Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Aussprache zur mündlichen Anfrage von Giles Chichester und Angelika Niebler im Namen der PPE-DE-Fraktion an die Kommission über die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) (O-0060/2008 – B6-0159/2008).
Angelika Niebler, Verfasserin. − Herr Präsident, verehrte Frau Kommissarin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! 2004 wurde die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit, kurz ENISA genannt, ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, die Netz- und Informationssicherheit in der Europäischen Union zu verbessern und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander zu intensivieren.
Die Aufgabenstellung für die ENISA ist überaus komplex. Computerviren, Spam-Mails, Phishing und Trojaner sind reale Bedrohungen in einer virtuellen Datenwelt. Hackerangriffe bedrohen private und öffentliche Netze. Die Schäden für unsere moderne Kommunikationsgesellschaft sind immens. Sicherheit ist die Achillesferse unserer Computersysteme. Hier sind wir angreifbar und gefährdet, und wenn ich das so sage, werden Sie verstehen, wie wichtig diese Agentur für uns ist.
Andererseits hat diese Agentur nicht viele Mitarbeiter, aber doch eben diese veritable Mammutaufgabe, die sie leisten soll. Deshalb stellt sich zu Recht die Frage, ob die ENISA in der Form, wie sie momentan funktioniert, ihre Aufgaben tatsächlich erfüllen kann. Sehr oft haben wir sowohl im Parlament als auch in anderen Gremien hier die Diskussion geführt, wie die ENISA vielleicht weiterentwickelt werden kann. Der jüngste Vorschlag der Kommissarin ging dahin, die ENISA mit der geplanten Europäischen Behörde für Telekommunikationsmärkte zusammenzulegen. Dieser Vorschlag ist vom Parlament nicht aufgegriffen worden und vom Rat auch nicht. Vielmehr haben Rat und Parlament noch vor der Sommerpause entschieden, das Mandat für die ENISA um drei Jahre zu verlängern.
Unsere Anfrage an die Kommission geht nun dahin, letztlich diese Debatte über die nächsten drei Jahre zu strukturieren. Wir wollten eben mit unserer Anfrage auch den Finger in die Wunde legen und die Kommission auffordern, zu den aus unserer Sicht kritischen Punkten Stellung zu nehmen. Kann die ENISA in der bisherigen Form die erwarteten Aufgaben erfüllen? Denkt die Kommission darüber nach, die ENISA durch eine andere Organisation zu ersetzen? Müssen die Aufgaben unbedingt von einer EU-Agentur erbracht werden? Welche Änderungen im Allgemeinen sollten nach Auffassung der Kommission im Bereich der ENISA-Struktur überlegt werden?
Ich freue mich auf die Antwort der Frau Kommissarin. Ich bin gespannt, wie weit die Überlegungen im Hause der Kommission sind. Wir als Parlament sind dann natürlich auch aufgefordert, uns eine Meinung darüber zu bilden, wie die ENISA künftig aussehen soll.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Die verehrten Abgeordneten werden wissen, dass das Mandat der ENISA gemäß der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Errichtung der ENISA am 13. März 2009 automatisch abläuft.
Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass die Kontinuität der Maßnahmen im Bereich der Netz- und Informationssicherheit unbedingt gewahrt werden muss. Dieser Ansicht hatten sich das Parlament und der Rat in den Debatten über den Vorschlag für eine Änderungsverordnung, mit der das Mandat der ENISA verlängert werden soll, angeschlossen. Daher ist die Maßnahme zur Verlängerung des Mandats der ENISA um weitere drei Jahre gerechtfertigt.
Es stimmt, dass bei der von der Kommission 2006 eingeleiteten Evaluierung der ENISA eine Reihe von Problemen festgestellt wurde, aber es wurden auch positive Aspekte im Hinblick auf die Leistungen der Agentur festgestellt, zumal wenn man bedenkt, wie begrenzt deren Mittel sind. Die Kommission reagierte auf die Bedenken und legte einen Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung einer Agentur für Telekommunikation vor.
Wir stellen heute fest, dass der Rat und das Parlament die Ansicht teilen, dass die ENISA separat von einem als Alternative zur Telekom-Behörde neu zu errichtenden Gremium fortbestehen sollte, und die Kommission ist nach wie vor der Ansicht, dass eine effiziente Behörde zur Kontrolle von Sicherheits- und Integritätsfragen erforderlich ist. Deshalb sollte die Arbeit der ENISA unbedingt weitergeführt werden.
Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass Probleme in Bezug auf die Netzsicherheit eine konsequente und abgestimmte europäische Reaktion erfordern. Die jüngsten Angriffe aus dem Internet (Cyber Attacks) in Estland und Georgien – den schwer wiegenden Angriff im letzten Sommer hat offenbar keiner bemerkt – haben deutlich gemacht, dass ein Land allein sehr schutzlos sein kann.
Deshalb rufe ich das Europäische Parlament und den Rat auf, Anfang 2009 eine intensive Debatte über den europäischen Ansatz bei der Netzsicherheit und das Vorgehen gegen Angriffe aus dem Internet einzuleiten und die Zukunft der ENISA in diese Überlegungen einzubeziehen.
Während der Debatte über die Verlängerung der ENISA-Verordnung wurden seitens sowohl des Parlaments als auch des Rates Forderungen nach einer Debatte über die Ziele einer möglichen modernisierten Politik im Bereich der Netz- und Informationssicherheit und die dafür am besten geeigneten Mittel laut. Dabei wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Verlängerung des ENISA-Mandats den Ausgang dieser Debatte nicht beeinflussen sollte. Zur Erleichterung dieser Debatte werden die Dienststellen der Kommission im zweiten Halbjahr 2008 einen Fragebogen für eine öffentliche Online-Konsultation über mögliche Ziele einer modernisierten Politik im Bereich der Netz- und Informationssicherheit auf EU-Ebene und Möglichkeiten zur Erreichung dieser Ziele erarbeiten. Dies wird natürlich in Abstimmung mit der ENISA und deren Verwaltungsrat geschehen.
Nikolaos Vakalis, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Das Europäische Parlament und der Rat haben der Verlängerung der Tätigkeit von ENISA bis Ende 2012 zugestimmt. Diese dreijährige Verlängerung ermöglicht eine Fortsetzung der Diskussion zur Zukunft von ENISA und der darüber hinausgehenden Frage der erhöhten Sicherheit von Netzen und Information in Europa.
Meiner Meinung nach sollte sofort mit der Revision begonnen werden. Damit sollte eine Umwandlung von einem nichtständigen in ein ständiges Gremium erfolgen; vor allem muss dies mit einer gleichzeitigen Personalerhöhung und einer Aktualisierung der sehr wichtigen Artikel 2 und 3 seiner Geschäftsordnung einhergehen. Mit dieser Lösung wird das Gremium mit einem erweiterten und verbesserten Mandat so schnell wie möglich an die Arbeit gehen können.
Ich darf Sie an dieser Stelle daran erinnern – und dies ist auch die Ansicht der Kommission –, dass nur eine europäische Agentur die Netz- und Informationssicherheit gewährleisten kann. Ich möchte auch ansprechen, dass heute die überwältigende Mehrheit der Partner zustimmen, dass ENISA die geeignetste und zweckmäßigste Struktur darstellt, um eine neue, dynamische europäische Politik für die Netz- und Informationssicherheit zu entwickeln.
In der Vergangenheit wurde scharfe Kritik an ENISA geäußert. Ich muss Sie jedoch daran erinnern, dass ENISA im Bewertungsbericht von 2007 nur für das erste Jahr ihres Bestehens bewertet werden konnte; die Bewertung ist daher nicht mehr verlässlich und natürlich nicht mehr aktuell. Vor kurzem erstellte Bewertungsstudien unabhängiger Gremien haben die Dinge wieder an ihren richtigen Platz gerückt. Es ist entscheidend, dass die entsprechenden Ressourcen freigegeben werden, damit die Agentur effizienter arbeiten kann.
Abschließend darf ich Ihnen mitteilen, dass die griechische Regierung eine tragfähige Lösung unterstützen möchte: Sie hat zugesagt, die Unterhaltungskosten eines ENISA-Büros in Athen zu übernehmen, um Arbeit und Funktionieren der Agentur zu erleichtern.
Anni Podimata, im Namen der PSE-Fraktion. – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Die Faktenlage zum Zeitpunkt der heutigen Aussprache über die mündliche Anfrage der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten zu ENISA ist auf jeden Fall eine ganz andere als zum Zeitpunkt der Einreichung der Anfrage. Zunächst einmal haben der Rat und das Europäische Parlament der Verlängerung des Mandats der Agentur bis 2012 zugestimmt.
Gleichzeitig wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einrichtung einer Europäischen Behörde für Telekommunikation durch Rat und Europäisches Parlament mit Vorsicht aufgenommen. Stattdessen schlagen Rat und Europäisches Parlament in Wirklichkeit die BERT-Empfehlung mit einer grundsätzlichen Verantwortlichkeit für die bessere Umsetzung des Regulierungsrahmens für Telekommunikationsdienste vor, ohne sich mit den Problemen von Netzsicherheit und -integrität zu befassen.
Diese Probleme sind jedoch tatsächlich von besonderer Tragweite, wie Sie, Frau Kommissarin, soeben und in Ihrem vorausgehenden Beitrag vom heutigen Tage richtig darlegten. Sie betonten, dass die kürzlich erfolgten Angriffe auf den Cyberspace Estlands und anderer Staaten unterstreichen, wie wichtig es ist, dass wir sofort eine überzeugende und koordinierte europäische Antwort finden.
Aber das genau ist die Rolle, die ENISA spielen kann und spielen muss, sobald sie mit einem erweiterten und verbesserten Mandat arbeitet, das Pflichten und Ziele klar definiert, und, natürlich, sobald sie über die nötigen Mittel und das erforderliche Personal verfügt.
Ich hoffe, dass die Kommission dieses Mal einen bedeutenden und echten Beitrag leistet und ENISA bei ihrer Arbeit für die Netzsicherheit und -integrität unterstützt. Das ist entscheidend, um das Vertrauen der Unternehmen und natürlich der EU-Bürger in die europäischen Netze zu stärken.
VORSITZ: LUIGI COCILOVO Vizepräsident
Jorgo Chatzimarkakis, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, Frau Kommissarin! Netzwerksicherheit und Netzsicherheit – das hört sich nach Spezialwissen an. Aber die Sicherheit der Netze beeinflusst immer mehr immer weitere Bereiche unseres täglichen Lebens: Mobile Kommunikation, das Internet, das sich quasi wie eine Krake in weitere Bereiche des Alltags vorkämpft, ambient intelligence, die Umwelt und die Intelligenz, die in die Umgebung verlagert wird, sei es zur Hilfe von alten Menschen, sei es zur Steuerung komplexer Arbeitsprozesse. All das zeigt uns: Wir geraten immer mehr in die Abhängigkeit dieser modernen Technologien. Sie bestimmen unser Leben, das Wachstum unserer Wirtschaft.
Wie abhängig wir sind, hat vor kurzem das Beispiel Estlands gezeigt. Sie, Frau Kommissarin, haben gesagt, dass auch Georgien betroffen war. Das ist den Menschen nicht so klar geworden. Aber hätten wir eines beeindruckenderen Beispiels als Estland bedurft – da kam es: Wir haben gesehen, wie eine moderne, eine netzwerkgesteuerte Wirtschaft von diesem Faktor, von dieser Technologie plötzlich abhängig war und angegriffen wurde und die Sicherheit wirklich sehr stark bedroht wurde. Das ist auch der Grund, warum die Kommission damals unter Kommissar Liikaanen richtigerweise erkannt hat: Wir brauchen eine Netzwerkagentur. Deswegen waren wir überrascht, als plötzlich ENISA nach nur einem Jahr evaluiert wurde, ohne rechtmäßig und richtig ausgestattet zu sein, und dann ganz ENISA in Frage gestellt wurde. Das hat uns dann doch überrascht und deswegen bin ich ganz froh, dass wir hier diese Debatte führen.
Warum haben wir schon nach einem Jahr diese Agentur in Frage gestellt? Wie gedenken Sie, wie gedenken wir das Mandat von ENISA so auszustatten, dass sie arbeiten kann wie eine Agentur, die sich auf Augenhöhe mit den Agenturen bewegt, die es in den USA, in Japan und in China gibt?
Ich möchte mich für die Anerkennung bedanken, die Sie ENISA nach der weiteren Evaluierung ausgesprochen haben. Dennoch: Wir diskutieren hier als Abgeordnete Tag für Tag diesen kulturellen Wandel, diesen Klimawandel, der sich auswirkt auf unsere Wirtschaft, auf die Umstellung unserer Ökonomien weg von fossilen Brennstoffen hin zu anderen. Jeden Tag sind hier alle begeistert dabei. Wir alle wissen, dass das nur durch eine Veränderung von Systemen geht. Dafür brauchen wir intelligente Lösungen, dafür brauchen wir Netzwerksicherheit, denn Sicherheit geht vor. Deswegen bin ich dankbar, dass wir diese Debatte als einen Baustein führen, im Sinne einer robuster ausgestatteten ENISA und einer besseren Netzwerksicherheit.
Viviane Reding, Mitglied der Kommission. − (EN) Herr Präsident! Abschließend möchte ich feststellen, dass der Rat die Verlängerung des ENISA-Mandats um drei Jahre einhellig unterstützt und dieser Vorschlag auch im Europäischen Parlament breite Unterstützung findet. Beide Gesetzgebungsarme kamen überein, schnellstmöglich und noch vor dem automatischen Ablauf der geltenden Verordnung eine Einigung in erster Lesung zu erzielen.
Soweit mir bekannt ist, plant der Rat die Änderungsverordnung auf einer bevorstehenden Ratstagung als A-Punkt anzunehmen. Damit wäre das Problem geklärt, und das Parlament könnte, sobald die Kommission ein Dokument über die grundlegenden Probleme im Zusammenhang mit Angriffen aus dem Internet vorgelegt hat, dieses in Betracht ziehen und eine echte Debatte über die Zukunft unserer Maßnahmen in diesem Bereich einleiten.