Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt der Bericht von Frau Ria Oomen-Ruijten im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Fortschrittsbericht über die Türkei 2007 (2007/2269(INI)) (A6-0168/2008).
Ria Oomen-Ruijten, Berichterstatterin. − (NL) Herr Präsident! Seit dem letzten Bericht über die Türkei haben sich in diesem Land zahlreiche positive Entwicklungen vollzogen. Ich denke nur an die Annahme des Stiftungsgesetzes oder, in jüngerer Zeit, an die erste Änderung von Artikel 301, die zu weiteren Reformen führen muss, die notwendig sind, damit die freie Meinungsäußerung in vollem Umfang garantiert ist. Allerdings ist auch klar, dass die Türkei ein gemischtes Bild abgibt und noch viel mehr geschehen muss, um nicht nur die Vereinbarungen mit Europa einzuhalten als vielmehr auch die Zusagen gegenüber der eigenen Bevölkerung einzulösen.
Der vorliegende Bericht ist ausgewogen. Einige Steckenpferde, die jetzt geritten werden, kommen hoffentlich nicht durch, denn so bleibt die Balance in dem Bericht gewahrt. Ich habe alle Probleme in dem Bericht benannt, und darin finden sich drei wichtige Botschaften.
Erstens, sind wir besorgt über die Folgen des Verfahrens gegen die AKP vor dem Gerichtshof. Wir erwarten, dass der Verfassungsgerichtshof die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die europäischen Normen und die Leitlinien der Venedig-Kommission zum Verbot politischer Parteien respektiert. Wir begrüßen, dass sich im Jahr 2007 die Demokratie gegenüber den Versuchen des Militärs, in den politischen Prozess einzugreifen, durchgesetzt hat. Gleichwohl sind wir auch in Sorge darüber, dass nach wie vor Kräfte am Werk sind, die versuchen, das Land zu destabilisieren. Ohne Frage sind jetzt die Modernisierung des Landes und Reformen notwendig. Ministerpräsident Erdoğan gab die Zusage, dass 2008 das Jahr der Reformen wird, und wir werden ihn mit Vergnügen daran erinnern. Die Regierung muss nun die starke Mehrheit im Parlament nutzen, um entschlossen jene Reformen voranzubringen, die entscheidend sind, um aus der Türkei eine moderne und wohlhabende Demokratie zu machen, die sich auf einen säkularen Staat und eine pluralistische Gesellschaft gründet, Reformen, die zu allererst im besten Interesse der türkischen Bevölkerung selbst liegen.
Ein dritter Punkt. Der verfassungsgebende Prozess ist die Chance schlechthin zur Vorbereitung einer neuen, zivilen Verfassung, in deren Mittelpunkt der Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten steht. Nur so kann ein Kontrollsystem errichtet werden, mit dem Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Zusammenhalt und die Trennung von Religion und Staat gewährleistet werden können. Ein Blick auf die jüngsten Zahlen verdeutlicht, dass die Aufrechterhaltung der Trennung von Kirche und Staat in der türkischen Gesellschaft Spannungen hervorruft. Nicht weniger als 72 % der gut ausgebildeten Türken, 60 % der Bürger in allen Großstädten und fast 50 % der übrigen türkischen Bürger sorgen sich jedoch um den säkularen Charakter der Türkei. Und diese Besorgnis nehmen Justiz und Staatsanwaltschaft zum Anlass, ihren Spielraum zu nutzen, um sich über eine parlamentarische Mehrheit hinwegzusetzen und sehr unabhängig zu handeln. Ein Justizapparat muss in einem Rechtsstaat unabhängig, aber auch unparteiisch sein. Nur mit der neuen Verfassung kann die türkische Regierung das Land reformieren, die Trennung zwischen Religion und Staat und die Rechtsstaatlichkeit verankern und so neues Vertrauen der Bürger gewinnen.
Dazu ist es notwendig, die Zivilgesellschaft auf breiter Basis in diesen verfassungsgebenden Prozess einzubeziehen. Meines Erachtens umfasst das eine Einigung mit allen politischen Parteien, ethnischen und religiösen Minderheiten sowie Sozialpartnern über diese Modernisierung. Diese Modernisierung muss sicherstellen, dass die individuellen Rechte der Bürger, die Freiheiten der Bürger, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention im Einklang stehen.
Wir müssen die Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei mit Respekt fortführen, aber auch ohne Scheinheiligkeit, damit wir offen und ehrlich miteinander umgehen können. Ich bedauere zutiefst, dass mein Kollege, Herr Lagendijk, angegriffen wird, wenn er offen und ehrlich sagt, wo Fehler begangen werden und auch die Mitwirkung aller politischen Parteien an dem Reformprozess anmahnt.
Summa summarum, Herr Präsident, es gibt noch eine Menge zu tun, was die Lage der einzelnen religiösen Minderheiten in der Türkei, der kurdischen Bevölkerung und anderer Minderheiten, die sozioökonomische Entwicklung der Regionen, die Stärkung der Rolle der Frau, den Dialog zwischen der türkischen Regierung und den Sozialpartnern betrifft, wobei ich die Aufmerksamkeit insbesondere auf die nicht selten unter Druck stehende Gewerkschaftsbewegung, die konstruktive Mitwirkung an einer Lösung der Zypern-Frage und gutnachbarliche Beziehungen in der Region lenken möchte. Kurzum, bitte halten Sie sich an die getroffenen Vereinbarungen.
Ich möchte meine Überzeugung bekräftigen, dass nur eine Gesellschaft, die sich von der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten leiten lässt, und die sich auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine sozial orientierte Marktwirtschaft gründet, sich zu einer friedlichen, stabilen und wohlhabenden Gesellschaft entwickeln kann.
VORSITZ: MARTINE ROURE Vizepräsidentin
Janez Lenarčič, amtierender Ratspräsident. − (SL) Zu Beginn möchte ich Frau Ria Oomen-Ruijten meinen Dank für ihren Bericht aussprechen, der nach Meinung des Rates einen wichtigen Beitrag zur Debatte über den Beitrittsprozess der Türkei darstellt.
Der slowenische Ratsvorsitz hat die Türkei ermutigt, weitere Fortschritte in ihrem Annäherungsprozess auf dem Weg zum Beitritt zur Europäischen Union zu machen. Gegenwärtig ist im Rat eine Debatte über die acht noch ausstehenden Berichte zur Überprüfung der Angleichung der Rechtsvorschriften, die so genannten „Screening Reports“, im Gange. Falls die technischen Vorbereitungen gut vorankommen, können wir vielleicht auf der EU-Beitrittskonferenz der Türkei im Juni zwei neue Kapitel eröffnen.
Was die Reformen in der Türkei angeht, stimmen wir mit der Einschätzung des Europäischen Parlaments überein, dass dieses Jahr für diesen Prozess entscheidend sein wird, und wir sind der Meinung, dass die Türkei diese Gelegenheit nicht verpassen sollte.
In einer überarbeiteten und im Februar dieses Jahres beschlossenen Beitrittspartnerschaft sind die prioritären Bereiche festgelegt, in denen die Türkei den Reformprozess beschleunigen sollte. Natürlich wird der Verlauf des Verhandlungsprozesses vom tatsächlichen Fortschritt dieser Reformen direkt beeinflusst werden.
Ferner möchte ich betonen, dass wir die Bedenken des Europäischen Parlaments bezüglich des gerichtlichen Vorgehens gegen die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) teilen. Der Ratsvorsitz hat eine Stellungnahme herausgegeben, in der unterstrichen wird, dass die Trennung von Exekutive und Judikative ein fundamentales Prinzip aller demokratischen Gesellschaften ist und dass dieses Prinzip respektiert werden muss. Wir werden die Entwicklungen sorgfältig beobachten. Wir hoffen, dass das Ergebnis des Prozesses mit demokratischen, den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit folgenden Standards übereinstimmen wird und dass der erforderliche Reformprozess von diesen Verfahren nicht beeinflusst werden wird.
Gestatten Sie mir, fortzufahren und einige Gesichtspunkte im Hinblick auf die Bekräftigung von Grundfreiheiten und die Achtung der Menschenrechte zu nennen. Dies sind Gebiete, auf denen Reformen in der Türkei besonders wichtig sind.
In Bezug auf die freie Meinungsäußerung begrüßen wir die Änderung von Artikel 301 des Strafgesetzbuches. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung; um freie Meinungsäußerung jedoch auch wirklich zu garantieren, wird es nötig sein, diesen Artikel adäquat umzusetzen. Darüber hinaus gibt es einige andere Bestimmungen, die noch mit europäischen Standards in Einklang gebracht werden müssen.
Was die Religionsfreiheit betrifft, so begrüßen wir die Annahme des Stiftungsgesetzes als einen Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig betonen wir, dass weitere Anstrengungen auf diesem Gebiet in Richtung Sicherung des religiösen Pluralismus im Einklang mit europäischen Kriterien unternommen werden müssen.
Im Hinblick auf zivil-militärische Beziehungen bestätigte der Ausgang der Verfassungskrise im letzten Jahr, dass der demokratische Prozess von entscheidender Bedeutung ist. Trotzdem verfügen die bewaffneten Streitkräfte nach wie vor über einen bedeutenden politischen Einfluss. In dieser Hinsicht ist es notwendig, die zivile demokratische Kontrolle über das Militär auszubauen und zusätzlich die Kontrolle des Parlaments über die Verteidigungsausgaben zu verstärken.
Im Zusammenhang mit der Lage im Südosten des Landes verurteilen wir entschieden die Terroranschläge und bekunden unsere Solidarität mit dem türkischen Volk. Wir unterstützen die Anstrengungen der Türkei, ihre Bevölkerung zu schützen, sowie ihre Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus. Gleichzeit machen wir jedoch darauf aufmerksam, dass es absolut notwendig ist, die Bestimmungen des Völkerrechts zu respektieren und danach zu streben, Frieden und Stabilität in der weiteren Region aufrechtzuerhalten.
Wie Sie alle wissen, misst die Europäische Union die Fortschritte der Türkei daran, wie das Land die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt und ob die gemachten Fortschritte mit den im Verhandlungsrahmen für die Türkei festgelegten Bestimmungen übereinstimmen. Der Rat wird auch die Umsetzung des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara bewerten. In diesem Zusammenhang bedaure ich, dass die Türkei ihren Verpflichtungen noch nicht nachgekommen ist und kein Fortschritt im Hinblick auf die Normalisierung der Beziehungen zur Republik Zypern erzielt wurde.
Anstrengungen, gutnachbarliche Beziehungen zu entwickeln und Streitfälle friedlich zu lösen, und zwar in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen, gehören jedoch zweifellos zu den wichtigen Fortschritten in den Beitrittsverhandlungen.
Vielen Dank.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Zunächst einmal möchte ich Frau Oomen-Ruijten und dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten für diesen sehr soliden, konsequenten und ausgewogenen Bericht danken. In den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden bisher sechs Verhandlungskapitel eröffnet, und – wie Herr Lenarčič bereits sagte – es sollte möglich sein, im Laufe der slowenischen Präsidentschaft noch zwei weitere Kapitel zu eröffnen, nämlich zum Gesellschaftsrecht und zum geistigen Eigentum.
Erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang an ein simples, aber absolut fundamentales Leitprinzip der EU-Erweiterungspolitik zu erinnern, das für jedes Kandidatenland, einschließlich der Türkei, gilt: Das Tempo der Verhandlungen hängt ab vom Fortschritt juristischer und demokratischer Reformen, vor allem aber von deren Umsetzung. Mit anderen Worten, die technischen Gespräche über einzelne Kapitel bilden die Wände und Räume eines Hauses, vielleicht eines Tages auch das Dach, während die juristischen und demokratischen Reformen das Fundament für den Bau jedes neuen EU-Mitglieds darstellen. Wie jeder Maurer weiß, muss aber zuerst ein sehr solides Fundament errichtet werden, bevor man daran gehen kann, die Wände hochzuziehen. Also: zuerst die Reformen, dann der Fortschritt bei den technischen Verhandlungen.
Deswegen finde ich den Bericht von Frau Oomen-Ruijten so relevant. Die Kommission teilt ihre Ansichten über das langsame Reformtempo. Einige Gesetzesreformen haben jedoch stattgefunden. Ich stelle fest, dass Sie das neue Stiftungsgesetz begrüßen, und auf Ihr Ersuchen hin wird die Kommission über dieses Gesetz und seine Umsetzung im nächsten Fortschrittsbericht über die Türkei im kommenden Herbst berichten.
Darüber hinaus ist die kürzlich erfolgte Änderung des berüchtigten Artikels 301 des Strafgesetzbuchs ein Schritt in die richtige Richtung. Was am Ende zählt, ist jedoch die ordnungsgemäße Umsetzung dieses Artikels, damit die Meinungsfreiheit für jedermann in der Türkei garantiert ist.
Neben den Grundrechten auf Meinungs- und Religionsfreiheit sind weitere Fortschritte in Bereichen wie kulturelle und sprachliche Rechte, Frauenrechte und Kinderrechte sowie Rechte der Gewerkschaften unabdingbar. Alles in allem muss das Augenmerk erneut auf EU-relevante Reformen gerichtet werden, was übrigens auch bei der Überwindung der aktuellen politischen Krise hilfreich sein könnte.
Diese Botschaft hat Präsident Barroso anlässlich unseres letzten Besuchs in der Türkei übermittelt. Sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien sollten den Dialog suchen und Kompromisslösungen anstreben bei den heiklen Themen, die die innenpolitische Debatte beherrschen, einschließlich des Prozesses der Verfassungsreform. In diesem Zusammenhang gilt es, sowohl die Säkularität als auch die Demokratie zu verteidigen.
Es ist bedauerlich, dass der Verfassungsgerichtshof das Gesetz über den Ombudsmann seit zwei Jahren blockiert. Ich begrüße es, dass Sie mit Nachdruck dazu auffordern, hier zu einer Entscheidung zu gelangen und das Amt eines Ombudsmanns unverzüglich einzuführen. Wir alle wissen, wie wichtig die Funktion des Ombudsmanns für die demokratische Kontrolle von Behörden und für den Ausbau der Bürgerrechte in den EU-Mitgliedstaaten stets war.
Die Quintessenz dieser Reformen ist, den Umbau der Türkei in eine offene und moderne Gesellschaft sicherzustellen, in der Freiheit und Demokratie, Vielfalt und Toleranz geachtet werden, d. h. in einen demokratischen säkularen Staat.
Die Existenz der Europäischen Union beruht auf den gemeinsamen Grundwerten der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte. Sie bilden die Basis des Familiensinns und des Ehevertrags, wie Jacques Delors es ausgedrückt hat, zu dem wir Europäer uns verpflichtet haben.
Der Verhandlungsrahmen für die Türkei macht diese Werte noch einmal deutlich, und es ist die Pflicht der Kommission, sie zu überwachen. Die Rolle der Kommission im Beitrittsprozess ist ungefähr die eines Freundes, der einem die Wahrheit sagt, auch wenn die Wahrheit zuweilen in Teilen der EU oder in der Türkei nicht gerade willkommen ist.
Somit können wir nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem, was in den Kandidatenländern vor sich geht, am allerwenigsten gegenüber Vorgängen, die unsere gemeinsamen demokratischen Werte gefährden. Noch etwas zu Ihrer Sorge über die Folgen der Schließung der AK-Partei. Natürlich sollten die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs mit demokratischen und Rechtsstaatsprinzipien vereinbar sein, einschließlich der Richtlinien der Venedig-Kommission des Europarats.
Wir wollen, dass die Türkei diesbezüglich im weiteren Verlauf die europäischen Wertvorstellungen beachtet. Die Türkei kann es sich nicht leisten, bei diesen Reformen ein weiteres Jahr zu verlieren. Wir müssen Fortschritte erkennen, keine Rückschritte, wenn es um die Erfüllung demokratischer Grundprinzipien geht.
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte über Zypern sagen. Es ist an der Zeit für die politischen Führer der beiden Volksgruppen, aus der Sackgasse herauszufinden und eine Wiedervereinigung der Insel anzustreben. Ich vertraue darauf, dass die Türkei ihren Beitrag zu einer Lösung leisten wird. Die Kommission befürwortet einen erneuten UN-Prozess und wird beide Volksgruppen auf der Insel bei der Ausarbeitung der notwendigen schwierigen Kompromisse voll unterstützen.
Emine Bozkurt, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. − (NL) Kürzlich wurden in der Türkei wichtige Rechtsvorschriften in den Bereichen Soziales und Beschäftigung verabschiedet. Ein maßgebliches Ziel besteht darin, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt einzugliedern, denn Teilhabe an der Wirtschaft ist zur Stärkung der Position der Frau unverzichtbar.
Es erübrigt sich der Hinweis, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Für Frauen ist es wesentlich, dass sie ihre Grundrechte, auch ihre sexuellen und reproduktiven Rechte, einfordern können und nicht Opfer vager Kriterien wie „allgemeine Tugendhaftigkeit“ werden. Im Übrigen ist das auch für Schwulenorganisationen von Bedeutung. Um das zu kontrollieren und Gender Mainstreaming einzuführen, braucht die Türkei unbedingt Instrumente. Ich plädiere daher für einen Ausschuss für die Rechte der Frau im türkischen Parlament, der mit uneingeschränkten Legislativbefugnissen ausgestattet ist.
Im nächsten Jahr finden in der Türkei Lokalwahlen statt. Landesweit verdoppelte sich der Anteil weiblicher Parlamentsmitglieder. Aber es muss mehr geschehen, denn lokal liegt die Wahlbeteiligung noch unter 1 %, eine enorme Herausforderung, wenn eine angemessene Vertretung von Frauen in der Politik jetzt Realität werden soll.
Giorgos Dimitrakopoulos, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich Frau Oomen-Ruijten für ihren Bericht und die Zusammenarbeit während der gesamten Zeit danken.
Der Bericht vermittelt der Türkei die deutliche Botschaft, dass ihr Weg nach Europa und ihr letztendlicher Beitritt zur europäischen Familie über folgende Etappen führen.
Erstens muss sie die Reformen in allen Bereichen und Strukturen fortsetzen und verstärken.
Zweitens muss sie zeigen, dass sie die Menschenrechte und die Minderheitenrechte uneingeschränkt respektiert.
Drittens muss sie ihre Truppen aus Zypern abziehen und einen Beitrag zu einer fairen und dauerhaften Lösung der Zypernfrage leisten. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir alle die Initiativen von Präsident Christofias in dieser Richtung unterstützen.
Viertens muss die Türkei allgemein gutnachbarliche Beziehungen, insbesondere zu Griechenland, unterhalten. Das bedeutet, dass die Verletzung des Fluginformationsgebietes und Provokationen aller Art aufhören müssen.
Natürlich gibt es in der Türkei Kräfte, die eine Destabilisierung anstreben, zugleich gibt es aber auch türkische Bürger, die eine demokratischere, fortschrittlichere, entwickeltere, ökologischere, sozial bewusstere, friedensliebendere Türkei mit europäischer Ausrichtung wünschen. Diesen Bürgern muss die Botschaft vermittelt werden, dass ihr Kampf nicht vergeblich ist, und der Bericht von Frau Oomen-Ruijten und unsere heutige Aussprache gehen genau in diese Richtung.
Hannes Swoboda, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Herr Ratsvorsitzender, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst der Kollegin Oomen-Ruijten für die sehr fruchtbringende und sehr konstruktive Zusammenarbeit danken. Ich möchte im Namen meiner Fraktion auch die Solidarität mit dem Kollegen Lagendijk zum Ausdruck bringen, weil wir alle unfairen Angriffe gegen ihn zurückweisen wollen.
Ich möchte mich auf eine wesentliche Frage beschränken, nämlich die Frage des drohenden Verbots von zwei Parteien, der AK-Partei und der DTP. In beiden Fällen wollen wir klar und deutlich sagen, dass diese Verbote für uns völlig unakzeptabel wären und große Blockaden auf dem Weg der Türkei in die Europäische Union wären. Es ist aus unserem demokratischen Verständnis heraus undenkbar, dass ein Gerichtshof vielen Wählerinnen und Wählern nachträglich einfach das Recht wegnimmt, die politische Situation in ihrem Land durch Wahl selbst zu beeinflussen. Das ist bei der Regierungspartei unakzeptabel, das ist aber auch bei der DTP unakzeptabel. Es sprechen also grundsätzliche rechtliche demokratische Überlegungen dagegen.
Was die DTP betrifft: Anstatt die Chance zu wahren, mit den Vertretern der kurdischen Bevölkerung zu reden und in einen Dialog einzutreten, weil wir gemeinsam mit den Türken den Terrorismus ablehnen, will man diese Partei auch noch verbieten. Ich weiß, dass nicht alle in der DTP zu einem Dialog bereit sind. Da muss man eben gegenseitig aufeinander zugehen und diesen Dialog entsprechend entwickeln. Daher fordern wir ganz klar und deutlich dazu auf, dass alle gemäßigten Kräfte in der Türkei alles daran setzen, dass diese beiden Parteien weiterhin im politischen Spektrum des Landes agieren können.
Wir wissen, dass der Prozess lange dauert. Der Ausgang ist offen. Aber er muss ein Ziel haben, und das Ziel muss der Beitritt sein. Ein Ziel, für das wir in der Europäischen Union viel tun müssen, in Kommunikation mit unserer Bevölkerung, wofür aber auch die Türkei viel tun muss, indem sie die erforderlichen Reformen durchführt.
(Beifall)
Alexander Lambsdorff, im Namen der ALDE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Auch von mir zunächst herzlichen Dank an Ria Oomen-Ruijten für die gute Zusammenarbeit. Das war genau so konstruktiv wie im letzten Herbst. Auch der Text ist hier von viel Konsens charakterisiert. Wir sind uns zwischen den Fraktionen hier einig, dass sich die Türkei weiterhin eigenständig, kontinuierlich, aber auch erheblich schneller in ihrem Auftreten verbessern muss. Wir sind uns auch darüber einig, dass man das von einem Beitrittskandidaten durchaus verlangen kann, ja verlangen muss.
Auch sind wir der Meinung, dass die Reformen trotz der schweren innenpolitischen Krise weitergehen müssen. Ich will auf etwas eingehen, was Kollege Swoboda gerade gesagt hat: Die Europäische Union ist nicht Partei in diesem Verbotsverfahren. Die Worte von Kommissar Rehn sind hier richtig: Säkularismus und Demokratie müssen verteidigt werden, ansonsten sehe ich genau wie Sie, Herr Swoboda, dass hier ein grundlegendes demokratisches Problem auf uns zukommt, das die Beitrittsverhandlungen schwer belasten wird.
Wichtig ist, dass viele der Probleme, mit denen wir uns hier beschäftigen, schon länger bestehen. Es gibt also nur einige Punkte, die wir hier hervorheben sollten. Wir haben es ja im letzten Jahr begrüßt, dass die türkische Regierung ein klares und eindeutiges Mandat für weitere Reformen bekommen hat. Wir haben gefordert, dass dieses Mandat genutzt wird, um die Reformen auch tatsächlich voranzutreiben. Wir begrüßen die Verabschiedung des Stiftungsgesetzes. Das ist ein positiver Schritt, aber unter dem Strich müssen wir sagen – und ich glaube, da besteht auch Einigkeit –, dass wir doch allgemein enttäuscht sind über das, was ereicht worden ist.
Nehmen wir die Verfassungsreform: Sie wird durch die Kopftuchdebatte so überlagert, dass es keine echten Fortschritte bei der grundlegenden Erneuerung der Verfassung der Türkei gegeben hat. Die Kopftuchdebatte ist auch eine Frage von Meinungs- und Religionsfreiheit, sie darf aber nicht dazu benutzt werden, säkular eingestellte Frauen kulturell zu unterdrücken.
Ein weiteres wichtiges Thema – gerade für die Liberale Fraktion – ist das Thema der Redefreiheit. Die so genannte Reform von Artikel 301 ist aus unserer Sicht jedenfalls nicht zufriedenstellend. Ich habe mit vielen Menschen in der Türkei selbst gesprochen, auch dort sehen wenige, dass dieser Versuch der Reform von Artikel 301 wirklich ernsthaft und fundiert ist, zumal es sich ja inzwischen um einen Symbolparagrafen handelt. Es gibt zahlreiche weitere Paragrafen im Strafgesetzbuch, die die Redefreiheit einschränken – ich will sie hier nicht im Einzelnen aufzählen –, hier ist noch viel zu tun.
Ein weiterer Punkt, den ich kurz erwähnen will, ist das Verhältnis zur Türkei im Rahmen der EU und der NATO. Wir betonen hier, dass wir von der Türkei eine konstruktive Haltung zu ESVP-Missionen erwarten. Wir verstehen die Schwierigkeiten, die es gibt. Dennoch erwarten wir von einem Beitrittskandidaten einen europäischen Geist, wenn es um die Sicherheit europäischen Personals in Missionen wie EUPOL oder EULEX geht.
Joost Lagendijk, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben wahrscheinlich bemerkt, dass der Kommissar und ich uns in den letzten Wochen heftige Kritik aus bestimmten Kreisen in der Türkei eingehandelt haben. Wir würden die Türkei nicht recht verstehen, wir würden eigentlich nicht durchschauen, was in der Türkei passiert.
Zugegebenermaßen verstehe ich mitunter einige Dinge in der Türkei tatsächlich nicht. Beispielsweise begreife ich nicht, dass nicht wenige in der Türkei kein Problem damit haben, dass die Regierungspartei, die bei den letzten Wahlen 47 % der Stimmen gewann, Gefahr läuft, vom Verfassungsgerichtshof verboten zu werden. Ebenso verstehe ich nicht, dass man sich so einfach über die Empfehlungen des Europarates zum Verbot politischer Parteien hinwegsetzt, denn es ist klar, dass das Verfahren gegen die AKP in keiner Weise diese Kriterien erfüllt. Ich verstehe auch nicht, dass so leicht darüber hinweggesehen wird, dass aufgrund des Verbots der AKP und der DTP etwa 90 % der Stimmen im Südosten für ungültig erklärt wurden, mit allen sich daraus ergebenden Folgen. Außerdem kann ich nicht nachvollziehen, dass in der Türkei so viel Aufhebens um die Kritik gemacht wird, die der Kommissar und ich daran äußerten, dass es sich unseres Erachtens um ein politisches Verfahren handelt, das, wenn es zum Verbot der Regierungspartei führt, tatsächlich ernste Folgen haben wird. Ich halte es für unsere Pflicht, das zu sagen, und das werden wir auch weiterhin tun.
Gleichwohl sind mir auch andere Dinge unverständlich. Ich begreife nicht, weshalb die Behörden den Gewerkschaften nicht gestatten konnten, am 1 Mai in Istanbul friedlich zu demonstrieren, auch auf dem Taksim-Platz, einem seit 1977 symbolischen Ort. Ich kann auch wirklich nicht verstehen, weshalb die Behörden nicht zwischen Randalierern und Gewerkschaften unterscheiden konnten, die von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machen. Ich begreife ebenso wenig, weshalb gegen friedliche Demonstranten und unschuldige Passanten derart übermäßige Gewalt eingesetzt werden musste.
Zum Schluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass dieses Parlament weiterhin wie in diesem Bericht Reformen anmahnt, aber auch die Regierung und die Opposition kritisiert, wenn diese Reformen nicht stattfinden, und zwar auf eine Weise, die ich als klar, deutlich, unter Achtung der gegenseitigen Auffassungen, aber ohne Tabus beschreiben möchte. Meiner Überzeugung nach werden wir uns, wenn dies geschieht, in der Türkei und der Europäischen Union letztendlich noch besser verstehen.
Konrad Szymański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Dieser wirklich gute Bericht wird in Ankara nicht gut ankommen. Einerseits würdigen wir die unternommenen Anstrengungen, darunter die Annahme des Stiftungsgesetzes, die Reform des Strafgesetzbuches in Bezug auf Meinungsfreiheit und die angekündigten Verfassungsänderungen. Andererseits gibt es nach wie vor ungelöste Probleme. Dazu gehören die Religionsfreiheit für andere Glaubensrichtungen als den Islam, die Einmischung in die Tätigkeiten des Ökumenischen Patriarchats und die schleppenden Fortschritte bei der Untersuchung der Ermordung von Hrant Dink und der drei Christen aus Malataya. Auch werden einige Bestimmungen im Assoziationsabkommen nicht eingehalten. Über all das haben wir schon im letzten Jahr geschrieben. Man könnte meinen, dass die Zeit am Bosporus sehr langsam verläuft.
Statt mit dem vollen Integrationsprozess weiterzumachen, sollten wir vielleicht einen Rechtsrahmen für eine Art der Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der EU errichten, der beiden Partnern eher zusagt. Das wäre sofort möglich. Die politische Dimension eines solchen Rahmens könnte sehr wohl über den Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik hinausgehen. Das alternative Paket würde keine Spannungen hervorrufen, wie wir sie jetzt in Ankara und in Hauptstädten Europas erleben, wenn über die Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union debattiert wird.
Vittorio Agnoletto, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden uns zu diesem Entschließungsantrag der Stimme enthalten, hauptsächlich weil die Kurdenfrage ausgeblendet wurde. Insbesondere kann man meines Erachtens die von der Türkei im nördlichen Irak durchgeführten Operationen nicht einfach als „unverhältnismäßige Militäraktionen“ bezeichnen; stattdessen hätten wir lieber bekräftigt, dass es sich dabei um eine eklatante Völkerrechtsverletzung handelt.
Die Kurdenfrage kann nicht nur zu einer sozialen Frage verharmlost werden. Sie ist vor allem ein politisches Problem, und wir müssen der Regierung klar machen, dass sie Gespräche mit den örtlichen Behörden der Kurdenregion und mit der DTP aufnehmen muss. Wir können nicht wortlos hinnehmen, dass nicht der leiseste Hinweis auf die Entscheidung des Gerichtshofs in Luxemburg erfolgt, wonach der bislang in den Terrorlisten geführten PKK ein anderer Status eingeräumt wird.
Wir denken, es wurden unzählige Appelle zur Kurdenfrage an die Türkei gerichtet, ohne dass bisher irgendeine nennenswerte Änderung eingetreten wäre. Das ist der Grund für unsere Stimmenthaltung.
Georgios Georgiou, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EL) Frau Präsidentin! Ich habe den Bericht meiner Kollegin, Frau Oomen-Ruijten, mit großem Interesse und Respekt gelesen und gratuliere ihr.
So sehr ich mich auch darum bemühe, kann ich den Bericht nicht mit den heutigen Ereignissen in Einklang bringen. Die Entwicklungen in der Türkei lassen nicht erkennen, was die Zukunft für dieses Land mit seinen asiatischen Wurzeln bringen wird.
Die Türkei hat auch in der Vergangenheit versucht, Reformen durchzuführen. Denken wir nur an die Tanzimat-Reformen oder die Reformen von Abdul Hamit and Hatt-ı Hümayun. Über Jahrhunderte hat man vergeblich versucht, Reformen durchzuführen.
Das Urteil des Verfassungsgerichts ist ein unheildrohendes Zeichen. Politische Parteien werden abgeschafft. Ich verstehe nicht, warum die Türkei nicht dem europäischen Beispiel zu folgen hat, zumal sie doch ein Beitrittskandidat ist und zumal…
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort.)
Philip Claeys (NI). – (NL) Ich darf Herrn Swoboda mitteilen, dass in Europa durchaus schon eine politische Partei verboten wurde. Ich spreche von Belgien, wo der Vlaams Blok, die größte flämische Partei 2005 de facto verboten wurde. Selbstverständlich kann die Türkei das nicht als Entschuldigung dafür nehmen, ebenfalls politische Parteien zu verbieten.
Abgesehen davon erstaunt es mich, Frau Präsidentin, dass der Rat und die Kommission mit der kosmetischen Änderung des berüchtigten Artikels 301 des türkischen Strafgesetzbuches zufrieden sind, die nach wie vor der Meinungsfreiheit Zügel anlegt. Nunmehr gilt die Beleidigung „der türkischen Nation“ anstelle der Beleidigung „des Türkentums“ als strafbare Handlung. Es ist eine Frage der Semantik, die nach wie vor zu tatsächlichen Haftstrafen führen kann.
Artikel 301 braucht keine Änderungen, er muss zusammen mit allen Gesetzesartikeln, die mit der Meinungsfreiheit und den demokratischen Grundrechten kollidieren, gestrichen werden. Wenn das nicht geschieht, sind die Verhandlungen schlicht und einfach zu stoppen, wie man stets versprochen hat. Man hatte zugesagt, der Verhandlungsprozess werde mit dem Reformprozess in der Türkei Schritt halten. Nun, das ist wirklich nicht der Fall, wenn man jetzt schon zusichert, dass in Kürze zwei neue Kapitel geöffnet werden. Wenn die Europäische Union also derartige kosmetische Verbesserungen billigt, geht sie jeder Glaubwürdigkeit verlustig und der gesamte weitere Verhandlungsprozess verkommt zu einer grotesken Farce.
Werner Langen (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Ich möchte zuerst der Kollegin Ria Oomen-Ruijten herzlich danken. Sie hat eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme vorgelegt. Das reiht sich nahtlos in die Berichte ein, die wir hier in früheren Jahren verabschiedet haben.
In einem Punkt bin ich allerdings viel skeptischer als Sie und der Herr Kommissar Rehn. Ich habe nicht festgestellt, dass es im letzten Jahr irgendeinen Fortschritt in der Türkei gegeben hat. Es war umgekehrt: Es gab überall Stillstand. Wir haben größtes Interesse an einer Türkei, die modern, demokratisch, stabil und westlich orientiert ist, sowie enge wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen zu Europa unterhält.
Aber wenn Sie die Fakten ansehen, dann ist der Stillstand das Zeichen.
Wir haben bisher keine Regelung in der Frage der Zollunion. Da ist ein Sonderstatus der Türkei zur Europäischen Union, was Zypern angeht. Wir haben in diesem Reformprozess zwar einen Vorschlag für den Artikel 301. Aber ich will daran erinnern, dass die frühere Ministerpräsidentin Tansu Çiller 1995, vor dreizehn Jahren, bereits die Reform zugesagt hat, bevor wir der Zollunion zugestimmt haben. Nichts ist geschehen. Der Verbotsantrag liegt auf dem Tische und das zeigt die mangelnde demokratische Reife der Türkei: Die Parteien regen sich gar nicht darüber auf, dass die Regierungspartei verboten werden soll und der Ministerpräsident möglicherweise persönlich ein Politikverbot erhält. Das Militär ist gleichzeitig Stabilitätsfaktor und Demokratiehindernis. Auch dieser Widerspruch ist nicht gelöst. Und ich sehe einen neuen Nationalismus in der Türkei, der sich in vielen Punkten dokumentiert. Auch das Verhalten gegenüber unserem Delegationsvorsitzenden Joost Lagendijk zeigt, dass es nicht wirklich um Meinungsfreiheit gehen kann, sondern man will öffentlich durch Druck in jeder Form die öffentliche Meinung beeinflussen. Wir können uns das nicht bieten lassen.
Ich sage, dass es im Moment für Optimismus bezüglich der Türkei überhaupt keinen Grund gibt, dass wir deshalb aber ernsthaft über Alternativen nachdenken müssen. In diesem Sinne ist der Bericht offen und ehrlich, und wir werden ihn unterstützen.
Jan Marinus Wiersma (PSE). – (NL) Auch ich möchte der Berichterstatterin dafür Anerkennung zollen, wie sie diesen Bericht konzipiert hat. Der Bericht gibt klar und deutlich den Weg an, den das Parlament beschreiten will, nämlich Verhandlungen über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und nichts anderes.
In der Türkei wurde 2008 als das Jahr der Reformen angekündigt. Wir befürworten selbstverständlich diese Zielsetzung, warten aber den weiteren Verlauf der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei ab. Herr Swoboda hat dazu genug gesagt. Wenn dies misslingt, bekommen wir es mit einer Türkei zu tun, die eigentlich nicht handlungsfähig ist.
Apropos Reformen. Ich möchte auch auf Artikel 301 des Strafgesetzbuches aufmerksam machen, der dazu dient, die Meinungsfreiheit in der Türkei in verschiedener Hinsicht zu beschränken. Die Regierung hat eine Änderung dieses Artikels angekündigt. Unserer Meinung nach ist das ein richtiger Schritt, wir würden es jedoch bevorzugen und halten es für die beste Lösung, diesen Artikel ebenso wie andere beschränkende Bestimmungen ein für allemal abzuschaffen, damit einer Praxis ein Ende gesetzt wird, die leider noch immer Bestand hat, nämlich der Missbrauch dieser Artikel zur Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Zweitens möchte ich mich Herrn Lagendijk anschließen und zum Ausdruck bringen, wie sehr auch uns das Einschreiten der Polizei während der Demonstration am 1. Mai in Istanbul empört hat. Sie werden verstehen, dass uns dies als Sozialdemokraten, für die der 1. Mai ein bedeutender Tag ist, überaus beunruhigt hat. Wir hoffen, dies wird sich nie wiederholen und appellieren an die Behörden sicherzustellen, dass dies nie wieder geschieht.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Kurdenfrage. Wir wollen, dass die politische Debatte in der Türkei auch tatsächlich stattfindet, dass nach einer Lösung über Dezentralisierung gesucht wird, aber beispielsweise auch durch Förderung der Verwendung der kurdischen Sprache im Allgemeinen. Das ist meiner Ansicht nach ein wesentlicher Punkt, der heute noch einmal herausgestellt werden sollte.
Abschließend darf ich Ihre Aufmerksamkeit zudem auf einen Punkt lenken, den wir verschiedentlich erörtert haben, die Unterstützung der Initiative des spanischen Ministerpräsidenten, Herrn Zapatero, und seines türkischen Amtskollegen, Herrn Erdoğan, zu der, wie sie es nennen, Allianz der Zivilisationen. Das Parlament wird hoffentlich endlich einmal unsere diesbezüglichen Änderungsanträge absegnen.
Andrew Duff (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Zunächst einmal möchte ich Joost Lagendijk gegen die skandalösen Angriffe auf seine Integrität durch die Republikanische Volkspartei und gewisse nationalistische Journalisten in Schutz nehmen. Herr Lagendijk ist ein Freund der Türkei und ein erstklassiger Vorsitzender des Gemischten Parlamentarischen Ausschusses EU-Türkei. Diejenigen, die Joost Lagendijk angreifen, greifen dieses Parlament an und wollen die Demokratie auf dem Altar eines aggressiven Laizismus opfern. Unsere Botschaft muss absolut klar sein: Wenn der Oberste Gerichtshof der Türkei weiterhin politische Parteien verbietet, dann ist dies das Ende aller Aussichten auf eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union.
Cem Özdemir (Verts/ALE). – Frau Präsidentin! Auch ich möchte mich zunächst bei der Berichterstatterin für die faire Zusammenarbeit und für den sehr ausgewogenen Bericht bedanken. Der Bericht benennt die kritischen Punkte, die auch von den Menschen in der Türkei kritisch diskutiert werden, beispielsweise die Lösung der kurdischen Frage, im Konsens, unter Gewährleistung der Rechte aller ethnischen Gruppen in der Türkei. Beispielsweise die Lösung des Kopftuch-Problems in der Türkei, die auch mit einbezieht, dass die Interessen derer gewahrt werden, die kein Kopftuch tragen wollen. Beispielsweise die Frage der Religionsfreiheit, die für alle in der Türkei gelten muss, auch für Aleviten, auch für Christen, auch beispielsweise für den Ökumenischen Patriarchen von Istanbul.
Wir sagen all dies, weil wir Freunde der Türkei sind, weil wir eine europäische Türkei innerhalb der Europäischen Union sehen wollen. Deshalb diese Kritik von Freunden zu Freunden. Auch die Europäische Union kann mehr tun. Signale wie die von Herrn Sarkozy, dass die Türkei – egal was sie macht – nicht in die Europäische Union kommt, helfen uns sicherlich nicht.
Roberta Angelilli (UEN). – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke der Berichterstatterin für die ausgezeichnete Arbeit, die sie geleistet hat, um die gegenwärtige politische, gesellschaftliche und behördliche Situation in der Türkei zu verdeutlichen.
Ungeachtet dessen, ob man einen positiven, halbherzigen oder sogar ablehnenden Standpunkt zum Beitritt der Türkei zur Europäischen Union einnimmt, gibt es nichts daran zu deuteln, dass die Türkei in puncto Modernisierung und Durchsetzung der Menschenrechte arg im Rückstand ist. Zugegeben, es wurden einige Anstrengungen unternommen, doch die Korruption ist eine echte Plage und die Zypernfrage ist immer noch ungelöst, ganz zu schweigen von den Beziehungen zu Armenien, die noch ein gutes Stück Arbeit erfordern werden. Das ist die Kurdenfrage; die Gewalt gegen Frauen ist immer noch ein wunder Punkt, was ebenso für Zwangsheiraten und Ehrenverbrechen gilt.
Besorgniserregend sind außerdem die Lage bezüglich der Erfassung von Kindern bei der Geburt sowie die niedrigen Einschulungsraten. Diese Aufzählung ist gewiss nicht vollständig und spiegelt eine höchst problematische Situation wider, die das Parlament sehr sorgfältig und beharrlich überwachen muss. Es dürfen keine Abstriche von der Freiheit und von den Grundrechten gemacht werden...
(Die Präsidentin entzieht der Rednerin das Wort.)
Adamos Adamou (GUE/NGL). – (EL) Frau Präsidentin! Wenn die Türkei die Kopenhagen-Kriterien und die Verpflichtungen, die sie im Assoziierungsabkommen und im Zusatzprotokoll von Ankara übernommen hat, uneingeschränkt erfüllt, kann und sollte sie der EU beitreten.
Für uns steht fest, dass das Ziel die Vollmitgliedschaft der Türkei ist und dass eine wie immer geartete Partnerschaft keine Alternative dazu darstellt. Die Perspektive des EU-Beitritts wird die Türkei dahingehend unter Druck setzen, dass sie die Menschenrechte aller Einwohner einschließlich der Kurden und der religiösen Minderheiten achtet.
Obwohl wir wegen des laufenden Gerichtsverfahrens gegen die Regierungspartei und der oberflächlichen Änderung von Artikel 301 des Strafgesetzbuchs besorgt sind, hat die Türkei unserer Auffassung nach gewisse Fortschritte erzielt. Wenn aber ihr Beitrittskurs ungehindert fortgesetzt werden soll, muss sie – wie dies auch frühere Beitrittskandidaten getan haben – ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union insgesamt nachkommen.
Die Türkei muss also ihre Zusagen einlösen, ihre Flug- und Seehäfen für Flugzeuge und Schiffe der Republik Zypern öffnen und ihr Veto gegen die Mitwirkung Zyperns in internationalen Organisationen aufheben.
Heute, da wir dank der Anstrengungen der griechischen und der türkisch-zypriotischen Gemeinschaften nach dem Abkommen vom 21. März zwischen den politisch Verantwortlichen der beiden zypriotischen Parteien Fortschritte erkennen können, darf die Türkei nicht im Wege stehen.
Bastiaan Belder (IND/DEM). – (NL) Die Republik Türkei disqualifiziert sich selbst für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Die schlechte Behandlung ihrer winzigen christlichen Minderheit, vielleicht 100 000 Bürger oder gerade ein Hundertstel Prozent der Gesamtbevölkerung, lässt meines Erachtens keine andere Schlussfolgerung zu. Im Lichte der Kopenhagener Kriterien haben der Rat, die Kommission und das Parlament auch keine andere Wahl.
Mit der regelrechten Verfolgung, der syrisch-orthodoxe und andere Christen im Südosten der Türkei, Tur Abdin, seit Jahr und Tag ausgesetzt sind, klagt sich der türkische Staat unmittelbar an. Gehört ein Land, in dem Bürger, die christliche Gottesdienste besuchen und dazu regelmäßig von der Polizei oder Geheimdiensten verhört werden, in die Europäische Union? Verhöre, die außerdem mit Bedrohungen im Privat- oder Berufsleben und in einigen Fällen sogar mit Folter einhergehen. Türkische Zustände, türkische Selbstdisqualifizierung. Es geht jedoch darum, wie ehrlich die Europäische Union hier gegen sich selbst ist.
Sylwester Chruszcz (NI). – (PL) Frau Präsidentin! Ich habe allen Respekt für die türkische Nation und bin mir der jahrhundertelangen engen und nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen meinem Land Polen und der Türkei voll bewusst. Dennoch muss ich sagen, dass der Gedanke einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union über mein Vorstellungsvermögen hinausgeht.
Die Türkei ist zwar seit vielen Jahrhunderten auf europäischem Boden präsent, ist aber kulturell gesehen kein europäisches Land. Wir sollten mit der Türkei nach besten Kräften zusammenarbeiten, aber die Folgen der Mitgliedschaft eines moslemischen Landes in einem europäischen Klub lassen sich nur schwer quantifizieren. In der Tat zeigt die gegenwärtige Lage in der Türkei, dass die Behörden in Ankara nicht gerade erpicht darauf sind, in Europa integriert zu werden.
Neben den Beziehungen der Türkei zur Europäischen Union möchte ich auch ihre Beziehungen zu Armenien ansprechen. Ich freue mich, dass die türkische Regierung in dem Entwurf für eine Entschließung des Europäischen Parlaments aufgefordert wird, ihre Wirtschaftsblockade gegen Armenien zu beenden. Allerdings ist es bedauerlich, dass der Völkermord an den Armeniern in dem Dokument keine Erwähnung findet.
Jacques Toubon (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin! Der Bericht unserer Kollegin Ria Oomen-Ruijten ist detailliert, ehrlich und – wenn man den für die Türkei schwierigen Zeitpunkt bedenkt – auch mutig. Ich möchte sie dazu beglückwünschen. Dieser Bericht gehört jedoch zu einem Genre, das meiner Ansicht nach immer mehr den Bezug zur Wirklichkeit verliert. Das Europäische Parlament und viele andere Institutionen vermitteln immer noch den Eindruck, als könnten wir mit unseren unermüdlichen Erziehungsversuchen die Türkei ändern. Das ist nämlich der entscheidende Punkt: der Widerspruch zwischen diesem Land, dieser Nation, diesem großartigen Volk und seiner Entwicklung auf der einen sowie dem Projekt, das wir gemeinsam durchführen wollen, auf der anderen Seite.
Die Türkei ist ein Nationalstaat, einer der letzten seiner Art, einer der stärksten und selbstbewusstesten. Seine Einheit besitzt nationalistischen Charakter, was in der Haltung zur Anerkennung des Völkermords in Armenien deutlich zum Ausdruck kommt. Seine Politik wird zunehmend von einer Einheitsreligion getragen, zumal das Land sich immer mehr von den säkularen Prinzipien entfernt, die eigentlich die Grundlage seiner Verfassung bilden. Es strebt nach Unabhängigkeit, während wir hier ein Prinzip der Integration, der Verlagerung von Zuständigkeiten und der Souveränität anwenden wollen. Das läuft auf einen Frontalzusammenstoß zwischen beiden Seiten hinaus.
Hören wir auf, uns Illusionen zu machen, hören wir auf, den Türken alles vorschreiben zu wollen und sie glauben zu machen, dass wir bereit sind, ihren Beitritt zu akzeptieren, ohne dass sie die Kriterien von Kopenhagen tatsächlich erfüllen, oder aber, dass wir ihn wegen ebendieser Kriterien ablehnen, wenn es doch in Wirklichkeit um uns geht, darum, was wir mit unserem europäischen Projekt verbinden. Lassen Sie uns außerdem eine dauerhafte Partnerschaftsstruktur festlegen, die für beide Seiten von Vorteil ist und es der Türkei ermöglicht, ihre Rolle als regionale Macht zu übernehmen, und der Europäischen Union gestattet, ihre globale Identität weiter zu festigen.
Véronique De Keyser (PSE). – (FR) Frau Präsidentin! Da ich nur eine Minute Redezeit habe, komme ich gleich auf den Punkt.
Durch die versöhnliche Haltung der Berichterstatterin, Frau Oomen-Ruijten, konnten eine ganze Reihe von Klippen umschifft werden. Eine bleibt jedoch, und das ist die Uneinigkeit in Bezug auf Änderungsantrag 14 zur reproduktiven Gesundheit. Für die Sozialdemokraten ist dieser Änderungsantrag kein nebensächliches Detail, nur ein Problem der Frau. Er ist ein Zeichen für die klare Trennung von Kirche und Staat und steht für Weltlichkeit.
Wenn wir also nicht wollen, dass der türkische Säkularismus von der Armee verteidigt oder per Gerichtsbeschluss geschützt wird, sollten wir das doch den Frauen überlassen. Sie werden ihn mit ihrem Körper verteidigen. In einem Land, in dem noch Ehrenmorde begangen werden, bedeutet die Forderung nach sexuellen Rechten für die Frau, sich jedweden fundamentalistischen Auswüchsen entgegenzustellen.
István Szent-Iványi (ALDE). – (HU) Frau Präsidentin! Lassen Sie uns die Lage nicht beschönigen: Die Frage des Beitritts der Türkei hat eine kritische Stufe erreicht. Dass bis zum heutigen Tag keine Entscheidung getroffen wurde, hat seine Ursachen sowohl in den Unsicherheitsfaktoren in der Innenpolitik der Türkei als auch in der zögerlichen Haltung der Europäischen Union gegenüber der Türkei. Angesichts dieser Situation ist immer wieder darauf hinzuweisen, dass das Beitrittsverfahren ein zeitlich unbefristeter Prozess ist, an dessen Ende jedoch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union stehen soll. Dieses Ziel verfolgen sowohl wir als auch die Türkei.
Es liegt in unserem strategischen Interesse, dass die Türkei langfristig Teil des europäischen politischen Hauses werden soll. Die assoziierte Mitgliedschaft über die Mittelmeerunion kann eine ergänzende Maßnahme sein, die den Integrationsprozess jedoch nicht ersetzt. Die Türkei muss deutlich mehr tun, um die demokratischen Institutionen zu stärken, die zivile Kontrolle über das Militär zu intensivieren, das Rechtssystem zu reformieren und die Menschenrechte wie auch die Rechte der Minderheiten zu fördern. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für den Erfolg des Prozesses, da ein Scheitern der Verhandlungen auch unser Verschulden wäre und nicht nur das der Türkei. Vielen Dank.
Mogens Camre (UEN). – (DA) Frau Präsidentin! Die Türkei ist zu groß und zu andersgeartet, als dass sie Mitglied der EU werden kann. Wenn die Türkei wirklich willens wäre, nach dem bekannten Ausspruch von Kemal Atatürk „Es gibt nur eine Zivilisation“ zu handeln, stünden wir nicht Jahr für Jahr hier und kämen zu dem Schluss, dass das Land höchstwahrscheinlich nicht bereit ist, den Forderungen der Europäischen Union bezüglich der Annahme europäischer Werte und des Verzichts auf die ottomanischen Wertvorstellungen zu entsprechen. Offensichtlich geht die Türkei davon aus, dass der EU im Laufe des Prozesses, da zwar Verhandlungen geführt werden, dass Land die zentralen Forderungen nach Veränderung jedoch nicht erfüllt, allmählich die Luft ausgeht. Die Türkei besetzt seit nunmehr 34 Jahren mehr als ein Drittel des Territoriums eines EU-Mitgliedstaates. Zypern leidet insgesamt unter der türkischen Besatzung, und die besetzte Region ist am meisten betroffen. Es ist offensichtlich, dass die Bürger Europas mehrheitlich nicht für eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union sind. Außerdem scheint eine zunehmende Zahl türkischer Bürger den Beitritt ihres Landes zur EU nicht zu befürworten. Es ist an der Zeit, dieses Theater zu beenden. Der Türkei steht die Tür zu einem erweiterten Handelsabkommen offen. Für Europa ist kein Platz in der künftigen Struktur, die die Türkei zu schaffen gedenkt.
Ioannis Kasoulides (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Ich gratuliere Ria Oomen-Ruijten zu ihrem ausgewogenen und fairen, aber dennoch energischen Herangehen an ein solch kontroverses Thema. Militärputsche sind inzwischen aus der Mode gekommen und werden neuerdings durch einen Staatsstreich durch die Justiz ersetzt. Es ist unglaublich, dass Verfassung und Gesetze den gerichtlich veranlassten Sturz einer Regierung ermöglichen, die von 47 % der Bevölkerung gewählt wurde, und das wegen einer Klage, die im vollkommenen Missverhältnis zu dem geforderten Urteil steht, verglichen mit sämtlichen Standards der EU, des Europarats oder der Venedig-Kommission.
Die EU-Grundsätze sind unvereinbar mit einem Polizeistaat und lassen auch nicht zu, dass eine Regierung von militärischer Seite daran gehindert wird, ihre aktuellen Aufgaben zu erfüllen. Zum Beispiel müsste Ankara in der Zypernfrage nun, nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen, zeigen, dass es die politische Bereitschaft besitzt, eine Regelung auf Basis der EU-Grundsätze zu erzielen, ohne die Anwesenheit türkischer Truppen auf der Insel oder das Recht auf unilaterales militärisches Eingreifen. Weitere Aufgaben knüpfen sich an die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit nach Artikel 301, an die Rechte nicht-muslimischer religiöser Minderheiten und des orthodoxen Ökumenischen Patriarchen, an die Verpflichtungen der Türkei, die sich aus dem Ankara-Protokoll ergeben, an Probleme wie Ehrenmorde an Frauen und das damit einhergehende konspirative Schweigen, an das Thema des Völkermords an den Armeniern und der Blockade gegenüber Armenien usw.
Das sind die Herausforderungen, denen die Türkei sich heute stellen muss, wenn sie beweisen will, dass sie das Zeug hat, ein Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Maria-Eleni Koppa (PSE). – (EL) Frau Präsidentin! Die Türkei hat einen Platz in der europäischen Familie, und unser einziges Ziel sollte die Vollmitgliedschaft sein. Die Union muss zu ihren Zusagen stehen. Die Türkei wiederum muss die Kopenhagener Kriterien und die von ihr übernommenen Verpflichtungen erfüllen.
Allerdings wurden auf dem Gebiet der Menschenrechte im letzten Jahr nur sehr dürftige Fortschritte erzielt. Das Endziel bleibt die Aufhebung des berüchtigten Artikels 301 sowie aller Bestimmungen, die eine Verhöhnung der Meinungsfreiheit darstellen.
Überdies müssen wir der Lage im Südosten der Türkei unsere unmittelbare Aufmerksamkeit schenken. Wir verurteilen die Gewalt und sind der Ansicht, dass eine endgültige Lösung auf friedlichem Wege gefunden werden muss. Gewalt darf nicht mit Gewalt beantwortet werden. Deshalb meine ich, dass es eine gründliche Untersuchung der Frage geben muss, ob amerikanische Flugzeuge im Zusammenhang mit der heimlichen Verschleppung von Verdächtigen nach Guantanamo türkisches Hoheitsgebiet genutzt haben.
Unser Ziel muss der Aufbau einer friedlichen, demokratischen und stabilen Gesellschaft sein. Daher erfüllen uns die jüngsten Vorgänge in der Türkei im Hinblick auf die Folgen eines etwaigen Verbots der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) mit besonderer Sorge.
Abschließend möchte ich der Berichterstatterin gratulieren…
(Die Präsidentin entzieht der Rednerin das Wort.)
Marios Matsakis (ALDE). – (EN) Frau Präsidentin! Uns allen ist bekannt, dass das Haupthindernis für eine Weiterentwicklung der Türkei in Richtung Demokratie die türkische Armee ist; eine Armee, die nicht nur Millionen von Soldaten und deren Angehörige kontrolliert, sondern auch politische Parteien und Prozesse, Polizei und Geheimdienst, einen Großteil der Justiz (einschließlich des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsgerichts) sowie die religiösen, bildungspolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Belange des Landes.
Seit der Revolution von General Atatürk in den 1920er Jahren ist die Türkei de facto eine Militärdiktatur, ob direkt oder indirekt. Neuerdings bietet die Aussicht auf einen EU-Beitritt für einige mutige Leute, z. B. die Führer der AK-Partei, Anlass, diese Vormachtstellung des Militärs in Frage zu stellen. Wir haben die Pflicht, diesen Menschen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten beizustehen. Die Armee schöpft den größten Teil ihrer Kraft aus der Unterstützung durch den Westen. In Form von direkten Hilfen und lukrativen Joint Ventures im Bereich der Verteidigung fließen Milliarden Euro aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien und Spanien in die Türkei. Diese und andere Länder, einschließlich Russlands und Chinas, haben die Pflicht, die gesamte Wirtschaftshilfe für das türkische Militär so lange einzustellen, bis in der Türkei wirkliche demokratische Verhältnisse sicher verankert sind.
Mario Borghezio (UEN). – (IT) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur handfeste geopolitische und geoökonomische Interessen, nicht der Wille oder das Interesse unserer Völker, stehen für den Beitritt der Türkei zu Europa.
Dieser Bericht mutet wie eine Enzyklopädie der Gründe an, die gegen den EU-Beitritt eines Landes sprechen, das jeden Tag mehr islamisiert wird und wo Muftis öffentlich predigen, Frauen, die keinen Schleier tragen, wären Teufelsanbeterinnen. Die türkische Verfassung ist ein Kompendium von Regeln, die zwar eingehalten werden, doch gegen die Menschenrechte verstoßen, die uns lieb und teuer sind.
In grundlegenden Fragen bleibt der Bericht leider allgemein: Zypern, Völkermord an den Armeniern und Kurdenfrage. Darüber hinaus würden mit der Europa-Zugehörigkeit dieses islamischen Landes, das den Alkoholkonsum verbietet, diese Normen auch unseren Völkern aufgedrückt, einschließlich der heldenhaften Kelten, von den Iren bis zu den Bretonen, bis hin zu uns, der Bevölkerung der Poebene, die wir stolz auf unsere Liebe zu unserem Wein und unserem Bier sind.
Francisco José Millán Mon (PPE-DE). – (ES) Frau Präsidentin! Der Bericht von Frau Oomen-Ruijten, den wir heute annehmen werden, ist ein ernsthaftes, insgesamt ausgewogenes und auch anspruchsvolles Dokument.
Es nennt die erreichten Fortschritte, weist aber auch auf die noch ausstehenden Reformen hin.
Wir alle freuen uns, dass die türkischen Behörden 2008 als Jahr der Reformen betrachten, weil wir wissen, dass sie für die Beitrittsverhandlungen notwendig sind. Zudem werden die Veränderungen für die Türkei selbst gut sein.
Die breite parlamentarische Mehrheit der türkischen Regierung bedeutet, dass es keine Verzögerung bei den Reformen geben darf. Sind sie einmal beschlossen, werden die Unionsbürger auch wahrnehmen, inwieweit die Verpflichtung der Türkei zum EU-Beitritt und zu ihren Werten, einschließlich der Achtung der Rechte und Freiheiten, fundiert ist.
Somit unterstreicht der Bericht unseren ausdrücklichen Wunsch, dass keine Zwischenfälle das demokratische politische Leben in der Türkei ernsthaft unterbrechen mögen.
Meine Damen und Herren, wir sind für Reformen. Wir sind auch für die Einhaltung von Verpflichtungen, zu denen die Normalisierung der Beziehungen zu Zypern und die volle Umsetzung des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara gehören.
Ein weiterer wichtiger Punkt für die EU ist die Kontrolle der Einwanderung. Wir müssen die illegale Einwanderung unterbinden, die die Türkei gelegentlich als Transitland nutzt, und die Mafiagruppen bekämpfen, die daraus Vorteil ziehen.
Es ist notwendig, die Außengrenzen zu kontrollieren und Mechanismen für die Rückführung der illegalen Einwanderer anzuwenden. Für diese Aktionen benötigen wir die Mitarbeit der Türkei, und deshalb bedaure ich, dass noch kein Rückführungsabkommen zustande gekommen ist.
Meine Damen und Herren, der Terrorismus stellt auch in der Türkei und in der Europäischen Union eine reale Bedrohung dar. Wir müssen unsere Zusammenarbeit ausbauen, um diese Geißel wirksamer zu bekämpfen.
Ich komme nun zum Schluss. Es gibt ein weiteres großes Feld, auf dem die EU und die Türkei größere Anstrengungen unternehmen müssen, um zu gemeinsamen Positionen zu gelangen. Ich meine beispielsweise den Mittelmeerraum oder Mittelasien.
Wir haben ebenfalls viele gemeinsame Interessen in Fragen der Energiesicherheit, einer der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit.
Kurz gesagt, meine Damen und Herren, die Türkei und die Europäische Union brauchen einander, das dürfen wir in unserer künftigen Arbeit nicht vergessen.
Béatrice Patrie (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr über die Ausgewogenheit dieses Berichts, von dem ein positives Signal an die Türkei ausgeht. Die Sozialdemokraten werden dafür Sorge tragen, dass die Beitrittsverhandlungen unter französischer Ratspräsidentschaft im positiven Sinne fortgeführt werden. Gerade weil wir den Beitritt wünschen, darf kein Schatten auf die Ereignisse fallen, die unsere gemeinsamen demokratischen Werte berühren.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Intellektuelle wie der Journalist armenischer Abstammung, Hrant Dink, ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie über bestimmte Abschnitte in der türkischen Geschichte sprechen. Ebenso wenig kann akzeptiert werden, dass der Völkermord an den Armeniern nach offizieller Lesart immer noch zu einer großen Tragödie heruntergestuft und das Leid eines Volkes, dessen Deportiertenzahl mit der Zahl der Grippekranken im Vereinigten Königreich vergleichbar ist, hinweggewischt wird.
Wie der Philosoph Bernard-Henri Lévy bin auch ich der Meinung, dass die Leugnung des Völkermords Teil des Völkermords selbst ist. Daher fordere ich die türkischen Behörden eindringlich auf, den vernünftigen Weg der Wahrheit einzuschlagen und dazu beizutragen, dass alle nationalen Minderheiten rehabilitiert werden.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (EN) Frau Präsidentin! Zunächst einmal möchte ich Frau Oomen-Ruijten für diesen Bericht danken. Er unterstreicht, dass die Türkei in vielerlei Hinsicht bereits Teil europäischer Projekte ist, er betont aber auch, dass es eine Entwicklung gibt, dass sich etwas bewegt bei der Erneuerung der türkischen Gesellschaft. Gleichzeitig hebt der Bericht hervor, dass diese Reformen und diese Veränderungen viel zu langsam vonstatten gehen, dass es noch viel mehr zu tun gibt.
Da stellt sich uns dann allerdings folgende grundsätzliche Frage: Steht die Europäische Union und stehen Europa und die europäischen Wertmaßstäbe besser da mit einer Türkei, die alle Anforderungen erfüllt und alle in dem Bericht genannten Reformen durchgeführt hat, oder stehen wir besser da mit einer Türkei, die sich möglicherweise in Zukunft mehr an andere Teile der Welt annähern wird und damit an andere Wertvorstellungen? Ich denke, die Antwort auf diese Frage ist ziemlich klar, und das verdeutlicht noch einmal, dass wir selbstverständlich weiterhin mit Nachdruck alle notwendigen Änderungen in der Türkei einfordern müssen, was die Meinungsfreiheit betrifft, was die Reform von Artikel 301 des Strafgesetzbuches betrifft, des Weiteren die Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung der Geschlechter, und zwar nicht nur per Gesetz sondern auch in der Realität, und natürlich die Notwendigkeit einer Lösung der Zypernfrage und einiger weiterer Fragen. Doch angesichts einer solchen Perspektive, wenn also in den Beitrittsverhandlungen all diese Ergebnisse erzielt werden können, erscheint es dringend geboten, dass die Europäische Union für die Mitgliedschaft der Türkei offen ist, da dies die europäischen Werte, Europa selbst und die Europäische Union stärken würde, und ich denke, dass das auch die notwendige und offensichtliche Schlussfolgerung dieser Aussprache sein muss.
Richard Howitt (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Zu Beginn begrüße ich die ausgewogene und gewissenhafte Herangehensweise der Berichterstatterin und natürlich des Herrn Kommissars und des Herrn Ratspräsidenten in dieser wichtigen Angelegenheit. Drei Punkte möchte ich hervorheben:
An meine türkischen Freunde: Die Inhaftierung von 530 Gewerkschaftern am 1. Mai 2008 war ein Verstoß gegen das ILO-Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und gegen die Kopenhagener Kriterien. Bitte schützen Sie die Gewerkschaften, und verhindern Sie weitere Angriffe gegen die türkische Transportarbeitergewerkschaft TÜMTIS.
An die Gegner eines EU-Beitritts der Türkei: Benutzen Sie nicht die Schließung der AK-Partei durch den Verfassungsgerichtshof für Ihre eigenen politischen Zwecke. Nach der Krise im Zuge der Nominierung der Präsidentschaftskandidaten fanden Wahlen statt, und die Demokratie hat gesiegt. Heute, da bin ich sicher, wird die Demokratie so oder so ebenfalls siegen.
An Herrn Claeys, Herrn Langen, Herrn Belder, Herrn Toubon und andere, die vorsätzlich versuchen, die öffentliche Unterstützung für den EU-Beitritt der Türkei mit der Sprache und den Drohungen, die wir in der heutigen Aussprache gehört haben, zu unterminieren: Die türkische Öffentlichkeit soll wissen, dass Sie keine Mehrheit darstellen, nicht im Namen dieses Parlaments sprechen und es auch nicht schaffen werden, der Türkei ihre Europa-Perspektiven zu verbauen.
Elmar Brok (PPE-DE). – Frau Präsidentin, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Türkei ist heute ein wichtigeres Land für die Europäische Union als jemals zuvor. Deswegen muss der Reformprozess innerhalb der Türkei gestützt werden, und es ist uns wichtig, eine demokratische und rechtsstaatliche Türkei zu haben.
Wir müssen aber bestimmte Bedenken haben, die auch in dem Bericht Oomen-Ruijten zum Ausdruck kommen, nämlich ob die Reformfähigkeit der Türkei ausreicht. Wenn ich sehe, was mit dem Strafrechtsartikel 301 passiert – Religionsfreiheit und Stiftungsrecht, Minderheitenrechte –, dann versucht die Regierung Erdogan Fortschritte zu machen, aber sie ist immer zu kurz gesprungen, weil ganz offensichtlich im innerstaatlichen Kontext die Grenzen der Reformfähigkeit erreicht worden sind.
Wenn ich dabei gleichzeitig sehe, dass man leichten Fußes sagt, die Regierungspartei wird verboten, und dass sie ein paar Wochen später unter einem Namen ohne bestimmte Personen, die keine Politik mehr machen dürfen, wieder eingesetzt wird, dann heißt dieses, dass ...
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort.)
Emilio Menéndez del Valle (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! Der gewalttätige islamische Fundamentalismus, der den Westen im Visier hat, aber auch dem Islam schadet, breitet sich im Nahen Osten und im Maghreb aus.
Der radikale islamische Fundamentalismus ist zwar nicht gewalttäig, wird aber ebenfalls in einer Reihe von Ländern immer stärker. Daraus ergibt sich die wichtige Rolle, die die Türkei in ihren Beziehungen zur Europäischen Union gegenüber der moslemischen Welt spielen kann.
Das ist ihr in ihrer Eigenschaft als Land möglich, das offiziell weltlich ist, doch natürlich moslemische Wurzeln und eine moslemische Kultur hat, was einen echten Vorteil für die Beziehungen zwischen der EU und den moslemischen Ländern darstellt.
Deshalb hat meine Fraktion zwei Änderungsanträge eingereicht, um die Türkei zu beglückwünschen, da sie an der Seite Spaniens das offizielle UN-Projekt der Allianz der Zivilisationen fördert. Das darf nicht vergessen werden, denn durch dieses Projekt beweist die Türkei ihr Engagement, bei den Beziehungen zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt behilflich zu sein.
Vural Öger (PSE). – Frau Präsidentin! Liebe Ria! Mein Lob und meinen Respekt für diesen Bericht. Er ist ausgeglichen und fair. Diese Linie sollten wir heute beibehalten.
Wir betonen zu Recht, dass die Türkei noch weitere Anstrengungen machen muss. Das Ziel, in der Türkei eine stabile und wohlhabende Demokratie aufzubauen, ist nicht nur im Interesse der Türkei, sondern auch ein wichtiges strategisches Interesse der EU.
Sorgen bereitet mir die Haltung des nächsten Ratspräsidenten Sarkozy. Seine Türkeipolitik setzt nicht auf einen EU-Beitritt. Er beharrt auf der Streichung der Bezeichnung Beitrittskandidat in EU-Dokumenten und betont, Frankreich werde nur der Eröffnung von Kapiteln zustimmen, die nicht auf eine Vollmitgliedschaft hinauslaufen. Damit steht die Glaubwürdigkeit der EU auf dem Spiel. Ich betone: Pacta sunt servanda! Die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen wurde einstimmig beschlossen, auch Frankreich sagte ja.
Anstatt negative Signale zu senden, sollte die EU konstruktiv mit der Türkei umgehen. Wir haben in diesem Parlament mit Mehrheit entschieden, dass wir mit der Türkei...
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort)
Evgeni Kirilov (PSE). – (EN) Frau Präsidentin! Frau Oomen-Ruijten hat einen sehr ausgewogenen und objektiven Bericht über die Türkei verfasst, der höchst lobenswert ist. Es gibt einen bemerkenswerten Konsens unter den benachbarten Mitgliedstaaten darüber, dass eine klare Perspektive für die EU-Mitgliedschaft der Türkei existieren sollte. Das ist kein Zufall; es sind stets die Nachbarländer, die die Situation am besten kennen. Die Türkei hat bereits immense Fortschritte bei den Reformen erzielt, die zur Erreichung der demokratischen EU-Standards eingeleitet wurden. Natürlich muss noch viel getan werden, aber wir müssen die Türkei bei diesem Prozess ermutigen; wir müssen die europafreundlichen Reformkräfte in der Türkei ermutigen, und zwar sowohl innerhalb der Regierungspartei als auch der Opposition.
Zu dem erwarteten Verfassungsgerichtsurteil zur Schließung der AK-Partei habe ich Folgendes zu sagen: Dies ist natürlich nicht hinnehmbar. Ich denke aber, wir sollten Ruhe bewahren, denn sicher wird die Türkei ausreichend Vernunft aufbringen, um eine mögliche Krise zu meistern.
Wir als Nachbarländer sollten die Türkei unterstützen und alles tun, um die bilaterale und trilaterale grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu vertiefen und eine neue Qualität gutnachbarlicher Beziehungen zu erreichen. Dies würde auch die Beilegung aller ausstehenden bilateralen Streitpunkte umfassen, z. B. im Fall …
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort.)
Reinhard Rack (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Ria Oomen-Ruijten hat einen guten und nüchternen Bericht vorgelegt. Sie hat auf einige Fortschritte und auf viele Fragezeichen und ungelöste Probleme verwiesen. Nur indirekt angesprochen wurde die Kernfrage: Wenn die Türkei reformiert wäre, hätte sie dann einen Anspruch auf Mitgliedschaft? Unser geltendes EU-Recht setzt an den Schluss der Verhandlungen eine politische Alternative, für uns in der Union und für die Türkei selbst. Deswegen plädieren wir in Österreich und anderswo für ergebnisoffene Verhandlungen. Der Beitritt ist eine Möglichkeit, nicht ein vorweggenommenes Ergebnis.
Pierre Pribetich (PSE) . – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Weil die Türkei zur europäischen Geschichte gehört, weil die Türkei Teil der europäischen Kultur ist, weil die Türkei für die EU eine große wirtschaftliche und demografische Chance darstellt, kann ich als Befürworter des Beitritts im Hinblick auf die Einhaltung der demokratischen Prinzipien, die Trennung von Kirche und Staat, und die Achtung der Menschenrechte noch mehr verlangen.
Die Europäische Union fußt auf Werten und Prinzipien, die wir nicht verleugnen dürfen, indem wir im Beitrittsverfahren im Namen der Diplomatie den Mantel des Schweigens darüber decken. Die Türkei muss den Völkermord an den Armeniern anerkennen, und dies wird ein historischer und symbolischer Akt sein, mit dem sie ihre politische Reife unter Beweis stellt. Das Europäische Parlament hat sich seit Juni 1987 aus voller Überzeugung und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln für diese Anerkennung stark gemacht. Müssen wir dann einundzwanzig Jahre später mit einer so nichtssagenden Formulierung daherkommen? Wenn das Parlament dem zustimmt, dann wäre das ein Schritt zurück. Ich fordere Sie, meine Damen und Herren, dringend auf, für den Änderungsantrag 23 zu stimmen, um den Behörden mit Nachdruck klarzumachen …
(Die Präsidentin entzieht dem Redner das Wort.)
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Die Mentalität der Türken hat sich seit der Zeit von Kemal Atatürk kaum geändert. Ihre religiöse Tradition führt sie auf ihrem eigenen Weg, der sich von unserem Weg, dem Weg der Europäer, unterscheidet. Geografische Nähe bedeutet nicht gleich kulturelle Nähe. Die ungeschriebenen gesellschaftlichen Regeln sprechen zudem nicht dafür, dass das türkische Volk von einer europäischen Identität angezogen wird.
Stellt sich noch die Frage, ob die Türken den Wunsch haben, sich zu ändern und unser sozialpolitisches Modell anzunehmen, was Artikel 301 offenbar verneint. Steht es uns zu, die Türken zu belehren und ihnen zu sagen, was sie zu tun haben? Durch ihre Änderungsanträge will die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament den Türken eine ideologische Lösung aufzwingen, aber sie sind zufrieden damit, wie sie sind. Es hat kaum Fortschritte bei den Reformen gegeben, und die Armee spielt noch immer eine sehr wichtige Rolle. Sollen wir die Nation mit Gewalt zu ihrem Glück zwingen, indem wir ihre Identität, Tradition und Kultur ändern? Ist das überhaupt möglich?
Frau Präsidentin, der Rat hat in gutem Glauben die Aufnahme von Verhandlungen beschlossen, um zu ermöglichen, dass die Türkei eine Brücke zwischen Europa und dem Islam wird. Jetzt ist er selbst nicht mehr überzeugt, dass seine Entscheidung richtig war. Alles, was wir hinterlassen haben, ist Wunschdenken.
Joel Hasse Ferreira (PSE). – (PT) Frau Präsidentin! Im Allgemeinen begrüße und unterstütze ich Frau Oomen-Ruijtens Bericht, insbesondere, was die darin zum Ausdruck kommende Besorgnis über die möglichen Folgen des Verbots der AK-Partei anbelangt. Außerdem haben wir jetzt eine wunderbare Gelegenheit, die genutzt werden muss, um die Zypernfrage zu regeln.
Wie im Bericht zum Ausdruck kommt, ist es auch von größter Bedeutung, dass die türkische Regierung ihre Reformen vorantreibt, unter Achtung von Pluralismus und Diversität in einer demokratischen, säkularen Türkei, und dass alle Bürger in der Lage sind, im demokratischen türkischen Staat ihre kulturelle Identität zu entwickeln.
Fortschritte sind natürlich auch auf anderen Gebieten notwendig wie die Verteidigung der gewerkschaftlichen Rechte und größere Schritte auf dem Weg zur wirklichen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Allerdings erkennt der Bericht auch an, dass bereits viele Fortschritte, die für die Modernisierung der türkischen Gesellschaft erforderlich sind, erzielt wurden.
Frau Präsidentin, die Türkei muss ihren Weg zur vollen Integration unter strikter Einhaltung der vom Europäischen Rat gewährten und von diesem Parlament genehmigten Bedingungen weitergehen – nicht mehr und nicht weniger.
Panayiotis Demetriou (PPE-DE). – (EL) Frau Präsidentin! Uns allen ist bekannt, dass auf Zypern ein neues Klima herrscht. Sowohl die griechischen wie die türkischen Zyprioten wünschen eine Lösung des Zypernproblems und streben danach, zum Wohle beider Seiten den Interessen ihres Landes zu dienen. Just hier kommt der Faktor Türkei hinzu, da türkische Truppen einen Teil Zyperns besetzt halten. Die Türkei kontrolliert die Dinge politisch, und es ist Zeit, dass sie erkennt, dass sie diese Politik aufgeben muss. Die Lösung des Zypernproblems liegt im türkischen Interesse. Insbesondere muss die Armee, die sich in den ganzen Prozess destruktiv eingemischt hat, zur Kenntnis nehmen, dass eine Lösung des Zypernproblems notwendig ist.
Es ist höchste Zeit, dass die türkische Besatzung und Einmischung ein Ende haben, damit die griechischen und die türkischen Zyprioten friedlich in der Europäischen Union zusammenleben können. Wir können das erreichen, und ich denke, dass wir in Frieden zusammenleben können.
Janez Lenarčič, amtierender Ratspräsident. – (SL) In Anbetracht der Kürze der Zeit und des Lärms im Saal werde ich versuchen, mich kurz zu fassen.
Die gerade beendete Aussprache und vor allem der Bericht von Frau Oomen-Ruijten bestätigen das, was auch dem Rat bewusst ist: Jeder Reformprozess ist schwierig. Und das trifft auch auf die Türkei zu.
Im Verlaufe dieses Prozesses sieht sich der Staat mit mehr als nur einem beachtlichen Dilemma in Bezug auf Werte wie Säkularismus, Demokratie und Menschenrechte konfrontiert.
Beispiele dafür sind die vielfach erwähnten Gerichtsverfahren, die im Bericht genannt werden und die auch der Rat berücksichtigt hat, wie z. B. Verfahren gegen politische Parteien, die Kopftuch-Debatte, die Debatten zur Stellung der Frauen im Allgemeinen, über religiöse Freiheit und über freie Meinungsäußerung.
Ich möchte Folgendes unterstreichen: Auf den Gebieten, auf denen die Türkei Fortschritte erzielt hat, ist der Fortschritt sichtbar, reicht jedoch nicht aus. Fortschritte sind zu erkennen, was Veränderungen im Strafrechtssystem, bei den grundlegenden Rechtsvorschriften, beim Status der Frauen betrifft – sehen Sie sich nur an, wie sich die Anzahl der Frauen im Parlament erhöht hat – aber natürlich reichen die in all diesen Bereichen gemachten Fortschritte noch nicht aus.
Im Hinblick auf Zypern möchte ich auch hervorheben, dass der Rat von der Türkei vornehmlich zwei Dinge erwartet: eine konstruktive Rolle bei den Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen sowie die Umsetzung des Protokolls zur Anpassung des Abkommens von Ankara. Neben anderen Aufgaben sind das die Hauptaufgaben.
Natürlich ist es bei all dem nützlich, wenn die Türkei eine Zielsetzung hat. Und diese Zielsetzung wurde vorgelegt. Als die Europäische Union der Türkei den Kandidatenstatus gewährte, wurde sie gegenseitig vereinbart, und die Beitrittsverhandlungen wurden unter dieser Voraussetzung fortgesetzt.
Während der Präsidentschaft Sloweniens gehören die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu den Hauptzielen, und wir hoffen, dass dieses Ziel erreicht wird, so dass wir in der nahen Zukunft weitere Verhandlungskapitel öffnen können.
Natürlich ist es nicht sicher, ob das endgültige Ziel erreicht wird; das hängt von den Beitrittsverhandlungen ab, davon, wie erfolgreich die Reformen sind, und es hängt sowohl von uns, den Mitgliedstaaten, als auch von den Kandidatenländern ab.
Olli Rehn, Mitglied der Kommission. − (EN) Frau Präsidentin! Ich danke zunächst der Berichterstatterin und den Abgeordneten für diese sehr ernsthafte und verantwortungsvolle Aussprache zu einem für die Beziehungen EU-Türkei sehr kritischen Zeitpunkt. Ich habe Ihre Botschaften, die auch im Entschließungsentwurf und in den Kompromissänderungsanträgen verankert sind, zur Kenntnis genommen.
Drei dieser Botschaften würde ich gerne besonders hervorheben, und zwar erstens, dass es unerlässlich ist, sich ab sofort mit ganzer Kraft für die Reformen einzusetzen, damit die Situation der türkischen Bürger in Bezug auf die Grundrechte verbessert werden und der Türkei somit geholfen werden kann, die Kopenhagener Kriterien der EU zu erfüllen.
Die zweite Botschaft ist, dass die Bürgerrechte im gesellschaftlichen Alltag geachtet werden müssen. Ich teile Ihre in Kompromissänderungsantrag 32 geäußerte Besorgnis über die unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten durch die türkische Polizei bei den diesjährigen Kundgebungen zum Maifeiertag in Istanbul. Es ist unbedingt erforderlich, nochmals klarzustellen, dass die Versammlungsfreiheit und die friedliche Arbeit von Gewerkschaften ein in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte verbrieftes Grundrecht darstellen.
Die dritte und letzte Botschaft macht deutlich, dass das Europäische Parlament eindeutig hinsichtlich des Parteiverbots große Bedenken hegt. Die Schließung einer politischen Partei ist kein normaler Vorgang und kann dies auch niemals sein. In einer europäischen Demokratie darf man so etwas nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Somit steht dieses Jahr wieder einmal einiges auf dem Spiel für die Türkei und für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Das beste Mittel zur Wiederbelebung des EU-Beitrittsprozesses der Türkei wäre, dafür zu sorgen, dass die Reformen voranschreiten, dass ein wirklicher politischer Dialog in der Türkei begonnen wird und dass sowohl Demokratie als auch Säkularität respektiert werden.
Ria Oomen-Ruijten, Berichterstatterin. − (NL) Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen für die ausgezeichnete Mitarbeit. Wie ich bereits sagte, können wir nur gemeinsam deutlich machen, dass der Reformprozess in der Türkei notwendig ist. Wir alle können ein positives Zeichen setzen, indem eine große Mehrheit für den Bericht stimmt. Damit helfen wir der Türkei, Reformen umzusetzen sowie die Gewährleistung der persönlichen Rechte und die Verankerung der Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen. Das alles ist für eine moderne Gesellschaft vonnöten, in der es Männern und Frauen gut geht.
Ich rufe meine Kolleginnen und Kollegen noch einmal dazu auf, bei der Abstimmung über die Änderungsanträge alle politischen Spielchen zu unterlassen und dafür zu sorgen, dass eine große absolute Mehrheit diesen Bericht über die Türkei im Plenum annimmt.
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet heute statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Tunne Kelam (PPE-DE) , schriftlich. – (EN) Die Türkei als größtes Land mit Beitrittsaussichten ist jetzt und in Zukunft ein strategisch wichtiger Partner und Verbündeter Europas. Es muss im Interesse aller sein, eine verlässliche Beziehung auf der Basis von gemeinsamen Wertvorstellungen und gegenseitigem Respekt zu entwickeln. Die EU muss die demokratisch gewählte Regierung unterstützen und sollte Versuche zu deren Destabilisierung verurteilen.
Eine EU-Mitgliedschaft kann aber nur dann sinnvoll angestrebt werden, wenn das Kandidatenland dazu bereit ist, normale Beziehungen zu jedem einzelnen EU-Mitgliedstaat zu unterhalten. Obgleich die gegenwärtige Situation Zeichen der Konsolidierung erkennen lässt, möchte ich die Türkei doch auffordern, endlich die grundlegenden Beitrittskriterien zu erfüllen, indem sie die Republik Zypern anerkennt und die türkischen Militäreinheiten abzieht.
Die vollständige Erfüllung der Kopenhagener Kriterien bildet nach wie vor die Grundvoraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft. Die türkische Regierung hat auf diesem Gebiet beachtliche Anstrengungen unternommen. 2007 wurde die Demokratie in der Türkei gestärkt. Eine politische Initiative für eine dauerhafte Regelung der Kurdenfrage einschließlich realer Möglichkeiten, die kurdische Sprache zu erlernen und zu gebrauchen, steht jedoch noch aus. Wünschenswert wären darüber hinaus überzeugende Maßnahmen zur Beendigung der politisch motivierten Gewalt gegen christliche Minderheiten sowie gleiche Möglichkeiten für alle Religionsgemeinschaften, Sakralgebäude für ihre Glaubensausübung zu errichten.
Lasse Lehtinen (PSE), schriftlich. – (FI) Frau Präsidentin! Ich danke der Berichterstatterin für ihren ausgewogenen Bericht. Meiner Meinung nach sendet er ein ehrliches und kritisches, zugleich aber auch positives und optimistisches Signal an die Türkei aus. Er unterstützt die Reformversuche, die von den progressiven und gemäßigten Kräften in der Türkei unternommen werden, indem er deutlich auf diejenigen Aspekte der Gesellschaft hinweist, bei denen das Land Fortschritte erzielt hat. Zugleich bekundet der Bericht allerdings Besorgnis über die Situation hinsichtlich der Meinungsfreiheit, der Gleichstellung der Geschlechter, der Kurden und anderer Minderheiten sowie der Gewaltanwendung durch die Behörden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir derzeit Beitrittsverhandlungen auf der Grundlage der Kriterien von Kopenhagen führen.
Wenn das Land die Kriterien erfüllt und die Grundsätze eines europäischen Rechtsstaates befolgt, dann sehe ich keinen Grund, warum der Beitritt blockiert werden sollte. Die Türkei, die der EU vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren beitreten wird, wird eine andere Türkei sein als die, die wir heute vorfinden. Wenn wir wirklich eine demokratische, stabile und friedliche Türkei wollen, dann sollten wir ihr zumindest die Tür zur Mitgliedschaft nicht vor der Nase zuschlagen. Lassen Sie nicht zu, dass man uns billigen Populismus und Fremdenfeindlichkeit vorwirft. Eine europäische Türkei liegt nicht nur im Interesse der EU und der Türkei selbst, sondern der Welt insgesamt. Man sollte der Türkei eine Chance geben.
Csaba Sógor (PPE-DE), schriftlich. – (HU) Wir diskutieren über den Beitritt der Türkei, oder anders ausgedrückt, darüber, ob dieses Land mit seinem asiatischen Erbe europäisch werden kann. Die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern, die Garantie der Rechte der kurdischen Minderheit, Chancengleichheit der Frauen – dies sind nur einige wenige Beispiele für die Vielzahl grundlegender Probleme. Wir reden von den Erwartungen und Standards der Europäischen Union, aber mittlerweile hat die EU selbst andauernde Probleme mit der Demokratie, den Menschenrechten und den Rechten von Minderheiten.
Rumänien bereitet derzeit Kommunalwahlen vor. In den letzten Tagen hat die Vergangenheit Timişoara oder Temesvár wieder eingeholt: Per Mehrheitsbeschluss hat der Wahlausschuss des Bezirks Timiş einem Antrag stattgegeben, in dem eine natürliche Person verlangte, einige Wahlplakate der UDMR, der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien, zu entfernen.
Die einzigen Stimmen für das UDMR-Mitglied kamen von der Demokratisch-Liberalen Partei (PDL) und zwei Richterinnen im Wahlausschuss. Die minderheiten- und ungarnfeindliche Haltung, die Mitglieder einiger politischer Parteien an den Tag legen, ist weder zu tolerieren noch zu akzeptieren. Was können wir von der Türkei erwarten, wenn wir innerhalb der Europäischen Union noch mit solchen Problemen zu kämpfen haben? Die romafeindliche Gesinnung in Rom, die Kollektivschuld in der Slowakei, die ungarnfeindliche Haltung in Timişoara sind nur Beispiele.
Feleknas Uca (GUE/NGL), schriftlich. – Seit Anfang dieses Jahres ereilen uns bedauerlicherweise immer noch traurige und besorgniserregende Nachrichten über grenzüberschreitende Aktionen des türkischen Militärs, über Tote und Verletzte bei Gefechten im Südosten des Landes und an der türkisch-nordirakischen Grenze, über unverhältnismäßige und brutale Übergriffe der Sicherheitskräfte auf insbesondere Kinder und Frauen während des diesjährigen kurdischen Newroz-Festes.
Der Bericht der niederländischen Abgeordneten Oomen-Ruijten spricht zwar wichtige Punkte an, bleibt aber, angesichts der Ernsthaftigkeit der politischen Lage in der Türkei, viel zu zaghaft. Um die Verantwortlichen in der Türkei nicht zu verärgern, werden die Herzstücke einer erforderlichen Reform nicht mit der notwendigen Klarheit gefordert. Hierzu zählen für mich ganz klar:
1. die zivile Einschränkung und Kontrolle des Einflusses des Militärs in der Türkei
2. die endgültige Loslösung von der Idee, die Kurdenfrage militärisch zu lösen, und das klare Bekenntnis zu einer politischen Lösung und zu einer Aussöhnung
3. die bedingungslose Streichung des Artikels 301 und aller anderen die Meinungs- und Gedankenfreiheit beschränkenden Artikel
4. eine klare politische Willensbekundung zur umfassenden Emanzipation der Frauen
An diesen Stellen hätte der Bericht viel deutlicher und entschiedener ausfallen müssen.