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Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 30. Januar 2008 - Brüssel Ausgabe im ABl.

18. Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten (Aussprache)
Protokoll
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  Der Präsident. – Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zum Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten.

 
  
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  Janez Lenarčič, amtierender Ratspräsident. − (SL) Der Rat hat die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems auf dem Hoheitsgebiet der Europäischen Union nicht erörtert. Zu meinem Bedauern kann ich daher den Standpunkt des Rates in dieser Angelegenheit nicht darlegen. Gleichwohl sei daran erinnert, dass die Entscheidung über die Stationierung von Streitkräften oder militärischen Ausrüstungen in der nationalen Zuständigkeit jedes einzelnen Mitgliedstaates liegt. Die Mitgliedstaaten treffen deswegen Entscheidungen in diesen Fragen unabhängig.

Lassen Sie mich eines klarstellen: Bislang hat es keine Gespräche zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten über die Stationierung des Raketenabwehrsystems gegeben. Auch sieht keine Seite eine mögliche Zusammenarbeit auf diesem Gebiet vor. Der Rat der Europäischen Union hat daher keine Gespräche zur Erörterung dieser Frage geplant, weder mit den USA noch innerhalb der NATO-Allianz. Die Raketenabwehr ist bekanntlich Gegenstand der Zusammenarbeit innerhalb der NATO sowie des NATO-Russland-Rates.

 
  
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  Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich werde mich heute ganz kurz fassen, da die Kommission in dieser Angelegenheit sehr wenig Zuständigkeit besitzt.

Lassen Sie mich jedoch sagen, dass sich die Interaktion zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und den EU-Mitgliedstaaten in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung in stärkerem Maße auf diese wichtigen Partnerschaften auswirkt. Das ist klar. Deshalb und obwohl wir, wie ich schon sagte, für diese Angelegenheit wirklich nicht zuständig oder verantwortlich sind, hoffen wir, dass eine ausgewogene Lösung gefunden werden kann, die letztendlich für alle befriedigend ist.

Wir haben von Anfang an die Gespräche begrüßt, die seit Oktober vorigen Jahres in Moskau auf hoher Ebene geführt werden und denen Expertentreffen gefolgt sind. Und wir sehen in dem jüngsten direkten Dialog zwischen Moskau und Warschau eine Möglichkeit, die jeweiligen Positionen in Bezug auf die nationale Souveränität zu klären.

Schlussendlich wäre es meiner Meinung nach – unabhängig davon, in welchem Rahmen diese Themen diskutiert werden, sei es auf NATO- oder OSZE-Ebene – wichtig, in die Entscheidungen über die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur auch die Europäische Union einzubeziehen.

 
  
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  Karl von Wogau, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in Europa über Raketenabwehr sprechen, dann dreht sich die Diskussion meist um die von den Vereinigten Staaten vorgesehenen Installationen in Polen und in Tschechien. Vielen ist die Tatsache nicht bewusst, dass es sich hier lediglich um die Ergänzung eines bereits bestehenden Systems handelt, dessen Aufgabe es ist, die Vereinigten Staaten von Amerika zu schützen. Für uns im Europäischen Parlament muss es jedoch in erster Linie um die Frage gehen, was dies für die Sicherheit des europäischen Kontinents bedeutet. Die Vereinigten Staaten haben ja für ihr Raketenabwehrsystem bereits über 100 Milliarden Dollar ausgegeben, pro Jahr investieren sie weitere 10 Milliarden in den Ausbau des Systems. Dabei sind die Vereinigten Staaten von potenziellen Gefahrenquellen deutlich weiter entfernt als wir in Europa. Die aktuelle Situation ist ungefähr so, als würde Luxemburg Geld für Deichbau ausgeben, während die Niederlande dies nicht für notwendig halten.

Wir müssen uns die Frage stellen, ob überhaupt eine Bedrohung besteht und ob es notwendig ist, darauf zu reagieren. Die Debatte mit Javier Solana, die wir soeben gehört haben, zeigt, dass die Situation im Iran nach wie vor besorgniserregend ist. Auch wissen wir, welche Bedrohung von der instabilen Lage in Pakistan ausgehen könnte.

Wir im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung haben intensive Gespräche mit Vertretern der Vereinigten Staaten geführt, unter anderem auch mit dem für die Raketenabwehr zuständigen General Obering. Dabei wurde deutlich, dass das amerikanische System theoretisch dazu in der Lage wäre, einen Teil Europas zu schützen, jedoch nicht ganz Europa. Vor allem Zypern, Malta, Teile von Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Süditalien können durch dieses System nicht geschützt werden. Aus europäischer Sicht dürfen wir aber nicht zulassen, dass unser Kontinent in unterschiedliche Zonen mit unterschiedlichen Niveaus von Sicherheit auseinander bricht. Darum müssen wir unsere gemeinsamen europäischen Sicherheitsinteressen in diesem Zusammenhang auch gemeinsam definieren.

Es wird uns bei dieser Gelegenheit bewusst, dass zurzeit kein Forum besteht, in dem eine solche Debatte stattfindet und in dem diese gemeinsamen europäischen Sicherheitsinteressen definiert werden. Es ist klar, dass hier auch eine sehr intensive Abstimmung mit Russland notwendig ist.

Wir erwarten, dass der NATO-Gipfel in Bukarest im April Vorschläge für ein gemeinsames System vorlegen wird, und wir erwarten, dass dabei unsere spezifischen europäischen Sicherheitsinteressen in angemessener Art und Weise berücksichtigt werden.

 
  
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  Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Dieses Thema diskutieren wir nicht zum ersten Mal. Und zum wiederholten Male erhalten wir vom Rat dieselbe Antwort, der erklärt, er sei in dieser Frage nicht zuständig. Gleiches gilt für die Kommission, obwohl die Frau Kommissarin – dafür mein Lob – am Ende einräumte, die Dinge müssten in der Europäischen Union anders geregelt werden.

Über Vorkommnisse, die die Sicherheit aller Bürger Europas betreffen und die in den Bereich der Sicherheitsstrategie fallen, die Herr Solana uns beschrieben hat, muss untereinander debattiert werden können. Das Parlament ist glücklicherweise in der Lage, darüber zu reden. Diese Frage beschäftigt sowohl die Bürger als auch die Mitgliedstaaten der EU, weshalb wir die Auffassung vertreten, das Problem habe einen berechtigten Platz auf der Tagesordnung.

Ich hege nicht die Absicht, sämtliche Einwände zu wiederholen, die unsere Fraktion bereits zu dem Plan der Amerikaner vorgebracht hat. Unserer Ansicht nach liegt der Fehler darin, dass bilaterale Verhandlungen mit zwei Mitgliedstaaten der NATO geführt werden, die zufällig oder auch nicht Mitglied der EU sind, was Auswirkungen auf die Beziehungen zu Russland hat, einschließlich der Beziehungen der Europäischen Union zu Russland. Außerdem ist es ein Problem, dass das System einseitig weiterentwickelt wird, selbst wenn dies innerhalb der NATO geschieht, und dass nicht klar dargelegt worden ist, wofür das System genau gebraucht wird, ob es funktioniert und ob es nicht zu teuer wird.

Spannend ist die gegenwärtig in Polen stattfindende Debatte, da die neue Regierung verlautbart hat, man sei gegebenenfalls bereit, sich am System zu beteiligen, allerdings nur, weil dies der Wunsch der Amerikaner ist und es vorrangig um die Sicherheit Amerikas und nur nachrangig um die Polens geht. Denn bei Lichte besehen bedroht das System eher die Sicherheit Polens, als dass es diese erhöht. Deshalb fordern die Polen auch zusätzliche Unterstützung beispielsweise bei der Entwicklung der Luftabwehr der polnischen Streitkräfte, was eine Art Wettrüsten verursacht.

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass die Diskussion in Polen erneut über den Nutzen oder die Notwendigkeit des Systems aufgeflammt ist und der neue polnische Premierminister bzw. zumindest der polnische Außenminister den Schneid hatte, mit den Russen darüber zu diskutieren. Wir unterstützen diese Bemühungen aus vollem Herzen.

In Tschechien sieht die Lage anders aus. Uns scheint, die Entscheidung für das Raketenabwehrsystem und den tschechischen Beitrag dazu wird gegen den Willen der Bevölkerung durchgeboxt, da meines Wissens nach 70 % der Tschechen gegen die Entwicklung des Systems sind. Daher befürchte ich, dass Manöver im Gange sind, um noch in diesem Jahr bestimmte Entscheidungen durchzudrücken, Verträge mit Polen und Tschechien abzuschließen, bevor – hoffentlich – eine neue Regierung in den USA die Macht ergreift. Bekanntermaßen stehen die Demokraten der Entwicklung des Raketenabwehrsystems recht skeptisch gegenüber.

Auf jeden Fall hoffen wir, dass im Rat eine Aussprache stattfindet, und wir bitten nachdrücklich darum, die Sache äußerst ernst zu nehmen. Wenn sich das System durchsetzt, wird dies zwangsläufig Folgen für unsere bereits problembehafteten Beziehungen zu Russland haben. Die Öffentlichkeit ist besorgt. Es handelt sich um ein neues Wettrüsten, und es gibt eine Reihe anderer Fragen, zu denen sich das Europäische Parlament unbedingt äußern sollte. So haben wir es in der Vergangenheit gehalten und das sollten wir auch weiterhin tun.

Meiner Auffassung nach besteht unsere vorrangige Aufgabe darin, zu eruieren, ob das Raketenabwehrsystem nötig ist, ob sich ein neues Wettrüsten anbahnt, ob damit wirklich ein Beitrag zu mehr Sicherheit geleistet wird und ob man so zum Kampf gegen die so genannten Schurkenstaaten beiträgt. Ich bin noch immer nicht überzeugt davon, dass die Iraner so schnell in der Lage sein sollen, Raketen abzuschießen, wie die Amerikaner behaupten. Auch dazu liegen uns gegenteilige Informationen vor. Hoffentlich gelingt es uns, im Rahmen der Aussprache in diesem Hause die Diskussion voranzutreiben und zu verfolgen, was in Tschechien und Polen geschieht. Meine Fraktion lehnt das Raketenabwehrsystem weiterhin ab.

 
  
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  Anneli Jäätteenmäki, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident! Die größte Bedrohung für die Menschheit ist nicht die Verbreitung von Atomwaffen in andere Länder. Das eigentliche Problem besteht in der Existenz von Atomwaffen überhaupt. Die einzige ethische und dauerhafte Option in unserer Haltung zu Raketenabwehrsystemen und anderen nuklearen Systemen ist deren Abschaffung. Auch die EU sollte sich zu neuen Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle verpflichten und sich engagiert für die Einleitung des Abrüstungsprozesses einsetzen.

Amerikas Raketenabwehrsystem würde die Gefahr eines Atomkriegs erhöhen. Der nukleare Schutzschild für Polen und die Tschechische Republik basiert auf der Annahme, dass ein nuklearer Krieg gewonnen werden kann. Die Art der Raketenabwehr, wie sie von den Vereinigten Staaten praktiziert wird, unterscheidet sich grundlegend von ihrer früheren Politik der Abschreckung, denn deren Ziel war es zu verhindern, dass ein Land gegen ein anderes Rache übt. Die ehemals abschreckende Wirkung der nuklearen Aufrüstung ist also aus dem Blickfeld geraten. Das Gleichgewicht des Schreckens ist damit ausgeblendet. Das ist der Grund, warum ein US-Raketenabwehrsystem in Polen oder in der Tschechischen Republik für ganz Europa und alle seine Mitgliedstaaten ein ernsthafter Anlass zur Sorge ist. Und weil das so ist, muss die EU unbedingt diese Debatte führen und die Anliegen ihrer Bürger deutlich machen. Wir sollten an dieser Stelle wirklich auch einmal prüfen, ob dies der Verbesserung der Sicherheit in Europa und der europäischen Verteidigung dient, oder ob das neue System nicht im Gegenteil die Sicherheit in Europa tatsächlich schwächt.

 
  
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  Ģirts Valdis Kristovskis, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Sehr verehrte Damen und Herren! Manchmal erinnert uns Präsident Putins Rhetorik daran, dass Russland seine Raketen vielleicht gegen Europa richten könnte, was beweist, dass ein bestimmtes strategisches Gleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und Russland herrscht. Doch zwischen Europa und Russland gibt es ein derartiges Gleichgewicht nicht. Und es kann auch nicht durch Frankreichs und Großbritanniens Nuklearschirme sichergestellt werden kann. Daher ist es nach meinem Dafürhalten richtig, sich zu fragen, wie sich Europas gemeinsame Raketenabwehr statt des USA-Abwehrsystems gewährleisten lässt. Debattieren wir diese Fragen nur, weil sich die Amerikaner eben um ihre eigene Verteidigung kümmern? Frau Ferrero-Waldner, Mitglieder der Kommission und die EU sorgen sich nicht einmal um diese Form der Verteidigung. Meinen Sie nicht auch, dass es für die USA, die NATO und bestimmte Mitgliedstaaten ganz selbstverständlich ist, diese Frage gemeinsam zu entscheiden? Meiner Ansicht nach muss die EU eine eindeutige Position formulieren, die dann gemeinsam mit der NATO und den Vereinigten Staaten umgesetzt werden sollte. Ansonsten sollten wir hier nicht weiter unsere Zeit verschwenden, wenn ohnehin alles von der NATO entschieden wird.

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (FR) Herr Präsident, Herr Minister, Frau Kommissarin! Ich muss gestehen, das ist zweifellos eine neue europäische Politik. Sie erinnert mich an meinen Sohn, als dieser vier Jahre alt war. Wenn man ihn damals fragte: „Wo bist du?“, dann legte er die Hände auf die Augen und sagte: „Ich bin nicht da.“ Und genau so sagt uns die Kommission: „Wir sind nicht da! Das hat nichts mit uns oder mit Europa zu tun.“

Entschuldigung, das ist ja absoluter Unsinn! Entweder entscheiden wir uns jetzt, dass wir eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik wollen? Wir haben sogar einen neuen Vertrag, wonach wir einen eigenen Außenminister für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik haben. Und wenn wir einen Außenminister haben, dann müssen wir doch auf europäischer Ebene diskutieren, nicht als einzelne Staaten mit anderen einzelnen Staaten, die über ihre Sicherheit diskutieren, oder wie Herr von Wogau, der sagt, ganz Europa ist bedroht vom Iran, oder ich weiß nicht von wem. Ich bin nicht dieser Meinung, auf jeden Fall müssen wir auf europäischer Ebene diskutieren. Wir können doch nicht einfach sagen, die Amerikaner haben jetzt irgendeine spinnerische Idee. Vielleicht ist Herr Bush in sechs Monaten nicht mehr da, dann haben sie diese spinnerische Idee nicht mehr. Aber wir Europäer haben damit nichts zu tun.

Wir sind sehr skeptisch gegenüber dieser ganzen Raketenverteidigungsstrategie, aber wir sind der festen Überzeugung, dass dies etwas ist, was wir in Europa diskutieren müssen, als Europäer. Es ist nicht eine Entscheidung der polnischen oder der tschechischen Mitglieder, oder welcher Mitglieder auch immer — morgen Rumänien, Bulgarien, übermorgen Sizilien —, sondern wir haben ein gemeinsames Interesse daran, über unsere Sicherheit Entscheidungen zu treffen. Das ist im Grunde genommen in dem Vertrag festgelegt, den Sie ratifiziert haben, den wir ratifizieren wollen: eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Und deswegen muss dieses Thema zum Thema der Europäischen Union werden. Die Entscheidung darf nicht bilateral — zwischen Polen und den Vereinigten Staaten oder zwischen Tschechien und den Vereinigten Staaten — getroffen werden. Es ist eine europäische Entscheidung, es ist ein europäisches Problem, und das müssen wir europäisch lösen.

 
  
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  Vladimír Remek, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (CS) Sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich, dass das Problem der Errichtung des amerikanischen Raketenabwehrsystems in der Tschechischen Republik und Polen, das heißt, auf dem Gebiet der Europäischen Union, im Europäischen Parlament debattiert wird, das die demokratischste Institution der EU ist, da sie direkt von den Bürgern der Union gewählt wird, die von diesem Problem betroffen sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich hervorheben, dass ich mir der Rückendeckung durch meine Fraktionskolleginnen und -kollegen gewiss bin und ich auch auf meine eigenen Erfahrungen als Militärexperte zurückgreifen kann. Am wichtigsten ist jedoch die Tatsache, dass mich die Mehrheit der Bürger meines Landes unterstützt, von denen 70 % die Installation des amerikanischen Radarsystems ablehnen.

Das amerikanische Raketenabwehrsystem wird uns als Verteidigungsschild dargeboten, aber warum war es der Tschechischen Republik dann zum Beispiel nicht gestattet, das passive Radarsystem Tamara ohne aktive militärische Komponenten an China zu verkaufen? Angeblich würden China daraus unangemessene Vorteile in ihrem Verhältnis zu anderen Staaten erwachsen. Ist das nicht Wortklauberei? Geht es in Wahrheit bei der Stationierung des Radars in der Tschechischen Republik nicht auch darum, einen Vorteil zu gewinnen? Selbst ein Laie kann begreifen, was Krieger schon lange vor Hannibal wussten: Ein Schild in der Hand eines Soldaten ist ein Mittel, um sein Schwert besser und wirksamer einzusetzen.

Es wird viel über erhöhte Sicherheit geredet, aber geht es nicht eigentlich um eine Erhöhung der Sicherheitsrisiken? Logischerweise werden wir prompt zum Ziel Nr. 1 für potenzielle Gegner. Uns wird gesagt, wir seien den USA verpflichtet, um zu beweisen, dass wir gute Verbündete sind. Kanada ist dieser Verpflichtung nicht nachgekommen – sind die Kanadier damit schlechte Verbündete der USA? Ist es nicht vielleicht doch so, dass Kanada seine Lehren aus der recht zweckorientierten Rechtfertigung für den Militäreinsatz im Irak gezogen hat?

Uns überrascht die Reaktion Russlands. Vor dem Hintergrund, dass die USA einseitig aus dem ABM-Vertrag ausgestiegen sind und im eigenen Interesse handeln, ist die Reaktion allerdings nicht unlogisch. Waren die Vereinigten Staaten vor Jahren erfreut über die unmittelbare Nähe sowjetischer Raketen in Kuba?

Zweifelsohne sind die USA eine Supermacht, deren Ansichten, Vorschläge und Forderungen nicht einfach so vom Tisch gefegt werden können. Wenn uns vor allem in Europa größere Sicherheit wirklich wichtig ist, führt der Weg dorthin über einen sehr komplizierten Weg von Verhandlungen und Vereinbarungen, aber nicht mittels einseitiger Schritte. Diese Verantwortung tragen nicht nur die Hauptakteure – die USA und Russland – sondern auch die Europäische Union.

 
  
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  Jana Hybášková (PPE-DE).(CS) Zu Beginn unseres 21. Jahrhunderts ist die Verbreitung von Mittel- und Langstreckenraketen enorm. Aufgrund eines fehlenden internationalen Sicherheitssystems kann ihr leider nur durch wirksame Verteidigung Einhalt geboten.

Die EU-Mitgliedstaaten haben das vorrangige Recht auf wirksame Verteidigung. Die zurzeit in Prag stattfindenden Verhandlungen über ein Stationierungsabkommen sind ein legitimes Recht der Tschechischen Republik. Da das Radarsystem auf dem Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik die Sicherheit vieler europäischer Länder garantieren soll und dies für Tschechien – ein Land, das viele Jahre besetzt war – die erste Möglichkeit sein wird, aktiv zur europäischen Sicherheit beizutragen, muss die tschechische Regierung äußerst verantwortungsbewusst handeln.

Das Raketenabwehrsystem muss zuverlässig und für Verteidigungszwecke ausgelegt sein, und sie muss die Unteilbarkeit der Sicherheit wahren. Darum begrüßen wir die Informationen über den Gipfel in Bukarest, auf dem über den Bau eines ergänzenden ALTBMD-Systems entschieden werden soll. Indem man die Verhandlungen der NATO überträgt, garantiert man die Umsetzung des Unteilbarkeitsprinzips. Durch die amerikanisch-polnisch-tschechisch-russischen Verhandlungen soll deutlich gemacht werden, dass es sich um ein reines Verteidigungssystem handelt.

Mein abschließender Punkt betrifft die Frage der Wirksamkeit. Berücksichtigt man, was über die im November durchgeführten iranischen Tests bekannt ist, so müssen wir unsere gemeinsame Verantwortung begreifen. Wir dürfen die Wirksamkeit unserer gemeinsamen Verteidigung nicht durch Streitigkeiten darüber schwächen, ob wir uns überhaupt verteidigen sollten.

 
  
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  Libor Rouček (PSE).(CS) Gestatten Sie mir, meine einminütige Redezeit zu nutzen, um den Rat der Europäischen Union sowie den Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aufzufordern, das amerikanische Raketenabwehrsystem auf europäischer Ebene zu diskutieren.

Die Errichtung des Raketenabwehrsystems der Amerikaner in Europa ist eine gesamteuropäische Frage, die nicht nur Tschechen, Polen und Amerikaner betrifft. Die Beziehungen innerhalb der EU, die Beziehung zwischen EU und NATO, die Beziehungen zwischen EU und USA sowie das Verhältnis der EU zu Russland stehen auf dem Spiel. Daher möchte ich darum bitten, dieses Problem auf die Tagesordnung des Rates zu setzen.

Bezüglich der Tschechischen Republik möchte ich eine Tatsache erwähnen: 70 % der tschechischen Bürger lehnen das System ab. Drei Viertel aller Tschechen fordern eine Volksabstimmung darüber. Die tschechische Regierung kommuniziert nicht mit der Öffentlichkeit, sondern macht alles hinter dem Rücken des tschechischen Volkes. Das sollte man wissen und dies sollte im Rat der Europäischen Union vorrangig beachtet werden.

 
  
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  Janusz Onyszkiewicz (ALDE).(PL) Herr Präsident! Darf ich zunächst alle daran erinnern, dass das Raketenabwehrschild nicht nur eine Angelegenheit Polens und der Tschechischen Republik ist. Es betrifft auch das Vereinigte Königreich und Dänemark, denn Anlagen in diesen beiden Ländern sollen ebenfalls in das System einbezogen werden. Wir sollten daher nicht nur über Polen oder die Tschechische Republik sprechen.

Zweitens, das Raketenabwehrschild und die Anlagen, die ein Teil davon sind, werden kein Anziehungspunkt für Terroristen sein. Terroristen haben weiche Ziele, keine sorgfältig verteidigten Militärbasen.

Abschließend ein dritter Punkt. Die Europäische Union ist kein militärischer Verbündeter. Vielleicht ist das bedauerlich, aber so ist die Realität, und der neue Vertrag, der Vertrag von Lissabon, ändert nichts in dieser Hinsicht. Angesichts dessen sind für die Verteidigungsfrage entweder die NATO oder die Länder zuständig, die sich nicht entschieden haben, einem Bündnis beizutreten und sich getrennt verteidigen wollen. Offensichtlich muss in der NATO erörtert werden, wie dieses System in andere Systeme passen könnte, die von der NATO entwickelt werden sollen. Dies ist von größter Wichtigkeit. Vergessen wir nicht, dass 21 Länder in der Europäischen Union Mitglieder der NATO sind.

 
  
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  Milan Horáček (Verts/ALE). – Herr Präsident! Einer der großartigsten Anti-Kriegsromane ist über „den braven Soldaten Schwejk“ von Jaroslav Hašek! Was die Position von Rat und Kommission bringt, übertrifft aber den Schwejk, es übertrifft auch den Franz Kafka, es übertrifft auch den Vogel Strauß. Diese Vogel-Strauß-Politik können wir nicht machen! Wir müssen das diskutieren auf dem Boden des Europäischen Parlaments, unter uns, aber natürlich auch mit den NATO-Staaten. Wir müssen das diskutieren mit den Tschechen, den Polen und den Russen. Das ist ein Vorgang, der gesamteuropäisch notwendig ist.

 
  
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  Tobias Pflüger (GUE/NGL). – Herr Präsident! Das geplante Raketensystem ist zur Verhinderung der Zweitschlagsfähigkeit da, das ist technisch eindeutig. Das bedeutet, es ist auch ein Angriffssystem. Das sollte bei der Debatte mit berücksichtigt werden. Ob das Raketensystem nun von den USA, oder von der NATO zusammen mit den USA oder wie auch immer aufgebaut wird – es bleibt ein Aufrüstungsprogramm! Der bezeichnende Punkt für mich ist, dass die Europäische Union dazu keine gemeinsame Position findet. Diese Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union macht sich an diesem Punkt völlig lächerlich! Da kann Daniel Cohn-Bendit den Reformvertrag zitieren, solange er lustig ist. Solange so agiert wird, wie das gerade eben passiert, dass man nämlich gar keine Position bezieht, macht man sich einfach nur lächerlich.

Was wir machen müssen, ist klar sagen, dass wir dieses Raketensystem nicht wollen. Hier im Europäischen Parlament gibt es nämlich eine ganz klare Mehrheit, die zu diesem Raketensystem Nein sagt. Außerdem ist auch in den Ländern, z. B. in Tschechien, die Bevölkerung sehr deutlich gegen dieses Raketensystem, und die polnische Regierung vertritt inzwischen ja durchaus eine differenziertere Position als zuvor. Deshalb wäre es mir recht, wenn wir hier einmal eine Entschließung verabschieden, die zu diesem Raketensystem klar Nein sagt.

 
  
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  Jan Zahradil (PPE-DE).(CS) Gestatten Sie mir, dem durch die slowenische Präsidentschaft vertretenen Rat sowie der durch Frau Kommissarin Ferrero-Waldner repräsentierten Kommission dafür zu danken, dass sie sich ziemlich streng an den Wortlaut der europäischen Verträge gehalten haben. Gemäß den Verträgen fallen die betreffenden Problemstellungen ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Einzelstaaten. Selbst im neuen Vertrag von Lissabon wird explizit erklärt, die einzelnen EU-Mitgliedstaaten seien für Fragen der nationalen Sicherheit zuständig.

Meiner Überzeugung nach ist die europäische Sicherheit untrennbar mit der Sicherheit der gesamten euro-atlantischen Region verbunden. Wenn die Europäische Union nicht in der Lage ist, ihre Mitglieder vor neuen Gefahren zu schützen – ob finanzieller oder technologischer Natur –, erhält diese Verbindung grundlegende Bedeutung.

Zu dem hier bereits mehrfach erwähnten Thema der öffentlichen Meinung kann ich nur hinzufügen, dass jene Menschen, die sich auf Meinungsumfragen berufen und ein Referendum fordern, oftmals diejenigen sind, die eine Volksabstimmung über eine andere Frage von grundlegender Bedeutung abgelehnt haben, nämlich den neuen EU-Vertrag.

 
  
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  Oldřich Vlasák (PPE-DE).(CS) Sehr verehrte Damen und Herren! Gestatten Sie mir, alle Argumente zusammenzufassen.

Im Kern geht es bei diesem Problem nicht nur um die Erhöhung der Sicherheit der Tschechischen Republik und Polens, sondern faktisch um die Verbesserung der Sicherheit in ganz Europa. Die Verantwortung für die Verhandlungen über die Stationierung eines solchen Systems trägt der jeweilige Einzelstaat. In anderen Ländern, in Mitgliedstaaten der EU, gibt es vergleichbare Systeme.

Die heutigen Rednerinnen und Redner haben klar die Existenz einer realen Gefahr hervorgehoben. Wir müssen begreifen, dass Entscheidungen in Sicherheitsfragen sehr schnell gefällt werden müssen. Entscheidungen dieser Art können auch ein Element der Prävention enthalten. Nur wenn wir bereit und stark sind, können wir Aggressoren an den Verhandlungstisch und zur Einhaltung von Sicherheitsforderungen zwingen.

Abschließend möchte ich erwähnen, dass ich die Meinung, die tschechische Regierung kommuniziere nicht mit den Bürgern über das System, in keiner Weise teilen kann. Seit Monaten läuft eine entsprechende Informationskampagne.

 
  
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  Miloslav Ransdorf (GUE/NGL).(CS) Ich möchte auf vier Aspekte zum Thema eingehen.

Der erste Punkt bezieht sich auf die im Mai 1997 unterzeichnete Grundakte zwischen der NATO und der Russischen Föderation, in der sich beide Seiten verpflichteten, auf die Anwendung von Gewalt und selbst die Androhung von Gewalt auf dem europäischen Kontinent zu verzichten. Wenn dieses Dokument rechtskräftig ist, schließt es eigentlich die Möglichkeit der Entstehung einer Situation auf unserem Kontinent aus, wie wir sie debattiert haben.

Der zweite Aspekt betrifft den Helsinki-Prozess. Die Unterzeichnerstaaten der Schlussakte verpflichteten sich in Helsinki, die Präsenz militärischer Systeme in Europa zu verringern. Diese Maßnahme könnte den Trend umkehren. Nach meinem Dafürhalten sollte die Anzahl der Militärsysteme auf dem europäischen Kontinent weiter abgebaut werden.

Drittens geht es um die Zahl von Stützpunkten. Die Amerikaner unterhalten Stützpunkte in 18 europäischen Staaten. Zählt man die neuen hinzu, stiege die Gesamtzahl auf 20. Damit bestätigten sich die Worte Zbigniew Brzezińskis, der meinte, die Europäische Union sei de facto ein amerikanisches Protektorat.

Der vierte Aspekt betrifft den Zweck des ganzen Systems. Meiner Ansicht nach ist dieser hinreichend klar: die Gewährleistung flächendeckender Aufklärung und Kontrolle durch Geheimdienste auf dem gesamten europäischen Kontinent.

 
  
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  Urszula Gacek (PPE-DE).(PL) Frau Präsidentin! Premierminister Tusk ist aufgeschlossen für die Argumente seiner europäischen Nachbarn. Polens mögliche Beteiligung an diesem amerikanischen Vorhaben darf nicht zu Missverständnissen innerhalb der Union selbst führen. Die neue polnische Regierung legt Wert auf gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, ist sich aber bewusst, dass Polen vor allem ein Mitglied der europäischen Familie ist.

Polen schenkt auch den Vorbehalten Russlands Beachtung und reagiert trotz des barschen Tons einiger Vertreter der russischen Streitkräfte gelassen. Da die Europäische Union derzeit keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat, wird die endgültige Entscheidung Polens über die Stationierung von Teilen des Raketenabwehrschilds auf seinem Staatsgebiet seine unabhängige Entscheidung sein. Polen erkennt auch andere Meinungen an und nimmt Kritik nicht übel.

Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, unseren Standpunkt zu respektieren, bei dem es in erster Linie darum geht, die Sicherheit unserer eigenen Bürger zu gewährleisten.

(Beifall)

 
  
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  Janez Lenarčič, amtierender Ratspräsident. − (SL) Ich möchte Herrn Cohn-Bendit danken, der daran erinnerte, dass Slowenien gestern als zweiter Mitgliedstaat den neuen Vertrag von Lissabon ratifiziert hat. Der Vertrag ist allerdings noch nicht in Kraft. Bekanntlich steht noch in 24 Ländern die Ratifizierung aus, und der slowenische Vorsitz möchte die Hoffnung äußern, dass die Staaten die Ratifizierung pünktlich abschließen, damit der neue Vertrag von Lissabon zum vorgesehenen Termin in Kraft treten wird.

Ich möchte betonen, dass sich daraus keine gravierenden Änderungen oder etwas Neues für die Prämissen ergeben, die der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zugrunde liegen. Insbesondere ändert sich nichts an der Tatsache, dass diese Politik auf der nationalen Zuständigkeit beruht, die den Mitgliedstaaten im Bereich der nationalen Sicherheit und Verteidigung vorbehalten bleibt.

Die Europäische Union verfügt bereits über eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die auch einen Rahmen für derartige Diskussionen im Rat bietet. Alternativ finden solche Gespräche im Rat statt. Das hängt allerdings weniger von der Präsidentschaft als vielmehr von dem Willen und dem Interesse der Mitgliedstaaten ab. Ich darf Ihnen versichern, dass der Rat über die heutige Aussprache und die in ihr zum Ausdruck gebrachten Standpunkte ausführlich unterrichtet wird.

 
  
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  Der Präsident. − Die Aussprache ist geschlossen.

 
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