Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. − (FR) Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Montagabend hatten Sie eine Aussprache aufgrund von Medienberichten, denen zufolge die italienischen Behörden Bewohnern von Nomadensiedlungen Fingerabdrücke abnehmen. Ich bekräftige selbstverständlich den Standpunkt der Kommission, den Vladimir Špidla Ihnen am Montag vorgetragen hat, der sich vor allem auf den Brief bezog, den ich am 3. Juli an die italienischen Behörden gerichtet hatte. Im Rahmen dieser Aussprache hat Herr Schulz insbesondere den Wunsch geäußert, dass ich das Europäische Parlament informiere.
Ferner habe ich – da Herr Deprez hier ist, kann ich dies vor Ihrem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres sagen – das Präsidium und die Koordinatoren auf dem Laufenden gehalten. Gestern hat mich, wenn ich richtig verstanden habe, Frau Präsidentin, die Konferenz der Präsidenten um eine kurze Erklärung ersucht, um das Parlament über die letzten Neuigkeiten zu informieren. Ich möchte die von der Kommission, die bei solchen Angelegenheiten äußerste Wachsamkeit walten lässt, unternommenen Schritte mit wenigen Worten erläutern. Am 26. Mai traf ich mit Herrn Ronchi zusammen. Am 3. Juli forderte ich Erklärungen von Seiten der italienischen Regierung in Bezug auf den Zweck und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Am Rande der informellen Tagung des Rates in Cannes hatte ich ein erstes Treffen mit Herrn Maroni. Herr Maroni ist der italienische Innenminister.
Während dieses Treffens erklärte Herr Maroni, die Zählung diene dazu, den Anspruch der Bewohner dieser Lager auf Sozialleistungen zu prüfen. Fingerabdrücke würden nur abgenommen, wenn die Feststellung der Identität auf andere Weise nicht möglich sei, und die Erhebung von Fingerabdrücken von Kindern erfolge nur nach richterlicher Genehmigung.
(Tumult)
Ich wiederhole lediglich, was der Minister ausgeführt hat. Danach werde ich Ihnen mitteilen, was ich unternommen habe. Er gab an, gefordert zu haben, dass jegliche Erfassung einer Religions- oder Volkszugehörigkeit unterlassen werden soll, und die italienische Regierung habe in Zusammenarbeit mit Unicef einen Aktionsplan für den Schulbesuch von Minderjährigen in Gang gebracht. Ich muss jedoch sagen, dass sich die italienische Regierung bereit erklärt hat, uns Ende Juli einen Bericht über die derzeitige Lage zu übermitteln, was sehr wichtig ist.
Nach diesem informellen Treffen bat ich den Generaldirektor für Justiz, Freiheit und Sicherheit, Jonathan Faul, sich mit einem Schreiben an die italienischen Behörden zu wenden, um eine schriftliche Bestätigung dieser Informationen zu erhalten und um zusätzliche Details vor dem für Ende Juli angekündigten Bericht anzufordern. Am 9. Juli wurde ein Brief abgeschickt. Gestern, am späten Abend, erhielten meine Mitarbeiter in Brüssel eine erste einleitende Antwort. Diese Antwort liefert Klarheit in Bezug auf die Feststellung der ethnischen Zugehörigkeit und der Religion.
In Bezug auf die anderen Punkte kann ich Ihnen noch nicht sagen, ob die von der Kommission gestellten Fragen vollständig beantwortet wurden. Wir beabsichtigen, alle über die Erhebung von Fingerabdrücken erforderlichen Informationen einzuholen. Mit welchem Zweck erfolgt die Abnahme der Fingerabdrücke, wie wird dabei vorgegangen? Welche rechtliche Grundlage gibt es für einen derartigen Umgang mit Personaldaten? Werden diese Daten gespeichert? Wie werden sie gespeichert? Können sie für andere Zwecke verwendet werden? Werden diejenigen, denen Fingerabdrücke abgenommen werden sollen, vorab schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt?
Was die Kinder betrifft, so haben wir eine Bestätigung der Meldung angefordert, der zufolge die Abdrücke von Kindern unter vierzehn Jahren nur genommen werden, wenn es eine richterliche Genehmigung gibt, und nur zum Zweck der Identitätsfeststellung.
Wir haben außerdem angefragt, wie es sich in den 17 Regionen Italiens verhält, über die kein Ausnahmezustand verhängt wurde.
Letztendlich haben wir Texte, Maßnahmen, Beschlüsse sowie Rechts- und Verwaltungsvorschriften angefordert, um uns ein Bild der Lage machen zu können. Es liegt nun an Ihnen zu entscheiden, ob wir diese Frage mit der gebotenen Aufmerksamkeit weiterverfolgen und natürlich ob wir in den notwendigen Dialog mit den italienischen Behörden eintreten wollen.
Zum Abschluss, Frau Präsidentin, verweise ich darauf, dass die Kommission möchte, dass diese Frage mit aller Offenheit und unter Einhaltung der Menschenrechte und des Gemeinschaftsrechts behandelt wird. Unsere Rolle ist die einer Hüterin der Verträge, indem wir, sobald wir im Besitz sämtlicher relevanter Informationen sind, objektiv die einwandfreie Umsetzung des im vorliegenden Fall anzuwendenden Gemeinschaftsrechts durch Italien prüfen.
Ganz allgemein, wie Vladimir Špidla bereits ausgeführt hat, bin ich davon überzeugt – und das habe ich auch der italienischen Regierung gesagt –, dass effektive, auf die Probleme, mit denen insbesondere die Roma und vor allem die Roma-Kinder als Hauptleidtragende der Situation der Armut und der Ausgrenzung konfrontiert sind, zugeschnittene Lösungen gefunden werden müssen. Wir müssen den Roma helfen, anstatt sie zu brandmarken. Aus diesem Grund hat die Kommission in ihrem vor einer Woche vorgelegten Bericht unterstrichen, dass die Europäische Union, die Mitgliedstaaten und die Zivilgesellschaft ihre Kräfte vereinen sollten, um ihre auf dieses Ziel ausgerichteten Anstrengungen wirkungsvoll zu koordinieren.
Manfred Weber, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich auf Artikel 170 unserer Geschäftsordnung und möchte einen Antrag für die EVP-ED-Fraktion zu dieser Abstimmung einbringen.
Es gibt Themen und politische Ansichten, die uns trennen. Es gibt aber auch Dinge, die uns in diesem Parlament einen: Das ist der Einsatz für Menschenrechte, das ist der Kampf gegen jede Art von Rassismus, und deswegen sollten wir uns bei diesen Themen, wo wir uns einig sind, nicht auseinanderdividieren lassen, weil wir sonst das Anliegen, das uns eint, schwächen. Jacques Barrot hat als unser zuständiger Kommissar dargestellt, dass es in der Bewertung der Fakten, was wir in Italien an möglichen Problemen haben, nach wie vor offene Fragen gibt.
Wir beziehen uns im Moment hauptsächlich auf Presseartikel, und wir beziehen uns auf unterschiedlichste Formulare, die in den letzten Wochen im Parlament umhergeschickt worden sind. Deswegen beantragen wir als EVP, dass wir die heutige Abstimmung über die Entschließung auf die September-Tagung verschieben, weil dann die Faktenlage klar ist, weil wir dann wissen, über was wir abstimmen.
Ich möchte all den Kollegen, die jetzt damit Probleme haben, zurufen: Wenn Sie nicht auf die schnelle Schlagzeile aus sind, sondern wenn Sie das Ziel haben, dass wir gemeinsam für Minderheiten in Europa etwas erreichen, dass alle großen und kleinen Fraktionen in diesem Parlament gemeinsam an einem Strang ziehen, dann können wir gemeinsam etwas für diese Menschen erreichen. Wer hier nur auf die schnelle Schlagzeile aus ist, wer hier nur Show erzeugen will, der muss jetzt abstimmen. Wir fordern, dass es verschoben wird, bis wir die Faktenlage kennen. Ich gestehe ein, dass durch die Debatte, die wir in den letzten Tagen hatten, ja schon genug Druck ausgeübt worden ist, um Bewegung in die Sache zu bringen. Wer hier seriöse Antworten will, den bitte ich um Zustimmung, dass wir es im September beraten.
(Beifall von rechts)
Martin Schulz, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Wir hatten als sozialdemokratische Fraktion bereits am Montagabend und noch einmal gestern darum gebeten, dass die Kommission über ihre Gespräche mit der italienischen Regierung berichtet. Herr Kommissar Barrot hat in sehr sachlicher, aber eindeutiger Form darüber berichtet, dass die italienische Regierung erstens sehr unvollständige und nach meinem Eindruck nicht besonders zutreffende Informationen weitergegeben hat.
Sie alle kennen dieses Blatt. Es ist ein Formular, wie man es normalerweise bei der Erfassung von Straftaten verwendet. Ein Formular, das eindeutig zeigt, dass die italienische Regierung Maßnahmen ergreift, die maximal gedeckt wären bei Ermittlungen im Rahmen des Strafrechts, die aber ganz ohne Zweifel nicht dem Schutz von Kindern dienen. Mehr denn je ist nach dem, was Kommissar Barrot uns gerade berichtet hat, geboten, dass wir diese Entschließung heute verabschieden, als eine klare Botschaft des Europäischen Parlaments.
(Beifall aus der Mitte und von links)
Roberta Angelilli, im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche mich für den Vorschlag von Herrn Weber aus und danke Kommissar Barrot, nicht nur für seine heutigen Ausführungen in diesem Hohen Haus, sondern auch für sein Engagement zugunsten einer bestmöglichen und konstruktiven Lösung für eine Situation, die in Italien als das anerkannt werden sollte, was sie ist, nämlich eine Ausnahmesituation, die Tausende von Menschen betrifft. Ich versichere Ihnen, dass Tausende von Minderjährigen in völliger Verwahrlosung leben, ohne Recht auf medizinische Behandlung, Impfungen oder Schulausbildung.
Ich habe den Eindruck, dass die Kommission und die italienische Regierung zusammenarbeiten … – Herr Präsident, kann ich zu Ende sprechen? Kann ich fortfahren oder muss ich meine Rede abbrechen? Würden Sie bitte das Haus daran erinnern, dass ich das Recht habe zu sprechen? – Ich wollte sagen, dass die Kommission und die Regierung in die richtige Richtung gehen, und vor allem denke ich, dass wir keinen Entschließungsantrag annehmen sollten, der voller Ungereimtheiten, ja sogar echter rechtlicher Fehler, d. h. rechtlicher Unwahrheiten, ist. Das ist daher ein durchweg politischer Entschließungsantrag, der jeglicher Grundlage entbehrt.
Unter anderem möchte ich das Hohe Haus daran erinnern – und damit komme ich zum Schluss –, dass, während Kommissar Barrot heute sehr deutlich war, Kommissar Špidla vor drei Tagen erklärte, die Verordnung, die glaube ich nur aus zwei Seiten besteht, noch nicht gelesen zu haben. Wenn also die Linke heute um jeden Preis ein vorschnelles Urteil über das Vorgehen einer Regierung abgeben will, so halte ich das für absolut unzulässig.
(Das Parlament lehnt den Antrag auf Verschiebung der Abstimmung ab.)
– Vor der Abstimmung über Änderungsantrag 10:
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Herr Präsident, ich beantrage, im zweiten Teil des Änderungsantrags, wo wir die Feststellung der Identität nach üblichen, nicht diskriminierenden Verfahren fordern, „je nach Einzelfall“ einzufügen. Im Englischen heißt es dann „to employ on case-by-case basis ordinary, non discriminatory ....“.