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Ausführliche Sitzungsberichte
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Mittwoch, 28. November 2007 - Brüssel Ausgabe im ABl.
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
 2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
 3. Zusammensetzung des Parlaments: siehe Protokoll
 4. Prüfung von Mandaten: siehe Protokoll
 5. Zusammensetzung der Ausschüsse und der Delegationen: siehe Protokoll
 6. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat: siehe Protokoll
 7. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll
 8. Proklamierung des Konsens zur humanitären Hilfe (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll
 9. Lage in Georgien (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll
 10. Vorlage von Dokumenten: siehe Protokoll
 11. Schriftliche Erklärungen (Vorlage): siehe Protokoll
 12. Arbeitsplan
 13. Begrüßung
 14. Billigung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch das Europäische Parlament (Aussprache)
 15. Gemeinsame Grundsätze beim Flexicurity-Ansatz (Aussprache)
 16. Aussprache über die Zukunft Europas (Aussprache)
 17. Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft (Aussprache)
 18. Änderung der Richtlinie 2004/49/EG über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft – Interoperabilität des Eisenbahnsystems der Gemeinschaft (Neufassung) – Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004 zur Errichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur (Aussprache)
 19. Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (Aussprache)
 20. Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen
 21. Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (Aussprache)
 22. Eine neue EU-Tourismuspolitik: Wege zu mehr Partnerschaft für den europäischen Tourismus (Aussprache)
 23. Makrofinanzhilfe für Libanon (Aussprache)
 24. Handel und Klimaänderung (Aussprache)
 25. Referendum in Venezuela (Aussprache)
 26. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll
 27. Schluss der Sitzung


  

VORSITZ: RODI KRATSA-TSAGAROPOULOU
Vizepräsidentin

 
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
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  Die Präsidentin. – Ich erkläre die am Donnerstag, dem 15. November 2007, unterbrochene Sitzungsperiode für wieder aufgenommen.

 

2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll

3. Zusammensetzung des Parlaments: siehe Protokoll

4. Prüfung von Mandaten: siehe Protokoll

5. Zusammensetzung der Ausschüsse und der Delegationen: siehe Protokoll

6. Übermittlung von Abkommenstexten durch den Rat: siehe Protokoll

7. Weiterbehandlung der Standpunkte und Entschließungen des Parlaments: siehe Protokoll

8. Proklamierung des Konsens zur humanitären Hilfe (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll

9. Lage in Georgien (eingereichte Entschließungsanträge): siehe Protokoll

10. Vorlage von Dokumenten: siehe Protokoll

11. Schriftliche Erklärungen (Vorlage): siehe Protokoll

12. Arbeitsplan
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  Die Präsidentin. – Der endgültige Entwurf der Tagesordnung dieser Tagung, wie er gemäß Artikel 130 und 131 der Geschäftsordnung festgelegt wurde, ist verteilt worden. Zu diesem Entwurf wurden folgende Änderungen beantragt:

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Auf der Tagesordnung ist heute die Erklärung der Kommission zu dem Partnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten vorgesehen. Dazu ist vorgesehen, dass es eine Entschließung geben wird. Unsere Fraktion hat heute Morgen und in den letzten Tagen sehr intensiv über diese Entschließung beraten. Wir haben auch versucht, sehr intensiv mit anderen Fraktionen über eine Kompromissentschließung zu verhandeln, mit dem Ziel, einen solchen Kompromiss herzustellen. Das war leider nicht möglich! Dennoch wollen wir es nicht aufgeben und versuchen, doch noch zu Kompromissen zu kommen, bevor wir in Kampfabstimmungen müssen.

Deshalb beantrage ich im Namen meiner Fraktion, die Entschließung zu dieser Stellungnahme der Kommission und die Abstimmung über die Entschließung auf die Dezember-Sitzung zu vertagen. Ich wäre den Kolleginnen und Kollegen des Hauses dankbar, wenn sie dem folgen könnten. Das eröffnet etwas Platz für Kompromissverhandlungen.

 
  
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  Die Präsidentin. – Herr Schulz, dieses Thema werden wir zu gegebener Zeit entsprechend dem Arbeitsplan behandeln.

Mittwoch:

- Die gemeinsame Aussprache über das Eisenbahnsystem der Gemeinschaft findet vor dem Bericht von Frau Hieronymi über die Fernsehtätigkeit statt.

- Die Abstimmung über den Bericht Ortuondo Larrea über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems der Gemeinschaft findet während der nächsten Tagung in Straßburg statt.

Donnerstag:

Ich möchte Ihnen zur Abstimmungsstunde Folgendes mitteilen:

- Der Bericht von Herrn Leinen über die Änderung der Verordnung über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften ist gemäß Artikel 43 Absatz 1 der Geschäftsordnung angenommen und in das Abstimmungsregister eingetragen.

- Der Bericht Blokland über gefährliche Chemikalien wird auf die Januartagung verschoben, so dass eine Vermittlung in der ersten Lesung erreicht werden kann.

Nun zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt, Herr Schulz:

Ich habe von der Sozialistischen Fraktion einen Antrag erhalten, die Abstimmung über die Entschließungsanträge zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen auf die Dezembertagung zu verschieben, was eine Änderung der Fristen für die Einreichung der Texte nach sich zieht.

 
  
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  João de Deus Pinheiro, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PT) Frau Präsidentin! Ich nehme die Kompromissbereitschaft bei den Sozialisten zur Kenntnis und möchte im Namen der PPE-DE-Fraktion erklären, dass auch wir für einen Kompromiss offen sind und deshalb diesen Vorschlag nicht ablehnen. Allerdings soll nach unserer Vorstellung nach dem Referendum in Venezuela während der Dezembertagung ebenfalls eine Entschließung zur Lage in diesem Land verabschiedet werden. In diesem Geist des Kompromisses und auch im weihnachtlichen Geist denke ich, dass wir uns diesen Vorschlägen nicht verschließen können.

 
  
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  Die Präsidentin. – Herr Pinheiro, dieser Punkt betrifft nicht Venezuela, sondern den Vorschlag der Sozialistischen Fraktion, die Entschließungsanträge zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen auf die Dezembertagung zu verschieben.

Möchte jemand für diesen Antrag sprechen?

 
  
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  João de Deus Pinheiro, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PT) Frau Präsidentin! Möglicherweise haben Sie mich nicht richtig verstanden. Ich habe zunächst gesagt, dass wir im Geist der Offenheit bereit seien, diesem Vorschlag zuzustimmen. Allerdings möchten wir in diesem Geist des weihnachtlichen Kompromisses, dass sich unsere sozialistischen Freunde ihrerseits damit einverstanden erklären, nach dem Referendum in Venezuela eine Entschließung dazu zu verabschieden.

 
  
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  Die Präsidentin. – Möchte jemand gegen diesen Antrag sprechen?

 
  
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  Helmuth Markov, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich bin doch etwas erstaunt über den Antrag der Sozialistischen Fraktion. Der gemeinsame Entschließungsentwurf der Sozialisten, der Grünen und meiner Fraktion hat die Entschließung, die in Kigali getroffen worden ist, übernommen. In Kigali hatten auch die Mitglieder der PPE-DE-Fraktion diesem Kompromiss zugestimmt. Insofern kann ich überhaupt nicht verstehen, warum man all das jetzt verschiebt, um neu zu debattieren, wenn man sich als europäische Abgeordnete bereits gemeinsam darauf verständigt hatte. Denn alle hatten diesem Kompromiss in Kigali zugestimmt! Insofern spreche ich mich gegen diese Verschiebung aus, weil das Papier von vielen Abgeordneten des Europäischen Parlaments gemeinsam getragen wurde. Also kann man darüber auch heute abstimmen.

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Damit wir uns nicht missverstehen! Das Problem ist nicht der Inhalt, das Problem ist, dass sie die Mehrheit sichern wollen. Das finde ich legitim, die Diskussion ist also – Du hast völlig recht – dass im Grunde genommen im Antrag unverständlich ist, dass das aufgerollt wird. Aber der Antrag der Sozialisten geht darum,– lasst uns mal sehen –, wie wir diese Mehrheit für das was alle eigentlich wollen, sichern. Das ist die Debatte und das ist der Grund, warum die es verschieben wollen. Das ist alles.

 
  
  

(Das Parlament nimmt den Antrag an.)

 
  
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  Die Präsidentin. – Die Abstimmung über die Entschließungsanträge zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen wird auf Dezember verschoben. Es werden folgende Fristen vorgeschlagen:

für die Einreichung von Entschließungsanträgen Mittwoch, 5. Dezember, 12 Uhr mittags;

für Änderungsanträge und gemeinsame Entschließungsanträge Montag, 10. Dezember, 19 Uhr.

Die Abstimmung findet statt am Mittwoch, 12. Dezember.

Ich habe von der Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten einen Antrag auf Abschluss der Aussprache über die Erklärung der Kommission zum Referendum in Venezuela mit Einreichung von Entschließungsanträgen erhalten.

Möchte jemand gegen diesen Antrag sprechen?

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Der Kollege de Deus Pinheiro hat eben vom weihnachtlichen Frieden gesprochen. Ich bin auch für weihnachtlichen Frieden, aber man muss es damit nicht übertreiben. Wir waren jetzt ja ganz friedlich dafür, dass wir einen Kigali-Kompromiss finden.

Was Venezuela angeht: Man kann, wenn man über Herrn Chávez diskutiert, nicht einer Meinung, sondern muss einfacher kontroverser Auffassung sein. Wir glauben, dass die Debatte sinnvoll ist – die wird jetzt auch durchgeführt –, wir glauben aber nicht, dass man in der Kürze der Zeit – heute oder morgen – eine sinnvolle Entschließung hinbekommt. Und wenn wir mit der Entschließung in die Dezembertagung gehen, dann ist das ja schon drei Wochen alt. Insofern ist die Debatte jetzt sehr sinnvoll, aber wir wollen keine Entschließung. Denn diese wäre wirklich entweder mit der heißen Nadel gestrickt oder sie käme viel zu spät. Insofern: Debatte jetzt ja, und das reicht.

 
  
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  Die Präsidentin. – Möchte jemand für diesen Antrag sprechen?

 
  
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  João de Deus Pinheiro, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PT) Frau Präsidentin! Vielen Dank für diese Gelegenheit. Nach dem Referendum, das demnächst in Venezuela stattfindet, wird es eine neue Lage geben. Dieses Referendum ist sehr wichtig, und nach meiner Meinung war es auch wichtig, dass das Haus jetzt eine rationale Aussprache über dieses Thema unter Berücksichtigung der möglichen Ergebnisse des Referendums führen kann. Dann können wir versuchen, im Dezember eine Entschließung zu verabschieden. Ich denke, dass das möglich ist und dass wir uns darum bemühen sollten. Ich mache diesen Vorschlag im Geist der Weihnacht und der Zusammenarbeit.

 
  
  

(Das Parlament lehnt den Antrag ab.)

(Der Arbeitsplan ist somit angenommen.)

 

13. Begrüßung
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  Die Präsidentin. – Heute haben wir die große Freude, in unserem Parlament eine Delegation des Parlaments der Islamischen Republik Afghanistan begrüßen zu können. Diese Delegation hat unser Parlament bereits im vergangenen Dezember in Straßburg besucht, und es freut uns, sie nun auch in Brüssel begrüßen zu dürfen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihrer Versammlung und dem afghanischen Volk unsere tief empfundene und aufrichtige Anteilnahme anlässlich des Terroranschlags vom 6. November 2007 aussprechen, bei dem sechs Mitglieder Ihres Parlaments und etwa 100 afghanische Bürger ums Leben kamen. Unter den Opfern war Sayed Mustafa Kasemi, der der afghanischen Delegation angehörte, die im letzten Jahr zu Besuch in Straßburg weilte.

Ihr Besuch dient der Aufnahme eines regelmäßigen Dialogs, der uns in die Lage versetzen wird, rascher zu einem besseren Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Lage in Afghanistan zu gelangen, und uns die Gelegenheit gibt, zu erörtern, welche Hilfe Ihr Land benötigt.

Ich bin zuversichtlich, dass Sie alle diesen Besuch als Symbol unserer vereinten Bemühungen um die Förderung der demokratischen Werte und der vollen Achtung der Menschenrechte überall auf der Welt betrachten.

Ich möchte unsere Genugtuung über Ihren Besuch und unser Engagement für die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen unseren Regierungen zum Ausdruck bringen.

Soweit ich weiß, stehen Sie bereits in fruchtbarem Kontakt mit dem Europäischen Parlament, und ich wünsche Ihnen einen konstruktiven weiteren Verlauf Ihres Besuchs, einen angenehmen Aufenthalt und eine gute Rückreise in Ihr Heimatland.

 
  
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  Gyula Hegyi (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Meine Bemerkung zur Geschäftsordnung betrifft Artikel 9 Absatz 2 zum ordnungsgemäßen Ablauf der parlamentarischen Arbeit.

Wir sind informiert worden, dass das Winston Churchill-Gebäude und das SDM-Gebäude in Straßburg Asbest enthalten. Im jüngsten Bericht wird festgestellt, dass die Verbreitung von Asbest an unseren Arbeitsstätten dort größer ist, als zunächst angenommen wurde. Asbest ist einer der gefährlichsten krebsverursachenden Stoffe und kann lebensgefährlich sein. Wir sollten deshalb ordentliche Informationen zur Risikobewertung und ausführliche Informationen zur Entfernung des Asbests aus den Parlamentsgebäuden verlangen, einschließlich des Zeitplans und der Sicherheitsmaßnahmen dafür. Die Gesundheit und Sicherheit der Europaabgeordneten, Beschäftigten und Besucher des Parlaments sollten absolute Priorität haben.

 
  
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  Die Präsidentin. – Herr Hegyi, dies ist eigentlich keine Verfahrensfrage, aber da Sie eine derart wichtige Frage nun einmal angesprochen haben, möchte ich sagen, dass der Generalsekretär bereits eine Mitteilung zum möglichen Vorhandensein von Asbest in unseren Gebäuden abgegeben hat.

 

14. Billigung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch das Europäische Parlament (Aussprache)
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  Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von Jo Leinen im Namen des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die Billigung der Charta der Grundrechte der Union durch das Europäische Parlament (2007/2218(ΑCI)) (A6-0445/2007).

 
  
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  Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Frau Präsidentin, Herr Vizepräsident der Kommission, meine Damen und Herren! Die feierliche Verkündung der Charta der Grundrechte am 12. Dezember in Straßburg durch den Präsidenten des Rates, den portugiesischen Ministerpräsidenten José Sócrates, den Präsidenten des Europäischen Parlaments und den Präsidenten der Europäischen Kommission wird zweifellos zu einer Sternstunde der jüngsten Geschichte der Union und der portugiesischen Präsidentschaft der Europäischen Union.

Wir tun damit einen Schritt vorwärts, der erhebliche und konkrete Auswirkungen auf die Festigung der universellen Werte – Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit und Solidarität – haben wird. Dank des neuen Vertrags von Lissabon hat die Charta denselben Wert wie die Verträge; mit anderen Worten, sie wird rechtlich bindend. Diese Tatsache gilt es wegen ihrer Bedeutung gebührend hervorzuheben, und auf sie sollten wir alle, das Parlament, die Regierungen der Mitgliedstaaten und die Kommission, stolz sein. Sie markiert das Ende eines langen Weges.

Die Wirkung der Entscheidung, der Charta der Grundrechte rechtliche Geltung zu verleihen, geht über die üblichen politischen und diplomatischen Kreise hinaus und reicht unmittelbar in den rechtlichen Alltag unserer Mitbürger hinein. Dies ist ein konkretes Ergebnis Europas. Selbstverständlich sind die institutionellen Reformen des Vertrags von Lissabon wichtig, und es trifft ebenfalls zu, dass die Änderungen in den einzelnen Politikfeldern der EU, in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, in der Justiz- und Innenpolitik und in anderen Bereichen wichtig sind, damit sich die Union der Zukunft stellen und den Herausforderungen gerecht werden kann, denen sie sich gegenübersieht. Aber das Vorhandensein eines Katalogs von Rechten, der für die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten bei der Anwendung europäischen Rechts bindend ist, hat eine Bedeutung, die weit über all dies hinausgeht. Von nun an stellen wir die Bürger in den Mittelpunkt des europäischen Projekts.

Wo wir schon von Grundrechten sprechen, möchte ich im Namen der Präsidentschaft und auch im Namen meines Heimatlandes meiner Freude über die Bestimmung des Vertrags von Lissabon Ausdruck verleihen, die den Beitritt der Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention vorsieht, geht doch damit ein Ziel in Erfüllung, das wir seit langem angestrebt haben.

Aus all diesen Gründen kann ich das Parlament und seinen Abgeordneten Herrn Leinen zur Annahme dieses Berichtsentwurfs durch den Ausschuss für konstitutionelle Fragen am 12. November nur beglückwünschen. Daraus ist ein weiteres Mal das Engagement dieses Hauses für die Grundrechte der Europäischen Union deutlich geworden. Mir bleibt nur noch, den aufrichtigen Wunsch zu äußern, dass sich auch das Plenum in der Lage sieht, dem Bericht zuzustimmen und damit am 12. Dezember die feierliche Verkündung der Charta der Grundrechte durch die drei Organe zu ermöglichen.

(Beifall)

 
  
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  Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Die Charta der Grundrechte wird in unserer auf der Rechtsstaatlichkeit basierenden Union ein besonders wichtiges Instrument sein. Sie enthält einen echten Katalog von Rechten, die alle Bürger der Union genießen sollten, angefangen von den individuellen Rechten in Bezug auf die Würde, die Freiheiten, die Gleichheit und die Solidarität bis hin zu den Rechten in Verbindung mit dem Status der Bürgerschaft und dem Recht. Die Charta wird die Zuständigkeiten der Union nicht verändern, aber die Rechte und Freiheiten der Bürger stärken.

Die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union werden an die in der Charta festgeschriebenen Rechte gebunden sein, und die gleichen Verpflichtungen werden für die Mitgliedstaaten gelten, wenn sie das Gemeinschaftsrecht umsetzen. Die Bürger werden die in der Charta verankerten Rechte vor Gericht geltend machen können, und mit der rechtlichen Kontrolle durch den Gerichtshof wird sichergestellt, dass die Charta auch korrekt angewendet wird.

Die Kommission begrüßt es, dass der rechtsverbindliche Status der Charta während des gesamten Verhandlungsverlaufs in der Regierungskonferenz erhalten wurde. Wie das Parlament hätten auch wir es lieber gesehen, wenn die Charta für alle 27 Mitgliedstaaten gelten würde, ohne Ausnahmen für ihre uneingeschränkte Einklagbarkeit, doch wir sollten die erreichten Ergebnisse nicht unterschätzen. Die Rechtskraft ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Errichtung einer legitimen und rechenschaftspflichtigen Union, in der die Interessen der Bürger im Mittelpunkt stehen. Dies war nicht von Anfang an klar, und es war ein langer Weg, bis dieses Ziel in vollem Umfang erreicht war.

Die 2000 verkündete Charta war nicht rechtsverbindlich. Während des Europäischen Konvents 2002-2003 und der 2003-2004 folgenden Regierungskonferenz wurde die Charta angepasst, um ihr Rechtskraft zu verleihen, aber dieser Prozess wurde gestoppt, weil der Verfassungsvertrag nicht ratifiziert wurde.

Auf der Tagung des Europäischen Rats im Juni 2007 wurde vereinbart, dass der künftige neue Vertrag einen Verweis auf die angepasste und 2004 endgültig gebilligte Charta enthalten sollte und dass sie dieselbe Rechtskraft haben würde wie die Verträge, und so steht es nun auch im neuen Vertrag.

Der Berichterstatter empfiehlt dem Parlament, der Charta zuzustimmen. Das ist ein notwendiger Schritt vor deren feierlichen Verkündung, und die Kommission unterstützt diese Empfehlung natürlich voll und ganz. Die Kommission wird der Charta nächste Woche ebenfalls ihre Zustimmung geben und den Präsidenten ermächtigen, sie am 12. Dezember gemeinsam mit dem Präsidenten des Parlaments bzw. des Rates zu verkünden.

Mit der Verkündung der revidierten Charta kann dann ein Verweis in den neuen Vertrag aufgenommen werden, der am Tag darauf in Lissabon unterzeichnet wird, und damit erstrecken sich dann die Rechtskraft und die Einklagbarkeit auch auf die darin verankerten Rechte.

Mit dem neuen Vertrag und der Charta der Grundrechte wird die Union ihren Schutz der Menschenrechte unzweifelhaft verbessern. Die Europäische Union ist nicht nur ein Marktplatz, sondern auch ein gemeinsamer Raum, der von Werten und gemeinsamen Rechten getragen wird.

 
  
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  Jo Leinen, Berichterstatter. − Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist ein Kernbestandteil des Vertrags von Lissabon, man könnte sogar sagen, die Seele des neuen Reformvertrages. Ich bin froh, dass alle drei Institutionen darin übereinstimmen, dass sich der Vertrag von Lissabon nicht nur um Institutionen oder um Politiken bemüht, sondern um die Menschen, nämlich die 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union. Diese Charta ist ein sichtbarer Ausdruck dafür, dass es um den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger geht, gegenüber allen Akten, die von der Europäischen Union ausgehen.

Insofern ist die Charta der europäischen Grundrechte ein Meilenstein auf dem Weg von einem Europa der Staaten zu einem Europa der Bürger. Wir im Parlament haben das immer begrüßt. Die Europäische Union erhält mit dieser Charta und den darin verankerten 50 Rechten und Freiheiten für die Menschen den weltweit modernsten und umfassendsten Katalog von Grundrechten. So etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht noch einmal und darauf können wir eigentlich stolz sein, angefangen von Artikel 1, dem Schutz der Würde des Menschen, bis hin zum letzten Artikel der Charta, dem Verbot der zweimaligen Bestrafung für dieselbe Tat. Die Charta gibt einen verbesserten Rechtsschutz und erwähnt auch Rechte, die nicht in allen Verfassungen der 27 Mitgliedstaaten verankert sind. Ich will nur das Verbot des reproduktiven Klonens durch die moderne Gentechnik erwähnen oder das Recht auf Datenschutz, das Recht auf Informationsfreiheit und Zugang zu Dokumenten. Auch das Recht auf bessere Verwaltung, „good governance“, das wir in der ganzen Welt predigen, muss natürlich auch für uns selbst gelten.

Zum ersten Mal werden in einem Grundrechtekatalog die sozialen und wirtschaftlichen Rechte gleichberechtigt mit den politischen und den Freiheitsrechten verankert. Das ist im Zeitalter der Globalisierung sicherlich ein adäquater Schutz für die Menschen. Das Parlament hat immer wieder bedauert, dass in dem neuen Vertrag der Text der Charta nicht vollständig veröffentlicht wird und sie insofern nicht so sichtbar für die Menschen wird. Aber man muss doch mit Befriedigung feststellen, dass es in Artikel 6 des Vertrags von Lissabon heißt: Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte niedergelegt sind. Die Charta der Grundrechte hat dieselbe Rechtsverbindlichkeit wie die Verträge. Damit sind alle Zweifel ausgeräumt, dass die Bürgerinnen und Bürger mit dem Vertrag die Möglichkeit bekommen, vor den nationalen Gerichten und in letzter Instanz vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ihre Rechte auch wahrzunehmen.

Wir müssen diese Charta hier im Plenum noch einmal annehmen, weil sie verändert wurde, man kann auch sagen, sie wurde gegenüber der Charta des Jahres 2000 verschlechtert – leider. Die Verschlechterungen in Artikel 52 werden auch noch Probleme schaffen bei der Interpretation dieser sehr vagen Klauseln, die da gefunden wurden. Aber immerhin ist sie Teil der Verträge und damit auch gerettet. Ich meine, die Grundrechtecharta ist ein Symbol. Wie hier gesagt wurde: Die EU ist nicht nur ein großer Markt mit angeschlossener Währungsunion, sondern die EU ist eine Wertegemeinschaft mit dem Auftrag, diese Werte in der Innenpolitik wie auch in der europäischen Außenpolitik zu verteidigen.

Umso bedauerlicher ist das Opt-out zweier Mitgliedstaaten, nämlich Großbritanniens und Polens. Wir bedauern das, und es ergeht der Appell an die Regierungen und an die Parlamente dieser beiden Länder, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass dieses Opt-out sobald wie möglich kassiert wird und alle 27 Mitgliedstaaten auf der gleichen Basis die Grundrechte und die Werte dieser Union verteidigen. Insofern befürworte ich die Annahme des Antrags der Grünen, der morgen als Ergänzung zu unserem Bericht aus dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen zur Abstimmung steht. Ich bitte deshalb um Zustimmung für diesen wichtigen Bericht.

 
  
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  Íñigo Méndez de Vigo, im Namen der PPE-DE-Fraktion.(ES) Frau Präsidentin! Heute Vormittag feierte und würdigte meine Fraktion die Verabschiedung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Mitglieder meiner Fraktion tragen heute eine Plakette, auf der steht: „Ja zum Europa der Werte“.

In dieser Hinsicht stimme ich den Worten meiner Vorredner zu, insbesondere denen von Frau Wallström, nach denen die Europäische Union nicht nur ein Markt sei. Die Europäische Union ist ein politisches Projekt, aber eines, das auf Prinzipien und Werten beruht, die alle europäischen Völker verbinden.

Deshalb ist heute ein guter Tag, Frau Präsidentin. Wir haben eine Entschließung, mit der wir diese Charta der Grundrechte in der nächsten Straßburg-Sitzung würdigen und feierlich verkünden können.

Es ist sicher kein Geheimnis, wenn ich sage, dass jene von uns, die das Glück hatten, an der Erarbeitung dieser Charta im ersten Konvent mitzuwirken, einen bitteren Nachgeschmack hatten, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil es, auch wenn wir die Charta wie ein rechtsverbindliches Werk abfassten, in Nizza letztendlich nicht gelang, weil sie von sechs Regierungen abgelehnt wurde.

Doch die Zeit gab uns Recht, und nun wird die Charta dank des Vertrags von Lissabon rechtsverbindlichen Charakter tragen. Aus dem bitteren Nachgeschmack ist jetzt Genugtuung geworden.

Der zweite Grund, Frau Präsidentin, ist, dass ich mich erinnere, dass in Nizza keine feierliche Verkündung der Charta stattfand. Sie wurde insgeheim unterzeichnet, und so war eine großartige Gelegenheit vertan, um den Europäern zu erklären, dass die in der Charta proklamierten Rechte und Freiheiten unsere Identitätszeichen sind.

Doch dank der Entschlossenheit des Präsidenten des Europäischen Parlaments und unserer drei Vertreter in dieser Regierungskonferenz werden wir am 12. Dezember während der Sitzung in Straßburg das erreichen, was in Nizza nicht gelungen ist. Wir werden diese Charta feierlich verkünden und erneut, wie es die Mitglieder der PPE-DE-Fraktion schon getan haben, unser Bekenntnis zu diesen Rechten und Freiheiten bekräftigen, die in der Charta festgeschrieben sind.

Frau Präsidentin, wir werden für den Bericht von Herrn Leinen stimmen.

 
  
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  Richard Corbett, im Namen der PSE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Die PSE-Fraktion unterstützt die Charta in ihrer neuen Form, so dass sie durch den Reformvertrag rechtsverbindlichen Charakter für die europäischen Organe erhalten kann. Damit werden wir eine große Lücke schließen. Die europäischen Organe als solche sind bisher nicht hundertprozentig daran gebunden, die Rechte zu achten, die alle unsere Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verfassungen oder ihrer Zugehörigkeit zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und anderer internationalen Menschenrechtsinstrumente respektieren. Diese Charta wird für die europäischen Organe verbindlich sein, und diese Rechte müssen im gesamten Gemeinschaftsrecht eingehalten werden; europäische Rechtsvorschriften, bei denen dies nicht der Fall ist, können gerichtlich zu Fall gebracht werden.

Überraschenderweise sind einige Euroskeptiker, bei denen man doch meinen sollte, sie müssten sich darüber freuen, dass die europäischen Organe verpflichtet – gezwungen – werden, so zu handeln, gegen diese Charta, aber das ist wirklich so! Es ist vielleicht zu bedauern, dass einige Mitgliedstaaten es deshalb für notwendig hielten, in einem Protokoll klarzustellen, wie sich die Anwendung der Charta in ihrem nationalen Rechtsrahmen gestaltet.

Dies wiederum hat Verwirrung hervorgerufen. Ein Kollege nannte es gerade „Opt-out“; es handelt sich natürlich nicht um ein „Opt-out“. Die Charta bleibt verbindlich für die europäischen Organe und den gesamten Bereich des Gemeinschaftsrechts, unabhängig davon, in welcher Weise sie das nationale Recht in einigen Ländern berührt.

 
  
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  Andrew Duff, im Namen der ALDE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Die feierliche Verkündung der Charta ist der Höhepunkt unserer Arbeit, die bis in das Jahr 1999 zurückreicht und deren Anliegen es war, eine übergeordnete Rechtsordnung für die Union zu schaffen.

Da der Hauptzweck der Charta darin besteht, die Bürger vor der missbräuchlichen Anwendung der großen Befugnisse zu schützen, die die Union jetzt besitzt, ist es seltsam und bedauerlich, wenn sich ein Mitgliedstaat ihrer verbindlichen Wirkung entziehen will. Ich bin überzeugt, dass sich das britische Protokoll als rechtlich angreifbar und zudem als schwerer politischer Fehler herausstellen wird.

Die Gerichte müssen für das gesamte System der Union Recht sprechen, bei dem die Staatsangehörigkeit außer Acht bleibt und der zentrale Grundsatz des Unionsrechts befolgt wird, wonach wir unsere Grundrechte aus den Traditionen ableiten, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind und nicht nur für einen gelten. Aus meiner Sicht und der meiner Fraktion ist das britische „Opt-out“ beschämend und sollte so schnell wie möglich in der Versenkung verschwinden.

 
  
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  Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Im Jahr 2000 wurde die Charta der Grundrechte als eine Erklärung der Leitwerte der EU-Politik erarbeitet. Die Europäische Union selbst sollte der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten. Von diesem Zeitpunkt an sollte der Europäische Gerichthof keine Entscheidungen mehr auf der Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze fällen, die sich aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten ableiten.

Jetzt schreiben wir das Jahr 2007. Die Union wird der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten, die damit allerdings nicht das einzige europäische System zum Schutz der Menschenrechte darstellen wird. Wir schaffen ein alternatives System, das sich auf eine rechtlich bindende Charta von Rechten stützt. In vielerlei Hinsicht begibt man sich damit auf Neuland. Allgemeine Rechtsprinzipien werden auch weiterhin die dritte Säule für Entscheidungen über Grundrechtsfragen bilden.

Alle diese Aspekte verkomplizieren das System zum Schutz der Grundrechte in Europa. Für den einfachen Bürger wird es damit noch unverständlicher. Vielen Europäerinnen und Europäern bereitet die Situation Sorge. Im Wesentlichen waren genau das die Gründe, warum zwei Mitgliedstaaten für Protokolle zum Schutz gegen die unerwarteten Auswirkungen der Charta votiert haben.

 
  
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  Johannes Voggenhuber, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich bin heute stolz, Mitglied dieses Hauses zu sein, das vom ersten Tag an Anwalt der Grund- und Bürgerrechte und dieser Charta war. Es ist neun Jahre her, seit beim Gipfel von Köln die Initiative dazu ergriffen wurde, und der Weg zu einer rechtsverbindlichen Charta ist noch nicht zu Ende.

Als jemand, der diesen gesamten Verfassungsprozess begleiten durfte, kann ich von zwei Erfahrungen berichten. Eine davon ist sehr skurril: Nichts in diesen neun Jahren war so schwierig durchzusetzen, so mühsam, so umstritten, wie das Selbstverständliche, wie das, worauf die Union sich als ihr Fundament beruft: die Demokratie, die Parlamentsrechte, die sozialen Rechte, die Marktwirtschaft, die Öffentlichkeit der Gesetzgebung und auch die Grund- und Freiheitsrechte. Und diese seltsame Tatsache muss wohl etwas mit den Ursachen der Vertrauenskrise in der Europäischen Union zu tun haben.

Die zweite Erfahrung ist, dass es Sinn macht, sich nicht ermüden und nicht enttäuschen zu lassen, dass es Sinn macht, sich nicht entmutigen zu lassen, und dass es mich in meiner alten Ansicht bestätigt, dass Sisyphus des Schutzpatron Europas ist. Deshalb glaube ich, dass wir auch heute – gerade an diesem Tag – noch einmal den Versuch machen und noch einmal an Polen und an Großbritannien appellieren sollten, im Namen der Unteilbarkeit der Grundrechte, im Namen der Unteilbarkeit der Menschenrechte sowie der Grund- und Freiheitsrechte, sich diesem großen europäischen Konsens anzuschließen!

 
  
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  Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Frau Kommissarin! Wir werden auf der nächsten Sitzung erneut die Charta der Grundrechte billigen.

Gestatten Sie mir, bevor wir dies tun, eine Frage zu stellen, die vielleicht weniger simpel ist als es scheint. Wird es sich um die ursprüngliche Charta aus dem Jahr 2000 handeln oder, wie in dem Bericht Leinen anklingt, um ihre aufbereitete Fassung, die in den ehemaligen Entwurf des Verfassungsvertrags eingebaut wurde? Beide Texte sind ja nicht identisch, und ich finde es bedauerlich, dass ihre Unterschiede nicht klarer aufgezeigt werden, während doch gerade das damals eine legitime Polemik ausgelöst hatte.

So hatte beispielsweise der nationale Menschenrechtsausschuss in Frankreich – ich zitiere – seine große Besorgnis angesichts der Änderungen zum Ausdruck gebracht, die an den Artikeln über die sozialen Rechte – ich zitiere immer noch – vorgenommen wurden und die Gefahr laufen, die Charta ihres sozialen Inhalts zu entleeren.

Einer der wichtigsten Mitverfasser der ursprünglichen Charta, der Jurist Guy Braibant, hatte seinerseits in der Presse erklärt, dass – ich zitiere – die Umsetzungsbedingungen für den Text verändert worden seien. Zunächst sei an einigen Stellen das Wort „kann“ durch das Wort „muss“ ersetzt worden. Gleichzeitig habe man – ich zitiere wiederum – offiziell auf die „Erklärungen“ des Präsidiums verwiesen. Diese Erklärungen, die eigentlich methodisch und vollkommen neutral sein müssten, interpretieren aber die Rechte in einem eher minimalistischen Sinne. Man hat die Grundrechte instabiler gemacht. Ende des Zitats.

Welchen Text werden wir auf unserer nächsten Sitzung billigen? Noch eine Zusatzfrage: Wird diese Billigung für alle Länder der Union gelten? Ein Akt dieser Art darf keinerlei Mehrdeutigkeiten zulassen. Deshalb bitte ich um eine präzise Antwort auf diese beiden Fragen.

 
  
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  Jens-Peter Bonde, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (DA) Frau Präsidentin! Ich habe an der Ausarbeitung der Charta mitgewirkt, und in beiden Konventen habe ich eine ganz einfache Lösung vorgeschlagen: Lassen Sie die EU Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention werden. Dadurch wären die Institutionen in derselben Weise gebunden wie die Staaten. Wir würden eine Lücke schließen. Wenn wir die Charta rechtlich verbindlich machen, schließen wir keine Lücken. Im Gegenteil, wir schaffen damit eine Reihe von Lücken in dem Schutz, den wir als Bürger im Rahmen unserer nationalen Verfassung und unserer gemeinsamen europäischen Menschenrechte genießen. Die aktivistische Interpretation des Luxemburger Gerichtshofs wird immer Vorrang vor Straßburg und vor unserem eigenen höchsten Gericht haben. Die Charta ist als eigenständige Rechtsquelle ungeeignet. Sie ist viel zu ungenau. Beginnt das Recht auf Leben mit der Geburt? Falls nicht, wie viele Monate davor? Gilt das Streikrecht auch für Angehörige des öffentlichen Dienstes? Die Meinungsfreiheit für öffentliche Bedienstete ist beim Straßburger Gericht viel besser aufgehoben als beim Luxemburger Gerichtshof. Zudem haben wir gestern ein Schulbeispiel für mögliche Konflikte erlebt. Der deutsche Journalist Hans-Martin Tillack erhielt die Unterstützung des Straßburger Gerichts, das feststellte, dass OLAF unrechtmäßig handelte, als es ihn festnahm und 16 Ordner mit Dokumenten, Computer und Telefone beschlagnahmte. Luxemburg unterstützte den Diebstahl der Quellen des Journalisten. Straßburg verurteilte den Diebstahl und die Festnahme, weil es der Pressefreiheit Vorrang einräumte.

Die Charta wird als Sieg für die Menschenrechte dargestellt. Vielleicht ist sie es auch. Aber sie erinnert mehr an ein Lotterielos mit garantierter Niete. In gewissem Sinne gehen wir ein großes Risiko im Hinblick auf die schwer errungenen Menschenrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit ein. Die Ziehung der Lotteriezahlen wird von Richtern in Luxemburg vorgenommen, die keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen, und erst nach einer Verurteilung wird es zu einer einstimmigen Änderung der Verträge kommen, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Das Ganze ist höchst unpraktisch und läuft eher auf eine Vereinnahmung unserer Rechte als auf eine Charta hinaus.

 
  
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  Jim Allister (NI). – (EN) Frau Präsidentin! Wir alle sind für Menschenrechte, und ich werde langsam der Angriffe einiger Leute – vor allem aus Staaten, in denen Menschenrechte historisch gesehen etwas Neues sind – müde, die das Vereinigte Königreich wegen seiner Opt-out-Haltung in Protokoll 7 als eine Art Paria hinstellen.

Lassen Sie mich daran erinnern, dass schon von langer Zeit, 1688, mit der „Bill of Rights“ eine Regelung der Rechte im Mittelpunkt der Glorreichen Revolution des Vereinigten Königreichs stand. Seither ist das Vereinigte Königreich ein Leitsymbol der Freiheit. Wir brauchen also keine Belehrungen, wenn es um Menschenrechte geht.

Sie mögen verärgert sein, dass wir ihnen das Spiel verdorben haben, weil wir uns – vorläufig – einigen Insignien des EU-Überstaats verweigern, aber ich möchte darauf hinweisen, dass dies unser nationales und politisches Recht ist. Leider wird das Opt-out jedoch verschwinden, wenn der Europäische Gerichtshof seine Agenda zur Zentralisierung in Angriff nimmt. Letzten Endes aber werden diese Leute ihren Willen bekommen, falls das Vereinigte Königreich dumm genug ist, diesen Vertrag trotz der Ablehnung in der britischen Bevölkerung zu ratifizieren.

 
  
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  Elmar Brok (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin! Es gehört auch zu den Grundrechten des Bürgers, nicht übersehen zu werden. In der Tat, diese Charta der Grundrechte bringt Schutz für den Bürger, wie dies im klassischen Verfassungsstaat der Fall ist. Aber die Europäische Union ist kein Staat. Aber obwohl sie kein Staat ist, hat sie Gesetzgebungskompetenz. Und ausschließlich diese Gesetzgebungskompetenz der Institutionen der Europäischen Union fällt unter den Schutz und die Kontrolle der Charta der Grundrechte in einer verbindlichen Form. Damit ist gleichzeitig verbunden, dass die europäische Gesetzgebung und das Handeln der europäischen Organe an Werte und Wertentscheidungen gebunden sind, mit dem ersten Satz dieser Charta, der der großartigste ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Ich lese dies aus einem christlichen Menschenbild heraus. Man kann dies aber auch aus anderen Quellen herauslesen. Aber dass wir uns binden, die drei Institutionen sich binden, dass wir uns dem unterwerfen, ist ein ungeheurer Fortschritt. Dies gilt für die gesamte Europäische Union. Dass Polen und Großbritannien Rechtsstaaten sind, steht außer Zweifel. Aber es ist so, dass sie durch das Nichtunterzeichnen, Nichtanerkennen nicht sich schützen, sondern sich vor etwas beschützen, was sowieso geschützt wird. Auf nationale Gesetzgebung, nationale Organe ist diese Charta nämlich gar nicht anwendbar. Das heißt, sie schützen sich vor etwas Selbstverständlichem. Ich hoffe, dass dies gerade in Polen, wo die Mehrheit in Parlament und Bevölkerung anderer Auffassung ist, aber der Präsident seine Möglichkeiten ausnutzt, dass dies in einiger Zeit auch in Polen zu Veränderungen führt.

Diese Rechtsverbindlichkeit der Charta kann auch dadurch noch gestärkt werden, dass wir ein harmonisches Konzept bekommen. Herr Ratspräsident, ich bin Ihnen dankbar, dass wir die Möglichkeit der einheitlichen Rechtspersönlichkeit nutzen und der Straßburger Konvention beitreten. Wenn dies gelingt, schließt sich auch der europäische Rechtsraum in einer Kohärenz, die Wege des nationalen Grundrechteschutzes und des europäischen Grundrechteschutzes zusammenführt, und ich glaube, dass wir damit ein Europa der Bürger bekommen, das werteorientiert ist und auf das wir stolz sein können!

 
  
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  Józef Pinior (PSE).(PL) Frau Präsidentin! Die Charta der Grundrechte bildet am Beginn des 21. Jahrhunderts das Gegenstück zu den wichtigen Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte im 18., 19. und 20. Jahrhundert. Diese berühmten Erklärungen zu Freiheit und Rechtsstaatlichkeit haben der heutigen Demokratie den Weg geebnet. Unsere Charta wurzelt in Ereignissen, die zur Entwicklung der Demokratie und des gegenwärtigen Systems der freiheitlichen Demokratie im Laufe der vergangenen 200 Jahre beigetragen haben.

Nach meinem Dafürhalten gibt es keinen erkennbaren Grund, warum bestimmte europäische Länder die Charta nicht billigen sollten. Ich frage Herrn Szymański: Wie kann man sich in einem Land, das Solidarność hervorgebracht hat, ernsthaft gegen die Charta aussprechen, da doch ganz Europa der Führung dieser Bewegung sein gegenwärtiges Verständnis des Rechts auf Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verdankt?

Ich appelliere an die polnische Regierung in Warschau und insbesondere an Herrn Tusk, den polnischen Ministerpräsidenten. Herr Tusk, Ihre Fraktion hat die Wahlen vor einem Monat dank der Stimmen jener Polinnen und Polen gewonnen, die sich für die Einarbeitung der Charta in den Europäischen Reformvertrag aussprechen. Ich vertraue darauf, dass Sie Ihre Wähler, die Sie vor gut einem Monat unterstützt haben, nicht enttäuschen werden. Ich rufe die polnische Regierung auf, die Charta der Grundrechte in den Reformvertrag aufzunehmen, damit sie auch in meinem Heimatland Rechtsverbindlichkeit erlangt. Das Polen der Solidarność, das europäische Polen, das Polen der Toleranz und Offenheit glaubt fest an die Charta der Grundrechte als Schlüsselelement des Reformvertrages. Wir dürfen uns vom konservativen Flügel nicht erpressen lassen, der es gern sähe, wenn wir der Umsetzung der Charta in unserer Heimat nicht zustimmen würden.

 
  
  

VORSITZ: MARIO MAURO
Vizepräsident

 
  
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  Bronisław Geremek (ALDE).(PL) Herr Präsident! Nach meinem Dafürhalten ist die Charta der Grundrechte eine unabdingbare Voraussetzung für jede Gemeinschaft, die auf der Grundlage eines Wertesystems, das sich aus der Achtung der Würde des Menschen ableitet, funktionieren will. Daraus entstehen die Grundsätze der Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Ich sehe keinen Grund, weshalb Länder wie Großbritannien oder Polen, die Teil der Gemeinschaft sein wollen, es ablehnen sollten, an etwas teilzuhaben, was die Grundlage unseres gemeinsamen Handelns bildet.

In der Charta wird die Bedeutung sozialer Werte, des europäischen Sozialmodells gewürdigt. Darüber hinaus wird eindeutig erklärt, dass eigenstaatliches Recht dort gilt, wo es um lokale Sitten, Gebräuche und Praktiken geht. Folglich gibt es keinen Anlass für irgendeinen Ausstieg aus diesem Bereich. Ich bin überzeugt davon, dass sich sowohl Polen als auch das Vereinigte Königreich stattdessen für einen Einstieg entscheiden werden.

 
  
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  Bernard Wojciechowski (IND/DEM).(PL) Herr Präsident! Die Aussprache über den Bericht berührt viele Themen und indirekt dabei auch die Grundlage für die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens. Im August 2007 hat der Präsident des Europäischen Parlaments eine diesbezügliche Erklärung auf einem Treffen von Vertriebenen abgegeben. Er erklärte, das Recht auf Heimat begründe sich aus dem Recht auf Würde, weshalb das Recht auf Heimat ein grundlegendes Menschenrecht sei.

Das Recht auf Würde ist in Titel I der Charta festgeschrieben. Im polnischen Parlament stieß die Meinung des Präsidenten jedoch auf Kritik. Der deutsche Bund der Vertriebenen beklagt das Schicksal der aus Polen umgesiedelten Menschen. Was aber würde passieren, wenn das deutsche Klagen und die besondere Auslegung der Würde des Menschen auf Elsass und Lothringen angewendet würden? Würde man in diesem Fall auch ein Zentrum für die Umgesiedelten errichten oder würde eine Aussöhnung stattfinden? Der Versuch, das Recht auf Heimat aus dem Recht auf Würde abzuleiten, ist eine Fehlinterpretation der Axiologie der Menschenrechte, wie Herr Karski, ein Abgeordneter des polnischen Parlaments, darlegte. Eine Auslegung, mit der die primäre Gesetzgebung verdeutlicht wird, ist akzeptabel, ihre Erweiterung hingegen nicht.

Der Präsident des Europäischen Parlaments hat auf Papst Johannes Paul II verwiesen. Ich möchte das Haus und seinen Präsidenten daran erinnern, dass Erzbischof Karol Wojtyła 1965 eine schriftliche Erklärung veröffentlichte, wonach deutsche Bischöfe unmissverständlich erklärt hätten, dass aus dem Osten umgesiedelte Deutsche zu begreifen bereit waren und letztlich auch begreifen mussten, dass eine neue Generation von Polen herangewachsen war und diese Polen das ihren Eltern zugewiesene Land als ihre Heimat betrachteten. Zu diesem Thema braucht es keine rechtliche oder moralische Abhandlung oder sentimentale Fürsprecher.

Meines Erachtens ist es möglich, die Charta in diesem Haus, ungeachtet des unlängst von Präsident Sarkozy eingebrachten Hinweises, Einstimmigkeit stünde im Widerspruch zur Demokratie, einstimmig zu billigen. Diese Hoffnungen machen Sie sich umsonst, Herr Sarkozy, sind Sie doch nicht einmal in der Lage, die Angestellten der Pariser U-Bahn zu überzeugen.

 
  
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  Koenraad Dillen (NI).(NL) Herr Präsident! Niemand kann bestreiten, dass Europas Bürger mit Grundrechten und Grundfreiheiten gegenüber ihren eigenen Ländern ebenso wie gegenüber der Europäischen Union gewappnet sein müssen. Ein Europa ohne Rechte und Freiheiten wäre nicht mehr Europa. Das ist jedoch heutzutage nicht das Problem, da die Bürger sowohl durch ihre eigenen nationalen Verfassungen als auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention vor ihren nationalen Regierungen bereits ausreichend geschützt sind. Auch gegenüber den Europäischen Institutionen können die Unionsbürger nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ihre Grundfreiheiten und Grundrechte geltend machen. Worum es hier faktisch geht, ist, dass mit der Proklamierung dieser Charta ein weiterer Schritt in Richtung eines föderalen Europa vollzogen wird. Wie in den föderalen Vereinigten Staaten wollte man auch eine europäische bill of rights. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass diese Charta allerdings weit mehr ist als eine Aufzählung traditioneller Rechte und Freiheiten. Mitunter erscheint sie wie ein Katalog sozialer und wirtschaftlicher Verheißungen aller Art. Das Ladungsverzeichnis deckt sich nicht im Geringsten mit der Ladung.

 
  
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  Charlotte Cederschiöld (PPE-DE).(SV) Herr Präsident, Frau Vizepräsidentin der Kommission, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen und – nicht zuletzt – sehr geehrte Bürger Europas! Heute ist ein Festtag, ein großer Tag, ein Tag der Freude, ein äußerst wichtiger Tag, viel wichtiger als mancher jetzt glauben mag. Dieser Tag ist von großer Bedeutung, sowohl für diejenigen, die an die Grundrechte als Prinzip glauben als auch für diejenigen, die an die Entwicklung und Integration Europas glauben.

Es hätte schon seit langem selbstverständlich sein müssen, dass die Institutionen der EU an die Werte gebunden sind, die wir alle unterstützten, aber das ist nicht der Fall gewesen. Tatsächlich glauben sogar die Briten an Rechtsgrundsätze, egal, wie sie zustande kommen. Nur wenige Abgeordnete würden erklären, sie seien froh, zur Missachtung der Menschenrechte beizutragen, denn die große Mehrheit denkt genau anders. Es war eine Freude und Ehre, an der Entwicklung dieser Werte mitgewirkt zu haben, von deren großer Bedeutung ich überzeugt bin.

Nun wissen alle, welche Werte diese Union vertritt, auch wenn man keine Ausdauer hat, den gesamten Vertrag zu lesen. Es sind ausgezeichnete Werte, Werte, zu denen alle ihren Beitrag leisten müssen. Wir müssen gewährleisten, dass sie in der gesamten Union richtig angewendet werden. Ein großer Dank gilt dem Kollegen Leinen und allen Beteiligten. Nicht zuletzt möchte ich herzliche Glückwünsche an die Bürger Europas richten!

 
  
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  Libor Rouček (PSE).(CS) Meine Damen und Herren! Am 12. Dezember wird der Präsident des Parlaments gemeinsam mit den Präsidenten des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission feierlich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verkünden. Ich bin überzeugt, dass die überwältigende Mehrheit der Mitglieder bei der morgigen Abstimmung ihre Zustimmung zu diesem historischen Dokument und diesem historischen Schritt bekunden wird.

Die Grundrechtecharta spiegelt das moralische und geistige Erbe der Völker Europas in der Europäischen Union wider. Sie bringt Werte wie die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, die Grundsätze der Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck. Sie rückt das Individuum in den Mittelpunkt, weil die Charta neben anderen Dingen die Unionsbürgerschaft einführt. Es freut mich, dass die Verkündung der Charta der Grundrechte nach dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zur Europäischen Union stattfindet. Dies bedeutet, dass die Charta auf ihre Weise moralisch, rechtlich und politisch die Einheit der Europäischen Union widerspiegelt: West und Ost, Nord und Süd. Ich bin auch überzeugt, dass sowohl die Regierungen als auch die Parlamente Polens und des Vereinigten Königreichs diese Tatsache erkennen und ihren Bürgern in absehbarer Zeit die Möglichkeit geben werden, diesen historischen Augenblick mitzuvollziehen.

 
  
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  Irena Belohorská (NI). (SK) Ich begrüße die Verabschiedung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, weil sie den Rechten, die für die Bürger der Europäischen Union bereits bestehen, mehr Profil verleiht. Ich möchte aber auch zur Klärung möglicher Interessenkonflikte zwischen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einem Dokument der Europäischen Union, und der Europäischen Menschenrechtskonvention, einem Dokument des Europarates, aufrufen, dessen Beachtung von der Europäischen Union ebenfalls zugesagt wurde. Daraus folgt, dass es zu einem Interessenkonflikt zwischen dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kommen kann.

In welchem Verhältnis wird der Straßburger zum Luxemburger Gerichtshof stehen? In dem eines Obersten Gerichtshofs, eines Verfassungsgerichts? Ist dieses Ergebnis für den Europäischen Gerichtshof wirklich annehmbar? Wird die Europäische Union, die über eine Rechtspersönlichkeit verfügt, einen eigenen Richter in den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entsenden? Ich möchte die Notwendigkeit unterstreichen, diese rechtliche Frage zu klären, damit wir ein Problem vermeiden, denn ich erwarte als Folge der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta einen Anstieg der Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der Menschenrechte.

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich freue mich, wie – leider nur fast – alle meine Vorredner, dass wir heute, beziehungsweise morgen, den Präsidenten dieses Hauses ermächtigen werden, die Charta zu unterzeichnen.

Menschenrechte sind unser europäisches Markenzeichen nach innen und nach außen. Trotzdem mahne ich zur Vorsicht, im Überschwang der Gefühle den Mund nicht zu voll zu nehmen. Mit der Charta und der notwendigen Ratifikation des Vertrags von Lissabon machen wir wichtige klassische Grundrechte und wichtige soziale Grundrechte rechtsverbindlich, für die Organe der Union und für die Anwendung von Gemeinschaftsrecht. Wir machen auch unter ganz gewissen engen Rahmenbedingungen für diese Grundrechte den Gang zum Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg möglich. Das heißt aber noch nicht, dass für jeden Bürger sofort oder überhaupt der Klageweg zum Europäischen Gerichtshof als Kläger frei ist, wie das von manchen im Überschwang der Gefühle gelegentlich behauptet wird. Mit derartigen Behauptungen schaden wir aber der Sache.

Unterlassen wir daher derartige Aussagen, die über das Ziel hinausschießen, und erfreuen wir uns an dem Ergebnis, das wir erreicht haben. In unserer Union können wir ab sofort mit gutem Gewissen auf wichtige, nicht nur klassische, sondern auch sozialpolitische Weichenstellungen stolz sein: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Verbot der Kinderarbeit, Gesundheitsschutz für alle und ein hohes Niveau für den Umwelt- und den Verbraucherschutz. Darüber sollten wir uns freuen, und es genügt dann, bei dieser Wahrheit zu bleiben!

 
  
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  Carlos Carnero González (PSE).(ES) Herr Präsident! Meines Erachtens diskutieren wir ein für die Menschen außerordentlich wichtiges Thema. Natürlich kann es sehr kompliziert sein, die Reform der Europäischen Union zu erläutern, doch es ist sicherlich sehr leicht, die Bedeutung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hervorzuheben.

Wird sie rechtsverbindlich sein? Das wird im Vertrag nicht ausdrücklich festgestellt sein, doch es ist unsere Pflicht, darüber zu informieren. Deshalb halte ich unseren Beschluss, die Charta vor der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon zu unterzeichnen, für sehr positiv. Von jetzt an müssen wir auch sagen, dass künftig keine weiteren Ausnahmen gestattet werden, da das für die Bürger der betreffenden Länder und für die Bürger der gesamten Europäischen Union schlecht wäre.

Aus diesem Grund betrachte ich es als unerlässlich, Anstrengungen zu unternehmen, wie Herr Leinen in seinem Bericht vorschlägt, um die Charta der Grundrechte und ihren rechtsverbindlichen Charakter konsequent zu unterstützen.

 
  
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  Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Magda Kósáné Kovács (PSE), schriftlich. (HU) Die Bürger der europäischen Staaten haben getrennt und zusammen für alle Rechte gekämpft, die in der Charta der Grundrechte vorgesehen sind. Aus diesem Grund ist es erfreulich, dass nun, da die Charta der Grundrechte rechtsverbindlich geworden ist, die Grundrechte endlich wirksamer angewendet werden können, und zwar nicht nur auf Ebene der Mitgliedstaaten, sondern auch auf der Ebene der europäischen Rechtsvorschriften und ihrer Umsetzung.

Die europäischen Bürger werden in den Genuss ihrer Vorteile kommen, wenn sie im Falle eines Verstoßes gegen ihre Grundrechte auf europäischer Ebene Rechtsmittel einlegen können. Durch derartige Garantien werden die Europäische Union und ihre Institutionen für eine halbe Milliarde europäischer Bürger demokratischer, direkter zugänglich und besser überprüfbar.

Mit einer rechtverbindlichen Charta der Grundrechte geht ein Kapitel in der Geschichte des Kampfes für die Grundrechte zu Ende. Gleichzeitig muss die Charta der Grundrechte meines Erachtens in Zukunft die Ars Poetica Europas werden. Neben den gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen muss Europa bei den Grundrechten den Weg weisen und die Menschen in Europa nicht nur durch die klassischen Freiheitsrechte, sondern auch durch die Gewährleistung sozialer und kultureller Rechte, der Gleichbehandlung und der Minderheitenrechte zusammenschweißen.

Horaz sagte in seiner Ars Poetica: „Ihr, die ihr schreiben wollt, vor allen Dingen wählt einen Stoff, dem ihr gewachsen seid, und wäget wohl vorher, was eure Schultern vermögen“. Ich hoffe, die Institutionen der Europäischen Union werden stark und mutig genug sein, um allen europäischen Bürgern überall in Europa die gleichen Grundrechte garantieren zu können.

 
  
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  Alexander Stubb (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Am 19. Oktober wurde in Lissabon ein Vertrag unterzeichnet, der die Europäische Union lebensfähiger und demokratischer machen soll. Er wird auch die Bürgerrechte stärken. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union muss Rechtsverbindlichkeit erlangen und die EU muss dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte beitreten.

Die Charta der Grundrechte bildete den zweiten Teil der nicht ratifizierten Verfassung. In einer Regierungskonferenz haben Abgeordnete dieses Parlaments eine Initiative verabschiedet, die besagt, dass der Präsident des Europäischen Parlaments sowie der Kommissions- und der Ratspräsident die Grundrechtecharta am 12. Dezember in einer Zeremonie im Plenum des Europäischen Parlaments unterzeichnen und sie dann im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichen werden.

Dies entspricht auf hervorragende Weise jenen Werten, für die die Charta der Grundrechte steht. Eine feierliche Unterzeichnung würde auch die Wahrnehmung des Dokuments fördern. Es versteht sich daher von selbst, dass wir unserem Präsidenten, Herrn Pöttering, gerne das Mandat zur Unterzeichnung erteilen.

 

15. Gemeinsame Grundsätze beim Flexicurity-Ansatz (Aussprache)
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  Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Ole Christensen im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz (2007/2209(INI)) (A6-0446/2007).

 
  
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  Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident! Ich dachte, Sie würden mich fragen, ob ich eine abschließende Stellungnahme zur Aussprache über die Charta abgeben wolle, auf die ich nicht vorbereitet war, daher meine Verwirrung.

Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Thema Flexicurity ist heute ein zentraler Punkt der europäischen Agenda und von wesentlicher Bedeutung für die Zukunft der europäischen Wirtschafts- und Sozialmodelle. Es ist ein vielschichtiges Thema, das mit der Fähigkeit zu tun hat, in einem sich rasch verändernden globalen Umfeld, das nach Antworten auf die Herausforderungen des weltweiten Wettbewerbs, der technologischen Innovation und des Alterns der Bevölkerung verlangt, den Wandel zu bewältigen und die Beschäftigung sowie die Reform der sozialen Sicherheit zu fördern. Wir brauchen anpassungsfähigere Märkte, aber dies bedeutet auch, dass wir bessere Bedingungen, bessere Instrumente und mehr Sicherheit für unsere Bürger schaffen müssen, damit sie positiv mit diesem Wandel umgehen können. Vor dieser Herausforderung stehen wir.

Was uns betrifft, so war die portugiesische Präsidentschaft bemüht, sich aktiv an der Suche nach integrierten und ausgewogenen Lösungen in diesem Bereich zu beteiligen. Nach der Veröffentlichung der Mitteilung der Kommission im Juni waren wir für die Durchführung eines Prozesses verantwortlich, der das Ziel hatte, den Auftrag des Europäischen Rates zu erfüllen und einen Konsens über die gemeinsamen Grundsätze der Flexicurity zu erzielen. Die Mitteilung der Kommission bildete natürlich einen ausgezeichneten Ausgangspunkt für diese Aufgabe und half uns dabei, das Konzept zu entwickeln und die Diskussion über die Lösungen zu vertiefen, die als gemeinsame Plattform für die verschiedenen Wege dienen könnten, die jeder Mitgliedstaat gehen muss.

In dem Bewusstsein, dass die Ausgangspunkte und die Realitäten unterschiedlich sind, müssen auch die Lösungen unterschiedlich sein. Um die Voraussetzungen für Fortschritte in diesem Sinne zu schaffen, haben wir mit den Hauptakteuren auf europäischer Ebene verschiedene Initiativen entwickelt, darunter eine Konferenz über die Herausforderungen der Flexicurity, bei der die Politik gut vertreten war und der Verlauf dieser Diskussionen und die Zukunftsaussichten erörtert wurden. Wir haben auch versucht, die Erfahrungen zu analysieren, die in anderen Ländern gemacht wurden, in denen Modelle mit guten Ergebnissen angewandt wurden, und zu ermitteln, welche Bestandteile dieser Modelle in anderem Zusammenhang verwendet werden können. Wir haben auch die Meinung der Fachausschüsse für Beschäftigung und sozialen Schutz sowie des Ausschusses der Regionen eingeholt. Wir haben überdies versucht, die Sozialpartner darin zu bestärken, in diesem Bereich mitzuwirken, denn wir sind uns bewusst, dass dieses neue Modell auf ein starkes Engagement aller Beteiligten angewiesen ist, aber auch erfordert, dass den Interessen aller Rechnung getragen wird.

In diesem Zusammenhang erhielt diese Diskussion durch die Verständigung, die wir auf dem dreigliedrigen Sozialgipfel am 18. Oktober in Lissabon erzielten, beträchtlichen Auftrieb. Der soziale Dialog auf verschiedenen Ebenen und die Mitwirkung der Sozialpartner sind entscheidend für den Erfolg jeder Reformstrategie für den Arbeitsmarkt. Es muss ein Beteiligungsprozess zustande kommen, um erfolgreiche Lösungen zu erreichen, und wir brauchen ein Klima des Vertrauens zwischen den Sozialpartnern und mit den Institutionen. Wir alle müssen bereit sein, den Wandel zu akzeptieren und Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich möchte die Qualität der Aussprache und der Redebeiträge in jeder Phase sowohl unter technischen und akademischen Gesichtspunkten wie auch unter dem Gesichtspunkt der Diskussion über den politischen Gehalt und den Prozess hervorheben.

Als Ergebnis all der Arbeit, die ich Ihnen geschildert habe und in deren Verlauf wir immer auf die Mitwirkung der Kommission zählen konnten, ist der Rat nunmehr in der Lage, eine Reihe gemeinsamer Grundsätze für die Flexicurity zu billigen, die wir während der Tagung am 5. und 6. Dezember formell zu verabschieden hoffen. Zu diesen gemeinsamen Grundsätzen, auf die wir uns alle geeinigt haben, gehören insbesondere die Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Gegebenheiten, die unterschiedliche Ansätze und Lösungen erfordern, die notwendige Überwindung der Segmentierung des Arbeitsmarktes, die verschiedenen Dimensionen der Flexicurity – Arbeitsrecht, Ausbildung, Schulung, soziale Absicherung – unter Anerkennung der Bedeutung des sozialen Dialogs in diesem Zusammenhang, die Förderung der sozialen Eingliederung, der Nichtdiskriminierung, der Gleichheit und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie das Eintreten dafür, dass alle Maßnahmen mit der Solidität und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Einklang stehen. Ich möchte betonen, dass wir uns in den meisten Punkten mit diesem Haus einig sind, was für mich Anlass ist, die ausgezeichnete Arbeit zu unterstreichen, die wir geleistet haben und die das Hohe Haus auf diesem Gebiet vollbracht hat.

Sobald die gemeinsamen Grundsätze verabschiedet sind, werden sie ein wesentliches Instrument zur Umsetzung des neuen Zyklus der Lissabon-Strategie bilden. Die Mitgliedstaaten werden dann aufgefordert, diese Grundsätze bei der Festlegung und Umsetzung ihrer nationalen Politik zu beachten und ihre eigenen Mechanismen und Vorgehensweisen entsprechend ihren jeweiligen Gegebenheiten auszugestalten, die im Rahmen der nationalen Reformprogramme beaufsichtigt werden. Die Sozialpartner auf allen Ebenen werden ebenfalls darin bestärkt, an der Festlegung und Umsetzung der Flexicurity-Maßnahmen mitzuwirken, und auch dazu angehalten, die gemeinsamen Grundsätze als Bezugsgrundlage zu verwenden. Wir halten es für notwendig, im Rahmen dieser Strategie in die soziale Mobilisierung unserer Bürger zu investieren, und in diesem Zusammenhang möchte ich die maßgebliche Bedeutung der Beteiligung dieses Hauses hervorheben. Angesichts dessen, was es politisch darstellt, und angesichts seiner Nähe zum Bürger kann dieses Haus einen hervorragenden Beitrag zum besseren Verständnis des Flexicurity-Ansatzes leisten. Das Schlüsselprinzip besteht darin, dass Flexibilität und Sicherheit als Faktoren betrachtet werden müssen, die sich gegenseitig ergänzen und stärken, und nicht als Gegensätze, und dies muss von unseren Mitbürgern richtig verstanden werden.

 
  
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  Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. − (CS) Herr Präsident! Die Mitteilung der Kommission über die Flexicurity hat in der gesamten Union eine wichtige und nützliche Diskussion ausgelöst. Ich danke dem Berichterstatter Herrn Christensen und den anderen Mitgliedern, die sich aktiv an der Erörterung des Themas beteiligt haben.

Dank Ihrer Bemühungen und Ihrer Zusammenarbeit mit den übrigen Parlamentsausschüssen ist das Europäische Parlament imstande, eine Entschließung zu verabschieden, in der der von der Kommission vorgeschlagene Ansatz nachdrücklich unterstützt wird. In unserer Gesellschaft hängt die Sicherheit vom Wandel ab. Jetzt müssen wir gemeinsam Wege finden, um neue Formen der Sicherheit zu suchen: bessere Kenntnisse und Fertigkeiten, die Fähigkeit, eine neue Beschäftigung zu finden, moderne Formen der Absicherung, die dem neuen Arbeitsmarkt angepasst sind.

In den letzten Jahren wurden für jeden Arbeitsplatz, der in Europa in der Industrie verloren ging, vier neue Arbeitsplätze in anderen Sektoren geschaffen. Die wichtigste Frage ist, wie wir diese Verlagerungen in den Griff bekommen und diese Veränderung erfolgreich bewältigen. Wir müssen auch die Frage nach den Gründen für die Segmentierung des Arbeitsmarktes in einer Reihe von Mitgliedstaaten stellen.

Den Bericht, den Sie heute erörtern, begrüße ich sehr. In diesem Bericht wird anerkannt, dass die Flexicurity eine Strategie zur Reform des Arbeitsmarktes darstellen kann. Der Text spricht sich auch zugunsten des vier Komponenten umfassenden Politikrahmens aus, den die Kommission für die Flexicurity formuliert hat. Ich kann auch den Vorschlag für allgemeine Grundsätze in Ziffer 15 des Berichts uneingeschränkt unterstützen. Ihre Vorschläge gehen ungefähr in dieselbe Richtung wie die der Kommission in ihrer eigenen Mitteilung. Ich habe Verständnis für Ihren Wunsch, dass einige Punkte wie etwa Maßnahmen zur Bekämpfung der Unsicherheit genauer erläutert werden sollten. Ich bin allerdings der Ansicht, dass die Grundsätze kurz gefasst sein sollten und unter dem Gesichtspunkt der gesamten Mitteilung betrachtet werden müssen.

Ich möchte zudem das Einverständnis der europäischen Sozialpartner mit der Analyse der Arbeitsmarktprobleme begrüßen; ihre Analyse wurde kürzlich beim Dreigliedrigen Sozialgipfel am 18. Oktober 2007 in Lissabon vorgelegt und beschäftigte sich unter anderem auch mit der Flexicurity. Dieses Einverständnis zeigt, dass der soziale Dialog zu konkreten Ergebnissen führen kann. In Ihrem Entschließungsantrag weisen Sie ja auch auf diese gemeinsame Analyse hin.

Nun möchte ich auf einige kritische Anmerkungen in Ihrem Bericht antworten. Ich weiß, dass Sie im weiteren Verlauf erklären, die Diskussion über Flexicurity solle ausgewogener sein. Zunächst möchte ich Sie daran erinnern, dass die Mitteilung der Kommission das Ergebnis eines intensiven Dialogs zwischen allen Betroffenen und gründlicher Konsultationen mit führenden Fachleuten auf diesem Gebiet ist. Ich bin überzeugt, dass die Einstellung der Kommission ausgewogen ist, da das Ziel darin besteht, Flexibilität und Sicherheit gleichzeitig zu fördern, und zwar, wie bereits gesagt wurde, als zwei Elemente, die sich gegenseitig verstärken und keineswegs im Widerspruch zueinander stehen.

Selbstverständlich darf die Diskussion über Flexicurity nicht dazu missbraucht werden, sich auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes hinzubewegen. Im Gegenteil, Flexibilität und Mobilität müssen weiter reichende Ziele anstreben, nämlich bessere Arbeitsplätze, ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Beruf und Familie und dem Privatleben, eine leistungsfähigere Wirtschaft insgesamt. Wie Sie wissen, wird der Rat in den nächsten Wochen eine Entscheidung über gemeinsame Grundsätze der Flexicurity treffen. Danach finden Diskussionen auf nationaler Ebene statt, die von allen Betroffenen organisiert werden und es ermöglichen, Flexicurity-Strategien auf nationaler Ebene unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten in den einzelnen Staaten zu verfolgen. Ich bin zuversichtlich, dass die einzelnen Betroffenen dafür sorgen werden, dass im Bereich der Flexicurity eine ausgewogene Vorgehensweise erreicht werden kann.

Was die Kosten angeht, so ist zu bedenken, dass die Kosten im Zusammenhang mit einer Flexicurity-Politik erheblich niedriger sind als die konkreten Vorteile durch einen dynamischeren Arbeitsmarkt und geringere Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus ist damit in einer Reihe von Fällen kein Anstieg der Kosten verbunden, sehr wohl aber die effizientere Nutzung vorhandener Ressourcen.

Ich möchte auch auf die Ziffer des Berichts eingehen, in der es heißt, dass der unbefristete Vertrag die Grundlage eines Systems der sozialen Sicherheit bilden sollte. Die Kommission hat keineswegs die Absicht, die Bedeutung des unbefristeten Vertrags zu schmälern. Ich bin jedoch der Meinung, dass wir breiter gefasste soziale Sicherungssysteme einführen sollten, die sowohl für unbefristete Verträge als auch für Teilzeitbeschäftigung gelten würden: Kurzum, es besteht die Absicht, diese Beschäftigungsformen ebenfalls mit einem angemessenen Sozialversicherungsschutz zu versehen, und nicht, unbefristete Verträge zu schwächen.

Herr Präsident, ich halte den Bericht mit Ausnahme dieser wenigen Einwände für einen nützlichen, sachdienlichen Beitrag zur Diskussion über Flexicurity, und ich möchte dem Europäischen Parlament noch einmal dafür danken.

 
  
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  Ole Christensen, Berichterstatter. (DA) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, heute hier als Berichterstatter aufzutreten. Die Verhandlungen im Parlament sind abgeschlossen, und wir können einen ausgewogenen Bericht vorlegen, der die Haltungen des gesamten politischen Spektrums widerspiegelt. Diesen Richtlinien für die Flexicurity liegt schlicht die Idee zugrunde, den Herausforderungen der Arbeitsmärkte in Europa zu begegnen. Beachten Sie bitte, dass ich den Plural „Arbeitsmärkte“ gebrauche, weil in dem Bericht anerkannt wird, dass es im Zusammenhang mit der Flexicurity kein „einheitliches Schema“ gibt. Obwohl es also kein gemeinsames Flexicurity-Modell gibt, müssen wir doch einsehen, dass sich Europa vielen gemeinsamen Herausforderungen auf seinen Arbeitsmärkten gegenübersieht, die eine gemeinsame Antwort erfordern. Die demografischen Herausforderungen bedeuten, dass 2050 auf 1,5 Arbeitnehmer jeweils ein Rentner kommt. Gegenwärtig beträgt dieses Verhältnis drei Arbeitnehmer zu einem Rentner. Etwa 100 Millionen Europäer leben in Armut oder an der Armutsschwelle. Die Folgen der Ungleichheit sind nur allzu leicht zu erkennen, wenn man Länder vergleicht, in denen große Unterschiede bestehen, beispielsweise denen in Ost- und Westeuropa. Sie sind aber auch intern in Ländern festzustellen, in denen wir eine wachsende Ungleichheit erleben. Sechs Prozent der Arbeitnehmer in Europa lassen sich in die Kategorie „Armut trotz Arbeit“ einordnen, und die Zahl derer nimmt zu, die sich mit schlechteren Arbeitsbedingungen und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen abfinden müssen. Kurzzeitverträge und Teilzeitarbeit nehmen zu, während der normale unbefristete Arbeitsvertrag gefährdet ist. Der Anteil der prekären Beschäftigung dieser Art beträgt in Europa 12 %. Hinzu kommt, dass es immer mehr unangemeldete und gesetzwidrige Beschäftigungsverhältnisse gibt. In manchen Ländern macht die Schwarzarbeit nahezu 15 % der Beschäftigung aus. Diese Entwicklung müssen wir umkehren, zum Teil, weil sie für Europa teuer ist, und zum Teil, weil von diesen unsicheren und instabilen Beschäftigungsverhältnissen häufig die schwächeren Gruppen der Gesellschaft betroffen sind.

Die Bildung ist Europas wichtigster Rohstoff im globalen Wettbewerb, aber sie erhält nicht genug Aufmerksamkeit. Wie sich zeigt, scheiden 15 % unserer jungen Leute zu früh aus dem Bildungssystem aus, und das zu einer Zeit, da der Arbeitsmarkt hohe Ansprüche an das Wissen stellt. Wer nicht auf den Bildungszug aufspringt, wird es auf Dauer schwer haben, und deshalb haben wir die Pflicht, diesen Menschen zu helfen.

Die Herausforderungen für Europa sind also klar. Unsere Verantwortung ist es, eine Botschaft und eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie wir diesen Herausforderungen begegnen wollen. In diesem Zusammenhang möchte ich der Kommission für ihren ausgezeichneten Beitrag danken. Wir haben bei dem Bericht gut zusammengearbeitet, wobei mir natürlich die Rolle zukam, die losen Enden hier im Hause miteinander zu verbinden. Als Berichterstatter vertrete ich den Standpunkt, dass das soziale Europa stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss, um dafür zu sorgen, dass die Rechte der Arbeitnehmer überall in der EU beachtet werden und dass wir mehr und bessere Arbeitsplätze bekommen. Größere Flexibilität in den Unternehmen darf nicht zu Lasten der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gehen. Wie können wir das erreichen? Im Bericht wird ausdrücklich die Notwendigkeit hervorgehoben, den unbefristeten Arbeitsvertrag in Europa zum Standard zu machen. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass die Sozialpartner in stärkerem Maße beteiligt werden. Dass Entscheidungen nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg getroffen werden können, ist der Kern eines flexiblen und sicheren Arbeitsmarkts. Die Einbeziehung der Beschäftigten ist unbedingt notwendig, und dies kann bei der Umsetzung von Flexicurity-Strategien nicht genug betont werden.

Schließlich geht der Bericht auf so etwas wie das Rahmenwerk für die Flexicurity ein. Mit anderen Worten auf die Bedingungen, die in den Ländern bestehen, um Flexibilität und Sicherheit umzusetzen. Flexibilität und Flexicurity kosten Geld. Aber dieses Geld ist nicht vergeudet, vielmehr stellt es eine Investition dar und zahlt sich aus. Wenn man beispielsweise in die Weiterqualifizierung seiner Belegschaft investiert, so verursacht das kurzfristig möglicherweise Kosten, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass es sich bezahlt macht. Deshalb setzt die Flexicurity, wie wir den Begriff in Nordeuropa verstehen, einen Wohlfahrtsstaat einer bestimmten Ausformung und Größe voraus. In diesem Zusammenhang müssen wir ehrlich sein und sagen, dass die Entwicklungen, die wir in einigen Ländern erleben, wo ein Wettbewerb um immer niedrigere Steuern im Gange ist, es sehr schwer machen, die Sicherheitskomponente der Flexicurity zu finanzieren. Damit möchte ich ein für alle Mal alle die Stimmen zum Schweigen bringen, die behaupten, dass die Flexicurity ein neoliberales Konzept sei, das darauf abziele, die Rechte der Arbeitnehmer zu untergraben. Das stimmt nicht, im Gegenteil.

Abschließend hoffe ich, dass wir durch diese Debatte hier in diesem Hause und überall in Europa imstande sein werden, mit einigen Mythen aufzuräumen, die sich um die Flexicurity ranken. Als Berichterstatter konnte ich mit beträchtlicher Hilfe meiner Kollegen einige ausgewogene Richtlinien für die Flexicurity ausarbeiten, Richtlinien, die aufzeigen, wie Europa seinen Arbeitsmarkt in der Zukunft entwickeln sollte, damit er sowohl wettbewerbsfähig als auch sozial ist. Mit einer solchen Strategie werden wir auch herausfinden, wie wir der Unsicherheit unter den Arbeitnehmern in Europa begegnen können. Viele fürchten gegenwärtig, dass ihre Arbeitsplätze verlagert werden und dass ihre Stelle auf dem Arbeitsmarkt überflüssig wird.

Schließlich möchte ich dem Schattenberichterstatter, den Berichterstattern der anderen Ausschüsse und allen anderen danken, die sonst noch zu diesem Bericht beigetragen haben. Ich möchte mit dem Wunsch schließen, dass die Staats- und Regierungschefs auf ihrer Dezembertagung in Portugal die Empfehlungen des Parlaments bei ihrer weiteren Arbeit an den gemeinsamen Richtlinien für Flexicurity berücksichtigen werden.

 
  
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  Olle Schmidt, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Wirtschaft und Währung. − (SV) Herr Präsident! Ich möchte dem Berichterstatter für eine gute Arbeit danken. Die mit der Globalisierung verbundenen Veränderungen schaffen neue und bessere Möglichkeiten für alle Länder der Welt, stellen uns natürlich aber gleichzeitig auch vor Herausforderungen. Europa steht an einem Scheideweg. Wir können die neue und flexible Wirtschaft und ihre Möglichkeiten begrüßen oder uns in verschiedene Formen des Protektionismus zurückziehen.

Flexicurity ist eines der wichtigsten Instrumente zur Schaffung eines Arbeitsmarktes, der, wie der Berichterstatter meint, das Potential der Erwerbsbevölkerung voll und ganz nutzt. Ausbildung, Mobilität und Beschäftigungsfähigkeit sind dabei die Schlüsselworte. Natürlich ist kein Modell überall anwendbar, aber wir können und sollten voneinander lernen. In der Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft und Währung heben wir hervor, dass starre nationale Beschäftigungsschutzniveaus zwar diejenigen, die bereits im System sind, schützen, den Zugang für diejenigen, die daran teilhaben möchten, aber erschweren können.

Auch die demografische Entwicklung in Europa stellt, wie der Berichterstatter ebenfalls betont hat, ein Problem dar. Bei richtiger Umsetzung ist Flexicurity daher ein gutes Modell, mit dem Europa sich in einer globalisierten Wirtschaft auch weiterhin positiv entwickeln kann. Das wird meines Erachtens am Beispiel Dänemarks deutlich, das der Berichterstatter nicht erwähnt hat.

Herr Präsident, über eines sollten wir uns in diesem Hause zumindest einig sein können, nämlich dass es gegenwärtig zu viele Arbeitslose gibt. Europa braucht weiteres Wachstum, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.

 
  
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  Giovanni Berlinguer, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Kultur und Bildung. (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herrn Christensens Bericht war ausschlaggebend, um das ursprüngliche Dokument voranzubringen.

Die genannten Grundsätze mögen sehr wertvoll sein, aber doch nur, wenn sie von Schutzmaßnahmen flankiert werden, die sämtliche Risikogruppen abdecken, etwa Immigranten, Frauen, ältere Menschen und Behinderte, aber auch Erwachsene aus bildungsfernen Schichten, die gefährdeter und schutzloser sind.

Darüber hinaus werden die sozialen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft immer größer. Beispielsweise müsste es in allen Ländern einen Mindestlohn geben, und die Arbeitnehmerrechte müssten überall gleichermaßen anerkannt sein. Desgleichen müsste die Qualifikation von Arbeitnehmern erhöht werden. Die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Umsetzung dieser Grundsätze und die Ermittlung tatsächlicher Ressourcen sind ebenfalls dringend geboten.

Ich habe den Eindruck – und damit komme ich zum Schluss –, dass das Gleichgewicht in den Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital in den vergangenen Jahren immer stärker aus den Fugen geraten ist; Profitdenken und Finanzspekulationen haben die Oberhand gewonnen, während die Löhne immer weiter gesunken sind. Die Beseitigung dieses Ungleichgewichts ist eine der Aufgaben, die wir zusammen angehen müssen, um uns bei diesem Thema vorwärts zu bewegen.

 
  
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  Tadeusz Zwiefka, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Rechtsausschusses.(PL) Herr Präsident! Das so genannte Flexicurity-Modell wird sich auf dem europäischen Arbeitsmarkt kaum als wirksam erweisen, es sei denn, es wird von anderen Maßnahmen und Vorschlägen begleitet, die auf die Förderung von Unternehmertum und die Erleichterung der Gründung von Unternehmen abzielen. Beispielsweise denke ich dabei an die Ausarbeitung eines Statuts für die Europäische Privatgesellschaft.

Was die gemeinsamen Grundsätze für die Umsetzung der Flexicurity betrifft, so würde ich gern hervorheben, dass die Einführung von komplexen legislativen Lösungen auf europäischer Ebene in diesem Bereich den Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zuwiderläuft. Sozial- und Beschäftigungspolitik fallen in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten, und jeder Schritt der EU im Bereich der Flexicurity muss dem Grundsatz der Subsidiarität entsprechen, der in Artikel 5 des EU-Vertrages festgeschrieben ist.

Darüber hinaus ist die interne Komplexität des Modells keineswegs günstig für die Einführung von gemeinschaftlichen Rechtsnormen und für einen so genannten Einheitsansatz in dieser Frage. Das Ergebnis der Folgenabschätzung lässt erkennen, dass sich die offene Methode der Koordinierung wahrscheinlich am Besten eignet. Dies ist insbesondere für die neuen Mitgliedstaaten von Bedeutung, die möglicherweise aufgrund ihrer Vergangenheit mit verschiedenen Strukturproblemen im Beschäftigungsbereich zu kämpfen haben. Die kurzfristig hohen Kosten, die mit der Einführung von Möglichkeiten für die Umsetzung des Flexicurity-Modells verbunden sind, sollten ebenso berücksichtigt werden wie die beträchtliche Belastung für die Haushalte.

 
  
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  José Albino Silva Peneda, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reformen, die die Europäische Union durchführen muss, um sich eine wettbewerbsfähige Position in der Weltwirtschaft zu sichern, dürfen nicht bloß als begrenzte Initiativen des öffentlichen Sektors betrachtet werden, sondern verpflichten Arbeitnehmer wie Unternehmen auch zu Änderungen im Verhalten und in der Einstellung.

Diese Veränderungen lassen sich nur dann mit Erfolg bewerkstelligen, wenn zwischen den Sozialpartnern ein Klima des Vertrauens herrscht, und dies kann nur durch die Förderung des sozialen Dialogs entwickelt werden. Was die Verwaltung des Arbeitsmarktes betrifft, müssen wir von einer Denkweise, die von der Streitkultur beherrscht ist, zu einem neuen Ansatz auf der Grundlage einer Kultur der Zusammenarbeit übergehen. Ich persönlich mag den Ausdruck „Flexicurity“ nicht. Ich würde lieber von „Wandel mit Sicherheit“ sprechen, weil jede Veränderung mit Unwägbarkeiten verbunden ist. Worauf es ankommt, ist, diese Unwägbarkeiten so gering wie möglich zu halten. Man kann von den Menschen nicht verlangen, flexibel zu sein, wenn sie weder zu sich selbst noch zur Welt um sie herum Vertrauen haben. Deshalb betonen wir in diesem Bericht ständig die Notwendigkeit einer aktiven Beschäftigungspolitik und des lebenslangen Lernens.

Die PPE-DE-Fraktion hat zu dem ursprünglichen Bericht 120 Änderungsanträge eingereicht, und nach einem Verhandlungsprozess ist eine endgültige Fassung zustande gekommen, die ich für ausgewogen und vollständig halte. Es ist ein gutes Gleichgewicht zwischen den Konzepten der Flexibilität und der Sicherheit und auch zwischen den Interessen aller Beteiligten an dem Prozess, vor allem der Sozialpartner und der Behörden, hergestellt worden. Der Bericht verweist eindeutig auf die Notwendigkeit, bei der Umsetzung und Handhabung der Flexicurity die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit anzuwenden. Daher empfehle ich dem Haus diesen Bericht zur Annahme.

 
  
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  Stephen Hughes, im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Meine aufrichtigen Glückwünsche an den Berichterstatter.

Ich habe vier Anmerkungen, und die erste richtet sich an die Kommission. Sie gibt erst in ihrem Grünbuch zum Arbeitsrecht und jetzt in ihrer Mitteilung zur Flexicurity der Beschäftigungssicherheit den Vorrang vor der Arbeitsplatzsicherheit. Wir geben beidem Vorrang, und zwar deshalb, weil wir die Anforderungen flexibler Unternehmen kennen. Ein flexibles Unternehmen ist eines, das die Fertigungslinie alle sechs Monate oder die IT-Konfiguration alle vier Monate ändern muss und das eine anpassungsfähige, qualifizierte und loyale Belegschaft braucht – und das bekommt man auf gar keinen Fall von einer zersplitterten, segmentierten, beliebig eingesetzten Arbeitnehmerschaft.

Zweitens müssen eine ganze Reihe von Faktoren gegeben sein, damit Flexicurity richtig funktionieren kann: ein gutes und stabiles makroökonomisches Klima, Investitionen in gute und aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, ein entwickelter sozialer Dialog und hochwertige Maßnahmen für den sozialen Schutz. All diese Elemente sind wichtig, und eines ist klar: Sie sind nicht billig zu haben. Deshalb muss die Kommission anerkennen, dass die Einführung von Flexicurity in einigen Mitgliedstaaten nur über einen erheblichen Zeitraum hinweg stattfinden kann.

Drittens muss eine ausgewogene Form von Flexicurity im Rahmen der Grundsätze von Ziffer 15 dieses Berichts entwickelt werden, und diese Grundsätze müssen in das Paket der geänderten Leitlinien einfließen. Sie müssen bekannt gemacht werden, und sie müssen angewendet werden. Andernfalls ist all die gute Arbeit, die für diesen Bericht geleistet wurde, umsonst gewesen.

Zu guter Letzt: Sowohl der Rat als auch die Kommission reden unaufhörlich über die Bedeutung von Flexicurity, aber wie kann man denn den Rat ernst nehmen, solange die Richtlinie zur Zeitarbeit blockiert bleibt? Wie kann man die anderen Organe ernst nehmen, solange ausbeuterische atypische Arbeit in allen unseren Mitgliedstaaten weiterhin mehr und mehr um sich greift? Für zu viele Millionen unserer Arbeitskräfte hat Flexicurity nur mit Flexibilität und nichts mit Sicherheit zu tun. In diesem Bericht werden Wege aufgezeigt, wie sich das ändern kann.

 
  
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  Bernard Lehideux, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir möchten die Kommission in ihrer Absicht unterstützen, eine Gesamtüberlegung zum Thema Flexicurity anzuregen. Die Union muss den Anstoß zum Dialog zwischen allen Akteuren zu diesem Thema geben. Unsere Fraktion ist übrigens erfreut darüber, dass erstmals in Europa die Sozialpartner sich unlängst in einem gemeinsamen Dokument geeinigt haben, die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Flexicurity-Politiken aufzufordern. Das ist sehr wichtig, denn die Flexicurity hat nur dann einen Sinn, wenn sie ein Klima des Vertrauens zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern herstellt.

Als gewählte Vertreter der Unionsbürger tragen wir eine besondere Verantwortung, um die Voraussetzungen für dieses Vertrauen zu schaffen. Alle sind daran interessiert, dabei zu sein, und wir dürfen nicht leichtfertig einen Gegensatz zwischen Flexibilität, die den Arbeitgebern zugute käme, und Sicherheit als Gegenleistung für die Arbeitnehmer konstruieren.

Die Umsetzung von Flexicurity bedeutet, Flexibilität und Sicherheit sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber zu gewährleisten. Die Arbeitnehmer brauchen Flexibilität, um Berufsleben und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen oder um ihren beruflichen Werdegang auf neuen Wegen zu entwickeln. Was die Arbeitgeber betrifft, so brauchen sie Sicherheit ebenso wie die Arbeitnehmer, vor allem Rechtssicherheit in ihren vertraglichen Beziehungen mit ihren Mitarbeitern.

Der Bericht geht in die richtige Richtung. Er ist ausgewogen und schlägt den Mitgliedstaaten einen Rahmen für die Verabschiedung gemeinsamer Prinzipien vor. Dafür gebührt dem Berichterstatter Dank und Anerkennung. Den Mitgliedstaaten darf nicht eine bestimmte Sichtweise der Flexicurity aufgezwungen werden. Der Arbeitsmarkt jedes Staates weist natürlich Besonderheiten auf. Es geht um die Koordinierung der Beschäftigungspolitiken und nicht um eine voreilige Harmonisierung.

Unsere Mitbürger erwarten jedoch ein Europa, das Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung gibt. Die Flexicurity kann, indem sie die Berufswege schützt, die Anpassung der Arbeitnehmer fördert und die Wechselfälle des Lebens akzeptiert und begleitet, einen bevorzugten Weg für die Modernisierung unserer Sozialmodelle darstellen. Lassen wir nicht die Chance verstreichen, uns alle zu verständigen, um im gleichen Sinne zu handeln!

 
  
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  Ewa Tomaszewska, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Bewegung für flexiblere Formen der Beschäftigung entstand zu einer Zeit der Spitzenarbeitslosigkeit, als es relativ einfach war, einen Arbeiter zu zwingen, die schlimmsten Arbeitsbedingungen hinzunehmen, um überhaupt in Lohn und Brot zu bleiben. Als Arbeitnehmern die Mittel fehlten, um für ihre eigenen Grundbedürfnisse und die ihrer Familien zu sorgen, waren sie bereit, am Arbeitsplatz sogar Demütigungen hinzunehmen. Auch ließen sie sich darauf ein, ohne Unfallversicherung und für einen Hungerlohn schwarz zu arbeiten.

Glücklicherweise ändert sich derzeit die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Viele polnische Arbeitgeber haben die Bedeutung einer Festanstellung unterschätzt. Folglich fehlt es ihnen jetzt an Arbeitskräften. Nahezu zwei Millionen junge Menschen haben Polen verlassen, viele von ihnen hoch qualifiziert. Flexible Beschäftigung, die die Wichtigkeit von Arbeitsplatzsicherheit verkennt, bringt kurzfristigen Nutzen für Arbeitgeber auf Kosten der Arbeitnehmer. Es erfüllt mich mit Freude, dass im Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments der Notwendigkeit von Beschäftigungssicherheit größere Bedeutung beigemessen wird als seitens der EU-Kommission. Ich möchte darauf hinweisen, dass Forschungsarbeiten der Internationalen Arbeitsorganisation bestätigen, dass fest angestellte Arbeitnehmer effizienter arbeiten.

Ich gratuliere dem Berichterstatter zu seiner Arbeit.

 
  
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  Elisabeth Schroedter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrter Kommissar, sehr geehrter Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion zu Flexicurity zeigt, dass es nicht so ohne weiteres möglich ist, ein Gesellschaftsmodell eines Mitgliedstaates auf die gesamte EU zu übertragen. Die Kommission scheint das auch nicht zu wollen. In ihrem Dokument geht es nicht um die Verbesserung der sozialen Sicherheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angesichts der sich stark verändernden Arbeitsmarktbeziehungen, nein, die Kommission will die Flexibilität der Arbeitsbeziehungen pushen, ohne dass sie für eine bessere soziale Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sorgen kann, denn das liegt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Da gibt es eben ganz verschiedene Vorstellungen darüber, wie wichtig diese ist.

Außerdem können wir nicht davon ausgehen, dass die Schlüsselrolle und die Kontrollfunktion der Gewerkschaften, die in Dänemark ein unverzichtbarer Bestandteil des Flexicurity-Modells ist, jetzt und in nächster Zukunft in den anderen Mitgliedstaaten selbstverständlich ist. Auch in einigen Regierungen, wo Flexicurity einseitig als Flexibilität verstanden und gewollt wird, werden gleichzeitig gewerkschaftliche Rechte weiter eingeschränkt. Wir Grüne kritisieren den Versuch, über Flexicurity eine Deregulierung des Arbeitsrechts europaweit einzuleiten, um damit auf Kosten der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die globale Wettbewerbsfähigkeit der Union herzustellen. Leider folgt die Koalition in diesem Haus der Kommission und verbaut die Chance, einen essenziellen Teil, nämlich die soziale Sicherheit, als gleichberechtigten Teil in das Flexicurity-Modell einzuführen.

Ich frage mich, wie die Sozialdemokraten dies den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erklären wollen. Ich befürchte, dass wir damit eine zukünftige Diskussion zu den Vorteilen des Flexicurity-Modells verbauen, die dieses durchaus hat. Deshalb können wir diesem Bericht, wenn er nicht geändert wird, nicht zustimmen.

 
  
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  Roberto Musacchio, im Namen der GUE/NGL-Fraktion.(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Flexicurity ist nichts Neues. Es ist vielmehr ein altes dänisches Modell, das sich bis ins späte 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und bei dem die Sicherheit, die nicht in Arbeitsverträgen verankert ist, unter hohem Kostenaufwand von der Regierung garantiert wird.

Was in unserem heutigen Europa neu ist, das ist die erschreckende Unsicherheit, die zwar in erster Linie junge Arbeitnehmer betrifft, aber dennoch der Gesellschaft als Ganzes schadet. Um diese Unsicherheit zu bekämpfen, müssen wir den Kurs ändern und auf die Laissez-faire-Methoden und -Ideologien verzichten, die sie hervorgebracht haben. Es ist nicht wahr, dass mangelnde Absicherung Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum schafft; das Gegenteil ist der Fall. Heute experimentieren wir mit einer neuen Ideologie, mit Flexicurity, die aber das alte Modell der Unsicherheit aufrechterhält.

Aus diesem Grunde hat meine Fraktion sich für einige sehr praktische Ideen eingesetzt: gegen den Gedanken eines Indikators für die Inflexibilität des Arbeitsmarktes und für einen Indikator der guten Beschäftigungslage, um zu betonen, dass stabile, sichere Arbeitsplätze die Norm sein müssen; gegen ungerechtfertigte Kündigungen, da es sich dabei um Diskriminierung handelt; gegen immer wiederkehrende befristete Arbeitsverhältnisse oder ein lebenslanges Nichtabgesichertsein, das eine moderne Form der Sklaverei darstellt; für das Recht Nichtbeschäftigter auf ein Einkommen, da niemand allein von Luft leben kann; für die Koordinierung verschiedener Formen der sozialen Unterstützung und gegen die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz.

Die Tatsache, dass keine Finanzierung definiert worden ist, um den Flexicurity-Ansatz sicherzustellen – es gab eine Kürzung um 2 % – und dementsprechend keine verlässlichen Investitionen möglich sind, spricht Bände hinsichtlich des Risikos, dass diese Maßnahme sich als heiße Luft erweisen könnte.

Arbeitnehmer und junge Leute wollen etwas Konkretes, keine angestaubten Ideologien. Das sind die Punkte, für die wir uns in diesem Parlament eingesetzt haben und von denen wir uns wünschen, dass sie angenommen werden.

 
  
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  Kartika Tamara Liotard, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. (NL) Herr Präsident! Fast wäre der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter bei dieser Aussprache übergangen worden, zum Glück konnte er aber kurz vor Toresschluss doch noch an die Reihe kommen.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Europas besteht aus Frauen, und derzeit sind diese Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Bezug auf befristete und Teilzeitarbeitsverträge überrepräsentiert. Frauen sind infolgedessen bereits von größerer Beschäftigungsunsicherheit, unzulänglichem Aufbau von Rentenansprüchen und unzureichendem Schutz gegen Krankheitskosten betroffen. Wenn das Kündigungsrecht flexibler gestaltet wird, wie die Kommission und die niederländischen Regierungen es wollen, droht diese Gruppe nur noch weiter entrechtet zu werden und in Rechtlosigkeit zu versinken. Über die vom Ausschuss für die Rechte der Frau einstimmig verabschiedete Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung des Kommissionsvorschlags in diesem Punkt war ich daher überglücklich. Leider entschied sich der Berichterstatter dafür, von diesen von einer breiten Mehrheit getragenen Vorschlägen nur ganz wenige zu übernehmen. Für den Ausschuss für die Rechte der Frau bedeutete dies einen Affront, und die tatsächlich bestehenden Ungleichheiten wurden damit ignoriert. Deshalb ersuche ich alle Mitglieder, die eingereichten Änderungsanträge, mit denen diese Ungleichheiten verhindert werden sollen, bei der morgigen Abstimmung zu unterstützen.

 
  
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  Thomas Mann (PPE-DE). – Herr Präsident! Immer weniger Menschen verbringen ihr gesamtes Berufsleben bei dem gleichen Arbeitgeber. Um so wichtiger ist es, dass sie sich problemlos auf die sich wandelnden Lebens- und Arbeitsbedingungen einstellen können. Gleichzeitig müssen sie ausreichend Beschäftigungssicherheit haben. Herr Kommissar Spidla, erst wenn Flexibilität und Sicherheit in eine Balance kommen, wird das neue Flexicurity-Konzept, breit akzeptiert. Einerseits müssen Unternehmen zu Flexibilität befähigt werden, Marktnischen entdecken, innovativer werden, dynamische Entwicklungen vorausplanen, statt nur zu reagieren. Andererseits brauchen Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten Sicherheit durch moderne Systeme des Sozialschutzes und verlässliche Vereinbarungen zuständiger Sozialpartner. Zusätzlich müssen die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden für mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse und für leichtere Übergänge in neue Jobs. Der Missbrauch von neuen Beschäftigungsformen muss ebenso verhindert werden wie Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit.

Ein weiterer Schwerpunkt ist das lebenslange Lernen, life long learning. Erst das macht Beschäftigte fit für die Globalisierung. Verpflichtende Investitionen von 2 % des BIP halte ich nicht für akzeptabel, da wir in den Mitgliedstaaten finanzielle Spielräume brauchen. Staatlich wie unternehmerisch aber muss es gelingen, dass deutlich mehr investiert wird in unseren wichtigsten Rohstoff, in gut ausgebildete Menschen, die hochqualifiziert, motiviert und anpassungsfähig sind.

Die EVP-ED-Fraktion hat erneut einige Änderungsanträge von mir eingebracht. In einem plädiere ich dafür, dass Unternehmen über ihre Methoden der sozialen Verantwortung selbst entscheiden. Nicht Zwang, sondern Freiwilligkeit muss Grundlage von CSR bleiben.

Und letzter Punkt, die Vorverlegung der Freizügigkeit von 2013 auf 2009 ist ein falsches Signal. Dort wo deutlich höhere Stundenlöhne gezahlt werden, wo soziale Sicherheit in hohem Maße gewährleistet ist, besteht ein schwer zu bewältigender Zuwanderungsdruck. Auch hier darf bei aller notwendigen Flexibilität die Sicherheit nicht zu kurz kommen.

 
  
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  Jan Andersson (PSE).(SV) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar! Ich möchte zunächst dem Berichterstatter für eine gute Arbeit und einen ausgezeichneten Bericht danken. Ebenso wie der Kollege Silva Peneda verwende ich lieber den Ausdruck „Sicherheit in der Veränderung“, Veränderung, die uns in Form der Globalisierung und der demografischen Entwicklung begegnen. Das halte ich für eine bessere Beschreibung.

Es gibt einen Unterschied zwischen dem Vorschlag der Kommission und dem des Parlaments, nämlich die Frage, wo der Schwerpunkt der Veränderungen gesehen wird. Der Vorschlag des Parlaments legt das Schwergewicht anders als die Kommission, die Beschäftigungssicherheit gegen Arbeitsplatzsicherheit abwägt. Ein solcher Gegensatz sollte nicht konstruiert werden. Wir brauchen eine Verbindung der Sicherheit, eine neue Beschäftigung zu finden, mit einem hohen Niveau der Sicherheit des Arbeitsplatzes. Im Parlament versuchen wir, den Schwerpunkt auf die Beteiligung am Prozess, starke Gewerkschaften und einen umfassenden sozialen Dialog zu legen. Außerdem widmen wir einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, mehr Investitionen in die Bildung und starken Sozialversicherungssystemen besondere Aufmerksamkeit.

Viele haben gesagt, dass es kein einzelnes Modell gäbe, sondern alle von ihren jeweiligen Konzepten ausgehen müssen. Hier gilt der Lissabon-Prozess. Jetzt, wo die Prinzipien festzulegen sind, möchte ich unterstreichen, was der Kollege Hughes gesagt hat: Schauen Sie sich unter Ziffer 15 an, welche Grundsätze die Richtlinien bilden sollen.

Abschließend möchte ich der Kollegin Schroedter sagen, dass der Berichterstatter sehr wohl Kontakte mit der europäischen Gewerkschaftsbewegung hatte. Es gab die ganze Zeit über enge Kontakte, und wir werden bei der angestrebten Verschiebung voll und ganz unterstützt. Wenn wir keine Ansichten vor den Arbeitsministern äußern, würden wir ihnen die alleinige Entscheidungsbefugnis überlassen. Das Parlament braucht eine Linie…

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Siiri Oviir (ALDE). – (ET) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Europäische Union muss nicht nur rasch ihre eigenen Institutionen reformieren, sondern im Interesse ihrer Bürger und Unternehmen eine Politik betreiben, die die Nebeneffekte des intensiven Wettbewerbs und der Öffnung des Marktes abschwächt.

Ich halte es für wichtig, stabile Beschäftigungsverhältnisse zu fördern, bei denen ein hohes Maß an Vertrauen besteht. Der Erfolg bei Veränderungen des Arbeitsrechts wäre größer, wenn sich die Beschäftigten sicherer fühlten. Wir müssen auch bedenken, dass das Gefühl der Sicherheit häufig auch davon abhängt, wie leicht eine neue Arbeitsstelle zu finden ist.

Nach meiner Ansicht bestehen die größten Probleme in der Europäischen Union bei der Gewinnung flexibler, qualifizierter Arbeitskräfte, und deshalb sollte dieses Thema den Kern der Flexicurity-Strategie Europas bilden.

Am wichtigsten muss es sein, durch Aus- und Weiterbildungsprogramme das Bildungsniveau zu heben und auf diese Weise einen flexiblen Arbeitsmarkt entstehen zu lassen.

 
  
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  Roberta Angelilli (UEN).(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Flexicurity ist weder ein Allheilmittel noch ein Tabuthema. Wir müssen uns nur über die Spielregeln einigen. Es versteht sich von selbst, dass Europa den Herausforderungen der Globalisierung und eines nicht immer fairen Wettbewerbs gewachsen sein muss, da uns dies von der Weltwirtschaft diktiert wird.

All dies erfordert Flexibilität; das heißt aber nicht, dass wir dem europäischen Sozialmodell sowie dessen Werten und Sicherheitsstandards, vor allem aber seiner Solidarität den Rücken kehren sollten. Flexibilität ist zu bejahen unter der Voraussetzung, dass feste Regeln, Garantien und Ausgleichsmechanismen vereinbart werden.

Ganz wichtig ist, dass Europa den Mitgliedstaaten eine Strategie vorgibt, die gewisse elementare Bestandteile aufweist: ein angemessenes Weiterbildungsniveau, adäquate soziale Unterstützungsmaßnahmen, hochwertige Dienstleistungen, angefangen bei der Kinderbetreuung, und Sozialversicherungssysteme, die Arbeitnehmer in Zeiten der Nichtbeschäftigung auffangen. Eine solche Unterstützung muss übrigens nicht zwangsläufig in Form von Geldleistungen erfolgen, sondern sie kann auch Angebote umfassen, um sich Fähigkeiten für neue Beschäftigungsperspektiven anzueignen.

Schließlich müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern und insbesondere Frauen die Möglichkeit zu bieten, in der Arbeitswelt wirklich die gleichen Bedingungen zu genießen wie ihre männlichen Kollegen.

Selbstverständlich braucht man für die Verwirklichung dieser Zielsetzungen erhebliche finanzielle Mittel, aber nur auf diese Weise kann Flexicurity eine echte Chance sein und nicht nur eine Abkürzung auf dem Weg zur Liberalisierung der Arbeitswelt.

 
  
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  Donata Gottardi (PSE).(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Auch ich möchte dem Berichterstatter für seine Arbeit danken, besonders da er diese in so kurzer Zeit bewältigt hat.

Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass ein Wort nur ein Wort ist. Flexicurity ist, für sich genommen, weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes. Es handelt sich hier auch nicht um eine einzelne politische Maßnahme, sondern vielmehr um ein ganzes Paket kombinierter und ausgewogener Maßnahmen. Alles hängt davon ab, wie diese Maßnahmen konzipiert und umgesetzt werden.

Flexicurity gilt üblicherweise als eine Strategie, die darauf abzielt, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten und Arbeitsplatzwechsel mit wirtschaftlicher Unterstützung und Schulungen zu belohnen. Dies läuft auf eine defensive Haltung hinaus, auf eine Art Schadensbegrenzung; was wir aber brauchen, das sind ein neues Konzept, Innovation und Qualität.

Wenn wir versuchen, Flexicurity von einem Frauenstandpunkt aus zu betrachten, so ergibt sich eine recht nützliche Perspektive auf das Thema: Wir können dann nämlich sehen, dass die Mehrheit der am schlechtesten abgesicherten und unsichersten Arbeitsplätze für Frauen gedacht ist. Gleichzeitig können wir überdies das ganze positive Potenzial einer solchen Strategie erkennen, wenn wir Flexibilität nicht als Unsicherheit begreifen, sondern als flexible Organisation von Beschäftigungs- und Arbeitszeitprogrammen, um den Bedürfnissen der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen.

Wenn wir Sicherheit nicht nur als Ausbildungsbeihilfe verstehen, sondern auch als Unterstützung bei den unterschiedlichen Maßnahmen und Entscheidungen, die im Leben eines Einzelnen auftreten können, dann haben wir etwas Neues erreicht und können zukunftsorientierte Vorschläge unterbreiten, anstatt erneut auf veraltete Methoden zurückzugreifen.

 
  
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  Manuel Lobo Antunes, amtierender Ratspräsident. − (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich fasse mich ganz kurz. Die Arbeit dieses Hauses geht nach dieser Aussprache weiter, und so möchte ich Ihnen sagen, dass diese Aussprache nach Ansicht der Präsidentschaft, unserer Präsidentschaft, eine wichtige und notwendige Debatte war. Das zeigt sich auch an der hohen Beteiligung und an der großen Zahl der Mitglieder, die in dieser Aussprache zu Wort kommen und sich an ihr beteiligen wollten.

Flexibilität bedeutet natürlich Mobilität, und in einer globalisierten Welt ist das Wort „Mobilität“ ein notwendiges Wort, ein Wort, das Anpassung an den Wandel bedeutet. Wir reden aber nicht nur über Mobilität, wir reden auch über Sicherheit. Das bedeutet, dass wir auf die Menschen, auf die Arbeitnehmer, auf ihre Qualifikationen und ihre Ausbildung und auch auf den Schutz der Familie und den Schutz der Qualität der Arbeit setzen.

Wir sind selbstverständlich zuversichtlich, dass die zentralen Leitlinien, auf die wir uns mit unseren Sozialpartnern haben verständigen können, es in der Praxis ermöglichen werden, die notwendigen Maßnahmen zu konzipieren und zu ergreifen, damit Veränderungen und Sicherheit gewährleistet sind und Europa besser gerüstet ist, sich den Herausforderungen zu stellen, denen wir infolge der Globalisierung gegenüberstehen.

Auf seiner Tagung am 5. und 6. Dezember wird der Rat diese Leitlinien hoffentlich verabschieden. Ich bin sicher, dass sie sich in der Zukunft als gute Leitlinien und als gute Grundlage für eine Politik erweisen werden, die Europa stärker und wettbewerbsfähiger macht.

 
  
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  Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. − (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich auf den Bildschirm schaue, sehe ich, wie schnell die Zeit vergeht. Gestatten Sie mir daher, nur zwei Dinge zu erwähnen: Erstens geht aus der Aussprache eindeutig hervor, und ich möchte das ebenfalls betonen, dass das Ziel der Flexicurity keineswegs darin besteht, der gesamten Europäischen Union ein einheitliches nationales Modell aufzuzwingen. Der eigenständige Charakter unterschiedlicher Modelle wird anerkannt. Ich möchte jedoch zu bedenken geben, dass in den Staaten, die die diesbezüglichen Grundsätze anwenden, eine bessere Arbeitsmarktsituation besteht, und dabei sprechen wir nicht nur von den skandinavischen Ländern.

Die andere Frage, die ich ansprechen möchte, betrifft die Kosten. Wenn man Dänemark betrachtet, das häufig als Beispiel angeführt wird, dann sieht man, dass die Ausgaben für die soziale Sicherheit und die Gesundheitsfürsorge nicht über dem europäischen Durchschnitt liegen. Dies sollte stets im Auge behalten werden.

Meine Damen und Herren, vielen Dank für eine sehr intensive Aussprache, die zwar recht kurz war, aber dazu beigetragen hat, den Flexicurity-Ansatz zu bereichern. Erlauben Sie mir, dem Berichterstatter einen besonderen Dank auszusprechen.

 
  
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  Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Christian Ehler (PPE-DE), schriftlich. – Durch einen zum Bericht eingereichten Änderungsantrag soll versucht werden, Unterstützung des Europäischen Parlaments für europäische Mindestlöhne zu erhalten. Ich halte diesen Ansatz für grundlegend falsch. Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen auf den einzelnen regionalen Arbeitsmärkten sind so verschieden, dass wir mit einem europäischen Ansatz nicht den Wohlstand für die Menschen mehren, sondern Armut, Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit zementieren würden.

Zudem wird gefordert, dass die Mindestlöhne mindestens 50 – 60 Prozent des durchschnittlichen nationalen Lohns entsprechen sollten. Welches europäische Land hat einen so hohen Mindestlohn? Bevor solche Anträge zur Diskussion gestellt werden, sollen sich die Antragsteller zumindest die Mühe machen, sich die europäische Realität anzuschauen. Hier wird eine europäische Lohnfestsetzungspolitik gefordert, die bestehende nationale Mindestlöhne im Durchschnitt um 20 Prozent erhöht. Populistischer geht es nicht!

Ich hoffe, dass sich im Parlament eine eindeutige Mehrheit findet, die solchen gefährlichen Utopien – die Arbeitslosigkeit und Armut fördern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft in Frage stellen – eine Absage erteilt.

 
  
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  Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Wir bedauern, dass im Bericht nicht mit ausreichender Klarheit gegen die von der Europäischen Kommission verfochtene Flexicurity-Strategie Stellung bezogen wird. Vielmehr beschränkt man sich darauf, einige Linderungsmittel für die in der Mitteilung der Kommission dargelegten Grundsätze vorzuschlagen.

Deswegen haben wir nicht nur im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten gegen diesen Bericht gestimmt, sondern wir haben auch darauf bestanden, Anträge einzureichen, in denen der in dieser Mitteilung übernommene Flexicurity-Ansatz abgelehnt wird. Wir haben so gehandelt, weil dieser Ansatz auf die Deregulierung des Arbeitsmarktes und des Arbeitsrechts abzielt, was in der Praxis zur Beseitigung der derzeitigen vertraglichen Vereinbarungen, zur Liberalisierung ungerechtfertiger Entlassungen und zu höherer Unsicherheit für die Arbeitnehmer im Allgemeinen führen wird.

Kein Linderungsmittel kann der ständigen Schwächung der Tarifverhandlungen, der Entwertung der Gewerkschaften und der Umwandlung unbefristeter Arbeitsverträge in befristete Arbeitsverhältnisse unter dem Vorwand der kapitalistischen Globalisierung Einhalt gebieten.

Bei der vom Gewerkschaftsdachverband CGTP veranstalteten Großkundgebung am 18. Oktober in Lissabon sagten die portugiesischen Arbeitnehmer Nein zu diesen Vorschlägen. Sie wollen mehr rechtlich abgesicherte Beschäftigung, was ein Engagement für die Produktion, mehr Investitionen in qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen und die Achtung der Würde der Arbeitnehmer voraussetzt.

Wir bleiben daher bei den von uns eingereichten Anträgen. Wenn diese weiterhin abgelehnt werden, stimmen wir gegen den Bericht, weil wir die Flexicurity ablehnen.

 
  
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  Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE), schriftlich. (RO) In dem Bericht wird eine wesentliche europäische Problematik zum Diskussionsthema gemacht: Bei den Maßnahmen der Europäische Union zur Integration in den Arbeitsmarkt darf die willkürliche Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht außer Acht gelassen werden. Für acht der Länder, die der EU 2004 – zusammen mit Rumänien und Bulgarien – beitraten, gilt ein Übergangszeitraum von mindestens zwei Jahren, der bis zu sieben Jahren betragen kann.

Mit Beginn des zweiten Übergangsjahres wirken die europäischen Organe aktiv am Genehmigungsverfahren für die von den Mitgliedstaaten durchgesetzten Übergangszeiträume mit. Daher fordere ich den Europäischen Rat auf, im Dezember die Frage der Freizügigkeitseinschränkung in der Europäischen Union für die neuen Mitgliedstaaten gründlich zu prüfen und einen verbindlichen gemeinsamen Standpunkt zu beschließen, damit die Hindernisse für die Freizügigkeit der Arbeitskräfte auf ein Mindestmaß reduziert werden.

Die Frage der Beschränkung des Zugangs zum Arbeitsmarkt hängt unmittelbar mit dem ersten Grundsatz zusammen, den der Berichterstatter vorschlägt, und zwar „Europäisches Vorgehen gegen missbräuchliche Arbeitspraktiken in verschiedenen Nicht-Standard-Verträgen“. Als Mitglied des Europäischen Parlaments habe ich zahlreiche Beschwerden von rumänischen Bürgern erhalten, denen in den Ländern, in denen sie tätig sind, die Entlohnung für ihre Arbeit und die elementarsten Bedingungen der Sozial- und Krankenversicherung missbräuchlich vorenthalten werden. Die Regelungen, die wir auf der Grundlage des Konzepts der Flexicurity verabschieden, sollten hauptsächlich dafür sorgen, dass derartige Zustände beseitigt werden.

 
  
  

(Die Sitzung wird um 17.05 Uhr unterbrochen und um 17.10 Uhr wieder aufgenommen.)

 
  
  

VORSITZ: HANS-GERT PÖTTERING
Präsident

 

16. Aussprache über die Zukunft Europas (Aussprache)
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  Der Präsident. − Liebe Kolleginnen und Kollegen!

¡Bienvenido al Parlamento Europeo, señor Rodríguez Zapatero! Es un gran placer contar con su presencia.

Ich möchte Ihnen herzlich dafür danken, dass Sie die Einladung des Europäischen Parlaments angenommen haben, an der Debatte über die Zukunft Europas teilzunehmen, einer Debatte, die für das Europäische Parlament von großer Bedeutung ist. Mehrere Ministerpräsidenten der Europäischen Union haben bereits mit uns über die wichtigen Zukunftsfragen der Union debattiert, darunter Guy Verhofstadt, Romano Prodi und Jan Peter Balkenende. Wir hatten die Gelegenheit, ihre Meinung anzuhören und mit ihnen zu diskutieren, auch in Zeiten, in denen eine große Verunsicherung über den weiteren Weg der Europäischen Union bestand. Heute sind wir hier, um Ihnen zuzuhören. Und wir werden diese Form der Debatte aufgrund einer Entscheidung der Konferenz der Präsidenten – das sind die Fraktionsvorsitzenden – mit einer Rede des schwedischen Ministerpräsidenten Frederik Reinfeldt abschließen.

Herr Ministerpräsident! Spanien hatte – ich darf dies besonders erwähnen – als erstes Land im Jahr 2005 ein Referendum über den damaligen Entwurf für einen Verfassungsvertrag abgehalten, bei dem 77 Prozent der Spanierinnen und Spanier für diesen Vertragsentwurf stimmten.

(Beifall)

Wir freuen uns umso mehr, Sie, Herr Ministerpräsident, heute zu einem Zeitpunkt hier begrüßen zu dürfen, da wir kurz vor der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon stehen, in den nach einer langen Periode des Nachdenkens und auch der Krise die Substanz des Verfassungsvertrags überführt werden konnte.

Spanien hat als bedeutendes Land der Europäischen Union seit jeher einen wichtigen Beitrag zur Europäischen Union geleistet, und dies nicht erst seit seinem Beitritt zur Europäischen Union 1986, sondern schon lange vorher. Spanien hat stets unter Beweis gestellt – und dies trifft für die großen Parteien gemeinsam zu –, dass es ein Land mit einer zutiefst europäischen Überzeugung ist, ein Land, das die Initiative ergreift und bereit ist, sich für die gemeinsame Zukunft unseres Kontinents zu engagieren.

Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die Zukunft Europas unter Teilnahme des spanischen Ministerpräsidenten, Mitglied des Europäischen Rates.

 
  
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  José Luis Rodríguez Zapatero, spanischer Regierungspräsident. (ES) Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Als engagierter und aktiver Europäer und Ministerpräsident eines zutiefst proeuropäischen Landes erfüllt es mich mit großem Stolz, heute vor diesem Parlament, dem repräsentativsten Haus Europas, das Wort zu ergreifen.

Hier findet sich die reiche Vielfalt unserer Nationen vereint. Hier bringen wir unsere Identitäten zum Ausdruck, von der Diversität bis zu dem, was uns verbindet. Wenn es eine Institution gibt, die unmissverständlich die Seele unseres Projekts verkörpert, dann ist es diese, denn hier finden die unmittelbaren Wünsche unserer europäischen Bürgerinnen und Bürger Gehör.

Dieses Haus wurde schrittweise immer solider und besser ausgestattet, es beherbergt jetzt mühelos die große europäische Familie. Doch es ist auch stärker und anspruchsvoller geworden, denn seine Repräsentativität ist gewachsen ebenso wie seine Kapazität, einerseits um zu lenken und andererseits, um unsere gesamte Politik und unsere Aktionen zu kontrollieren.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist hier genau der richtige Ort, um über das Europa zu diskutieren, das wir wollen und das wir brauchen. Daher muss ich Ihnen danken, dass Sie mir die Gelegenheit geben, meine Überlegungen und Vorschläge zur Gegenwart und Zukunft der Union darzulegen.

Den Gedanken von Europa verbinden wir Spanier mit unserem Wunsch nach Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand.

Unsere besten Traditionen knüpfen an die Werte an, mit denen wir den europäischen kulturellen und politischen Raum identifizieren.

Über viele Jahre lebten wir in der Hoffnung, uns diesem Prozess, der vor mehr als 50 Jahren seinen Anfang nahm, anzuschließen.

Der Erfolg, den Spanien in den letzten zwei Jahrzehnten zu verzeichnen hat, ist zum großen Teil auf seine aus der Zugehörigkeit zur Union entsprungene soziale Dynamik und auf unsere effektive Verwendung der Mittel zurückzuführen, die wir durch die Solidarität der Mitglieder, die uns in diesem Projekt vorangegangen sind, erhalten haben.

Wir Spanier verdanken Europa viel, und wir schlossen uns diesem Projekt vor allem mit einer tiefen Dankbarkeit an, die ich heute vor dem Europäischen Parlament bekräftigen möchte.

Kein Wunder also, dass wir in einem Referendum dem Verfassungsvertrag zugestimmt haben. Ebenso wenig kann es überraschen, dass wir allen unseren guten Willen und unsere Flexibilität aufbrachten, um die institutionelle Krise zu überwinden, und uns gleichzeitig entschlossen, kohärent und konsequent bei der Erhaltung seines wesentlichen Inhalts zeigten, ohne den das Projekt eine Abwertung erfahren hätte.

Wir haben die Gefahr gebannt, doch vor uns steht noch eine Herausforderung: die Aufgabe, das Europa zu errichten, das wir brauchen und das die Welt im 21. Jahrhundert braucht.

Wir wollen ein Europa der Werte. Die europäische Identität ist im Verlaufe einer langen Geschichte geschmiedet worden, die durch Tragödien verdunkelt, aber auch durch die nobelsten Schöpfungen der Menschheit, durch das Licht der Gedanken, die Wärme und Kreativität unserer Künstler, die tiefe Überzeugung unserer Männer und Frauen in der Staatsführung und den Mut unseres Volkes erhellt wurde.

Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Toleranz, Gleichstellung der Geschlechter, Solidarität, dies alles stellt den moralischen Kodex Europas dar. Gerade hier, in der Zugehörigkeit zu diesen Werten und nicht einfach zu einem geografischen Raum, liegt das wahrhafte Wesen unserer Union.

(Beifall)

Unser Europa muss eine echte politische Substanz besitzen. Nur so können wir eine Union errichten, die unseren Ambitionen entspricht.

Wenn wir dieses Europa erreichen wollen, muss es zwangsläufig effektiv sein. Wir brauchen eine Union, die imstande ist, sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.

Die Quelle der Legitimität Europas und sein ultimatives Ziel sind seine Menschen. Unter den Bürgern der Welt genießen wir Europäer die meisten Rechte und den besten Schutz. Doch wir sind keine Insel, und wir können nicht glücklich leben, wenn wir wissen, dass diese Rechte in anderen Teilen der Welt nicht existieren oder verletzt werden. Wir haben die moralische Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle in den Genuss dieser Rechte kommen. Diese moralische Pflicht ist es, durch die Europa eine Mission in der Welt übertragen wird.

Dieses Europa der Werte mit einer effektiven politischen Substanz, die vom Volk mitgetragen wird, ist auch das Europa, das wir brauchen. In einer sich verändernden und immer komplexeren Welt müssen wir nach Integration streben. Wenn wir dem Isolationismus, einer engen Sichtweise innerhalb unserer Grenzen und der Vorrangstellung nationaler Interessen Raum geben, werden wir unvermeidlich an Kraft und Bedeutung verlieren.

Es ist an der Zeit, unsere Kräfte zu bündeln und unseren Enthusiasmus wieder anzufachen. Wir hören hier immer häufiger, dass sich Europa in einer Krise befand, dass es an sich selbst zweifelte, dass sich seine Menschen von seinem Projekt abgeschnitten fühlten oder dass die Erweiterung die Entschlusskraft der politischen Union schwächen würde.

Ich teile diese pessimistische Sicht nicht. Wir haben solche schwierigen Situationen auch früher durchlebt und sind stets gestärkt daraus hervorgegangen. Jean Monnet sagte, dass die Menschen den Wandel nur akzeptieren, wenn sie vor der Notwendigkeit stehen, und die Notwendigkeit nur anerkennen, wenn sie sich in einer Krise befinden. Gezwungen durch die Notwendigkeit, haben wir Veränderungen vorgenommen, die sich als sehr fruchtbar erweisen werden.

Ich messe dem Prozess, der uns zur Annahme des neuen Vertrags geführt hat, einen hohen Wert bei. Das war nicht leicht. Wir entwickeln ein völlig neues Modell in der Geschichte der politischen Zivilisation und nähern uns schrittweise der konkreten Realität, von der Schuman sprach. Es ist ganz logisch, dass wir bisweilen mehr Zeit benötigen mögen, um Beschlüsse zu fassen, doch wir sehen bereits die Früchte unserer Arbeit.

Es ist nur gerecht, wenn wir den außerordentlichen Beitrag dieses Parlaments anerkennen. Für Spanien, das sich für die Erhaltung des europäischen Geistes und für die Ausgewogenheit des Vertrags einsetzt, war die Unterstützung durch dieses Haus ermutigend und entscheidend.

Während der Verhandlungen konnte Europa weitere Fortschritte verzeichnen. Bald werden wir die neuen, im Vertrag vorgesehenen Instrumente haben, darüber hinaus wird der Themenkreis erheblich erweitert, bei denen ein Beschluss durch qualifizierte Mehrheit gefasst werden kann, um Lösungen für die Probleme unserer Bürgerinnen und Bürger zu finden.

Mehr denn je muss Europa ein Leuchtturm des Fortschritts und Wohlstands werden. Wir dürfen die Öffnung und Modernisierung unserer Volkswirtschaften nicht länger hinauszögern. Es kommt darauf an, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ziele der Strategie von Lissabon zu erreichen. Dies muss unser wichtigster und dringendster Bezugspunkt sein, um den Erfordernissen der Globalisierung in ihrer doppelten, ihrer äußeren und inneren Dimension Rechnung zu tragen.

Es gilt, ambitiös zu sein. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir Ehrgeiz zeigen. Die überaus großen Auswirkungen der Einführung des Euro, der jetzt auch auf die neuen Mitgliedstaaten ausgedehnt wird, zeigen uns deutlich unsere potenziellen Möglichkeiten, wenn wir unsere Integration weiter ausbauen. Wir müssen die Entwicklung des Binnenmarkts bei Gütern, Dienstleistungen und Netzen vollenden und die für die Wettbewerbskontrolle zuständigen Institutionen stärken, um ihre korrekte Funktion zu gewährleisten.

In seiner Außendimension muss Europa eine führende Rolle bei der Gestaltung fairer Regeln für die Globalisierung spielen. Es ist notwendig, die Transparenz und Öffnung unserer Märkte zu verbessern und die Märkte unserer Partner außerhalb der Gemeinschaft im Rahmen eines loyalen Wettbewerbs zu unterstützen. Wir müssen die Doha-Runde voranbringen und ein Beispiel bei der Förderung des internationalen Handels setzen.

Die globalisierte Welt fordert von uns besondere Anstrengungen in technischer Innovation und Forschung, um das außerordentliche Potenzial unserer Wissenschaftler und Universitäten maximal zu nutzen und die Exzellenz mit territorialer Kohäsion zu verbinden. Unser Modell einer effektiven Integration bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten gleichberechtigten Zugang zu den neuen Technologien erhalten müssen.

Wir wollen unsere soziale Wohlfahrt weiterentwickeln. Wir haben ein soziales Europa, ein Europa der sozialen Rechte.

(Beifall)

Unser Wirtschaftsmodell ist ohne Gerechtigkeit unvorstellbar, und Gerechtigkeit kann nicht ohne Schutz erzielt werden. Unser Erfolg muss an unserer Fähigkeit gemessen werden, weiter zu wachsen und gleichzeitig die Solidarität und den Zusammenhalt zu sichern.

Es gilt, stabile und würdige Arbeitsplätze zu fördern, unseren Arbeitnehmern zu helfen, sich den Veränderungen im Produktionssystem anzupassen, und eine Vorreiterrolle in der Politik der sozialen Eingliederung, der Chancengleichheit, des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsfürsorge unserer Bürgerinnen und Bürger zu spielen.

Dieses neue und immer größere Europa wird nur Erfolg haben, wenn wir die Solidarität unter allen Mitgliedstaaten verstärken. Die Kohäsion ist ein grundlegendes Prinzip, insbesondere aufgrund der Verpflichtung, die wir alle eingegangen sind, und aufgrund der Notwendigkeit, starke Bande zu schaffen, um die politische Integration der Union zu sichern.

Spanien hat viel von der Solidarität der Gemeinschaft profitiert und tritt dafür ein, dass die neuen Mitgliedstaaten ebenfalls in den Genuss dieser Vorteile kommen. Unser Land ist bereit, seine Erfahrungen mit ihnen zu teilen, damit sie diese Solidarität gut nutzen können.

Europa durchlebt zurzeit einen Prozess von großer strategischer Bedeutung: die Errichtung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, die Entwicklung des Schengen-Raums und die Außengrenzenregelung. Es kann keinen besseren Beweis unseres gegenseitigen Vertrauens geben als die gemeinsame Sorge um die Sicherheit, für die jene Mitgliedstaaten mit einer Außengrenze eine besondere Verantwortung übernommen haben. Spanien stand stets an vorderster Front bei diesen Initiativen und wird sie mit größter Entschlossenheit unterstützen.

Ich möchte die Bedeutung der Weiterentwicklung der europäischen Einwanderungspolitik unterstreichen. Die Einwanderung ist eine Realität, die bereits Auswirkungen auf die europäische Agenda hatte; diese Auswirkungen werden noch größer werden, da sie einige sehr sensible Aspekte unseres Projekts beeinflussen werden.

Unser Ausgangspunkt muss die unmissverständliche Anerkennung des positiven Potenzials der Einwanderung sein, die von der demografischen Unterstützung bis zur Bereicherung der kulturellen Vielfalt reicht, ohne den möglichen Aufschwung unserer Volkswirtschaften zu vergessen, der im Fall von Spanien ganz offenkundig ist.

Es gilt, Integrationsmaßnahmen zu unterstützen und dabei Rechte zu achten und Pflichten einzufordern. Ein Europa, das diese Integration gewährleistet, wird achtbarer, freier und sicherer sein.

Gleichzeitig müssen wir auf die Ursachen der Migration Einfluss nehmen. Das sollte durch den Dialog und die effektive Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern geschehen.

Wir müssen die Solidarität unter den Mitgliedstaaten verstärken und uns mit den entsprechenden Mitteln versehen, um die Außengrenzen wirksam zu überwachen. Spanien hat Maßnahmen entwickelt, die erfolgreich umgesetzt wurden, doch es bleibt noch viel zu tun. Stärken wir die Europäische Grenzschutzagentur, verbessern wir unsere Zusammenarbeit vor Ort, und legen wir jenen Mafiabanden das Handwerk, die aus der existenziellen und zwingenden Not dieser Männer und Frauen, dem Elend und der Frustration zu entkommen, Kapital schlagen.

(Beifall)

Wir stehen vor der schwierigen Aufgabe der Prävention und Bekämpfung des Terrorismus und des organisierten Verbrechens. Wir müssen ehrgeiziger in unserer polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit sein. Spanien weiß aus seiner eigenen leidvollen Erfahrung nur zu gut, dass gemeinsame Aktionen unerlässlich sind und immer die Hauptrolle in dieser Politik spielen werden.

Europa muss mit neuen Initiativen und mit Vorbildwirkung multilaterale Antworten auf die globalen Probleme geben. Wir tun dies bereits im Kampf gegen den Klimawandel mit unserer Verpflichtung, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 % zu senken. Wir können und müssen die Führung übernehmen, Europa zu einer Referenz machen und zu einem neuen Konsens in den im Dezember in Bali beginnenden Verhandlungen beitragen.

Vor uns liegt eine gewaltige Aufgabe im Energiebereich. Spanien setzt sich für eine echte Energiepolitik mit einem transparenten Binnenmarkt und Versorgungssicherheit zu niedrigsten Umweltkosten ein. Nach unserer Ansicht können wir nur dann eine glaubwürdige Energiepolitik haben, wenn wir ein gut strukturiertes Verbundsystem zwischen allen Mitgliedstaaten entwickeln.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wir sind ein Global Player, denn unser Projekt ist nicht nur für die Europäer bestimmt. Wir werden unsere Ziele nicht gänzlich erreichen, wenn wir nur unsere eigenen Interessen verteidigen. Es wird uns nur gelingen, wenn wir unsere Werte auf die internationale Bühne projizieren und wenn wir unsere Union als Raum des Friedens, der Stabilität und der Solidarität festigen.

Der Erfolg unserer Integration wird weitgehend daran gemessen werden, was wir für andere bedeuten, an dem Gewicht, das unsere Stimme in der ganzen Welt hat. Die Zukunft benötigt Europa mehr denn je. Es darf uns nicht darum gehen, dass die Welt auf unsere große Geschichte schaut, sondern auf unsere offene Zukunft.

Mit dem neuen Vertrag werden wir wirksame Instrumente für unsere gemeinsame Außenpolitik besitzen. Die Ämter des Ratspräsidenten und des Hohen Vertreters für auswärtige Angelegenheiten sowie die Neuverteilung der Kompetenzen und Ressourcen werden dieser Politik größeres Gewicht und mehr Kontinuität verleihen.

Gleichzeitig können wir die Erfahrungen der letzten Jahre nutzen, in denen wir uns mit Kapazitäten für das Management ziviler und militärischer Krisen versehen und erfolgreiche Einsätze in besonders schwierigen Regionen wie im Kongo oder in Bosnien durchgeführt haben.

Wir sind der wichtigste Geber bei Entwicklungs- und humanitärer Hilfe, nicht nur aufgrund unseres Verständnisses von Würde, humanistischen Wurzeln und Rechtsgefühl, sondern auch wegen unserer eigenen Interessen. Nur eine gemeinsame Entwicklung und Gerechtigkeit in der Welt können in solch schwierigen Momenten die Sicherheit gewährleisten.

In diesen Zeiten tief greifender Wandlungen in der internationalen Lage muss Europa seine Legitimität als Raum der Integration und Demokratie verstärken und seine Möglichkeiten zur Erreichung eines Konsenses auf internationaler Ebene entwickeln.

Das neue Europa darf nicht als von seinen Nachbarn im Osten und Süden isoliertes Gebilde wahrgenommen werden. Unser Wohlstand muss Hand in Hand mit ihrem gehen. Es gilt, unserer Stimme Gehör zu verschaffen und ihnen zuzuhören, um gemeinsam einen fruchtbaren Dialog zu führen.

Wir sind sehr engagiert in unseren Beziehungen zu den Ländern am südlichen Mittelmeerufer. In diesen Beziehungen müssen wir die wahre Dimension Europas bekräftigen: des Europas, das an allem interessiert ist, was andere beitragen können, das Unterschiede respektiert, das seine Werte anbietet, ohne sie aufzuzwingen, und das Partnerschaften im Rahmen der neuen Nachbarschaftspolitik entwickelt.

Die breiteste Einkommenskluft auf dem Planeten existiert zwischen dem Nord- und dem Südufer des Mittelmeers, und gerade in dieser Region schwelen noch immer tief wurzelnde Konflikte. Doch wahr ist auch, dass die Gesellschaften in Nordafrika jung und dynamisch sind und dass sich ihre politischen Systeme allmählich öffnen und erhebliche Freiheiten gestatten. Die Beziehungen mit der islamischen Welt, bei denen Europa einen Weg des Dialogs und der Partnerschaft einschlagen muss, werden durch das Image geprägt, das von uns in dieser Region entsteht.

Nutzen wir den nächsten Gipfel EU-Afrika, um die gerechten und drängenden Forderungen dieses leidgeprüften Kontinents anzusprechen, der uns so nah und gleichzeitig so fern ist und der ungeduldig an unsere Tür klopft. Wir müssen tätig werden, damit die Menschen in ihren Heimatländern bleiben, um sie in ihren Hoffnungen auf Leben und Wohlstand dort zu unterstützen.

Wir können auch einen europäischen Ansatz für die großen Herausforderungen auf der internationalen Bühne bieten: beispielsweise im Nahost-Friedensprozess und in den Beziehungen zur islamischen Welt, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, der Nichtverbreitung von Kernwaffen, des strategischen Verhältnisses zu Russland und den großen asiatischen Ländern, der Achtung der Menschenrechte und der Verbreitung der Demokratie, im Kampf gegen Hunger und Armut, im allgemeinen Zugang zu Bildung und Gesundheit und im sozialen Zusammenhalt.

Wir müssen unsere aktive Präsenz in allen geografischen Gebieten der Erde verstärken und andere Integrationsprozesse unterstützen. Bitte gestatten Sie mir an dieser Stelle, als Beispiel die Bedeutung des Ausbaus unserer Beziehungen zu Lateinamerika und der Förderung von Verhandlungen über Assoziierungsabkommen zwischen der Union und den verschiedenen regionalen Gruppierungen Lateinamerikas zu unterstreichen.

Wir müssen ein entschlossenes Bekenntnis zum Multilateralismus abgeben und die zentrale Rolle der Vereinten Nationen bei den Vermittlungs- und Interventionsbemühungen zur Konfliktlösung stärken. Unerlässlich ist auch, dass die Union bei der Definition einer gemeinsamen Verteidigungspolitik weiter vorankommt, die uns in die Lage versetzen wird, aktiv und unabhängig an der Erhaltung des Weltfriedens und der Sicherheit unter dem Mandat der Vereinten Nationen mitzuwirken.

Die Entwicklung der notwendigen zivilen und militärischen Kapazitäten, die europäischen Gefechtsverbände, die Krisenreaktionsinitiativen und die Programme der Europäischen Verteidigungsagentur stellen wichtige, aber noch unzureichende Fortschritte dar.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich möchte mit Ihnen einige grundlegende Aspekte meiner Vision von Europa und den Zielen teilen, die es meiner Ansicht nach jetzt mit Blick auf die Zukunft zu setzen gilt. Ich habe versucht, über Europa aus der Perspektive Spaniens zu sprechen. Bitte gestatten Sie mir nun einige wenige Worte über Spanien aus der Sicht Europas.

Die Politik, die meine Regierung in den letzten Jahren verfolgt hat, trägt den gleichen Stempel wie die europäischen Prioritäten.

Wir durchleben eine Periode wirtschaftlichen Wachstums, wir öffnen uns jeden Tag mehr und leiten Reformen entsprechend der Strategie von Lissabon ein. 2007 haben wir bereits eines der beiden Hauptziele unseres Nationalen Reformprogramms erreicht, nämlich eine Beschäftigungsrate von 66 %, und das zweite Ziel, die volle Konvergenz mit dem europäischen Pro-Kopf-Einkommen, werden wir vor 2010, dem ursprünglich geplanten Termin, umgesetzt haben.

Wir haben uns nachdrücklich für die Ausbildung der Humanressourcen, die Bereitstellung von Infrastrukturen und die Verbreitung der Kommunikationstechnologien eingesetzt. So tragen wir dazu bei, dass Europas Wirtschaft wissensbasiert und in der Informationsgesellschaft wettbewerbsfähig ist.

Unser Sozialmodell ist reicher und stärker geworden. Unsere öffentlichen Finanzen sind gesund, sie weisen einen Überschuss von etwa 2 % des Bruttoinlandsprodukts auf, wir haben eine sinkende Staatsverschuldung und ein konsolidiertes System der sozialen Sicherheit.

Die Beschäftigung in Spanien ist eindrucksvoll gewachsen – drei Millionen neue Arbeitsplätze in den letzten vier Jahren –, und die Arbeitsplätze sind stabiler geworden. Wir machen Fortschritte durch die Abkommen über Sozialpolitik und erfreuen uns der Periode der größten Eintracht in den Arbeitsbeziehungen seit Beginn unserer Demokratie.

Wir haben die Realisierung einer Sozialpolitik in Angriff genommen und für behinderte und pflegebedürftige Personen das Recht auf Betreuung eingeführt. Dies wird künftig einen neuen Pfeiler des Wohlfahrtsstaates bilden.

Die Nachhaltigkeit ist zu einem lebenswichtigen Teil unseres Wachstumsmodells geworden. 2006 ist es uns zum ersten Mal gelungen, den Ausstoß von Treibhausgasen bei einem starken Wirtschaftswachstum zu senken. Wir haben uns Bali ebenso verschrieben wie zuvor Kyoto.

Wir Spanier kommen in den Genuss von weiter reichenden Rechten, wie einem größeren sozialen Einfluss, der Gleichstellung von Männern und Frauen, die jetzt voll entwickelt und gesetzlich gesichert ist, und, sehr wichtig, gleichgeschlechtliche Eheschließungen werden in gleichem Maß wie alle anderen anerkannt, was uns alle als Gesellschaft aufwertet.

Spanien hat den Multilateralismus unterstützt und wird es auch künftig tun. Spanien hat die Europäische Union und die europäischen Institutionen unterstützt und wird ihnen auch weiterhin seinen Rückhalt geben.

Wie in den letzten Jahren werden wir unsere Entwicklungszusammenarbeit weiter verstärken und zu den zehn führenden Ländern der Welt gehören, was den Prozentsatz unseres Bruttoinlandsprodukts anbelangt, den wir für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Wir werden ihn weiter erhöhen, sodass in den nächsten vier Jahren 0,7 % unseres Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungshilfe verwendet wird, die Millionen Menschen weltweit Solidarität bringt und Würde verleiht.

Herr Präsident!

Lange Zeit konnten wir nur sagen: Wenn Europa sich entwickelt, kommt auch Spanien voran. Heute nun kann ich mit Stolz und Bescheidenheit sagen: Wenn Spanien weiter solche Fortschritte macht wie bisher, dann wird auch Europa vorankommen.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Europa unsere Erwartungen übertreffen wird. Wir können uns auf die außerordentlichen Fähigkeiten aller seiner Institutionen und insbesondere dieses Parlaments stützen. In den schwierigsten Zeiten, meine Damen und Herren, hat sich das Europäische Parlament stets als Bollwerk gegen den Pessimismus und als mutiger und unermüdlicher Verfechter der europäischen Integration erwiesen. Heute möchte ich Ihnen meinen ganz besonderen Dank aussprechen. Ihre Vorschläge und Debatten haben in all diesen Jahren die großen Reformen der Union beeinflusst.

In diesem Haus, in Ihrem Kreis, kann Europa kraftvoller als an jedem anderen Ort wahrgenommen werden. Europa lebt hier mit größerer Hoffnung und Zuversicht.

Daher gelten meine abschließenden Worte der Hochachtung Spaniens und meiner eigenen Wertschätzung für das Prestige und die Arbeit dieses Hauses und der Männer und Frauen aller ideologischen Richtungen und aus allen Ländern, die uns mit verschiedenen Gesetzen und an diesem Ort die Voraussetzungen geschaffen haben, um das Europa von heute zu erringen und dem Europa von morgen den Weg zu ebnen.

Wir haben die jüngste Gefahr erfolgreich gebannt. Nun gilt es, die vielen anderen Aufgaben anzupacken, die vor uns stehen. Wir müssen uns entschlossen der Zukunft stellen und gemeinsam arbeiten, um zügig das Europa zu errichten, das wir brauchen und das vor allem die Welt braucht.

Vielen Dank.

(Die Mitglieder des Parlaments erheben sich und spenden lebhaften Beifall.)

 
  
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  Jaime Mayor Oreja, im Namen der PPE-DE-Fraktion.(ES) Herr Präsident, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten möchte ich dem Ministerpräsidenten Spaniens für seine Gedanken zum Kurs der Europäischen Union danken.

Die Wahrheit ist, dass wir seine Rede und seine Überlegungen zu Europa lieber zu einer anderen Zeit gehört hätten, vor und nicht nach dem Gipfel von Lissabon und nicht gerade 72 Stunden nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten, weil diese Umstände niemals dazu beitragen, das wirkliche Ziel eines solchen Treffens zu erreichen. Doch, meine Damen und Herren, es wäre gleichzeitig unfair von mir – und meine Fraktion würde das nicht wollen –, wenn ich dem Ministerpräsidenten für seinen Beitrag nicht meinen Dank und meine Wertschätzung zum Ausdruck brächte, denn er ist zweifellos für die künftige Richtung Europas von großem Nutzen.

Es fällt mir nicht leicht, im Namen der PPE-DE-Fraktion über Freiheit und die Europäische Union zu sprechen, vor allem weil es in meiner Fraktion persönliche Erfahrungen gibt, die für die Verteidigung der Freiheit exemplarisch sind und sich erst in jüngster Vergangenheit ereignet haben, sodass ich nicht die gebührenden oder richtigen Worte finden kann, um den tiefen und wahren Sinn der Europäischen Union für unsere Fraktion zu erklären.

Unsere Faktion begrüßt den deutlichen Fortschritt auf dem Gipfel von Lissabon, doch gleichzeitig würden wir lügen, wenn wir nicht sagten, dass wir nach Ansicht unserer Fraktion noch nicht genügend politischen Schwung und Ambition haben, um die Europäische Union von heute zu der Europäischen Union zu machen, die wir für die Zukunft der Europäerinnen und Europäer brauchen. Wir können das Europa, das wir brauchen, nicht errichten, wenn wir nicht an uns glauben. Wir können die Europäische Union nicht mit Leidenschaftslosigkeit, mit schönen Worten oder Gemeinplätzen vollenden. Worte wie Kohärenz und Authentizität reichen nicht aus, wenn es beispielsweise darum geht, die europäischen Richtlinien umzusetzen oder das Kyoto-Protokoll zu erfüllen.

Herr Ministerpräsident, was uns fehlt, sind fraglos Entschlossenheit, die Verteidigung unserer Werte und Einsatz. Gerade diese Elemente werden uns befähigen, die moralische Stärke der Union und letztendlich ihre eigene Kultur zu festigen, für die unser Projekt im Wesentlichen steht. Allerdings müssen wir unseren Unionsbürgern diese fehlenden Elemente bewusst machen. Wir müssen mit ihnen darüber zu sprechen und sie ihnen eindeutig zu erläutern. Wir müssen mit ihnen diese politische Notwendigkeit des Engagements teilen und den Mut haben, ihnen wahrheitsgetreu sagen, was fehlt. Das wird sie nicht entmutigen, sondern im Gegenteil Hoffnungen und Träume wecken und die Nähe herstellen, die wir so dringend brauchen. Es geht darum, ihnen ganz klar zu sagen, worin die Probleme bestehen. Ihnen müssen wir Vorrang geben und an diesen dringenden Fragen arbeiten, um einen Weg zur Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den europäischen Nationen zu finden, ohne sie zu verallgemeinern, sondern indem wir die dringendsten anhängigen Probleme priorisieren und konkretisieren.

Herr Ministerpräsident, die traditionellen europäischen Methoden waren die Einigung, der Konsens und eine schrittweise Annäherung, denn der Konsens ist eher eine Methode als ein Wert. Das heißt, dass wir diesen Konsens definieren und organisieren müssen, und gleichzeitig gilt es, die europäischen Fraktionen zu stärken, denn es wird keine Europäische Union ohne europäische politische Parteien geben. Das heißt auch, dass wir nationale Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten (die real und tief greifend sind) nicht in dieses Haus tragen sollten, wie wir es vor einigen Monaten, wie Sie wissen, leider im Fall von Spanien getan haben.

Herr Ministerpräsident, es gibt Probleme, die eine europäische Lösung erfordern. Das stärkt die Union zweifellos, doch nach Auffassung unserer Fraktion stärkt es auch die europäischen Nationen. Die Union wird nicht stärker, wenn die europäischen Nationen schwächer werden, in Wahrheit geschieht genau das Gegenteil: Um die Europäische Union zu errichten, benötigt sie kraftvolle Mitglieder, und es wird unmöglich sein, dieses Projekt mit geschwächten Nationen zu vollenden, die ihre territoriale Integrität gefährden.

Uns eint der Wert der Freiheit. Das ist der wichtigste der Werte, die in der Charta der Grundrechte niedergeschrieben sind, die am 12. Dezember in Straßburg unterzeichnet wird. Doch das ist keine bloße Illusion: Es ist ein erneutes Bekenntnis zu Freiheit, und nicht nur auf dem Territorium der Union, sondern vor allem auf dem Territorium unserer Freunde, mit denen wir traditionell eine gemeinsame Kultur haben, in Lateinamerika und auch in einigen Republiken Osteuropas. Auch in diesen Ländern müssen wir versuchen, unser System von Prinzipien und Werten zu konsolidieren.

Ich habe noch einen Punkt hinzuzufügen: Kohärenz und nicht Worte. Die Geschichte hat die positive Wirkung unserer Kultur auf die Welt bewiesen. Sorgen wir für ihre Verbreitung, und seien wir uns gleichzeitig bewusst, dass wir diesen Wert in unserer Europäischen Union nicht unter Verschluss halten dürfen.

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir freuen uns, Herr Ministerpräsident Zapatero, dass Sie zu uns gekommen sind. Wir freuen uns auch, dass Sie nach dem Gipfel von Lissabon gekommen sind. Wir freuen uns auch, dass Sie 72 Stunden nach Ihrer Ernennung zum Kandidaten gekommen sind. Wir hätten uns noch mehr gefreut, wenn die EVP-ED-Fraktion wenigstens durch ihren Fraktionsvorsitzenden anwesend gewesen wäre.

Denn eines kann ich Ihnen sagen: Herr Daul hat eine gute Rede des spanischen Ministerpräsidenten verpasst! Er hat eine weniger gute Rede von Herrn Mayor Oreja verpasst, deshalb war es für ihn vielleicht ganz gut, dass er nicht da war. Ich sage Ihnen das, weil die leeren Ränge auf der rechten Seite dieses Hauses ja auch etwas aussagen: Wenn Ministerpräsident Reinfeldt aus Schweden kommt, der ja ihrer Parteifamilie angehört, wird die sozialistische Fraktion so anwesend sein wie heute, denn Höflichkeit, die hat man oder man hat sie nicht! Sie haben sie nicht!

(Beifall)

Spanien und die Spanierinnen und Spanier, die durch den Ministerpräsidenten dieses Landes vertreten werden, haben Anspruch auf Respekt, auch von den politischen Familien dieses Hauses. Wir zollen diesem spanischen Volk Respekt. Sie, Herr Zapatero, haben sich beim Europäischen Parlament bedankt. Sie haben sich bei der Europäischen Union bedankt. Das war ein großartiger Satz, dass der Regierungschef Spaniens, eines Landes, das vierzig Jahre unter einer rücksichtslosen und brutalen Diktatur leiden musste, und das seine Freiheit und seine demokratische Vielfalt durch die Integration in Europa erworben hat, dass ein spanischer Ministerpräsident sich bei der Europäischen Union dafür bedankt. Das ehrt Sie. Aber dass Spanien das geschafft hat, dafür haben wir dem spanischen Volk und den spanischen Demokratinnen und Demokraten zu danken. Denn ihr Beitrag zu Europa ist ein Beitrag zu Demokratie, Vielfalt, zu kulturellem Fortschritt und zur sozialen Stabilität. Dank an die spanische Regierung!

(Beifall)

Spanien ist ein Modell, so wie der iberische Raum insgesamt. Das gilt übrigens auch für Griechenland und all jene Länder, die faschistische Diktaturen überwinden mussten und Mitte und zu Beginn der 80er Jahre den Weg in die Europäische Union fanden. Wir, die wir als Westeuropäerinnen und Westeuropäer die Freiheit hatten, in dieser Zeit in diese Staaten zu reisen, wir haben die Chance, sie zu vergleichen, wie sie zu Beginn und Mitte der 80er Jahre waren, und wie sie heute sind. Spanien ist ein Land, das ökonomisch blüht. Ein Land voller Zukunft, ein Land voller Hoffnung, ein Land mit Menschen, die einen enormen Beitrag für den Frieden in der Welt geleistet haben. Ein Land, das ökonomisch prosperiert, ein Land, das von seiner ökonomischen Kapazität her zu Recht an die Tür der G8-Staaten klopft. Wer hätte das vor 20 Jahren für möglich gehalten? Und warum sage ich, Spanien ist ein Modell? Sie haben es auch gesagt, Herr Ministerpräsident: Wenn die Strukturpolitik, wenn die Regionalpolitik der Europäischen Union in den Ländern, die am 1. Mai 2004 dieser Union beigetreten sind, die gleichen ökonomischen Effekte auslöst, wie das in Spanien der Fall war, dann geht ganz Europa einer sehr guten Zukunft entgegen. Deshalb ist Spanien ein Modell für Europa.

(Beifall)

Herr Ministerpräsident Zapatero, Spanien – das haben Sie sehr gut ausgedrückt – hat durch die Integration in Europa gewonnen. Spanien hat wie viele andere Länder der Europäischen Union ein Stück Souveränität aufgegeben, als es den Euro eingeführt hat. Die Aufgabe von Währungssouveränität ist die Aufgabe eines Stücks nationaler Souveränität. Aber stellen wir uns doch einmal vor, Spanien hätte noch die Peseta als Währung. Und stellen wir uns einmal vor, die Regierung Zapatero hätte als erste Amtshandlung gesagt, wir ziehen unsere Soldaten aus dem Irak ab, und der amerikanische Dollar hätte mit der Peseta spielen können. Welche ökonomischen Auswirkungen hätte das haben können? Die Aufgabe dieses Stücks Souveränität bei der Währung hat ein Stück Unabhängigkeit und Souveränität für Spanien hinzugebracht. Deshalb ist Spanien auch ein gutes Modell. Europäische Integration bringt ein Stück mehr an Stärke, und nicht ein Stück weniger an Stärke!

(Beifall)

Wir haben von Herrn Zapatero vieles gehört. Ich will im Namen meiner Fraktion und vor allen Dingen im Namen der Männer, aber insbesondere der Frauen in meiner Fraktion auch ein Wort zur Politik der Gleichstellung der Geschlechter sagen. Kaum ein Regierungschef in Europa hat sich mehr für die Rechte von Frauen eingesetzt als Sie, Herr Zapatero. Auch dafür gebührt Ihnen der Dank des Europäischen Parlaments.

(Beifall)

(ES) Herr Zapatero, bitte setzen Sie ihre hervorragende, moderne und fortschrittliche Politik fort. Sie ist gut für Spanien, und was gut ist für Spanien, ist auch gut für Europa. Weiter so, Herr Ministerpräsident.

(Die Mitglieder seiner Fraktion erheben sich und spenden lebhaften Beifall.)

 
  
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  Graham Watson (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Wenn die Mitgliedstaaten den Reformvertrag ratifizieren, was wir hoffen und glauben, dann können wir endlich einer wiederbelebten Europäischen Union entgegensehen – einer Union mit der Fähigkeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen, mit der Demut, ihren Bürgern zuzuhören, und mit dem politischen Willen zu handeln. Die Ratifizierung des Vertrags kommt keinen Augenblick zu früh, und meine Fraktion dankt Ihnen, Herr Zapatero, für Ihre Bemühungen um eine Beschleunigung dieses Prozesses.

Meine Fraktion sieht keine Notwendigkeit dafür, dass eine Gruppe von Weisen über die Zukunft Europas nachdenkt. Das hatten wir alles schon, und wir haben davon sogar T-Shirts als Andenken. Man nannte es „Zeit der Reflexion“, und die ist jetzt vorbei. Wir befinden uns mitten in der Lissabon-Strategie und machen jetzt erst Fortschritte bei Wachstum und Arbeitsplätzen. Wir sind dabei, den Binnenmarkt zu vollenden und damit das Potenzial von Europas Unternehmern freizulegen. Wir öffnen legale Migrationswege, um den Volkswirtschaften sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern zu helfen.

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich wieder an ein französisches Reißbrett zu setzen oder einem neuen britischen Plan für eine prächtige Freihandelszone zu folgen. Solche Vorstellungen sind doch nur Randmeinungen, die als Mehrheitsansicht verpackt werden. Dort besteht kein Konsens. Die meisten unserer Bürger wollen, dass die Union für eine starke und wachsende Wirtschaft sorgt. Sie wollen mehr EU-Beteiligung in allen Bereichen, mehr Beteiligung bei der Bekämpfung des Terrorismus, mehr Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung, und mehr Aktivität in Umweltfragen. Dann, und nur dann kann Europa ein globaler Akteur werden, der in der Lage ist, einen dauerhaften Wandel herbeiführen.

Denn wie können wir Wachstum und Arbeitsplätze sichern, wenn Europa in Protektionismus flüchtet? Wie können wir gegen den Klimawandel vorgehen, wenn es uns nicht gelingt, gemeinsam zu handeln? Wie können wir Frieden, Wohlstand und Recht in die Welt tragen, wenn sich Europa im Hintergrund streitet? Deshalb braucht Europa mehr Politiker, die bereit sind, zu führen und einen paneuropäischen Weg zu gehen.

Herr Zapatero, als Sie die 18 Freunde der Verfassung in Madrid an einen Tisch brachten, haben Sie bewiesen, dass Ihre Vision von einem offenen, integrierten und wettbewerbsfähigen Europa von vielen geteilt wird. Es ist diese Vision von Europa, von der die progressiven Kräfte aller Parteien in diesem Hohen Haus wollen, dass sie Erfolg hat und sich verbreitet. Die ALDE-Fraktion wird mit allen zusammenarbeiten, die diese Vision unterstützen und ihr gerecht werden, ob nun von der Rechten, der Linken oder der Mitte, damit Europa voranschreitet. Wer jedoch eine solche Vision verkündet, ihr dann aber nicht gerecht wird, den werden wir nicht tolerieren.

Herr Ministerpräsident, Spanien wird oft zu Recht für seine soziale und wirtschaftliche Wandlung seit seinem Beitritt zur Union gelobt. Andere müssen Ihrem Beispiel und Ihrem Streben nach einem blühenden und offenen Europa folgen.

(Beifall aus der Mitte und von links)

 
  
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  Brian Crowley, im Namen der UEN-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Wie meine Kollegen möchte auch ich den Herrn Ministerpräsidenten begrüßen, allerdings auf andere Weise. Der Herr Ministerpräsident hatte sich auf eine Debatte über die Zukunft Europas vorbereitet, doch leider bekam er statt Ausführungen dazu, wie wir alle weiter vorangehen sollten, einige Argumente zur Vergangenheit Europas zu hören.

Wenn wir über die Bedürfnisse Europas im 21. Jahrhundert nachdenken, dann weiß meiner Ansicht nach doch jeder von uns, welche Bedürfnisse das sind. Ebenso weiß jeder von uns, dass die Ideologien der Vergangenheit nicht geeignet waren, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Fortschritte gab es nur, wenn die unterschiedlichen Methoden und die Ideale miteinander kombiniert und koordiniert wurden. Ob nun auf dem Gebiet der Gleichstellung oder dem Gebiet des Rechts, im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung oder im Bereich von Gesundheit und Sicherheit – es bedurfte stets besonderer Gelegenheiten, um sich für eine der erfolgreichen Methoden der Vergangenheit zu entscheiden.

Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten im Namen meiner Fraktion für den Respekt, den er uns in diesem Hohen Haus erwiesen hat, als er der Union und insbesondere dem Parlament als repräsentative Stimme der Bürger der Europäischen Union dankte. Wir sehen uns – hin und wieder – als die wahre repräsentative Stimme. Wir mögen gelegentlich falsch liegen, aber niemand kann unsere demokratische Rechenschaftspflicht und unser demokratisches Mandat, im Auftrag der Menschen zu sprechen, in Frage stellen.

Zu oft werden die Ansichten und Standpunkte des Europäischen Parlaments an den Rand gedrängt, wenn es um die Diskussionen auf Regierungsebene geht. Es hat mich sehr gefreut, als der Herr Ministerpräsident vor einiger Zeit, während der Zeit der Reflexion über den Vertrag, der jetzt vom Tisch ist, und zwar endgültig, beschloss, die „Freunde der Gemeinschaftsmethode“ neu zu ordnen und sie „Freunde der Verfassungsmethode“ zu nennen – als Vorreiter für die künftige Entwicklung. Er hat erlebt, dass sich durch den Erfolg dieses Schritts für seine Regierung neue Türen öffneten und Gelegenheiten eröffnen, als er im Umgang mit der Einwanderung und anderen Entwicklungen Unterstützung brauchte.

Wenn ich heute an den Ministerpräsidenten einen Appell bezüglich der Zukunft Europas richten könnte, dann würde ich ihn darum bitten, weiter seinen Einfluss zu nutzen, nicht nur in der Europäischen Union, sondern vor allem in Lateinamerika, wo Fragen im Zusammenhang mit Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte unter der Maske demokratischer Bewegungen immer deutlicher hervortreten.

Einige von uns schließlich sehen das künftige Europa als Bild mit leuchtenden Sternen, großen Chancen und vor allem mit der Achtung der grundlegenden Unterschiede und Werte, die im Raum der Europäischen Union zu finden sind. Wir sollten zu einem Punkt kommen, wo wir nicht mehr versuchen, alles in eine einzige, einheitliche Form oder Größe zu pressen, sondern verstehen, dass wir, wenn wir diesen Unterschied wertschätzen, tatsächlich eine Europäische Union schaffen werden, die in der Zukunft besser, bunter und auf jeden Fall dynamischer sein wird.

(Beifall)

 
  
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  Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion.(ES) Herr Ministerpräsident! Die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz schätzt Ihre entschlossene pro-europäische Haltung, Ihren Mut, ein Referendum zum Verfassungsvertrag durchzuführen, und die Fähigkeit Ihrer Regierung, besonnen und ohne Religionskrieg ein Gesetz und Maßnahmen zur Gleichstellung sowie zu den individuellen Rechten und Freiheiten auf den Weg zu bringen, die für viele Länder in Europa ein Beispiel sind, obwohl ich heute nicht viele Frauen in Ihrer Begleitung sehe.

Unsere Wertschätzung gilt auch Ihren Bemerkungen zur Einwanderung, wenn auch nicht immer Ihren Taten, und wir würdigen die Tatsache, dass der Akzent auf die positiven Aspekte der Einwanderung und nicht nur auf den illegalen Charakter gesetzt wird, wie es Ihr Vorgänger vielleicht getan hat.

Aus diesem Grund möchte ich Ihnen sagen, Herr Ministerpräsident, dass wir Sie vermisst haben in den letzten beiden Jahren und in den jüngsten Monaten während der institutionellen Krise, die ohne große Passion und Glorie in dem „Minivertrag“ von Lissabon ihren Abschluss gefunden hat. Die Agenda der Regierungskonferenz wurde von den Gegnern des Verfassungsvertrags diktiert, während sich seine Freunde, so wie Sie, nach dem berühmten Treffen der 18 als zu zurückhaltend gezeigt haben.

Heute stehen wir in Europa vor mehreren Ansätzen: dem Zweistufensystem von Sarkozy, dem atlantischen Nationalismus von Gordon Brown und dem recht förmlichen, doch sehr aufrichtigen Europäismus von Romano Prodi. Wie ist Ihre Sicht? Wer sind Ihre Verbündeten?

Herr Ministerpräsident! Sie sind kurz auf das Thema des Klimawandels eingegangen, obwohl der Gedanke Ihres neuen Übereinkommens zwischen der Menschheit und dem Planeten nicht neu ist. Sie haben weiterhin viel von Dankbarkeit für die europäische Hilfe gesprochen. Ich muss Ihnen sagen, dass für uns heute feststeht, und zwar schon seit einiger Zeit, dass diese europäischen Mittel auch dafür verwendet werden, aus Spanien das Land mit den meisten Kilometern Straße pro Einwohner zu machen und zu einem Ort, wo Beton, auch mit europäischem Geld, zu schlimmen Fällen von Spekulation und Korruption geführt und dazu beigetragen hat, dass Spanien zusammen mit meinem Land, Italien, und mit Dänemark – obwohl Sie noch ein wenig schlechter dastehen – weit davon entfernt ist, die Kyoto-Ziele zu erreichen.

Soweit ich verstanden habe, hat Spanien die Richtlinie zur Eurovignette noch nicht umgesetzt und verfolgt noch immer eine Politik sehr extensiver Infrastrukturen. Wir hoffen, dass Spanien nach den Wahlversprechen, die Sie zum Klimawandel gegeben haben – es schadet nicht, auch hier ein wenig Wahlkampf zu betreiben –, konsequent die Richtung wechseln wird. Wir hoffen auch, dass Ihre phantastische Umweltministerin in Ihrer Regierung viel mehr Freiraum erhalten wird, als dies bisher der Fall ist.

(Beifall)

Herr Ministerpräsident, abschließend muss ich sagen, dass wir hier im Europäischen Parlament Ihre Worte sehr zu würdigen wissen und Ihnen danken, doch wir brauchen Verbündete in den Regierungen der Mitgliedstaaten. Wir dürfen nicht ruhen, denn wir benötigen Menschen, die Europa wollen und eine Vision von Europa haben.

(Beifall)

 
  
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  Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion.(FR) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident! Sie haben eine schöne Rede gehalten. In vielerlei Hinsicht war es eine humanistische Rede, der ich mich gern als Ideal für das künftige Europa anschließe. Wir müssen aber zugeben, dass, damit die erlebte Realität der Europäer sich einer Vision wie der von Ihnen soeben beschriebenen annähert, es noch vieler Veränderungen in den Verfahren und den Strukturen der Europäischen Union bedarf.

Unser Europa ist ein soziales Europa, sagen Sie. Bravo! Aber es ist kein Zeichen für Pessimismus, wenn man feststellt, dass das soziale Europa im Wesentlichen erst aufgebaut werden muss. Den derzeitigen Rahmen der europäischen Sozialpolitik bildet gemäß den Verträgen die offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, das heißt ein Rahmen, der natürlich die Konkurrenz zwischen den Sozialmodellen fördert und natürlich dahin tendiert, die Errungenschaften im Namen der Wettbewerbsfähigkeit nach unten zu ziehen. Das ist ein Rahmen, der natürlich die Arbeitskosten nach unten drückt, die Beschäftigung zu einer prekären Angelegenheit macht und die sozialen Rechte schwächt.

Die soziale Frage ist zweifellos die erste Ursache für die Vertrauenskrise zwischen den Bürgern und den europäischen Institutionen. Der Präsident der Europäischen Zentralbank konnte sich beispielsweise selbst von dieser Tatsache überzeugen, als er unlängst vor dem Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes gesprochen hat, wo er seine Theorie entwickelte, die die offizielle Theorie der Europäischen Union über die Lohnzurückhaltung im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der Preise ist. Er brachte alle einmütig gegen sich auf. Selbst der deutsche Wirtschaftsminister sprach, wie ich bereits erwähnt habe, von dem Risiko einer Legitimitätskrise des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells. Blicken wir also den Dingen ins Auge, eben um die Sicht glaubhaft zu machen, die Sie für die Zukunft entwickelt haben.

Sie haben auch von den Beziehungen zu Afrika gesprochen und auf die Notwendigkeit hingewiesen, auf die Forderung der Menschen dort nach Gerechtigkeit zu antworten. Sie haben Recht! Man muss jedoch beispielsweise das Projekt für ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen überarbeiten, das durch all unsere afrikanischen Partner abgelehnt wird, weil sie überzeugt sind – und ich glaube zu Recht –, dass die Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten sich nicht mit dem Freihandel verträgt.

Abschließend möchte ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, dafür danken, dass Sie in Erinnerung gerufen haben, was nach meinem Dafürhalten der Zweck Europas sein sollte, und wenn wir uns in der Einschätzung der Gegenwart nicht immer einig sind, so sollten wir uns doch zumindest über die Perspektiven verständigen.

 
  
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  Graham Booth, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Es ist eine Freude, den Herrn Ministerpräsidenten hier in Brüssel zu sehen. Als ein Mann, der seinem Volk gestattet hat zu entscheiden, ob es die Verfassung haben will, ist er ein Vorbild für andere europäische Regierungschefs. Dafür verdient er Beifall. Die spanischen Bürger haben dann mit überwältigender Mehrheit für die Pläne gestimmt.

Ich würde nun gern wissen, warum er das nicht wiederholen will. Er müsste doch zuversichtlich sein, dass das Ergebnis ähnlich ausfällt. Liegt es daran, dass im Reformvertrag, wie der Herr Ministerpräsident sagte, kein einziger wesentlicher Punkt des Verfassungsvertrags weggelassen wurde? Wenn dem so ist, dann leuchtet es ein, dass er keine Notwendigkeit sieht, seinen Bürgern die gleiche Frage noch einmal zu stellen. Oder ist es etwa so, wie den britischen Bürgern erklärt wurde, dass der Reformvertrag so anders ausgefallen ist, dass er etwas völlig Eigenständiges darstellt und für die Menschen zu kompliziert ist?

Hier liegt natürlich der Schlüssel zu unser aller Zukunft. Entweder kümmert es die politische Elite nicht, was die Menschen wollen, wie es bei Herrn Sarkozy und Herrn Brown der Fall ist, oder sie sind der Meinung, die Menschen seien zu dumm, um wichtigere Entscheidungen zu treffen als die, welchen Burger sie bei „McDonald’s“ kaufen sollen. Mir scheint, die Europäische Union entwickelt sich rasant zum ersten postdemokratischen Staat der Welt. Ich kann dem Herrn Ministerpräsidenten Folgendes sagen: Wenn die europäische Elite den Menschen nicht erlaubt, sich zu äußern, dann werden diese letztlich andere Wege finden, sich Gehör zu verschaffen.

 
  
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  Frank Vanhecke (NI).(NL) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Die größte Herausforderung, vor der die Europäische Union derzeit steht, ist meines Erachtens das Fehlen jeglicher demokratischen Mitsprache beim Beschlussfassungsprozess. Gegenüber den europäischen Institutionen herrscht zunehmendes Misstrauen – meiner Ansicht nach übrigens zu Recht – seitens unserer Bürgerinnen und Bürger, die es nicht hinnehmen, dass ein beträchtlicher Teil der Beschlüsse, die ihr Leben unmittelbar tangieren, in Elfenbeintürmen gefasst werden, die praktisch jeglicher Kontrolle entzogen sind. Darüber hinaus entbehren diese Beschlüsse jedweder demokratischen Grundlage. Dazu zwei Beispiele.

Erstens: der Text der neuen europäischen Verträge wird demnächst in Lissabon unterzeichnet. Wie jeder weiß, handelt es sich dabei um eine nur leicht modifizierte Fassung des EU-Verfassungsvertrags. Herr Zapatero selbst hat dazu erklärt, kein einziger wesentlicher Bestandteil sei geändert worden. Nun, dieser Text war in Frankreich und den Niederlanden in demokratischen Volksentscheiden niedergestimmt worden, was heute aber völlig ignoriert wird. Bestenfalls wird man uns möglicherweise von Zeit zu Zeit nochmals abstimmen lassen, bis die Eurokraten zufrieden sind, im Grunde genommen aber landen per Referendum abgegebene demokratische Voten im Mülleimer. Auf diese Weise, so fürchte ich, wird sich Europa zunehmend in Richtung eines Miniklubs entwickeln, der gleichsam wie ein Superstaat regiert, von dem keine Mitsprache geduldet wird und der infolgedessen praktisch nicht mehr als Demokratie bezeichnet werden kann. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Art, wie der mögliche EU-Beitritt der Türkei behandelt wird. Unsere Bürger und Bürgerinnen sind nicht dafür, ganz im Gegenteil, denn die Türkei ist kein europäisches Land, weder kulturell noch geografisch noch religiös noch in überhaupt irgendeiner Form, gleichwohl scheren sich weder die Kommission noch der Rat darum, wie die meisten unserer Bürgerinnen und Bürger dazu stehen. Anstatt einer Aussprache über die Zukunft Europas sollten wir eigentlich eine Debatte über die Wiederherstellung der Demokratie in den Organen der Europäischen führen.

 
  
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  José Luis Rodríguez Zapatero, spanischer Regierungspräsident. (ES) Herr Präsident! Zunächst möchte ich allen Rednern für ihre Bemerkungen und den Tenor, in dem sie vorgetragen wurden, meinen Dank aussprechen. Ich freue mich über die Lebendigkeit, mit der diese Aussprache geführt wird, gerade darauf hatte ich gehofft. Ich freue mich auch, dass ich zu solch einer lebhaften und intensiven Debatte beitragen konnte, vor allem angesichts einiger Redebeiträge, für die ich Ihnen von ganzem Herzen danke.

Spanien ist der Europäischen Union, ihren Gründungsvätern und den großen Ländern wie Frankreich, Deutschland und Italien dankbar; sie haben uns geholfen, die Demokratie in unser Land zu tragen, sie haben uns in Europa willkommen geheißen und dann mit ihren Mitteln unsere Entwicklung unterstützt. Wir sind auch anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Staatsmännern dankbar, die ich heute nicht genannt habe, wie Helmut Kohl, François Mitterrand und Olof Palme, die einen großen Beitrag zur Demokratie Spaniens und seiner Zukunft geleistet haben. Wir sind sehr stolz, unseren Teil zu dieser gemeinsamen Sache beizutragen.

Dieser Dank geht einher mit dem Gedanken an die Erfolge, die Spanien in den letzten 25 Jahren erreichen konnte. Wahrscheinlich hat keine andere Gesellschaft der Welt eine solche politische und wirtschaftliche Umgestaltung und einen solchen Fortschritt in seinen Rechten, Freiheiten und der sozialen Situation seiner Menschen erlebt wie Spanien in den vergangenen 25 Jahren.

Spanien hat sich stets klar zu Europa bekannt und war immer sehr proeuropäisch. Vertreter aller Parteien, Kulturen und politischen Ideologien und von großem politischen Gewicht haben den europäischen Institutionen, der Kommission und diesem Parlament gedient, in dem wir drei Präsidenten hatten. Alle haben eine sehr gute Arbeit geleistet, und an dieser Stelle möchte ich jenen meine Hochachtung zollen, die Spanien in den europäischen Institutionen repräsentiert haben. Es ist ihnen gelungen, eine gemeinsame proeuropäische Kultur in einer Form politischer Organisation zu schmieden, die beispiellos ist, wenn man an die gerade gehörten Reden denkt.

Für die politische Union, die wir Europäische Union nennen, existiert kein Präzedenzfall oder Modell, auf die man zurückgreifen kann, denn sie passt in keine der bekannten politischen Kategorien. Darin liegt die Größe der Europäischen Union und auch ihre Unvorhersehbarkeit, da zwischen 27 Ländern, 27 Flaggen, 27 Staaten, 27 Nationen, 20 Sprachen und einer reichen Vielfalt an Ideologien, die sich hier im Europäischen Parlament widerspiegeln, ein gemeinsamer Wille erreicht werden muss.

Jeder Fortschritt im europäischen Prozess hat daher nicht nur eine Farbe und entstammt nicht nur einem Land oder einer Ideologie. Er hat nicht nur eine Farbe, nicht nur eine ideologische Richtung und nicht nur eine Flagge. Jeder Fortschritt ist in der Tat die Summe aller Seiten mit ihrer eigenen Flagge und ihrer eigenen Farbe, nämlich der der Koexistenz und der Einheit. Wenn irgendetwas wirklich die europäische Seele repräsentiert, dann ist es eine Union von Demokraten. Das ist Europa: Eine Union von Demokraten, was bedeutet, Fortschritte auf der Grundlage von Positionen zu erzielen, die vom größtmöglichen Konsens getragen werden, der alle respektiert und einbezieht und der allen die gleichen Möglichkeiten bietet, selbst jenen, die überhaupt nicht mit dem einverstanden sind, was die Europäische Union repräsentiert. Die Größe der liegt darin, dass sie ein Klub ist, der sowohl den Befürwortern Europas als auch jenen, die nicht wollen, dass Europa voranschreitet, die gleichen Chancen bietet. Darin liegt die Größe des europäischen Klubs; mit einem Wort, das ist die Größe einer Union von Demokraten.

Jemand sprach hier von einem „Minivertrag“. Die Perspektive, die wir einnehmen, kann in uns immer ein Gefühl der Unzufriedenheit hinsichtlich der Erreichung unserer Ziele zurücklassen, doch wenn dieser neue Vertrag von allen ratifiziert ist und funktioniert, wird er ein großartiger Vertrag und kein Minivertrag sein. Das ist zumindest der Standpunkt, den wir nach meiner Auffassung heute vertreten sollten. Wir müssen ihm Zeit geben und das Potenzial sehen, das er hat, wenn er in Kraft gesetzt und zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben verwendet wird.

Es wurde die Ratifizierung des Vertrags angesprochen. Sie war notwendig, weil Spanien zu den Ländern gehörte, die ein konsultatives Referendum über den Verfassungsvertrag durchgeführt haben, der dann erneut verhandelt wurde als Vertrag in klassischsten Sinn dessen, was das europäische Konzept darstellt.

Ich wurde gefragt – und ich will keiner Frage ausweichen –, warum wir ihn einem Referendum unterzogen. Dafür bestanden zwei klare Gründe: erstens, weil das spanische Volk sagte, es sei für einen Verfassungsvertrag. Der Vertrag, den wir jetzt angenommen haben, die Ratifizierung vorausgesetzt, und der bereits als Vertrag von Lissabon bekannt ist, enthält viele Aspekte des früheren Verfassungsvertrags. Der zweite, sehr wichtige Grund ist, dass in unserem Land ein breiter Konsens zur parlamentarischen Ratifizierung dieses Vertrags vorhanden war, bei jenen, die dem Vertrag zustimmen, und auch bei den Minderheiten, die nicht einverstanden sind.

Allerdings muss ich auf einen Punkt hinweisen, den ich für die Zukunft als sehr wesentlich erachte. Ich weiß nicht, ob es uns irgendwann gelingt, doch es gibt ein offenkundiges Problem in der Europäischen Union: Wir haben eine unvollkommene Ratifizierungsregelung, über die niemals eine tief greifende Debatte geführt wurde. Meiner Ansicht nach sollte die Ratifizierung durch alle Länder gemeinsam erfolgen, und wenn möglich in einem einzigen Akt und mit einem einzigen Instrument. Das ist im Moment sicherlich schwierig, wäre jedoch sehr wünschenswert, und ich hoffe, dass wir diese Art von Ratifizierung zu gegebener Zeit haben werden.

Einige Redner haben die Frage – die von Anfang an existierte, seit Gründung der Union in ihrer ersten Gestalt als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dann als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft – des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und den Nationalstaaten angesprochen. Diese Frage hat oft die gesamte demokratische Gesundheit der Europäischen Union in Frage gestellt, da viele Beschlüsse logischerweise auf dem Wege eines zwischenstaatlichen Verfahrens gefasst werden müssen.

Gestatten Sie mir, Ihnen kurz meine Ansicht zu diesem Thema darzulegen.

Erstens ist der Nationalstaat eine Form politischer Organisation, die aus historischer Sicht danach strebt, Territorien zu vereinigen, öffentliches Handeln zu rationalisieren und dann den Weg zu demokratischen Systemen zu ebnen. Er hat somit eine wichtige Aufgabe erfüllt.

Die Europäische Union ist eine Form politischer Organisation, die auf der Erfahrung des Nationalstaats basiert. Sie stellt eine höhere Stufe des Nationalstaats dar. Sie nimmt dem Nationalstaat nichts weg, sondern bereichert ihn und seine traditionelle Struktur, denn wie die Geschichte der politischen Koexistenz, der politischen Zivilisation und der politischen Gemeinschaft zeigt, bedeutet Vereinigung gewöhnlich Bereicherung. Vereinigung und gemeinsames Handeln sind das, wofür die Europäische Union im Grunde steht. Dadurch wird nichts von dem weggenommen, was das traditionelle Konzept des Nationalstaats ausmacht, und dieser wird auch nicht geschwächt, sondern je stärker die Europäische Union ist, desto stärker werden unsere Nationalstaaten sein. Das ist meine Auffassung.

Das heißt auch, dass sich die Kraft der Europäischen Union durch ihre Institutionen erhöht, die Legitimität und ständige Legitimation durch die Politiker und Regierungen dieser Länder benötigen… Ich lehne eine spezielle Theorie, die in der Europäischen Union existiert, völlig ab, dass nämlich die Verantwortung für viele Probleme unseres wirtschaftlichen, privaten oder sozialen Lebens in Brüssel liegt. Diese Haltung ist schädlich für die Integration der Europäischen Union und unsere Bürger und pflegt in den meisten Fällen unrichtig zu sein.

Ich glaube, die Geschichte zeigt und die Gegenwart lehrt uns, dass die Tendenz, anderen die Schuld zu geben, wenn uns etwas nicht gelungen ist, Melancholie und eine negative Einstellung unter den Bürgern zur Folge hat.

Einige Redner sprachen von konkreten Zielen und schönen Worten. Ich stimme zu: Es kann keine Aktionen ohne Worte geben und keine Worte, ohne Tatsachen durch die politische Aktion zu schaffen. Daher bin ich der Ansicht, dass alle Dinge, die eine Option für die Zukunft darstellen, Prioritäten haben müssen, politische Prioritäten, die glaubwürdig und in Maßnahmen und Beschlüssen erkennbar sind. Diese werden diskutiert. Ich möchte die drei zusammenfassen, die mir für die Zukunft der Europäischen Union am wichtigsten erscheinen.

Bitte gestatten Sie mir zu sagen, dass diese Prioritäten nichts mit Verträgen, Durchführungsbestimmungen, Strukturen, Gesetzesrevisionen oder Reduzierung der Rechtsvorschriften durch die Kommission, die allerdings sehr zweckdienlich wäre, zu tun haben. Sie beziehen sich auf die politischen Ziele der Zeit, in der wir leben. Ich stimme mit dem Redner überein, der sagte, dass die Europäische Union das Ergebnis der Wechselwirkung vieler Ideologien und vieler Werte ist. Doch die Europäische Union kann nur dann eine regionale Kraft sein, die eine weltweit führende Rolle in Bezug auf Werte und Aktionen spielt, wenn sie die Prioritäten der historischen Zeit, in der wir jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben, richtig erfasst.

Die erste Priorität besteht darin zu erkennen, was Europa weiß, denn die besten Erfahrungen dieses Kontinents stellen eine unschätzbare Lektion dar. Wissenschaft, Kreativität und Innovation haben zur wirtschaftlichen Erstarkung und zur sozialen Integration unserer Länder geführt. Die schwierige Aufgabe, vor die uns die Wissenschaft heute stellt und die sowohl Herausforderung als auch Chance ist, sind der Klimawandel und die Energiequellen. Ich muss einen Punkt hervorheben, der hier angesprochen wurde und in meiner Rede vielleicht nicht klar genug zum Ausdruck kam, weil er nicht so bekannt ist. Es ist wahr, dass Spanien weit von der Erfüllung der Forderungen des Kyoto-Protokolls entfernt ist. Das mag so sein, aber wahr ist auch, dass der Ausstoß von Treibhausgasen 2006, also ein Jahr nach meiner Regierungsübernahme, bei einem Wirtschaftswachstum von 4 % um 4 % gesenkt wurde. Wir arbeiten also intensiv daran und werden die Anstrengungen fortsetzen, erstens im Hinblick auf alternative und erneuerbare Energien und zweitens im Hinblick auf Energieeffizienz und Energieeinsparung.

Vor 20 Jahren ging es in der großen Debatte darüber, wie die führende Rolle bei der Innovation Europas zu übernehmen sei – ich bin sicher, dass dieses Parlament unzählige Male darüber diskutiert hat –, um die Entwicklung der New Economy, der Wirtschaft der Informationstechnologien. Nun wird die New Economy, die die Zukunft der Produktionskapazität und damit ihren Erfolg sichern wird, diejenige sein, die so schnell wie möglich unsere Abhängigkeit von der Kohle reduzieren und eine alternative Energiequelle mit wachsender Leistungskraft bieten kann. Nach meiner Auffassung ist dies die erste große Aufgabe. Ich muss betonen, dass sie nicht nur eine Herausforderung, sondern eine große Chance ist, denn hier liegt ein guter Teil des Wissens, das uns viele Dinge garantieren wird, und auch ein guter Teil der potenziellen Quellen für Beschäftigung und Tätigkeiten mit einem größeren Mehrwert und deshalb mit einer guten sozialen Kapazität.

Zweitens muss Europa auf sozialem Gebiet vorankommen. Es ist richtig zu sagen, dass Europa sozial nur erfolgreich sein kann, schaut man auf den afrikanischen, den lateinamerikanischen oder einen Teil des asiatischen Kontinents, wenn wir gleichzeitig entschiedene und maßgebliche Fortschritte in der Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe erzielen.

Denn, und verzeihen Sie mir, das öffentlich zu sagen, ich weiß nicht, was die Völker und Regierungen vieler afrikanischer Länder denken, wenn sie sehen, dass die Europäische Union bisweilen eine Diskussion über eine vermeintlich tiefe Krise führt. Ich weiß nicht, was sie denken mögen. Ich sage nur, wie ich es sehe. Ich glaube, dass wir glücklicherweise, vor allem durch unsere Entwicklung zur Demokratie, unsere Innovationskapazität und den Wohlfahrtstaat, der auf diesem Kontinent entstanden ist, durch diese drei Werte (Arbeit, Demokratie und Wohlfahrtstaat) der Kontinent und die Union sein können, die den besten Sozialschutz und das höchste Einkommens- und Wohlstandsniveau haben.

Für mich ist die Stärkung der sozialen Wohlfahrt nach wie vor ein grundlegendes Ziel. Eine offene Wirtschaft und ein Sozialstaat mit sozialen Rechten für die Bürger sind nicht unvereinbar. In Wirklichkeit ergänzen sie sich gegenseitig. Die Sozialpolitik mindert nicht den Wohlstand. Sie kann helfen, Wohlstand zu schaffen, die Bedingungen zu schaffen, um jedem die Möglichkeit zu bieten, zur Aufgabe der Schaffung von Wohlstand beizutragen, durch Bildung mit gleichen Chancen, durch die Vereinbarkeit von Familien- und Arbeitsleben, die eine Sozialpolitik erfordert, und Beschäftigungsstabilität als bestem Anreiz für Produktivität bei der Aufgabe, zur Schaffung von Wohlstand beizutragen. Eine Sozialpolitik mit Produktivität und bürgerorientierten Zielen ist ein mögliches Modell, das funktioniert. Das Modell, das die größte Veränderung erreichen kann, ist natürlich das der vollen Integration und vollen Gleichstellung von Frauen in allen Arbeits- und Sozialbereichen.

Spanien hat sich in diesen 30 Jahren sehr verändert, teilweise durch die Demokratie. Doch was am meisten zum Wandel beigetragen hat, war die Eingliederung der Frauen in das Arbeitsleben, in das soziale und zivile Leben des Landes. Das hat die größten Änderungen hervorgerufen, natürlich zum Besseren, denn der Wandel hat Solidarität und Fortschritt als Werte mit sich gebracht. Ich erinnere Sie daran, dass meine Regierung zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen besteht; keine der Personen hier gehört eigentlich der Regierung an.

Abschließend möchte ich unser drittes Ziel nennen, das zusammen mit der Herausforderung des Klimawandels, des Ausbaus des Wohlfahrtstaats und der Bekräftigung der sozialen Rechte als Identitätszeichen Europas entwickelt werden muss. Dank dieses Identitätszeichens konnten wir dorthin kommen, wo wir sind, und einen Bezugspunkt für unsere Länder bilden. Dieses dritte Hauptziel ist die Gewährleistung und Stärkung der Koexistenz in einer ganz besonderen Art, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir auf einem Kontinent leben, der in den letzten 20 oder 30 Jahren in vielen Ländern einem wachsenden demografischen Wandel unterliegt.

Dieses Miteinander bedeutet Integration und absolute und völlige Intoleranz gegenüber jeglichen Anzeichen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das ist die Bedeutung von Miteinander. Europa darf nicht einen einzigen seiner Werte verraten, und wenn es einen wichtigen Wert im demokratischen Europa gibt, so ist es die Achtung der kulturellen und religiösen Vielfalt und somit die entschiedene Ablehnung jeglicher Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Wir würden als Europäer scheitern, wenn wir dieser Versuchung erlägen.

Dieses Miteinander muss mit einer großen Toleranz einhergehen. Die Erweiterung der individuellen und kollektiven Rechte ist nicht nur der beste Ausdruck von Freiheit, sondern auch ein weiterer Wert, mit dem sich Europa meines Erachtens identifizieren muss. Denn wirklich, welche bessere Freiheit kann es geben als die Achtung der religiösen, kulturellen und politischen Überzeugungen jedes Menschen oder ihrer sexuellen Ausrichtungen, wenn sie eine Partnerschaft oder eine Ehe eingehen? Welchen besseren Ausdruck von Freiheit gibt es als diesen?

Wenn Europa die Union von Demokraten ist, wie ich zuvor sagte, darf es nicht nur um Freiheit gehen, Europa muss sich auf Freiheit und Gleichheit gründen.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. − Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Sie werden nicht noch einmal das Wort ergreifen, aber Sie werden trotzdem hier bleiben, um den weiteren Rednern zuzuhören.

Es tagt jetzt gleich das Präsidium des Europäischen Parlaments, sodass ich Ihnen jetzt für Ihren Besuch und Ihre Rede danken darf. Ich möchte Ihnen und Spanien – allen Regierungen, die im freien Spanien an Europa mitgewirkt haben – für diesen europäischen Beitrag ausdrücklich danken. Und wer immer in Spanien in der Zukunft regieren wird, wir vertrauen aufgrund der Erfahrungen in den letzten beiden Jahrzehnten darauf, dass Spanien immer seiner europäischen Berufung treu bleiben wird.

In diesem Sinne darf ich Ihnen noch einmal sehr herzlich für Ihren Besuch danken.

 
  
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  Jacques Toubon (PPE-DE).(FR) Herr Ministerpräsident! Ich möchte meine Ausführungen auf die Frage der Zuwanderung beschränken, die für die Zukunft Europas von wesentlicher Bedeutung ist und zu der Sie vorhin konsensfähige Vorschläge gemacht haben.

Gewiss kann niemand in diesem so schwierigen Bereich Lektionen erteilen, aber niemand darf sich auch aus der notwendigen Solidarität in einem einheitlichen Raum davon stehlen. Die Meinungsumfragen beweisen, dass manche Länder einen eher wirtschaftlichen und andere einen eher kulturellen Ansatz verfolgen.

Für die Staaten, die dem Interesse der Wirtschaft Vorrang einräumen, ist es sicherlich bequem, zu versuchen, sich die unerlässlichen Arbeitnehmer zu beschaffen, indem sie das Recht anpassen, und daher rühren die Maßnahmen der Massenregularisierungen, die von Zeit zu Zeit von dieser oder jener nationalen Regierung ergriffen werden, ohne sich darum zu sorgen, welche Sogwirkung das auslöst, während die anderen Mitgliedstaaten versuchen, die Migrationsströme zu steuern.

Lassen Sie mich das Beispiel der Regularisierung von mehreren Zehntausend Illegalen nennen, die Ihre Regierung vorgenommen hat. Frankreich hat das seinerzeit bedauert und missbilligt. Unser Staatspräsident hat das in aller Offenheit gesagt. Man sollte derartige Operationen in Zukunft unterlassen. Umso mehr als Spanien legitimerweise Hilfszahlungen der Europäischen Union erhält, um den dramatischen Situationen zu begegnen, die an seinen afrikanischen Grenzen herrschen.

Die EVP plädiert für Politiken, die sich auf die individuelle Bearbeitung der Regularisierungsanträge gründen, und lehnt somit Massenregularisierungen ab, die die Sogwirkung nur verstärken. Im gleichen Sinne wird der französische Ratspräsident der Europäischen Union einen europäischen Zuwanderungspakt vorschlagen. Und künftig, Herr Ministerpräsident, wird der Vertrag von Lissabon endlich die Voraussetzung schaffen, um gemeinsam zu handeln und auf politische Alleingänge zu verzichten. Das ist das langfristige Interesse der Europäischen Union, Spaniens und aller Mitgliedstaaten.

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  
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  Enrique Barón Crespo (PSE).(ES) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, Herr Vizepräsident der Kommission, meine Damen und Herren! Im Namen der spanischen Sozialisten möchte ich dem Ministerpräsidenten für sein heutiges Kommen danken.

Es wurde gesagt, dass seine Rede vollkommen gewesen sei und dass er eine sehr ehrgeizige Agenda habe. Was ich dem Ministerpräsidenten vor allem sagen möchte, ist, dass sich sein Herangehen in der Praxis bewährt hat; mit anderen Worten, dass er uns eine Reihe wirtschaftlicher, politischer und sozialer Daten gegeben hat, die den europäischen Geist nicht nur im Allgemeinen, sondern auch im Konkreten beweisen. Gestatten Sie mir an dieser Stelle, kurz auf eine Bemerkung einzugehen, die heute hier zu hören war. Das Thema der massenhaften Regulierungen wurde angesprochen. Zurzeit kopieren Frankreich und Deutschland das von Spanien verfolgte System der Regulierung,

(Beifall)

das die individuelle Regulierung und die Mitwirkung von Unternehmern und Gewerkschaften zum Inhalt hat. Bitte sagen Sie uns, Herr Toubon, was in Ihrem Land geschieht.

Zweitens, Herr Präsident, möchte ich dem Ministerpräsidenten für seinen Hinweis auf bestimmte Veteranen und auf unsere Arbeit, die wir hier über viele Jahre geleistet haben, meinen persönlichen Dank aussprechen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eins hinweisen: Neben dem, was wir erhalten haben – und es ist nur recht und billig, dankbar zu sein –, haben wir auch Einiges beigetragen. Das bürgernahe und soziale Europa, die Kohäsion und die Charta der Grundrechte stehen nicht unter spanischem Urheberschutz, doch sie wurden von Spanien stark beeinflusst, und darauf können wir mit Recht stolz sein.

Was die Ratifizierung betrifft, so stimme ich mit den Worten des Ministerpräsidenten überein. Es ist auffällig, dass jene Personen, die in ihren Ländern nichts getan und nicht einen Schritt zur Ratifizierung der Verfassung oder zur Annahme des Vertrags unternommen haben, jetzt versuchen, jenen Lehren zu erteilen, die ihre Hausaufgaben erledigt haben.

(Beifall)

Jetzt muss ich hier eine ganz konkrete Bemerkung machen. Bei diesem Ratifizierungsprozess müssen wir an die Solidarität und gegenseitige Loyalität appellieren; es kann nicht sein, dass einige ihre Arbeit verrichten, während andere versuchen, erneut zu verhandeln. Das muss in Europa ein für alle Mal aufhören.

Ein abschließendes Wort, Herr Präsident. Herrn Mayor Oreja ist ein Versprecher unterlaufen, denn er hat Herrn Zapatero einige Monate vor den Wahlen zum Ministerpräsidenten wiedergewählt. Herr Zapatero ist im Moment nur ein Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Interessant wäre allerdings, wenn die Fraktionen, beginnend mit der PPE-DE-Fraktion, vor der nächsten Wahl des Kommissionspräsidenten dem Kandidaten eine Kopie der Rede von Herrn Zapatero übermitteln würden.

(Beifall)

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE).(ES) Herr Ministerpräsident, willkommen in diesem Haus.

Es ist erfreulich, dass das Bekenntnis zum europäischen Aufbau in Spanien die Mehrheit der politischen Kräfte vereint hat, auch in Katalonien. Diese Einheit, die 1986 begann, fand im Euro ihre Fortsetzung und wiederholte sich in der Debatte über die europäische Verfassung. Sie hat die vorangegangenen Regierungen und auch Ihre eigene befähigt, die Kampagne für ein politisches und ambitiöses Europa zu führen. Ihre heutige Rede bestätigt dieses Engagement, und ich beglückwünsche Sie dazu.

Doch, Herr Ministerpräsident, Ihre Verantwortung endet nicht mit enthusiastischen Reden voller europäischer Leidenschaft. Europa braucht Führer, die in ihrer täglichen politischen Tätigkeit diesem Projekt verpflichtet sind und nicht nur bei feierlichen und institutionellen Anlässen. Wir können dieses tägliche Engagement in einigen Maßnahmen Ihrer Regierung nicht immer wahrnehmen, was zur Folge hat, dass unproduktive Konfrontationen mit der Europäischen Kommission nicht zu vermeiden sind. Wir können dieses Engagement auch nicht bei jenen Personen sehen, die anscheinend darauf warten, dass andere die Initiative ergreifen, bevor sie über ihre eigene Position entscheiden.

Auf jeden Fall ist die Zeit für die politischen Führer gekommen, ein Europa zu errichten, das in ihren Völkern Hoffnung auf dieses gemeinsame Projekt weckt. Denn Europa, Herr Zapatero, ist mehr als nur die Summe der innenpolitischen Erfolge seiner Regierungen, auch jener, die Sie vielleicht erreicht haben.

Die Annahme des Vertrags von Lissabon wird das Ende einer Phase bedeuten, doch die Arbeit hat gerade erst begonnen. Es wird an der Zeit sein, die Errichtung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts fortzusetzen, eine wirkliche europäische Einwanderungspolitik zu schaffen, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, das Wohlergehen unserer Bürger zu verbessern, die Stimme Europas in der Welt zu erheben und die Beziehungen mit unseren Nachbarn zu verbessern, auch im Mittelmeerraum, wo Spanien so sehr helfen kann.

Deshalb hat Spanien, ohne seine überaus große nationale und sprachliche Vielfalt zu verleugnen oder zu verschweigen, viel zu bieten, um dieses große gemeinsame Ideal Wirklichkeit werden zu lassen, und wenn die Wahlurnen Ihnen erneut das Vertrauen zum Regieren aussprechen, werden Sie, allein oder gemeinsam mit anderen, eine ganz persönliche Verpflichtung zur Erreichung dieser Ziele abgeben müssen.

 
  
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  Guntars Krasts (UEN). – (LV) Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Ministerpräsident, der im Dezember verabschiedete Vertrag von Lissabon schafft nicht nur die institutionellen Voraussetzungen für die Zukunft Europas. Nach meiner Ansicht gibt es drei Einschätzungen der Ergebnisse von Lissabon, denen alle zustimmen können, die sich um die Zukunft Europas Gedanken machen: sowohl diejenigen, die das in Lissabon Erreichte begrüßen, als auch die, die es ablehnen. Seit der Einigung in Lissabon besteht Anlass zu einem gewissen Optimismus beim Blick in die Zukunft der Europäischen Union. Erstens nimmt die Konsensfähigkeit der Mitgliedstaaten zu; zweitens ist Zurückhaltung bei der Bewertung der erzielten Einigung festzustellen, weil die tatsächlichen Auswirkungen des Vertrages in diesem Bereich erst dann beurteilt werden können, wenn er einige Jahre lang in Kraft gewesen ist; drittens wird negativ bewertet, dass nach dem Ausgang der Volksentscheide in den Niederlanden und Frankreich der Verfassungsvertrag zum Teil deshalb zu einem Vertrag mutierte, weil man vermieden hatte, auf die öffentliche Meinung zu hören. Paradoxerweise sollte aber gerade der Verfassungsvertrag so gestaltet werden, dass er bei der europäischen Gesellschaft mehr Verständnis und Akzeptanz findet. Als Mitglied des Europäischen Konvents wende ich mich gegen den Gebrauch und den Geist des Wortes ‚Verfassung’ für den neuen Vertrag. Das Ergebnis von Lissabon entspricht einem Konzept, dem ich zustimme, aber ich glaube nicht, dass die Gründe für die Veränderungen der Zukunft Europas förderlich sind. Vielen Dank.

 
  
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  David Hammerstein (Verts/ALE).(ES) Herr Zapatero! Ich bin hocherfreut, dass Sie heute bei uns sind und der Herausforderung des Klimawandels und der Notwendigkeit des sofortigen Handelns große Bedeutung beigemessen haben. Willkommen im Klub.

Gleichzeitig müssen die Worte von positiven politischen Beschlüssen begleitet werden, wobei nicht verhehlt werden darf, dass Spanien noch das schwarze Schaf beim Klimaschutz ist und Zahlen vorweist, die weit hinter den Kyoto-Zielen liegen. Hier ist eine substanzielle Antwort zu den erneuerbaren Energien erforderlich; wir brauchen Maßnahmen mit einer Besteuerung. Ich freue mich sehr über den, wenn auch trügerischen, Vorschlag zum zusätzlichen Cent für Benzin. Gleichzeitig möchte ich, dass Spanien einen Vorschlag zur europaweiten Umweltsteuer unterbreitet, um gegen die Lawine ausländischer Produkte und Importe umweltschädlicher Erzeugnisse vorzugehen.

Wir wären erfreut, wenn die hohen Kohlesubventionen in Spanien und ganz Europa beseitigt werden könnten, wenn steuerliche Maßnahmen zur Senkung des wahnsinnigen Energieverbrauchs in Spanien ernstlich in Erwägung gezogen würden und wenn Investitionen in Infrastrukturen auf die Eisenbahn und andere Formen des öffentlichen Verkehrs umgeleitet und nicht für Straßen verwendet würden.

Eine eher positive Anmerkung: Ich möchte Ihnen ganz aufrichtig zum Verzicht Spaniens auf die Kernenergie gratulieren. Diese schrittweise Abkehr ist sehr wichtig, und ich fordere die übrigen europäischen Staats- und Regierungschefs auf, davon Kenntnis zu nehmen, denn die Kernenergie ist sehr teuer, sehr gefährlich, sehr langwierig im Aufbau, und sie stellt keine Antwort auf den Klimawandel dar.

 
  
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  Willy Meyer Pleite (GUE/NGL).(ES) Willkommen, Herr Ministerpräsident. Sie wissen, dass ich zu jenen Minderheiten gehöre, die es gern gesehen hätten, wenn zum Vertrag von Lissabon in Spanien und in allen Mitgliedstaaten ebenfalls ein Referendum stattgefunden hätte.

Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Es ist für Sie noch nicht zu spät, sich in dieser Frage an die Spitze zu stellen. Es ist noch Zeit für Europa, ein Referendum in allen Mitgliedstaaten und am selben Tag abzuhalten, um eines der wichtigsten Elemente unserer Geschichte einzubeziehen: das Volk. Unsere Position ist nicht reine Schau, sie ist zutiefst demokratisch, denn ohne die direkte Mitwirkung des Volkes können wir kein europäisches Projekt errichten oder es vollenden.

Meiner Ansicht nach sind Sie zu optimistisch, wenn Sie sagen, dass wir den Aufbau unseres sozialen Europas abgeschlossen haben. In diesem Haus müssen wir sehr häufig über Gesetze mitentscheiden die einen direkten Angriff auf den europäischen Sozialstaat, das heißt, auf die Arbeit und die Beschäftigungssicherheit bedeuten. Zurzeit führen wir eine offene Debatte über die „Flexicurity“. Deshalb halte ich es für notwendig, über die Konsolidierung dieses Sozialstaates zu sprechen.

Abschließend möchte ich eine Bitte äußern, Herr Präsident. Das Gipfeltreffen EU-Afrika steht unmittelbar bevor. Bitte vergessen Sie nicht die besetzten Gebiete der Westsahara. Spanien und die Europäische Union haben eine große Verantwortung in dieser Region. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das Recht auf Selbstbestimmung gefordert, und es ist unsere Aufgabe in der Europäischen Union, dieser Forderung Substanz zu verleihen und dies, wenn möglich, auf dem Gipfel EU-Afrika zu tun.

 
  
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  Irena Belohorská (NI). (SK) Herr Ministerpräsident! Sie haben dem Parlament Ihre Achtung erwiesen, und ich möchte Ihnen und in Ihrer Person Spanien meine Achtung erweisen. Die Zukunft Europas stellt eine gewaltige Aufgabe für das Europäische Parlament dar. Im Zusammenhang mit der Verabschiedung von Rechtsakten wird das Mitentscheidungsverfahren auf 68 Bereiche ausgedehnt, darunter Energie, Klimawandel, Strukturfonds, Zusammenarbeit beim Strafrecht, geistiges Eigentum usw. Das Europäische Parlament wird bei 95 % der europäischen Gesetzgebung zum Mitgesetzgeber. Das Parlament wird also über zweimal so viele Rechtsakte entscheiden, wie dies heute der Fall ist. Darüber hinaus wird das Europäische Parlament den Präsidenten der Europäischen Kommission wählen, der dem Europäischen Parlament über alle seine Beratungen im Europäischen Rat Bericht zu erstatten hat.

Deshalb wird das Europäische Parlament im Jahre 2009 das stärkste Parlament seit seiner ersten Tagung 1968 sein. Es wird ein gleichberechtigter Partner der anderen europäischen Organe sein. Daher sind wir verpflichtet, die Beteiligung an der Wahl dieses starken Gremiums im Jahre 2009 zu erhöhen. Die Beteiligung bei der letzten Wahl des Europäischen Parlaments war die niedrigste überhaupt. Es gingen nur 47 % der Wähler an die Urne, und in der Slowakei, die ich hier vertrete, lag dieser Wert bei nicht mehr als 11 %. Vor uns liegt ein hartes Stück Arbeit.

 
  
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  Manfred Weber (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich jetzt dem Kollegen Schulz gratulieren. Er hat es geschafft, dass seine sozialistischen Freunde ihm fest auf die Schultern klopfen werden, nämlich, mit dumpfer – und ich würde sogar sagen: dummer – Polemik gegenüber der EVP-ED-Fraktion. Kurz nachdem er zu reden aufgehört hat, war es bei den Sozialisten genauso leer wie bei uns. Ich könnte jetzt unterstellen, dass die Sozialisten nur ihren großen Führern zuhören, aber an der Debatte nicht interessiert sind. Das mache ich nicht, weil wir in gegenseitigem Respekt miteinander umgehen sollten. Ich finde, der Herr Kollege Schulz sollte sich entschuldigen.

Ich frage mich – damit etwas mehr Schwung in die Debatte kommt –, was haben wir denn heute wirklich erfahren? Wir haben heute zum einen erfahren, dass die Spanier ein europäisches Volk sind. Ich glaube sagen zu können, dass dieses Volk das gleiche war, als Ministerpräsident Aznar gesprochen hat. Andererseits aber haben wir heute eine innenpolitische Rede gehört, als Vorbereitung auf die Wahlen.

Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des Europäischen Parlaments ist, so etwas zu machen. Auch Angela Merkel und Präsident Sarkozy, haben, als sie hier waren, keine Innenpolitik gemacht, sondern über Europa gesprochen. Wertvoll sind solche Debatten nur, wenn wir in die konkreten Details gehen. Und da hat mein Kollege Dupont natürlich Recht. Die Tatsache, dass Spanien 700 000 Einwanderer legalisiert hat, hat Präsident Sarkozy letzte Woche hier in diesem Europäischen Parlament deutlich verurteilt. Es wäre spannend gewesen, wenn wir heute erfahren hätten, warum hier im Europäischen Rat offensichtlich Disput herrscht. Es wäre spannend gewesen, zu hören, wie wir denn wirklich mit der Zuwanderung umgehen. Wir wissen, dass wir massive illegale Immigration haben und wir wissen, dass klare europäische Rückführungsrichtlinien auf dem Tisch liegen, die im Europäischen Rat blockiert werden, die dort nicht vorangehen.

Ich glaube, dass wir unseren Bürgern nicht erklären können, warum wir hier die großen, hehren Werte Europas beschreiben und im Alltag im Europäischen Rat – wo auch Sie sitzen, Herr Ministerpräsident – leider nicht vorankommen.

Deshalb sage ich: Europäische Reden sind wichtig, europäische Grundwerte zu beschreiben, ist wichtig, aber europäisches Handeln ist wichtiger.

 
  
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  Bernard Poignant (PSE).(FR) Herr Ministerpräsident! Wenn von der Zukunft Europas die Rede ist, ist die Geschichte niemals weit. Solange die Mauer in Berlin stand, war das für unsere Mitbürger einfach. Wir wussten, wo die Bedrohung lag, sie hatte einen Ort und ein Gesicht. Wir waren die Avantgarde der Freiheit, auch gegenüber Franco, und dann brauchten wir gleichzeitig auch nicht über Grenzen zu sprechen, denn die waren von einem Eisernen Vorhang vorgezeichnet. Das ist das Europa der Blöcke, basta!

Und heute liegt für mich die Zukunft Europas in seiner Geografie. Es genügt, uns in der Nachbarschaft umzusehen. Wir liegen in der Nähe des Schlachtfeldes der Welt, von Gaza bis Kabul. Dort gilt es den europäischen Aussöhnungsgeist hinzutragen. Wir sind auch in der Nähe der Zone der Welt, in der Hunger und Pandemien herrschen – Afrika, das haben Sie bereits gesagt. Da gilt es zu teilen, denn von dort aus lassen sich auch die Migrationsströme beherrschen.

Dann liegen wir auch in der Nähe der Zone, in der sich seit einigen Jahren ein religiöser Fanatismus entwickelt, obgleich ich natürlich nicht alle in einen Topf werfen will. Und dort müssen wir gleichzeitig für den Dialog der Kulturen plädieren und nicht für den Schock der Zivilisationen. Gleichzeitig befinden wir uns schließlich in der Nähe der Öl- und Gasvorkommen. Die brauchen wir. Das bedeutet, dass unsere Zukunft von Versorgungssicherheit und Energieautonomie abhängt.

Soweit einige Erläuterungen an unsere Mitbürger, denn sie fühlen sich ein wenig verloren. Europa liegt heute im Zentrum kontinentaler Länder. Die Zeit seiner Weltreiche ist vorüber. Sie hatten eins, und wir auch. Da bleiben noch kleine Stückchen. Es gibt keine Blöcke mehr. Man muss Europa einen neuen Sinn geben. Das kann nicht in einer Ansammlung von Richtlinien bestehen. Man muss einige große Horizonte aufzeigen, um eine Art europäischen Traum wieder aufzugreifen oder neu zu versuchen. Das ist meine Vision von der Zukunft Europas, zumindest in Teilen.

Abschließend möchte ich Sie um Nachsicht bitten, Herr Ministerpräsident, denn im nächsten Jahr begehen wir den 200. Jahrestag des Spanienfeldzugs von Napoleon I. Wie ich Sie kenne, und da die französische Präsidentschaft nächstes Jahr bevorsteht, bitte ich Sie um ein wenig Nachsicht.

 
  
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  Andrew Duff (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten für seine erfrischende Rede über die politische Einheit. Ich wäre dankbar, wenn er die Zeit finden könnte, um nach London zu reisen und sie vor seinem sozialdemokratischen Amtskollegen Gordon Brown zu wiederholen, und zwar einschließlich der Ausführungen über die Bedeutung der sozialen Dimension des Binnenmarktes sowie zur Bedeutung von Solidarität und Geschlossenheit der Union angesichts der globalen Herausforderungen, vor denen sie steht.

In vierzehn Tagen wird der Ministerpräsident an der Dezembertagung des Europäischen Rates teilnehmen und mit Präsident Sarkozy über den Vorschlag beraten, ein „comité des sages“, ein Komitee der Weisen zu gründen. Ich wäre ihm dankbar, wenn er Präsident Sarkozy mitteilen könnte, dass wir nicht die Chancen für die Ratifizierung des Vertrags gefährden sollten, indem wir eine Neuauflage der Auseinandersetzungen über Verfahren und das Kräftegleichgewicht starten. Er soll ihm doch bitte auch sagen, dass es nicht klug ist zu versuchen, die geografischen Grenzen Europas zu ziehen. Der Erweiterungsprozess ist fest etabliert. Europa wird seine endgültige Gestalt finden, wenn europäische Länder, die noch nicht zur Union gehören, nicht mehr beitreten wollen.

 
  
  

VORSITZ: MAREK SIWIEC
Vizepräsident

 
  
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  Mirosław Mariusz Piotrowski (UEN).(PL) Herr Präsident! Aus geografischer Sicht ist Europa klar definiert, und seine Grenzen sind festgelegt. Im politischen Kontext jedoch wird der Begriff „Europa“ als Synonym für die sich erweiternde Europäische Union verwendet. Einerseits gehören nicht alle europäischen Staaten dieser Organisation an, andererseits aber drängen die meisten Mitglieder des Europäischen Parlaments auf die Aufnahme von nichteuropäischen Ländern wie der Türkei.

Wenn man die Zukunft Europas erörtert, muss man unbedingt seine Ursprünge und Grundwerte berücksichtigen. In Tausenden von Dokumenten wird auf europäische Werte Bezug genommen, wobei Letztere nicht immer eindeutig definiert sind, zum Beispiel nicht einmal in der heute diskutierten Charta der Grundrechte. Unter dem Strich liegen die Wurzeln Europas im Christentum, und diese Grundwerte wurden vor langer Zeit festgeschrieben. Ständige Versuche, das Offensichtliche zu definieren, führen zu Verzerrungen im Verhältnis. Sie beeinträchtigen auch das Potenzial für die Bewältigung der wirklichen Probleme des alten Kontinents, wie beispielsweise das besorgniserregende Altern der europäischen Bevölkerung, Migration, aggressiver Wettbewerb durch asiatische Länder, Terrorismus, Epidemien, neue Krankheiten sowie die Frage der Energiesicherheit.

 
  
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  Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE).(ES) Herr Ministerpräsident! Es ist recht und billig anzuerkennen, dass Sie nach einer schwierigen Periode der Ungewissheit einer der Regierungschefs waren, der die europäischen transatlantischen Beziehungen wiederbelebt hat, und dazu muss ich Sie beglückwünschen.

Doch für jene von uns, die sich als überzeugte Pro-Europäer betrachten, ist es traurig zu sehen, dass diese transatlantischen Beziehungen noch immer mit zwei Ballastelementen beschwert sind, die das Schiff seinerzeit zum Sinken brachten: zu viel Merkantilismus und zu viel zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Wir beobachten auch, dass das Schiff zwar gute Fahrt macht, die eingeschlagene Richtung – oder der festgelegte Kurs, um in der Seemannssprache zu sprechen – aber durch den Kompass von Frau Merkel und Herrn Sarkozy vorgegeben wird, was dazu führt, dass sich das Schiff deutlich zur konservativen Rechten neigt.

Die Frage ist: Welchen Spielraum haben Sie, Herr Ministerpräsident, um das Schiff aufzurichten und den Kurs zu korrigieren? Wie können Sie Ihrer Ansicht nach jene überzeugen, die zwar Pro-Europäer sind, doch Angst haben, das europäische Schiff zu betreten, weil sie es nicht als sicher betrachten oder weil sie nicht wissen, wohin es segelt, oder weil sie entweder kein soziales Europa oder kein Europa mit einer nachhaltigen Umwelt oder kein Europa mit internationaler Verantwortung oder kein transparentes, demokratisches und bürgernahes Europa sehen, von dem wir so häufig gesprochen haben? Glauben Sie, dass Sie den Sprung vom Europa des Marktes zu einem politischen Europa anführen können? Und wie?

Da Sie diesem Haus so sehr gratuliert haben, halten Sie nicht die Zeit für gekommen, dass dieses Parlament der europäische Hauptgesetzgeber wird?

Übrigens, da wir gerade beim Thema sind, und im Licht der neuen Informationen über die Nutzung spanischer Basen für den Gefangenentransport nach Guantánamo, beabsichtigt die Regierung über den UN-Sicherheitsrat ihre Beziehungen zu den USA einer Revision zu unterziehen?

Ich sage das, Herr Ministerpräsident, weil all dies mit Europa und insbesondere der europäischen Glaubwürdigkeit verknüpft ist.

 
  
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  Sylvia-Yvonne Kaufmann (GUE/NGL). – Herr Präsident, Herr Ministerpräsident! Morgen wird das Parlament darüber entscheiden, ob die Grundrechtecharta künftig rechtsverbindlich sein wird. Für mich als ehemaliges Mitglied des Grundrechtekonvents wird dies eine ganz besondere Abstimmung, und zwar nicht nur, weil ich die Ehre hatte, das modernste europäische Grundrechtedokument mit zu erarbeiten, und auch nicht nur deshalb, weil ich – wie viele andere auch – sieben lange Jahre lang dafür gestritten habe, dass es Rechtsverbindlichkeit erlangt.

Die Charta der Grundrechte fußt auf der Unteilbarkeit der bürgerlichen, politischen und sozialen Menschenrechte. Gerade dies ist für mich als Abgeordnete der Linken, die aus Berlin kommt und bis zur Wende in der DDR gelebt hat, von fundamentaler Bedeutung. Für mich ist das klare Ja zur Charta die Konsequenz der unverzichtbaren kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, mit der massiven Verletzung von Grund- und Menschenrechten im Realsozialismus.

Ihr Land, Herr Ministerpräsident, spielt in der EU eine wichtige Rolle. Die Bürgerinnen und Bürger Spaniens haben vor allem mit ihrem Ja im Referendum zum damaligen Verfassungsvertrag einen großen Beitrag dazu geleistet, dass die Grundrechtecharta nicht ad acta gelegt werden konnte. Daran können und sollten Sie anknüpfen. Alle Menschen verbinden große Erwartungen mit Europa. Sie erwarten, dass es sich ihrer tagtäglichen Sorgen und Nöte annimmt. Sie wollen, dass Europa inhaltlich und nicht von der Melodie her, wie Jean-Claude Juncker es nannte, daran arbeitet, ein Europa der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu werden, ein wahrhaftes Europa der Solidarität. Deshalb muss in der Europäischen Union Sozial- und Lohndumping entschieden der Kampf angesagt werden. Existenzsichernde Mindestlöhne für alle, das ist es, was wir brauchen. Und in der Tat, die soziale Frage ist entscheidend für die Zukunft Europas!

 
  
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  Roger Helmer (NI). – (EN) Herr Präsident, Herr Ministerpräsident! Der Vertrag von Lissabon, oder vielmehr die umbenannte Verfassung, ist unsere Sichtweise von Europas Zukunft. Dies ist die Verfassung, die französische und niederländische Wähler 2005 entschieden abgelehnt haben und die wir jetzt ohne die Zustimmung der Bürger durchpauken wollen.

In allen 27 Mitgliedstaaten zeigen Meinungsumfragen, dass eine Mehrheit der Bürger ein Referendum zum Vertrag will. Im Vereinigten Königreich wollen 80 % ein Referendum, und zwei Drittel würden mit „Nein“ stimmen, und trotzdem verweigert uns unsere Regierung die Abstimmung, die sie in ihrem Wahlprogramm so feierlich versprochen hat.

Herr Ministerpräsident, Sie sprechen von einem Europa der Demokratie, aber Europa tritt die öffentliche Meinung mit Füßen. Die Verachtung, die wir für die öffentliche Meinung an den Tag legen, ist eine Verhöhnung unseres Anspruchs, eine „Union der Werte“ zu sein. Meine Wähler sagen mir immer wieder, dass sie 1975 für ein Freihandelsgebiet gestimmt hätten, nicht für eine politische Einheit. Es ist an der Zeit, die länderübergreifenden politischen Strukturen der EU aufzulösen und zu dem einfachen Handelsverbund zurückzukehren, der den Briten 1972 versprochen wurde.

 
  
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  Marianne Thyssen (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Die Tatsache, dass wir den spanischen Ministerpräsidenten bei unserer heutigen Sitzung begrüßen dürfen, könnte irrtümlicherweise den Eindruck erwecken, wir befänden uns noch in der Reflexionsphase über die Verfassung, da diese Diskussionsrunden mit den Ministerpräsidenten für diesen Zweck gedacht waren. Zum Glück liegt diese Phase jedoch hinter uns und haben wir uns mittlerweile auf einen befriedigenden Reformvertrag geeinigt. Selbstverständlich sind Sie hier willkommen, Herr Ministerpräsident, denn die Diskussion über die Zukunft Europas ist auch jetzt noch der Mühe wert, sogar mehr denn je, stellt doch der Vertrag keinen Endpunkt, sondern einen Neuanfang dar.

Er ist kein Selbstzweck; er ist ein Instrument, von dem effektiver Gebrauch zu machen ist und der uns die Aussicht auf eine bessere Verwaltungspraxis, auf mehr Demokratie, auf die Verwirklichung von Werten wie Freiheit, Sicherheit und Wohlstand sowie auf einen weiteren Ausbau unserer sozialen Marktwirtschaft in einer offenen und globalisierten Welt bietet. Und glauben Sie mir, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind dieselben Ziele, wie sie von vielen Belgiern in ihrem Wunsch nach einer Staatsreform verfolgt werden. Auch sie ist, wenngleich rein zufällig, auf die Verwirklichung der Zielsetzungen ausgerichtet, die wir hier mit so vielen teilen.

 
  
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  Adrian Severin (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich begrüße den Herrn Ministerpräsidenten, weil er einer von nicht allzu vielen Ministerpräsidenten ist, die hier in Brüssel genau so sprechen wie in ihren jeweiligen Ländern. Mein Gruß gilt ihm ferner, weil er einer der ganz wenigen Ministerpräsidenten ist, die nicht verbergen, was Europa für seine Bürger ist und sein sollte. Deshalb stehen seine Bürger auch hinter ihm und es gab dieses deutliche „Ja“ zur Europäischen Verfassung.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich dem Herrn Ministerpräsidenten außerdem dazu gratulieren, dass er für Spanien das richtige Maß an Vertretung in diesem Hohen Hause, in diesem Parlament, ab 2009 zurückgewonnen hat.

Ich denke, die Botschaft Spaniens ist klar und wir teilen sie: Europa wird entweder sozial sein oder nichts; Europa wird entweder ein globaler Akteur sein oder nichts; Europa wird es entweder gelingen, Solidarität mit Subsidiarität zu verbinden, oder scheitern; Europa wird entweder fähig sein, ein Vorbild für nachhaltiges Wachstum zu sein, oder von der Bildfläche verschwinden; Europa wird es entweder gelingen, eine positive Lösung für die soziale Integration, die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Bürgerrechte zu finden oder auseinanderbrechen; Europa wird entweder in der Lage sein, Multikulturismus mit sozialem Zusammenhalt, freien Wettbewerb mit Großzügigkeit, Effizienz mit Gerechtigkeit und Flexibilität mit Sicherheit zu verbinden, oder es wird bedeutungslos.

Ich teile auch die Meinung des Herrn Ministerpräsidenten, dass Sicherheit unteilbar ist und für alle individuell, sozial, national und international sein sollte. Auch seiner Auffassung zur Zuwanderung stimme ich zu. Ja, die richtige Antwort auf die Probleme bei der Zuwanderung ist Integration, nicht Ausweisung; Integration und nicht Ausgrenzung. Die richtige Antwort sollte auf die Behandlung der Ursachen und nicht der Symptome gerichtet sein.

Ich verstehe sehr gut, warum der Ministerpräsident kein neues Referendum für den neuen Vertrag braucht. Er hat ja schon ein „Maximandat“ und kann deshalb einem Minivertrag zustimmen. Wir müssen diesen Vertrag zügig ratifizieren und uns dann wieder daran machen, die Integration Europas voranzubringen.

(Beifall)

 
  
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  Bogdan Pęk (UEN).(PL) Herr Präsident! Im Laufe der Aussprache habe ich den Eindruck gewonnen, alles sei prima und werde sogar noch besser, obwohl es eigentlich schon so gut ist, dass es kaum besser werden könnte. Allerdings gibt es eine Reihe von Problemen, über die die großen Führungspersönlichkeiten der EU zwar mit einer Stimme reden, dabei aber offenbar falsch liegen.

Wir haben es mit einer neuen Quasi-Religion zu tun, nämlich dem so genannten Treibhauseffekt. Der Treibhauseffekt wird so dargestellt, dass damit letztendlich ein Aufruf für die maximale Senkung von Emissionen verbunden ist. Daher sind europäische Länder gezwungen, mit Ländern in Wettbewerb zu treten, in denen weniger strikte Auflagen für die Verringerung von Treibhausgasemissionen gelten. Mittlerweile sind alle ernstzunehmenden Wissenschaftler jedoch der Überzeugung, dass es sich beim Treibhauseffekt um ein Naturphänomen handelt, das zyklisch auftritt, und dass die Bemühungen der Menschheit insgesamt bestenfalls einen Unterschied von einigen wenigen Prozentpunkten bewirken.

Verehrte Damen und Herren! Ich rufe Sie dringend auf, nicht dem Wunschdenken zu verfallen. Bemühen Sie sich stattdessen bitte um eine vernünftige Energiepolitik, da Öl jetzt 100 US-Dollar kostet und einige Menschen der Überzeugung sind, der Ölpreis werde bald noch weiter steigen. Die offensichtlichen Fragen lauten: Warum ist das so und wem nutzt diese Situation?

 
  
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  Gerardo Galeote (PPE-DE).(ES) Herr Ministerpräsident! Ich muss die Willkommensworte aller Kollegen meiner Fraktion in einem Akt von Respekt und parlamentarischer Höflichkeit wiederholen, was seitens der PSE-Fraktion zu meinem tiefen Bedauern nicht verstanden wurde.

Herr Ministerpräsident, wir spanischen Abgeordneten sollten auch geschmeichelt sein, denn Sie sind heute hierher gekommen, bevor Sie dem spanischen Parlament Bericht über das Ergebnis des Rates von Lissabon erstattet haben. Zweifellos beabsichtigen Sie es zu tun, bevor das spanische Parlament aufgelöst wird, denn Sie müssen zugeben, dass das spanische Volk eine Erklärung verdient, da es, wie Sie sagten, als erstes Land ein Referendum zu einer Verfassung durchgeführt hat, die noch nicht existiert.

Herr Ministerpräsident, das Bekenntnis zu Europa in Ihrer Rede wird von der breiten Mehrheit dieses Hauses uneingeschränkt mitgetragen. Deshalb nehme ich an, dass Sie jetzt, von Europa mit Blick auf Spanien, wie Sie sagten, unsere Sorge darüber teilen werden, dass Spanien bei der Umsetzung der Gemeinschaftsrichtlinien in nationales Recht an die letzte Stelle, jedoch bei Verfahren wegen des Verstoßes gegen EU-Recht an die Spitze gerückt ist. Ich muss auch bemerken, dass Ihre Versprechen heute hier zur Umwelt – die nur Lob verdienen können – im Gegensatz zur rauen Wirklichkeit stehen, denn gerade heute hörten wir von einem Bericht der Europäischen Kommission, in dem Spanien als das Land genannt wird, das am weitesten von der Erreichung der Ziele des Kyoto-Protokolls entfernt ist.

Herr Ministerpräsident, ich kann Ihnen bei den Wahlen im kommenden März kein Glück wünschen. Es ist wahr, dass Ihre Rede eher eine Wahlkampfrede als alles andere war, doch ich möchte, und das ist der Kern der Sache, dass Sie alles in Ihren Kräften Stehende tun, um den Konsens zwischen den spanischen politischen Kräften in den europäischen Institutionen wieder herzustellen, der verloren gegangen ist, Herr Ministerpräsident, nicht durch Initiativen von Seiten …

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  José Luis Rodríguez Zapatero, spanischer Regierungspräsident. (ES) Herr Präsident! Ich möchte ganz kurz zwei Bemerkungen zu den Fragen machen, die mit besonderem Nachdruck vorgetragen wurden: die Einwanderungspolitik und die Regulierung der Situation der Einwanderer in Spanien.

Ich bin für eine gemeinsame Einwanderungspolitik der Europäischen Union, was die Kontrolle der Grenzen, die Integration und einen Status für ihre gemeinschaftliche Regulierung betrifft. Von diesem Punkt sind wir weit entfernt, doch ich kann den beiden Abgeordneten, die dieses Thema angesprochen haben, Folgendes versichern: Als ich Ministerpräsident wurde, haben in meinem Land 700 000 Einwanderer illegal gearbeitet, sie wurden ausgebeutet, sie zahlten weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge, und sie waren in der Schatten- oder illegalen Wirtschaft beschäftigt.

Unsere europäischen Werte sind Rechte, Legalität, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit. Deshalb werde ich mich stets dafür einsetzen, dass in meinem Land niemand illegal arbeitet, niemand ausgebeutet wird, niemand seiner Rechte beraubt wird und sich niemand dem Beitrag zu den Lasten entzieht, die von einem demokratischen Land getragen werden. Niemals.

(Beifall)

Ich weiß nicht, wie viele dieser 700 000 über Frankreich zu uns kamen. Das weiß ich nicht. Doch ich weiß, dass Frankreich und Spanien nach einem langen Dialog – denn es bestanden Meinungsverschiedenheiten – jetzt eine gemeinsame Philosophie und einen gemeinsames politisches Konzept haben. Das gilt auch für die deutsche Regierung. Die Erfahrungen und Gegebenheiten jedes Landes weisen wegen des Fehlens einer gemeinsamen Einwanderungspolitik große Unterschiede auf. Ohne gemeinsame Einwanderungspolitik neigen wir dazu, die Schuld für unsere Probleme Frankreich zuzuschieben, oder die von Frankreich werden Spanien angelastet, die von Deutschland Italien oder die von Italien Deutschland. Das führt zu nichts und schadet darüber hinaus dem europäischen Aufbau.

Wenn wir eine gemeinsame Grenzpolitik haben und Seite an Seite die Außengrenzen kontrollieren, wenn wir eine Integrationspolitik und einen gemeinsamen Status haben, werden wir nicht versucht sein, ein Land zu kritisieren, das 700 000 illegal arbeitende Menschen in die Legalität erhebt.

Zum Klimawandel: Ich kann dieses Thema nicht noch stärker betonen, doch ich möchte auch nicht zurückblicken auf eine spezielle Regierung, denn wir hatten in unserem Land Regierungen jeglicher Couleur… Ohne Zweifel verzeichnet Spanien ein gewaltiges Wirtschaftswachstum. Was ich jedoch weiß, ist, dass die Regierung, der ich vorstehe, als einzige – das war 2006 – den Ausstoß von Treibhausgasen gestoppt und als einzige begonnen hat, die Emissionen zu reduzieren, während die Wirtschaft um 4 % gewachsen ist. 2006 war auch das erste Jahr, in dem der Primärenergieverbrauch in Spanien zurückgegangen ist. Wir arbeiten mit größter Entschlossenheit auf diesem Gebiet, wie auch in anderen politischen Aktionsbereichen, wo wir nicht gezögert haben, weit reichende Gesetze über Rechte voranzubringen oder konsequente Beschlüsse zur Außenpolitik zu fassen, wenn wir gegen bestimmte Aktionen waren. Auf der internationalen Bühne werden wir weiterhin zielbewusst handeln, um die Aufgaben zu meistern, die ich als große Herausforderung und große Chance beschrieben habe. Ich kann Ihnen versichern, dass Spanien nicht das Schlusslicht ist und es in den nächsten Jahren gewiss nicht sein wird, denn wir werden gewaltige nationale Anstrengungen zur drastischen Senkung der Treibhausgasemissionen, zur Investition in alternative erneuerbare Energien und zur Durchsetzung einer Politik der Energieeffizienz und –einsparung unternehmen.

Abschließend möchte ich meinen tief empfundenen Dank an das Europäische Parlament bekräftigen. Ich habe mich hier wohl gefühlt, als überzeugter Europäer, und wenn ich dieses gemeinsame Haus des europäischen Volkes verlasse, werde ich mich noch mehr als Europäer fühlen. Ich wäre sehr gern eher hierher gekommen.

(Beifall)

 
  
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  Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Katalin Lévai (PSE), schriftlich. – (HU) Herr Präsident! Wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind heute in Europa vorrangige Forderungen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen muss durch die Entwicklung der Wirtschaft gefördert werden; dazu sind eine längerfristige Planung als ein bis zwei Jahre und eine flexiblere Nutzung der Solidaritätsfonds notwendig.

Wir müssen uns mit der Bedrohung durch den Klimawandel auseinandersetzen, und wir müssen eine sichere und nachhaltige Energieversorgung gewährleisten. Der Umweltschutz und die Einführung umweltfreundlicher Technologien sind heute Themen von internationaler Bedeutung, die die ganze Gesellschaft betreffen.

Die Union muss durch die Strategie von Lissabon, die gegebenenfalls zu ändern ist, zu einer Region des Wohlstands, der Solidarität, der Sicherheit und der Freiheit werden. Sie muss neue Partnerschaften mit der ganzen Welt, aber vor allem mit ihren unmittelbaren Nachbarn Asien und Afrika anstreben.

Europa muss eine führende Rolle bei der Globalisierung spielen! Dabei spielt die Schaffung einer wissensbasierten Gesellschaft eine wichtige Rolle, in der die Bürger durch allgemeine und berufliche Bildung ein flexibles, übertragbares Wissen erwerben, das sie in ihrem Alltag anwenden können. Lebenslanges Lernen ist die Grundlage für die Mobilität der Arbeitskräfte. Auf dem Arbeitsmarkt müssen wir eine uneingeschränkte Chancengleichheit erreichen, die soziale Ausgrenzung bekämpfen und diejenigen unterstützen, die zurückliegen, die benachteiligt sind, und die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Besonders große Aufmerksamkeit muss den kleinen und mittleren Unternehmen geschenkt werden, die in einer Wohlfahrtsgesellschaft symbolische Bedeutung haben können, sowie einem angemessenen Beschäftigungsniveau.

Die Energieerzeugung muss eine solide Grundlage haben, der Verbrauch muss gedrosselt werden und die Abfälle müssen durch die Einführung energiesparender Technologien verringert werden. Der Anteil der alternativen Energiequellen muss parallel zu einer Verringerung der Nutzung fossiler Brennstoffe erhöht werden.

 

17. Abkommen über wirtschaftliche Partnerschaft (Aussprache)
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  Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Erklärung der Kommission zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.

 
  
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  Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich begrüße diese Gelegenheit, erläutern zu können, wo wir bei den Verhandlungen zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) stehen. Ich freue mich feststellen zu können, dass die von der Kommission in ihrer Mitteilung vom 23. Oktober vorgeschlagene Strategie in der letzten Woche vom Rat gebilligt wurde. Wie Kommissar Mandelson gegenüber dem Ausschuss des Parlaments für internationalen Handel äußerte, sind wir bei diesen Verhandlungen über den Berg.

Diese Verhandlungen kommen sehr zügig voran. Ich möchte Ihnen kurz darlegen, wo wir im Moment stehen. Bezüglich Ostafrika wurde ein Interims-Abkommen mit der Ostafrikanischen Gemeinschaft paraphiert: Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi und Tansania. Wir stehen ganz kurz vor einer Interims-Vereinbarung mit Ländern des Indischen Ozeans im Rahmen der Gruppe Ost- und Südafrika.

Mit der Southern African Development Community, der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft, haben wir ein Interims-Abkommen mit Botswana, Lesotho, Swasiland und Mosambik paraphiert. Angola wird beitreten, sobald es dazu in der Lage ist. Südafrika und Namibia werden über ihren Beitritt in den nächsten Tagen entscheiden.

Im Pazifischen Raum arbeiten wir zeitgleich an einem Übereinkommen für die Region als Ganzes und spezifischen Abkommen über den Marktzugang zur Sicherung der unmittelbaren Interessen dieser Länder, die in der Region Handel mit der Europäischen Union betreiben. Ich gehe davon aus, dass eine Einigung zu diesen Abkommen in naher Zukunft bekannt gegeben wird.

Bei den übrigen Regionen ist die Lage nicht so eindeutig. Für Westafrika und Zentralafrika finden derzeit Treffen mit so genannten Untergruppen statt. Es besteht die Möglichkeit, dass wir Interims-Abkommen zu Waren mit den am meisten betroffenen Ländern abschließen können, die man dann 2008 auf vollständige WPA mit der gesamten Region erweitern könnte. Das wird natürlich davon abhängen, ob die Beteiligten diesen Weg gehen und WTO-konforme Abkommen über den Marktzugang vorlegen möchten.

In der Karibischen Region haben wir ein Abkommen, das fast alles abdeckt – bis auf den entscheidenden Punkt des Warenhandels, wo der Vorschlag der Region weit hinter dem zurückblieb, was in der WTO vertretbar ist. Die Verhandlungen laufen weiter, aber wir brauchen jetzt eine klare politische Entscheidung aus der Region, damit wir einen Zeitplan für einen WTO-konformen Marktzugang aufstellen und so wieder Bewegung in die Verhandlungen bringen können.

In allen Regionen gehen wir pragmatisch und flexibel vor, um das zu erreichen, was nach wie vor unser Ziel für diese Abkommen ist: vollständige WPA mit vier Regionen. So werden wir unsere Handelsbeziehungen modernisieren und sie in den Dienst der Entwicklung stellen, und deshalb ist ein vollständiges Abkommen mit vier Regionen unser Ziel.

Wir sind in den letzten Tagen spürbar vorangekommen, aber wir können heute noch nicht garantieren, dass es mit allen AKP-Ländern ein Abkommen mit neuen WTO-konformen Modalitäten geben wird.

Die WTO-Konformität ist die maßgebliche Komponente aller Abkommen, seien es vollständige WPA, Interims-Abkommen oder auch reine Warenhandelsvereinbarungen. Ohne sie können wir nur das Allgemeine Präferenzsystem anbieten.

In der nächsten Woche wird der Rat Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen über die Verordnung der Gemeinschaft über die Marktzugangsregelung entscheiden, die den AKP-Ländern angeboten wurde. Sie ist das bisher beste Angebot in bilateralen Abkommen: uneingeschränkter zoll- und kontingentfreier Zugang, wobei nur für zwei Produkte, nämlich Zucker und Reis, Übergangfristen vorgesehen sind.

Wir werden weiter alles Erdenkliche unternehmen, um Abkommen zu erreichen. Unser Angebot liegt auf dem Tisch, und sobald ein AKP-Staat ein WTO-konformes Angebot vorlegt, um zu einem Abschluss zu kommen, können wir ganz schnell dem Rat vorschlagen, dass er in den Genuss der Verordnung über den Marktzugang bei WPA kommen sollte.

Wir haben unsere Bereitschaft angezeigt, mit Unterregionen zu arbeiten, wenn die AKP-Staaten dies so wünschen. Wir haben zugestimmt, über den 1. Januar 2008 hinaus zu anderen Punkten, wie Dienstleistungen, Investitionen und anderen handelsbezogenen Bereichen, weiterzuverhandeln, die ein so wichtiger Teil der Entwicklungskomponente dieser Abkommen sind. Wir haben unsere Zusage eingehalten, jedem Land, das mit uns eine Vereinbarung treffen will, Handelsmodalitäten vorzulegen, die genauso gut sind wie das Abkommen von Cotonou oder besser. Wir haben angeboten, unsere Märkte vollständig zu öffnen und das gute Warenhandelsangebot durch großzügige Dienstleistungsangebote zu ergänzen.

Was wir nicht tun können, ist die Handelsregelung von Cotonou zu verlängern, während wir weiter verhandeln. Wir haben klargestellt, dass wir, wenn kein WPA besteht, keine widerrechtlichen oder unsicheren Lösungen vorschlagen können und werden.

Unsere AKP-Partner werden Unterstützung benötigen, um die Abkommen umzusetzen und die notwendigen Anpassungen und Reformen durchzuführen. Deshalb bemüht sich die Kommission derzeit darum sicherzustellen, dass der Europäische Entwicklungsfonds der Handelshilfe im Rahmen von WPA Vorrang gewährt. Deshalb arbeiten wir eng mit den Mitgliedstaaten zusammen, damit sie zusätzliche Gelder im Rahmen der jüngst beschlossenen EU-Strategie für Handelshilfe bereitstellen.

Wir wissen, dass der Abschluss dieser Verhandlungen schwierige politische Entscheidungen voraussetzt, aber wir begrüßen die Führungsrolle derjenigen AKP-Regionen und –Länder, die entschieden haben, mit uns WPA zu paraphieren. Wir werden sie weiter unterstützen, wenn sie ihre Zusagen in die Tat umsetzen und wenn wir gemeinsam darauf hinarbeiten, dass diese Handelsbeziehungen tatsächlich zu ihrer Entwicklung beitragen.

 
  
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  Robert Sturdy, im Namen der PPE-DE-Fraktion. (EN) Herr Präsident! Nach sieben Jahren Verhandlungen zu sagen, wir seien nicht da, wo wir sein sollten, ist vielleicht untertrieben. Ich bin nicht sicher, ob es stimmt, dass wir über den Berg sind.

Während der letzten Wochen ist einigen AKP-Mitgliedern zunehmend unbehaglich geworden angesichts der Aussicht auf die begrenzte – wie der Kommissar selbst formuliert hat – Zollregelung des APS, die sie am 1. Januar erwartet, falls sie kein WPA unterzeichnen. Die Europäische Kommission behauptet, sich erfolgreich um Interims-Abkommen sowohl mit einzelnen Staaten als auch mit subregionalen Gruppen bemüht zu haben. Wie der Kommissar sagte, hat sie ein solches mit der ostafrikanischen Gruppe gestern unterzeichnet, und die SADC hat letzte Woche unterschrieben – aber ohne Südafrika und ohne Namibia! Was für ein Wirtschaftsabkommen soll denn das sein, bei dem Länder fehlen? Berichten zufolge drängt die Kommission Westafrika zu einem Abkommen ohne Nigeria, bei dem es sich um eines der größten Länder handelt, das umfangreiche Handelsgespräche mit der Europäischen Union führt. Wie wirken sich diese so genannten Rahmenabkommen, die jetzt unterzeichnet werden, langfristig aus? Was ist mit der regionalen Integration? Soweit ich das sehe, werden auf diese Weise gerade die Regionen zerteilt, die in meinem Bericht aufgeführt sind, um die es doch bei WPA eigentlich geht.

In der Entschließung des Parlaments, die von einer Fraktion verfasst wurde, wird klar gesagt, dass man diese jetzt zügig vorankommenden Verhandlungen begrüßen muss. Diese Regelungen gefallen uns vielleicht nicht, aber die Frist ist fast abgelaufen, und Alternativen gibt es im Moment nicht. Die Erklärung von Kigali war äußerst bedeutsam und kritisch. Unsere Entschließung heute im Parlament ist zukunftsorientiert, und ich hoffe, wir sehen einer positiven Zukunft entgegen.

Wie der Name schon sagt, sind WPA eine Vorstufe auf dem Weg zu uneingeschränkten und umfassenden Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem AKP-Raum. Ich bin enttäuscht, dass die PSE-Fraktion entschieden hat, nicht über sie abzustimmen.

Abschließend möchte ich dem Kommissar noch einen Gedanken mit auf den Weg geben. Im Vereinigten Königreich sagt man, dass es drei große Lügen auf der Welt gibt: „der Scheck ist unterwegs“; „es war nicht meine Schuld“ und „ich komme aus der Europäischen Union und bin hier, um zu helfen“.

 
  
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  Harlem Désir, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Man muss feststellen, dass die Art und Weise, in der die Verhandlungen durch die Kommission geführt wurden, es nicht ermöglicht hat, vor dem vorgesehenen Termin echte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu unterzeichnen. In diesem Punkt bin ich einverstanden mit Herrn Sturdy: Die vorläufigen Vereinbarungen stellen die regionalen Gruppierungen in Frage, die als Grundlage der Diskussion zur Unterzeichnung dieser Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gebildet worden waren.

Diese Verhandlungen haben, anstatt die Bindung und das Vertrauen zwischen Europa und den AKP-Ländern zu stärken, im Gegenteil sehr große Besorgnis ausgelöst. Die Besorgnis betrifft die Verluste an öffentlichen Ressourcen: Der Präsident von Senegal hat kürzlich in der Presse erklärt, dass zwischen 35 und 70 % der afrikanischen Haushaltsmittel für Zollgebühren aufgewendet würden – 800 Millionen beispielsweise für Nigeria.

Besorgnis auch hinsichtlich der Konsequenzen der Liberalisierung für sensible Wirtschaftssektoren in den AKP-Ländern, die der Konkurrenz mit europäischen Unternehmen ausgesetzt werden. Besorgnis hinsichtlich der Forderungen, einige Themen in die zweite Phase einzubeziehen, die nicht den WTO-Verpflichtungen entsprechen. Ich denke da an die Bereiche Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Auftragswesen, Wettbewerbsregeln. Besorgnis angesichts der Drohung, bereits im Jahr 2008 für die AKP-Länder, die nicht den WPA angehören, die keine vorläufige Vereinbarung unterzeichnen, höhere Zolltarife einzuführen, als eine Art Erpressung, um sie zu zwingen, irgendeine Vereinbarung zu akzeptieren.

Nach meinem Dafürhalten sollte man der Beziehung zwischen den AKP-Ländern und der Europäischen Union neuen Schwung verleihen und diese Verhandlung auf Grundlagen wieder aufnehmen, die den wesentlichen Prinzipien des Abkommens von Cotonou entsprechen. Die WPA sind Entwicklungsinstrumente. Die Liberalisierung ist kein Selbstzweck. Das Ziel der WPA besteht in der Stärkung der Wirtschaft der AKP-Länder, um ihre Integration in die Weltwirtschaft zu fördern.

Kein AKP-Staat darf sich nach dem Abschluss eines WPA einer ungünstigeren Situation gegenübersehen als vor der Unterzeichnung. Diejenigen, die nicht unterzeichnen, müssen in den Genuss eines Präferenzsystems kommen, das mindestens ebenso günstig ist wie vor der angenommenen Unterzeichnung eines WPA. Diesen Abkommen muss also das Interesse der AKP-Länder, ihre wirtschaftliche Diversifizierung zugrunde liegen.

Es kommt darauf an, die Ursprungsregeln klar zu definieren, um zu wissen, in welchem Maße sie von den neuen Maßnahmen für den Marktzugang, die wir ihnen vorschlagen, profitieren werden, und echte Mechanismen für die finanzielle Kompensation vorzusehen. Man sollte der Botschaft der Erklärung von Kigali der AKP-Parlamentarier und der Europaparlamentarier Gehör schenken. Der 31. Dezember ist kein so unausweichlicher Schlag, wie sie ihn dargestellt haben.

 
  
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  Gianluca Susta, im Namen der ALDE-Fraktion.(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir von der ALDE-Fraktion haben den Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion auf Verschiebung der Abstimmung befürwortet, um eine umfassendere Einigung über den Wortlaut des Entschließungsantrags erzielen zu können.

Ebenso teilen wir die Bedenken und Hoffnungen, die im Schlussdokument des Treffens von Kigali zusammengefasst wurden. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sind ein wichtiges Werkzeug für die Entwicklung, regionale Integration und Armutsbekämpfung. In unserer globalisierten Welt müssen EU-Maßnahmen genau diese Ziele verfolgen. Freier Handel, die WTO-Regeln und sogar Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sind kein Selbstzweck, sondern Werkzeuge im Dienste des Welthandels.

Dennoch ist klar, dass das Rechtsvakuum, das sich aus dem Ablauf des Abkommens von Cotonou ergibt, die AKP-Staaten selbst ernsthaft gefährdet. Es steht wesentlich mehr auf dem Spiel als die Frage, ob diese Abkommen im Lichte der WTO-Regeln und –Entscheidungen legitim sind.

Auch wir hoffen, dass die gegenwärtigen Verhandlungen in den sechs Regionen rasch zu einem Abschluss gebracht werden können und dass durch die Wiederaufnahme und den erfolgreichen Abschluss der noch heikleren Doha-Verhandlungen zur Reform des Welthandels ein passender Rahmen erarbeitet werden kann, um dem Entwicklungsbedarf der ärmsten Länder besser gerecht werden zu können, unter anderem auch in Bezug auf die Beziehungen AKP-EU.

Dennoch ist uns natürlich bewusst, dass die AKP-Verhandlungen nur schleppend vorankommen und dass die Reform des Welthandels, durch die auch dessen Multilateralismus wieder neuen Schwung bekommen könnte, ins Stocken geraten ist.

Daher sollte man in möglichst pragmatischer Weise machbare Lösungen anstreben. Ausgehend davon sind wir der Meinung, dass die von der Kommission gewählte Strategie eines Zweiphasen-Ansatzes – d. h. zuerst Interimsabkommen, die auf den Warenverkehr beschränkt sind, und danach ein umfassenderes Abkommen – geeignet ist, eine Unterbrechung des zollvergünstigten Warenstroms gemäß dem Cotonou-Abkommen zu vermeiden, da dies für die AKP-Staaten äußerst nachteilig sein könnte.

 
  
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  Frithjof Schmidt, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Herr Kommissar, es hat mich überrascht, dass Sie hier so getan haben, als sei bei den Verhandlungen eigentlich gar nichts schief gelaufen, als sei das für die Kommission wunderbar gelaufen.

Wir haben hier im Parlament in den letzten Monaten mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kommission die Verhandlungen mit den AKP-Staaten überfrachtet hat. Wir haben darauf hingewiesen, dass ein Abkommen über Güter ausreicht, um die WTO-Anforderungen zu erfüllen, und dass ein Abkommen zu den Singapur-Themen nicht zwingend erforderlich ist. Die Kommission hat auf diese Kritik nicht hören wollen, sie hat unsere Kritik weggewischt. Der Kurswechsel zu Interimsabkommen nur über Güter, den Sie jetzt plötzlich, aber viel zu spät, vorgenommen haben, ist ein Eingeständnis des Scheiterns an eigener Uneinsichtigkeit. Es hätte Ihnen gut angestanden, hier einmal selbstkritisch einzuräumen, dass Sie eine falsche Verhandlungsstrategie verfolgt haben.

Der zweite große Fehler war die Art und Weise der Verhandlungen. Es wurde offenkundig verhandelt wie über ein x-beliebiges Freihandelsabkommen, und nicht wie über ein entwicklungspolitisches Rahmenabkommen. Die einmütige Klage der AKP-Länder, dass sie unter Druck gesetzt wurden, zeugt von einem miserablen Verhandlungsklima. Das haben wir in Kigali sehr deutlich gehört. Auch da muss man der Kommission sagen: Bei Verhandlungen macht auch der Ton die Musik.

Jetzt darf nicht der nächste große Fehler gemacht werden. Wir brauchen eine Lösung für jene Nicht-LDC, die sich nicht in der Lage sehen, jetzt zu unterschreiben. Hier darf kein Einbruch der Handelsbeziehungen erfolgen. Wir brauchen ein Angebot für eine Übergangslösung für 2008!

 
  
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  Helmuth Markov, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar! Die Verhandlungsstrategie der Kommission war eine Katastrophe und vollkommen falsch. Sie war in der „Global Europe“-Strategie niedergelegt, wo festgeschrieben war, dass es ausschließlich um den Marktzugang für die großen, weltweit agierenden europäischen Unternehmen geht.

Ich habe mich immer gefragt, was denn so eine Herangehensweise mit Partnerschaftsabkommen zu tun hat. Partnerschaft bedeutet etwas anderes, Partnerschaft bedeutet Respekt vor dem Land, welches eine wirtschaftliche und sozialpolitische Entwicklung vornehmen muss. Partnerschaftsabkommen fordern Respekt davor, dass die Auszahlung von Entwicklungshilfe eben nicht an den Abschluss von WPA geknüpft werden darf. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen müssen die Entwicklung der schwächsten und schwachen Länder berücksichtigen. Kein Land darf, wenn es denn bis zum Abschluss nicht unterschreibt, schlechter dastehen als es jetzt dasteht. Das ist faire Partnerschaft, das ist solidarischer Umgang miteinander. Davon war die Kommission so etwas von meilenweit entfernt! Ich finde es gut, dass sie auf den Druck vieler jetzt anfängt, eine andere Strategie zu verfolgen. Wobei ich allerdings skeptisch bin, wenn ich mir ansehe, wie sie mit MERCOSUR, den ASEAN-Staaten und mit den Andenstaaten umgeht. Das ist immer noch die alte Denkweise.

Wir Europäer, wir sagen euch, wo es langgeht und entweder take it or leave it. Das hat, ich wiederhole es, nichts mit Partnerschaft zu tun. Ich war ziemlich sauer und entsetzt über das, was heute hier passiert ist, dass wir nicht die Beschlussfassung von Kigali, der alle Abgeordneten, die in Kigali waren, zugestimmt hatten, als Basis nehmen konnten. Das Parlament hätte dieser Delegation durch Zustimmung die Unterstützung geben müssen.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort)

 
  
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  Maria Martens (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Die WPA sind ein in Afrika – und in zunehmendem Maße auch in Europa – umstrittenes Thema, bei dem zu der Möglichkeit der Armutsbekämpfung in den AKP-Ländern durch nachhaltiges Wirtschaftswachstum grundverschiedene Ansichten vertreten werden. Rein finanzielle Hilfe hat offenkundig keinen nennenswerten Beitrag zur Verringerung der Armut geleistet. Diese Handelsabkommen können nach unserem Dafürhalten ein Fenster für einen möglichen Ausstieg aus einer langen Geschichte wenig effizienter Hilfe bieten. Der Anteil der AKP-Staaten am Welthandel ist zurückgegangen und beträgt heute weniger als 1 %, und die Millenniumsentwicklungsziele sind in Afrika nicht erreicht worden. Das muss sich ändern. Europa hat die moralische Pflicht zur Förderung des Wirtschaftswachstums in den AKP-Ländern und zur Intensivierung des Handels mit ihnen. Dazu müssen die WPA beitragen.

Herr Präsident, Handel und wirtschaftliche Integration bieten eindeutige Vorteile, insbesondere in einer globalisierten Welt. Wettbewerbsfähigkeit, ein gesundes Investitionsklima, Marktzugang und Verarbeitungsindustrien sind wesentliche Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum in den AKP-Staaten. Wir müssen flexibel und pragmatisch sein, jedoch innerhalb des WTO-Rahmens bleiben. Die Unterzeichnung der vollständigen Handelsabkommen wird nicht mehr bis zum 1. Januar 2008 erwartet. Einige Länder in Ost- und Südafrika haben jedoch Interimsabkommen geschlossen. Es handelt sich um Abkommen nur über Güter. Sie dürfen allerdings keinen Rückschritt für die regionale Entwicklung bedeuten. Die technische Unterstützung zur Stärkung dieser Länder muss zügig begonnen und schließlich ein vollständiges Abkommen, das beispielsweise auch Dienstleistungen umfasst, geschlossen werden.

 
  
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  Glenys Kinnock (PSE). – (EN) Herr Präsident! Meine Fraktion empfiehlt, wie andere bereits gesagt haben, dass das Parlament im Interesse der Glaubwürdigkeit und der Authentizität einen Standpunkt einnimmt, der dem entspricht, was in unserer Paritätischen Parlamentarischen Versammlung einstimmig vereinbart und in der Erklärung von Kigali zum Ausdruck gebracht wurde. Ich halte sie für ein gemäßigtes und ausgewogenes Dokument, das für langwierige und erfolgreiche Verhandlungen zwischen allen unseren Fraktionen, eingeschlossen natürlich die Fraktion von Herrn Sturdy, da er dies angesprochen hat, und mit den AKP-Ländern steht.

Ich habe noch nie einen solchen Druck erlebt, wie ihn die AKP-Länder in diesen Verhandlungen zu spüren bekamen, vor allem durch die drohende Gefahr, mit der APS-Zollregelung der EU deutliche Nachteile zu erleiden. Diese drohende Gefahr hat dazu geführt, dass sich neue Regionalgruppen gebildet haben, und es wird möglicherweise bilaterale Abkommen geben, zum Beispiel mit Côte d’Ivoire. Diese Untergruppen, von denen der Kommissar gesprochen hat, sollten wir nicht als großen Erfolg ansehen, sondern als etwas, das die regionale Integration gefährdet und gewaltige Spannungen zwischen den AKP-Ländern auslöst.

Mauritius, die Seychellen, Madagaskar und die Komoren haben ein subregionales WPA vereinbart; West- und Zentralafrika haben keine Angebote zum Marktzugang vorgelegt und müssen deshalb mit dem APS rechnen. Im SADC haben Südafrika und Namibia offenbar eine Grenze erreicht, die sie nicht überschreiten können, und werden jetzt aufgefordert, Meistbegünstigungsklauseln einzuführen, durch die sie verpflichtet wären, der EU jeden Marktzugang zu gewähren, den sie in der Zukunft eventuell anderen Ländern einräumen. Im Pazifikraum laufen die Verhandlungen natürlich auch nicht optimal, und es ist kaum anzunehmen, dass noch andere Länder außer Fidschi und Papua-Neuguinea unterzeichnen oder paraphieren werden.

Unnachgiebigkeit und mangelnde Flexibilität haben die AKP-Länder ganz klar verprellt, vor allem, wenn sie begreifen, dass die Kommission sie zu Abkommen drängt, die sie von anderen nicht verlangt hat, und die Kollegen des Ausschusses für internationalen Handel werden dies bestätigen. Sowohl technisch als auch politisch haben sich reine Warenabkommen als nicht möglich erwiesen, nicht einmal für die Karibik. Die Kapazitäten des karibischen Raums sind größer als die jeder anderen Region. Erst letzte Woche haben sie erklärt, das ihnen vorliegende Angebot sei für sie schlicht unvertretbar.

Die Kommission sollte doch jetzt besser etwas auf Abstand gehen, den Druck verringern und neu abwägen, wie sie sicherstellen kann, dass wir nicht das Unvorstellbare tun und die nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehörenden Staaten den Wölfen zum Fraß vorwerfen. Die Bereitschaft beider Seiten, in Treu und Glauben weiterzuverhandeln, sollte der WTO mitgeteilt werden, um eine Unterbrechung des Handels zu vermeiden, zu der es kommen würde, wenn bis zum Ablauf der Frist kein WPA unterzeichnet wäre.

Die EU muss die notwendigen Veränderungen an ihren Rechtsvorschriften vornehmen, damit die laufenden Handelsvereinbarungen weiterlaufen können. Danach könnten die EU und die AKP-Länder gemeinsam darauf hinarbeiten, dass es in der WTO keine Widerstände oder Beanstandungen gibt.

Als Mitglieder des Europäischen Parlaments können wir doch nicht einfach in unsere Wahlkreise – wo immer in Europa sie auch sind – zurückkehren und sagen, dass hilfsbedürftige AKP-Staaten auf diese Weise behandelt werden, wenn sich diese schon untereinander einig sind, dass sie zu Wirtschaftspartnerschaften aufgefordert werden, die sie als schädlich für ihre wirtschaftlichen Interessen ansehen.

 
  
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  Margie Sudre (PPE-DE).(FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte hier die tiefe Besorgnis widerspiegeln, die seit mehreren Monaten durch die Körperschaften in Übersee hinsichtlich dieser Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zum Ausdruck gebracht wurde.

Die WPA dürfen sich weder darauf beschränken, einfache Freihandelsabkommen innerhalb der WTO zu sein, noch dazu führen, die bereits sensiblen Wirtschaften unserer Überseekörperschaften in Schwierigkeiten zu bringen, sondern sie müssen eine echte Partnerschaft bilden, die es ermöglicht, einen neuen wirtschaftlichen und kommerziellen Rahmen herzustellen, der nützlich für die Entwicklung aller betroffenen Territorien ist. Aufgrund ihrer geografischen Lage in der Nähe zahlreicher AKP-Länder stehen die Körperschaften in Übersee im Zentrum dieser Präferenz- und Gegenseitigkeitsabkommen mit den AKP-Ländern.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass die europäischen Überseegebiete in Form der Regionen in äußerster Randlage und der ÜLG nur sechs Mitgliedstaaten der Union betreffen und dass die Herausforderungen dieser Territorien weitgehend unbekannt sind. Dennoch muss die anerkannte besondere Situation der Gebiete in äußerster Randlage unbedingt bei diesen Verhandlungen auf der Grundlage von Artikel 299 Absatz 2 des Vertrags klarer berücksichtigt werden. Darüber hinaus verdienen die ÜLG, die Nachbarregionen der AKP-Länder sind, ebenfalls eine besondere Aufmerksamkeit bei der Einhaltung der Assoziierungsabkommen, die sie gemäß demselben Artikel bereits an die Europäische Union binden.

Ich bitte Sie, den von mir eingebrachten Änderungsantrag zu unterstützen, der darauf gerichtet ist, ein kluges Gleichgewicht zwischen der regionalen Integration dieser Überseegebiete und den Bindungen, die sie zu Europa unterhalten herzustellen. Wenngleich die Diskussionen schwierig sind, besonders was den Schutz der lokalen Märkte und die Liste der sensiblen Produkte betrifft, bin ich guter Hoffung, dass die Kommission einen Kompromiss finden wird, der sowohl die speziellen Interessen der betroffenen Regionen in äußerster Randlage und der ÜLG als auch der AKP-Länder achtet.

 
  
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  Erika Mann (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kollegen! Ich glaube, dass es wichtig sein wird, die kommenden Wochen zu nutzen, um das Abkommen doch noch so auf den Weg zu bringen, dass alle Seiten damit zufrieden sein können. Es ist ein Abkommen von einem ungeheuren Ausmaß und mit einer enorm hohen symbolischen Ausstrahlkraft. Es geht hier nicht nur darum, ein Freihandelsabkommen für die Regionen und die Staaten Afrikas zu verhandeln und sie näher an den europäischen Raum zu binden, sondern es geht auch darum, dieses Abkommen so hinzubekommen, dass es eine Entwicklungsrunde bedeutet, dass es die Armut bekämpft und dass es auch tatsächlich zeigt, dass die Europäische Union in der Lage ist, ein Abkommen so zu verhandeln, dass die afrikanischen Staaten sich wohl fühlen und sich an die Europäische Union angebunden fühlen.

Dazu gibt es mehrere Punkte, die wichtig sind. Sie haben selber davon gesprochen und Sie haben einige erwähnt. Es muss so sein, dass die Regionalabkommen tatsächlich den Ländern helfen. Es muss so sein, dass die Nicht-LCD auch tatsächlich ein Abkommen bekommen und nicht ausgelassen werden. Und es muss sein, dass alle Staaten sich in die richtige Richtung entwickeln können. Das Abkommen in Form eines two-step-approach, das Sie vorgeschlagen haben, muss auch garantieren, dass niemand ausgelassen wird und dass es im Endeffekt tatsächlich ein Weg in die richtige Richtung ist, was heute noch nicht garantiert ist.

Lieber Kollege Markov, die Möglichkeit, die wir dadurch haben, dass wir die Entschließung morgen nicht verabschieden, sollten wir nutzen, um in diesem Haus zusammenzufinden. Wir haben genug Gemeinsamkeiten, damit das auch gelingt.

 
  
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  Ján Figeľ, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich danke allen, die zu dieser interessanten Debatte beigetragen haben. Ich bin sicher, dass es sich hier um einen fortlaufenden Prozess handelt. Ich bin ja nicht direkt oder persönlich beteiligt, aber für ein Abkommen braucht man guten Willen auf beiden Seiten und die Zustimmung vieler Partner.

Wie ich in meinen einführenden Worten gesagt habe, arbeiten wir pragmatisch und flexibel. Wer bereit bzw. willens ist, dem gleichen Ansatz zu folgen, tut dies nicht zum Nachteil der anderen, sondern für die schrittweise Verwirklichung dessen, was für alle Regionen und für den internationalen Handel insgesamt wichtig ist.

Es gab einige Fragen bzw. Kritik am Ton der Verhandlungen. Ich versichere Ihnen, dass hier ein Geist der Partnerschaft herrscht. Wir berücksichtigen – in diesem Geiste der Partnerschaft – die Entwicklungsziele und die Zwänge für unsere Partner.

Einige Fragen betrafen die auf den Warenhandel beschränkten Abkommen. Die Interims-Abkommen führen zu umfassenden WPA, und diese fördern die Entwicklung der AKP-Länder und die regionale Integration. Wir verlieren also den Gesamtzusammenhang und die allgemeinen Bedürfnisse unserer Partnerländer und –regionen nicht aus dem Auge.

Ich will nicht viel von dem wiederholen, was ich eingangs gesagt habe, aber der Prozess geht weiter. Manchmal entsteht durch eine Frist Druck, in den letzten Tagen oder Wochen eine Lösung zu finden, und wir machen echte Fortschritte. Ich habe viele Namen und Länder genannt, mit denen wir in letzter Zeit Interims-Abkommen paraphiert haben, und damit werden wir fortfahren, aber unser eigentliches Interesse liegt darin, Lösungen zu finden.

Die Prozesse werden weitergehen, denn sie umfassen in dieser Situation mehr als eine Stufe. Wie gesagt, ab 1. Januar werden wir uns weiter mit solchen Themen wie Dienstleistungen, Investitionen und anderen handelsbezogenen Bereichen beschäftigen.

Ich denke, dass der Rat Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen nächste Woche den Vorschlag für eine Verordnung der Gemeinschaft über die Marktzugangsregelung, die den AKP-Ländern angeboten wurde, befürworten wird. Wie ich schon sagte, ist dies das bisher beste Angebot für ein bilaterales Abkommen. Wir sind nicht nur offen, sondern auch sehr konstruktiv. Die von der Kommission vorgeschlagene Strategie, die ich versucht habe zu beschreiben, wurde vom Rat – von allen 27 Ländern – ohne Einschränkung bestätigt, und in diesem Geist der Partnerschaft und auf diese konstruktive Weise werden wir fortfahren.

Das eigentliche Ziel ist ein vollständiges Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Es wird als Katalysator für die regionale Integration wirken. Sobald die Abkommen, die einen ersten Schritt darstellen, geschlossen sind, werden wir weiter auf dieses Ziel hinarbeiten. Niemand wird in diesem Prozess übergangen oder vergessen. Wir denken nicht nur an die am wenigsten entwickelten Länder, sondern unterstützen sie auch ganz aktiv.

Das ist alles, was ich fürs Erste in Beantwortung Ihrer Fragen bzw. als Bestätigung sagen kann, aber ich bin sicher, dass dieses Hohe Haus in den kommenden Wochen und Monaten auf diese Problematik zurückkommen wird, denn hier geht es ja auch um die zeitliche Planung unserer Abkommen.

 
  
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  Präsident. − Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung vier Entschließungsanträge(1) eingereicht.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am 12. Dezember 2007 statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Gay Mitchell (PPE-DE), schriftlich. (EN) Wir haben eine kritische Phase für die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) erreicht. Ein WTO-konformes Abkommen ist für die AKP-Staaten, die nicht zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, unabdingbar.

Bedauerlicherweise sind die Beziehungen zwischen beiden Seiten nicht immer von Vertrauen geprägt. Kein Land sollte sich zum Abschluss eines Abkommens gedrängt fühlen. Die Kommission hätte mehr tun sollen, um die Verhandlungen integrativer zu gestalten.

Die EU ist für die meisten AKP-Länder der wichtigste Handelspartner.

Die EU hat 2004 aus den AKP-Ländern Waren im Gesamtwert von 28 Milliarden Euro importiert. Das ist doppelt so viel wie der Betrag, der von 2000 bis 2007 über den 9. EEF als Entwicklungshilfe für die AKP-Region zur Verfügung gestellt wurde.

Handel, nicht Hilfe, ist der Schlüssel zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum und Entwicklung. Niemand kann bestreiten, dass viele AKP-Länder mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, aber wenn die WPA korrekt gestaltet sind, sollten sie als Chance für die AKP-Länder betrachtet werden.

Die Europäische Union sollte die Entwicklungsagenda, die mit jedem WPA einhergehen muss, ohne Wenn und Aber unterstützen.

Interims-Abkommen sollten geschlossen werden, um sicherzustellen, dass es beim Handel nicht zu Unterbrechungen kommt und dass der Lebensunterhalt von Millionen Menschen nicht gefährdet wird.

 
  

(1) Siehe Protokoll.


18. Änderung der Richtlinie 2004/49/EG über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft – Interoperabilität des Eisenbahnsystems der Gemeinschaft (Neufassung) – Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004 zur Errichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur (Aussprache)
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  Präsident. – Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über:

- den Bericht von Paolo Costa im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/49/EG über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft (KOM(2006)0784

– C6-0493/2006 – 2006/0272(COD)

(A6-0346/2007),

- den Bericht von Josu Ortuondo Larrea im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems der Gemeinschaft (Neufassung) (KOM(2006)0783

– C6-0474/2006 – 2006/0273(COD)

) (A6-0345/2007) und

- den Bericht von Paolo Costa im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004 zur Errichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur (KOM(2006)0785

– C6-0473/2006 – 2006/0274(COD)

) (A6-0350/2007).

 
  
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  Jacques Barrot, Kommissionsmitglied. (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten! Nach der Verabschiedung der beiden ersten Eisenbahnpakete im Jahr 2001 und 2004 und vor der Annahme des dritten Pakets hat die Kommission am 13. Dezember 2006 eine neue Serie von legislativen Maßnahmen zur länderübergreifenden Anerkennung der Schienenfahrzeuge und insbesondere der Triebfahrzeuge vorgeschlagen. Diese Maßnahmen sollen die Wiederbelebung des Eisenbahnsektors unterstützen und Hindernisse für den Zugverkehr im europäischen Eisenbahnnetz aus dem Weg räumen.

Die Kommission hat diese Initiative überwiegend aus zwei Gründen ausgelöst: einerseits den freien Zugverkehr innerhalb der Union zu fördern, indem das Verfahren des Einsatzes der Triebfahrzeuge transparenter und effizienter gestaltet wird, andererseits das Regelungsumfeld zu vereinfachen, indem die drei Richtlinien über die Interoperabilität im Eisenbahnverkehr konsolidiert und zu einer einzigen Richtlinie zusammengeführt werden.

Insgesamt umfasst das Paket eine Mitteilung, drei Legislativvorschläge und ihre Folgenabschätzung: eine Mitteilung, die die derzeitigen Schwierigkeiten auflistet und Lösungen vorschlägt um die Zertifizierung der Schienenfahrzeuge zu erleichtern, einen Vorschlag für die Neufassung der bestehenden Richtlinien zur Interoperabilität im Eisenbahnverkehr, eine Änderung der Richtlinie über die Sicherheit im Eisenbahnverkehr, einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die Einsetzung einer Europäischen Eisenbahnagentur und schließlich einen Bericht über die Folgenabschätzung.

Wovon ließ man sich bei all diesen Texten leiten? Ein Hauptaspekt bestand darin, den freien Zugverkehr zu erleichtern, und dies betrifft das Verfahren zur Zulassung von Triebfahrzeugen. Nach Einschätzung der Hersteller und der Eisenbahnunternehmen ist dieses Zulassungsverfahren sehr langwierig und kostenaufwändig; einige Anforderungen seitens der zuständigen Behörden scheinen aus rein technischer Sicht kaum gerechtfertigt zu sein.

Die Kommission teilt diese Analyse und will das Problem lösen, indem sie einerseits eine Änderung des Rechtsrahmens vorsieht und andererseits die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten auffordert, bereits jetzt ihr Verhalten zu ändern. Da liegt die Bedeutung der Mitteilung, die die Legislativvorschläge begleitet und die sofort anwendbare Lösungen vorschlägt, ohne die Änderung des Rechtsrahmens abzuwarten. Diese Mitteilung ist im Übrigen nicht wirkungslos geblieben. Bereits im Mai wurde ein Kooperationsabkommen für den Korridor Rotterdam-Genua unterzeichnet. Dieses Abkommen folgt buchstäblich den in unserer Mitteilung vorgeschlagenen Konzepten.

Zu nennen ist weiterhin der Vorschlag zur Neufassung der Richtlinien über Interoperabilität und Sicherheit. Die Kommission verfolgte mit diesen beiden Vorschlägen zwei Ziele. Erstens die Vereinfachung des Zulassungsverfahrens für Schienenfahrzeuge. Hierfür haben wir das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der bereits durch einen Mitgliedstaat ausgestellten Betriebsgenehmigungen eingeführt. Nach diesem Prinzip bedürfen Schienenfahrzeuge, für die bereits eine Betriebsgenehmigung in einem Mitgliedstaat vorliegt, nur dann einer zusätzlichen Zertifizierung in einem anderen Mitgliedstaat, wenn zusätzliche nationale Anforderungen zu erfüllen sind, die sich beispielsweise aus der Beschaffenheit des lokalen Netzes ergeben.

Zweitens haben wir um der Eindeutigkeit willen die Richtlinie von 1996 über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitssystems und die Richtlinie von 2001 über die Interoperabilität des konventionellen Eisenbahnsystems zu einem einzigen Text zusammengefasst. Bei dieser Gelegenheit wurde für bestimmte Zuständigkeiten, die durch den Rat und das Europäische Parlament der Kommission übertragen wurden, das neue Regelungsverfahren mit Kontrolle eingeführt.

Die Änderung der Interoperabilitätsrichtlinie und der Sicherheitsrichtlinie bot uns Gelegenheit zu zwei weiteren Schritten. Einerseits haben wir aufgrund der in zehnjähriger Arbeit nicht nur der Kommission, sondern auch der Mitgliedstaaten im Rahmen der Komitologie, der Industrie und des Sektors sowie seit 2005 der Eisenbahnagentur erworbenen Erfahrungen in der neuen Interoperabilitätsrichtlinie einige Änderungen an technischen Punkten vorgenommen.

Andererseits wollten wir einigen Akteuren entgegenkommen, indem wir in der Sicherheitsrichtlinie die Beziehungen zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Wartungsdienst klarstellen. Mit dieser Bestimmung sollte der neue Regelungsrahmen umgesetzt werden, der sich aus den Gemeinschaftsrichtlinien für Marktöffnung und dem auf internationaler Ebene durch das COTIF-Übereinkommen eingeführten neuen Allgemeinen Vertrag für die Verwendung von Güterwagen (AVV) ergibt.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu dem Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die Gründung einer Europäischen Eisenbahnagentur sagen. Es handelt sich um die Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Eisenbahnagentur, damit diese die verschiedenen nationalen Verfahren und die geltenden technischen Regeln für die Zulassung von Triebfahrzeugen zusammenfassen und die Liste der Forderungen aufstellen und später erweitern kann, die einmalig überprüft werden müssen, sei es weil es sich um international anerkannte Regeln handelt oder weil sie als gleichwertig zwischen den Mitgliedstaaten angesehen werden können. Diese Arbeit soll in Kooperation mit den nationalen Sicherheitsbehörden unter Aufsicht der Agentur durchgeführt werden. Der Agentur soll es obliegen, im Auftrag der nationalen Sicherheitsbehörden oder der Kommission technische Gutachten zu erstellen.

Schließlich haben wir anlässlich dieser Änderungen einige andere Punkte der Verordnung auf der Grundlage der gemachten Erfahrungen präzisiert, insbesondere im Rahmen der Einrichtung des Systems ERTMS (European Rail Traffic Management System) und der Fahrzeugregister.

Ich entschuldige mich für diese etwas sehr technischen Ausführungen, Herr Präsident, und möchte sagen, dass das erste und das zweite Eisenbahnpaket und bald auch das dritte den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen für das gute Funktionieren der Eisenbahndienste innerhalb des Binnenmarktes liefern. Das Werk soll nun vollendet werden, indem die nationalen Märkte auch in technischer Hinsicht geöffnet werden. Das ist das Ziel dieser Vorschläge, auf die der Eisenbahnsektor so lange gewartet hat. Ich danke dem Parlament für seine zügige und gute Arbeit an diesen Texten.

 
  
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  Paolo Costa, Berichterstatter. (IT) Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission, meine Damen und Herren! Auch wenn wir gezwungen sind, eine „technische Aussprache“ zu führen, wie der Vizepräsident der Kommission es nannte, machen wir heute einen großen politischen Schritt nach vorn.

Seit dem Entwurf des ersten Vertrages Ende der 1950er Jahre hatte europäische Verkehrspolitik immer drei Ziele: die Schaffung eines Binnenmarktes, die Verbindung bisher getrennter Verkehrsnetze – um eben einen Binnenmarkt für Verkehrsmittel zu schaffen – und Sicherung der Interoperabilität von Verkehrsnetzen bereits in der Bauphase. Interoperabilität ist somit keine Angelegenheit der Technik, sondern wirklich eine Voraussetzung für die Schaffung europaweiter Märkte, die absolut notwendig und erklärtes Ziel des Vertrags sind.

In fast allen Bereichen wurden große Fortschritte erzielt, der Eisenbahnsektor hinkt jedoch ein wenig hinterher. Wir haben heute immer noch dieselben Zielsetzungen wie in den 60er Jahren. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, und dies ist nicht der rechte Zeitpunkt, um sie zu analysieren; dennoch muss man sich diese Tatsache bewusst machen, damit uns noch klarer wird, dass wir einen großen Schritt unternehmen und dass es darauf ankommt, diesen erfolgreich zu bewältigen.

Interoperabilität ist also eine Grundvoraussetzung dafür, Schienennetze zu bauen und zu nutzen, die frei sind von technischen Hindernissen, die die volle Bewegungsfreiheit von Lokomotiven und Wagen hemmen. Damit handelt es sich um einen fundamentalen Schritt, der unabdingbar war und so schnell wie möglich in die Tat umgesetzt werden muss.

Die Kommission hatte Recht damit, die Unterscheidung zwischen Interoperabilität von Hochgeschwindigkeitssystemen und von konventionellen Bahnsystemen zu beenden und folglich die Sache so weit wie möglich in dieser Richtung voranzutreiben.

Ebenso richtig war es, zur gleichen Zeit das Problem der Sicherheit zu thematisieren, da Sicherheit manchmal – und hier muss ich sehr vorsichtig sein – als Begründung dafür angeführt wird, Bedingungen an die Interoperabilität zu knüpfen. Kann denn ein Lokführer veranlasst werden, eine Grenze zu überfahren, wenn er die Sprache des betreffenden Landes nicht versteht? Kann denn eine Lokomotive eine Grenze überfahren, wenn sie möglicherweise nicht 100-prozentig zu dem Bahnnetz jenseits der Grenze passt? Ich könnte noch mehr Beispiele nennen.

Die Kommission hat also gut daran getan, die beiden Elemente miteinander zu verknüpfen. Wir müssen absolute Sicherheit garantieren, aber innerhalb der Grenzen eines Systems, das interoperabel ist, denn wenn Sicherheit ins Feld geführt wird, um Interoperabilität zu verhindern, dann ist an der ganzen Sache etwas faul. Allein die Tatsache, dass man beschlossen hat, eine Europäische Eisenbahnagentur zu errichten, die sich mit diesen und anderen Themen befassen soll, ist zweifellos ein Hinweis darauf, dass wir die Dinge ernst nehmen.

Was hat das Parlament gemacht? Das Parlament hat den Vorschlägen der Kommission weitestgehend zugestimmt und einige zusätzliche Empfehlungen gegeben, die die Interoperabilität des Systems steigern sollen. In dem Interoperabilitätsbericht äußert das Parlament die Absicht, Fristen für die Erteilung von Genehmigungen für vorhandene Schienenfahrzeuge zu setzen. Es tritt gleichermaßen dafür ein, dass die Beweislast in Angelegenheiten der Interoperabilität – auch wenn es um Sicherheitsfragen geht – bei den Mitgliedstaaten liegen sollte. Mit anderen Worten, man geht zunächst davon aus, dass nach entsprechender Bescheinigung alles überall eingesetzt werden kann, solange niemand einen triftigen Grund dafür nennt, warum das nicht möglich sein sollte. Drittens regt das Parlament an, dass die Nachrüstung aller bereits in Betrieb befindlicher Schienenfahrzeuge mit staatlichen Beihilfen unterstützt werden sollte. Das scheinen mir momentan die Anliegen dieses Hauses zu sein.

Das Gleiche gilt für die Sicherheit. Auch hier haben wir eine verpflichtende Zertifizierung innerhalb einer bestimmten Frist vorgeschlagen, nämlich bis 2010. Dadurch sollen die Ängste auf allen Seiten zerstreut werden, und zwar ohne Ausnahme, weil dann jeder mehr oder weniger gleich behandelt wird, anstatt weiterhin die noch immer vorhandenen Monopole im Bahndienst als automatisch besonders kompetent zu betrachten und sie darum von diesen Verpflichtungen auszunehmen.

Der dritte Punkt betrifft die Notwendigkeit, die Agentur handlungsfähig zu machen. Zu diesem Thema beschäftigt mich eine grundsätzliche Frage, die ich an jeden richten möchte, insbesondere an die Kommission: Völlig zu Recht hielten wir es für angebracht, das Thema Sicherheit separat zu betrachten, indem wir 25 Europäische Agenturen gründeten. Das war eine wichtige Entscheidung, die vor einiger Zeit getroffen wurde. Nun, da diese Agenturen noch nicht in Betrieb sind, frage ich mich, ob es nicht sinnvoll wäre, darüber nachzudenken, nur eine Europäische Agentur einzurichten, die dann über 25 Niederlassungen in den verschiedenen Ländern agieren würde. Dies ist ein grundsätzliches Thema, das uns gestatten würde, die auftretenden Interoperabilitäts- und Sicherheitsprobleme auf EU-Ebene positiv zu lösen.

 
  
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  Josu Ortuondo Larrea, Berichterstatter. (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Infolge der Globalisierung hängen unsere Wirtschaft, der Fortschritt der Gemeinschaft und der Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger heute mehr denn je von einem effektiven, effizienten, wirtschaftlichen und vor allem nachhaltigen Verkehrssystem ab.

Es werden alle Verkehrsträger benötigt. Die Eisenbahn erfreute sich nach ihrer Einführung ruhmreicher Zeiten, wurde dann aber wegen ihrer größeren Flexibilität, Individualität und Zugänglichkeit durch Fahrzeuge verdrängt, die auf den Straßen und Autobahnen verkehrten. Nun, da unsere Straßen vor der Gefahr des Kollapses stehen und sich unsere Umwelt durch die Verschmutzung in einem kritischen Zustand befindet, richten wir den Blick erneut auf die Eisenbahn als Hoffnungsträger der Zukunft, um unseren Erfordernissen einer innerstaatlichen Mobilität Rechnung zu tragen.

Angesichts dieser Tatsache hat die Kommission ein neues Gesetzespaket vorgeschlagen, um den technischen Teil des ordnungspolitischen Rahmens im Bereich Eisenbahnen zu verbessern. Dazu gehört die Revision der Richtlinien über die Interoperabilität und Sicherheit sowie die Verordnung über die Europäische Eisenbahnagentur. Es ist Jahre her, seit die europäischen Institutionen die generelle Notwendigkeit einer Konsolidierung der Eisenbahnen auf Gemeinschaftsebene zum ersten Mal in Erwägung gezogen haben. Allein was die Interoperabilität betrifft, weiß jeder, dass wir im Juli 1996, also vor elf Jahren, die Richtlinie des Rates 96/48/EG über das transeuropäische Hochgeschwindigkeitsbahnsystem und im März 2001 die Richtlinie über das konventionelle transeuropäische Eisenbahnsystem angenommen haben.

Doch mehr als ein Jahrzehnt lang ging das Niveau der Interoperabilität der europäischen Netze nicht über 7 % hinaus. Dabei ist gegenwärtig die Forderung der Zulassung von Lokomotiven und Triebzügen in jedem zum Einsatz vorgesehenen Mitgliedstaat eines der Haupthindernisse für die Neugründung von Eisenbahnunternehmen für den Güter- und Personenverkehr und auch das größte Hemmnis für die Interoperabilität des europäischen Eisenbahnsystems. Da die Mitgliedstaaten nicht selbst entscheiden können, dass die Genehmigungen für die Inbetriebnahme auch auf dem Territorium der anderen Mitgliedstaaten Gültigkeit besitzen, ist eine Gemeinschaftsinitiative zur Vereinfachung und Harmonisierung der nationalen Verfahren und zur Förderung einer systematischeren Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung erforderlich.

Die bestehenden Richtlinien regeln lediglich die Inbetriebnahme neuer Schienenfahrzeuge. Die neue Richtlinie soll die geltenden Richtlinien konsolidieren, umgestalten und zusammenfassen. Auf der Grundlage kurzer technischer Berichte, die wir entsprechend der Verfahrensordnung des Parlaments angefordert haben, schlugen wir unsererseits vor, den Inhalt des alten Artikels 14 der Sicherheitsrichtlinie auf unsere Richtlinie über die Interoperabilität zu übertragen. Damit soll konkret dem Eisenbahnsektor eine größere Rechtssicherheit gegeben und die Vereinfachung der Inbetriebnahmegenehmigung ermöglicht werden.

Wir stimmen der Bedingung zu, dass zumindest eine Genehmigung eines Mitgliedstaats für jedes Fahrzeug vorliegen muss. Diese Genehmigung basiert auf der Einhaltung der EG-Prüferklärung und der entsprechenden Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität. Die Mitgliedstaaten gehen davon aus, dass strukturelle Teilsysteme den einschlägigen grundlegenden Anforderungen entsprechen, wenn für sie eine Inbetriebnahmegenehmigung eines beliebigen anderen Mitgliedstaats vorliegt, außer in Fällen, die mit der Kompatibilität mit Infrastrukturmerkmalen, die ausschließlich den jeweiligen Mitgliedstaat betreffen, in Verbindung stehen.

In unserem Bericht wollten wir die verschiedenen Aspekte und Absätze der Richtlinie für die Betroffenen in einer leichter verständlichen Form strukturieren und ein spezielles Kapitel den Anforderungen an die Inbetriebnahme von Fahrzeugen widmen, je nach dem, ob es um die erste und zweite Genehmigung oder um Fahrzeuge geht, die alle TSI (Technische Spezifikationen für die Interoperabilität) oder nur einen Teil davon erfüllen.

Zu allen genannten Aspekten und während des gesamten Verfahrens standen wir in regelmäßigem Kontakt mit den Schattenberichterstattern der verschiedenen Fraktionen, der Kommission und auch dem Ratsvorsitz. Schließlich konnten wir zu einer Einigung kommen, nachdem wir einen wichtigen Punkt gelöst hatten, nämlich die Höchstfristen für die Entscheidung über eine Genehmigung, womit dem allseits bekannten und lähmenden Schweigen der Verwaltung mangels Entscheidung ein Ende gesetzt wird.

Nach großem Kraftaufwand haben wir vereinbart, dass die Genehmigung automatisch als erteilt gilt, wenn keine Entscheidung vorliegt. Auch bei den übrigen Artikeln kamen wir zu einer Verständigung. Im Namen dieses Parlaments haben wir daher einen gemeinsamen Änderungsantrag eingereicht, unterzeichnet von allen Fraktionen, der den gleichen Wortlaut enthält, der auch dem Rat Verkehr unterbreitet wird. Ich hoffe, dass die Tatsache, eine Vereinbarung in erster Lesung erzielt zu haben, für den gesamten Sektor von Nutzen sein wird.

Abschließend möchte ich allen Schattenberichterstattern für ihre Hilfe und Zusammenarbeit bei der Erreichung dieses Ziels danken.

 
  
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  Georg Jarzembowski, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident der Kommission, liebe Freunde! Ich möchte mich für meine Fraktion bei den beiden Berichterstattern für die gute, konstruktive Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken. Ich finde, wir haben uns immer sachlich gut abgestimmt, wir konnten uns schnell einigen, und ich muss den beiden Berichterstattern auch dazu gratulieren, dass es ihnen gelungen ist, sich mit dem Rat schnell zu einigen. Denn was hätte uns ein langer Streit mit dem Rat geholfen? Wir hätten ein ganzes Jahr verlieren können! Nein. Ich glaube, so wie wir trotz allem in einer Lesung in der Sache vorangekommen sind, ist das ein großer Erfolg für das Parlament, die Kommission und den Rat.

Ich möchte nur auf zwei, drei Punkte eingehen. Ich hoffe, Herr Kommissar, Sie geben das an die Europäische Eisenbahnagentur weiter. Wir übergeben der Europäischen Eisenbahnagentur größere Zuständigkeit bei der Schaffung von Sicherheitsstandards und bei der Schaffung der Interoperabilitätskriterien. Ich hoffe, dass die Europäische Eisenbahnagentur diese Chancen zum Vorteil unserer Industrie nutzen wird, dass sie schnell neue Standards schafft, dass sie effizient und praxisnah ist. Nebenbei bemerkt hoffe ich auch – und da komme ich auf den Kollegen Paolo Costa zurück, falls er zuhören könnte, aber Telefonate sind immer wichtiger –, dass je mehr Aufgaben die Europäische Eisenbahnagentur übernimmt, die nationalen Eisenbahnagenturen sich umso weniger dazwischen mischen, und dass ihre Bürokratie abgebaut wird. Wenn die europäische Bürokratie funktioniert, brauchen wir weniger als 25 nationale Bürokratien. Wir wollen auch der europäischen Eisenbahnindustrie Doppelarbeit und Doppelbeantragung ersparen.

Letzte Bemerkung: Es ist ganz wichtig, Herr Kommissar und die beiden Berichterstatter, dass wir uns darauf geeinigt haben. Wenn die Mitgliedstaaten bei der gegenseitigen Anerkennung ihre Fristen zur Entscheidung versäumen, dann gilt ihre Genehmigung als erteilt. Nur mit dieser Genehmigungsfunktion können wir Druck ausüben, dass die nationalen Behörden nicht immer wieder verschieben.

Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass wir durch die gegenseitige Zulassung von Lokomotiven und rollendem Material Kosten sparen, die Verfügbarkeit erhöhen und damit insbesondere dem europäischen Frachtverkehr einen zusätzlichen Schub geben.

 
  
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  Inés Ayala Sender, im Namen der PSE-Fraktion.(ES) Herr Präsident, Herr Vizepräsident Barrot! Ich muss gestehen, dass ich heute hin- und hergerissen bin, denn mein Ministerpräsident, Herr Zapatero, der vor diesem Haus gesprochen hat, nimmt jetzt an einem Empfang im Rat teil. Doch ich habe beschlossen, hier zu bleiben und Ihnen zuzuhören und so hoffentlich die Europäisierung des Eisenbahnverkehrs bis zu einem gewissen Grad zu stärken.

Ich freue mich aufrichtig über die Gelegenheit, die die Europäische Kommission dem europäischen Volk gegeben hat, nämlich durch ein Verfahren, das wirklich eine bessere Gesetzgebung bedeutet, und durch die Umgestaltung einer Reihe alter Richtlinien einen einheitlichen Text zu erarbeiten und grundlegende Fortschritte zugunsten der Eisenbahnen zu erreichen.

In diesem Zusammenhang beglückwünsche ich Herrn Ortuondo nochmals zu seinem Engagement und seiner fast übertriebenen Hartnäckigkeit bei der Erarbeitung eines solch guten Gesetzestextes. Ich muss zugeben, dass ich mich ebenfalls über die ausgezeichnete Zusammenarbeit freue, die hier zwischen allen Fraktionen bestanden hat, um in einer so wichtigen Frage wie der Interoperabilität voranzukommen.

Weiterhin muss ich sagen, dass das bestmögliche Gleichgewicht zwischen der Sicherheit und der Notwendigkeit, die Interoperabilität unverzagt zu entwickeln, erreicht worden ist. Die Sicherheit ist mit den beiden ebenfalls sehr engagierten Berichten von Herrn Costa vollkommen gewährleistet.

Die Agentur ist verbessert und gestärkt worden, ihre Aufgaben und Bedürfnisse wurden besser definiert, und wir hoffen, sie in Zukunft harmonischer entwickeln zu können. Die europäischen Bürger brauchen also nicht zu bangen, denn die Sicherheit der Eisenbahnen wurde europäisiert und somit ausgebaut.

Die Arbeit zur Interoperabilität musste dringend vollendet werden, denn wir müssen zuerst den Eisenbahnverkehr europäisieren und dann die Ko-Modalität und Logistik verbessern, wobei zu berücksichtigen ist, dass wir jetzt einen neuen Text über spezielle Trassen haben, der die Interoperabilität noch notwendiger macht.

Wie Herr Costa sagte, mussten wir die Ambitionen des Gesetzgebers, das heißt, des Parlaments und des Rates, weiter realisieren, um den ununterbrochenen Zuglauf zu ermöglichen. Meiner Ansicht nach ist es uns gelungen, die Bedingungen zu schaffen, um die allgegenwärtige Rechtsunsicherheit zu minimieren, wegen der alle Fragen der gegenseitigen Anerkennung der Genehmigungen für die Fahrzeuge und Lokomotiven ständig auf Barrieren und Hindernisse stießen.

Ich glaube, wir haben auch deutlich gemacht, wer, wie und wann sie anerkannt werden müssen. Wir haben durch den erreichten Fortschritt im Hinblick auf das Schweigen der Verwaltung sogar einen kleinen Anstoß gegeben …

(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)

 
  
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  Nathalie Griesbeck, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte mag in der Tat unseren Mitbürgern sehr technisch erscheinen. Sie ist dies wirklich, und dennoch stellen die Harmonisierung der Sicherheitsregeln und die Interoperabilität der Schienenfahrzeuge im Grunde ein wesentliches Anliegen unserer europäischen Mitbürger in ihrem Alltagsleben dar. Ich denke beispielsweise an den schrecklichen Unfall vor einigen Monaten in Zoufftgen zwischen Luxemburg und Frankreich, der uns alle sehr getroffen hat.

Wenn wir uns den Herausforderungen, vor allem auf dem Gebiet des Klimawandels, stellen wollen, wenn wir die Treibhausgasemissionen senken und den modalen Transfer fördern, das heißt den Güterverkehr auf der Straße zugunsten anderer, weniger umweltschädlicher Verkehrsträger verringern wollen, so müssen wir einige der derzeit bestehenden technischen Barrieren abbauen.

Voraussetzung für die Schaffung eines echten europäischen Schienenraums ist entweder die begriffliche Harmonisierung der TSI oder eine gegenseitige Anerkennung der Standards. Gegenwärtig erweisen sich die Verfahren der nationalen Zulassung der Schienenfahrzeuge als zu langwierig und zu kostspielig. Wir müssen die administrativen Verfahren erleichtern, die Fristen verkürzen und alles tun, um auch die nationalen Sicherheitsregeln zu harmonisieren, die zuweilen ungerechtfertigt zu sehr ernsten Verkehrseinschränkungen führen.

Ich möchte natürlich unseren Berichterstattern Paolo Costa und Josu Ortuondo Larrea sehr herzlich für ihre mit Bravour geleistete Arbeit danken, zumal dies insgesamt all unsere Fraktionen zufrieden zu stellen scheint, und wir gehen, wie ich hoffe, auf eine Einigung mit dem Rat in erster Lesung zu.

Gestatten Sie noch drei kurze Bemerkungen. Erstens freue ich mich, dass es uns gelungen ist, wie alle meine Kolleginnen und Kollegen festgestellt haben, mehr Transparenz herzustellen. Die Zulassungsbestimmungen werden in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst werden, der Richtlinie über die Interoperabilität, sowohl was das transeuropäische Hochgeschwindigkeitssystem als auch was das konventionelle System betrifft.

Meine zweite Bemerkung: Ich freue mich natürlich auch, dass einige Prinzipien, die a priori sehr technisch klingen, aber sehr wichtig für unser Thema sind, angenommen werden konnten, was insbesondere die Zulassung, die gegenseitige Anerkennung der Fahrzeuge, außer im Falle von Anforderungen aufgrund spezifischer Merkmale des lokalen Netze, die Verpflichtung für die nationale Behörde, das reale Risiko hinsichtlich der Sicherheit nachzuweisen und die Rolle der Agentur für die Erfassung und Klassifizierung der nationalen Regeln hinsichtlich der Klarstellung betrifft. Ich halte es im Übrigen für wichtig, dass in diesem Punkt die Agentur sich auf die Expertise der Netzbetreiber stützen kann.

Schließlich freue ich mich auch über das Prinzip der impliziten Zulassung, sofern innerhalb der Dreimonatsfrist für das Eintreten der Haftpflicht des Wagenhalters keine Entscheidung einer nationalen Behörde vorliegt. Hierzu möchte ich allerdings einen eindeutigen Vorbehalt äußern, weil ich fürchte, dass damit das Eisenbahnunternehmen aus der Verantwortung entlassen würde.

 
  
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  Bogusław Rogalski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Bei der Änderung der Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft müssen unbedingt Bestrebungen berücksichtigt werden, die auf die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Eisenbahnverkehrsleistungen abzielen. Aus diesem Grund muss ein gemeinsamer Rahmen für die Regulierung der Eisenbahnsicherheit aufgestellt werden.

Die Kommission sollte berechtigt sein, gemeinsame Sicherheitsmaßnahmen und gemeinsame Sicherheitsziele anzugleichen und zu verabschieden. Außerdem sollte sie befugt sein, ein einheitliches Zertifizierungssystem einzuführen. Zu diesem Zweck sollten zunächst bestehende Anforderungen sowie geltende Sicherheitsbedingungen in den Mitgliedstaaten geprüft werden, um festzustellen, ob das gegenwärtige Sicherheitsniveau des Eisenbahnsystems in einem Mitgliedstaat unterlaufen wird. Darüber hinaus sollten Schwerpunktbereiche identifiziert werden, in denen die Sicherheit weiter erhöht werden muss. Mit einer Sicherheitsbescheinigung sollte garantiert werden, dass das jeweilige Eisenbahnunternehmen über ein Sicherheitsmanagementsystem für die Erbringung von Beförderungsdienstleistungen im europäischen Netz verfügt.

Für Fahrzeuge, die in einem bestimmten Mitgliedstaat in Betrieb genommen werden dürfen, muss diese Genehmigung auch in anderen Mitgliedstaaten gelten, wenn dort eine solche Genehmigung erforderlich ist. Die fragliche Richtlinie sieht vor, dass bei der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eine Rechtsperson benannt wird, die für die Instandhaltung des Fahrzeugs verantwortlich ist. Das ist von großer Wichtigkeit. Bei der betreffenden Rechtsperson könnte es sich um ein Eisenbahnunternehmen, einen Auftragnehmer oder den Eigentümer der Fahrzeuge handeln. Diese Maßnahme entspricht den Erwartungen des Dienstleistungsmarktes.

Durch die uns vorliegende Initiative wird sichergestellt, dass der Schienenverkehr wettbewerbsfähiger wird und Arbeitsplätze in der Branche gesichert werden. Änderungen der Richtlinie sind sehnlich erwartet worden, vor allem in den neuen Mitgliedsländern. Daher gratuliere ich dem Berichterstatter.

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  
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  Michael Cramer, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Vizepräsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesen drei Berichten wird das Zusammenwachsen des europäischen Eisenbahnnetzes gewaltig voranschreiten. Die Sicherheitsstandards werden vereinheitlicht und in Zukunft von der Europäischen Eisenbahnagentur überwacht. Die überfällige gegenseitige Anerkennung von Schienenfahrzeugen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten wird gesichert. Weil das der Fall ist, möchte ich mich recht herzlich bei den beiden Berichterstattern und bei den Schattenberichterstattern bedanken, denn ohne diese gute Zusammenarbeit hätten wir dieses Ergebnis nicht erzielt.

Die leidigen Zeiten sind nun endgültig vorbei. Um eine zugelassene Lokomotive in einem anderen Mitgliedstaat einsetzen zu dürfen, dauerte es oft drei Jahre und konnte bis zu zehn Millionen Euro kosten. Nicht erst im Europa der 27 war das eine Provokation zum Nachteil der umweltfreundlichen Schiene. In Zukunft gilt die Zulassung eines Schienenfahrzeugs für alle 27 Staaten der EU, es sei denn, innerhalb von drei Monaten erhebt ein Mitgliedstaat Einspruch und begründet, warum ein Betrieb aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist. Weder die Farbe eines Feuerlöschers noch die Größe des Seitenspiegels kann den Einsatz verhindern. Die Beweislast wird nämlich umgekehrt. Gestern musste der Hersteller in mühseliger Kleinarbeit die Bedenkenlosigkeit beweisen, morgen müssen eventuelle Sicherheitsbedenken nachvollziehbar artikuliert werden. Ob diese dann berechtigt sind, entscheidet die Europäische Eisenbahnagentur, deren Kompetenzen erweitert werden.

Ist die Dreimonatsfrist ohne Einspruch verstrichen, gilt die Zulassung für das gesamte Eisenbahnnetz der EU. Dadurch können Schienenfahrzeuge in größerer Zahl hergestellt und ihre Kosten gesenkt werden. Insbesondere das deutsche Eisenbahn-Bundesamt hat sich bis zum Schluss gegen die Beschränkung seiner Kompetenzen gewehrt. Es ist der von allen Fraktionen getragenen Hartnäckigkeit zu verdanken, dass ein tragfähiger Kompromiss gefunden wurde und der Bericht von Josu Ortuondo Larrea nun im Einvernehmen und in erster Lesung von Kommission, Rat und Parlament verabschiedet werden kann.

 
  
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  Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Nach dem Jubel über die einstimmige Unterstützung für diese drei Berichte durch den Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr möchte ich die Diskussion mit zwei kritischen Bemerkungen schließen. Die Europäische Eisenbahnagentur kann die nützliche Aufgabe der Weiterentwicklung und Anwendung des neuen europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems ERTMS sowie der Verringerung seiner Abhängigkeit von den Herstellern erfüllen. In anderen Bereichen stellt sich die Notwendigkeit der Agentur jedoch vor allem deswegen, weil die Dimensionen im Schienenverkehr zunehmend größer werden und es immer mehr Liberalisierung und Wettbewerb auf der Schiene gibt. Diese Entwicklungen erfordern mehr und mehr Bürokratie, um alles richtig koordinieren zu können.

Lange vor der Gründung der Europäischen Union erfolgte diese Koordinierung auf ganz andere Weise, nämlich durch entsprechende Abkommen zwischen den nationalen Eisenbahnunternehmen, die zusammen mit der Compagnie internationale des Wagons Lits Zugverbindungen auf Langstrecken organisierten. Ob das neue Modell eine Verbesserung darstellt, wage ich zu bezweifeln.

Künftig müssen in einem der Mitgliedstaaten genehmigte Schienenfahrzeuge im Prinzip auch in anderen Mitgliedstaaten zugelassen werden. Eine solche Situation besteht nicht einmal im Kleinmaßstab zwischen den Straßenbahngesellschaften; da die Kurvenkrümmungen in Städten, die Standorte von Bushaltestellen sowie die Spurenabstände bisweilen unterschiedlich sind, können manche Straßenbahntypen nicht alle Strecken befahren. Ich erwarte, dass auch die Eisenbahnunternehmen häufigen Gebrauch von der Möglichkeit von Ausnahmeregelungen aus Sicherheitsgründen machen. In der Praxis wird sich demnach wenig ändern.

 
  
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  Michael Henry Nattrass, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Herr Präsident! In der Richtlinie der Kommission über die Interoperabilität wird eingeräumt, dass es darum geht, „den Bürgern der Union (…) in vollem Umfang die Vorteile zugute kommen zu lassen, die sich aus der Schaffung eines Raums ohne (Binnen)Grenzen ergeben.“ Dieses Konzept stellt für das Vereinigte Königreich eine Belastung dar, weil viele EU-Bürger nur einfache Fahrscheine lösen.

Es freut mich, dass isolierte, schmalspurige und historische Eisenbahnstrecken ausgenommen sein werden. Aber was ist mit Nebenstrecken? Vermutlich ermöglichen all diese zusätzlichen Formalitäten Luxemburgern, Letten und Litauern, sich zusammenzutun und Strecken von Long Eaton bis Letchworth zu betreiben.

Ich weiß, hier geht es vor allem um Güterzüge, die ohne Halt von Lissabon nach Liverpool fahren können sollen, ohne dass die Lokomotiven oder Zugbesatzungen ausgetauscht werden müssen, wie es in der Presseinformation heißt. Wie optimistisch! Was wird wohl die Besatzung zur Arbeitszeitrichtlinie sagen? Außerdem werden die Züge westlich von Folkestone angehalten und nach illegalen Einwanderern durchsucht. Die derzeitigen portugiesischen Lokomotiven würden vor dem Kanaltunnel aus den Schienen springen, weil die Spur in Frankreich zu schmal ist.

Dieser Zug wird halten. Der Sieg blinder Ideologie über den gesunden Menschenverstand macht aus diesem Ort die Papiermühle, die das Vereinigte Königreich inzwischen so verachtet. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Herr Präsident, aber zuerst sollten Sie den Tunnelblick kurieren.

 
  
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  Luca Romagnoli (NI).(IT) Herr Präsident, Herr Vizepräsident, meine Damen und Herren! In der Absicht, interoperable Eisenbahnnetze zu verwirklichen und ein hohes Maß an nachhaltiger Mobilität für unsere Bürger zu ermöglichen sowie effiziente Verbindungen zwischen den Regionen der EU sicherzustellen, sollten wir die Vereinfachung des aktuellen gemeinschaftlichen Rechtsrahmens, die in den Berichten Costa und Ortuondo Larrea angestrebt wird, zweifellos begrüßen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um beiden Kollegen für ihre exzellente Arbeit zu danken, insbesondere angesichts der strategischen Bedeutung von Interoperabilität, der Unabdingbarkeit von Sicherheit und der Notwendigkeit, eine Europäische Eisenbahnagentur mit erweiterten Vollmachten zu errichten.

Fraglos ist es aus den genannten Gründen auch sinnvoll, den technischen Teil des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens zu verbessern und eine länderübergreifende Anerkennung von Schienenfahrzeugen zu fördern. Das neue Verfahren soll daher auf dem Prinzip basieren, dass bereits durch einen Mitgliedstaat erteilte Genehmigungen wechselseitig länderübergreifend anerkannt werden, so dass eine erforderliche zusätzliche Zertifizierung mehr oder minder nur noch eine Proforma-Angelegenheit ist.

All das ist gut und schön, aber es müssen unbedingt alle Schienenfahrzeuge in einem annehmbaren Zustand sein, und zwar nicht nur diejenigen, die international verkehren, sondern auch die, die in Nahverkehrsnetzen unterwegs sind. Die Bahnkunden in Italien werden ganz offensichtlich diskriminiert, denn auf Italiens Schienennetz werden die im Vergleich zu den Standards zahlreicher anderer EU-Länder am stärksten veralteten und oftmals defekte Schienenfahrzeuge eingesetzt.

Würde die Kommission weitere Untersuchungen durchführen, dann könnte sie darüber hinaus enorme Unterschiede im Service feststellen. Wie ich bereits bei früheren Gelegenheiten hervorgehoben habe, bietet die italienische Eisenbahn einen insgesamt unbefriedigenden Service, vor allem im Nahverkehr.

Unter anderem aus diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass die Zuständigkeiten von Eisenbahngesellschaften und –eignern klarer definiert sein müssten, zum einen bezüglich der Sicherheit und zum anderen bezüglich der Übereinstimmung mit sozialen Normen und Servicestandards.

 
  
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  Luis de Grandes Pascual (PPE-DE).(ES) Herr Präsident, Herr Kommissar Barrot, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Berichterstattern zu ihren verschiedenen Berichten gratulieren, die einen weiteren Schritt zur Integration der europäischen Eisenbahnen darstellen.

Wir stehen vor der Aufgabe, ein wettbewerbsfähiges, profitables, nachhaltiges und sicheres europäisches Eisenbahnsystem, mit anderen Worten, eine wirkliche Alternative zu anderen Verkehrsträgern zu entwickeln, um so zu einer Verkehrsverlagerung zu kommen.

Doch im Moment leidet das europäische Eisenbahnsystem noch unter vielen Problemen, die nicht gelöst wurden. Wir können mit dem Zug von Madrid nach Berlin reisen, aber leider wäre diese Fahrt in einem Europa mit einer Einheitswährung und einem Binnenmarkt ein wirkliches Abenteuer, da uns ein integriertes Eisenbahnsystem fehlt.

Die unterschiedlichen Spurweiten in einigen Ländern, die fehlende Standardisierung und technologische Harmonisierung der Fahrzeuge und Signalsysteme, die Unterschiede in der Ausbildung und Zertifizierung der Lokomotivführer und die unüberwindliche Differenz bei der Versorgungsspannung der Strecken schwächen die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs und richten sich gegen den eigentlichen Grund für die Planung der transeuropäischen Verkehrsnetze, das heißt, die Erreichung eines echten Binnenmarktes im Verkehrswesen, um den europäischen Aufbau weiter zu stärken.

Bitte gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, wenn auch nur kurz, mit Ihnen und dem Kommissar das bekannte und ernste Problem zu erörtern, das die Verbindung zwischen der Iberischen Halbinsel und dem europäischen Eisenbahnnetz gefährdet, insbesondere im Mittelmeerraum. Hier handelt es sich nicht nur um eine spanische oder französische, sondern um eine europäische Angelegenheit. Herr Kommissar, wenn die Arbeit auf dieser Linie nicht beschleunigt wird, werden wir mittelfristig nicht in der Lage sein, das fast unüberwindliche orografische Hindernis der Pyrenäen zu überwinden.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Europäische Kommission und den Kommissar auffordern, die spanische und französische Regierung zur Lösung dieses Problems zu drängen, um ein wirklich europäisches Eisenbahnsystem zu errichten. Ich weiß, dass es in Spanien zurzeit Schwierigkeiten gibt, weil eine Ministerin in Frage gestellt ist und die Regierung am Ende ihrer Amtszeit steht, doch bald werden wir eine andere Regierung und damit neue Hoffnung haben. Ich wünsche mir aufrichtig, dass dieses Problem, das kein spanisches oder französisches, sondern ein europäisches ist, erfolgreich überwunden werden kann.

 
  
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  Leopold Józef Rutowicz (UEN).(PL) Herr Präsident! Die Wirtschaftsbedingungen ändern sich laufend. Folglich sind in vielen Sektoren ständige Anpassungen erforderlich. Heute befassen wir uns mit den Veränderungen beim Betrieb von Eisenbahnen und im Besonderen mit der Sicherheit dieses Betriebs. Dementsprechend müssen die einschlägigen Vorschriften der aktuellen Situation systematisch angeglichen werden.

In jüngerer Zeit hat es viele Veränderungen gegeben, so unter anderem die Erweiterung des Schengen-Gebiets, dem eine Reihe von Ländern beigetreten ist, deren Eisenbahnsysteme im Hinblick auf technische Bedingungen erhebliche Unterschiede aufweisen. Darüber hinaus wurden in vielen Staaten Eisenbahnmonopole abgeschafft, und neben regionalen und internationalen Transportunternehmen sind Netzeigner entstanden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Präzisierung von Definitionen und Verfahrensprinzipien für die Gewährleistung der Sicherheit auf dem Hoheitsgebiet der Europäischen Union. Eine Lösung wird in erster Linie durch die Änderung nationaler Bestimmungen herbeigeführt werden, bei denen eine Anpassung an die entsprechenden Entwicklungen erfolgt.

Die im Bericht von Paolo Costa enthaltenen Vorschläge stellen in dieser Hinsicht einen Mehrwert dar. Herr Costa hat Änderungen zur Vereinfachung vorgeschlagen, wie etwa die Überführung von Artikel 14, Anhang VII, in die Richtlinie über die Interoperabilität. Dadurch wird sich die Lesbarkeit der Richtlinie deutlich verbessern. Die klarere Festlegung der Verantwortlichkeiten für die Sicherheit hat grundlegende Bedeutung. Ich möchte Herrn Costa für all seine Mühen bei der Ausarbeitung des Berichts danken.

 
  
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  Jacky Henin (GUE/NGL).(FR) Herr Präsident! Mit dieser so technisch anmutenden Frage der Interoperabilität des europäischen Eisenbahnsystems und der Rolle der Europäischen Eisenbahnagentur auf dem Gebiet der Sicherheit befinden wir uns mitten in einer echten Zivilisationsentscheidung.

Entweder die Union schafft einen europäischen Eisenbahnmarkt auf der Grundlage der Konkurrenz „aller gegen alle“ und der Aufsplitterung der nationalen Eisenbahngesellschaften in der Hoffnung, um jeden Preis ein einwandfreies Sicherheitsniveau aufrechterhalten zu können – das ist der Sinn der Vorschläge der Kommission, oder wir organisieren eine Zusammenarbeit aller Eisenbahngesellschaften der Mitgliedstaaten, um ein Eisenbahnnetz auf der Ebene des gesamten Territoriums der Union zu schaffen, das mit hoher Geschwindigkeit Fahrgäste und Frachten in großer Sicherheit befördert. In diesem Sinne könnte sich der Verbund Railteam, ein Zusammenschluss der wichtigsten Betreiber der Hochgeschwindigkeitsstrecken, entwickeln.

Es ist anzumerken, dass die europäische Eisenbahngeschichte bereits zwischen den beiden Systemen entschieden hat. Vor zehn Jahren hat Großbritannien auf der Ebene seines Eisenbahnnetzes die Entscheidung getroffen, die uns die Kommission heute vorschlägt. Das Ergebnis war eine allgemeine Verschlechterung des Service, eine Verschlechterung der Sicherheit mit tödlichen Unfällen als Folge. Demgegenüber wurde vor zehn Jahren der Thalys auf der Grundlage einer Kooperation zwischen der SNCF und der SNCB geschaffen, und zwar gegen den Willen der Kommission. Das Ergebnis war ein qualitativ hochwertiger und sicherer Service, der den Bedürfnissen der Nutzer gerecht wird.

Angesichts dieser historischen Erfahrung fordere ich die Kommission auf, sich anstatt für die Konkurrenz im Eisenbahnbereich für die Kooperation zu entscheiden.

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Vizepräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa hat vieles zu bieten, was uns allen helfen soll unser Leben und unsere Wirtschaft besser zu gestalten. Leider haben fast alle diese guten Absichten schwer auszusprechende Bezeichnungen.

Für einen der Schwerpunkte im heutigen Eisenbahnpaket gilt das im besonderen Maße. Interoperabilität heißt das Zauberwort, das beschreibt, was wir erreichen wollen, erreichen müssen, wenn wir in Europa wirklich ein funktionierendes Eisenbahnsystem haben wollen. Lokomotiven und sonstiges rollendes Material müssen einander angepasst werden. Dafür brauchen wir gut aufeinander abgestimmte Zulassungsverfahren.

Die Kommission hat dazu einen Vorschlag präsentiert, im Parlament haben wir ihn im Konsens aller politischen Familien weiter entwickelt. Wir hoffen, das Ergebnis wird uns im Verein mit den TSI, technischen Spezifikationen für die Interoperabilität und darüber hinaus, zu einem besser aufeinander abgestimmten Zugverkehr im gemeinsamen Europa verhelfen. Unser System beruht auf der Idee und dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und der technischen Harmonisierung, setzt klare Fristen und Kriterien für die Genehmigungen und verlangt, das ist ganz wichtig, dass bei einer Ablehnung die nationale Sicherheitsbehörde das Sicherheitsrisiko beweisen muss, und nicht umgekehrt.

Wir verlangen und wir hoffen, dass die vielen Aufgaben, die der Europäischen Eisenbahnagentur in diesem Zusammenhang gegeben wurden, von ihr dann auch möglichst rasch und zielführend umgesetzt werden. Ich kann nur hoffen, dass das, was mein Kollege Georg Jarzembowski angesprochen hat, auch tatsächlich Realität wird, nämlich, dass wir am Ende des Verfahrens und im Zuge des Verfahrens im gemeinsamen Europa und bei diesem Thema weniger Bürokratie haben werden, als wir das derzeit haben. Wir sind zuversichtlich, mit unseren Vorschlägen bei der Abstimmung großen Konsens im Hause zu erzielen, damit es dann auch tatsächlich mehr Interoperabilität gibt.

 
  
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  Jacques Barrot, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte die Berichterstatter, Herrn Ortuondo Larrea und Herrn Costa zu der ausgezeichneten Arbeit beglückwünschen, die sie in kurzer Zeit an einem doch immerhin sehr technischen Dossier geleistet haben.

Was den Vorschlag der Neufassung der Richtlinien über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems betrifft, so stelle ich fest, dass eine Einigung in erster Lesung sich nunmehr in Reichweite befindet. Dieses Ergebnis wurde in mehreren Arbeitssitzungen erzielt, und ich danke insbesondere Herrn Ortuondo Larrea für sein persönliches Engagement für den Erfolg dieses Dossiers. Es kam drauf an, ein präzises und detailliertes Zertifizierungsverfahren für die Triebfahrzeuge und übrigen Fahrzeuge einzuführen, was die möglichen Interventionen seitens der nationalen Sicherheitsbehörden betrifft, zugleich aber eine Begrenzung der maximalen Dauer des Zertifizierungsverfahrens zu erreichen, worauf Herr Jarzembowski hingewiesen hat

Das Ergebnis der Verhandlungen, zu denen die Kommission technisch beigetragen hat, ist ein Änderungsantrag, der den gesamten Text der Richtlinie neu ordnet und dem sich die Kommission uneingeschränkt anschließt. So werden wir, wenn diese Vereinbarung bestätigt wird, Herr Präsident, der Industrie und den nationalen Sicherheitsbehörden ein starkes politisches Signal übermitteln.

Ihnen, diesen nationalen Sicherheitsbehörden, obliegt es nun, dafür zu sorgen, dass die Zulassungsverfahren für Schienenfahrzeuge weniger kostspielig und zügiger ablaufen können. Gleichzeitig werden wir diese Rechtsvorschriften in einer Rekordzeit verabschiedet und damit bewiesen haben, dass die europäischen Rechtsvorschriften auch die Geschwindigkeit eines TGV erreichen können.

Der Ausschussvorsitzende Costa möge mir gestatten, ihm zu den nationalen Sicherheitsbehörden zu antworten. Sie wurden gemäß der Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit aus dem Jahr 2004 eingesetzt. In den meisten Mitgliedstaaten ging es darum, eine neue Behörde aus dem Boden zu stampfen, mit allen haushalts- und personalpolitischen Schwierigkeiten, die dies mit sich bringen kann. Es scheint schwierig zu sein, Herr Vorsitzender, diesen Behörden eine Aufgabe wieder zu entziehen, die ihnen gerade erst zugewiesen wurde, und so die Glaubwürdigkeit unserer Eisenbahnpolitik in Frage zu stellen. Ich schließe mich Ihnen aber trotzdem an. Längerfristig können wir wirklich davon ausgehen, dass es eines Tages zu einer stärkeren Europäisierung dieses Instruments kommt. Das wollte ich Ihnen zu diesem Punkt antworten.

Nun zum Thema Sicherheit, zu dem Sie der Berichterstatter waren. Entsprechend Ihrem Wunsch wurde ein Teil dieser Richtlinien in die neue Interoperabilitätsrichtlinie übernommen. Abgesehen von der Anpassung an den neuen Komitologiebeschluss mit der Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle bleibt in diesem Vorschlag als wichtiger Punkt lediglich noch die Frage der Instandhaltung der Eisenbahnwagen und der Rolle der Fahrzeughalter.

Mehr als die Hälfte der vorgeschlagenen Änderungsanträge sind im Prinzip ganz oder teilweise akzeptabel für die Kommission. Lassen Sie mich hingegen die Situation zu Änderungsantrag 21 präzisieren. In dieser sehr technischen Frage müssen die ins Auge gefassten Änderungen mit den bereits geltenden Rechtsvorschriften im Einklang stehen, vor allem mit dem Rest der Sicherheitsrichtlinie, aber auch mit der am 31. Januar 2007 in Kraft getretenen technischen Spezifikation für die Interoperabilität der Eisenbahnwagen und mit dem am 9. November 2007 in Kraft getretenen Beschluss über das nationale Fahrzeugregister.

Andererseits müssen diese Änderungen optimal an die verschiedenen Situationen in der Praxis angepasst werden. Die Änderungen müssen den Praktiken nahe kommen, die bei den anderen Verkehrsträgern gelten. Diese Änderungen dürfen nicht in den Rechtsvorschriften ein vertragliches Handelsmodell festschreiben, das sich mit der Reform des Eisenbahnsystems weiterentwickeln kann. Deshalb findet dieser Änderungsantrag 21 nicht die Zustimmung der Kommission. Herr Präsident, dies gilt ebenfalls für die Änderungsanträge 3 bis 7, 10, 14, 17 und 22, im Wesentlichen aus rein technischen oder rechtlichen Gründen.

Abschließend möchte ich auf den Vorschlag zur Änderung der Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur eingehen. Da die der Agentur übertragenen neuen Aufgaben im Wesentlichen von der Richtlinie über die Interoperabilität und der Richtlinie über die Sicherheit sowie von der Richtlinie über die Zertifizierung der Lokführer abhängig sind, dürfte dieser Text keine besonderen Schwierigkeiten bereiten.

Was den Änderungsantrag 4 betrifft, mit dem Sie verlangen, dass die Agentur die Rolle der Zertifizierung von den nationalen Behörden übernimmt, so freue ich mich, dass im Rahmen des Berichts von Herrn Ortuondo Larrea ein vernünftiger Kompromiss gefunden werden konnte. Langfristig wird die Agentur diese Verantwortung übernehmen können, heute jedoch sind sich die Experten darin einig, dass eine solche Umorganisation verfrüht wäre. Man muss die verschiedenen möglichen Kooperationsmodelle zwischen der Europäischen Eisenbahnagentur und den nationalen Sicherheitsbehörden prüfen. Die Kommission hat sich verpflichtet, eine Folgenabschätzung all dieser Optionen vorzunehmen, damit die beste Entscheidung bis zum Jahr 2015 getroffen werden kann.

Die übrigen Änderungsanträge sind so, wie sie sind, teilweise im Prinzip akzeptabel, mit drei Ausnahmen. Zunächst Änderungsantrag 5, der der Agentur eine Rolle als Berufungsinstanz für die Ausstellung von Sicherheitszertifikaten zuweist und den wir aus den bereits genannten Gründen nicht teilen. Dann Änderungsantrag 6 aus Gründen der Kohärenz mit dem entsprechenden Artikel der Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit. Schließlich Änderungsantrag 8, weil er bedeuten würde, dass die Agentur als Berater bei Handelsprojekten auftritt, was nicht zu den Aufgaben eines Gemeinschaftsorgans gehört.

Ich habe den Rednern aufmerksam zugehört. Ich glaube, dass das Europäische Parlament insgesamt das Interesse dieser Bestimmungen richtig einschätzt, die die Eisenbahn wirklich europäisieren werden. Ich will hier nicht auf alle Fragen antworten. Ich möchte lediglich bestätigen, dass wir mit den transeuropäischen Netzen die Mittel zu 85 % für Eisenbahnprojekte eingesetzt haben. Ich kann Herrn de Grandes Pascua sagen, dass wir die Überquerung der Bergmassive, vor allem der Pyrenäen, nicht vergessen.

Lassen Sie mich außerdem sagen, dass man unabhängig von der Haltung, die man zum Eisenbahnsystem einnimmt, heute doch zugeben muss, dass, wenn man der Eisenbahn wieder ihren vollen Platz in Europa zukommen lassen will, wirklich diese Europäisierung gewährleisten muss, die durch die technische Interoperabilität und harmonisierte Sicherheitsregeln ermöglicht wird.

Das Jahr 2007 wird, Herr Präsident, ein entscheidendes Jahr für den Eisenbahntransport sein. Seit dem 1. Januar steht der nationale und internationale Frachtverkehr dem Wettbewerb offen. Wir beobachten, dass der Prozess der Wiederbelebung dieses Sektors erste Früchte trägt. Der Marktanteil der Eisenbahn hat sich, nachdem er seit 1970 in den meisten Mitgliedstaaten zurückgegangen war, derzeit stabilisiert und wächst sogar.

Dank der Legislativvorschläge, die Ihnen heute vorliegen, werden die Eisenbahnunternehmen die Konkurrenz mit dem Straßenverkehr besser bestehen können. Deshalb begrüße ich die Einigung hinsichtlich der Interoperabilitätsrichtlinie, und die Kommission wird sich zugleich bemühen, die Möglichkeiten für eine rasche Einigung auf die anderen beiden Bereiche dieses Maßnahmenpakets zu fördern.

Herr Präsident, lassen Sie mich allen Abgeordneten sehr herzlich danken, die einem so technischen Dossier wirklich große Aufmerksamkeit gewidmet haben, was es uns ermöglicht hat, sehr viel schneller voranzukommen, denn wenn eine zweite Lesung erforderlich gewesen wäre, hätten wir ein wertvolles Jahr verloren. Ich denke also, dass das Jahr 2007 ein guter Jahrgang für den Eisenbahnverkehr und demzufolge auch für den Kampf gegen die Klimaerwärmung bleiben wird, für den bekanntlich der Verkehrsträger Eisenbahn ein besonders geeignetes Instrument ist.

 
  
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  Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

Da zwei Züge unmöglich gleichzeitig auf demselben Bahnsteig einfahren können, werden wir über den Bericht Costa morgen und über den Bericht Ortuondo Larrea am Dienstag, dem 11. Dezember, in Straßburg abstimmen.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Marian-Jean Marinescu (PPE-DE), schriftlich. – (RO) Der Vorschlag der Kommission zur Verbesserung der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Interoperabilität ist im Hinblick auf die Notwendigkeit, das Eisenbahnverkehrssystem in der Europäischen Union zu verbessern, zu begrüßen.

Die einzelstaatlichen Verfahren für die Zulassung von Lokomotiven und rollendem Material sowie für die Zulassung von Lokomotivführern unterscheiden sich stark und verhindern dadurch den freien Zugverkehr auf dem Gebiet der Union.

Es ist äußerst wichtig, dass die Verordnungen für die Interoperabilität auf das gesamte Eisenbahnnetz der Gemeinschaft ausgedehnt werden. Die Transeuropäischen Netze sind bereits nach dem Grundsatz der Interoperabilität konzipiert, und deshalb sollten Investitionen hauptsächlich den normalen Eisenbahnen und allen Arten von rollendem Material zugute kommen, damit sie in der Zukunft die europäischen Standards erreichen können.

Die Interoperabilität ist eine unerlässliche Voraussetzung, aber es gibt in Europa auch Gegenden, wo keine für Hochgeschwindigkeitszüge geeigneten Eisenbahnstrecken gebaut werden können: Gebirgsregionen, abgelegene Gegenden allgemein, Eisenbahnstrecken, die durch Tunnels und über Viadukte verlaufen.

Ich meine, dass der Gesetzgeber besondere Bestimmungen erlassen sollte, weil wir einerseits diesen Regionen nicht den Nutzen des Eisenbahnverkehrs vorenthalten und andererseits nicht die Sicherheitsbedingungen für die Passagiere, die Züge und die Infrastruktur selbst außer Acht lassen dürfen.

 
  
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  Silvia-Adriana Ţicău (PSE), schriftlich. – (RO) Die Sicherheitsvorschriften der Mitgliedstaaten für ihre nationalen Eisenbahngesellschaften sind von wesentlicher Bedeutung, damit die Eisenbahnsysteme die Sicherheitsanforderungen erfüllen, und auch für ihre Interoperabilität.

Wenn rollendes Material in Betrieb genommen wird, ist eine Rechtspersönlichkeit zu benennen, die für dessen Wartung zuständig ist. Nach meiner Ansicht sollten technische Spezifikationen die Grundparameter und die technischen Merkmale enthalten, die für die Instandhaltung von Teilen, Teilbaugruppen oder Baugruppen notwendig sind, welche in ein Eisenbahnteilsystem eingebaut oder für den Einbau vorgesehen sind.

Für 66 % der rumänischen Eisenbahnen gelten wegen des Zustands der Eisenbahninfrastruktur Geschwindigkeitsbeschränkungen, und 77 % des rollenden Materials sind abgenutzt. Rumänien muss in den Ausbau des Schienenverkehrs investieren. Ich halte es für sehr wichtig, dass Rumänien und Bulgarien rasch an das Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz angeschlossen werden.

Die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs ist von wesentlicher Bedeutung. Die erste Reihe von Entwürfen für die gemeinsamen Sicherheitsziele im Eisenbahnverkehr, die auf die Verbesserung der Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet der Sicherheit des Eisenbahnsystems in den Mitgliedstaaten abzielt, wird von der Kommission bis zum 30. April 2009 und die zweite Reihe von Entwürfen bis zum 30. April 2001 beschlossen. Ich fordere die Europäische Kommission auf, die neuen Mitgliedstaaten dabei zu unterstützen, Zugang zu den verfügbaren Gemeinschaftsinstrumenten für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu erhalten.

 

19. Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (Aussprache)
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  Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Empfehlung für die zweite Lesung von Ruth Hieronimy im Namen des Ausschusses für Kultur und Bildung zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (10076/6/2007 – C6-0352/2007 – 2005/0260(COD)) (A6-0442/2007).

 
  
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  Ruth Hieronymi, Berichterstatterin. − Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über einen vorverhandelten Gemeinsamen Standpunkt von Parlament und Rat zur Revision der EU-Fernsehrichtlinie. Wir können dies als großen Erfolg für Parlament, Rat und Kommission werten. Deshalb möchte ich mich zunächst ganz herzlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen und aus allen mitbeteiligten Ausschüssen bedanken, vor allem aber bei den Schattenberichterstattern aus dem Kulturausschuss, Henri Weber, Ignasi Guardans Cambó und Helga Trüpel. Sie haben es mit ermöglicht, dass wir heute einen Erfolg, eine gemeinsame Bilanz vorstellen können.

Der Dank gilt Frau Kommissarin Reding – der Kommissarin des Jahres 2007, herzlichen Glückwunsch! –, die mit ebenso großer Entschiedenheit wie Kooperationsbereitschaft den Vorschlag zur Revision der Richtlinie vorgelegt und mit uns gemeinsam bearbeitet hat.

Der Dank gilt dem Rat, und zwar der deutschen Ratspräsidentschaft, unter deren Federführung der Gemeinsame Standpunkt erreicht werden konnte, und der amtierenden portugiesischen Ratspräsidentschaft, die mit großer Nachdrücklichkeit diesen gemeinsam erreichten Stand verteidigt und es uns ermöglicht hat, dass wir heute hier beraten und morgen entscheiden können.

Fernsehen ohne Grenzen ist in Europa entscheidend für Informationsfreiheit und Medienpluralismus. Deshalb begrüßen wir sehr, dass wir diese Fernsehrichtlinie – just in time – rechtzeitig modernisiert haben. Wir haben auf der Basis des Herkunftslandprinzips gemeinsame Ziele für traditionelles und neues Fernsehen unabhängig von der Plattform erreicht. Für das traditionelle Fernsehen heißt das vor allem das Recht auf Kurzzeitberichterstattung europaweit, den gesicherten verbesserten Zugang für Behinderte, verbesserte Kontrolle für Werbung, die sich an Kinder richtet und unabhängige nationale Medienaufsicht.

Wir haben aber auch die finanziellen Grundlagen für den kommerziellen Rundfunk verbessert, indem wir die Werbung nicht erhöht haben – weiterhin maximal zwölf Minuten pro Stunde –, aber flexiblere Regelungen eingeführt und – ein schwieriger Schritt, den wir aber gegangen sind – Produktplatzierung ermöglicht haben, damit die privaten Fernsehanbieter in der Konkurrenz mit Google und anderen Wettbewerbern tatsächlich auch in Zukunft frei empfangbares Fernsehen anbieten können. Es war das Europäische Parlament, das in dieser Frage auf die ausreichenden Transparenzrichtlinien hingewirkt hat.

Für modernes Fernsehen im Internet gilt im Grundsatz ab dem Beschluss von morgen und der dann folgenden nationalen Umsetzung, dass Fernsehen unabhängig von der Technologie Wirtschafts- und Kulturgut bleibt. Und das ist das europäische Modell, das wir mit dieser Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste, wie sie in Zukunft heißen wird, gesichert haben. Denn auch Internetfernsehen und mobiles Fernsehen sollen in Europa zukünftig nicht nur als Wirtschaftsgut, sondern als ein zentraler Garant für Informationsfreiheit und Meinungspluralismus gelten.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir diese modernisierte Richtlinie rechtzeitig auf den Weg gebracht haben. Rechtzeitig heißt, dass die nächsten Beratungen für das Telekom-Paket, die schon begonnen haben, ebenso wie auch die Beratungen zu Online-Inhalten vor dem Hintergrund dieses geklärten Rechtsrahmens für traditionelle und neue audiovisuelle Mediendienste stattfinden.

Deshalb bitte ich Sie im Hinblick auf die morgige Abstimmung herzlich um eine breite Mehrheit für diesen Fortschritt in der europäischen Medienpolitik!

 
  
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  Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident! Es ist immer eine große Befriedigung für eine Mutter, wenn sie sieht, dass das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, ein intelligenter und lebensvoller Bursche geworden ist. Dieses Gefühl hatte ich heute Abend bezüglich unserer neuen Richtlinie über die Ausübung audiovisueller Mediendienste ohne Grenzen, und dieses Gefühl von Befriedigung und Stolz teile ich mit der Patin des Kindes, unserer ausgezeichneten Berichterstatterin Ruth Hieronymi.

Die Beweise für die Intelligenz des Kindes sind vielfältig. Frau Hieronymi hat sie gerade aufgezählt: ein Anwendungsbereich, der an die audiovisuellen Medien der Zukunft angepasst ist, indem er auf die audiovisuellen Medien in Form von Abrufdiensten, wie Video-on-demand ausgeweitet wurde; die Bestätigung des Prinzips des Niederlassungslandes und somit die Verankerung der Freiheit der Programmzirkulation unter Hinzufügung eines Verfahrens des Dialogs und der intelligenten Kooperation, um eventuellen Konflikten vorzubeugen oder sie zu regeln; ein Gleichgewicht zwischen der Achtung der Verbraucher und zusätzlicher Freiheit für unsere Unternehmen; Stärkung des Informationsrechts mit dem neuen Instrument zum Zugang zu kurzen Auszügen von wichtigen Ereignissen. All diese und andere Neuerungen sind nach meinem Dafürhalten der Beweis für ein intelligentes Gleichgewicht zwischen Erneuerung und Achtung der Werte.

Als Beweis für die Lebendigkeit des Kindes seien die Förderung der kulturellen Vielfalt im digitalen Umfeld, die Anerkennung der neuen Werbetechniken, endlich ein gesicherter Rechtsrahmen für die Produktplatzierung, schließlich die Aufmerksamkeit für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten für seh- oder hörbehinderte Mitbürger sowie das in die Industrie gesetzte Vertrauen, indem die Anwendung der Richtlinie für Selbstregulierung oder Koregulierung vorgesehen wird, genannt.

In diesem Reifeprozess hat das Parlament eine sehr positive Rolle gespielt, und ich möchte ihm dafür danken. Wir haben hier ein weiteres Beispiel für die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen den drei Institutionen, denen es gelungen ist, die ausgeklügelten Rechtsvorschriften zu einem Grundelement für die Industrie und die Kultur von morgen zu machen.

Nun muss das Kind sich von seinen Eltern lösen, selbst fliegen lernen, erwachsen werden. Für eine Gemeinschaftsrichtlinie bedeutet das, dass nun die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten angesagt ist. Auf der Linie der europäischen Politik wünsche ich mir, dass das Kind bei diesem Übergang nicht übergewichtig wird, was um so paradoxer wäre als wir in der neuen Richtlinie die Industrie auffordern, einen Verhaltenskodex für Werbung gegenüber Kindern, die die Fettleibigkeit fördert, zu erarbeiten. Ich wünsche mir also, dass die Mitgliedstaaten es möglichst vermeiden, nationale Verpflichtungen hinzuzufügen, die ihrer audiovisuellen Industrie hinderlich sind.

Ich bin sicher und überzeugt, dass der Text, der Ihnen morgen zur Abstimmung vorliegt, eine echte Rechtsicherheit für den Sektor bringt und gleichzeitig unsere gesellschaftlichen und kulturellen Werte fördert. Mit diesem Rechtsrahmen ist die Union den Rechtsvorschriften anderer Kontinente voraus. Ich denke, darauf können wir stolz sein. Wir helfen auch unseren Industrien, schöpferisch tätig zu sein. Wir tragen dazu bei, dass unsere Filme besser finanziert werden können und dass die Europäer Zugang zu Premium-Inhalten im nicht gebührenpflichtigen Fernsehen haben: Heute Abend habe ich zusammen mit Ihnen und dank Ihrer Mitarbeit das Gefühl, dass wir unsere Aufgabe erfüllt haben!

 
  
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  Gunnar Hökmark, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Zunächst möchte ich unserer Berichterstatterin zu ihrer guten Arbeit in dieser Frage sowie auch der Frau Kommissarin gratulieren und ihnen danken. Dies ist ein Thema, zu dem es viele unterschiedliche und sehr starke Ansichten gibt, aber wir haben dennoch einen Vorschlag erarbeitet, den wir heute Abend hier diskutieren und der den Weg nach vorn für das Europäische Fernsehen weist.

Es gibt einige Dinge, die ich für wichtig halte und daher besonders hervorheben möchte. Wir legen unter anderem das Herkunftslandprinzip fest, das eine bessere und stärkere Grundlage für Vielfalt aber auch für ein gemeinsames europäisches Fernsehen schafft sowie – was ebenfalls wichtig ist – bessere Bedingungen für eine europäische Filmindustrie, da diese eng miteinander verbunden sind. Das bedeutet auch einen besseren Spielraum für freie Medien über die europäischen Grenzen hinweg.

Natürlich hätten bestimmte Dinge noch besser ausfallen können. Ich persönlich hätte eine größere Offenheit in der Frage der Werbezeiten befürwortet, aber hier wird größere Flexibilität geschaffen. Meiner Ansicht nach stellt der jetzt erneut eingebrachte Vorschlag zur Produktplatzierung ebenfalls eine Verbesserung dar. Wir haben also allen Grund, mit den erzielten Fortschritten zufrieden zu sein.

Lassen Sie mich nur eines mit Blick auf die Zukunft sagen, da diese Vorschriften in hohem Maße auf dem Unterschied zwischen so genannten linearen und nicht linearen Mediendiensten basiert. Meines Erachtens wird diese Unterscheidung zukünftig eine immer geringere Rolle spielen. Bereits heute zeigt sich, dass dieser Unterschied gar nicht so groß oder relevant ist. Ich halte es für wichtig, die Entwicklung auf diesem Gebiet zu verfolgen, damit wir keine Situation erhalten, in der die traditionellen Fernsehmedien in Europa in eine schlechtere Position geraten als andere nicht lineare, über Internet oder andere Medien verbreitete, denn langfristig kann dies unsere Chancen im globalen Kontext verschlechtern. Ich möchte noch einmal dem Berichterstatter danken und feststellen, dass wir einen guten Schritt vorangekommen sind.

 
  
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  Catherine Trautmann, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst meinen Kollegen Henri Weber zitieren. Dieser Text stellt einen akzeptablen Kompromiss für die Sozialdemokratische Fraktion dar, und es ist uns im Laufe der Verhandlungen gelungen, wertvolle Bestimmungen aufzunehmen, um das europäische Modell der audiovisuellen Dienste zu erhalten. Ich danke der Berichterstatterin, Frau Hieronymi, für ihre Entschlossenheit, ihre Geduld und auch für eine besonders offene und positive Kompromissbereitschaft.

Diese Revision wurde erforderlich aufgrund der Herausforderungen im Zusammenhang mit der digitalen Revolution im Rahmen der Wissenswirtschaft. Die Regulierung wird in geeigneter Form auf die neuen audiovisuellen Dienste ausgeweitet. Der Jugendschutz wird ebenso garantiert wie der Schutz der Bürger vor Anreizen zu Diskriminierungen aller Art. Diese neuen Dienste müssen zur Finanzierung des Films und der audiovisuellen Medien in Europa beitragen. Ein Bruchteil ihres Umsatzes wird für Förderzwecke verwendet, und die gute Präsentation der europäischen Werke in den Online-Katalogen wird garantiert. Der Medienpluralismus wird zu einer formellen Forderung. Die Rolle der Regulierungsbehörden wird gestärkt, und den Mitgliedstaaten wird eindringlich empfohlen, Bestimmungen betreffend die Zugänglichkeit für alle zu verabschieden.

Was die Werbung betrifft, hatte die Sozialdemokratische Fraktion den Wunsch, die Regeln der derzeitigen Richtlinie beizubehalten. Wenn die Werbung auf 20 % pro Stunde begrenzt bleibt, beträgt die Zeit zwischen zwei Werbespots 30 Minuten, während wir gewünscht hatten, auf europäischer Ebene bei 45 Minuten zwischen zwei Werbespots zu bleiben. Aber wir sind dennoch zufrieden, dass die Werbung durch Produktplatzierung bei Dokumentarfilmen, Informationssendungen und Kinderprogrammen verboten ist. Die Mitgliedstaaten haben allerdings die Wahl, diese Art von Werbung für Spielfilme, Fernsehfilme und Sportsendungen zu gestatten. In diesem Falle ist die Produktplatzierung sehr streng geregelt, um Missbrauch und perverse Effekte zu vermeiden.

Auf diese Weise wurde ein Gleichgewicht zwischen Meinungsfreiheit, Freizügigkeit von Informationen, Zugang des Publikums zu neuen Dienstleistungen wie Video-on-demand sowie zu wertvollen kulturellen und wirtschaftlichen Inhalten gefunden. Die Betonung der Qualität wird es der europäischen Produktion ermöglichen, ihre Position zu stärken. Das ist eine der größten Wirkungen dieser Richtlinie.

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident! Ich glaube, wir sind am Ende eines sehr langen Weges angelangt, was uns eine Menge Zeit gekostet und die Energien von vielen Leuten mobilisiert hat, von zahlreichen Abgeordneten und Experten und sogar von Leuten, die außerhalb dieses Hauses diese Debatte verfolgt haben, weil sie das sehr direkt betraf. Wir dürfen uns alle beglückwünschen, denn morgen wird, wenn es keine Überraschung gibt, dieser Text im Prinzip einstimmig gebilligt werden, vielleicht sogar ohne Abstimmung, was wirklich der Beweis dafür ist, dass ein solcher Text quasi per Akklamation angenommen werden könnte.

Man darf also Frau Hieronymi und die übrigen Schattenberichterstatter beglückwünschen, besonders aber Frau Hieronymi und auch die Frau Kommissarin. Sie sagte, sie habe das Gefühl, eine Aufgabe vollbracht zu haben. Sie hat Recht. Heute kann sie dieses Gefühl wirklich haben.

Auf diese Weise wird man einen sehr klaren Rechtsrahmen billigen, klare Regeln, die die Investition in den audiovisuellen Bereich sicherer machen werden, Regeln, die es ermöglichen, alle wesentlichen Punkte des Verbraucher- und Jugendschutzes auf neue digitale Mittel, auf neue Mittel in Zusammenhang mit neuen Medien auszuweiten, ohne die bestehenden Bestimmungen vervielfachen oder ausweiten zu müssen, denn die Mittel sind neu, und die Antworten des Gesetzes müssen ebenfalls neu sein.

Es handelt sich um Regeln, die die Werbung flexibler gestalten. Das wissen wir. Wir haben darüber diskutiert und haben sie unterstützt. Meine Fraktion ist diejenige, die insgesamt die größten Anstrengungen unternommen hat, damit dieser Text schließlich zustande kommen konnte, denn wir haben das europäische Modell der audiovisuellen Medien nicht entstellt. Wir sind niemals so weit gegangen, aber wir wissen – das muss man deutlich sagen, denn wir haben auch die Produktplatzierung unterstützt, und zwar von ganzem Herzen und mit vollem Bewusstsein –, dass, wenn man kostenloses Fernsehen für die Zuschauer will – es ist niemals kostenlos, aber es ist es für den Zuschauer –, und wenn man nicht will, dass das Fernsehen, das auf diese Weise kostenlos ist, nur aus Steuern und öffentlichen Mitteln finanziert wird, dann muss es über die Mittel verfügen, sich in einem Wettbewerbsumfeld zu finanzieren. Und in diesem Umfeld haben wir diese Produktplatzierung zugelassen, wir haben sie transparent gemacht und wir haben klargestellt, wie und wann sie stattfinden sollte.

Nun ist es also an der Zeit, mit der Umsetzung zu beginnen. Und da möchte ich die Kommission bitten, ebenfalls ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es stimmt, dass das Kind aus dem Haus geht, aber es geht nicht ganz. Man muss diese Umsetzung sehr genau verfolgen und vor allem, Frau Kommissarin, etwas zu einem Aspekt tun, der mich beunruhigt. Ich würde sagen, man hat fast überall in den Mitgliedstaaten ein wenig den Eindruck, dass von jetzt bis zum Zeitpunkt der Umsetzung das Fernsehen in Europa nicht mehr geregelt ist. Es gibt sozusagen kein Gesetz mehr. Das stimmt aber nicht. Die Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen, die immer noch gilt, sah bereits Regeln für die Werbung vor, Regeln, die präzisierten, was man tun kann und was man nicht tun kann. Man hat ein wenig den Eindruck, dass, solange die neue Regelung, die neue Richtlinie in den Mitgliedstaaten noch nicht angewandt wird, das, was bereits gilt, auch nicht angewandt wird. Und es liegt nun in Ihrer Verantwortung und der der Kommission, deutlich zu machen, dass diese Auffassung falsch ist und dass man die Dinge nicht so sehen darf.

 
  
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  Zdzisław Zbigniew Podkański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Durch die Änderungsvorschläge für die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit soll gewährleistet werden, dass die Vorteile des Binnenmarktes den Empfängern audiovisueller Mediendienste in den Mitgliedstaaten durch Anwendung des Herkunftslandprinzips in vollem Umfang zugute kommen.

Durch die Änderung der Richtlinie werden die EU-Bestimmungen den jüngsten technologischen Entwicklungen angepasst. Im Vorschlag der Kommission wird unterschieden zwischen linearen Diensten, nämlich der Übertragung über traditionelles Fernsehen, Internet oder mobiles Fernsehen, wobei dem Zuschauer ständig Inhalte auf der Grundlage eines laufenden Programms zur Verfügung gestellt werden, sowie nicht-linearen Diensten, ähnlich dem Fernsehen, das nach Bedarf aus dem Netz heruntergeladen wird.

Durch Beibehaltung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ in ihrer geltenden Fassung würde man die ungerechtfertigten Unterschiede bei der Regulierung verschiedener Methoden der Verbreitung ähnlicher oder identischer Medieninhalte verschärfen. Die aktuellen Fernsehvorschriften sollten weiterhin für lineare Dienste gelten. Dahingegen sollten für nicht-lineare Dienste Mindestbestimmungen festgelegt werden. Diese könnten beispielsweise den Jugendschutz, die Bekämpfung der Anstiftung zum Rassenhass sowie ein Verbot von Schleichwerbung zum Inhalt haben. Entsprechende Ansätze sind in den vorgeschlagenen Änderungen enthalten. Aus diesem Grund wird die UEN-Fraktion für den Vorschlag stimmen.

 
  
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  Helga Trüpel, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Bei der Neuberatung der Neufassung der Fernsehrichtlinie, die nun Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste heißen soll, haben wir auch immer eine kulturpolitische Debatte über kulturelle Vielfalt und die Aufrechterhaltung von Qualitätsfernsehen geführt. Mit der abschließenden Beschlussfassung im Parlament beginnt der Gesetzgebungsprozess praktisch erst so richtig. Unser Blick richtet sich deshalb bereits nach vorne.

Ich fordere die Mitgliedstaaten auf, vom Subsidiaritätsprinzip der Richtlinie Gebrauch zu machen und die Spielräume für mehr kulturelle und mediale Vielfalt voll auszunutzen. Dies betrifft vor allem mehr Rechte für unabhängige Produzenten, einen Beitrag auch nicht-linearer Dienste wie Video-on-demand-Anbieter zur Unterstützung europäischer Produktionen und eine Beschränkung der Möglichkeiten für Produktplatzierung. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Europa sollte auf product placement verzichten.

Im Rahmen der Neufassung der Richtlinie haben wir einen sehr grundsätzlichen Streit darüber geführt, wie viel Marktöffnung wir wollen und wo wir genau regulieren wollen. Aus unserer Sicht ist die Auseinandersetzung zugunsten einer zu marktorientierten Öffnung, vor allem werbemarktorientierten Öffnung, ausgefallen. Die Fraktion der Grünen wird deswegen morgen der Neufassung der Fernsehrichtlinie nicht zustimmen. Die vielfältigen neuen Möglichkeiten für noch mehr Werbung, sei es in Sportprogrammen, Serien oder Spielfilmen, werden zu einem Qualitätsverlust europäischer Medien führen. Gerade dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt daher in Zukunft eine noch wichtigere Aufgabe zu. Er muss von den nationalen Gesetzgebern in die Lage versetzt werden, seinen Bildungs- und Informationsauftrag umfassend zu erfüllen, auch über neue Vertriebswege wie Handy-TV oder Internetfernsehen. Daher müssen wir auf europäischer Ebene auch bei der Neufassung der Telekommunikationsrichtlinien die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, wenn Rundfunk zukünftig verstärkt mobil oder über das Internet empfangen wird.

 
  
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  Doris Pack (PPE-DE). – Herr Präsident! Der Kompromiss, den Ruth Hieronymi –natürlich auch mit Hilfe der Kollegen – erarbeitet hat, ist einer, dem ich mit vollem Herzen zustimme. Ich möchte unserer Kollegin wirklich herzlich danken, es war ein sehr schweres Stück Arbeit und sie hat das wunderbar hingekriegt. Ich meine, der Kompromiss enthält eigentlich das meiste, was wir in der ersten Lesung gewollt haben.

Wir wissen, dass die rasante Entwicklung der Technologie die alte Richtlinie ja überholt hat. Ich habe an der ersten Richtlinie noch mitgearbeitet. Insofern haben wir hier etwas Neues, neue Übertragungsmöglichkeiten, die neuen Dienste „on demand“ sind neben dem traditionellen Fernsehen nun gegeben; wir brauchen diese Richtlinie. Für mich war dabei wichtig, dass das Herkunftslandprinzip gewahrt und die Kurzberichterstattung erhalten bleibt. Die Werberegelungen wurden flexibilisiert. Ich denke, es ist richtig, dass die 12 Minuten pro Stunde nicht überschritten wurden. Kinofilme und Nachrichten werden auch weiterhin nicht unterbrochen.

Ein Knackpunkt war – das wissen Sie – liebe Frau Kommissarin – die Produktplatzierung. Schweren Herzens haben viele von uns dem Kompromiss jetzt zugestimmt. Aber gut ist es, dass es erst einmal ein Verbot gibt, und zu diesem Verbot dann die Ausnahmen, die ja hier schon genannt wurden. Ich denke, wenn die richtig angesetzt werden, bekommen wir keine amerikanischen Verhältnisse. Die Einschränkung der Werbung in Kinderprogrammen begrüße ich ebenfalls. Dieser Kompromiss ermöglicht es dem audiovisuellen Sektor, sich den großen Veränderungen zu stellen und sich technologischen und Marktbedingungen anzupassen. Der Kompromiss hilft dem audiovisuellen Sektor, in Zukunft wettbewerbsfähiger zu sein. Dieser Kompromiss ist im Moment die beste Balance zwischen dem Pluralismus der Medien und kultureller Vielfalt und bietet die Gelegenheit, eine wettbewerbsfähigere europäische audiovisuelle Industrie zu entwickeln.

Noch einmal, Frau Kommissarin, aber vor allen Dingen unserer Kollegin Ruth, herzlichen Dank.

 
  
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  Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident, ich kann mich dem Gesagten nur anschließen: Wir haben dank der Institutionen und des Engagements der Berichterstatterin und ihrer Kollegen nun eine Richtlinie, die unsere audiovisuelle Industrie unter Achtung unserer Werte und unserer Kulturen in die Zukunft führen wird. Das ist ein großer Schritt voran für die europäischen audiovisuellen Medien, und ich kann dies ebenso wie alle Redner, die dies unterstrichen haben, nur begrüßen.

Es wurde die Frage gestellt, was vom jetzigen Zeitpunkt bis zur Umsetzung der neuen Richtlinie geschehen wird. Ich kann den Herrn Abgeordneten beruhigen. Wir werden weiterhin die Regeln der Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen anwenden. So habe ich gerade ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien wegen Überschreitung der Werbezeiten eingeleitet. Das wird für alle Mitgliedstaaten der Fall sein, die die Regeln nicht einhalten: Bis wir neue Regeln haben, gelten die alten weiter.

 
  
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  Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Claire Gibault (ALDE), schriftlich. (FR) Ich möchte Frau Hieronymi und Herrn Guardans zu dem großartigen Dialog, den sie mit ihren Kollegen Abgeordneten geführt haben, und zu der Qualität der Berichte, die sie mit dem Rat erarbeitet haben und die zur Vorlage dieses sehr konsensorientierten Bericht in zweiter Lesung geführt haben, beglückwünschen.

Auf diese Weise hat der Rat einen großen Teil der Forderungen des Europäischen Parlaments und alle Forderungen meiner Fraktion aufgegriffen. Ich freue mich, dass zwei Dinge, die mir besonders am Herzen lagen, in den Text aufgenommen werden konnten, zum einen die Stärkung des Ursprungslandsprinzips und zum anderen der Jugendschutz im Rahmen der Werbesendungen.

Das Europäische Parlament konnte deutlich machen, dass es in der Lage war, Verhandlungen mit dem Rat zu führen, und dass diese die Erarbeitung eines Textes ermöglicht haben, der reicher ist als die ursprüngliche Fassung. Das war nicht leicht, aber wir haben unser Ziel erreicht. Nun hoffe ich, dass die Umsetzung in nationales Recht durch den guten Willen der Regierungen erleichtert wird.

 
  
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  Gyula Hegyi (PSE), schriftlich. (HU) Die neue Verordnung über das Fernsehen ohne Grenzen war kein voller Erfolg. Erfreulich ist, dass wir eine Rechtsgrundlage für digitales und nicht-lineares Fernsehen schaffen. Angesichts der raschen Entwicklung der Technik ist es kurz vor Zwölf. Meines Erachtens ist es sehr wichtig, dass die öffentlichen Fernsehsender, die die Werte der Gemeinschaft verbreiten, die Chancen nutzen, die diese neuen Technologien bieten. Wenn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Hinblick auf die technische Qualität mit den kommerziellen Sendern nicht Schritt halten können, ist zu befürchten, dass sie die Zuschauer verlieren, die sie bisher hatten, und dass ihre Kulturprogramme, ihre Sendungen zum öffentlichen Leben und sonstige Qualitätsprogramme die jüngeren Generationen nicht erreichen. In der endgültigen Fassung sind die Bestimmungen zur Werbung völlig aufgeweicht. Besonders ärgerlich ist auch, dass es uns nicht gelungen ist, die schlau eingefädelte Erhöhung des Anteils an Werbung zu verhindern, obwohl unsere Wähler in ganz Europa diese Praktiken bedauern. Betrüblich ist ferner, dass sogar Kindersendungen durch Werbung unterbrochen werden können. Die Verordnung über Produktplatzierung ist ein bescheidener Kompromiss. Mit der Rechtsvorschrift werden nicht viele der Ziele des Europäischen Parlaments erreicht, doch hätten wir sie nicht verabschiedet, hätte die mangelnde Regulierung wahrscheinlich noch größere Probleme aufgeworfen.

 
  
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  Daciana Octavia Sârbu (PSE), schriftlich. – (RO) Ich begrüße den gemeinsamen Standpunkt des Rates, der einige bedeutsame Änderungen beim Schutz von Kindern und Jugendlichen, beim Zugang von Menschen mit Behinderungen zu audiovisuellen Dienstleistungen und bei Werbesendungen mit sich bringt.

Alkohol und Tabak werden in Werbespots so dargestellt, dass junge Menschen sie als Mittel betrachten, um von Erwachsenen gesellschaftlich akzeptiert zu werden, und diese Laster werden mit physischer Ausstrahlung, Spaß, Abenteuer und Erholung in Verbindung gebracht. Darüber hinaus untergräbt die intensive Werbung für Nahrungsmittel und Getränke mit hohem Fett- und Zuckergehalt, vor allem dann, wenn sie sich an Kinder wendet, die positiven Initiativen für den Schutz der Volksgesundheit wie etwa die Aufklärung über Ernährungsfragen und die ordnungsgemäße Kennzeichnung von Erzeugnissen. In der Europäischen Union ist die Übergewichtigkeit zur Volkskrankheit geworden, und das Fernsehen verschärft dieses Problem noch. In Spanien entfallen 48 % der Werbung in den Kindersendungen auf Süßigkeiten, Fast-Food-Erzeugnisse und Chips, und in Großbritannien wird in 80 bis 90 % der TV-Spots für Nahrungsmittel mit hohem Fett- und Zuckergehalt geworben.

Im Text des Rates liegt das Schwergewicht auf der Ausarbeitung von Verhaltenskodizes für die Werbung für Junkfood, die sich an Kinder wendet, sowie auf die Einführung von Filtersystemen und PIN-Codes, durch die der Schutz Minderjähriger vor dem schädlichen Einfluss audiovisueller Dienstleistungen gestärkt wird und die im Kampf gegen die Übergewichtigkeit eine wichtige Rolle spielen werden.

 

20. Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen
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  Der Präsident. − Als nächster Punkt folgen die Ausführungen von einer Minute zu wichtigen politischen Fragen.

 
  
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  Vytautas Landsbergis (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Das Europäische Parlament hat vor einiger Zeit eine kluge Entschließung zu den Beziehungen mit einem unserer Nachbarstaaten angenommen. Ich möchte daraus wörtlich zitieren. Bitte hören Sie aufmerksam und ganz ruhig zu: „in der Erwägung, dass die“ russische „Öffentlichkeit unzureichend über das Ausmaß der Verbrechen informiert ist, die“ im Zweiten Weltkrieg „verübt wurden, ganz besonders in“ Finnland, den baltischen Staaten und im Gebiet Königsberg; das Parlament „vertritt die Auffassung, dass die Bürger“ Russlands „ein Recht darauf haben, die Wahrheit über die (…) in ihrem Namen durchgeführte Kriegspolitik und den begangenen Völkermord zu erfahren und die Kriegsverbrecher zu kennen“; das Parlament „ist der Ansicht, dass“ Russland „mit seiner“ sowjetischen „Vergangenheit ehrlich umgehen muss, um Fortschritte zu erzielen, und dass die Aufarbeitung der Vergangenheit ein integraler Bestandteil des Aussöhnungsprozesses mit den Nachbarn“ Russlands „ist“.

Das kam tatsächlich von unserem Parlament und war gerichtet an – Serbien, das unsere Vorschläge würdigte, aber da dieses Hohe Haus nicht mit zweierlei Maß misst, sollten die gleichen Aufforderungen auch in unseren Dokumenten zu Russland enthalten sein.

 
  
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  Lívia Járóka (PPE-DE). – (HU) Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich möchte einige Worte zur Lage der europäischen Roma in Verbindung mit unserer Stellungnahme sagen, die auf der letzten Plenarsitzung angenommen wurde. Meines Erachtens ist es unabdingbar, dass Europäische Kommission und Parlament Seite an Seite arbeiten und die Verantwortung für diese Minderheit übernehmen. Sie müssen sehr viel entschlossener auftreten als dies bisher der Fall war und Programme zur Integration der sozialen Gruppen vorbereiten, durchführen und überwachen, die ausgegrenzt und an den Rand gedrängt wurden. In diesem Rahmen sollten die Mitglieder des Europäischen Parlaments mit den Kommissionsmitgliedern zusammenarbeiten, die direkt oder indirekt für Minderheiten, deren Integration und Einbeziehung zuständig sind. Im Rahmen einer Sachverständigengruppe müssen sie gemeinsam eine umfassende, grenzübergreifende Strategie für die Roma erarbeiten, die wirksam überwacht wird, und den Menschen, die in den ärmsten Regionen leben, sowie den am stärksten benachteiligten Gruppen die Möglichkeit bietet, Zugang zu den Entwicklungsprogrammen der Union zu erhalten. Um dies zu erreichen, muss eine gemeinsame europäische Karte der Krisengebiete erstellt werden, die eine bessere Bewertung der Gebiete ermöglicht, in denen bittere Armut herrscht. Vor zwei Jahren hat die Europäische Volkspartei als erste in diesem Parlament eine Strategie für die Roma festgelegt. Ich fordere die anderen Parteien auf, sich dem anzuschließen. Es wäre meines Erachtens sehr wichtig, wenn wir bei der Roma-Anhörung am 14. Februar gemeinsam Seite an Seite auftreten und uns für diese Minderheit einsetzen würden. Etwas muss geschehen. Vielen Dank.

 
  
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  Hans-Peter Martin (NI). – Herr Präsident! Augenzeugen berichten von einer unglaublichen Raserei des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments, Harald Rømer. Demnach ist Rømer am 14. November dieses Jahres um 15.00 Uhr in einem Luxemburger CD-Fahrzeug vom Europaparlament ins Stadtzentrum von Straßburg unterwegs gewesen. Dabei wurden Sperlinge überfahren, es ging in einem Höllentempo durch die Allée de la Robertsau. Da wurde an langsamen Fahrzeugen in Schlangenlinien vorbeigeprescht, erschreckte Fußgänger wichen vom Zebrastreifen zurück. Das Tempo soll mehr als 100 Stundenkilometer in der Stadt Straßburg betragen haben.

Darum folgende Fragen an Herrn Rømer: Waren Sie zum angegebenen Zeitpunkt mit diesem Fahrzeug unterwegs? Wer saß am Steuer? Welche Anweisungen haben Sie gegeben und welche nicht? Warum verhielt sich das Fahrzeug wie das eines gefährlichen Verkehrsrowdys? Warum wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung so dramatisch überschritten? Sind Sie der Meinung, dass die Verkehrsvorschriften für Sie nicht gelten? Finden Sie nicht, dass Sie als höchster Beamter des Europaparlaments zu besonderer Rücksicht und ordentlichem Verkehrsverhalten angehalten wären? Wie wollen Sie sich diesbezüglich in Zukunft verhalten und müssen sich jetzt alle Verkehrsteilnehmer vor Ihnen fürchten?

 
  
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  Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE). – (RO) Am vergangenen Sonntag haben die Rumänen zum ersten Mal ihre Vertreter im Europäischen Parlament gewählt. Rumänien schließt sich der europäischen Tradition direkter Wahlen des Parlaments an, die im Jahre 1979 begann.

Die Wahl in Rumänien hat uns gezeigt, dass wir eine große Verantwortung gegenüber den rumänischen Bürgern haben, mit denen wir mehr über die Europäische Union reden müssen, um ihnen die Vorteile und die Zwänge innerhalb der Familie, der wir angehören, zu erläutern. Obwohl Rumänien das Land mit der zweithöchsten Zustimmungsrate zur Europäischen Union ist, war die Beteiligung an dieser Wahl mit 29,4 % verhältnismäßig niedrig. Trotzdem war die Wahl ein großartiger Erfolg für die volksnahe Strömung in Europa. Die Vertreter der Demokratischen Partei in Rumänien sind jetzt nahezu dreimal so zahlreich in diesem Forum vertreten, und dank unseres Sieges hat sich das Gewicht der PPE-DE-Fraktion im Europäischen Parlament um fast vier Prozentpunkte erhöht.

Ich danke den Rumänen für ihr Vertrauen, und ich danke Ihnen für die positiven Botschaften, die Sie den rumänischen Wählern übermittelt haben.

 
  
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  Pierre Pribetich (PSE). – (FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Sand in der kosovarischen Sanduhr rieselt unaufhörlich, und der 10. Dezember rückt näher. Leider geht der Dialog der Tauben weiter zwischen einem Kosovo, das innerhalb der serbischen Grenzen weitgehend autonom ist, und einer überwachten Unabhängigkeit. Die Parlamentswahlen am 18. November haben mit einem Sieg der Anhänger der Unabhängigkeit in einer Wahl, die durch Rekordstimmenthaltungen gekennzeichnet war, die politischen Bestrebungen nur verstärkt.

Die Europäische Union muss also einen anderen Weg als den der Unabhängigkeit vorschlagen und so eine europäische Außenpolitik bekräftigen. Schon das Wort Unabhängigkeit ist eine Falle, ein Synonym für Chaos in unserem Europa. Mit der Zulassung dieses Weges öffnen wir die Büchse der Pandora mit allen Nationalismen, Regionalismen, Lokalismen, die das auf unserem eigenen Territorium mit sich bringt.

In einer globalisierten Welt ist die Unabhängigkeit eine Illusion. Man muss an alle Seiten appellieren, eine regionale Gemeinschaft für einen friedlichen Austausch unter Achtung der demokratischen Prinzipien aufzubauen. Die Anerkennung der Teilung und der Unabhängigkeit bedeutet eine Stärkung der Nationalismen. Erinnern wir uns an die Worte von Staatspräsident François Mitterrand vor dem Parlament: Nationalismus bedeutet Krieg, und Krieg ist nicht nur die Vergangenheit, sondern er kann auch unsere Zukunft sein.

 
  
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  Marian Harkin (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Sehr wahrscheinlich wird Irland das einzige europäische Land sein, das zum Vertrag von Lissabon eine Volksabstimmung durchführt. Ich selbst bin für die EU und habe bei allen Vertragsreferenden mit „Ja“ gestimmt. Aber ich habe ein Problem und ich bitte den Rat, es zu lösen.

Wir brauchen eine konsolidierte Fassung des Vertrags, bevor wir unsere Bürger bitten, eine sachkundige Entscheidung zu treffen. Damit Sie verstehen, was ich meine, brauchen Sie sich nur auf Seite 51 des Vertrags den Abschnitt mit dem Titel „Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft“ anzusehen, den die Bürger vielleicht lesen und prüfen wollen. Ziffer 32 lautet: „Als Artikel 17 wird der bisherige Artikel 12 eingefügt.“ Ziffer 33 lautet: „Als Artikel 17 a wird der bisherige Artikel 13 eingefügt; in dessen Absatz 2 werden die Worte „beschließt der Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251, wenn er gemeinschaftliche Fördermaßnahmen“ ersetzt durch „können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Grundprinzipien für Fördermaßnahmen der Union“ und wird das Wort „annimmt“ durch „festlegen“ ersetzt.“

Herr Präsident, ich muss nicht weiter fortfahren, das sagt wohl schon genug.

 
  
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  Roberta Alma Anastase (PPE-DE).(RO) Herr Präsident! Ich freue mich, Sie heute, drei Tage nach einem außerordentlich wichtigen Ereignis für Rumänien, hier zu sehen.

Gemäß dem Vertrag über den Beitritt zur Europäischen Union fanden an diesem Sonntag, sechs Monate nach dem ursprünglich vorgesehenen Termin, in Rumänien Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Somit konnten die Bürger Rumäniens, europäische Bürger, ihre Vertreter in der demokratischsten Institution der Europäischen Union direkt wählen. Auch wenn sich die Wahlbeteiligung im Rahmen des europäischen Durchschnitts bewegte, der nicht sehr hoch ist, bin ich überzeugt, dass den rumänischen Bürgern durch das Engagement unserer neuen Kollegen in Rumänien zunehmend bewusst werden wird, welche Auswirkungen die Tätigkeit des Europäischen Parlaments auf ihr Alltagsleben hat. Die Tatsache, dass keine extremistische Partei die für den Einzug in das Europäische Parlament erforderliche Anzahl von Stimmen erhielt, zeigt, dass die rumänischen Bürger bereits europäische Reife und Verantwortungsbewusstsein bewiesen haben.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich alle diejenigen beglückwünschen, die von den Bürgern Rumäniens dazu ausersehen wurden, sie im Europäischen Parlament zu vertreten, und ich hoffe ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu anderen politischen Familien auf die Zusammenarbeit mit ihnen um des Wohlergehens der Rumänen willen.

 
  
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  Bogusław Rogalski (UEN).(PL) Herr Präsident! Polnische Fischer haben gestern vor dem Hauptsitz der Kommission in Brüssel demonstriert. Sie protestierten gegen die ungerechte und diskriminierende Vorgehensweise der Kommission gegen die polnische Fischereiindustrie.

Dabei geht es um das Fangverbot für Kabeljau in der Ostsee. Kabeljau stellt die Haupteinnahmequelle für polnische Fischer dar. Das Fangverbot wurde von der Kommission als Strafe für das Überschreiten der Jahresfangquote für Kabeljau verhängt. Des Weiteren hat die Kommission damit gedroht, Polen gegebenenfalls für 2008 überhaupt keine Fangquote zuzuteilen bzw. die Quote zu senken. Dadurch würde die polnische Fischereiindustrie mit Sicherheit zusammenbrechen. Die zugeteilten Quoten sind äußerst restriktiv und basieren auf unvollständigen und verzerrten Angaben über die Kabeljaubestände in der Ostsee.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum Polen das einzige Land war, das kontrolliert wurde, als es eine detaillierte Überprüfung der Fischerei in allen Ländern forderte. Deutsche, schwedische und dänische Fischer überziehen die Quoten ebenfalls. Sollen die polnischen Fischer das Opferlamm von Kommissar Borg werden? Oder soll auf diese Weise womöglich durch Rückgriff auf die Europäische Kommission der Wettbewerb ausgeschaltet werden? Offensichtlich hat es die EU versäumt, den Gleichheitsgedanken zu berücksichtigen. Aus diesem Grund befürworte ich den Protest.

 
  
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  Maciej Marian Giertych (NI).(PL) Herr Präsident! Ich rufe dazu auf, dass wir uns der Sache der Ägypterin Shadia Nagui Ibrahim annehmen. Diese Frau wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie bei ihrer Heirat angeblich nicht wahrheitsgetreu erklärt hatte, sie sei Christin. Tatsächlich jedoch hat sie die Wahrheit gesagt, denn sie ist Christin. Sie gehört der koptischen Kirche an, wusste allerdings nicht, dass ihr Vater, auch ein koptischer Christ, für eine Weile zum Islam übergetreten war und schließlich wieder zum koptischen Glauben zurückkehrte.

Nach ägyptischem Recht ist Shadia Nagui Ibrahim Muslimin, weil ihr Vater einmal Muslim war. Der Glaube eines Menschen kann jedoch nicht durch die Position nationaler oder juristischer Behörden bestimmt werden. Er ist eine Frage der persönlichen Überzeugung. Wenn Ägypten als zivilisiertes Land gelten möchte, muss es seine intolerante antichristliche Gesetzgebung ändern.

 
  
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  Antonio Tajani (PPE-DE).(IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Ich möchte mich an den Herrn Kommissar wenden, und zwar bezüglich des Missbrauchs der Strukturfonds, der leider in der Europäischen Union immer mehr zunimmt.

Es ist schockierend, was in Ungarn mit dem LEADER-Programm passiert ist. Die lokalen Aktionsgruppen (LAGs) des LEADER-Programms, die lokale Behörden und Kommunalverwaltungen zusammenbringen sollen, um das LEADER-Programm auf ungarischem Boden umzusetzen und weiterzuentwickeln, wurden nur aus Verwaltungen gebildet, die einer einzigen politischen Partei angehören, nämlich der Regierungspartei, und zwar unter Ausschluss lokaler Verwaltungen, die von Nichtregierungsparteien geführt werden.

Das ist ein absoluter Skandal, und meines Erachtens muss die Europäische Kommission Maßnahmen gegen die ungarische Regierung ergreifen, vielleicht durch die Eröffnung von Vertragsverletzungsverfahren, da die Strukturfonds nicht ordnungsgemäß verwendet werden. Die Bürger einiger Gemeinden kommen nur deshalb nicht in den Genuss entsprechender Mittel, weil ihre Verwaltung mit der Regierung nicht konform geht.

 
  
  

VORSITZ: ADAM BIELAN
Vizepräsident

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Die Nahost-Konferenz in Annapolis ging für die Europäische Union mit gemischten Ergebnissen zu Ende. In den letzten Monaten haben uns sowohl Kommissarin Waldner als auch der Hohe Vertreter Herr Solana im Plenum versichert, dass die Europäische Union eine aktive Rolle bei der Gestaltung der Nahostpolitik spiele. Wenn ich aber die heutige Rede von Präsident Bush lese, erkenne ich kein Anzeichen dafür. Im Gegenteil, ich lese da, dass sich die Parteien auf die Schaffung eines Mechanismus zur Umsetzung der Roadmap geeinigt haben, die von den USA kontrolliert werden soll. Der bevorstehende Friedensvertrag wird ebenfalls auf der Grundlage der Roadmap umgesetzt, wobei die USA als Hauptschiedsrichter fungieren sollen. Wo bleibt denn da die Europäische Union? Welche Botschaft der Hoffnung können wir für die Zukunft verkünden, wenn wir doch nur Zuschauer bei den Ereignissen sind?

 
  
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  Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE).(LT) Herr Präsident! Am vergangenen Samstag wurden in Russland – in Moskau und St. Petersburg – friedliche und vollkommen gesetzeskonforme Versuche russischer Bürger, ihre Missbilligung der Politik der gegenwärtigen russischen Regierung zu bekunden, brutal unterdrückt. Der Führer der Oppositionsgruppe Das andere Russland, Gary Kasparow, die Führer der Union der Rechtskräfte, Nikita Belych und Boris Nemzow, und andere Anhänger erfuhren Gewalt und wurden von der Miliz festgenommen. Gary Kasparow wurde sogar zu fünf Tagen Haft verurteilt.

Dieser Vorfall ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Menschen in Russland keine Meinungsfreiheit genießen und in ständiger Gefahr leben, weshalb die Mitglieder der Opposition dauernd um die Sicherheit ihrer Familien fürchten müssen.

Herr Präsident, ich bin mir ganz sicher, dass wir, das Europäische Parlament, diese Vorfälle nicht stillschweigend hinnehmen können. Wir können Birma und Pakistan in Sachen Moral, Demokratie und Menschenrechte nicht mit strengerer Elle messen als Russland. Herr Präsident, ich bitte Sie eindringlich, sich aktiv für den Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Russland einzusetzen. Es kommt nicht darauf an, in welchem Land die Menschen für die Freiheit kämpfen – sie kämpfen auch für unsere Freiheit. Wenn also ein freier Mensch in Ketten gelegt wird ...

(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)

 
  
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  Präsident. − Vielen Dank, Frau Andrikienė. Leider können wir diesem Punkt auf der Tagesordnung nicht mehr Zeit widmen.

 
  
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  Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Eine Bemerkung zur Anwendung der Geschäftsordnung: Einige von uns warten hier seit 19.00 Uhr – es ist jetzt 21.40 Uhr –, nur um während der Ausführungen von einer Minute sprechen zu können. Jetzt kürzen Sie diesen Punkt auf unter 15 Minuten. Das ist unfair gegenüber den Abgeordneten, die hier schon den ganzen Abend warten. Man hätte uns vielleicht vorwarnen sollen, dann hätten wir nicht so viele Stunden warten müssen.

 
  
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  Präsident. – Ich kann Ihren Ärger verstehen. Ich habe den Vorsitz erst vor zwei Minuten übernommen. Allerdings ist mir mitgeteilt worden, dass wir bedauerlicherweise nur noch sehr wenig Zeit haben. Wir müssen die Aussprachen um Mitternacht schließen, jedoch stehen auf unserer Tagesordnung noch immer viele Punkte, die abgearbeitet werden müssen. Es tut mir wirklich leid.

 

21. Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (Aussprache)
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  Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Gisela Kallenbach im Namen des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (KOM(2006)0093

– C6-0081/2006 – 2006/0031(COD)

) (A6-0276/2007).

 
  
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  Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. − Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Waffen sind keine gewöhnlichen Produkte. Tragische Ereignisse, ob in Erfurt, Antwerpen oder Helsinki, haben uns das Gefahrenpotenzial vor Augen geführt, das Waffen für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und gerade von Kindern darstellen. Unsere Anforderungen an die Produktion, den Verkauf und den Besitz von Waffen müssen daher strikt sein.

Auch wenn unser europäisches Recht den Mitgliedstaaten ausdrücklich einräumt, über das gemeinsam vereinbarte Schutzniveau hinauszugehen, bin ich sehr dankbar, dass das Parlament eine deutliche Stärkung der Sicherheitslage anstrebt, soweit Waffen in Europa betroffen sind. Mein besonderer Dank gilt der Berichterstatterin des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Frau Kallenbach, und der Vorsitzenden dieses Ausschusses, Frau McCarthy. Ich möchte mich ausdrücklich bei Ihnen beiden für die vorzügliche Zusammenarbeit bedanken!

Ich möchte noch einmal den Hintergrund der heutigen Entscheidung in Erinnerung rufen. Ausgangspunkt war die notwendige Veränderung unseres Rechtes, um eine Ratifizierung des UNO-Waffenprotokolls möglich zu machen. Erst danach war eine umfassende Änderung des europäischen Waffenrechts geplant. Dank Ihnen, meine Damen und Herren, haben wir das in einem einzigen großen Schritt geschafft, und zwar im ersten Anlauf, denn auch der Rat hat sich politisch auf den heutigen Gesamtvorschlag festgelegt.

In einer Reihe von schwierigen Fragen waren Lösungen zu finden, und das heutige Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir tasten die unterschiedlichen Traditionen und kulturellen Gegebenheiten in unseren Mitgliedstaaten nicht an, sondern respektieren, dass es lange und ganz verschiedene Traditionen gibt, was Jäger, Sportschützen und Waffensammler betrifft. Ein europäischer Schusswaffenpass wird demnächst grenzüberschreitendes Reisen erleichtern und die grenzüberschreitende Begegnung von Jägern und Sportschützen auf sichere Grundlagen stellen. Wir haben uns ebenfalls dafür entschieden, für eine angemessene Kennzeichnung und Registrierung von Waffen zu sorgen, damit grenzüberschreitender Handel und Transport von Waffen im Binnenmarkt möglich, aber auch nachvollziehbar und damit sicherer werden.

Eine wichtige Neuerung ist die Erfassung aller Waffen, die sich in persönlichem Besitz befinden. Wir müssen wissen, wer welche Waffen hat. Mit dieser Erfassung schieben wir dem illegalen Besitz von Waffen oder dem illegalen Handel mit Waffen einen weiteren Riegel vor. Die Daten sollen 20 Jahre aufbewahrt werden, damit über einen ausreichend langen Zeitraum die Rückverfolgbarkeit von Waffen gewährleistet ist. Das ist in jeder Hinsicht begrüßenswert. Allerdings hält es die Kommission an dieser Stelle für richtig, in einer Erklärung unser Verständnis des neuen Erwägungsgrundes 9e zur Datenschutzrichtlinie zu verdeutlichen.

Wir haben uns ebenfalls dafür entschieden, dass der Erwerb von Waffen durch Minderjährige unter 18 Jahren künftig verboten sein soll. Europa setzt damit ein klares Signal: Waffenkauf ist nichts für heranwachsende Jugendliche! Selbstverständlich bleibt es dabei, dass die Sportschützen und Jäger, auch wenn sie noch nicht 18 Jahre alt sind, ihrem Hobby nachgehen können, aber nur unter Aufsicht von Erwachsenen, wie zum Beispiel Trainern oder den Eltern. Es ist schon zu viel Unglück mit Waffen in den Händen von Heranwachsenden passiert. Ich hoffe, dass die neue Regelung dazu beitragen wird, neues Unglück zu vermeiden und das Bewusstsein für den notwendigen, besonders sorgfältigen Umgang mit Waffen, gerade auch bei jungen Sportschützen oder Jägern, zu stärken.

Wir waren damit konfrontiert, dass Technologie und kriminelle Energie in Europa zu einem bisher unbekannten Problem geführt hatten: Ich meine den Umbau von an sich ungefährlichen Waffen in scharfe Waffen. Frau McCarthy hat als Erste auf dieses Problem aufmerksam gemacht. De facto wurde damit das Recht einfach umgangen. Aber auch damit ist jetzt Schluss. Wir werden uns im Übrigen in den kommenden zwei Jahren noch intensiver mit dem Problem von Nachbauten von Schusswaffen zu beschäftigen haben, um keinerlei Sicherheitslücken zuzulassen. Gleiches gilt auch für die Frage, wie man Feuerwaffen am sinnvollsten entschärft.

Sie wissen auch, dass die Kommission dafür eingetreten ist, Sanktionen im europäischen Recht zu verankern, da der Europäische Gerichtshof in dieser Frage eindeutig entschieden hat. Die Kommission anerkennt aber, dass sich im Erwägungsgrund 8 ein Hinweis auf diese strafrechtlichen Sanktionen und auf das UN-Protokoll befindet. Das ist wichtig, denn die Einhaltung von Artikel 5 des UN-Protokolls erfordert zwingend Sanktionen durch die Mitgliedstaaten. Ich bin zuversichtlich, dass die Mitgliedstaaten das in ihrem nationalen Recht auch vorsehen. Eine Erklärung der Kommission dazu wird ebenfalls im Generalsekretariat des Parlaments abgegeben(1). Ich möchte mich an dieser Stelle besonders bei Herrn Alvaro für seine Unterstützung bedanken!

Europa gibt sich ein modernes Waffenrecht. Ein Recht, das auf die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger setzt und den Schutzbedürfnissen heranwachsender Jugendlicher Rechnung trägt. Wir heben unsere gemeinsamen europäischen Schutzanforderungen an.

Jetzt ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Zeichen der Zeit zu erkennen und entsprechend den eigenen nationalen Bedingungen die Regeln im Einzelnen weiterzuentwickeln. Wer also auf nationaler Ebene striktere Regeln für richtig und zwingend hält, der hat meine ganz persönliche Unterstützung, und den kann ich nur auffordern, es zu tun!

Ich setze darauf, dass Ihre Kollegen in den nationalen Parlamenten bei Waffen ganz klar entscheiden. Es muss immer heißen: Vorfahrt für die Sicherheit. Die heutige Beschlussfassung macht den Weg dafür frei und dafür danke ich Ihnen.

1) Erklärung zu Sanktionen

„Die Kommission begrüßt die zügige Annahme der Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen, bedauert jedoch, dass der Rat ihren ursprünglichen Vorschlag bezüglich Artikel 16 zu strafrechtlichen Sanktionen ablehnt.

Die Kommission stellt fest, dass die Gemeinschaft dafür zuständig ist, strafrechtliche Sanktionen in Übereinstimmung mit Artikel 5 des Protokolls betreffend die Bekämpfung der unerlaubten Herstellung von und des unerlaubten Handels mit Schusswaffen, Teilen von Schusswaffen und Munition zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität festzulegen.

Deshalb ist die Kommission der Auffassung, dass eine Entscheidung über die Ratifizierung des Protokolls von einer Zuständigkeitserklärung begleitet sein muss, die dem Bereich der Zuständigkeit der Gemeinschaft korrekt Rechnung trägt.

Die Kommission behält sich in dieser Hinsicht ihre institutionellen Rechte vor.“

2) Entwurf einer Erklärung zum Datenschutz

„Die Kommission stellt fest, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen dieser Richtlinie unter Einhaltung von Richtlinie 95/46/EG erfolgen muss und das Schutzniveau für Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Rechtsvorschriften nicht beeinträchtigen darf und insbesondere die in der Richtlinie 95/46/EG festgelegten Pflichten und Rechte nicht ändert.

In dieser Hinsicht sollte die Notwendigkeit, die Mindestaufbewahrungszeit für Waffenbücher, die Angaben zu den Eigentümern von Waffen enthalten, von zehn auf zwanzig Jahre zu verlängern, begründet werden. Die Kommission ist überzeugt, dass eine solche Verarbeitung personenbezogener Daten begründet ist angesichts der Gefährlichkeit und der Langlebigkeit solcher Waffen wie auch deren möglicher missbräuchlicher Nutzung für kriminelle Zwecke, weshalb eine angemessene Rückverfolgung der Feuerwaffen sowie auch deren Eigentümer erforderlich ist.

Die Kommission stellt ferner fest, dass im Sinne dieser Richtlinie und entsprechend den Anforderungen der Richtlinie 95/46/EG ein Zugriff auf die zentrale Datei bzw. das System, das einen Zugang zu nicht zentralen Dateien gewährleistet, nur für die Polizei- und Justizbehörden für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten möglich sein sollte.“

 
  
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  Gisela Kallenbach, Berichterstatterin. − Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein langer Prozess kommt nun zu einem hoffentlich erfolgreichen Ende. Lassen Sie mich daher mit einem herzlichen Dank an alle beginnen, die mitgewirkt haben, die Schattenberichterstatter vom Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Herr Podestà, Herr Lehtinen, Frau Riis-Jørgensen, die Ausschussvorsitzende, Aline McCarthy, und das zuständige Sekretariat, die Mitarbeiter der Berichterstatter im LIBE-Ausschuss, Kollege Alexander Alvaro, und die Mitstreiter, die Ratspräsidentschaft, vertreten durch Herrn António Delicado und seine Kollegen, und last but not least, die Kommission, vertreten durch Herrn Michel Ayral und seine Kollegen, die durch ihren Chef, Herrn Kommissar Verheugen motiviert wurden, eine gemeinsame Lösung zu finden.

Ich habe in diesem Prozess viel gelernt. Ich habe gelernt, welche Rolle Lobbyisten wirklich spielen können, wie einige konstruktiv an gemeinsamen Lösungen mitarbeiteten, wie aber andere durch Halbwahrheiten und Fehlinformationen dies bewusst verhindern wollten. Von Anbeginn war mir klar, dass es nicht so einfach ist, die richtige Balance zu finden zwischen den Erfordernissen eines funktionierenden Binnenmarktes und den berechtigten Sicherheitsinteressen der Bürger bei illegalem Waffengebrauch und den guten, nachvollziehbaren Erwartungen der Jäger und Sportschützen zur weitgehend ungestörten Ausübung ihres Hobbys. Herr Verheugen hat es bereits erwähnt, wir wollten die Erfahrungen aus der Anwendung der Richtlinie 477/91 nutzen, die dabei festgestellten Mängel beheben und das von der Kommission bereits 2002 unterzeichnete UN-Waffenprotokoll in Gemeinschaftsrecht überführen. Daher haben wir auch die Verpflichtung gehabt, bestimmte Artikel einzuführen, um eben illegale Nutzung, Handel und Erwerb zu unterbinden. Dieser Kompromiss trägt diesen Anforderungen Rechnung. Ich gestehe, dass ich mir hier oder da noch eindeutigere Regelungen gewünscht hätte, z. B. im Sinne von besserer Rechtsetzung oder Vereinfachung, ebenso wie die europaweite Reduzierung der Waffenkategorien auf zwei, wie dies bereits in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten der Fall ist. Dafür habe ich keine Mehrheiten gefunden.

Insgesamt bin ich aber mit dem erzielten Kompromiss sehr zufrieden. Bedenken wir, dass wir somit ein teilharmonisiertes Waffenrecht in 27 Mitgliedstaaten umsetzen. Wir haben es noch mit sehr unterschiedlichen nationalen Waffenrechten zu tun. Dieser Fakt der Teilharmonisierung wird den legalen Handel erleichtern und auch zu mehr Sicherheit beitragen. 100% Sicherheit vor Missbrauch kann niemand gewährleisten. Aber wir sollten uns verpflichtet fühlen, auch das haben wir bereits gehört, solch tragischen Ereignissen wie in Deutschland, Finnland oder auch Belgien weitgehend vorzubeugen.

Ich will jetzt nicht auf Einzelheiten der neuen Regelung eingehen – Sie kennen sie – Herr Verheugen hat einige bereits genannt. Ich denke, es ist sehr gut, dass wir bis 2014 ein computergestütztes Waffenregister in den Mitgliedstaaten einführen wollen. Das wird den Informationsaustausch verbessern und die Rückverfolgbarkeit bei Missbrauch wesentlich erleichtern oder überhaupt erst möglich machen. Auch dem Zeitalter des Web wird Rechnung getragen, die Vorschriften gelten im Internethandel gleich wie im Direkthandel.

Gestatten Sie mir abschließend noch einige Anmerkungen, die Ihnen Ihre Entscheidung erleichtern sollen und Argumente von Gegnern eines verbesserten europäischen Waffenrechts berücksichtigen. Die Richtlinie gilt nicht für Waffen- und Munitionssammler, auch nicht für öffentliche Dienste oder kulturelle und historische Einrichtungen. Die Bestimmungen werden nicht retroaktiv eingeführt. Wir schlagen nationalstaatliche und nicht europaweite Waffenregister vor. Obwohl ein solches für Kühe existiert, bei Waffen scheint es sich damit etwas schwieriger zu verhalten. Wir sind auch keine grundsätzlichen Gegner von Herstellern, Händlern, Sportschützen oder Jägern, die verantwortungsbewusst mit dem besonderen Handelsgut Waffen umgehen.

Ich habe mir berichten lassen, dass bei der Diskussion zur Ursprungsrichtlinie in den 90er Jahren sehr große Vorbehalte geäußert und emotionale Diskussionen geführt wurden. Später wurde die Richtlinie als sehr hilfreich, praktikabel und wirksam angesehen. In diesem Sinne bin ich gewiss, dass uns das mit dem Ihnen vorliegenden gemeinsamen Kompromiss auch gelingen wird. Ich rechne mit Ihrer Unterstützung.

 
  
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  Alexander Alvaro, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. − Herr Präsident! Dem, was die Kollegin Kallenbach gesagt hat, gibt es nicht sehr viel hinzuzufügen, außer, dass es mir eine Freude ist, mich sowohl bei der Vorsitzenden des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Arlene McCarthy, bei meiner Kollegin im Binnenmarktausschuss, Gisela Kallenbach, mit der ich in dieser Phase sehr vertrauensvoll und eng zusammengearbeitet habe, zu bedanken, und nicht zuletzt bei der Kommission, vertreten in diesem Fall durch Herrn Kommissar Verheugen. Wir haben in seltenen Fällen eine solch enge Zusammenarbeit gehabt.

Was bleibt einem in einer Minute zu sagen, wenn man dreißig Sekunden auf Danksagungen verbraucht?

Im Wesentlichen haben wir durchgesetzt, dass die Europäische Union ein klares Signal gegeben hat, dass sie, wenn sie den legalen Waffenhandel regelt, damit auch gleichzeitig illegalen Waffentransfer und Waffenmissbrauch bekämpft. Wir haben deutlich gemacht, dass die Europäische Union nicht tolerieren wird, dass auf ihrem Gebiet in irgendeiner Form Verbrechen begangen werden mittels Waffen, mittels Funktionen, die nicht in einen legalen Prozess eingebunden worden sind, geschweige denn, dass wir tolerieren würden, dass Menschen die Rechte, die sie durch die EU bekommen haben, missbrauchen.

All diejenigen, die wie ich heute zahlreiche E-Mails von Jägern und Sportschützen bekommen haben, die uns als Europäische Union eine Einschränkung ihrer Freiheiten vorwerfen, kann ich nur darauf hinweisen: Lesen Sie diese Richtlinie, wenden Sie sich an die Kommission, und Sie werden feststellen: Die Europäische Union hat zum Schutze ihrer Bürger gehandelt und nicht zum Gegenteil!

 
  
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  Guido Podestà, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin der Berichterstatterin, Frau Kallenbach, und den Schattenberichterstattern aus den anderen Fraktionen dankbar dafür, dass sie durchgehend für Konsultationen zur Verfügung gestanden haben, was es uns ermöglicht hat, einen innovativen und doch wirklich sehr ausgewogenen Kompromiss zu erzielen.

Der Zweck der vorgeschlagenen Änderung der Richtlinie ist es, die Richtlinie an das UN-Protokoll zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität anzupassen, was den legalen Erwerb von und den Handel mit Feuerwaffen ausschließlich für die zivile Nutzung betrifft. Die Richtlinie umfasst heikle Fragestellungen von allgemeinem Interesse, z. B. die Sicherheit unserer Bürger, aber auch sportliche Traditionen und die Brauchtumspflege von Millionen von Europäern, die auf die Jagd gehen.

Eingehende Gespräche mit dem Rat haben es uns ermöglicht, einen Entwurf zu erarbeiten, der einen fairen Ausgleich erzielt zwischen dem Wunsch nach harmonisierten Regeln einerseits und der Achtung der spezifischen kulturellen Praktiken einzelner Länder andererseits unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips.

Zum ersten Punkt möchte ich das Kennzeichnungssystem für Feuerwaffen und deren Hauptbestandteile hervorheben, das nicht zuletzt der Gewährleistung ihrer Rückverfolgbarkeit dient, des weiteren die Verpflichtung, bestimmte Angaben für mindestens 20 Jahre zu speichern, die strengere Überwachung von Online-Verkäufen angesichts der damit bekanntlich verbundenen Risiken, die Einschränkungen für den Gebrauch von Feuerwaffen durch Minderjährige und durch Menschen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könnten, sowie die Einführung allgemeiner Grundsätze für die Deaktivierung von Feuerwaffen.

Hinsichtlich des zweiten Punktes möchte ich daran erinnern, dass die gegenwärtige Einteilung in vier Kategorien aus Achtung vor dem bereits erwähnten kulturellen und historischen Brauchtum beibehalten wurde, wobei eine erneute Bewertung ermitteln soll, welche Vor- und Nachteile eine Reduzierung auf nur zwei Kategorien bis 2012 mit sich bringen würde.

Die mangelnde Verfügbarkeit des Rates hat jedoch verhindert, dass der Europäische Feuerwaffenpass das einzige für die Mitnahme von Schusswaffen erforderliche Dokument sein wird, und das ist in meinen Augen eine verpasste Gelegenheit.

 
  
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  Lasse Lehtinen, im Namen der PSE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Meinen aufrichtigen Dank an die Berichterstatterin, Frau Kallenbach, und die Schattenberichterstatter sowie an Frau McCarthy als Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz dafür, dass sie dieses komplizierte Paket von Rechtsvorschriften zu Ende gebracht haben. Als wir vor fast zwei Jahren mit dieser Arbeit begannen, wurde uns versichert, es würde sich hierbei in erster Linie um eine technische Maßnahme handeln, deren alleiniger Zweck darin bestehe, das UN-Protokoll zu den Schusswaffen in EU-Recht zu überführen. Der Prozess war jedoch alles andere als eine technische Aufgabe. Einige wollten Waffen vollständig verbieten und selbst den legalen Gebrauch für Freizeitaktivitäten beschränken, während einige andere Leute keinerlei Kontrolle über den Erwerb und die Verwendung von Waffen haben wollten.

Unter der Leitung unserer Berichterstatterin, Frau Kallenbach, haben wir jedoch einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den wichtigsten Gruppen gefunden, der sowohl die Sicherheit des Einzelnen und der Gesellschaft als auch die Bedürfnisse derjenigen berücksichtigt, die Waffen für Freizeitaktivitäten nutzen, oder z. B. auch von Jägern. Es ist gut, dass sämtliche Waffen in der EU registriert werden, um sie leichter rückverfolgen zu können, und dass die Mitgliedstaaten die Daten zu einer Waffe und ihrem Besitzer künftig über einen Zeitraum von 20 Jahren aufbewahren müssen. Wichtig ist weiterhin, dass auch Nachahmungen von Waffen sowie umgebaute Waffen unter diese Richtlinie fallen. Das Leben von Jägern und Sportschützen wird um Einiges leichter, wenn der Europäische Feuerwaffenpass das einzige Dokument ist, das sie bei Reisen von einem Land in ein anderes vorlegen müssen, und dafür sollte auch keine Gebühr erhoben werden.

Die in der Richtlinie vorgesehene Altersgrenze von 18 Jahren und die Ausnahmeregelungen halte ich für vernünftig. Das bedeutet zum Beispiel, dass in meinem Heimatland Finnland die Tausenden von registrierten minderjährigen Jägern auch weiterhin mit Erlaubnis ihrer Eltern ihrem Hobby nachgehen können, so wie sie es bislang getan haben. Gerade Richtlinien wie diese erweisen sich in den Augen der Öffentlichkeit als sinnvoll. Auch die vier Grundfreiheiten der EU werden in dem Maße an Stärke gewinnen, wie die EU zu einer sicheren Region der Binnenrechte fortentwickelt wird.

 
  
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  Samuli Pohjamo, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Auch ich möchte zunächst der Berichterstatterin, Frau Kallenbach, für ihren sehr guten Bericht danken. Für die Zukunft aller ist es wichtig, die illegale Herstellung von und den Handel mit Schusswaffen zu verhindern. Der Bericht dient der Verwirklichung dieses Ziels.

Wir Finnen waren besorgt darüber, ob junge Menschen auch weiterhin die Möglichkeit haben würden, in ihrer Freizeit der Jagd nachzugehen. Der Jagdsport unterliegt in Finnland der Zulassungspflicht und wird streng überwacht. Erfahrene Jäger geben Unterweisungen im sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit Waffen. Ich halte es für wichtig, dass diese bewährte Praxis und die lange Tradition in Finnland auch nach der Annahme dieser Richtlinie fortgeführt werden können. Es ist wichtig, dass wir morgen einem sorgfältig ausgearbeiteten Kompromiss zustimmen können, in dem die unterschiedlichen Praktiken in den Mitgliedstaaten miteinander vereinbar werden und die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen zum Zwecke der Jagd für unter 18-Jährige regeln können.

 
  
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  Andrzej Tomasz Zapałowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Kontrolle des Besitzes von Waffen ist von außerordentlicher Wichtigkeit, wenn es darum geht, die Sicherheit der in Europa lebenden Menschen zu gewährleisten. Selbstverständlich dürfen einschlägige Bestimmungen weder das Recht der Bürger, ihre eigene Sicherheit auf ihrem eigenen Grund zu garantieren, über Gebühr einschränken, noch dürfen sie ihr Recht beschneiden, ihre persönliche Sicherheit zu schützen, während sie wichtige öffentliche Aufgaben wahrnehmen bzw. nachdem sie ein solches öffentliches Amt bekleidet haben.

Außerdem sind Bürger berechtigt, Waffen zu besitzen, bei denen es sich um Erbstücke handelt oder die zum Jagen bzw. für sportliche Aktivitäten verwendet werden. All dies ist Teil der europäischen Tradition. Sämtliche Einschränkungen sollten sich auf den psychologischen Zustand der betreffenden Person beziehen sowie für Menschen gelten, die im Verdacht stehen, Straftaten begangen zu haben. Des Weiteren sollten entsprechende Beschränkungen meiner Ansicht nach für Personen Gültigkeit haben, die sich öffentlich für Faschismus und radikalen Kommunismus aussprechen sowie für islamistische Extremisten.

In Europa steht gegenwärtig Technik zur Verfügung, die es jedem, der keine zwei linken Hände hat, erlaubt, relativ schnell eine Amateurwaffe zu bauen. Die Umsetzung von unnötigen Restriktionen wird Kriminelle daher nicht vom Waffenbesitz abhalten, sondern nur die Rechte der Bürger übermäßig beschränken, einschließlich ihres Rechts auf Selbstverteidigung. Unser Grenzschutz muss weiter verstärkt werden, weil es illegalen Einwanderern noch immer gelingt, nach Europa einzudringen, und Waffen können sogar noch einfacher eingeschmuggelt werden.

 
  
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  Jens Holm, im Namen den GUE/NGL-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Die vorgeschlagenen Änderungen der EU-Waffenrichtlinie zielen auf eine bessere Waffenkontrolle ab. Wir werden eine bessere Kennzeichnung sowie strengere Auflagen für den Waffenhandel und die Herstellung von Waffen erhalten. Das ist gut. Besonders positiv ist, dass der Ausschuss diese Anforderungen weiter verschärft hat. Dieses Thema gewinnt besondere Bedeutung im Lichte der tragischen Todesschüsse in der Jokela-Schule in Finnland vor einigen Wochen. Die Kombination von Jugendlichen auf der schiefen Bahn, der Verbreitung einer Kultur der Gewalt über das Internet und dem Zugang zu Waffen ist leider tödlich. Deshalb sind die strengeren Vorschriften, die wir jetzt annehmen, so wichtig.

Positiv ist ebenfalls, dass es sich um eine Mindestrichtlinie handelt. Mit anderen Worten, Mitgliedstaaten können weiter reichende Bestimmungen erlassen. Ich würde mir wünschen, die gesamte EU-Gesetzgebung wäre so aufgebaut. Das würde viele Probleme lösen. Es sieht so aus, als könnten wir in der ersten Lesung eine Einigung erzielen. Das ist erfreulich, denn so können wir Zeit und Mittel sparen, die wir für andere Dinge, beispielsweise für die Schaffung einer friedlicheren und kinderfreundlicheren Gesellschaft, einsetzen können.

 
  
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  Hélène Goudin, im Namen den IND/DEM-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Die Jagd ist ein alter Brauch. Jeder Mitgliedstaat hat seine besonderen Jagdtraditionen, die er bewahren möchte. Die heutige Aussprache kennzeichnet daher den Abschluss eines langen Prozesses. Dabei sind starke Willen aufeinandergeprallt, wurden zahlreiche Diskussionen geführt und den Schattenberichterstattern die Teilnahme an den Trilog-Sitzungen verwehrt.

Einige der ursprünglichen Vorschläge hätten die Jagdkultur der Mitgliedstaaten bedrohen können. Der Europäische Feuerwaffenpass als alleiniges Dokument für die zeitweilige Verbringung von Jagd- und Sportwaffen in einen anderen Mitgliedstaat war bedauerlicherweise nicht ausreichend. Die Freizügigkeit wird dadurch behindert, dass einige Mitgliedstaaten die Vorlage weiterer Dokumente fordern können. Die Jäger und Sportschützen der Gemeinschaft sind einer größeren Bürokratie ausgesetzt als Personen aus Drittländern. Erfreulicherweise ist die Erhebung von Gebühren für diese Genehmigung verboten worden.

Im Laufe der Verhandlungen habe ich als Schattenberichterstatterin versucht, Einfluss auf den endgültigen Bericht zu nehmen, wenn ich zu den Sitzungen zugelassen war. Ich habe mich in meiner Arbeit vor allem auf zwei Schwerpunkte konzentriert: die Verhinderung eines Verbots, Waffen über das Internet zu bestellen, sowie einer Änderung der Möglichkeiten für Ausnahmegenehmigungen für die Ausbildung an Schulen, die Programme für Naturverwaltung und Jagd anbieten. In abgelegenen Regionen würde ein Verbot des Waffenkaufs über das Internet den Zugang zu Waffen für Jagdzwecke behindern. Wir haben in Schweden bereits heute gute Vorschriften für den Internethandel, die sowohl von den Jägern als auch den Behörden akzeptiert sind.

Bei der zweiten Frage ging es um die Kriterien für das Mindestalter, die verschiedene Programme in Sekundarschulen beeinträchtigen würden. In Schweden erfüllt die Jagdausbildung eine wichtige Funktion, um zukünftigen Generationen Wissen über Jagd und Wildhege zu vermitteln. Jetzt können unsere Jagdtraditionen weiter bestehen. Der zunächst umständliche, bürokratische Vorschlag ist jetzt zu einem – wenn auch nicht idealen – Kompromiss geworden.

 
  
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  Andreas Mölzer (NI). – Herr Präsident! Schengen und immer brutalere kriminelle Banden machen zweifellos ein verstärktes Vorgehen gegen illegalen Waffenbesitz und organisierte Kriminalität notwendig. Allein, das Ganze gerät zur Farce, wenn unbescholtene Bürger, Jäger und Sportschützen, quasi mit Kriminellen gleichgesetzt werden. Stattdessen müsste es oberste Priorität sein, in den letzten Jahren reduzierte Polizeikräfte wieder aufzustocken.

In Großbritannien ist die Kriminalstatistik seit dem völligen Verbot von Faustfeuerwaffen explodiert. Das sollte uns meines Erachtens zu denken geben. Gerade in unseren rauer werdenden Zeiten, in denen der Staat an der Sicherheitspolitik spart, muss es dem unbescholtenen, psychisch gesunden Bürger erlaubt sein, sich im Notfall gegen einen drohenden Angriff auf Leib und Leben auch zur Wehr zu setzen. Das Gros der Straftaten wird nun einmal nicht mit legal erworbenen Waffen verübt.

Die EU sollte vielleicht auf besseren Grenzschutz, etwa durch Erhöhung der FRONTEX-Mittel, setzen und sich auf eine sicherheitspolitische Verbesserung der Zusammenarbeit konzentrieren.

Die EU-Staaten haben durchwegs ein funktionierendes Waffenrecht, und sollten Verschärfungen erwünscht beziehungsweise notwendig sein, sollten die Entscheidungen darüber in den betroffenen Ländern fallen.

 
  
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  Andreas Schwab (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns anschauen, von welchem Ausgangspunkt aus wir bei diesem Dossier nun am Ende angelangt sind, so kann man ehrlich sagen, dass es gelungen ist, ein politisch hoch brisantes Thema auf eine sachliche Basis zurückzuführen und in Zusammenarbeit mit dem LIBE-Ausschuss eine Lösung zu finden, die auf der einen Seite eine bessere Kontrolle von Waffen innerhalb der gesamten Europäischen Union ermöglicht, ohne aber die berechtigten Interessen von Sportschützen und Jägern, die Angst vor zu viel Bürokratie und vor zu schwerwiegenden und schwerfälligen Registrierungspflichten haben, zu vergessen. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, Herr Kommissar Verheugen, aber auch der Vorsitzenden des Binnenmarktausschusses, Arlene McCarthy, und natürlich auch unserem Schattenberichterstatter, der über Monate hinweg mit der Berichterstatterin und den Kollegen an diesem Dossier sehr hart gearbeitet hat. Das war für die verschiedenen Gruppierungen nicht einfach. Aber ich glaube, das Ergebnis ist ein Kompromiss, der vor dem Hintergrund der Situation im Rat nicht anders ausfallen konnte.

Die Frage wird sein, inwieweit die Kommission für den handelsrelevanten Teil, der im Bereich des UN-Protokolls ja noch vor uns liegt, in der Lage ist, einen Vorschlag zu machen, der im Rat insgesamt auf Wohlgefallen stößt und die Arbeit im Parlament etwas einfacher macht. Da, lieber Herr Verheugen, wünsche ich Ihnen heute ohne Ironie, sondern mit vollem Ernst viel Erfolg und auch das notwendige Quäntchen Geschick, um die Kolleginnen und Kollegen im Rat davon zu überzeugen, dass die Verpflichtungen, die sie im UN-Protokoll eingegangen sind, natürlich nun auch in der EU gelten müssen.

Ich danke also allen, die bei diesem hoch brisanten Thema am Schluss in der Lage waren, den Ball flach zu halten. Ich glaube, dass für alle Beteiligten hier eine solide Lösung auf Kompromissbasis gefunden werden konnte. Ich hoffe, dass wir morgen mit breiter Mehrheit diesen Kompromiss annehmen.

 
  
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  Arlene McCarthy (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich ergreife das Wort als besorgte Europaabgeordnete und nicht als Ausschussvorsitzende. Ich glaube, dass wir mit dieser neuen Rechtsvorschrift zu Waffen unseren Bürgern beweisen können, dass Europa in der Lage ist zu handeln, um das Problem illegaler Waffen anzugehen. Wir haben in Großbritannien strenge Gesetze, aber ohne diese EU-Rechtsvorschrift werden auch weiterhin Waffen auf die Straßen von Städten wie Manchester und Liverpool gelangen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist die Kopie einer 9 mm Smith & Wesson – eine umbaubare Waffe für das Abfeuern von Platzpatronen oder CS-Gaspatronen –, mit der – umgebaut – auch mit echter Munition geschossen werden kann. Keine Panik! Sie ist nicht geladen, sie ist umbaubar, nicht umgebaut. Mit einer solchen Waffe wurde Kamilah Peniston, ein zwölf Jahre altes Mädchen aus Manchester getötet. „Mothers Against Violence“, das heißt Mütter, die Kinder durch Schusswaffenstraftaten verloren haben, fragen mich, wo diese Waffen herkommen und was wir hier unternehmen, um den illegalen Handel mit diesen tödlichen Waffen zu verhindern.

Die Polizei des Großraums Manchester berichtet mir, dass 46 % aller im letzten Jahr beschlagnahmten Waffen umgebaute Waffen waren. Umgebaute Waffen sind jetzt eine billige, beliebte Wahl für Straftäter, und sie sind in ganz Europa, nicht nur im Vereinigten Königreich, ein zunehmendes Problem.

Deshalb danke ich Kommissar Verheugen, unserer Berichterstatterin, Frau Kallenbach, Herrn Alvaro und 25 Mitgliedstaaten für die Unterstützung meiner Änderungsanträge zu hartem Durchgreifen und strengeren Kontrollen im Zusammenhang mit diesen umbaubaren Waffen. Wenn sie den gleichen Kontrollen unterliegen wie echte Handfeuerwaffen, wird es für kriminelle Banden viel schwerer, an sie heranzukommen, und der Schmuggel mit diesen Waffen, die in Großbritannien verboten sind, wird abnehmen.

Die Association of Chief Police Officers, der Verband der leitenden Polizeibeamten im Vereinigten Königreich unterstützt diese Rechtsvorschrift und deren Bestimmungen für umbaubare und stillgelegte Waffen in Bezug auf die Kennzeichnung, die Rückverfolgbarkeit und die Kontrollen von Waffenverkäufen im Wege der Fernkommunikation, einschließlich des Internets.

Nach dem tragischen Ereignis vor kurzem in Finnland und dem geplanten Amoklauf an einer Schule in Deutschland steht fest, dass wir strengere EU-weite Normen für die Kontrolle von Feuerwaffen brauchen. So handelt Europa pragmatisch und trifft praktische Maßnahmen zum Schutz unserer Bürger.

Der tragische und sinnlose Schusswaffentod junger Menschen in meiner Region – des 15-jährigen Jessie James, des 11-jährigen Rhys Jones und der 12-jährigen Kamilah Peniston – sind ein hochsensibles Thema. Ihr Leben wurde ihnen genommen. Wir hier in Europa sind es ihnen und ihren Familien schuldig, dafür zu sorgen, dass diese Schusswaffen von den Straßen verschwinden.

 
  
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  Siiri Oviir (ALDE). – (ET) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der heutigen Gesellschaft mit all ihren Gefahren sind alle Bemühungen, die Sicherheit der Menschen zu verbessern, von ganzem Herzen zu begrüßen. Sicherheit ist eine Voraussetzung für Freiheit aller Art. Sicherheit ist eine Grundeigenschaft einer demokratischen Gesellschaft.

Uns allen ist noch das Schulmassaker von Jokela in frischer Erinnerung, das nicht das erste Beispiel für einen derartigen Vorfall war. Wir müssen aber dafür sorgen, dass es der letzte war.

Angaben der Weltgesundheitsorganisation zufolge stehen zwischenmenschliche Gewalt und Selbstmord an dritter bzw. vierter Stelle der Hauptursachen für Krankheiten und vorzeitigen Tod bei den 15- bis 44-Jährigen.

Ein hoher Anteil davon ist auf den Gebrauch von Schusswaffen zurückzuführen. Der Anstieg der durch Schusswaffen verursachten Todesfälle wird darauf zurückgeführt, dass Schusswaffen sehr leicht zu beschaffen sind.

Es ist sehr zu begrüßen, dass die Europäische Union die Notwendigkeit erkennt, die Aufmerksamkeit auf diese besondere Gefahr zu lenken.

Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt eingehen. Seit der Umsetzung der Richtlinie im Jahre 1993 hat sich nämlich das Internet beträchtlich entwickelt und ist zu einem elektronischen Marktplatz geworden.

Das Ziel der Richtlinie, den Handel mit Waffen zu unterbinden, kann deshalb nur erreicht werden, wenn der Internethandel in ihren Geltungsbereich einbezogen wird.

Daher bin ich der Meinung, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union angemessen und konsequent auf die Lage bei den betreffenden Schusswaffen reagieren müssen. Dazu brauchen wir harmonisierte Verhütungs- und Strafmaßnahmen, die wir im Rahmen einer einheitlichen Politik gestalten müssen.

Abschließend möchte ich der Berichterstatterin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken.

 
  
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  Paul Rübig (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich möchte Frau McCarthy nur darauf aufmerksam machen, dass Schusswaffen im Parlament verboten sind.

 
  
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  Jim Allister (NI). – (EN) Herr Präsident! Da ich nur Zeit für eine Bemerkung habe, möchte ich auf die Ungleichbehandlung beim Europäischen Feuerwaffenpass in der Praxis, besonders in Bezug auf die Jägerschaft, aufmerksam machen. Wenn der Besitzer einer registrierten Waffe in einem anderen EU-Land auf die Jagd gehen möchte, dann legt er in den meisten Ländern bei der Einreise einfach seinen Europass vor, doch wenn er in das Vereinigte Königreich einreisen will, muss er das Original seines Europasses vorab einreichen und dann sechs bis acht Wochen warten, bis dieser von der örtlichen Polizei bearbeitet ist. Somit hat er für diesen Zeitraum keinen Pass und kann in der Zwischenzeit in anderen Drittländern nicht auf die Jagd gehen.

Es besteht keine Notwendigkeit für eine solche Bürokratie, die der Förderung von Jagdurlauben im Vereinigten Königreich, einschließlich in meinem Wahlkreis in Nordirland, ernsthaft schadet. Sicher würde auch eine vorab eingereichte Fotokopie des Europasses den gleichen Zweck erfüllen. Daher vertraue ich darauf, dass diese abweichende Vorgehensweise zu gegebener Zeit geregelt wird.

 
  
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  Michl Ebner (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Basis für die Änderung dieser Richtlinie waren die UNO-Protokolle und die Frage, wie man sich an die Terrorismusbekämpfung effektvoll anpassen kann. Das war auch der Vorschlag der Kommission. Der Vorschlag der Berichterstatterin war dann eine ziemliche Revolutionierung der bestehenden Richtlinie.

Wenn man dann sieht, was wir heute diskutieren und morgen abstimmen, ist es ein Kompromiss, der – wie so oft – nicht alle Seiten voll zufrieden stellt. Der Kompromiss besteht darin, dass man auf der einen Seite versucht, alles was illegal ist zu bekämpfen – und hier sind wir nie konsequent genug – und auf der anderen Seite das Handhaben der legalen Waffen nicht zu sehr zu verkomplizieren. Es hätte sicherlich Bereiche gegeben, wie etwa die Kategorien oder die Registrierung, in denen eine etwas stärkere Regelung unter Einbindung der Subsidiarität angebracht gewesen wäre, doch ist dies nicht voll gelungen. Aber die Ansätze sind vorhanden und wir werden sehen, wie nun die Studie ausfällt bzw. wie die Mitgliedstaaten hier an die Sache herangehen werden.

Ich glaube, dass dieser Kompromiss lebensfähig ist und alle, die daran beteiligt waren, haben sich sicherlich bemüht, genau das zu erreichen. Deswegen von meiner Seite auch den entsprechenden Dank!

Wir sollten uns bei dieser Gelegenheit aber immer wieder den Unterschied zwischen legalen und illegalen Waffen in Erinnerung rufen. Während wir konsequent und hart gegen die Illegalität vorgehen müssen, müssen wir bei den legalen Bereichen auch entsprechende Weisheit und Unkompliziertheit in der Bürokratie als einen wichtigen Maßstab sehen.

 
  
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  Véronique Mathieu (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Text, über den wir morgen abstimmen, ist ein Kompromiss, der letztlich all jene zufrieden stellt, die auf legale Weise Waffen verwenden. Der Ausgangstext der Kommission sagte uns sehr zu, und auch die Positionen des Rates gefielen uns. Leider waren die Positionen der Berichterstatterin ziemlich verworren, und wir mussten energisch gegen ihre Ausgangspositionen ankämpfen. Ich danke Herrn Podesta für seine akribische Arbeit, für seine Geduld, für sein diplomatisches Geschick innerhalb der EVP-Fraktion und bei den zahlreichen Arbeitssitzungen.

Die Kompromisse, die wir erzielt haben, stellen all jene zufrieden, die auf legale Weise Waffen verwenden. Ich muss sagen, dass die französischen Jäger zufrieden sind, dass die vier Kategorien beibehalten wurden: Das war ein sehr wichtiger Punkt für Frankreich, und ich freue mich, heute feststellen zu können, dass wir sie erhalten konnten. Ich freue mich auch, sagen zu können, dass das Zentralregister mir zusagt, weil es ebenfalls logisch ist, die Waffen rückverfolgen zu können. Ich halte das für einen sehr wichtigen Punkt für die Sicherheit der Bürger. Die Waffenhändler sind auch zufrieden mit der CIP-Kennzeichnung. Ferner freuen wir uns über den Versandhandel. Wir sind relativ zufrieden mit dem Text insgesamt.

Allerdings denke ich, dass das vergangene Arbeitsjahr uns veranlassen sollte, über die Ausgangsposition der Berichterstatter nachzudenken, und ich muss sagen, man sollte sich davor hüten, zu einigen Ausgangspunkten eine zu starre Haltung einzunehmen. Wenn nämlich die Kommission und der Rat oder die EVP-Fraktion ihre Positionen nicht entschieden verteidigt hätten, glaube ich, hätten wir einen Text erhalten, der nicht anwendbar wäre, und wären bei grünen Positionen und Ideologien gelandet, die den Jägern und den legalen Nutzern von Waffen sehr geschadet hätten.

 
  
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  Paul Rübig (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich möchte mich nur bei Frau McCarthy erkundigen, ob die Waffe, die sie dabei hat, gekennzeichnet und registriert ist, und ob sie eine Erlaubnis dafür hat, sie hier im Parlament dabei zu haben.

 
  
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  Arlene McCarthy (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich muss auf diese Frage antworten, denn sie zeigt doch, dass Herr Rübig die ihm vorliegende Rechtsvorschrift nicht versteht. Weil diese Waffe nämlich nicht als Feuerwaffe definiert wird, braucht man keine Genehmigung: Jeder von der Straße kann sie kaufen – auch ein Straftäter kann sie kaufen. Herr Rübig sollte sich also sachkundig machen, bevor er hier interveniert.

Ich habe jedoch eine Bemerkung zur Geschäftsordnung, nämlich zu einem Vorwurf, den Frau Goudin erhoben hat, und ich möchte, dass das Protokoll entsprechend berichtigt wird. Bei diesem Trilog wurde kein Schattenberichterstatter ausgeschlossen. Die IND/DEM-Fraktion war eingeladen, sie hat vor 18 Monaten einen Berichterstatter ernannt, dieser erschien weder auf den Sitzungen im Ausschuss noch bei den Anhörungen, und er erschien auch bei keinem Trilog. Frau Goudin weiß sehr wohl, dass sie erst vor zwei Wochen ernannt wurde, um für den Schattenberichterstatter einzuspringen, der nicht erschien.

Ich werde mich vor die Arbeit unserer Berichterstatterin, der Schattenberichterstatter und des Ausschusses stellen, denn wir nehmen unsere Aufgaben ernst, wir leisten ernsthafte Arbeit, und die IND/DEM-Fraktion sollte ihre Arbeit ebenfalls ernst nehmen.

 
  
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  Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen statt.

 
  

(1)siehe "Commission statement appended to debate"


22. Eine neue EU-Tourismuspolitik: Wege zu mehr Partnerschaft für den europäischen Tourismus (Aussprache)
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  Präsident. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von Paolo Costa im Namen des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr über eine neue EU-Tourismuspolitik: Wege zu mehr Partnerschaft für den europäischen Tourismus (2006/2129(INI)) (A6-0399/2007).

 
  
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  Paolo Costa, Berichterstatter. (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Bericht, den ich hier vorlege und den ich unter Mitwirkung mehrerer Kollegen erstellen durfte, geht eigentlich auf einen anderen, von diesem Parlament bereits angenommenen Bericht zurück, nämlich auf den von Herrn Queiró, mit dem das Parlament einen Beitrag zur europäischen Tourismuspolitik leisten wollte.

Diesem Bericht liegt der Gedanke zugrunde, dass ein neues und – wie ich hoffe – praktischeres Konzept für die Tourismuspolitik der Europäischen Union entwickelt werden müsste, die zurzeit durch die Bestimmungen des Vertrags eingeschränkt wird.

Die Mitgliedstaaten haben den EU-Institutionen im Rahmen des bestehenden Vertrags nicht viel Verantwortung für den Tourismus übertragen, und ich muss sagen, dass selbst der Vertrag, den wir demnächst verabschieden werden und den die Europäische Union nächsten Monat in Lissabon hoffentlich annehmen wird, die formellen Befugnisse der EU in Bezug auf den Tourismus kaum erweitern wird.

Andererseits jedoch versetzen die bestehenden Verträge die Europäische Union sehr wohl in die Lage, verschiedenste Strategien umzusetzen, die sich in entscheidender Weise auf den Tourismus auswirken und das Potenzial bergen, ihn zu fördern bzw. Europas weltweite Führungsrolle auf diesem Gebiet zu erhalten.

Der vorliegende Bericht soll demnach verschiedene Möglichkeiten aufzeigen. Die von uns in diesem Haus unter Beteiligung aller erstellte Liste hat nur indikativen Charakter und kann hoffentlich noch ergänzt werden. Sie ist eine Liste der Möglichkeiten, mit denen die volle Bandbreite der bestehenden Befugnisse der EU zur Förderung des Tourismus genutzt werden kann.

Lassen Sie mich nur zwei Beispiele nennen: Der Tourist ist ein Passagier. In diesem Sinne können viele Bereiche unserer Verkehrspolitik unter dem Aspekt des Tourismus gesehen oder neu formuliert werden. Der Tourist ist auch ein Verbraucher. Daher können zahlreiche Verbraucherschutzmaßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt der Bedürfnisse von Touristen neu überdacht werden.

Im weitesten Sinne sind Touristen, vor allem solche, die aus Drittländern nach Europa kommen, jedoch Menschen, die Grenzen überschreiten, genau wie andere Menschen dies aus den verschiedensten Gründen tun. Die Visumpolitik der Europäischen Union sollte, ebenso wie ihre Einwanderungspolitik, mit großer Umsicht überarbeitet werden, damit so viele Touristen wie möglich die Gelegenheit haben, Europa zu besuchen.

Viele der Verträge, die Touristen heute abschließen, kommen über das Internet zustande, was mit einem mangelhaften Schutz verbunden ist. Die EU kann somit viel für Touristen tun, indem sie solche Verträge schützt oder Vertragsarten einführt, die Schutz bieten können. Ich möchte jetzt aber nicht zu sehr ins Detail gehen.

Insgesamt ist uns allen klar, dass der Tourismus eine der viel versprechendsten Branchen Europas ist, und ich denke, man kann – vor allen Dingen aus Gründen des Zusammenhalts – sagen, dass es sich lohnt, an unserem Hauptziel der Entwicklung der Tourismusbranche festzuhalten. Das bedeutet, aus den Ressourcen, beispielsweise in den Bereichen Kultur und Umwelt, das Beste herauszuholen. Das ist möglich, wenn die formellen Befugnisse der Europäischen Union umfassend genutzt werden.

Anliegen dieses Berichts ist es daher, die Kommission und den Rat zu ermutigen, eine Reihe von Initiativen vorzusehen, die formell zu anderen Kompetenzbereichen gehören – ich wiederhole: Verbraucherschutz, Transportsicherheit, Gewährleistungen für bestimmte tourismusbezogene Verträge, Einwanderungspolitik, koordinierte Werbekampagnen jenseits der EU-Grenzen usw. –, um schließlich ein Paket von Tourismusinitiativen schnüren zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Initiativen ein echter Beitrag der europäischen Organe zur Erhaltung und Entwicklung eines Sektors wären, der bekanntlich für die Europäische Union eine wichtige Rolle spielt und in Zukunft eine noch wichtigere spielen wird.

 
  
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  Günter Verheugen, Mitglied der Kommission. − Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte den Vorsitzenden des Ausschusses, Herrn Costa, zu seinem Bericht beglückwünschen. Der Bericht zeigt deutlich, wie sehr der Tourismus von unterschiedlichen Gemeinschaftspolitiken beeinflusst wird, aber vor allen Dingen, wie wichtig dieser Sektor für ganz Europa ist.

Tourismus ist ein Ausdruck der Lebensart und des Wohlergehens in Europa und gleichzeitig ein bedeutender Wirtschaftszweig mit einem beträchtlichen Wachstums- und Beschäftigungspotenzial. Schon heute erwirtschaftet der Tourismus indirekt und direkt mehr als 10 % des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union und stellt etwa 12 % aller Arbeitsplätze.

Aber nicht nur Europa will von den außerordentlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten profitieren, die die Entwicklung des Tourismus verspricht. Wir müssen uns wappnen, um im Wettbewerb mit anderen traditionellen und neuen Tourismusmärkten bestehen zu können.

Europa kann dabei auf Wettbewerbsvorteile bauen, die es heute schon zu einem hochattraktiven Reiseziel machen: Wir verfügen über ein unvergleichliches historisches Erbe; wir haben eine einzigartige geografische Konzentration attraktiver und zugleich kulturell vielfältiger Stätten; und wir stehen mit Recht in dem Ruf, qualitativ hochwertige Dienstleistungen zu erbringen.

Das sind Trümpfe, wenn wir das zukünftige Tourismusprodukt „Europa“ gestalten. Unsere Reiseziele müssen ganz einfach die besten und die attraktivsten sein. Sie müssen ein Angebot machen, das Europäer und Nichteuropäer dazu veranlasst, ihren Urlaub in Europa zu verbringen – und das immer wieder.

Dieses Produkt sollte genau die gleichen Anforderungen erfüllen wie andere Produkte unserer Volkswirtschaft auch: Es sollte ein Produkt sein, das innovativ ist und dadurch optimal auf die Wünsche der Verbraucher eingeht; ein Produkt, das höchste Qualitätsstandards erfüllt, und ein Produkt, das außerdem so umweltfreundlich wie möglich ist. Kurzum, ein Produkt, das Ausdruck unserer europäischen Werte und Stärken ist.

Lassen Sie mich ein paar Beispiele geben, wie wir Kooperation und Wettbewerbsfähigkeit im Tourismussektor fördern. Letzten Monat hatten wir in Portugal das Europäische Tourismusforum, ein jährliches Ereignis, das für alle Akteure im Tourismus eine ausgezeichnete Gelegenheit bietet, zusammenzuarbeiten und sich zu präsentieren. Ich hatte dabei die Ehre, den Preis „European Destination of Excellence“ an zehn europäische Reiseziele im ländlichen Raum zu verleihen. Dieses Pilotprojekt trägt dazu bei, die Außenwirkung aller europäischen Reiseziele zu erhöhen und auf die Vielfalt und die Qualität des Tourismus in Europa aufmerksam zu machen. Ich möchte daran erinnern, dass eine derartige Initiative eine explizite Forderung im vorhergehenden Bericht des Parlaments unter Federführung von Herrn Queiró war. Ich danke dem Europäischen Parlament und besonders Herrn Costa für die großzügige Unterstützung dieses erfolgreichen Projekts und freue mich, Ihnen sagen zu können, dass jetzt, in der zweiten Runde des Wettbewerbs, sich noch wesentlich mehr Länder beteiligen werden.

Wir können auch heute schon sagen, dass das Webportal für das Reiseziel Europa ein Erfolg war und eine gute, ausbaufähige Basis ist. Wir prüfen zurzeit noch andere Wege, das Image Europas als touristisches Reiseziel zu stärken und hoffen dabei auf Ihre Unterstützung.

Lassen Sie mich schließlich noch hervorheben, dass die Steigerung der Nachhaltigkeit im Tourismus ein zentraler Aspekt unserer Politik ist. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir Aspekte der Nachhaltigkeit in alle Bereiche des Tourismus integrieren, dann schützen wir genau die Wettbewerbsvorteile, die Europa heute schon zum attraktivsten Reiseziel der Welt machen.

Die Kommission hat letzten Monat eine neue „Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus“ vorgelegt. Die Elemente dieser Agenda sind eine Antwort auf die Forderungen dieses und des vorhergehenden Berichts des Parlaments. Ich denke, dass wir auch hier in Zukunft weiter gut zusammenarbeiten werden.

Ich hoffe, dass die „Agenda“ von allen Akteuren im Bereich des Tourismus und auch von den Reisenden selbst angenommen wird. Auch von uns hier, denn in diesem Raum sind wir schließlich alle Vielreisende.

 
  
  

VORSITZ: Diana WALLIS
Vizepräsidentin

 
  
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  Stavros Arnaoutakis, Verfasser der Stellungnahme des Ausschusses für regionale Entwicklung. − (EL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Fremdenverkehrssektor ist von ganz besonderer Bedeutung. Mittelbar und unmittelbar erzeugt er über 10 % des BIP der Europäischen Union und bietet rund 12 % der Arbeitnehmer Beschäftigung. Obwohl dies nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt, gibt es eine Reihe von Maßnahmen und Aktionen, die in diesem Sektor zu einem Aufwärtstrend und zu seiner nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Viele davon sind im Bericht bereits erwähnt, und an dieser Stelle möchte auch ich den Berichterstatter beglückwünschen.

Die Probleme, denen sich der Fremdenverkehr gegenübersieht, erfordern eine abgestimmte politische Reaktion auf EU-Ebene: einen umfassenden und wettbewerbsfähigen Rahmen für Maßnahmen mit bestimmten quantitativen und qualitativen Zielen. In diesem neuen Planungszeitraum sind angesichts der Ziele, die entsprechend der geänderten Lissabon-Strategie festgelegt wurden, Zusammenarbeit und Synergien auf allen Ebenen – der europäischen, der nationalen, der regionalen und der lokalen – wichtig, um den Fremdenverkehrssektor in die Lage zu versetzen, zur Erreichung dieser Ziele beizutragen. Es ist auch notwendig, die politischen Beschlüsse und die Maßnahmen zu koordinieren, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Fremdenverkehrssektor auswirken.

Meine Damen und Herren, ich möchte betonen, dass wir die Frage, welche Art von Fremdenverkehr wir in der Europäischen Union wünschen, bereits beantwortet haben. Wir wollen einen lebensfähigen Sektor, der sich nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit entwickelt, qualitativ hochwertige Tourismusprodukte und -dienstleistungen anbietet und niemanden ausschließt. Wenn wir alle gemeinsam handeln, auf allen Ebenen, können wir dieses Ziel jetzt erreichen.

 
  
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  Marie-Hélène Descamps, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Kultur und Bildung. (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Tourismus ist für die Europäische Union von herausragender Bedeutung. Er trägt sehr weitgehend zum Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa bei. Über diese Feststellung hinaus begünstigt er auch die Integration, den Dialog zwischen den Völkern, die Kenntnis ihrer jeweiligen Kultur und trägt so zur Entwicklung einer echten europäischen Identität bei. Somit muss, da es keine gemeinsame Tourismuspolitik gibt, dieser Sektor, der sich über mehrere Bereiche erstreckt und vielfältige Dienstleistungen und Berufe umfasst, auf europäischer Ebene in einer Weise berücksichtigt werden, der seinen Herausforderungen gerecht wird.

Der uns heute vorliegende Bericht verdeutlicht diese Notwendigkeit. Deshalb beglückwünsche ich den Berichterstatter zu seiner ausgezeichneten Arbeit und danke ihm insbesondere für die Unterstützung einiger der vom Ausschuss für Kultur aufgezeigten Prioritäten. Dank seiner Vielfalt und seiner Reichtümer ist Europa bis heute die am meisten besuchte Tourismusregion der Welt. Um ihm zu ermöglichen, diese Position zu bewahren, müssen wir unsere Politik überdenken und sie modernisieren, wobei die Kultur stärkere Berücksichtigung verdient. So muss die Notwendigkeit unterstrichen werden, das europäische kulturelle und natürliche Erbe zu erhalten, die traditionelle Kultur, vor allem das volkstümliche Handwerk und das Kunsthandwerk und die vom Verschwinden bedrohten Berufe und das Know-how zu stärken, und gleichzeitig gilt es, Initiativen zu unterstützen, die dieses Erbe nutzbar machen und fördern wollen.

In diesem Zusammenhang muss unter anderem das Europäische Label für das Kulturerbe gefördert werden, das nach meiner Überzeugung die Akzeptanz und das Zugehörigkeitsgefühl unserer Mitbürger zu einer Identität und einem gemeinsamen kulturellen Raum stärken wird. Darüber hinaus kommt es darauf an, die Entwicklung der neuen Technologien zu fördern, die bereits heute eine wichtige Rolle bei der Vermarktung der touristischen Produkte, bei der Förderung von kulturellen Gütern und Events sowie beim Management und der Erhaltung der Standorte spielen, wobei sich diese Rolle künftig noch verstärken wird.

Abschließend sei gesagt, dass es notwendig ist, in Zusammenarbeit mit allen Akteuren des Tourismus auf allen Ebenen einem nachhaltigen, qualitativ hochwertigen, wettbewerbsfähigen, umweltgerechten, verantwortungsbewussten und vor allem allgemein zugänglichen Tourismus Vorrang einzuräumen.

 
  
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  Luís Queiró, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (PT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Zu Recht heißt es in dem Bericht, den wir erörtern – und an dieser Stelle möchte ich den Berichterstatter beglückwünschen –, dass der Fremdenverkehrssektor im Schnittpunkt zahlreicher Politikfelder der Europäischen Union liegt, was wesentlichen Einfluss auf Wachstum und Beschäftigung sowie auf den sozialen und territorialen Zusammenhalt hat. Es ist deshalb unerlässlich, im Anschluss an die Festlegung der Leitlinien in der Entschließung des Parlaments vom 8. September 2005, für die ich Berichterstatter war, einige Aspekte der Tourismuspolitik zu konkretisieren.

Der erste Aspekt betrifft die Vereinfachung und Harmonisierung der Visumantragsverfahren für Touristen zur Einreise in die Mitgliedstaaten mit dem Ziel, die damit verbundenen Kosten zu senken und den Zugang von Touristen, die aus Drittländern stammen, in die Europäische Union zu erleichtern. Wir halten es jedoch für richtig, wenn nicht gar entscheidend, die Sicherheitsregelungen beizubehalten, die zur Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und der illegalen Zuwanderung notwendig sind. Wir pflichten auch der Notwendigkeit bei, das System zur Erhebung statistischer Daten einschließlich der Satellitenkonten zu modernisieren, da Behörden und Industrie nur anhand aktualisierter und zuverlässiger Daten strategische, aber angemessene Entscheidungen treffen können, die Europa in die Lage versetzen, seine derzeitige führende Stellung zu behaupten.

Ein Wort noch zu der recht kontrovers diskutierten Frage einer möglichen Harmonisierung der Qualitätsstandards für die Beherbergung von Touristen in Europa. Die Vielzahl von Klassifizierungsschemata für Hotels überschneidet sich mit der Frage des Schutzes der Rechte und Erwartungen der Touristen zu dem Zeitpunkt, da sie ihre Auswahl treffen. Ob es wohl möglich sein wird, in der Europäischen Union Mindeststandards für die Sicherheit und Qualität festzulegen, die die Verlässlichkeit und Transparenz der diesen Verbrauchern übermittelten Informationen gewährleisten? Dies ist sicherlich wünschenswert, doch sind wir der Ansicht, dass es nur auf freiwilliger Basis möglich ist und voraussetzt, dass wir alle Beteiligten zu dieser Aufgabe heranziehen. Die Kommission kann, wenn sie denn möchte, dabei als treibende Kraft fungieren.

Die Zeit reicht nicht aus, um auf andere, ebenso wichtige Aspekte dieses Berichts einzugehen, etwa den barrierefreien Tourismus für Touristen mit eingeschränkter Mobilität, die Passagierrechte oder die externe Förderung europäischer Ferienziele und die Entwicklung nachhaltiger Konzepte. Es ist jedoch hinreichend nachgewiesen, und damit komme ich zum Schluss, dass das Europäische Parlament seine Arbeit getan hat, und wir hoffen, dass die anderen staatlichen Stellen in Partnerschaft mit dem Privatsektor ihren Geist der Zusammenarbeit verstärken und wirksam auf die Herausforderungen der Entwicklung einer erneuerten und nachhaltigen europäischen Tourismuspolitik reagieren.

 
  
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  Emanuel Jardim Fernandes, im Namen der PSE-Fraktion. – (PT) Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue europäische Tourismuspolitik, wie sie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und im Bericht Costa erörtert wird, verdient meine volle Unterstützung, und zwar wegen der Hauptziele, die nach der Wiederbelebung der Lissabon-Strategie – Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, nachhaltige Entwicklung – festgelegt wurden, und auch wegen der Instrumente, die die Kommission vorschlägt, um sie zu erreichen: Koordinierung innerhalb der Kommission und mit den nationalen Behörden, Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten und Realisierung konkreter flankierender Maßnahmen.

Der Berichterstatter Paolo Costa, den ich zu seinem hervorragenden Bericht, aber auch zu seiner Bereitschaft beglückwünsche, die eingereichten Änderungsanträge zu akzeptieren, hat auf bestimmte Aspekte und Anliegen hingewiesen, die in der Mitteilung der Kommission nicht erwähnt werden. Er hat mögliche Chancen und Lösungen für eine künftige und neue europäische Tourismuspolitik aufgeführt, insbesondere bei der Politik der Visaerteilung, der Harmonisierung von Qualitätsstandards, der Verbesserung der Sichtbarkeit und Verständlichkeit von Gütezeichen für Touristen, dem Verbraucherschutz, der Zugänglichkeit des Tourismus für Touristen mit eingeschränkter Mobilität, der Gewährleistung von Passagierrechten und der Förderung von Reisezielen innerhalb der Europäischen Union. Wir halten es unbedingt für richtig, dass diese Aspekte und die vorgeschlagenen Lösungen berücksichtigt werden.

Der Berichtsentwurf von Herrn Costa ist seinerseits durch eine Reihe von Änderungsanträgen bereichert und verbessert worden, die vielfach von Kollegen meiner Fraktion eingereicht wurden. Ich selbst habe, um den Gehalt der Kommissionsvorschläge zu stärken und den Vorschlägen des Berichterstatters Rechnung zu tragen, mehrere Änderungsanträge auf der Grundlage der Positionen eingereicht, für die ich beim Bericht Queiró eingetreten war. Dazu gehörten die Notwendigkeit, die Erschwernisse für die Zugänglichkeit von Regionen mit besonderen natürlichen oder geografischen Merkmalen, wie sie etwa die Gebiete in äußerster Randlage aufweisen, gebührend zu berücksichtigen, die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass die erneuerte europäische Tourismuspolitik die wirtschaftliche, soziale, territoriale, ökologische und kulturelle Nachhaltigkeit des europäischen Tourismus gewährleistet, die Förderung Europas als touristisches Ziel oder als Ansammlung attraktiver Reiseziele, die Notwendigkeit der Koordinierung der Politikfelder mit unmittelbarer oder mittelbarer Auswirkung auf den Fremdenverkehr, die engere Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten in dem Sektor – der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten, den Regionen, den Kommunalbehörden und den Tourismusdiensten – sowie die bessere Verwendung vorhandener europäischer Finanzinstrumente. Ich rufe daher insbesondere meine Fraktion auf, diesen Bericht zu unterstützen, und fordere die Kommission und den Rat nachdrücklich auf, die Vorschläge und Anregungen des Europäischen Parlaments gebührend zu berücksichtigen.

 
  
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  Nathalie Griesbeck, im Namen der ALDE-Fraktion. (FR) Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich hat der Tourismus einen wichtigen Anteil an der Wirtschaft unserer Regionen, aber er verkörpert auch in gewisser Weise die Fortsetzung des Aufbaus der europäischen Identität und unserer Kohäsionspolitik. Natürlich trägt er vielfach dazu bei, eine Tätigkeit in den entlegensten Regionen aufrechtzuerhalten, und ist oftmals sogar die erste Ressource in unseren Regionen in äußerster Randlage.

Dieser umfassende Bericht verdeutlicht die wesentlichen Punkte, in denen die Union heute einen echten Zusatznutzen erbringen kann, um diese Ressource intelligent zu nutzen, damit sie allen zugute kommt, der Tourismusbranche ebenso wie den Touristen selbst, mit einem Wort, den Europäern, unter langfristiger Wahrung der Qualität unserer Landschaften und Ökosysteme.

Was mich betrifft, die ich aus einer Region komme, die das Glück hat, drei europäische Nachbarn zu haben, so bin ich besonders sensibel für den grenzüberschreitenden Tourismus, und ich wünsche mir, dass mit Hilfe von Partnerschaften diese Art von Tourismus den Aufbau eines echten Lebensraums der europäischen Bürger und über die Binnengrenzen der Union hinaus ermöglicht.

Um uns jedoch noch stärker für den nichtgemeinschaftlichen Tourismus zu öffnen, brauchen wir heute eine koordinierte Politik der Ausstellung von Touristenvisa. Ich möchte auch, dass Europa statistische Instrumente sowie einen horizontalen Ansatz der Gemeinschaftsfinanzierung erarbeitet, um diese berühmte Hebelwirkung auf Innovation, Beschäftigung, Verbesserung des Angebots und der Qualität der Leistungen zu ermöglichen. Ich wünsche mir, dass wir europäische Qualitätslabels einführen, die die ökologischen und sozialen Kriterien berücksichtigen, und dass wir ganz einfach die Information und den Schutz der europäischen Verbraucher verbessern.

 
  
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  Mieczysław Edmund Janowski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Als Thomas Cook im Jahr 1841 sein erstes Reisebüro eröffnete, konnte er sicher nicht ahnen, dass der Tourismus 166 Jahre später unmittelbar etwa 5 % der Einnahmen der Länder Europas ausmachen würde. Außerdem sollte ich hinzufügen, dass durch den Tourismus bei Berücksichtigung von Verbindungen mit anderen Sektoren gegenwärtig über 11 % des BIP sowie annähernd 25 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden.

Aus diesem Grund möchte ich Paolo Costa für seinen Bericht über einen solch dynamischen Sektor der Wirtschaft danken. Bekanntermaßen fällt der Tourismus nicht direkt unter EU-Vorschriften. Nichtsdestotrotz leistet die EU als Koordinator und Förderer einen beachtlichen Beitrag, um Europa als äußerst attraktives und vielfältiges Reiseziel zu präsentieren. Dies hat Auswirkungen auf den Tourismus innerhalb der EU, auf den Einreisetourismus aus Drittstaaten sowie auf Reisen in diese Staaten.

Für die neuen Mitgliedstaaten, darunter Polen, sind diese Fragen von großer Wichtigkeit. Erst jetzt fangen viele Menschen an zu entdecken, wie attraktiv Orte als Reiseziele sind, die früher hinter dem Eisernen Vorhang lagen. In diesem Kontext spielen einzelstaatliche, regionale und lokale Behörden eine wichtige Rolle, um den Tourismus anzuregen. Zum Tourismus gehören auch der so genannte grüne Tourismus, Tourismus auf den Spuren von Europas kulturellem Erbe, Gesundheitstourismus, Pilgerfahrten und Ökotourismus auf der Suche nach der Schönheit der Natur.

Erfreulicherweise wurden die Probleme von behinderten und älteren Touristen berücksichtigt, obgleich ihnen vielleicht noch etwas mehr Beachtung hätte geschenkt werden können. Die Mittel aus dem Kohäsionsfonds sollten klug eingesetzt werden, um die Entwicklung von Infrastruktur zu fördern, vor allem im Bereich Verkehr. Auch der Europäische Fonds für regionale Entwicklung kann zur Unterstützung der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnik, einschließlich Internet, sowie zur Verstärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zugunsten des Tourismus im weitesten Sinne verwendet werden. Des Weiteren sollte der Europäische Sozialfonds zur Finanzierung von Schulungsprogrammen in diesem Sektor herangezogen werden.

Abschließend möchte ich betonen, dass Standards in dieser Branche der Schlüssel zum Erfolg sind. Niemand ist mit mittelmäßiger Qualität zufrieden. Ein Tourist, der vom Standard der Beförderung bzw. eines Hotels enttäuscht ist, oder ein Reisender, der in einem Restaurant schlechte Erfahrungen macht, wird nie wieder an das betreffende Reiseziel zurückkehren. Er oder sie wird nur einmal reinfallen.

 
  
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  Sepp Kusstatscher, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich danke Herrn Paolo Costa und begrüße in diesem Bericht vor allem jene Punkte, die die soziale und ökologische Nachhaltigkeit unterstreichen. Eine sorgfältig gepflegte Natur- und Kulturlandschaft ist der beste Magnet für ein attraktives Touristenland.

Die Akzeptanz des Tourismus seitens der Bürger des Gastlandes, das heißt der Bereisten, ist eine wichtige Voraussetzung, damit Touristen sich als wahre Gäste willkommen fühlen. Die Qualifikation und die Zufriedenheit der Beschäftigten im Tourismusgewerbe garantieren auch zufriedene Gäste. Mobilität ist eine Voraussetzung für Tourismus, sanfte Formen – mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder zu Fuß – fördern Wachstum, ohne gleichzeitig jene Grundlagen zu zerstören, die eine gesunde und eben nachhaltige Tourismuswirtschaft braucht.

Dieser umfangreiche Bericht enthält eine Reihe von Impulsen, die mehr sein sollen als fromme Wünsche. Ich hoffe, dass in der angekündigten Agenda 21 für einen europäischen Tourismus gerade diese ökosozialen Grundsätze verankert werden.

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin! Die Tourismusbranche ist vor allem in Ländern wie Zypern, Spanien, Griechenland und anderen ein Sektor von großer wirtschaftlicher Bedeutung, und doch verliert die Europäische Kommission kein Wort über die darin Beschäftigten.

Dieses Gewerbe ist vielleicht das erste, in dem für die Beschäftigten flexible Arbeitszeiten gelten und saisonbedingte Entlassungen an der Tagesordnung sind. Es ist auch ein Sektor, in dem die Beschäftigung von Ausländern zwei Schlüsselfragen aufwirft: erstens ihre Ausbeutung und zweitens ihr Einsatz als Erpressungsmittel durch große Hotelketten, um die Löhne oder Gewinne der einheimischen Arbeitnehmer zu drücken.

Davon abgesehen, bestätigt die Europäische Kommission nur die Tatsache, dass der Grund für die Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Sektor in dem hohen Anteil der Teilzeitarbeit und in den flexiblen Beschäftigungsbedingungen besteht, ohne sich dazu näher zu äußern. Das Konzept der langfristigen Beschäftigung erscheint unter diesen Umständen als leeres Versprechen.

 
  
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  Etelka Barsi-Pataky (PPE-DE). – (HU) Frau Präsidentin! Ich möchte auf die Chancen aufmerksam machen, die der Gesundheitstourismus bietet. Wir müssen alle verfügbaren Programme nutzen, um den Gesundheitstourismus zu unterstützen, einschließlich des zweiten Aktionsprogramms der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Wir müssen den Versicherungssektor stärker in den Gesundheitstourismus einbinden, und wir müssen gemeinsam einen Weg für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit bei der Finanzierung finden.

Die Frage ist, ob es uns gelingen wird, diese Dienstleistungen zu einem Teil des gemeinsamen Marktes zu machen. Wir sprechen über Dienstleistungen, die nicht nur einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten, sondern den europäischen Bürgern auch helfen, damit jeder die Möglichkeiten, die der Gesundheitstourismus bietet, und – innerhalb dieses Rahmens – die Möglichkeiten des gemeinsamen Marktes nutzen kann. Dazu brauchen wir jedoch – oder würden ein etwas besser definiertes Qualitätssystem benötigen. Daher unterstütze ich voll und ganz die Initiative von Herrn Costa, mit der zweifellos ein Weg für Fortschritte in dieser Richtung aufgezeigt wird. Es wäre gut für unseren Tourismus in Europa, wenn diejenigen, die von außerhalb, aus Drittländern kommen, wüssten, welche Dienstleistungen sie bekommen, und was sie dafür bezahlen. Kurz gesagt sollten wir meines Erachtens, wenn wir über diesen Sektor sprechen, einen stärker multidimensionalen Ansatz zugrundelegen. Außerdem müssen wir untersuchen, was uns diese Dienstleistungen in Hinblick auf den gemeinsamen Markt bringen können. Vielen Dank.

 
  
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  Robert Evans (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Auch ich möchte den Berichterstatter, Herrn Costa, den Vorsitzenden des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr, beglückwünschen, der mit dem Hinweis darauf begann, dass die Verträge Maßnahmen zulassen, die Auswirkungen auf den Fremdenverkehr haben. Deshalb ist es wirklich angebracht, dass wir uns damit befassen. Auch hat uns Herr Arnaoutakis gerade daran erinnert, dass mindestens 12 % der Arbeitsplätze in der EU vom Fremdenverkehr abhängig sind.

Die EU ist heutzutage wesentlich mehr als nur ein gemeinsamer Markt für Waren und Kapital. Sie ist ein gemeinsamer Markt für Menschen. Die EU-Bürger reisen bekanntlich mehr denn je, nicht zuletzt als Touristen. Viele, vielleicht die meisten, machen sehr gute Erfahrungen, aber es ist die Minderheit, die wenigen mit nicht so erfreulichen Erfahrungen, die einige Aspekte der Tourismusindustrie in einem schlechten Licht erscheinen lassen.

Ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen insbesondere auf die Ziffern 24 und 25 aufmerksam machen, in denen ein Bündel von Leitlinien für Hotels gefordert wird, die den Bedürfnissen der Kunden Rechnung tragen. Diese Leitlinien sollten die Bedürfnisse von Familien mit Kindern berücksichtigen. Vielleicht können das nicht alle Hotels umsetzen, aber die Branche muss wirklich so familienfreundlich wie möglich werden.

Auch müssen bei einem Klassifizierungssystem die Bedürfnisse älterer Menschen und von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden. Der Verkehrsausschuss hat sich dafür im Falle der Fluggesellschaften eingesetzt, und er fordert zu Recht, dass auch Hotels diese gesellschaftlichen Gruppen nicht diskriminieren dürfen. Sie sollten auch keine moralischen Urteile darüber fällen, wer als Paar gilt und wer nicht.

Im Bericht wird ferner ganz richtig darauf hingewiesen, nämlich in Ziffer 48, in der eine Charta der Rechte und Pflichten von Touristen vorgeschlagen wird, dass Touristen sich angemessen verhalten und Hotels und dem Fremdenverkehrssektor Achtung entgegenbringen sollten.

Dies ist ein guter Bericht, es ist eine Geschichte mit einer „guten Nachricht“, und er sendet das Signal aus, dass das Parlament vernünftig im Interesse der Verbraucher handelt. Ich hoffe, das Signal erreicht die Bürger Europas.

 
  
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  Alfonso Andria (ALDE).(IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der wirklich hervorragende Bericht von Paolo Costa enthält einige äußerst interessante Ideen.

Zunächst möchte ich ein paar kurze Bemerkungen zu den tief greifenden Veränderungen der Nachfrage machen, die hauptsächlich verursacht werden durch die Globalisierung, die steigende Präsenz von Touristen aus Drittländern bei uns und die höhere Lebenserwartung. All dies bedeutet, dass wir eine EU-Tourismuspolitik konzipieren müssen, die für die heutige Zeit geeignet ist. Wir müssen auch die damit verbundenen strategischen Ziele überprüfen.

Herr Queiró hat die Notwendigkeit einer Klassifizierung von Hotels erläutert. Ich stimme ihm da vollkommen zu und möchte ergänzend feststellen, dass auch für Tourismusprodukte europäische Qualitäts- und Sicherheitsstandards festgelegt werden sollten.

Wir müssen den neuen Bedürfnissen unserer Bürger als Nutznießer und Konsumenten touristischer Dienstleistungen gerecht werden. Unter diesem Aspekt möchte ich zwei Beispiele aus den zahlreichen im Bericht Costa enthaltenen innovativen Ideen anführen: ein CE-Kennzeichen „Access for all“ („Zugang für alle“), das behindertengerechte Einrichtungen für Touristen mit eingeschränkter Mobilität gewährleistet, sowie das europäische Tourismusprogramm für ältere Menschen.

Gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung zur Weiterbildung: Wir sollten auch an spezifische individuelle Qualifikationsmaßnahmen für Beschäftigte denken, die im Tourismusbereich mit älteren und behinderten Menschen zu tun haben.

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL).(PT) Wir können vielen Punkten dieses Berichts, die uns am Herzen liegen, durchaus beipflichten, müssen uns aber an dieser Aussprache beteiligen, um erstens zu betonen, dass der Fremdenverkehr und ein qualitativ hochwertiger Tourismus es erfordern, dass für die mit diesem Sektor verbundenen beruflichen Tätigkeiten gesetzliche Regelungen gelten, die die Rechte der Arbeitnehmer schützen und hochwertige Arbeitsplätze sowie die Qualifikation der Beschäftigten fördern. Dies bedingt unserer Ansicht nach unter anderem eine angemessene Berufsausbildung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Förderung dauerhafter vertraglicher Vereinbarungen und eine gerechte und menschenwürdige Entlohnung.

Zweitens möchten wir betonen, dass der Fremdenverkehr zum regionalen Zusammenhalt, zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur regionalen Beschäftigung beitragen kann, weshalb bei den Gemeinschaftsmaßnahmen und -mitteln für diesen Sektor ein übergreifender Ansatz gefördert und insbesondere ein spezielles Gemeinschaftsprogramm als Ergänzung zu den Maßnahmen der Mitgliedstaaten geschaffen werden müssen. Diese Punkte bilden den Inhalt einiger der Anträge, die wir eingereicht haben und von denen wir hoffen, dass sie vom Parlament unterstützt werden.

 
  
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  Bogusław Liberadzki (PSE).(PL) Frau Präsidentin! In diesem Haus wird nicht oft über Tourismus geredet, weshalb ich Paolo Costa, dem Berichterstatter, besonders dankbar bin und ihm zu seiner guten Arbeit gratulieren möchte.

Nach meinem Dafürhalten sind die positivsten Merkmale des Berichts der nachhaltige Ansatz für den Tourismus und der Verweis auf die Notwendigkeit, den Zusammenhalt in Europa und die Lebensqualität zu erhöhen. Gleichzeitig begrüße ich, dass die Bedeutung des Zugangs zu touristischen Dienstleistungen besonders betont wird.

Auch die Visumspolitik kommt im Bericht zur Sprache. Meiner Ansicht nach ist das eine entscheidende Frage. Die Überwachung der Visumserteilung sowie der Betrieb von Grenzübergängen auf dem Staatsgebiet der neuen Schengen-Länder sollten große Beachtung erfahren. Russland und die Ukraine haben bezüglich der Erteilung von Visa an Kraftfahrer, einschließlich Busfahrer, und Kuriere ihre Besorgnis geäußert. In der Tat hat Herr Barroso erst gestern den Vorsitzenden des Verbandes der Internationalen Kraftverkehrsunternehmer der Ukraine empfangen, der über deren Sorgen berichtet hat. Die Situation ist mir bekannt. Vor einem Monat habe ich die Sache an Herrn Frattini weitergeleitet. Bislang ist keine Reaktion darauf erfolgt. Meines Erachtens ist die Angelegenheit wichtig. Für das Parlament und die Kommission kommt es darauf an, einen Schwerpunkt auf die Überwachung der Umsetzung der Visumspolitik zu legen.

 
  
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  Die Präsidentin. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 29. November 2007, statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142 GO)

 
  
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  Alessandro Battilocchio (PSE), schriftlich.(IT) Die Sackgasse, in die die Diskussion um den Verfassungsvertrag geraten war, hatte einen Anstoßeffekt im Tourismussektor, der gemäß dem erörterten Konzept Gegenstand einer Gemeinschaftspolitik werden sollte. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben in den vergangenen Jahren eine Tourismuspolitik verfolgt, die im Allgemeinen in diesem Bereich zu einem umfassenden Wachstum innerhalb der einzelnen sozioökonomischen Umfelder der 27 Länder geführt hat. Die Zahl der Touristen ist gestiegen, Kapital wurde investiert, und der Personalbedarf ist größer geworden, was sich überaus positiv auf die Beschäftigungslage ausgewirkt hat. Was nach wie vor fehlt, ist ein klarer und umfassender Plan auf Seiten der Gemeinschaftsorgane. Der Wettbewerb unter den Ländern wächst, und in den verschiedenen Teilen der Welt wird ganz offensichtlich eine breite Palette neuer Angebote verfügbar. Unter diesen Umständen muss Europa zeigen, dass es auf der Höhe der Zeit ist. Mit anderen Worten, Europa muss sich den Herausforderungen, die am Horizont auftauchen, stellen und sie bewältigen.

 
  
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  Zita Gurmai (PSE), schriftlich. – (HU) Globalisierung, demographischer Wandel und die Zunahme des Verkehrs tragen beträchtlich zum schnellen Wachstum des Fremdenverkehrs bei, mit dem sich ein hohes Wachstums- und Beschäftigungspotenzial verbindet. Der Anteil des Tourismus am BIP der EU liegt derzeit bei 4 % und indirekt bei mehr als 10 %; der Sektor stellt 12 % der Arbeitsplätze.

Der Tourismus fördert das bessere Verständnis der Menschen untereinander, er unterstützt die Ausprägung der europäischen Identität und verleiht durch Beziehungen zwischen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gruppen dem Dialog zwischen den Kulturen Aufschwung. Die Festlegung eines Modells für den europäischen Tourismus ist von größter Bedeutung für die Union, da es auf Werten gründen muss, die mit der Qualität und der Nachhaltigkeit der Ziele des Tourismus und dem gleichen Zugang für alle verbunden sind.

Vereinfachung der Bestimmungen, Harmonisierung der den Tourismus betreffenden Politiken und die stärkere Nutzung der bestehenden europäischen Finanzinstrumente sind aktiv voranzubringen. Die Entwicklung des Tourismus muss nachhaltigen Charakter tragen, d. h. er muss auf die Erfordernisse der lokalen Gemeinschaften und des Umweltschutzes abgestimmt sein. Zu diesem Zweck brauchen wir einen entsprechenden Rahmen und eine effiziente Struktur, in die sämtliche der betroffenen regionalen und lokalen Akteure eingebunden sind und innerhalb derer bessere Voraussetzungen für Partnerschaft und eine effiziente Führung bestehen. Bei den Maßnahmen, die zur Erfüllung dieser Ziele umgesetzt werden, müssen wir die grundlegenden Prinzipien der Subsidiarität beachten, aus der sich die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den einzelnen betroffenen Parteien ergibt.

 
  
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  Zita Pleštinská (PPE-DE), schriftlich. − (SK) Unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen, integrierten regionalen und lokalen Entwicklung hat der Fremdenverkehr einen beträchtlichen Einfluss auf den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt der EU-27. Er spielt auch eine wichtige Rolle für mehr Beschäftigung in den unterentwickelten europäischen Regionen und trägt so dazu bei, regionale Ungleichheiten abzubauen. Zudem können wir, auch wenn es bisher nicht möglich war, auf EU-Ebene einen konsequenten politikübergreifenden Ansatz in Bezug auf den Fremdenverkehr zu entwickeln, es nicht zulassen, dass Europa in diesem Sektor Marktanteile einbüßt.

Die Kommission sollte zusammen mit den Mitgliedstaaten und regionalen Gremien neue Formen des Tourismus wie den Öko-, den Agrar-, den Sozial- und Gesundheitstourismus fördern und finanziell unterstützen. Ich betrachte dies als Instrument zur Gewährleistung der nachhaltigen Entwicklung der Regionen mit dem Schwergewicht auf dem Schutz des Natur- und Kulturerbes und seiner Erhaltung für künftige Generationen.

Der Tourismus muss durch Informationskampagnen besser unterstützt werden. KMU, vor allem neu gegründete Unternehmen im Tourismussektor und solche, die neue Tourismusprodukte anbieten oder ihre wirtschaftliche Tätigkeit an neuen Orten oder in neuen Fremdenverkehrsgebieten entfalten, müssen besseren Zugang zu Informationen erhalten und in die Lage versetzt werden, über die Strukturfonds an Mittel aus den europäischen Förderprogrammen zu kommen.

Ich möchte mich zudem für einen Erfahrungsaustausch über bereits in die Praxis umgesetzte Projekte aussprechen, damit die Möglichkeit besteht, aus unrichtigen Ansätzen bei erfolglosen Projekten zu lernen und ähnliche Fehler in anderen europäischen Regionen zu vermeiden.

 
  
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  Richard Seeber (PPE-DE), schriftlich. – Die letzten Jahre haben gezeigt, dass der europäische Tourismus wie jeder andere Wirtschaftssektor von globalen Rahmenbedingungen stark beeinflusst wird.

Um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, ist eine verstärkte Koordinierung der einzelstaatlichen Politiken erforderlich. Ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips müssen die Mitgliedstaaten die Möglichkeiten auf Ebene der EU nutzen, um die bestehenden nationalstaatlichen Politiken zu ergänzen. So kann die EU effektiv dazu beitragen, überbordende Bürokratie und Hemmnisse im Tourismusbereich durch Harmonisierung abzubauen. Unser Ziel muss es sein, vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen und alle Synergiemöglichkeiten auszuschöpfen, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU weltweit zu stärken und weitere Arbeitsplätze zu schaffen.

Ein wichtiger Schritt wäre in diesem Zusammenhang, die Visa-Verfahren zu vereinfachen und die Kosten für Touristenvisa in allen EU-Ländern zu senken.

Des Weiteren fordere ich die EU dazu auf, einheitliche Qualitätsstandards bei Hotelübernachtungen in Europa zu verabschieden, um die Transparenz zu erhöhen und gleichzeitig die Rechte der Konsumenten zu stärken. Dies darf jedoch nicht zu einer Nivellierung einzelstaatlicher Qualitätsstandards führen, sondern soll ein wichtiges Signal für die Konsumenten darstellen. In diesem Sinne muss die EU ihre bestehenden Möglichkeiten nutzen, um die einzelnen Mitgliedstaaten aktiv zu unterstützen, ohne hingegen die bestehenden einzelstaatlichen Kompetenzen in Frage zu stellen.

 

23. Makrofinanzhilfe für Libanon (Aussprache)
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  Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Kader Arif im Namen des Ausschusses für internationalen Handel über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates über eine Makrofinanzhilfe der Gemeinschaft für Libanon (KOM(2007)0476 – C6-0290/2007 – 2007/0172(CNS)) (A6-0452/2007).

 
  
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  Günter Verheugen, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich danke dem Parlament, dass es den Kommissionsvorschlag vom vergangenen August unterstützt. Wie der Berichterstatter, Herr Arif, in seinem Bericht betont, befindet sich der Libanon politisch wie wirtschaftlich in einer äußerst heiklen Lage. Sein Finanzbedarf ist akut. Mit dieser Makrofinanzhilfe setzt die Europäische Union ihre auf der internationalen Geberkonferenz vom vergangenen Januar in Paris zugesagte Unterstützung für den Libanon in die Tat um.

Wie Sie wissen, ist die Durchführung der Finanzhilfe angesichts der noch nicht überwundenen politischen und verfassungsrechtlichen Krise von erheblichen Unsicherheiten begleitet. Die Kommission hält jedoch an ihrer Zusage fest, alle erforderlichen internen Verfahren abzuschließen, damit die Hilfe anlaufen kann, sobald die Umstände dies zulassen.

Unsere Gespräche mit den libanesischen Behörden über die Politikauflagen, die an das Programm geknüpft werden sollen, stehen kurz vor dem Abschluss. Ich kann Ihnen versichern, dass diese Auflagen voll und ganz mit den Zielen des im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik aufgestellten Aktionsplans EU-Libanon und mit dem mittelfristigen Wirtschaftsreformprogramm der libanesischen Behörden im Einklang stehen werden. Selbstverständlich werden wir entsprechend dem Berichtsentwurf alle verfügbaren Mittel nutzen, um das Risiko von Betrug, Korruption und finanziellem Missbrauch möglichst gering zu halten.

Ich stelle fest, dass der Berichterstatter Änderungen an der Kommissionsvorlage vorschlägt. Wir werden sie sorgfältig prüfen und dem Rat unseren Standpunkt mitteilen. Ich kann Ihnen jedoch schon heute mitteilen, dass wir gegen die meisten Änderungen an den eigentlichen Rechtsbestimmungen keine Einwände erheben werden.

Der Kommission ist bewusst, dass das Europäische Parlament bei den Anhörungen über neue Finanzhilfen knappe Fristen einzuhalten hat. Der für alle Organe enge Zeitplan ist durch den besonderen Charakter der Finanzhilfen als Kriseninstrument bedingt.

Um die Lage zu entschärfen und die Zusammenarbeit mit dem INTA-Ausschuss zu verbessern, verpflichtet sich die Kommission jedoch, das Sekretariat des INTA-Ausschusses vorab systematisch über etwaige neue Finanzhilfetransaktionen in Kenntnis zu setzen, indem sie ihm, sobald eine neue Finanzhilfe ins Auge gefasst wird, einen entsprechenden Informationsvermerk übersendet.

 
  
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  Kader Arif, Berichterstatter. − (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Ihnen heute diesen Bericht über die Gewährung einer Makrofinanzhilfe für den Libanon vorlegen zu können. Er bezeugt das Engagement der Europäischen Union, um diesem Land dabei zu helfen, die durchlebten Krisen zu überwinden.

Der Libanon gehört heute zu den am höchsten verschuldeten Ländern der Welt, seine Schulden belaufen sich auf 180 % des BIP. Die Auswirkungen des Bürgerkriegs von 1975 bis 1990, der Konflikt mit Israel im Sommer 2006, die chronische politische Instabilität und eine verfehlte Wirtschaftspolitik haben dieses Land in eine schwere wirtschaftliche, finanzielle und soziale Krise gestürzt. Die Realität dieser Situation erfordert eine dringende Aktion.

Die Mittel im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Aktionsplans EU/Libanon im Januar dieses Jahres im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik stehen jedoch erst ab dem Jahr 2009 zur Verfügung. Die außerordentliche Makrofinanzhilfe, die wir nun beschließen werden, wird diese Lücke schließen und eine sofortige Wirkung auf die öffentlichen Finanzen und die Zahlungsbilanz des Libanon haben, sofern sie sofort wirksam wird. Diese Hilfe wird in Form einer Finanzhilfe in Höhe von 30 Millionen Euro erfolgen, ergänzt durch ein Darlehen in Höhe von 50 Millionen Euro, um dem libanesischen Staat beim Wiederaufbau nach den Kriegsschäden und der Fortsetzung des Wirtschaftsaufschwungs behilflich zu sein.

Mein Bericht billigt voll und ganz die Notwendigkeit, dem Libanon diese Finanzhilfe zu gewähren. Er bringt jedoch einige Änderungsanträge zu dem Vorschlag des Rates ein, um dessen Klarheit und Transparenz zu verbessern.

Zunächst sei daran erinnert, dass diese Hilfe strikt zusätzlich zu den durch die Institutionen von Bretton Woods, dem Club de Paris, den bilateralen Gebern und Europa im Rahmen anderer Programme gewährten Finanzierungen erfolgen muss. Sie muss kohärent mit den bereits bestehenden externen Politiken bzw. Mitteln der Union sein und den Zusatznutzen des Gemeinschaftsengagements gewährleisten.

Im Übrigen ist es erforderlich, dass der Rat explizit und öffentlich die Empfehlungen des Parlaments bezüglich der Bedingungen und Kriterien im Zusammenhang mit der Gewährung dieser Hilfe aufgreift, das heißt die Verbesserung der Transparenz und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, die Anwendung festgelegter makroökonomischer und haushaltspolitischer Prioritäten, die Umsetzung spezieller Bestimmungen, um den Risiken des Betrugs, der Korruption und der zweckentfremdeten Verwendung der Mittel vorzubeugen, die Aufteilung der Hilfe nach einem richtigen Gleichgewicht zwischen den Ausgaben nach dem Konflikt, dem Wiederaufbau, der Überschuldung und den sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung und die volle Übereinstimmung mit den internationalen Normen der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der rechtsstaatlichen Grundprinzipien. Die Gewährung dieser Hilfe an den Libanon muss an die Erreichung realer Fortschritte in Richtung der genannten Ziele gebunden sein, die in einem Vereinbarungsprotokoll enthalten sein sollten, das gemeinsam mit den libanesischen Behörden erstellt wird.

Über die inhaltliche Arbeit an diesem Text hinaus, wollte ich auch die Schwierigkeiten nennen, die bei der praktischen Erarbeitung aufgrund des dabei gebotenen Tempos aufgetreten sind. Deshalb wäre es in Zukunft bei jeder Entscheidung über die Gewährung einer Makrofinanzhilfe erforderlich, dass die Kommission und der Rat uns im Vorfeld früher einbeziehen. Damit das Parlament seine Arbeit korrekt erledigen kann, ist es unerlässlich, dass es rechtzeitig über bessere Informationen verfügt. Diesbezüglich würde die Einrichtung eines Frühwarnsystems durch die Kommission eine zügigere Bearbeitung des Dossiers durch den zuständigen parlamentarischen Ausschuss ermöglichen und unnütze Verzögerungen vermeiden, die schädliche Konsequenzen für den Endbegünstigten haben könnten. Die Qualität und die Kohärenz unserer Arbeit sowie die Qualität unserer Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen sind in starkem Maße davon abhängig.

In der Kontinuität der früheren Entschließungen des Parlaments bestehe ich zugleich auf der Tatsache, dass ein so wichtiges Instrument nicht nur als Ausnahmeregelung angesehen werden kann. Es muss auf einer normalen Rechtsgrundlage basieren und nicht nur auf einer von Fall zu Fall zu treffenden Ad-hoc-Entscheidung des Rates. Erforderlich ist eine im Mitentscheidungsverfahren verabschiedete Rahmenverordnung über die Makrofinanzhilfe, um die Transparenz, die Verantwortlichkeit und die Überwachungs- und Rechenschaftssysteme zu verbessern.

So müssen wir schnellstmöglich eine interinstitutionelle Diskussion über die geeignete Rechtsgrundlage für ein derartiges Instrument einleiten. Im Falle der Makrofinanzhilfe für den Libanon, der sowohl durch die europäische Nachbarschaftspolitik abgedeckt als auch als Entwicklungsland eingestuft ist, hätte die Rechtsgrundlage, auf die dieser Akt sich gründet, nach unserer Einschätzung Artikel 179 des EG-Vertrags sein müssen und nicht Artikel 308.

Eben weil der Libanon ein Entwicklungsland ist, besteht das Parlament auch darauf, den sozialen Aspekt der Reformen, die durch die Regierung eingeleitet werden müssen, nicht zu vernachlässigen. Gemäß dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen leben etwa 24 % der Libanesen unter Bedingungen extremer Armut, und 52 % gelten als benachteiligt. Außerdem sind etwa 9 % der Bevölkerung Analphabeten, weniger als ein Drittel der Bevölkerung hat einen Primarschulabschluss, und nur 13 % der Libanesen erreichen das Hochschulniveau.

Trotz dieser Realität ist festzustellen, dass derzeit die soziale Frage nicht im Mittelpunkt der politischen Debatte im Libanon steht und dass der soziale Aspekt der vorgesehenen Reformen gegenüber dem wirtschaftlichen und finanziellen Aspekt nur begrenzten Raum einnimmt. Trotzdem liegt es im Interesse des Libanon und seiner Partner, wie ich bereits unterstrichen habe, ein ausgewogenes Gleichgewicht bei den Ausgaben herzustellen, vor allem den Ausgaben für allgemeine und berufliche Bildung. Man darf nicht aus dem Auge verlieren, dass die fortbestehenden sozialen Ungleichheiten ernste wirtschaftliche und politische Konsequenzen haben und die Instabilität des Landes fortsetzen können.

 
  
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  José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. (ES) Frau Präsidentin! Der Libanon durchlebt eine äußerst ernste und angespannte Situation, und es ist klar, dass ein Weg aus der institutionellen Krise in diesem Land gefunden werden muss. Zu diesem Zweck wird eine Arbeitsgruppe des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten nächste Woche in das Land reisen und tun, was dieses Parlament immer getan hat: Zeugnis ablegen von der Solidarität unserer Institution mit der Sache des Friedens, der Verständigung, der Eintracht, der Aussöhnung und der demokratischen Konsolidierung dieses Landes.

Mit eben diesem Ziel vor Augen hat Herr Arif den vorliegenden Bericht über die Makrofinanzhilfe für den Libanon erarbeitet. Ich muss ihm sagen, dass wir uns im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten angesichts der von mir genannten äußerst ernsten und angespannten Lage im Libanon durch die Nachfolge für Präsident Lahoud nicht zu sehr in technischen Einzelheiten verzetteln wollten. Doch wir wollten natürlich die volle Respektierung der Zuständigkeit des Parlaments als Arm der Haushaltsbehörde, höchste Klarheit und Transparenz, wie der Berichterstatter empfahl, und deshalb eine korrekte und wirksame Verwendung der Mittel gewährleisten und so jegliche Korruption vermeiden, wie Kommissar Verheugen in seiner Rede betonte.

Daher sind wir der Ansicht, dass diese Makrofinanzhilfe Teil des Geistes des Assoziierungsabkommens oder der Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Mittelmeerländern im künftigen Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik und natürlich Teil der Verpflichtungen ist, die in den Vereinbarungen der Konferenz Paris III für den Wiederaufbau und die Gesundung des Libanon übernommen wurden. Das entspricht auch dem Geist der mit den internationalen Institutionen abgeschlossenen Vereinbarungen.

 
  
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  Esko Seppänen, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses. – (FI) Frau Präsidentin! Als Verfasser der Stellungnahme des Haushaltsausschusses stelle ich mit Befriedigung fest, dass der federführende Ausschuss die von uns eingebrachten Vorschläge angenommen hat. Es war sehr mutig von dem Ausschuss, das neue Konzept eines „Bereitstellungszeitraums für Finanzhilfen“ vorzuschlagen und dieses so zu interpretieren, dass die Geltungsdauer eines Rechtsakts einfach im Wege des Komitologieverfahrens verlängert werden kann. Die Kommission ist lediglich ein Exekutivorgan und kann daher nicht die Rolle des Gesetzgebers einnehmen. Dieser Fall würde nämlich eintreten, wenn sie zu entscheiden hätte, wie lange eine Finanzhilfe gewährt werden soll.

Für den Haushaltsausschuss stelle ich mit Befriedigung fest, dass der federführende Ausschuss eine positive Haltung zu unserem Vorschlag für eine Änderung der Rechtsgrundlage eingenommen hat, auch wenn dies nur für künftige Vorschläge zu Makrofinanzhilfen zutreffen wird. Wir sind der Meinung, dass Artikel 179 des EG-Vertrags eine geeignetere Rechtsgrundlage ist als der jetzt angewandte allgemeine Artikel 308. Wir hoffen, dass die Kommission und der Rat diese Botschaften des Parlaments künftig berücksichtigen werden.

 
  
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  Tokia Saïfi, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin! Das institutionelle Vakuum, das im Libanon heute herrscht, ist bedrohlich für das Land und die gesamte Region. Mit einem Parlament, das nicht funktioniert, Abgeordneten, die um ihre Sicherheit fürchten müssen, einer destabilisierten Regierung und einer gelähmten Wirtschaft muss der Libanon heute nach Mitteln suchen, um aus der Krise herauszukommen. Deshalb muss die Europäische Union mehr denn je mobilisiert bleiben, um dieses befreundete Nachbarland zu unterstützen.

Die heute von der Europäischen Union vorgeschlagene Hilfe ist also willkommener denn je. Diese außerordentliche und zeitlich begrenzte Hilfe, die darauf abzielt, die Haushaltssituation eines Landes aufzubessern, dessen Anstrengungen zur Reduzierung der Schuldenlast durch den mörderischen Konflikt vom Sommer 2006 zunichte gemacht wurden, ordnet sich voll in die Politik der Nachbarschaft und der euro-mediterranen Partnerschaft ein. Es handelt sich also nicht um eine traditionelle Form der Hilfe, denn diese Haushaltshilfe wird es ermöglichen, die Souveränität und die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Libanon zu stärken. Natürlich muss diese Hilfe einem Kontrollmechanismus zur Betrugsbekämpfung unterliegen, um damit eine größere Transparenz in der Verwaltung und der Auszahlung der Mittel zu gewährleisten.

Ebenso müssen wir für eine bessere Koordinierung der finanziellen Institutionen beim Wiederaufbau dieses Landes sorgen. Die Umsetzung des Nachbarschaftsinstruments, die Maßnahmen des IWF und die Aktionen des FEMIP müssen auf kohärente Weise eingesetzt werden, um eine effiziente und nachhaltige Hilfe zu gewährleisten. Zu einer Zeit, da die Konferenz von Annapolis ein kleines Hoffnungsfenster öffnet, bleibt der Libanon ein Schlüsselelement für den Frieden und die Stabilität in dieser Region.

 
  
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  David Martin, im Namen der PSE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Ich begrüße den Bericht von Herrn Arif. Wie nicht anders zu erwarten war, ist sein Bericht fundiert und ausgewogen.

Bedauerlicherweise muss die EU jedoch wieder einmal die Rechnung für Israels Neigung zahlen, im Nahen Osten zuerst Bomben abzuwerfen und sich dann über die Folgen Gedanken zu machen.

Es stimmt, dass der Libanon schon vor dem Konflikt mit Israel im Sommer 2006 finanzielle Schwierigkeiten hatte, aber dieser Krieg war vielleicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wie Herr Arif festgestellt hat, ist der Libanon laut dem UNDP nunmehr eines der am höchsten verschuldeten Länder der Welt, und fast jeder vierte Libanese lebt in völliger Armut.

Wir haben im Libanon eine Regierung, die trotz der bestehenden Probleme entschlossen ist, wirtschaftliche Stabilität herbeizuführen. In einer solchen Situation ist es richtig, wenn wir bereit sind, diese Erholung mit einer Makrofinanzhilfe zu unterstützen. Herr Arif plädiert zu Recht für Garantien, mit denen gewährleistet wird, dass wir die geeigneten Maßnahmen haben, um gegen Korruption vorzugehen, und um sicherzustellen, dass Mittel nicht missbräuchlich verwendet werden. Der richtige Weg dafür ist absolute Transparenz bei der Gewährung und Ausgabe des Geldes, eine ordnungsgemäße Überwachung der Ausgaben und eine Ex-post-Bewertung der getroffenen Maßnahmen.

Wie der Herr Kommissar festgestellt hat, gehört der Libanon jetzt zu den EU-Partnerländern im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Das Geld aus dieser Politik wird erst 2009 oder 2010 verfügbar sein, aber wenn es dann bereitsteht, bin ich dafür, dass die EU für die sozialen und wirtschaftlichen Reformen im Libanon Hilfestellung gibt. In der Zwischenzeit kann eine Makrofinanzhilfe einen entscheidenden Beitrag zum Bemühen des Libanon leisten, das Problem seiner Verschuldung zu lösen und seine Regierung zu stabilisieren. Deshalb begrüße ich sie.

 
  
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  Bogusław Sonik (PPE-DE).(PL) Frau Präsidentin! Wir diskutieren heute die Makrofinanzhilfe für Libanon. Das Land befindet sich in der schwersten wirtschaftlichen und politischen Krise seit dem Ende des Krieges 1990. Von vielen unabhängigen Nahost-Experten hat das Haus vernommen, dass die Europäische Union die demokratische Regierung des Libanon aktiv unterstützen sollte.

Der Libanon befindet sich gegenwärtig an einem besonders kritischen Scheideweg. In dieser Phase können die letzten Geister des Krieges vielleicht endgültig zur Ruhe gebettet werden. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die Konflikte der Vergangenheit wieder aufbrechen. Daher sollten wir die uns zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen und eine aktive Vermittlerrolle spielen, um einen Beitrag zur Lösung der internen Konflikte des Libanons zu leisten. Der Konflikt zwischen Israel und dem Libanon hat enorme Schäden in einem Land angerichtet, dem es gerade unter großen Mühen gelungen war, seine Infrastruktur nach zwanzig Jahren Krieg wieder aufzubauen. Auch hatten die Auseinandersetzungen negative Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen im Libanon, da die radikalen Kräfte gestärkt wurden und das Land damit erneut in innenpolitische gemeinschaftsübergreifende Streitigkeiten gestürzt wurde.

Der Libanon braucht Zeit, um sich wieder zu stabilisieren. Vermittlung zwischen allen Parteien ist vonnöten. Die von der EU und anderen Ländern und Institutionen bereitgestellte Finanzhilfe gibt dem Libanon eine Chance, zu seinem Reformkurs zurückzufinden. Reformen brauchen Zeit, aber im Ergebnis wird ein Land entstehen, das politisch, sozial und wirtschaftlich stabil ist.

Ich begrüße die Initiative der Kommission sowie die Tatsache, dass die Abgeordneten dieses Parlaments sich der Frage der Makrofinanzhilfe angenommen haben. Auf diese Weise können wir den Libanesen ein Zeichen geben und ihnen versichern, dass die EU sich als ihr Partner betrachtet. Darum möchte ich auch dem Berichterstatter für sein geschicktes Bemühen danken, das Parlament in den Entscheidungsprozess über die Libanon-Hilfe einzubeziehen. Schließlich müssen wir immer daran denken, dass der Wiederaufbau des Libanon für uns als Europäer von gleichem Interesse ist wie für das libanesische Volk.

 
  
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  Die Präsidentin. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 29. November 2007, statt.

 

24. Handel und Klimaänderung (Aussprache)
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  Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Alain Lipietz im Namen des Ausschusses für internationalen Handel über Handel und Klimaänderung (2007/2003(INI)) (A6-0409/2007).

 
  
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  Alain Lipietz, Berichterstatter. − (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Ihnen vorliegende Bericht ist am Vorabend der Konferenz von Bali relativ wichtig.

Der internationale Handel entwickelt sich bekanntlich doppelt so schnell wie das weltweite Bruttoprodukt. Seine Entwicklung bringt zunächst einmal ein Anwachsen des Verkehrssektors mit sich, der einer der Sektoren ist, die das meiste Treibhausgas produzieren. Dann ermöglicht er eine Verlagerung der produktiven Tätigkeit, die zwar hinsichtlich des Einsatzes der Produktivkräfte und der Nutzung der Entlohnungsregeln eine Optimierung ermöglicht, die aber, da sie den mit dieser Arbeitsteilung verbundenen Treibhausgasausstoß überhaupt nicht berücksichtigt, ihrerseits die Erzeugung von Treibhausgas und den Klimawandel beschleunigen kann.

Um nur eine Zahl zu nennen, der Schifffrachtverkehr, dessen Aufkommen vierzig Mal geringer als das Aufkommen im Luftfrachtverkehr ist, verursacht nur doppelt so viele Treibhausgasemissionen, aber man befördert trotzdem Waren mit dem Flugzeug, um den Produktionszyklus zu optimieren. Ich glaube, dass wir uns nach dem Stern-Bericht und nach den vier Berichten der zwischenstaatlichen Gruppe zum Klimawandel dessen bewusst sind, dass es sich immerhin lohnen würde, einen halben Tag oder auch drei Tage mehr auf die Ankunft einer Ware auf ihrem Markt zu warten, als das Klima zu einem Preis zu zerstören, den der Stern-Bericht auf 5 Billionen US-Dollar beziffert.

Abgesehen von dieser Feststellung wird mit dem Ihnen vorliegenden Bericht versucht, neue Wege zu eröffnen. Es gibt natürlich alle Wege, die mit dem Verkehrswesen zu tun haben. Wir begrüßen die Abstimmung, die unlängst über die Einbeziehung der Luftfahrtindustrie in das europäische Quotensystem stattgefunden hat. Der Bericht regt zu Überlegungen über die industrielle Organisation zur Reduzierung der geografischen Streuung der Produktionszyklen an – näher am Endverbraucher produzieren –, und er enthält einige Vorschläge zum Handel mit Umweltgütern.

Wir schlagen vor, sowohl im Rahmen der WTO als auch im Rahmen der bilateralen oder biregionalen Abkommen – kurz, in allen Abkommen, über die wir derzeit verhandeln –, der Folgenabschätzung zu den Klimaveränderungen bei der Bewertung der Umwelteffekte dieser Abkommen sowie der deutlichen Reduzierung aller tarifären und nicht tarifären Barrieren, und da denken wir besonders an die Förderabgaben, die dem Handel mit umweltfreundlichen Gütern und Dienstleistungen entgegenstehen, die die Erzeugung von Treibhausgasen verringern, Vorrang einzuräumen.

All dies muss natürlich auf einer möglichst multilateralen Ebene erfolgen, möglichst in der WTO oder gegebenenfalls auf der Ebene der biregionalen Abkommen, die Europa derzeit aushandelt. Aber wir können die Hypothese nicht ausschließen, dass nach 2012, in der ersten Post-Kyoto-Periode, die Menschheit noch nicht zu einem einstimmigen Abkommen über die Bekämpfung der Klimaänderungen gelangt ist. In diesem Falle ist sicher, dass die Entscheidungen, die Europa trifft, um bei der Bekämpfung des Klimawandels führend zu sein, für einige seiner Sektoren nachteilig sein könnten. Nicht für alle. In sehr vielen Fällen bedeutet die Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels durchaus einen Wettbewerbsvorteil. In einigen Fällen, und ich denke da besonders an die Zementindustrie, kann das enorme Probleme mit sich bringen, und es besteht die Gefahr, dass es zu einem Zementtourismus kommt. In diesem Falle schlagen wir, sobald alle Möglichkeiten multilateraler Abkommen ausgeschöpft sind, vor, das zu beschließen, was Artikel 20 des GATT vorsieht, nämlich den steuerlichen Grenzausgleich zur Wiederherstellung des fairen Wettbewerbs.

Soweit, werte Kolleginnen und Kollegen, das Wesentliche meiner Vorschläge.

 
  
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  Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. − (EL) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sind dem Ausschuss für internationalen Handel für seine Initiative zur Beschäftigung mit Fragen des Handels und des Klimawandels dankbar.

Der Bericht von Alain Lipietz ist eine nützliche Quelle für politische Ideen und Vorschläge. Wir sind über diesen Bericht erfreut, denn in ihm wird die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Aspekte der Verhandlungen anerkannt.

Der Klimawandel ist ein sehr ernstes Thema, das im Grunde alle Sektoren, auch den Handel, berührt. Wir müssen uns bemühen, eine gegenseitig unterstützende und schlüssige Politik zu entwickeln. Die Europäische Union ist bestrebt, den Handel zu erleichtern und dafür zu sorgen, dass er abgewickelt werden kann, und auch dafür, dass er einen Beitrag zu anderen Politikbereichen wie etwa der Politik auf dem Gebiet des Klimawandels leistet.

Wir begrüßen es, dass in dem Bericht die Aussichten auf Verhandlungen über umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen anerkannt werden. Wir halten dies für einen bedeutenden Beitrag des Handels zu den Zielen des Klimaschutzes. Wir hoffen, dass bei der gegenwärtigen Runde der multilateralen Handelsverhandlungen über die Doha-Entwicklungsagenda Fortschritte erzielt werden. Wir nehmen erfreut zur Kenntnis, dass die Notwendigkeit anerkannt wird, den Sekretariaten von Umweltschutzübereinkommen Beobachterstatus bei der Welthandelsorganisation einzuräumen, was wir in der laufenden Runde der Handelsverhandlungen zu erreichen versucht haben. Wir freuen uns auch über die Anerkennung des Beitrags, der durch besondere Bestimmungen von unseren neuen Freihandelsabkommen zu Fragen des Klimawandels geleistet werden kann.

Die Zusammenhänge zwischen den Zugangsmöglichkeiten zu neuen Märkten, d. h. zu größeren Handelsströmen, und Maßnahmen gegen den Klimawandel liegen auf der Hand.

Von Umweltschutzmaßnahmen geht ein starker Anreiz für technologische Neuerungen aus, und sie fördern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Wissenschaftliche und wirtschaftliche Daten belegen eindeutig, dass die Vorteile der Eindämmung des Klimawandels die Kosten der Reduzierungsmaßnahmen aufwiegen.

Die Durchführung weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels kann zu beträchtlichen Wettbewerbsvorteilen für Hersteller in Ländern mit Beschränkungen für Kohlendioxidemissionen führen, weil sie – in Verbindung mit anderen Maßnahmen – zu einer Senkung des Verbrauchs wertvoller Ressourcen und zu umweltfreundlichen technologischen Innovationen führen wird, für die sich in zunehmendem Maße Chancen für den Marktzugang ergeben. Auf diese Weise werden wir einen Zustand erreichen, der allen nützt, und zwar unter Gesichtspunkten sowohl des Wettbewerbs als auch des Umweltschutzes. Wir müssen fortfahren, nach weiteren Möglichkeiten zur Stärkung des positiven Beitrags der Handelspolitik zur Bekämpfung des Klimawandels zu suchen.

Ich stelle fest, dass der Bericht in diesem Zusammenhang auf die Fragen der Ausfuhrkredite, der schrittweisen Abschaffung von klimaschädlichen Handelssubventionen und der Stärkung und Ausweitung des Marktzugangs für ausländische Direktinvestitionen eingeht. Dies sind alles interessante Fragen, die wir noch eingehender erörtern können.

Wir müssen auch unsere Bemühungen in den Bereichen Nachhaltigkeitskriterien für Forstwirtschaftserzeugnisse, Entwaldung und illegaler Holzeinschlag fortsetzen.

Abschließend möchte ich Ihnen noch einmal für diesen wertvollen Diskussionsbeitrag zum Klimawandel zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt danken, da uns nur noch wenige Tage vom Beginn der Konferenz über den Klimawandel auf Bali trennen, die hoffentlich den Anstoß zu Verhandlungen über ein internationales Abkommen für die Zeit nach 2012 geben wird.

 
  
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  Jens Holm, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit. − (SV) Frau Präsidentin! Es ist höchste Zeit, dass auch der Welthandel seiner Verantwortung für das Klima gerecht wird. Seit 1990 ist der Handel in der Welt explosionsartig angestiegen. Welche Folgen hatte dies für das Klima? Logischerweise einen zunehmenden Verkehr mit ansteigenden Emissionen. Ist es beispielsweise angemessen, dass die Viehzüchter der EU für die europäische Fleischindustrie Millionen Tonnen Soja aus Brasilien einführen oder dass Fisch in Norwegen gefangen, dann nach China zum Säubern und Filetieren verbracht und wieder nach Europa zur Konservierung transportiert wird? Nein, natürlich nicht!

Unsere ausgezeichnete Stellungnahme ermöglicht es uns, konkrete Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Wir fordern, dass die Transporte ihre Umweltkosten tragen und streben einen Transfer „grüner Technologie“ in Entwicklungsländer beispielsweise durch grundlegende Änderungen bei Patenten oder anderen Rechten des geistigen Eigentums an. Wir fordern, dass Subventionen für fossile Brennstoffe abgeschafft werden und eine obligatorische ökologische Zertifizierung von Biokraftstoffen sowie eine Analyse aller Handelsabkommen unter dem Aspekt des Klimas durchgeführt werden. Das sind nur einige Beispiele aus diesem ausgezeichneten Bericht. Durch die Umsetzung dieser Dinge können wir gewährleisten, dass der Welthandel Teil der Lösung und nicht des Problems wird.

 
  
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  András Gyürk, Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. (HU) Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir das Wort erteilt haben! Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Zusammenhang zwischen zwei der Themen, die in dem uns vorliegenden Bericht erörtert werden, ist äußerst aktuell. Bestimmte Formen des Handels und der Klimawandel sind untrennbar miteinander verbunden. Es ist unumstritten, dass ein intensiver internationaler Handel gefährliche Folgen hat. Dazu gehört auch ein Anstieg der Kohlendioxidemissionen, während gleichzeitig Lebensräume von Pflanzen eingeschränkt werden, die Treibhausgase absorbieren. Dessen ungeachtet bin ich davon überzeugt, dass Freihandel nicht gleichbedeutend mit Umweltschäden ist. Durch die Ausbreitung des Handels und die internationale Arbeitsteilung erhöht sich die Effizienz der Produktion und übersteigt die negativen Folgen. Dies kann dazu führen, dass wir insgesamt weniger Energie verbrauchen.

Gestatten Sie mir, dass ich als Berichterstatter des Ausschusses für Industrie drei Gedanken in diesem Sinne aus der Stellungnahme unseres Ausschusses erläutere. Erstens ist es wichtig, dass die Handelshemmnisse für umweltfreundliche Technologien so rasch wie möglich beseitigt werden. Dazu muss die Europäische Union eine aktive Rolle bei den internationalen Verhandlungen zum Klimawandel spielen.

Zweitens müssen wir anstreben, dass der Preis von Erzeugnissen künftig schädliche Folgen widerspiegelt, die nicht unmittelbar zu erkennen sind, und dazu zählen auch die Auswirkungen auf den Klimawandel.

Drittens und letztens hat unseres Erachtens eine eingehende Untersuchung der Beziehungen zwischen Handel und Klimawandel größte Bedeutung für die Gemeinschaft. Dies umso mehr, als Europa eine führende Rolle bei der Ausfuhr ökologischer Erzeugnisse und Dienstleistungen in die ganze Welt spielen kann.

Meine Damen und Herren! Wie die genannten Punkte zeigen, vertreten die Mitglieder des Industrieausschusses einmütig die Ansicht, dass die Beseitigung der Handelshemmnisse und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels nur durch die breitest mögliche internationale Zusammenarbeit erreicht werden könne. Die Diskussionen im Ausschuss haben uns bestätigt, dass der Handel im Hinblick auf den Klimawandel nicht nur das Problem, sondern auch die Lösung ist. Vielen Dank, Frau Präsidentin.

 
  
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  Georgios Papastamkos, im Namen der PPE-DE-Fraktion. (EL) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Union muss – wie es ihr in hohem Maße auch gelungen ist – eine Führungsposition bei der Durchführung umweltfreundlicher Maßnahmen einnehmen. In dieser Hinsicht haben Sie, Herr Dimas, einen gehaltvollen Beitrag geleistet. Die Anpassung aller sektoralen Strategien an Modelle der nachhaltigen Entwicklung ist auf jeden Fall ein vorrangiges Regulierungsziel.

Die Stärkung des internationalen Handels trägt nach allgemeiner Ansicht zur Entwicklung der Weltwirtschaft bei und nützt nicht nur den Industrie-, sondern auch den Entwicklungsländern. Das rasch wachsende Volumen der grenzüberschreitenden Handelsströme bedeutet aber eine Herausforderung für die Klimapolitik. Die Grenzen des ausgleichenden oder widerstreitenden Verhältnisses zwischen dem Welthandelssystem und Maßnahmen auf dem Gebiet des Klimawandels sind Gegenstand des Berichts, den wir heute erörtern. Bedauerlicherweise ist in dem Bericht ein Ungleichgewicht zwischen der kommerziellen und der ökologischen Komponente festzustellen. Die rasche Entwicklung des internationalen Handels sollte ausschließlich als Verursacher von Umweltbelastungen behandelt werden. Darüber hinaus reicht die Durchführung von Klimamaßnahmen an sich noch nicht aus; es bedarf eines stringenten Gesamtplans, der die umweltfreundlichen Vorzugsmaßnahmen in den Bereichen Verkehr, Handel, Industrie, Energie und Landwirtschaft widerspiegelt. Jedenfalls reicht das Bemühen der Union allein nicht aus, um den Klimawandel zu bekämpfen. Die Spitzenstellung der Union bei der Schaffung von Modellen für den Umweltschutz und die soziale Absicherung muss gehalten und in ihren Handelsbeziehungen mit Ländern außerhalb der EU gefördert werden.

Meine Damen und Herren, der Entschließungsantrag enthält einige Kernpunkte. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei und europäischer Demokraten hat beschlossen, dass das Ergebnis der Abstimmung über diese Punkte den Ausschlag für die Endabstimmung geben sollte.

 
  
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  David Martin, im Namen der PSE-Fraktion. Frau Präsidentin! Wenn es um die Klimaänderung geht, wird Handel oft als Teil des Problems angesehen, und es stimmt, dass mancher Handel einfach nicht zu rechtfertigen ist. Schottische Garnelen nach Thailand zu schicken, wo sie geschält werden und von wo sie dann wieder zurück nach Schottland gehen, ist schlicht unsinnig und Energieverschwendung. Doch wie Herr Lipietz in seinem fundierten Bericht beweist, kann Handel auch Teil der Lösung des Problems sein. Ich möchte nur drei kurze Beispiele anführen.

Erstens darf die Festsetzung von strengen Energieeffizienznormen in Europa für Haushaltsgeräte wie Kühlschränke, Geschirrspüler, Mikrowellengeräte und so weiter nicht nur zur Reduzierung der CO2-Emissionen hier führen, sondern muss auch die Bedingungen für höhere Standards anderswo schaffen. Beispielsweise stellt eine einzige Fabrik in China 80 % der Mikrowellengeräte weltweit her. Dort wird man kaum nach einer Norm für Europa und einer anderen für andere Orte in der Welt oder eben auch für den eigenen Inlandsmarkt produzieren wollen.

Ein zweites Beispiel, das der Industrieausschuss angeführt hat, sind „grüne“ Waren bzw. – um die richtige Bezeichnung zu verwenden – umweltfreundliche Waren und Dienstleistungen. Wenn wir die Zölle für umweltfreundliche Waren und Dienstleistungen abschaffen, können wir den Handel mit Produkten fördern, die Drittländern helfen, ihren „CO2-Fußabdruck“ zu verringern, wie etwa beim Export von energieeffizienten Generatoren, Wellentechnologie und Sonnenkollektoren. Nehmen wir noch einmal das Beispiel China. China erhöht gegenwärtig seine Kapazitäten zur Energiegewinnung jedes Jahr in einem Umfang, der der Gesamtkapazität des Vereinigten Königreichs entspricht. Wenn man China dazu bringen würde, die neuste und effizienteste Technologie anzuwenden, dann könnte das erheblich zum weiteren Wachstum des Landes beitragen, ohne dass sich sein „CO2-Fußabdruck“ im gleichen Maße vergrößert.

Ein dritter und letzter Bereich wäre die Befähigung der Verbraucher, sachkundige Entscheidungen darüber treffen zu können, welche Produkte sie kaufen, und zwar durch die Bereitstellung klarer Informationen über den „CO2-Fußabdruck“ jedes einzelnen Produkts. Allerdings müssen wir darauf achten, dass diese Informationen ordnungsgemäß berechnet und dargestellt werden. Die „Lebensmittelmeilen“-Kennzeichnungen, also „food miles“, die in einigen Supermärkten des Vereinigten Königreichs derzeit verwendet werden, sind unbefriedigend und können irreführende Angaben enthalten. Blumen aus Kenia beispielsweise haben einen wesentlich kleineren „CO2-Fußabdruck“ als Blumen, die in niederländischen Gewächshäusern gezüchtet werden, aber bei einem Blick auf das Etikett würde man zu einer anderen Schlussfolgerung kommen.

 
  
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  Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk, im Namen der UEN-Fraktion.(PL) Frau Präsidentin! Indem ich im Namen der UEN-Fraktion im Rahmen dieser Aussprache über die Auswirkungen des Welthandels auf die Klimaveränderung das Wort ergreife, möchte ich die Aufmerksamkeit auf folgende Aspekte lenken.

Erstens, als eine weltweit führende Kraft bei der Bekämpfung des Klimawandels fordert die Europäische Union eine Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen um 25 bis 40 % bis 2020. Dabei sollte man jedoch bedenken, dass dann, wenn die EU diese Emissionssenkung hauptsächlich aufgrund eigener Maßnahmen und mit wenig Zutun anderer Länder erreicht, ihre wirtschaftliche Entwicklung gefährdet sein könnte.

Zweitens, Wirtschaftsunternehmen, die in Europa aufgrund der Bemühungen um eine Eindämmung von Treibhausgasemissionen verschiedenen Beschränkungen unterliegen, können nicht mehr im Wettbewerb mit Unternehmen mithalten, die in Ländern operieren, in denen entsprechende Einschränkungen nicht gelten. Viele Wirtschaftszweige und Produktionsarten gibt es in Europa schon nicht mehr, was dem unfairen Wettbewerb durch Hersteller aus Südwestasien und Südamerika geschuldet ist.

Drittens, nach Einführung von Beschränkungen für übermäßige Treibhausgasemissionen auf dem Territorium der EU haben wir erlebt, dass Produktionsstätten nach außerhalb Europas verlegt wurden, wo keine solchen Auflagen existieren. Viele Arbeitsplätze in Europa werden damit für immer verloren sein.

Viertens, wenn auf globaler Ebene keine Einigung über die Begrenzung von Treibhausgasemissionen erzielt wird und die EU entschlossen ist, diesen Weg allein weiterzugehen, sollten an den EU-Außengrenzen Ausgleichssteuern erhoben werden. Dies sollte im Besonderen für jene Sektoren gelten, in denen der Wettbewerb bereits ernsthaft betroffen ist, da bei den Produktionskosten Umweltkosten nicht berücksichtigt worden sind. Wenn möglich sollte auch in bilateralen Handelsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten stets die Klimadimension des Handels einbezogen werden.

Gleiche Regelungen sollten auch für Vorhaben gelten, die von der Europäischen Investitionsbank gefördert werden. Bei Unterstützung verschiedener Projektarten sollte dieser Grundsatz auch für die nationalen Stellen gelten, die Ausfuhrkredite und Direktinvestitionen sichern.

 
  
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  Graham Booth, im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Al Gore behauptet, die Debatte über die globale Erwärmung sei vorüber und es sei ohne Zweifel bewiesen worden, dass die menschliche Aktivität dafür verantwortlich ist.

Ich habe kürzlich im Ausschuss die Meinung geäußert, dass der gewaltige Einfluss der Sonne auf das Erdklima über Millionen von Jahren in dieser Debatte nicht außer Acht gelassen werden dürfe und dass die Abfolge von langen Eiszeiten mit dazwischen liegenden kurzen zwischeneiszeitlichen Perioden die wahrscheinlichste Erklärung sei. Dies wurde sehr feindselig aufgenommen.

Doch der Vorsitzende, Herr Markov, meinte, es sei nicht richtig, die Auslassung einer Meinung zu fordern, die nicht mit der aktuellen Lehrmeinung übereinstimmt. Wir sollten uns daran erinnern, dass Galileo, als er im 17. Jahrhundert verkündete, die Erde drehe sich um die Sonne, von der katholischen Kirche mit Folter bedroht wurde, weil er es wagte, der anerkannten Tatsache zu widersprechen, dass die Erde den Mittelpunkt des Universums bildet. Es dauerte bis 1992, ehe die Kirche zustimmte, dass Galileo recht gehabt hatte.

Das einzige problematische CO2 in der Debatte über die globale Erwärmung ist die belanglose Menge, die bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen entsteht. Diese vergleichsweise geringe Menge ist der einzige moderne und unkonventionelle Anteil, der zusätzlich zu den enormen Mengen anfällt, die von allen Lebewesen und vermodernden organischen Substanzen sowie durch vulkanische Aktivitäten erzeugt wird.

Bevor wir riskieren, die Volkswirtschaften weltweit mit Kohlenstoffemissionssteuern und dergleichen zu ruinieren, sollten wir diese Debatte neu aufrollen und eindeutig feststellen, wer nun recht hat.

 
  
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  Daniel Caspary (PPE-DE). – Frau Präsidentin, geschätzte Kollegen! Wir sollten uns mit diesem Berichtsentwurf auf das konzentrieren, worum es geht, nämlich auf die Frage Handel und Klimawandel.

Es ist dem Berichterstatter in seinem ersten Entwurf leider nicht gelungen, positive wirtschaftliche und sozial verträgliche Vorschläge zu entwickeln, wie wir dieses Problem angehen können. Aus meiner Sicht wurde durch den Berichterstatter und in dem Bericht viel zu oft verwechselt, was Handel und was Transport ist. Nicht der Welthandel ist das Problem, nicht die weltweite Arbeitsteilung, es ist nicht das Problem, dass dank des Handels auch die Regionen einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, die bisher arm waren oder sind, sondern unser Problem ist doch vielmehr, dass die Transportmittel noch nicht effizient und ökologisch genug sind. Unser Problem ist doch, dass sich aufgrund der Armut oder des nur niedrigen Wohlstands in bestimmten Regionen auf der Welt viele Menschen und Staaten einen notwendigen und ökologisch und ökonomisch sinnvollen Klimaschutz gar nicht leisten können.

Erst durch die Integration dieser Regionen in den weltweiten Handel werden wir es schaffen, dass sich die Menschen dort Umweltschutz und Klimaschutz überhaupt leisten können. Wer um das tägliche Überleben kämpft, der denkt nicht an Umwelt- oder Klimaschutz. Erst durch einen funktionierenden Welthandel werden wir unsere modernen Technologien in die ganze Welt verkaufen können und dadurch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können.

Deswegen ist nicht weniger Handel die Antwort auf das Problem, sondern aus meiner Sicht ist mehr Handel die Antwort auf die Probleme von Handel und Klimawandel.

Ich bin deshalb meinem Kollegen Georgios Papastamkos sehr dankbar, dass er in den Ausschussberatungen etliche Aspekte einbringen konnte. Ich bin sehr dankbar, dass die ALDE-Fraktion in diese Richtung noch einige Anträge für das Plenum morgen eingebracht hat.

Ich möchte mit einer Bitte schließen: Wir haben in diesem Bericht leider einige Punkte, in denen wir unsere soziale Marktwirtschaft in Misskredit gezogen haben. Wir sollten einen Weg finden, solche Spitzen gegen unsere Wirtschaftsordnung, die so vielen Menschen Wohlstand und soziale Sicherheit gebracht hat, noch zu beseitigen. Ich wäre dankbar, wenn die Fraktionen hier noch Kreativität zeigen könnten, damit auch unsere Fraktion zustimmen kann.

 
  
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  Elisa Ferreira (PSE).(PT) Zunächst beglückwünsche ich den Berichterstatter zu seiner detaillierten Behandlung einer so vielschichtigen Problematik wie des Zusammenhangs zwischen Handel und Klimawandel. Europa ist weltweit Vorreiter im Kampf gegen die Verschärfung des Klimawandels. Um aber glaubwürdig zu sein und die angestrebten Ziele zu erreichen, muss es seine mit diesem Ziel zusammenhängenden Maßnahmen besser aufeinander abstimmen. Vor allem die europäische Handelspolitik, eines der ältesten gemeinsamen Politikfelder der Union, darf und kann nicht vergessen werden. Die Balance zwischen Umwelt und Handel ist nicht so leicht herzustellen und wird insbesondere in der Welthandelsorganisation nicht hinreichend gewahrt.

In der Europäischen Union erfordert die Erreichung der Ziele beim Klimawandel wirksame Anstrengungen zur Verringerung der Kohledioxidemissionen, die sich ihrerseits auf die Produktionsbedingungen und die Kosten einer wachsenden Zahl von Produktionssektoren auswirken werden. Es ist an der Zeit, dass wir uns fragen, ob es in einer Welt des globalen Wettbewerbs und angesichts einer Existenzfrage für unseren Planeten sinnvoll ist, dass sich die Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels vor allem auf Europa beschränken. Kann es angehen, dass die Emissionen so vieler europäischer Wirtschaftszweige in Teile des Erdballs mit niedrigeren Umweltstandards verlagert werden? Kann die Verschmutzung der Umwelt ein legitimer Faktor der Wettbewerbsfähigkeit sein? Kann es angehen, dass für die hauptsächlichen Handelsgüter auf der Welt unterschiedliche Umweltschutzvorschriften gelten, je nachdem, in welcher Region der Erde sie hergestellt werden?

Ich meine, dass die Antwort auf all diese Fragen „Nein“ lauten muss. Wir müssen das richtige Verhältnis zwischen der Umwelt einschließlich des Klimas und dem Handel finden, das kollektive, angemessene und ausgewogene Anstrengungen gewährleistet, ohne jemanden davon auszunehmen, vor allem nicht die großen Welthandelspartner. Es muss rasch eine neue Balance zwischen der Entwicklung der riesigen verarmten Gebiete des Erdballs und dem Fortbestand des Planeten gefunden werden, und zwar durch Dialog, gegenseitige Achtung und Entschlossenheit angesichts gemeinsamer Ziele. Dazu ist ein globaler Kraftakt erforderlich, und wir können nur hoffen, dass dieser Prozess im Dezember auf Bali ernsthaft und engagiert auf den Weg gebracht wird.

 
  
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  Stavros Arnaoutakis (PSE). – (EL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Es stimmt, dass der Handelsverkehr auf europäischer Ebene und weltweit in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Diese Entwicklung begünstigt zwar die wirtschaftliche Entwicklung der Nationen, wirkt sich aber in erheblichem Maße auf den Klimawandel aus. Ich bringe daher in meinem eigenen Namen meine Besorgnis über dieses besondere Problem zum Ausdruck. Wir müssen zu einer Entscheidung darüber finden, wie die Handelspolitik einen positiven Beitrag zur Lösung des Klimawandelproblems leisten kann.

Das Ziel, das wir uns gesetzt haben, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2020 um 20 % zu verringern, ist äußerst ehrgeizig. Ich hoffe, dass wir diese Wette gewinnen, denn wenn wir verlieren, werden gewaltige Kosten auf uns zukommen. An dieser Stelle möchte ich den Beitrag des Kommissars unterstreichen und ihn zu all seinen Initiativen und Bemühungen in dieser Richtung beglückwünschen.

Bei der Umstellung auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel, der Förderung einer klimafreundlicheren Industrie, der Entwicklung neuer Technologien und der Schaffung finanzieller Negativanreize für Aktivitäten mit klimaschädlicher Auswirkung, einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen, der Welthandelsorganisation und der Europäischen Union sowie der laufenden Konsultation und der Beteiligung der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen, die im Umweltschutzbereich tätig sind, brauchen wir stärkere Unterstützung und größere Anstrengungen. Dem Europäischen Parlament kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Ich hoffe, dass die Ergebnisse der Konferenz im Dezember auf Bali die optimistischen Botschaften vermitteln, auf die wir alle hoffen.

 
  
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  Die Präsidentin. − Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag, dem 29. November 2007, statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142 GO)

 
  
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  Eija-Riitta Korhola (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Um den Kampf gegen den Klimawandel erfolgreich gestalten zu können, ist es dringend erforderlich, dass die Klimapolitik ein wesentlicher Aspekt aller Maßnahmen wird. Der vorliegende Bericht ist in der Tat sehr wertvoll, und er regt eine sehr notwendige Diskussion an: Die Handelspolitik muss Bestandteil der Klimapolitik werden, weil ein zunehmender Handel zu mehr Treibhausgasen führt. Andererseits entfaltet die Handelspolitik als eine Form der Klimapolitik ganz spezielle Wirkungen und kann daher Teil der Lösung sein.

Handelspolitik hat zunächst einmal eine große Bedeutung für die Förderung von Umwelttechnologien. Der internationale Handel ist eines der effektivsten Instrumente des Technologietransfers. Die Welthandelsorganisation spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn es ist wichtig, Zölle auf umweltfreundliche Waren abzuschaffen und die Regelungen über das geistige Eigentum zu verbessern. Auf der anderen Seite ist es nicht hinnehmbar, dass die WTO immer noch widersinnige Subventionen beispielsweise für fossile Brennstoffe billigt und so den Weg zu grüner Technologie blockiert.

Aus unersichtlichen Gründen feiert der Bericht einen Erfolg von Kyoto. Kyoto ist voller Schlupflöcher, die in Wirklichkeit die Situation noch verschärfen. Einseitige Maßnahmen führen zu Wettbewerbsverzerrungen und zu einem „Kohlenstoffleck“. Emissionen von einem Ort zum anderen zu transferieren bedeutet nicht, sie abzubauen. Außerdem besteht Solidarität mit den Menschen in den Entwicklungsländern nicht darin, dafür zu sorgen, dass deren Umwelt kontaminiert wird. Kyoto führt zu ökologischer Ausbeutung. Der Klimawandel ist durch und durch eine globale Erscheinung und erfordert globale Lösungen. Daher wird ein globales System für den Emissionshandel benötigt, an dem alle industrialisierten Länder und aufstrebenden Volkswirtschaften unbedingt teilnehmen müssen.

Ich teile voll und ganz die in dem Bericht geäußerten Bedenken über das Schicksal der Wälder infolge der Zunahme des Handels. Die EU muss ihr besonderes Augenmerk auf die Gefahr richten, die Biokraftstoffe für Waldsenken bedeuten. Die von der Kommission aufgestellten Zielvorgaben für erneuerbare Energien dürfen nicht zugleich zu einer Beschleunigung des Klimawandels führen.

 

25. Referendum in Venezuela (Aussprache)
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  Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt die Erklärung der Kommission zum Referendum in Venezuela.

 
  
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  Stavros Dimas, Mitglied der Kommission. (EN) Frau Präsidentin! Der Nationale Wahlrat hat bekannt gegeben, dass am 2. Dezember 2007 ein Referendum zum Vorschlag für eine Verfassungsreform des Präsidenten der Bolivarianischen Republik Venezuela und der Nationalversammlung abgehalten wird. An diesem Tage werden die Bürger Venezuelas Gelegenheit haben, ihr demokratisches Recht auf Entscheidung über die vorgeschlagenen Änderungen auszuüben, die wichtige Aspekte des politischen, institutionellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens dieses Landes betreffen.

Die Kommission verfolgt den laufenden Prozess der Verfassungsreform in Venezuela wie auch in anderen Ländern der Region aufmerksam. Sie betont, dass es für sie vor allem wichtig ist, dass jede neue Verfassung oder Verfassungsreform die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit stärkt. Sie ist ferner der Auffassung, dass jede Verfassung auf der breiten Zustimmung der Bevölkerung beruhen und der Pluralität und Vielfalt jeder Nation ausreichend Rechnung tragen muss. Verfassungen sollten Menschen zusammenführen und nicht trennen.

Die Kommission verfolgt die intensive Debatte über die Verfassungsreform in Venezuela mit Interesse. Sie hat festgestellt, dass einige Bereiche der venezolanischen Gesellschaft für die vorgeschlagenen Änderungen sind, andere sich hingegen nachdrücklich dagegen aussprechen. Diese Letzteren haben Bedenken vor allem zu Aspekten der Reform, die ihres Erachtens – sollte die Reform gebilligt werden – eine verstärkte Konzentration von Machtbefugnissen in den Händen des Präsidenten, eine Schwächung der demokratischen Kontrollmechanismen und der bestehenden Institutionen sowie eine Bedrohung des demokratischen Pluralismus bewirken würden. Andere sind der Meinung, dass die Vorschläge über eine reine Reform hinausgehen und eine Veränderung des grundlegenden Staatsaufbaus bedeuten.

Die Kommission ist sich der Situation bewusst und schenkt ihr gebührende Beachtung. Nach ihrer Auffassung obliegt es zwar dem venezolanischen Volk, sich zu dem Reformvorschlag zu äußern, doch sie betont auch, dass es wichtig sei, die Kampagne zur Reform offen und im Geiste der gegenseitigen Achtung zu führen. Sie gibt ferner ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das Referendum in einer friedlichen Atmosphäre und in transparenter Weise stattfindet.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Wahlbeobachtungsmission, die die Europäische Union zu den letzten Präsidentschaftswahlen in Venezuela entsandt hatte, zu dem Schluss gelangte, dass der Wahlvorgang im Allgemeinen die internationalen Normen und nationalen Bestimmungen erfüllte, und unterstrich, dass die Wahlen unter friedlichen Bedingungen durchgeführt wurden.

 
  
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  Francisco José Millán Mon, im Namen der PPE-DE-Fraktion.(ES) Frau Präsidentin! Der gesamte amerikanische Kontinent ist derjenige, der Europa in Bezug auf Werte, Ideale, Weltanschauung und Individuen, ihre Würde und ihre Rechte am nächsten steht. Was wir Westen nennen, schließt Lateinamerika für mich ganz klar ein.

In den letzten Jahren waren einige positive Trends in ganz Lateinamerika zu verzeichnen, die es Europa noch näher gebracht haben: pluralistische Wahlen und demokratische Konsolidierung, Wachstum mit einer besser ausgewogenen und offeneren Wirtschaftspolitik, regionale Integrationsprozesse und sehr wichtige Abkommen mit der Europäischen Union.

Doch es gibt Ausnahmen in diesem positiven Panorama: neben der üblichen, Kuba, zeichnet sich jetzt Venezuela ab. Dieses Land durchläuft einen Prozess zunehmenden Autoritarismus, in dem die Freiheiten eingeschränkt, die Opposition drangsaliert und Angst unter der Bevölkerung verbreitet wird, die sogar vermutet, dass ihre Stimmabgabe nicht mehr geheim ist. In diesem Haus bedauern wir die Schließung von Radio Caracas Televisión im Mai dieses Jahres.

Am Sonntag wird überstürzt ein Verfassungsreferendum abgehalten, das ein autoritäres und ausgrenzendes Regime einführen soll und die Errichtung eines so genannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts anregt. Ein bis vor Kurzem sehr enger Mitarbeiter von Präsident Chávez bezeichnet den Prozess sogar als „Putsch“. Ich bedauere, dass keine Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union offiziell eingeladen wurde.

Mehr noch, dieses Referendum wird in einem Klima von Gewalt und Spannung durchgeführt, das sogar Studenten das Leben gekostet hat, die den Plan ebenfalls ablehnen. In den letzten Jahren nahmen auch die physische und Rechtsunsicherheit, Entführungen und Landbesetzungen zu. Infolge dessen haben beispielsweise viele meiner galicischen Landsleute das Land verlassen. Die Zahl beläuft sich seit dem Machtantritt von Präsident Chávez auf durchschnittlich 1 000 Personen pro Jahr.

Ermutigt von den hohen Ölpreisen, hält Präsident Chávez nach Gefolgsleuten und Verbündeten in anderen Ländern Ausschau. Es veranstaltet viel Lärm auf internationalen Foren und mischt sich in die souveränen Angelegenheiten seiner Nachbarn ein. Wie Präsident Uribe sagte, möchte Präsident Chávez den Kontinent in Brand setzen. Seine Haltung bildet ein Problem für die demokratische Stabilität Venezuelas und für die Eintracht und den Integrationsprozess in ganz Lateinamerika. Gleichzeitig stört er die Beziehungen, die sich im letzten Jahrzehnt zwischen den Ländern dieses Kontinents und der Europäischen Union ausgeweitet haben.

Angesichts des bevorstehenden Gipfeltreffens in Lima stellt die Haltung von Präsident Chávez eine ernste Herausforderung dar, die von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten sorgfältig geprüft werden muss.

 
  
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  Luis Yañez-Barnuevo García, im Namen der PSE-Fraktion.(ES) Frau Präsidentin! Entsprechend unserer Tradition der Achtung und Nichteinmischung besteht unsere vordringliche Aufgabe in diesem Parlament darin, die Situation mit unseren Worten nicht noch weiter anzuheizen, weder auf Kontinenten noch in Drittländern.

Herr Millán Mon sagt richtig, dass sich Lateinamerika in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt hat, sowohl politisch – da die große Mehrheit seiner Länder demokratisch ist – als auch wirtschaftlich sowie, wenn auch in eher bescheidenem Maße, in sozialer Hinsicht.

Europa hat durch seine Unternehmen, seine Investitionen und insbesondere seine Entwicklungshilfe, der höchsten auf diesem Kontinent, wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen.

In diesem allgemeinen Kontext würde ich nicht sagen, dass es eine Ausnahme gibt, sondern eher, dass in Venezuela eine besondere Situation herrscht, bedingt durch die sehr spezielle und sehr eigene Persönlichkeit von Präsident Chávez. Doch wir dürfen nicht vergessen – vor allem nicht in einer demokratischen Institution wie dieser –, dass Präsident Chávez drei Mal mit großer Mehrheit und ohne begründeten Verdacht auf Wahlbetrug wiedergewählt wurde.

Unter diesen Umständen – das heißt, wir sprechen nicht von einer Diktatur – müssen wir umsichtig vorgehen, versuchen, den Dialog zu verstärken, indem wir die Hand der Freundschaft ausstrecken und dieses Land, das zugegebenermaßen zerrissen und gespalten ist, auch zum innenpolitischen Dialog, zu Konsens und Aussöhnung ermutigen. Das muss in der Überzeugung erfolgen, dass ein Land nicht mit einer Mehrheit von nur 60 % oder 40 % umgewandelt werden kann und dass die Spielregeln nicht ohne einen breiten Konsens von mindestens 70 % oder 80 % geändert werden können, wie das in anderen Ländern in unserer Umgebung und auf unserem alten Kontinent, in der Europäischen Union, geschehen ist.

Es stimmt, dass die innenpolitische Lage sehr Besorgnis erregend ist. Die Gründe dafür habe ich genannt: das Abdriften oder der Verdacht des Abdriftens in den Autoritarismus, die Machtkonzentration, der schrittweise Verlust der Gewaltenteilung sowie die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung unter Anwendung eines in Europa kaum bekannten Instruments mit der Bezeichnung „en cadena“. Dies erlaubt dem Präsidenten oder einem seiner Minister jederzeit, allen Fernseh- und Rundfunksendern den Befehl zu erteilen, die Botschaften des Präsidenten auszustrahlen. Diese dauern nicht nur eine Minute oder zwei. In Ausnahmefällen können sie sich wirklich mehrere Stunden am Tag hinziehen. In einem Land, in dem wenige Zeitungen gelesen werden und Fernsehen und Rundfunk die Hauptmedien sind, ist dies eine problematische Situation.

Doch ich wiederhole nachdrücklich – und damit komme ich zum Schluss –, dass wir angesichts dieses Referendums vorsichtig sein und den Dialog anbieten, die Hand der Freundschaft ausstrecken und versuchen müssen, zwischen den beiden gegnerischen Seiten in Venezuela zu vermitteln.

 
  
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  Marios Matsakis, im Namen der ALDE-Fraktion. (EN) Frau Präsidentin! Venezuela ist ein Land von außerordentlicher natürlicher Schönheit und sehr reich an Bodenschätzen. Es verfügt über einige der weltweit größten Lagerstätten von Öl, Eisen und Gold. Trotz seiner Naturreichtümer ist die Mehrheit der Venezolaner sehr arm und zu viele Menschen leben in schrecklicher Armut. Nur eine kleine Minderheit, die einer reichen Elite angehört, hat von den Reichtümern des Landes profitiert.

Unter solchen Bedingungen der sozialen Ungleichheit ist es kein Wunder, wenn populistische Politiker wie Hugo Chávez als Retter der Armen auf den Plan treten. Es ist auch kein Wunder, dass das Nationalisierungsprogramm von Herrn Chávez von den meisten Venezolanern begrüßt wurde. Für sie war Hugo Chávez jemand, der ihnen aus dem Elend von Armut und Entbehrung heraushelfen würde.

Diese Denkweise gilt auch für das bevorstehende Referendum über die Verfassungsreform. Ich bin sicher, dass ein Referendum die notwendige Zustimmung der Bevölkerung erhalten wird und es jetzt zu spät für einen Wandel der öffentlichen Meinung ist. Deshalb werden wir nach dem 2. Dezember im Grunde einen weiteren Fidel Castro erleben. Es scheint, dass gerade jetzt, da in Kuba ein totalitärer Führer verschwindet, in Venezuela ein anderer geboren wird. Doch bei der Diagnose dieser traurigen Tatsache sollten wir vielleicht auch die Frage stellen, ob wir im Westen in irgendeiner Weise daran schuld sind, wie sich die Dinge in Venezuela jetzt entwickeln.

Wir dürfen dass nicht einfach nur tun, um in der Theorie moralisch und politisch korrekt dazustehen, sondern auch, damit wir ähnliche Erscheinungen in der Zukunft verhindern können. Leider haben wir offenkundig in unserem Umgang mit Venezuela in den letzten Jahren zahlreiche schwere Fehler gemacht. Hugo Chávez hat es dorthin geschafft, wo er heute steht, weil wir ihm durch Tätigkeit und Untätigkeit in unserer Außenpolitik geholfen haben. Deshalb sollten wir, wenn wir darüber nachdenken, wie wir in Zukunft mit ihm verfahren wollen, damit beginnen, dass wir uns beim venezolanischen Volk entschuldigen.

 
  
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  Alain Lipietz, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Ich spreche als Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zur Andengemeinschaft, und in dieser Eigenschaft reise ich seit mehreren Jahren einmal oder mehrmals im Jahr nach Venezuela.

Seit ich in dieses Land reise, das heißt seit der Zeit des Militärputsches gegen Präsident Chávez, habe ich stets das Geschrei der venezolanischen Medien gegen Präsident Chávez, gegen die Diktatur gehört. In den Hotels, wo ich logierte, die immerhin Drei-, Vier-, Fünf-Sterne-Hotels waren, hatte man nicht das Recht, das staatliche Fernsehen zu empfangen, und dieses Recht hat man immer noch nicht. Es wird im Allgemeinen mit Schneegestöber ausgestrahlt. Die Generäle, die den Staatsstreich verübt haben, kampieren seitdem auf dem größten Platz von Caracas, ohne dass der Präsident, der legal gewählt, wiedergewählt und wieder wiedergewählt wurde, jemals den kleinen Finger gegen sie erhoben hätte.

Venezuela ist eines der Länder, die versuchen, die Konflikte, die sich in ganz Lateinamerika abspielen, so friedlich wie möglich zu lösen. Ich bin kein absoluter Fanatiker aller Veränderungen, die Präsident Chávez für die bolivarianische Verfassung vorgeschlagen hat. Aber wie Herr Matsakis gerade sagte, wird das venezolanische Volk entscheiden.

Man kann sich natürlich dafür entschuldigen, den Eindruck erweckt zu haben, als unterstütze man den Militärputsch. Ja, das hat viel zu einer Radikalisierung dieses Regimes in Venezuela beigetragen. Aber ich glaube, man muss zuerst und vor allem die Entscheidung des venezolanischen Volkes respektieren.

 
  
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  Willy Meyer Pleite, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Ich möchte die europäische Rechte auffordern, ihre Einmischung in Venezuela einzustellen.

Die europäische Rechte mag Kuba nicht, weil sie sagt, es gibt dort keine Wahlen, und sie mag Venezuela nicht, weil es dort Wahlen gibt. Venezuela ist eines der Länder in Lateinamerika, die die meisten Wahlen abgehalten haben, alle überwacht von der Organisation Amerikanischer Staaten, von der Europäischen Union und von angesehenen Stiftungen wie dem Carter Center.

Meine Damen und Herren von der Rechten, was Ihnen nicht gefällt, ist das System. Stoppen Sie Ihre Einmischung, und respektieren Sie ein souveränes Volk, das frei seinen Willen ausübt und dies weiterhin tun wird. Wir sollten den Ereignissen nicht vorgreifen. Waren wir uns in der Europäischen Union nicht darüber einig, wie Kommissar Dimas erklärte, dass die jüngsten Präsidentschaftswahlen völlig fair abgehalten wurden?

Wir müssen abwarten und schauen und respektieren, was das Volk von Venezuela sagt, ohne jegliche Einmischung, meine Damen und Herren von der Rechten.

 
  
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  José Ribeiro e Castro (PPE-DE).(PT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! 1848 verkündete Karl Marx den Sozialismus des 19. Jahrhunderts, und das Ganze geriet zum Fiasko. 1917 rief Lenin mit der russischen Revolution den Sozialismus des 20. Jahrhunderts aus, und er endete im Fiasko. Mehrere Mitglieder dieses Hauses sind diesem Desaster entkommen und haben sich uns in Freiheit angeschlossen. Das Problem mit dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts, wie er von Präsident Chávez in Venezuela proklamiert wird, besteht darin, dass dieses Jahrhundert gerade erst begonnen hat und wir nicht wissen, was alles noch geschehen wird. Dennoch können wir davon ausgehen, dass es wie im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Fiasko kommen wird.

Das zeigt sich im Übrigen an der Gewalt. Es sind nicht die Wahlen, die uns stören, es ist die brutale Gewalt, mit denen gegen die Studenten vorgegangen wurde, die in Venezuela demonstrierten, weil ihnen nicht das Recht zu demonstrieren zugestanden wird. Einige dieser Studenten wurden in den letzten Tagen in den Straßen von Caracas und anderen Städten getötet. Es ist die Bedrohung der Meinungsfreiheit, die unabhängige und freie Journalisten überall in Lateinamerika und vor allem in Venezuela mit Besorgnis erfüllt und die zur Schließung von Radio Caracas Televisión führte.

Es ist dieser Weg, der uns Sorge macht. Und es gibt Grund zur Besorgnis, weil im Zuge der von Präsident Chávez vorgeschlagenen Verfassungsreform Begriffe wie „Dezentralisierung“, „Privatinitiative“, „Wettbewerbsfreiheit“ und „soziale Gerechtigkeit“ Begriffen wie „Sozialismus“, „sozialistisch“, „Einführung des sozialistischen Staates“, „Abschaffung der Unabhängigkeit der Zentralbank“ und „Volksmacht“ weichen müssen. Auf der ganzen Welt ist wohlbekannt, dass der Begriff „Volksmacht“ nichts anderes bedeutet, als dass dem Volk die Macht genommen und die Demokratie zerstört wird. So ist es überall, wo der Begriff „Volksmacht“ gebraucht wird. „Bolivarianische Streitkräfte“, „Kommunen“ – ein solcher politischer Kurs sollte für uns Anlass zur Besorgnis sein, nährt er doch seit Monaten, seit Jahren Instabilität und Gewalt auf den Straßen von Caracas und stellt auch eine Gefahr für die regionale Stabilität dar, wenn es so weiterläuft wie jüngst in den Beziehungen zwischen Venezuela und Kolumbien. Und deshalb ist es unerlässlich, dass wir die Ereignisse in Venezuela in Solidarität mit den demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft aufmerksam verfolgen, für die regionale Stabilität kämpfen und mit Nachdruck die Demokratie verteidigen, aber bei völligem Gleichklang der Diplomatie der Europäischen Union.

 
  
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  Alojz Peterle (PPE-DE). – (SL) Heute haben wir die Europäische Charta der Grundrechte verabschiedet und damit unsere Verpflichtung zur Achtung der Würde des Menschen, der demokratischen Werteordnung und der Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck gebracht. Was die Grundlage für das erfolgreiche Wachstum der Europäischen Union im Innern war, ist jetzt auch unser Ausgangspunkt für den Ausbau der Beziehungen mit unseren Partnern auf der ganzen Welt.

Die gesamte Europäische Union wünscht eine engere und stabile Zusammenarbeit mit den Ländern Lateinamerikas und seinen regionalen Zusammenschlüssen. Wegen des besonderen Charakters und der ureigensten Interessen der Länder Lateinamerikas sind wir der Ansicht, dass der Aufbau strategischer und langfristiger Beziehungen nur auf diese Weise und mit den Ländern möglich ist, mit denen wir dieselben Grundwerte und -prinzipien zu teilen vermögen.

Die politische Entwicklung in Venezuela ist in jüngster Zeit von dem oben beschriebenen Weg abgewichen. Dadurch untergräbt sie die Dynamik und den Umfang der künftigen Zusammenarbeit zwischen Lateinamerika und der Europäischen Union wie auch die Dynamik der Integration innerhalb Lateinamerikas selbst. Das Verfassungsreferendum polarisiert Venezuela, weil die neuen Vorschläge eine Konzentration der politischen Macht bewirken und nicht zu einer offenen, ideologischen und demokratischen Gesellschaft führen. Wir glauben an eine soziale, nicht an eine sozialistische Gesellschaft, weil diese alle Andersdenkenden ausgrenzt.

 
  
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  Die Präsidentin. − Die Aussprache ist geschlossen.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Unglaublich! Das Europäische Parlament hat eine Erklärung der Kommission zu der für den 2. Dezember geplanten Verfassungsreform in der Bolivarianischen Republik Venezuela auf die Tagesordnung gesetzt, während es eigentlich eine Aussprache über den derzeit unternommenen Versuch hätte ansetzen müssen, den Völkern der EU-Mitgliedstaaten das Recht zu verweigern, in einem Referendum zum Vertrag angehört zu werden, für den die Bezeichnungen „Verfassungs-“, „Mini-“, „vereinfachter“ und „Reformvertrag“ bzw. jetzt „Vertrag von Lissabon“ kursieren.

Im Grunde stellt die Ansetzung dieser Aussprache den Versuch dar, sich in die Schar derjenigen einzureihen, die einen unannehmbaren und äußerst schwerwiegenden Prozess der Einmischung und der versuchten Destabilisierung eines souveränen Staates unterstützen und fördern, zumal es sich dabei um einen Prozess handelt, über den allein das venezolanische Volk entscheiden kann, indem es seine Meinung im Wege eines Referendums (!) über die Änderung der Verfassung seines Landes äußert.

Es besteht kein Zweifel, dass das Volk und die Regierung Venezuelas ein Beispiel sind, das den großen Finanz- und Wirtschaftsinteressen in der Europäischen Union nicht passt, ein Beispiel für die Behauptung der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit, ein Beispiel für die Verwirklichung eines Vorhabens zur patriotischen Emanzipierung und Entwicklung, ein Beispiel für die internationale und antiimperialistische Solidarität, ein Beispiel dafür, wofür es sich zu kämpfen lohnt, und dafür, dass es möglich ist, in einem Land und in der ganzen Welt gerechtere, demokratischere und friedlichere Verhältnisse zu schaffen.

 

26. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll

27. Schluss der Sitzung
  

(Die Sitzung wird um 00.05 Uhr geschlossen.)

 
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