Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Erklärung der Kommission zur Durchführung der Entsenderichtlinie nach den Urteilen des Gerichtshofs. Dies ist ein wichtiges Thema, das zu einer Reihe von Missverständnissen und vor allem verschiedenen Gerüchten und Bedenken in einigen unserer Länder geführt hat, und deshalb werden wir diese Aussprache mit großem Interesse verfolgen, insbesondere die Erklärung, die Herr Spidla im Namen der Kommission abgeben wird.
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. − (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! In ihrer Mitteilung von Juni 2007 mit dem Titel „Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen – Vorteile und Potenziale bestmöglich nutzen und dabei den Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten“ verweist die Kommission auf einige Mängel bei der Umsetzung und grenzüberschreitenden Durchsetzung der Entsenderichtlinie.
Wir kamen zu dem Schluss, dass diese Probleme nur dann gelöst werden können, wenn die Mitgliedstaaten ihre Zusammenarbeit intensivieren und wenn sie vor allem ihrer Verpflichtung bezüglich der Verwaltungszusammenarbeit und der Zugänglichkeit von Informationen nachkommen, wie dies in der Richtlinie festgelegt ist.
Die richtige und effektive Durchführung und Umsetzung sind wesentliche Elemente des Schutzes der Rechte von entsandten Arbeitnehmern, während eine ungenügende Umsetzung die Wirksamkeit der auf diesem Gebiet verabschiedeten Richtlinien der Gemeinschaft abschwächt.
Daher nahm die Kommission am 3. April dieses Jahres eine Empfehlung zur besseren Zusammenarbeit an, um Mängel bei der Durchführung, Anwendung und Umsetzung der vorhandenen Richtlinie zu beheben. Im Mittelpunkt der Empfehlung stehen vor allem der bessere Informationsaustausch, die Verbesserung des Zugangs zu Informationen sowie der Austausch von bewährten Verfahren.
Durch eine bessere Verwaltungszusammenarbeit soll ein erhöhter Schutz der Arbeitsbedingungen in der Praxis, eine geringere administrative Belastung der Unternehmen, eine effektivere Überwachung der Erfüllung der Verpflichtungen zur Einhaltung der Arbeitsbedingungen sowie die Gewährleistung wirksamer Kontrollen erreicht werden.
Die Empfehlung sieht außerdem die Einrichtung eines hochrangigen Ausschusses vor, der die Sozialpartner, die mit den Problemen vor Ort ja am besten vertraut sind, unmittelbar einbezieht, und die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsaufsichten legt. Dieser Ausschuss könnte ein geeignetes Forum sein, um eine Vielzahl von Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Entsenderichtlinie zu diskutieren.
Die Kommission ist überzeugt, dass diese Empfehlung die Grundlage für eine intensivere Bekämpfung von Verletzungen der Rechte der Arbeitnehmer sowie von Schwarzarbeit bildet und dass sich dadurch die Arbeitsbedingungen von Wanderarbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union verbessern.
Es ist jetzt Aufgabe der Mitgliedstaaten, die notwendigen Schritte einzuleiten, um die Umsetzung der Entsenderichtlinie zu verbessern. Voraussichtlich wird die Empfehlung auf der kommenden Tagung des Rats für Beschäftigung und Soziales am 9. Juni gebilligt.
Danach beabsichtigt die Kommission, die Umsetzung der Richtlinie vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu bewerten, indem sie eng mit dem Europäischen Parlament bei der Erarbeitung des Initiativberichts zusammenarbeitet.
Die Kommission setzt sich nachdrücklich für die Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der Rechte der Arbeitnehmer ein und wird auch weiterhin alle Formen des Sozialdumpings und der Verletzung der Arbeitnehmerrechte bekämpfen.
Ich möchte betonen, dass zwischen der nachhaltigen Unterstützung der Arbeitnehmerrechte und der Förderung eines wettbewerbsfähigen Binnenmarktes, der es uns möglich macht, das soziale Wohlergehen Europas zu bewahren, kein Widerspruch besteht. Wenn unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft weiter gedeihen sollen, müssen wir sozialen Aspekten und der Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen Vorrang einräumen.
Gunnar Hökmark, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (SV) Herr Präsident! Ich möchte dem Kommissionsmitglied für seine einleitenden Worte danken und begrüße, dass er die Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie deren Verantwortung für die korrekte Umsetzung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern unterstrichen hat.
Ich halte es für angezeigt, in dieser Diskussion zu unterstreichen, dass wir seit 2004 eine schnelle Veränderung auf dem europäischen Arbeitsmarkt zu verzeichnen haben, auf dem sich die Mobilität erhöht hat. Gleichzeitig muss aber auch betont werden, dass sich die verschiedenen Schreckensszenarien, die damals in Bezug auf die Folgen der stärkeren Mobilität verbreitet wurden, als falsch erwiesen haben. Damals war die Rede von Sozialtourismus und einer Unmenge anderer Probleme.
Gegenwärtig sind eine Million Europäer in verschiedene Länder entsandt, und in den Mitgliedstaaten mit der größten Offenheit gab es auch die beste Arbeitsmarkt- und Lohnentwicklung. Die Entsenderichtlinie hat dazu beigetragen, die Bedingungen für die einzelnen Bürger, aber auch für die europäische Wirtschaft und den europäischen Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine Million Menschen!
Das sollten wir uns vor Augen führen, wenn wir über die drei unterschiedlichen Rechtsprechungen diskutieren, denn wenn der Gerichtshof sein Urteil gefällt hat, erkennen wir auch, dass es sich um verschiedene Situationen in unterschiedlichen Fällen handelt. Wichtig ist aber auch, dass es darin keine Aussagen zum Fehlen von Hindernissen für verschiedene Kampfmaßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt. Nichts in den Urteilen steht im Konflikt mit den verschiedenen Tarifverträgen oder anderen Arten der Entgeltfestsetzung. Andererseits wird gefordert, dass die Mitgliedstaaten über ein entsprechendes Recht verfügen und die Gesellschaft Mobilität zulässt und fördert. In diesem Zusammenhang halte ich es auch für wichtig, dass wir jetzt eine bessere Zusammenarbeit entwickeln und die einzelnen Mitgliedstaaten für eine Umsetzung und Auswertung sorgen, damit wir Mobilität mit sozialer Sicherheit und Stabilität für jeden Europäer verbinden können. Wir dürfen die EU nicht für die bestehenden Probleme verantwortlich machen, sondern müssen in den einzelnen Mitgliedstaaten Verantwortung übernehmen und die zunehmende Mobilität sowie den zu erkennenden Wohlstand als durch die Entsenderichtlinie geschaffene Möglichkeiten begrüßen.
Anne Van Lancker, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Mein Dank gilt dem Kommissar für die Empfehlung zur Verbesserung der Verwaltungszusammenarbeit und der Möglichkeiten für die Arbeitsaufsicht. Aber, Herr Kommissar, Sie sind sich doch der Tatsache bewusst, dass unsere Freude darüber durch die Urteile Raval und Rüffert zunichte gemacht wird? Diese haben nämlich für große Aufregung gesorgt, nicht nur in der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, sondern auch bei den Gewerkschaften außerhalb des Parlaments und in den Ländern, die derzeit den Vertrag von Lissabon ratifizieren.
Lange waren wir der Meinung, die Entsenderichtlinie sei eine ausgezeichnete Richtlinie mit einem klaren Grundsatz. Da wir nicht für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen in ganz Europa sorgen können, ist es nicht unangemessen, dass die Arbeitnehmer, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, auf Gleichbehandlung an ihrem Arbeitsort vertrauen können. Es ist richtig, dass die Entsenderichtlinie kein umfassendes Beschäftigungsstaatsprinzip anwendet, sondern lediglich einige verbindliche Bedingungen auferlegt. Gleichwohl gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten den Spielraum, großzügigere Bestimmungen für den Schutz der Arbeitnehmer in Übereinstimmung mit den eigenen sozialen Traditionen und entsprechend den Tarifabkommen oder allgemeinverbindlichen Tarifverträgen festzulegen.
Die Urteile entziehen nunmehr der Gleichbehandlung die Grundlage. Der in der Richtlinie vorgesehene Mindestschutz wird allmählich zum Maximalschutz. Schon lange liegt das Problem nicht mehr in der mangelhaften Umsetzung in einigen Mitgliedstaaten. Allerdings wächst in uns das Bewusstsein, dass der Grundsatz, auf dem die Richtlinie beruht, falsch ist, der da lautet: Die Arbeitnehmer sollten geschützt werden, aber in Maßen. Soziale Rechte auf Verhandlungen und Streiks existieren zwar, aber nur, solange sie den freien Dienstleistungsverkehr nicht beeinträchtigen. Damit soll kein ausländerfeindlicher Ton angeschlagen werden. Im Gegenteil, ausländische Arbeitnehmer sind mehr als willkommen. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer stellt im Übrigen Gleichbehandlung vom ersten Tage an sicher, und eben das streben wir auch beim freien Dienstleistungsverkehr an.
Meine Fraktion fordert daher eine Überarbeitung der Entsenderichtlinie aus drei Gründen. Erstens, zur Gewährleistung der Gleichbehandlung in- und ausländischer Arbeitnehmer. Zweitens, zur vollständigen Anerkennung der nationalen Systeme des sozialen Dialogs. Und drittens, zur Sicherung der sozialen Grundrechte aller. Wir zählen auf Ihre Unterstützung, Herr Kommissar.
Anne E. Jensen, im Namen der ALDE-Fraktion. – (DA) Herr Präsident! Ich möchte dem Herrn Kommissar für seine Erklärung danken. In letzter Zeit gab es viele heftige Reaktionen auf zahlreiche Urteile des Gerichtshofs. Einige Beobachter sind unter anderem aufgrund des Urteils in der Rechtssache Laval der Meinung, dass der Lissabon-Vertrag geändert werden und der Gerichtshof Zurückhaltung üben sollte. Nach meinem Dafürhalten wird damit ein vernünftiges Maß überschritten und bestimmte Seiten wollen der ganzen Sache Hindernisse in den Weg stellen und die Leute glauben machen, der Vertrag von Lissabon stelle ein Problem für die Rechtssicherheit der Arbeitnehmer dar. Im Gegenteil, der Vertrag von Lissabon bedeutet mehr Rechte für die Arbeitnehmer.
Andere Beobachter wie Frau Van Lancker meinen, die Entsenderichtlinie sollte geändert werden. Wiederum würde ich Nein sagen. Ich glaube nicht, dass das überhaupt notwendig ist. Wie der Herr Kommissar vorschlug, sollten wir meiner Meinung nach zuerst einmal gründlich untersuchen, wie die Entsenderichtlinie in der Praxis umgesetzt wird und die Möglichkeiten des Schutzes vor Sozialdumping im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften prüfen.
Meines Erachtens sollten wir erst einmal die Reaktion der Mitgliedsstaaten abwarten. In diesem Zusammenhang denke ich vor allem an die Rechtssache Laval. Ein endgültiges Urteil wurde im Fall Laval in Schweden noch nicht gefällt, und bei diesem Urteil spielen viele Aspekte eine Rolle – zum einen die offensichtliche Diskriminierung ausländischer Unternehmen, was wir nicht unterstützen können, und zum anderen die ungenauen Informationen, die dem Unternehmen gegeben werden. In Dänemark hat die Regierung eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der Sozialexperten angehören – sowohl Rechtsexperten als auch die Sozialpartner –, die einschätzen soll, inwieweit das jüngste Urteil dem dänischen Modell entspricht, das auf Vereinbarungen basiert und nur in sehr geringem Maße von Rechtsvorschriften bestimmt wird. Meiner Meinung nach wäre es hilfreich, das Ergebnis der Arbeit dieses Ausschusses abzuwarten, der schnell arbeitet und seine Arbeit im Juni abgeschlossen haben wird.
Wie so oft in der Politik steckt der Teufel im Detail, und deshalb ist es wichtig, dass wir an diese Fragen objektiv herangehen. Wir hatten hier im Parlament erst vor anderthalb Jahren eine gründliche Aussprache über die Entsendungsrichtlinie und es gab einen Konsultationsprozess mit den Sozialpartnern. Jeder sagte, die Richtlinie sei gut, jedoch in der Praxis schwer umzusetzen. Die Arbeitnehmer kennen ihre Rechte nicht und die Arbeitgeber wissen nicht gut genug über ihre Verpflichtungen Bescheid. Daraus ziehen wir den Schluss, dass bessere Informationen und mehr Zusammenarbeit erforderlich sind, und das schlagen Sie, Herr Kommissar, jetzt ja auch vor. Wir haben beispielsweise auch vorgeschlagen, die Agentur in Dublin, die sowohl die Regierungen als auch die Sozialpartner vertritt, zu nutzen, um auf diesem Gebiet nachahmenswerte Methoden zu entwickeln. Mich würde sehr interessieren, was auf diesem Gebiet geschieht. Ich kann die Angst vor Sozialdumping durchaus verstehen, bin allerdings der Ansicht, dass wir an diese Frage klug herangehen müssen. Es würde lange dauern, wenn die Entsenderichtlinie abgeändert werden müsste, und daher ist es wichtig, alle Möglichkeiten zu untersuchen, wie die Grundlage für flexible Arbeitsmärkte, wie der dänische Arbeitsmarkt einer ist, im Rahmen der geltenden Regelungen geschaffen werden kann. Es gilt, Sorge dafür zu tragen, wirklich flexible Arbeitsmärkte zu erreichen.
Das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen wird durch das Urteil nicht gefährdet, doch wir brauchen Ausgewogenheit im Hinblick auf Konfliktsituationen. Meiner Meinung nach muss unterstrichen werden, dass die Rechte der Arbeitnehmer durch den Vertrag von Lissabon gestärkt werden und dass Sozialpartner und Regierungen über Grenzen hinweg zusammenarbeiten müssen, damit die Rechtsvorschriften verbessert werden und reibungslos funktionieren. Nur so kommen wir voran!
Roberts Zīle, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Herr Präsident, Herr Kommissar! Vielen Dank. Das Urteil in dieser Sache gibt wirklich Anlass zu der Hoffnung, dass der Europäische Gerichtshof die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union tatsächlich versteht. Im vorliegenden Fall, in dem es darum ging, ein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat daran zu hindern, Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt der EU zu erbringen, greift der auch in diesem Parlament so populäre Begriff des „Sozialdumping“ nicht. Ich möchte im Rahmen dieser Aussprache einen politischen Aspekt herausgreifen: EU-Mitgliedstaaten, darunter vor allem Länder wie Schweden, haben in den letzten Jahren in den baltischen Staaten enorme Profite mit ihren „aggressiven“ Finanzdienstleistungen eingefahren, bei denen es insbesondere um Kredite für Immobilien ging. Wir haben diesen Kapitalfluss nie behindert, auch nicht, als die Profite außerordentlich hoch waren und teilweise durch einen Export des Sozialdumpings erzielt wurden – und zwar erhielten die in diesen Banken beschäftigten Letten keine annähernd so hohen Gehälter wie deren schwedische Kollegen in Schweden. In der derzeitigen Finanzkrise müssen viele lettische Familien für einen langen Zeitraum einen sehr hohen Preis für das geliehene Geld zahlen, aber unsere Bürger und unsere Unternehmen können am EU-Markt nicht mithalten und sind folglich nicht in der Lage, diese Schulden abzubezahlen. In der Folge werden schließlich schwedische Pensionsfonds und andere Anteilseigner der Banken selbst Verluste erleiden. Meine Damen und Herren, wir sitzen alle im selben europäischen Boot: Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Grundfreiheiten Europas echte Freiheiten sind, denn davon werden wir alle profitieren. Vielen Dank.
Elisabeth Schroedter, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Gerichtsurteile betreffen Fälle, in denen die Gewerkschaften international anerkannte Kollektivmaßnahmen ergriffen haben, um gegen Sozialdumping vorzugehen. In allen drei Urteilen wurde vom Europäischen Gerichtshof anerkannt, dass es sich bei diesen Maßnahmen um ein legitimes Recht der Gewerkschaften handelt. Jedoch wurde dieses Recht vom Gerichtshof in Bezug auf den Binnenmarkt in Frage gestellt.
In den Fällen Laval und Rüffert wurde gesetzliche Mindestnorm als einzige im Binnenmarkt geltende Höchstnorm interpretiert. Damit interpretierte der Europäische Gerichtshof die Entsenderichtlinie in eine ganz bestimmte Richtung. Das hat der Gesetzgeber jedoch nicht so beabsichtigt. In der Erwägung der Richtlinie ist sowohl der freie Dienstleistungsverkehr im fairen Wettbewerb zu fördern, wie auch die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu garantieren sind. Zudem enthält die Entsenderichtlinie eine Meistbegünstigungsklausel für Arbeitnehmer, und die wurde in den Gerichtsurteilen nicht berücksichtigt.
Der Gerichtshof schafft jetzt eine Situation in der Europäischen Union, in der die Entsenderichtlinie von einer Minimalrichtlinie zu einer Maximalrichtlinie erklärt wird und in der es legitim ist, sich über Sozialdumping einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Internationales soziales Recht soll jetzt den Belastungen für Unternehmen im freien Binnenmarkt untergeordnet werden. Mag sein, dass ich damit die Gerichtsurteile kritisiere. Aber eine Union ohne gleichwertige Elemente des sozialen Europas, wie Tarifvereinbarungen, Kollektivmaßnahmen und Kampf gegen Sozialdumping ist zum Scheitern verurteilt und wird die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bekommen. Deswegen ist unsere grüne Antwort an dieser Stelle: Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Platz“ muss im Binnenmarkt gegenüber den Freiheitskriterien eine gleichwertige Stellung haben!
Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Kommissar! Zunächst möchte ich zu Protokoll geben, dass meine Kollegen von der Konferenz der Präsidenten, die gegen meinen Willen beschlossen hatten, eine Aussprache zu später Stunde anzuberaumen, heute Abend alle abwesend sind. Müssten wir hier nun keine Nachtsitzung veranstalten, wäre ich erfreut, endlich eine Diskussion über diese ernste Angelegenheit, die Anerkennung von Sozialdumping durch den Gerichtshof, angestoßen zu haben, eine Angelegenheit, die Sie, Herr Kommissar, mit bemerkenswerter Nonchalance in gerade einmal 20 Sekunden abgehandelt haben.
Lassen Sie mich also die drei Etappen dieser neuen Dimension des Gemeinschaftsrechts kurz darlegen. 11. Dezember 2007: Der Gerichtshof wies die Klage einer Gewerkschaft ab, die gefordert hatte, der finnischen Reederei Viking Line das Umflaggen eines ihrer Fährschiffe auf Estland zwecks Senkung der Löhne zu untersagen. 18. Dezember 2007: Der Gerichtshof fällte erneut ein Urteil gegen Gewerkschaften, diesmal in Vaxholm, Schweden, wegen Blockierung der Baustelle einer lettischen Firma, die sich weigerte, den schwedischen Flächentarif einzuhalten. 3. April 2008: Der Gerichtshof befand, dass das Land Niedersachsen in Deutschland Bauunternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge keine Tariflöhne vorschreiben darf. Der Gerichtshof gab damit einem polnischen Subunternehmer einer deutschen Firma Recht, der seinen Arbeitern weniger als die Hälfte des geltenden Mindestlohns zahlte. Es handelt sich um das Rüffert-Urteil.
In allen drei Fällen wurde vom Gerichtshof zur Begründung seiner Entscheidung, durch die Lohndumping gefördert wird, als Hauptargument angeführt, das Gemeinschaftsrecht untersage jede Maßnahme, die – nota bene – die Bedingungen für ein Unternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat „weniger attraktiv machen“ könnte, da dies – und ich zitiere – eine „Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit“ oder der Niederlassungsfreiheit, die zu den vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten gehörten, darstelle. Das ist ganz einfach inakzeptabel. Wo bleibt der soziale Aspekt dieser liberalen Argumentation?
In der Tat, jeder soziale Fortschritt eines Landes wird einen Markt für die Konkurrenzunternehmen in gewisser Weise weniger attraktiv machen – um den Ausdruck des Gerichtshofs zu gebrauchen. Ich möchte hinzufügen, dass in allen drei Fällen die berühmte Entsenderichtlinie den betroffenen Arbeitnehmern nicht den geringsten Schutz geboten hat. Im Übrigen erklärte der Gerichtshof, dass – und ich zitiere – die „Richtlinie insbesondere auf die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit abzielt“. Vom Schutz der Arbeitnehmer war nicht die Rede.
In allen drei Fällen schließlich war der Gerichtshof im Lichte bestimmter Vertragsartikel und nicht nur der Richtlinie zu seiner Entscheidung gelangt. Es handelte sich um Artikel 43 im ersten Fall und um Artikel 49 in den beiden anderen Fällen; beide Artikel sind im Entwurf des Lissabon-Vertrags, dessen Ratifizierungsprozess gegenwärtig im Gange ist, wortwörtlich wiedergegeben.
Meine Schlussfolgerung steht mithin fest. Zur Lösung des durch diese Urteile aufgeworfenen Problems genügt es nicht, eine Richtlinie zu ändern. Will man den Vorrang der sozialen Rechte vor dem Freihandel wiederherstellen, muss eine Überarbeitung der Verträge gefordert werden, insbesondere der Artikel, auf die sich der Gerichtshof zur Begründung seiner jüngsten Entscheidungen stützt. Dies ist zwar schwierig, aber nach meinem Dafürhalten notwendig, denn andernfalls ist eine echte Legitimitätskrise des gegenwärtigen europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells zu erwarten.
Kathy Sinnott, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Im jüngsten Fall Rüffert zahlte eine polnische Firma 53 Beschäftigten lediglich 46 % des für dieses Gewerbe in Deutschland vereinbarten Tariflohnes. Gegen den polnischen Unternehmer wurde strafrechtlich vorgegangen; er klagte dagegen, und der EuGH entschied unlängst zugunsten des polnischen Subunternehmers.
Vor nicht allzu langer Zeit sagte Herr John Monks, der Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes, auf einer Anhörung vor dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten im Zusammenhang mit einem früheren Fall – dem Fall Laval – und als Warnung vor künftigen Fällen: „Uns wird also an die Hand gegeben, dass das Streikrecht ein Grundrecht ist, das nicht so grundlegend ist wie die EU-Bestimmungen zur Freizügigkeit.“
Die Gewerkschaftsbewegung ist angesichts solcher Urteile machtlos. Die Dienstleistungsrichtlinie und die Entsenderichtlinie stellen eine direkte Bedrohung für alles dar, was im Bereich der Arbeitnehmerrechte in den letzten 30 Jahren erreicht wurde.
Es gibt drei Fälle – Laval, Viking und jetzt Rüffert –, in denen sich eine Rechtsauslegung herausbildet, die Verträge bedeutungslos, Gewerkschaften machtlos und Lohngerechtigkeit zu einer Worthülse werden lässt. Wie Herr Monks in der Anhörung zum Fall Laval feststellte, brauchen wir ein schützendes Protokoll im Lissabon-Vertrag, andernfalls sehen wir uns künftig einem Sozialdumping gegenüber.
Philip Bushill-Matthews (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident! Ich glaube, die Kommission veröffentlichte erstmals 2006 eine Anleitung zur Umsetzung der Entsenderichtlinie, die die sozialistische Fraktion seinerzeit veranlasste, sich im Parlament an die Spitze jener zu stellen, die eine Verschärfung der Richtlinie forderten. Die Kommission war damals nicht der Ansicht, dass das notwendig sei, und ist es auch heute nicht, und ich gebe hiermit zu Protokoll, dass ich ihr zustimme.
Die Probleme resultieren, wie die Kommission eindeutig dargelegt hat, aus Schwächen in der einzelstaatlichen Umsetzung, der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und Mängeln im Informationsfluss. Eine Verschärfung der EU-Gesetzgebung würde diese Schwächen nicht beheben. Im Gegenteil, ihre Überwindung würde damit nur noch erschwert werden.
Abschließend möchte ich feststellen, dass sich der Kommissar unmissverständlich zum Schutz der Arbeitnehmerrechte und zum Kampf gegen das Sozialdumping bekannt hat. Dem sollten sich alle Seiten dieses Hohen Hauses anschließen, aber wir sollten uns auch darin einig sein, dass es ein weiteres Recht zu schützen gilt, und zwar das Recht aller Arbeitnehmer auf Mobilität, darauf, in ein anderes Land entsandt zu werden und grenzübergreifend Leistungen zu erbringen.
Das Recht auf Sozialschutz muss Hand in Hand gehen mit dem Recht, Leistungen zu erbringen. Das muss kein Gegensatz sein. Natürlich besteht die größte Herausforderung darin, das richtige Maß zu finden. Doch diese Herausforderung ist durch die Mitgliedstaaten zu bewältigen und nicht dadurch, dass die EU strengere Gesetze vorschlägt. Meines Erachtens hat der Kommissar die Richtung gewiesen, und ich bitte ihn, sich mir anzuschließen, wenn ich sage, dass unsere Aufgabe als Europaabgeordnete darin besteht, unsere Länder davon zu überzeugen, dass sie diese Richtung einschlagen.
Jan Andersson (PSE). – (SV) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich begrüße die Empfehlung, und noch mehr freut mich die Tatsache, dass das Kommissionsmitglied Sozialdumping bekämpfen will und Herr Barroso und Herr Špidla erklärt haben, das Streikrecht würde die Freizügigkeit nicht untergraben. Ihr Vorschlag geht jedoch nicht weit genug, denn er ist nicht ausreichend, um Sozialdumping zu verhindern.
Lassen Sie uns zunächst schauen, was der Gerichtshof in der Rechtssache Rüffert sowie in der Rechtssache Laval erklärt hat. Dort wurde festgestellt, dass der Mindestlohn im Herkunftsland gilt, das heißt ein polnischer Arbeiter soll auf dem gleichen Arbeitsplatz wie ein deutscher für 46 % des Lohnes arbeiten, den der deutsche Arbeiter dafür erhält. Wenn Sie gesagt hätten, Frauen sollten für 46 % des Lohnes von Männern arbeiten, würden wir das als Diskriminierung bezeichnen. In diesem Fall handelt es sich um eine Diskriminierung polnischer Arbeiter, die nicht den gleichen Lohn wie deutsche Arbeitnehmer erhalten. Das ist inakzeptabel.
Zweitens werden unterschiedliche Sozialmodelle nicht in gleicher Weise bewertet. In der Rechtssache Rüffert wird auf den allgemeinen Tarifvertrag verwiesen und nicht auf das in Niedersachsen gewählte Modell. Ebenso wird in der Rechtssache Laval vorgegangen. Bestimmte Arbeitsmarktmodelle erhalten also Vorrang vor anderen. Auch das ist unannehmbar.
Drittens wird gesagt, das Streikrecht sei ein Grundrecht, aber wenn es dann gegen die Freizügigkeit gewogen wird, wiegt es nicht besonders schwer, um nicht zu sagen überhaupt nichts. Stattdessen wird der Freizügigkeit der Vorrang eingeräumt.
Einige Redner meinten: „Ja, aber wir brauchen Freizügigkeit”. Natürlich brauchen wir Freizügigkeit, aber wie fördern wir diese, wenn wir gleichzeitig die Bedingungen in den Ländern unterlaufen? Glauben Sie, dass die Bevölkerung dieser Länder sagen wird: „Wir begrüßen Leute aus dem Ausland“? Nein, sie werden eine Schließung der Grenzen fordern. Ich bin für offene Grenzen zwischen den neuen und den alten Mitgliedstaaten, aber ich bin auch für gleiche Bedingungen für gleiche Arbeit, und auch das muss grundlegend sein. Aus diesem Grunde muss die Kommission wirksamere Maßnahmen in Bezug auf Änderungen der Entsenderichtlinie ergreifen.
Pierre Jonckheer (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich teile weitgehend die Ansicht meiner Kollegin, Frau Lancker, und meines Kollegen, Herrn Wurtz. Letztendlich stellt sich die Frage: wie viel zusätzliche arme Arbeiter und Arbeiterinnen wollen wir denn in der Europäischen Union noch haben? Das ist die Kernfrage.
Ohne auf die Urteile des Gerichtshofs zurückzukommen, stelle ich fest, dass wir an einen Punkt gelangt sind, an dem die Entsenderichtlinie gegen nationale oder regionale Bestimmungen verwendet wird, durch die für sämtliche Arbeitnehmer „gleiche Rahmenbedingungen“, für alle Arbeitnehmer ein Mindestentgelt gewährleistet werden sollen.
Mithin haben wir eine Situation erreicht, in der diese Richtlinie die Territorialität des Rechts auf Arbeit aushebelt. Die Mobilität der Arbeitnehmer kann bei gleichzeitiger Gewährleistung der Territorialität des Rechts auf Arbeit sichergestellt werden, und das steht zur Debatte. Lassen wir die Entsenderichtlinie einen Moment aus dem Spiel, und lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes damit zusammenhängendes Thema lenken, auf die bei der Kommission eingereichte Beschwerde des Unternehmens TNT nach dem Urteil eines Berliner Verwaltungsgerichts, demzufolge die deutsche Regierung durch das Vorschreiben eines Mindestlohns in der Postbranche die wirtschaftlichen Auswirkungen des Mindestlohns – die Rede ist von einem Mindestlohn von 9,80 Euro pro Stunde – auf die Wettbewerber nicht berücksichtigt habe. Wir finden uns erneut in einer Situation, da der Mindestlohn, der in die einzelstaatliche Zuständigkeit fällt, in Wirklichkeit den Wettbewerb hemmt. Das ist die Auslegung durch TNT.
Die Kommission prüft gegenwärtig diese Beschwerde. Sollten Sie oder Ihre Kollegen und das Kollegium in dieser Angelegenheit TNT Recht geben, so werden Sie, Herr Špidla, meines Erachtens in diesem Fall und in anderen Fällen Ihre ganze Glaubwürdigkeit verlieren, und es wird mehr notwendig sein als eine Empfehlung der Kommission für einen besseren Informationsaustausch und eine besser funktionierende Verwaltungszusammenarbeit der Mitgliedstaaten, um die Würde der Arbeitnehmer in der Europäischen Union wirklich zu garantieren.
Eva-Britt Svensson (GUE/NGL). – (SV) Herr Präsident! Es ist Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs, auf der Grundlage der Verträge Recht zu sprechen. Also müssen die Verträge geändert werden, um die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren. Aus den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Laval, Viking Line und Rüffert muss die Schlussfolgerung gezogen werden, dass der Vertrag von Lissabon von den Arbeitnehmern Europas so lange nicht befürwortet werden kann, bis darin eine Klausel über die Rechte der Arbeitnehmer aufgenommen wird – das Recht zur Verteidigung von Tarifverträgen, das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen zur Verbesserung von Löhnen und Anstellungsbedingungen.
Die Forderung nach Entgelten, die über die Mindestlöhne hinausgehen, stellt nach Ansicht des Gerichtshofes ein Handelshindernis dar, und die Gewerkschaften werden Lohndumping nicht verhindern können. Auf meine Frage zu den Rechten der Gewerkschaften hat Kommissar McCreevy mir am 17. April dieses Jahres Folgendes schriftlich geantwortet: „Die Gewerkschaften können auch in Zukunft kollektive Maßnahmen ergreifen, vorausgesetzt, diese sind durch legitime Ziele begründet, die mit dem EG-Recht vereinbar sind.“ Deutlicher kann man es nicht sagen. Das EG-Recht muss also verändert werden. Freizügigkeit ja, aber ohne Diskriminierung von Arbeitnehmern anderer Länder.
Hélène Goudin (IND/DEM). – (SV) Herr Präsident! Der Europäische Gerichtshof hat den Mitgliedstaaten immer wieder klargemacht, dass sie sich in grundlegenden Politikbereichen wie Gesundheitspolitik, Glücksspielpolitik, Alkoholwerbung und – erst kürzlich – Arbeitsmarktpolitik nicht als selbstständig betrachten können. Dies wird auch als juristischer Aktivismus bezeichnet und muss als direkte Bedrohung der Demokratie und des Subsidiaritätsprinzips angesehen werden. Aufgrund dieser arroganten Haltung gegenüber den demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten ist der Europäische Gerichtshof praktisch ein selbst ernannter Machthaber in Europa.
Das Urteil in der Rechtssache Laval bedeutet, dass schwedische und ausländische Unternehmen auf schwedischem Hoheitsgebiet unter völlig unterschiedlichen Bedingungen arbeiten werden. Das ist völlig inakzeptabel. Ich appelliere an die Abgeordneten, sich das nächste Mal genau zu überlegen, ob sie einer nicht gewählten EU-Institution mehr Macht gewähren. Jetzt scheint es, als würden wir letztendlich doch noch aufwachen.
Jacek Protasiewicz (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern ist einer der Grundpfeiler, auf dem die praktische Umsetzung einer der vier Grundfreiheiten der Gemeinschaft – der europäischen Freiheiten – basiert und die seit jeher fester Bestandteil der Verträge und der Europäischen Gemeinschaft ist.
Artikel 49 des Vertrags ist eine der am klarsten formulierten Vorschriften zur Regelung der inneren Angelegenheiten der Europäischen Union, und darin heißt es eindeutig, dass Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, verboten sind. Verwunderlich sind deswegen die anhaltenden Praktiken vieler Mitgliedstaaten, die darauf abzielen, diese im Vertrag garantierte Freiheit behördlich zu beschränken.
Seitdem ich hier in dieses Parlament gewählt wurde, kamen zahlreiche Unternehmer überwiegend aus den neuen, 2004 der EU beigetretenen, Mitgliedstaaten auf mich zu und beschwerten sich über die Praktiken regionaler und lokaler Behörden, die diesen Unternehmern willkürlich zusätzliche Auflagen aufbürden, die nicht im Geringsten durch irgendeine EU-Rechtsverordnung begründet sind. Diese Angelegenheit habe ich schon so manches Mal an dieser Stelle angesprochen und von der Europäischen Kommission eine eindeutige Stellungnahme zum EU-Recht und damit auch zum Schutz der Dienstleistungsfreiheit gefordert.
Ich bin erfreut, dass meine Bemühungen vom Europäischen Gerichtshof durch dessen Entscheidung, über die wir heute diskutieren, so eindeutig bestätigt wurden. Ich bin überzeugt, dass es uns angesichts der jüngsten Urteile des Gerichtshofs gelingt – uns als Parlament gemeinsam mit der Europäischen Kommission –, eine Formel für die Organisation des Binnendienstleistungsmarktes zu schaffen, mit der die Grundrechte von Arbeitnehmern gesichert werden können, wobei die Sicherung dieser Rechte – dieser grundlegenden Rechte – den Unternehmern in der EU aber keine zusätzlichen Hindernisse auferlegt, die deren Tätigkeit beschränkt und die laut Definition – wie es in den Entscheidungen des Gerichtshofes heißt – im Widerspruch zum europäischen Recht stehen.
Der freie Dienstleistungsmarkt und die Arbeitnehmerfreizügigkeit sollten gefördert und nicht bekämpft werden. Das sind die Aufgaben des 21. Jahrhunderts.
Magda Kósáné Kovács (PSE). – (HU) Vielen Dank. Herr Präsident, Herr Kommissar! Nach mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofes ist die Entsenderichtlinie (96/71/EG) in der Union in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Der Gerichtshof hat entschieden. Was er im Einzelnen gesagt hat, darüber könnte man diskutieren, aber es wäre die Mühe nicht wert, da das Urteil Gültigkeit behält. Außerdem hat der Gerichtshof keine Wertestaffelung abgegeben.
Wir erleben nun, dass diese Urteile im Parlament einander ausschließende Stellungnahmen auslösen, aber es ist gut, dass die Kommission überlegt hat, was zu tun ist, und die Mitgliedstaaten befragt hat. Das ist umso wichtiger, da nun versucht wird, die Gemüter zu beruhigen. Es trifft zu, dass ein früheres Versäumnis der Kommission leider zu der aufgeheizten Atmosphäre beigetragen hat: Die Umsetzung der Entsenderichtlinie in nationales Recht war immer noch nicht durchdacht worden, obwohl das Europäische Parlament dies vor zwei Jahren in einer Entschließung nachdrücklich gefordert hatte. Es gibt also keine Antwort auf die Frage, ob die Maßnahmen von Mitgliedstaaten zum Schutz von Arbeitnehmern mit der Entsenderichtlinie übereinstimmen oder nicht. Somit können wir auch nicht feststellen, ob die Entsenderichtlinie tatsächlich gut funktioniert oder angesichts der Gesetze des Dienstleistungsmarktes ergänzt werden muss. Es können keine Lehren aus der Umsetzung gezogen werden, allenfalls gibt es heftig aufeinander prallende Aussagen. Wir fragen uns, ob diese unsichere Situation Populismus und Demagogie den Boden bereitet und ob wir nicht mit zufälligen gesetzlichen Mängeln ein politisches Problem schaffen. Womöglich haben wir politische Spannungen ausgelöst, wobei es eigentlich nur um eine sachliche Verordnung geht.
Meine Damen und Herren, die Dienstleistungsfreiheit funktioniert, mit sehr wenigen Ausnahmen, wie in der Gesetzgebung vorgesehen. Andererseits sind besondere Maßnahmen erforderlich, um das Gesetz wieder gutzumachen. Wir hoffen auf diese konkreten Schritte der Kommission, da ja der Gerichtshof keine umfassende Würdigung des juristischen Materials vornehmen kann. Das ist Sache der Kommission. Und ihre Aufgabe ist es auch, gegebenenfalls bei Rechtsverletzungen Verfahren einzuleiten. Das könnte die Worte von Herrn Špidla unterstreichen, der betont hat, dass wir gleichzeitig und gemeinsam, im Interesse der Rechtsansprüche der Arbeitnehmer und im Interesse des sozialen Marktes, handeln müssen. Vielen Dank.
Gabriele Zimmer (GUE/NGL). – Herr Präsident, Herr Kommissar Špidla! Ich widerspreche Ihnen darin, dass es keinen Widerspruch zwischen einem starken Sozialschutz der Beschäftigten und einem starken Binnenmarkt gäbe. Ein EU-Binnenmarkt, der sich der Logik der globalen Konkurrenz unterwirft, ist letztendlich die Inkarnation eines solchen Widerspruchs. Ich stimme Ihnen allerdings zu, dass Mitgliedstaaten für die Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht Verantwortung tragen, zumindest im Fall Rüffert können die Regierenden in Berlin und in Niedersachsen nicht einfach mit dem Finger auf den Europäischen Gerichtshof zeigen.
Diese haben es versäumt, Tarifrecht allgemein verbindlich zu erklären bzw. gesetzliche Mindestlöhne einzufordern. Ich fordere von Ihnen, Herr Kommissar, dass Sie Ihrer Verantwortung nachkommen und den notwendigen Korrekturbedarf der EU-Rechtsgrundlagen offen einfordern. Das betrifft z. B. Artikel 50 und Artikel 56 der konsolidierten Fassung des Lissabonner Vertrags vom 15. April, die Nachschärfung der Entsenderichtlinie, die Gewährung des Streikrechts, auch des grenzüberschreitenden Streikrechts. Ich verweise auch darauf, dass die Klärung von politischen Problemen nicht einfach dem EuGH überlassen bleiben darf, sondern dass hier sowohl die Institutionen der Europäischen Union – Rat, Kommission, Europäisches Parlament – als auch die Nationalstaaten mit ihrer Gesetzgebung dafür Verantwortung tragen.
Elmar Brok (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, Kolleginnen und Kollegen! Der Vertrag von Lissabon wird für die Arbeitnehmer eine erhebliche Verbesserung bedeuten – Herr Wurtz, da muss ich Ihnen widersprechen. Deswegen müssen wir ihn annehmen, denn die Sozialpolitik wird eine Querschnittsaufgabe. Alles muss in Zukunft unter sozialpolitischen Gesichtspunkten gesetzgeberisch überprüft werden, und die Definition der sozialen Marktwirtschaft, wie sie im Vertrag vorgesehen ist, ist ein erheblicher Fortschritt.
Wir brauchen Wettbewerbsfähigkeit, wir brauchen mehr Produktivität – und dies muss sicherlich eine Überschrift in einer globalen Ordnung sein –, aber in allen drei Fällen stellen wir fest, dass es hier nicht um einen Wettbewerb in einer globalen Ordnung geht, sondern darum, ob in bestimmten Bereichen innerhalb der Europäischen Union zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rahmen eines gemeinsamen Binnenmarktes Arbeit geleistet wurde.
Wir dürfen nicht zu der Situation kommen, dass hier globale Ordnung benutzt wird, um Arbeitnehmer aus verschiedenen Mitgliedstaaten unter dem Gesichtspunkt der internationalen Wettbewerbfähigkeit aufeinander zu hetzen. Wenn die Solidarität der Arbeitnehmer zerstört wird, wird auch die Europäische Union, wird der Zusammenhalt unserer Gesellschaften zerstört.
Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass wir jetzt nicht Gerichtsschelte machen, sondern deutlich machen, dass wir die Gesetzgebung überprüfen müssen. Die Entsenderichtlinie stammt vom Anfang der 90er-Jahre. Sie trifft heute nicht mehr zu! Wir müssen überprüfen, was daran falsch ist. Ich weiß es nicht im Einzelnen. Die Tarifpartner müssen prüfen, dass sie ihre Tarifverträge binnenmarktkonform abschließen. Die nationale Gesetzgebung muss daran angepasst werden. Dies alles müssen wir überprüfen. Gleichzeitig darf dies nicht zu Abschottung und Protektionismus führen, weil die Mobilität gewährleistet sein sollte.
Wenn wir die vier Grundfreiheiten ansprechen, sind das die vier Grundfreiheiten des Marktes. Aber meine Definition von sozialer Marktwirtschaft bedeutet, dass Markt nur innerhalb eines Rahmens, den der Gesetzgeber vorgibt, stattfinden kann, damit wir eine gerechte Verteilung der Wohltaten dieser Wirtschaftsordnung haben und sie nicht allein dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Wenn dies geschieht, frisst sich nämlich der Markt selbst auf. Deswegen brauchen wird eine solche Rahmenbedingung einer sozialen Marktwirtschaft.
Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss, ein Zitat vorzulesen. „Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das freie Spiel der Kräfte“ – und dergleichen Phrasen –, „sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit oben anstellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Ertrag zugute kommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung“. Dies ist ein Zitat von Ludwig Erhard, dem man sicherlich nicht nachsagen kann, dass er gegen eine Marktwirtschaft war.
Stephen Hughes (PSE). – (EN) Herr Präsident! Ich möchte eingangs feststellen, dass ich ganz Herrn Broks Meinung teile und ganz und gar nicht Herrn Bushill-Matthews Meinung, aber dazu komme ich gleich. Ich möchte dem Kommissar für die am 3. April beschlossene Empfehlung danken. Sie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Meines Erachtens sind ein effektiverer Informationsaustausch und Zugang zu Informationen sowie der Austausch von bewährten Praktiken auf jeden Fall hilfreich, aber es war einiger dieser merkwürdigen Zufälle, dass die Empfehlung am gleichen Tag verabschiedet wurde, an dem das Urteil im Fall Rüffert erging. Ich denke, gerade die Fälle Laval und Rüffert machen es notwendig, dass wir jetzt viel weiter gehen, als es in der Empfehlung vorgesehen ist.
Aufgrund dieser Fälle ist es gegebenenfalls möglich, die wirtschaftlichen Freiheiten so zu interpretieren, dass Unternehmen das Recht haben, nationale, soziale und arbeitsrechtliche Regelungen und Praktiken zu ignorieren oder zu umgehen. Es hat den Anschein, als böten lediglich die Bestimmungen der Entsenderichtlinie Schutz. Wenn das der Fall ist, dann müssen wir uns erneut mit dieser Richtlinie befassen. Vor allem müssen wir den Anwendungsbereich von Tarifvereinbarungen im Hinblick auf die Festsetzung von Mindeststandards und von kollektiven Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Standards präzisieren.
Meiner Ansicht nach müssen wir eine Reihe von Dingen tun. Wir müssen gewährleisten, dass die Tarifvereinbarungen von Aufnahmeländern höhere Standards als Mindeststandards vorsehen. Regelungen, die derzeit für die Mitgliedstaaten nur eine Option darstellen, müssen obligatorischen Charakter erhalten, wie die Anwendung aller allgemein verbindlichen Tarifvereinbarungen auf entsandte Arbeitnehmer. Ferner brauchen wir meines Erachtens auch eine eindeutige zeitliche Eingrenzung bei der Definition der entsandten Arbeitnehmer, damit klar ist, wann der Arbeitnehmer nicht mehr als entsandter Arbeitnehmer angesehen werden kann.
Schließlich – zumindest vorläufig – müssen wir die Rechtsgrundlage der Richtlinie erweitern, damit sie sich sowohl auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer als auch den freien Dienstleistungsverkehr erstreckt. Das war ein Vorschlag, der 1996 abgelehnt wurde, aber ich hoffe, dass jetzt deutlich wird, wie wichtig er ist.
Es war der Gerichtshof, der festgestellt hat, dass das Streikrecht und das Recht auf Vereinigungsfreiheit Grundrechte sind, die aber nicht so grundlegend sind wie die wirtschaftlichen Freiheiten. Man kann es den Gewerkschaften nicht verübeln, wenn sie sich plötzlich auf die Orwellsche Farm der Tiere versetzt fühlen. Wir sind es ihnen schuldig, für eine angemessene Ausgewogenheit zu sorgen. Ich denke, dass diese bescheidenen Vorschläge für eine Abänderung der Entsenderichtlinie ein guter Ausgangspunkt sind.
Søren Bo Søndergaard (GUE/NGL). – (DA) Herr Präsident! Als wir im Februar über den Vertrag von Lissabon sprachen, haben meine Kollegen und ich vorgeschlagen, dass das Recht, kollektive Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen sollte. Leider hat die Mehrzahl von Ihnen dagegen gestimmt, und nun erhebt sich die Frage: Weshalb haben Sie das getan? Die einzig logische Erklärung und die logische Konsequenz bestehen darin, dass die grenzüberschreitende Erzielung größtmöglicher Gewinne für die Arbeitgeber letztendlich Vorrang vor dem Recht der Arbeitnehmer hat, sich selbst vor Sozialdumping zu schützen. Das kann durchaus Ihre Meinung sein, doch dann müssen Sie aufhören, von einem sozialen Europa zu reden.
Die Arbeitnehmer in jedem Land müssen das vorbehaltlose Recht haben, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass Wanderarbeiter zumindest den gleichen Lohn wie sie selbst erhalten. Das ist keine Diskriminierung. Wir sind nicht der Meinung, dass Wanderarbeiter niedrigere Löhne als Arbeitnehmer haben sollten, die bereits in dem Land leben. Wir sind gegen Diskriminierung, und daher muss etwas unternommen werden. Die Alternative ist Sozialdumping. Die Spirale geht immer weiter nach unten. Deshalb müssen wir mit allen Mitteln durch ein rechtsverbindliches Protokoll im Vertrag von Lissabon zumindest das freie und uneingeschränkte Streikrecht gewährleisten.
Jacques Toubon (PPE-DE). – (FR) Herr Kommissar! In der Tat sind wir sehr darüber enttäuscht, wie die Dienstleistungsfreiheit in der Rechtsprechung umgesetzt wird. Bei manchen Auslegungen drängt sich einem der Eindruck auf, der EuGH habe den Vorrang der Artikel 43 und 49 vor jeder sonstigen Erwägung festschreiben wollen. Ich hüte mich jedoch vor manichäischen Analysen solcher Grundsatzurteile, bei denen es sich, wie Sie alle wissen, in erster Linie um Testfälle handelt.
Meines Erachtens müssen wir uns die Frage stellen, wie der soziale Besitzstand zu gewährleisten ist. Insbesondere sind zwei Fragen zu beantworten. Erstens, welchem Lohnniveau müssen Unternehmen nach den nationalen Rechtsvorschriften des Gastlandes unterworfen werden? Zweitens, inwieweit können kollektive Aktionen der Gewerkschaften zur Sicherstellung der Gleichbehandlung zwischen nationalen und entsendeten Arbeitnehmern beschränkt werden?
In Beantwortung dieser beiden Fragen glaube ich nicht an eine Änderung der Entsenderichtlinie. Einen solchen Versuch halte ich sogar für sehr riskant. Den Vorschlag des Europäischen Gewerkschaftsbundes für eine Sozialklausel hingegen finde ich interessanter. Nach meiner Ansicht geht es schlicht und einfach, wie Herr Brok sagte, darum, dass die Verträge, die alten wie die neuen, angewandt werden: Artikel 3.3, Artikel 6.1 sowie die Grundrechtecharta, die jetzt materielles Recht ist.
Ferner geht es – und die einzelstaatlichen Parlamente könnten dies überwachen – um die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips in allen das Arbeitsrecht, die Arbeitnehmerrechte und speziell das Streikrecht betreffenden Belangen.
Was die unmittelbarere Zukunft anbelangt, so wird der französische Vorsitz in Kürze die Sozialagenda auf den Weg zu bringen haben. Für Sie, Herr Kommissar, gilt, dass die Kommission über die von Ihnen getroffene Feststellung und die rein administrative Mindestempfehlung für einen stärker politisch ausgerichteten Text hinausgehen und den aus der Rechtsprechung resultierenden Ungewissheiten in vollem Umfang Rechnung tragen muss.
Karin Jöns (PSE). – Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist eine engere Kooperation der nationalen Verwaltungen richtig und gut. Das begrüße ich. Sie ist sogar unerlässlich.
Aber, wenn wir wirklich verhindern wollen, dass es zu einem Wettlauf um die niedrigsten Mindestlöhne in Europa kommt, dann brauchen wir mehr, und das wissen Sie auch, Herr Kommissar Špidla. Nach dem Rüffert-Urteil gibt es meiner Meinung nach nur eine Lösung. Wir müssen die Entsenderichtlinie verbessern. Hier ist eben auch die Kommission gefordert.
Wir müssen legislative Konsequenzen aus diesem Urteil ziehen, denn dieses Urteil verkehrt die Intention der Entsenderichtlinie ins Gegenteil. Hier wird die Dienstleistungsfreiheit über den Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gestellt. Es wird sogar der vorgesehene Mindestschutz zum Maximalschutz erklärt. In meinem Land, in Deutschland, sind acht von sechzehn Bundesländern von diesem Urteil direkt betroffen. Hier wollten die regionalen Regierungen in Sachen Lohndumping gerade vorbildhaft sein.
Gestützt auf die Entsenderichtlinie, aber auch auf die Vergaberichtlinien wollten sie wenigstens bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Einhaltung bestimmter sozialer Kriterien sicherstellen. Deshalb haben sie als soziales Kriterium die Einhaltung ortsüblicher Tariflöhne eingefordert, da diese über den Mindestlöhnen liegen.
Die Entscheidung des Gerichtshofs nachzuvollziehen, fällt mir schwer. Wenn wir wirklich soziale Kriterien wollen – und ich denke, das wollen wir alle –, dann muss auch mehr als ein Mindestlohn möglich sein. Das Urteil darf nicht dazu verleiten, künftig nur noch Mindeststandards für entsandte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zuzulassen. Das ist nicht das soziale Europa, das meine Fraktion will. Damit wir auf der sicheren Seite sind, müssen wir auch die Vergaberichtlinien unter die Lupe nehmen.
Bei mir zu Hause haben die heute Abend angesprochenen Urteile des Europäischen Gerichtshofs in der Arbeitnehmerschaft zu einem back flash in der Akzeptanz Europas geführt. Hier sind wir nun alle gefordert, das Ruder wieder herumzureißen.
Alejandro Cercas (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar! Wenn wir es mit einem weniger wichtigen Problem zu tun hätten, würde ich verstehen, dass eine einfache Empfehlung zum Austausch bewährter Praktiken und zur Einbeziehung von effizienteren Informationen die Angelegenheit klären könnte. Doch, Herr Kommissar, wir stehen hier vor einem Problem von größerer Tragweite, das, so Leid es mir tut, in Ihrer Rede nicht einmal angesprochen wurde.
Es geht darum, Herr Kommissar, dass hier bereits eine fundierte Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt, in der festgestellt wird, dass Arbeitnehmer aus einem Land in einem anderen für weniger als 50 % des Entgelts arbeiten können, und zwar im Rahmen einer Richtlinie, die, das muss gesagt werden, diese Situation gerade verhindern sollte.
Wenn es möglich ist, dass ein Gesetz gilt, das so etwas zulässt, haben wir eindeutig ein grundlegendes Problem, das nicht allein durch die Regelung der Informationsfragen gelöst werden kann.
Zweitens, Herr Kommissar, geht es um einen Fall, bei dem die verschiedenen nationalen Gewerkschaftspraktiken zur Festlegung der Löhne und Tarifverträge nicht berücksichtigt werden. Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland wurden übergangen. Deshalb besteht hier ein massives Problem nicht für jene Länder, sondern für ganz Europa, das zusieht, wie sein nationales Recht unterwandert wird und wie es Europa versäumt, seinen Arbeitnehmern nicht nur einen besseren Schutz zu gewährleisten, sondern wie es auch die nationalen Schutzsysteme durchbricht.
Angesichts dieser Situation, Herr Kommissar, glaube ich nicht, dass wir wegschauen dürfen. Ich glaube nicht, dass wir Aspirin verschreiben dürfen, wenn in Wirklichkeit eine größere Operation notwendig ist, und ich denke, dass wir ein Gleichgewicht zwischen den Prinzipien der Arbeitnehmerrechte und den Rechten des Marktes wieder herstellen müssen, weil ansonsten nicht nur das soziale Europa, sondern ganz Europa diesen Weg gehen wird.
Dariusz Rosati (PSE). – (PL) Herr Präsident! Herr Kommissar! Ziel der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern ist es, Dienstleistungsfreiheit zu sichern und gleichzeitig die Arbeitnehmerrechte zu gewährleisten. Meiner Ansicht nach hat diese Richtlinie der Europäischen Union Nutzen gebracht, und die Kritik, die ich hier heute in diesem Saal vernehme, ist größtenteils ungerechtfertigt.
Ich erinnere daran, dass es im Fall Rüffert, über den wir diskutieren, nicht etwa deswegen zur Verletzung der Sozialstandards und der Lohnfestsetzung bei skandalös niedrigen 46 Prozent kam, weil die Entsenderichtlinie irgendwelche Mängel enthält, sondern weil ein Teil der entsprechenden Gesetzgebung von Niedersachsen nicht so umgesetzt wurde, wie es die Entsenderichtlinie vorsieht. Folglich liegt das Problem in der Umsetzung der Gesetzgebung in Deutschland und eben nicht in Mängeln in der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern. Ähnlich verhält es sich im Fall Laval, der wiederum mit der Lage in Schweden zusammenhängt, wo Mindestlohn weder gesetzlich noch in einem Tarifabkommen so festgelegt ist, wie es die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern vorsieht. Deswegen meine ich, ein Ausweg aus dieser Situation lässt sich vor allem dadurch finden, dass die einzelstaatliche Gesetzgebung an die gegenwärtige Richtlinie angepasst wird, obwohl ich auch einräumen muss, dass es viele Dinge gibt, die in der Richtlinie noch verbessert werden können, und in diesen Punkten stimme ich dem Standpunkt der Kommission zu.
Bei der Gelegenheit möchte ich mich noch zum Begriff des Sozialdumpings äußern, der hier sehr oft gefallen ist. Ich weise darauf hin, dass der Begriff Sozialdumping weder im internationalen Recht noch in der Wirtschaftstheorie existiert. Dieser Ausdruck ist reine Stimmungsmache. Von Dumping kann keine Rede sein, wenn entsendete Arbeitnehmer – Polen in Deutschland oder Letten in Schweden – höher entlohnt werden als bei sich zu Hause. Es kann auch keine Rede von Sozialdumping sein, wenn es in Europa keine verbindlichen Sozial- und Lohnstandards für alle Länder gibt, und das gibt es deshalb nicht, weil das Entwicklungsniveau unserer Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, und außerdem ist auch die Politik in jedem Land anders.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Herr Präsident! Meiner Ansicht nach ist klar, dass das Urteil des Gerichtshofs direkt die Grundlagen der Europäischen Union gefährdet. Natürlich ist der Gerichtshof die höchste Instanz für die Auslegung des Rechts der Europäischen Union, und es gibt jetzt niemanden, der diese Institution schwächen will. Doch wie Herr Cercas bemerkte, bedroht diese Rechtsprechung das Prinzip der sozialen Kohäsion. Für viele Menschen in Europa hat eine Europäische Union, die keine minimalen sozialen Rechte garantiert, keine Existenzberechtigung, und deshalb gefährden wir die eigentliche Existenz der Europäischen Union.
Da wir gegen die Urteile des Gerichtshofs nicht vorgehen können und uns an sie halten müssen, ist ganz offensichtlich für die Institutionen mit Gesetzgebungsgewalt – die Kommission, das Parlament und den Rat – der Zeitpunkt gekommen, um Maßnahmen zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass dieses Urteil nicht dauerhaft wird, denn das Urteil bezieht sich auf konkrete Rechtstexte, die geändert werden können.
Das Gericht selbst fordert uns offenbar auf, diese Gesetzesänderung vorzunehmen, und es ist meiner Meinung nach jetzt zuallererst Aufgabe der Kommission, aber auch des Parlaments und des Rates, die Gesetzestexte zu ändern, um ein Weiterbestehen dieser Rechtsprechung zu verhindern.
Monica Maria Iacob-Ridzi (PPE-DE). – (RO) Die Rechtsvorschriften, die wir heute erörtern, könnten das Leben von mehr als einer Million europäischer Bürger verbessern, die in einem anderen Mitgliedstaat als Erbringer von Dienstleistungen oder als entsandte Arbeitnehmer tätig sind.
Besonders die Vorschriften des Artikels 3 der Richtlinie werden nicht in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union gänzlich verwirklicht. Gesundheits- und Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz, Höchstarbeitszeiten und Mindesturlaub oder die Zahlung von Mutterschaftsgeld kommen nicht zur Anwendung, wenn es um entsandte Arbeitnehmer geht.
Gleichzeitig sollte der gesetzliche Mindestlohn des Gastlandes garantiert sein. Gleichwohl bringt der letztgenannte Aspekt viele Firmen dazu, auf alternative Arbeitsverträge, die automatisch die Zahlung geringerer Löhne verhindern, zurückzugreifen.
Außerdem ist es mittlerweile bei vielen europäischen Unternehmen üblich, Arbeiter aus den neuen Mitgliedstaaten einzustellen und sie als entsandte Arbeitnehmer bis zu maximal 24 Monate ins Ausland zu schicken, um so von den Unterschieden bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zu profitieren.
Zum Schluss möchte ich bemerken, dass diese Art von sozialem Dumping gestoppt werden muss, indem alle Bestimmungen der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern in die Praxis umgesetzt werden.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Herr Präsident! In diesem Parlament gab es viele Bemerkungen sowie einige sehr kritische Bewertungen zu den Urteilen – den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs. Ich möchte gern zur Ruhe aufrufen.
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind schließlich nicht politischer Art, sie beruhen auf einer eingehenden Analyse der konkreten Faktenlage und des Rechts der Mitgliedstaaten. Das ist die Rolle dieser Institution, wir sollten sie respektieren. Lassen Sie uns in der Sache Ruhe bewahren. Wir sollten nicht negativ auf die Urteile reagieren, wenn sie uns nicht behagen, bzw. positiv, wenn sie uns gefallen. Eine Justiz à la carte sollte kein Vorbild für uns sein, wir sollten sie ablehnen.
Zweitens möchte ich auf Folgendes aufmerksam machen: Wir dürfen es nicht zur Konfrontation zwischen Arbeitnehmern in den alten und den neuen Mitgliedstaaten kommen lassen. Das Schlimmste wäre, wenn wir die Gewerkschafter der alten Mitgliedstaaten und die Gewerkschafter der neuen Mitgliedstaaten gegeneinander aufwiegeln würden. Das sollte nicht der Geist der Justiz in der Europäischen Union sein. Davor warne ich.
Marian Harkin (ALDE). – (EN) Herr Präsident! Wir diskutieren in Irland im Moment gerade über die Vor- und Nachteile des Lissabon-Vertrags, und es gibt widersprüchliche Auslegungen der jüngsten Urteile des Gerichtshofs und ihrer Folgen für den Schutz der Arbeitnehmer und ihrer Rechte.
Ich weiß zwar, dass uns im Fall Laval noch kein endgültiges Urteil vorliegt, dennoch würde ich den Kommissar bitten, uns kurz seine Reaktion auf diese Situation sowie seine Ansichten darüber darzulegen, wie sich die Umsetzung und Durchführung der Entsenderichtlinie gerade in Schweden auf das Urteil im Fall Laval ausgewirkt hat.
Einer meiner Vorredner, und zwar Herr Andersson, bemerkte sehr treffend, dass wir im Falle einer Frau, die 46 % dessen erhält, was ein Mann für die gleiche Arbeit im gleichen Land bekommt, von Diskriminierung sprechen würden. Doch wenn es um Arbeitnehmer aus anderen Ländern geht, die die gleiche Arbeit im gleichen Land verrichten, dann scheinen die Gerichte dies zu sanktionieren. Ich wüsste wirklich gern, wie sich die Umsetzung und Durchführung der Richtlinie nach Ansicht des Kommissars auf diese Situation ausgewirkt hat.
Ich habe, und damit komme ich zum Schluss, dem Kommissar sehr genau zugehört, als er über die Sicherung der Arbeitnehmerrechte und den Kampf gegen Sozialdumping gesprochen hat, aber ich bin nicht so recht überzeugt davon, dass seine Vorschläge zielführend sind, und ich würde mich über energischere Vorschläge seitens der Kommission freuen.
Georgios Τoussas (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident, den drei Urteilen des Europäischen Gerichtshofs zu Viking Lines, Laval und Rüffert liegt eine einzige Prämisse zugrunde. Diese Prämisse ist auf die vier Grundfreiheiten zurückzuführen, die im Vertrag von Maastricht festgeschrieben sind, sowie die Richtlinien zum Binnenmarkt und zur Entsendung von Arbeitskräften, wie dies in den Artikeln 43 und 49 der neu benannten Europäischen Verfassung bekräftigt wird, d. h. dem Vertrag von Lissabon.
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind politisch motiviert und äußerst reaktionär: mächtige Konzerne setzen mittelalterliche Beschäftigungsbedingungen durch, um ihre Gewinne zu erhöhen.
Nicht nur das Streik- und Tarifrecht werden in Frage gestellt, sondern es gibt auch einen dritten Faktor, den ich ergänzen möchte. Internationale arbeitsrechtliche Übereinkommen, die durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet und ratifiziert wurden, werden in Frage gestellt. Aus diesem Grund müssen gleiche Bezahlung und gleiche Arbeit für alle Arbeitnehmer gewährleistet sein.
Arbeitnehmer aus den Staaten, die der EU nach dem 1. Mai 2004 beigetreten sind, schulden niemandem etwas. Zusammen mit allen anderen Arbeitnehmern in Europa sollten sie kämpfen, um die Arbeits- und Lohnbedingungen zu verbessern. Es sollte gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit geben.
Małgorzata Handzlik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Die Entsendung von Arbeitnehmern und die Dienstleistungsfreiheit gehören untrennbar zusammen. Der Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung diesen meines Erachtens überaus wichtigen Grundsatz des Gemeinsamen Marktes bekräftigt.
Ich möchte allerdings meine Enttäuschung äußern über die Tatsache, dass nach wie vor Vorschriften auf dem Gemeinsamen Markt existieren, die nicht mit der Entsenderichtlinie konform gehen. Vergessen wir nicht, dass die Richtlinie sowohl den Arbeitnehmern wie auch den Dienstleistern zugute kommen soll. Unzulässig sind auch Fälle, in denen zentrale Bestimmungen der Richtlinie in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden. Die Arbeitnehmer kennen ihre Rechte nicht, und die Mitgliedstaaten kontrollieren nicht, ob die Bestimmungen der Richtlinie korrekt angewandt werden. Die adäquate Umsetzung und Ausführung dieser Bestimmungen sind schließlich maßgeblich für das effiziente Funktionieren des Binnenmarktes.
Alle Maßnahmen, ob in Form von behördlicher Zusammenarbeit oder von Hinweisen zur richtigen Anwendung der Richtlinie, sind deswegen notwendige Maßnahmen. Ich hoffe allerdings, dass solche Initiativen zur besseren Auslegung der Bestimmungen beitragen und nicht zu weiteren Beschwerden über nicht existierendes Sozialdumping führen.
Katrin Saks (PSE). – (ET) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin eine große Anhängerin des Grundsatzes der Gleichbehandlung und kann ehrlich sagen, dass es für mich zuweilen schwierig zu verstehen ist, warum ich für die Arbeit in diesem Hohen Haus sehr viel geringere Bezüge als meine Kollegen aus dem Westen bekomme (nur ein Zehntel dessen, was die Italiener erhalten). Ich verstehe jedoch, dass es Zeit braucht, bis die Gehälter in Europa angeglichen sind.
Heute habe ich hier den Eindruck einer großen Heuchlerei gewonnen. Viele Redner ergreifen das Wort und sprechen im Namen der eine Million entsandten Arbeitnehmer, die für ihre Rechte kämpfen. Aber lassen Sie uns aufrichtig sein: Die meisten Redner repräsentieren nicht wirklich diese Million im Ausland eingesetzter Arbeitnehmer, sondern schützen stattdessen ihren eigenen Arbeitsmarkt. Deshalb begrüße ich, dass das Kommissionsmitglied versprochen hat, einen Ausschuss zur Prüfung dieser Frage einzurichten. Diese drei Fälle haben hier den Eindruck großer Ungerechtigkeit hinterlassen. Es war jedoch notwendig, um über Bereiche zu berichten, in denen Ausbeutung, Sozialdumping und Unsicherheit zu verzeichnen sind. Glücklicherweise war dies in den drei Fällen nicht der Fall.
Der freie Dienstleistungsverkehr ist in unser aller Interesse. Ich warte seit drei Wochen auf einen Klempner, der in meiner Brüsseler Wohnung die verstopften Rohre repariert. Ich kann Ihnen versprechen, dass mich nachts der legendäre polnische Klempner in meinen Träumen verfolgt.
Vladimír Špidla, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für Ihre Redebeiträge sei Ihnen allen gedankt. Ich habe sie mit großem Interesse gehört. Wir hatten meines Erachtens heute hier eine ausgiebige und lebhafte Aussprache. Ich habe auch die verschiedenen zum Ausdruck gebrachten Standpunkte zur Kenntnis genommen. Diese unterschiedlichen Interpretationen und Ansichten haben mich veranlasst, dieses Thema mit Vorsicht zu behandeln.
Des Weiteren ist aus der Debatte ersichtlich geworden, wie komplex das Thema ist und welch schwierige juristische Fragen hierbei aufgeworfen werden. Die drei Urteile des Gerichtshofs sind allesamt spezifischer Art. Allgemeine Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, wäre falsch. Es ist primär Aufgabe der betroffenen Mitgliedstaaten, über die Maßnahmen zu befinden, die auf nationaler Ebene zu treffen sind, um den Urteilen des Gerichtshofs zu entsprechen. Des Weiteren möchte ich die konstruktiven Schritte unterstützen, die in Schweden und Dänemark im Hinblick auf eine solche Übereinstimmung unternommen worden sind.
Heute hat sich jedoch gezeigt, dass es einer eingehenden Diskussion bedarf, um für die aufgeworfenen Probleme eine adäquate Lösung finden zu können. Genau das ist eines der gegenwärtig vorrangigen Ziele der Kommission. Wir sind definitiv entschlossen, diese Diskussion im Zuge der Vorbereitung auf eine neue Sozialagenda weiterzuführen. Diese Agenda, die ich dem Kollegium im Juni dieses Jahres vorlegen werde, wird selbstverständlich die Ergebnisse einer umfassenden Konsultation zu den neuen sozialen Realitäten enthalten. Sie folgt überdies aus der Mitteilung der Kommission „Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts“. Dies ist eine echte Möglichkeit zur Förderung neuer Lösungen als Antwort auf die Herausforderungen, vor denen unsere europäischen Gesellschaften stehen.
Zu diesen Herausforderungen gehören zweifellos der demographische Wandel und der immer schnellere technologische Fortschritt, aber ebenso die sozialen Auswirkungen der Globalisierung. Die unterschiedlichen Formen der Mobilität der Arbeitnehmer sowie die zunehmende Migration, die wahrscheinlich unvermeidlich ist, stellen uns vor neue schwierige Aufgaben, die wir bewältigen müssen. Es geht um Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, um unser europäisches Sozialmodell zu bewahren und zu stärken.
Die Sozialagenda wird meiner Überzeugung nach das richtige Instrument sein, um eine erste gezielte und maßgerechte Antwort auf die Herausforderungen der Mobilität zum Schutz der Arbeitnehmer vorzuschlagen. Die Debatte, die das Europäische Parlament jetzt im Rahmen seines eigenen Initiativberichts führen wird, ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Die Kommission verpflichtet sich im Übrigen, aktiv daran mitzuwirken sowie Diskussionen und die Suche nach Lösungen zu erleichtern.
Mir geht es bei unserer Tätigkeit um Aufgeschlossenheit, um hohe Anforderungen, die mit den wirtschaftlichen und sozialen Realitäten im Einklang stehen. Ich möchte, dass wir konstruktiv und zuversichtlich vorangehen. Die komplizierten sozialen Verhältnisse machen es schwieriger, „schlüsselfertige“ Lösungen zu formulieren. Auf die Beratungen über die Sozialagenda müssen wir mehr Zeit verwenden. Auf diese Weise wird sich ein Gesamtkonzept finden, das für die Arbeitnehmer der Union mehr Schutz bedeuten wird.
Der Präsident. − Mit der Rede des Kommissars ist die Aussprache geschlossen.
Auch wenn es für einen Präsidenten nicht üblich ist, das zu sagen, muss ich doch zugeben, dass ich die Debatte mit einer gewissen Ratlosigkeit schließe. Der Grund ist wahrscheinlich, dass ich mich 30 Jahre meines Lebens dafür eingesetzt habe, dass ein spanischer Arbeitnehmer in Schweden oder Deutschland nicht weniger verdient als ein deutscher oder schwedischer Arbeitnehmer und dass ich weitere 20 Jahre dafür gekämpft habe, dass ein polnischer, rumänischer oder marokkanischer Arbeitnehmer in Spanien nicht weniger verdient als ein spanischer Arbeitnehmer.
(Beifall)
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142 der Geschäftsordnung)
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Die kürzlich ergangenen Urteile des Gerichtshofs im Fall Laval-Vaxholm in Schweden, dem „Viking Line“-Fall in Finnland und jetzt dem Fall Rüffert in Deutschland zeigen deutlich die wahren Ziele und Prioritäten dieser Europäischen Union.
Um genau zu sein: den „Vorrang“ des Prinzips der „Niederlassungsfreiheit“, wie in den Artikeln 43 und 46 des Vertrags festgeschrieben, das jegliche „Beschränkungen der freien Niederlassung“ verbietet.
Der Gerichtshof betrachtet die Freiheit der Arbeiter und ihrer Vertretungen, ihre Rechte und Interessen zu verteidigen, also die Einhaltung der Übereinkünfte aus Tarifverhandlungen, als „Beschränkung“ und deshalb als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht.
Dadurch werden Sozialdumping sowie Angriffe auf Tarifverhandlungen und -abkommen in der EU legitimiert und der „Wettbewerb“ zwischen Arbeitern gefördert, wodurch in der Praxis das „Herkunftslandprinzip“ Oberhand gewinnt – das heißt, es werden geringere Löhne gezahlt und der Schutz der Arbeiterrechte in Vertragsbeziehungen mit Arbeitgebern verringert.
Diese Urteile offenbaren sowohl die Klassennatur der EU als auch, wem deren neoliberale Politik wirklich nutzt (und wer sie vorantreibt), wodurch sich die vielen Worte über das so oft heraufbeschworene „soziale Europa“ als leer erweisen und offenbart wird, dass die politischen Ansätze der EU ein Affront gegen die hart erkämpften Rechte der Arbeiter sind.
Mary Lou McDonald (GUE/NGL), schriftlich. – (EN) Die Art und Weise, in der die jetzigen Verträge zur Unterminierung der Arbeitnehmerrechte benutzt werden, ist skandalös. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, sein Urteil im Fall Rüffert befinde sich im Einklang mit den Bestimmungen der Verträge. Der Lissabon-Vertrag wird auch nicht zur Verbesserung dieser Situation beitragen.
Bei den Verhandlungen zum Vertrag hätte der Schutz gefährdeter Arbeitnehmer in der gesamten Europäischen Union garantiert werden müssen. Das war nicht der Fall. Die Richtung, in die der Vertrag Europa lenken will, wird eine gravierende Unterminierung des europäischen Sozialmodells zur Folge haben.
In Irland war uns seit der Irish-Ferries-Problematik und schon davor klar, dass die Vorherrschaft des Binnenmarktes zur Unterminierung der Rechte der Arbeitnehmer führen würde.
Ich unterstütze den Geist der EGB-Forderung nach Aufnahme einer Klausel für den sozialen Fortschritt in den Vertrag. Ich glaube, dass die Rechte der Arbeitnehmer künftig nur gesichert werden können, wenn der Vertrag abgelehnt und die Mitgliedstaaten an den Verhandlungstisch zurückgeschickt werden.
Ein neuer Vertrag könnte klipp und klar vorsehen, dass Grundrechte, das Recht auf Streik und das Recht der Arbeitnehmer auf kollektive Maßnahmen, um ihre Arbeits- und Lebensbedingungen über Mindeststandards hinaus zu verbessern, Vorrang vor dem Binnenmarkt haben.
Esko Seppänen (GUE/NGL), schriftlich. – (FI) Der Europäische Gerichtshof hat drei Urteile gegen die Gewerkschaftsbewegung gesprochen, und wir können folglich davon ausgehen, dass es weitere Gerichtsentscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen geben wird. Die Fälle betreffen die Unternehmen Viking Line, Vaxholm (Laval) und Rüffert, und bei allen dreien hat der Gerichtshof die Verträge der Union unter nur einem einzigen Gesichtspunkt, nämlich der Freiheit des Wettbewerbs, betrachtet und dabei den Willen des Parlaments völlig außer Acht gelassen. Der Vorschlag, bei entsandten Arbeitnehmern die Beschäftigungsbedingungen des Herkunftslandes gelten zu lassen, wie in der „Bolkestein-Richtlinie“ vorgesehen, wurde abgewiesen. Leider hat der Gerichtshof mit den in diesen Einzelfällen getroffenen Entscheidungen die Rolle des Gesetzgebers angenommen und die Interpretation eines echten rechtsetzenden Organs, in diesem Fall des Europäischen Parlaments, ignoriert. Die Kommission sollte eine derartige Verletzung der Zuständigkeiten dieses Organs nicht verteidigen.