Die Präsidentin. − Als nächster Punkt folgt die Erklärung der Kommission über den EU-China-Gipfel.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich begrüße die heutige Aussprache zum Menschenrechtsdialog zwischen der EU und China. Wie Sie wissen, wurde das Thema Menschenrechte auf dem jüngsten Gipfeltreffen in Peking angesprochen, und die gemeinsame Erklärung bezieht sich auch ausdrücklich darauf.
Meiner Ansicht nach muss fairerweise anerkannt werden, dass China trotz ernsthafter Bedenken, die bleiben und mit denen wir uns auch auseinandersetzen müssen, in puncto Menschenrechte im Lauf des letzten Jahres auch bemerkenswerte Fortschritte gemacht hat. Dies gilt vor allem für den Bereich der sozialen und wirtschaftlichen Rechte, aber auch für einige andere Gebiete.
Es sind Schritte in Vorbereitung, um das System der „Umerziehung durch Arbeit“ zu reformieren. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die aktuelle Gesetzesinitiative und hoffen auch, dass schon bald konkrete Reformen eingeleitet werden. Es ist ein Grundrecht, dass niemand ohne angemessenen Rechtsbeistand und ohne faires Gerichtsverfahren seiner Freiheit beraubt werden darf.
China arbeitet darüber hinaus an der Umsetzung der Empfehlungen des UNO-Sonderberichterstatters über Folter. Beispielweise hat das Justizministerium kürzlich die Gerichte angewiesen, Geständnisse allein nicht länger als hinreichenden Schuldbeweis gelten zu lassen, da Geständnisse zuweilen infolge von Folter durch Polizei oder Gefängnispersonal zustande kommen. Auch hat China inzwischen gezielt mit besonderen Schulungsmaßnahmen für das entsprechende Ordnungspersonal begonnen.
Wir begrüßen darüber hinaus den Fortschritt, dass nunmehr alle von lokalen Gerichten verhängte Todesurteile dem Obersten Volksgericht zur Überprüfung vorgelegt werden müssen, und wir sind sicher, dass es in der Folge weniger rechtskräftige Todesurteile und weniger Hinrichtungen geben wird. Das ist höchst erfreulich für die Europäische Union. Wie Sie wissen, war dies ja seit langem einer unserer vorrangigen Interventionsbereiche.
Nichtsdestotrotz habe ich auch einige negative Dinge anzumerken. So ist die Kommission nach wie vor besorgt über die allgemeine Menschenrechtssituation in China und insbesondere im Bereich der bürgerlichen und politischen Rechte. Wir denken hier vor allem an Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Vereinigungsfreiheit sowie an den Schutz der Minderheitenrechte, beispielsweise in Tibet und in der Provinz Xinjiang.
In diesem Zusammenhang ist die Unterdrückung der Menschenrechtsaktivisten nach wie vor ein wichtiges Thema. Die Ausübung des Rechts auf Redefreiheit führt oftmals zu Prügel, Hausarrest oder sogar zu Haftstrafen. Der Zugang zum Internet, also das Recht auf Informationsfreiheit, wird genau überwacht und reglementiert. Wenn z. B. jemand für eine größere Autonomie Tibets eintritt, hat dies unverhältnismäßig lange Gefängnisstrafen zur Folge. Die Anwendung der Gesetze der Staatssicherheit wie auch anderer einfacher strafrechtlicher Bestimmungen erleichtert die Verfolgung derjenigen, die frei reden oder publizieren.
Die Kommission fordert die chinesische Regierung dringend auf, die Äußerung von Meinungen in jeder Form zuzulassen. Das ist unseres Erachtens auch ein sehr wichtiger Faktor dafür, wie China in der internationalen Öffentlichkeit wahrgenommen wird, insbesondere im Vorfeld der für nächstes Jahr geplanten Olympischen Spiele, bei denen die ganze Welt auf China blicken wird. Die Geschichte lehrt uns, dass Gesellschaften, die ihren Bürgern das Recht auf freie Meinungsäußerung einräumen, langfristig wesentlich stabiler sind als andere. Wir alle wissen das.
All diese Aspekte werden regelmäßig im Menschenrechtsdialog EU-China erörtert. Daher begrüßen wir es, dass beim jüngsten Dialog im Oktober in Peking ein ernsthafter und ausführlicher Meinungsaustausch zu allen von uns für wichtig gehaltenen Themen ermöglicht wurde und auf einige der Diskussionen dann auch praktische Schritte folgten. Wir müssen auf jeden Fall anerkennen, dass dieser Dialog ein wichtiges Forum bietet, in dem beide Seiten offen über ihre ureigensten Besorgnisse sprechen und damit gleichzeitig zu einem besseren Verständnis der jeweiligen Unterschiede beitragen können, denn diese Unterschiede sind nach wie vor beträchtlich.
Vor diesem Hintergrund bedauern wir die chinesische Entscheidung, wegen der Teilnahme zweier Nichtregierungsorganisationen sich aus dem Menschenrechtsseminar in Berlin zu verabschieden, und dass das Seminar demzufolge neulich auch nicht in Peking stattfinden konnte. Unserer Ansicht nach muss die Zivilgesellschaft eine äußerst wichtige Rolle spielen, und das Seminar bietet ein geeignetes Forum für die wertvollen Beiträge von Nichtregierungsorganisationen. Ich vertraue aber darauf, dass wir eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden können, damit diese wichtige Bewegung ihren erfolgreichen Weg in Zukunft fortsetzen kann, wie beim EU-China-Gipfel hervorgehoben wurde.
Lassen Sie mich zum Abschluss darauf hinweisen, dass es zwei weitere Menschenrechtsfragen gibt, die wir regelmäßig mit der chinesischen Seite als vorrangige Angelegenheiten besprechen. Das ist zum einen die Ratifizierung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte durch China, zum anderen die Freilassung der anlässlich der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder später bei Veranstaltungen zum Gedenken an diese Ereignisse des Jahres 1989 inhaftierten Personen. Ein entschlossenes Handeln auf beiden Seiten würde ein klares positives Signal setzen und wäre hochwillkommen.
Edward McMillan-Scott, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich möchte Frau Kommissarin Ferrero-Waldner für diese Erklärung danken.
Ich halte es für äußerst wichtig, dass im Anschluss an den EU-China-Gipfel und insbesondere an den Menschenrechtsdialog EU-China Abgeordnete dieses Hauses Gelegenheit bekommen, das Ergebnis zu prüfen. Ich möchte aus Zeitgründen nicht näher auf den EU-China-Gipfel eingehen. Ich möchte über den Menschenrechtsdialog sprechen, weil dieser mich im Mai dieses Jahres nach Peking führte, als ich gemeinsam mit Frau Flautre einen Bericht über die Reform der Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte vorbereitete.
Heute Nachmittag geht es mir darum, für diejenigen zu sprechen, die nicht für sich selbst sprechen können. Das ist nämlich die große Mehrheit der Menschen in China, die Veränderung und Reformen wollen. Diese Bewegung wird unter anderem von Gao Zhisheng angeführt, einem christlichen Rechtsanwalt, der aus seiner Wohnung in Peking verschwunden ist, wo er aufgrund seiner Überzeugung vor ungefähr einem Jahr als Staatsfeind unter Hausarrest gestellt worden war.
Obwohl ich weiß, dass sein Name unter jenen war, die während des Dialogs erwähnt wurden, denke ich, dass wir als Parlament ein Problem haben, was unsere Einstellung zu diesem Dialog angeht. Trotz der Aussage der Frau Kommissarin, es sei ein ernsthafter und ausführlicher Meinungsaustausch gewesen – und ich bin sicher, dass das für die europäische Seite tatsächlich auch so war –, bin ich skeptisch, dass dies auch auf die Chinesen zutraf. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es seit meiner Zeit als EU-China-Berichterstatter, nämlich seit 1997, als dieser Prozess begann, also in den letzten zehn Jahren absolut keine konkreten Fortschritte in China in Bezug auf die Menschenrechte gegeben hat, in dem Sinne, dass sich das Leben der Menschen verbessert hätte, Gefangene freigelassen, die Folter abgeschafft oder Masseninhaftierungen beendet worden wären, von denen Harry Wu von der Laogai-Stiftung berichtet hat. Schätzungen des Letzteren zufolge befinden sich derzeit 6,8 Millionen Menschen in China in irgendeiner Form in Haft, viele von ihnen aufgrund ihrer religiösen Überzeugung. Hier denken wir insbesondere an Falun-Gong-Anhänger, die schuldlos sind, jedoch wegen ihres Glaubens gefoltert werden und vielfach daran sterben.
Ich möchte auch etwas zu den unmittelbar bevorstehenden Olympischen Spielen sagen. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich gemäß Artikel 1 der Olympischen Charta die einzelnen Länder universelle ethische Grundprinzipien auferlegen sollten. Das kann nur eines heißen: China kann nicht als geeignetes Gastgeberland für diese Spiele gelten, vor allem, weil sich im Grunde genommen seit 2001 nichts geändert hat. Ich hoffe, dass alle Fraktionen den gemeinsamen Entschließungsantrag unterstützen werden, dem zufolge das IOC bewerten soll, ob China die 2001 vereinbarten Bedingungen erfüllt. Meiner Ansicht nach sollten die Olympischen Spiele unverzüglich nach Athen verlegt und für immer dort belassen werden.
Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Um es gleich von vornherein zu sagen, ich glaube, dass die Olympischen Spiele in China bleiben sollten, weil es eine gute Gelegenheit ist, gerade diese Olympischen Spiele auszunützen, um den Dialog zu forcieren. Das steht auch in der Gemeinsamen Entschließung, Kollege McMillan-Scott, und wenn Sie der Meinung sind, die Sie vertreten haben, sind Sie gegen die Gemeinsame Entschließung.
Es war eine frühere Kollegin von Ihnen, Frau Ferrero-Waldner, Madeleine Albright, die als amerikanische Außenministerin festgestellt hat, dass es natürlich viel schwieriger ist, die Menschenrechte in China anzusprechen als in Burma, weil hier auch geopolitische Gründe eine Rolle spielen. In der Tat wollen wir China als Partner für die Lösung vieler Probleme. Aber das darf uns nicht daran hindern, die Menschenrechtsfrage sehr wohl und sehr intensiv anzusprechen, und zwar nicht unbedingt als Lehrmeister, als jene, die alles besser wissen. Ich bin sehr froh, dass die Grundrechtecharta heute unterschrieben worden ist, weil viele Redner auch belegt haben, dass wir nur dann ein Recht haben, über Menschenrechtsfragen zu sprechen, wenn wir selber sehr gut in der Wahrung der Menschenrechte sind. Wir sind vielmehr der festen Überzeugung, dass es im Interesse Chinas ist, dass die Menschenrechte nicht mit Füßen getreten, sondern wirklich respektiert werden.
China will Stabilität haben. Wie soll die Stabilität Chinas erhalten bleiben, wenn die Menschenrechtsfrage nicht stärker angesprochen wird? Wir wollen nicht, dass China zerfällt. Es ist nicht sinnvoll, Europa aufzubauen und China zerstören zu wollen, aber ohne Respekt für die Menschenrechte besteht eine Gefahr für die Stabilität Chinas. Wir wollen eine soziale Orientierung in China haben. In diesem ungeheuren Wachstumsprozess, von dem auch Herr Barroso gesprochen hat, ist es nur möglich, die Stabilität zu bewahren, wenn auch die sozialen Aspekte berücksichtigt werden. Ich kann aber nicht die sozialen Aspekte berücksichtigen, wenn nicht auch die Menschenrechtsfrage berücksichtigt wird, wenn nicht möglich ist, dass sich Gewerkschaften organisieren, dass sich Bürgerinitiativen organisieren.
Wir wollen ein stärker ökologisch orientiertes China haben, weil Umwelt ein wichtiges gemeinsames globales Gut ist. Wir wissen, dass in China viele Initiativen entstehen, um massiv gegen die Verletzung der Mindeststandards für Ökologie und Umwelt zu protestieren. Es wäre gut für China, wenn das Land auf diese Stimmen hörte, das wäre ein Fortschritt für China.
Daher glaube ich, es ist nicht eine Frage der europäischen Überheblichkeit, sondern eine Frage der Vertretung gemeinsamer Interessen. Im Interesse Chinas werden wir die Menschenrechtsfrage ansprechen, und wohlaufgeklärte Vertreter des politischen Systems in China werden gut beraten sein, wenn sie auf uns und auf diese Entschließung hören, die im Interesse Chinas ist und die China voranbringen würde, was ohne Respekt für die Menschenrechte nicht möglich ist.
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Frau Präsidentin! Ich hege große Bewunderung für den Beitrag, den China zur Entwicklung der Weltkultur geleistet hat. Was Technik, Gemeinwesen und Kultur betrifft, hat China deutlich mehr als jedes andere Land zur Entwicklung der Menschheit beigetragen.
Ich bedaure, dass die gedeihliche wirtschaftliche Reife Chinas nicht von einer wachsenden politischen Reife begleitet wird. Ich bedaure auch, dass die Europäische Union nicht mehr tut, um China auf den richtigen Weg zu bringen.
Vorgestern hat die EU anlässlich des 60. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündet, ihren Einsatz für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte auf der ganzen Welt als einen Grundpfeiler ihrer Außenpolitik zu betrachten.
Dennoch haben die Herren Barroso und Sócrates vor zwei Wochen den Gipfel, nachdem sie die Wirtschaftsinteressen Europas gesichert hatten, früher verlassen und es ihren Beamten überlassen, die Schlussfolgerungen zu formulieren; Schlussfolgerungen, in denen – was Wunder – die Menschenrechte kaum Beachtung fanden, die Aufhebung des Waffenembargos unterstützt wurde und der Antrag Taiwans auf Beitritt zu den Vereinten Nationen abgelehnt wurde. Sie haben vorigen Monat viel dazu beigetragen, Herrn Solanas mit großer Umsicht gewählte Worte zu untergraben.
Ich frage mich, was aus der Welt werden soll, wenn die Europäische Union als selbst ernannte Hüterin universeller, ineinandergreifender und unteilbarer Menschenrechte es nicht schafft, klar und deutlich Stellung zu beziehen gegen einen der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der Welt.
Ich halte es für möglich, dass sowohl die Chinesen als auch andere eines Tages die Entscheidung, die Olympischen Spiele in Peking auszutragen, noch bedauern werden. Die chinesischen Behörden selbst haben versprochen, ein Klima von mehr Freiheit und Offenheit zu schaffen. Und doch legen die Zahlen von Human Rights Watch den Schluss nahe, dass der Missbrauch in den letzten sieben Jahren noch zugenommen hat. China fährt nicht nur fort, mehr Menschen als alle anderen Länder der Welt zusammengenommen hinzurichten, sondern hat im Vorfeld der Spiele auch sein Vorgehen gegen Meinungsabweichler und Medienfreiheit dramatisch verschärft.
Diese Entwicklungen verstoßen gegen den Geist der Olympischen Charta. Sie sind eine direkte Verletzung der Verpflichtungen, die die Pekinger Behörden selbst eingegangen sind, indem sie den Host-City–Vertrag mit dem Internationalen Olympischen Komitee unterzeichnet haben.
Dieser Vertrag wurde nicht veröffentlicht. Warum nicht? Weil die Welt beim Offenbarwerden der vollkommenen und totalen Abweichung der chinesischen Versprechungen von der chinesischen Praxis keine andere Wahl gehabt hätte, als Peking auf dieselbe Art wie seinerzeit die Apartheid in Südafrika zu boykottieren.
Ich glaube nicht an die Wirkung von Boykotts. Ich habe auch immer behauptet, dass es mehr bringt, sich mit einem reformfreudigen und zur Öffnung bereiten China zu arrangieren, als leere Drohungen auszustoßen. Aber Präsident Hu Jintao muss akzeptieren, dass man sich an seine Vereinbarungen zu halten hat. Der Host-City-Vertrag, die Menschenrechtsklausel in der chinesischen Verfassung, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – all das sind Versprechen an Chinas Bevölkerung. Wenn China die Olympiade zum Anlass nehmen will, der Welt seine Rechtmäßigkeit und Glaubwürdigkeit zu beweisen, muss es im Gegenzug beweisen, dass es bereit ist, seine Menschenrechtsverpflichtungen einzulösen, und zwar durch eine größere Freiheit der Medien im Einklang mit den olympischen Eiden, durch die Aufhebung der Todesstrafe gemäß den Forderungen der Vereinten Nationen, durch die Einstellung der Unterstützung für Militärdiktaturen in Birma und Darfur und durch die Ermöglichung von Wahlen nach allgemeinem Wahlrecht in Hongkong. Auf diese Weise könnte es China gelingen, seinen Platz in der Mitte der internationalen Gemeinschaft einzunehmen.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin! Die Volksrepublik China ist ein Land, das auf jeder Liste zu Verletzungen der Menschenrechte – unabhängig ob es dabei um Rede- und Versammlungsfreiheit, Zwangsabtreibung, das Verschwinden von Personen, Folter oder die angedrohte Aggression gegen Taiwan geht – zu finden ist.
In China werden nach wie vor Angehörige der katholischen Kirche verfolgt. Aus einem Bericht von David Kilgour, dem ehemaligen Staatssekretär für Asien der kanadischen Regierung, geht hervor, dass Falun Gong seit 1999 zu den am meisten verfolgten Gruppen gehört und dass ihren Mitgliedern in chinesischen Arbeitslagern gewaltsam Organe entnommen wurden. In jüngster Zeit sind Menschen spurlos verschwunden, deren einziges Verbrechen es war, den Vizepräsidenten dieses Parlaments, Herrn McMillan-Scott, zu treffen.
Währenddessen florieren unsere Handelsbeziehungen. China weitet seinen Einfluss in Afrika aus und wird in Kürze Millionen Gäste zu den Olympischen Spielen einladen. Ich kann nicht verstehen, weshalb bislang die selbstverständlichste Reaktion darauf ausgeblieben ist: Die freie Welt muss die Olympischen Spiele 2008 boykottieren.
Hélène Flautre, im Namen der Verts/ALE-Fraktion – (FR) Frau Präsidentin! Wir sprechen heute mit Kommissarin Ferrero-Waldner, und das ist erfreulich. Auf dem 10. EU-China-Gipfel am 28. November in Peking wurde die Europäische Union durch ihren Präsidenten, durch den Kommissar für Handel und durch den Kommissar für Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten vertreten.
Es stimmt, dass der Handel zwischen der Europäischen Union und China seit dem Jahr 2000 um 150 % zugenommen hat; es stimmt jedoch auch, dass es viel schwieriger geworden ist, Statistiken über die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in China zu führen. Es besteht kein Tabu dafür, Menschenrechtsfragen zur gleichen Zeit wie Handelsfragen zu diskutieren. Zwischen beiden gibt es eine offensichtliche Verbindung, beispielsweise in Bezug auf die gewerkschaftliche Freiheit, die Möglichkeit der chinesischen Arbeitnehmer, sich zu mobilisieren und bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Die allgemeine Haltung, die wir vorfinden, ist umso bedauernswerter, als wir damit Zeit vergeuden: Der Beschluss von 2001 versprach die Öffnung Chinas und Fortschritte bei den Menschenrechten und der Demokratie; die Chinesen warten darauf, dass dieses Versprechen eingehalten wird, und sie schauen auf uns.
Ihre Hoffnung, dass die Ausrichtung der Olympischen Spiele durch China die Öffnung bewirkt, ist enttäuscht worden, und das Gefühl der Enttäuschung ist bitter. Die Vorbereitung der Spiele hat insoweit nicht nur zu einer stärkeren Repression geführt, sondern – was noch bedauerlicher ist – die Organisation der Spiele selbst hat negative Auswirkungen und dient als Vorwand für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Ich denke hier an die Fälle von Zwangsenteignungen und an die Ausbeutung von Gastarbeitern. All das ist nicht verwunderlich, da der Dissident Hu Jia uns mitteilt, dass der Sicherheitschef in Peking auch für die Organisation der dort stattfindenden Olympischen Spiele verantwortlich ist.
Vielleicht werden wir es endlich schaffen, Überraschung oder sogar unsere Verurteilung gegenüber dieser Sachlage zum Ausdruck zu bringen, wenn die Einschüchterung und die Repression ausländischer Journalisten – die bereits begonnen haben, indem man sie am Arbeiten hindert – noch drastischer werden. Beispielsweise zeigt die Verhaftung von zwei Journalisten von Agence France-Presse am 12. September, dass die im Januar 2007 eingeführten Vorschriften nur gelegentlich und nur sofern die betreffenden Personen das Regime nicht in Verlegenheit bringen, angewandt werden. Die von China übernommenen Verpflichtungen sind leere Worte, und es geht in der Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen so weit, dass schwarze Listen geführt werden. Es gibt gegenwärtig eine schwarze Liste von 42 Kategorien von Personen, die während der Olympischen Spiele als persona non grata angesehen werden, vom Dalai Lama über verschiedene Dissidenten bis zu Falun Gong.
Im Januar dieses Jahres begannen Verhandlungen zu einem neuen Rahmenabkommen zwischen der EU und China. Das ist erfreulich, weil ein neues Abkommen auch eine Klausel „Menschenrechte und Demokratie“ enthält. Es schafft neuen Raum für den Meinungsaustausch über Menschenrechte mit den chinesischen Behörden. Allerdings war 2007 auch das Jahr, in dem ein Rechtsseminar abgesagt wurde, das den Menschenrechtsdialog vorbereiten sollte, da die chinesischen Behörden sich weigerten, die Teilnahme von zwei bestimmten NGO zu genehmigen – darunter die von der Menschenrechtsaktivistin Sharon Hom vertretene bekannte Organisation. Die Haltung der Union aus diesem Anlass war begrüßenswert. Gleichzeitig müssen wir natürlich fragen, ob Seminare wie dieses weiter stattfinden können. Unsere Position ist, dass sich beide Dinge nicht gegenseitig ausschließen dürfen. Es ist sehr wichtig, weiter Rechtsseminare zu veranstalten. Wir können es jedoch nicht akzeptieren, dass die chinesischen Behörden diktieren, wer an ihnen teilnehmen darf.
Koenraad Dillen (NI). – (NL) Meine Damen und Herren! In den letzten Jahrzehnten wurden in diesem Hohen Hause zahlreiche wohlklingende Erklärungen zu den Menschenrechten abgegeben. Im Rahmen der Proklamierung der Charta der Grundrechte haben wir uns nochmals auf die Frage nach dem eigentlichen Wesen Europas konzentriert. Wir sind eine Wertegemeinschaft, die auf Solidarität, Toleranz und Achtung der Menschenrechte gegründet ist.
Das ist zumindest die Theorie, die Wirklichkeit indes sieht ganz anders aus. Und die Losung der Europäischen Union in Sachen Menschenrechte müsste eigentlich ganz anders lauten. In den letzten Wochen ist nochmals überdeutlich geworden, dass diejenigen, die viel von Menschenrechten reden, oft den anderen Grundsatz der Realpolitik anwenden, nämlich „erst das Fressen, dann die Moral“, wie Bertold Brecht es formulierte.
In Paris rollt Nicolas Sarkozy als Gegenleistung für lukrative Aufträge den roten Teppich für einen Massenmörder aus, der noch wenige Tage zuvor den Terrorismus zu rechtfertigen versuchte und sich rühmt, über Menschenrechte in seinem Land keine Worte verloren zu haben. In Lissabon wird ein blutdürstiger Tyrann wie Mugabe mit allen Ehren empfangen, weil wir auch in Afrika unsere Handelsinteressen im Auge behalten müssen.
In China schlagen wir denselben Kurs ein. In dem vorjährigen Amnesty International-Jahresbericht war von einem Rückstand Pekings bei so entscheidenden Themen wie Todesstrafe, Gerichtsverfahren, Pressefreiheit und Freizügigkeit für Menschenrechtsaktivisten die Rede. Mittlerweile wird die chinesische Hauptstadt auf Hochglanz poliert, so Amnesty International. Umerziehung durch Zwangsarbeit und Inhaftierung ohne Anklage werden heute als Strafen für Vergehen wie unerlaubtes Anschlagen von Plakaten, Taxifahren ohne Zulassung und Betteln, um nur einige zu nennen, verhängt.
Die Menschenrechtsaktivisten werden zum Schweigen gebracht, die Stadien aber, meine Damen und Herren, werden nächstes Jahr glitzern und funkeln. Zahlreiche Spitzenvertreter aus Europa werden sich bei der Eröffnung der Spiele einen Platz in den vordersten Reihen zu ergattern versuchen. Und wenn sie wieder nach Hause zurückkehren, werden sie zweifellos den Kampf gegen den Extremismus in Europa fortsetzen. Man kann nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Es lässt sich nicht leugnen, dass sich seit 1998, als wir die Gipfeltreffen zwischen China und Europa aufnahmen, die Beziehungen zwischen der EU und China – auf der Ebene von Politik, Wirtschaft, Handel und Forschung – intensiv entwickelt haben und zu einer strategischen Partnerschaft geworden sind. Gleichwohl beruhen strategische Partnerschaften, wie wir sie verstehen, auf gemeinsamen Werten, auf der Achtung der Demokratie und der Menschenrechte.
Die Achtung der Menschenrechte war und bleibt auch immer das Fundament, auf dem die EU aufbaut. Sie ist keine kurzlebige Erklärung, was die Geschichte der EU über mehr als ein halbes Jahrhundert zweifellos nachgewiesen hat. Jetzt ist die Zeit, da alle Länder, die EU-Partner, begreifen müssen, dass es einige Dinge gibt, die die EU niemals preisgibt oder fallen lässt. Gerade vor wenigen Stunden wurde ja genau in diesem Saal ein historisches Dokument unterzeichnet – die Charta der Grundrechte der EU.
Dazu möchte ich anfügen, dass bestimmte Fragen negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und China haben, und der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme liegt zumeist in den Händen der chinesischen Behörden.
In unseren Gesprächen mit den chinesischen Vertretern, auch in den Verhandlungen zu Abkommen über Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, denken wir stets daran und vergessen nie, dass Menschen in China für ihre politischen Ansichten, ihre Religion oder Zugehörigkeit zu ethnischen Minderheiten weiter im Gefängnis leiden und für Wirtschaftskriminalität, etwa Steuerhinterziehung, zum Tode verurteilt werden.
In den letzten Jahren erfuhren wir mit den bevorstehenden Olympischen Spielen in Peking von anderen „Entwicklungen“, z. B. dem Abriss von Wohnunterkünften ohne Entschädigungen, um Platz für olympische Bauten zu schaffen, und der Existenz einer Liste mit 42 Kategorien von Personen, die nicht die Olympischen Spiele besuchen dürfen, unter ihnen auch der Dalai Lama, seine Anhänger und Menschenrechtsaktivisten.
Dazu kann ich nur sagen: Dies widerspricht völlig der Tradition und dem Geist der Olympischen Spiele. Mein Vorschlag wäre daher, diese Listen abzuschaffen, die China überhaupt keine Ehre machen, und dafür zu sorgen, dass aus Anlass der Olympischen Spiele alle politischen Gefangenen und alle Gefangenen aus Gewissensgründen freigelassen werden und ein Moratorium für Todesstrafen erklärt wird.
Ich bedauere, dass der Gipfel EU-China in Peking nicht zu einem historischen Ereignis wurde und dass an dem Gipfel nicht die Politiker teilnahmen, die in der Lage gewesen wären, die Beziehungen zwischen der EU und China auf ein höheres Niveau zu bringen. Dazu fehlte es ihnen an größerer Rücksicht und Achtung für die Menschen und ihre Rechte.
Glyn Ford (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich spreche im Rahmen der Aussprache über den EU-China-Gipfel und den Menschenrechtsdialog EU-China, obwohl aus einigen der von Fraktionen dieses Hauses vorgelegten Entschließungsanträgen nicht unbedingt ersichtlich ist, dass der erste Teil dieser Aussprache überhaupt stattgefunden hat.
Es ist natürlich angebracht, die Frage nach den Menschenrechten in China zu stellen. Die Menschenrechtssituation in China ist vom Idealzustand weit entfernt. Nach wie vor wird in China die Todesstrafe verhängt, wie Frau Kommissarin Ferrero-Waldner in ihrer Eröffnungsrede angemerkt hat. Organisationen, die für die Autonomie Tibets eintreten, werden unterdrückt, ebenso religiöse Gemeinschaften, die außerhalb einer sehr schmalen Bandbreite von offiziell zulässigen Gruppen stehen. Unterdrückt werden auch Bürger, die für ihre Regionen eintreten, die sich für Pressefreiheit einsetzen und die versuchen, Gewerkschaftsarbeit zu organisieren. Darüber hinaus gibt es in China eine unüberwindliche Hürde für Hunderte Millionen von Wanderarbeitnehmern, die versuchen, sich zu organisieren, um ihre Ausbeutung zu beenden und Standards für anständige Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Doch viele in diesem Saal weigern sich hartnäckig anzuerkennen, dass in China im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte auch Fortschritte gemacht wurden. Die Menschenrechtssituation in China ist meines Erachtens zwar weit davon entfernt, akzeptabel zu sein, sie ist aber dennoch wesentlich besser als zu den Zeiten der Vorfälle auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Wie die Frau Kommissarin erwähnte, bedarf z. B. inzwischen die Todesstrafe einer Bestätigung durch das chinesische Oberste Volksgericht. Meine eigene Erfahrung geht dahin, dass es in China mittlerweile einen hohen Grad an Meinungsfreiheit gibt, nicht aber an Organisationsfreiheit, und das ist immer noch der springende Punkt dessen, was in China und von den chinesischen Behörden gegenwärtig verboten wird.
Wir müssen in dieser Hinsicht weiterhin Druck auf China ausüben, aber die Weigerung, jeglichen Fortschritt positiv zu beurteilen, entmutigt die progressiven und liberalen Kräfte innerhalb des Regimes, die etwas zu bewegen versuchen, weil sie keine Anerkennung für ihre bisherigen Leistungen erhalten.
China hat sich inzwischen zu einer globalen wirtschaftlichen, industriellen und politischen Macht entwickelt. Die EU muss sich kritisch engagieren, d. h. sie muss China zu Recht dort kritisieren, wo es Fehler begangen hat und wo es sich noch bewegen muss, und gleichzeitig in einen Dialog über die globale Erwärmung, die negativen Auswirkungen der Globalisierung, die Entwicklung Afrikas und die Bekämpfung des Terrorismus eintreten.
Dirk Sterckx (ALDE). – (NL) Frau Präsidentin! Eine strategische Partnerschaft mit China begrüße ich außerordentlich. Ich bin sehr erfreut, dass unsere heutigen Beziehungen nicht mehr nur wirtschaftlicher Art sind und sich beispielsweise der Kulturaustausch zwischen uns in den letzten Jahren erheblich intensiviert hat. Mit großer Freude stelle ich das rege Interesse an der politischen Dimension fest, und ich möchte dazu nur ein Beispiel anführen.
Afrika: Wir müssen China weiterhin auf seine Afrika-Politik hin ansprechen, wozu wir jetzt über ein entsprechendes Forum verfügen. Ich freue mich, dass Herr Michel demnächst nach Peking reisen wird, um über dieses und andere Themen Gespräche zu führen. Unsere zunehmend engere Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet halte ich für sehr positiv. Die Ungleichgewichte in unseren Wirtschaftsbeziehungen erfüllen mich allerdings mit großer Sorge.
Beispielsweise finde ich keinen Hinweis darauf, dass wir uns in stärkerem Maße um die Weitervermittlung unserer Erfahrungen mit dem Binnenmarkt an die Chinesen, die ihren eigenen Markt in dieser Hinsicht wesentlich verbessern könnten, bemühen sollten. Das Gleiche gilt für die Regionalpolitik, für die Beseitigung regionaler Unterschiede. Auf diesen Gebieten haben wir Erfahrungen gesammelt. Wir haben da einiges gelernt. Ich glaube allerdings nicht, dass die Chinesen sonderlich interessiert sind, mitzumachen.
Herr Mandelson sprach davon, dass in Bezug auf Investitionen in China noch große Ungewissheiten bestehen und dies unseren Ausfuhren nach China ebenso schadet wie dem chinesischen Wirtschaftswachstum. Er dürfte wohl Recht haben. Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft sind Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, ob es um geistige Eigentumsrechte, um Produktsicherheit oder um Kapitalbewirtschaftung geht. Rechtsstaatlichkeit ist aber auch im Bereich der Menschenrechte ein selbstverständliches Gebot. Das ist mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch viel wichtiger.
Ich bin froh, dass uns ein Bericht zum Menschenrechtsdialog vorgelegt werden soll. Einen solchen Bericht sollten wir nach meinem Dafürhalten jedes Mal erhalten. Wie Sie, Frau Kommissarin, stelle ich einige positive Zeichen fest, das Europäische Parlament muss jedoch den Akzent weiterhin auf ein oder zwei noch ungelöste Probleme legen, nämlich Recht auf freie Meinungsäußerung, Minderheitenpolitik, Zwangsarbeit, die es leider immer noch gibt, Machtmissbrauch, der bedauerlicherweise in zu großem Umfang praktiziert wird, sowie die nach wie vor bestehende Todesstrafe. Diese Dinge müssen wir als Europäisches Parlament weiter in den Fokus rücken, und dies muss tagtäglich geschehen.
Helga Trüpel (Verts/ALE). - Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, für uns alle stellt sich immer wieder die Frage, welchen politischen Umgang wir mit China pflegen wollen. Der Kollege Sterckx hat eben noch einmal zu Recht von der strategischen Partnerschaft gesprochen. Als Ziel finde ich das ausgesprochen wünschenswert. Aber wir müssen realistisch sein, im Moment haben wir das noch nicht, weil wir kein gemeinsames Wertefundament haben – Menschenrechte, Umgang mit Minderheiten, Todesstrafe – es gibt de facto noch keine strategische Partnerschaft.
Ich finde es sehr richtig, und das sage ich ganz bewusst als grüne deutsche Europaabgeordnete, dass Angela Merkel den Dalai Lama getroffen hat, denn da wird mit dem Einhalten der Menschenrechte Ernst gemacht.
Was ich andererseits überhaupt nicht in Ordnung finde: Als Staatspräsident Sarkozy letztens hier sprach, hat er gesagt, dass Menschenrechte das Aushängeschild der Europäischen Union sein müssen, um drei Wochen später nach China zu fahren und die Menschenrechte da nicht zum Thema zu machen. Das ist europäische Doppelmoral, das dürfen wir nicht zulassen!
Ich glaube ganz entschieden, dass zu unserem Dialog mit China – den ich befürworte und den wir auch politisch wollen müssen – auch Konfrontation gehört und nicht Liebedienerei. Wenn wir das miteinander verbinden, selbstbewusst mit China verhandeln, müssen wir deutliche Kritik üben. Auch müssen die Chinesen im Rahmen der Olympiade ihre selbstgesetzten Ziele einhalten, und wir Europäer sollten mutig und offen sein und die Chinesen auch mit unserer Kritik konfrontieren.
Tunne Kelam (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Vor ein paar Stunden hat der Präsident des Europäischen Parlaments die EU-Grundrechtecharta unterzeichnet und erklärt, wir haben „die moralische und politische Verpflichtung, die Menschenwürde zu verteidigen.“ Dies gelte für alle Menschen auf dieser Welt. Und der portugiesische Ministerpräsident hat festgehalten, die Charta sei Bestandteil der EU-Außenpolitik.
Nun zu China. Indem Peking Gastgeber der Olympischen Spiele wird, hat sich die chinesische Regierung nach unserem Verständnis verpflichtet, sowohl das olympische Ideal der Menschenwürde als auch die international garantierten Menschenrechte voll zu respektieren.
Das Europäische Parlament muss nun feststellen, dass es seit einiger Zeit im direkten Zusammenhang mit den Olympischen Spielen eine Häufung politischer Verfolgungen gibt. Darüber hinaus werden in China mehr Menschen hingerichtet als in der übrigen Welt zusammengenommen, nämlich bis zu 10 000 pro Jahr.
Verfechter der Menschenwürde werden eingesperrt und bis zu sieben Millionen Menschen in den berüchtigten Laogai-Lagern gefoltert.
Was sollen wir tun? Ich glaube, die Antwort darauf hat uns gestern der Sacharow-Preisträger Salih Mahmoud Osman gegeben, der empfahl, mehr Druck auf die entsprechenden Regierungen auszuüben, etwas Konkretes zu tun. Es gibt den Begriff der Unterlassungssünde, d. h. der Verantwortung für etwas, was wir hätten tun können, aber nicht getan haben. Es reicht nicht aus, unsere Bedenken zu äußern; es ist an der Zeit, das Konditionalitätsprinzip anzuwenden und, um es mit den Worten des Kollegen Watson auszudrücken, zu erklären: Man muss sich an seine Vereinbarungen halten.
Die kommunistischen Diktatoren in China können nur dazu gebracht werden, ihre Bürger mehr zu respektieren, wenn wir ihnen signalisieren, dass wir unsere eigenen Werte der Solidarität und der Menschenwürde ernst genug nehmen, um Diktatoren für ihre Übergriffe und ihre Arroganz tatsächlich büßen zu lassen.
Józef Pinior (PSE). – (PL) Frau Präsidentin! Das Europäische Parlament hat viele Male auf die Verletzungen der Menschenrechte in China und den Mangel an Demokratie in diesem Land hingewiesen. Diese Probleme sind offensichtlich. Erst gestern haben wir in der Diskussion über den Bericht der Europäischen Union über die Menschenrechte für das kommende Jahr die Defizite an Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in China angesprochen.
Andererseits scheint es mir auch nicht richtig, die positiven Veränderungen zu verschweigen, die sich in China vollziehen. Gerade die Olympischen Spiele nächstes Jahr sollte die Europäische Union zum Anlass nehmen, auf die Behörden in China Druck in Sachen Liberalisierung, Demokratisierung, Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und Freilassung aller politischen Gefangenen auszuüben.
Am 20. November hat sich eine Delegation des Unterausschusses Menschenrechte des Europäischen Parlaments für die Organisation der Vereinten Nationen in New York mit Liu Zhenmin, dem Vertreter Chinas in der UNO, getroffen. Das war meiner Ansicht nach ein konstruktives Treffen. Von chinesischer Seite gibt es Anzeichen einer offenen und sensiblen Reaktion auf den Druck in Sachen Menschenrechte und Demokratie. Das haben auch Vertreter von Human Rights Watch und Amnesty International in Gesprächen mit dem Unterausschuss Menschenrechte betont.
István Szent-Iványi (ALDE). - (HU) Frau Präsidentin! Frau Kommissarin! Milliarden von Menschen warten mit großer Spannung auf den 8. August 2008 – die Eröffnung der Olympischen Spiele. Nicht nur Sportfans werden zuschauen, sondern auch jene Menschen, die Fortschritte von China im Bereich der Menschenrechte erwarten. Bedauerlicherweise können wir mit den bislang erzielten Ergebnissen nicht zufrieden sein. Die Kommunistische Partei Chinas kann jubeln, denn sie hat im Hinblick auf die Legitimierung ihrer Macht einen großen Erfolg eingefahren. Aber wir haben auch die Chance, die Zeit bis zu den Olympischen Spielen intensiv zu nutzen und mit Nachdruck auf eine Erklärung für das Unrecht im Menschenrechtsbereich zu drängen. Der Dialog zwischen der EU und China über die Menschenrechte läuft seit 24 Jahren. Leider ist er alles andere als ausgewogen. So gibt es beispielsweise gewisse Fortschritte bei der Anwendung der Todesstrafe, aber auf vielen anderen Gebieten hinkt man weit zurück, wie zum Beispiel bei der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Freiheit des Internets. Damit sich etwas verändert, muss auch der Menschenrechtsdialog neu gestaltet werden.
Erstens ist festzustellen, dass der Dialog über die Menschenrechte nicht das einzige Forum ist, in dem solche Probleme angesprochen werden können. Jeder Mitgliedstaat hat darüber hinaus die Pflicht, im Rahmen seiner bilateralen Beziehungen in diesen Fragen streng und unnachgiebig zu handeln
Zweitens müssen die Präsenz von zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Transparenz von Verhandlungen gewährleistet werden. Transparenz spielt für uns für die Überwachung der Geschehnisse vor Ort eine herausragende Rolle. Da der Dialog kein Selbstzweck ist, bewirkt er nur dann etwas, wenn er einen sinnvollen Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechtslage in China leistet.
Abschließend möchte ich noch auf die Situation der uigurischen Minderheit eingehen. Über sie erfährt man wenig. Die Uiguren sind eine vergessene Minderheit. Sie sind nicht nur von der allgemeinen Unterdrückung in China betroffen, sondern auch Opfer ethnischer, religiöser und sprachlicher Diskriminierung. Ich fordere Sie auf, auch in ihrem Interesse zu handeln. Vielen Dank.
Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE). – (ES) Frau Präsidentin! Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, den europäischen Regierungen zwei Dinge ins Gedächtnis zu rufen.
Der erste Aspekt hat mit der Aufhebung des Waffenembargos gegen China zu tun, auf die bereits mehrfach hingewiesen wurde. Ich möchte darauf verweisen, dass dieses Haus öfter darauf gedrängt hat, eine Aufhebung des Verbots sei nur möglich, wenn wirkliche und viel versprechende Fortschritte im Hinblick auf die Situation der Inhaftierten nach den Ereignissen auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 erzielt werden. Damit ist kein allgemeiner Fortschritt gemeint, sondern ein Weiterkommen speziell in dieser Frage, denn genau das erwarten wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den chinesischen Behörden: einige bedeutsame Entwicklungen, die es möglich machen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Bis dahin wäre es nach meinem Dafürhalten nicht nur verfrüht, das Embargo aufzuheben, sondern man würde dadurch auch eine völlig falsche Botschaft übermitteln und Europa in ein schlechtes Licht stellen. Das Embargo, gestatten Sie mir, dies zu wiederholen, wurde damals aus ganz bestimmten Gründen verhängt, die sicher noch nicht geklärt sind.
Die zweite Botschaft – die die Haltung meiner Kollegin Frau Trüpel bekräftigt – lautet: Es ist unannehmbar für bestimmte europäische Länder, dem Druck der chinesischen Behörden nachzugeben und ihm manchmal auch zu erliegen, der darauf abzielt, sie daran zu hindern, offizielle Treffen mit wichtigen chinesischen Persönlichkeiten, in manchen Fällen Dissidenten oder Vertreter wie der Dalai Lama, durchzuführen, nur um die Handelsbeziehungen mit China zu sichern.
Vor allem am heutigen Tag, an dem wir die Charta der Grundrechte unterzeichnet haben, steht ein solches Verhalten in völligem Widerspruch zum dem Grundethos, den wir in der Europäischen Union verbreiten wollen.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Auf dem Gipfel äußerte sich Europa klar dazu, wie China die WTO-Regeln beugt, indem es Arbeitnehmerrechte missachtet, gesundheitsschädliche Produkte exportiert, Technologiepiraterie betreibt und Europas Zugang zum chinesischen Markt behindert. Für die chinesischen Führer kamen die offenen Worte der EU überraschend und sie konterten, indem sie die gemeinsame Erklärung einige Tage verzögerten, aber leider hielt die europäische Führung den Druck nicht aufrecht: Sie machte nicht nur unannehmbare Zugeständnisse zum Referendum in Taiwan, sondern widersprach auch nicht der „Ein-China-Politik“ und konfrontierte Peking nicht mit den schweren Menschenrechtsproblemen. Da die Zeit knapp sei, so Präsident José Sócrates gegenüber portugiesischen Journalisten, würden diese Fragen mitunter beim Abendessen besprochen.
Unter anderem zählen die Todesstrafe und die Freilassung der seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz inhaftierten Gefangenen zu den Gründen, weshalb sich dieses Parlament für die Beibehaltung des Waffenembargos gegenüber China ausspricht. Willkürliche Festnahmen und Gerichtsverfahren, Korruption und Zwangsräumungen, Verfolgung und Unterdrückung von Journalisten und Internetnutzern, Unterdrückung der Tibeter und anderer Minderheiten, Verantwortung für die Tragödien in Darfur und Birma: Keine dieser Grundfragen stand auf der Tagesordnung des Gipfels. Die EU steht natürlich nicht allein da, wenn es darum geht, Peking vor der Olympiade 2008 zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn das Internationale Olympische Komitee in der Luftqualität vermittelt, warum dann Peking nicht auch danach beurteilen, was es für die Achtung des olympischen Ideals im Umgang mit seinen eigenen Bürgern und denen anderer Länder tut? Niemand, am wenigsten der Rat und die Kommission der EU, darf den Kampf für Freiheiten und Menschenrechte in China weiterhin vernachlässigen. Dies ist ein Marathonlauf, dem die Olympischen Spiele 2008 nur neues Tempo verleihen können. Betroffen sind nicht nur Abermillionen Chinesen, die Folgen trägt die gesamte Menschheit.
Milan Horáček (Verts/ALE). - Frau Präsidentin! Der EU-China-Menschenrechtsdialog findet seit elf Jahren zweimal jährlich hinter verschlossenen Türen statt, doch die Menschenrechtslage in China wird dadurch nicht besser. Die Berichte über die Hinrichtungen, Folter in Gefängnissen und Arbeitslagern sowie die Unterdrückung der Tibeter machen deutlich, dass wir Europäer unserer Verantwortung nicht gerecht werden.
Die Olympischen Spiele stehen vor der Tür und sind ein wichtiges Argument dafür, dass China seinen Reformwillen ernsthaft unter Beweis stellen muss. Gleichzeitig dürfen auch wir nicht mit gespaltener Zunge sprechen. Es ist sehr gut, dass Bundeskanzlerin Merkel den Dalai Lama trotz der heftigen Kritik empfangen hat. Es wäre nur konsequent, wenn es ihr Belgien, Frankreich und andere Staaten gleichtäten. Die EU wird weltweit als Stimme der Menschenrechte akzeptiert und wir müssen endlich konsequent handeln, auch im Dialog mit China.
Alexandra Dobolyi (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Unsere heutige Aussprache betrifft den vor zehn Tagen durchgeführten EU-China-Gipfel und die vor zwei Monaten abgehaltene 24. Runde des Menschenrechtsdialogs EU-China.
Gestatten Sie, dass ich gerade heute mit dem zweiten Thema beginne. Die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist ein Kernprinzip der EU und ihrer Politik, und wir alle legen sehr viel Wert auf dieses Prinzip und unterstützen es. Ich gehöre dennoch zu denen, deren Auffassung zufolge die EU einem ergebnisorientierten Konzept folgen sollte, um die Achtung der Menschenrechte voranzubringen. Sie sollte sich nicht nur von Prinzipien leiten lassen und, was am wichtigsten ist, akzeptieren, dass es nur schrittweise zu Verbesserungen kommen wird. Das heißt keineswegs, dass die EU zögern sollte, ihre Kritik zum Ausdruck zu bringen und mit Nachdruck auf demokratischen Reformen zu bestehen.
Darüber hinaus gehöre ich zu denen, die sich um die hohe Produktsicherheit Gedanken machen, die 550 Millionen europäischer Bürger betrifft, die sich wegen des Handelsungleichgewichts Sorgen machen, ebenso wie um einen effektiven Marktzugang, geistige Eigentumsrechte und die internationale Wettbewerbspolitik, von denen Tausende europäischer Firmen und Millionen europäischer Beschäftigter betroffen sind, und für die auch die Zusammenarbeit beim Umweltschutz, die internationale Umweltpolitik und der Klimawandel wichtige die gesamte Weltbevölkerung tangierende Themen sind.
Gerade weil uns all das Genannte so wichtig ist, unterstützen wir die Kommission und den Rat sowie dessen Präsidentschaft ausdrücklich darin, jeden dieser Punkte im regelmäßigen Dialog mit der chinesischen Seite zu besprechen, zu verhandeln und immer wieder hervorzuheben. Allein wenn man sich den 18-seitigen gemeinsamen Entschließungsantrag des letzten EU-China-Gipfels durchliest, wird einem klar, dass die Komplexität, die Sensibilität und die Bedeutung in der Zusammenarbeit zwischen der EU und China…
(Die Präsidentin entzieht der Rednerin das Wort.)
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Diese Aussprache zeigt einmal mehr, dass gesellschaftliche Veränderungen ihre Zeit brauchen, und ich denke, wir müssen uns immer wieder bewusst machen, wie die Ausgangssituation in China war. Meiner Ansicht nach müssen wir, wie ich bereits in meiner Einleitung sagte, einen gewissen Fortschritt anerkennen. Zugleich ist es aber auch so, dass China noch nicht dort ist, wo wir es gerne hätten.
Daher halte ich den Menschenrechtsdialog neben dem NRO-Seminar nach wie vor für den Grundpfeiler unserer Arbeit im Bereich der Menschenrechtsproblematik in China.
Dennoch sollten wir nach meinem Dafürhalten zwar entschlossen aber auch realistisch sein. Entschlossen, China davon zu überzeugen, dass es in seinem eigenen Interesse ist, die Menschenrechte in ihrer gesamten Bandbreite und in vollem Umfang zu respektieren. Realistisch, weil wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass wir nur durch Engagement und langfristigen Einsatz wirklich hoffen können, echte Reformen in China auf den Weg zu bringen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch hinzufügen, dass die kontinuierliche Abhaltung des NRO-Seminars in beiderseitigem Interesse – sowohl Chinas als auch der Europäischen Union – liegt. Dies wurde durch den jüngsten Gipfel erneut bestätigt.
Deshalb haben wir meiner Ansicht nach gute Chancen, parallel zum nächsten Menschenrechtsdialog unter slowenischem Ratsvorsitz dieses Seminar der Zivilgesellschaft wieder aufnehmen zu können.
Lassen Sie mich zu einigen anderen Fragen nur sagen, dass die Menschenrechte auch in dem gemeinsamen, hier vorliegenden Entschließungsantrag thematisiert werden, und ich werde einmal die ersten Zeilen daraus zitieren: „Beide Seiten betonten ihre Verpflichtung zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte und legen weiterhin großen Wert auf den Menschenrechtsdialog EU-China, einschließlich des begleitenden Rechtsseminars.“
Sie sehen: Die Bedeutung konkreter Schritte im Bereich der Menschenrechte wird hervorgehoben, die Verpflichtung zu einer weiteren Intensivierung des Dialogs bekräftigt usw.
Ich möchte zudem hinzufügen, dass es einige konkrete Aspekte in dieser Diskussion gab, bei denen wir Fortschritte sehen wollen, wie etwa bei Falun Gong. Die Situation der Falun-Gong-Anhänger, die aufgrund ihrer Überzeugung unterdrückt werden, ist uns nach wie vor ein Anliegen. Wir haben das Thema mehrmals angesprochen, insbesondere während der Sitzungen des Menschenrechtsdialogs. Wir haben die chinesischen Behörden ersucht, die brutale Behandlung von Falun-Gong-Anhängern zu beenden. Wir werden dies auch weiterhin tun.
Was die Todesstrafe betrifft, so habe ich bereits gesagt, dass dieses Thema auf unserer ganz oben steht, und in diesem Zusammenhang haben wir China immer wieder nachdrücklich aufgefordert – und werden dies auch weiterhin tun –, die Bandbreite der Kapitalverbrechen zu reduzieren und die Todesstrafe eines Tages definitiv abzuschaffen.
Ein erster Schritt wäre die Einführung eines Moratoriums für die Vollstreckung der Todesstrafe. Anschließend, wie ich bereits in meinen einführenden Bemerkungen sagte, käme eine Überprüfung der Todesurteile durch das Oberste Volksgericht als erster Schritt, der ständig überwacht werden würde.
Ich denke, die Aussprache hat sehr deutlich gezeigt, dass die Lage sehr gemischt ist. Es gibt Fortschritte, aber es muss noch viel getan werden, und ich kann nur sagen, dass wir uns weiter mit China dafür einsetzen werden, dass China den Fortschritt wagt. Ich halte die Olympischen Spiele für eine gute Gelegenheit für China, zu zeigen, dass bis dahin noch mehr Fortschritte erzielt worden sind.
Die Präsidentin. − Zum Abschluss der Aussprache wurden gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung sechs Entschließungsanträge(1) eingereicht.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag, 13. Dezember 2007, statt.