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Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 18. Juni 2008 - Straßburg Ausgabe im ABl.

5. Feierliche Sitzung – 2008 – Europäisches Jahr des interkulturellen Dialogs
Protokoll
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  Die Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Im Namen des Präsidenten des Europäischen Parlaments empfinde ich es als eine besondere Ehre und Freude, in diesem Jahr des interkulturellen Dialogs die UNO-Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit Dr. Asma Jahangir im Europäischen Parlament willkommen zu heißen.

Das Europäische Parlament misst dem Jahr des interkulturellen Dialogs besondere Bedeutung bei. Mit einer Reihe von Veranstaltungen und Initiativen bietet es ein Forum für den Austausch von Ideen zwischen Bürgern aus verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften und zwischen Bürgern unterschiedlicher Religionen und Überzeugungen.

Im Laufe dieses Jahres haben wir bereits politische und religiöse Führer aus der ganzen Welt eingeladen, um zu uns zu sprechen. Zudem hoffen wir, dass unser Parlament als Forum für Kommunikation zur Verbreitung einer gemeinsamen Botschaft und zur Förderung des wahrhaft freien Dialogs und des besseren gegenseitigen Kennenlernens beitragen wird.

Es ist mir eine besondere Freude, Sie hier zu begrüßen, Frau Dr. Jahangir, da Sie vor dem Plenum über grundlegende Probleme des Weltfriedens und der Entwicklung sprechen werden.

Im Rahmen unserer gemeinsamen Aufgabe zur Förderung der Demokratie und der Menschenrechte verfolgen wir aufmerksam die Ereignisse in Ihrem Heimatland Pakistan, und während Ihrer Inhaftierung im vergangenen Jahr hat das Europäische Parlament eine Entschließung mit der Forderung nach Ihrer unverzüglichen Freilassung verabschiedet. Aus diesem Grund sind wir besonders glücklich, Sie heute bei uns zu begrüßen zu dürfen.

Es gibt einen weiteren Grund, weswegen Ihrem Besuch zum jetzigen Zeitpunkt besondere Bedeutung zukommt. Dieses Jahr begehen wir den 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte, die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verabschiedet wurde. In einer Welt, die gerade den furchtbarsten Krieg der Geschichte, einen Krieg der von Europa ausgegangen war, überstanden hatte, war diese Erklärung der Auftakt für ein neues Zeitalter. Die Erklärung stellte die erste offizielle internationale Verpflichtung zur Achtung der Würde und Gleichheit aller Menschen unabhängig ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens oder ihrer Herkunft dar. In Artikel 18 der Erklärung heißt es: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“

Ihre Aufgabe als UNO-Berichterstatterin liegt darin, bestehende Hindernisse oder mögliche künftige Hindernisse für die Wahrnehmung dieses Rechts zu erkennen und Methoden und Maßnahmen vorzuschlagen, um ihnen zu begegnen und sie zu überwinden.

In Ihren Berichten heben Sie die Bedeutung des ständigen, verstärkten Dialogs mit Gemeinschaften hervor, die unterschiedliche Religionen oder Überzeugungen vertreten. Dieser Dialog muss auf allen Ebenen von allen gesellschaftlichen Gruppen geführt werden. Sie unterstreichen insbesondere, dass es zur Förderung von Toleranz, Respekt und gegenseitigem Verständnis einer breiten Beteiligung der Frauen bedarf.

Das Europäische Parlament hat in vielen Entschließungen darauf hingewiesen, dass die Frauen für die Förderung des Dialogs und des Friedens eine zentrale Rolle spielen, wie dies im Übrigen auch auf der Konferenz betont wurde, die wir anlässlich des Internationalen Frauentags organisiert haben. Sie selbst haben an vielen Konferenzen zur Förderung des Dialogs – etwa im Rahmen der Allianz der Zivilisationen – mitgewirkt und oftmals die Initiative ergriffen, damit die Frauen eine wichtigere Rolle übernehmen.

Sie haben zudem die Rolle der Bildung als wichtigsten Faktor der Konfliktprävention hervorgehoben. Bildung lehrt, Pluralismus und Vielfalt von Religionen und Überzeugungen zu achten und zu akzeptieren. Auf diese Weise trägt sie zur Verbreitung und Durchsetzung der Menschenrechte in allen Gesellschaften bei.

Was Sie vertreten, steht im Einklang mit dem Motto des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs „Vielfalt gemeinsam leben“. Es entspricht zudem der großen Bedeutung, die jenen Aktivitäten beigemessen wird, die dazu beitragen, das Wissen über andere Überzeugungen, ihre Achtung und Toleranz zu fördern.

Die heutige Sitzung ist ein feierlicher Akt. Für jene, die das Gespräch mit Ihnen fortsetzen wollen, findet morgen früh eine vom Unterausschuss Menschenrechte organisierte Sondersitzung statt.

Frau Dr. Jahangir, es ist mir eine große Freude, Sie nun zu bitten, das Wort an das Europäische Parlament zu richten.

(Beifall)

 
  
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  Asma Jahangir, Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. – (EN) Frau Präsidentin, sehr geehrte Mitglieder des Europäischen Parlaments, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde! Es ist eine große Ehre und Freude für mich, dass ich heute hier in diesem Hause sein darf. Ich möchte dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Hans-Gert Pöttering, sehr herzlich für seine Einladung danken, heute hier vor dem Europäischen Parlament zu sprechen. Ich danke auch Ihnen für Ihre Unterstützung, die Sie mir als Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen, aber auch persönlich gegeben haben, als ich letztes Jahr unter Hausarrest gestellt wurde.

Ihre Entscheidung, 2008 zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs auszurufen und es mit einer Vielzahl themenbezogener Initiativen zu begleiten, ist in der jetzigen Zeit besonders begrüßenswert und wichtig. In der europäischen Geschichte finden sich zahlreiche positive Beispiele für den interkulturellen Dialog. Doch einen solchen konstruktiven Dialog hat es nicht immer gegeben, denken wir nur an die Religionskriege oder die Gettoisierung bestimmter Glaubensgruppen im Mittelalter.

Gestatten Sie mir, Ihnen einige meiner Gedanken, insbesondere zum interreligiösen Dialog vorzutragen, die auf meinen Erfahrungen der letzten vier Jahre als Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit der Vereinten Nationen basieren. Ich werde auf vier Fragen eingehen, die im Wesentlichen das Was, Warum, Wer und Wie des interkulturellen Dialogs betreffen.

Beginnen wir mit der ersten Frage: Was verstehen wir unter einem interkulturellen Dialog? Schon hier ist die Begriffsdefinition schwierig: Beinhaltet der „interkulturelle“ auch den „interreligiösen“ Dialog? Ich würde diese Frage ganz klar mit Ja beantworten, denn schließlich sind die Religionen ein Teil der Kultur. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es Spannungen innerhalb der Religionen gibt. Deshalb sollten in den interkulturellen Dialog auch die Gläubigen verschiedener Glaubensrichtungen innerhalb der einzelnen Religionen einbezogen und deren Vorstellungen berücksichtigt werden.

Weiter stellt sich die Frage, ob es auch einen Dialog zwischen Gläubigen und Atheisten geben sollte. Die internationalen Menschenrechtsbestimmungen gewähren allen diesen Gläubigen Schutz, sie besagen aber auch, dass jeder Mensch das Recht hat, keiner Religion oder Glaubensrichtung anzugehören. Deshalb sollte diese Dimension meiner Meinung nach ebenfalls in die Initiativen zum interkulturellen Dialog einbezogen werden.

Auf Ebene der Vereinten Nationen gibt es weitere Begriffe, wie die Allianz der Zivilisationen oder das „Internationale Jahr für die Annäherung der Kulturen“ 2010. In diesen Bezeichnungen wird das häufig konfliktträchtige Wort „Religion“ vermieden, doch die jeweiligen Initiativen sind ganz gezielt darauf ausgerichtet, den interreligiösen und interkulturellen Dialog, das Verständnis und die Zusammenarbeit für eine friedlichere Welt zu fördern.

Der „interkulturelle Dialog“ kann somit als weit gefasster Begriff angesehen werden, der die bereits genannten Dimensionen einschließt: den interreligiösen Dialog und religionsinterne Grundsätze, auch wenn sie Atheisten mit einbeziehen. Das Europäische Parlament und der Rat haben die Ziele des interkulturellen Dialogs in ihrer Entscheidung Nr. 1983/2006/EG sehr treffend formuliert, wie ich finde. Darin heißt es, dass das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs ausgerufen wird, „um die Achtung der kulturellen Vielfalt zu stärken und mit der komplexen Realität in unseren Gesellschaften sowie der Koexistenz verschiedener kultureller Identitäten und Überzeugungen umzugehen. Zu unterstreichen ist auch der Beitrag, der von den verschiedenen Kulturen für das Erbe der Mitgliedstaaten und die Lebensweise ihrer Bürger ausgeht, und es ist anzuerkennen, dass die Kultur und der interkulturelle Dialog wesentlich sind, um ein Zusammenleben in Harmonie zu lernen.“

Zudem muss der Staat eine konsequente Politik verfolgen und seine Fähigkeit zur Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen weiter verbessern. Regierungen und die Zivilgesellschaft müssen eine Umgebung schaffen, in denen die Angehörigen verschiedener Religionen und Glaubensrichtungen mühelos interagieren können. Deshalb ist notwendig, den Begriff des interkulturellen Dialogs möglichst weit zu fassen.

Damit komme ich zur zweiten Frage: Warum ist der interkulturelle Dialog wichtig? Ich bin der festen Überzeugung, dass der interkulturelle Dialog äußerst wichtig ist, um sektiererische und starre Haltungen zu überwinden und die religiöse Toleranz überall auf der Welt zu fördern. Der interreligiöse Dialog ist neben der Bildung eines der wichtigsten Instrumente, um Missverständnissen, Konflikten und Übergriffen im Bereich der Religions- und Glaubensfreiheit vorzubeugen. Ein erfolgreicher interkultureller Dialog kann Toleranz, Respekt und Verständnis fördern.

Auch wenn die Unterschiede zwischen den Kulturen und Religionen erheblich sein können, dürfen sie nicht als Rechtfertigung dienen, um ihnen den gleichen Status zu verweigern. Viele Menschen fühlen sich unabhängig von ihrer Religion oder ihrem Glauben universellen Werten verpflichtet, aber es hat immer Menschen gegeben, die zeigen wollten, dass ihre Kultur, ihre Religion, ihre Sprache oder ihre Geschichte denen ihrer Nachbarn überlegen ist. Mein Vorgänger im Amt des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen, Professor Abdelfattah Amor aus Tunesien, sagte einmal, es gäbe wohl kaum etwas, was die Menschen im Laufe der Geschichte nicht schon „im Namen der Religion“ getan hätten. Dennoch teilen die Religionen viele moralische Werte, die es ihnen ermöglichen könnten und sollten, zu einem gemeinsamen Verständnis des gegenseitigen Respekts zu gelangen.

Bei meinen Reisen in andere Länder habe ich gesehen, wie positiv die Auswirkungen eines interreligiösen Dialogs sein können. Andererseits kann das Fehlen eines solchen Dialogs ein erstes Anzeigen dafür sein, dass sich interreligiöse Spannungen und Konflikte entwickeln. Natürlich ist der Dialog allein keine Lösung für die eigentlichen Probleme, er kann lediglich ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Der interreligiöse Dialog sollte sich nicht nur auf die intellektuelle und theologische Ebene beschränken, er kann auch die schweigende Mehrheit zur Suche nach einer gemeinsamen Strategie motivieren, die ein Leben in Harmonie und Frieden ermöglicht. Es gibt wahre Erfolgsgeschichten im interreligiösen Dialog, doch leider schaffen es die Initiativen an der Basis – im Gegensatz zur interreligiös motivierten Gewalt – nur selten in die Schlagzeilen.

Ich möchte Ihnen über zwei Erlebnisse während meiner letzten Sondierungsmissionen berichten, die zeigen, dass die Gesprächspartner schon mit vergleichsweise geringem Aufwand einen fruchtbaren Dialog führen können. Bei meinem Besuch in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten hat man mir über verschiedene interreligiöse Treffen berichtet, bei denen israelische und palästinensische Bürger zusammenkommen und sich nicht durch die aktuellen politischen Ereignisse von ihrem Dialog abhalten lassen. Eine NRO berichtete Folgendes: „Sowohl die israelischen als auch die palästinensischen Teilnehmer brachten ihre Enttäuschung und ihre Verzweiflung über die extremen Positionen in beiden Gesellschaften zum Ausdruck und bedauerten, dass die Mehrheit nicht bereit ist, gemeinsam und ohne Gewalt nach Lösungen zu suchen. Beide Seiten erklärten, dass es notwendig sei, dass die andere Seite eingesteht, dass auch sie Gewalt ausübt, und dass sie ihr Bedauern darüber zum Ausdruck bringt.“

In Nordirland habe ich ebenfalls gesehen, wie wichtig der interreligiöse Dialog mit den Nachbarn ist: In Belfast gibt es zahlreiche, von der Basis ausgehende Initiativen, die die Menschen mit unterschiedlichem politischem und religiösem Hintergrund zusammenbringen, die manchmal in unmittelbarer Nachbarschaft leben, aber durch so genannte Friedenslinien getrennt sind.

Damit kommen wir zur dritten Frage: Wer sollte sich am interkulturellen Dialog beteiligen? Auf dem Millenniums-Weltfriedensgipfel, der im August 2000 in New York stattfand, kamen über 1 000 religiöse und geistliche Führungspersönlichkeiten zusammen. In ihrer Abschlusserklärung zum Weltfrieden hoben sie hervor, dass es keinen echten Frieden geben kann, wenn nicht alle Gemeinschaften die kulturelle und religiöse Vielfalt der Menschheitsfamilie in einem Geist des gegenseitigen Respekts und Verständnisses anerkennen.

Solche Treffen von Religionsführern sind wichtig, aber gleichzeitig muss auch der interreligiöse Dialog an der Basis gefördert und unterstützt werden. Meiner Ansicht nach sollten sich an einem solchen Meinungsaustausch möglichst auch Gläubige, die ihrem Glauben objektiv gegenüberstehen, ebenso wie Atheisten und Mitglieder religiöser Minderheiten beteiligen. Darüber hinaus wäre es für jeden Dialog von großem Nutzen, wenn auch Frauen ihre Perspektiven einbringen würden, doch gerade sie werden bei wichtigen Veranstaltungen des interreligiösen Dialogs meist ausgegrenzt. Frauen gehören zu denen, die am stärksten unter religiöser Intoleranz zu leiden haben, aber ich habe festgestellt, dass Frauengruppen aus allen Glaubensrichtungen sehr wirksam für die Menschenrechte eintreten, wenn es in örtlichen Gemeinschaften zu Spannungen kommt.

Manchmal kann es auch sinnvoll sein, Menschen einzubeziehen, die demselben Glauben angehören, aber unterschiedliche Meinungen vertreten. Ein gutes Beispiel, das mir bei meinem jüngsten Besuch im Vereinigten Königreich begegnete, ist eine Diskussionsrunde in London, bei der es unter anderem um Rechtsvorschriften gegen sexuelle Diskriminierungen und gesetzlich festgelegte Ausnahmen für religiöse Organisationen geht. Diese Diskussion wäre ohne die Teilnahme der christlichen Schwulen- und Lesbenbewegung eine vollkommen andere gewesen.

Auch Künstler spielen eine wichtige Rolle und können der Öffentlichkeit zeigen, wie religiöse Toleranz gelebt und Brücken zwischen unterschiedlichen Gemeinschaften gebaut werden können. Eindrucksvoll belegt dies das West-Östliche Divan-Orchester, dem junge Musiker aus Israel, Palästina, dem Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten angehören. Sein Gründer und Leiter, Daniel Barenboim, beschreibt die humanitäre Idee für dieses Orchester so: „Wir betrachten uns nicht als politisches Projekt, sondern vielmehr als Forum, das jungen Menschen aus Israel und allen arabischen Ländern die Möglichkeit bietet, sich frei und offen zu äußern und gleichzeitig den anderen zuzuhören. Das bedeutet nicht zwangsläufig, andere Sichtweisen zu akzeptieren oder gar zu übernehmen, es geht vor allem darum, anzuerkennen, dass es legitim ist, andere Ansichten zu vertreten.“

Bei meinem letzten Besuch in Indien habe ich allerdings festgestellt, dass auch Künstler sich dem Druck der Straße nicht gänzlich entziehen können. Die indische Filmindustrie leistet einen wichtigen Beitrag zur Öffentlichkeitsbildung im Bereich der religiösen Toleranz. Einige Bollywood-Filme konnten jedoch nicht gezeigt werden, weil von nichtstaatlicher Seite massiver Druck ausgeübt wurde. Bedauerlicherweise scheinen die Verantwortlichen der Filmindustrie immer erst den Segen der selbsternannten Hüter religiöser Gefühle einzuholen, bevor sie ein Filmprojekt realisieren, das Probleme im Zusammenleben verschiedener Gemeinschaften aufgreift. Dies zeigt, wie wichtig der Beitrag von Künstlern zum interkulturellen Dialog ist, oder zumindest sein könnte. Journalisten und Anwälte können ebenfalls viel bewirken, insbesondere dann, wenn sie über Religionsgrenzen hinweg Stellung beziehen und aktiv sind. Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass Menschen anderen ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit oder ihres Glaubens geholfen haben.

Noch wichtiger ist, dass sich auch die Politiker zusammentun und gemeinsam nach Wegen suchen, wie die neuen Herausforderungen in einer zunehmend globalisierten Welt bewältigt werden können. Am Ende eines solchen Ideenfindungsprozesses könnten konkrete Maßnahmen zur Integration der Vielfalt in alle Lebensbereiche stehen, zum Beispiel durch Wohnprojekte, schulische Lehrpläne und die Besetzung staatlicher Gremien.

Damit komme ich nun zur vierten Frage: Wie kann ein wirksamer interkultureller Dialog geführt werden? Es gibt verschiedene Ebenen des interkulturellen Dialogs: Internationale und regionale Organisationen, wie die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die OIC können den Aufbau von Plattformen für den interkulturellen Dialog unterstützen. Die NRO setzen sich derzeit ebenfalls dafür ein, die Friedenskultur durch den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Einzelnen und Gemeinschaften verschiedener Religionen und Glaubensrichtungen zu fördern und schlagen vor, dass die Vereinten Nationen die Zeit zwischen 2011 und 2020 zu einem Jahrzehnt des interreligiösen Dialogs und der Zusammenarbeit für den Frieden ausrufen. Dieses Vorhaben sollte mit möglichst vielen fruchtbaren Initiativen auf globaler, regionaler, nationaler oder lokaler Ebene begleitet werden. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir auch bewährte, neue und kreative Kommunikationsmittel nutzen können, um mit geringem finanziellem Aufwand einen interkulturellen Dialog zu führen, wie zum Beispiel Brieffreundschaftsprogramme in Schulen oder Internet-Chats zu speziellen Themen, aber auch das Straßen- und Puppentheater.

Die EU-Programme für das lebenslange Lernen sind ideale Plattformen für den interkulturellen und interreligiösen Dialog und werden bereits als solche genutzt. Die verschiedenen Programme sind Beispiele für bewährte Verfahren: Mit dem Programm Comenius soll durch den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Schulen in verschiedenen Ländern das Verständnis für andere europäische Kulturen gefördert werden; mehr als 1,5 Millionen Studierende haben bereits am Hochschulaustauschprogramm Erasmus teilgenommen; im Rahmen des Programms Leonardo da Vinci werden finanzielle Mittel zur Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität in der beruflichen Bildung bereitgestellt; das Programm Grundtvig bietet neue Lernmöglichkeiten, insbesondere für Erwachsene, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, sowie für ältere Arbeitnehmer und das Jean-Monnet-Netzwerk schließlich hat die Förderung der Forschung und Lehre und der Reflexion zu Fragen der europäischen Integration in Hochschuleinrichtungen weltweit zum Ziel. Ich möchte betonen, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union, speziell im Rahmen des interkulturellen Dialogs, alle Länder der Welt einbezieht.

Die Rolle der Bildungsinstitutionen ist von entscheidender Bedeutung. Sie können bereits im frühen Kindesalter einen Geist der Toleranz vermitteln oder bestehende Spannungen weiter verstärken. Deshalb muss besonderer Wert auf eine weltoffene Erziehung gelegt werden, bei der die Kinder lernen, die bestehende Vielfalt anzuerkennen. Es gibt ein enormes Potenzial für einen freiwilligen Schüleraustausch mit anderen Ländern, nicht nur in Europa, sondern weltweit. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Internationale Beraterkonferenz über schulische Erziehung in Bezug auf Religions- bzw. Glaubensfreiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung hinweisen, die 2001 durchgeführt wurde. In dem dort einstimmig verabschiedeten Madrider Abschlussdokument wird empfohlen, Lehrern und Schülern und Studenten die Möglichkeit zu bieten, sich auf freiwilliger Basis mit ihren Kollegen bzw. Mitschülern anderer Religionen oder Glaubensrichtungen zu treffen und auszutauschen.

Die Familie ist ebenfalls ein Ort, an dem schon frühzeitig Aufgeschlossenheit verhindert oder gefördert werden kann, abhängig von der jeweiligen Erziehung. Auch gemischte Ehen vermitteln – ganz automatisch – neue Perspektiven und können den interkulturellen oder interreligiösen Dialog fördern. Ich halte es für wichtig, dass bereits Kinder mit den Gepflogenheiten der Nachbarn oder anderer Religionen vertraut gemacht werden. Dazu muss man keine langen Reisen unternehmen, das geht auch, wenn man andere in die eigenen Kirchen, Moscheen, Synagogen, Tempel oder sonstigen Gotteshäuser einlädt oder dort besucht. Die Gruppen sollten – insbesondere bei interreligiösen Aktivitäten an der Basis – nicht zu groß sein, damit die Gesprächspartner Gelegenheit haben, miteinander zu sprechen und sich persönlich kennen zu lernen.

Allerdings gibt es auch potenzielle Gefahren für den interkulturellen Dialog: Ein dilettantisch geführter Dialog kann sich als oberflächlich, unverbindlich und unwirksam erweisen. Zudem kann der interkulturelle Dialog als Instrument missbraucht werden, um die negativen Seiten des Gegenübers herauszustellen. Die Teilnehmer könnten dazu verleitet werden, ihre Gesprächspartner von der Überlegenheit ihrer eigenen Religion oder Kultur zu überzeugen.

Im Hinblick auf die möglichen Inhalte des Dialogs muss eine grundlegende Frage geklärt werden: Sollten die Teilnehmer auch ihre jeweiligen Religionen oder theologischen Grundsätze hinterfragen, oder wäre dies zu gefährlich? Ein positiver Aspekt wäre, dass die Gesprächspartner ähnliche Ansätze, aber auch Unterschiede erkennen könnten. Diese Unterschiede könnten jedoch als heikel oder sogar beleidigend empfunden werden. Stellen wir uns nur eine Diskussion über Streitfragen vor, wie etwa: Wer war der letzte Prophet? Hatte Gott einen Sohn? Sind religiöse Oberhäupter unfehlbar? Was darf gegessen werden und was nicht? Gibt es die Wiedergeburt?

Eine verlockende Alternative bestünde darin, nur über unstrittige Themen zu sprechen, die überhaupt nichts mit Theologie zu tun haben, zum Beispiel über allgemeine ökologische Probleme. Doch solche Themen dürften schwer zu finden sein und könnten sich als langweilig erweisen. Letztlich würde ein solcher Ansatz den Zweck eines echten interkulturellen und interreligiösen Dialogs nicht erfüllen. Ich halte es nicht für hilfreich, zusätzlich zum bestehenden Ansatz der politischen Korrektheit eine weitere Ebene der „religiösen Korrektheit“ zu schaffen.

Manche Diplomaten raten davon ab, andere Religionen als die eigene zu kritisieren. Ich möchte aber folgende Frage stellen: Schließt der Dialog die Möglichkeit der Kritik an den Grundsätzen anderer Religionen aus? Meiner Ansicht nach sollte es den Gesprächspartnern in einem echten Dialog möglich sein, in der Nichtübereinstimmung übereinzustimmen und dabei weiterhin die Ansichten und Herangehensweisen des Anderen zu akzeptieren.

(Beifall)

Wenn man die Religion seines Gegenübers kritisieren will, sollte man die Sachlage natürlich genau kennen und seine Worte sorgfältig wählen. Darüber hinaus kann es hilfreich sein, wenn bereits ein gewisses gegenseitiges Vertrauen zwischen den Gruppen besteht. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass es falsch wäre, eher Religionen per se als Einzelpersonen oder Gruppen von Gläubigen durch internationale Menschenrechtsstandards zu schützen.

(Beifall)

Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Kriminalisierung der so genannten Religionsbeleidigung kontraproduktiv sein kann, weil dadurch ein Klima der Intoleranz und Angst geschaffen wird, das die Wahrscheinlichkeit von Rückschlägen noch erhöht. Der Vorwurf der Religionsbeleidigung kann jede berechtigte Kritik oder auch die Überprüfung von Vorgehensweisen und Rechtsvorschriften verhindern, die möglicherweise gegen die Menschenrechte verstoßen, durch die Religion aber gebilligt – oder anscheinend gebilligt – werden.

Zusammenfassend glaube ich, dass die Rechtsstaatlichkeit und funktionierende demokratische Institutionen grundlegende Voraussetzungen für ein Klima sind, in dem ein echter Dialog und gegenseitiges Verständnis gedeihen können. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Menschen auf das System, in dem sie leben, vertrauen können und somit kann die Vielfalt in den Institutionen dazu beitragen, ein solches Umfeld zu schaffen. Der interkulturelle Dialog sollte nicht von außen verordnet oder anmaßend geführt werden. Die entsprechenden staatlichen Maßnahmen sollten genügend Raum für die Vielfalt der Religionen und Glaubensrichtungen lassen und so automatisch Gelegenheiten zu Interaktion und gegenseitigem Verständnis bieten.

Dies sind meine Gedanken zum Was, Warum, Wer und Wie des interkulturellen Dialogs. Ich fürchte, statt umfassende Antworten zu geben, habe ich eine Menge neuer Fragen aufgeworfen.

Auf die Chancen, aber auch auf die möglichen Fallstricke, des interkulturellen Dialogs habe ich in meinen Ausführungen bereits hingewiesen. Es erscheint mir wesentlich, dass der interkulturelle Dialog auf mehreren Ebenen im richtigen Format und mit einem breiten Spektrum von Teilnehmern institutionalisiert wird, aber trotzdem noch einen echten Meinungsaustausch ermöglicht. Gemeinsame Erklärungen und Meinungsäußerungen von Religionsführern sind notwendig, doch ich möchte an dieser Stelle auch die entscheidende Rolle von Initiativen an der Basis, persönlichen Treffen und gemeinsamen Aktivitäten hervorheben. Ein Krieg der Worte ist meiner Ansicht nach besser als lang anhaltende Spannungen. Wenn ganz gewöhnliche Gläubige und Atheisten zusammenkommen, einige von ihnen vielleicht zum ersten Mal, werden sie – hoffentlich – viel voneinander lernen, auch wenn sie letzten Endes in Kernfragen gegensätzliche Auffassungen vertreten.

Universelle Werte sollten eine Brücke zwischen den Religionen und Glaubensrichtungen bilden und ich akzeptiere nicht, dass universelle Werte im Bereich der Menschenrechte sozialen oder religiösen Normen untergeordnet werden können oder sollten.

(Beifall)

Dies kann letztlich auch zu einer Stärkung der allgemeinen Menschenrechte führen, sowohl im Hinblick auf die Förderung als auch den Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten.

Abschließend möchte ich den früheren UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali zitieren, der einmal sagte: „Aus einer universellen Perspektive betrachtet, konfrontieren uns die Menschenrechte mit der anspruchsvollsten Dialektik: der Dialektik der Identität und der Andersartigkeit, des „Selbst“ und des „Anderen“. Diese beiden Begriffe lehren uns ganz unmittelbar, dass wir gleich und dabei trotzdem unterschiedlich sind.“

(Die Mitglieder des Parlaments erheben sich und spenden lebhaften Beifall.)

 
  
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  Die Präsidentin. – Dr. Jahangir, haben Sie vielen Dank für Ihre Rede. Wir haben Ihren Ausführungen sehr aufmerksam zugehört. Sie entspringen Ihrer Achtung der Menschenrechte, der Fülle Ihrer Erfahrungen und dem, was Ihr bedeutendes Werk ausmacht.

Ich hoffe, dass uns Ihr Besuch im Europäischen Parlament die Gelegenheit bietet, in unserer gemeinsamen Mission für Demokratie, Frieden und Entwicklung auf breiterer Basis zusammenzuarbeiten.

 
  
  

VORSITZ: GÉRARD ONESTA
Vizepräsident

 
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