Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über:
– die mündliche Anfrage von Marco Cappato im Namen der ALDE-Fraktion an den Rat zum Thema Demokratie, Menschenrechte und das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Vietnam (O-0095/2008 – B6-0473/2008) und
– die mündliche Anfrage von Marco Pannella im Namen der ALDE-Fraktion an die Kommission zum Thema Demokratie, Menschenrechte und das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Vietnam (O-0096/2008 – B6-0474/2008).
Marco Cappato, Verfasser. – (IT) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Vertreterinnen und Vertreter des Rates, meine Damen und Herren! Es laufen Verhandlungen über ein neues Kooperationsabkommen mit Vietnam. Ich halte es für wichtig, dass das Parlament über die Inhalte dieser Verhandlungen informiert wird – insbesondere was Menschenrechte und Demokratie anbelangt.
Natürlich sind Kooperationsabkommen keine Wunderwaffe, die auf Knopfdruck für die Einhaltung von Demokratie und Menschenrechten – in Vietnam oder anderswo – sorgt. Wenn es aber um schwer wiegende, systematische Verstöße gegen Menschenrechte und Demokratie geht, dürfen wir nach europäischem Recht nicht einfach die Augen verschließen. Selbstverständlich wissen wir, dass unsere Mittel zur Durchsetzung dieser Grundsätze begrenzt sind. Wir wissen aber auch, dass die Neuverhandlung von Kooperationsabkommen einen guten Rahmen bilden kann, um bei den schwersten und systematischsten Verstößen zumindest gewisse Fortschritte zu erzielen.
Ich hoffe daher, dass dieses Haus in seiner morgigen Entschließung die Kommission und den Rat auf einige besonders problematische Punkte hinweisen wird, die auch bei der Anhörung des Unterausschusses für Menschenrechte zur Sprache kamen – unter anderem im Zusammenhang mit Kok Ksor, Vo Van Ai und Mitgliedern der gewaltlos agierenden radikalen Partei.
Besonders Besorgnis erregend ist die Lage der Degar – einer christlichen Minderheit im vietnamesischen Hochland in der Landesmitte, deren Mitglieder nach wie vor zu Hunderten verhaftet werden. Internationale Beobachter, insbesondere von den Vereinten Nationen, haben noch immer keinen ungehinderten Zugang zu dieser Region. Jetzt, wo Vietnam dem UN-Sicherheitsrat angehört, ist dies völlig unannehmbar. Die politischen Gefangenen – ihre Zahl geht in die Hunderte – müssen freigelassen werden.
Religionsfreiheit ist ein gewaltiges Problem. Eine entsprechende Erklärung Vietnams – insbesondere zur immer noch ausstehenden Anerkennung der Vereinigten Buddhistischen Kirche – muss die Voraussetzung für die Unterzeichnung eines neuen Abkommens sein. Nach wie vor steht Thich Quang Do, das Oberhaupt dieser Kirche, unter Arrest, und Land der katholischen Kirche ist konfisziert. Es ist höchste Zeit, dass Vietnam die Gesetze aufhebt, nach denen abweichende Meinungen und religiöse Aktivitäten strafrechtlich verfolgt werden können.
Frau Kommissarin, Herr Ratspräsident! Wir möchten Ihnen daher eine ganz konkrete Frage stellen: Ist gewährleistet, dass diese Probleme – zumindest die eklatanten Menschenrechtsverstöße – vor dem Abschluss eines neuen Kooperationsabkommens gelöst werden?
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. –(FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren, Herr Cappato! Ich freue mich, heute wieder in Ihrer Mitte zu sein.
Wir verfolgen die Lage der Menschenrechte in Vietnam sehr genau. Erst kürzlich – anlässlich der Verurteilung zweier Journalisten, die über Korruptionsfälle berichtet hatten – hatte die Präsidentschaft erneut Gelegenheit, ihre Sorge zum Ausdruck zu bringen. Im Rahmen eines regelmäßigen Dialogs führen der Rat und die Kommission zweimal jährlich Gespräche mit Vietnam zu Menschenrechtsfragen. Bei der letzten derartigen Unterredung am 10. Juni 2008 in Hanoi wurden – neben der allgemeinen Lage der Menschenrechte – insbesondere Meinungsfreiheit, die Lage der Minderheiten, die Todesstrafe und eine Reihe von Einzelfällen thematisiert.
Ergänzend zu diesem Dialog ergreifen wir verschiedene gezieltere Maßnahmen in Einzelfällen, beispielsweise bei Verhaftungen oder Verurteilungen, die unseres Erachtens den bürgerlichen Freiheiten und internationalen Verpflichtungen – insbesondere aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Vietnam ratifiziert hat – zuwiderlaufen.
Ferner nahmen wir am 10. Oktober den Europäischen Tag gegen die Todesstrafe zum Anlass, um unseren klaren Standpunkt in dieser Frage gegenüber den vietnamesischen Behörden erneut zu erläutern. Sie zeigten sich aufgeschlossen und kamen auf die gegenwärtige Reform des Strafrechts zu sprechen. Die Zahl der Verbrechen, auf die die Todesstrafe steht, soll dadurch reduziert werden – das Mindeste, was wir erwarten können.
Meine Damen und Herren! Sie sehen selbst: Menschenrechte sind ein zentrales Element unserer Beziehungen zu Vietnam. Dies ist ein heikles Thema. Ich danke Ihnen, Herr Cappato, für die Erwähnung der christlichen Minderheit in Mittelvietnam – einer Angelegenheit, die uns besonders am Herzen liegt. Wir können wohl sagen, dass in diesem Bereich kein anderer Akteur eine so umfassende und gezielte Politik wie die EU verfolgt. Mitunter setzt uns dies der Kritik unseres Partners aus, doch – das sei betont – unserer Entschlossenheit tut dies keinen Abbruch.
Nun einige Worte zu dem künftigen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen. Die Verhandlungen sind in vollem Gange. Die aktuelle Gesprächsrunde in Hanoi endet am 22. Oktober. Wie jedes Abkommen der EU mit einem Drittstaat muss es als wesentlichen Bestandteil eine Klausel zur Achtung der Menschenrechte enthalten. Bei Missachtung dieser Klausel durch eine Vertragspartei – dieser Punkt ist wichtig – kann das gesamte Abkommen ausgesetzt oder sogar aufgehoben werden. Im bisherigen Verhandlungsverlauf hat Vietnam keine grundlegenden Einwände gegen eine solche Klausel vorgebracht – wiederum das Mindeste, was wir erwarten können. Dies ist ein positives Signal Vietnams – Zeichen eines konkreten Engagements für Menschenrechte. Sobald das Abkommen ratifiziert ist, wird der EU ein wirksames Rechtsinstrument zur Wahrung der Menschenrechte zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, Herr Cappato! Wir können Ihnen nur zustimmen: Mit der Menschenrechtslage in Vietnam steht es nicht zum Besten. Die Maßnahmen, die wir seit einigen Jahren ergreifen, scheinen mittlerweile Wirkung zu zeigen. Doch erst mit der Unterzeichnung eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens werden wir die entsprechende Menschenrechtsklausel – wie bereits im Fall zahlreicher anderer Länder – als bestmöglichen Rahmen für die Thematisierung derartiger Fragen mit Vietnam nutzen können. Die Verhandlungen – ich wiederhole es – sind bereits im Gange. Selbstverständlich werden wir dieses Haus in vollem Umfang über ihren Verlauf unterrichten.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (ES) Herr Präsident! Ich bitte um Entschuldigung für die Störung. Ich habe einen Moment lang einigen Parlamentsmitgliedern zugehört.
Der Präsident. – Frau Kommissarin, es ist nicht Ihre Schuld, wenn Mitglieder dieses Hauses mit Nebensächlichkeiten an Sie herantreten – im Übrigen eine Respektlosigkeit gegenüber dem Redner. Ihnen gilt daher kein Vorwurf. Die Kolleginnen und Kollegen aber muss ich auffordern, sich während einer Aussprache nicht an den amtierenden Ratspräsidenten oder geladene Vertreter der Kommission zu wenden. Bitte fahren Sie fort.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – (FR) Herr Präsident, Vertreterinnen und Vertreter des Rates, meine Damen und Herren, Herr Cappato! Die Kommission begrüßt die Aufmerksamkeit, die das Europäische Parlament den Verhandlungen über das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Vietnam sowie der Menschenrechtslage in diesem Land widmet.
Der Zeitpunkt unserer Aussprache ist gut gewählt, denn – wie der Präsident bereits sagte – wird in Hanoi gerade über dieses Abkommen verhandelt. Ich kann Ihnen versichern, dass die Lage der Menschenrechte ein zentrales Anliegen der EU in ihren Beziehungen zu Vietnam ist. Gewisse Fortschritte sind trotz allem unbestreitbar. Ich denke etwa an jüngste Bemühungen um die Eindämmung der Todesstrafe, um die Schaffung eines Rechtsrahmens für die Ausübung der Religionsfreiheit und um eine geordnetere Rückkehr von Angehörigen ethnischer Minderheiten, die nach Kambodscha geflohen sind.
Andererseits – und in diesem Punkt muss ich Ihnen Recht geben – geben einige Entwicklungen der vergangenen Monate, insbesondere hinsichtlich der Religions- und Meinungsfreiheit, Anlass zur Sorge. Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen: die Schikanen gegen die katholische Gemeinde in Hanoi und, erst letzte Woche, die Verurteilung zweier Journalisten aufgrund ihrer Recherchen in Korruptionsfällen.
Wie ich dem stellvertretenden Premierminister Herrn Khiêm erst kürzlich, anlässlich seines Besuchs am 17. September in Brüssel sagte: Für die langfristige Stabilität und internationale Glaubwürdigkeit Vietnams wäre es verheerend, wenn die gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten einen instinktiven Rückfall in Autoritarismus und Unterdrückung nach sich zögen.
Mehr denn je benötigt Vietnam dagegen Mechanismen zur friedlichen Artikulation von Spannungen und sozialen Problemen, die in dem Land zu spüren sind. Diese Botschaft wird Kommissionspräsident Barroso diese Woche wiederholen, wenn er mit Premierminister Dung am Rande des ASEM-Gipfels in Beijing zusammentrifft, und auch die kommende Runde des EU-Vietnam-Menschenrechtsdialogs, die im Dezember in Hanoi stattfindet, wird in diesem Zeichen stehen. Mit dem Entwurf eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens, den die EU vorgelegt hat, untermauert sie die Bedeutung der Menschenrechte in ihren Beziehungen zu Vietnam.
Wie der Präsident bereits betonte, enthält der derzeitige Abkommensentwurf eine Vorbehaltsklausel zur Achtung der Menschenrechte. Weitere wichtige Punkte sind die Schaffung einer Rechtsgrundlage für den regelmäßigen EU-Vietnam-Menschenrechtsdialog und die Unterstützung Vietnams bei der Formulierung eines nationalen Aktionsplans für Menschenrechte. Eine ganze Reihe detaillierter Bestimmungen bezieht sich auf die Einhaltung des Arbeitsrechts, verantwortungsbewusste Regierungsführung und die Förderung der Rechtsstaatlichkeit. Dem Internationalen Strafgerichtshof gilt eine eigene Klausel. Ich meine, dass uns das Abkommen genau die rechtliche und politische Handhabe geben wird, die wir zum Ausbau unseres Engagements für Menschenrechte und Demokratisierung benötigen.
Charles Tannock, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich muss – mit einigem Bedauern – sagen, dass ich skeptisch bin, ob die Menschenrechtsklausel im EU-Vietnam-Kooperationsabkommen wirklich das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht.
In bester Absicht bringt sie unsere gemeinsamen europäischen Werte zum Ausdruck – und ist doch, so meine ich, kaum mehr als Augenwischerei und ein verständliches Zugeständnis an die mächtige Menschenrechtslobby in der EU. Lassen Sie mich daran erinnern, dass China mittlerweile zum zweitgrößten Handelspartner der EU aufgestiegen ist, während unsere Bedenken im Hinblick auf die Menschenrechte bei der kommunistischen Diktatur in Beijing auf taube Ohren stoßen. Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob das Thema überhaupt noch der Mühe wert ist.
Politische Verfolgung und Menschenrechtsverstöße in China lenken uns mitunter von der Lage im benachbarten Vietnam ab, das nicht minder brutal vorgeht. Prodemokratische Dissidenten und Angehörige religiöser Minderheiten werden inhaftiert, Journalisten werden durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht, und von Freiheiten, die uns in Europa selbstverständlich sind – etwa einem unzensierten Internet – kann schlicht keine Rede sein.
Deshalb schlug ich vergangenes Jahr mit Herrn Cappato und einigen Gleichgesinnten Thich Quang Do für den Friedensnobelpreis vor – einen buddhistischen Mönch, dessen unerschrockener Einsatz für Religionsfreiheit und Menschenrechte ihm Jahre der Verfolgung und Haft einbrachte.
Vietnam versinnbildlicht das Dilemma der EU. Wie viel Wert sollten wir in unseren Wirtschaftsbeziehungen zu Drittstaaten auf die Einhaltung förmlicher Menschenrechtsklauseln in Handels- und Partnerschaftsabkommen legen? Und können allein schon engere Wirtschaftsbeziehungen Anreize zur Demokratisierung sowie zur Wahrung politischer und bürgerlicher Rechte schaffen?
Harte Fragen, die der neuen britischen Handelskommissarin, Baroness Ashton, noch einiges Kopfzerbrechen bereiten dürften. Ich meine: Unsere gemeinsamen Werte dürfen nicht zur Debatte stehen. Daher appelliere ich an die Kommission und den Rat, entweder diese Farce zu beenden und die Menschenrechts- und Demokratieklausel abzuschaffen oder Drittstaaten wirklich und ehrlich für die mutwillige Missachtung der uns heiligen Ideale zur Verantwortung zu ziehen. Herrn Cappato und seiner ausgezeichneten Arbeit in dieser Sache gilt meine ganz besondere Anerkennung.
Barbara Weiler, im Namen der PSE-Fraktion. – (DE) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Europäer haben großes Verständnis, viel Interesse und viel Sympathie für das vietnamesische Volk. Meine Fraktion erinnert sich noch sehr genau an das schreckliche Leid und die Verwüstungen, die die Kriege und die Besatzungen in Vietnam verursacht haben, nicht nur durch die USA, sondern auch durch europäische Staaten.
Jetzt entwickelt sich Vietnam in einer ganz besonders dynamischen und aufregenden Region in Südostasien. Die zehn Mitgliedstaaten der ASEAN-Länder sind alle keine Demokratien nach unserem europäischen Verständnis, aber ein Wandel ist erkennbar. Die neue Charta der ASEAN-Länder ist ein Beispiel dafür, dass Menschenrechtsverstöße eben nicht verschwiegen werden können, Herr Tannock, und auch die Verhandlungen beweisen, dass Menschenrechtsverstöße auf jeden Fall auf die Tagesordnung kommen.
Gerade jetzt ist ein guter Zeitpunkt, weil die Verhandlungen neu aufgerollt werden; das Kooperationsabkommen von 1995 wird neu verhandelt. Es ist richtig, die Europäische Union ist nach China der zweitwichtigste Handelspartner Vietnams, und gerade darum können wir auch etwas erreichen. Partnerschaftsabkommen sind nicht sinnlos!
Die PSE fordert die Kommission auf, darauf hinzuwirken, dass Freiheiten für die Presse in Vietnam, für Minderheiten, für demokratische Aktivisten, zur Religionsausübung und natürlich zur Beteiligung von UNO-Beobachtern gewährleistet werden. Dann werden wir noch mehr Sympathien als bisher für dieses wunderschöne Land entwickeln.
Athanasios Pafilis, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (EL) Herr Präsident! Dass die Anhänger des Imperialismus – allen voran die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und ihr Gefolge – Vietnam nicht vergessen können, leuchtet ein. Sowohl gegen den französischen als auch gegen den amerikanischen Imperialismus hat sich das vietnamesische Volk behauptet und seine Unabhängigkeit erkämpft. Das hat weltweit Symbolcharakter.
Die beiden identischen Entschließungen, die uns heute vorliegen, sind unannehmbar. Wir versuchen damit, Vietnam den Willen der EU aufzuzwingen. Wo Waffengewalt versagte, muss nun wirtschaftliche Erpressung herhalten. Das ist die wahre Intention, die sich hinter der so genannten Menschenrechts- und Demokratieklausel verbirgt.
Wo wir einmal beim Thema Menschenrechte sind, frage ich Sie alle – auch Sie, Herr Cappato: Zehntausende Menschen in Vietnam leiden unter den Folgen von Agent Orange, einer heimtückischen chemischen und biologischen Waffe, die die Vereinigten Staaten von Amerika einsetzten. Die Zahl der missgebildeten Neugeborenen und Krebstoten geht in die Tausende, und ganze Landstriche sind verwüstet – alles eine Folge dieses von der bekannten Firma Monsanto produzierten Giftes.
Haben diese Kranken und Sterbenden keine Menschenrechte – und insbesondere nicht das oberste Menschenrecht auf Leben? Warum unterstützen Sie nicht die Forderung der vietnamesischen Regierung und der Opfer nach Entschädigung und nach einer Auseinandersetzung mit den Folgen dieses durch nichts zu rechtfertigenden biologisch-chemischen Krieges? Warum befürworten Sie stattdessen vermeintliche Menschenrechte, wie etwa die Rückgabe kirchlichen Besitzes, dessen rechtmäßiger Eigentümer das Volk ist?
Vor diesem Hintergrund ist die Berufung auf Menschenrechte heuchlerisch. Allein die Menschen in Vietnam sind für die Lösung ihrer Probleme verantwortlich – ganz sicher nicht diejenigen, die sich noch immer nicht für die Ermordung von einer Million Menschen in einem von ihnen entfachten Krieg entschuldigt haben. Was wir benötigen, ist eine ausgewogene wirtschaftliche Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen – ohne politische oder wirtschaftliche Erpressung.
VORSITZ: EDWARD McMILLAN-SCOTT Vizepräsident
Jim Allister (NI). - Herr Präsident! Die vietnamesische Regierung kann noch so lange von Achtung der Religionsfreiheit reden, und mein Vorredner kann sich noch so lange in Schönfärberei üben: Die Lage vor Ort, zumal für isolierte christliche Gruppen, sieht ganz anders aus. Die Beschlagnahmung kirchlichen Eigentums ist weit verbreitet. Besonders eklatant ist die staatliche Verfolgung der Mitglieder nicht anerkannter protestantischer Hauskirchen. Erst vor wenigen Monaten erlag ein junger Stammesangehöriger Verletzungen, die ihm während eines offiziellen Verhörs zugefügt worden waren – nur weil er sich geweigert hatte, seinem christlichen Glauben abzuschwören. Hunderte sind aus Glaubensgründen in Haft, wo Misshandlungen an der Tagesordnung sind. Ich bewundere ihren Mut, ich verurteile ihre Verfolger, vor allem aber appelliere ich an die EU: Geben wir nicht Handelsinteressen und besseren Beziehungen zu Vietnam Vorrang vor den elementaren Menschenrechten dieser verfolgten Gläubigen. Die Menschenrechtsverstöße in Vietnam schreien zum Himmel. Bemühen wir uns nicht, Hanoi zu Gunsten des Handels oder kurzfristiger Gewinne reinzuwaschen.
Bernd Posselt (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! Vietnam ist ein Land, das sich immer mehr zur Europäischen Union öffnet. Es gibt einen ernsthaften Prüfstein für Vietnam, und dieser Prüfstein sind die Menschenrechte und die elementaren Grundfreiheiten. Hier möchte ich das Augenmerk besonders auf die Religionsfreiheit lenken, wie es dankenswerterweise auch die vorliegende Entschließung tut. In Vietnam werden Christen verfolgt, und heute ist der Bischof von Augsburg hier, der sich besonders um verfolgte Christen kümmert, um mit uns Gespräche darüber zu führen. Ferner werden Buddhisten und andere Religionsgemeinschaften an der Ausübung ihrer Religion gehindert und verfolgt.
Man kann ganz klar sagen, dass es unsere Aufgabe ist, darauf hinzuwirken, dass Vietnam ein gleichberechtigter Partner wird, dass es sich öffnet, dass es sich uns zunehmend annähert. Dies darf aber nicht auf Kosten der elementaren Menschen- und Grundrechte geschehen, sondern muss auf der Basis einer fairen, auf den Grund- und Menschenrechten basierenden Partnerschaft erfolgen.
Richard Howitt (PSE). - Herr Präsident! In unserer heutigen Entschließung geht es uns nicht nur darum, unsere Besorgnis über Meinungsfreiheit, Unterdrückung Andersdenkender und religiöse Diskriminierung in Vietnam zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr fordern wir die Europäische Union auf, über die Fortschritte des Menschenrechtsdialogs Rechenschaft abzulegen und auf dem Weg zu einem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Vietnam klare Verbesserungsziele festzulegen.
Wenn sich ein Journalist, der Hinweise auf Unterschlagungen in Höhe von 750 000 US-Dollar im Verkehrsministerium aufdeckt – Gelder, die wohl teilweise in Fußballwetten in der englischen Erstliga geflossen sind –, hinter Gittern wieder findet, können wir das nicht hinnehmen.
Inakzeptabel ist für uns auch, dass auf 29 verschiedene Straftaten die Todesstrafe steht. Schon eine wäre zu viel. Hinrichtungen, so heißt es, finden ohne Warnung um 4 Uhr morgens statt. Die Folge ist, dass die Häftlinge aus Angst, sie könnten an der Reihe sein, vor 6 Uhr morgens kein Auge zutun.
Und inakzeptabel ist schließlich die Bedrohung und Einschüchterung der katholischen Kirche, wie erst im vergangenen Monat nach den friedlichen Massenprotesten in Hanoi. Nach Angaben von Amnesty International sah sich eine Frau beim Verlassen einer Kirche einem Mob gegenüber, der „Tod dem Erzbischof“ und „Tod den Priestern“ skandierte.
Vietnam gehört seit 1982 dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte an. Die aktuelle Lage stellt einen klaren Verstoß gegen die Artikel 2 und 18 dar. Hinzu kommt: Im Juli übernahm Vietnam den Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Wir fordern die europäischen Verhandlungsführer auf, der vietnamesischen Regierung klar zu sagen: Wer das Völkerrecht in zwischenstaatlichen Einrichtungen hochhalten will, muss es auch im eigenen Land respektieren.
Konrad Szymański (UEN). - (PL) Aus der Liste der Menschenrechtsverletzungen in Vietnam bedarf meines Erachtens die staatliche Gewalt gegen Katholiken besonderer Aufmerksamkeit. Die Güter der katholischen Kirche befinden sich – anders lautender Vereinbarungen zum Trotz – unter alleiniger Kontrolle der Regierung in Hanoi. Katholiken, die gegen die Beschlagnahmung von Gebäuden der Apostolischen Nuntiatur in der Hauptstadt protestieren, werden von Schlägertrupps angegriffen. Die Zahl der politischen Gefangenen wächst. Unlängst kam es auf dem Gelände eines Redemptoristenklosters in Thai Ha zu weiteren Verhaftungen. Der Erzbischof von Hanoi, Quang Kiêt, der um sein Leben fürchten muss, steht unter Hausarrest und Bewachung. Der relativen Öffnung Vietnams in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht steht eine verschärfte Verfolgung von Christen gegenüber. Daher muss das Thema Religionsfreiheit Teil des künftigen Abkommens zwischen der Europäischen Union und Vietnam sein. Andernfalls darf es nicht zur Unterzeichnung kommen.
Marco Cappato (ALDE). - (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herrn Pafilis möchte ich entgegnen, dass heute in Vietnam wieder Krieg herrscht. Das Regime führt Krieg gegen sein eigenes Volk, gegen die Menschen Vietnams, die Khmer Krom und die Degar.
Die Menschenrechtsklausel des neuen Abkommens ist natürlich zu begrüßen. Doch auch das bestehende Abkommen enthält eine solche Klausel, aber wir schaffen es nicht, diese auch durchzusetzen. Unser Anliegen – ein, wie ich meine, sehr wichtiges – ist es daher, die Unterzeichnung des neuen Abkommens an Zugeständnisse in den wichtigsten Bereichen zu knüpfen, in denen ein systematischer Verstoß gegen die Menschenrechte erfolgt: Zugang zum Hochland in Mittelvietnam, Freilassung der politischen Gefangenen, Anerkennung der buddhistischen Kirche und des Eigentums der katholischen Kirche. Wenn wir dies vor der Unterzeichnung nicht erreichen, ist es später unmöglich, Achtung des europäischen Rechts und des Völkerrechts einzufordern.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren, Herr Cappato! Wir sollten meiner Meinung nach nicht zwei Dinge verwechseln: Opfer des Imperialismus gewesen zu sein ist eine Sache – heute zu wissen, was die Achtung der Menschenrechte bedeutet, eine ganz andere. Ich jedenfalls würde Opfer biologisch-chemischer Waffen nicht mit religiös Verfolgten vergleichen. All diese Aspekte bilden ein absolut unteilbares Ganzes.
Herrn Tannock – in gewissem Maße aber auch Herrn Cappato – sei erwidert, dass wir den Wert der Vorbehaltsklausel für Menschenrechte nicht unterschätzen sollten. Denken wir nur an die schleppenden Verhandlungen mit anderen Staatengruppen, insbesondere den Golfstaaten. Einige Abkommen konnten erst nach fast 20 Jahren unterzeichnet werden. Denken wir ferner an die Bedeutung dieser Klausel im Umgang mit bestimmten Ländern im Rahmen des Abkommens von Cotonou. Dies zeigt, dass unsere Vertragspartner den Einsatz der Europäischen Union für Menschenrechte hier durchaus ernst nehmen.
Was nun die von Herrn Cappato verlangten weiteren Zugeständnisse anbelangt, möchte ich Folgendes sagen: Gerade die von der Kommission geführten Verhandlungen sind es, die – wie Frau Ferrero-Waldner betonte – zeigen sollen, ob die vietnamesische Regierung in diesen Bereichen Fortschritte erzielt hat. Solche Fortschritte werden im Ganzen zu prüfen sein. Noch einmal sei gesagt: Ich meine, dass wir gerade durch den Dialog Fortschritte in den Beziehungen zu diesen Ländern erzielen können und dass Abkommen und Klauseln dieser Art noch immer unser wirksamstes Mittel zur Verbreitung der Werte sind, an denen uns und Ihnen – Herrn Cappato und anderen Mitgliedern dieses Hauses – so viel gelegen ist.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident! Ich denke, es kann kein Zweifel daran bestehen, dass wir alle bemüht sind, die Frage der Menschenrechte wann und wo immer möglich zu thematisieren. Ich selbst habe das, wie ich bereits sagte, vor wenigen Wochen und auch bei einem Besuch vor zwei Jahren getan. Damals konnte ich sogar die Freilassung einiger politischer Gefangener erwirken. Es besteht also Hoffnung. Wir legen bisweilen auch Listen vor und sagen: „Hier, hier und hier muss etwas getan werden.“
Ich halte diese Aussprache daher für wichtig, weil sie unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Frage der Glaubensgemeinschaften – in diesem Fall der Christen und Katholiken – gerichtet hat. Wir dürfen diesen Bereich nicht aus den Augen lassen. Gleichzeitig sind auch die derzeitigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme Vietnams von Bedeutung. Wenn Hanoi nicht die nötige Umsicht zeigt, könnten ausländische Investitionen – insbesondere aus Europa – ausbleiben. Für uns ist das ein wirksames Druckmittel als Ergänzung zu dem reinen Dialog.
Nur ein Beispiel: Wir werden sicherlich um ein Zeichen der Gnade gegenüber den beiden inhaftierten Journalisten bitten, die unlängst in Hanoi verurteilt wurden, weil sie ihre Meinung frei geäußert hatten. Dieses Thema werden wir ganz bestimmt erneut ansprechen.
Abschließend sei erwähnt, dass für Vietnam demnächst eine umfassende periodische Prüfung der Lage der Menschenrechte in Genf ansteht – auch dies eine ausgezeichnete Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen und in aller Deutlichkeit die nötigen Fragen zu stellen.
Der Präsident. - Die Aussprache ist geschlossen.
Ich habe vier Entschließungsanträge(1) erhalten, die gemäß Regel 108(5) der Geschäftsordnung eingebracht wurden.