Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von Marie Panayotopoulos-Cassiotou im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010) (KOM(2007)0797 – C6-0469/2007 – 2007/0278(COD)) (A6-0173/2008).
Vladimír Špidla , Mitglied der Kommission. − (CS) Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte der Berichterstatterin, Frau Panayotopoulos-Cassiotou, und dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten sowie der Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter, Frau Geringer, für ihre hervorragende Arbeit danken.
Das Europäische Jahr 2010 wird eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung eines sozialen Europa spielen. Der gewählte Ansatz, also ein Jahr, in dem zentrale und dezentrale Methoden miteinander kombiniert werden, sollte sich besonders dazu eignen, den politischen Zusammenhalt zwischen den Bürgern und den verschiedenen Entscheidungsebenen zu gewährleisten, und ein gewisses Maß an Flexibilität mit Blick auf die spezifische Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen.
Mit dem Europäischen Jahr 2010 bietet sich der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten die Gelegenheit, ihr politisches Engagement zu bekräftigen, und es wird deutlich gemacht, dass Armut und soziale Ausgrenzung ihren Niederschlag in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der Union finden und die Würde unserer Bürger verletzen. Das Europäische Jahr 2010 soll zeigen, dass Armut erfolgreich bekämpft werden kann.
Außerdem wird sich mit dem Europäischen Jahr 2010 eine Plattform für die Aussprache über europäische Werte und deren Achtung bieten, die im Mittelpunkt der Entwicklung der öffentlichen Politik auf Ebene der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten steht. Es wird dazu beitragen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen in einem anderen Licht zu sehen.
Die Kommission hat sich immer dafür eingesetzt, dass dieses Konzept und dieser Ansatz im Text erhalten bleiben. Meines Erachtens weisen die meisten der Änderungsanträge des Europäischen Parlaments in diese Richtung.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou , Berichterstatterin. − (EL) Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemäß dem Gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung für 2008 leben 16 % der Gemeinschaftsbevölkerung nach wie vor unter der Armutsgrenze und 19 % der Kinder sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Und dies trotz all der Zusagen der Mitgliedstaaten aus dem Jahre 2000, die Armut bis 2010 deutlich zu mindern.
Armut betrifft nicht nur Frauen, Kinder und bestimmte stets besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen. Sie ist noch lange nicht aus der Welt geschafft und wird gegenwärtig durch internationale Entwicklungen im Energie- und Lebensmittelsektor sowie durch interne Ungleichheiten in weniger wohlhabenden Regionen verschärft. Diese Regionen in äußerster Randlage, Inseln, deindustrialisierte und andere Regionen haben mit chronischen strukturellen Nachteilen zu kämpfen.
Armut und soziale Ausgrenzung stellen eine Gefahr für die Entwicklung, die Wettbewerbsfähigkeit und das Sozialmodell dar und sind eine Menschenrechtsverletzung in einem Europa, das als gutes Beispiel für die Achtung der Menschenwürde und die Förderung der Chancengleichheit für alle vorangehen möchte.
Mit dem Kommissionsvorschlag für ein Europäisches Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010, das im Vergleich zu den bisherigen Europäischen Jahren über eine höhere Mittelausstattung verfügt, wird ein wichtiger Beitrag zur Förderung von Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und einem besseren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt geleistet.
Es ist unser Ziel, bis zum Jahr 2010 das Bewusstsein für die Vielgestaltigkeit von Armut und sozialer Ausgrenzung deutlich zu erhöhen. Dabei geht es nicht nur um materielle Armut, sondern auch um den Zugang zu medizinischer Versorgung, Wohnraum, Sozialschutz, Bildung, Ausbildung, Beschäftigung und um Lebensqualität. Wir müssen begreifen, dass Menschen, die in Armut leben, ein Recht auf ein Leben in Würde und auf eine Beteiligung am sozialen und wirtschaftlichen Leben haben. Wir müssen bekräftigen, dass die europäischen Agenturen der Mitgliedstaaten und die Sozialpartner sowie alle Bürger für die Verbesserung des sozialen Zusammenhalts verantwortlich sind. Im Jahr 2010 wird der Grundstein für wirksame Strukturen der gemeinsamen Verantwortung und für eine gerechte Umverteilung des Wohlstands gelegt.
Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten hat sich an vorderster Front für die Vorschläge eingesetzt und Änderungen angenommen, um die Zusammenarbeit aller Fraktionen im Europäischen Parlament zu ermöglichen. So haben wir den Kommissionsvorschlag verbessert, indem wir die Definition von gefährdeten Personengruppen ausgedehnt, Aspekte wie die Bedürfnisse von Familien mit spezifischen Problemen, allein erziehenden Eltern und Großfamilien sowie die besonderen Probleme von Menschen mit Behinderungen und Obdachlosen berücksichtigt und die aktive Einbindung und den Zugang zu Kultur und Freizeitaktivitäten gefördert haben.
Dies soll natürlich nicht von unserem Hauptziel ablenken, die finanzielle Situation von Einzelpersonen und Familien durch den Zugang zu einer angemessenen und unbefristeten Beschäftigung zu verbessern. Mit einer guten Beschäftigung ist die Genugtuung verbunden, sich zu beteiligen, und die notwendige Eigenständigkeit, um den Bedürfnissen der am stärksten gefährdeten Mitglieder unserer Gesellschaft, wie Kindern und alten Menschen, gerecht zu werden.
Als Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben wir die ordnungsgemäße Umsetzung der Gemeinschaftsvorschriften zur Chancengleichheit streng überwacht. Wir waren an der Ausarbeitung und Durchführung integrierter, koordinierter politischer Strategien auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene beteiligt, die von öffentlichen und privaten Einrichtungen unter Einbeziehung der Betroffenen entwickelt wurden, um den Grundsätzen der verantwortungsvollen Staatsführung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden.
Zu den Faktoren, die für den Erfolg des Jahres zur Bekämpfung von Armut notwendig sind, gehören die Stärkung der offenen Methode der Koordinierung, die Abstimmung von Maßnahmen der bestehenden Gemeinschaftsprogramme und der Ergebnisse der bisherigen Europäischen Jahre sowie eine korrekte Evaluierung der Vorschläge und Ergebnisse durch die Europäische Kommission.
Die Frage, ob NRO beteiligt und wie viele Mittel für ihre Aktionen zur Verfügung gestellt werden sollen, wurde im Vermittlungsausschuss des Rates und des Parlaments erörtert. Es freut uns, dass der Rat dem Vorschlag zugestimmt hat, dem Beschluss einen Anhang mit einer zusätzlichen Stellungnahme der Kommission hinzuzufügen, in der die Beteiligung kleiner und mittelgroßer NRO sowie die Möglichkeit einer vollständigen Finanzierung ihrer Aktionen durch nationale Agenturen befürwortet wird.
Ich möchte den zuständigen Bediensteten, den Kolleginnen und Kollegen und den Abgeordneten für ihre Unterstützung bei der Ausarbeitung des Beschlusses danken.
VORSITZ: ALEJO VIDAL-QUADRAS Vizepräsident
Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. – (PL) Herr Präsident! Die Lebensqualität der Bürger der Mitgliedstaaten der Union zu verbessern, ist ein Grundanliegen der europäischen Integration. Dessen ungeachtet zeigen die Statistiken, dass derzeit in der Union 78 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, die meisten von ihnen Kinder, Frauen und Ältere. Das bedeutet, dass die Europäische Union neben ihren wirtschaftlichen Maßnahmen auch gesellschaftliche Initiativen ergreifen muss, und darauf hat das Europäische Parlament wiederholt hingewiesen. In seiner Entschließung vom 15. November 2007 hat das Parlament betont, dass die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und die Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung für die Europäische Union eine politische Priorität werden müssen. Die Initiative der Kommission, 2010 zum Jahr der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung auszurufen, fügt sich vorzüglich in diesen Kontext ein und kann bedeutend dazu beitragen, die politische Aufmerksamkeit zu bündeln und alle Betroffenen mobilisieren, um so den Sozialschutz und die soziale Eingliederung voranzutreiben.
Das für diese Initiative veranschlagte Budget – 17 Millionen Euro – ist so hoch wie nie zuvor, aber es kommt ganz wesentlich auf die Umsetzung der Projekte auf nationaler Ebene an, damit diese Initiative ein Erfolg wird. Deshalb gilt es an die Mitgliedstaaten zu appellieren, sich aktiv an dieser Initiative zu beteiligen und für diesen Zweck entsprechend personelle und finanzielle Ressourcen bereitzustellen.