Der Präsident. − Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zwei Erklärungen abgeben. Die zweite Erklärung gebe ich im Auftrag und auf Aufforderung der Konferenz der Präsidenten ab.
Das Ergebnis der Abstimmung vom 12. Juni 2008 in Irland führt die Europäische Union zu einer der schwierigsten Herausforderungen ihrer Geschichte. Der Reformvertrag von Lissabon, entstanden aus dem Verfassungsvertrag, der von einem öffentlich tagenden Konvent erarbeitet wurde, der sich aus nationalen und europäischen Abgeordneten zusammensetzte, ermöglicht der Europäischen Union mehr Demokratie, mehr Handlungsfähigkeit, mehr Transparenz. Er stärkt das Europäische Parlament, gibt den nationalen Parlamenten mehr Verantwortung bei der Gestaltung der Europapolitik, ermöglicht Initiativen der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union gegenüber den europäischen Institutionen und gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung.
Der Vertrag von Lissabon ist die Antwort auf kritische Beurteilungen von Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf Defizite der Europäischen Union. Dieser Vertrag bringt die Europäische Union näher zu ihren Bürgern. Wir dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass die Verwirklichung des Reformvertrags eine absolute Notwendigkeit ist, damit die Europäische Union ihre Werte und Interessen im 21. Jahrhundert verteidigen kann. Ohne die durch den Vertrag von Lissabon ermöglichten Reformen ist der Beitritt weiterer Länder zur Europäischen Union kaum denkbar.
Wir fordern den EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel auf, alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um den Reformvertrag zu verwirklichen. Der Ratifizierungsprozess muss uneingeschränkt fortgeführt werden. Wir ersuchen die irische Regierung, ihrerseits Vorschläge zu unterbreiten, wie wir gemeinsam diese schwierige Phase europäischer Politik überwinden können.
Das Europäische Parlament wird sich mit aller Kraft und großem Engagement für die Bewältigung dieser Herausforderungen einsetzen. Wir erwarten dieses auch von der Europäischen Kommission und von allen Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir erwarten ebenso, dass das Europäische Parlament umfassend in die Arbeiten einbezogen wird. Unser Ziel bleibt es, den Vertrag von Lissabon bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 in Kraft zu setzen. Diese Grundsätze werde ich – Ihre Zustimmung vorausgesetzt – vor dem Europäischen Rat am 19. und 20. Juni in Brüssel mit Entschlossenheit vertreten.
(Beifall)
Die Debatte findet am Mittwochmorgen mit Rat und Kommission statt. Es ist nicht daran gedacht, jetzt darüber zu diskutieren, sondern am Mittwochmorgen ist die Debatte über die Vorbereitung des Europäischen Rates, und es ist sinnvoll, dass wir dann mit den Spitzen von Rat und Kommission darüber beraten.
Wir müssen eine sehr strukturierte Debatte führen, und dieses waren meine Überzeugungen zu dieser Debatte. Ich habe sie auch deswegen vorgetragen, weil die frühere Präsidentin des Europäischen Parlaments, Simone Veil, die am Mittwoch in Spanien eine hohe Auszeichnung entgegennimmt, mich persönlich gebeten hat, die Laudatio zu halten. Ich durfte mich dieser Aufforderung nicht entziehen, und mein Anliegen war es, dass Sie auch meine persönliche Meinung zu den Ereignissen in Dublin und den Herausforderungen, vor denen wir stehen, kennen.
Die Konferenz der Präsidenten hat mich gebeten, eine Erklärung zum Nahen Osten abzugeben. Eine vierzehnköpfige Delegation unserer Nahost-Arbeitsgruppe besuchte vom 30. Mai bis zum 2. Juni 2008 unter Leitung von Veronique De Keyser und Annemie Neyts-Uyttebroeck Israel und Palästina. Vor Ort wurde die konkrete Umsetzung der vor sechs Monaten bei der Konferenz von Annapolis von allen Parteien gemeinsam öffentlich bekannt gemachten Ziele beurteilt, die eine Zwei-Staaten-Lösung bis Ende dieses Jahres zum Ziel hat. Kernaspekte waren die Stärkung der Sicherheitskräfte durch die Palästinenser selbst, die Frage des Ausbaus der Siedlungen, insbesondere um Jerusalem, die wirtschaftliche Entwicklung, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Westjordanland und schließlich die humanitäre Situation im isolierten und von den internationalen Sanktionen betroffenen Gazastreifen.
Der einstimmig verabschiedete Delegationsbericht – und die Delegation war auch repräsentativ zusammengesetzt –, der letzte Woche in Anwesenheit des Rates und der Kommission vorgestellt und dann der Konferenz der Präsidenten übermittelt wurde, ist bedrückend. Es wurden zwar einige ermutigende Fortschritte erzielt, doch leider erweisen sich diese als sektoral und begrenzt. Die Gesamtentwicklung gibt keinen Anlass, optimistisch zu sein. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sind die ehrgeizigen Ziele von Annapolis kaum zu verwirklichen.
Einhellig vertritt die Delegation die Meinung, der sich auch die Konferenz der Präsidenten anschließt, dass die Blockade des Gazastreifens aufgehoben, der kontrollierte Grenzverkehr von Waren und Personen wieder ermöglicht und der Gewalt Einhalt geboten werden muss.
Auch im Westjordanland ist ein neuer Kurs zu verfolgen: Die Glaubwürdigkeit der Palästinensischen Behörde ist zu fördern, und die Bedingungen für eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung sind nachhaltig zu verwirklichen. Der von Israel angewandten Politik ständiger Teilungen und räumlicher Trennungen ist entgegenzutreten. Übereinstimmend mit der amerikanischen Regierung, die dieses gestern durch Außenministerin Condoleezza Rice erklärte, wird gefordert, die Ausbreitung der Siedlungen, insbesondere in Ostjerusalem, zu beenden.
Wir sind der Meinung, keiner hat das Recht, sich den in Annapolis vereinbarten Verpflichtungen zu entziehen. Israelis und Palästinenser haben sich in gutem Glauben und im Geiste der Versöhnung zu Verhandlungen verpflichtet. Dieser Weg ist mit Ernsthaftigkeit wieder aufzunehmen. Mut und Kraft zur politischen Erneuerung sind gefordert. Es liegt an uns Europäern, unsere Partner in diesem Prozess zu begleiten und zu unterstützen. Das Europäische Parlament wird seine Verantwortung mit Entschlossenheit wahrnehmen.
Die Beziehungen der Europäischen Union zu Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde sind so zu entwickeln, dass sie den Friedensprozess insgesamt fördern. Der Barcelona-Prozess – Union für das Mittelmeer – könnte ein zusätzliches Element der Friedensförderung sein. Das Europäische Parlament erwartet, im Rahmen der europäischen Bemühungen für den Frieden im Nahen Osten angemessen konsultiert zu werden.
Während wir hier tagen, lassen die Fischer im Gazastreifen ihre Boote zu Wasser. Aufgrund der Blockade grassiert eine ungeheuerliche Umweltverschmutzung, die die Lebensgrundlage der Fischer bedroht und gegen die sie protestieren. Sie demonstrieren für ihre Rechte auf Fischfang, auf Leben, auf Freiheit und auf Frieden. Unsere Delegation hat den Fischern Unterstützung versprochen. In unser aller Namen möchte ich daher diesen Fischern die Solidarität des Europäischen Parlaments aussprechen.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch dafür, dass Sie diese Erklärung angehört haben, zu der mich die Konferenz der Präsidenten aufgefordert hat.