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Ausführliche Sitzungsberichte
Dienstag, 11. Dezember 2007 - Straßburg Ausgabe im ABl.

10. Verleihung des Sacharow-Preises (feierliche Sitzung)
Protokoll
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  Der Präsident. − Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit fast zwei Jahrzehnten verleiht das Europäische Parlament den Sacharow-Preis für geistige Freiheit an Frauen und Männer aus der ganzen Welt, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte, der Redefreiheit und der Meinungsfreiheit einsetzen.

Es ist eine große Freude, heute den Sacharow-Preisträger des Jahres 2007, Salih Mahmoud Mohamed Osman, sehr herzlich im Europäischen Parlament zu begrüßen.

(Beifall)

Es ist eine ebenso große Freude, seine Frau, die ihn auf schwierigen Stationen in seinem Leben immer begleitet hat und begleitet, sehr herzlich zu begrüßen. Ich begrüße Salwa Ahmed Faragalla Ali herzlich in unserer Mitte.

(Beifall)

Die Ernennung von Salih Mahmoud Mohamed Osman zum Sacharow-Preisträger 2007 beruht auf einem einstimmigen Beschluss, den die Konferenz der Präsidenten – also der Fraktionsvorsitzenden – anhand des Vorschlags einer großen Zahl von europäischen Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen gefasst hat. Damit bekräftigt das Europäische Parlament seine Solidarität mit den Menschen in Darfur und seine Überzeugung, dass eine nachhaltige Lösung für diese Region nur durch Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte erreicht werden kann.

Durch den Konflikt, der Darfur seit 2003 heimsucht, wird die Situation eines von mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg verwüsteten Landes weiter verschlechtert. Wie bei den meisten Konflikten ist es vor allem die Zivilbevölkerung, die unter den Überfällen der Milizen, der Zerstörung der Dörfer, der Politik der verbrannten Erde und den Vertreibungen leiden muss.

In diesem Konflikt gab es bisher mindestens 400 000 Tote und mehr als 2,5 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, und dies trotz der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Darfur im Jahre 2006.

Ebenso wie das Europäische Parlament nimmt der Träger des Sacharow-Preises 2007 diese ungerechte Situation nicht einfach hin, sondern er lehnt sich dagegen auf, dass die für diese Situation Verantwortlichen straffrei ausgehen. Seit Jahren verteidigt Salih Mahmoud Mohamed Osman die Rechte der Opfer des Konflikts in Darfur. Tausende von Menschen, die willkürlich inhaftiert sind, die gefoltert und mit dem Tode bedroht werden, die verjagt, vertrieben oder Opfer sexueller Gewalt wurden, kennen den Namen Salih Mahmoud Mohamed Osman.

Sein Engagement ist in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. In einem Land, in dem die Gewalt ständig zunimmt, riskiert Salih Osman täglich sein Leben im Namen der Menschenwürde und der Gerechtigkeit.

Im Namen der Menschenwürde – denn Salih Osman ermöglicht diesen mittellosen, wehrlosen, eingeschüchterten und in Vergessenheit geratenen Frauen und Männern die Anerkennung ihres Leidens, die Versicherung, dass sie nicht vergessen werden, und die Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem ganz normalen, einfach menschlichen Leben.

Seit 2004 engagiert Salih Osman sich für die Errichtung und die Verwaltung des Zentrums „Amal“ (was im Arabischen „Hoffnung“ bedeutet) für die Rehabilitation der Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in Nyala. In einem überwiegend moslemischen Land ist Salih Osman einer der wenigen Männer, die sich aktiv für die Verteidigung der Rechte der Frauen und insbesondere für die Anerkennung eines Rechts auf Entschädigung für die Opfer von sexueller Gewalt einsetzen.

Aber auch im Namen der Gerechtigkeit, denn Salih Osman setzt sich Tag für Tag dafür ein, dass die für Kriegsverbrechen verantwortlichen Personen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zur Rechenschaft gezogen werden. Während das sudanesische Justizsystem noch viele Lücken aufweist, um dem im Land vorherrschenden Klima der Straffreiheit ein Ende zu setzen, erscheint die internationale Gerichtsbarkeit als eine Alternative.

Die Tatsache, dass sich die sudanesischen Behörden weigern, mutmaßliche Kriegsverbrecher dem Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern, zeigt jedoch die Grenzen der internationalen Justiz auf und lässt ermessen, welche Fortschritte noch erzielt werden müssen, um die Rechtsstaatlichkeit in Darfur und ganz allgemein im Sudan herzustellen.

Daher beschränkt sich die Arbeit von Salih Osman nicht auf den Rechtsbeistand, den er den Opfern leistet. Als Mitglied der Opposition im sudanesischen Parlament seit 2005 zögert Salih Osman nicht, seine Überzeugungen auf der politischen Bühne seines Landes zu vertreten und an einer echten Reform des Rechtssystems mitzuwirken.

Anlässlich des Vorgipfels des Europäischen Parlaments und des Panafrikanischen Parlaments vor dem EU-Afrika-Gipfel am vergangenen Wochenende in Lissabon hatte ich die Gelegenheit und große Freude, mit Salih Osman zusammenzutreffen. Ich habe sofort seine starke Persönlichkeit bewundert und seinen ungebrochenen Willen zum Einsatz für die Menschenrechte trotz aller Verfolgungen und Anfeindungen, denen er persönlich und seine Familie ausgesetzt waren. Ich habe eben erfahren, dass Ali und Sie drei Kinder haben, denen wir auch heute sehr verbunden sind.

2004 wurde Salih Osman selbst sieben Monate ohne Angabe von Gründen inhaftiert und erst nach einem Hungerstreik auf freien Fuß gesetzt. Mitglieder seiner Familie wurden gefoltert, ermordet; ihre Häuser wurden von Milizen in Brand gesetzt.

Der große deutsche Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe hat einmal geschrieben: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun“. Salih Osman lebt diesen Willen und diese Entschlossenheit, er beweist seinen Mut im täglichen Kampf für die Menschen. Er setzt sich in vorbildlicher Art und Weise für eine Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in seiner Region ein. Salih Mahmoud Mohamed Osman, Sie haben unsere große Unterstützung und Anerkennung!

Sie wissen: Das Europäische Parlament ist seit jeher für das Leiden der afrikanischen Völker besonders empfänglich. So reiht sich Salih Osman unter die zahlreichen afrikanischen Preisträger ein, die das Parlament in den vergangenen Jahren unterstützt hat und weiterhin unterstützt: Nelson Mandela (1988), Salima Ghezali (1997), Dom Zacarias Kamwenho (2001) und Hauwa Ibrahim (2005).

Salih Osman, wir beglückwünschen Sie zu Ihrer unermüdlichen Arbeit in diesem Sinne, in diesem Geist, und wir hoffen, dass die Anerkennung, die dieser Preis mit sich bringt, Ihnen Jahr für Jahr Kraft und Schutz gewähren möge, solange Ihr Kampf dauern wird. Wir stehen an Ihrer Seite!

(Beifall)

 
  
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  Salih Mahmoud Osman, sudanesischer Verteidiger für die Opfer des Krieges in Darfur. (EN) Herr Präsident! Ich möchte Ihnen für diese außerordentliche Ehre danken. Dieser Preis wurde mir vom Europäischen Parlament einstimmig verliehen, was mir große Befriedigung, aber vor allem auch die Gelegenheit verschafft, heute zu Ihnen zu sprechen.

Ich wurde in Darfur geboren, genauer in Jebel Marra, einer Bergregion im Zentrum des Bundesstaates Darfur. Lange Jahre war ich in Darfur im Sudan als Rechtanwalt tätig. Aufgrund meiner Arbeit war ich immer wieder Inhaftierungen und Folter ausgesetzt. Angehörige meiner Familie wurden von den Milizen in Darfur gefoltert und vertrieben. Viele Jahre habe ich bei meiner Arbeit Tausende von Menschen vertreten, die meine Hilfe vor den Gerichten benötigten. Ich habe Tausende von Folteropfern gesehen; ich habe Hunderte von Frauen und jungen Mädchen gesehen, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind; ich habe die vier Millionen Menschen gesehen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, und die zweieinhalb Millionen, die in den Lagern nahe der Städte Nyala, Al Fashir, Zalingi und Al Geneina in Darfur eingesperrt sind.

Der UNO-Sicherheitsrat hat mehrere Resolutionen zur Lage in Darfur angenommen. Leider wurde keine davon tatsächlich umgesetzt. Die Opfer sind verzweifelt. Sie warten auf ein Zeichen von Ihnen, den Menschen in Europa. Ihre Staats- und Regierungschefs haben harte Worte gegen die Politik der sudanesischen Regierung in Darfur gefunden. Doch bisher gab es keine konkreten Maßnahmen, um wirksam und zielgerichtet gegen diese Situation vorzugehen.

Als Vertreter der Opfer dieses Konflikts erhalte ich heute die einmalige Gelegenheit, mich direkt an die führenden Kräfte Europas zu wenden. Die Menschen in Darfur sind davon abhängig, dass die Europäische Union eine eindeutige und einheitliche Position zugunsten des Schutzes unschuldiger Zivilisten bezieht. Die Menschen in Darfur fordern Sie auf, sie vor der Gewalt, dem Mord und der Misshandlung zu schützen, denen sie tagtäglich ausgesetzt sind. Die Menschen in Darfur wollen, dass sie ihre Kinder und Frauen vor Vergewaltigung und sexueller Gewalt schützen, die als „Waffen des Krieges“ zum Einsatz kommen. Dieser Schutz könnte durch den Einsatz der Gemischten Friedenstruppe der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen gewährleistet werden. Der Einsatz internationaler und insbesondere europäischer Kräfte ist von grundlegender Bedeutung, auch wenn die sudanesische Regierung dies gegenwärtig nicht zu akzeptieren scheint. Doch Europa kommt eine Rolle zu, wenn es darum geht, mehr Druck auf die Regierung im Sudan auszuüben, um den Einsatz dieser Truppen und den Schutz der Bevölkerung Darfurs zu ermöglichen.

Ich kann Ihnen versichern, dass es in Darfur und im Sudan keinen Frieden ohne Gerechtigkeit und ohne Schutz geben wird.

Auch der Frieden kann von Europa herbeigeführt werden. Der Europäischen Union fällt bei der Förderung des weltweiten Friedens eine große Verantwortung zu. Die europäischen Staats- und Regierungschefs sind in der Lage, auch den Friedensprozess im Sudan zu lenken. Ich fordere Sie auf, noch mehr dafür zu tun, die Rebellengruppen und die sudanesische Regierung schnellstmöglich an den Verhandlungstisch zu bringen.

Tatsache ist jedoch, dass die Rebellengruppen untereinander zersplittert sind, was die Lage in Darfur erschwert. Ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, weitere Betroffene zu berücksichtigen, darunter die Millionen von Opfern in den Camps, die keine Stimme haben, sowie weitere, unmittelbar betroffene Menschen in Darfur. Denken Sie an die Friedensbewegung der Zivilgesellschaft, die NRO und die Leiter örtlicher Gemeinschaften. Auf diese Weise könnten Sie zu einer Lösung in Darfur beitragen.

Gerechtigkeit und demokratische Kontrolle dürfen nicht für eine politische Einigung geopfert werden, auch wenn wir damit zu Sicherheit und Frieden in Darfur beitragen könnten. Gegenwärtig können die Opfer nicht in ihre Häuser oder Wohnungen zurückkehren, weil es keine oder kaum Sicherheit gibt. Es reicht nicht, dass unsere Gemeinden von Milizen angegriffen werden, unsere Dörfer werden darüber hinaus noch von Kampfhubschraubern der sudanesischen Regierung aus der Luft zerbombt. Ungeachtet dieser schweren Verstöße gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht wurde keiner der Schuldigen vor Gericht gestellt, weil die sudanesische Justiz weder in der Lage noch willens ist, Recht zu schaffen. Alle Schuldigen befinden sich außerhalb der Reichweite unseres Gesetzes. Dieser Konflikt ist von einer Kultur der völligen Straflosigkeit geprägt.

Als Rechtsanwalt und gebürtiger Darfurer ist mir bewusst, dass es ohne Gerechtigkeit niemals dauerhaften Frieden in der Region geben kann. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat einige wichtige und entscheidende Schritte zur Förderung der demokratischen Kontrolle unternommen. Doch der Kreislauf der Straflosigkeit konnte bisher nicht durchbrochen werden. Die Bevölkerung Darfurs fordert Sie auf, die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterstützen. Er ist das internationale Strafgericht, das am besten in der Lage wäre, die zahlreichen bekannten Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit für ihr Handeln zur Rechenschaft zu ziehen.

Gegenwärtig konnte die Justiz der beiden Verdächtigen Kosheib und Haroun noch nicht habhaft werden. Die sudanesische Regierung weigert sich weiterhin, sie an den Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern.

Darfur ist nicht die einzige Region im Sudan, in der es Menschenrechtsverletzungen gibt. Bürger in allen Teilen des Landes sind täglichen Einschränkungen ihrer Meinungs- und Versammlungsfreiheiten und anderer Grundrechte ausgesetzt, die viele Menschen in Europa als selbstverständlich erachten. Darüber hinaus appelliere ich an Sie, die Rechtsstaatlichkeit in meiner Heimat zu fördern, damit alle Menschen im Sudan in den Genuss ihrer individuellen und kollektiven Rechte kommen. Mit Blick auf die Wahlen im Jahr 2009 müssen wir sicherstellen, dass sie frei und gerecht sein werden und ein freies und gerechtes Ergebnis von allen Seiten respektiert wird.

Zu guter Letzt möchte ich den Abgeordneten des Europäischen Parlaments danken, die im Juni in den Sudan gekommen sind, um mit eigenen Augen zu sehen, was ich soeben beschrieben habe. Dieser Besuch wurde vom Büro der Europäischen Kommission in Khartum organisiert. Dieses Büro hat meine Arbeit seit vielen Jahren umfangreich und partnerschaftlich unterstützt. Die Anerkennung der Europäischen Kommission und Ihres Europäischen Parlaments für die Arbeit der Menschenrechtsaktivisten im Sudan gibt uns Hoffnung und Entschlossenheit, auch weiterhin das Wort für die Opfer zu ergreifen und einige von ihrem Leid zu befreien.

Abschließend möchte ich sagen, dass es mir eine große Ehre ist, diesen Preis im Namen der übrigen Nominierten – der im vergangenen Jahr ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja, der chinesischen Dissidenten Zeng Jinyan und Hu Jia und der afghanischen Abgeordneten und Frauenrechtlerin Joya Malalai – sowie im Namen so vieler Sudanesen entgegenzunehmen, die wie ich an die Menschenwürde und das Streben nach Gerechtigkeit glauben.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen.

(Das Parlament erhebt sich und spendet dem Redner lang anhaltenden Beifall.)

 
  
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  Der Präsident. − Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie bitten, stehenzubleiben oder aufzustehen, weil wir jetzt die Europa-Hymne zu Ehren von Salih Osman hören wollen.

 
  
  

VORSITZ: MARTINE ROURE
Vizepräsidentin

 
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