Der Präsident. – Als erster Punkt der Tagesordnung folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zu den EU-Russland-Beziehungen.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident! Die Beziehung der Europäischen Union zu Russland zählt zu den schwierigsten unserer Zeit. Einerseits haben wir ein komplexes Netzwerk an gemeinsamen Aktivitäten und Interessenverflechtungen. Andererseits gibt es Rückschritte wie den Konflikt in Georgien.
Der Europäische Rat hat um eine Überprüfung der EU-Russland-Beziehungen gebeten, und diese findet im Kontext von Ereignissen statt, welche die EU-Russland-Beziehung überschatten. Die Verletzung der territorialen Integrität Georgiens unter Einsatz von Gewalt und die einseitige Anerkennung von Abchasien und Südossetien durchRussland bleiben inakzeptabel, und wir können die erst kürzlich in Moskau formulierten Grundsätze der Außenpolitik, darunter das erneute Auftreten von Einflussbereichen, nicht teilen.
Daher muss im Rahmen der laufenden Revision eine nüchterne Beurteilung der eigenen Interessen der EU an dieser Beziehung erfolgen. Gleichzeitig bestehen zwischen der Europäischen Union und Russland zunehmend stärkere Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Russland ist bereits unser drittwichtigster Handelspartner, und wir haben Wachstumsraten von bis zu 20 % pro Jahr. Energie ist ein wesentlicher Faktor, doch auch im Dienstleistungssektor ist ein beeindruckendes Wachstum zu verzeichnen.
Mit seinen jüngsten hohen Wachstumsraten und dem aufstrebenden Mittelstand ist Russland ein bedeutender Schwellenmarkt direkt vor unserer Haustür, der ungeachtet der Auswirkungen der derzeitigen Finanzkrise Chancen für europäische Unternehmen bietet. Die Europäische Union ist ein bedeutender Investor in Russland, der 80 % der gesamten Auslandsinvestitionen tätigt. Ein erheblicher Teil der russischen Devisenreserven besteht aus Euro. Damit hat Russland weltweit mit die größten auf Euro lautenden Währungsreserven.
Aus diesen Gründen sind wir an einem weiteren Wachstum der russischen Wirtschaft interessiert und wollen Russland in seinem Wunsch nach Modernisierung unterstützen, so beispielsweise auch bei der Entwicklung einer wirklich unabhängigen Justiz, die Verträge durchsetzen kann. Dies steht im Einklang mit der Bedeutung, die Präsident Medwedew der Rechtsstaatlichkeit in Russland beimisst.
Die Sicherheit der Energieversorgung und -nachfrage ist eine Schlüsselkomponente unserer Beziehung. Die EU-Mitgliedstaaten sind Großabnehmer russischer Energieerzeugnisse, und das wird sich kurz- bis mittelfristig wohl nicht ändern.
Die Beziehung ist durch eine gegenseitige, nicht eine einseitige Abhängigkeit geprägt. Die Ausfuhren in die Europäische Union haben einen wichtigen Beitrag zu den beeindruckenden Wachstumsraten geleistet, die Russland in den letzten fünf oder sechs Jahren erreicht hat. Dennoch muss noch viel getan werden, um eine echte Energiepartnerschaft aufzubauen, die auf den im Energiechartavertrag verankerten Grundsätzen beruht. Dazu zählen Transparenz, Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung.
Noch wichtiger ist der Umstand, dass Russland ein geopolitischer Hauptakteur ist, dessen konstruktive Beteiligung an internationalen Angelegenheiten eine notwendige Voraussetzung für eine effektive internationale Gemeinschaft ist. Daher engagieren wir uns im Iran, im Nahen Osten, in Afghanistan, auf dem Balkan und andernorts sowie in multinationalen Foren. Zudem haben wir ein gemeinsames Interesse an der Verfolgung der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. In all diesen Bereichen ist eine Zusammenarbeit nicht immer einfach, aber wir müssen daran festhalten. Eine stärkere Kooperation in den Bereichen Freiheit, Sicherheit und Recht trägt dazu bei, Bedrohungen wie den Terrorismus und das organisierte Verbrechen zu bekämpfen.
Durch den Dialog, den wir aufgebaut haben, können wir auch über Themen wie Menschenrechte diskutieren. In Paris finden heute Beratungen statt. Wir werden Russland nochmals an seine Pflichten als Mitglied des Europarats und der OSZE erinnern, insbesondere was zum Beispiel die Pressefreiheit und die Ereignisse in Inguschetien oder andere Menschenrechtsfragen betrifft.
Für uns ist klar: Europa vertritt Werte und etablierte Normen des internationalen Verhaltens, zu denen wir unter allen Umständen stehen. Dazu zählt die Achtung der territorialen Integrität und der friedlichen Konfliktlösung. Der Europarat hat zu seiner Zufriedenheit festgestellt, dass sich die russischen Truppen aus den Zonen zurückgezogen haben, die an Südossetien und Abchasien angrenzen, was ein wesentlicher Schritt zur Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans ist. Letzte Woche begannen die Genfer Gespräche, was ein weiterer wichtiger Schritt nach vorn ist. Natürlich muss noch viel getan werden.
Morgen werde ich eine Geberkonferenz für Georgien abhalten, um Mittel für den Wiederaufbau der beschädigten Infrastruktur und die Wiedereingliederung der Vertriebenen zu mobilisieren und die wirtschaftliche Erholung Georgiens von diesem Konflikt zu beschleunigen. In Zusammenarbeit mit dem Parlament beabsichtige ich, bis zu 500 Millionen Euro für diesen Zweck zu verwenden, und ich möchte den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und des Ausschusses für außenpolitische Angelegenheiten danken, die mir in ihren Schreiben ihre Unterstützung für dieses Vorhaben zugesichert haben.
Die beantragte Überprüfung der EU-Russland-Beziehungen mit dem Europarat wird einen umfangreichen Überblick über die vielen Beziehungsstränge verschaffen, von unseren Anstrengungen zur Unterstützung des Beitritts Russlands zur WTO bis hin zu Erleichterungen von Visabestimmungen, Zollkooperation, Bildungsaustausch und Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Forschung. Diese Überprüfung sollte uns im Hinblick auf alle laufenden Aktivitäten mit Russland und alle Aktivitäten, die derzeit auf Eis gelegt sind, leiten. Hierüber sollten wir auf der nächsten Sitzung des Rates für allgemeine Angelegenheiten am 10. November 2008 sprechen, auf der wir hoffentlich in der Lage sein werden, das richtige Verständnis zur Führung von Verhandlungen über ein neues EU-Russland-Abkommen zu finden.
Ich sage das, weil ich keinen besseren Weg kenne, um unsere eigenen Interessen zu verfolgen und unseren Sorgen Gehör zu verschaffen. Andererseits dürfen wir uns nicht verhalten, als wäre nichts passiert. Bei allem, was wir tun, müssen wir sicherstellen und klar machen, dass wir unsere Ziele sehr genau prüfen und dafür sorgen werden, dass die EU geschlossen hinter diesen Zielen steht.
Vielleicht ist es gut, dass wir diese Aussprache heute, am Vorabend der morgigen internationalen Geberkonferenz, führen, deren Vorsitz ich wie bereits gesagt gemeinsam mit der Weltbank und der derzeitigen französischen und künftigen tschechischen Präsidentschaft führen werde.
Die Europäische Union wird weiterhin ihre Rolle als konstruktiver, zuverlässiger Partner spielen, der durch seine Werte geleitet wird und einen entscheidenden Beitrag zu Stabilität und Frieden leistet, so wie wir es auch während dieser Krise getan haben.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Sie bitten, mir zu verzeihen, und ich danke Frau Ferrero-Waldner, dass sie vor mir gesprochen hat, da ich gerade von der Konferenz der Ausschussvorsitzenden komme. Die Gespräche haben etwas länger gedauert als erwartet, was auf die Debatte heute Morgen zurückzuführen ist, bei der der amtierende Ratspräsident das Wort hatte. Danach fand die Abstimmung statt. Bitte entschuldigen Sie mich.
Wie Frau Ferrero-Waldner herausgestellt hat, befinden wir uns mit den EU-Russland-Beziehungen tatsächlich an einem Scheideweg, insbesondere nach dem Georgien-Konflikt. Nach der außerordentlichen Sitzung des Europäischen Rates vom 1. September diskutierte der Rat am 13. Oktober darüber, wie Frau Ferrero-Waldner bereits sagte. Damals wurde gesagt, dass sich die Truppen nach Entsendung einer unabhängigen zivilen Beobachtermission der Europäischen Union nach Georgien aus den Gebieten zurückgezogen haben, die an Südossetien und Abchasien grenzen. Dies war ein wesentlicher zusätzlicher Schritt zur Umsetzung der Verträge vom 12. August und 8. September, die mit Vermittlung der Europäischen Union geschlossen wurden und die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität von Georgien zum Gegenstand hatten. Ich hatte bereits mehrfach Gelegenheit, dies Ihrem Ausschuss für außenpolitische Angelegenheiten mitzuteilen.
Die Europäische Union wird weiterhin an die Parteien appellieren, die Umsetzung ihrer Verpflichtungen im Rahmen der Gespräche einzuhalten, die in den Verträgen vom 12. August und 8. September dieses Jahres festgelegt sind.
Sie werden wissen, dass diese Gespräche am 15. Oktober unter der Federführung der Europäischen Union, der Vereinten Nationen und der OSZE in Genf begonnen haben. Zur Vorbereitung und zur Führung dieser Verhandlungen haben wir Pierre Morel, einen Sonderbeauftragten für die Krise in Georgien, der herausragende Arbeit geleistet hat. Die erste Konferenz am 15. Oktober gab den betroffenen Parteien Gelegenheit, direkt zusammenzukommen.
Offensichtlich wird all dies viel Zeit in Anspruch nehmen. Es ist ein langwieriger Prozess, doch wenn wir bedenken, worin die üblichen Friedensprozesse bestehen – erinnern wir uns nur an die Lage auf dem Balkan – dann ist schon die Tatsache an sich, dass es überhaupt eine Konferenz gab, bei der alle Parteien direkt zusammenzukommen konnten, ein wichtiger Schritt, auch wenn uns wie gesagt bewusst ist, dass der Weg sicherlich lang sein wird.
Die nächste Konferenz in diesem Prozess wird am 18. November in Genf stattfinden. Wir hoffen, dass sich die Parteien für eine pragmatische Lösung zur Fortsetzung der Gespräche einsetzen werden, um alle offenen Fragen zu besprechen. Hierzu zählen insbesondere die Vereinbarungen über Sicherheit und Stabilität, unter anderem im oberen Kodori-Tal und in der Region Akhalgori, und natürlich die dringliche Frage der Vertriebenen.
Die Union ist entschlossen, sich weiterhin für den Prozess zur Lösung der Konflikte in Georgien zu engagieren und eine umfassende Schlichtung auf Grundlage der Prinzipien des internationalen Rechts zu erreichen.
Vorerst und hat der Europäische Rat die Kommission und den Rat ganz allgemein gebeten, im Hinblick auf den nächsten Gipfel, der für den 14. November angesetzt ist, eine umfassende und gründliche Beurteilung der EU-Russland-Beziehungen durchzuführen. Wie der amtierende Ratspräsident, Präsident Sarkozy, heute Morgen sagte, ist es entscheidend, Gespräche mit Russland zu führen, denn dies liegt in unserem Interesse, da die Beziehungen zu Russland so wichtig sind.
Frau Ferrero-Waldner erinnerte uns daran, dass dies eine wesentliche Partnerschaft ist: Die Europäische Union und Russland sind voneinander abhängig, und gerade durch einen Dialog können wir sicherstellen, dass sich die Menschenrechtslage inRussland und der Region verbessert. Es liegt in unserem Interesse, an Russland zu appellieren, die Zusammenarbeit fortzusetzen, auf die beide Parteien angewiesen sind.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir Russland brauchen, um uns den globalen Herausforderungen wie dem Kampf gegen den Terrorismus, dem Klimawandel oder der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen zu stellen. Die Europäische Union hat sich so entschieden und wie denken, dass es im Interesse Russlands liegt, sich ebenso zu entscheiden. Aus diesem Grund möchten wir diesen Dialog fortsetzen.
Der bevorstehende Gipfel am 14. November wird uns Gelegenheit geben, die verschiedenen Dimensionen der notwendigen Beziehung zu Russland zu prüfen, und wir müssen konstruktiv untersuchen, ob Russland hofft, diesen Dialog vollumfänglich zu nutzen. Allerdings sollten wir diesen Dialog fortsetzen, wie es der amtierende Ratspräsident heute Morgen angesprochen hat, ohne bei den fundamentalen Grundsätzen Kompromisse einzugehen, die das Kernstück der europäischen Integration bilden.
Der Dialog mit Russland kann nur auf der Achtung der Souveränität der Staaten, der Rechtsstaatlichkeit und der gemeinsamen Regelungen basieren. In diesem Zusammenhang liegt der Beitritt Russlands zu einer Organisation wie der Welthandelsorganisation in unserem gegenseitigen Interesse. Tatsächlich würde dies die Schlichtung zahlreicher strittiger Fragen ermöglichen, von denen einige Mitgliedstaaten betroffen sind.
Ich denke an das Gesetz über Holzexporte und sibirische Überflugsteuern. Wir glauben zudem, dass unser Engagement für engere Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Russland wichtig ist. Dies steht in Einklang mit den Gesprächen, die ebenfalls heute Morgen stattgefunden haben. Auch hier müssen wir einen gemeinsamen Raum mit Russland haben, der auf Wirtschafts- und Handelsebene klarer definiert ist, und wir müssen, wenn möglich, dazu beitragen, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für die Europäische Union und Russland zu schaffen.
In dieser Hinsicht werden wir gegenüber Russland natürlich weiterhin die Bedeutung der Transparenz, der Gegenseitigkeit und der Nichtdiskriminierung im Bereich Energie betonen. Dies gilt auch in weiterem Sinne für das Thema Investitionen, da Unternehmen der Europäischen Union, die in Russland aktiv sind, häufig mit echten Problemen konfrontiert sind, für die es derzeit noch keine zufrieden stellende Lösung gibt.
Selbstverständlich sollten wir während des Gipfels mit Russland über die Auswirklungen der Finanzkrise sprechen. Dies ist ein neues Thema, das für die Europäische Union sehr wichtig ist. Auch für Russland ist es wichtig, und zwar in puncto Investitionspolitik und europäisch-russische Handelspolitik.
Wir möchten weiterhin, wie bereits erwähnt, erneut unsere Besorgnis über die Einhaltung der Verpflichtungen in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck bringen. Auf internationaler Ebene sollten wir alle Kooperationsfragen in Bezug auf unsere gemeinsame Nachbarschaft und natürlich die Themen angehen, die aktuell nach dem Georgien-Konflikt von Interesse sind. Allerdings sollten wir uns auch mit internationalen Themen befassen, an denen ein beiderseitiges Interesse besteht, wie beispielsweise dem Nahen Osten, Iran und Afghanistan.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass es in unserem Interesse liegt, den Dialog mit Russland fortzusetzen und noch auszubauen. Unseres Erachtens ist dies der einzige Weg, der es Russland ermöglichen wird, Fortschritte zu machen und der dafür sorgt, dass wir in Zukunft immer mehr Werte gemeinsam haben. Wir müssen aus den Ereignissen in Georgien lernen, wir müssen den Aufbau konstruktiver, ausgewogener Beziehungen mit Russland anstreben und versuchen, eine langfristige strategische Partnerschaft mit diesem Land zu entwickeln. Statt uns von diesem Ziel abzubringen, sollte der Georgien-Konflikt dieses Ziel vielmehr erneut im Kontext dessen stärken, was die Identität der Europäischen Union in Bezug auf andere Partner ausmacht, die in ihren Beziehungen zu Russland nicht immer dieselben Interessen verfolgen wie wir.
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Ich möchte meine Rede mit dem Zitat einiger Worte beginnen, die der amtierende Präsident Herr Sarkozy in der Aussprache heute Morgen sagte. Er sagte, dass sich die Europäische Union nicht an einem erneuten Kalten Krieg mitschuldig machen und in unverantwortlicher Weise einen Anstieg der Spannungen fördern darf, die eine Krise zwischen uns und Russland zur Folge haben. Russland wird tatsächlich dazu angehalten, ein positiver und konstruktiver Partner der Europäischen Union zu sein: aufgrund seiner strategischen Bedeutung, seiner Rohstoffe, seiner militärischen und atomaren Stärke, des umfangreichen Handels mit Russland – wie es uns die Kommissarin ins Gedächtnis gerufen hat – und auch einfach, weil es ein Hauptenergielieferant der EU ist.
Allerdings haben wir nicht nur als Wirtschafts- und Handelsunion aufgestellt, sondern auch als Union der Werte. Wir dürfen diese Werte daher nicht danach auswählen, wer am mächtigsten oder am wichtigsten ist.
Meiner Ansicht nach müssen Werte wie Freiheit, Achtung der demokratischen Werte, der Menschenrechte und der Souveränität und territorialen Integrität von Staaten berücksichtigt werden. Wir können uns nicht wegdrehen und so tun, als ob diesen Sommer nichts passiert wäre, obgleich wir Zeugen der Invasion und der nachfolgenden gewaltsamen Besatzung eines souveränen Staates waren.
Wir müssen unsere Nachbarschaftspolitik stärken und uns dabei an die Werte halten, für die wir stehen.
Es müssen noch viele Dinge geschehen: Die Evaluierung durch die Kommissarin und ihre Abteilungen in der Kommission, die Genfer Gespräche und die Geberkonferenz, die diese Woche in Brüssel stattfindet. Das alles halte ich für wichtig.
Ich möchte schließen, indem ich nochmals den amtierenden Ratspräsidenten zitiere, der sagte, dass die Europäische Union mit einer festen Stimme sprechen muss. Wir werden nicht imstande sein, mit einer festen Stimme zu sprechen – sondern vielmehr Zeichen der Schwäche zeigen –, wenn die Europäische Union auf dem nächsten Gipfel, der am 14. November in Nizza stattfinden soll, Verhandlungen mit dem Ziel aufnimmt, ein Abkommen oder eine Partnerschaft mit Russland abzuschließen, ohne dass dieses Land die Verträge voll umsetzt und einhält, die es am 12. August und am 8. September mit der Europäischen Union unterzeichnet hat.
Jan Marinus Wiersma, im Namen der PSE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Wie Herr Salafranca möchte auch ich darauf eingehen, was Präsident Sarkozy heute Morgen gesagt hat: Wir müssen versuchen, die Probleme mit Russland über einen Dialog und nicht über eine Konfrontation zu lösen. Wir müssen versuchen, Beziehungen in Europa aufzubauen, die auf einer Partnerschaft beruhen, aber auch auf dem Grundsatz der Gleichheit der Partner, jedoch nicht ohne gesunde Kritik zu üben, sofern dies erforderlich ist.
In diesem Zusammenhang müssen wir nach Lösungen für die Probleme um Georgien suchen, und wir müssen in Bezug auf zahlreiche entscheidende Themen, die bereits angesprochen worden sind – darunter internationale Themen wie die Zukunft des Atomwaffensperrvertrags, die Probleme rund um Iran und die Weiterverfolgung des Kyoto-Protokolls – mit Russland zusammenarbeiten. Unsere eigenen Umweltambitionen können kein Erfolg werden, solange wir uns nicht mit anderen wichtigen Partnern weltweit darüber einigen können.
Des Weiteren muss mit Russland eine Kooperation in Bezug auf die Finanzkrise und die Rolle Russlands in den G8 angestrebt werden. Die Finanzkrise zeigt einmal mehr, wie stark wir von Russland abhängig sind, aber auch, wie sehr Russland auf die internationale Wirtschaft angewiesen ist. Verglichen mit der Lage von vor 30 oder 40 Jahren hat sich die Welt komplett gewandelt. Das ist ein weiterer Grund, warum eine Rückkehr zu der Taktik des Kalten Krieges keine Option darstellt.
Zweitens begrüßen wir das Verhalten der französischen Präsidentschaft und die Geschlossenheit der Europäischen Union bei der Herangehensweise an den Georgien-Konflikt. Es ist äußerst wichtig, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten weiterhin so geschlossen handeln. Dies gilt insbesondere für die aufgenommenen Genfer Gespräche, die im November fortgesetzt werden. Bedauerlicherweise kam es nicht zu einer sofortigen Einigung auf eine Formel zur Lösung des Georgien-Konflikts.
Dieses Thema könnte tatsächlich schwierig zu lösen sein, denn es gibt erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und Russland. Unserer Ansicht nach sollte die territoriale Integrität Georgiens bewahrt werden, und die Tatsache, dass Südossetien und Abchasien als unabhängige Länder anerkannt worden sind, ist für uns inakzeptabel. Die Gespräche über diese Angelegenheiten dürften hart werden.
In dieser Hinsicht kann es wichtig sein, uns an die Notwendigkeit einer breiter angelegten Debatte über die in Europa bestehenden Sicherheitsstrukturen und Regelungen im Namen des Helsinki-Prozesses zu erinnern. Die Russen haben vorgeschlagen, dies zu ändern und zu verbessern, aber der Rat und die Kommission haben möglicherweise auch noch etwas zu dieser Angelegenheit beizutragen.
Im Rahmen dieser Diskussion ist wichtig, Russland unmissverständlich klar zu machen, dass wir uns nicht um Einflussbereiche streiten wollen und diese nicht akzeptieren, auch nicht in Regionen, die sowohl an Russland als auch an die Europäische Union grenzen. Ich bin nicht dafür, die NATO in diese Richtung zu erweitern.
Was ich jedoch befürworte, ist eine aktive EU-Politik zur Gewährleistung der Unabhängigkeit von Ländern wie der Ukraine, Georgien und Moldawien, und ich hoffe, dass die Vorschläge, die die Kommission diesen Herbst zur Östlichen Partnerschaft vorlegen wird, dazu beitragen werden, die Beziehungen mit den besagten Nachbarstaaten zu festigen, damit wir sie dabei unterstützen können, ihre eigene Entwicklung und Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Annemie Neyts-Uyttebroeck, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Jouyet, Frau Ferrero-Waldner! Zunächst möchte ich Ihnen, wenn ich darf, ein gutes Buch für Ihren Weihnachtsurlaub empfehlen: die wundervolle Biografie der Gräfin von Ségur. Wie Sie sicherlich wissen, war der echte Name der Gräfin von Ségur Sophie Rostopchine – ja, Rostopchine –, und ihr Vater war der Mann, der dem Einmarsch Napoleons in Russland ein Ende setzte. Das Buch bietet eine herrliche Beschreibung der Umstände, die dazu geführt haben. Einige der Lektionen, die es uns lehrt, haben auch heute noch Gültigkeit. In jedem Fall war dies nur eine Einleitung.
Zunächst möchte ich etwas klarstellen: Als ich heute Morgen das Wort ergriffen habe, wollte ich unter keinen Umständen andeuten, dass der EU-Moskau-Gipfel nicht stattfinden sollte. Natürlich nicht. Er muss stattfinden. Da ich nur eineinhalb Minuten hatte, habe ich mich möglicherweise nicht deutlich genug ausgedrückt. Ich wollte lediglich sagen, dass ich aus den Beschlüssen des Rates abgeleitet hatte, dass bereits entschieden worden sei, die Partnerschaftsverhandlungen bzw. die Verhandlungen über einen Assoziierungsvertrag erneut aufzunehmen und zu verfolgen, und dass – egal, was passiert – der Ausgang des wohl schwierigen Gipfels vom 14. November kaum Auswirkungen haben werde, da die Gespräche ohnehin fortgesetzt werden. Natürlich würde die Evaluierung der Kommission und des Rats berücksichtigt werden, und das durchaus zu Recht. Ich wollte dies nur noch einmal klarstellen.
Ich weiß nicht, ob Herr Sarkozy mich absichtlich missverstanden hat oder nicht. So oder so hat er mir nicht geantwortet, aber ich würde mich über eine Antwort wirklich sehr freuen, Herr Jouyet, denn ich persönlich fände es schade, wenn bereits entschieden worden wäre, die Verhandlungen in jedem Fall wieder aufzunehmen. Ich unterstütze einen Dialog mit Russland voll und ganz. Es ist eindeutig ein großes Land. Es ist ein großes und sehr stolzes Land, ein Land, das nicht viel Mitleid zeigt und es meines Erachtens auch nicht schätzt, wenn andere sich selbst in eine schwache Position bringen.
Nun, die möglicherweise bereits getroffene Entscheidung, die Verhandlungen in jedem Fall wieder aufzunehmen, noch bevor der Gipfel überhaupt stattgefunden hat, zeugt von keinem großen diplomatischen Geschick. Mir läuft die Zeit davon. Ich hoffe also vor allem, dass Sie, Herr Jouyet, mir eine klare Antwort geben werden, ganz gleich, wie sie ausfällt. Vielen Dank.
Bart Staes, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, Herr Jouyet, Frau Ferrero-Waldner, meine Damen und Herren! Über den Konflikt zwischen Russland und Georgien kann man eine Menge sagen, und er ist sicherlich ein entscheidender Faktor in unseren derzeitigen Beziehungen zu Russland.
Was man jedoch in jedem Fall sagen kann: Sowohl Russland als auch Georgien sind gescheitert. Es ist nicht hinnehmbar, dass Länder militärische Mittel einsetzen, um ihre Konflikte zu lösen. In der Politikwissenschaft gibt es eine Theorie, die besagt, dass demokratische Länder ihre Konflikte im Prinzip auf demokratische Weise lösen, nämlich über den Dialog und nicht mit militärischen Mitteln. Da dies hier nicht der Fall war, stimmt mit der Demokratie in Georgien und Russland etwas nicht. Andernfalls wären die Dinge nicht so gekommen, wie es dann der Fall war.
Die heutige Aussprache befasst sich schwerpunktmäßig mit unserer Beziehung zu Russland. Im Hinblick auf die Demokratie, die Achtung der Menschenrechte, die Presse- und Versammlungsfreiheit, die Lage in Tschetschenien – die zwar nicht mehr in den Schlagzeilen ist, aber von der jeder, der die Entwicklungen in diesem Land genauer verfolgt, weiß, dass sie nach wie vor sehr kritisch ist – und auch im Hinblick auf die Probleme mit den Vorbereitungen auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi ist die Lage Russlands nach wie vor sehr kritisch, um es gelinde auszudrücken. All diese Dinge verursachen zahlreiche Probleme.
Es gibt meines Erachtens, wie bereits angeführt worden ist, eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der Europäischen Union und Russland. Das ist richtig. Ich denke, dass wir immer dann, wenn wir über die gegenseitige Abhängigkeit und diese Probleme sprechen, auch die anderen Werte anführen sollten, die Werte der Demokratie, die typisch europäischen Werte, andere Formen der Konfliktlösung, die Verfolgung von mehr Demokratie und den Einsatz weicherer Kräfte.
Die Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz ist für den Dialog, der meiner Ansicht nach eines der Markenzeichen der Europäischen Union ist. Die Europäische Union hat wirklich viel Übung in der friedlichen Konfliktlösung und -prävention. Daher können wir, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind und der Rat, die Kommission und das Europäische Parlament geschlossen für diese Werte eintreten, ruhigen Gewissens, entschlossen und mit dem Willen zum Erfolg in einen Dialog mit Russland eintreten, der auch die Partnerschafts- und Kooperationsverträge umfasst.
Adam Bielan, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Aktionen der russischen Armee in Georgien sind ein besonders aufschlussreicher Test hinsichtlich der derzeitigen Absichten Russlands. Sie stellen auch die politische Macht und die Grundprinzipien der Europäischen Union auf die Probe. Bedauerlicherweise verhalten sich die Regierungschefs einiger Mitgliedstaaten so, als hätte die Invasion Russlands in das souveräne und demokratische Georgien niemals stattgefunden.
Meine Damen und Herren! Russland demütigt die Europäische Union erneut, indem es behauptet, es hätte seine Truppen auf die Positionen von vor der Invasion zurückgezogen. Was sollen wir dann davon halten, dass georgische Dörfer in der Region Südossetien und in der Umgebung ständig Gegenstand brutaler ethnischer Säuberungsaktionen sind? Wie sollen wir damit umgehen, dass den zweihundert von der Union entsandten Beobachtern der Zugang zu den Konfliktschauplätzen verweigert wird? Eine derartige Situation ist Lichtjahre von einer Rückkehr zum Status quo vom 7. August entfernt, was eine Voraussetzung für Gespräche mit Russland ist. Einer der Zwecke des russischen Einmarsches in Georgien war die Terrorisierung der Nachbarstaaten in der Region, um das Nabucco-Projekt zu torpedieren, das für die Energiesicherheit der Union von entscheidender Bedeutung ist. Es scheint, dass derzeit kein Gedanke an den Erdgas- und Erdöltransportweg verschwendet wird, der durch Georgien verläuft. Dieser ist für uns lebenswichtig und der einzige, der nicht unter der Kontrolle des Kremls steht.
Des Weiteren möchte ich Ihnen ins Gedächtnis rufen, dass in Nachbarländern der Union viele russische Staatsbürger leben. Als Beispiele könnte ich die Ukraine, Belarus und das Baltikum anführen. Wir müssen also bedenken, dass der Kreml jederzeit behaupten könnte, dass diese Menschen seinen so genannten Schutz benötigen. Genau das ist in Südossetien passiert. Ich muss nochmals betonen, dass die Mitgliedstaaten der Union und ihre nächsten Nachbarn direkt von einer russischen Aggression bedroht sind.
Derzeit bedroht Russland EU-Mitgliedstaaten und deren nächste Nachbarn militärisch, und das zusätzlich zu der Erpressung bei der Energieversorgung. Die Situation in Georgien ist ein besonders deutliches Beispiel. Unter solchen Umständen kommt eine Partnerschaft zwischen der EU und Russland nicht in Frage. Gespräche auf dem Gipfel in Nizza am 14. November würden erneut die völlige Hilflosigkeit der EU-Führung gegenüber Russland demonstrieren.
Esko Seppänen, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FI) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Die Aktienmärkte in den Vereinigten Staaten, in den EU-Mitgliedstaaten und in Russland sind zusammengebrochen. Wir stecken alle in derselben Krise, die durch den Turbokapitalismus ausgelöst wurde. Dessen ungeachtet bemühen sich einige EU-Mitgliedstaaten – allen voran die baltischen Staaten, deren Präsidenten in den USA studiert haben, und insbesondere Polen –, Russland von der Europäischen Gemeinschaft zu isolieren. Zunächst wurde der Beginn der Gespräche über das Partnerschaftsabkommen hinausgezögert, heute wird dann der Konflikt Georgiens und Abchasiens mit Russland als Grund angeführt.
In den Medien zahlreicher westlicher Länder wurde Russland als Angreifer hingestellt. Dieses Bild entspricht nicht den Tatsachen. Saakaschwilis Armee war es, die in die Offensive ging und damit den globalen Konflikt vom Zaun brach. Dafür sollte er nicht belohnt werden. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und Europäischer Demokraten im Europäischen Parlament ist in dieser Angelegenheit leider ein Gefangener ihrer eigenen extremistischen Elemente.
Natürlich hat Russland Saakaschwilis Armee besiegt, die von den Amerikanern und Israelis ausgebildet und von den Ukrainern ausgestattet wurde. Die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens als unabhängige Staaten war eine politische Überreaktion, deren politische Konsequenzen Russland jetzt zu tragen hat. Eine Isolierung Russlands sollte nach Meinung unserer Fraktion jedoch nicht zu diesen Folgen gehören. Der europäische Kapitalismus ist auf Russlands Rohstoffe angewiesen – ebenso wie Russland auf Europas politische Erfahrung mit Demokratie, bürgerlichen Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit.
Nicht politische Gewalt wird uns hier weiterbringen, sondern Zusammenarbeit und Dialog. In diesem Zeichen stehen wohl auch die heutigen Gespräche zwischen den beiden Generalstabschefs, Mike Mullen und Nikolai Makarow, in Helsinki. Die EU sollte diesen Dialog nicht boykottieren.
Die positiven Vorschläge der Ratspräsidentschaft finden unsere volle Unterstützung.
Paul Marie Coûteaux, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Jouyet! Die heutige Stimmung zeigt, dass die Zeit reif ist für Reue – oder zumindest reif, um Dogmen und reflexartige Reaktionen zu überdenken. Ich danke Herrn Sarkozy, dass er uns heute Morgen mit einem allem Anschein nach aufrichtigen Beispiel vorangegangen ist. Lassen Sie uns daher auch unser altes, unser uraltes, Misstrauen gegen Russland überdenken – ein Land, das zu unseren Partnern zählt, ob wir nun wollen oder nicht.
In diesem Sinne kann ich mich Frau Neyts-Uyttebroeck nur anschließen und Ihnen eine Biografie der Gräfin von Ségur ans Herz legen. Besonders empfehlenswert ist das Werk von Marie-José Strich aus dem vorzüglichen Hause Bartillat. Das Leben dieser Frau zeigt die wahre Bedeutung eines Wortes, das, wenn ich es recht verstanden habe, zweimal gefallen ist: „Interdependenz“.
Ja, wir hängen in der Tat voneinander ab – aber eben nicht nur bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Eindämmung von Massenvernichtungswaffen, sondern in jeder Hinsicht und auf unterschiedliche Weise: ganz klar bei der Energieversorgung, aber auch in Forschung, Industrie und Politik.
Malen wir uns nur einmal aus, wie das Europa des 21. Jahrhunderts aussehen wird – je nachdem, ob wir uns weiterhin an der Erschließung der immensen Ressourcen Sibiriens beteiligen oder nicht. Wir sollten also keine Konflikte mehr zu Eigen machen, die nicht die unseren sind, sondern Dritte betreffen, die Europa spalten wollen, um es zu dominieren. Glauben Sie mir: In dieser Angelegenheit liegt mir Europa am Herzen, sofern Sie mir zugestehen, dass auch französische Souveränisten hiervon betroffen sind.
Jana Bobošíková (NI). – (CS) Meine Damen und Herren! Ich halte die Entscheidung des Rates, die Gespräche mit Russland über eine strategische Partnerschaft nicht wieder aufzunehmen, für unklug, kurzsichtig und den Interessen der EU-Bürgerinnen und -Bürger abträglich. Wir sollten uns klarmachen, dass wir es hier mit einem Partner zu tun haben, von dessen Rohstoffen Europa abhängt. Hier geht es nicht nur um Gas und Öl. Ohne Titan aus Russland, um nur ein Beispiel zu nennen, könnten wir keinen einzigen Airbus produzieren. Schlimmer noch: Unsere gegenwärtige Russlandphobie stützt sich nicht auf Fakten, sondern auf die Darstellung in der Politik und den Medien. Es war Georgien, nicht Russland, das den Kaukasus-Konflikt ohne Rücksicht auf die Folgen vom Zaun brach. Hinzu kommt: Ich kenne keinen konkreten Grund, warum die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien nicht respektiert werden sollte. Schließlich waren mehrere EU-Mitgliedstaaten begeisterte Befürworter der Unabhängigkeit der Republik Kosovo. Daher freut es mich, dass Václav Klaus – der Präsident meines Landes, der Tschechischen Republik – in einer realistischen Einschätzung der Lage sagte, es gehe nicht darum, dass Georgien auf der Seite des Guten und Russland auf der Seite des Bösen stehe. Leider stand er mit dieser Auffassung allein auf weiter Flur. Wenn die EU ernsthaft ein strategischer Partner und globaler Akteur sein möchte, muss sie Russland auf Augenhöhe begegnen. Eine Politik der Konfrontation wird niemandem nutzen.
Elmar Brok (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Ratspräsident! Einer der Vorredner sagte, die Überschrift über allem ist: Keine Gewalt! Keine Gewalt von beiden Seiten, wie das im internationalen Völkerrecht immer zu sein hat. Wir müssen darauf bestehen, dass das Völkerrecht eingehalten wird, territoriale Integrität, Nichteinmischung in die inneren Entscheidungen eines Landes, keine Einflussnahme und Einhaltung der Abmachungen vom August und September. Ich hoffe, dass das in Genf auch im Weiteren gehen wird.
Wir müssen weiterhin dafür sorgen, dass die entsprechenden Entscheidungen des Europäischen Rates vom 1. September sowie die Beschlüsse, die von der Kommission verhandelt werden über Assoziierungsabkommen, Freihandelsabkommen, osteuropäische Partnerschaft, europäischer Wirtschaftsraum plus oder wie immer man das nennt, eingehalten werden, um so die Länder ohne Provokation eines anderen zu stärken, zu stabilisieren, sie einzubeziehen und dafür auch auf der Geberkonferenz das Notwendige zu tun.
Gleichzeitig müssen wir unseren eigenen östlichen Mitgliedstaaten das Gefühl geben, dass ihre Sicherheit solidarisch im Rahmen der Europäischen Union und der NATO aufgehoben ist. Ich glaube, dies ist auch aus psychologischen Gründen wichtig.
Frau Kommissarin, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie auf die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit hingewiesen haben. Das ist die beste Sicherheitspolitik. Je mehr diese Interdependenz jedoch verstärkt wird, in die Interessenssphären beider hineingeht und miteinander verkoppelt wird, desto weniger kann man mit nichtfriedlichen Mitteln aus dieser Abhängigkeit herausgehen. Hier sollten wir noch besonders vorangehen. Dies sollte auch unterstützt werden durch rechtliche Verpflichtungen, in die wir Russland hineinholen, WTO, Partnerschafts-kooperationsabkommen mit den entsprechenden Verpflichtungen. Wenn diese wirtschaftliche Interdependenz auf diese Art und Weise rechtlich und vertraglich untermauert wird, kommen wir weiter.
Dies muss auch im Rahmen unserer Interessen laufen. Energiesicherheit ist ein Punkt. Hier gibt es auch weltweite Herausforderungen. Nicht umsonst haben sich die 5+1 zum Iran bereits wieder getroffen und sind zur normalen Arbeit übergangen. Auch auf anderen Ebenen passiert dies. Ich habe gehört, dass ein Ausschuss des Europäischen Parlaments schon wieder in Moskau war. Iran, Naher Osten, Klimawandel, Terrorismus und was auch immer: Es geht nicht ohne Russland!
Wir müssen zur Gesprächsbereitschaft zurückkehren. Eine Sicherheitspartnerschaft mit Russland funktioniert nur, wenn es nicht um den Preis bestehender Allianzen geht und nicht um den Preis, die USA aus Europa herauszuhalten. Das ist eine Bedingung für eine solche Partnerschaft.
Reino Paasilinna (PSE). - (FI) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Beide Seiten haben Unrecht begangen und internationale Vereinbarungen gebrochen. Jetzt muss die Frage lauten: Wie schnell kommen wir weiter und können die Lage wieder stabilisieren?
Dafür ist die Zusammenarbeit mit Russland eine wesentliche Voraussetzung. Genau genommen decken sich zahlreiche Ziele Russlands mit unseren Zielen in dem Vertrag von Lissabon. Präsident Medwedew hat von der Notwendigkeit institutioneller Reformen gesprochen. Wie wahr. Der zweite Punkt, den er anführt, sind infrastrukturelle Reformen, der dritte Punkt betrifft Investitionen. All diese Themen sind uns durchaus vertraut. Hinzu kommt Innovation, ein Thema, über das wir – wenn man so sagen darf – erheblich mehr wissen. All das haben wir gemeinsam. Russland möchte eine Rolle bei der Überwindung der internationalen Finanzkrise übernehmen, es fehlt ihm jedoch an den nötigen Mitteln. Daher möchte es natürlich nicht ausgegrenzt werden. Wir müssen darauf mit Zusammenarbeit reagieren, denn so können wir Russland in unsere Richtung lenken.
Russland möchte nicht über ideologische Fragen sprechen, welche die Europäische Union heute jedoch angeht. Wir wünschen uns Demokratie in Russland – das ist die Ideologie, für die wir stehen. Russland seinerseits wünscht praktische Lösungen. Wenn wir diese beiden Ziele in Einklang bringen, können wir wahrscheinlich Fortschritte erzielen. Zu Medwedews vier „I“s sollte daher noch ein weiteres hinzukommen: Integration. Dann können wir Russlands Zukunft aus unserer Sicht erfolgreich beeinflussen und für mehr Stabilität sorgen.
Janusz Onyszkiewicz (ALDE). – (PL) Bei Diskussionen über den Konflikt zwischen Russland und Georgien spricht alle Welt von Ossetien. Die bedeutenden Ereignisse in Abchasien werden indessen häufig übersehen. Beteuerungen Russlands, sein – freilich überzogenes – Eingreifen sei eine Reaktion auf Versuche, das Problem in Ossetien mit militärischen Mitteln zu lösen, sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Was aber Abchasien anbelangt, so greifen solche Argumente nicht. Der massenhafte Einfall russischer Truppen, die Flotte vor der georgischen Küste und die militärische Eroberung der von den georgischen Behörden kontrollierten Gebiete sprechen eine klare Sprache: Russland ist bereit, seine Kampfverbände unter dem Deckmantel der Prävention ins Feld zu führen. Wir haben es also mit einer jener Aktionen zu tun, die sich ausschließlich durch eine einseitige Beurteilung der Außenpolitik rechtfertigen lassen.
Präsident Medwedew brachte in seiner Erklärung erneut die Idee einer gemeinsamen Zone der Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok aufs Tapet. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wie kann man sich auf gemeinsame Maßnahmen in einer solchen Zone verlassen, wenn sich Russland selbst als Bedrohung erweist? Bezüglich der weiteren Punkte, die Medwedew für ein mögliches Abkommen vorschlug, sei daran erinnert, dass hierzu bereits ein Übereinkommen besteht: die 1990 angenommene Charta von Paris für ein neues Europa. Oder geht es hier etwa weniger um einen Dialog als um ein Vetorecht im Hinblick auf die Aktionen der NATO?
(Beifall)
Rebecca Harms (Verts/ALE). – (DE) Herr Präsident! Ich möchte an die Rede meines Kollegen Bart Staes anknüpfen, der andere Konflikte, die es im Kaukasus noch gibt, angesprochen hat.
Wenn man jetzt mit Russland die Gespräche wieder aufnimmt – was wir befürworten –, ist es aus unserer Sicht sehr wichtig, dass man dabei nicht vernachlässigt, dass es auch noch Karabach, Tschetschenien, Moldova und Transnistrien gibt und dass wir auch im nächsten Jahrzehnt eine sehr schwierige Auseinandersetzung in der Ukraine bewältigen müssen, nämlich auf der Krim. Die Europäische Union darf nicht wieder denselben Fehler machen wie vor dem Krieg in Georgien, nämlich diese Konflikte nicht ernst genug zu nehmen.
Es müssen also unserer Meinung nach alle diese Konflikte bearbeitet werden. Der Kaukasus und andere benachbarte Regionen sind sehr schwierige Regionen. Sie liegen alle in Europa und müssen deshalb von Europa, von der Europäischen Union, mit viel größerer Priorität – auch in Zusammenarbeit mit Russland – bearbeitet werden.
Ob wir das, was es da an Konflikten gibt, gut lösen können, bin ich mir heute nicht sicher. Aber ich bin heute eigentlich ganz optimistisch, dass dieses Gefühl von Kaltem Frieden, das durch Europa gekrochen ist – und zwar durch die ganze Europäische Union –, das auch in Russland erschreckt hat, ausreichend Warnung war und dass die verschiedenen Seiten jetzt wieder ernsthafter zu den Verhandlungen zurückkehren.
Aus der Sicht des Westens ist es ja auch sehr interessant, dass Russland in der Finanzkrise ganze Staaten rettet, um selber in dieser Krise zurechtzukommen. Die Verwobenheit in Zeiten der Globalisierung ist viel weitergehend, als wir das bei den Energiethemen bisher diskutiert haben.
Wenn man einen besseren Ton findet und der Westen vielleicht nicht immer darauf besteht, dass seit Ende der Achtziger Jahre sein System das Siegersystem gewesen ist, können wir auch wieder in bessere Auseinandersetzungspositionen kommen.
Konrad Szymański (UEN). - (PL) Herr Präsident! Russland ist möglicherweise der größte Gewinner der Finanzkrise. Warum? Weil wir unsere Aufmerksamkeit stärker auf die Probleme unserer Banken gerichtet haben, anstatt Russlands Aggression gegen Georgien zu verfolgen. In unserer heutigen Aussprache hat sich dies deutlich gezeigt.
Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Russland nach wie vor über 7 000 Soldaten in Ossetien und Abchasien stationiert hat – mehr als dreimal so viel wie am 7. August. Russland hält sich also nicht so an das Friedensabkommen, wie wir es uns wünschen würden. Das bedeutet, dass die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland noch immer in einer Sackgasse stecken. Das bedeutet auch, dass es schlichtweg an den Voraussetzungen fehlt, um den politischen Dialog im Rahmen gemeinsamer europäischer und russischer Organe wieder aufzunehmen. Neuerliche Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen haben derzeit keine Grundlage. Zuletzt sei noch unsere Enttäuschung über die Haltung einiger Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, die sagen, man könne die russische Aggression gegen Georgien ignorieren und die Angelegenheit sei einfach eine Frage der Zeit. Diese Vogel-Strauß-Haltung könnte die EU-Außenpolitik als Ganzes am Ende teuer zu stehen kommen.
Vittorio Agnoletto (GUE/NGL). - (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir müssen anerkennen, dass der Rat die Beziehungen zu Russland wesentlich ausgewogener gehandhabt als wir, das Europäische Parlament, in unserer Entschließung zu den Vorkommnissen in Georgien. In dieser Entschließung suchen wir die Schuld ausschließlich bei Russland und rechtfertigen sogar noch die georgische Offensive vom 7. und 8. August.
Wenn uns jedoch wirklich an einem stabilen Frieden gelegen ist, müssen wir uns klar gegen einen NATO-Beitritt Georgiens oder der Ukraine aussprechen. Dies würde – wie wir nur zu gut wissen – die gesamte Region destabilisieren und das Risiko weiterer Kriege drastisch erhöhen. Nicht nur aus wirtschaftlichen Motiven sollten wir die Verhandlungen mit Russland wieder aufnehmen, sondern auch, weil die Probleme erst gelöst werden, wenn man darüber spricht, und dies ist immer der beste Weg.
Gleichzeitig müssen wir bedingungslos für Menschenrechte, Informationsfreiheit und politische Freiheiten einstehen, die ganz sicher in Russland nicht die Norm sind. Die beste Möglichkeit, für diese Belange eintreten zu können, besteht darin, unsere Abhängigkeit von russischer Energie abzubauen. Hierzu müssen wir nicht nur unsere Energiequellen diversifizieren, sondern auch in alternative, saubere Energien investieren.
Eine Überlegung zum Schluss: Sowohl die Kommission als auch der Rat haben sich überaus zuversichtlich über einen Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation geäußert. Ich möchte daran erinnern, dass beim Beitritt Chinas ganz ähnliche Töne zu hören waren – und was ist daraus geworden? Die Folgen für die europäische Wirtschaft und die europäischen Arbeitnehmer sind fatal. Möglicherweise sollten wir also nach völlig neuen Lösungen suchen und den gesamten WTO-Mechanismus infrage stellen.
Gerard Batten (IND/DEM). - Herr Präsident! Präsident Sarkozy hat dem Kreml genau nach der Pfeife getanzt. Präsident Sarkozys „Frieden für unsere Zeit“ beschert ihnen das, was sie wollten, und hat ein diplomatisches Schlupfloch eröffnet. Seit dem Zweiten Weltkrieg galt für internationale Beziehungen der Grundsatz, dass sich Aggression nicht lohnen darf und Aggressoren keine politischen Zugeständnisse gemacht werden dürfen. In dieser Sache aber hat Moskau triumphiert, die NATO hat eine Schlappe erlitten und die EU hat ein doppeltes Spiel gespielt.
Die EU als Institution steht in diesem neuen Kalten Krieg einfach nicht auf der Seite der westlichen Demokratien. Die EU gehört nicht zur freien Welt. Sie ist antidemokratisch, undemokratisch und imperialistisch. Aus institutioneller Sicht tendiert sie daher nicht zu den freien Nationen, sondern zu anderen antidemokratischen Imperien zu. Nicht Recht, sondern Ideologie ist ihr oberstes Prinzip.
Leider folgen die Regierungen Europas – als gute Europäer – in der Russlandpolitik nicht ihrem kollektiven nationalen Interesse, sondern der fatalen Haltung der EU.
Sylwester Chruszcz (NI). - (PL) Neben den Vereinigten Staaten zählt die Russische Föderation zu den wichtigsten Partnern der Europäischen Union. Russland ist uns nicht nur ein strategischer Partner, sondern auch ein wichtiger Rohstofflieferant für die Energiegewinnung in den EU-Mitgliedstaaten – so auch in meinem Land, Polen. Kurz: Die Zusammenarbeit mit Russland ist eine Tatsache, und ihr Erfolg liegt im beiderseitigen Interesse. Georgiens Angriff auf Südossetien und die anschließende Eskalation des Konflikts haben die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau schwer belastet.
Das heißt jedoch nicht – wie manche europäische Politiker es wünschen würden – dass wir uns von Russland abwenden oder gar sämtliche Beziehungen auf Eis legen sollten. Russland hat in den vergangenen 20 Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um in den Kreis der europäischen Demokratien einzutreten. Obwohl natürlich noch viel zu tun bleibt, besteht an der Unterstützung der Bevölkerung für den amtierenden Präsidenten und seine Vorgänger nicht der geringste Zweifel. So bleibt mir nur zu hoffen, dass die Europäische Union und Russland gewissen Schwierigkeiten zum Trotz ihre erfolgreiche Zusammenarbeit im beiderseitigen Interesse fortsetzen werden.
VORSITZ: MIGUEL ÁNGEL MARTÍNEZ MARTÍNEZ Vizepräsident
Ria Oomen-Ruijten (PPE-DE). - (NL) Herr Präsident, Herr Jouyet, Frau Ferrero-Waldner, meine Damen und Herren! Man kann nicht bestreiten, dass sich die Beziehungen zu Russland in letzter Zeit geändert haben. Um es gleich zu sagen: Eine Isolation Russlands kommt meines Erachtens nicht in Betracht. Gleichzeitig aber ist es angesichts des enormen Misstrauens der Mitgliedstaaten gegen Russland schwierig, über eine Partnerschaft zu sprechen.
Für mich als Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zu Russland aber besteht kein Zweifel: Wir müssen den Dialog fortführen. Der Rat und die Kommission tun das ohnehin, und das Parlament sollte sich ihnen anschließen. Genau dieses Thema war in unserer Delegation – im Zusammenhang mit dem geplanten Moskaubesuch Ende dieser Woche – Gegenstand heftiger Diskussionen. Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass wir im Gespräch bleiben müssen – unseren Partnern jedoch verdeutlichen sollten, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Wir müssen die Probleme offen ansprechen und einen konstruktiven Meinungsaustausch suchen.
Unsere Erwartungen an Russland sind noch längst nicht erfüllt. Der Abzug der Truppen aus der Pufferzone war nur ein erster Schritt. Die Lage wird sich erst dann entspannen, wenn die in Abchasien und Südossetien stationierten Truppen reduziert oder komplett abgezogen werden. Dies ist der Geist der Vereinbarungen, wenn auch nicht der wörtliche Inhalt. Herrn Jouyets Meinung dazu würde mich interessieren.
Die EU – und insbesondere die Ratspräsidentschaft – hat in den vergangen Monaten eine klare Sprache gesprochen und entschlossen gehandelt. Diese Dynamik gilt es aufrechtzuerhalten.
Abschließend möchte ich drei Fragen stellen. Erstens: Welche Signale und Maßnahmen halten Sie vor dem Gipfel für erforderlich, damit die Verhandlungen wieder aufgenommen werden können? Zweitens: Welche Rolle haben Sie dabei dem Parlament zugedacht? Drittens: Lassen Sie mich etwas ausholen. Russland beteiligt sich nicht an dem Übereinkommen über Streumunition, das dieser Tage in Oslo unterzeichnet wird. Nun hört man jedoch, dass der niederländische Journalist durch eine russische Streubombe zu Tode kam. Wie, Frau Ferrero-Waldner, können wir Russland doch noch in dieses Übereinkommen einbeziehen?
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). - (HU) Herr Präsident! Die französische Ratspräsidentschaft hat vorbildlich auf die Krise in Georgien reagiert. Keine Frage: Wir können mit Krisen umgehen, sind jedoch noch nicht in der Lage, sie zu verhindern. Erlauben Sie mir, dieses Haus daran zu erinnern, dass der Außenminister eines EU-Mitgliedstaats, Herr Steinmeier aus Deutschland, einen sehr soliden Friedensplan vorgelegt hat, der von allen Seiten – bis auf Tiflis – angenommen wurde. Dies ist eine historische Tatsache, und zwar eine äußerst bedauerliche. Möglicherweise hätte der Krieg damit sogar verhindert werden können. Meiner Überzeugung nach könnte der Steinmeier-Plan jedoch noch als wichtigste Ausgangsbasis für Friedensverhandlungen dienen, auch wenn die geänderte Haltung Abchasiens und Südossetiens die Lage deutlich verkompliziert hat. Lassen Sie mich gleich hinzufügen, dass Verhandlungen nur unter Einbeziehung der beiden betroffenen Völker, der Abchasen und Südossetien, möglich sind. Ihre Meinung ist in Bezug auf ihre künftigen Beziehungen zu Russland ausschlaggebend.
Eines ist sicher: Wir können nicht einfach zum Tagesgeschäft zurückkehren, als wäre nichts geschehen. Russland bleibt ein strategischer Partner, den wir nicht einfach isolieren können, doch unser Vertrauen ist beschädigt. Nicht nur Russland, sondern auch wir müssen aus den Vorfällen lernen. Insbesondere müssen wir verstehen, warum Russland einer EU-Annäherung der Ukraine und Georgiens wesentlich aufgeschlossener gegenübersteht als einer NATO-Annäherung. Sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für uns Europäer ist dieser Punkt von entscheidender Bedeutung, wenn wir die strategische Partnerschaft zwischen Russland und der EU normalisieren möchten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Henrik Lax (ALDE). - (SV) Herr Präsident! Russlands Angriff auf Georgien kann nicht isoliert betrachtet werden. Was wir hier erleben, ist ein Paradigmenwechsel in Russlands Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten – ein Paradigmenwechsel mit möglicherweise ernsten Folgen, wenn die EU nicht klug handelt. Wie Herr Jouyet bereits sagte: Wir stehen an einem Scheideweg. Mich erfüllt mit Sorge, dass zahlreiche führende EU-Politiker bereits wieder von einer Rückkehr zur Tagesordnung in den Beziehungen zu Russland reden. Sie tun gerade so, als hätte es niemals einen Krieg in Georgien gegeben – dabei sind immerhin noch 8 000 russische Soldaten in den besetzten Gebieten stationiert, und von einer Einstellung der ethnischen Säuberungen kann keine Rede sein.
Die EU muss ein klares Signal aussenden und Russlands imperialistische Politik auf das Schärfste verurteilen, da es sich anmaßt, zum Schutz „seiner“ Bürger souveräne Staaten zu besetzen. Heute Georgien, morgen die Ukraine und Belarus. Diese Äußerungen werde ich beim Treffen mit der russischen Delegation am kommenden Freitag in Moskau zu wiederholen. Die bedingungslose Aufnahme von Verhandlungen mit Russland unter den derzeitigen Gegebenheiten würde bedeuten, dass wir Russlands Vorgehen in Georgien gutheißen und Russland einen Freibrief für die Fortführung seiner imperialistischen Politik ausstellen. Die EU hat die Pflicht, den Opfern und nicht den Angreifern beizustehen. In diesem Sinne begrüße ich den Vorschlag von Frau Ferrero-Waldner, 500 Millionen Euro aufzubringen. Es bleibt zu hoffen, dass die morgige Geberkonferenz erfolgreich verläuft.
Tatjana Ždanoka (Verts/ALE). - Herr Präsident! Ich spreche heute nicht nur als Vertreterin meiner Fraktion und Mitglied der EU-Russland-Delegation, sondern auch als einzige russische Muttersprachlerin in diesem Parlament.
Einige Politiker scheinen zu vergessen, dass Russland das bevölkerungsreichste Land Europas ist und Bürger mit russischer Sprache mit bis zu 10 Millionen Menschen die größte Minderheit der EU darstellen. Wenn von Russlands Ressourcen die Rede ist, haben viele leider nur Rohstoffe im Auge und lassen die menschliche Dimension außer Acht. Dabei sind es doch Menschen, die das Fundament der EU-Russland-Beziehungen bilden! Den russischsprachigen EU-Bürgern ist sehr an einer strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland gelegen. Dabei geht es uns nicht nur um den gemeinsamen Markt, von dem Präsident Sarkozy heute gesprochen hat, sondern auch um mehr Freizügigkeit. Auch wir treten für die – ebenfalls von Herrn Sarkozy erwähnten – Menschenrechte ein. Aber wir sind gegen die Doppelmoral, mit der die EU-Organe die Augen verschließen, wenn die Rechte der russischsprachigen Bürger in den baltischen Staaten verletzt werden.
Ģirts Valdis Kristovskis (UEN) . – (LV) Haben wir es nun mit Konkurrenten oder Partnern, ausgebufften Spielern oder einem Sanierungsfall zu tun? Ich rede vom Verhältnis zwischen der westlichen Demokratie und der russischen Autokratie. Man möchte meinen, hier würde Katz und Maus gespielt. Fast schon grotesk mutet es an, wenn Herr Medwedew gerade einmal zwei Monate nach der Militäraktion in Georgien ein neues europäisches Sicherheitsabkommen vorschlägt. Herr Sarkozy scheint in seiner Beflissenheit nicht zu bemerken, dass Russland seine Militärpräsenz in Südossetien und Abchasien ausgebaut hat. Haben wir Grund, Russland zu vertrauen? Aus dem politischen Prozess in Kosovo und dem Konflikt in Georgien hätten wir einiges lernen können. Warum nur sind Europas Politiker so optimistisch? Russland – immer bestrebt, dem Westen eins auszuwischen – wird unsere Gutgläubigkeit gnadenlos ausnutzen. Die Ausländerpolitik, die Russland in Ossetien, Abchasien und der Ukraine verfolgt, ist mit erheblichen Risiken behaftet. Es findet ein wahrer Kampf im Cyberspace statt. Nicht ohne Grund haben die russische Bevölkerung und ihre Massenmedien – auch in den baltischen Staaten – den russischen Einmarsch in Georgien befürwortet. Wir sollten weit reichende Gespräche mit Russland jetzt nicht zu schnell wieder aufnehmen. Zuerst muss Russland den Friedensplan für den Kaukasus umsetzen.
Roberto Fiore (NI). - (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie wäre es, wenn wir die Idee, Russland habe Georgien angegriffen, erst einmal ad acta legen? Ich meine, wir sollten den Vorschlag Russlands aufgreifen, das seinerzeit anregte, die Kriegsschuld durch ein Gericht prüfen zu lassen.
Hinzu kommt: Jetzt, wo die „kreativen Buchführung“ nicht mehr funktioniert, sollten wir unseren Blick auf die Realwirtschaft der Zukunft richten – auf eine Wirtschaft mit Rohstoffen, Land und Arbeitskräften, die für uns Europäer auch Russland einschließt. Doch die Wirtschaft ist nicht alles. Tatsächlich steht auf der einen Seite ein katholisch geprägtes Westeuropa und auf der anderen ein orthodox geprägtes Osteuropa. Wenn wir diese Teile zusammenführen, können wir auch auf sakraler Ebene zu einer neuen Einheit finden.
Die Zusammenarbeit mit Russland liegt daher im europäischen und die Zusammenarbeit mit Europa im russischen Interesse.
Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (FR) Herr Minister! Ich möchte auf Polnisch einige Bemerkungen zu den Worten von Herrn Sarkozy machen, der heute Vormittag sagte, Europa müsse mit einer starken Stimme sprechen.
- (PL) Bis vor kurzem sahen die Beziehungen zu Russland noch ganz anders aus. Europa war gespalten, es sprach nicht mit einer Stimme. Kommissar Mandelson bezeichnete die Einfuhrsperre für polnisches Fleisch als bilaterale Angelegenheit. Das ist nicht das Europa, das ich mir wünsche. Einem solchen Europa sollten wir keinen Raum lassen.
Die Krise in Georgien hat Westeuropa – und insbesondere einigen sozialdemokratischen Kollegen – Russlands wahres Gesicht gezeigt. Es hat seine attraktiven, faszinierenden Seiten, aber es ist auch unberechenbar und achtet nicht unbedingt seine vertraglichen Verpflichtungen. Seine Einstellung zu einem möglichen Beitritt zur WTO kann wohl kaum als enthusiastisch bezeichnet werden. Russland möchte auch weiterhin nach seinen eigenen Regeln spielen, um jeweils zu seinem Vorteil entscheiden zu können. Solange wir das nicht verstehen, werden wir niemals die friedlichen Vereinbarungen erreichen, auf die wir angewiesen sind. Russland ist unser nächster Nachbar – eine Nation mit erheblichem Potenzial und einem reichen Kulturerbe – eine stolze Nation, stolz auf ihr Land von der Ostsee bis zur Beringstraße. Wir müssen einen Dialog mit Russland suchen, in dem wir einerseits die russische Bevölkerung achten und andererseits aber geschlossen und resolut gegenüber den Herren Medwedew und Putin auftreten – ohne Angst, dass die Russen den Gashahn jederzeit zudrehen könnten.
Russland ist zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards in hohem Maße auf Importe aus der Europäischen Union angewiesen. Dieses Wissen sollte uns in den Verhandlungen mit diesem mächtigen Partner Stärke und Selbstbewusstsein verleihen. Wir sollten nicht katzbuckeln, sondern unseren Platz als gleichberechtigte Verhandlungspartner im Kreml einnehmen. Und schließlich, Signora Commissaria: Die amtierenden Ratspräsidenten wollen uns Russlands Abzug aus der Pufferzone als Erfolg, als positives Signal, verkaufen. Handelt es sich hier nicht eher um einen Rückschritt, der nur dem Anschein nach ein Zugeständnis ist, da Russland keinerlei Absicht zeigt, sich aus Ossetien oder Abchasien zurückzuziehen? Seien wir realistisch und versuchen wir, den nächsten Schritt vorherzusehen.
Hannes Swoboda (PSE). – (DE) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, liebe Frau Kommissarin! Es gibt sehr viele Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland. Vor allem würde ich mir in Russland eine so freie Präsidentschaftswahl wünschen, wie ich sie jetzt in Amerika zumindest erwarte.
Großmächte haben aber auch gewisse Ähnlichkeiten, und ich hoffe, dass vielleicht manche von Ihnen vor kurzem die Sendung im Sender ARTE über das Porträt von Henry Kissinger gesehen haben. Kissinger und General Alexander Haig haben zur Intervention in Chile bzw. zu den fortlaufenden Interventionen in Lateinamerika Folgendes gesagt: Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika etwas stört, dann werden sie intervenieren und einen Regimewechsel herbeiführen. Sie haben sich dazu völlig gerechtfertigt bekannt. Ähnliches kann man vielleicht auch von Russland sagen – obwohl wahrscheinlich in weniger Fällen als in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Auch das Verhältnis zum internationalen Recht ist bei beiden Großmächten etwas gespalten. Gerade was die Interventionen in Lateinamerika betrifft, waren diese eindeutig gegen das internationale Recht. Der Irak-Krieg war eindeutig gegen das internationale Recht. Und Russlands Vorgehen in Abchasien und Südossetien war auch gegen das internationale Recht. Beim Kosovo-Problem werden wir erst sehen, ob der Internationale Gerichtshof feststellt, dass das Vorgehen gegen das internationale Recht war.
In beiden Fällen, Kollege Zaleski – und ich sage das deshalb, weil ich Sie sehr schätze –, haben Sie mit dem Satz völlig Recht: Es handelt sich um ein faszinierendes und starkes Land, aber unberechenbar. Das gilt für die USA genauso wie für Russland, und wir müssen darauf reagieren.
In beiden Fällen aber halte ich es für falsch, den Dialog abzubrechen. Wir haben auch nach der eindeutigen Verletzung des internationalen Rechts im Irak-Krieg – und zwar einer massiven Verletzung mit Tausenden von Toten – nicht gesagt: Jetzt brechen wir den Dialog mit den USA ab. Wir haben natürlich weiter mit den USA geredet.
Ich vergleiche nicht die innere Struktur der USA und Russlands. Es geht nur um das internationale Verhalten. Präsident Sarkozy hat völlig Recht – und ich danke ihm sehr für seine pragmatische, klare Politik: Wir müssen diesen Dialog führen!
Zweitens, wir müssen die Nachbarn stärken, insbesondere wenn es gleichzeitig unsere Nachbarn sind. Wir müssen der Ukraine und Georgien Stärke geben, damit sie auch mit dem schwierigen Großnachbarn Russland zurechtkommen. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass das Verhalten rational ist, und das Verhalten von Saakaschwili war nicht rational! Und auch das Verhalten von Herrn Juschtschenko gegenüber Frau Timoschenko z. B. ist nicht rational! Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Nachbarn sich rational verhalten. Wenn sie das tun und unsere Stärke im Rücken haben, dann werden sich die Nachbarn auch gegen ein Russland wehren, das wieder versucht, Großmacht zu spielen.
Andrzej Wielowieyski (ALDE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Minister! Es ist ja erfreulich, dass Herr Swoboda den Dialog mit den Vereinigten Staaten fortführen möchte, aber kehren wir doch zum Thema zurück. Es steht außer Frage, dass beide Seiten, die Europäische Union und Russland, auf eine verlässliche, effektive Zusammenarbeit angewiesen sind – insbesondere im Bereich der Energieversorgung.
Ohne unsere technische Hilfe wäre Russland zur zweifelsohne gar nicht in der Lage, seine Ressourcen zu erschließen. Wir unsererseits benötigen die gemeinsame und effektive Energiepolitik, die uns bislang, wie in dieser Aussprache bereits gesagt wurde, gefehlt hat.
Was die Friedensbemühungen im Kaukasus anbelangt, ist es nicht minder wichtig, dass wir alle am gleichen Strang ziehen. Die Vereinbarungen zwischen den Präsidenten Sarkozy und Medwedew müssen nun – als unverzichtbares Zeichen des guten Willens und einer loyalen, glaubwürdigen Zusammenarbeit – umgesetzt werden, und zwar auch in Bezug auf den Truppenabzug aus Abchasien und Ossetien, wo sich die Zahl der russischen Soldaten in den vergangenen drei Monaten verdreifacht hat.
Die Verantwortung Russlands für die Lage in der Kaukasusrepublik liegt auf der Hand. Ganz offensichtlich hat seine militärische Präsenz in den vergangenen 16 Jahren nicht zu einer Entschärfung der Konflikte beigetragen. Vielmehr handelt es sich um ein Instrument der imperialistischen Politik dieser großen Nation, die versucht hat, aus diesen Konflikten Nutzen zu ziehen. Demnach sollte, wie einige meiner Kollegen bereits sagten, eine Verringerung der russischen Truppen in Abchasien und Ossetien auf die Stärke von vor dem Konfliktausbruch im August den Weg für effektive Verhandlungen frei machen.
Hanna Foltyn-Kubicka (UEN). - (PL) Herr Präsident! Präsident Sarkozy sagte heute in diesem Haus, Russland sei seiner Verpflichtung nachgekommen, seine Truppen auf die Positionen von vor dem 7. August zurückzuziehen, und man könne die Beziehungen nun wieder normalisieren. Nichts wäre verheerender! Wir würden der Regierung der Russischen Föderation damit de facto die Gewissheit verschaffen, dass wir ihr so alles durchgehen lassen.
Es sei daran erinnert, dass derzeit noch 8 000 russische Soldaten in Abchasien und Südossetien stationiert sind – auch dort, wo sie bereits vor Konfliktausbruch waren. In grenznahen Dörfern ist es zu brutalen ethnischen Säuberungen gekommen, und abchasische Truppen halten den georgischen Teil des Kodori-Tals besetzt. Über 200 EU-Beobachtern wird bislang der Zugang zu den beiden Republiken verweigert, die Russland als souveräne Staaten anerkannt hat. Es scheint mir doch, dass all dies nur wenig mit der Lage vom 7. August 2008 zu tun hat.
Eine Normalisierung der Beziehungen steht außer Frage, solange sich Russland über seine Verpflichtungen hinwegsetzt. Andernfalls würde die EU zum Gespött der Weltöffentlichkeit und würde zeigen, dass sie früher oder später selbst die abenteuerlichsten russischen Aktionen legitimiert.
Bastiaan Belder (IND/DEM). - (NL) Herr Präsident! Angesichts der unilateral von Russland betriebenen Zerteilung Georgiens haben die EU-Mitgliedstaaten mangelnde Geschlossenheit an den Tag gelegt. Von einer konzertierten – geschweige denn entschlossenen – Reaktion auf die Machtspiele des Kremls kann keine Rede sein. Bleibt die grundlegende Frage: Was genau stellt sich die EU unter einer strategischen Partnerschaft mit der Russischen Föderation eigentlich vor? Mit anderen Worten: Ist Moskau für Brüssel wirklich ein unentbehrlicher Partner, oder treffe ich mit dieser Frage etwa einen wunden Punkt der EU-Politik?
Fakt ist, dass Russland bis heute eine effektive internationale Reaktion auf die Nuklearprogramme Irans und Nordkoreas sabotiert. Auch in dem blutigen Kampf gegen den islamistischen Terror, beispielsweise in Afghanistan, hat sich Moskau nicht eben als unabkömmlich erwiesen.
Allein im Bereich der Energieversorgung lassen die nackten Zahlen auf eine strategische, vielleicht sogar unentbehrliche, Partnerschaft zwischen der EU und Russland schließen: Derzeit beziehen die 27 EU-Mitgliedstaaten ihr Erdöl und Erdgas zu rund 70 % aus Russland. In ihrem eigenen Interesse sollte die EU diese eklatante Abhängigkeit so schnell wie möglich reduzieren. Schließlich räumt Moskau selbst ein, dass seine Energiereserven in 10 bis 15 Jahre erschöpft sein werden.
Den Rat und die Kommission möchte ich daher fragen: Wie sieht Ihre Strategie zur Diversifizierung der Energieversorgung aus? Bleibt zu hoffen, dass die jüngsten Erdgasfunde in Turkmenistan für etwas Dynamik sorgen.
Josef Zieleniec (PPE-DE). – (CS) Auf einem Sondergipfel am 1. September erklärte sich die Europäische Union bereit, die Verhandlungen mit Russland über ein neues Partnerschaftsabkommen fortzuführen, sobald die russischen Einheiten aus Georgien auf ihre Positionen vom 7. August zurückgezogen werden. Wenn sich die EU als konsequenter Partner zeigen möchte, der zu seinem Wort steht, kann es daher nur ein Kriterium für die Wiederaufnahme von Gesprächen geben: die Frage, ob die russischen Truppen hinter die Linien vom 7. August zurückgekehrt sind. Diese Bedingung hat Russland bislang nicht erfüllt. Wenn die Gespräche wieder aufgenommen werden, darf unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, die EU billige Russlands Kaukasuspolitik oder seine De-facto-Blockade von Gesprächen über künftige Vereinbarungen für die Region. Daher müssen wir zwischen dem Beginn und der Fortführung der Gespräche eine klare Trennlinie ziehen.
Das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit ist von zentraler Bedeutung für die Festigung unserer Beziehungen zu Russland. Die EU und – meiner Meinung nach – mehr noch Russland ist auf das neue Partnerschaftsabkommen dringend angewiesen. Ein neues Abkommen, das den bestehenden Text qualitativ und quantitativ verbessert, ist sowohl Voraussetzung für solide Beziehungen zu Russland als auch ein Zeichen für die Qualität dieser Beziehungen. Daher müssen wir alles daran setzen, unseren Standpunkt und unsere Werte in den Verhandlungen zu verdeutlichen. Meines Erachtens sollte die Europäische Union wie zugesagt in Verhandlungen eintreten, sobald eine objektive, einhellige Feststellung vorliegt, dass Russland auf seine Positionen vom 7. August zurückgekehrt ist. Der weitere Verlauf der Gespräche muss dann jedoch zumindest von einer klaren Zusage Russland abhängen, dass es weder gegen Georgien noch gegen andere Nachbarstaaten Gewalt anwenden wird und Probleme im Hinblick auf unsere gemeinsamen Nachbarstaaten im Einvernehmen mit der Europäischen Union gelöst werden. Der Lackmustest für die Fortführung der Gespräche muss Russlands Bereitschaft sein, die Probleme des Kaukasus, der Ukraine und der Republik Moldau gemeinsam anzugehen, und nicht auf unilateraler Basis Gewalt einzusetzen.
Libor Rouček (PSE). – (CS) Wie auch der Rest der Welt steht Europa vor einer Reihe schwerwiegender globaler Probleme. Die Verbreitung von Kernwaffen, der internationale Terrorismus, die globale Erwärmung, ungelöste Konflikte in Nahost und Afghanistan sowie die weltweite Finanzkrise sind hier nur einige Beispiele. Keines dieser Probleme kann die Europäische Union im Alleingang lösen. Hierzu ist die Zusammenarbeit mit anderen internationalen Akteuren – darunter Russland – erforderlich. Doch auch Russland ist auf Zusammenarbeit und Dialog angewiesen. Es benötigt Absatzmärkte für seine mineralischen Rohstoffe, muss aber im Gegenzug Technologie, Know-how, Konsumgüter und vieles andere aus dem Westen erwerben. Nur so hat Russland eine Chance, seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen zu modernisieren und allmählich umzugestalten. Kurz: Durch eine Zusammenarbeit eröffnen wir der Europäischen Union und der Russischen Föderation eine gemeinsame Zukunft. Dies erfordert jedoch einen Dialog, und zwar einen Dialog auf allen Ebenen – von der Energiepolitik über gegenseitige Investitionen hin zu Menschenrechten, Bürgerrechten und Demokratie.
Die Entscheidung der EU, die EU-Russland-Beziehungen im Vorfeld des Gipfels von Nizza noch weiter zu beobachten, halte ich für sinnvoll. Die EU hat klar ihre Bereitschaft signalisiert, die Gespräche mit Russland über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen wieder aufzunehmen. Voraussetzung dafür ist und bleibt jedoch, dass Russland die Vereinbarungen vom 12. August und 8. September erfüllt.
István Szent-Iványi (ALDE). – (HU) Herr Präsident! Die EU strebt eine Partnerschaft und Kooperation mit Russland an – doch wir können nur über eine Partnerschaft sprechen, wenn diese auf Gegenseitigkeit, Völkerrecht und der Einhaltung getroffener Vereinbarungen beruht. Russlands Vorgehen in Georgien hat die wichtigste psychologische Grundlage einer Partnerschaft zerstört: Vertrauen. Nur die vollständige Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans kann dieses Vertrauen wiederherstellen. Hier sind keine Schritte nach vorn oder Fortschritte in die richtige Richtung gefragt, sondern eine konkrete, uneingeschränkte Erfüllung der Absprachen. Russland wird sich nun entscheiden müssen: Betrachtet es Europa als Partner, als Rivalen oder als Gegner? Wie immer Moskau diese Frage beantwortet, eines muss es wissen: Die Zukunft und Unabhängigkeit der Ukraine, Georgiens und anderer Nachbarstaaten darf nicht Gegenstand machtpolitischer Absprachen sein. Europa kann niemals einer erneuten Aufteilung des Kontinents wie seinerzeit bei der Konferenz von Jalta zustimmen. Uns ist es ernst mit einer Partnerschaft – allerdings mit einer Partnerschaft, die sich auf Gegenseitigkeit und beiderseitige Wertschätzung stützt. Ich danke Ihnen.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – Herr Präsident! Wie Frau Kommissarin Ferrero-Waldner vorhin zu Recht sagte, zeigen der russisch-georgische Krieg und seine Folgen die politische Notwendigkeit, die EU-Russland-Beziehungen einer ernsten Prüfung zu unterziehen. Zudem stehen einige wichtige Fragen im Raum, die Russland klar beantworten sollte, bevor wir zur politischen Tagesordnung zurückkehren können.
Europa muss gegenüber Russland eine neue, stärkere Stimme finden, denn Russland ist zu dem Ansatz der „Interessensphären“ aus dem 19. Jahrhundert – zu einer Doktrin der „Realpolitik“, um es auf den Punkt zu bringen – zurückgekehrt, wie die Erwähnung von „privilegierten Interessen“ in seiner Nachbarschaft bezeugen. Treibende Kräfte dieser Machtpolitik sind ein aggressiver Nationalismus in Russland und die Suche nach Feindbildern in Nachbarländern. Angesichts dessen muss Europa härtere Mittel einsetzen.
Europa ist in seiner Antwort auf den russisch-georgischen Konflikts und seine Folgen gespalten. Einige befürworten, in den Beziehungen zwischen der EU und Russland nun wieder den Alltag einkehren zu lassen, obwohl Moskau seinen Verpflichtungen zum Truppenabzug noch nicht in vollem Umfang nachgekommen ist und, was noch schwerer wiegt, Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt hat. Zur Tagesordnung zurückzukehren, bevor Moskau seine Zusagen erfüllt hat, wäre fast schon Appeasement-Politik. Europa kommt an Russland nicht vorbei, doch wir müssen uns prinzipientreu und konsequent zeigen.
Unser Einfluss auf Moskau ist begrenzt. Dennoch wäre es Russland nicht gleichgültig, wenn der Weste geschlossen auftritt. Wie wichtig ihm internationales Ansehen ist, zeigt beispielsweise die Kontroverse um die G7/G8. Auch hat Moskau Interesse an technologischen Forschungsprogrammen, Handelsabkommen und Kernbrennstoffen gezeigt.
Schließlich muss die EU ihre Vision im Hinblick auf die Entwicklung der Partnerschaft mit Russland kraftvoll und konsequent vertreten.
Ioan Mircea Paşcu (PSE). – Herr Präsident, Herr Minister, Frau Kommissarin! Schon vor den Vorfällen in Georgien war es an der Zeit, die EU-Russland-Beziehungen zu überdenken. Fragen der Energieversorgung, der Sicherheit und der gemeinsamen Nachbarschaft müssen gemeinsam angegangen werden, was heute noch nicht der Fall ist. Die EU neigt nach wie vor dazu, bilateral statt multilateral zu handeln. Dies steht der Wirksamkeit unserer Ansätze entgegen. Hinzu kommt, dass sich Ost- und Westeuropa aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen nur schwer auf ein gemeinsames Russlandbild einigen können, was aber die Voraussetzung für einen gemeinsamen Standpunkt wäre. Um es ganz deutlich zu sagen: Uns Osteuropäern ist am wenigsten an einer Konfrontation mit Russland gelegen, da wir als Erste darunter zu leiden hätten. Dabei sind wir jedoch weniger bereit, russisches Fehlverhalten einfach zu ignorieren, weil wir unter einer Wiederholung wiederum als Erste zu leiden hätten.
Verallgemeinerungen sind falsch – gleich, in welcher Richtung. Einerseits wäre es falsch, unsere Beziehungen zu Russland nur noch im Licht des Georgien-Konflikts zu sehen. Andererseits aber sollten wir aus Sorge um die bilateralen Beziehungen auch nicht einfach über die Vorfälle in Georgien hinweggehen. Es besteht kein Grund, die Beziehungen zu Russland abzubrechen. Schließlich haben wir schon viel Schlimmeres erlebt. Wir brauchen einen ehrlichen Dialog auf der Basis unserer Stärken – wohl die einzige Sprache, die Russland versteht –, in dem wir Russland deutliche Grenzen setzen und Russland uns im Gegenzug endlich sagt, was es von uns erwartet. Ich hoffe, damit können beide Seiten leben.
Alexander Graf Lambsdorff (ALDE). – (DE) Herr Präsident! Es gibt eine Tradition europäischer Außenpolitik, die maßgeblich mitgeprägt worden ist von Hans-Dietrich Genscher, der selbst in den schwierigsten Zeiten des Kalten Kriegs noch einen Dialog mit der Sowjetunion führte, aber immer auf der Grundlage einer nüchternen Analyse der russischen Interessen. Für die Sowjetunion galt damals die Verteidigung des Status quo als oberstes Ziel, für Russland gilt heute als oberstes Ziel, den Status quo zu seinen Gunsten zu verändern. Das ist eine ganz andere Interessenlage. Es gibt ein objektives Interesse an eingefrorenen Konflikten, an Kritik an der Charta von Paris durch die Anerkennung von Abchasien und Südossetien. Es gibt ein Interesse daran. Es gibt ein Interesse an einer instabilen Ukraine.
Das ist alles nicht schön. Es ist eine Herausforderung für uns. Aber es ist viel weniger schlimm als die existenzielle Bedrohung durch die Sowjetunion, und selbst da hatten wir einen Dialog mit den Russen. Deswegen gilt für uns ganz klar: Wir wollen keine Rhetorik des Kalten Kriegs, aber wir wollen auch keine Naivität. Wir wollen einen kritischen Dialog mit Moskau. Wir sagen Ja zum langfristigen Ziel der strategischen Partnerschaft, aber Nein zur naiven Annahme, wir seien an diesem Ziel bereits angekommen.
Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn wir diese Debatte in Brüssel führen würden und nicht in Straßburg.
Francisco José Millán Mon (PPE-DE). – (ES) Herr Präsident! Russland ist ein wichtiger globaler Akteur und ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats. Es verfügt über ein gewaltiges Kernwaffenarsenal, ein enormes Staatsgebiet und reiche Bodenschätze, darunter Erdgas und Erdöl. Nur gemeinsam mit Russland können wir uns globalen Herausforderungen wie dem Friedensprozess in Nahost, der iranischen Nuklearfrage, der organisierten Kriminalität, dem Terrorismus, dem Klimawandel oder der Verbreitung von Kernwaffen stellen.
Daher dürfen wir, so meine ich, Russland nicht isolieren, sondern müssen uns vielmehr um Dialog und Zusammenarbeit bemühen. Doch auch Beziehungen auf einer ambitionierteren Ebene sind nicht ausgeschlossen. Schließlich ist die Russische Föderation ein europäischer Nachbarstaat, der sich nach langen Jahren des Totalitarismus und der Zentralwirtschaft im vergangenen Jahrzehnt auf den Weg der Demokratie, der Menschenrechte und der Marktwirtschaft begeben hat.
Wenn sich Russland weiterhin zu diesen Idealen bekennt, können wir enge, wahrhaft nachbarschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen auf der Basis gemeinsamer Grundwerte ins Auge fassen. Die Krise in Georgien war in der Tat schwer wiegend. Wir als Europäische Union haben uns den Grundsätzen der Gewaltlosigkeit, der Achtung der Souveränität und territorialen Integrität von Staaten sowie der Einhaltung internationaler Abkommen nach Treu und Glauben verschrieben.
Russlands Verhalten im vergangenen Sommer widersprach diesen Grundsätzen. Ferner hat Russland, so scheint mir, die Vereinbarungen vom 12. August und vom 8. September nicht vollkommen zufrieden stellend umgesetzt – möglicherweise unter Ausnutzung einiger unklarer Formulierungen.
Auch die Genfer Konferenz lässt sich bisher nicht allzu gut an. Wenn Russland an einer vertrauensvollen Beziehung mit einer echten Zusammenarbeit mit uns, der EU, gelegen ist, muss es sein Verhalten der letzten Monate ändern. Zudem muss es auch im eigenen Land Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wahren – Grundsätze, für die Präsident Medwedew selbst in seiner Antrittsrede eingetreten ist.
Meine Damen und Herren! Wir stehen meines Erachtens an einem Wendepunkt. Wir müssen wachsam sein und uns bemühen, Russland zu überzeugen, dass eine enge, vertrauensvolle Beziehung zwischen echten Partnern und europäischen Nachbarn gemeinsame Grundsätze und Regeln erfordert.
Kristian Vigenin (PSE). - (BG) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Allein die Häufigkeit, mit der wir uns hier in diesem Haus mit den Beziehungen zu Russland befassen, zeigt die Bedeutung dieses Themas – nicht nur für die Organe, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Ich begrüße Ihre Sichtweise, Frau Kommissarin, denn wir müssen uns den Tatsachen stellen. Wir müssen uns bewusst sein, dass eine offene Konfrontation mit Russland mit erheblichen Risiken verbunden wäre. In jedem Konflikt steckt auch eine Chance, denn wir können daraus für die Zukunft lernen. Dabei unterschätzen wir jedoch keineswegs die Schwere der Militäroperation in Georgien. Eine Politik der Prävention ist die einzige Möglichkeit, ähnliche Entwicklungen in benachbarten Staaten zu verhindern.
Vor zwei Monaten fragte ich Herrn Solana, welche Entwicklung Russlands Verhalten wohl nach dem Georgien-Konflikt nehmen wird: aufgeschlossener und kompromissbereiter oder noch provokativer und rücksichtsloser? Natürlich blieb er mir die Antwort schuldig, aber heute kann ich selbst den Schluss ziehen, dass das negative Szenario nicht eintreten wird. Viel hängt jedoch auch von unserem eigenen Verhalten ab. Unsere gegenwärtige Herausforderung sehe ich darin, neue, pragmatische Beziehungen mit Russland aufzubauen, ohne die Grundwerte der EU zu kompromittieren. Dazu benötigen wir eine klare Strategie, die dafür sorgt, dass jedem Schritt zur Vertiefung der wirtschaftlichen, energiepolitischen und außenpolitischen Zusammenarbeit, jedem Schritt zur Bewältigung anstehender Herausforderungen ein Schritt zur Förderung der Menschenrechte und zur Demokratisierung in Russland folgt.
Abschließend möchte ich sagen, dass wir uns vorrangig mit Themen befassen sollten, die geeignet sind, Russland für Politikbereiche von beiderseitigem Interesse – eine Aufzählung würde hier zu weit führen – zu gewinnen. Der gegenwärtige Ansatz der Kommission und des Rates erscheint mir aussichtsreich, und ich rechne damit, dass er fortgesetzt wird.
Ich danke Ihnen.
Toomas Savi (ALDE). - Herr Präsident! Das Europäische Parlament ist das einzige EU-Organ, das direkt von den Bürgerinnen und Bürgern Europas gewählt wird. Aus diesem Grund wird es auch als das Gewissen Europas bezeichnet. Dieses Gewissen wurde im Lauf der Jahre durch die von Russland provozierten Konflikte jedoch stark strapaziert. Denken wir nur einmal an den Krieg in Tschetschenien, die Vorfälle in der Ukraine, die Lkws, die wochenlang an den finnischen, estnischen und lettischen Grenzen blockiert waren, den eingefrorenen Konflikt in Transnistrien, die Cyber-Angriffe auf Estland oder das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch. Zu alldem kommt jetzt noch Russlands Angriff auf Georgien.
Ich bin besorgt über die Zurückhaltung der EU. Statt Sanktionen aufs Tapet zu bringen, redet man um den heißen Brei herum. Damit ermutigen wir Russland, sich auch weiterhin verantwortungslos zu verhalten. Ich finde, ein reines Gewissen in Bezug auf Russland ist kein Luxus, den sich die EU nicht leisten kann.
Ari Vatanen (PPE-DE). - Herr Präsident! Nächste Woche beginnt der Bau einer Formel-1-Strecke in Moskau. Bei solchen Projekten gibt es kein Wenn und Aber: Man muss sich an den Bauplan halten. Auch wir hier in diesem Haus haben ein großes Vorhaben: Wir gelten als Erbauer der Demokratie. Vielleicht sollten wir weniger von den EU-Russland-Beziehungen als von den Beziehungen zwischen der EU und dem Kreml reden, denn die Führung im Kreml wird sich eines Tages ändern – und zwar hoffentlich zum Guten.
Selbstverständlich möchten wir Russland – und den Kreml – einbeziehen. Das steht nicht zur Debatte, doch die Frage muss lauten: zu wessen Bedingungen? Sicherlich nicht zu denen der anderen Seite! Vielmehr muss sich die Zusammenarbeit auf gemeinsame Bedingungen und universelle Werte stützen. Unser Auftrag ist, die Grundfesten der EU zu verteidigen. Jeder Pfadfinder weiß, dass er sich an die Pfadfinderregeln zu halten hat. Wenn wir die momentanen – wie soll ich sagen – Gepflogenheiten des Kreml-Regimes hinnehmen, berauben wir die EU gewissermaßen ihrer Existenzberechtigung. Zudem lassen wir das russische Volk im Stich, denn wir müssen demokratische Kräfte auf der ganzen Welt unterstützen. Keine Doppelmoral! Wir müssen den Menschen, die für die Grundwerte kämpfen, Hoffnung geben. Das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit.
Sollte Russland eines Tages demokratisch werden, müssen ihm sämtliche internationale Strukturen offen stehen. Wie bereits unsere Vorväter müssen wir unseren Blick weit in die Zukunft richten. Warum sollte Russland nicht eines Tages einer reformierten EU oder NATO angehören? Man weiß ja nie. Die Herren Monnet und Schuman handelten überaus weitsichtig. Das ist der richtige Weg. Damit es nicht gar zu ernst wird, möchte ich unsere Beziehungen mit einer russischen Anekdote auf den Punkt bringen: Sagt das Huhn zum Schwein: „Lass uns ein Unternehmen gründen: Machen wir einen Frühstücksservice auf! Ich bringe die Eier, du den Schinken.“
Katrin Saks (PSE). - (ET) Eines ist klar: Von einer Wiederherstellung oder Verbesserung der Beziehungen zu Russland kann keine Rede sein, solange es an gegenseitigem Vertrauen mangelt. Vertrauen aber kann nur entstehen, wenn der Friedensplan vollständig umgesetzt wird. Ich sehe die Beziehungen zu Moskau aus zwei Perspektiven. Aus der Sicht der Mitgliedstaaten leuchtet es mir durchaus ein, dass es sinnvoller ist, strittige Themen auszudiskutieren, als den Kontakt abzubrechen. Auf EU-Ebene aber sollten auch die Wünsche und Ängste von uns kleineren Staaten, die wir eine andere Geschichte haben, berücksichtigt werden. Russland sollte nicht ausschließlich im Spiegel von Menschenrechtsverletzungen oder einer aggressiven Außenpolitik gesehen werden. Ebenso falsch wäre es jedoch, bei den Interessen der Europäischen Union die schwächeren, also die osteuropäischen Länder, außer Acht zu lassen.
Mir hat gefallen, wie der konservative französische Präsident Nicolas Sarkozy heute Vormittag die Notwendigkeit eines Dialogs – im Gegensatz zu einem Gegenangriff – betont hat. Er erinnerte uns daran, dass erst der Besuch in Moskau, den viele zunächst für unnütz hielten, den russischen Vormarsch gestoppt hat. Gewiss brauchen wir keinen neuen Kalten Krieg, doch wir müssen unsere europäischen Prinzipien der Souveränität, der territorialen Integrität, der Grundwerte und der Demokratie verteidigen.
Ich rufe die Europäische Union auf, auch weiterhin eine nachhaltige Außenpolitik gegenüber Russland zu verfolgen und die Kontakte nicht abzubrechen. Als Abgeordnete ist es unsere Pflicht, Spannungen abzubauen. Wir benötigen Diplomatie, und zwar auch eine Diplomatie an der Basis. Das sehr erfolgreiche russische Theaterfestival, das soeben in meinem Land, Estland, zu Ende ging, ist hier ein hervorragendes Beispiel. Gleichzeitig aber möchte ich an die politische Führung Europas, die Präsidentschaft der EU und die Fraktionschefs des Europäischen Parlaments appellieren, nicht die Ängste und Schrecken zu vergessen, die Russlands aggressive Politik in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor auslöst. Ganz offensichtlich fehlt es in den EU-Russland-Beziehungen derzeit an Vertrauen und gegenseitiger Achtung. Der Grund ist ...
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
Jerzy Buzek (PPE-DE). - (PL) Vielen Dank für die Gelegenheit zu dieser Aussprache! Ich bin überzeugt, dass wir alle in diesem Parlament letztlich das Gleiche wollen. Wir suchen die Zusammenarbeit mit Russland, und wir wünschen eine stabile, berechenbare politische Lage in Europa. Auch Russland ist auf uns, die Europäische Union, angewiesen – nicht nur als Absatzmarkt für Erdgas und Erdöl, sondern vor allem auch angesichts seiner innen- und außenpolitischen Probleme. Russland braucht unsere Stabilität, unser Verantwortungsbewusstsein und unsere Stärke. Was also unterscheidet uns in der heutigen Aussprache? Ganz einfach: die Art und Weise, wie wir in unseren Beziehungen zu Russland auf die Ziele der Europäischen Union hinarbeiten möchten – nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch mit Blick auf die Achtung unserer Grundsätze und unseres Wertesystems.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung erzählen. 2001 stand in den russisch-polnischen Beziehungen alles zum Besten, und der polnische Außenminister wurde mit militärischen Ehren in Moskau empfangen. Bei einem Besuch des russischen Ministerpräsidenten in Warschau standen wichtige Aspekte unserer gegenseitigen Beziehungen – insbesondere im Energiebereich – auf der Tagesordnung. Schließlich wurde sein Aufenthalt sogar um einen Tag verlängert – ein wirklich ungewöhnlicher Schritt. All dies geschah, obwohl Polen noch nicht einmal zwei Jahre zuvor, 1999, etwa ein Dutzend russische Diplomaten, die in verschiedene wenig diplomatische Machenschaften verstrickt gewesen waren, des Landes verwiesen hatte. Es folgte eine kurze Verstimmung, bis Russland schließlich einsah, dass Gespräche und gemeinsame Maßnahmen mit uns der Mühe wert sind. Warum? Weil uns das Bewusstsein, im Recht zu sein, die Kraft gibt, uns zu behaupten.
Die Russen sind ein stolzes Volk mit großen Traditionen. Bei ihrem Gegenüber schätzen sie Entschlossenheit und Stärke mehr als ausschweifende Begründungen nach dem Motto „Schwarz ist nicht ganz Schwarz“. Wenn wir also eindeutig im Recht sind, kommt nur eine harte, entschlossene Linie infrage.
Maria-Eleni Koppa (PSE). - (EL) Herr Präsident! Heute steht die Europäische Union vor der Herausforderung, ihre Beziehungen zu Russland wiederherzustellen. Die Achtung der Menschenrechte und die Wahrung des Völkerrechts müssen das Fundament dieser Beziehungen bilden. Angesichts der internationalen Entwicklungen müssen wir eine neue strategische Partnerschaft mit Russland eingehen. Ein geeintes Europa ohne die Trennlinien der Vergangenheit – das ist unser oberstes Ziel.
Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik gilt es, in enger Zusammenarbeit auf eine Stabilisierung der Region hinzuwirken – denn ohne Russland besteht keine realistische Aussicht, auch nur einen der eingefrorenen Konflikte im Kaukasus beizulegen. Wir wollen gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme, eine schnellstmögliche Fortsetzung der Partnerschaftsverhandlungen und einen Dialog im Geiste des gegenseitigen Verständnisses und Respekts. Nur so besteht Hoffnung, unsere Probleme – auch die schwierigsten – in beiderseitigem Interesse zu lösen. Auch für die innere Stabilität in Europa als Ganzes ist dies eine Voraussetzung.
Den Ländern des Kaukasus und den Vereinigten Staaten müssen wir vermitteln, dass die transatlantischen Beziehungen Europas im weiteren Sinn einhergehen mit einer Normalisierung der Beziehungen zu Moskau. Wenn es uns mit kollektiver Sicherheit ernst ist, so ist die Zusammenarbeit und Mitwirkung aller gefragt. Andernfalls werden wir unweigerlich zu einer Mentalität des Kalten Krieges zurückkehren.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). - (SV) Herr Präsident! Immer wieder mussten die europäischen Grenzen infolge von Kriegen und bewaffneten Angriffen neu gezogen werden. Mit der jüngsten Aktion hat Russland gezeigt, dass es nicht davor zurückschreckt, seine politischen Ziele mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Vergessen wir in unserer heutigen Aussprache nicht diesen Punkt, der sich sowohl auf unser Russlandbild als auch auf die diversen Voraussetzungen für eine künftige Zusammenarbeit auswirken muss. Was Vergleiche mit anderen Tatbeständen anbelangt, ist meiner Meinung nach Zurückhaltung geboten. Herr Swoboda, bitte ziehen Sie nicht den Irak heran! Das war eine Diktatur der übelsten Sorte, die mit der Völkergemeinschaft in Konflikt stand. Wir können über die Vorfälle unterschiedlicher Meinung sein, aber ein Vergleich zwischen Irak und einer souveränen europäischen Demokratie ist unangebracht.
Das Vorgehen gegen Georgien ist unentschuldbar. Versuchen wir also besser gar nicht erst, es zu rechtfertigen. Weder Russland noch irgendjemand sonst hat berechtigte Sicherheitsinteressen in einem anderen europäischen Land. Dies muss der Ausgangspunkt jeder europäischen Zusammenarbeit sein. Andernfalls fehlt es an einer gemeinsamen Basis für eine Kooperation, und weiterer Gewalt ist Tür und Tor geöffnet.
In einer Reihe von wichtigen Bereichen der Zusammenarbeit muss Russland einbezogen werden, beispielsweise der Energiesektor, der Iran und der Klimawandel. Europa und die Europäische Union sollten meines Erachtens offen für eine Kooperation sein, jedoch keinen Zweifel an den entsprechenden Voraussetzungen lassen. Bereitschaft zur Zusammenarbeit und eine klare Linie bezüglich der Vorbedingungen müssen Hand in Hand gehen. Auf diese Weise können wir Russland zudem helfen, die Akzeptanz für demokratische Werte und die Achtung der Grundrechte zu entwickeln. Dies muss das Fundament der europäischen Russlandpolitik bilden.
Ioannis Varvitsiotis (PPE-DE). - (EL) Herr Präsident, Herr Minister, Frau Kommissarin! Ich verstehe, warum so viele Kolleginnen und Kollegen gegen Russland Stellung beziehen. Der Grund ist eine leidvolle Geschichte. In Griechenland wütete ganze vier Jahre lang ein Bürgerkrieg, der zahlreiche Todesopfer forderte.
Wir können also nicht nur zurückblicken. Wir müssen auch sehen, in welchen Punkten Russland im Recht ist. Haben wir Putins Warnung vergessen, dass die Anerkennung des Kosovo Gegenreaktionen auslösen würde? Haben wir vergessen, dass Bush das Versprechen der Vereinigten Staaten an Russland brach, es werde nicht zu einer weiteren Osterweiterung der NATO kommen?
Nur eine Strategie kann für uns in Betracht kommen, nämlich diejenige, die Präsident Sarkozy heute formuliert hat, als er sagte, es sei unverantwortlich, eine Krise in den EU-Russland-Beziehungen zuzulassen.
Adrian Severin (PSE). - Herr Präsident! Russland ist nicht mehr der sowjetische Gegenspieler des freien, demokratischen Europas, doch es ist auch noch nicht der strategische Partner der Europäischen Union. Diesen Zwiespalt müssen wir überwinden. Russland ist zu groß, um isoliert zu werden, und zu bedeutend, als dass wir ihm die kalte Schulter zeigen könnten. Die EU muss sich diesen Tatsachen stellen.
Die geopolitischen Krisen im Südkaukasus und auf dem Westbalkan haben die Neigung Russlands und der euro-atlantischen Demokratien gezeigt, jeweils im Alleingang und ohne Rücksicht auf die Interessen des anderen unilateral vorzugehen.
Andererseits hat die derzeitige weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise die gegenseitige Abhängigkeit von Russland und der EU hervorgehoben. Daher ist es an der Zeit für eine neue Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im größeren Europa – nun von Vancouver bis Schanghai. Es gilt, die Grundsätze und Regeln der internationalen Beziehungen und das Völkerrecht der zwischenstaatlichen Einrichtungen umzugestalten ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Bogusław Rogalski (UEN). - (PL) Schritt für Schritt erlangt Russland wieder die Kontrolle über seine Nachbarn und setzt seine außenpolitischen Ziele um. Die Welt wird vor vollendete Tatsachen gestellt, während Europas Politiker ein Bild der Heuchelei und Schwäche liefern. Der französische Präsident überstürzte sich geradezu in seinem Lob für Russland – das derweil noch immer in den abtrünnigen Gebieten Georgiens militärisch präsent ist und diese zudem als unabhängige Staaten anerkannt hat. Die deutsche Bundeskanzlerin wiederum ließ es sich bei einem Besuch in Tiflis nicht nehmen, Georgien einen Beitritt zur NATO in Aussicht zu stellen. Wenige Wochen später versicherte sie Präsident Medwedew jedoch, dass es keinen Grund zur Eile gebe.
So viel Loyalität wurde von Russland umgehend belohnt. Die deutsche Firma E.ON erhielt Zugang zu den sibirischen Erdgasreserven und dem Energiemarkt, und die beiden Länder einigten sich auf den gemeinsamen Bau einer Pipeline zum Transport von Erdgas durch die Ostsee. Der französische Präsident war auch nicht eben zurückhaltend und unterzeichnete in Moskau Milliardenverträge über die Modernisierung des russischen Eisenbahnnetzes. Der absolute Tiefpunkt des europäischen Verhaltens war erreicht, als Präsident Sarkozy sagte, man müsse Russland den Schutz seiner eigenen Staatsbürger zugestehen.
Weiß der Ratspräsident etwa nicht, dass Russland diesen Trick bereits mehrfach angewendet hat? Wir haben es mit einem neuen Jalta zu tun ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Der Präsident. – Meine Damen und Herren! Ich muss schon sagen, wenn alle so schnell sprächen wie der Vorredner, müssten wir auf die Verdolmetschung verzichten, denn mit diesem Tempo kann natürlich kein Dolmetscher Schritt halten. „Catch the eye“ ist nicht als cleveres Mittel gedacht, sich Gehör zu verschaffen, wenn Ihnen keine Redezeit zugeteilt wurde. Wir werden das Verfahren vor das Präsidium bringen, weil es zu sehr überhand nimmt. Bei 14 oder 15 derartigen Wortmeldungen bleibt einfach nicht genug Zeit für alle. In jedem Fall möchte ich Sie daran erinnern, dass Sie bei einem zu schnellen Sprechtempo nur noch für sich selbst und Ihre Landsleute reden. Kein Dolmetscher kann da noch mithalten.
Christopher Beazley (PPE-DE). - Herr Präsident! Ich möchte der Frau Kommissarin drei Fragen stellen. Erstens: Nach Herrn Hökmark hat sie sich für die Wiederaufnahme der Verhandlungen ausgesprochen. Welche EU-Interessen wird sie genau bei diesen Gesprächen verfolgen? Wird sie verlangen, dass sich die russischen Truppen – 8 000 Soldaten befinden sich noch auf georgischem Gebiet – zurückziehen, insbesondere aus dem Kodori-Tal, das reguläre abchasische Truppen Georgien völkerrechtswidrig abgerungen haben?
Zweitens: Wird Russland einen finanziellen Beitrag zur Wiedergutmachung der Schäden leisten, die seine Truppen der georgischen Zivilbevölkerung und Infrastruktur zugefügt haben?
Und schließlich: Während Saakaschwili Unmäßigkeit vorgeworfen wird, liegen ihr auch Informationen vor, wonach 400 russische Panzer ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Miloš Koterec (PSE). – (SK) Wir sehen diese Angelegenheit unter den falschen Vorzeichen – als wäre Russland unser Gegner. Wie bereits wiederholt gesagt wurde, haben wir mit Russland zahlreiche strategische Interessen gemeinsam. Die Globalisierung ist eine Tatsache. Wir sollten uns einmal das Ausmaß der realen Risiken für die Zukunft, für Frieden, Entwicklung und letztlich unseren Fortbestand vor Augen führen.
Ich stimme zu: Verurteilen wir die Überreaktion in Georgien und ein solches Verhalten im Allgemeinen. Was aber war denn eigentlich zu erwarten? Wir kritisieren und reagieren, aber wir sollten auch mit Russland als gleichwertigem und möglicherweise strategischem Partner zusammenarbeiten. Lassen Sie uns auf dem Gipfel im November konkrete Vorschläge unterbreiten. Wenigstens setzen wir uns so für unsere eigenen Interessen ein.
Reinhard Rack (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Kommissarin! Die bisherige Debatte hat sehr deutlich gezeigt, dass wir jede Menge Berührungspunkte mit Russland haben, und viele dieser Berührungspunkte haben sich wohl auch als Konfliktpunkte dargestellt: die Situation im Kaukasus, Georgien, die Frage des Energiethemas ist mehrfach angesprochen worden, und zuletzt auch hier wieder und zu Recht die Frage der gemeinsamen Interessen in der Finanzkrise.
Mein Anliegen an die Kommission, an den Rat wäre es – und ein bisschen ist das ja auch bei Präsident Sarkozy angesprochen worden –, dass Europa ein bisschen aus der Rolle der permanenten Reaktion herauskommt und versucht, aktiv und proaktiv von sich aus eine Reihe für uns wichtiger Themen in das Gespräch einzubringen. Ein konstruktiver Dialog mit Russland ist angesagt, aber er sollte nicht nur immer durch Aktionen der einen Seite vorherbestimmt sein.
Tunne Kelam (PPE-DE). - Herr Präsident! Das Hauptproblem ist für mich nicht Russland, sondern die gespaltene Persönlichkeit der EU – ihre Differenzen im Hinblick auf Werte, Verlockungen und der Notwendigkeit, zum Tagesgeschäft überzugehen. Die Lösung besteht darin, überzeugend zu zeigen, dass es der EU mit der Umsetzung ihrer universellen Werte ernst ist – denn es geht hier nicht um Werte der EU oder Russlands – und sicherzustellen, dass es in Europa nie wieder zu Invasionen wie der in Georgien kommt. Georgien ist ein Teil Europas.
Wie können wir dies erreichen? Ganz sicher nicht, indem wir um den heißen Brei herumreden, wie Herr Savi bereits sagte, sondern nur, indem wir unmissverständlich darlegen, wie wir Dinge dieser Art künftig vermeiden wollen.
Meine Frage bezieht sich auf die Geberkonferenz. Sollten wir von Russland einen finanziellen Beitrag verlangen ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). - (PL) Die Verbesserung der Beziehungen zur Russischen Föderation ist für die Europäische Union eine enorme Herausforderung. Russland zählt zu unseren mächtigsten Partnern in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht.
Die jüngsten Vorfälle in Georgien haben unserem Vertrauen in unseren östlichen Nachbarn erheblich geschadet. Die russische Außenpolitik lässt keinen Zweifel an den Absichten des Kremls. Ziel ist die Wiedergewinnung eines kolossalen Weltreichs – wenn nötig unter Missachtung internationaler Abkommen. Moskau hat seine Einflusssphäre klar abgesteckt, was die EU in eine überaus heikle Lage gebracht hat. Erfreulicherweise gelang es ihr, mit einer – wenn auch einer eher gedämpften – Stimme zu sprechen.
In der Folge des Georgien-Konflikts sollten wir uns überlegen, wie wir gegenüber Russland auch weiterhin Konsequenz zeigen können. Die Sicherheitspolitik ist ein Bereich mit dringendem Handlungsbedarf.
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Charles Tannock (PPE-DE). - Herr Präsident! Ich möchte Herrn Sarkozy meine besondere Anerkennung aussprechen. Im Namen der französischen Ratspräsidentschaft hat er dafür gesorgt, dass mit dem Truppenabzug aus Georgien 90 % des Sechs-Punkte-Plans umgesetzt wurden. Ich habe den Eindruck, dass die russische Führung unter Putin und Medwedew ihre Überreaktion in Georgien nun doch noch als Fehler erkennt, denn ohne gute Beziehungen zum Westen droht Russland ein wirtschaftlicher Zusammenbruch. Hinzu kommt: Nur Venezuela, Nicaragua und die Terrororganisation Hamas haben sich zur Anerkennung von Südossetien und Abchasien bereitgefunden – nicht eben ein Ruhmesblatt für die Regierung. Selbst engste Verbündete, wie etwa Belarus und Usbekistan, haben sich dem Druck widersetzt und Russlands neu entdeckter Begeisterung für das Prinzip der Selbstbestimmung – in Tschetschenien konnte davon noch keine Rede sein – die Unterstützung verweigert.
Russland wird erkennen müssen, dass die Einflusssphären des 19. Jahrhunderts in der modernen Welt ausgedient haben. Konkret heißt das: Hände weg von der Ukraine – und insbesondere von der Krim –, von der Republik Moldau und den Republiken des Südkaukasus! Moskau muss die territoriale Integrität dieser Staaten respektieren ...
(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Dass wir hier in diesem Haus unterschiedlichste Standpunkte zu hören bekommen, liegt in der Natur der Europäischen Union. Diese Aussprache – und es freut mich, das sagen zu können – war von hoher Qualität, mit Ausnahme des Beitrags von Herrn Batten, der mich persönlich bestürzt hat. Alle übrigen Wortmeldungen waren jedoch völlig angebracht. Mein Dank gilt nicht zuletzt Frau Neyts und Herrn Couteaux für ihre Lektüreempfehlung – eine interessante Möglichkeit, die Beziehungen zwischen Napoleon und Russland von einer neuen Warte zu betrachten und, insbesondere für Frau Ferrero-Waldner und mich, uns auch über jene zwischen Österreich und Russland fortzubilden.
Um nun zu dem Konflikt und seinen Ursachen zu kommen, möchte ich in Bezug auf die EU-Präsidentschaft drei Bemerkungen machen. Erstens: Natürlich war die Anwendung von Gewalt ein Fehler. Zweitens: Russland hat überreagiert. Wie aber einige von Ihnen bereits sagten: Eine Reaktion setzt eine vorhergehende, wie auch immer geartete Aktion voraus. An der Unverhältnismäßigkeit der Reaktion ändert dies jedoch nichts. Und drittens: Die Europäische Union tritt für eine unabhängige internationale Untersuchung des Konflikts und seiner Ursachen ein.
Zum Ausmaß des russischen Truppenabzugs und der Stabilität im Kaukasus möchte ich zudem sagen, dass wir wiederum auch nicht so tun sollten, als hätte es gar keine Fortschritte gegeben. Es wurde gesagt, die Präsidentschaft verhalte sich so, als seien die Beziehungen normal. Ich meine, es hat seit August durchaus Fortschritte gegeben. Vor zwei Monaten hatten wir es mit einem bewaffneten Konflikt zu tun, und am 10. Oktober wurden wir Zeugen des russischen Abzugs aus den angrenzenden Gebieten – in der Tat ein entscheidender zusätzlicher Schritt, wie ich bereits sagte.
Dass Russland damit noch nicht all seinen Verpflichtungen nachgekommen ist, ist uns voll und ganz bewusst – das sage ich insbesondere denjenigen unter Ihnen, die die Probleme in der Region Achalgori angesprochen haben. In dieser Phase ist es jedoch das Wichtigste, einen politischen Prozess einzuleiten, wie es momentan bei den Verhandlungen in Genf versucht wird. Die Botschaft der Europäischen Union lautet: Es darf auf diesem Kontinent keine Einflusszonen mehr geben. Die EU und Russland haben eine gemeinsame Nachbarschaft. Schon in deren Interesse müssen wir unsere Gegensätze überwinden und uns um Zusammenarbeit bemühen.
Was die Wiederaufnahme der Partnerschaftsverhandlungen anbelangt, so möchte ich anmerken, dass die Gespräche nicht ausgesetzt, sondern vertagt wurden – und zwar aus den rechtlichen Gründen, die heute Vormittag bereits genannt wurden. Wie der Europäische Rat am 15. Oktober erklärte, wird die Einschätzung, um die die Kommission und der Rat ersucht wurden, bei der Fortführung der Verhandlungen berücksichtigt werden – ein, wie im Übrigen auch Frau Neyts sagte, völlig logisches Vorgehen. Dabei ist es wichtig, zwischen der Wiederaufnahme der Verhandlungen und dem EU-Russland-Gipfel am 14. November zu unterscheiden. Letzterer wird stattfinden – und das ist, wie nicht zuletzt diese Aussprache gezeigt hat, wichtiger denn je. Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen sind auf dem Gipfel selbst jedoch nicht vorgesehen.
Nun einige Worte zu der mehrfach angesprochenen Interdependenz. Es ist völlig richtig, diesen Begriff weit zu fassen. Eine Verflechtung besteht in allen Bereichen. In der Energiepolitik würde ich bei einigen Mitgliedstaaten sogar von einer Abhängigkeit sprechen, die wir durch eine Diversifizierung der Energieversorgung abbauen müssen. Auch im Bereich der internationalen Sicherheit sind wir voneinander abhängig – und aus eben diesem Grund muss die Europäische Union auf die Vorschläge des russischen Präsidenten, Herrn Medwedew, zu einem neuen europäischen Sicherheitsrahmen eingehen, auch wenn die Europäische Union nicht unbedingt den Standpunkt Russlands teilt.
In diesem Zusammenhang möchte ich, wie das einige von Ihnen bereits getan haben, unser Festhalten an der Schlussakte von Helsinki und der Charta von Paris unterstreichen – Dokumente, die Russland, Herr Onyszkiewicz hat es völlig zu Recht betont, ebenfalls unterzeichnet hat. Eine nüchterne Analyse unserer Beziehungen zu Russland – auch in diesem Punkt kann ich mich vielen meiner Vorredner nur anschließen – ist in diesem Kontext dringend erforderlich. Von einer Rückkehr zum Kalten Krieg kann ebenso wenig die Rede sein wie von Zugeständnissen, was unsere Werte und Grundsätze anbelangt. Für diese Gratwanderung aber ist ein Dialog mit Russland wichtiger denn je.
Mein Dank gilt all jenen, die die Arbeit der französischen EU-Präsidentschaft anerkannt haben – insbesondere Herrn Wielowieyski und Herrn Tannock. Die Präsidentschaft hätte niemals so wirkungsvoll agieren können – und dies soll mein letzter Punkt sein –, wenn nicht alle Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission und dieses Parlament hinter ihr gestanden hätten. Für Russland gäbe es wohl keine bessere Möglichkeit zur Schwächung der Europäischen Union, als ihren Zusammenhalt zu untergraben.
Angesichts der starken Polarisierung zwischen den neueren und den älteren Mitgliedstaaten muss betont werden, dass es – und diese Aussprache hat es deutlich gezeigt – im Umgang mit dem Georgien-Konflikt und im Dialog mit Russland heute mehr denn je auf die Geschlossenheit der EU ankommt: Geschlossenheit hinsichtlich der Verurteilung der Gewalt der Konfliktparteien und der Verletzung der territorialen Integrität, Geschlossenheit bei unseren Maßnahmen – d. h. der Stationierung ziviler Beobachter vor Ort – und schließlich auch Geschlossenheit bei der Bestimmung unserer Interessen – insbesondere in den Bereichen Energie und internationale Sicherheit. Diese Geschlossenheit ist es auch, in der wir zu gegebener Zeit die Verhandlungen über ein Abkommen mit Russland wieder aufnehmen werden.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident! Dies war eine hochinteressante Aussprache, die jedoch – ähnlich wie auch die Gespräche im Rat – durch ein breites Spektrum von Standpunkten und Aspekten gekennzeichnet war. Dass Allerwichtigste ist, darin kann ich unserem Ratspräsidenten und Freund nur zustimmen, mit einer – und zwar mit einer starken – Stimme zu sprechen. Dies sollten wir auch beim nächsten europäischen Gipfeltreffen mit Russland beherzigen.
Wo liegen unsere Interessen? Ich denke, ich habe dies bereits in meiner ersten Rede dargelegt. Angesichts unserer starken gegenseitigen Abhängigkeit stellen Wirtschaft und Energieversorgung wichtige Interessenbereiche dar, doch auch globale Herausforderungen sind von Bedeutung. Sie wurden bereits genannt: Klimawandel, Energiesicherheit und die Vorbereitung einer Übereinkunft in Kopenhagen, außerdem Iran und Nahost. An all diesen Bereichen – dies sei noch einmal betont – besteht ein klares Interesse.
Die kommende Tagung des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ am 10. November ist von zentraler Bedeutung. Ich hoffe, dass wir uns auf die Fortführung der Verhandlungen über das neue EU-Russland-Abkommen, die ja nur vertagt wurden, verständigen werden. Der Präsident hat sich diesbezüglich klar geäußert. Ich halte Verhandlungen tatsächlich für den besten Weg, wobei wir allerdings auch Härte zeigen müssen. Klar ist zudem: Wir müssen Russland so nehmen, wie es ist, und nicht, wie wir es gerne hätten. Das bedeutet, dass auch Menschenrechte, wie heute erwähnt, und all unsere Differenzen zur Sprache kommen müssen. Dies war der Fall auf den vergangenen Gipfeltreffen, bei denen auch ich anwesend war.
Was nun Ihre Fragen zu den 8 000 Soldaten anbelangt, liegt eine deutliche Äußerung des Europäischen Rates vor. Dieser begrüßte den russischen Rückzug aus den an Südossetien und Abchasien angrenzenden Gebieten als wichtigen zusätzlichen Schritt bei der Umsetzung der Vereinbarungen vom 12. August und 8. September. Auch die Aufnahme internationaler Gespräche in Genf, wie in diesen Vereinbarungen vorgesehen, fand seine Zustimmung. Genf sollte meiner Meinung nach den Rahmen für weitere Gespräche über eine politische Lösung bieten. Nach Anfangsschwierigkeiten ist der Prozess nun in Gang gekommen, und wir sind entschlossen, ihn fortzuführen. So viel zum ersten Punkt.
Zweitens: Nein, Russland wird an der Geberkonferenz nicht teilnehmen, um die Frage klar zu beantworten. Ich denke jedoch, dass das Thema Entschädigung zu gegebener Zeit zur Sprache kommen dürfte. Eine internationale Untersuchung könnte sich dann als nötig erweisen. Der Rat hat dieses Thema bereits erörtert und sich für internationale Gespräche ausgesprochen.
Mein nächstes Thema sind die Menschenrechte. Wie ich bereits sagte: Verschiedene Entwicklungen innerhalb Russlands geben uns Anlass zu Besorgnis, so etwa der gewaltsame Tod von Journalisten, die Behinderung von Nichtregierungsorganisationen sowie die Lage im Nordkaukasus im Allgemeinen und in Inguschetien im Besonderen. Im Hinblick auf Todesfälle wie den von Anna Politkowskaja oder – erst unlängst – Magomed Jewlojew im Anschluss an eine Verhaftung haben wir zu umfassenden Ermittlungen aufgerufen. Gerade heute finden, wie ich bereits erwähnte, wieder Gespräche im Rahmen der Menschenrechtskonsultationen statt – eine ausgezeichnete Gelegenheit, solche Belange zu thematisieren.
Auch die Notwendigkeit einer umfassenden Zusammenarbeit mit dem Europarat haben wir Russland deutlich gemacht und es zur Ratifizierung des Protokolls 14 zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und des Protokolls 6 zur Todesstrafe aufgerufen.
Nun einige Worte zu einem WTO-Beitritt: Wir, die Europäische Union, treten entschieden für einen Beitritt Russlands ein, da wir uns davon die für unsere Wirtschaftsgemeinschaft so wichtigen einheitlichen „Spielregeln“ versprechen. Als einer der wichtigsten Handelspartner Russlands kann sein Beitritt zu einem regelbasierten System nur in unserem Interesse sein. Auch unsere bilateralen Beziehungen dürften dadurch wesentliche Impulse erhalten. Es ist somit äußerst wichtig, dass wir weiterhin den Beitritt Russlands unterstützen. Im Rahmen dieses bedeutenden Prozesses müssen wir uns zwar offen mit der russischen Seite auseinandersetzen, aber auch innerhalb eines angemessenen Zeitraums Lösungen mit und für Russland finden.
Erwähnt wurden auch Energiesicherheit und saubere Energien. Lassen Sie mich hierzu nur sagen, dass sowohl ein energie- als auch ein umweltpolitischer Dialog besteht. In diesem Rahmen wurden Themen wie Energieeffizienz oder umweltverträgliche Energien bereits auf mehreren G8- und EU-Gipfeln angesprochen. Zweifellos werden solche Fragen im Zuge der Vorbereitung auf Kopenhagen – bei der wir ebenfalls auf die Zusammenarbeit mit Russland angewiesen sind – noch an Bedeutung gewinnen. Die Kommission misst diesem Bereich einen hohen Stellenwert bei. In diesem Sinne hat sie bereits mehrere „Joint-Implementation“-Projekte nach dem Kyoto-Protokoll gefördert und ist zu weiteren Maßnahmen bereit.
Eine Bemerkung zur europäischen Sicherheitsarchitektur: Präsident Medwedew unterbreitete seinen Vorschlag bereits auf dem EU-Russland-Gipfel in Chanty-Mansijsk – also im Juni, noch vor der Krise in Georgien. Ich selbst nahm an dem Gipfel teil und kann diesen Punkt daher klarstellen. Es handelt sich hier um eine alte Idee Russlands, die nun wieder ins Blickfeld gerät. Interessanterweise hat Präsident Sarkozy vorgeschlagen, diese anlässlich eines OSZE-Gipfels 2009 zur Sprache zu bringen. Bis dahin kann natürlich noch viel passieren. Lassen Sie mich heute nur sagen, dass die Debatte über eine Sicherheitspartnerschaft von größter Bedeutung ist – allerdings immer unter Berücksichtigung aller bestehenden Sicherheitsbeziehungen. Hier müssen wir eine klare Grenze ziehen.
Lassen Sie mich zudem hervorheben, wie wichtig uns Fortschritte bei den eingefrorenen Konflikten sind. In diesem Sinne werde ich in Kürze – Ende November oder Anfang Dezember – eine Mitteilung zur Östlichen Partnerschaft anregen. Auch im Rat kam dieses Thema, das eng mit der Sicherheitspolitik verwoben ist, bereits zur Sprache. Bei unseren Anstrengungen dürfen wir jedoch andere institutionelle Mechanismen, wie etwa die Minsk-Gruppe, nicht außer Acht lassen.
Abschließend noch einige Worte zu den ebenfalls erwähnten Streubomben. Auch wir bedauern zutiefst den beiderseitigen Einsatz von Streumunition, der nun die Rückkehr der Binnenflüchtlinge in ihre Heimat erheblich erschwert. Daher wollen wir nicht nur – in Zusammenarbeit mit einschlägigen internationalen Organisationen – die Räumung der betroffenen Gebiete veranlassen, sondern uns auch für ein künftiges Verbot einsetzen.
Der Präsident. - Die Aussprache ist geschlossen.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Alexandra Dobolyi (PSE), schriftlich. – Die jüngsten Vorfälle haben uns veranlasst, die Natur unserer Beziehungen sowohl kurz- als auch langfristig zu hinterfragen. Nun gilt es, unseren Blick in die Zukunft zu richten. Die Verhandlungen zwischen der EU und Russland über ein neues strategisches Partnerschaftsabkommen müssen fortgesetzt werden, denn ein solches Abkommen liegt im beiderseitigen Interesse. Von einer echten strategischen Partnerschaft mit Moskau würde die EU enorm profitieren. Wir müssen pragmatisch und realistisch vorgehen und eine ergebnisorientierte Politik verfolgen. Im Hinblick auf Themen wie die anstehenden Herausforderungen in der Weltwirtschaft, Energie, wirtschaftliche Verflechtungen, Nichtverbreitung, Terrorismus und Klimawandel, die grundlegende Interessen beider Seiten berühren, muss die EU den besten gemeinsamen Ansatz gegenüber Russland finden. Wir können es uns nicht leisten, Russland auszugrenzen. Wir müssen eine konstruktive Beziehung aufbauen. Mehr denn je kommt es auf Dialog und eine langfristige Zusammenarbeit an. Eine Isolierung Russlands würde niemandem helfen. Die Beziehungen müssen in verschiedenen Bereichen gemeinsamer Interessen gestärkt werden, insbesondere im Hinblick auf die derzeitige Finanzkrise und die Entwicklung einer neuen globalen Finanzarchitektur. Hier ist eine Kooperation mit Russland und auch China und Indien absolut erforderlich. Zudem gilt es, in den gemeinsamen Nachbarländern der EU und Russlands für Stabilität und Sicherheit zu sorgen.
Lasse Lehtinen (PSE), schriftlich. – (FI) Einmal mehr hat sich der Westen in seinen Hoffnungen für Russland getäuscht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestand große Zuversicht, dass sich Russland – endlich befreit von den ideologischen Fesseln des Kommunismus – nun auch von Totalitarismus, Autoritarismus und der Verfolgung Andersdenkender abwenden würde. Nicht zum ersten Mal erwartete man, Russland werde sich nun Europa und seinen Werten annähern. Heute aber haben wir es nicht mit einer demokratischen Marktwirtschaft, sondern mit einer Art Diktatur der kapitalistischen Ausbeutung zu tun, in der die Bürgerrechte dem Recht des Stärkeren anheim fallen.
In den Gesprächen ist es nicht immer leicht, zwischen naivem Wunschdenken und kühlem Pragmatismus zu unterscheiden. Die Reaktionen der EU-Mitgliedstaaten auf den Krieg in Georgien fielen äußerst unterschiedlich aus. Wir müssen uns jedoch fragen, ob wir nicht unser gemeinsames Wertesystem aufs Spiel setzen, wenn wir gegenüber Russland eine selektive Haltung einnehmen, die insbesondere auf wirtschaftlichen Werten beruht. Die EU stützt sich auf gemeinsame Werte und das Prinzip, sämtliche praktische Probleme durch Verhandlungen – nicht durch militärische Gewalt – zu lösen. Wir müssen diese Institution am Leben erhalten, um den Fortbestand der kleineren EU-Mitgliedstaaten wie auch möglicher künftiger Mitglieder zu sichern. Unsere gemeinsamen Überzeugungen dürfen nicht den bilateralen Beziehungen einiger Mitgliedstaaten zu Russland geopfert werden.
Andres Tarand (PSE), schriftlich. – (ET) Herr Präsident! Mehrere Mitglieder dieses Hauses nannten Gier als Ursache der gegenwärtigen Finanzkrise. In einem Artikel aus diesem Frühjahr sagt Herr Schöpflin, dass dieses uralte Phänomen auch in den Beziehungen zwischen der EU und Russland ein bedeutender Faktor ist. Ich selbst war bei der Veröffentlichung dieses Artikels bereits zu dem gleichen Schluss gekommen – nicht zuletzt in Anbetracht der energiepolitischen Beziehungen mehrerer EU-Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren. Seit einigen Wochen – nach den ersten Vorfällen im August – ist dasselbe Phänomen nun auch in der Georgien-Krise zu beobachten. Einem bestimmten Kreis von Politikern – bemüht, sich das kollektive Gewissen zu erleichtern – gelang es, sich gegenseitig von der Hauptschuld Saakaschwilis zu überzeugen. War es vielleicht auch Saakaschwili, der vor zwei Jahren Georgier aus Moskau vertrieb oder die Fallschirmjägerdivision aus Pskow am Vorabend der Kampfhandlungen in die Region verlegte? Ich meine, dass wir es hier vielmehr mit einem Ergebnis der gefährlichen Politik Russlands zu tun haben, das seine Interessensphären wiedergewinnen möchte. Entsprechend sollten wir reagieren.
Bernard Wojciechowski (IND/DEM), schriftlich. – (PL) In wirtschaftlicher Hinsicht ist Russland auf Investitionen und Technologien aus der Europäischen Union angewiesen, die EU dagegen auf Russlands Rohstoffe. 2001 stammten 79 % der ausländischen Investitionen in Russland in Höhe von knapp 30 Milliarden US-Dollar aus Mitgliedstaaten der EU. Im Mai 2004 hatten die damals 25 Mitgliedstaaten einen Anteil von 55 % am russischen Außenhandel.
Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Russland liegt daher nicht im Interesse der EU-Mitgliedstaaten. Die Union muss ihre Erdöl- und Erdgasversorgung diversifizieren. Russland ist für die Europäische Union aufgrund seines politischen und wirtschaftlichen Potenzials ein wertvoller Partner. Wenn die Europäische Union auf internationaler Ebene Alternativen zur Politik der Vereinigten Staaten aufzeigen möchten, könnte die politische Unterstützung durch Russland ausschlaggebend sein. Nur ein Beispiel: Das Kyoto-Protokoll trat nach der Ratifizierung durch Russland in Kraft. Im Gegenzug befürwortete die EU den russischen WTO-Beitritt.