einem bis drei Jahren sowie in einigen Fällen mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf bis zehn Jahren bedroht werden. Diesem Rahmenbeschluss sollen die Mitgliedstaaten bis zum 20. Januar 2006 nachkommen. Auf der Grundlage der Mitteilungen des Rates und der Kommission über die Umsetzung der Maßnahmen und eines Berichts der Kommission muss der Rat bis zum 20. Januar 2008 prüfen, inwieweit die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen getroffen haben, um diesem Rahmenbeschluss nachzukommen.
Sarah Ludford (ALDE). - (EN) Ich danke dem Ratsvorsitz sehr für diese Antwort.
Der Fall Madeleine McCann hat großes Interesse und auch Kontroversen hervorgerufen. Ich werde hier nicht ins Detail gehen. Was mich allerdings interessiert, ist, welche Lehren wir generell in Bezug auf die Angemessenheit europäischen Handelns im Falle von vermissten Kindern ziehen können. Ich möchte zu drei Themen Fragen stellen.
Das erste betrifft die Hotline zu vermissten Kindern. Gestern hat uns Herr Kommissar Frattini mitgeteilt, dass er mit der Vorgehensweise der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Ratsentscheidung vom Februar zu einer gemeinsamen Telefonnummer für vermisste Kinder, nämlich 116, die im August geschaltet sein sollte, gar nicht zufrieden war. Nur vier Mitgliedstaaten haben einen Service Provider gewählt, drei Mitgliedstaaten haben auf das Ersuchen um Information überhaupt nicht geantwortet. Das ist nicht sehr beeindruckend! Werden Sie bei den anderen 23 Mitgliedstaaten Druck machen?
Zweitens: Vor einigen Wochen haben die Justiz- und Innenminister eine EU Datenbank zu vermissten Kindern gefordert. Ich glaube, es gab einige private Versuche in Zusammenarbeit mit YouTube und den Eltern von Madeleine McCann. Wird die EU die Einrichtung einer geeigneten Datenbank unterstützen?
Drittens sagten Sie, dass an einem Austausch von Informationen über Sexualstraftäter gearbeitet würde. Wann aber werden wir eine Computerdatenbank haben?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau Ludford! Auf die zahlreichen Fragen möchte ich wie folgt antworten.
Erstens wurden viele dieser Maßnahmen erst vor kurzer beziehungsweise sehr kurzer Zeit ergriffen und ihre Auswirkungen müssen noch bewertet werden. Dies geschieht bereits, und wir werden natürlich prüfen, was sich als wirksam oder ungeeignet erwiesen hat und ob wir in diesem Bereich grundlegende Fortschritte erzielen können. Damit müssen wir uns befassen, und nicht damit, die Mitgliedstaaten zu bedrängen und Schuldzuweisungen auszusprechen.
Dieser Prozess der Zusammenarbeit erfordert einen Dialog und den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Ich denke, dass wir trotz allem gute Fortschritte in diesem Bereich erzielen und auf Situationen, die aus humanitärer Sicht wirklich schrecklich sind, reagieren konnten.
Schließlich betrachte ich den Reformvertrag ebenfalls als gute Neuigkeit in diesem Zusammenhang, da er zu einer umfassenderen und besseren Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Kampf gegen diesen Straftatbestand beiträgt.
Mairead McGuinness (PPE-DE). - (EN) Herr Ratspräsident! Sie erwähnten den „Menschenhandel“, und ich habe mich gefreut, dieses Wort von Ihnen zu hören, denn während das Thema Kinder einschließlich des Falles McCann in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregt, werden viele Kinder und junge Erwachsene in die Mitgliedstaaten der Union geschleust. Meinen Sie, dass in Bezug auf dieses Problem genug getan wird? Ich bitte auch darum, die Betreffenden zu unterstützen, wenn sie in den Mitgliedstaaten gefunden werden. Sie müssen rehabilitiert und in ihr Heimatland zurückgeschickt werden oder aber es muss dafür Sorge getragen werden, dass sie nicht zu Kriminellen in dem Mitgliedstaat werden, in den sie verschleppt wurden. Ich denke, das ist wirklich ein ernsthaftes Problem in der Union.
Jörg Leichtfried (PSE). - Herr Minister, ich habe jetzt versucht, Ihrer Antwort an Frau Ludford sehr genau zuzuhören. Sie hat eine konkrete Frage gestellt, die Sie nicht beantwortet haben, nämlich wie Sie die Mitgliedstaaten, die bisher noch nicht diese hotline, diese Telefonleitung, eingerichtet haben, dazu bringen werden, das zu tun. Vielleicht könnten Sie das etwas konkreter beantworten.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Ich bin weder Strafrechtsexperte noch Justizminister. Ich vertrete hier den Ratsvorsitz, und ich kann Ihnen gegenwärtig nur den Eindruck des Rates übermitteln. Es ist immer möglich, mehr zu tun und besser zu sein, aber, wie ich bereits gesagt habe, ist es doch so, dass es zahlreiche Rechtsinstrumente gibt, die eindeutig den Wunsch widerspiegeln, diesen Straftatbestand wirksam zu bekämpfen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass viele dieser Maßnahmen jüngeren Datums sind und allesamt noch ordnungsgemäß überprüft werden müssen.
Es wurde eine neue Frage gestellt, in der es darum ging, das Bewusstsein der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger für eine Erscheinung zu steigern, die in der Tat ein neues Ausmaß und ein neues Gewicht erreicht hat. Wie immer, wenn es darum geht, eine neue Erscheinung zu beurteilen, muss natürlich ein Verfahren befolgt werden. Wir werden, falls erforderlich, auch weiterhin diejenigen Mitgliedstaaten, die bisher noch nicht ihren Verpflichtungen zur Umsetzung von Initiativen oder Rechtsvorschriften nachgekommen sind, dazu auffordern, dies so schnell wie möglich nachzuholen. Wurde eine Verpflichtung eingegangen, dann muss sie auch erfüllt und umgesetzt werden, in diesem wie in anderen Bereichen.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 7 von Lambert van Nistelrooij (H-0689/07)
Betrifft: Fusion von Suez und Gaz de France
Am 3. September wurde angekündigt, dass die Verwaltungsräte des französischen Energieunternehmens Suez und des staatlichen Unternehmens Gaz de France beschlossen haben, die geplante Fusion durchzuführen. Damit würde das drittgrößte Energieunternehmen nach Gazprom, Electricité de France und EON entstehen. Die Kommission hat dem Fusionsunternehmen bereits auferlegt, eine Reihe belgischer und französischer Aktivitäten abzustoßen.
Ist der Rat der Auffassung, dass diese Fusionspläne weiterhin mit den geltenden Grundsätzen im Einklang sind, auf die er im Hinblick auf die Liberalisierung des Energiemarktes in der Europäischen Union pocht?
In welchem Umfang haben das neue Fusionsunternehmen und der französische Staat zugesagt, die eigentumsrechtliche Abtrennung der Hauptnetze, wie sie von der Kommission verlangt wird, vorzunehmen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs sagen, dass der Europäische Rat, wie Ihnen bekannt sein wird, in seinen auf der Frühjahrstagung 2007 angenommenen Schlussfolgerungen umfassend auf das Thema der EU-Energiepolitik sowie auf den Binnenmark für Gas und Strom eingegangen ist.
Der Rat kann keine Vermutungen darüber anstellen, ob die gegenwärtigen Fusionspläne mit diesem Teil der Schlussfolgerungen im Einklang stehen. Er möchte darauf hinweisen, dass der Europäische Rat mit diesen Schlussfolgerungen einen Beitrag zum Dritten Energiepaket der Europäischen Kommission vom September 2007 geleistet hat, das auf eine Öffnung des Binnenmarkts für Gas und Strom abzielt. Erst im Anschluss an eine Einigung über die vorgeschlagenen Verordnungen und Richtlinien und ihr Inkrafttreten wird sich beurteilen lassen, ob das Fusionsunternehmen GDF Suez mit den einschlägigen Rechtsvorschriften im Einklang steht. Zweitens muss der Rat betonen, dass die Europäische Kommission gemäß den wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des Vertrags dafür zuständig ist, die Vereinbarkeit aller unternehmensinternen Übereinkommen mit den Gemeinschaftsvorschriften zu prüfen.
Lambert van Nistelrooij (PPE-DE). – (NL) Meines Erachtens ist es völlig richtig, dass die Kommission die Politik und konkrete Maßnahmen untersucht. Ich habe noch eine weitere Frage zum europäischen Markt, der Vollendung des Binnenmarktes.
Das ausdrückliche Ziel der Entflechtung von Unternehmen ist es, Realinvestitionen in die Netze fließen zu lassen, und wir können sehen, dass wir uns in diesem Bereich, auch zwischen Ländern, nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten haben. Länder sollen in der Lage sein, 10 % auszutauschen, das wurde als Interoperationalität bezeichnet, und diesem Ziel hinken wir hinterher.
Meine Frage lautet: Welche Maßnahmen ergreift der Rat zur tatsächlichen Förderung von Investitionen, um die Verbindung z. B. zwischen Frankreich und Spanien zu verbessern? Die Bürger können billiger bei ihrem Nachbarn kaufen. Wenn es allerdings keine Anschlüsse gibt, ist das nicht möglich. Was werden Sie in dieser Hinsicht tun?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr van Nistelrooij! Der Rat hat auf der letzten Tagung des Europäischen Rates im März mehrere Maßnahmen im Energiebereich verabschiedet, die nun natürlich auf der Grundlage von Kommissionsvorschlägen umgesetzt werden müssen. Jedes Organ und jede Institution verfügt über eine eigene Zuständigkeit: die Kommission muss ihre Vorschläge vorlegen, der Rat muss sie annehmen, ablehnen oder ändern und der Gerichtshof muss schließlich prüfen, ob die Rechtsvorschriften und Sanktionen mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht im Einklang sind. Mehr kann ich gegenwärtig nicht dazu sagen.
Der Präsident. − Anfrage Nr. 8 wurde zurückgezogen. Anfrage Nr. 9 ist hinfällig, da der Verfasser nicht anwesend ist.
Anfrage Nr. 10 von Roberta Alma Anastase (H-0702/07)
Betrifft: Visa-Erleichterungen für die Bürger der Republiken Moldawien und Georgien
Für die Bürger von Moldawien und Georgien ist es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, Visa für die Einreise in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erhalten. Durch das Inkrafttreten des Abkommens über Visa-Erleichterungen zwischen der EU und der Russischen Förderation ist zudem nun die paradoxe Situation entstanden, dass die Bewohner der separatistischen Regionen Abchasien, Südossetien und Transnistrien, die zum überwiegenden Teil russische Pässe besitzen, von dieser vereinfachten Visa- und Reiseregelung profitieren. Wie will der Rat dafür sorgen, dass für die Bürger der Republiken Moldawien und Georgien möglichst bald Visa-Erleichterungen geschaffen werden und entsprechende Abkommen in Kraft treten? Zudem ist es dringend notwendig, dass sich möglichst viele EU-Mitgliedstaaten an dem Projekt der gemeinsamen Visaantragsstelle in Chisinau beteiligen, um den Prozess der Visa-Erleichterung in die Praxis umzusetzen. Wie ist die Tatsache zu erklären, dass sich bislang nur einige wenige Mitgliedstaaten diesem Projekt angeschlossen haben, und wie wird sich der Rat dafür einsetzen, dass auch die übrigen Staaten diesen Schritt sobald wie möglich tun?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Werte Frau Anastase! Der Rat hat der Kommission in einem Beschluss vom 19. Dezember 2006 das Mandat erteilt, ein Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Moldau über Erleichterungen bei der Erteilung von Visa auszuhandeln. Dieses Abkommen wurde am 25. April 2007 in Chisinau paraphiert und am 10. Oktober 2007 in Brüssel im Übrigen von mir persönlich unterzeichnet.
Angesichts des raschen Abschlusses dieses Abkommens wird das Europäische Parlament zum Entwurf eines Beschlusses über den Abschluss dieses Abkommens konsultiert. Die Regierung der Republik Moldau hat am 17. Oktober zwei Gesetze erlassen, um die Abkommen mit der Europäischen Union über Visaerleichterungen und Rückübernahmen zu ratifizieren.
Ich kann Ihnen im Namen des Rates mitteilen, dass die Kommission derzeit nicht über ein Mandat verfügt, um mit Georgien in Verhandlungen über ein ähnliches Abkommen zu treten. Was die gemeinsame Visaantragsstelle in Chisinau anbelangt, können nur die Mitgliedstaaten selbst über ihre Zusammenarbeit befinden.
Roberta Alma Anastase (PPE-DE). – (RO) Ich möchte zur Unterzeichnung der Abkommen mit der Republik Moldau gratulieren. In diesem Zusammenhang will ich zwei Anmerkungen machen. Erstens darf meines Erachtens bei den Diskussionen über die Beziehungen zwischen dem Rat und der Republik Moldau nicht außer Acht gelassen werden, was sich kurz im Anschluss an die Unterzeichnung dieser Abkommen ereignet hat: Am 12. Oktober wurde einigen offiziellen Delegationen aus Rumänien der Zugang zum Staatsgebiet der Republik Moldau untersagt. Ich vertrete die Auffassung, dass die Visaerleichterung für einen Drittstaat letztendlich auf Gegenseitigkeit beruhen sollte. Daher würde es mich interessieren, ob sich der Rat dieser Angelegenheit annehmen wird. Zweitens enthalten die von Ihnen unterzeichneten Abkommen Verweise auf die moldauische Sprache, die nicht anerkannt ist. Ich würde mir wünschen, dass wir gesondert darauf hinweisen, denn nur die rumänische Sprache ist in der Europäischen Union anerkannt. Was Georgien betrifft, so sollte meines Erachtens etwas dagegen unternommen werden, dass die Bürger Georgiens eine andere Behandlung erfahren als die Bürger Südossetiens.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Wie bereits gesagt habe ich das Abkommen zur Visaerleichterung mit der Republik Moldau unterzeichnet und kann Ihnen mitteilen, dass diese Maßnahme, diese Initiative, dieses Abkommen von der Regierung der Republik Moldau gebührend gewürdigt und anerkannt wurde.
Für unsere Beziehungen zur Republik Moldau sowie zu allen unseren Nachbarstaaten ist dies ein ausgesprochen wichtiges Instrument. Ich hoffe inständig, dass dieses Abkommen wie gewünscht dazu beitragen wird, die Beziehungen zwischen der EU und der Republik Moldau auszubauen und insbesondere die „menschliche Dimension“ der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu stärken, mit anderen Worten die Menschen einander näher zu bringen, damit wir uns alle besser kennen lernen, denn vor allem auf diese Weise werden der europäische Geist und das gegenseitige Verständnis gefördert.
Alle Schwierigkeiten, die sich aus der Umsetzung dieses Abkommens ergeben, müssen natürlich geprüft werden. Derartige Schwierigkeiten sind relativ neu, doch ich kann Ihnen versichern, dass die Kommission immer dann, wenn Abkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten Probleme oder Schwierigkeiten mit sich bringen oder nicht zu den gewünschten oder zu den falschen Ergebnissen führen, möglicherweise in Zusammenarbeit mit dem Rat prüfen muss, was vor sich geht und, falls erforderlich, die notwendigen Änderungen vorzunehmen hat.
Mit Blick auf Georgien habe ich Ihre Anmerkungen zur Kenntnis genommen, Frau Anastase.
Danutė Budreikaitė (ALDE). – (LT) Gibt es Pläne zum Abschluss einer Vereinbarung über die Lockerung der Visa-Bestimmungen für Visa nach Weißrussland? Nach der Erweiterung des Schengenraumes wird es für Litauen, das über weit reichende Grenzen zu Weißrussland verfügt, schwierig, Bürger aus diesem Land zu Besuch einzuladen, und darüber hinaus werden Weißrussen keine Verwandten auf der anderen Seite der Grenze mehr besuchen können. Gibt es diesbezüglich irgendwelche Pläne?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau Budreikaitė! Wie Sie sicher wissen, wird über den Abschluss von Abkommen zur Visaerleichterung im Einzelfall entschieden. Dabei werden natürlich das jeweilige Land, unsere Beziehungen mit diesem Land, technische Sicherheitsfragen und vieles mehr in Betracht gezogen. Daraus folgt, dass die Kommission dem Rat im Bedarfsfall eine Entscheidung mit Blick auf Weißrussland oder ein anderes Land ordnungsgemäß vorschlagen und der Rat darüber befinden muss. Allerdings habe ich bereits darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung darüber, ein solches Abkommen zu schließen oder die Verhandlungen aufzunehmen, nicht ausreicht, denn es müssen auch gewisse technische und politische Voraussetzungen erfüllt sein.
Sofern ein Abschluss allerdings technisch und politisch möglich ist, tragen Abkommen zur Visaerleichterung, wie ich bereits gesagt habe, zur „menschlichen Dimension“ oder „humanitären Dimension“ der Nachbarschaftspolitik bei. Wir dürfen einander nicht fremd sein; ganz im Gegenteil müssen und können wir uns besser kennen lernen.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 11 von Dimitrios Papadimoulis (H-0703/07)
Betrifft: Einführung einer europäischen Katastrophenschutztruppe
Das Europäische Parlament hat am 4.9.2007 eine Entschließung (P6_TA(2007)0362) zu Naturkatastrophen unter besonderer Berücksichtigung der verheerenden Waldbrände, die Griechenland in diesem Sommer heimgesucht haben, verabschiedet. In der Entschließung wie auch im Bericht (A6-0286/2006 vom 18.9.2006) über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz wird – unter anderem – die Bedeutung eines Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz anerkannt und die Einrichtung einer europäischen Katastrophenschutztruppe gefordert, die in Notsituationen sofort reagieren könnte, wie dies im Übrigen auch im Bericht des früheren Kommissionsmitglieds Barnier vorgeschlagen worden war.
Wie beurteilt der Rat angesichts der Tatsache, dass eine neu geschaffene Katastrophenschutztruppe den mit dem Katastrophenschutz befassten nationalen Behörden der Mitgliedstaaten insbesondere unterstützend zur Seite stehen könnte, die Einrichtung einer europäischen Katastrophenschutztruppe?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Papadimoulis! Der Rat weist darauf hin, dass der Europäische Rat am 15. und 16. Juni 2006 sowie am 14. und 15. Dezember 2006 den Bericht des Vorsitzes über die Stärkung der Fähigkeiten der Union zur Reaktion in Notfällen und Krisen, damit die Koordination und der Einsatz verfügbarer Mittel verbessert werden, gebilligt und zur Kenntnis genommen hat.
Der Europäische Rat hat im Juni 2006 zudem weitere Leitlinien für die Verbesserung der Reaktionsfähigkeit der Gemeinschaft in Not-, Krisen- und Katastrophenfällen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union formuliert. Er rief dazu auf, einer Weiterentwicklung der Krisenreaktionsfähigkeit der Europäischen Union auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Mittel, einschließlich Katastrophenschutzmodulen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken, und die Arbeit an den Vorschlägen der Kommission zum Ausbau der Katastrophenschutzfähigkeiten der Gemeinschaft fortzusetzen.
Im Hinblick auf den von Michel Barnier im Mai 2006 vorgelegten Berichte hebt der Rat hervor, dass der Europäische Rat vom 15. und 16. Juni 2006 dieses Dokument als wichtigen Beitrag zur Debatte begrüßt hat. Obgleich einige Aspekte des Berichts Barnier in Gemeinschaftsvorschriften oder -praktiken übernommen wurden, liegt dem Rat bisher kein Vorschlag zur Einführung einer europäischen Katastrophenschutztruppe vor.
Der Rat stellte in seinen Schlussfolgerungen vom 15. und 16. Oktober 2007 angesichts der jüngsten Verwüstungen in einigen Mitgliedstaaten fest, dass die Europäische Union in der Lage sein muss, wirksam und rechtzeitig auf Krisen und Notsituationen infolge von Naturkatastrophen zu reagieren, und ersuchte die Kommission, diese Frage weiter zu prüfen und vor der Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ am 10. Dezember geeignete Vorschläge zu unterbreiten.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Ich möchte dem amtierenden Ratspräsidenten danken, doch wie wir es bereits vom Rat gewohnt sind, hat er eine 18-monatige Chronik des Stillstands und der Verzögerungen abgeliefert. Mit dem soeben verlesenen Text gelingt es Ihnen, den Barnier-Vorschlag vollständig zu untergraben. Ich frage Sie: wie viele weitere Brand- und Überschwemmungsopfer müssen wir noch beklagen? Wie viel Eigentum muss noch zerstört werden? Wie lange können die Mitgliedstaaten ihre Mittel noch vergeuden, bevor Sie im Rat endlich die Untersuchung beantragen, die das Europäische Parlament schon seit langem fordert? Ich frage Sie: werden Sie, als amtierender Ratspräsident, am 10. Dezember vorschlagen, dass der Rat prüft, was das Europäische Parlament empfiehlt, nämlich die Einrichtung einer zusätzlichen Katastrophenschutztruppe, oder wird Ihr Nachfolger uns in 18 Monaten wieder Märchen auftischen und von Verzögerungen sprechen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Papadimoulis! Natürlich erwartet der Rat mit großem Interesse den Vorschlag der Kommission zu diesem Thema, also der möglichen Einführung einer Katastrophenschutztruppe. Wir hoffen, dass die Kommission diese Anregungen oder Vorschläge noch vor der Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ am 10. Dezember, also in weniger als zwei Monaten vorlegen wird. Dann können wir die Kommissionsvorschläge erörtern und prüfen und anschließend entsprechend vorgehen.
Justas Vincas Paleckis (PSE). – (LT) Ich möchte gern die Wichtigkeit dieses Themas hervorheben, und deshalb freue ich mich, dass sich der Rat an die Kommission gewandt hat und ihre Antwort erwartet. Dennoch würde ich gern folgende Frage stellen: Welchen Standpunkt vertritt die Kommission zu der Zivilschutztruppe für außergewöhnliche Situationen, wie sieht die Kommission die tatsächliche Rolle dieser Zivilschutztruppe in solchen außergewöhnlichen Situationen, wenn man all diese Überschwemmungen und Waldbrände, den Klimawandel und die Ereignisse, die weit weg von hier, in Amerika, stattfinden, bedenkt?
Reinhard Rack (PPE-DE). - Herr Ratspräsident, Sie haben das Barnier-Papier mehrfach angesprochen. Es hat bei den Hilfsorganisationen Ängste gegeben, weil in diesem Papier möglicherweise auch Strukturen einer quasi militärischen Führung oder Vorentscheidung auf militärischer Ebene vorgesehen sein könnten. Weiß man im Rat um diese Ängste vor einer Militarisierung dieser Hilfstruppe, und wie kann und wird der Rat darauf reagieren?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Wie ich bereits erwähnt habe, ist der Rat mit Blick auf den Bericht von Herrn Barnier zu dem Schluss gekommen, dass er eine Arbeitsgrundlage für künftige Entscheidungen bilden könnte. Er hat damit weder eine hundertprozentige noch eine teilweise Zusage erteilt, dass er als Arbeitsgrundlage zur Anwendung kommen wird, sondern sich lediglich über die Möglichkeit verständigt. Wie schon gesagt, kann ich die Reaktion des Rates auf Vorschläge, Modelle und Methoden, die noch nicht existieren, nicht vorhersagen, denn ich kann ja nicht die Zukunft vorhersehen.
Wir müssen warten, bis die Kommission ihre Vorschläge und eine Bewertung vorlegt, die wir dann im Rat erörtern werden, um anschließend Schlussfolgerungen zu formulieren. Wir werden zudem darüber entscheiden, welchen Weg wir in dieser Frage einschlagen wollen, und damit komme ich zu einem wichtigen Punkt. Der Rat hat mit seiner Forderung an die Kommission, Vorschläge zu dieser Angelegenheit vorzulegen, unmissverständlich sein Interesse an diesem Thema und seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, in diesem Zusammenhang Fortschritte zu erzielen. Dies ist meines Erachtens ein eindeutiges und positives Zeichen.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 12 von Bernd Posselt (H-0708/07)
Betrifft: Schicksal von Prof. Ukshin Hoti
Der international anerkannte Wissenschaftler und Friedensaktivist Prof. Ukshin Hoti, in den neunziger Jahren Außenminister der von Präsident Rugova geleiteten demokratischen Untergrund-Republik Kosovo, wurde vom Milosevič-Regime verhaftet und ist seit Jahren spurlos verschwunden.
Kann der Rat bei der Regierung des jetzigen demokratischen Serbien in Erfahrung bringen, was mit Prof. Hoti passiert ist, bzw. sind die Belgrader Behörden bereit, in dieser Sache Ermittlungen anzustellen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Posselt! Professor Ukshin Hoti ist eine von mehr als 2 000 Personen auf der Liste des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), die von ihren Familien im Verlauf des Kosovo-Konflikts vermisst gemeldet wurden.
Das IKRK hat seit Januar 1998 Informationen zu vermissten Personen im Kosovo erfasst. Diese Informationen wurden an die Behörden in Belgrad und Pristina zusammen mit der Forderung weitergeleitet, alles zu unternehmen, um den Verbleib dieser Personen zu ermitteln.
Zudem arbeiten das IKRK und die UN-Missionen im Kosovo in dieser Frage eng zusammen. Im Rahmen des Dialogs zwischen Pristina und Belgrad zu Fragen von beiderseitigem Interesse ist die Arbeitsgruppe für Vermisste, die sich aus Vertretern beider Regierungen zusammensetzt, seit März regelmäßig unter der Schirmherrschaft des Roten Kreuzes zusammengekommen.
Beide Seiten bemühen sich darum, den Verbleib der vermissten Personen zu klären, doch die Arbeit geht nur langsam voran. Das Recht, über den Verbleib vermisster geliebter Menschen informiert zu werden, stellt ein grundlegendes Anliegen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte dar.
Deshalb unterstützt der Rat der Europäischen Union die diesbezüglichen Bemühungen der internationalen und lokalen Behörden in Serbien und im Kosovo und ermutigt sie, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen.
Bernd Posselt (PPE-DE). - Herr Präsident! Jedes Opfer hat natürlich gleiche Bedeutung, und deshalb begrüße ich diese Untersuchung. Aber Professor Hoti war nun sehr bekannt, ich bin in engem Kontakt mit seiner Familie. Er war der engste Mitarbeiter unseres Sacharow-Preisträgers Rugova, und er wurde ja von den Serben offiziell in Haft genommen. Dann müssen sie doch wissen, wo er verblieben ist! Das muss doch mit der Regierung in Belgrad offiziell zu klären sein, auch von Seiten des Rates. Was sagt denn die serbische Regierung über den Verbleib ihres Gefangenen, für den sie ja Verantwortung getragen hat, wenn sie ihn inhaftiert hat?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Wie ich bereits angemerkt habe, unterstützt der Rat natürlich die Bemühungen aller Behörden mit direkten Zuständigkeiten in diesem Bereich, die Umstände des Verschwindens von Professor Ukshin Hoti zu klären. Uns ist wie gesagt auch bekannt, dass es in diesem Fall um Menschenrechte und ihren Schutz geht. Vor diesem Hintergrund müssen wir diese Frage in unseren politischen Dialog mit den zuständigen Regierungen einfließen lassen
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 13 von Robert Evans (H-0710/07)
Betrifft: Klimawandel
Glaubt der Rat immer noch, dass das Ziel der Europäischen Union, den globalen Temperaturanstieg auf 2°C zu begrenzen, eingehalten werden kann?
Hat der Rat erörtert, welche zusätzlichen Maßnahmen auf EU-Ebene in Betracht gezogen werden müssen, um auf die Bedenken zu reagieren, die in dem Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (IPCC) aus dem Jahr 2007 geäußert wurden?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Wie Ihnen bekannt sein wird, haben die europäischen Staats- und Regierungschefs beschlossen, der internationalen Gemeinschaft ein deutliches Signal für ihren Willen zu übermitteln, den Klimawandel mit Hilfe der im Folgenden aufgeführten Zusagen zu bekämpfen, um die Verhandlungen über ein weltweites Übereinkommen für die Zeit nach 2012 voranzubringen.
Vor Abschluss dieses Übereinkommens geht die Europäische Union die feste Selbstverpflichtung ein, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 20 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Ferner erklärte sich die Europäische Union bereit, sich auf eine Absenkung der Emissionen um 30 % zu verpflichten, wenn andere Industriestaaten vergleichbare Zusagen machten und wirtschaftlich weiter fortgeschrittene Entwicklungsländer ebenfalls einen angemessenen Beitrag leisteten.
Die Europäische Union ist der Auffassung, dass sie mit Blick auf die ehrgeizigeren Emissionssenkungen eine Führungsrolle übernehmen sollte, damit die Industriestaaten die Entwicklungsländer davon überzeugen können, an den globalen Bemühungen mitzuwirken.
Ehrgeizige Ziele werden natürlich auch zu einem Ausbau des Kohlenstoffmarktes beitragen, der bestehen bleiben muss, um die Kosten im Zusammenhang mit den Emissionssenkungen gering zu halten. Im Rahmen des Europäischen Programms zur Klimaänderung wurden bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, und weitere sind im Zusammenhang mit der strategischen Analyse der Energiepolitik in der Europäischen Union geplant, um eine wesentliche Verringerung der Treibhausgasemissionen zu erreichen.
Das Emissionshandelssystem wird bei der Verwirklichung der langfristigen Ziele der EU zur Senkung der Treibhausgasemissionen eine entscheidende Rolle spielen, und seine Analyse wird für die Umsetzung der Gesamtziele der Europäischen Union von grundlegender Bedeutung sein.
Robert Evans (PSE). - (EN) Vielen Dank, Herr Ratspräsident, für diese recht ermutigende Antwort. Sie sagten, dass Sie ein starkes Signal aussenden wollen und wir eine globale Vereinbarung brauchen. Mit Interesse habe ich gehört, was Sie über das 30 %-Ziel gesagt haben. Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir uns ehrgeizige Ziele setzen müssen. Das ist natürlich ein Bereich, der sich auf die meisten europäischen Bürger auswirkt und dem auch ihre große Besorgnis gilt.
Vielleicht könnten Sie etwas eingehender darlegen, was wir Ihrer Ansicht tatsächlich unternehmen können, um die Länder zu ermutigen, die mehr tun könnten, wie etwa die Vereinigten Staaten, und Länder wie China, Indien oder Russland zu unterstützen, die vielleicht im Moment noch mit Problemen zu kämpfen haben. Was könnten wir – anstatt nur zu reden – jetzt wirklich tun, um diesen Prozess voranzubringen? Ich behaupte nicht, dass Sie nur das getan haben. Was aber tun wir wirklich zur Lösung dieses Problems außer reden?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Die Europäische Union verfügt über diplomatische Mittel, ihre Überzeugung und etwas, das ich politische Entschlossenheit nennen möchte. Meines Erachtens können wir andere am besten von einer Teilnahme überzeugen, wenn wir die Geschwindigkeit vorgeben und mit gutem Beispiel vorangehen, und genau das tun wir derzeit.
Natürlich gehen wir nicht nur innerhalb der Union, sondern weltweit mit gutem Beispiel voran, wenn wir den Erwartungen unserer Bürger entsprechen und uns ehrgeizige Ziele setzen. Dadurch wird die Öffentlichkeit in anderen Ländern beeinflusst, die wiederum ihre jeweiligen Regierungen auffordert, Maßnahmen zu ergreifen, die unseren ehrgeizigen Zielvorgaben in nichts nachstehen.
Was die USA anbelangt, so hat diese Führungsrolle meines Erachtens eindeutige Wirkung gezeigt. Das Beispiel, mit dem die Europäische Union in dieser Frage auf internationaler Ebene vorangegangen ist, hat dazu geführt, dass die Gesellschaft in den USA Druck auf die zuständigen Behörden ausgeübt hat, ebenfalls ehrgeizigere Ziele zu verfolgen. Ich persönlich vertrete die Auffassung, dass der Nobelpreis, den Al Gore für seine Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel erhalten hat, viel damit zu tun hat: mit unserer ehrgeizigen Politik, mit unserem Veränderungswillen und unserem Wunsch, dass andere Länder unsere Zielvorgaben übernehmen, und dies alles natürlich im Rahmen einer multilateralen Diplomatie auf Ebene der Vereinten Nationen.
Mairead McGuinness (PPE-DE). - (EN) Ich möchte das Parlament dringend bitten, mit gutem Beispiel voranzugehen und die Klimaanlage abzudrehen, weil mir kalt ist und wir damit einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten könnten.
Herr Ratspräsident, Sie haben eine der Fragen beantwortet, die ich stellen wollte. Allerdings wird es wohl mehr als Al Gore brauchen, um die Öffentlichkeit dafür zu mobilisieren. Ich möchte deshalb den Rat bitten darzulegen, wie er in der Europäischen Union öffentliche Besorgnis in öffentliches Handeln umwandeln will. Er möge außerdem berücksichtigen, dass wir nicht die Absicht haben, die Entwicklungsländer am Fortschritt zu hindern, denn schließlich profitieren wir von der Tatsache, dass sie sich entwickeln.
Der Präsident. − Wir werden uns um eine Lösung des Temperaturproblems in diesem Hause bemühen.
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Vielen Dank für Ihre Frage, Frau McGuinness! Wir müssen eine beständige Aufklärungs- und Informationskampagne führen. Außerdem müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Dies ist bereits der Fall.
Natürlich gibt es noch viel zu tun, doch mein Eindruck ist, dass das Bewusstsein der Menschen für den Klimawandel immer weiter steigt, weil sie seine tatsächlichen Folgen Tag für Tag sehen und spüren. Auch ich könnte Ihnen meine persönlichen Erfahrungen mitteilen, falls Sie dies interessiert. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, hatten wir in Portugal ein völlig anderes Klima als heute, und ich bin mittlerweile fünfzig Jahre alt. Natürlich ist mir wie auch anderen aufgefallen, dass es Veränderungen gegeben hat. Die Menschen wollen daher wissen, warum sich das Klima geändert hat und welche Folgen dieser Wandel mit sich bringt.
Die Mitgliedstaaten hingegen müssen Gesetze erlassen, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen, einzudämmen oder zu mindern. Sie sind auf Unionsebene politische Verpflichtungen eingegangen und haben nun die Aufgabe, die erforderlichen Gesetze zu verabschieden und sich um ihre tatsächliche Umsetzung zu bemühen. Auch hier müssen wir auf internationaler Ebene mit gutem Beispiel vorangehen.
Ich würde die Kampagne des ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore nicht unterschätzen, weil sie meines Erachtens einen beachtlichen Einfluss auf die internationale Öffentlichkeit ausgeübt hat.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 14 von Mairead McGuinness (H-0713/07)
Betrifft: Chaos auf den internationalen Finanzmärkten
Während des letzten informellen Treffens der EU-Finanzminister (Porto, 14. und 15. September) wurde die Krise erörtert, zu der es in Europa infolge der Instabilität des Finanzmarktes in den USA gekommen ist. Welche Fragen wurden im Rahmen dieser Zusammenkunft im Einzelnen besprochen? Wurde insbesondere die Situation des britischen Finanzunternehmens Northern Rock erörtert, das von der Instabilität des Finanzmarktes in den USA unmittelbar betroffen und deshalb in eine finanzielle Schieflage geraten ist?
Vertritt der Rat die Auffassung, dass dieser Fall weit reichende Folgen für die europäischen Finanzmärkte hat?
Sind die bei Finanzdienstleistungen bestehenden Sicherheitsmechanismen nach Ansicht des Rates ausreichend, um einen vollwertigen Schutz der Verbraucher in der EU zu gewährleisten, insbesondere jener, die Finanzprodukte außerhalb des Mitgliedstaats erworben haben, in dem sie ansässig sind?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Zu diesem Sachverhalt kann ich Folgendes sagen. Auf der informellen Tagung der EU-Finanzminister und der Zentralbankpräsidenten vom 14. und 15. September 2007 in Porto wurden zahlreiche Themen, darunter auch die Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Lage, erörtert.
Wie auf der Homepage der portugiesischen Ratspräsidentschaft zu lesen ist, vertreten wir in dieser Hinsicht zwei Auffassungen. Wir sind einerseits der Ansicht, dass wir es mit einer Periode der Volatilität und der erhöhten Unsicherheit auf den globalen Finanzmärkten zu tun haben, die auf Schwierigkeiten auf den amerikanischen Hypothekenmärkten zurückzuführen ist, die sich auf dem Wege komplexer Finanzinstrumente auf das globale Finanzsystem übertragen haben.
Das hat sich auch auf das Funktionieren der Geldmärkte ausgewirkt, sodass ein unverzügliches und entschlossenes Handeln der wichtigsten Zentralbanken, darunter auch der Europäischen Zentralbank, gefordert war. Es steht zwar außer Frage, dass mit den Turbulenzen auf den Finanzmärkten auch die Wirtschaftsaussichten unsicherer geworden sind, doch die gesamtwirtschaftlichen Fundamentaldaten in der Europäischen Union sind positiv und das Weltwirtschaftswachstum bleibt trotz des Konjunkturrückgangs in den USA stabil.
Die europäischen Finanzinstitutionen sind offenkundig solide, und dank der Tatsache, dass sie in den vergangenen Jahren eine hervorragende Rentabilität aufweisen konnten, sind sie gut gegen die gegenwärtige Periode der erhöhten Volatilität auf den Finanzmärkten gewappnet.
Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass Sonderfälle in den Mitgliedstaaten nicht erörtert wurden. Wir haben uns im Rahmen unserer Analyse damit befasst, welche Lehren wir aus den jüngsten Turbulenzen auf den Finanzmärkten ziehen können. Es wurde betont, dass wir im Finanzsektor zwar über einen soliden Rechts- und Aufsichtsrahmen verfügen, der durch neuere Rechtsvorschriften gestärkt wurde, darunter die Durchführung der Eigenkapitalrichtlinie und die laufenden Arbeiten zur Solvabilität-II-Richtlinie, nichtsdestotrotz aber vor allem angesichts der raschen und innovativen Entwicklungen im Bereich Finanzprodukte auf der Hut sein müssen.
Dementsprechend hat sich angesichts dieser jüngsten Episode von Turbulenzen auf den Finanzmärkten die Dringlichkeit bestimmter Sachfragen erhöht, die nach wie vor auf der Tagesordnung des Rates stehen. Ferner ist die Notwendigkeit gestiegen, dass die Europäische Union gemeinsam mit ihren internationalen Partnern nach Möglichkeiten sucht, die Transparenz, die Bewertungsprozesse, das Risikomanagement und die Funktionsweise der Märkte insbesondere mit Blick auf komplexe Finanzprodukte zu verbessern.
Der ECOFIN-Rat hat sich am 9. Oktober auf ein detailliertes Arbeitsprogramm geeinigt, das bis Ende 2008 durch die zuständigen EU-Gremien in enger Zusammenarbeit mit den wichtigsten internationalen Partnern umgesetzt werden soll.
Ferner hat der ECOFIN-Rat im Oktober Schlussfolgerungen zur Stärkung der Mechanismen für Finanzstabilität in der Europäischen Union verabschiedet. Diese Schlussfolgerungen können auf der Homepage des Rates eingesehen werden; sie sind das konkrete Ergebnis von mehr als einem Jahr vorbereitender Arbeiten. Ein weiteres wichtiges Ergebnis war die Annahme eines Pakets gemeinsamer Grundsätze für die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden im Bereich der Finanzstabilität.
Ferner wurde beschlossen, die im Jahre 2005 unterzeichnete Absichtserklärung der Bankaufsichtsbehörden, Zentralbanken und Finanzministerien in der EU um drei neue Aspekte zu erweitern: erstens die im Verlauf der Sitzung förmlich angenommenen gemeinsamen Grundsätze; zweitens einen gemeinsamen Analyserahmen für die Bewertung der systemischen Auswirkungen einer potenziellen Krise und drittens gemeinsame praktische Leitlinien für Verfahren, die in einer länderübergreifenden Krisensituation erfolgen müssen.
In der Folge wurde ein Arbeitsprogramm mit einem Zeitplan für diese und andere Maßnahmen zur Stärkung der Effektivität der Mechanismen für Finanzstabilität in der Europäischen Union festgelegt. Natürlich sind alle diese Bemühungen darauf ausgerichtet, Verbraucher und Investoren zu schützen, die auf ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Finanzmärkte angewiesen sind.
Abschließend möchte ich hervorheben, dass sich meiner Ansicht nach der Rat gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und der Kommission dem Ziel verschrieben hat, die Wirksamkeit der Finanzaufsicht und -überwachung zu verbessern, um Finanzstabilität, globale Wettbewerbsfähigkeit und Verbraucherschutz zu gewährleisten.
Mairead McGuinness (PPE-DE). - (EN) Vielen Dank, Herr Ratspräsident. Ich werde mich mit Ihrer überaus detaillierten Antwort näher befassen müssen, die ich zu schätzen weiß, weil das ein sehr ernstes Problem ist.
Man kann dem nur zustimmen, dass das Vertrauen der Deponenten bei Northern Rock erschüttert ist und dass es einen Dominoeffekt gibt. Vertrauen ist in der Tat der Schlüssel zu Stabilität im Bankensystem und auch zu grenzüberschreitenden Leistungen und Geschäften im Finanzdienstleistungssektor.
Halten Sie die von Ihnen genannten Maßnahmen für ausreichend, um dieses Vertrauen wiederherzustellen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Abgeordnete! Der Rat ist immer für eine Überraschung gut. Wie bereits gesagt, hat der Rat eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, die Situation sowie mögliche neue Instrumente und Maßnahmen, die verhindern könnten, dass sich eine solche Situation künftig auf die europäischen Finanzmärkte auswirkt, umfassend und ausführlich zu analysieren. Er ist sich demnach der Problematik bewusst und hat die zuständigen Stellen aufgefordert, gründliche Arbeit zu leisten. Er hat die Arbeitsgruppe darum gebeten, Maßnahmen vorzuschlagen, die angenommen werden müssen, um Situationen wie die der jüngsten Zeit zu verhindern. Wir müssen abwarten, ob sich diese Maßnahmen in der Praxis als wirksam erweisen. Auf alle Fälle wird der Rat über die Maßnahmen in Kenntnis gesetzt, die erforderlich sind, um unsere Wirtschaft künftig vor den Folgen weiterer Turbulenzen auf den Finanzmärkten zu schützen.
Ich muss darauf hinweisen, dass diese Frage auch in der vergangenen Woche in Lissabon auf dem informellen Treffen der Staats- und Regierungschef behandelt wurde. Auf dieser Zusammenkunft haben die Staats- und Regierungschefs folgende eindeutige Botschaft formuliert: Erstens verfügt die europäische Wirtschaft über etwas, das Wirtschaftsfachleute als „gute Fundamentaldaten“ bezeichnen, unsere Wirtschaften sind mit anderen Worten also gesund, und zweitens unterstützen sie die Maßnahmen, die der ECOFIN-Rat ergriffen hat und die in diesem Bereich angeregt wurden.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 15 von Johan Van Hecke (H-0717/07)
Betrifft: Zunehmende Zahl europäischer Agenturen
Derzeit gibt es 23 europäische Agenturen, auf mehrere EU-Länder und Städte verteilt. Ihre Tätigkeiten bzw. ihre Arbeit wird kaum kontrolliert. Die jüngste Agentur ist die „Agentur für Grundrechte“ mit Sitz in Wien, die jetzt 100 Mitarbeiter beschäftigt. Sie soll den Schutz der Menschenrechte in der Europäischen Union überwachen, obwohl diese Aufgabe bereits vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und im Grunde auch vom Europarat, beide mit Sitz in Straßburg, perfekt wahrgenommen wird. All diese Agenturen geben pro Jahr Steuergelder in Höhe von ungefähr 1 Milliarde Euro aus. Einigen Beobachtern zufolge findet kaum noch ein Europäischer Rat statt, ohne dass eine neue Agentur gegründet wird.
Beabsichtigt der Rat, weitere neue Agenturen zu gründen? Wird die Notwendigkeit einer Agenturgründung stets gründlich erwogen? Ist sich der Rat der jeweiligen finanziellen Auswirkungen auf den europäischen Haushalt bewusst? Ist der Rat bereit, einige Agenturen wieder abzuschaffen, wenn ihr Existenzgrund nicht fundiert ist?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Van Hecke! Ich möchte darauf hinweisen, dass Fragen bezüglich der Gründung oder Schließung von Gemeinschaftsagenturen an die Kommission zu richten sind, die in diesem Bereich über das alleinige Initiativrecht verfügt. Die Rechtsetzungsorgane sowie Parlament und Rat handeln ausschließlich auf der Grundlage von Kommissionsvorschlägen. Was den Rat betrifft, so kann ich dem Herrn Abgeordneten versichern, dass er die Notwendigkeit einer Agenturgründung stets gründlich erwägt.
Mit Blick auf den Haushalt dieser Agenturen möchte ich den Herrn Abgeordneten auf die gemeinsame Erklärung vom 18. April 2007 verweisen, in der sich die drei Institutionen auf gemeinsame Grundsätze für die Haushaltsführung bestehender oder künftiger Gemeinschaftsagenturen geeinigt haben.
Johan Van Hecke (ALDE). – (NL) Herr Präsident! Ich möchte dem Minister für seine Antwort danken. Ich hatte zwei Gründe, diese Frage zu stellen: Erstens der explosionsartige Anstieg der Anzahl von Agenturen, die nach jeder Sitzung des Rates gegründet wurden: 12 neue Agenturen in fünf Jahren, mit einem Personalanstieg in diesen Agenturen von 166 auf 3 700. Der zweite Teil dieser Frage lautet: Prüft der Rat regelmäßig, ob diese Agenturen weiterhin notwendig sind, wenn der Grund für deren Existenz nicht mehr offensichtlich ist? Meine zweite Besorgnis ist: Wie organisiert der Rat seine internen Prüfungen der Ausgaben all dieser Agenturen, und welche Rolle spielt seines Erachtens das Parlament dabei?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Van Hecke! Wie ich bereits gesagt habe, legt die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Gründung einer Agentur vor. Anschließend prüft der Rat im Dialog mit der Kommission, ob dieser Vorschlag gerechtfertigt ist, und trifft dann Entscheidungen unter Berücksichtigung der Vertragsbestimmungen. Ich möchte hervorheben, dass in Lissabon mit der Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs eine Gemeinschaftsagentur ihren Sitz hat, deren Arbeit wir als ausgesprochen sinnvoll erachten.
Mit Blick auf die Verwaltung dieser Agenturen wird Ihnen bekannt sein, dass sie über ihre eigenen Kontrollmechanismen verfügen, die meines Erachtens ausgesprochen streng sind. Darüber hinaus haben sich die Organe auf die von mir bereits erwähnten gemeinsamen Grundsätze geeinigt, die sich auch unmittelbar auf die Haushaltsführung dieser Gemeinschaftsagenturen beziehen.
Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass auf eine ordnungsgemäße Verwaltung und eine strenge Kontrolle der Mittelverwendung in diesen Agenturen besonderer Wert gelegt wird. Doch das ist meine persönliche Erfahrung.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 16 von Bill Newton Dunn (H-0719/07)
Betrifft: Notfallkontaktnetz 24/7 für Computerkriminalität
Der Verfasser wurde – von den USA – darauf aufmerksam gemacht, dass zehn EU-Mitgliedstaaten nicht an dem Notfallkontaktnetz 24/7 für Computerkriminalität (24/7 Emergency Contact Network for Cybercrime) teilnehmen. Dabei handelt es sich um Belgien, Zypern, Estland, Griechenland, Irland, Lettland, Polen, die Slowakei und Slowenien, sowie Portugal, den derzeitigen Ratsvorsitz.
Welche Bedeutung misst der Rat der Bekämpfung der internationalen Computerkriminalität bei?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Newton Dunn! Der Rat hat keine Kenntnis darüber, dass sich Mitgliedstaaten an diesem Netzwerk beteiligen, das auf besondere Initiative der G8 und der Mitgliedstaaten des Europarats ins Leben gerufen wurde. Dementsprechend kann er diese Feststellung weder bestätigen noch widerlegen. Nichtsdestotrotz misst der Rat der Bekämpfung der Computerkriminalität große Bedeutung bei. Dies lässt sich aus der Annahme des Rahmenbeschlusses 2005/222/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über Angriffe auf Informationssysteme und aus der Tatsache schließen, dass der Rat eine schnelle Annahme des Übereinkommens des Europarates über Computerkriminalität vom 23. November 2001 unterstützt hat.
Ferner wird der Rat seine Schlussfolgerungen zu einer allgemeinen Politik zur Bekämpfung der Internetkriminalität auf der kommenden Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ im November vorlegen und erörtern.
Portugal verfügt darüber hinaus über eine zentrale Anlaufstelle, die rund um die Uhr im Einsatz ist und sich im Rahmen von Interpol und eines weltweiten operationellen Netzwerks darum bemüht, diesen Verbrechenszweig zu bekämpfen.
Bill Newton Dunn (ALDE). - (EN) Vielen Dank, Herr Ratspräsident, für diese sehr offene, ehrliche und sachliche Antwort. Werden Sie beim nächsten Treffen der Justiz- und Innenminister, auf das Sie sich bezogen haben, den überaus interessanten Umstand zur Sprache bringen, dass der Rat davon nichts zu wissen scheint und dass zehn der Mitgliedstaaten nicht daran teilnehmen, was ich für sehr ungewöhnlich halte? Würden Sie dieses Problem bitte im Rat vorbringen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Ich nehme Ihre Frage und Ihr Anliegen zur Kenntnis. Eine Entscheidung darüber, ob diese Frage auf der Tagesordnung steht und erörtert wird, fällt natürlich erst später, doch ich werde Ihr Anliegen weiterleiten.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 17 von Ilda Figueiredo (H-0723/07)
Betrifft: Verbot des Besuchs von in den USA inhaftierten kubanischen Staatsbürgern
Im Laufe dieses Jahres ersuchte die Fragestellerin die US-Regierung um die Genehmigung für einen Besuch der kubanischen Staatsbürger René González, Gerardo Hernández, Antonio Guerrero, Ramon Labañino und Fernando González, die unrechtmäßig in nordamerikanischen Gefängnissen inhaftiert sind. Diese Genehmigung wurde jedoch mit dem Argument abgelehnt, dass die Fragestellerin die Inhaftierten nicht vor ihrer Verhaftung gekannt habe.
Außerdem ist der Fragestellerin bekannt, dass im September 2007 auch den Ehefrauen von zwei dieser Gefangenen die Besuchserlaubnis verweigert wurde, wobei diese ihre Ehemänner aufgrund der wiederholten Verweigerungen seit neun Jahren nicht besuchen konnten.
Wie steht der Rat zu dieser Situation, die eine Missachtung der Menschenrechte dieser Staatsbürger darstellt? Ist er bereit, den nordamerikanischen Behörden diese Besorgnisse vorzutragen?
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Frau Figueiredo! Der Frau Abgeordneten wird sicher bekannt sein, dass eine Entscheidung über die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Staates ausschließlich in die Zuständigkeit des betreffenden Landes fällt. Im vorliegenden Fall der Behandlung kubanischer Gefangener und ihrer Familienangehörigen handelt es sich um eine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und Kuba, da gemäß dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Zusammenarbeit der Schutz der Rechte und Interessen eines Staatsbürgers im Ausland in die Zuständigkeit des betreffenden Landes fällt.
Der Rat ist daher nicht befugt, in dieser Frage eine Stellungnahme abzugeben.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Das stimmt, doch der Rat möchte bitte eines bedenken: Diese fünf kubanischen Staatsbürger befinden sich seit neun Jahren in USA-Gefängnissen. Ihren Familienangehörigen und in zwei Fällen sogar den Ehefrauen wurde das Besuchsrecht verweigert. Die beiden Frauen haben diesem Parlament bereits einen Besuch abgestattet und sind im Übrigen auch heute zugegen. Es stimmt außerdem, dass mir in meiner Eigenschaft als Parlamentsabgeordnete der Besuch dieser Staatsbürger ebenfalls verweigert wurde. Ich bin Mitglied dieses Hohen Hauses; ich habe diesen Antrag nicht nur als Staatsbürgerin, sondern auch als Vertreterin unseres Parlaments gestellt. Meines Erachtens sollten das Europäische Parlament und sein Präsident sowie natürlich auch der portugiesische Ratsvorsitz in dieser Angelegenheit Stellung beziehen und bedenken, dass die Verweigerung des Besuchsrechts gegenüber einer Parlamentsabgeordneten und in diesem Fall meiner Person eine Menschenrechtsverletzung darstellt und Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber diesem Hohen Haus ist. Allerdings haben sich auch weitere Parlamentsabgeordnete für diesen Fall eingesetzt, und ich möchte Sie daher bitten, unser Anliegen weiterzuleiten, Herr Präsident.
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Ich habe die Hinweise und Anmerkungen von Frau Figueiredo natürlich zur Kenntnis genommen, doch ich kann meiner ersten Antwort nichts hinzufügen. Sie müssen ferner verstehen, dass ich in dieser Frage auch keine persönliche Meinung kundtun kann.
Der Präsident. - Die Anfragen, die aus Zeitgründen nicht behandelt wurden, werden schriftlich beantwortet (siehe Anlage).
Die Fragestunde ist geschlossen.
(Die Sitzung wird um 19.30 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: MARTINE ROURE Vizepräsidentin
16. Zusammensetzung der Ausschüsse und der Delegationen: siehe Protokoll
17. Opiumerzeugung für medizinische Zwecke in Afghanistan (Aussprache)
Die Präsidentin. - Als nächster Punkt folgt der Bericht von Marco Cappato im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten mit einem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Herstellung von Opium für medizinische Zwecke in Afghanistan (2007/2125(INI) (A6-0341/2007).
Marco Cappato, Berichterstatter. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In diesem Bericht schlagen wir vor, dass das Parlament die Initiative ergreifen und dem Rat in erster Linie im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einen Vorschlag zur Frage der Herstellung von Opium in Afghanistan unterbreiten sollte.
Wir gehen von der Überlegung aus, dass die bisher erzielten Ergebnisse nicht ausreichen. Die Herstellung von Opium zur Produktion von Heroin ist in den vergangenen zwei Jahren um 50 % gestiegen. Es scheint, als wären wir nicht in der Lage, wirksame Mittel zur Verringerung dieses riesigen Produktionsberges zu finden, an dem sich natürlich nicht die Anbauer und Bauern bereichern, sondern die großen internationalen Drogenmafias, die Terroristen und die Taliban.
In dem Bericht wird auch von einer anderen Voraussetzung ausgegangen: dass es zudem einen äußerst mangelhaften Zugang zu Schmerzmitteln gibt. Etwa 80 % der Weltbevölkerung hat überhaupt keinen Zugang zu Schmerzmitteln. Natürlich könnten wir diese Fragen völlig unabhängig voneinander betrachten, aber meiner Auffassung nach ist es die Aufgabe der politischen Institutionen, pragmatisch zu sein und somit zu verstehen, dass es angesichts dieses enormen Produktionsvolumens, das für Heroin verwendet wird während die Versorgung mit einem Produkt desselben landwirtschaftlichen Ursprungs sehr knapp ist, möglich sein sollte, sozusagen beide Ausgangspunkte miteinander zu verknüpfen.
Die im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und von Herrn Gomes im Namen der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament eingereichten Änderungsanträge haben ebenso wie die von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten im Plenum vorgelegten Änderungsanträge dazu beigetragen sicherzustellen, dass der uns heute vorliegende Vorschlag kein alternativer, das heißt kein negativer Vorschlag ist, der darauf abstellt, die bisherige Politik von heut auf morgen zu ersetzen.
Wir bitten Sie, den Rat und die Kommission, ein Experiment und die Umsetzung einiger Pilotprojekte zu starten, bei denen ein Teil der Ernte statt wie derzeit zur Herstellung von Heroin zur Herstellung von Schmerzmitteln verwendet wird. Auf der Bedarfsseite könnten Maßnahmen eingeführt werden, um zu versuchen, Schmerzmittel in Kontinente wie Afrika und Asien zu bringen, die praktisch über keine Medikamente dieser Art verfügen.
Deshalb ist der Bericht, so wie er aus dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hervorgegangen ist und unter Berücksichtigung der Änderungsvorschläge, meiner Meinung nach im Wesentlichen ausgewogen. In ihm wird von der ganz einfachen Annahme ausgegangen, dass es möglicherweise – und ich glaube definitiv – einfacher ist, mit Bauern zu kooperieren, wenn wir vorschlagen, einen Teil ihrer Ernte zu legalen Zwecken zu nutzen, anstatt einfach mit einer Politik der Ausrottung, Ausräucherung und Vernichtung der Plantagen daherzukommen. Eine solche Reaktion schafft eher einen weiteren Grund für Konflikte mit der lokalen Bevölkerung und hat sich zumindest bisher als kontraproduktiv und nicht hilfreich erwiesen.
Daher hoffe ich, dass wir über die verständliche offizielle Linie der europäischen Regierungen und der afghanischen Regierung, die Notwendigkeit der Bekämpfung des Opiumanbaus zu bekräftigen, dass wir über diese offizielle Linie hinaus eine andere Botschaft aussenden können. Das Europäische Parlament ist möglicherweise freier als andere, einen solchen Vorschlag zu unterbreiten. Wir haben diese Verantwortung bereits übernommen und ich hoffe, wir werden sie morgen bei der Abstimmung bekräftigen. Wir sind freier als andere, vorzuschlagen, alternative Experimente durchzuführen und sie pragmatisch, nicht ideologisch, auszuwerten.
Jeder von uns hier hat seine eigenen Ansichten über die internationale Politik und Drogen und über die internationale Politik in Afghanistan. Dieser Bericht soll kein ideologischer Vorschlag sein, sondern ein praktischer Versuch, dazu beizutragen, eine Lösung für etwas zu finden, was wirklich eine globale Tragödie ist.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Auch ich möchte Herrn Cappato herzlich danken – tante grazie!
Ich begrüße die genau zur rechten Zeit stattfindende Aussprache über das Drogenproblem – insbesondere über das Drogenproblem in Afghanistan –, das im Hinblick auf das politische Umfeld und die Sicherheitslage ein bekanntermaßen wichtiges und komplexes Thema darstellt.
Erst vor Kurzem haben wir in New York viele Diskussionen geführt. Während der UN-Generalversammlung fand eine Reihe wichtiger Aussprachen mit Präsident Karzai, mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und einer Vielzahl von Ländern statt. In deren Mittelpunkt stand genau diese komplizierte Frage.
Die Aussprache des heutigen Abends trägt zu der umfassenderen Debatte über den Wiederaufbau Afghanistans bei, spricht aber auch die Rolle der Drogen an. Ich möchte Ihnen meine Anerkennung für die Bildung der EP-Delegation für die Beziehungen mit Afghanistan aussprechen. Wir verfolgen Ihre Arbeit mit lebhaftem Interesse und erachten es für sehr wichtig, dass Sie diese in Angriff genommen haben.
Die Drogenindustrie Afghanistans stellt tatsächlich eine gewaltige Hürde für den Fortschritt beim Aufbau des Staates dar. Der jüngste Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist beunruhigend. Leider sind sowohl die Kapazitäten des Mohnanbaus als auch die der Verarbeitung in bedeutendem Maße gewachsen. Am meisten sind die südlichen Provinzen Afghanistans mit einem Anteil von 70 % an der Gesamtproduktion betroffen. Der enge Zusammenhang zwischen den Unruhen und der Drogenwirtschaft ist kaum überraschend. Wir dürfen jedoch die positiven Entwicklungen nicht übersehen, besonders in den stabileren Teilen des Landes, wo auf dem Gesundheits- und dem Bildungssektor als auch beim Wirtschaftswachstum greifbare Verbesserungen erreicht worden sind.
In dreizehn Provinzen des nördlichen und mittleren Teils Afghanistans gibt es überhaupt keinen Mohn. Das ist zumindest vielversprechend und etwas, worauf wir aufbauen können. Im Bericht von Herrn Cappato wird ein vollständiges Bild dieser Situation gezeichnet, und ich möchte Ihnen für die ermutigenden Anmerkungen zu dem danken, was die Kommission unternimmt. Es wird auch ganz richtig auf die Verantwortung Afghanistans bei der Bekämpfung der Opiumindustrie hingewiesen. Darüber sind wir uns absolut einig.
Sagen möchte ich jedoch, dass ich die in dem Bericht gezogenen Schlussfolgerungen nicht – zumindest noch nicht – teilen kann, in denen vorgeschlagen wird, den Opiummohn für medizinische Zwecke, wenn auch nur versuchsweise, zu legalisieren. Auf den ersten Blick ist das ein verlockender Vorschlag, aber leider gibt es für Afghanistans vielschichtiges Drogenproblem keine Patentlösung.
Ich möchte Sie an einigen meiner Bedenken teilhaben lassen. Länder wie Australien, die Türkei und Indien, die bereits Rohopium für medizinische Zwecke erzeugen, verfügen für gewöhnlich über ein effektives Strafverfolgungssystem, zudem werden dort keine großflächigen Konflikte ausgetragen. Selbst dann ist die Durchführung äußerst schwierig. Dort, wo diese Bedingungen nicht erfüllt sind, wird das legal angebaute Opium sofort in andere Kanäle geleitet, wie wir es in Peru und Bolivien beobachten konnten. Im Falle Afghanistans, so fürchten wir, würde der legale Anbau ganz klar zum illegalen Anbau nur noch hinzukommen, anstatt ihn zu verdrängen. Darüber hinaus bleibt die legale Opiumproduktion für die ortsansässigen Bauern unattraktiv, denn deren Einnahmen würden lediglich rund 25-30 % dessen betragen, was sie gegenwärtig auf dem Schwarzmarkt erzielen können.
Die Umsetzung eines solchen Programms ist kompliziert und nur mit Subventionen für die Qualitätsüberwachung und mit der Verteilung von medizinischen Produkten durchführbar. Sollen wir das aus Steuermitteln finanzieren? Die afghanische Regierung, die bekanntermaßen schwach ist und über schwache Institutionen verfügt, vermag leider zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, ein solches Programm zu leiten – und deshalb sagte ich „noch nicht“.
In einigen Teilen des Landes existiert zurzeit einfach gar keine Regierungsgewalt, ganz zu schweigen von einer zuverlässigen Regierungsgewalt. Das trifft insbesondere auf die instabilen südlichen Provinzen zu, wo der Großteil des Opiums produziert wird. Letztendlich hat die afghanische Regierung selbst – und das ist ein entscheidender Punkt – jegliche legale Opiumproduktion ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund sendet die politische Botschaft dieses Berichts wirklich nicht das richtige Signal an unsere afghanischen Partner. Es kann sogar ins Gegenteil umschlagen. Die unbequeme und nicht zu bestreitende Wahrheit ist, dass der Wiederaufbau Afghanistans weitaus mehr Zeit und Mittel in Anspruch nehmen wird. Außerdem wird viel Ausdauer von Nöten sein, wenn wir in diesem vom Krieg erschütterten Land eine nachhaltige Entwicklung herbeiführen wollen.
Fortschritte beim Aufbau des Staates sind nur mit mehr Entschlossenheit auch seitens der politischen Führung Afghanistans erreichbar, besonders auf lokaler Ebene. Das war, nebenbei bemerkt, auch die Botschaft, die in New York von uns ausgegangen ist. Ich stimme zu, dass es höchste Zeit ist, spürbare Maßnahmen gegen die Korruption zu ergreifen. Das waren nicht nur leere Worte, denn wir versuchen auch, beim Aufbau eines zuverlässigen Justizwesens und eines tatsächlich funktionierenden Polizeiapparats Unterstützung zu leisten, um die einfache afghanische Bevölkerung zu überzeugen, die oft skeptisch bleibt.
Hierfür gibt es eine ganz klare Lösung. Diese besteht in der Nationalen Strategie Afghanistans zur Drogenbekämpfung, die durch die internationale Gemeinschaft unterstützt wird und alle notwendigen Komponenten enthält. Sie verdient tatsächlich unsere volle Unterstützung, denn sie ist eine umfassende Strategie, die Verbote, die Information der Öffentlichkeit, die Strafverfolgung der aktenkundigen Drogenhändler und die Förderung der Entwicklung auf lokaler Ebene umfasst.
Dort, wo so sorgfältig aufeinander abgestimmte Strategien zur Anwendung gekommen sind, haben die Bauern den Mohnanbau bereits aufgegeben und zwar dauerhaft. In diesem Zusammenhang besteht in der Kommission die Auffassung, dass der Vorschlag, den Opiummohn zu legalisieren, die Arbeit untergräbt, die sie gegenwärtig auf anderen Sektoren leistet, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung von Recht und Ordnung.
Carlo Fatuzzo, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe keinen Zweifel daran, dass Herr Cappato, mit dem ich seit langem befreundet bin, verzweifelt versucht, einen Beitrag zur Bekämpfung der Drogen in der Welt zu leisten und den unglücklichen jungen oder älteren Menschen zu helfen, die am Rande des Todes leiden und denen mit Drogen geholfen werden kann. Jedoch kann ich ihm leider nicht folgen.
Leider, das wiederhole ich, teile ich die Auffassung des Berichterstatters nicht. Meines Erachtens rührt das Problem daher, dass sein Vorschlag Afghanistan betrifft, einen Staat, in dem die Unsicherheit nicht größer sein könnte. Ja, der Irak ist vielleicht weniger sicher, aber Afghanistan ist kaum der Ort, an dem man beginnen sollte, Bauern davon zu überzeugen, das aufzugeben, was für sie der sehr lukrative Anbau von Mohnblumen ist und stattdessen Saaten zu nehmen, die anständiger sind, eher dem alten Testament entsprechen und besser mit den zivilisierten landwirtschaftlichen Methoden einhergehen, die wir alle kennen.
Aus dem Bericht selbst geht klar hervor, dass die größte Menge der weltweit vorhandenen Drogen, etwa die Hälfte, aus Afghanistan stammt und dass der Anbau von Opium in Afghanistan illegal ist. Obgleich er illegal ist, ist dieses Land dennoch die Quelle von etwa der Hälfte der Rohstoffe, die nötig sind, um junge Menschen zu töten oder sie zu Opfern von Drogenhändlern werden zu lassen, die sie bekanntermaßen in den Drogenkonsum ziehen, der ihnen und der Gesellschaft insgesamt Schaden zufügt.
Ich bin der Auffassung, dass es nur eine wirksame Waffe gibt, alle Drogenhändler, beginnend mit den afghanischen Bauern, die meiner Meinung nach die ersten Drogenhändler sind, zu bekämpfen. Unsere Unfähigkeit, sie zu kontrollieren und zu überwachen heißt, dass Prävention der einzige Weg ist, um Drogen zu bekämpfen und so dazu beizutragen, den Opium-Anbau so weit es geht zu reduzieren.
Aus diesem Grund widerspricht die PPE-DE-Fraktion diesem Teil des Berichts Cappato und ich denke, dass das, was ich gerade sage, jedem einleuchtet, ganz gleich, wie das Ergebnis morgen aussehen mag.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Ana Maria Gomes , im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) Ich muss dem Berichterstatter, Herrn Cappato, sowohl zu seinem ausgesprochen nützlichen Bericht als auch zu seiner Bereitschaft zur Berücksichtigung von Anregungen gratulieren, damit in der Einigung möglichst viele Aspekte berücksichtigt werden können.
Seine ursprünglichen Absichten waren löblich, denn er wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Durch die Legalisierung der Mohnerzeugung und der Opiumproduktion für medizinische Zwecke wäre nicht nur der Heroinproduktion in Afghanistan, sondern auch dem weltweiten Schmerzmittelmangel ein Ende gesetzt worden.
Unglücklicherweise sind wir auf mehrere praktische Probleme gestoßen, wie beispielweise die Instabilität der afghanischen Institutionen und ihr Unvermögen, die Opiumproduktion zu regulieren, die Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Tragbarkeit eines solchen Plans und die Gefahr einer möglichen Wiederaufnahme der Opiumproduktion in einigen der dreizehn afghanischen Provinzen, die die Produktion eingestellt haben.
Mit den Änderungsanträgen meiner Fraktion sollte der Fokus des Berichts wieder auf die wesentlichen Aspekte gelenkt werden: die Bekämpfung der Opiumproduktion in Afghanistan, die nicht nur das Land, sondern auch seine Nachbarstaaten betrifft. Die illegal aus diesem Opium erzeugten Drogen betrachten einige insbesondere in Europa als die wahren Massenvernichtungswaffen.
Im Kampf gegen die Opiumproduktion müssen wir die besonderen Merkmale der verschiedenen afghanischen Regionen berücksichtigen. Nur eine Kombination von Maßnahmen kann zum Erfolg führen. Erstens muss etwas gegen die Korruption unternommen werden, die in den zentralen Verwaltungseinheiten des Landes um sich greift, insbesondere im Innenministerium und bei der Polizei, und alle Strategien im Kampf gegen die Opiumproduktion blockiert. Zweitens müssen die etwa 30 wichtigsten Drogenhändler, die in einem Bericht der UNO und der Weltbank von 2006 genannt werden, gestellt, verhaftet und verurteilt werden, damit dieser mörderische Handel gestoppt werden kann. Drittens muss die NATO die afghanischen Bemühungen zur Bekämpfung des Drogenhandels unterstützen, indem sie Labors und Lager zerstört und Drogentransporte verhindert. Viertens müssen die Maßnahmen zur Mohnvernichtung umsichtig und selektiv durchgeführt werden und sich auf Gebiete konzentrieren, in denen Landwirte über tatsächliche Alternativen verfügen.
Nun komme ich zu den Punkten, in denen wir mit dem Berichterstatter übereinstimmen. Wir alle sprechen uns gegen die von den USA befürwortete wahllose Ausräucherung von Mohnpflanzungen aus, weil dadurch lediglich die Stellung der Taliban gestärkt und die Heroinproduktion nicht nennenswert reduziert würde.
Abschließend sollte im Zusammenhang mit einem Maßnahmenpaket zur Drogenbekämpfung in Afghanistan der Vorschlag des Berichterstatters geprüft werden, ein Pilotprojekt zur legalen Herstellung von auf Opium basierenden Schmerzmitteln einzuleiten. Mit diesem Bericht soll vor allem der Europäische Rat ermutigt werden, den Kampf gegen die Heroinproduktion in Afghanistan mit Einfallsreichtum und Engagement aufzunehmen. Es bieten sich keine einfachen Lösungen für dieses Problem, doch wir wissen, dass wir den von den Taliban und El Quaida verfochtenen Terrorismus und aggressiven Obskurantismus nur dann besiegen können, wenn wir Afghanistan aus den Fängen des Drogenhandels befreien.
Ich komme nun zum Abschluss, Herr Präsident. Dieser Bericht ist als dringend Appell an die Mitgliedstaaten zu verstehen, sich nach allen Kräften für den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau eines Landes einzusetzen, das schwer von blutigen Konflikten getroffen wurde und von ausgesprochen großer Bedeutung für die regionale und internationale Sicherheit ist.
Marios Matsakis (ALDE). - (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte mich zu dieser Problematik persönlich und nicht im Namen meiner Fraktion äußern.
Die Produktion illegalen Opiums ist in Afghanistan aufgeblüht, seit die USA und ihre Verbündeten in diesem Land präsent sind. Und das geschah trotz der Errichtung verschiedener Behörden zur Bekämpfung der Drogenproduktion und der Programme zur Bekämpfung von Betäubungsmitteln, für die zuweilen große Summen von EU-Steuergeldern eingesetzt werden.
Dabei kann selbst ein Blinder sehen, dass die Afghanen weiterhin Opium produzieren werden, ganz gleich, was da komme. Die Ursache hierfür ist ganz simpel. Die Behörden zur Bekämpfung von Betäubungsmitteln nehmen weltweit an Größe, Anzahl und Kompetenz zu, und sie leisten eine immer effektivere Arbeit. Deshalb gelingt es ihnen, immer größere Mengen an Drogen zu beschlagnahmen. Da jedoch die Nachfrage seitens der Drogenabhängigen unverändert bleibt und kriminelle Drogenhändler weiterhin riesige Profite aus ihren illegalen Opiumlieferungen an diese kranken Menschen erzielen, steigen die Preise für Opiate und die Profite aus dem Handel mit Opium erhöhen sich weiter.
Somit folgen die Afghanen lediglich den Grundprinzipien des freien Marktes. Sie steigern ihre Produktion, um die Nachfrage des illegalen Handels zu befriedigen und um ihre Profite zu erhöhen. Es ist also ein völliger Trugschluss zu erwarten, dass die Unterstützung weiterer Programme für den Kampf gegen das Opium in Afghanistan einen beachtenswerten Effekt haben wird.
Der einzige Weg, der Opiumproduktion in Afghanistan oder anderswo wirksam zu begegnen, ist, sich weltweit mit dem Drogenproblem auseinanderzusetzen. Die einzige vernünftige Möglichkeit, dies zu tun, ist die Legalisierung der Drogen und die Anerkennung der Tatsache, dass Drogenabhängige keine Kriminellen sondern Kranke sind, die Hilfe brauchen.
Wenn diesen Abhängigen therapeutische Drogen unter strenger ärztlicher Kontrolle angeboten würden, verbesserten sich die Möglichkeit, schwerwiegende Nebenwirkungen zu verhindern, sowie die Möglichkeit der Entgiftung deutlich. Gleichzeitig würden die mit dem Drogenhandel einhergehende Kriminalität verschwinden und sämtliche Polizeibehörden für die Drogenbekämpfung überflüssig, was zu Haushaltseinsparungen ohnegleichen führte.
Die dem zugrunde liegende Logik ist so einfach, aber die Politiker in aller Welt haben Schwierigkeiten, sie zu begreifen.
Salvatore Tatarella, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die in Herrn Cappatos Bericht angesprochene Angelegenheit ist extrem sensibel und erfordert eine vorsichtige Bewertung durch das Europäische Parlament, um zu verhindern, dass irreführende und desaströse Lösungen vorgelegt werden, auch wenn sich dahinter gute Absichten verbergen.
Ich möchte zwei Punkte hervorheben. Erstens könnte der Anstieg der Opiumproduktion und -erzeugnisse in Afghanistan den Wiederaufbau des Landes und die bereits schwierige Stabilisierung des Rechtsstaates in der von Leid gekennzeichneten Region unterlaufen. Zweitens ist der steigenden Produktion von Opium – um 30 % in diesem Jahr – keine angemessene Antidrogen-Strategie entgegengesetzt worden.
Aus diesen Gründen ist der vorgelegte Vorschlag aus dem Bericht meines Erachtens völlig akzeptabel. Ich möchte dabei jedoch hervorheben, dass:
1. die erforderlichen Mengen Morphin bereits mit besonderen Lizenzen und vorbehaltlich der Überwachung durch das Büro der Vereinten Nationen für Drogenbekämpfung und das afghanische Ministerium für Drogenbekämpfung hergestellt werden;
2. das Internationale Suchtstoffkontrollamt angibt, dass es weltweit bereits einen Überschuss an Opiaten zur medizinischen Verwendung gibt;
3. dass eine aufwändige Herstellung von Morphin dazu führen würde, dass mehr Drogen hergestellt werden, die den Bedarf an Drogen auf dem Weltmarkt schließlich decken würden. Wenn es sie erst einmal billig auf dem Markt gibt, wären sie für alle verfügbar.
Wir sollten uns stattdessen gegen die Herstellung, den Handel und die illegale Verbreitung von Drogen stellen – und zwar in jedem Fall und mit allen Mitteln. Die Nachfrage sollte durch eine wertebasierte Politik und fortwährende, weit verbreitete Präventionsmaßnahmen und Informationskampagnen speziell unter jungen Menschen gedrosselt werden.
In einem Land wie Afghanistan könnte die Lösung aus diesem Bericht angesichts der Bedingungen, die dort gegenwärtig herrschen, als ein Zeichen der Kapitulation und der Niederlage verstanden werden. Sie könnte die Maßnahmen, die die internationale Gemeinschaft, die Europäische Union, die Vereinten Nationen und die Agenturen für Wiederaufbau in Afghanistan mit durch finanzielle Anreize unterstützten Programmen für eine Umstellung von Opiumplantagen hin zu anderen Saaten, ergreifen, unterlaufen.
Abschließend möchte ich kurz erwähnen, dass das Internationale Suchtstoffkontrollamt die Entscheidung der afghanischen Regierung, den Vorschlag zur Legalisierung des illegalen Opiumanbaus abzulehnen und ihre Zusage, sich an die Verpflichtungen aus internationalen Verträgen zu halten, gebilligt hat.
Raül Romeva i Rueda, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Zu Beginn möchte ich betonen, dass dieser Bericht äußerst wichtig und mutig ist und zum rechten Zeitpunkt kommt. Die beiden drängenden Fragen, auf die er eingeht, verdienen politische Aufmerksamkeit und eine politische Antwort, die offenkundig noch nicht erfolgt ist.
Während die Besorgnis über die Sicherheitslage und die Situation der Opiumproduktion in Afghanistan ständig wächst, ist die Notwendigkeit der weltweiten Lieferung von Analgetika eines der größten humanitären Probleme unserer Zeit, leider auch eines der am wenigsten beachteten.
Der Berichterstatter, Herr Cappato, hatte mit der Erarbeitung dieses Berichts keine leichte Aufgabe, deshalb ist er umso bemerkenswerter, und ich bekräftige nochmals meine Unterstützung und die meiner Fraktion. Wie er selbst sagte, ist die Verbindung zwischen den beiden Fragen nicht einfach und auch nicht notwendigerweise unmittelbar, doch es obliegt uns Politikern, die komplexen Realitäten zu analysieren, um komplexe Lösungen für die komplexen Probleme zu finden. Genau das tut dieser Bericht.
Was die Sicherheit in Afghanistan betrifft, so besteht kein Zweifel, dass sie eine Priorität sein muss, wenn wir die Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramme mit einer Garantie für die Zukunft umsetzen wollen. Das Problem besteht allerdings darin, dass bestimmte bewaffnete Gruppen gerade aufgrund einer fehlenden Regelung für die Opiumproduktion finanziert werden. Wir wissen auch, dass ein illegaler Opiumanbau und -handel stattfindet, der 40 % des Bruttoinlandsprodukts Afghanistans ausmacht.
Angesichts dieser Situation halte ich es für zweckmäßig, zumindest Initiativen wie die des Senlis Council zu prüfen und zu berücksichtigen, der eine Regelung zur Genehmigung des Opiumanbaus für medizinische Zwecke in Afghanistan vorschlägt. Das beträfe hauptsächlich die Produktion von schmerzstillenden Mitteln wie Morphium und Kodein, die auch an andere Länder verkauft werden könnten, die aufgrund der Präferenzhandelsabkommen gegenwärtig kaum geringen oder keinen Zugang zu derartigen lebenswichtigen Medikamenten haben.
Es ist bedauerlich, dass dieser Vorschlag im Moment und unter den realen Bedingungen keine stärkere Unterstützung seitens der Kommission oder der afghanischen Regierung selbst hat. Doch noch mehr Sorge bereitet die Tatsache, dass die als Alternativen gepriesenen Maßnahmen häufig in der chemischen Vernichtung bestehen, wie die US-Behörden wieder und wieder betonen. Sollte diese Maßnahme ausgeführt werden, würde sie den Taliban ein neues Argument liefern, um ihre Positionen zu vertreten und würde höchstwahrscheinlich dazu führen, dass die Bauerngemeinschaften zu Rebellenlagern werden.
Sie würde zudem sehr gravierende gesundheitliche und Umweltfolgen haben. Es ist von Anfang an klar, dass bei der Besprühung aus der Luft, die vermutlich für Afghanistan vorgeschlagen wird, auch die Menschen in den behandelten Gebieten und in der Umgebung von der Kontaminierung betroffen werden. Das zeigte sich Anfang des Jahres, als diese Praxis von Kolumbien angewendet wurde, um die Kokainproduktion entlang der Grenze zu Ecuador auszuräuchern, und sich dieses Land daraufhin in Den Haag beschwerte und Klage einreichte.
Ich bin kein Experte und natürlich ist die Frage der chemischen Mittel viel komplexer, doch meiner Ansicht nach sollten wir uns einiger dieser Katastrophen bewusst sein, die durch Napalm und abgereichertes Uran verursacht wurden. Wir dürfen so etwas nicht zum dritten Mal wiederholen, und ich hoffe, wir tun es nicht.
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Die Herstellung von Opium muss kontrolliert werden. Die gesamte internationale Gemeinschaft muss überall in der Welt sehr viel mehr in die Kontrolle der Herstellung von Opium eingreifen. Die Anstrengungen der UNO, ihres Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) und der Weltgesundheitsorganisation, mit denen die Nutzung von Opiaten zur Schmerzbehandlung reguliert werden soll, sind notwendig, aber immer noch unzureichend. Gleichzeitig darf die internationale Gemeinschaft keinen uneingeschränkten Gebrauch von Opiaten und deren Missbrauch durch Drogenabhängige zulassen.
Meiner Ansicht nach ist es unsere Pflicht, den Kampf gegen den Missbrauch harter Drogen nicht aufzugeben, denn sie zerstören irreversibel das Leben ihrer Konsumenten. Ich bin auch nicht dafür, dass die Gesellschaft den Abhängigen Drogen liefert, anstatt sich zu bemühen, sie umzuerziehen und in die Wirklichkeit zurückzuführen. Worum geht es eigentlich im Cappato-Bericht? Hier findet sich der Standpunkt, dass die internationale Gemeinschaft an einem Mangel an Opiaten leide oder in naher Zukunft einem solchen Mangel ausgesetzt sein könne, weshalb diese Droge unter bestimmten Bedingungen in Afghanistan gekauft werden müsse.
Opiate sind in der Tat für die Behandlung verschiedener Krankheiten, zur postoperativen Schmerzlinderung und nicht zuletzt für die Behandlung von Patienten mit bösartigen Tumorerkrankungen notwendig. Gleichwohl weist diese Theorie grundsätzlich einige Mängel auf, die in der gegenwärtigen Situation nicht ignoriert werden dürfen. In erster Linie ist dies die derzeit instabile politische Lage in Afghanistan. Dort müssen wir einerseits gegen die Taliban und andererseits gegen den illegalen Opiumhandel kämpfen, der in entscheidendem Maße nicht nur die afghanische Wirtschaft, sondern auch die Politik und die Außenbeziehungen beherrscht. Ich habe starke Zweifel und Befürchtungen und will auch sogleich erklären, weshalb das meiner Ansicht nach so nicht gelingen kann. Die Projekte zum legalen Mohnanbau für die Opiumherstellung können auch deshalb nicht funktionieren, weil das Internationale Suchtstoffkontrollamt ein Land nur im Nachhinein mit Sanktionen belegen kann, das Land aber einen Teil der Ernte an den Schwarzhandel verlieren wird.
Die internationale Nachfrage ist gleich bleibend. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, allein über die Opiumernte zu wachen. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, dass die Regierung den Kampf gegen die Drogenhändler verlieren wird. Der Wettbewerb wird die Opiumpreise in die Höhe treiben, und die Bauern, die die Mohnfelder legal bewirtschaften, werden sich dem Schwarzhandel zuwenden. Zudem, und das ist sehr wichtig, sind die afghanischen Preise im Vergleich nicht wettbewerbsfähig; in Australien kostet ein Kilo Morphin 56 USD, in Indien 159, in der Türkei 250. In Afghanistan kann der Preis pro Kilo auf bis zu 450 USD steigen.
Was nun die Nutzung zu medizinischen Zwecken anbelangt: Würde das afghanische Opium zu medizinischen Produkten verarbeitet, trüge das nur zu einer weiteren Übersättigung des Marktes bei. Ich komme schon zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich bin aus mindestens vier Gründen dagegen, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten den Mohnanbau in Afghanistan unterstützen: unzureichende Infrastruktur, mangelnde ökonomische Wettbewerbsfähigkeit, gewaltige Expansion in die falsche Richtung, und letzten Endes herrscht gegenwärtig auf dem Weltmarkt kein Mangel an Opiaten.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Zunächst möchte ich Herrn Cappato für seine Arbeit an diesem Bericht danken. Der Bericht war eine große Herausforderung, zielt er doch darauf ab, eine Antwort auf eines der schwierigsten Probleme unserer Zeit zu finden.
Die Opiumproduktion in Afghanistan steigt von Jahr zu Jahr. Dem jüngsten Jahresbericht zufolge ist die Opiumproduktion mittlerweile doppelt so hoch wie noch vor zwei Jahren. In der Praxis verfügt Afghanistan gegenwärtig über ein Monopol an der Versorgung mit der tödlichsten Droge der Welt. Das macht 93 % der weltweiten Opiatproduktion aus. Unser Präsident gehört zu denen, die glauben, das Schicksal Afghanistans sei unsere gemeinsame Angelegenheit. Der heldenhafte Kampf des afghanischen Volkes zu Zeiten des Kalten Krieges hat zur Verbreitung der Freiheit in der heutigen Welt und zum Fall des Eisernen Vorhangs in Europa beigetragen. Die Europäische Union ist nun moralisch verpflichtet, in Afghanistan militärische, administrative und wirtschaftliche Hilfe zu leisten.
Dazu gehört auch die Unterstützung bei der Bekämpfung der Drogenproduktion in Afghanistan. Es sei daran erinnert, dass die afghanischen Anbauer Opiate hauptsächlich wegen der finanziellen Gewinne herstellen. Das sollten wir bedenken, wenn wir das Europäische Hilfsprogramm zur Lösung des Problems aufstellen. Deshalb möchte ich die mutigen Vorschläge, die Herr Cappato in seinem Bericht vorlegt, loben. Sie können ein guter Beitrag zu einer Lösung der fraglichen Situation sein.
Einer dieser Vorschläge sieht Beihilfen vor, die über die Einführung eines wissenschaftlichen Pilotprojekts zur Herstellung von Mohnblumen zu medizinischen Zwecken vergeben werden, die dann weitere Forschungen nach sich ziehen, um herauszufinden, inwieweit die Vergabe von Lizenzen zu einer Verringerung der Armut, einer Diversifikation der ländlichen Wirtschaft, zu einer Entwicklung generell und einer verbesserten Sicherheit beitragen kann. Kurz gesagt, es geht hierbei nicht darum, zu moralisieren, sondern darum, dass die Europäische Union einen wirksamen Beitrag zur Lösung dieses Problems in Afghanistan leistet.
Horia-Victor Toma (ALDE). – (RO) Aus dem Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung über die „Drogenindustrie in Afghanistan“ aus dem Jahr 2007 geht hervor, dass die Opiumproduktion eine Rekordmenge von 8 200 Tonnen und damit 93 % der weltweiten Opiaterzeugung erreicht hat. Demzufolge stammen 40 % des afghanischen Bruttoinlandsprodukts aus der Erzeugung von und dem illegalen Handel mit Opium. An diesem Prozess sind 2,9 Millionen Menschen beteiligt. Nichtsdestotrotz werden 80 % der weltweit legal verfügbaren Opiumderivate von zehn Ländern verbraucht, während in über 150 Staaten aufgrund des illegalen Opiumhandels grundlegende Behandlungsengpässe bestehen.
Es muss betont werden, dass sich die Taliban und Terrorgruppen hauptsächlich über den illegalen Drogenhandel finanzieren. Zudem werden die von der internationalen Gemeinschaft finanzierten Maßnahmen zur Ausrottung und Vernichtung von Drogen von den politischen und militärischen Stammesführern für ihre eigenen Zwecke und zur Ausschaltung des Wettbewerbs genutzt. Angesichts dessen bin ich der Überzeugung, dass ein strategischer und ausgewogener Ansatz zur Reduzierung und Kontrolle der Opiumerzeugung auch soziale und wirtschaftliche Alternativen beinhalten sollte, um die Bildung eines Rechtsstaats und demokratischer Institutionen in Afghanistan zu unterstützen. Eine solche Maßnahme könnte daher eine der grundlegenden Lösungen für die Prävention und die Zerschlagung des Terrorismus darstellen.
Frau Präsidentin! Ich denke, dass ein Antidrogenplan in Afghanistan, der die Kontrolle der Opiummengen durch die Herstellung von Analgetika und anderen Derivaten ermöglicht, eine und nicht die einzige wirtschaftliche Alternativlösung und ein Mittel zur Reduzierung des Mohnanbaus darstellen könnte.
Ryszard Czarnecki (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich Kommissarin Ferrero-Waldner zu der hervorragenden Leistung der Altenburger Sängerknaben gratulieren, die wir gerade gehört haben. Ich bin wirklich beeindruckt.
Nun muss ich allerdings zu weniger erfreulichen Themen kommen, nämlich dem Bericht Cappato. Meine Vorredner haben immer wieder die 40 % des BIP erwähnt, weil das der Anteil des afghanischen BIP ist, der angeblich durch die Herstellung von Betäubungsmitteln generiert wird. Diese Zahl wurde hingenommen, aber ich möchte hervorheben, dass unsere Vertreter in Afghanistan vor einem Jahr vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten eindeutig zu anderen Feststellungen gelangt sind. Sie haben erklärt, dass der Anteil am BIP bei über 50 % liegt, was sogar noch mehr ist. Es widerstrebt mir, dies zu erläutern, aber mindestens 10 % der Bevölkerung Afghanistans lebt von der Drogenproduktion und dem Drogenhandel. Darüber hinaus sollten wir auch sehen, dass die Soldaten der internationalen Streitkräfte gemeinsam mit den in dem Land stationierten Amerikanern an diesem Handel beteiligt sind.
Meines Erachtens ist dies ein risikoreicher Vorschlag, wenngleich ich natürlich auch anerkennen muss, dass er einige Vorteile mit sich bringt. Ich bin jedoch zutiefst davon überzeugt, dass der Vorschlag eher zur Legalisierung des Drogenhandels als zu medizinischer Hilfe führen wird.
Vittorio Agnoletto (GUE/NGL). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es geht hier nicht einfach nur darum, festzuhalten, dass 92 % des weltweit verfügbaren Opiums in Afghanistan angebaut werden, sondern darum, den Aufwärtstrend festzustellen. 2001 wurden den Daten des UN-Büros für Drogenbekämpfung zufolge 8 000 Hektar für den Opiumanbau verwendet, wogegen es 2006 165 000 waren; 2001 wurden 185 Tonnen geerntet, 2006 waren es 6 100.
Das bedeutet offensichtlich, dass die gegenwärtige Strategie der Vernichtung der Ernte durch Ausräucherung zu nichts führt. Vielmehr hat sie soziale Konsequenzen, die in der Folge dazu führen werden, dass die Opiumherstellung spiralartig ansteigt. Andere Saaten als Opium werden vernichtet, die Bauern werden immer ärmer und landen schließlich in den Händen von Drogenhändlern, vor allem den Taliban und den Warlords, die bequem in der Regierung sitzen.
Deshalb ist das Ziel, Bauern eine Unterstützung zu bieten, die sich zumindest zu Beginn auf einem ähnlichen finanziellen Niveau bewegen muss wie gegenwärtig, und die sie aus der Abhängigkeit von Drogenhändlern befreit. Dieser Plan wird das Problem natürlich nicht lösen, aber das gibt auch niemand vor. Wir sprechen über ein Experiment in einem begrenzten Raum. In einem vom Krieg gebeutelten Land, in dem rivalisierende Banden die Ländereien kontrollieren, könnte es anders nicht sein. Dennoch ist es insofern ein Schritt nach vorn, als dass zumindest ein Teil des Opiums nicht zu Heroin wird, sondern zu Morphin. Das ist meines Erachtens für den Westen und die gesamte Welt von Vorteil.
Außerdem bin ich der Auffassung, dass wir klarstellen müssen, dass es bereits Bestimmungen für die Morphinherstellung gibt. Mir ist nicht bekannt, Frau Kommissarin, dass es all diese Probleme in Indien oder der Türkei gibt. Wenn dem so ist, dann brauchen wir Bestimmungen. Die vor uns liegende Entschließung sieht eine Regulierungsfunktion internationaler Gremien vor: nicht für Afghanistan insgesamt, was gegenwärtig nicht zu machen ist, sondern für ein extrem begrenztes Gebiet.
Ferner verdeutlichen internationale medizinische Verbände, dass auch heute noch ein Bedarf an Morphin herrscht, nicht nur im Süden der Welt, sondern paradoxerweise auch im Norden. Das muss natürlich zu offiziellen Preisen verkauft werden, aber es ist ein Schmerzmittel und meines Erachtens hat jeder ein Recht darauf, einschließlich afrikanischer und armer Menschen. Und wo wir über Kosten sprechen: Es kostet zweifelsohne weniger, solche Maßnahmen zu ergreifen und Preiskontrollen für Morphin einzuführen, als die Entscheidung, mit den vorhandenen Methoden Saaten zu vernichten, die zu nichts führt.
Eine letzte Anmerkung: Ich begrüße, dass diese Aussprache pragmatisch geführt wird und nicht wie ein Streit zwischen den Befürwortern einer Liberalisierung oder Legalisierung von Drogen und den Verfechtern eines Verbots. Wir versuchen, praktische und pragmatische Maßnahmen zu ergreifen, um einem Teil der afghanischen Bevölkerung zu helfen.
Charles Tannock (PPE-DE). - (EN) Frau Präsidentin! Es ist unabdingbar, dass aus Opium gewonnene Substanzen wie Diamorphin (auch als Heroin bekannt) für medizinische Zwecke, insbesondere zur Schmerzlinderung, zur Verfügung stehen, jedoch beschaffen die Terroristen der Taliban 20 – 40 % ihrer Geldmittel über den Mohnanbau, wodurch es ihnen möglich wird, NATO-Soldaten zu töten. Bedauerlicherweise ist die afghanische Opiumproduktion in diesem Jahr um 34 % angewachsen, und macht weltweit einen Anteil von 90 % des Angebots aus.
Truppen meines Landes, des Vereinigten Königreichs, kämpfen als Teil der Internationalen Schutztruppe (ISAF) unter Führung der NATO gegen die Taliban. Sie verfügen weder über das Mandat noch über das Personal, ein groß angelegtes Projekt des Mohnanbaus für medizinische Zwecke zu überwachen – beziehungsweise in diesem Fall, die Ernte zu vernichten. Sie haben bereits genug damit zu tun, zu sehen, wie sie Geschossen entkommen, sie brauchen nicht auch noch Teilzeit-Gemüsebauern werden.
Als Arzt habe ich aber Verständnis für die Position der British Medical Association, die den Mohnanbau – unter strenger Kontrolle – befürwortet, um die Versorgung mit Schmerzmitteln stets sicherzustellen. Mein Parlamentskollege aus dem Vereinigten Königreich, der Abgeordnete Tobias Ellwood, hat viel für die Entwicklung eines Sechsjahresplanes unternommen, um die Mohnkulturen in Afghanistan stufenweise durch Marktkulturen zu ersetzen und somit von der Opiumproduktion für medizinische Zwecke wegzuführen.
Daher sollten wir das Konzept eines strikt begrenzten Pilotprogramms zur Genehmigung wenigstens überprüfen und uns dabei der Gefahr bewusst sein, dass es die Taliban für illegale Zwecke für sich vereinnahmen könnten. Jeder Versuch wird zwangsläufig auf ein sehr kleines Gebiet begrenzt sein müssen. Es wird der Unterstützung durch eine Reihe von Partnerorganisationen bedürfen, wenn es gelingen soll. Natürlich können wir nicht unsere tapferen Truppen von ihrer grundlegenden Aufgabe, dem Kampf gegen den Terrorismus, abziehen, aber es könnte insgesamt eine günstige Wirkung erzielt werden.
Beim Thema der EU-Hilfe für Afghanistan, muss die EU weitaus koordinierter an die Entwicklung der Infrastruktur und die Bekämpfung der Korruption herangehen, ansonsten werden die Taliban tatsächlich die Oberhand gewinnen, weil wir die Taliban im Süden des Landes kaum kontrollieren können.
Der Westen muss vor den Realitäten in Afghanistan endlich die Augen öffnen. Die internationalen Organisationen koordinieren ihre Aktionen nicht richtig. Die zügellose Korruption der afghanischen Regierung zeigt uns, dass die Provinzen gegenüber der Staatsführung des Präsidenten Karzai in Kabul die Geduld verlieren.
Das derzeit praktizierte Modell der Zentralregierung ist angesichts der Vielfalt der Interessen und Ethnien im ganzen Land untauglich, in dem es in der Vergangenheit traditionell noch nie eine starke Zentralregierung gab. Die Provinzen erhalten gegenwärtig keinen Handlungsspielraum, um ihre Ziele unabhängig von Kabul zu verfolgen. Es gibt keinen langfristigen Wirtschaftsplan, nach dem das reichlich zur Verfügung stehende Wasser nutzbar gemacht werden könnte. 92 % davon fließen aus dem Land – was sträflich und absurd ist. Der Bau von Staudämmen und Bewässerungssystemen würde den gewerbsmäßigen Anbau von Obst und Gemüse erlauben.
Afghanistan war einmal berühmt für seine Granatäpfel, die zurzeit bei den Verfechtern der Naturkost sehr in Mode sind. Der Aufbau eines dringend benötigten Eisenbahnsystems würde helfen, solche Waren auf den internationalen Markt zu befördern.
Frau Kommissarin, wenn das Land vor der politischen und wirtschaftlichen Katastrophe bewahrt werden soll, liegt noch eine Menge Arbeit vor uns, die keinen Aufschub duldet.
Richard Howitt (PSE). - (EN) Frau Präsidentin! Als jemand, der lange Zeit die Begasung als Mittel zur Drogenvernichtung als untauglich, oftmals als kontraproduktiv und immer verbunden mit Nebenwirkungen auf die menschliche Gesundheit abgelehnt hat, tut es mir leid, dass die Resolution diese Haltung mit dem verknüpft, was ich für einen fehlgeleiteten Versuch zur Förderung der legalen Opiumproduktion in Afghanistan halte. Die Resolution zitiert den Bericht des Senlis Council, der den Eindruck einer weltweiten Mohnknappheit vermittelt – das hat jedoch nichts mit Papaver, sondern nur etwas mit Palaver zu tun. Das Internationale Suchtstoffkontrollamt legt dar, dass die weltweiten Vorräte an legalen Opiaten die Nachfrage für zwei Jahre decken, während der in London ansässige Johnson Matthey, größter Morphinproduzent der Welt, einen weltweiten Überschuss von mehr als 250 Tonnen bestätigt.
Die Kommissarin hat recht, wenn sie einwendet, die Bedingungen in Afghanistan ließen nicht zu, dass die afghanischen Bauern Nutzen daraus zögen. Das ist nur eine von vielen zwingenden Voraussetzungen im Resolutionsentwurf. Opiummohn wird auf weniger als 4 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche angebaut. Der legale Anbau würde sich zum illegalen Anbau hinzugesellen und diesen nicht verdrängen. Laut einer Umfrage der unabhängigen Asia Foundation sprachen sich 80 % der afghanischen Bevölkerung gegen den Handel mit Drogen aus. Die afghanische Regierung lehnt ihn ab, und Präsident Karzai bezeichnet Opium als „Feind der Menschheit“. Gerade in den Wochen vor der Aussaat des Mohns, würde hiervon genau das falsche politische Signal ausgehen.
Ich zolle dem Berichterstatter allen Respekt, aber in dieser Frage wird das Hohe Haus zu meinem Bedauern geteilter Meinung sein. Mohn für medizinische Zwecke ist eine verlockende Aussage, die Wahrheit ist jedoch stattdessen, dass durch Opium Gewalt und Unsicherheit in Afghanistan finanziert werden. Mohn für Korruption und Terrorismus wäre die treffendere Aussage.
Bogdan Golik (PSE). – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Ich möchte meine Unterstützung für den Vorschlag einer Empfehlung des Europäischen Parlaments an den Rat zur Herstellung von Opium für medizinische Zwecke in Afghanistan zum Ausdruck bringen. Ferner möchte ich dem Berichterstatter zu seinem Mut gratulieren. Die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels ist eine der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit. Die Europäische Union muss ihre Maßnahmen mit dem Ziel organisieren, dass sie einerseits Drogen wirksam kontrolliert und die Versorgung der Welt mit Drogen reduziert und andererseits die Verfügbarkeit von Schmerzmitteln erhöht und deren Preis senkt.
Der Vorschlag, die Opiumproduktion zu legalisieren, um den Bedarf der internationalen Pharmaindustrie zu decken, kann ein sinnvoller Weg sein, die genannten Ziele zu erreichen. Wie beispielsweise in der Türkei und Australien könnten auch in Afghanistan Zulassungen für den Anbau von Mohn zur Herstellung nützlicher Schmerzmittel wie Morphin oder Codein vergeben werden. Wenn die Zulassungen allerdings Form annehmen sollen, müssen die besonderen Bedingungen in Afghanistan berücksichtigt werden.
Afghanistan ist weltweit der führende Lieferant von Rohstoffen zur Herstellung von Opiaten. Die Opiumproduktion und der Opiumhandel in Afghanistan sind ein wichtiger Wachstumsfaktor des BIP, die Grundlage für den grenzüberschreitenden Handel, die Haupteinkommensquelle für die Anbauer und für den Großteil der Gesellschaft die einzige Möglichkeit, Land, Arbeit und Kredite zu erhalten. Die Legalisierung des Mohnanbaus in Afghanistan ist nur dann sinnvoll, wenn die richtigen Bedingungen geschaffen werden. Die Sicherheitslage muss verbessert und das Land politisch stabil werden, wenn die nationalen Behörden eine wirksame Kontrolle des Verfahrens zur Herstellung von Opium gewährleisten sollen. Es bedarf einer wirksamen Demokratie und des Zugangs zu Staatskrediten für die Bauern. Darüber hinaus sollte die Abwicklung wirtschaftlicher Aktivitäten reguliert werden.
Inger Segelström (PSE). – (SV) Frau Präsidentin! Ich möchte zunächst Marco Cappato für einen interessanten Bericht danken. Ich bin im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres für die Finanzielle Vorausschau für das Drogenprogramm verantwortlich. Wir waren im Ausschuss bestrebt, in unserer Arbeit konkret festzulegen, wie dem schädlichen Drogenkonsum und dem Drogenangebot entgegengewirkt werden kann. Deshalb ist meiner Meinung nach die Diskussion über Afghanistan sehr wichtig, denn von dort kommt der größte Teil des Heroins (93 %), das unsere Jugendlichen auf der Straße umbringt. Wenn es möglich ist, durch die Produktion von Opium für medizinische Zwecke die Kontrolle und Produktion für einige Landwirte unter Aufsicht der EU und der UNO umzustellen, sollten wir dieses Projekt befürworten. Das sage ich, obwohl ich aus Schweden komme, einem Land mit umfassenden Anti-Drogen-Programmen und einer sehr restriktiven Drogenpolitik. Ich halte dies jedoch leider nicht für ausreichend, so dass wir auch andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen müssen, wie beispielsweise die Energieproduktion. Aber die Bauern brauchen Arbeit und Versorgungsmöglichkeiten, weshalb wir im Europäischen Parlament unsere Verantwortung wahrnehmen und weitere Maßnahmen fordern müssen. Wir wollen 40 %t des BIP ersetzen, dafür müssen wir auch Verantwortung übernehmen! Was Ziffer 1 Buchstabe a betrifft, nämlich die Empfehlung an den Rat, die Ausräucherung als Mittel zur Vernichtung der Mohnpflanzen in Afghanistan im Rahmen integrierter Entwicklungsprogramme abzulehnen, bin ich anderer Ansicht. Ich meine, wir müssen auch diese Methode untersuchen, um den gegenwärtig erreichten toten Punkt, an dem nichts geschieht, zu überwinden. Schließlich noch einige Worte zum Überangebot. Das bedeutet nicht, dass es einen größeren Bedarf an Schmerzmitteln unter den Ärmsten der Welt, bei Frauen und Kindern, gibt. Sie verwenden im Vergleich zu uns in der EU sehr wenig Schmerzmittel. Lassen Sie uns also einen globalen Standpunkt beziehen und in der EU und der UNO gemeinsam mit Afghanistan konstruktive Lösungen finden, um Frieden und Demokratie zu unterstützen und Terrorismus und Drogen zu bekämpfen. Vielen Dank.
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zur Bedarfs- und zur Versorgungsseite sagen.
Was den Bedarf angeht, haben Herr Tatarella, der jetzt nicht mehr hier ist, und Herr Howitt das Problem der Überproduktion angesprochen: die Tatsache, dass das gegenwärtig verfügbare Opium tatsächlich den Bedarf an Opium zur Verarbeitung in Opiate für Drogen übersteigt. Das stimmt, allerdings nur für den gegenwärtigen Bedarf.
In dem Bericht wird versucht, sich mit der potenziellen Nachfrage zu befassen. Etwa 80 % der Weltbevölkerung haben in keinerlei Weise Zugang zu Schmerzmitteln, auch nicht für die am häufigsten durchgeführten Operationen, für Amputationen oder die Versorgung von Krebspatienten. Darüber sprechen wir, und das Internationale Suchtstoffkontrollamt trägt teilweise die Verantwortung dafür, dass wir keine globale Politik zur Förderung von Schmerzmitteln haben.
Was die Versorgung angeht, so möchte ich so frei sein und der Kommissarin sagen, dass dieses vorgeschlagene Pilotprojekt in der Tat etwas kosten würde, Gelder des Steuerzahlers. Das stimmt, aber die gegenwärtige Politik kostet Unmengen von Steuergeldern.
Deshalb ist das Problem ganz einfach. Wir möchten Sie bitten zu prüfen, ob es schwieriger und kostenintensiver ist, daherzugehen und gewaltsam Saaten aus einem Gebiet herauszureißen, die dann aller Wahrscheinlichkeit nach in das benachbarte Gebiet verlegt würden, oder aber diese Ernte aufzukaufen und vor Ort unter Aufsicht der internationalen Gemeinschaft zu verarbeiten, so dass sie nicht zur Herstellung von Heroin, sondern direkt dort zur Herstellung von Medizin verwendet werden kann. Die zweite Alternative ist meiner Meinung nach auch für die europäischen Bürger und Steuerzahler weniger kostenintensiv.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich meine, das war eine sehr aufschlussreiche Aussprache. Abermals bringe ich Herrn Cappatos mutigem Konzept Anerkennung entgegen. Ich möchte jedoch nochmals einwenden und sagen: Ja, es trifft zu, dass unsere Strategie noch nicht erfolgreich gewesen ist. Doch wie ich bereits ausgeführt habe, handelt es sich nicht ausschließlich um eine auf die Drogen gerichtete Strategie, sondern um eine außerordentlich vielschichtige Sachlage. Wir befinden uns in einer Postkonfliktsituation, und selbstverständlich sind die verschiedenen Kräfte bereits vor Ort: die NATO, die Europäische Union und die UN. Genau das war Gegenstand unserer Treffen in New York.
Lassen Sie mich nun auf die Drogenproblematik zurückkommen. Im Hinblick auf Angebot und Nachfrage existieren tatsächlich Probleme. Was die Nachfrage betrifft, so besteht gemäß dem Internationalen Suchtstoffkontrollamt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Nachfrage nach zusätzlichem legalen Opium für medizinische Zwecke. Und ich vernehme, dass die weltweite Nachfrage in der Tat schon gedeckt ist und die Türkei und Indien ihre Produktion in den Jahren 2005 und 2006 verringert haben. Die Vorratslager waren so gut gefüllt, dass sie weltweit für zwei Jahre ausreichten. Das ist die eine Seite. Ich verstehe, wenn Sie sagen, dass es vielleicht in anderen Teilen der Welt Menschen gibt, denen der Zugang zu ärztlicher Behandlung selbst ohne Schmerzlinderung verwehrt ist. Ich sehe das ein. Dies ist jedoch ein Aspekt, den Sie aus dem Zusammenhang lösen. So sieht die Situation heute tatsächlich aus.
Was das Angebot anbelangt, wollen wir auch einen Blick auf die Mengenverhältnisse werfen. Afghanistan ist, was von einigen Kollegen schon angesprochen wurde, das Land mit dem größten Anteil an Opium und Drogen: 8 200 Tonnen. Selbst wenn es die Genehmigung erhalten würde, legal zu produzieren, wäre das lediglich für eine kleine Menge möglich, und diese fiele sehr gering aus. Wenn also die Möglichkeit bestünde, würde sich diese meines Erachtens auf gerade einmal fünf Tonnen der Opiumproduktion belaufen. Setzen wir nun fünf Tonnen ins Verhältnis zu 8 200 Tonnen, so ist das gar nichts! Damit sehen Sie also, weder aufseiten des Angebotes noch aufseiten der Nachfrage haben wir ein wirklich ausgeglichenes Verhältnis.
Deshalb bin ich der Meinung, dass Ihr Konzept, abgesehen von der sehr komplexen Sachlage, mutig ist, und ich pflichte ihm bei. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass es für Afghanistan in dieser Phase vielleicht nicht sinnvoll ist. Im Gegenteil, unsere strategische Aufgabe besteht meines Erachtens darin, die Unterstützung für Afghanistans langfristige Entwicklung und Alternativangebote zum Mohnanbau für die Bauern miteinander zu verknüpfen, was mit einer verbesserten Staatsführung einhergehen muss. Daher werden Justiz und Polizei im Fokus unserer künftigen Bemühungen stehen, so wie wir das bereits begonnen haben.
Darüber hinaus waren wir auch bezüglich der Agenda zum Lebensunterhalt für die ländliche Bevölkerung federführend und haben zur Unterstützung der legalen Beschäftigung beigetragen. Zu diesem Zweck unterstützt die Europäische Kommission die Nationale Drogenbekämpfungsstrategie der Afghanischen Regierung mit den Initiativen zur Angebotskontrolle und Nachfragereduzierung sowie zur Verbesserung der Staatsführung. Zum Beispiel haben wir die Treuhandfonds für Recht und Ordnung bisher mit etwa 135 Millionen Euro unterstützt, für die nächsten beiden Jahre ist eine Summe von 70 Million Euro vorgesehen.
Weiterhin möchte ich darauf verweisen, dass wir als die Europäische Union und die Europäische Kommission, die wir uns auf die Entwicklung der ländlichen Regionen, auf die gesundheitliche Betreuung und auf die Justiz konzentriert haben, und zusätzlich die Reform von Polizei und Justiz sowie den alternativen Anbau fördern, nicht den gesamten Aufgabenkomplex in Afghanistan schultern können. Darauf möchte ich den Abgeordneten, Herrn Tannock, aufmerksam machen, denn er wendet sich, so meine ich, ausschließlich an uns, die Europäische Kommission und die Europäische Union, obwohl noch zahlreiche andere einflussreiche Akteure zur Verfügung stehen. Nach meinem Dafürhalten müssen wir alle gemeinsam unseren Beitrag leisten. Dahingehend unternehmen wir verstärkt Bemühungen, diese Aufgabe mit Hilfe einer sorgfältig abgestimmten Strategie zu bewältigen, die in einem Punkt auch auf die Drogenbekämpfung gerichtet sein wird. Deshalb wiederhole ich, dass es nach meiner Auffassung hierfür möglicherweise zu früh ist.
Die Präsidentin. - Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
18. Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Kontenpfändungen (Aussprache)
Die Präsidentin. - Als nächster Punkt folgt der Bericht von Kurt Lechner im Namen des Rechtsausschusses über das Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: vorläufige Kontenpfändung (2007/2026(INI)) (A6-0371/2007).
Kurt Lechner (PPE-DE), Berichterstatter. – Frau Präsidentin! Das war eine interessante Debatte. Jetzt haben wir es mit einem ganz anderen Thema zu tun – mal sehen, wie wir früher oder später zu einem Ergebnis kommen.
Es gibt eine Redensart, die – so nehme ich an – in ganz Europa verstanden wird, die lautet: Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt. In diesem Sinne wünsche ich zunächst einmal allen unseren Bürgern in Europa, dass sie beruhigt sein mögen.
Wenn man allerdings Geld von einem Anderen zu bekommen hat, wenn er einem Geld schuldet aus einem Verkauf, aus Schadensvorgängen oder Ähnlichem, dann gibt es auch öfters Grund, nicht beruhigt sondern beunruhigt zu sein, zum Beispiel darüber, dass der Schuldner sich seinen Verpflichtungen entzieht, dass er Geld bzw. Vermögen verschwinden lässt, gegebenenfalls auch zu noch späterer Stunde als wir heute Abend.
Alle Mitgliedstaaten kennen Verfahren, durch die das verhindert werden soll, vorläufige Verfahren, einstweilige Verfügungen, Arrest, vorläufige Beschlagnahmen – wie immer sich das nennt. Es ist überall sehr verschieden, es ist sehr kompliziert, die Sprachproblematik kommt dazu. Wenn jemand sich immer der grenzüberschreitenden Verfahren des Mitgliedstaats bedienen würde, dann wäre es oft so, dass – wie man bei uns in Deutschland sagt – der Hase über der Höhe wäre, das heißt, der Schuldner hätte Gelegenheit gehabt, seine Vermögenswerte verschwinden zu lassen.
Das Problem ist in Europa inzwischen grenzüberschreitend virulent. Es wird umso wichtiger, als wir alle einen einheitlichen Zahlungsraum wollen, bargeldlose Zahlungen. Das heißt, die Möglichkeit, gerade über die Grenze hinweg Vermögenswerte verschwinden zu lassen, wird immer größer. Deswegen hat die Kommission – ich will ausdrücklich sagen völlig zu Recht – die Initiative ergriffen. Sie hat ein sehr gutes Grünbuch vorgelegt, umfangreich, mit vielen Details, wobei sicherlich manches noch zu klären sein wird. Das steht ja auch noch an, ist ja auch Sinn der Anhörung. Und auch das Europäische Parlament kann in diesem Stadium nicht auf alles eingehen, und ich auch nicht. Deswegen will ich nur auf einige Punkte einfach stichwortartig hinweisen.
Zunächst einmal – obwohl es eigentlich selbstverständlich ist – geht es nur um eine vorläufige Pfändung, eine vorläufige Sicherstellung, keineswegs um eine endgültige Befriedigung. Außerdem geht es hier nur um Geld, um Bankkonten, nicht etwa um einstweilige Verfügungen, einstweilige Pfändungen anderer Vermögenswerte. Es hätte sich die Frage gestellt, ob man das Ziel erreicht durch eine Harmonisierung der 27 verschiedenen bestehenden Systeme. Das ist sicherlich nicht zielführend, das würde bis auf den Sanktnimmerleinstag auf sich warten lassen. Es greift in so viele andere Dinge ein, dass das nicht gut wäre. Sondern richtig ist – was wohl auch die Kommission so beabsichtigt – eine eigenständige, zusätzliche europäische Regelung – vorzugsweise als Verordnung –, die neben die nationalen Regelungen treten soll, die weiter ihre Geltung behalten. Ergänzend will ich nur Brüssel-1 erwähnen. Die Verordnung, die wir hier bereits haben, reicht nicht aus. Der Gläubiger muss seinen Anspruch summarisch glaubhaft machen, er muss auch die Gefährdung glaubhaft machen.
Was uns – und auch mir – besonders wichtig ist, ist der Schutz des Schuldners. Gerade weil wir eine europäische Regelung haben, möchte ich unter keinen Umständen, dass es dort zu Schädigungen eines Schuldners oder eines Dritten kommt, das würde auch auf Europa zurückschlagen. Unter Umständen kann ja auch eine unberechtigte Pfändung existenzvernichtenden Charakter haben. Ich will nur die Punkte erwähnen, dass der Gläubiger gegebenenfalls für Schäden haftet, die beim Schuldner entstehen, dass ihm eine Frist gesetzt werden kann, das Hauptverfahren einzuleiten, dass er gegebenenfalls Sicherheitsleistungen stellen muss, dass dem Schuldner Widerspruch möglich sein muss, dass dafür auch nicht ein Verfahren gewählt wird, das dann eine Ewigkeit dauert, sondern dem Verfahren vorher ungefähr entspricht, dass es keine Übersicherung gibt, und dass auch dem Schuldner das Existenzminimum bleiben muss.
Es gibt das Problem der Treuhandkonten. Wenn dort überhaupt eine Pfändung möglich sein sollte – ich will das einmal offen lassen –, dann muss das jedenfalls in ganz besonderer Weise gesichert werden. Ähnliches gilt für Gemeinschaftskonten – obwohl das nicht dasselbe ist, eigentlich direkt nichts miteinander zu tun hat –, weil es um den Schutz auch Dritter geht, und für dritte Betroffene sind besondere Schutzmaßnahmen erforderlich.
Ich will daran erinnern, dass für die Kommunikation der Banken Standardformulare sinnvoll wären, und will in diesem Zusammenhang und abschließend noch einmal sagen: Es sind sicherlich noch rechtsvergleichende Untersuchungen, Detailuntersuchungen erforderlich. Ich will ausdrücklich meinen Dank an die Kommission aussprechen für diese umfangreichen Untersuchungen und Studien, und den Dank an alle Kollegen. Wir haben alle sehr gut zusammengearbeitet. Ich gehe davon aus, dass das in großem Einvernehmen beschlossen werden wird.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Meiner Meinung nach ist der Bericht ein interessanter Beitrag zum Umgang mit einer äußerst komplizierten Thematik − der grenzüberschreitenden Beitreibung von Schulden. Ich denke, dass der Berichterstatter, Herr Lechner, zu beglückwünschen ist, da er den Weg für eine gesamteuropäische Lösung zur Überwindung der gegenwärtig uneinheitlichen nationalen Vorschriften für die Vollstreckung geebnet hat, die die grenzüberschreitende Beitreibung von Schulden ernsthaft behindern.
Diese Situation betrifft insbesondere den Gläubiger, der das Pech hat festzustellen, dass dessen Schuldner sein Geld schnell von einem bekannten Konto auf ein anderes Konto im Land oder in einen anderen Mitgliedstaat verschiebt. Darum begrüßt die Kommission den Bericht des Parlaments.
Ich werde die vom Berichterstatter und vom Parlament vorgebrachten wichtigsten Bedenken im Hinblick auf das Grünbuch sorgfältig abwägen. Besonders die Form und der Umfang des möglichen Gemeinschaftsinstruments, die Auswirkungen auf künftige Verfahren, die rechtlichen Voraussetzungen, um einen Pfändungsbeschluss zu erwirken, die Kostenerstattung sowie der Schutz der Schuldner sind wesentliche Schwerpunkte, die vom Berichterstatter hervorgehoben worden sind. Ich kann Sie versichern, dass jedem Vorschlag beziehungsweise jeder Mitteilung in diesem Bereich eine tiefgründige Beurteilung und Folgenabschätzung in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament vorausgehen wird.
Sharon Bowles (ALDE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft und Währung. – (EN) Frau Präsidentin! Ich stimme dem Grünbuch zu und hoffe auf eine baldige Fortsetzung mit konkreteren Vorschlägen.
Es liegt eindeutig im Interesse der Förderung grenzüberschreitender Geschäfte, dass Unternehmen die Gewissheit haben, Forderungen beitreiben zu können. Auch die Bürger brauchen diese Gewissheit für persönliche und private Belange. Mein Standpunkt wurde im Ausschuss für Wirtschaft und Währung einmütig unterstützt, und zwar nicht weil wir schwer erstrittene Kompromisse erzielt haben, sondern weil wir von Beginn an einer gemeinsamen Auffassung waren. Ich freue mich, dass nahezu alles, was wir verabschiedet haben, in den Abschlussbericht des Rechtsausschusses aufgenommen wurde oder durch ihn abgedeckt wird, wofür ich dem Berichterstatter danken möchte.
Zwei Punkte konnten nicht in den Bericht aufgenommen werden. Dabei handelt es sich um die Möglichkeit, die Pfändung für Gemeinschaftskonten zu beantragen, und um die Prüfung, ob grenzübergreifend wirksame Vorschriften auch innerhalb eines Mitgliedstaates zur Anwendung kommen können. In einer weniger bindenden Form gibt es einen Änderungsantrag bezüglich der Gemeinschaftskonten, der allgemeine Unterstützung gefunden hat. Es besteht eindeutig eine Gesetzeslücke, wenn ein gemeinsames Sachkonto die Möglichkeit bietet, einen Pfändungsbeschluss zu vereiteln. Dennoch müssen wirklich Dritten gehörende Gelder geschützt werden.
Was die freiwillige nationale Anwendung der grenzübergreifend wirksamen Vorschriften anbelangt, nehme ich zur Kenntnis, was die Kollegen im Rechtsausschuss dazu sagten, dass diese Maßnahme nur grenzüberschreitend möglich ist, um – sei es aus rechtlichen oder aus praktischen Gründen – in einem vernünftigen zeitlichen Rahmen ans Ziel zu kommen. Wenn jedoch in einem Mitgliedstaat, in dem eine Pfändung nicht möglich oder nur sehr schwer zu erwirken ist, keine alternativen Rechtsmittel verfügbar sind, könnte das zumindest aus Sicht der Unternehmen zur Wettbewerbsverzerrung und zu der recht ungewöhnlichen Situation für ein grenzüberschreitendes Unternehmen führen, dass es besser ist wegzugehen, als im Inland tätig zu sein. Vielleicht schenken die Mitgliedstaaten diesem Umstand Beachtung, und der Wettbewerb wird das regeln, was wir nicht durch Gesetze regeln oder regeln können.
Panayotis Dimitriou (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. – (EL) Frau Präsidentin! Ich begrüße die Kommissionsinitiative zur grenzübergreifenden Regulierung der Kontenpfändung und vorläufigen Sicherstellung von Bankguthaben. Ganz besonders möchte ich Ihnen gratulieren, Herr Frattini, der Sie als Kommissar für diese Initiative zuständig sind.
Im entsprechenden Grünbuch der Kommission werden Lösungsansätze für dieses Problem dargelegt, das sich daraus ergibt, dass die Vollstreckung von Gerichtsurteilen durch das Führen oder Übertragen von Bankkonten in andere Staaten umgangen wird.
Die fragliche Maßnahme ist Bestandteil der Strategie zur Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung und muss durch Vorlage eines entsprechenden Vorschlags schnellstmöglich umgesetzt werden. Der Justiz ist nicht gedient, wenn die Urteile von Zivil- oder Strafgerichten nicht vollstreckt werden können. Demzufolge trägt der Vorschlag für die Kontenpfändung und vorläufige Sicherstellung von Bankguthaben, der gegenwärtig geprüft wird, tatsächlich zur Weiterentwicklung und Stärkung der Justiz bei. Das Europäische Parlament steht der Kommissionsinitiative und dem in Vorbereitung befindlichen Rechtsverfahren zu Recht positiv gegenüber.
Mit dem Bericht von Herrn Lechner und den Stellungnahmen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und des Ausschusses für Wirtschaft und Währung werden die Grundvoraussetzungen geschaffen, um einen ausgewogenen Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu diesem Thema zu erarbeiten.
Ich gratuliere Herrn Lechner zu diesem kurzen, aber informativen und vollständigen Bericht. In meiner Eigenschaft als Berichterstatter für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten stimme ich im Wesentlichen mit allen seinen Standpunkten überein.
Es ist davon auszugehen, dass der Bericht mit überwältigender Mehrheit angenommen wird. Er verweist auf die Notwendigkeit, den Anforderungen zur Vorlage eines grenzüberschreitenden Pfändungsbeschlusses für Bankkonten nachzukommen. Ferner wird betont, dass es gleichzeitig notwendig ist, das Verfahren gegen Missbrauch zu schützen und Entschädigungsgarantien für den mutmaßlichen Schuldner vorzusehen, falls der ihn betreffende Beschluss für nichtig erklärt wird.
Meines Erachtens kann eine Sicherstellungsanordnung zum Abschluss eines Gerichtsverfahrens als Vollstreckungsmaßnahme für ein endgültiges Vollstreckungsurteil dienen. Herr Lechner ist zwar nicht dieser Meinung, doch diese Möglichkeit sollte bei Vorlage des entsprechenden Kommissionsvorschlags ernsthaft in Erwägung gezogen werden, um eine unnötige Überschneidung von Verfahren zu vermeiden.
Ich fordere die Kommission auf, die Erstellung des Vorschlags zu diesem Thema unverzüglich in Angriff zu nehmen.
Tadeusz Zwiefka, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Ein Schwachpunkt der gegenwärtigen Bestimmungen zu den Vollstreckungsvorschriften ist zweifelsohne der Sachverhalt, dass nach Prüfung der Vollstreckbarkeit eines richterlichen Beschlusses in einem anderen Mitgliedstaat die Vollstreckung einzig in den Zuständigkeitsbereich der nationalen Rechtsvorschriften fällt. Gemäß den gegenwärtig gültigen Rechtsakten der Gemeinschaft gibt es keine Möglichkeit, einen Beschluss zur Pfändung eines Bankkontos zu erwirken, der im Gebiet der gesamten Europäischen Union vollstreckt werden könnte.
Deshalb scheint ein europäisches System, mit dem per Beschluss Bankkonten gepfändet werden können, eine geeignete und erforderliche Lösung zu sein. Gläubiger könnten so die fälligen Beträge oder den Wert ihrer Forderung sicherstellen, indem Mittel, die auf einem oder mehreren Bankkonten im Gebiet der gesamten Europäischen Union gutgeschrieben sind, nicht mehr abgehoben oder überwiesen werden können. Ein solches System sollte nach der Entwicklung eines zusätzlichen unabhängigen Verfahrens, das die nationalen Bestimmungen ergänzt, mit der Vorgabe geschaffen werden, dass es lediglich in grenzübergreifenden Fällen angewendet werden darf. Es sei betont, dass ein solcher Beschluss lediglich präventive Wirkung hätte. Mit anderen Worten, er würde die Mittel des Schuldners auf dessen Bankkonto sperren, ohne dass sie auf das Konto des Gläubigers überwiesen werden.
Selbstverständlich darf das Gericht den Schuldner weder anhören noch über das Verfahren informieren, bevor sein Bankkonto gepfändet wird, weil sonst genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist, erreicht wird.
Der zu pfändende Betrag müsste ausgehend von der Forderung des Gläubigers berechnet werden. Jedoch muss hervorgehoben werden, dass der Schuldner das Recht haben muss, den ergangenen Beschluss anzufechten. Das für die Anhörung der Anfechtung zuständige Organ sollte das Gericht sein, das den Beschluss erlassen hat.
Darüber hinaus müssen Bestimmungen für Abweichungen von der Vollstreckbarkeit festgelegt werden, damit der Schuldner und seine Familie ihre Grundbedürfnisse decken können. Es ist klar, dass dann zusätzliche rechtsvergleichende Angaben erforderlich wären, da viele Sachverhalte für weitere Untersuchungen sprechen. Dennoch wäre die Einführung eines gemeinschaftlichen Gerichtsverfahrens wie beispielsweise eines europäischen Beschlusses zur Pfändung von Bankkonten mit dem Ziel, die Umsetzung der Geldforderungen zu vereinheitlichen und die Effizienz zu verbessern, auf dem Weg zur Entwicklung eines europäischen Wirtschafts- und Rechtsraums ein großer Schritt nach vorn.
Abschließend möchte ich Herrn Lechner zu seinem hervorragenden und gut vorbereiteten Bericht gratulieren. Das Parlament weiß natürlich wie schwer es ist, die Bestimmungen der Union insbesondere in diesem Bereich zu ändern.
Manuel Medina Ortega, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich meinen Kollegen, Herrn Lechner, zu seinem ausgezeichneten Bericht beglückwünschen: Er ist ausgewogen und gemäßigt.
Jetzt, zu dieser späten Abendstunde, muss ich einfach darüber nachdenken, was Pfändung bedeutet. In der Praxis, im täglichen Leben sind die Gläubiger üblicherweise große Institutionen mit starker Wirtschaftskraft, während die Schuldner in der Regel Menschen in einer viel schwächeren wirtschaftlichen Position sind. In der Tat geht es in einem der schönsten Gedichte in spanischer Sprache um die Pfändung eines armen, unglücklichen Arbeiters.
Es ist in der Tat so, dass, wenn es keine Pfändungen gibt, wenn die Gläubiger nicht die Möglichkeit zur Beitreibung ihrer Schulden haben, die Personen, die einen Kredit benötigen, keinen erhalten können. Daher glaube ich, dass wir alle etwas gelangweilt sind. Ich werde Ihnen eine Geschichte über einen der Diktatoren erzählen, die wir in Spanien hatten, General Primo de Rivera. Er betrachtete die Pfändung von Eigentum der Militärs als Beleidigung für den militärischen Berufsstand. Deshalb untersagte er Kontenpfändungen beim militärischen Personal. In der Folge weigerten sich die Banken, den Militärs Geld zu leihen, und die Militärs baten dann den General darum, dass bei ihnen wieder gepfändet werden durfte.
Das ist jedoch nur eine Geschichte. Ich glaube, dass es Herrn Lechner gelungen ist, beim Schutz der Rechte der Schuldner eine Ausgewogenheit herzustellen, doch ich habe noch eine Frage, und Herr Frattini wird wahrscheinlich wissen, was ich zu diesem Thema sagen will.
Wenn es konkret wird, haben die großen Schuldner, die Personen, die große Finanzoperationen durchführen und die schließlich tausenden wehrlosen Menschen Milliarden schulden, diese großen Schuldner haben ihre Konten gewöhnlich nicht in Belgien, Brüssel oder Straßburg oder London sondern in Steueroasen.
Dies ist natürlich nicht in den Festlegungen des Grünbuchs berücksichtigt. Doch da ich weiß, dass Kommissar Frattini Interesse an dieser Angelegenheit hat, möchte ich ihm folgende Frage stellen: Wäre es nicht empfehlenswert, einen Weg zu finden, um sicherzustellen, dass auch das Eigentum dieser großen internationalen Straftäter, die das Leben von tausenden Familien ruinieren, gepfändet werden kann?
Wie ich sagte, ist dies ein Szenario außerhalb des Geltungsbereichs des Grünbuchs, das wir heute Abend diskutieren. Doch da die Hauptpunkte meiner Meinung nach schon von den Vorrednern und Kommissar Frattini mit großer Deutlichkeit dargelegt wurden, halte ich es für ein Thema, das es zu prüfen gilt. Ich bin sicher, dass Kommissar Frattini dazu eine ergänzende Bemerkung hat.
Abschließend möchte ich meine Glückwünsche an Herrn Lechner erneuern: Ich denke, er hat einen ausgewogenen Bericht erarbeitet, und die Position der Schuldner, der armen Schuldner, das heißt, der Mehrheit der Bürger, ist gewährleistet. Ich hoffe, dass uns die Kommission bald einen legislativen Text vorlegt, der es ermöglicht, dass der grenzüberschreitende Kreditmarkt weiterhin funktioniert.
Diana Wallis, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Auch ich möchte Herrn Lechner zu seinem Bericht beglückwünschen. Ich will wie bei einem Geständnis beginnen. Bevor ich in dieses Hohe Haus eintrat, war ich Rechtsanwältin. In Wahrheit war ich nicht nur Rechtsanwältin, sondern beschäftigte mich als Anwältin mit der Beitreibung von Schulden, oft über die Grenze hinweg.
Meine Erfahrung auf diesem Gebiet ist, dass die meisten Schäden bei den Kleinunternehmen entstehen, die den Mut gefasst haben, Geschäfte mit dem Ausland zu betreiben, und die dann durch hohe Schulden und durch einen professionellen Schuldner, der in einem anderen Land untertaucht, zugrunde gerichtet werden. Deshalb erachte ich diese Initiative als einen Weg, der europäischen Wirtschaft Aufschwung zu verleihen und die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit zu fördern, wenn wir ihn nur richtig beschreiten.
Wir müssen härter durchgreifen. Die Zahlungsanordnung war ein Schritt in die richtige Richtung. Das ist das nächste Teil im Puzzle. Ich möchte zwei Punkte ansprechen. Zunächst einmal befassen wir uns lediglich mit grenzüberschreitenden Fällen. Wir akzeptieren die Gegebenheiten dieser Einschränkung, doch möchte ich nicht dabei zusehen, dass Gläubiger zweierlei Anträge bei den Gerichten stellen müssen: einen hinsichtlich der Schuldner im eigenen Land, gefolgt von einem weiteren Antrag für ein anderes Land, also grenzüberschreitend. Auf diese Weise kann der Schuldner gewarnt werden, und es können Erschwernisse aller Art heraufbeschworen werden. Aus diesem Grund müssen wir sicherstellen, dass zeitgleich ablaufende Verfahren verfügbar sind.
Zweitens besteht natürlich ein Interessenunterschied zwischen Gläubiger und Schuldner. In England verfügen wir über ein zuverlässiges System, das so funktioniert, dass, wenn gegen Sie eine solche einstweilige Anordnung getroffen wird, Sie gegenüber dem Gericht Verpflichtungen zu erfüllen haben, damit im Schadensfall Rücksicht auf die Interessen Dritter genommen wird. Das kann die Bank sein, die die Pfändung zu erwirken hat oder ein Dritter, der eventuell Mitinhaber eines Gemeinschaftskontos ist. Ich empfehle ein nach diesem Muster aufgebautes System.
Ich begrüße den Bericht und die darin enthaltenen Konzepte. Ich glaube, er könnte viel für die Förderung der europäischen Wirtschaft leisten, wenn wir es nur richtig anpacken.
Marek Aleksander Czarnecki, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Das Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Entwicklung eines Europäischen Rechtsraums. Ich befürworte die Ansicht des Berichterstatters in seinem Bericht und unterstütze die Einführung eines raschen und wirksamen Verfahrens zum Erwirken eines Beschlusses zur Pfändung von Bankkonten in der Europäischen Union. Im Zusammenhang mit der sich vollziehenden Integration in den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum ist eine Rechtsvorschrift dieser Art offenkundig sowohl angemessen als auch wünschenswert.
Angesichts der zahlreichen Schwierigkeiten bei der Untersuchung von Forderungen sollte meiner Meinung nach die Europäische Union ein unabhängiges zusätzliches Verfahren einführen, das die nationalen Bestimmungen ergänzen würde. Ein solches Verfahren dürfte nur in grenzüberschreitenden Fällen angewendet werden und sich ausschließlich auf Mittel auf Bankkonten und nicht auf andere Vermögenswerte beziehen. Es geht lediglich darum, eine Forderung eines Gläubigers vorläufig zu sichern, nicht sie endgültig abzuwickeln. Eine ungerechtfertigte Pfändung kann schwere Folgen für den Schuldner und negative Auswirkungen auf das Vertrauen in das europäische Rechtssystem haben.
Deshalb sollte meiner Auffassung nach dem Schutz des Schuldners besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Das könnte beispielsweise die Hinterlegung einer Sicherheit durch den Gläubiger, das Einspruchsrecht, eine Beschränkung des geschuldeten Betrags oder gar die Notwendigkeit für den Gläubiger, ein Gerichtsverfahren, das zur Hauptsache zu führen wäre, zu beantragen, einschließen.
Lidia Joanna Geringer de Oedenberg (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Die Bestimmungen zu den Vollstreckungsvorschriften werden mit Blick auf zivilrechtliche Fälle häufig als Achillesferse des europäischen Rechtssystems bezeichnet. Bis heute ist kein Gesetzesentwurf zu den derzeitigen Instrumenten für die Vollstreckung von Urteilen vorgelegt worden. Die Vollstreckung eines richterlichen Beschlusses nach Festlegung seiner Vollstreckbarkeit in einem anderen Land unterliegt noch immer der ausschließlichen Zuständigkeit des nationalen Rechts.
Die derzeitigen Unterschiede zwischen den Prinzipien zur Schuldeneintreibung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten erweisen sich bei der Eintreibung von Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat als äußerst hinderlich. Gläubiger, die die Vollstreckung eines Beschlusses in einem anderen Land anstreben, werden mit unbekannten Rechtssystemen und Rechtsvorschriften konfrontiert. Sie müssen überdies mit der Sprachbarriere zurechtkommen, was zusätzliche Kosten und eine Verzögerung des Vollstreckungsverfahrens nach sich zieht. Die Probleme im Zusammenhang mit der Eintreibung von Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat beeinträchtigen den freien Verkehr von Zahlungsbefehlen innerhalb der Union und den Binnenmarkt in seiner Funktionsweise. Verzögerte oder nicht geleistete Zahlungen gefährden sowohl die Interessen der Unternehmen als auch die der Verbraucher.
Der Vorschlag der Kommission, ein europäisches Rechtsinstrument einzuführen, das unabhängig von den innerstaatlichen Rechtsvorschriften wäre und sie ergänzen würde, ist deshalb vollkommen angebracht, wenn nicht sogar von grundlegender Bedeutung. Artikel 65 (c) des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft könnte die Rechtsgrundlage für ein solches Dokument sein.
In diesem Zusammenhang und gemäß den Bestimmungen des Grünbuchs sollte der Gläubiger das Recht haben, einen Beschluss zu beantragen, der vor Beginn des Hauptverfahrens zur Pfändung eines Bankkontos ergehen würde. Aufgrund des vorläufigen Charakters des Verfahrens könnte der Gläubiger allerdings aufgefordert werden, seine Forderung und die dringende Notwendigkeit zur Ausstellung eines Pfändungsbeschlusses zu rechtfertigen. Eine ungerechtfertigte Pfändung kann natürlich sehr schwerwiegende Folgen für einen Schuldner haben und ihm sogar die Mittel vorenthalten, die er zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse benötigt.
Weitere wichtige Fragen betreffen das Recht des Schuldners, den Beschluss anzufechten und den zu zahlenden Betrag festzulegen. Eine Grenze für den Betrag festzulegen, der von einer Vollstreckung auf Ebene der Europäischen Union ausgenommen wird, ist vermutlich keine gute Idee. Solche Entscheidungen sollten in den Zuständigkeitsbereich des Rechtssystems des Heimatlandes des Gläubigers fallen.
Zur Vollstreckung von Beschlüssen zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten von Bankkonten muss sichergestellt sein, dass zwischen den Gerichten und den Banken in der Europäischen Union einheitliche Kommunikationsstandards eingeführt werden. Es ist sicher von grundlegender Bedeutung, dass die Regulierung der Frage der Eintreibung von Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat durch die Annahme entsprechender Rechtsakte erfolgt. Allerdings dürfen wir auch nicht außer Acht lassen, dass die bereits in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft gültigen Bestimmungen eingehend untersucht und die Effizienz alternativer Lösungen im Zusammenhang mit europäischen Bestimmungen geprüft werden müssen.
Abschließend möchte ich Herrn Lechner für seinen ausgereiften und gut vorbereiteten Bericht danken.
Andrzej Jan Szejna (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Die Frage der effizienten Vollstreckung von Geldforderungen auf dem Gebiet der Europäischen Union ist insbesondere zur Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarktes sehr wichtig. In dieser Hinsicht lohnt es sich, gemeinschaftliche Maßnahmen ins Auge zu fassen. Während meiner Tätigkeit als Rechtsreferendar hat mich ein äußerst löbliches Sprichwort stark beeindruckt Diesem Sprichwort zufolge stehen wir, wenn wir jemandem einen Gefallen tun, in dessen Schuld. Hin und wieder stimmt das. Die Verzögerung bzw. Nichtleistung von Zahlungen gefährden sowohl die Interessen der Unternehmen als auch die der Verbraucher. Die zurzeit in der Europäischen Union bestehenden Unterschiede in Bezug auf die Schuldeneintreibung können die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die über die Grenzen eines bestimmten Mitgliedstaates hinaus tätig sind, gefährden.
Die Systeme zur Vollstreckung von Beschlüssen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. In einigen Staaten sind sie wirksamer als in anderen. Nach dem derzeitigen Sachstand kann ein Schuldner quasi umgehend Mittel von den dem Gläubiger bekannten Konten auf andere Konten in demselben Land oder in einem anderen Mitgliedstaat überweisen. Das macht es dem Gläubiger praktisch unmöglich, diese Mittel zu sperren. Ferner werden Gläubiger, die die Vollstreckung eines Beschlusses in einem anderen Mitgliedstaat anstreben, mit einem anderen Rechtssystem und anderen Formvorschriften konfrontiert. Die Sprachbarriere und die Verfahrenskosten stellen zusätzliche Hindernisse dar.
Deshalb sollten wir auf den Vorschlag zur Entwicklung eines europäischen Systems zur Pfändung von Bankkonten positiv reagieren. Wenn wir die zunehmende Integration in den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum berücksichtigen, ist eine solche rechtliche Regulierung sowohl angemessen als auch von grundlegender Bedeutung. Ich möchte Herrn Lechner für seinen Bericht danken. Ich bin sicher, er wird einen Wendepunkt im Rechtssystem der Union darstellen.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte nur eine kurze Anmerkung zu den Ausführungen von Herrn Medina Ortega machen und allen Rednern danken. Dieses europäische Instrument, der europäische Pfändungsbeschluss, den wir gegenwärtig diskutieren, könnte die nationalen Rechtsvorschriften ergänzen und so schwere Verstöße gegen die Rechte der Gläubiger auf grenzüberschreitender Ebene behandeln.
Ich stimme Herrn Medina Ortega voll und ganz zu, dass wir mit Blick auf Menschen, die sich in Steueroasen flüchten, über die vorläufige Pfändung oder sozusagen den Schutz nachdenken müssen.
Wie Ihnen allen bekannt ist, verfügt Europa über keine einseitige Handlungsvollmacht. Wir müssen meines Erachtens eine engere Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden der Justiz, den Finanzermittlungsbehörden und den großen Bankengruppen, die in diesen so genannten Steueroasen tätig sind, entwickeln. Wir müssen die Regierungen dieser Länder davon überzeugen, dass eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union unbedingt in ihrem Interesse liegt.
Aus diesem Grund sollten wir, auch wenn wir in naher Zukunft noch nicht über ein aktives Instrument, ein einseitiges Instrument gegen das System der Steueroasen verfügen werden, in der Lage sein, das Instrument der Demokratie einerseits und das der justiziellen und finanziellen Kooperation andererseits zu nutzen, um dieses sehr reale Problem in Angriff zu nehmen.
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
19. Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen – Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen (Aussprache)
Die Präsidentin. - Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über die folgenden Berichte zum Strafrecht und zu Urteilen:
- Bericht von Maria da Assunção Esteves im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres zur Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik hinsichtlich der Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen [06480/2007 – C6-0129/2007 – 2007/0807 CNS)] (A6-0356/2007),
- Bericht von Ioannis Varvitsiotis im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über den Entwurf eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union [(09688/2007 – C6-0209/2007 – 2005/0805(CNS)] (A6-0362/2007).
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich unterstütze beide Initiativen, die nach meiner Ansicht einander ergänzen und die beide eine bessere soziale Wiedereingliederung von Personen ermöglichen würden, gegen die in einem Mitgliedstaat, in dem sie gewöhnlich nicht wohnhaft sind, eine nicht freiheitsentziehende Strafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt worden ist.
Wir unterstützen auch Initiativen wie diese, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung erfüllen. Die Entwürfe der beiden Initiativen wurden während der in der Arbeitsgruppe zur Zusammenarbeit in Strafsachen geführten Aussprache gut weiterentwickelt. Eine Vielzahl der von Frau Esteves und Herrn Varvitsiotis in der ersten Anhörung des Parlaments empfohlenen Änderungsanträge sind bereits im Rahmen der nachfolgenden Aussprache aufgegriffen worden. Ich danke beiden Berichterstattern für ihre interessanten Berichte. Besonders im Hinblick auf die erste Initiative hat Frau Esteves eine präzise rechtsbezogene Analyse des deutschen/französischen Textes vorgenommen. Sie hat die Hauptschwierigkeiten aufgezeigt, die in den unterschiedlichen Sanktionen bestehen, die in den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, und in dem Problem, wie die gegenseitige Anerkennung funktionieren soll, wenn das eigene System kein hundertprozentiges Äquivalent vorsieht.
Das andere Problem, das sie als Berichterstatterin herausgearbeitet hat, besteht darin, wie im Fall von Verstößen gegen Bewährungsauflagen zu verfahren ist und welcher Mitgliedstaat für die Verhängung von Sanktionen für diese Verstöße zuständig sein soll – der Ausstellungsstaat oder der Vollstreckungsstaat.
Nun ein paar Bemerkungen zu einigen wichtigen Änderungsanträgen. Ich möchte etwas zum Änderungsantrag 1 des ersten Berichts anmerken. Der Titel wird bei der Annahme geändert werden müssen, da bedingte Verurteilungen aus der Problematik ausgeklammert wurden. Das trifft ebenso auf eine ganze Reihe verschiedener Änderungsanträge zu, worin auf bedingte Verurteilungen Bezug genommen wird.
Änderungsantrag 12 bezieht sich auf die Begriffsbestimmung des „rechtmäßig gewöhnlichen Aufenthalts“. Dieses Thema wird gegenwärtig im Rat erörtert, da bekanntlich die Möglichkeit besteht, in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten oder zu studieren. Des Weiteren beziehe ich mich speziell auf den Änderungsantrag 16. Ich kann Ihnen mitteilen, dass sich die Aussprache zu diesem Text im Rat auf einem guten Weg befindet, und der portugiesische Ratsvorsitz – mit der vollen Unterstützung durch die Kommission – Ende Dezember 2007, vor Ende der portugiesischen Ratspräsidentschaft, eine politische Einigung erwartet.
Hinsichtlich der zweiten Initiative, der Initiative zum europäischen Vollstreckungstitel und zur Überstellung verurteilter Personen, begrüße ich den zweiten Bericht von Herrn Varvitsiotis, aus dem hervorgeht, dass die vom Europäischen Parlament im ersten Bericht angesprochenen Sachverhalte weitgehend einbezogen worden sind. Das ist richtig, wir haben die Änderungsanträge und Vorschläge des Parlaments berücksichtigt.
In Bezug auf den einzigen Änderungsantrag des Berichterstatters zur neuen Erwägung 2a, bin ich vollinhaltlich der gleichen Auffassung, dass Verfahrensrechte in Strafsachen ein sehr entscheidendes Element zur Sicherung des wechselseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten darstellen, und ich stimme ebenfalls darin überein, dass es außerordentlich bedauerlich ist, dass, trotz der Unterstützung durch das Parlament und trotz unserer Anstrengungen, eine Einigung zu den Verfahrensrechten zu erzielen, das Instrument der Verfahrensrechte, nicht gebilligt worden ist. Das war leider nicht möglich.
Maria da Assunção Esteves, Berichterstatterin. – (PT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Zunächst möchte ich den Abgeordneten dafür danken, dass sie im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres so eng mit mir zusammengearbeitet und mich mit ihren kritischen Anmerkungen unterstützt haben, insbesondere Herr Guardans, Herr Demetriou und nicht zuletzt Herr Correia. Uns allen fehlt Herr Correia, der Mitglied der Fraktion der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und portugiesischer Amtskollege war. Er starb im Anschluss an unsere gemeinsame Arbeit an diesem Bericht. Meines Erachtens kann ich ihm die größte Ehre erweisen, wenn ich die öffentliche Zusage mache, dass ich meine Mitgliedschaft im Europäischen Parlament dazu nutzen werde, seine Vorstellungen von Europa als ehrgeiziges und visionäres Projekt und als Gigant, der seine Rechtskultur an die Welt weitergibt, zu verwirklichen. Diese Ehre möchte ich unserem Freund und Kollegen, Fausto Correia, hier und heute erweisen.
Ich möchte kurz auf die Themen eingehen, die in diesem Bericht angesprochen werden. Eingangs muss ich betonen, dass dieser Bericht wie alle anderen ein offener Bericht ist, der darauf abzielt, die besten Lösungen zu suchen und zu finden. Wie der Kommissar bereits gesagt hat, verfügt diese Initiative Frankreichs und Deutschlands über zwei Vorteile. Erstens begünstigen wir durch die Förderung der Anerkennung und Überwachung alternativer Sanktionen für Haftstrafen eine politische Kultur, mit der sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Gerichte diese Maßnahmen umsetzen. Wir setzen uns für eine Humanisierung des Strafrechts in den Mitgliedstaaten und für die Qualität des europäischen Strafrechts ein. Der zweite Vorteil liegt darin, dass diese Initiative durch eine stärkere Harmonisierung und weniger Feudalismus im europäischen Raum zu einer Europäisierung des Strafrechts beiträgt.
Tatsächlich hat die europäische Integration, die mit dem jüngsten Vertrag, zu dem in Lissabon am vergangenen Wochenende eine Einigung erzielt werden konnte, einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht hat, ein Niveau erreicht, an das das Strafrecht im europäischen Raum noch nicht heranreichen konnte. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass wir uns vermehrt für eine Kultur einsetzen, die nicht nur die gegenseitige Anerkennung, sondern auch eine Harmonisierung des Strafrechts mit Blick auf die Gestaltung von Strafen, ihre Vollstreckung, die Beziehung zwischen den Straftätern und der Gesellschaft und eine größere Gleichwertigkeit der Strafgesetze und Strafverfahrensgesetze der Mitgliedstaaten umfasst.
Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union enthält einige Grundsätze, die die gemeinsamen Werte der Europäischen Union bilden, und zeigt, dass dies nur Sinn macht, wenn wir uns vermehrt um europäische Strafgesetze bemühen. Die meisten dieser Grundsätze werden durch das Strafrecht geschützt. Speziell zum Bericht möchte ich lediglich zwei oder drei Anmerkungen machen, die ich für wesentlich halte. Erstens wurde durch den Beitrag des Parlaments besonders deutlich gemacht, dass es einer Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Ausstellungsstaat und dem Vollstreckungsstaat bedarf. Es ist nur folgerichtig, dass ein Staat, der eine bestimmte Befugnis wahrnimmt, dabei sein eigenes Recht anwendet. Zweitens soll die Ablehnung grundsätzlich der Ausnahmefall sein, sodass der künftige Rahmenbeschluss nichts von seiner Wirksamkeit einbüßt. Drittens besteht die Annahme, dass es nicht möglich ist, die Art der Maßnahmen anzupassen, weil anderenfalls der Grundsatz der strikten Legalität im Strafrecht in Frage gestellt würde. Abschließend ist es erforderlich, den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens in Fällen des Widerrufs der Bewährungsstrafe und der Straffestsetzung bei der bedingten Verurteilung zu schützen.
Zum Abschluss möchte ich anmerken, dass uns all diese Fortschritte im europäischen Strafrecht schon bald als ausgesprochen begrenzt erscheinen werden. Wir können das europäische Einigungswerk nur dann vollenden, wenn wir in der Lage sind, anthropozentrische und kosmopolitische Rechtsvorschriften zu erlassen, die stärker harmonisierte und weniger durch Grenzen getrennte Strafgesetze beinhalten.
Ioannis Varvitsiotis (PPE-DE) , Berichterstatterin. – (EL) Frau Präsidentin! Eingangs möchte ich voller Hochachtung unseres verstorbenen Kollegen Fausto Correia gedenken, der einen wesentlichen Beitrag zur Ausarbeitung des treffenden und umfassenden Berichts geleistet hat, zu dem sich der Vizepräsident der Kommission soeben geäußert hat.
Ich möchte darauf hinweisen, dass unser heutiges Thema eine lange Vorgeschichte hat. Alles begann 1983 mit einem Übereinkommen des Europarates, das von allen Mitgliedstaaten angenommen wurde. Jedoch wurde in diesem Übereinkommen festgelegt, dass ein Häftling lediglich mit seiner Zustimmung in ein anderes Land verlegt werden könnte. Das Übereinkommen war damit unwirksam. In einem zweiten Übereinkommen wurde festgeschrieben, dass die Zustimmung des Häftlings nicht mehr erforderlich sei, doch dieses Übereinkommen wurde nicht von allen Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet, sodass der Versuch wiederum scheiterte.
Auf neue Initiative dreier EU-Mitgliedstaaten – Österreich, Finnland und Schweden – wurde ein Entwurf vorgelegt, den der Rat sachgerecht erarbeitet hatte und der in Form eines Rahmenübereinkommens angenommen wurde. Was sieht dieses Rahmenübereinkommen vor? Es legt fest, dass ein verurteilter Bürger eines EU-Mitgliedstaats in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er seinen dauerhaften Wohnsitz oder seinen Lebensmittelpunkt hat, überführt wird. Dies ist ausgesprochen sinnvoll, denn auf diese Weise wird die Resozialisierung nach einem Gefängnisaufenthalt erleichtert: Personen, die in den Mitgliedstaat überführt werden, über dessen Staatsangehörigkeit sie verfügen, stoßen nicht auf sprachliche Schwierigkeiten, können besser den Kontakt zu Freunden und der Familie aufrechterhalten und befinden sich in einer vertrauten Umgebung.
Wie Sie sich sicher erinnern, Frau Präsidentin, hat das Parlament diesen Bericht im Juni 2006 mit großer Mehrheit angenommen. Leider reagierte Polen mit Bürokratie und versuchte, die Durchführung dieses Rahmenbeschlusses mittels zahlreicher Verfahrenstricks hinauszuzögern. So befinden wir uns erneut in Verhandlungen. Glücklicherweise konnte das Problem mit Hilfe von Zugeständnissen an die polnische Seite endlich zufrieden stellend gelöst werden.
Lassen Sie mich jedoch betonen, Frau Präsidentin, dass wir mit dieser Einstellung kein vereintes Europa errichten können. Wir können nicht von einem europäischen Konsens sprechen, wenn jeder Mitgliedstaat derart vernünftige Maßnahmen unter einem anderen unbedeutenden Vorwand im Keime erstickt. Wie soll unser vereintes Europa in solchen Fällen aussehen?
Ich möchte hervorheben, dass der Verfassungsvertrag, den der portugiesische Premierminister vor zwei Tagen vorgelegt hat, glücklicherweise eine größere Mehrheit in diesem Bereich vorsieht, sodass das Veto endlich aufgehoben werden kann.
Abschließend möchte ich dem Vizepräsidenten der Kommission, Franco Frattini, für seinen Beitrag danken und den Wunsch zum Ausdruck bringen, dass wir nach 25 Jahren diese gut durchdachte Initiative schnellstmöglich in die Tat umsetzen können.
Panayotis Dimitriou, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin! Die drei Worte Freiheit, Sicherheit und Recht hören wir immer wieder in der EU. Es handelt sich um die drei Komponenten des Haager Programms, die zusammen und einzeln betrachtet für alle Mitgliedstaaten der Union gelten sollten.
Für den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen, der vor acht Jahren auf dem Europäischen Rat von Tampere 1999 als Grundpfeiler der justiziellen Zusammenarbeit benannt wurde, sind keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. Die wenigen Maßnahmen, die zur Umsetzung dieses Grundsatzes erforderlich wären, schreiten nur langsam voran. Herr Varvitsiotis hat ganz richtig darauf verwiesen, dass die Ursachen des Problems in den individuellen nationalistischen Standpunkten der einzelnen Staaten liegen. Gegenstand seines Berichts ist der Rahmenbeschluss des Rates über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Strafsachen, durch die in anderen Mitgliedstaaten eine freiheitsentziehende Strafe verhängt wird. Der Beschluss dient als Beweis dafür, dass die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nur schleppend und unregelmäßig vorangeschritten ist, denn er ist nur eine von vielen Maßnahmen, die angesichts der langwierigen Vorbereitungen bereits hätten ergriffen werden müssen.
Nichtsdestotrotz begrüßen wir den Abschluss der Beratungen und die Annahme eines Gemeinsamen Standpunkts zur Anerkennung von Gerichtsurteilen in Strafsachen.
Herr Varvitsiotis verdient unsere Anerkennung, denn er hat dazu beigetragen, dass wir einen positiven Vorschlag annehmen konnten, über den wir nun abstimmen werden.
Die Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen, um die es im Bericht von Frau Esteves geht, stellt sicherlich einen von vielen Schritten dar, die unternommen werden müssen, um den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen zu verwirklichen.
Der deutsch-französische Vorschlag zielt auf eine Resozialisierung der Verurteilten ab. Es wird empfohlen, dass Bewährungsstrafen, alternative Sanktionen und bedingte Verurteilungen, die von den Gerichten anderer Mitgliedstaaten verhängt wurden, im Wohnsitzmitgliedstaat vollstreckt werden können.
Die Berichterstatterin hat hervorragende Arbeit geleistet, und ich möchte ihr dazu gratulieren. Allerdings halte ich die Definition des Begriffs „rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt“ für nicht zutreffend. Ferner denke ich, es ist überflüssig, Menschenrechtsverletzungen als inakzeptabel zu bezeichnen, da es keine akzeptablen Verletzungen gibt. Mir ist jedoch bewusst, dass es Probleme bei der Übersetzung dieser beiden Begriffe gibt, und ich fordere Frau Esteves daher dazu auf, die erforderlichen Änderungen vorzunehmen, damit der Text korrekt in alle Sprachen übertragen werden kann.
Andrzej Jan Szejna, im Namen der PSE-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Die Europäische Union ist nicht einfach nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Die europäische Dimension muss jetzt auch mit Blick auf eine intensive politische und rechtliche Integration innerhalb der Union verstanden werden.
Die Union ist ein Beispiel für eine politische Organisation, die die Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen eines sich entwickelnden internationalen Rechtssystems zusammenführt. Zahlreiche strafrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten befinden sich noch immer am Anfang einer Harmonisierung. Dennoch sollten wir uns darüber freuen, dass die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten vom Vertrauen in das Rechtssystem des jeweils Anderen gekennzeichnet sind. Das erleichtert die Zusammenarbeit und ermöglicht es dem Vollstreckungsstaat, eine von den Behörden des Ausstellungsstaates ergangene Entscheidung anzuerkennen.
Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Humanisierung des Strafgesetzes durch das gesamte europäische Rechtssystem zieht. Letzteres beruht natürlich auf den Werten der zugrunde liegenden Einheit, dem Menschen. Die europäische Politik muss in Bezug auf die Verkündung und die Vollstreckung von Urteilen sowie die allgemeinen Beziehungen zwischen dem Verurteilten und der Gesellschaft in jeder Hinsicht unterschiedslos sein. Wenn die Verhängung alternativer Strafen erleichtert wird, kann im Strafrecht und bei der Verurteilung und folglich in der europäischen Rechtsprechung ein humanitärer Ansatz besser unterstützt werden. Insbesondere müssen wir auf die Rechte der Verurteilten und deren Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft Acht geben. Es sollte ein größeres Spektrum alternativer Urteile, die Gefängnisstrafen ersetzen, in Betracht gezogen werden. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass gemäß internationalen Standards der Status einer verurteilten Person die Grundlage dafür ist, um zu beurteilen, inwieweit das Rechtssystem einer politischen Gemeinschaft als zivilisiert gelten kann.
Deshalb müssen die heute vorgelegten Rahmenbeschlüsse über eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts unterstützt werden. Die beständige Harmonisierung der strafrechtlichen Bestimmungen in den Mitgliedstaaten ist letztendlich eine grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung eines Europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
John Attard-Montalto (PSE). - (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte mich auf einen Aspekt der eingebrachten Vorschläge konzentrieren. Es ist offensichtlich, dass der raison d’être für dieses spezielle Gesetz humanitärer Natur ist. Wenn Sie sich in Bezug auf Strafurteile ansehen, weshalb ein Urteil, das in einem bestimmten Land verhängt wurde, in einem anderen vollstreckt werden kann, verstehen Sie, dass wir damit dem Verurteilten das Leben im Grunde erleichtern, indem er vielleicht näher bei seiner Familie oder näher an seinem Heimatort ist.
Ich bin eigentlich überrascht, dass – obwohl wir dieses Gesetz vom humanitären Standpunkt aus betrachten – ein Entscheidungsgrund nicht berücksichtigt wird, wenn es um die Überstellung einer Person aus einem bestimmten Land in ein anderes zur Verbüßung der Strafe geht, und das ist nach meiner Auffassung der humanitäre Aspekt. Wir stützen unsere Kriterien hauptsächlich auf die Nationalität, die Staatsangehörigkeit oder den rechtmäßig gewöhnlichen Aufenthalt. Andererseits berufen wir uns bei Vorschlag und Gegenvorschlag auf „enge Bindungen“, dennoch fehlt der humanitäre Aspekt als eigenständiges Kriterium.
Ich möchte als Beispiel einen speziellen Fall herausgreifen: Für eine Person, die nicht Staatsangehöriger eines EU-Landes ist, wäre es nicht möglich, die Haftstrafe in einem EU-Land zu verbüßen, um somit ihrem Heimatland näher zu sein, weil dieser Aspekt – der humanitäre Entscheidungsgrund – außer Acht gelassen wurde.
Die Präsidentin. - Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
20. Unternehmensregister für statistische Zwecke (Aussprache)
Die Präsidentin. - Als nächster Punkt folgt die Empfehlung für die zweite Lesung von Hans-Peter Martin im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Unternehmensregister für statistische Verwendungszwecke und zu Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2186/93 des Rates [07656/5/2007 – C6-0218/2007 – 2005/0032(COD)] (A6-0353/2007).
Hans-Peter Martin (NI), Berichterstatter. – Herr Präsident, werte Anwesende zu so später Stunde! Ich zähle, mich eingeschlossen, vier Kolleginnen und Kollegen, aber nach mir spricht ja eine Quästorin, die wiederum das zum Anlass nehmen kann, dass wir solche Formen der so genannten Aussprache, die in Wirklichkeit nur für das Protokoll stattfinden, doch anders, effizienter und vernünftiger gestalten. Trotzdem herzlichen Dank, Herr Kommissar, dass Sie hergekommen sind und sich das antun. Ich denke better governance, effizientes und auch transparentes Regieren sähe eigentlich anders aus als solche Geisterstundenveranstaltungen abzuhalten.
In der Sache sind wir hergekommen, um noch einmal eine Arbeit aufzugreifen, die jetzt doch schon einige Zeit zurückliegt. Es geht um einen so zentralen Bereich wie den der Statistiken. Auf der einen Seite haben wir das sehr berechtigte notwendige Interesse der meisten am politischen Prozess Beteiligten, sich zu informieren, gerade auch im Bereich der Unternehmen genauer zu wissen, schneller zu wissen, welche Zusammenschlüsse es gibt und in welcher Form sie funktionieren, vor allen Dingen über Grenzen hinweg, die wir ja zum Glück und erfolgreicherweise quer durch Europa schon zwischen vielen Ländern aufgegeben haben.
In dieser Art und Weise haben wir hier vom Parlament den Vorschlag der Kommission aufgegriffen und dem Bedürfnis entsprechend auf den Weg gebracht, immer unter Beachtung dessen – und da gab es schon bei der ersten Lesung eine Vielzahl von Gesprächen, die ich führen konnte, mit meinem damals sehr hervorragenden Mitarbeiter von Seiten des Sekretariats des Ausschusses für Wirtschaft und Währung –, dass durch die Veränderungen und Vereinfachungen und auch teilweise genaueren Kontrollen, die damit einhergehen, nicht zusätzliches red tape erzeugt wird, nicht zusätzliche bürokratische Hürden errichtet werden, nicht im Bereich der Nationalstaaten noch mehr Formulare von den einzelnen Untenehmen ausgefüllt werden müssen. Dieses Ziel ist erreicht worden.
Was nicht erreicht wurde, ist, dass diese auf der Basis dieser neuen Richtlinie zur Verfügung stehenden Daten auch wirklich von einer breiteren interessierten Öffentlichkeit entsprechend genutzt werden können. Im Bereich Transparenz hätte man mehr tun können. Trotzdem war es dem Parlament wichtig, schon bei der ersten Lesung zügig und eindeutig zu Ergebnissen zu kommen. Leider Gottes ist es, nachdem es auch eine entsprechende Einigung gab, kurz nach der Verabschiedung hier – ich weiß nicht, ob es überhaupt im Parlament eine Gegenstimme gegeben hat – zu Veränderungen in anderen Bereichen der Legislative gekommen, die dazu geführt haben, dass der Bericht, der als abgeschlossen gelten konnte, plötzlich so nicht Bestand haben konnte und wir jetzt in der zweiten Lesung kurz und knapp durch die Änderung von zwei Worten an drei Stellen dem Rechnung tragen müssen.
Da stellt sich dann tatsächlich unter Bezugnahme auf all das, was ich schon gesagt habe, die Frage: War das wirklich notwendig? Hätte man uns nicht durch eine bessere Koordination des Austauschs in und bei Entscheidungsabläufen informieren können, so dass wir uns diese ganze Abendveranstaltung, die keine ist, hätten sparen können? Wir hätten das schon in der ersten Lesung, wenn wir den Bericht ein paar Wochen später verabschiedet hätten, erledigen können.
Dass wir hier überhaupt zusammensitzen, ist ein klassisches Beispiel, wie es in dieser Union im Kleinen oft hakt, wie dringend notwendig es wäre, all diese Initiativen zu forcieren, die versuchen, diese verschiedenen legislativen Prozesse, die im Hause Europa im Großen ablaufen, im Kleinen so zu koordinieren, dass wir uns das, was wir jetzt gerade tun, in Zukunft nicht mehr antun müssen und uns das viele Geld, das das auch kostet – von der ersten zur zweiten Lesung mit all den Vorbereitungen und all den Dolmetschern und Übersetzungen, all diesen Treffen zu später Stunde –, im Interesse einer besseren Arbeit der Europäischen Union für ihre Bürger einfach sparen können.
Franco Frattini, Vizepräsident der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich bin dem Parlament wirklich sehr dankbar für diesen Bericht, der es dem Rat ermöglichen sollte, in zweiter Lesung zur Problematik der Unternehmensregister für statistische Zwecke zu einer Einigung zu kommen, was für die Erstellung von harmonisierten, vollständigen und verlässlichen Statistiken über die Unternehmertätigkeit und andere Wirtschaftstätigkeiten außerordentlich wichtig ist. Die neue Verordnung wird den Rahmen für die Unternehmensregister erweitern und die gesamte Wirtschaft verbindlich einbeziehen einschließlich der beiden Sektoren, denen die Beteiligung zum jetzigen Zeitpunkt noch freigestellt ist, nämlich die Landwirtschaft und die öffentliche Verwaltung.
Doch die bedeutendste Neuerung dieses Vorschlags besteht in der Ausdehnung auf die Daten multinationaler Unternehmensgruppen, die in der EU aktiv sind. Das sind ausschlaggebende Daten vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Globalisierung. Tatsächlich hat der informelle Europäische Rat vergangene Woche in Lissabon die Herangehensweise der Kommission unterstützt, um zu gewährleisten, dass die europäische Politik auf den Schutz der Europäer in der globalisierten Wirtschaft abzielt. Zu diesem Zweck ist es für Politiker als auch für Sozioökonomen von entscheidender Bedeutung, genaue Informationen über jegliche Tätigkeiten transnationaler Unternehmen, die in Europa operieren, zur Verfügung zu haben.
Um die Beteiligten an Erhebungen, die zur Erstellung von Statistiken notwendig sind, zu entlasten, und im Zusammenhang mit dem allgemeinen Streben nach einer besseren Verordnung hat die Kommission der Vereinfachung der Erfassung statistischer Daten besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Unternehmensregister sind ein wichtiger Baustein in zahlreichen Projekten, die die Entlastung der Unternehmen von Statistikaufgaben zum Ziel haben. Sie werden für die effektive Verwendung unternehmensbezogener Daten aus unterschiedlichen Quellen benötigt, wie beispielsweise die gemeinsame Verwendung von Verwaltungsdaten und gezielt erhobenen Statistiken.
Gewiss brauchen wir keine zusätzlichen Erhebungen, um die neuen Anforderung aus der Verordnung zu erfüllen. Diese kann unter Nutzung der zusätzlichen national verfügbaren administrativen Quellen sowie des Feedbacks aus vorhandenen Erhebungen umgesetzt werden.
Astrid Lulling, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich will zunächst dem Berichterstatter – der sich ja darüber beschwert hat, dass wir hier zur Geisterstunde diskutieren – sagen, dass ich 20 Jahre Mitglied eines nationalen Parlaments war. Ich weiß nicht, ob er jemals Mitglied eines nationalen Parlaments war, aber da ist man daran gewöhnt, dass es Nachtsitzungen gibt, und das ist hier für mich keine Geisterstunde. Und wenn der Berichterstatter jetzt sagt, das hätte zügiger gehen sollen, dann sollte er sich vielleicht auch einmal daran erinnern, dass er ja ein bisschen viel Zeit gebraucht hat, ehe er bereit war, diesen Bericht auszuarbeiten.
(FR) Frau Präsidentin! Ich möchte trotzdem sagen, dass die aktuelle Verordnung zu Unternehmensregistern, die sich auf die Harmonisierung von durch Mitgliedstaaten für statistische Verwendungszwecke genutzten Unternehmensregistern bezieht, von 1993 und jetzt zum Teil überholt ist. Der Vorschlag für eine Verordnung umfasst zwei größere Änderungen im Hinblick auf die neuen Datenanforderungen, die in diesem Zusammenhang festgestellt worden sind. Alle Unternehmen, die eine Wirtschaftstätigkeit ausüben, tragen zum BIP bei, und für ihre lokalen Einheiten wie auch die entsprechenden rechtlichen Einheiten besteht ab jetzt Registrierungspflicht. Bestimmte Tätigkeitsbereiche werden auf fakultativer Grundlage im Rahmen der aktuellen Version der Verordnung registriert.
Mein zweiter Punkt besteht darin, dass finanzielle Verbindungen und Unternehmensgruppen ebenfalls eingeschlossen werden müssen und die Daten zu multinationalen Unternehmensgruppen und deren Beratungsstellen zwischen den Mitgliedstaaten und Eurostat ausgetauscht werden sollten.
Zur Empfehlung für die zweite Lesung dieses Berichts sind uns zwei technische Änderungsvorschläge vorgelegt worden, die uns der Juristische Dienst des Europäischen Parlament. empfohlen hat. Wir haben sie an den Wirtschaftsausschuss verwiesen, und ich schlage ebenfalls vor, die Empfehlung des Juristischen Dienstes zu befolgen, die zu Recht feststellt, dass die Einfügung der Worte „Zweck“ und „Umfang“ in die der Kommission übertragenen Kompetenzen ihr die Möglichkeit geben würde, die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, der Behörden und der Zentralbanken sowie ihre eigenen Pflichten zu ändern. Diese Verpflichtungen sind Elemente des Basisrechtsakts; würde man sie in der einen oder anderen Richtung ändern, so würde dies die in dem Basisrechtsakt getroffenen politischen Entscheidungen ändern, und die Änderungen des Gemeinsamen Standpunkts stellen kein Hindernis für eine Zustimmung in zweiter Lesung dar, sofern sie die Ergebnisse der Vereinbarungen zwischen den drei Hauptinstitutionen widerspiegeln und es so ermöglichen, die Angelegenheit in zweiter Lesung abzuschließen. Ich glaube, genau das ist wichtig.
Margarita Starkevičiūtė, im Namen der ALDE-Fraktion. – (LT) Ich danke dem Berichterstatter für die intensiven Anstrengungen, die er für die Erstellung dieses sehr komplexen technischen Dokuments unternommen hat, gerade weil statistische Themen die allgemeinen Öffentlichkeit wenig interessieren und für diese kaum Anziehungskraft besitzen. Aus diesem Grund findet die Diskussion zu diesem Thema eher spät statt. Ich bin sehr erfreut, dass Herr Frattini anwesend ist, obwohl statistische Angelegenheiten ja für gewöhnlich in den Kompetenzbereich von Herrn Almunia fallen. Wir sprechen jedoch über riesige Datenbanken, deren Benutzung, Sicherheit und Verwaltung klar definiert werden müssen. Ich glaube, dass sich Herr Almunia sämtlicher Probleme sehr wohl bewusst ist, auf die wir mit unterschiedlichen Datenbanken, bei ihrer Verwendung, Sicherheit und der Möglichkeit, dass sie für den falschen Zweck benutzt werden, stoßen. In dem Dokument werden eine Reihe von Punkten hervorgehoben, die dabei helfen könnten, ähnliche Probleme zu vermeiden.
Es gibt noch eine andere Sache, über die ich mich freue: Das Dokument wird zu einer größeren Transparenz der administrativen Aufgaben der Regierung führen. Ich halte dies für sehr wichtig; diese Art von Informationen sollte der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich sein.
Andererseits kann ich als Vertreter der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten Europas komme ich nicht umhin zu sagen, dass wir in letzter Zeit zahlreiche Dokumente in Bezug auf den Erhalt von statistischen Daten einschließlich verschiedener Aktivitäten in verschiedenen Verzeichnissen erörtert haben. Der Mehrwert, das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Datenerfassung finden immer weniger Beachtung.
Als Wirtschaftswissenschaftler verstehe ich durchaus die Bedeutung dieser Daten für das Ausarbeiten einer Wirtschaftspolitik, den Entscheidungsfindungsprozess, und selbst in Anbetracht der Sicherheit ist es wichtig, sich der unterschiedlichen Aspekte von Aktivitäten multinationaler Unternehmen innerhalb der EU, innerhalb der Mitgliedsstaaten bewusst zu sein.
Als Vertreter Litauens, einem Grenzland, einem EU-Grenzland, verstehe ich das nur zu gut. Zu Beginn meiner Amtszeit wurde jedoch viel über die Notwendigkeit gesprochen, zu analysieren, wie viel es den Handel kostet, die relevanten Berechnungen zu erstellen. Einige Mitgliedstaaten waren bereit, dies zu tun. So haben beispielsweise die Niederlande dies getan.
Bedauerlicherweise ist diese Initiative im Sande verlaufen. Ich kann es nur bedauern, dass in diesem Fall die Möglichkeit, die Belastung für die Unternehmen zu erfassen und diese zu verringern, nicht ergriffen wurde. Es hätten verschiedene kleine Auswahlgruppen entwickelt und als Beispiele betrachtet und die statistische Grundlage für Europa als Ganzes analysiert werden könne.
Hans-Peter Martin (NI), Berichterstatter. – Frau Präsidentin! Nachdem Frau Lulling mich direkt angesprochen hat, noch einmal ganz kurz: Nur weil andere es schlecht machen, soll das doch für uns kein Vorbild sein. Dass in nationalen Parlamenten diskutiert wird oder noch später gesprochen wird, macht doch die Situation hier nicht besser. Ich finde es bitter, wenn man Reformvorschläge macht, dass die gleich immer so abgeblockt und mit etwas anderem in Bezug gebracht werden.
Punkt 2: Eine allfällige Zeitverzögerung, Frau Lulling, hat es auch nicht gegeben, allenfalls Missverständnisse. Die Zeitverzögerung, von der ich sprach, war die Unglücklichkeit der Ungleichzeitigkeit bestimmter Abläufe.
Punkt 3: Ich bleibe dabei, ich glaube, dass es politisch und auch demokratiepolitisch nicht sinnvoll ist, solche so genannten Aussprachen zu so später Stunde fortzuführen, und ich freue mich darauf, den Herrn Kommissar wieder einmal bei unserem gemeinsamen Freund, Herrn Staffler, im Laurin, in Bozen zu sehen und dort einen Dialog zu führen. Da kann ich mir viel eher vorstellen, dass politisch etwas weitergeht als wenn wir mittlerweile hier nur noch zu dritt plus Kommissar – jawohl, ich wiederhole es, zu dritt – zu dieser Geisterstunde miteinander Pseudogespräche führen.
Astrid Lulling (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Der Berichterstatter hat gesagt, er wäre nicht verantwortlich für die Verzögerung. Das war er! Er hat ja auch den entsprechenden Zirkus im Ausschuss veranstaltet, und ich brauche damit nicht weiter darauf einzugehen.
(FR) Frau Präsidentin! Ich möchte noch etwas sagen und darauf hinweisen, dass die vom Berichterstatter abgegebene Erklärung Bemerkungen enthält, die vollkommen an der Sache vorbei gehen und außerhalb des in diesem Bericht behandelten Themas liegen. Die persönliche Ansicht des Berichterstatters zu ...
(Die Präsidentin fordert die Rednerin auf, zum Schluss zu kommen.)
Sie sind die Vorsitzende einer Arbeitsgruppe. Ich muss sagen, dass die persönlichen Ansichten des Berichterstatters zu den Pensionen, die den EU-Bediensteten gezahlt werden, in einem von dieser Institution herausgegebenen offiziellen Dokument nichts zu suchen haben. Und ich möchte, dass dies im Protokoll festgehalten wird.
Die Präsidentin. - Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt.
21. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll