Paul van Buitenen, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Zur Geschäftsordnung möchte ich im Namen der Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz eine Bitte äußern in Bezug auf die morgige Aussprache und Abstimmung über die Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), also den Gräßle-Bericht. Es scheint, dass die Kommission überlegt, den derzeitigen Prozess der Überprüfung der Verordnung nach jüngsten Enthüllungen über Unregelmäßigkeiten bei OLAF zu beenden, und folglich möchte sie die vorliegenden Vorschläge im Laufe des Mitentscheidungsverfahrens mit dem Parlament zurückziehen.
Im Namen der Fraktion der Grünen bitte ich Sie, die Kommission zu fragen, ob das der Fall ist und sie vor der morgigen Aussprache eine Erklärung abgeben wird, sodass das Europäische Parlament weiß, ob die Aussprache und die Abstimmung noch einen Sinn haben.
Der Präsident. − Die Frage wurde an die Kommission gerichtet. Frau Ferrero-Waldner wird Gelegenheit haben, sie zu beantworten. Ich begrüße Herrn Jouyet. Wir sind komplett und können mit dem nächsten Punkt unserer Arbeit beginnen.
2. Vorlage von Dokumenten: siehe Protokoll
3. Reaktion der Europäischen Union auf die Verschlechterung der Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo (Aussprache)
Der Präsident. − Der nächste Punkt ist die Erklärung von Rat und Kommission zur Reaktion der Europäischen Union auf die Verschlechterung der Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, liebe Benita, meine Damen und Herren! Ich weiß, wie besorgt Sie – genau wie wir – über die Verschlechterung der Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo sind, und ich erinnere mich, da wir darüber bereits mit Ihnen gesprochen haben, an unsere zunehmende Beunruhigung, als wir die Frage im Oktober in Ihrem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten behandelten.
Die Außenminister der Union haben das Thema ausführlich am 10. November im Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ erörtert, und die Präsidentschaft hat beschlossen, den Punkt erneut auf die Tagesordnung des nächsten Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ am 8. Dezember zu setzen, der in Anwesenheit der durch Louis Michel und Benita Ferrero-Waldner vertretenen Kommission stattfindet.
Es ist festzuhalten, dass sich die Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo seit Ende August erheblich verschlechtert hat, als die CNDP unter dem Rebellenführer Laurent Nkunda eine Offensive gegen die kongolesischen Streitkräfte begann. Letztere konnten dagegen keinen Widerstand leisten, sodass die MONUC, die Friedenstruppe der Vereinten Nationen, allein für den Schutz der Zivilbevölkerung sorgen musste.
Durch ihre Erfolge am Boden gelangten die Rebellen bis vor die Tore von Goma, der Provinzhauptstadt von Nord-Kivu, und konnten ihren Einflussbereich in dieser Grenzprovinz zu Ruanda erheblich ausweiten. Die anhaltende Krise verdeutlicht einmal mehr das Destabilisierungspotenzial, welches die Präsenz all der Rebellengruppen im Osten der Demokratischen Republik Kongo darstellt, nicht nur der CNDP, sondern auch der Hutu-Rebellen der FDLR.
Die Schlappe der kongolesischen Streitkräfte zeigt auch, dass diese komplexe Krise nicht durch eine militärische Lösung beigelegt werden kann und der Weg zu einer nachhaltigen Regelung eine politische Lösung erfordert, die sowohl die lokalen als auch die regionalen Kräfte berücksichtigt. Ich komme gleich noch darauf zurück.
Mitten in der Krise und auf dem Höhepunkt der Offensive der Rebellen von Laurent Nkunda machte die Europäische Union energisch mobil, gefolgt vom Rest der internationalen Gemeinschaft. Wie Sie sich erinnern werden, bestand die dringende Aufgabe darin, zunächst die Einnahme von Goma zu verhindern und dann zu versuchen, den Konflikt zu stabilisieren. Darum begab sich Kommissar Louis Michel in die Region, um sich selbst ein Bild zu machen. Am 1. und 2. November folgte ihm Bernard Kouchner in seiner Funktion als amtierender Präsident des Rates zusammen mit David Miliband.
Die beiden Minister überbrachten in Kinshasa, Kigali und Daressalam jeweils die politische Botschaft, Zurückhaltung zu üben. Die Minister reisten auch nach Goma, um vor Ort zu zeigen, dass wir dieser Krise unsere volle Aufmerksamkeit widmen, um die Bedürfnisse der vertriebenen Menschen zu ermitteln und um Hilfsorganisationen zu besuchen, weil wieder einmal die Zivilbevölkerung das erste Opfer der erneuet aufgeflammten Kämpfe ist.
Die Kampfhandlungen haben zu einer wesentlichen Verschlechterung der humanitären Lage geführt. Schätzungen zufolge sind weitere 250 000 Menschen unter außerordentlich dramatischen Umständen vertrieben worden, womit die Gesamtzahl der Vertriebenen jetzt auf mehr als eine Million Menschen allein in der Provinz Nord-Kivu angewachsen ist. Hinzu kommen schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Rebellengruppen, einschließlich standrechtlicher Hinrichtungen, weit verbreiteter sexueller Gewalt, der Rekrutierung von Kindersoldaten und Plünderungen, und zwar sowohl seitens der Rebellengruppen als auch durch gewisse Teile der kongolesischen Streitkräfte.
Die Wiederaufnahme der Kämpfe hat auch die Umsetzung der im November 2007 zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda geschlossenen Abkommen unterbrochen, die als Nairobi-Prozess bezeichnet werden, der Ihnen bekannt ist und dessen Schwerpunkt der Kampf gegen die ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR bildet, welche sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo aufhalten. Das als Goma-Prozess bekannte Abkommen aus Januar 2008 zwischen der kongolesischen Regierung und den kongolesischen Rebellengruppen, einschließlich der CNDP von Laurent Nkunda, ist ebenfalls ausgesetzt.
Vorrang haben gegenwärtig die humanitäre Nothilfe und das Sichern des Zugangs zu den vertriebenen Menschen. Entsprechend ihrem Mandat spielt die MONUC eine wesentliche Rolle. Derzeit verstärkt sie ihre Maßnahmen in Nord-Kivu weiter, und wir bestärken sie, ihre Bemühungen in dieser Richtung fortzusetzen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat für diese Mission zusätzliche Mittel angefordert, und der Sicherheitsrat hat Gespräche in dieser Angelegenheit aufgenommen, die hoffentlich sehr bald abgeschlossen sein werden.
Angesichts der Notlage hat die Europäische Union ihre humanitären Bemühungen erheblich verstärkt. Viele Mitgliedstaaten und auch die Kommission haben als Nothilfe außergewöhnliche Beiträge geleistet, um die Maßnahmen der Nichtregierungsorganisationen und der Hilfswerke der Vereinten Nationen, wie das Welternährungsprogramm, sowie den Hohen Kommissar für Flüchtlinge zu unterstützen. Zusätzliche Leistungen im Wert von gegenwärtig mehr als 43 Millionen Euro in Form von Beiträgen zur Luftbrücke – ich spreche hier von Ländern wie Großbritannien, Belgien und Italien – machen Europa bei den humanitären Bemühungen in dieser Krise mit Abstand zum Hauptgeber.
Jetzt müssen wir wieder für Dynamik sorgen, um eine nachhaltige Regelung in der Frage der im Osten der Demokratischen Republik Kongo operierenden illegalen bewaffneten Gruppen zu ermöglichen, und zwar aller illegalen bewaffneten Gruppen, seien sie Kongolesen oder Ausländer – denn wir wissen, dass die Krise nicht militärisch gelöst werden kann und jede Lösung die Wiederbelebung des Goma- und des Nairobi-Prozesses erfordert. Diese Prozesse, die ich gerade beschrieben habe, bilden den geeigneten Rahmen für die dauerhafte Stabilisierung der Lage in dieser kongolesischen Provinz.
Die Wiederaufnahme des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda ist dabei ausschlaggebend, und ich begrüße das Vorgehen des Sonderbeauftragten der Europäischen Union für die afrikanische Region der Großen Seen, Roeland van de Geer, in dem Versuch, die Gespräche fortzuführen. Es sind diese Ziele, für die die internationale Gemeinschaft, vor allem die Europäische Union, sich in den letzten Wochen eingesetzt hat.
Diese Bemühungen haben erste Früchte getragen, insbesondere mit der Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Kinshasa und Kigali auf Ministerebene und der Organisation eines internationalen Gipfeltreffens zur Krise im Osten der Demokratischen Republik Kongo, das auf Initiative der Staaten der Region der Großen Seen und der Afrikanischen Union am 7. November in Nairobi stattfand und an dem insbesondere der kongolesische Präsident Joseph Kabila und der ruandische Präsident Paul Kagame teilnahmen.
Zu den wichtigsten Fortschritten dieses Gipfels ist die Verpflichtung der Staaten in der Region zu zählen, bei Bedarf Friedenstruppen in den Osten der Demokratischen Republik Kongo zu entsenden und im Bedarfsfall eine hochrangige Vermittlergruppe, bestehend aus dem früheren nigerianischen Präsidenten Obasanjo und dem früheren tansanischen Präsidenten Mkapa, zu ernennen.
Bei ihrem außerordentlichen Gipfel am 10. November in Johannesburg erklärte die SADC auch ihre Bereitschaft, bei Bedarf eine Friedenstruppe in den Osten der Demokratischen Republik Kongo zu entsenden. Die Europäische Union begrüßt die Verpflichtung der afrikanischen Staaten und ist weiterhin entschlossen, ihre Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union und den Staaten der Region der Großen Seen fortzusetzen, um eine Lösung dieser Krise zu erreichen. Lassen Sie uns aber klar feststellen, dass eine Lösung dieser Krise ohne die Aufstockung der Ressourcen zur Stabilisierung des Friedens, insbesondere jener der Vereinten Nationen, nicht möglich sein wird.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident! Zuerst möchte ich schnell Herrn van Buitenen sagen, dass ich vermerkt habe, was er gesagt hat, und sein Anliegen meinen Kollegen natürlich übermitteln werde, die gewiss morgen antworten werden.
Herr Präsident, verehrte Abgeordnete, verehrter Herr amtierender Ratsvorsitzender, lieber Jean-Pierre! Heute bin ich für meinen Kommissionskollegen Louis Michel eingesprungen, der aus gesundheitlichen Gründen nicht an dieser Sitzung teilnehmen kann und mich gebeten hat, ihn bei Ihnen zu entschuldigen.
Sie wissen, wie sehr Kommissar Michel sich der Region der Großen Seen verbunden fühlt. Wie der Herr Ratsvorsitzende bereits sagte, ist er am 30. und 31. Oktober in der Tat als erster in die Demokratische Republik Kongo und nach Ruanda gereist, auf dem Höhepunkt der Krise, um zu versuchen, die Probleme zu lösen. Aus dieser Mission der Schattendiplomatie entstand die Idee, die Nairobi-Konferenz zu organisieren, deren praktische Ergebnisse heute neue Perspektiven für einen Ausweg aus der Krise eröffnen.
Was die Antwort angeht, die die Kommission geben kann, möchte ich Ihnen eine Analyse der Lage unter zwei Aspekten vorstellen, auch wenn diese den vom Präsidenten des Rates beschriebenen Sichtweisen sehr ähnlich sind.
Zunächst zur humanitären Ebene: Die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Europäischen Union, ist dabei, eine Antwort auf die Krise zu geben. Die Kommission hat unverzüglich 6,3 Millionen Euro bereitgestellt, um den dringendsten Bedarf zu decken. Wir bleiben jedoch sehr wachsam, sodass wir diesen Betrag je nach der Entwicklung der Lage anpassen können; die humanitären Bedürfnisse in Kivu sind, alles in allem, gedeckt und die Koordination zwischen den humanitären Einrichtungen funktioniert wirklich gut.
Die Kommission und die Mitgliedstaaten kündigten am 14. November in Marseille gemeinsam an, zusätzlich insgesamt 43,5 Millionen Euro zur Bewältigung der Krise aufzubringen.
Das größte Problem bleibt aber der Zugang zu der Bevölkerung in bestimmten Gebieten, wo die Kämpfe zwischen den kongolesischen Streitkräften, den mit ihnen verbündeten Mai-Mai-Milizen und der FDLR auf der einen Seite und der CNDP auf der anderen Seite anhalten, weil keine Partei die Waffenruhe einhält.
Zweitens zur politischen und militärischen Ebene: in Ost-Kongo ist eine militärische Lösung nicht möglich. Es gibt nur eine ausgewogene politische Lösung, die auf einem Dialog aufbaut. Das wurde auch von den Ländern der Region auf dem Nairobi-Gipfel am 7. November empfohlen, und vor allem schienen auch die CNDP-Rebellen und ein großer Teil des politischen Establishments in Kinshasa, beispielsweise die Nationalversammlung, darauf zu hoffen.
Die Kommission ist deshalb mit den Schlussfolgerungen des Gipfeltreffens der Staatsoberhäupter der Länder in der Region der Großen Seen sehr zufrieden, insbesondere mit der Entscheidung, die afrikanische Diplomatie auf hoher Ebene in die Lösung der Krise einzubeziehen und einen Überprüfungsmechanismus einzuführen, damit die Staatsoberhäupter in der Region die Entwicklungen genau verfolgen und rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen veranlassen können.
In dieser Hinsicht ist der Besuch, den Herr Obasanjo der Region gerade abgestattet hat, sehr ermutigend. Der Besuch hat uns hinsichtlich der Möglichkeiten einer militärischen Intervention bestimmter Staaten in der Region beruhigt und hat zu Garantien von Präsident Kabila geführt, dass Kinshasa bereit wäre, die CNDP-Forderungen anzuhören und den Weg des Dialogs einzuschlagen. Während des Besuchs wurden auch die Klagen der CNDP angehört, und General Nkunda hat seine Bereitschaft bestätigt, eine Waffenruhe einzuhalten und alles zu unternehmen, um humanitäre Hilfslieferungen in den Gebieten unter seiner Kontrolle zu erleichtern.
Deshalb ist es äußerst wichtig, die momentane politische Dynamik zu erhalten und alles zu tun, um sicherzustellen, dass die Erklärungen der verschiedenen Parteien in die Praxis umgesetzt werden. Außerdem ist es höchste Zeit, die eigentlichen Ursachen der Krise im Osten des Landes anzugehen, die allen bekannt sind: die Anwesenheit der FDLR, die organisierte Plünderung der Erzvorkommen, die politische Frustration von Bevölkerungsgruppen und Minderheiten. Es gilt, Ideen zu entwickeln, um eine Annäherung zu erreichen.
Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass die gesamte internationale Gemeinschaft die diplomatischen Bemühungen im Zuge des Nairobi-Gipfels unterstützt und dass die internationalen Bemühungen koordiniert werden, damit den Präsidenten Obasanjo und Mkapa genügend Raum für die Fortsetzung der Gespräche bleibt.
Es ist überdies wichtig, die Rolle der MONUC hervorzuheben. Nicht die MONUC ist für alle Formen von Machtmissbrauch verantwortlich. Tatsächlich leistet die MONUC wichtige Arbeit, obwohl sie nur kümmerliche Mittel erhält und trotz der Beschränkungen ihrer Funktionen. Außerdem erfüllt sie einen Auftrag, der schwer zu ersetzen wäre, nämlich den Frieden zu sichern statt Krieg zu führen.
Umso wichtiger ist daher die Unterstützung der gegenwärtigen Bemühungen um eine Stärkung ihres Mandats, gerade jetzt, da der Sicherheitsrat sich in den kommenden Tagen mit dieser Frage befassen wird. Nach unserer Auffassung muss das Mandat ausgeweitet werden und zum Beispiel eine Kontrolle der Plünderung der Bodenschätze umfassen. Insbesondere müssen, wie der Präsident des Rates bereits sagte, die dafür zur Verfügung stehenden Mittel aufgestockt werden.
Jürgen Schröder, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Derzeit stehen wir vor einer Finanzkrise, die in die Geschichtsbücher eingehen wird. Dennoch war es innerhalb nur weniger Wochen möglich, ein G20-Treffen zu arrangieren, das konkrete Ergebnisse geliefert hat, insbesondere den beachtlichen Beschluss, 2 % des BIP zur Wiederbelebung der Wirtschaft und zur Unterstützung des Finanzsektors einzusetzen.
Auf der anderen Seite haben wir es nicht geschafft, unsere Verpflichtung zu erfüllen, 0,7 % des BIP für die Entwicklung aufzuwenden. Hätten wir dies getan, wäre die Demokratische Republik Kongo in ihrer Entwicklung sicherlich weiter, und vielleicht wäre dieser ganze Konflikt überhaupt nicht eingetreten. Aber nehmen wir die Dinge, wie sie sind. Wir haben jetzt keine Zeit, über die Entwicklung von Kivu zu diskutieren: Wir stehen dort vor einer humanitären Krise. In den vergangenen Wochen sind weitere 250 000 Menschen vertrieben worden. Menschen sterben als direkte oder indirekte Folge der Kämpfe, und Krankheiten wie Cholera breiten sich rapide aus.
Seit 2005 akzeptiert die UNO das Konzept der Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung. Die UNO hat die MONUC-Truppen zur Friedenssicherung in die Demokratische Republik Kongo entsandt. Mit 17 000 Soldaten stellt die MONUC die weltweit größte friedenssichernde Mission mit einem robusten Mandat nach Kapitel VII dar. Aber was kann die MONUC ausrichten? Die Qualität der Soldaten und der Ausrüstung ist sehr schlecht, und die Demokratische Republik Kongo ist ein riesiges Land. Ich befürworte daher entschieden den Appell, die MONUC aufzustocken, doch realistisch betrachtet wird es Monate dauern, bis die Verstärkung vor Ort sein kann – kostbare Monate, in denen weiter Menschen sterben werden. Aus diesem Grund schlage ich die Entsendung einer kurzfristigen europäischen Truppe vor, die die Region schnell stabilisiert, bis die Verstärkung der MONUC bereitsteht und vor Ort im Einsatz ist.
Alain Hutchinson, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr amtierender Ratsvorsitzender, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen mitten in diesen friedlichen Aussprachen, in dieser sehr angenehmen Atmosphäre, ein Bild vom Ort des Geschehens zeichnen, denn ich bin in den letzten Monaten dreimal dort gewesen.
Während wir hier reden, herrschen dort Gewalt, Vergewaltigung und Tod. Für viele Bürger, die in dieser schrecklichen Gegend der Welt leben, ist das heute Alltag. Für mich bedeutet dies, dass keine Zeit mehr für schöne Reden ist, sondern dass jetzt gehandelt werden muss. Dieser schmutzige Krieg ist meiner Meinung nach in Wirklichkeit kein ethnischer Krieg, wie einige schon sagen; ethnische Kriege können immer geschaffen werden, weil es uns passt, uns Europäern, denn wenn man von ethnischem Krieg spricht, heißt das, dass die Afrikaner sich untereinander bekämpfen und das nicht unser Problem ist. Nein, der Krieg, der sich dort abspielt, hat seinen Ursprung unten in den Bergwerken – den Diamantminen, Coltanminen und Goldminen –, die ungeachtet der Massaker, weiter ungerührt und effizient betrieben werden. Die Bodenschätze werden dann vor der Nase der UN-Truppen exportiert, entweder vom Flughafen Goma aus oder über die Straße nach Kigali, und verhelfen so einigen Leuten weiterhin zu großem Reichtum. Das ist der Krieg.
Wenn man diesen Krieg beenden will, muss man sich zuerst dieser Sache zuwenden. Wie können diese Bergwerke geschlossen werden und welche Maßnahmen sind erforderlich, um diesen skandalösen Handel zu unterbinden? Wir könnten auf solche Verfahren wie den Kimberley-Prozess zurückgreifen, der für Diamanten eingeführt wurde. Ich nehme an, dass einige Kollegen hier dazu noch etwas sagen werden.
Alles in allem sind in den letzten zehn Jahren mehr als 5 Millionen Kongolesen in dieser Region gewaltsam zu Tode gekommen – das ist eine Zahl, die von einigen bezweifelt wird, aber ich versichere Ihnen, dass sie leicht zu überprüfen ist. Sie wurden entweder direkte Opfer des Krieges oder Opfer von Kollateralschäden, beispielsweise von Krankheiten usw., die sie infolge des Krieges erlitten haben. Es stellt sich also jetzt die Frage, wem dieser Krieg nützt und wer an seiner Fortsetzung interessiert ist. Ich denke, das ist ein erster wichtiger Punkt.
Was die Europäische Union betrifft, so sind meine Fraktion und ich der Meinung, dass drei Dinge wichtig sind. Erstens müssen wir wirklich die Friedensbemühungen unterstützen, die unternommen werden – und zwar nicht erst seit den letzten Wochen. Sie laufen schon seit längerer Zeit. Wir haben Abbé Malu Malu für den Sacharow-Preis vorgeschlagen, weil er sich schon seit sehr langer Zeit für die Suche nach friedlichen Lösungen in dieser Region engagiert. In Goma brachte er nicht nur die CNDP zusammen – denn die CNDP kam, ging, kam zurück und ging wieder –, sondern alle Rebellenbewegungen und die Regierung der Demokratischen Republik Kongo. Ich glaube, dass das wichtig war. Es gibt den Nairobi-Prozess und den Gipfel von Nairobi, der vor kurzem stattfand und auf den die Frau Kommissarin angespielt hat.
Nach meiner Meinung ist es natürlich erforderlich, diese Bemühungen zu unterstützen und unseren Kommissar Louis Michel zu unterstützen, der – und das sage ich als Sozialist, während er ein Liberaler ist – aber auf diesem Gebiet enorme Anstrengungen unternimmt.
Zweitens müssen wir um jeden Preis die Bevölkerung verteidigen. Man sagt uns, die MONUC sei nicht da, um Krieg zu führen, sondern sie sei da, um den Frieden zu sichern. Ja, vielleicht, aber die MONUC hat ein Mandat nach Kapitel VII. Es ist nicht wie damals, 1994, in Kigali, wo man nichts tun konnte, wo man den Massakern ohnmächtig zuschauen musste. Jetzt gibt es ein Kapitel VII, und die Mission der MONUC besteht in der Verteidigung der Zivilbevölkerung. Allerdings wird diese Zivilbevölkerung dort ermordet, und die MONUC rührt sich nicht. Vor kurzem hat es in einem Dorf, dessen Name mir gerade nicht einfällt, ein richtiges Massaker in Kiwanja gegeben, am Rande eines Lagers der MONUC.
Die MONUC muss daher durch europäische Truppen verstärkt werden, das ist die Auffassung meiner Fraktion. Wir werden auf jeden Fall einen entsprechenden Änderungsantrag einreichen.
Schließlich glaube ich, und ich werde das ganz schnell noch zum Abschluss sagen, dass wir uns natürlich um die Entscheidungen kümmern müssen, die notwendig sind, um die Ausbeutung und den Handel mit Bodenschätzen zu stoppen, die im wesentlichen für all die Massaker verantwortlich sind, welche dort verübt werden.
Thierry Cornillet, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Auf dieser Region der Welt liegt wirklich eine Art Fluch und seit Anfang der 1990er-Jahre hat es, wie Alain Hutchinson ganz richtig gesagt hat, fast fünf Millionen Tote gegeben.
Dieses Gebiet ist so etwas wie eine Todeskammer – mit Massentötungen in Nord-Kivu, in Uganda, Ruanda, Burundi – es hört nicht auf und fängt jedes Jahr von neuem an. Ich weiß, dass die gleichen Ursachen immer die gleichen Auswirkungen haben; es gibt ethnische Konflikte, weil die von uns gezogenen Grenzen oft künstliche Grenzen waren. Es gibt eine Form von übertriebenem Nationalismus: Jeder möchte ein kleiner Napoleon III sein und ein mexikanisches Abenteuer erleben und vergisst dabei die Probleme seines Landes. Natürlich gibt es das Streben nach Geld – Alain hat darauf hingewiesen – und die oft unermesslichen Reichtümer dieser Gegend. Und es gibt auch den Wahnsinn, denn wie anders soll man die Aktionen der „Widerstandsarmee des Herrn“ bezeichnen?
Was können wir also tun? Oh, ich möchte auch auf die Tätigkeit von Kommissar Louis Michel verweisen, der sich schon sehr lange für diese Frage interessiert. Wir haben seinen Einsatz bei den Treffen in Kigali und in Kinshasa erlebt, die dann zu Nairobi geführt haben. Außerdem gibt es die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC), und es gibt Obasanjo. Es wird erneut große diplomatische Gipfeltreffen geben. Aber ist das ein Grund, sich allein auf die Diplomatie zu verlassen? Wir stehen vor einer sehr ernsten humanitären Lage.
In meiner Eigenschaft als Berichterstatter Ihres Parlaments für humanitäre Hilfe hatte ich Anfang November die Gelegenheit, nach Kinshasa zu reisen und den neuen Minister für soziale Angelegenheiten und humanitäre Maßnahmen, Botswali Lengomo, zu treffen. Außerdem habe ich mich mit Apollinaire Malu Malu getroffen, dem wir gern den Sacharow-Preis verliehen hätten und der für den Prozess von Amani verantwortlich ist. Wir dürfen vor allem nicht die riesigen humanitären Anstrengungen vergessen, die wir unternehmen müssen.
Was tun wir also wirklich? Sind wir sicher, dass wir alles tun, was erforderlich ist? Was tut die MONUC? Sie scheint völlig Recht zu haben. Eine Stärke von 17 000 Mann, davon 6 000 an Ort und Stelle, das entspricht einer bewaffneten Division mit Panzern. Wer glaubt denn, dass das nicht ausreicht, um Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, auch wenn mir genau wie Ihnen bewusst ist, wie groß die zu schützenden Gebiete sind?
Also ist die Lösung natürlich eine diplomatische Lösung. Wir müssen eine afrikanische Lösung unterstützen, vorausgesetzt, wir sind in der Lage, diese umzusetzen. Damit die humanitäre Hilfe ihr Ziel erreicht, muss natürlich sichergestellt sein, dass die Waffenruhe von Dauer ist. Ohne diese Vorbedingung kann die humanitäre Hilfe nicht ankommen. Außerdem muss die Einnahmequelle abgeschnitten werden. Natürlich müssen die Bergwerke geschlossen werden, aber vielleicht müssen wir auch anfangen, westliche Unternehmen zu kritisieren, die das Coltan und die anderen Bodenschätze kaufen und damit wiederum den Kauf von Waffen ermöglichen. Selbstverständlich müssen wir die Friedensbemühungen umfassend unterstützen und dabei ein anhaltendes und nicht nur ein bisweilen vages politisches Interesse zeigen.
Abschließend fordere ich eine deutlich stärkere militärische Präsenz, um den Frieden zu stabilisieren – etwas, das nur die Vereinten Nationen leisten können. Nach meinem Verständnis war die Europäische Union manchmal in der Lage, die Vereinten Nationen davon zu überzeugen, ihre Pflicht zu erfüllen.
Seán Ó Neachtain, im Namen der UEN-Fraktion. – (GA) Herr Präsident! In der östlichen Region der Demokratischen Republik Kongo verschlechtert sich die aktuelle Lage von Tag zu Tag, worüber die internationale Gemeinschaft sehr besorgt ist. In der Provinz Kivu wurden mehr als 1,5 Millionen Menschen vertrieben, und das verdeutlicht, wie groß das Problem ist.
Ich unterstütze die Bemühungen des Sonderbeauftragten der Europäischen Union für die afrikanische Region der Großen Seen, Roeland van de Geer, und des ehemaligen Präsidenten Nigerias, Olusegun Obasanjo, die an intensiven Gesprächen mit den politischen und militärischen Gruppen beteiligt waren, welche Gewalttaten ausüben.
Ich fordere die Afrikanische Union auf, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um für Frieden in der Region der Großen Seen zu sorgen.
Die Regierungen von Ruanda und Nairobi haben im November 2007 eine Friedensregelung unterzeichnet, um die Feindseligkeit zwischen den beiden Ländern zu beenden. Die Umsetzung dieser Regelung muss sichergestellt werden, doch zuerst muss die Gewalt beendet werden.
Die Region der Großen Seen erhält von der Europäischen Union mehr Geld als von jeder anderen Organisation und jedem anderen Land der Welt. Ich fordere den europäischen Kommissar für Entwicklung, Louis Michel, und den Rat auf, den Versuch zu unternehmen, die Kämpfe zu beenden und Frieden herzustellen.
Frithjof Schmidt, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (DE) Herr Präsident! Die grausamen Kämpfe im Ostkongo sind nicht einfach ein Bürgerkrieg, es ist auch ein regionaler Konflikt, an dem viele Nachbarländer beteiligt sind. Es geht hier auch um strategische Rohstoffe wie Koltan, das wir für die Produktion unserer Mobiltelefone, DVD-Player und Computer brauchen. Es geht auch um Gold, Diamanten, Kobalt und Edelholz. Hier liegen die tieferen Ursachen für diesen Konflikt. Was kann und was muss getan werden? Die Vereinten Nationen müssen gestärkt werden, damit sie ihrer Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung vor allen bewaffneten Truppen, vor allen Truppen, die dort agieren, nachkommen können. MONUC braucht ein klareres Mandat, mehr Ausrüstung und mehr Einsatzkräfte. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben die Bitten zur Aufstockung von MONUC in den letzten Jahren immer abgewiesen. Dann hat man danach die Versäumnisse und Fehler von MONUC heftig kritisiert. Dieser Doppelstandard muss aufhören. Wir brauchen jetzt kein eigenes EU-Militärkontingent, wir brauchen die aktive Aufstockung von MONUC, und ich habe mit Interesse und Zustimmung gehört, dass das auch die Richtung ist, die Rat und Kommission gehen wollen.
Der zweite wichtige Punkt: Der Abbau von und der Handel mit Rohstoffen aus dem Kongo müssen international streng überwacht werden. Die internationalen Konzerne, die an diesem Handel beteiligt sind, die vom Abbau der Rohstoffe im Kongo profitieren, müssen kontrolliert und zur Transparenz verpflichtet werden. Es gibt ja bereits ein offizielles UN-Expertengremium zur illegalen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Kongo. Dieses Expertengremium hat eine Reihe von Empfehlungen vorgelegt, unter anderem Sanktionen gegen Personen und Unternehmen, die an dieser illegalen Ausbeutung beteiligt sind. Die Europäische Union muss sich für die Durchsetzung dieser UN-Empfehlung stark machen, und zwar gerade auch – und hier gibt es Handlungsmöglichkeiten – was die Importe in die Europäische Union betrifft, denn hier können wir selbständig handeln, und hier können wir diese UN-Empfehlungen aktiv durchsetzen.
Der dritte Punkt ist: Die Initiative für eine internationale Konferenz zu den Großen Seen muss vorangebracht werden. Nur die politische Kooperation und die ökonomische Integration der Region können sie auf Dauer befrieden. Europa kann und muss hier eine Schlüsselrolle spielen.
Tobias Pflüger, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (DE) Herr Präsident! In diesem Krieg ist vor Ort auch eine ganze Reihe von Nachbarstaaten involviert, und es sind vor allem auch Regierungstruppen Kongos direkt beteiligt, zusammen mit Milizen, mit Truppen aus Angola auf der einen Seite, auf der anderen Seite mit Nkunda, Tutsi-Militär und ruandischer Unterstützung. Es ist ein regionaler Krieg, es geht nicht nur um den Ostkongo.
Ein zentraler Punkt ist offensichtlich, dass die Regierung des Kongo bisher nicht bereit ist, direkt mit den Rebellen zu verhandeln. Das wäre ein Punkt, wo Druck gemacht werden muss. Es wäre sehr wichtig, die tatsächlichen Hintergründe dieses Konflikts zu betrachten. Selbst der deutsche Bundespräsident hat darauf hingewiesen: Es geht um Rohstoffe in diesem Konflikt. Erdöl, Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt, Koltan, Zink, Zinn usw. spielen hier eine ganz wesentliche Rolle.
Es geht vor allem auch darum, wer eigentlich die entsprechenden Abbaulizenzen innehat. Man muss tatsächlich gegen diese Unternehmen vorgehen. Ich will einfach mal einen dieser Namen nennen: Die Gesellschaft für Elektrometallurgie mit Sitz in Nürnberg ist offensichtlich direkt Besitzerin einer dieser zentralen Minen, um die es bei diesem Konflikt auch geht.
Ich möchte zur Rolle von MONUC etwas sagen, weil hier allgemein gefordert wird, MONUC soll aufgestockt werden. Nach dem, was ich lese, ist es so, dass MONUC eher Teil des Problems als Teil der Lösung ist, weil MONUC selber beschreibt, dass sie inzwischen an vier Fronten kämpft. Die Rolle von MONUC sollte eigentlich eine andere sein. Wir wissen inzwischen, dass indische oder pakistanische Soldaten der MONUC nach Angaben von Human Rights Watch mit irregulären Milizen direkt Waffenhandel betreiben und offensichtlich in diese Rohstoffkämpfe mit involviert sind. Das darf nicht sein! Die Rolle von MONUC muss eine völlig andere und neutrale sein. Insofern ist allein die Forderung nach einer Aufstockung nicht allzu hilfreich.
Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, dass der Kongo hier zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal eine wichtige Rolle spielte, als es um einen anderen Einsatz der Europäischen Union ging. Da ging es um Absicherung von Wahlen, und man hat damals Herrn Kabila installiert, dessen Truppen jetzt ein wesentlicher Eskalationsfaktor sind. Insofern sollte man sich genau anschauen, was die Rolle der Europäischen Union bei der Installierung von Herrn Kabila gewesen ist. Ich halte das für sehr problematisch, was hier von Seiten der EU gemacht wurde. Es muss deutlich gesagt werden: Herr Kabila und seine Truppen müssen hier ebenfalls deutlich kritisiert werden.
Sehr lesenswert war der Bericht des FAZ-Korrespondenten vor Ort, der festgenommen wurde. Er hat die Konfliktkonstellation sehr schön beschrieben. Da zeigt sich dieses Zusammenspiel offizieller und inoffizieller Truppen, d. h. eine Forderung nach Aufstockung von MONUC allein hat keinen Sinn, denn es geht tatsächlich darum, an die Ursachen dieses Konflikts heranzugehen.
Bastiaan Belder, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Ich hatte gestern Abend Gelegenheit, direkt mit einem erfahrenen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation über den Krieg im östlichen Kongo zu sprechen. Er kennt die Krise in Nord-Kivu wie auch in Süd-Kivu wie seine Westentasche. Ohne das in der Region herrschende Elend beschönigen zu wollen, bietet uns sein Bericht doch ein paar hoffnungsvolle Lichtblicke. Ein solcher Lichtblick ist sicherlich, dass die kongolesische Präsidentengarde vor über einer Woche in Zusammenarbeit mit der Polizei plündernde Regierungssoldaten verhaftet hat. Das ist ein Zeichnen der Hoffnung, dass die kongolesische Regierung anfängt, für Recht und Ordnung zu sorgen, und es ist eine Entwicklung, die unsere europäische Ermutigung und Unterstützung wirklich verdient.
Ein anderer Lichtblick ist, dass es dem Rebellenführer Laurent Nkunda bisher offenbar nicht gelungen ist, die Tutsi in Süd-Kivu für seine Machtansprüche zu mobilisieren und zu rekrutieren. Mein Gesprächspartner betrachtet das als positiven Ausdruck einer Identifizierung der Tutsi mit dem kongolesischen Staat und der Zivilbevölkerung.
Ein dritter Lichtblick sind die religiösen Versöhnungsinitiativen auf lokaler Ebene und Provinzebene. An diesen Plattformen sind die gewählten Instanzen ebenso aktiv beteiligt wie die traditionellen Autoritäten und die Stammesvertreter. Diese Plattformen in Nord- und Süd-Kivu verdienen doppelte europäische Unterstützung: finanzielle Hilfe und professionelle Unterstützung bei der Konfliktlösung. Für die Effektivität der humanitären Hilfe in beiden Kivu-Regionen ist es von entscheidender Bedeutung, dass die lokalen Instanzen einbezogen werden, also beide Gruppen lokaler Führer, traditionelle Stammesvertreter und die gewählten Instanzen.
Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen betont mein Gesprächspartner, dass die vorhandenen Machtstrukturen trotz aller kriegerischen Konflikte intakt bleiben, selbst wenn Menschen auf der Flucht sind. Daher auch sein dringender Appell, die Scharen von Flüchtlingen in den Dörfern in Nord- und Süd-Kivu und auch die Dorfbewohner selbst mit Geld zu versorgen. Schließlich stellt mein sachkundiger Informant fest: „Wenn man Geld hat, kann man sich Nahrungsmittel besorgen. Irgendwo ist erstaunlicherweise immer Markttag. Im Kongo ist es problemlos möglich, mit Geldzuwendungen zu arbeiten. Es macht die Menschen nicht abhängig, weil sie selbst entscheiden können, wofür sie das Geld ausgeben. Man fördert die lokale Wirtschaft und nutzt sie unmittelbar. Damit dies reibungslos abläuft, sprechen wir mit den gewählten Dorfkomitees, die dann sagen, wer am nötigsten Hilfe braucht.“
Nach einem solchen Gespräch und mit so einem herzerfreuenden, auf Versöhnung ausgerichteten Einsatz Europas muss es eine Zukunft für Nord- und Süd-Kivu, ja für den ganzen Kongo geben. Ich möchte daher den Rat, die Kommission, das Europäische Parlament und die europäischen Institutionen von ganzem Herzen dazu aufrufen, das Notwendige zu tun.
Koenraad Dillen (NI). – (NL) Herr Präsident! Es nützt wenig, heute darüber zu sprechen, wie schlimm wir die Tragödie finden, die sich im Ostkongo abspielt. Wir sollten die Dinge beim Namen nennen und natürlich die Frage stellen, ob Europa und insbesondere Länder wie Frankreich und Belgien, die in der Region einen besonders schlechten Ruf haben, militärisch eingreifen sollten. Für mich lautet die Antwort nein. Denn was stellen wir fest? Im Kongo hat Europa wieder einmal unter Beweis gestellt, wie uneinig und schwach es ist und wie illusorisch der Gedanke ist, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wäre zu diesem Zeitpunkt möglich. Erinnern wir uns daran, dass Paris, also die derzeitige Ratspräsidentschaft, gerade den Protokollchef des ruandischen Präsidenten Kagame wegen der versuchten Ermordung von Präsident Habyarimana im Jahr 1994 in Deutschland hat verhaften lassen. Er gilt als an dem Konflikt beteiligte Partei. Auch mein eigenes Land, Belgien, ist unaufrichtig, denn erst gestern hat der belgische Außenminister Karel De Gucht massive Kritik an der Politik des europäischen Kommissars für Entwicklung und humanitäre Hilfe, Louis Michel, geäußert, und zwar genau wegen dessen Kongo-Politik. Ich zitiere Karel De Gucht: „Wenn die aktuelle Lage im Kongo das Ergebnis von Michels Politik ist, dann will das etwas heißen. Die Lage war noch nie so Besorgnis erregend wie jetzt.“
Liebe Kollegen, diese Worte kommen aus dem Mund eines politischen Verbündeten des Kommissars. Bei einer solchen Kakophonie können wir nur zu dem Schluss kommen, dass der Schutz der Zivilbevölkerung in erster Linie Aufgabe der Afrikanischen Union sein sollte, die darin unterstützt werden muss, sowie der UN-Mission im Kongo. Europa täte also gut daran, keine eigenen Truppen in die Region zu entsenden.
Colm Burke (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich teile die Gefühle meiner Kollegen und möchte ebenfalls meine tiefe Besorgnis über die erneuten Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und wieder erstarkenden Milizen in Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo zum Ausdruck bringen. Die Zunahme der Gewalttätigkeiten in Nord-Kivu hat die UN-Friedensmission in diesem Land (MONUC) deutlich überfordert.
Angesichts von mehr als 1,5 Millionen Binnenvertriebenen in der Provinz Kivu ist die humanitäre Lage besonders ernst. Das Welternährungsprogramm und andere Nichtregierungsorganisationen sind durch die Gewalt massiv in ihrer Arbeit behindert, und es kommt verbreitet zu Diebstahl, Vergewaltigungen und zur Ermordung von Zivilpersonen, und zwar sowohl durch Regierungs- als auch durch Rebellentruppen.
Die MONUC hat ein Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta, um die Zivilbevölkerung zu schützen, die unmittelbar durch physische Gewalt bedroht ist, ihr fehlen aber die zur Erfüllung dieses Mandats erforderlichen Mittel und Truppenstärken. Die internationale Gemeinschaft und der UN-Sicherheitsrat müssen die MONUC dadurch stärken, dass sie entsprechendes Material und Personal zur Verfügung stellen, damit sie ihre Mission erfüllen kann. Da die Europäische Union entschieden hat, keine Schritte zu einer erneuten ESVP-Mission zu unternehmen, um dieser weiteren Eskalation der Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo zu begegnen, möchte ich die Europäische Union dringend bitten, ihre Zusammenarbeit mit der MONUC so weit wie irgend möglich zu verstärken.
Die aktuelle, von Frankreich abgefasste Resolution des UN-Sicherheitsrats schlägt vor, die genehmigte militärische Stärke der MONUC vorübergehend um bis zu 2 785 Mann zu erhöhen. Damit würde die Zahl der im Rahmen der MONUC – der schon jetzt weltweit größten UN-Friedenstruppe – zulässigen Soldaten und Polizisten auf etwas mehr als 20 000 ansteigen, um ein Land abzudecken, was ungefähr so groß ist wie Westeuropa.
Ich bitte den UN-Sicherheitsrat eindringlich, angesichts der drängenden aktuellen Ereignisse in der Demokratischen Republik Kongo sobald wie möglich über diese Resolution abzustimmen. Ich bin empört über die in der östlichen Provinz der Demokratischen Republik Kongo verübten Massaker, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sexuellen Gewaltakte gegen Frauen und Mädchen, und ich fordere alle zuständigen nationalen und internationalen Instanzen auf, die Täter zu verfolgen und vor Gericht zu stellen.
Ana Maria Gomes (PSE). – (PT) Die neuerlichen Gräuel in den Kivu-Provinzen und die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft, diese zu beenden, sind ebenso schockierend wie die Gier der ruandischen und kongolesischen Führer, die diese Situation des organisierten Chaos aufrechterhalten, um die infame Plünderung der natürlichen Ressourcen der Region zu verbergen.
Was kann die Europäische Union tun? Was kann sie für ein Land tun, in dem es verschiedene Missionen der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) gegeben hat und noch gibt und in dem die ersten demokratischen Wahlen ohne Unterstützung Europas nicht stattgefunden hätten? Was kann sie für ein Land tun, das Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe in Millionenhöhe erhält? Was kann sie für ein Land von beispielloser strategischer Bedeutung tun, in dem in den letzten Jahren fünf Millionen Menschen Opfer barbarischster Gewalttaten geworden sind?
Die Europäische Union muss weit über das Minimum hinausgehen, das sie seit Beginn dieser jüngsten militärischen Eskalation beschlossen hat. Es reicht nicht aus, nur die humanitäre Hilfe zu erhöhen und diplomatische Initiativen in die Wege zu leiten, bei denen zum x-ten Mal Abrüstungsversprechen und Erklärungen in gutem Glauben wiederholt werden.
Die Europäische Union muss dringend die MONUC (Mission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo) stärken, damit diese ihre verlorene Glaubwürdigkeit und Effektivität zurückgewinnen kann. Die Vorlage von Resolutionen im Sicherheitsrat reicht dafür nicht aus. Die Europäische Union muss sich unverzüglich mit der DPKO (Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze) der Vereinten Nationen abstimmen und Ausrüstung sowie bei Bedarf Soldaten bereitstellen und so dazu beitragen, dass die Lücken bei der MONUC geschlossen werden.
Sofern das Verfahren in New York und die Lage vor Ort dies rechtfertigen, kann und darf die EU als letztes Mittel die Entsendung einer militärischen Mission im Rahmen der ESVP nicht ausschließen. Es ist unsere Aufgabe, das zu schützen, was auf dem Spiel steht, nämlich das Leben der schutzlosen Zivilbevölkerung, die sofortigen internationalen Schutz braucht.
Nie wieder! Wir müssen uns ernsthaft bemühen und dafür sorgen, dass der Völkermord in Ruanda und die Massaker im Kongo sich nicht wiederholen.
Luca Romagnoli (NI). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kollegen! Die Erklärungen des Rates und der Kommission zur Reaktion der EU auf die schwere Krise im Kongo sind wie üblich heuchlerisch und wirkungslos. Hinter Laurent Nkunda stehen Ruanda und Uganda, Länder, die schon immer an der Region interessiert waren, und zwar so sehr, dass sie in der jüngsten Vergangenheit mehrmals versucht haben, dort einzufallen: die Bodenschätze und die Ressourcen im Osten der Demokratischen Republik Kongo sind zu bedeutend, um sie anderen zu überlassen.
Von Januar bis heute wurden dreimal so viele Waffen gekauft wie 2007, und soweit es den ruandischen Sektor betrifft, waren diese zum Teil für den Rebellen Laurent Nkunda bestimmt. Die Folgen sehen wir heute. Das Interesse Washingtons konzentriert sich jedoch seit Jahren auf die Region der Großen Seen, und es werden insbesondere Uganda und Ruanda unterstützt. Die größte Botschaft der USA in Afrika befindet sich zum Beispiel in Kampala. In Uganda oder Ruanda geschieht nichts ohne die Zustimmung der Vereinigten Staaten.
Nun sendet diese schnelle Kehrtwendung der Europäischen Union hinsichtlich einer möglichen Entsendung einer Friedenstruppe in die Region das völlig falsche Signal, wie üblich, denn wir konzentrieren uns bevorzugt auf die Diplomatie, als ob Diplomatie ausreichen würde, um einen üblen Kunden wie Laurent Nkunda zum Rückzug zu bewegen. Wie üblich kommt bei unseren Diskussionen nichts heraus, und dann hören wir Kommissar Louis Michel quasi eine Lobrede auf Laurent Nkunda halten. Besten Dank dafür!
Geoffrey Van Orden (PPE-DE). – Herr Präsident! Uns allen ist die Komplexität der derzeitigen entsetzlichen Lage im östlichen Kongo bewusst, die ethnisch begründet ist und deren Ursprünge in Ruanda, Burundi und Uganda liegen.
Es muss dringend ein wirksamer Vermittlungsprozess zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo in Gang gesetzt werden. Ein Waffenstillstand muss erreicht und wirklich durchgesetzt werden, und die Zivilbevölkerung braucht offensichtlich dringend Schutz und humanitäre Hilfe.
Ich erinnere mich an die Erklärung des Ständigen Vertreters der Afrikanischen Union in Brüssel, der kürzlich im Unterausschuss des Parlaments für Sicherheit und Verteidigung deutlich machte, dass er es lieber sehen würde, wenn sich Afrikaner um Sicherheitsfragen auf ihrem Kontinent kümmern würden. Daher freut es mich, dass die EU nicht versucht hat, die Kongo-Tragödie einfach als Gelegenheit zu nutzen, eine weitere so genannte EU-Militäroperation mit ihrem Etikett zu versehen. Es ist in erster Linie Sache der Afrikaner, die Verantwortung für die Lösung der derzeitigen Situation zu übernehmen, doch wir müssen ihnen dabei über die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen jede mögliche Unterstützung gewähren.
Inzwischen scheint es gewisse Unklarheiten hinsichtlich des Mandats, der einsatzrechtlichen Regeln und der Gewaltanwendung durch die MONUC zu geben. Kürzlich ist der Kommandeur der MONUC, Generalleutnant Vicente Díaz de Villegas, nach sieben Wochen im Amt zurückgetreten. Er nannte zwar persönliche Gründe, aber ich frage mich, ob es nicht aus beruflicher Frustration war.
Es ist andererseits ermutigend, dass am 6. November eine tausend Mann starke südafrikanische Truppe im Rahmen der MONUC in der Nähe von Goma stationiert wurde. Wie der Leiter der MONUC sagt, haben sie den Befehl, wenn nötig das Feuer zu eröffnen. Die MONUC muss zum Schutz der Zivilbevölkerung vor unmittelbar drohender Gewalt handeln können. Die im östlichen Kongo eingesetzten kampffähigen UN- und AU-Truppen müssen natürlich zahlenmäßig deutlich aufgestockt werden, und es muss klar sein, woher die Kräfte kommen sollen – viele Länder könnten dazu beitragen, tun es momentan aber nicht.
Wenn der Westen nicht alles unternimmt, um die Operationen im Kongo zu unterstützen, gibt es andere weniger wohlwollende Akteure, die schon hinter den Kulissen warten.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Jouyet! Ich bin Mitglied der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU, und bei der letzten Sitzung in Kigali in Ruanda hörte ich Präsident Paul Kagame zu, der von der Notwendigkeit sprach, die Lage in Zentralafrika zu stabilisieren. Er sagte, man wolle den Frieden, aber während meines Aufenthalts in Kigali besuchte ich das Holocaust-Museum zum Gedenken an den Tod von einer Million Tutsi, die in nur drei Monaten – hundert Tagen – ermordet wurden. Das war 1994.
Werden wir jetzt eine Wiederholung der damaligen Ereignisse erleben? Wir dürfen das nicht zulassen. Das halte ich für unsere Pflicht. Ich glaube, dass die Europäische Union mehr tun muss. Ich weiß nicht, ob in der Situation die Entsendung von zusätzlichen Truppen eine Lösung ist. Ich persönlich bezweifle dies, mir scheint allerdings, dass wir eine gründliche Überprüfung der Finanzierungsquellen brauchen, die – mein Kollege hat darauf hingewiesen – aus der Ausbeutung der Bodenschätze des Kongo stammen und dann nicht zu kleinen Händlern und namenlosen Einzelpersonen gelangen, sondern auch auf europäische Märkte. Das ist sowohl die Ursache als auch die Lösung des Problems.
Wenden wir uns jetzt der humanitären Lage zu, die eindeutig außer Kontrolle gerät. Dort können wir etwas bewegen, dort muss die Europäische Union alles tun, um jene 1 600 000 Menschen zu schützen, die Wasser, Nahrungsmittel, Decken, Zelte und Versorgung benötigen. Gehen wir dieses Problem an.
José Ribeiro e Castro (PPE-DE). – (PT) Herr amtierender Ratsvorsitzender, Frau Kommissarin, liebe Kollegen! Die Mächtigen der Welt nehmen sich gerade das internationale Finanzsystem vor. Sie versuchen, es unter Kontrolle zu bringen, und das ist auch höchste Zeit. Vielleicht ist es auch Zeit für uns, ein anderes Problem zu lösen, über das wir schon seit Jahrzehnten reden.
Seit Jahren hören wir nun schon Geschichten über die schändliche Plünderung von Bodenschätzen. Wie oft – und jetzt wieder im Kongo – haben wir gehört, dass das Blut von Menschen vergossen wird? Ich glaube, dass es auch an der Zeit ist, diese Unternehmen zu verfolgen, diesen skandalösen Handel zu beenden und die Konten einzufrieren, auf denen die schändlichen Gewinne aus der Ausbeutung von Bodenschätzen liegen, die die Menschen mit Blut und Leid bezahlen.
Ich verstehe nicht, warum diese Unternehmen nicht genauso auf Listen gesetzt werden, wie wir terroristische Organisationen auf schwarze Listen setzen. Ich verstehe nicht, warum die internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, diese Geschäftsleute zu verfolgen, die gar keine Geschäftsleute sind, sondern eigentlich Banditen, die die Sicherheit der Region und der Welt bedrohen.
Ich fordere die französische Präsidentschaft und die Kommission auf, in dieser Angelegenheit eine internationale Initiative zu leiten.
Ioan Mircea Paşcu (PSE). – Herr Präsident! In meiner Jugend Anfang der 1960er-Jahre herrschten Namen wie Lumumba, Mobutu, Tschombé, Dag Hammarskjöld und Katanga vor. Fünfzig Jahre später wird der Kongo – heutzutage die Demokratische Republik Kongo – wieder durch innere Unruhen verwüstet, die an Bürgerkrieg grenzen. Nur kommt der Krieg in den östlichen Landesteilen der Demokratischen Republik Kongo diesmal nach und trotz erheblicher Anstrengungen der EU in Form von Geld, Programmen, Missionen vor Ort – einschließlich militärischer Missionen – und intensiver diplomatischer Bemühungen.
Die gegenwärtige Lage in der Demokratischen Republik Kongo ist deshalb nicht bloß irgendeine Krise. Vielmehr ist sie ein Testfall für die Fähigkeit und die Bereitschaft der EU, die internationale Rolle zu spielen, die sie jetzt in der Weltpolitik beansprucht, da die Krise alle Bestandteile umfasst, auf die die Union angeblich bestens vorbereitet ist. Zudem spielt sie sich in Afrika ab, einem Kontinent, dessen geoökonomische Bedeutung exponentiell zunimmt.
Bart Staes (Verts/ALE). - (NL) Herr Präsident! Herr Hutchinson hat die Aussprache mit der Aufforderung eröffnet, wir sollten das Gerede beenden und zur Tat schreiten. Ich meine, dass er vollkommen Recht hat. Gestatten Sie mir, zwei wesentliche Elemente der Aussprache anzuführen.
Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass die von der UN-Sachverständigengruppe zur illegalen Nutzung der Bodenschätze der Demokratischen Republik Kongo abgegebenen Empfehlungen und die Sanktionen gegen Personen und Unternehmen, deren Beteiligung an der Plünderung der Ressourcen nachgewiesen wurde, umgesetzt werden. Die EU muss aktiv werden.
Zweitens müssen wir der illegalen Nutzung energisch einen Riegel vorschieben und für Gold, Zinnerz, Coltan, Kobalt, Diamanten, Pyrochlor und Holz Systeme der Rückverfolgbarkeit und des Ursprungsnachweises einführen, sodass dieser blutige Handel beendet werden kann.
Daher meine ausdrückliche Frage an den Ratsvorsitzenden, Herrn Jouyet, und an Frau Kommissarin Ferrero-Waldner: Welche Initiativen werden Sie in dieser Hinsicht in den nächsten Monaten entwickeln? Ich meine, wir haben ein Recht, auf diese Frage eine Antwort zu erhalten.
Jim Allister (NI). – Herr Präsident! Ich betrachte mich in Bezug auf den Kongo ganz und gar nicht als Fachmann, und ich habe auch keine fertigen Lösungen, aber eines weiß ich: Wenn in den vergangenen 20 Jahren fünf Millionen Menschen gestorben sind, müssen wir uns darüber alle Sorgen machen.
Diese Sorgen verstärken sich bei mir, wenn ich einige der kritischen Äußerungen lese, die von verschiedenen in diesem Gebiet tätigen Nichtregierungsorganisationen stammen. Vor ein paar Tagen habe ich beispielsweise gelesen, was Amnesty International – eine Organisation, mit der ich nicht immer einer Meinung bin, muss ich sagen – zu den Menschenrechten und vor allem zur humanitären Tragödie in der Provinz Nord-Kivu gesagt hat: „Der UN-Sicherheitsrat, die Europäische Union und die Afrikanische Union sehen untätig zu. Sie haben es bislang versäumt, für die Verstärkung und Ausrüstung der UN-Friedenstruppe zu sorgen, die sie benötigt, um die Zivilbevölkerung wirksam zu schützen.“
Ich habe in den Aussprachen auf eine Antwort auf diese Kritik gewartet. Aber, um ehrlich zu sein, ich habe eigentlich keine gehört. Diplomatie ist gut, doch Diplomatie allein ist nicht die Antwort auf alle Fragen.
Jas Gawronski (PPE-DE). – Herr Präsident! Wir könnten angesichts unserer eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten leicht versucht sein, Afrikas Problem zu vergessen, doch das wäre ein schrecklicher Fehler.
Ich meine, wir müssen Druck auf die Afrikanische Union ausüben, damit sie ihren eigenen Verpflichtungen in der Region nachkommt. Wenn die Afrikanische Union jemals so respektiert werden will wie die Europäische Union, dann muss sie den Worten Taten folgen lassen – was sie offenkundig zum Beispiel bei Simbabwe versäumte. Wir sollten auch nicht zögern, unsere langfristigen Handels- und Hilfsbeziehungen zu Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo mit deren Achtung der Menschenrechte, verantwortungsvoller Staatsführung und Transparenz zu verknüpfen.
In Anbetracht dessen hoffe ich, dass die Kommission weiterhin die Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der Rohstoffindustrie (EITI) unterstützt.
Anne Van Lancker (PSE). - (NL) Herr Präsident, Herr amtierender Ratsvorsitzender, Frau Kommissarin! Nach allem, was gesagt worden ist, möchte ich Ihnen noch Folgendes vortragen. Sie haben beide die Tatsache hervorgehoben, dass es keine militärische Lösung dieses Konflikts gibt. Da bin ich vollkommen einer Meinung mit Ihnen, und es ist nichts gegen die Abkommen von Goma und Nairobi einzuwenden. Es ist nichts gegen den Prozess einzuwenden, der wieder in Gang gesetzt wird, abgesehen davon, dass die Abkommen nie eingehalten werden. Natürlich muss Europa auf ein stärkeres und besseres MONUC-Mandat und mehr Truppen drängen. Die große Frage, die wir uns jedoch stellen müssen, lautet: Könnte die MONUC, selbst mit einem Mandat nach Kapitel VII, ohne jegliche europäische Intervention je Erfolg haben? Herr Jouyet, gestatten Sie mir bitte die Frage, welche guten Gründe es für die EU-Minister gab, eine europäische Intervention dieser Art abzulehnen?
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident, verehrte Abgeordnete, Frau Kommissarin Ferrero-Waldner! Vielen Dank für diese hochinteressante Debatte.
Uns ist der im Parlament an die Europäische Union gerichtete Appell, eine militärische Mission in diese Region der Republik Kongo zu entsenden, vollkommen bewusst. Aber ich glaube, ich sollte daran erinnern, dass sich die Europäische Union in der Republik Kongo bereits engagiert: erstens durch Hilfen der Gemeinschaft in Höhe von 50 Millionen Euro im Jahr 2008 und dann mit 6 Millionen Euro als Katastrophenhilfe, wie von Benita Ferrero-Waldner erwähnt worden ist. Es gibt zwei ESVP-Missionen zur Unterstützung der Reform der kongolesischen Polizei und Armee, deren fehlende Vorbereitung und mangelnde Effizienz absolut tragisch waren, wie wir in diesem Fall gesehen haben. Überdies hat die Europäische Union bereits interveniert, und zwar 2003 mit einer militärischen Mission unter der Bezeichnung „Artemis“. Allerdings waren die Bedingungen anders, denn damals ging es für die Europäische Union darum, die Ankunft einer Mission der Vereinten Nationen vorzubereiten, die dann erfolgte.
Wie können wir also über reine Worte hinaus auf die Tragödie in dieser Region reagieren? Die schnellste Möglichkeit zur Bekämpfung der humanitären Krise wäre eine Stärkung der bestehenden Maßnahmen, also der MONUC, durch ein weiter gefasstes Mandat und zusätzliche Einsatzkräfte. Ich meine, dass etwa Frankreich bereit ist, sich an dieser Verstärkung zu beteiligen, denn wenn wir auf die Entsendung einer Mission der Europäischen Union warten, riskieren wir, Zeit zu verlieren. Wie Sie wissen, engagiert sich die Union bereits im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, daher gibt es das Problem der Entsendung, und um mich ganz klar auszudrücken wäre eine Reihe von Staaten im Rat derzeit nicht in der Lage, sich an diesen Verstärkungsoperationen zu beteiligen.
Wie einige Redner dargelegt haben, böte eine Verstärkung der MONUC Vorteile, weil ihr Mandat auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beruht. Außerdem müssen wir berücksichtigen, dass die MONUC mit einer Verlegung beginnen konnte, nachdem die Nkunda-Offensive am 29. Oktober zum Stillstand gekommen ist. Als Nächstes steht für die Mission der Vereinten Nationen eine Neuordnung mit neuen Elitetruppen an, vor allem den indischen Ghurkhas, die in diesem Monat erwartet werden. Die jetzige Truppenstärke von 17 000 Mann muss um 3 000 Mann erhöht werden, und in diesem Sinne sind wir in den vergangenen Tagen beim Sicherheitsrat in New York aktiv geworden.
Wie einige Redner aufgezeigt haben, können wir uns jedoch nicht auf die militärischen Lage beschränken, da in Anbetracht der Gräueltaten, die – wie viele hervorgehoben haben – schon viel zu lange andauern, einer politischen Lösung Vorrang eingeräumt werden muss, wie es die Besuche von Kommissar Michel, Bernard Kouchner und David Miliband gezeigt haben, sodass die Verbindungen zwischen den Protagonisten in der Region wieder aufgenommen werden können. Die im afrikanischen Rahmen geführten Gesprächen müssen Vorrang haben, gleich, ob es sich um die Afrikanische Union, die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC) oder die Konferenz zur Region der Großen Seen handelt, damit der Goma- und Nairobi-Prozess wiederbelebt werden.
Langfristig muss die Union der Republik Kongo helfen, eine richtige Armee aufzustellen – es gibt keine richtige Armee, sie ist völlig heruntergekommen –, die die Sicherheit des riesigen und sehr schwer zu kontrollierenden Landes gewährleisten und neuerliche humanitäre Krisen verhindern kann.
Ich teile die Meinung derjenigen, die erklärt haben, dass wir auch die Ursachen des Konflikts angehen müssen, und genau das hat der Rat am 10. November mit seiner Aufforderung getan, die illegale Nutzung der Bodenschätze der Region vor allem durch Rebellengruppen zu bekämpfen. Sollte die MONUC mit dieser Aufgabe, den Kampf gegen die illegale Nutzung zu überwachen, betraut werden? Die Frage ist offen, doch angesichts der humanitären Krisenlage, und das haben auch einige andere betont, muss der Schutz der Zivilbevölkerung für die MONUC Vorrang haben. Meiner Meinung nach ist es wichtig, und auch das ist gesagt worden, dass eine der Lösungen im Hinblick auf die Plünderung der Bodenschätze auf regionaler Ebene gefunden werden muss, um die Ausbeutung und die Ausfuhr dieser Ressourcen in unsere Länder zu stoppen.
Schließlich nehme ich zur Kenntnis, dass wir tatsächlich die Resolutionen des UN-Gremiums zu diesen Fragen umsetzen müssen.
Das sind die zusätzlichen Punkte, die ich dem Haus vortragen wollte.
Benita Ferrero-Waldner, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident, verehrte Abgeordnete! Zunächst haben die Aussprachen meines Erachtens gezeigt, dass wir uns alle einig sind: Wir müssen jetzt, in einer absolut tragischen Situation, schnell, sehr schnell handeln.
Was die Entsendung einer europäischen Truppe in den Osten der Demokratischen Republik Kongo angeht, hat sich meiner Ansicht nach herausgestellt, dass nur eine europäische Truppe mit dem alleinigen Ziel der Sicherung des humanitären Umfelds von allen Ländern in der Region möglicherweise akzeptiert werden könnte. Das würde also bedeuten, allen Konfliktparteien eine Waffenruhe aus humanitären Gründen aufzuerlegen, damit Hilfsgüter zu der Bevölkerung in der Nähe der Front gebracht werden können. Das ist genau das, was die Länder im Gebiet der Großen Seen wollen, und für sie haben eine Waffenruhe und die unverzügliche Lieferung von humanitären Hilfsgütern absoluten Vorrang.
In diesem Zusammenhang haben sie auch die zu sondierenden Wege aufgezeigt: politische Verhandlung und vor allem, und das ist das, was wir alle gesagt haben, eine Verstärkung der MONUC. Obwohl es allmählich gelingt, die humanitäre Lage unter Kontrolle zu bekommen, scheinen manche Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer GASP-Mission nicht auszuschließen. Eine endgültige Entscheidung wird jedoch nicht eher getroffen, als dass eine einstimmige europäische Unterstützung in dieser Frage besteht und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seine offizielle Position dazu erklärt hat.
In Bezug auf die Verstärkung der MONUC glaube ich, so wie Louis Michel, dass diese unumgänglich ist. Die MONUC zeigt bei diesem Konflikt ein konstruktives und objektives Herangehen, doch man kann nichts von ihr verlangen, was nicht zu ihrer Mission gehört. Die MONUC muss in einem bestimmten vereinbarten Rahmen den Frieden sichern, darf jedoch nicht allen Parteien den Frieden mit militärischen Mitteln aufzwingen. Das ist manchmal schwierig zu begreifen, aber dieser feine Unterschied ist meines Erachtens von erheblicher Bedeutung.
Andererseits ist klar, dass die MONUC angesichts der Größe des Kongo und der Komplexität des Problems nicht ausreichend ausgerüstet ist – das haben Sie alle gesagt, und es stimmt –, und zwar weder mit Mitteln noch möglicherweise in Bezug auf ihr Mandat, und darum ist die Forderung des UN-Generalsekretärs nach mehr Ressourcen, insbesondere dreitausend zusätzlichen Soldaten, zweifellos gerechtfertigt.
Darüber hinaus ist die Ausweitung des Mandats der MONUC, insbesondere in Bezug auf die Überwachung der illegalen Nutzung der Bodenschätze – die, wie Sie sagten, die wahre Triebfeder des Krieges ist – wie viele bereits zu Recht festgestellt haben sehr wichtig, um auf die Entwicklung des Konflikts einwirken zu können. Sobald wieder Frieden einkehrt, muss diese Frage von der internationalen Gemeinschaft untersucht werden.
Das Beispiel des Kimberley-Prozesses zeigt sicherlich Wege auf, die man in diesem Sinn erkunden kann, und konkret hat die Kommission bereits 75 Millionen Euro für das Programm im Osten des Kongo für den Wiederaufbau staatlicher Strukturen wie Justiz und Polizei und zur Wiedereinführung der Überwachung der Nutzung von Bodenschätzen freigegeben. Dieses Programm wird gerade eingeführt, und ich hoffe, dass erste Ergebnisse zustande kommen.
Die Präsidentin. – Ich habe sechs Entschließungsanträge erhalten(1), die gemäß Regel 103(2) der Geschäftsordnung eingebracht wurden.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt am Donnerstag, den 20. November 2008.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Alessandro Battilocchio (PSE), schriftlich. – (IT) Die Entschließung zur Republik Kongo stellt für die Europäische Union eine klare Verpflichtung in Bezug auf diesen Teil der Welt dar. Angesichts der Schwere der Krise müssen wir diesmal allerdings sicherstellen, dass den Worten auch Taten folgen. Die UNO stammelt wie immer Lösungen. Die Europäische Union möge die Initiative ergreifen und versuchen, zwischen den Konfliktparteien Frieden zu vermitteln.
Ich möchte der Kommission für ein besonders wichtiges Signal danken, das sie in den letzten Wochen in der Demokratischen Republik Kongo gesetzt hat: Die Bereitstellung von 75 Millionen Euro für ein Programm, das die Wiederherstellung der administrativen und staatlichen Strukturen in dem Land zum Ziel hat, einschließlich des Justiz- und Polizeiwesens. Dies ist ein überaus bedeutender Schritt, weil er jetzt mit Blick auf die Zukunft unternommen wird und die Lösung der wahren Ursachen des Konflikts in Angriff nimmt: Die Nutzung der Bodenschätze des Kongo, die derzeit Gegenstand sehr harter und unkontrollierter Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Kriegsteilnehmern ist.
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgen die Erklärungen des Rates und der Kommission zu der Krise in der Automobilindustrie.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar Verheugen, meine Damen und Herren! Im dritten Quartal dieses Jahres hat die sich verschärfende Krise in der Weltwirtschaft die europäische Automobilindustrie erreicht. Zuvor hatte die Branche im zweiten Quartal des Jahres gute Ergebnisse erzielt. Alle führenden Automobilmärkte der Welt sind betroffen, aber nicht in gleichem Maß.
In den Vereinigten Staaten ist der Absatz innerhalb eines Jahres um 32 % zurückgegangen, womit er auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren liegt. Die drei großen amerikanischen Autohersteller – General Motors, Ford und Chrysler – haben staatliche Hilfen gefordert. Die Schwellenländer, die bis zu diesem Sommer den Absatzrückgang in diesen Ländern wettgemacht haben, wurden ebenfalls von der Krise getroffen, wenn auch in geringerem Ausmaß.
In China sanken die Umsätze im September um 1,4 %. Das ist in China der zweite Monat in Folge mit sinkenden Umsätzen, nachdem im August ein Rückgang um 6,3 % verzeichnet wurde.
In Brasilien nahmen die Automobilverkäufe im letzten Monat um 11 % ab, zum ersten Mal seit 1999.
Der Automobilmarkt in Russland ist noch nicht geschrumpft, doch er wächst deutlich langsamer und könnte Anfang nächsten Jahres den ersten Rückgang erleben.
Wir können also klar feststellen, dass sich die Lage in den großen Schwellenländern ebenfalls verschlechtert.
In Europa ist die Zahl der Zulassungen im Zeitraum vom Jahresbeginn bis vergangenen August um fast 4 % zurückgegangen. Das Jahresende könnte sich als schwierig erweisen und für das Gesamtjahr 2008 könnte der Rückgang des Automobilmarktes etwa 5 % betragen, was für diesen Markt das schlechteste Ergebnis seit 1993 darstellen würde.
Weltweit unternimmt die Automobilindustrie jedoch große Anstrengungen zur Bewältigung der Krise und sucht nach Quellen für neues Wachstum. Die Maßnahmen zum Zurückfahren der Produktion werden sich auf die Beschäftigung in allen Wertschöpfungsketten und auf die Nachfrage negativ auswirken. Wir werden das in den nächsten Tagen sehen.
Trotz der schwierigen konjunkturellen Lage werden die großen europäischen Automobilhersteller 2008 profitabel bleiben, auch wenn sich das Wachstum der Margen offensichtlich verlangsamt. Sie können diese Gewinnsituation angesichts der in den letzten Jahren erzielten erheblichen Produktivitätssteigerungen verteidigen. Die Wettbewerbsposition der europäischen Automobilindustrie ist daher nach wie vor relativ gut – und das sage ich nicht leichtfertig. Dies liegt an drei Faktoren.
Da ist erstens die Tatsache, dass die europäische Automobilindustrie zunehmend in Schwellenländern präsent ist, die sowohl Märkte als auch Produktionsstandorte darstellen. In diesen Schwellenländern ist das Wachstum nach wie vor eine treibende Kraft, auch wenn es sich, wie ich schon sagte, verlangsamt.
Der zweite Faktor ist eine bessere Neumodellpolitik: Die Modelle sind wirtschaftlicher, umweltfreundlicher und besser auf die Verbrauchernachfrage abgestimmt.
Und schließlich ist die finanzielle Lage der europäischen Industrie, wie ich bereits gesagt habe, angesichts der in früheren Jahren erzielten Produktivitätssteigerungen zurzeit noch relativ stabil.
Die Situation erfordert vor allem Wachsamkeit, damit staatliche Hilfen, die nichteuropäische Hersteller von ihren Regierungen erhalten, nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung auf dem Weltmarkt und insbesondere in den Schwellenländern führen. Gezielte und befristete Unterstützungsmaßnahmen für europäische Hersteller könnten sich als hilfreich erweisen, um insbesondere die technologische und ökologische Leistungsbilanz der europäischen Fahrzeugflotte zu verbessern, für die im Bereich der Umweltgesetzgebung bekanntlich die weltweit strengsten Vorschriften gelten. Diese haben dazu geführt, dass die europäischen Hersteller stärker in Forschung und Entwicklung investiert haben als ihre wichtigsten amerikanischen Wettbewerber, um diesen ökologischen Herausforderungen zu begegnen.
Wir können uns glücklich schätzen, dass dies unserer Industrie im Umweltbereich einen Vorsprung verschafft hat, müssen jedoch wachsam sein und dafür sorgen, dass sie diesen Vorsprung weiterhin hält. Die Kommission – die näheren Ausführungen überlasse ich Kommissar Verheugen – wird am 26. November Vorschläge für europäische Maßnahmen zur Unterstützung der Industrie und insbesondere des Automobilsektors machen. Die Europäische Investitionsbank ist ebenfalls gefragt und sollte sich an den Maßnahmen beteiligen, die sich auf europäischer Ebene in der Vorbereitung befinden.
Die Mitgliedstaaten müssen der Bank gegebenenfalls die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen, sodass sie in der Lage ist, zusätzliche Mittel zur Unterstützung des Automobilsektors bereitzustellen. Die Mitgliedstaaten erwägen zudem nationale Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Hersteller. Diese Bemühungen müssen koordiniert werden, um die Wirksamkeit der Unterstützung zu maximieren. So wie sie es in anderen Bereichen als Reaktion auf die Krise getan hat, wird die französische Präsidentschaft ihr Möglichstes tun, damit es in dieser wichtigen industriellen Frage zu einer gemeinsamen europäischen Aktion kommt.
Der Europäische Rat im Dezember wird die Vorschläge der Kommission und die verschiedenen bis dahin eventuell eingeführten nationalen Unterstützungspläne erörtern. Dabei geht es natürlich darum, in Einklang mit den anderen politischen Zielen der Union zu handeln. Bei der Unterstützung für den Automobilsektor muss insbesondere die Integrität des Binnenmarktes gewahrt werden. Niemandem ist damit gedient, wenn die Krise genutzt wird, um Verzerrungen auf dem Automobilmarkt zu schaffen, und die Unterstützung muss sich selbstverständlich im Rahmen der ökologischen Ziele bewegen, die sich die Union im Energie- und Klimapaket gesetzt hat.
Ich bin überzeugt, dass die Kommission in diesem Sinne arbeitet. Die Präsidentschaft ist entschlossen, zwischen den Mitgliedstaaten und dem Parlament eine ausgewogene Vereinbarung über einen koordinierten, offensiven Ansatz zur Unterstützung der Automobilindustrien zu fördern.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. – (DE) Frau Präsidentin, Herr amtierender Ratsvorsitzender, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht überraschend, dass die Krise der Finanzmärkte in ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft als erstes den Automarkt voll getroffen hat.
Der Automarkt ist besonders sensibel, was das Verbraucherverhalten angeht. Es ist klar, dass in dieser Situation, Verbraucher, die sich über ihre eigene wirtschaftliche Zukunft nicht im Klaren sind, die nicht wissen, ob sie im nächsten Jahr noch einen Job haben, ob ihr Einkommen in der selben Höhe bestehen wird, ob sie ihr Vermögen noch haben werden, erst einmal kein neues Auto kaufen werden. Das ist eine bekannte und vermutlich auch natürliche Reaktion.
Es ist aber nicht nur die Krise der Finanzmärkte, die zu dieser Zurückhaltung führt. Es gibt auch eine Verunsicherung bei Herstellern und Verbrauchern im Hinblick auf die Forderungen, die die Politik an das Auto der Zukunft stellt. Verbraucher wissen z. B. nicht, ob sie mit Steuervorteilen oder Zuschüssen rechnen können, wenn sie bestimmte Autos kaufen oder nicht kaufen. Deshalb ist es notwendig, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Industrie jetzt so schnell wie möglich geklärt werden.
Die Lage ist eindeutig. Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie, wenn nicht sogar die Schüsselindustrie für Europa, und sie besteht nicht nur in der Herstellung von Autos. Wie müssen die gesamte Lieferkette und den gesamten Automarkt sehen, der ja auch aus Kraftfahrzeughandel und Kraftfahrzeugreparatur besteht. Wir haben hier insgesamt einen Sektor mit 12 Millionen Beschäftigten in Europa und weitreichenden Auswirkungen in anderen Sektoren.
Die Ratspräsidentschaft hat die Rückgänge bereits dargestellt. Ich gebe Ihnen eine andere Zahl: Bis jetzt sind in diesem Jahr in Europa 700 000 Neuwagen weniger registriert worden als im vergangen Jahr. Das ist im Wesentlichen in den letzten Monaten passiert, d. h. die Zahl wird bis zum Ende des Jahres wahrscheinlich auf über eine Million ansteigen. Sie können sich sehr leicht vorstellen, welche ökonomischen Auswirkungen das hat.
Wir haben noch keine Hoffnung, dass sich das im Jahre 2009 sehr schnell ändern wird. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass auch das Jahr 2009 für die Automobilindustrie ein Krisenjahr wird, mit erheblichen Auswirkungen auf die Auslastung der Kapazitäten, auf die Zahl der Beschäftigten und auf die Investitionsfähigkeit der Automobilhersteller, insbesondere im Hinblick auf große Investitionen, die notwendig sind, um die Anforderungen an schadstoffarme und verbrauchsarme Kraftfahrzeuge zu erfüllen.
Es gibt im Übrigen aufgrund dieser ökonomischen Entwicklung eine extrem negative Entwicklung für die Umweltbedingungen. Je älter die Flotte wird, die auf Europas Straßen herumfährt, desto größer ist die Schadstoffbelastung, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, den wir im Auge haben müssen. Wenn wir die Schadstoffbelastung insbesondere bei CO2 wirklich herunterbringen wollen – und das ist ja unser gemeinsames vorrangiges Ziel – ist das Entscheidende, dass es schnell zur Erneuerung der Flotte kommt, die im Augenblick auf Europas Straßen herumfährt.
Seit einiger Zeit passiert das genaue Gegenteil. Die Flotte wird immer älter, und die Schadstoffbelastung wird immer größer. Ich sage Ihnen mit aller Klarheit, dass, wenn alle, die daran beteiligt sind – Parlament, Rat und Kommission – nicht sehr sorgfältig darauf achten, dass Autos für den Verbraucher in den nächsten Jahren auch bezahlbar bleiben, die Situation noch schlimmer werden wird.
Wir können heute selbstverständlich Autos mit Nullemission anbieten. Nur kann sich kein Mensch diese Autos leisten. Wir müssen also hier die Dinge in eine vernünftige Relation zueinander setzen. Wir haben ja, wie Sie wissen, den Cars 21-Prozess. Weil wir den Ernst der Situation sehr früh erkannt haben, habe ich im Rahmen dieses Prozesses vor einigen Wochen in Brüssel einen so genannten Autogipfel mit den Herstellern, den Mitgliedstaaten, in denen Autos produziert werden, den Gewerkschaften, den Umweltverbänden und allen Beteiligten veranstaltet. Dabei sind ein paar Dinge, die wir tun müssen, sehr klar geworden.
Erstens müssen wir in der Tat die rechtlichen Rahmenbedingungen stabil und berechenbar halten. Die Industrie muss wissen, woran sie ist und was wir von ihr erwarten. Wir müssen die kumulativen Effekte unserer Maßnahmen im Auge behalten. Ich darf Sie daran erinnern, dass CO2 ja nicht das einzige ist, was wir im Bezug auf die Automobilindustrie im Augenblick diskutieren.
Wir haben bereits Euro-5 und Euro-6 verabschiedet. Die Maßnahmen sind noch nicht umgesetzt. Und auch sie verlangen hohe Investitionen und führen zu einer Verteuerung der Fahrzeuge. Wir haben bereits zusätzliche Anforderungen für den Fußgängerschutz beschlossen. Auch das führt zu hohem Investitionsbedarf, und das macht die Autos teurer. Wir haben bereits im Gesetzgebungsgang weitere scharfe Vorschriften in Bezug auf die Verbesserung der Sicherheit von europäischen Fahrzeugen. Das hat denselben Effekt. Wenn wir alles zusammennehmen, wissen wir schon heute, dass die europäischen Fahrzeuge in den nächsten Jahren einen deutlichen Preissprung erleben werden, und das müssen wir mit in Rechnung stellen.
Zweitens waren wir uns einig, dass die Nachfrage gestärkt werden muss. Das kann auf verschiedene Art und Weise geschehen. Ich halte steuerliche Anreize für ein gutes Instrument, allerdings nur dann, wenn es sich um CO2-basierte steuerliche Anreize handelt. Steuerliche Anreize, die schlicht und einfach dazu führen, dass irgendwelche Autos gekauft werden, nützen eigentlich wenig. Es muss darum gehen, die Nachfrage nach verbrauchsarmen und umweltfreundlichen Autos zu stärken. Das gilt auch für das öffentliche Beschaffungswesen.
Schließlich geht es um die Frage der Investitionskraft. Hier gibt es bereits seit Jahren eine Kreditlinie bei der Europäischen Investitionsbank, die den Herstellern speziell zur Entwicklung neuer umweltfreundlicher Autos zinsgünstige Darlehen zur Verfügung stellt. Diese Kreditlinien wurden auch in den letzten Jahren in Anspruch genommen, das ist also gar nichts Neues.
Es geht jetzt darum, diese Kreditlinien so zu erhöhen, dass der Bedarf befriedigt werden kann. Dazu ist die Europäische Investitionsbank auch bereit. Ich rechne damit, dass wir noch im Laufe des Monats Dezember die entsprechenden Entscheidungen haben werden.
Schließlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir auch in der Handelspolitik darauf achten müssen, dass die Zukunftsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie verteidigt wird. Der Wettbewerb wird sich mehr und mehr in die Regionen der Welt mit hohen Wachstumserwartungen verlagern. Dort konkurrieren wir natürlich mit Herstellern aus anderen Teilen der Welt, die unter wesentlich günstigeren Bedingungen produzieren als die europäischen Hersteller.
Lassen Sie mich ganz klar sagen: Der große Vorteil, den die europäischen Hersteller im weltweiten Wettbewerb haben, ist die Tatsache, dass Europa schon in Kürze die saubersten und sichersten Autos der Welt anbieten wird, und ich hoffe, was die Qualität angeht, bleibt es dabei, dass wir auch die besten Autos anbieten.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem aktuellen Problem sagen, das ja wohl auch zu dieser Debatte heute hier geführt hat. Ein Hersteller in Europa, die Adam Opel GmbH in Deutschland, eine hundertprozentige Konzerntochter von General Motors, befindet sich aktuell in einer sehr besorgniserregenden finanziellen Schieflage. Es wird zwischen Opel und der deutschen Regierung darüber verhandelt, ob es eine staatliche Bürgschaft geben kann, um die Finanzierungsprobleme von Opel zu lösen. Dagegen werden sehr gewichtige ordnungspolitische Argumente vorgetragen, die ich gut verstehen kann, denn wir haben eine Industriepolitik, die nicht auf Subventionen setzt, und dabei wird es auch bleiben. Unsere europäische Industriepolitik versucht mit allen Mitteln, einen Rückfall in die alte Subventionsmentalität zu vermeiden und der Industrie stattdessen durch berechenbare, stabile Rahmenbedingungen zu helfen zu wachsen, und sich im Wettbewerb zu behaupten.
Das Problem bei Opel ist aber nicht durch Managementfehler, schlechte Produktion oder schlechte Qualität der Autos ausgelöst worden. Dieses Unternehmen hat sich in den letzten Jahren mit hohen Investitionen in moderne Technik besonders bemüht, den Anforderungen der Zukunft zu genügen. Das Problem ist ausschließlich durch die Krisensituation beim amerikanischen Mutterkonzern ausgelöst worden. Ich bin wirklich der Meinung, dass es sich hier um außergewöhnliche Umstände handelt. Umstände, die für andere Hersteller in Europa nicht gelten, und die es rechtfertigen, auch außergewöhnliche Maßnahmen ins Auge zu fassen.
Ich will noch einmal sagen, es ist nicht die Rede von Subventionen, es ist die Rede von einer möglichen Bürgschaft. Dieses Unternehmen ist wettbewerbsfähig! Wir haben aus europäischer Sicht kein Interesse daran, es vom Markt verschwinden zu lassen, und es ist auch kein rein deutsches Problem. Opel ist ein Hersteller in mehreren europäischen Ländern. Opel hat eine Lieferkette in ganz Europa. Diese Lieferkette ist eng verbunden mit allen anderen Automobilherstellern, d. h, wenn ein großer europäischer Hersteller vom Markt verschwindet, wird das auch für alle anderen Folgen haben. Wie gesagt, wir können daran kein Interesse haben, und es versteht sich ja wohl von selbst, dass es unter sozialpolitischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist, zu sagen, dass die bei Opel Beschäftigten die Zeche bezahlen müssen für – das will ich deutlich sagen – schwere und unverantwortliche Fehler, die bei der Konzernmutter in den Vereinigten Staaten gemacht worden sind.
(Beifall)
Wir werden also sehen, zu welcher Entscheidung die betroffenen Regierungen kommen, und ich sage ausdrücklich Regierungen, was bisher in der Öffentlichkeit nicht stark genug gesehen wird.
Wir haben auch in Schweden ein Problem mit einer anderen General Motors-Tochter, nämlich mit Saab, wo die Probleme strukturell sogar noch deutlich schwieriger sind. Wir haben außerdem ein Problem in Spanien, wo die beaufsichtigte Produktion eines neuen umweltfreundlichen Fahrzeugs in Frage gestellt wird. Ich sage aus europäischer Sicht, dass wir unser Möglichstes tun werden, um zu helfen, dass die europäischen Hersteller durch diese schwierige Zeit kommen und ihre Rolle als ein wirklicher Motor für nachhaltiges Wachstum und gute Arbeitsplätze in Europa auch in Zukunft spielen können.
(Beifall)
Vito Bonsignore, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kollegen! Wir sprechen hier über den Fertigungssektor in der Europäischen Union, der ein Drittel der weltweit produzierten Autos herstellt. Der Sektor beschäftigt in Europa – zusätzlich zu der Beschäftigung im indirekten Sinne – drei Millionen Menschen, und er stellt für die Welt insgesamt eine der Schlüsselbranchen dar, was direkten Umsatz, indirekten Umsatz und die Gesamtzahl der Beschäftigten betrifft.
Wir sollten in unserer heutigen Aussprache auch bedenken, dass die jüngsten Schätzungen für das nächste Jahr eine Verdoppelung der Arbeitslosenzahlen in der Europäischen Union vorhersagen. Ich persönlich halte diese Schätzung sogar für optimistisch. Ich stimme dem Herrn Kommissar zu, dass die Automobilindustrie bei den von uns geforderten Bemühungen, schadstoffarme und verbrauchsarme Autos zu produzieren, unterstützt werden sollte. Wir müssen Veränderung unterstützen, statt diejenigen zu bestrafen, die zurückfallen, und die finanziellen Mittel müssen an Innovationen gebunden sein. Die Hilfen zur Rettung von Autoherstellern mögen zwar als Belastung erscheinen, doch der Konkurs einiger dieser Unternehmen würde die EU viel, viel mehr kosten.
Die Branche befindet sich in einer Krise, und zwar weltweit, und aus dieser Lage können wir uns mit technologischen Fortschritten befreien – hier sind wir einer Meinung –, also müssen wir uns entscheiden zwischen der Fertigung von Autos des 21. Jahrhunderts in Europa und dem Verlust dieser Produktion an Länder wie Indien oder China, die kurz davor sind, technisch einfache, kostengünstige Autos in großen Stückzahlen zu bauen.
Es stimmt, dass die Banken jetzt keine Kredite mehr gewähren und die großen Automobilhersteller die Liquidität aufbrauchen, die sie zuvor aufgebaut hatten und die bis Mitte dieses Jahres vorhanden war, und dass der Markt deutlich geschrumpft ist und das Jahr 2008 mit negativen Zahlen abschließen wird – meiner Ansicht nach, Herr Jouyet, mit einer fast zweistelligen Prozentzahl – und meine Prognosen für 2009 sind pessimistisch.
Europa hat eine große Chance: die strukturelle Veränderung der Branche mit langfristigen und zinsgünstigen Darlehen und Hilfen für die Forschung ohne Diskriminierung zu unterstützen.
Robert Goebbels, im Namen der PSE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin, liebe Kollegen! Angesichts der Rezession befürwortet die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament eine solidarische und europäische Politik. Das gilt nicht nur für das Bankgeheimnis, es gilt ebenfalls für die anderen Wirtschaftszweige, einschließlich des industriellen Sektors.
Wir haben oft das Fehlen einer starken Industriepolitik in der Europäischen Union beklagt. Länder wie die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben ihre Industrien stark vernachlässigt und in hohem Maß auf die Dienstleistungen gesetzt. Das Ergebnis ist nicht überzeugend. Europa muss für den Erhalt einer breiten industriellen Struktur kämpfen, auf die die KMU und die Unternehmensdienstleistungen letztlich angewiesen sind.
Die Automobilindustrie in Europa ist keineswegs ein Dinosaurier, eine zum Aussterben verurteilte Spezies. In diesem Punkt stimme ich den Ausführungen von Vizepräsident Verheugen voll zu. Wir haben einen Anteil von einem Drittel an der weltweiten Automobilproduktion, auch wenn die Fertigungszahlen in jüngster Zeit rückläufig waren. Die in Europa produzierten Autos müssen sauberer werden und mit weniger Energie auskommen. Auf absehbare Zeit werden wir auf diese unumgängliche Art des Individualverkehrs nicht verzichten können. Selbst bei optimaler Organisation wird es dem öffentlichen Verkehr nie gelingen, das Mobilitätsbedürfnis der Menschen zu befriedigen. Die Europäische Union muss also eine gemeinsame Antwort auf die Probleme der Branche finden, wobei die Antwort nicht darin bestehen kann, wie es Herr Verheugen gerade gesagt hat, der europäischen Automobilindustrie die Luft abzuschnüren. Ich möchte kein Europa, in dem nur noch japanische oder demnächst chinesische Autos herumfahren.
Ich weiß, dass das politisch korrekte Argument lautet, die so genannten „grünen“ Arbeitsplätzen zu fördern. Ein neuerer Bericht der Vereinten Nationen geht davon aus, dass das weltweite Potenzial für grüne Arbeitsplätze schätzungsweise 3 % der weltweiten Beschäftigung ausmacht. Das wäre sehr zu begrüßen. Eine einfache Rechnung ergibt dann allerdings, dass 97 % der Arbeitsplätze nicht grün sind, sondern im Bereich der traditionellen Branchen liegen. Das ist ein Grund mehr, dass wir für den Erhalt einer europäischen Automobilindustrie kämpfen müssen, in der 2 Millionen Arbeitnehmer direkt und weitere 10 Millionen indirekt beschäftigt sind und die damit 7 % aller europäischen Arbeitsplätze stellt.
Wenn die USA, China und Japan massiv in Konjunkturprogramme investieren, kann Europa sich nicht den Luxus erlauben, dem Verschwinden ganzer Teile seiner Industrie tatenlos zuzuschauen. Diejenigen, die uns erzählen, dass man alles dem Markt überlassen muss, sind naive Ideologen. Ohne Intervention der öffentlichen Hand wird die von Adam Smith beschriebene unsichtbare Hand auf kurzfristige Effekte setzen und Strukturen zerstören, die für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft unerlässlich sind.
Was wir von der Kommission erwarten, Frau Präsidentin, und damit möchte ich schließen, ist die proaktive Schaffung eines Rahmens für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und das weitere Bestehen der europäischen Automobilindustrie.
(Beifall)
Jorgo Chatzimarkakis, im Namen der ALDE-Fraktion. – (DE) Frau Präsidentin! Kommissar Verheugen hat hier sehr eindrucksvoll dargestellt, wie die Krise aus dem Finanzmarkt auf den Automarkt übergeschwappt ist. Es kommt hinzu, das Vertrauen ist weg, es herrscht Unsicherheit, was die künftige CO2-Regelung angeht. Deswegen kann ich die Kollegen dieses Hauses und den Rat nur auffordern, sehr schnell zu einer verlässlichen, klaren Regelung im Bereich der CO2-Regelung für Autos zu kommen – auf der Basis der französischen Ratspräsidentschaft, wozu ich Ihnen, Herr Jouyet, nur gratulieren kann.
Aber das klimafreundlichste Auto, das wir in Europa haben wollen, bringt nichts, wenn es im Schaufenster und nicht auf der Straße steht. Die Leute müssen es nicht nur fahren, sondern sie müssen es auch bezahlen können. Deswegen fordern wir folgenden Dreiklang: Erstens: neue Modelle auf die Straße zu bringen. Dazu braucht es jetzt viele Investitionen in die Forschung, deswegen begrüßen wir das Programm der Europäischen Investitionsbank. Am 2. Dezember tagt der Ecofin – wir hoffen, dass dort eine Entscheidung getroffen wird, dass weiche, günstige Darlehen in die Automobilindustrie fließen.
Zweitens: Die Autobanken müssen gesichert werden. Das können wir hier in Europa nicht tun, das muss unter den Dächern der nationalen Rettungspakete erfolgen und diese müssen offen bleiben.
Drittens: Wir brauchen Verschrottungsprämien in Europa. Italien hat es vorgemacht. Schweden ebenfalls, vielleicht nicht ganz so eindrucksvoll wie Italien. Das ist der Weg, wie man durch steuerliche Anreize neue Modelle auf die Straße bringt. Es wäre schön, wenn wettbewerbsrechtlich keine europäischen Schranken aufgestellt würden. Deswegen wäre es auch gut gewesen, wenn Frau Cruz hier anwesend gewesen wäre. Das ist der Weg in ein neues Paradigma!
Rebecca Harms, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (DE) Frau Präsidentin, sehr geehrte Präsidentschaft, sehr geehrter Herr Kommissar! Wie schon gestern muss ich sagen, dass ich große Zweifel an der Aufrichtigkeit habe, mit der die Kommission diese Debatte führt. Meiner Meinung nach, Herr Kommissar, müssten Sie als derjenige, der die strategische Gruppe CARS 21 gegründet hat, zunächst einmal die Verantwortung dafür übernehmen, dass es nicht geglückt ist, die europäische Automobilindustrie tatsächlich zukunftsfähig aufzustellen. Was haben Sie eigentlich in den letzten Jahren gemacht, dass jetzt die Finanzkrise genutzt wird, um zu bilanzieren?
Dass man in der Automobilindustrie in Europa ein strategisches Problem hat, das ist ja das eine. Aber dass Sie sozusagen Ihre strategischen Schwächen der letzten Jahre, Ihr Unvermögen, sich für ökologische Innovationen einzusetzen, nicht mit in diese Bilanz hineintun, das halte ich für unlauter. Wenn jetzt Tausende oder Zehntausende Familien in Europa zittern, wie es mit den Jobs in der Automobilindustrie weitergeht, dann hat auch die Kommission, hat auch der Kommissar, hat CARS 21 dafür eine Verantwortung.
Woran kann man eigentlich erkennen, dass die Kommission und insbesondere Sie, Herr Kommissar, nichts dafür getan haben, dass die strategischen Ziele, die sich aus den volatilen Ölpreisen wegen der Endlichkeit des Öls und aus Klimaschutzanforderungen ergeben, nicht umgesetzt worden sind? Herr Kommissar, Sie haben als Person die Vorschläge Ihres Kollegen Dimas zur CO2-Regulierung für Personenkraftfahrzeuge jahrelang blockiert. Sie sind derjenige, der auf der Bremse steht, wenn es darum geht, ein verbindliches Ziel für effiziente Autos, das Mitte der 90er Jahre schon freiwillig unterschrieben wurde, für Mitte des nächsten Jahrzehnts verbindlich zu machen. Sie wollen weniger ökologische Innovation als schon Mitte der 90er Jahre selbstverständlich war. Seit gestern wissen wir, dass im Rat wegen des Drucks aus Deutschland noch nicht einmal die Bereitschaft da ist, verbindliche Ziele, die immer noch in der Nähe der Ziele aus der Mitte der 90er Jahre liegen, für das Jahr 2020 zu unterschreiben.
Ich halte diesen Doppelsprech, diese Verlogenheit der Diskussion um ökologische Innovation für einen Skandal. Ich fordere Sie auf, in diesem Trilog endlich das zu tun, was Sie in dieser Diskussion über Innovation der Automobilindustrie versprechen. Alles andere führt wirklich dazu, dass Sie weiter die Verantwortung dafür übernehmen, dass diese Industrie und ihre Zulieferer nicht zukunftsfähig werden.
Ilda Figueiredo, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Die Krise der Automobilindustrie hat zwar verschiedene Ursachen, eine der wichtigsten ist aber eindeutig der Rückgang der Kaufkraft des größten Teils der Bevölkerung infolge ihres geringen Einkommens, welches vor allem durch niedrige Löhne, unsichere Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit bedingt ist.
Eine der effektivsten Maßnahmen wäre daher eine Erhöhung der Löhne und Gehälter durch eine gerechte Einkommensverteilung. Aber natürlich sind momentan andere Maßnahmen erforderlich. Der Grund ist, dass sich der Produktionsstopp von Automobilherstellern auf viele andere Branchen auswirkt, darunter die verschiedenen Zulieferindustrien und das Transportgewerbe, wodurch sich die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage unter Umständen weiter verschlimmert.
So wie es außerordentliche Maßnahmen für die Finanzbranche gegeben hat, sollte es daher auch außerordentliche Maßnahmen für die Automobilbranche geben, um die Arbeitsplätze zu sichern. Man kann nicht sagen, dass die Sicherung von Produktion und Arbeitsplätzen nicht ebenso wichtig ist wie der Finanzsektor. Wir brauchen die notwendige Solidarität für die Unterstützung der Industrie in der Europäischen Union, insbesondere in den anfälligeren Volkswirtschaften und Branchen.
In Portugal ist die Situation extrem beunruhigend, weil der Sektor stark von der Strategie multinationaler Konzerne abhängig ist. In den letzten Jahren kam es zu verschiedenen Produktionsverlagerungen, und zwar sowohl in der Automobilproduktion – wie im Fall von Opel und von Renault – als auch in der Fertigung von Komponenten – wie insbesondere im Fall von Yazaki Saltano und Lear. Hinzu kam der drohende Abbau von Arbeitsplätzen bei anderen Unternehmen wie Sunviauto und Delphi und bei hunderten von Kleinst- und Kleinfirmen, die von dieser Situation betroffen waren.
In einigen Fällen wurde die Produktion wegen fehlender Aufträge für mehrere Tage gestoppt, beispielsweise bei Autoeuropa in Palmela und im Komponentenwerk von Renault in Cacia (Aveiro). Geringere An- und Auslieferungen von Autos und Komponenten wirken sich wiederum negativ auf den Frachtverkehr aus.
Es ist daher unbedingt notwendig, Herr Kommissar, Herr amtierender Ratsvorsitzender, dass die Europäische Union außerordentliche Maßnahmen ergreift, um die Industrieproduktion zu unterstützen und die mit Rechten verbundene Beschäftigung zu sichern.
Andreas Mölzer (NI). – (DE) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Die Vorboten der Krise im Automobilsektor, wie etwa erste Auftragsrückgänge, wurden wahrscheinlich nicht ernst genug genommen. Zuerst wird man möglicherweise nur haben, dass nur die Sprit fressenden amerikanischen Autos betroffen sind. Wer sich aber bei den Autohändlern etwas umgehört hat, weiß, dass schon seit Monaten auch in der EU Dieselfahrzeuge als schwer verkäuflich gelten.
So braucht sich die Europäische Union über den immer größer werdenden Strudel an Problemen nicht zu wundern, denn sie hat am Niedergang dieser einst blühenden Branche fleißig mitgewirkt, etwa durch eine Flut von Vorschriften, die auf den Automobilsektor niedergeprasselt sind. Firmen brauchen aber einen stabilen vorhersehbaren rechtlichen Rahmen, um planen zu können. Wenn die EU hier ständig die Regeln ändert, treibt sie möglicherweise jede Branche irgendwann in den Ruin. Nicht zu vergessen sind auch das kontinuierliche Drehen an der Steuerschraube bei Dieseltreibstoff und zuletzt das Biokraftstoffabenteuer.
Zur Krisenlösung reicht es also nicht, wenn die EU die geplanten 40 Milliarden an Krediten locker macht. Sie muss künftig planbare vorhersehbare Rahmenbedingungen schaffen, und das für alle Branchen!
Werner Langen (PPE-DE). – (DE) Frau Präsidentin! Ich möchte noch einmal die Bedeutung der Automobilindustrie mit 12 Millionen direkten und indirekten Arbeitsplätzen und als Technologieführerin weltweit in dieser Branche unterstreichen. Wir müssen daran erinnern – Herr Kommissar Verheugen und andere haben es getan – dass die Automobilindustrie natürlich konjunkturabhängig und ölpreisabhängig ist und dass das Käuferverhalten in Zeiten der Finanzmarktkrise dramatische Vertrauensverluste aufweist. Das ist das Hauptproblem der Automobilindustrie. Wir haben hier einen sehr strammen Wettbewerb, und es kann überhaupt nicht möglich sein, dass eine einzelne Firma, und auch nicht ein einzelner Staat, hier wettbewerbsverzerrende Maßnahmen setzt, ohne dass die Europäische Kommission darauf achtet, diese Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden.
Das sage ich als Vorbemerkung. Daher sind die Vorschläge, ein europaweites Konjunkturprogramm aufzulegen, ebenso widersinnig wie auch einzelne Vorschläge, einen Schirm über die gesamte Automobilindustrie zu spannen. Was ich für richtig halte, ist, dass man Forschung und Entwicklung hin zu schadstoffarmen Autos fördert, entweder im Rahmen des Forschungsprogramms oder mit Krediten, wie das von der Kommission vorgeschlagen wird. Ich halte es für notwendig, dass auch die Beihilfen auf Mitgliedstaatebene zu keinen Verzerrungen im Wettbewerb führen. Ich bin auch der felsenfesten Überzeugung, dass wir die Wettbewerbspolitik insgesamt nicht ändern dürfen, wie ich das in den letzten Tagen in Vorschlägen auch von prominenter Seite in diesem Haus gelesen habe.
Die Kommission hat Recht, wenn sie die Wettbewerbsregeln strikt anwendet. Aber ich sage auch, für Fehler des Managements – etwa von GM in den USA und seiner Tochterfirmen – müssen wir möglicherweise europäische Übergangslösungen schaffen, aber keine Dauersubventionierung, die dem Wettbewerbsrecht unterliegen muss. Nur so wird es gelingen, in dieser Branche die Arbeitsplätze auf Dauer zu sichern, und ich sage auch, der beste Anreiz wäre, eine vernünftige Klimapolitik für Autos nach hinten zu verschieben, Autos bezahlbar zu machen, wie hier gesagt wurde, und keine übertriebenen Forderungen zu stellen. Das, was Frau Harms hier gesagt hat, kann ich nur als völlig fern der Realität bezeichnen.
Matthias Groote (PSE). – (DE) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, Herr amtierender Ratsvorsitzender, verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, die Automobilindustrie ist in der Krise, und hierfür gibt es viele Gründe. Insbesondere die Finanzkrise hat die Krise in diesem Sektor noch einmal forciert, und in den Mitgliedstaaten wird zurzeit an Lösungswegen gearbeitet.
Die europäische Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie. Darum brauchen wir für diese europäische Schlüsselindustrie auch europäische Lösungen, um die Krise zu bewältigen. Fast alle Autokonzerne weisen europäische Strukturen auf. Um nötige Investitionen in umweltschonende Autos – das ist heute mehrmals erwähnt worden – und verbrauchsarme Technologien tätigen zu können, brauchen die Autobauer öffentliche Bürgschaften oder zinsgünstige Darlehen der europäischen Investitionsbank. Aber auch die Zulieferindustrie – das ist ganz wichtig – darf hierbei nicht vergessen werden. Gerade da sind es kleine und mittelständische Unternehmen, in denen Arbeitsplätze geschaffen werden und die Innovationen stattfinden.
Aber was kann die Europäische Union unternehmen, um diese Schlüsselindustrie zu schützen? In der vergangenen Plenartagung hat der Ratspräsident den Vorschlag gemacht, Schlüsselindustrien zu schützen. Ein guter Vorschlag, wie ich finde, denn wenn man diesen Vorschlag einmal konsequent zu Ende denkt, heißt das: ein Volkswagengesetz für die gesamte europäische Automobilindustrie. Das wäre sicherlich ein gutes Instrument. Aber dieses Schutzinstrument wird zurzeit von der Europäischen Kommission bekämpft. Und hier meine Frage an die Kommission: Wird sie trotz der Krise in der Automobilindustrie an einer Klage festhalten oder ändert man jetzt angesichts der Krise diesen Kurs?
Sophia in 't Veld (ALDE). – (NL) Frau Präsidentin! Es ist bezeichnend, dass der Kommissar für Unternehmen und Industrie anwesend ist, aber nicht die Kommissarin für Wettbewerb. Ich habe große Bedenken, was Hilfen für die Automobilindustrie angeht. Die Probleme sind zweifellos sehr ernst, aber warum sollte die Automobilindustrie unterstützt werden, andere Branchen aber nicht? Die Kreditklemme hat die Probleme vielleicht verschärft, aber sicherlich nicht verursacht, und staatliche Hilfe sollte keine Belohnung für schlechte Führung sein. Auch wenn Rettungshilfen nach dem EU-Vertrag erlaubt sind, sollten wir Steuergelder – die schließlich von den Bürgern aufgebracht werden – nicht dafür einsetzen, notleidende Branchen über Wasser zu halten. Wir sollten auch nicht vergessen, dass in den letzten Jahren bereits sehr viel Geld in die Rettung von Automobilherstellern geflossen ist – und nicht immer mit Erfolg, wie ich hinzufügen möchte.
Ja, wir haben eine kurzfristige Verantwortung für gefährdete Arbeitsplätze, aber wir haben auch eine langfristige Verantwortung, nachfolgenden Generationen eine gesunde Wirtschaft, eine gesunde Umwelt und gesunde Staatsfinanzen zu hinterlassen. Ich finde es ein wenig ungerecht, dass für Pflege, für Bildung, für Kinderbetreuung und für die Umwelt seit Jahren kein Geld da ist und wir jetzt aufgefordert werden, Milliarden in die Rettung der Autoindustrie zu stecken. Wenn Hilfe gewährt wird, dann mit sehr strengen Auflagen im Hinblick auf die Gegenleistungen der Automobilindustrie in Form von Umstrukturierungsmaßnahmen und nur für zukunftsweisende, umweltfreundliche und innovative Aktivitäten. Schließlich kann staatliche Hilfe zwar möglicherweise Betriebe retten, sie kann aber durch Wettbewerbsverzerrung auch andere Unternehmen ruinieren.
Jean-Paul Gauzès (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr amtierender Ratsvorsitzender, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies ist schon mehrmals gesagt worden. Die Automobilindustrie beschäftigt in der Europäischen Union direkt oder indirekt 12 Millionen Menschen. Das entspricht 10 % des europäischen BIP. Die Automobilindustrie befindet sich heute in einer schweren Krise: der europäische Markt ist um etwa 15 % geschrumpft. Für die letzten Quartale 2008 könnte der Rückgang 17 % bis 20 % betragen.
Die Ergebnisse der Hersteller sind rückläufig. In diesem Zusammenhang wird der Mangel an liquiden Mitteln zur Hauptgefahr für diese Branche. Die Hersteller fahren infolgedessen ihre Produktion herunter und versuchen, die Strukturkosten zu senken. Arbeitsplätze fallen der Krise zuerst zum Opfer.
Wie Sie gesagt haben, Herr Präsident, ist angesichts dieser Krise eine zwischen Europa und den Mitgliedstaaten, vor allem den direkt betroffenen Staaten, abgestimmte Reaktion erforderlich. Die vorgesehene finanzielle Unterstützung der EIB ist notwendig.
Ihren Vorschlägen stimme ich natürlich zu. Zunächst geht es darum, Investitionen zu unterstützen, vor allem in die Konstruktion und Entwicklung sauberer Fahrzeuge und die Entwicklung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Außerdem müssen wir den Markt durch finanzielle Anreize zum Austausch der Fahrzeuge auf der Straße gegen Neufahrzeuge unterstützen. Wie der Kommissar gesagt hat, sind alte Fahrzeuge für einen erheblichen Teil der durch Autos verursachten Luftverschmutzung verantwortlich.
Allerdings müssen wir auch stabile und ehrgeizige, dabei aber realistische Rahmenbedingungen festlegen. Die Ziele zum Abbau der CO2-Emissionen müssen beibehalten werden, von den Unternehmen wurden und werden dafür beachtliche Mittel bereitgestellt, doch der Realismus muss uns dazu bringen, uns im Hinblick auf die Strafen für das Nichterreichen der Ziele in Zurückhaltung zu üben. Zu harte Strafen würden die allgemeinen Hersteller ruinieren.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Automobilindustrie die Branche ist, die den härtesten ökologischen Anforderungen unterliegt.
Schließlich wäre es unter den aktuellen Umständen für die Hersteller von Nachteil, wenn der Schutz für Karosserie-Außenteile untergraben würde.
Monica Giuntini (PSE). – (IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, diese Aussprache über eine der wichtigsten Branchen der europäischen Wirtschaft kommt zur rechten Zeit.
Die Weltwirtschaft verschlechtert sich zusehends, und das für die Automobilindustrie in Italien und in Europa bereits negative Umfeld wird ebenfalls immer schwieriger. Der Minister hat bereits die Zahlen genannt; so wurde 2008 ein deutlicher Umsatzrückgang um 5 % verzeichnet. Italien verzeichnete allein im Monat Oktober einen Rückgang um mehr als 18 %, das schlechteste Ergebnis des Sektors seit mehr als zehn Jahren.
Dies ist also eine Krise, von der die wichtigsten europäischen Märkte betroffen sind, wobei ich betonen möchte, dass sich die Krise nicht nur im Automobilbausektor bemerkbar macht, sondern über die gesamte Lieferkette spürbar ist, wobei Automobilzulieferer unter besonders schweren Auswirkungen zu leiden haben.
Wie gesagt, ist die gesamte Branche von der Krise betroffen, und nur als Beispiel möchte ich die Lage an der toskanischen Küste in Italien erwähnen, wo in den letzten Monaten infolge von Verlagerungsprozessen für hunderte von Arbeitsnehmern in großem Umfang Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch genommen und Zeitarbeitskräfte entlassen wurden. Ein Beispiel von vielen, das uns einen Eindruck von dem außerordentlichen Ernst der Lage vermittelt, ist die Delfi-Gruppe, deren Arbeitnehmer seit zweieinhalb Jahren Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. Es sind dringend Maßnahmen erforderlich, um diese Arbeitskräfte anderweitig einzusetzen. Die Schritte der lokalen Behörden bilden hier einen Ausgangspunkt.
Allerdings ist mittlerweile eine gewisse Machtlosigkeit seitens der nationalen, regionalen und lokalen Institutionen offensichtlich, und daher sind ein starkes Engagement und Maßnahmen durch Europa erforderlich. Hierzu zählt die Konfrontation der multinationalen Unternehmen mit den Problemen der Verlagerung und somit die Notwendigkeit, auf europäischer Ebene Maßnahmen zur Eindämmung dieser Krise zu ergreifen, um die Auswirkungen im sozialen Bereich und im Hinblick auf Arbeitsplätze zu vermeiden.
Gianluca Susta (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzkrise lehrt uns, dass wir zur Realwirtschaft zurückkehren müssen, und darum müssen wir die Erholung der europäischen Fertigungsindustrie unterstützen, vor allem zu einem Zeitpunkt, wo die USA unter Barack Obama sich anschicken, die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen in gewissem Maß zu verändern.
Man sollte nicht von staatlicher Hilfe sprechen, doch wir sollten unsere Fertigungsindustrie auf drei Gebieten stärken: bei dem Recycling, das überall in Europa gleich verstanden werden sollte, bei der Neuausrichtung der Produktion, die sich auf innovative Sektoren konzentrieren sollte, und bei der Verbraucherinformation und bei bedeutsamen Maßnahmen im Rahmen der Welthandelsorganisation zum Ausgleich von Zollschranken, insbesondere im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Fernost.
Nicht vergessen dürfen wir außerdem Investitionen in die Forschung auf diesem Sektor sowie in große materielle und immaterielle Infrastruktur. Wir müssen weltweit fair spielen. Heute ändern sich die Regeln, und wir müssen die Schlussfolgerungen der G20 nutzen, um zu einem gleichen Ausgangspunkt zurückzukehren.
Gunnar Hökmark (PPE-DE). – (SV) Frau Präsidentin! Was jetzt in ganz Europa zählt, sind Arbeitsplätze. Das, was wir innerhalb der Automobilindustrie erleben, ist eine industrielle Herausforderung, die auch für andere Teile der europäischen Wirtschaft charakteristisch ist. Jetzt darf es nicht passieren, dass staatliche Hilfe die Arbeitsplätze in Unternehmen in einem Land gefährdet und in einem anderen Land fördert. Staatliche Hilfe darf nicht der Industrie in einem Bereich schaden und in einem anderen Bereich helfen, denn das würde zu Arbeitslosigkeit und einem Arbeitsplatzverlust führen, der sich dann schrittweise in ganz Europa fortsetzen würde. Staatliche Hilfe darf nicht dazu führen, dass die die Dinge für gut laufende Unternehmen erschwert werden, während sie Unternehmen am Leben hält, die allein nicht mehr lebensfähig sind. Das Problem in der Automobilindustrie ist langfristiger Natur und ein Problem, das in dieser Finanzkrise klarer geworden ist, obgleich wir schon seit langem massive Verluste, eine weltweit rückläufige Nachfrage und Überkapazitäten beobachtet haben.
Wichtig ist jetzt in erster Linie, in Europa für Nachfrage zu sorgen. Das bedeutet Steuersenkungen, um die Nachfrage europäischer Haushalte nach hier gefertigten Produkten anzukurbeln. Es bedeutet, dafür zu sorgen, dass die europäische Industrie auf einem Gebiet nach dem anderen in puncto Technologie und Entwicklung eine führende Stellung einnehmen kann, auch auf dem Umwelt- und dem Energiesektor. Dort sollten die öffentlichen Anstrengungen konzentriert werden.
Es bedeutet aber auch, den Weg für die europäische Automobilindustrie frei zu machen, um ein Global Player zu werden. Dazu müssen wir sicherstellen, dass es offenen Freihandel geben kann, bei dem die europäische Automobilindustrie Zugang zu den Weltmärkten hat. Wir sollten daher unbedingt bedenken, dass diejenigen, die heute den Freihandel und Fortschritte bei der Doha-Runde behindern, eigentlich die Chancen der europäischen Automobilindustrie schmälern, auf den großen Märkten der Zukunft zu wachsen.
Patrizia Toia (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der äußerst ernsten Krise, in der sich der Automobilsektor von Amerika bis hin zu unserem Kontinent befindet, hat Europa eine ganz klare Wahl: Entweder bleibt es untätig und beobachtet diesen Einbruch der Nachfrage und der Produktion, dessen Auswirkungen wir heute noch gar nicht abschätzen können, im Namen einer abstrakten Übereinstimmung mit einem theoretischen Modell des Marktliberalismus und unter Wahrung des Wettbewerbs, worauf einige Stimmen hier heute gedrängt haben, oder es nimmt seine Verantwortung wahr, die Situation angemessen anzugehen.
Wir haben uns für die zweite Option entschieden und fordern die Kommission und den Rat auf, Entschlossenheit und Bestimmtheit zu zeigen. Wir begrüßen die Ausführungen von Kommissar Verheugen und hoffen, dass seine Entschlossenheit von seinen Kollegen nicht zu sehr gebremst wird. Dies ist eine außergewöhnliche Situation, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordert.
Andererseits, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich in der Finanzkrise politische und wirtschaftliche Stellen für Vorgehensweisen und Investitionen öffentlicher Mittel entschieden, die bis vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen wären. Unsere Maßnahmen müssen jedoch– und damit komme ich zum Schluss– selektiv sein, Strategie mit Dringlichkeit in Einklang bringen und durch attraktivere Darlehen und die Stützung der Nachfrage eine selektive Neuausrichtung auf eine ökologisch nachhaltigere Produktion fördern.
Martin Callanan (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Die europäische Automobilindustrie hat sich, wie ich finde, in den letzten Jahren trotz teilweise extrem harter wirtschaftlicher Bedingungen und einer wahren Flut von EU-Rechtsvorschriften als bemerkenswert robust erwiesen. In puncto Umweltbewusstsein, technischen Standards und Innovation sind unsere Autohersteller weltweit führend. Diese Leistungen verdienen es, unterstützt und nicht untergraben zu werden. Besonders stolz bin ich auf die Autoindustrie in Großbritannien, und ich möchte, wenn Sie erlauben, Werbung für mein örtliches Nissan-Werk machen, das produktivste Automobilwerk in Europa, das in meiner Region im Nordosten Englands angesiedelt ist.
Niemand würde die Bedeutung des Umweltschutzes bestreiten, doch ich habe die große Befürchtung, dass wir in unserem Eifer, unsere grüne Gesinnung unter Beweis zu stellen, mitunter Gefahr laufen, eine sehr wichtige und erfolgreiche Branche zu zerstören. Wir erleben bereits einen massiven Absatzrückgang in Großbritannien. Im letzten Monat ging der Umsatz um 23 % zurück. Statt der Branche einen sehr starren und unflexiblen Zeitplan für Veränderungen aufzuerlegen, sollten wir lieber versuchen, sie zu unterstützen und ihr einen Anreiz für die Durchführung der zur Sicherung ihrer Zukunft notwendigen Veränderungen zu bieten. Wenn die Automobilindustrie unsere politische Unterstützung hat – und auch unsere politische Unterstützung für die Zulieferindustrie – können wir ihr helfen, diese schwierige Zeit zu überstehen.
Ich hoffe, dass die Kommission ein äußerst wachsames Auge darauf haben wird, dass Mitgliedstaaten bei Staatshilfen für Autohersteller nicht zu weit gehen. In Großbritannien haben wir die Automobilindustrie sehr lange und sehr erfolglos staatlich gefördert. In den 1980er Jahren haben wir damit Schluss gemacht. Ich hoffe, wir werden nicht wieder dahin zurückkehren, denn wenn wir öffentliche Gelder in die Automobilindustrie pumpen, was ist dann mit dem Baugewerbe und der Nahrungsmittelindustrie? Alle Branchen sind betroffen, und wir müssen mit dem Geld des gebeutelten Steuerzahlers äußerst sorgsam umgehen und darauf achten, dass wir nicht zu viel davon in die Automobilindustrie stecken. Das hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Die Kommission wird hoffentlich äußerst wachsam sein und auf Mitgliedstaaten achten, die fälschlicherweise versucht sein könnten, diesen Irrweg einzuschlagen.
Ivo Belet (PPE-DE). – (NL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, liebe Kollegen! Wie bereits gesagt wurde, ist die Automobilindustrie eine äußerst wichtige Branche, eine Schlüsselbranche der europäischen Wirtschaft, die direkt oder indirekt 12 Millionen Menschen beschäftigt. Das ist enorm viel. Daher bin ich der Meinung, dass günstige Darlehen für diese Schlüsselbranche mehr als gerechtfertigt sind, aber dieses frische Geld muss natürlich für neue, umweltfreundliche Technologien eingesetzt werden. Wir können von den europäischen Autoherstellern erwarten, dass sie bei der Entwicklung dieser neuen Technologien noch stärker zusammenarbeiten, zum Beispiel bei der Entwicklung von bezahlbaren Hochleistungsbatterien für Elektrofahrzeuge.
Im Übrigen müssen wir zugeben, dass Europa selbst auch Fehler gemacht hat. Wir haben vielleicht zu sehr auf Wasserstoff gesetzt, wohingegen jetzt innerhalb sehr kurzer Zeit sparsame, elektrische Hybridmotoren gebraucht werden. Darum müssen wir möglicherweise die Prioritäten und Projekte entsprechend anpassen, vor allem im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung. Unser Ziel sollte es sein – warum eigentlich nicht –, dass bis 2020 alle Neuwagen in Europa Elektroautos sind, gleich, ob sie mit Hybridantrieb ausgestattet sind oder nicht. Warum sollte das nicht möglich sein? Um das zu erreichen, benötigen wir eine schnelle Umstellung, und das bedeutet, dass wir auch in die Ausbildung der Arbeitnehmer investieren müssen. Wir gehen davon aus, Herr Kommissar, dass Sie auch der Ansicht sind, dass Hilfen für die Ausbildung von Arbeitskräften eine zukunftsorientierte und gerechtfertigte Investition darstellen und als solche betrachtet werden. Bei verschiedenen Herstellern, darunter Ford in Genk und Opel in Antwerpen, werden übrigens bereits Investitionen und große Anstrengungen unternommen, auch für auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen. Meiner Ansicht nach ist es gerechtfertigt, eine derartige Politik weiter zu unterstützen und zu belohnen.
Schließlich sind die CO2-Rechtsvorschriften, die wir in den nächsten Wochen verabschieden werden, eine ideale Gelegenheit, uns ambitionierte Ziele zu setzen. Krisen bieten immer auch Chancen. Wir müssen uns jetzt gemeinsam dafür einsetzen, diese Autos der nächsten Generation zu bauen. Wenn wir jetzt dranbleiben, dann wird die Europäische Union die nächsten Jahrzehnte den Markt beherrschen. Daher dieser Appell an die europäischen Hersteller, aus der Deckung zu kommen und in die Offensive zu gehen.
Pierre Pribetich (PSE). – (FR) Frau Präsidentin! Welche Strategie sollten wir zur Überwindung dieser Krise verfolgen? Die Fakten liegen uns jetzt vor. Von der Krise sind alle Hersteller betroffen, und die Folgewirkungen treffen die 12 Millionen Bürger Europas, die in der Automobilindustrie beschäftigt sind.
Wir müssen zuallererst an diese Beschäftigten und ihre Familien denken, und wir müssen uns als vorrangiges Ziel setzen, diese zu schützen, indem wir diese quälende Frage beantworten: welche Strategie ist nötig, um diese Krise zu überwinden?
Eine schnelle und effektive, einheitliche und strukturierte Industriepolitik auf mittlere und lange Sicht, ein „New Car Deal“, eine koordinierte Reaktion der Mitgliedstaaten und der Union, die der Situation angemessen ist.
Ich höre in diesem Parlament, wie die alten dogmatischen Ansichten des überholten Liberalismus wieder aufkommen: keine Hilfe, keine Subventionen, Wettbewerb, nichts als Wettbewerb. Meine Damen und Herren, es ist Zeit für Regulierungen, für staatliches Handeln. Darum brauchen wir einen New Car Deal, einen ehrgeizigen und intelligenten Plan für die Automobilindustrie, um in erster Linie Arbeitsplätze zu sichern, die Beschäftigung in Europa auszubauen und die Ausbildung zu unterstützen. Dann müssen wir die technologische Umstellung der Unternehmen auf saubere und intelligente Fahrzeuge beschleunigen. Hierzu müssen wir die Nachfrage beleben, indem der Austausch alter, umweltverschmutzender Fahrzeuge durch einen europäischen Umweltbonus vereinfacht wird.
Kurz gesagt, Europa muss handeln und darf eine Reaktion nicht schuldig bleiben. Es muss handeln und darf nicht stumm und untätig bleiben. Wir müssen handeln, und zwar intelligent, um diese Umgestaltung zu unterstützen.
Dumitru Oprea (PPE-DE) . – (RO) Wir leben in einer Welt, in der wir uns nicht mehr mit einem Pferd pro Person fortbewegen, sondern dutzende oder gar hunderte Pferdestärken nutzen. 4- und 5-Sitzer werden 75 % der Zeit zur Beförderung einer einzigen Person genutzt. Mehr als 100 Jahre lang haben sie 7,5 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer verbraucht. Die großen Probleme, vor denen die Menschheit steht, haben mit Verhalten und mit Umweltverschmutzung zu tun. Deshalb müssen wir unsere Einstellung zu Autos und unsere Nutzungsmuster überdenken. Sie müssen viel kleiner sein, sicher, umweltfreundlich, verbrauchsarm – und das zu Preisen, die es erlauben, das menschliche Verhalten in Zukunft zu steuern.
Ieke van den Burg (PSE) – (NL) Frau Präsidentin! Bei aller berechtigten Kritik an der Automobilindustrie und der Art und Weise, wie die Kommission vorgegangen ist, haben wir keine andere Wahl, als der Automobilindustrie Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie, wie der Wohnungsbau, vor einem dramatischen Einbruch steht. Alle Alarmglocken schrillen, darum müssen wir rechtzeitig, kurzfristig und gezielt handeln.
Ich möchte drei Dinge hervorheben: Es darf hier nicht nur um die großen Automobilhersteller gehen, sondern auch die Zulieferer und die Finanzierungsgesellschaften müssen einbezogen werden. Die Umstrukturierung muss sich auf sauberere, sparsamere Autos konzentrieren, und bestimmte Aspekte werden auf europäischer Ebene koordiniert werden müssen. Wir müssen die Mitgliedstaaten von Alleingängen abhalten, die die Probleme in Nachbarländern verschlimmern könnten. Das ist besonders für Zulieferer wichtig, weil diese grenzüberschreitend tätig sind. Sie arbeiten innerhalb des Binnenmarktes und sollten die Maßnahmen in dem gleichen Umfang nutzen können, nicht nur auf nationaler Ebene. Diese gleichen Bedingungen müssen von der Europäischen Kommission genau beobachtet werden. Insofern bin ich mit der Rolle einverstanden, die in diesem Zusammenhang der Generaldirektion Wettbewerb zugewiesen worden ist.
Marie Anne Isler Béguin (Verts/ALE). - (FR) Frau Präsidentin! Nachdem wir für die Rettung der Banken gezahlt haben, müssen wir jetzt die Automobilindustrie retten, natürlich wieder mit öffentlichen Mitteln. Seit mehr als zehn Jahren weisen wir die Automobilindustrie jedoch auf die Folgen der CO2-Emissionen für die öffentliche Gesundheit hin. Seit mehr als zehn Jahren fordern wir die Industrie auf, saubere Autos zu bauen. Seit mehr als zehn Jahren stellt sie sich taub und leistet mit der mächtigen Automobillobby Widerstand. Sie bremst jegliche Entwicklung. Erst kürzlich, Herr Kommissar, und Sie werden das wissen, hat sie hier in diesem Parlament „CARS 21“ abgelehnt, um die Emissionen nicht unter 130 Gramm zu senken.
Aber nachdem man beträchtliche Gewinne erzielt hat, die nicht in die industrielle Umstrukturierung investiert wurden, ist die Finanzkrise ein guter Vorwand, um öffentliche Hilfen zu bitten und an allen Ecken und Enden Personal abzubauen. Wird der Verbraucher wieder einmal zum Narren gehalten? Er wird tatsächlich bezahlen müssen, um saubere Autos kaufen zu können – ohne Garantie, dass diese billiger sind, so wie in der jetzigen Situation.
Deshalb muss man die Automobilindustrie anders ausrichten, um künftige Konkurse zu vermeiden, denn wir müssen uns auf die Zeit nach dem Auto vorbereiten.
Kurt Joachim Lauk (PPE-DE). – (DE) Frau Präsidentin! Zunächst stellen wir fest, dass die Märkte in Europa, die weniger eingebrochen sind, klare Rahmenbedingungen haben, was die Steuergesetzgebung für CO2 angeht, und klare Rahmenbedingungen, was von den Automobilherstellern erwartet wird. Herr Jouyet, wenn Ihre Präsidentschaft es erreicht, dass die Nationalstaaten verpflichtet werden, möglichst schnell klare Rahmenbedingungen zu schaffen, dann fasst auch der Verbraucher wieder Vertrauen. Das ist die beste Hilfe für die Automobilindustrie.
Und ein Zweites sollten wir tun. Wir sollten jetzt nicht über Subventionierung in Milliardenhöhe reden und gleichzeitig der Automobilindustrie androhen, Strafen in Milliardenhöhe zu zahlen, wenn Ziele nicht erreicht werden. Daraus wird kein Schuh. Das ist eine massive Verunsicherung und verteuert das Automobil für den Verbraucher. Wir sollten anders vorgehen und eine Vision setzen und sagen: Bis zum Ende der Dekade 2020 sollten 20, 25, 30 % der Automobile emissionsfrei fahren. Das würde Innovation auslösen und nach vorne bringen und den Verbraucher bezüglich der zukünftigen Strategie der Automobilindustrie in Europa mit Klarheit versehen.
Inés Ayala Sender (PSE). – (ES) Frau Präsidentin! In der gegenwärtigen Krisensituation sind die lobenswerten Bemühungen der französischen Präsidentschaft und des Herrn Industriekommissars Verheugen zu begrüßen. Wir brauchen aber mehr, und zwar dringend. Zudem müssen der Industrie- und der Wettbewerbskommissar einer Meinung sein.
Die Automobilindustrie, also Hersteller, Zulieferindustrie, Händler und Finanzgesellschaften, benötigt dringend einen mutigen, vielfältigen Hilfsplan. Die Bürger werden die Bescheidenheit und Zurückhaltung nicht verstehen, mit der Entscheidungen über Hilfen zur Unterstützung der Automobilindustrie mit ihren zahlreichen direkten, hoch qualifizierten Arbeitsplätzen getroffen werden, zumal bei den Hilfen für den Finanzsektor enormer Eifer an den Tag gelegt wurde und selbst schwerste Fehler mit Milde beurteilt wurden.
Die Opel-Arbeiter in Figueruelas bei Saragossa, die ihr Unternehmen in Spanien und Deutschland in seiner Entwicklung begleitet und unterstützt haben, werden dies ebenso wenig verstehen wie die Regierung von Aragón oder die spanische Regierung, die alle ihre Investitionsmittel einsetzen und auf die Kooperation und Führung der Europäischen Union hoffen.
Wir brauchen einen raschen und mutigen Plan, der schnell hilft, den europäischen Automobilbestand durch sicherere und sauberere Fahrzeuge zu ersetzen. Wir brauchen einen europäischen „Plan Renove“, ein Erneuerungsprogramm, das ab Dezember greift und Anreize für alle möglichen Maßnahmen von der Direktinvestition bis zum Verbrauch schafft.
Zudem brauchen die europäischen Automobilhersteller wie auch Zulieferindustrie, Händler und Finanzgesellschaften Hilfen und Bürgschaften. Eine schnelle, unkomplizierte und logische Vereinbarung in der Fahrzeug- und Emissionsfrage wäre ebenfalls hilfreich.
Gabriele Albertini (PPE-DE). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Präsident der Eurogruppe und luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker hat erklärt, dass wir als Reaktion auf den von den Vereinigten Staaten angekündigten Rettungsplan eine europäische Strategie zur Rettung der Automobilindustrie brauchen. Ich bin mit dem Gesagten vollkommen einverstanden und hoffe, dass es auch umgesetzt wird.
Bei dem nächsten Treffen der Finanzminister der Mitgliedstaaten wird die Europäische Investitionsbank vorschlagen, das Darlehensvolumen in den Jahren 2009 und 2010 um 20 bzw. 30 % zu erhöhen, was 10-15 Milliarden Euro pro Jahr für die Automobilindustrie entspricht. Diese Entscheidung kommt gerade rechtzeitig. Einige Mitgliedstaaten haben bereits eigene Maßnahmen getroffen: die deutsche Regierung hat beispielsweise Anfang des Monats einen Hilfsplan für die Wirtschaft vorgelegt, der neue Investitionen im Umfang von 50 Milliarden Euro im nächsten Jahr anstoßen soll. Zu den Schlüsselsektoren, die hierbei berücksichtigt werden, gehört auch die Automobilindustrie.
Ich hoffe, dass die Europäische Kommission geschlossen ebenso handelt. Hilfen für den Sektor sollten innerhalb der Europäischen Union investiert werden und deshalb an Unternehmen gehen, die ihre Produktion nicht verlagern. Angesichts der Umstände ist jede Entscheidung, Unternehmen Hilfen zu gewähren, äußerst willkommen, und ihr Hauptziel sollte die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Förderung von Investitionen in Europa sein.
Dorette Corbey (PSE). - (NL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Ich stimme den Anmerkungen von Rebecca Harms zu. Die Unterstützung, die für die Automobilindustrie notwendig ist, ist in der Tat ein Zeichen für eine verfehlte Industriepolitik. Seit Jahren wird über die Notwendigkeit geredet, die Automobilindustrie auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten, was letztlich nicht erfolgt ist. Immer wieder hat die Automobilindustrie die Rufe nach Autos überhört, die umweltfreundlicher und sparsamer sind. Letzten Endes haben wir nichts vorzuweisen. Die Automobilindustrie hat keine Innovationen unternommen, um Autos mit geringerem CO2-Ausstoß herzustellen, und noch immer arbeitet die Lobby daran, die CO2-Grenzen für die Automobilindustrie aufzuweichen, was jammerschade ist.
Die Frage ist nun: Wohin geht die Reise? Ich meine, dass wir die Automobilindustrie weiterhin unterstützen können, doch muss dies an sehr strenge Anforderungen geknüpft werden. Wirkliche Unterstützung sollte nur für Elektroautos, ein komplettes Programm zur Elektrifizierung der Automobilindustrie und natürlich für die Umschulung der Arbeitskräfte gewährt werden. Es ist schließlich sehr wichtig, dass die Arbeitnehmer in der Automobilindustrie eine Zukunft haben. Wir dürfen sie niemals vergessen.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Frau Präsidentin! Ich möchte allen Rednern danken. Das ist eine sehr fruchtbare Aussprache über eine wichtige Frage, und wie die Präsidentschaft habe auch ich das Gefühl, welches von der Mehrzahl von Ihnen zum Ausdruck gebracht worden ist, nämlich dass es für uns unabdingbar ist, angesichts dieser außergewöhnlichen Situation, die eine Schlüsselindustrie betrifft, die volle Verantwortung zu übernehmen: Wie Sie dargelegt haben, lauten die Fakten: 12 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union und eine wegen des Ausmaßes von Verbraucherkrediten, das für diese Branche kennzeichnend ist, von der Finanzkrise getroffene Industrie.
Darüber hinaus geht es um eine Branche, die sich beispiellosen ökologischen Herausforderungen stellen muss. Zu einer Zeit, da wir uns auch noch mit der Annahme des Energie- und Klimapakets befassen, das eine der großen Herausforderungen für die Europäische Union darstellt, ist es eine Sache, den Zeitplan nicht einzuhalten – verlorene Zeit nicht aufzuholen, ist eine ganz andere.
Darum ist dies eine außergewöhnliche Situation, und für die Präsidentschaft muss die europäische Reaktion diesen Herausforderungen angemessen sein. Die Reaktion muss drei Faktoren berücksichtigen.
Erstens, was unsere Partner in Drittländern machen. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit dieser europäischen Industrie erhalten. Zweitens müssen wir die Hauptziele der Europäischen Union wahren: Die Vorschläge der Kommission müssen das Erreichen der Ihnen bekannten Ziele des Energie- und Klimapakets fördern. Bezüglich der CO2-Emissionen von Kraftfahrzeugen stehen wir meiner Ansicht nach kurz vor einer Vereinbarung, die jetzt im Rahmen der Verfahren erreicht werden kann, an denen dieses Parlament, die Kommission und der Rat beteiligt sind.
Drittens müssen wir auch die Integrität des Binnenmarktes achten. Transparenz und Gleichbehandlung sowie Koordinierung sind ausschlaggebend, doch wenn solche Umstände vorliegen, wie wir sie derzeit erleben, schließt das keineswegs zeitweilige gezielte Unterstützungen aus, die auf der Grundlage von Zusagen seitens der Automobilindustrie festgelegt und gewährt werden.
Ich nehme die von Kommissar Verheugen vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kenntnis, die ich für gute Initiativen halte und die von der Präsidentschaft unterstützt werden, sei es über Darlehen der Europäischen Investitionsbank für die wichtigsten ökologischen Investitionen, sei es über steuerliche Anreize, um die Nachfrage nach Autos besser mit Umweltaspekten in Einklang zu bringen, um die alternden Fahrzeuge auszutauschen, die immer weniger den Umweltanforderungen genügen, um die Kosten von Kraftfahrzeugen zu senken, was ebenfalls ein wichtiges Ziel zu sein scheint, und um sich weiter in Richtung wirtschaftlicherer Fahrzeuge zu bewegen. Schließlich halte ich in Krisensituationen auch die Bereitstellung von staatlichen Garantien in diesem Sektor für wichtig.
Ich meine auch, dass wir Anreize für die Entwicklung der Ausbildung und – in bestimmten Fällen – der Umschulung benötigen, weil wir uns in den kommenden Wochen und den ersten Monaten des Jahres 2009 wohl leider auf eine noch schwierigere Lage einstellen müssen.
Alles, was Kommissar Verheugen vorgeschlagen hat, scheint mir in die richtige Richtung zu gehen, und wir werden ihn unterstützen. Es ist jetzt eine Frage der Zeit: Wir müssen schnell handeln, und ich befürworte auch die von Herrn Goebbels vorgetragene Idee eines stabilen und offensiven europäischen Rahmens, um die Wettbewerbsfähigkeit dieser entscheidenden Industrie zu erhalten.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. – (DE) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde es schade, dass Frau Harms nicht mehr da ist. Nach einer so ungewöhnlichen, die Grenze der Beleidigung erreichenden Attacke wäre es richtig gewesen, mir die Gelegenheit zu geben, ihr zu antworten. Ich werde das dann schriftlich tun. Aber ich weise das, was Frau Harms gesagt hat, im Namen der Kommission in Stil und Inhalt in aller Entschiedenheit zurück!
(Beifall)
Das ist nicht akzeptabel!
Zur Sache selbst: Die europäische Automobilindustrie hängt nicht am Tropf. In einigen Beiträgen entstand der Eindruck, als hätten wir es hier mit einem Sektor zu tun, der von Subventionen abhängig ist oder nach Subventionen verlangt. Es werden keine Subventionen an die europäische Automobilindustrie gezahlt, und sie verlangt auch keine Subventionen. Unsere ganze Industriepolitik stützt sich ja gerade darauf, dass wir von Subventionen unabhängig sein wollen.
Das einzige Instrument, das es gibt, sind zinsverbilligte Darlehen der Europäischen Investitionsbank. Nur, damit jeder sich im Klaren darüber ist, was das heißt: Diese Darlehen liegen dann bei den Zinsen vielleicht etwa 1 % unter den marktüblichen Konditionen. Das ist deshalb notwendig, damit die Investitionen, die z. B. Sie als europäischer Gesetzgeber von den Automobilherstellern verlangen – nämlich Investitionen in moderne umweltfreundliche Technologien – auch finanziert werden können. Aus diesem Grund macht die Europäische Investitionsbank das und nicht nur für den europäischen Automobilsektor. Hier ist der Eindruck entstanden, als wäre die Automobilbranche die einzige europäische Branche, die von solchen Darlehen der Europäischen Investitionsbank Gebrauch machen kann. Nein, das ist nicht der Fall! Das geht quer durch alle Sektoren hindurch, ist also überhaupt nichts Besonderes. Ich bitte dringend darum, hier nicht den Eindruck zu vermitteln, die europäische Automobilindustrie sei eine notleidende Branche, die am Tropf des Staates hängt. Das tut sie nicht und das braucht sie auch nicht, denn sie ist in ihrem technischen Stand und in ihrer Wettbewerbsfähigkeit ganz eindeutig die leistungsfähigste Automobilindustrie der Welt. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie das auch bleiben wird.
Wir arbeiten seit Jahren – mit der Industrie und der Wissenschaft – daran, die modernen Technologien der Zukunft zu entwickeln. Wir geben im Rahmen des Siebten Forschungsrahmensprogramms viel Geld dafür aus, und das schon seit Jahren. Wir arbeiten intensiv daran, dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für diese Industrie stabil sind. Es war der erste industrielle Sektor, für den wir eine solche Sektorpolitik überhaupt entwickelt haben, und zwar genau aus dem Grund, weil wir rechtzeitig gesehen haben, dass hier Probleme kommen.
Zum Fall Opel will ich noch einmal sagen: Es ist eine absolut exzeptionelle, außergewöhnliche Situation, die mit der Geschäftspolitik des Unternehmens selbst nichts zu tun hat. Es handelt sich ausschließlich um eine Folgewirkung von Problemen, die in den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden sind, die sich auf Europa auswirken und für die wir eine Antwort finden müssen.
Letzter Punkt: Herr Groote hatte das ihn besonders interessierende Thema des Volkswagengesetzes angesprochen. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, eine europäische Initiative zu starten mit dem Ziel, ähnliche gesetzliche Regelungen für alle europäischen Automobilhersteller zu haben. Damit wird auch kaum ein anderer einverstanden sein. Nach meiner Kenntnis, Herr Groote, hat die Kommission ihre Auffassung in dieser Frage nicht geändert. Entscheidungen sind aber bald zu erwarten.
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt um 11.30 Uhr.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Esko Seppänen (GUE/NGL), schriftlich. – (FI) Die Automobilindustrie befindet sich weltweit in Schwierigkeiten, allerdings trifft das nicht für alle Werke zu. Porsche hat eine neue Möglichkeit gefunden, Geld zu verdienen, und zwar durch Optionen für den Kauf von Volkswagen-Aktien. Das ist allerdings keine Lösung für die Probleme von VW oder die Probleme anderer Autobauer.
Die Bankenkrise hat eine Autokrise mit sich gebracht: In einem Konjunkturabschwung können die Menschen sich den Kauf neuer Autos bzw. des dafür nötigen Kraftstoffs nicht leisten. Die Europäische Investitionsbank will die Automobilindustrie im Namen der EU retten, aber wir müssen noch einmal überlegen, ob die Welt all die Kapazitäten braucht, die heute zur Produktion von Autos genutzt werden. Wenn die Kredite der EIB für neue Energie- und Umwelttechnik eingesetzt würden, würde das den wirklichen Bedürfnissen der Welt zum jetzigen Zeitpunkt besser entsprechen. Das Geld, das die Verbraucher in den letzten Jahren für neue Autos zur Verfügung hatten, ist weg und kommt auch nicht zurück.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE), schriftlich. – (RO) Die Automobilindustrie ist eine der Triebfedern der europäischen Wirtschaft. Pro Jahr werden in Europa rund 300 000 Pkw und 300 000 Nutzfahrzeuge produziert. Der Straßenverkehr ist für 72 % aller verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich, doch jetzt ist es an der Zeit, dass wir die Bedeutung der Automobilindustrie in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bekräftigen.
Die Finanzkrise und die wirtschaftliche Rezession haben massive Auswirkungen auf die Automobilindustrie, die direkt und indirekt mehr als 15 Millionen Arbeitsplätze sichert. 2012 wird für die Automobilindustrie Europas ein entscheidendes Jahr, weil für Kraftstoffqualität, Schadstoffemissions-Grenzwerte, Musterzulassung und Sicherheit der Verkehrsteilnehmer neue Vorschriften in Kraft treten.
Damit unser Straßenverkehr ökologischer wird, will die Union Boni für umweltfreundlichere Fahrzeuge einführen und diejenigen Fahrzeuge mit einer Strafe belegen, die die Umwelt stärker verschmutzen. Das „Klimapaket“ wird daher eines der Instrumente werden, die die Nachfrage nach Fahrzeugen ankurbeln sollen, die umweltfreundlicher und sicherer sind.
Das soziale Europa basiert auf wirtschaftlicher Entwicklung und in gleichem Maße auf sozialen Werten. Die europäische Automobilindustrie muss unterstützt werden, damit sie die neuen Herausforderungen angehen kann, sodass die bestehenden Arbeitsplätze erhalten werden können und die Branche wettbewerbsfähig bleiben kann.
(Die Sitzung wird um 11.25 Uhr unterbrochen und um 11.35 Uhr wiederaufgenommen.)
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Abstimmung.
(Ergebnisse und andere Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll)
5.1. Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz (A6-0425/2008, Karin Scheele) (Abstimmung)
5.2. Veröffentlichungs- und Übersetzungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (A6-0400/2008, Piia-Noora Kauppi) (Abstimmung)
5.3. Europäische Statistiken (A6-0349/2008, Andreas Schwab) (Abstimmung)
5.4. Direktzahlungen und Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe (A6-0402/2008, Luis Manuel Capoulas Santos) (Abstimmung)
(Die Sitzung wird um 12.00 Uhr für die feierliche Sitzung unterbrochen und um 12.30 Uhr wieder aufgenommen.)
Der Präsident. − (DE) Sehr verehrter Herr Großrabbiner Sir Jonathan Sacks, sehr verehrte Lady Sacks, sehr geehrter Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine große Ehre und Freude, den Großrabbiner der United Hebrew Congregations of the Commonwealth im Europäischen Parlament in Straßburg zu dieser feierlichen Sitzung zusammen mit seiner Frau im Rahmen des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs 2008 zu begrüßen. Herzlich willkommen, Sir Jonathan, hier im Europäischen Parlament.
(Beifall)
Als erster Gast in diesem Jahr des Dialogs der Kulturen hat der Großmufti von Syrien, Sheikh Ahmad Badr Al-Din Hassoun, eine Rede in unserer Plenarsitzung gehalten. Im weiteren Verlauf des Jahres hörten wir eine Ansprache des Ökumenischen Patriarchs von Konstantinopel, Bartholomäus I. Mit Ihrer Rede heute, verehrter Herr Großrabbiner, werden wir somit Vertreter des jüdischen Glaubens, des christlichen Glaubens und des Islam gehört haben.
Jede dieser Religionen hat ihren eigenen besonderen Beitrag geleistet, um das zu gestalten, was die heutige europäische Gesellschaft geworden ist und auszeichnet. Das gleiche gilt für Humanismus und Aufklärung. Wenn wir auch in säkularen Gesellschaften leben, in denen es eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat gibt, ist es angebracht, die positive Rolle, welche die organisierte Religion in unseren Gesellschaften spielt, in gebührender Weise anzuerkennen.
Dies trifft nicht nur in Bezug auf den konkreten Beitrag zu Bereichen wie Bildung, Gesundheit und soziale Dienste zu, sondern in gleichem Maß für die Entwicklung unseres ethischen Bewusstseins und die Gestaltung unserer Werte. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft, der grundlegendste Wert ist die jedem Menschen innewohnende Würde.
Sehr verehrter Herr Großrabbiner, Sie sind als großer Autor und Professor, unübertrefflicher Gelehrter und einer der weltweit führendsten Vertreter des jüdischen Glaubens anerkannt. Sie haben oft über die Gefahr geschrieben und gesprochen, die ein Wiederaufleben des Antisemitismus für unsere Gesellschaften darstellt.
Letzte Woche haben wir im Europäischen Parlament in Brüssel eine ganz besondere Gedenkfeier abgehalten – die wir gemeinsam mit dem Europäischen Jüdischen Kongress veranstaltet haben –, um des 70. Jahrestags der Reichspogromnacht zu gedenken. Bei dieser Gelegenheit habe ich darauf hingewiesen, dass wir in der Europäischen Union eine Verantwortung tragen und die Pflicht haben, uns absolut ohne Ausnahme oder ohne Beschwichtigung allen Formen von Extremismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu widersetzen und die Demokratie, den Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde weltweit zu verteidigen.
Sehr verehrter Herr Großrabbiner, in Ihrem Buch – und damit darf ich zum Abschluss kommen – „The Dignity of Difference“, das ein Jahr nach den schrecklichen Ereignissen des 11. September 2001 geschrieben wurde, griffen Sie eine der wesentlichsten Fragen unserer Zeit auf: Können wir alle friedlich zusammen leben, und wenn ja, wie? Es ist jetzt eine große Freude und Ehre, Sie, den Großrabbiner der United Hebrew Congregations of the Commonwealth, zu bitten, zu uns zu sprechen.
(Beifall)
Sir Jonathan Sacks, Großrabbiner der United Hebrew Congregations of the Commonwealth. − Herr Präsident, verehrte Abgeordnete des Europäischen Parlaments! Ich danke Ihnen für die Ehre, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen, und noch mehr danke ich Ihnen für diese wichtige Initiative des interkulturellen Dialogs. Ich grüße Sie alle, ganz besonders aber Ihren visionären, klugen und zutiefst humanen Präsidenten Hans-Gert Pöttering. Ich möchte – und das ist hoffentlich heute mein einziger Verstoß gegen die Trennung von Kirche und Staat, von Religion und Politik – dafür beten, dass Gott Sie alle und all Ihre Arbeit segnet. Ich danke Ihnen.
Ich spreche als Jude aus der ältesten Kultur, die es seit jeher in Europa gibt. Zu Beginn möchte ich uns daran erinnern, dass die europäische Zivilisation vor 2 000 Jahren aus einem Dialog entstanden ist, in einem Dialog der beiden größten Kulturen des Altertums: dem alten Griechenland und dem biblischen Israel, Athen und Jerusalem. Sie wurden durch das Christentum zusammengebracht, dessen Religion ihren Ursprung in Israel hat, dessen heilige Schriften jedoch auf Griechisch abgefasst wurden, und das war der Gründungsdialog Europas. Und einige der größten Momente der europäischen Geschichte in den seither vergangenen 2 000 Jahren waren das Ergebnis eines Dialogs. Ich möchte hier nur drei ansprechen.
Der erste fand zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert in al-Andalus statt, in der von den Umayyaden in Spanien ausgelösten großen kulturellen Bewegung. Am Anfang stand ein islamischer Dialog von Denkern wie Averroës mit dem philosophischen Erbe von Platon und Aristoteles. Der islamische Dialog inspirierte jüdische Denker wie Moses Maimonides, und der jüdische Dialog inspirierte wiederum christliche Denker, von denen Thomas von Aquin der Bekannteste war.
Der zweite große Moment des interkulturellen Dialogs ereignete sich zu Beginn der italienischen Renaissance, als ein junger christlicher Intellektueller, Pico della Mirandola, nach Padua reiste und dort einen jüdischen Gelehrten, Rabbi Elijah Delmedigo, traf, der ihn die hebräische Bibel, den Talmud und die Kabbalah in der Originalsprache lehrte. Aus diesem Dialog ging mit Picos „Rede über die Würde des Menschen“ die berühmteste Darstellung der Werte der Renaissance hervor.
Der dritte und ergreifendste all dieser Momente war der Dialog zwischen Christen und Juden nach dem Holocaust, inspiriert durch Martin Bubers Philosophie des Dialogs und durch das Zweite Vatikanische Konzil und die Erklärung Nostra Aetate. Das Ergebnis ist, dass Juden und Christen nach fast 2 000 Jahren der Entfremdung und Tragödie sich heute in gegenseitiger Achtung als Freunde begegnen.
Aber ich möchte noch weiter gehen. Wenn ich die hebräische Bibel lese, höre ich von Anfang an die Aufforderung Gottes zum Dialog. Ich möchte auf zwei Textstellen hinweisen. Ich weiß nicht genau, wie das in der Übersetzung ankommt, und ich hoffe, dass jeder den Sinn versteht, der mich in einer anderen Sprache hört. Ich möchte auf zwei Textstellen in den Anfangskapiteln der Bibel hinweisen, deren Bedeutung seit 2 000 Jahren in der Übersetzung verloren geht.
Die erste steht dort, wo Gott sieht, dass der erste Mensch isoliert und allein ist, und die Frau erschafft. Und als der Mann die Frau zum ersten Mal sieht, spricht er das erste Gedicht der Bibel: „Das ist nun endlich Bein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch. Diese soll man Aisha, Männin, heißen, denn von Aish, dem Manne, ist sie genommen.“ Nun, das hört sich nach einem sehr einfachen Gedicht an. Es klingt sogar ziemlich herablassend, als wäre der Mann die erste Schöpfung und als wären Frauen lediglich eine nachträgliche Idee. Die eigentliche Bedeutung liegt allerdings in der Tatsache, dass das Hebräisch der Bibel zwei Worte für Mann kennt und nicht nur eines. Das eine ist Adam und das andere ist Aish.
In diesem Vers, den ich gerade zitiert habe, kommt in der Bibel zum ersten Mal das Wort „Aish“ vor. Hören Sie den Satz noch einmal. „Diese soll man Aisha heißen, denn von Aish ist sie genommen.“ Mit anderen Worten, der Mann muss den Namen seiner Frau aussprechen, noch bevor er seinen eigenen Namen kennt. Ich muss „du“ sagen, bevor ich „ich“ sagen kann. Ich muss den anderen erkennen, bevor ich mich selbst wirklich verstehen kann.
(Lebhafter Beifall)
Das ist der erste Punkt, den die Bibel deutlich macht: Identität ist dialogisch.
Der zweite Punkt ergibt sich kurz darauf in der ersten großen Tragödie, die die ersten menschlichen Kinder, Kain und Abel, erleben. Wir erwarten brüderliche Liebe. Stattdessen kommt es zu geschwisterlicher Rivalität und dann Mord, Brudermord. Und im Mittelpunkt dieser Geschichte in Genesis, Kapitel 4, steht ein Vers, der unübersetzbar ist, und in jeder englischen Bibel, die ich bis jetzt gelesen habe, war der Vers nicht übersetzt, sondern umschrieben.
Ich werde ihn wörtlich übersetzen, dann werden Sie sehen, warum niemand ihn so übersetzt. Wörtlich bedeutet der hebräische Text Folgendes: „Und Kain sagte zu Abel, und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, dass Kain sich auf seinen Bruder Abel stürzte und ihn erschlug.“ Sie sehen sofort, warum das so nicht übersetzt werden kann, denn dort steht zwar „Und Kain sagte“, aber nicht, was er sagte. Der Satz ist grammatikalisch falsch. Die Syntax ist gebrochen. Die Frage ist, warum? Die Antwort ist klar: die Bibel beschreibt auf höchst dramatische Weise, in einem abgebrochenen Satz, wie das Gespräch zusammengebrochen ist. Der Dialog scheiterte. Und was lesen wir direkt anschließend? „Und Kain stürzte sich auf seinen Bruder und erschlug ihn.“ Oder, einfach ausgedrückt: Wo Worte enden, beginnt die Gewalt. Der Dialog ist die einzige Möglichkeit, die schlechtesten Seiten unserer Natur zu besiegen.
(Lebhafter Beifall)
Dialog beweist also, dass alle menschlichen Beziehungen, ob zwischen einzelnen Personen oder zwischen Ländern oder Kulturen oder Glaubensrichtungen, zwei Seiten haben. Einerseits unsere Gemeinsamkeiten und andererseits unsere Unterschiede. Was wir miteinander gemein haben und was jeder nur allein hat.
Ich versuche, dies in möglichst einfachen Worten zu sagen. Wenn wir völlig verschieden wären, könnten wir nicht miteinander kommunizieren, aber wenn wir vollkommen gleich wären, hätten wir nichts zu sagen.
(Beifall)
Das ist alles, was ich zum Dialog sagen kann, ich möchte jedoch noch anmerken, dass der Dialog allein möglicherweise nicht ausreicht. Sehen Sie, vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1933 gab es einen Dialog zwischen Juden und Deutschen, genauso wie es einen Dialog und sogar Freundschaft zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda gab oder zwischen Serben und Kroaten und Muslimen in Bosnien und im Kosovo. Der Dialog bringt uns zusammen, er kann uns aber nicht immer zusammen halten, wenn andere Kräfte uns trennen.
Daher möchte ich noch ein anderes Wort hinzufügen, das bei der Heilung zerbrochener Gesellschaften eine wesentliche Rolle gespielt hat. Es ist das Wort „Bund“. Es hat in der europäischen Politik im 16. und 17. Jahrhundert in der Schweiz, in Holland, in Schottland und in England eine wichtige Rolle gespielt. Der Begriff des Bundes war von ihren Anfängen bis heute Teil der amerikanischen Kultur, vom Mayflower-Vertrag im Jahr 1620 über die Predigt von John Winthrop an Bord der Arbella im Jahr 1631 bis in die Gegenwart. Ich weiß nicht, was Barack Obama in seiner Rede zum Amtsantritt sagen wird, aber er dürfte das Konzept des Bundes entweder erwähnen oder darauf anspielen.
Der Bund ist natürlich ein Schlüsselwort der hebräischen Bibel, und zwar aus einem einfachen Grund: das biblische Israel wurde aus 12 verschiedenen Stämmen gebildet, von denen jeder auf der Wahrung seiner besonderen Identität bestanden hatte.
Was ist ein Bund? Ein Bund ist kein Vertrag. Ein Vertrag wird für einen begrenzten Zeitraum, für einen bestimmten Zweck geschlossen, zwischen zwei oder mehr Parteien, die jeweils nach ihrem eigenen Vorteil streben. Ein Bund wird auf unbestimmte Dauer geschlossen, von zwei oder mehr Parteien, die sich in Loyalität und Vertrauen zusammenfinden, um zusammen etwas zu erreichen, was keine von ihnen allein erreichen kann. Ein Vertrag ist wie ein Geschäft; ein Bund ist wie eine Ehe. Verträge gehören in die Welt des Marktes und des Staates, der Wirtschaft und der Politik, die beide Orte des Wettbewerbs sind. Bünde gehören in den Bereich der Familien, Gemeinschaften, karitativen Organisationen, die von Kooperation bestimmt sind. Ein Vertrag besteht zwischen mir und Ihnen, also getrennten Individuen, während es bei einem Bund um uns geht, um gemeinsame Zugehörigkeit. Bei einem Vertrag geht es um Interessen; bei einem Bund geht es um Identität. Daher die wesentliche Unterscheidung, die in der europäischen Politik nicht deutlich genug gemacht wird, zwischen einem Gesellschaftsvertrag und einem Sozialpakt: Ein Gesellschaftsvertrag schafft einen Staat, ein Sozialpakt begründet eine Gesellschaft.
(Beifall)
Man kann eine Gesellschaft ohne einen Staat haben – das hat es in der Geschichte gelegentlich gegeben –, aber kann man einen Staat ohne eine Gesellschaft haben, ohne etwas, das die Menschen zusammenhält? Ich weiß es nicht. Man kann Menschen auf unterschiedliche Weise zusammenhalten: durch Gewalt, durch Angst, durch die Unterdrückung kultureller Unterschiede, durch die Verpflichtung aller, sich anzupassen. Wenn man jedoch die Integrität vieler Kulturen achten möchte, wenn man das respektiert, was ich – der Herr Präsident hat es bereits erwähnt – als die Würde des Unterschieds bezeichne, wenn man das anerkennt, dann braucht man zur Begründung einer Gesellschaft einen Pakt, einen Bund.
Ein Bund führt in einer Welt des Wettbewerbs die Sprache der Kooperation wieder ein. Bei ihm spielen Verpflichtungen eine zentrale Rolle, nicht nur Rechte. Rechte sind wichtig, aber Rechte führen zu Konflikten, die nicht rein rechtlich gelöst werden können: das Recht auf Leben gegen das Recht, zu wählen; mein Recht auf Freiheit gegen Ihr Recht auf Rücksicht. Rechte ohne Verantwortung sind die Subprime-Hypotheken der moralischen Welt.
(Lebhafter Beifall)
Ein Bund zwingt uns dazu, über Gegenseitigkeit nachzudenken. Ein Bund sagt jedem von uns: Wir müssen andere achten, wenn wir erwarten, dass andere uns achten; wir müssen die Freiheit anderer respektieren, wenn diese unsere Freiheit respektieren sollen. Europa braucht einen neuen Bund, und jetzt ist die Zeit, damit zu beginnen.
(Beifall)
Jetzt, mitten in der Finanzkrise und der wirtschaftlichen Rezession, denn in schlechten Zeiten wird den Menschen bewusst, dass wir alle das gleiche Schicksal teilen.
Der Prophet Jesaja sah einen Tag kommen, an dem der Löwe und das Lamm zusammenleben würden. Das ist bis jetzt noch nicht eingetreten. Es gab allerdings einmal einen Zoo, in dem ein Löwe und ein Lamm im selben Käfig zusammenlebten. Ein Besucher fragte den Wärter: „Wie schaffen Sie das?“ Der Wärter sagte: „Ganz einfach, man braucht nur jeden Tag ein neues Lamm!“
(Gelächter)
Es gab aber einmal eine Zeit, da lebten der Löwe und das Lamm wirklich zusammen. Wo das war? Auf der Arche Noah. Und warum? Der Grund war nicht, dass sie in einer Utopie angekommen waren – sie wussten vielmehr, dass sie sonst beide ertrinken würden.
Liebe Freunde, am letzten Donnerstag, also vor sechs Tagen, leiteten der Erzbischof von Canterbury und ich eine Mission der Führer aller Religionsgemeinschaften in Großbritannien – der muslimischen Gemeinschaft, der Hindus, der Sikhs, der Buddhisten, der Jainisten, der Zoroastrier und der Bahai – und gemeinsam reisten wir für einen Tag nach Auschwitz. Dort weinten wir gemeinsam und dort beteten wir gemeinsam in dem Wissen, was passiert, wenn wir die Menschlichkeit derer, die anders sind als wir, nicht achten.
Gott hat uns viele Sprachen und viele Kulturen gegeben, aber nur eine Welt, in der wir zusammen leben müssen, und diese Welt wird jeden Tag kleiner. Ich wünsche uns, den Ländern und den Kulturen Europas, dass wir in all unserer wunderbaren Vielfalt zusammen einen neuen europäischen Bund der Hoffnung eingehen.
(Das Parlament erhebt sich und spendet dem Redner Beifall.)
Der Präsident. − Sir Jonathan, ich habe die Ehre, Ihnen im Namen des Europäischen Parlaments für Ihre eindrucksvolle Botschaft zu danken. Ich möchte Ihnen für Ihren großen Beitrag zum interkulturellen Dialog danken.
Sie haben über die gegenseitige Achtung und die Anerkennung anderer gesprochen. Ich glaube, das ist es, was wir aus unserer europäischen Geschichte gelernt haben. Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass das, was uns verbindet, das Trennende bei weitem überwiegt. Das ist der Grundsatz – und damit haben Sie geschlossen – unseres europäischen Einsatzes für eine starke, demokratische Europäische Union, die auf der Würde jedes Menschen basiert.
Sir Jonathan, wir danken Ihnen für Ihre wichtige Botschaft. Alles Gute für Sie, die Religion, die Sie vertreten, und das friedliche Zusammenleben aller Religionen auf unserem Kontinent und in der ganzen Welt. Vielen Dank, Sir Jonathan.
Der Präsident. − Wir fahren nun mit der Abstimmung fort.
(Ergebnisse und andere Einzelheiten der Abstimmung: siehe Protokoll)
7.1. Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik durch Änderung bestimmter Verordnungen (A6-0401/2008, Luis Manuel Capoulas Santos) (Abstimmung)
7.2. Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) (A6-0390/2008, Luis Manuel Capoulas Santos) (Abstimmung)
7.3. Strategische Leitlinien der Gemeinschaft für die Entwicklung des ländlichen Raums (Programmplanungszeitraum 2007-2013) (A6-0377/2008, Luis Manuel Capoulas Santos) (Abstimmung)
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich möchte Frau Kauppi für ihren Bericht zum elektronischen Handelsregister danken, der meine uneingeschränkte Zustimmung findet. Dies ist eine großartige Idee und ein hervorragender Bericht, und seine Umsetzung wird vom Parlament geschlossen unterstützt.
Ich hoffe, dass wir in den Mitgliedstaaten möglichst bald elektronische Handelsregister und außerdem eine europaweite elektronische Plattform haben werden, die alle Informationen enthält, die Unternehmen veröffentlichen müssen. Eine Umsetzung der Vorschläge würde zu weniger Bürokratie, mehr Transparenz, geringerem Verwaltungsaufwand, geringeren Kosten für Unternehmen und infolgedessen zu einer stärkeren Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen führen.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). – (LT) Ich habe für den von Andreas Schwab verfassten Bericht über eine Verordnung über die Europäische Statistik gestimmt. Der Grund für meine Zustimmung ist die Tatsache, dass der Inhalt der neuen Verordnung wirklich wichtig ist und eine wesentliche Verbesserung gegenüber der derzeit geltenden Verordnung darstellt. Ich denke dabei an die Definition des Europäischen Statistischen Systems, seine Verankerung im Gemeinschaftsrecht. Zudem legt die Verordnung die Funktion der nationalen Ämter für Statistik im Europäischen Statistischen System im Hinblick auf Fragen der statistischen Geheimhaltung und der Statistikqualität fest. Verglichen mit der aktuellen Situation und der derzeit geltenden Verordnung ist dies zweifellos ein Schritt nach vorn.
Über den Vorschlag der Europäischen Kommission, den Ausschuss des Europäischen Statistischen Systems in zwei Gremien aufzuteilen, kann man meines Erachtens wirklich streiten, wobei der Standpunkt des Berichterstatters, die Funktionen nicht zu trennen, akzeptabler und unterstützenswert erscheint. Allerdings hoffe ich, dass wir diese Meinungsverschiedenheiten in der Zukunft überwinden werden, wenn das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission zusammenarbeiten.
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0402/2008)
Albert Deß (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! Ich habe eine Stimmerklärung zum Bericht abzugeben, was die Modulation anbelangt. Bei der letzten Agrarreform ist beschlossen worden, dass die Landwirte bis 2013 Planungssicherheit haben. Deshalb war ich dagegen, dass man die Modulation in einer Größenordnung durchzieht, bei der den Landwirten höhere Beträge abgenommen worden wären. Ich freue mich über das Ergebnis und bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, die dafür gestimmt haben, dass die Freigrenze von 5 000 auf 10 000 Euro erhöht wurde und dadurch gerade den kleineren Betrieben weniger Modulationsmittel abgezogen werden.
Wenn wir in der Politik von Planungssicherheit sprechen, dann sollten wir den Landwirten diese auch geben. Deshalb freue ich mich über das Ergebnis, das heute beim Modulationsbericht zustande gekommen ist, und hoffe, dass der Rat unsere Ergebnisse übernimmt.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Mit der heutigen Abstimmung enden fast zwölf Monaten der Arbeit an unserer Stellungnahme zur Funktionsweise der Gemeinsamen Agrarpolitik. Es ist wichtig, dass unsere Änderungen zur Vereinfachung dieser Politik beitragen. Gleichzeitig sollten wir ihren gemeinschaftlichen Charakter erhalten und gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleisten. Ich hoffe, dass die Landwirtschaftsminister der EU die Stellungnahme lesen und unsere Vorschläge annehmen werden.
Ich denke dabei vor allem an Vorschläge zur Vereinfachung von Cross-Compliance-Anforderungen, darunter den Vorschlag, die Umsetzung von Anforderungen im Bereich des Tierschutzes, Bereich C, durch neue Mitgliedstaaten bis 2013 aufzuschieben. Viele Lösungen wurden leider so gestaltet, dass sie die in den neuen Mitgliedstaaten gegebene Situation bzw. das dortige Landwirtschaftsmodell nicht berücksichtigen. Wir beginnen jetzt mit der Diskussion über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 und mit der Überprüfung der Finanziellen Vorausschau. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.
Seán Ó Neachtain (UEN). – (GA) Herr Präsident! Ich möchte mich lobend über die sehr positive Abstimmung äußern, die hier heute hinsichtlich der Gemeinsamen Agrarpolitik stattgefunden hat, und ich begrüße auch die vorgestellten Strategien, beispielsweise die Lieferung von Obst und Gemüse an Schulen.
Was die Politik selbst betrifft, so möchte ich allerdings erneut auf die von der Kommission empfohlene obligatorische Modulation hinweisen und sagen, dass ich absolut dagegen bin. Die Politik muss flexibel sein, und den Mitgliedstaaten muss es erlaubt sein, diese Modulation nach Wunsch anzuheben oder zu kürzen.
Meines Erachtens ist die Schwelle von 5 000 Euro zu niedrig. Sie sollte auf 10 000 Euro angehoben werden, um Betriebe mit geringen Einkommen zu schützen und zu unterstützen, die es bereits schwer haben – ich bin nicht der Meinung, dass man von ihnen Geld für eine obligatorische Modulation nehmen sollte.
Giovanni Robusti (UEN). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kollegen! Ich möchte nur das Wort ergreifen, um öffentlich zu erklären, warum ich in der Schlussabstimmung gegen den Santos-Bericht 0401 und 02 gestimmt habe. Der Bericht stützt sich lediglich auf den „Gesundheitscheck“ der Gemeinsamen Agrarpolitik, der die veränderten globalen Bedingungen nicht berücksichtigt. Wir sprechen über die Details, ohne das Hauptproblem zu sehen.
Die GAP, die wir jetzt mit dem „Gesundheitscheck“ prüfen, wurde geschaffen, um die landwirtschaftliche Produktion zu drosseln und so den Umweltschutz zu fördern, denn das waren die Umstände, unter denen sie eingeführt wurde. Heute haben sich, wie wir alle wissen, die wirtschaftlichen Bedingungen drastisch verändert, doch die GAP bleibt mehr oder weniger unverändert, und wir diskutieren nur darüber, ob die erste oder die zweite Option besser ist, ob wir weniger oder mehr brauchen, diese oder jene Maßnahme, obwohl diese inzwischen nicht mehr geeignet sind, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.
Diese endlose Beschäftigung mit kleinen Spezialinteressen unter Vernachlässigung des Allgemeininteresses ist für mich nicht annehmbar. Ich bin überzeugt, dass das Hauptopfer dieses Mangels an Mut die Landwirtschaft selbst ist. Um einen Dialog und eine Diskussion anzustoßen, habe ich gegen diesen Bericht gestimmt; da die technischen Einzelheiten den Rahmen eines einminütigen Redebeitrags sprengen würden, werde ich sie zusammen mit meinen spezifischen Gründen auf meiner Website veröffentlichen.
Csaba Sándor Tabajdi (PSE). – (FR) Herr Präsident! Die ungarischen Mitglieder der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament haben für die Berichte von Herrn Capoulas Santos gestimmt, weil diese Berichte für die neuen Mitgliedstaaten und auch für Ungarn sehr viel günstiger sind. Die obligatorische Modulation und die progressive Modulation sind nicht so brutal wie im Vorschlag der Kommission. Leider wurde nicht für den Änderungsantrag der ALDE hinsichtlich der obligatorischen Modulation gestimmt. Das ist zwar bedauerlich, der Bericht ist aber dennoch gut.
Was den zweiten Bericht betrifft, so wurde der Änderungsantrag 67 von der sozialistischen Fraktion eingebracht. Hinsichtlich des Interventionssystems ist es sehr wichtig, dass nicht auf der Grundlage von Ausschreibungsverfahren interveniert wird. Die Beibehaltung des derzeitigen Systems ist sehr positiv. Darum haben wir dafür gestimmt.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich möchte Herrn Capoulas Santos meine Anerkennung für seine sehr komplexe Arbeit aussprechen. Die Delegation der Fine Gael hat diese Berichte mit Vorbehalten unterstützt. In der Frage der Milchquoten haben wir für größere Flexibilität und eine stärkere prozentuale Erhöhung der Quoten gestimmt, die es den Landwirten ermöglicht, Milch zu produzieren, wenn sie dies möchten. Wir bedauern, dass dies nicht die Ansicht des Plenums war und wir nun wieder bei dem Vorschlag der Kommission sind.
Zum zweiten sind wir in der Frage der Modulation besorgt über die Übertragung von Mitteln von der ersten auf die zweite Säule: Dies nimmt den Landwirten Einkommen, um es in Programmen einzusetzen, die von den Mitgliedstaaten kofinanziert werden müssen, was in Zukunft vielleicht nicht mehr gewährleistet ist. Die Anhebung des Freibetrags auf 10 000 Euro, für die das Parlament gestimmt hat, wird begrüßt. Ich möchte klarstellen, dass es bei unserer Stimmabgabe zu Erwägung 6 – Änderungsanträge 190 und 226 – „+“ (dafür) heißen muss. Ich hoffe, dass der Rat bei seinen Beratungen heute und morgen den notleidenden Schafsektor unterstützen wird.
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0401/2008)
Dimitar Stoyanov (NI). – (BG) Ich möchte Sie auf Änderungsantrag 54 aufmerksam machen, der von Herrn Deß und einer Gruppe anderer Abgeordneter eingereicht wurde. Eine Annahme dieses Änderungsantrags hätte die schreckliche Folge, dass bei den alten und den neuen Mitgliedstaaten unterschiedliche Maßstäbe gelten würden, denn durch Erhöhung der Quote müssten die neuen Mitgliedstaaten sie nur erhöhen, wenn das Haushaltsjahr dies zulassen würde. Wie ich sehe, ist Herr Deß noch im Saal – vielleicht könnte er mir also erklären, ob das Haushaltsjahr es zulässt, dass die Quote für die neuen Mitgliedstaaten erhöht wird. Zum Glück wurde dieser Änderungsantrag vom Parlament nicht angenommen, sondern abgelehnt, sodass es mir möglich war, für den gesamten Bericht zu stimmen, und ich bin sehr froh, dass das Parlament nicht zugelassen hat, dass im Hinblick auf erhöhte Milchquoten zwei Kategorien von Mitgliedstaaten geschaffen werden.
Albert Deß (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! In dem Bericht zur Milchquote wurde gefordert, dass die Milchquoten erhöht werden. Ich habe zusammen mit allen CSU-Kolleginnen und Kollegen gegen alle Anträge gestimmt, in denen Quotenerhöhungen gefordert werden. Die bis 31. März 2015 beschlossene Milchquote hat die Aufgabe, die Milchmärkte in Europa zu stabilisieren. Zurzeit haben wir die Situation, dass auf den europäischen Milchmärkten ein Überangebot herrscht.
Die Milchpreise sind dadurch stark unter Druck geraten. Jede weitere Quotenerhöhung verstärkt den Preisverfall für die Milcherzeuger. Viele Landwirte werden dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Wir brauchen keine Quotenerhöhung sondern ein System, das flexibel auf die Marktsituation reagiert. Wenn jedoch eine Mehrheit hier im Parlament und im Rat ein Auslaufen der Milchquoten bis 2015 beschließt, dann ist ein Milchfonds notwendig, damit die Milcherzeugung in den benachteiligten Gebieten und Grünlandgebieten auch in Zukunft Bestand hat.
Daniel Hannan (NI). – Herr Präsident! Wenn ich das teuerste, verschwenderischste, korrupteste, unmoralischste, bürokratischste System der Landwirtschaftsunterstützung hätte entwerfen sollen, das ich mir vorstellen kann, dann weiß ich nicht, ob ich auf etwas so Geniales wie die Gemeinsame Agrarpolitik gekommen wäre – ein System, das uns als Steuerzahler damit bestraft, die Produktion von Nahrungsmitteln zu subventionieren, für die es keinen Markt gibt, und das uns dann als Verbraucher noch einmal bestraft, indem wir die Preise dafür stützen müssen. Oftmals straft es uns als Steuerzahler ein drittes Mal, wenn die unverkäuflichen Nahrungsmittel vernichtet werden müssen.
In der Zwischenzeit verursacht es Umweltzerstörung, weil leistungsbezogene Subventionen die Rodung von Hecken und den Einsatz von Pestiziden und schädlichen Düngemitteln fördern, und es führt natürlich zu schrecklichem Hunger in Afrika. Das ist, muss ich feststellen, besonders schädlich für ein Land wie das Ihre und das meine, das ein Nahrungsmittelimporteur mit einem verhältnismäßig effizienten Landwirtschaftssektor ist, und das deshalb sowohl positiv als auch negativ bestraft wird, indem es mehr in das System einzahlt und weniger herausbekommt als andere EU-Mitgliedstaaten.
Fast alles wäre besser als die Gemeinsame Agrarpolitik, sei es Direktunterstützung oder irgendein anderes System. Und nicht dass Sie glauben, ich hätte es vergessen: Es ist höchste Zeit, ein Referendum über den Lissabon-Vertrag durchzuführen. Pactio Olisipiensis censenda est!
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0402/2008)
Christa Klaß (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! Ich habe für den Bericht Capoulas Santos und für den Änderungsantrag 186 gestimmt, der sich für einen Freibetrag von 10 000 EUR bei der Modulation ausspricht.
Hier geht es um die kleinstrukturierte bäuerliche Landwirtschaft in Europa. Modulation muss mit Maß und Ziel gemacht werden. Bäuerliche Landwirtschaften in Europa brauchen die von der EU gewährte Unterstützung, um auch im Lohngefüge der Europäischen Union bestehen zu können. Wir wollen die Produktion von gesunden Lebensmitteln in Europa, wir wollen diese Lebensmittel zu erträglichen Preisen. Wir wollen gepflegte Naturlandschaften. Wenn wir das alles wirklich wollen, dann müssen wir auch unsere Bauern unterstützen, damit in Europa – in einer der klimatisch begünstigten Zonen auf der Welt – künftig auch gesunde Lebensmittel produziert werden können. Deswegen habe ich den Bericht Capoulas Santos unterstützt.
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0390/2008)
Hynek Fajmon (PPE-DE). – (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gegen den von Luis Manuel Capoulas Santos verfassten Bericht über den europäischen Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums gestimmt. Wir haben dieses Programm erst vor zwei Jahren aufgestellt, und es läuft erst seit letztem Jahr. Die Antragsteller haben angefangen, ihre Projekte zu entwerfen und die Regeln des Fonds zu lernen. Jetzt, nach gerade einem Jahr, ändern wir diese Regeln. Ich kann einen solchen Schritt nicht unterstützen, weil er nur zu Verlusten und Verzögerungen bei der Finanzierung von Projekten führen wird, die in ländlichen Gebieten benötigt werden. Eine so häufige Änderung der Regeln kann keinen Nutzen bringen, und darum habe ich dagegen gestimmt.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Herr Präsident! Dies ist ein sehr wichtiges Thema. Eine Beurteilung der Gemeinsamen Agrarpolitik zeigt, dass es in Zukunft sinnvoll ist, wenn diese auf fairen Grundsätzen beruht. Die Gemeinsame Agrarpolitik muss vor allem Folgendes sicherstellen: die Ernährungssicherheit für Europa, die Selbstversorgung und die Produktion von Nahrungsmitteln für den Export, die ökonomische Sicherheit für Landwirte und ihre Familien, die Profitabilität der landwirtschaftlichen Produktion, gleiche Beihilfen für Landwirte in den alten und den neuen Mitgliedstaaten, die Sicherheit der Umwelt, die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die Einstellung von Anbau und Aufzucht genetisch veränderter Organismen in der gesamten Europäischen Union, die Entwicklung des ländlichen Raums, die Sicherung des Fortschritts der am stärksten benachteiligten Regionen, den Schutz des kulturellen Erbes und die Erhaltung der traditionellen Kultur sowie gleichen Zugang zu Bildung, Kultur und technischen Entwicklungen für Bewohner des ländlichen Raums. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn wir aus unserer bisherigen Erfahrung die richtigen Lehren ziehen und uns um mutige Lösungen bemühen.
Schriftliche Stimmerklärungen
Empfehlung für die zweite Lesung: Karin Scheele (A6-0425/2008)
Šarūnas Birutis (ALDE), schriftlich. – (LT) Der Europäische Aktionsplan Umwelt und Gesundheit 2004 – 2010 erkennt die Notwendigkeit an, die Qualität, Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit von Daten zum Gesundheitszustand und zu umweltbedingten Krankheiten mithilfe des Statistikprogramms der Gemeinschaft zu verbessern. Ich halte das für eine sehr wichtige Verordnung. Wir müssen die Wahrnehmung der Gesundheit unserer Gesellschaft und ihre Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten kennen. Diese Verordnung schafft ein gemeinsames System zur Organisation der Gemeinschaftsstatistik über die Gesundheit der Gesellschaft und über die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern.
Es ist sehr wichtig, dass in der Europäischen Union Daten zu der Gesundheitswahrnehmung der Bürger, körperlichen und geistigen Aktivitäten und Behinderungen, über die Zunahme oder den Rückgang von Krankheitsfällen, über Verletzungen, Schäden durch Alkohol und Drogen, Lebensweise und den Zugang Einrichtung des Gesundheitswesens erhoben werden.
Die Statistik muss Informationen enthalten, die für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit wesentlich sind, bei denen es um die Unterstützung nationaler Strategien zur Entwicklung einer allgemein zugänglichen hochwertigen und stabilen Gesundheitsversorgung geht.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Diese Verordnung schafft einen gemeinsamen Rahmen für eine systematische Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken zu öffentlicher Gesundheit und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Derzeit werden statistische Informationen zur öffentlichen Gesundheit und zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz hauptsächlich auf freiwilliger Basis erhoben. Durch die Annahme dieser Verordnung wird das gegenwärtige „Gentlemen’s Agreement“ formalisiert, zudem werden die Kontinuität der Datenerhebung und die Qualität und Vergleichbarkeit der Daten gewährleistet.
Bei der ersten Lesung im Jahr 2007 hat das Europäische Parlament 12 Änderungsanträge zum Vorschlag der Kommission angenommen. Die Änderungen bezogen sich überwiegend auf horizontale Aspekte wie die Einbeziehung von Geschlecht und Alter in die Variablen für die Aufschlüsselung und die Verwendung zusätzlicher und ergänzender Finanzmittel aus verschiedenen Gemeinschaftsprogrammen in den beiden Gebieten, die unter die Verordnung fallen. Es wurden einige Änderungen zu den Anhängen angenommen, die sich entweder ausschließlich auf die öffentliche Gesundheit oder auf die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz beziehen, beispielsweise die Erhebung von Daten zum Schutz vor Pandemien und übertragbaren Krankheiten.
Bei den nachfolgenden Verhandlungen mit der slowenischen Präsidentschaft wurde sich darauf geeinigt, nahezu alle vom Parlament angenommenen Änderungen in den Gemeinsamen Standpunkt zu übernehmen. Auch der Rat änderte den Text in einigen Punkten ab, wobei diese Änderungen jedoch im Großen und Ganzen annehmbar waren.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. – (PT) Diese Verordnung schafft einen gemeinsamen Rahmen für eine systematische Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken zu öffentlicher Gesundheit und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.
Diese Statistik sollte die Form eines harmonisierten, gemeinsamen Datenbestands haben und von Eurostat gemeinsam mit den nationalen statistischen Ämtern und anderen nationalen Behörden erstellt werden, die für die Bereitstellung von amtlichen Statistiken zuständig sind.
Derzeit werden statistische Informationen zur öffentlichen Gesundheit und zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz hauptsächlich auf freiwilliger Basis erhoben.
Ich bin mit der vorgeschlagenen Verordnung einverstanden, weil sie auf eine Konsolidierung des Fortschritts abzielt, der bei der regelmäßigen Datenerhebung in den beiden betreffenden Gebieten erreicht worden ist, indem die gegenwärtige informelle Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten formalisiert wird, die Kontinuität der Datenerhebung garantiert wird und ein Rechtsrahmen zur Verbesserung der Qualität und Vergleichbarkeit von Daten durch gemeinsame Methoden geschaffen wird. Sie wird sicherlich für mehr Klarheit sorgen, was Planung, Nachhaltigkeit und Beständigkeit der europäischen Anforderungen an Statistiken zu öffentlicher Gesundheit und zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz betrifft.
Ian Hudghton (Verts/ALE), schriftlich. − Gegenwärtig gibt es keine harmonisierten Standards für Gemeinschaftsstatistiken zu öffentlicher Gesundheit und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Harmonisierung dieser Statistiken wird die Vergleichbarkeit enorm verbessern und die Politikentwicklung voranbringen. Der Gemeinsame Standpunkt zu dem Ganzen akzeptiert die von diesem Parlament in der ersten Lesung vorgelegten Änderungsanträge, und so konnte ich den Scheele-Bericht unterstützen.
Andreas Mölzer (NI), schriftlich. − (DE) Der Stress der modernen Arbeitswelt mit den neuen Formen von Arbeitsverträgen und der Arbeitsplatzunsicherheit sowie die unzureichende Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinterlassen Spuren. Statistiken zufolge stellen psychische Gesundheitsprobleme derzeit eine der Hauptursachen für den frühzeitigen Austritt aus dem Erwerbsleben dar. Mit der Arbeitsplatzunsicherheit geht natürlich auch ein Anstieg der Mobbingfälle einher. Kontinuierlich wachsen zudem die Gesundheitsprobleme, wie etwa Rückenschmerzen. In den letzten Jahren ist weiters die Zahl der Fälle gestiegen, in denen Arbeitnehmer im Krankheitsfall oder nach Arbeitsunfällen gekündigt wurden. Wir haben jede Menge Probleme, denen wir uns stellen müssen. Um mit den neuesten Entwicklungen Schritt zu halten, brauchen wir statistische Daten. In diesem Sinne habe ich für den Bericht Scheele gestimmt.
Dumitru Oprea (PPE-DE), schriftlich. – (RO) Es ist klar, dass wir Gemeinschaftsstatistiken zu öffentlicher Gesundheit und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz brauchen, um die Strategien zu unterstützen, die die Entwicklung einer funktionsfähigen und für alle zugänglichen hochwertigen medizinischen Versorgung zum Ziel haben.
Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein Bereich, der den Schutz des Lebens, der Unversehrtheit und der Gesundheit von Arbeitnehmern fördert und für Arbeitsbedingungen sorgt, die ihr physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden gewährleisten. Um das zu erreichen, brauchen wir ein schlüssiges, dauerhaftes Programm, das Beschäftigte vor Unfallgefahren und arbeitsbedingten Krankheiten schützt.
Ich unterstütze diesen Entschließungsentwurf, weil wir derzeit keinen harmonisierten und gemeinsamen Datenbestand haben, der die Qualität und Vergleichbarkeit der Informationen aus den statistischen Systemen jedes Landes nachweisen kann. Gemeinschaftsstatistiken zur Gesundheit sollten an den Fortschritt und die Ergebnisse von Gemeinschaftsmaßnahmen, die im Bereich der öffentlichen Gesundheit umgesetzt die wurden, angepasst werden.
Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. − (PL) Bei der heutigen Abstimmung habe ich für die Annahme der Empfehlung zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates hinsichtlich der Annahme der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken zu öffentlicher Gesundheit und Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gestimmt.
Unsere Strategie zur Förderung der Gesundheit sollte in meinen Augen einen Schwerpunkt auf die Prävention von Krankheiten und die Frühdiagnose legen. Diese Strategie wird Wirkung zeigen, wenn wir für geeignete Gesundheits- und Behandlungseinrichtungen für die Menschen sorgen und die Unterschiede beim Zugang zum Gesundheitswesen abbauen, die zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestehen.
Wir werden keine gemeinsame Gesundheitsstrategie entwickeln können, wenn die zuständigen Statistikämter nicht über die entsprechenden Daten verfügen. Folglich stellt die Annahme der Verordnung einen Schritt in Richtung einer besseren Koordinierung der Gemeinschaftsmaßnahmen zu Statistiken im Gesundheitswesen dar. Die Erfassung von Daten zu Pandemien und Infektionskrankheiten wird zweifellos dazu beitragen, diese besser zu kontrollieren.
Zudem sollte bemerkt werden, dass statistische Daten zu öffentlicher Gesundheit und zum Gesundheitswesen derzeit nur auf freiwilliger Basis erhoben werden. In Anbetracht dessen zielt die Verordnung darauf ab, bestehende Lösungen zu formalisieren und die Kontinuität der Datenerhebung zu gewährleisten.
Das einstimmige Votum des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit zeigt die Wichtigkeit und Richtigkeit des Berichts.
Ian Hudghton (Verts/ALE), schriftlich. − Ich habe für den Kauppi-Bericht gestimmt. Unternehmen sollten in ganz Europa in einem Umfeld ohne übermäßige Belastungen arbeiten können. Dennoch muss es den Mitgliedstaaten erlaubt sein, ihre eigenen Anforderungen zu formulieren, und das Subsidiaritätsprinzip muss gewahrt werden. Ich bin überzeugt, dass der Kauppi-Bericht das richtige Verhältnis findet.
Andrzej Jan Szejna (PSE), schriftlich. − (PL) Ich habe für die Annahme des Berichts über die Richtlinie des Parlaments und des Rates zu Veröffentlichungs- und Übersetzungsanforderungen gestimmt, die übermäßigen Verwaltungsaufwand für bestimmte Arten von Unternehmen verringern soll.
Der Vorschlag zielt darauf ab, alle zusätzlichen Veröffentlichungsanforderungen nach nationalem Recht abzuschaffen, die die unternehmerischen Kosten erhöhen.
Nach den bestehenden Vorschriften müssen Angaben in das Handelsregister des jeweiligen Mitgliedstaats eingetragen und in nationalen Amtsblättern veröffentlicht werden.
In der heutigen Zeit, in der Handelsregister Informationen im Internet veröffentlichen, bietet die Veröffentlichung in Amtsblättern in den meisten Fällen keinen zusätzlichen Nutzen und belastet die Unternehmen nur mit hohen Kosten.
Die vorgeschlagenen Änderungen bieten den Mitgliedstaaten Flexibilität bei der Festlegung von zusätzlichen Veröffentlichungsanforderungen und stellen sicher, dass Unternehmen von zusätzlichen, häufig unnötigen Zahlungen entlastet werden.
Šarūnas Birutis (ALDE), schriftlich. − (LT) Statistiken sollen objektive und quantitative Daten liefern, auf die in Prozessen zur öffentlichen Meinungsbildung und zur Entscheidungsfindung Bezug genommen werden kann. Die Statistiken der EU und der Mitgliedstaaten sind eine unmittelbare Hilfe, wenn politische und administrative Entscheidungen getroffen werden. Daher müssen wir ihre Bedeutung bei einer Harmonisierung der EU-Statistiksysteme berücksichtigen.
Die wissenschaftliche Unabhängigkeit der statistischen Forschung in Europa muss gewährleistet sein. Darüber hinaus dürfen die Regelungen nicht im Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip stehen.
Ich unterstütze den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über europäische Statistiken, die eine rechtliche Grundlage für die Erhebung statistischer Daten auf europäischer Ebene darstellt und das geltende Rechtssystem überdenkt, das die Organisation von Statistiken auf europäischer Ebene regelt.
Bruno Gollnisch (NI), schriftlich. − (FR) Gegen einen Bericht zu stimmen, der zunächst technischer Art zu sein scheint, da er die Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken betrifft, mag absurd erscheinen. Es ist tatsächlich nicht uninteressant, über solche Daten als Hilfe bei der Entscheidungsfindung zu verfügen.
Doch trotz der erklärten Absichten führt diese neue Verordnung zur Erstellung neuer, komplizierte Statistiken und zu einem erhöhten statistischen Aufwand für nationale Behörden und Unternehmen, sei es in Form von Bürokratie oder von Kosten, was im Gegensatz zu den verschiedentlich gegebenen Zusagen steht, diese Last zu vereinfachen und abzubauen.
Überdies beweist das Brüsseler Europa täglich, was es von den Zahlen hält, die es verwenden soll. Ich will nur zwei Beispiele herausgreifen. Erstens die begrenzten Vorschläge zur Unterstützung der Realwirtschaft, die in eine Rezession eintritt – einer Unterstützung, die ohnehin dem dogmatischen Vorrang des unantastbaren Wettbewerbs, dem globalen Freihandel und dem „dummen“ Stabilitäts- und Wachstumspakts unterliegen wird. Zweitens das Leugnen der Inflation, welche die Privathaushalte seit Einführung der Euro-Münzen und -Scheine erlitten haben. Der Preis für bestimmte Grundnahrungsmittel hat sich in sechs Jahren tatsächlich verdoppelt oder gar verdreifacht, während sich die EZB auf globale und irreführende Gesamtheiten konzentriert und Zurückhaltung bei den Löhnen fordert.
Ian Hudghton (Verts/ALE), schriftlich. − Die Datenerhebung spielt bei der Politikentwicklung und der Entscheidungsfindung eine entscheidende Rolle. Der Vorschlag der Kommission in diesem Gebiet verschafft der Datenerhebung einen sicheren gesetzlichen Status, und ich habe für den Bericht von Andreas Schwab gestimmt.
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0402/2008)
Jean-Pierre Audy (PPE-DE), schriftlich. – (FR) Auf Grundlage des Berichts des portugiesischen Abgeordneten Luis Manuel Capoulas Santos habe ich für die legislative Entschließung gestimmt, die den Vorschlag für eine Verordnung des Rates ändert, welche gemeinsame Regeln für Direktzahlungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und bestimmte Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe vorsieht. Um im Rahmen einer ausgewogenen und nachhaltigen Bodenbewirtschaftung jedes Risiko für die Versorgung auszuschließen, muss das Konzept der Ernährungssicherheit unbedingt bestätigt werden. Ich begrüße und unterstütze die Forderungen nach einer Vereinfachung der Verfahren. Ich unterstütze die Instrumente der Gemeinschaft für das Krisenmanagement. Diese Abstimmung bestätigt eine positive Entwicklung im Hinblick auf die Berücksichtigung der Landwirtschaft in der Politik der Gemeinschaft. Allerdings ist das Problem der Zukunft der Landwirtschaft noch nicht gelöst: Dies wird das Thema des Wahlkampfs 2009 und der politischen Verhandlungen, die sofort nach den Wahlen beginnen.
Alessandro Battilocchio (PSE), schriftlich. − (IT) Ich bestätige, dass ich für den Capoulas-Santos-Bericht gestimmt habe, möchte jedoch auf zwei Aspekte hinweisen, die für Landwirte in meinem Land untragbar werden können. Der erste Punkt betrifft die Milchquoten: Die einprozentige Erhöhung als Ergebnis des erzielten Kompromisses ist wirklich ein zu kleiner Schritt und eine unzureichende Antwort auf die legitimen Bedürfnisse der Landwirte.
Der andere unbefriedigende Bereich betrifft die Mittel für den Tabak. Auch wenn ich damit im Widerspruch zu der Haltung meiner Fraktion stehe, bin ich fest überzeugt, dass die Hilfen ausgedehnt werden sollten. Eine Kürzung der Beihilfen würde in Wirklichkeit keinen Beitrag zu dem Kampf gegen das Rauchen leisten, hätte jedoch negative Auswirkungen auf die Sicherung von Arbeitsplätzen in einer Branche, die in den 27 Mitgliedstaaten mehr als 500 000 Menschen beschäftigt. Ich hoffe, dass der Vorschlag im Zuge der Schritte, die auf die heutige Annahme folgen, noch verbessert wird.
Bastiaan Belder (IND/DEM), schriftlich. − (NL) Der „Gesundheitscheck“ der GAP ist ein umfangreicher und wichtiger Bereich. Ob es uns gefällt oder nicht: Wir bestimmen, in welche Richtung die Agrarpolitik nach 2013 gehen soll. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zwei Aspekte erwähnen.
Eine entkoppelte Unterstützung ermöglicht zwar eine stärker am Markt orientierte und dadurch wettbewerbsfähigere und innovativere Landwirtschaft, doch wir sollten nicht auf einen komplett liberalisierten Agrarmarkt umschwenken. Wenn die Sonne herauskommt, sollten wir nicht gleich den Regenschirm wegwerfen. Interventionsmechanismen, Versicherungen und so weiter sollten so organisiert werden, dass sie nicht den Markt verzerren, gleichzeitig aber ein echtes Sicherheitsnetz bieten.
Die Vorschläge, erhebliche Beträge über die Modulation auf die zweite Säule zu übertragen, finden nicht meine Unterstützung. Die Mittel in der ersten Säule scheinen sinnvoller genutzt zu werden als die Gelder für die ländliche Entwicklung. Außerdem sehe ich bei der Kofinanzierung alle möglichen Probleme in Bezug auf gleiche Wettbewerbsbedingungen auf uns zukommen.
Hanne Dahl (IND/DEM), schriftlich. − (DA) Die Junibewegung hat gegen den Änderungsantrag 208 in dem Bericht gestimmt, weil der Ausbruch ansteckender Tierkrankheiten auf eine unzureichende veterinärmedizinische Trennung der Tiere zurückzuführen ist. Die Probleme entstehen im Zusammenhang mit der kommerziellen Nutzung von Tieren. Daher tragen die Landwirte und ihre Industrie die Verantwortung und das Risiko für den richtigen Umgang mit Tieren zur Vermeidung von Krankheiten.
Ein Gesetzesentwurf für eine allgemeine wirtschaftliche Aufteilung der Kosten ist keine gute Idee, denn letztendlich bedeutet dieser, dass die Bürger für etwas aufkommen, für das sie nicht verantwortlich sind.
Bairbre de Brún (GUE/NGL), schriftlich. − (GA) Die Reform der GAP sollte zum Ziel haben, die Politik zu verbessern, damit das Leben auf dem Land in ganz Europa auf sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Ebene nachhaltiger wird.
Der „Gesundheitscheck“ ist eine Mischung, die einige Verbesserungen enthält, andererseits jedoch nicht die Herausforderungen angeht, die vor uns liegen. Das Leben auf dem Land und speziell die Landwirtschaft ist in der heutigen Zeit vielen Bedrohungen ausgesetzt. Junglandwirte müssen Grund und Boden aufgeben, während gleichzeitig Großgrundbesitzer dafür belohnt werden, dass sie wertvolles Agrarland unbearbeitet lassen. Die biologische Vielfalt ist ebenfalls bedroht.
Ich bin auch der Meinung, dass es möglich sein sollte, die Reservemittel für neue Landwirte und Junglandwirte bereitzustellen, außerdem für Kategorien in den am stärksten benachteiligten Bereichen wie Schafe – die für die Erhaltung der biologischen Vielfalt eine wichtige Rolle spielen. Ich unterstütze auch den Antrag, dass Zahlungen an Landwirte früher im Jahr erfolgen, sodass ihre Lage stabilisiert wird. Unsere ländlichen Gemeinden brauchen Stabilität, damit sie für die Zukunft planen können.
Avril Doyle (PPE-DE), schriftlich. − Den Santos-Bericht (A6 0402/2008) über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates, welche gemeinsame Regeln für Direktzahlungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und bestimmte Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe vorsieht, habe ich zwar unterstützt, ich bin jedoch nicht für den angenommenen Änderungsantrag zur Anhebung der Modulation. Er wird dazu führen, dass zusätzliche Mittel von der ersten auf die zweite Säule übertragen werden und damit den Landwirten (vor allem kleinen Landwirten) in Ländern wie Irland Einkommen direkt verloren geht. Die Mittel fließen in Systeme, bei denen eine Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich ist – eine unsichere Finanzierungsquelle, auf die man sich nicht verlassen kann.
Lena Ek (ALDE), schriftlich. − (SV) Ich habe mich entschieden, gegen den Bericht zu stimmen, weil er gegenüber dem Vorschlag der Kommission in mehreren Bereichen eindeutig ein Schritt in die falsche Richtung ist. Ein Beispiel ist die Verwässerung der Veränderungen bei den Direktbeihilfen zur ländlichen Entwicklung. Die Mehrheit billigte eine Kürzung der Direktbeihilfen um lediglich 6 % in den Jahren 2009 und 2010. Die Kommission hatte eine Kürzung der Beihilfen um 7 % im Jahr 2009 und 9 % im Jahr 2010 vorgeschlagen. Ich persönlich hätte es gern gesehen, wenn die Kürzungen noch höher ausgefallen wären.
Außerdem wurde die Schwelle erhöht, ab der von Direktbeihilfen auf Beihilfen zur Entwicklung des ländlichen Raums umgestellt wird. Nach dem ursprünglichen Vorschlag hätte diese Umstellung für Beihilfen ab 5 000 Euro pro Jahr gegriffen. Die Mehrheit hat jetzt dafür gestimmt, diese Schwelle auf 10 000 Euro anzuheben. Die Folge davon ist eine Verringerung des Anteils der passiven Agrarbeihilfen, der in aktive Beihilfen zur Entwicklung des ländlichen Raums umgewandelt wird. Für Betriebsgründungen in ländlichen Gebieten wären die Gelder besser angelegt als für die Produktion von Kulturpflanzen, die bereits gute Gewinne abwerfen.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Trotz der Verbesserungen an diesem Bericht, an denen wir nicht zuletzt insofern beteiligt waren, als unser Vorschlag angenommen wurde, die Modulationsgrenze von 5 000 Euro auf 10 000 Euro anzuheben, um die soziale Gerechtigkeit bei der Zahlung von Beihilfen an Landwirte zu erhöhen, bedauern wir, dass andere Vorschläge abgelehnt wurden – obwohl es für einige, wie die Unterstützung der Zuckerproduktion auf den Azoren, mehr als 200 Ja-Stimmen gab.
Wir bedauern auch, dass der Vorschlag vereinfachter Beihilfen für Landwirte, die Beträge von bis zu 1 000 Euro erhalten, nicht angenommen wurde, obwohl es dafür 175 Ja-Stimmen gab. Dies wäre eine Möglichkeit gewesen, der mangelnden sozialen Sensibilität des Kommissionsvorschlags entgegenzuwirken, indem das Verfahren vereinfacht und Bürokratie abgebaut worden wäre, was der Europäischen Kommission übrigens als Vorwand für den Vorschlag diente, Beihilfen von unter 250 Euro pro Jahr abzuschaffen. Dies kann rund 90 000 kleinen portugiesischen Landwirten zum Nachteil gereichen.
Auch wenn wir in der Schlussabstimmung gegen den Bericht gestimmt haben, werden wir daher weiterhin unsere Vorschläge verteidigen, weil diese unserer Meinung nach die beste Möglichkeit darstellen, die portugiesischen Landwirte und unsere auf Familienbetrieben basierende Landwirtschaft zu unterstützen.
Glyn Ford (PSE), schriftlich. − Die Labour Party im Europäischen Parlament hatte eine Reihe ernster Bedenken hinsichtlich dieses Berichts, der die Verzerrungen bei der landwirtschaftlichen Produktion innerhalb der Europäischen Union und auf globaler Ebene fortführen und verstärken wird. Im Hinblick auf die heutige Abstimmung, bei der einige Änderungsanträge angenommen wurden, die diese Situation noch verstärken und verschlechtern, konnte ich alles in allem weder für den geänderten Vorschlag noch für den Entwurf einer legislativen Entschließung stimmen, obgleich der Bericht andere Einzelelemente enthält, die ich unterstütze.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Ich stimme zwar zu, dass die Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe überprüft werden müssen, bin aber der Meinung, dass die Vorschläge der Kommission deutlich über das Notwendige hinausgehen und dadurch massive Auswirkungen auf das Einkommen von Landwirten haben, die die Hüter der europäischen Landschaft und von entscheidender Bedeutung für unsere Nahrungsmittelautonomie sind.
Der Capoulas-Santos-Bericht verbessert in vieler Hinsicht den Kommissionsvorschlag, und zwar insbesondere, indem er den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei der Festlegung von Untergrenzen für Zahlungen bietet.
Ich habe deshalb für die Grenze von 10 000 Euro pro Jahr bei der Anwendung der Modulation gestimmt, von der viele kleine und mittelgroße Landwirte profitieren werden, sowie für die Nichtanwendung höherer Modulationssätze auf Genossenschaften und andere juristischen Personen, die von mehreren Landwirten gebildet werden, welche allein nicht mehr als 100 000 Euro erhalten, damit die Landwirte nicht ungerechterweise benachteiligt werden.
Der Bericht ist zwar nicht ideal – er erlaubt zum Beispiel nicht den Umverteilungseffekt der zusätzlichen Modulation –, ich bin aber mit dem Endergebnis der Abstimmung im Plenum zufrieden und habe darum für die legislative Entschließung gestimmt.
Hélène Goudin und Nils Lundgren (IND/DEM), schriftlich. − (SV) Der Ausschuss des Europäischen Parlaments für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung hat wie üblich einen anderen Weg eingeschlagen als die Kommission. Statt die Gemeinsame Agrarpolitik zu reformieren, will der Ausschuss die Beihilfen erhöhen und die Steuerzahler stärker zur Kasse bitten.
Die Juniliste möchte die Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen unbedingt abschaffen und hat für diejenigen Vorschläge gestimmt, in denen dies empfohlen wurde. Wir denken, dass die EU im Ausland großen Schaden anrichtet, wenn sie in armen Ländern landwirtschaftliche Erzeugnisse ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen ablädt.
Die Juniliste möchte die Gemeinsame Agrarpolitik abschaffen, und wir möchten bemerken, dass es gut ist, dass das Europäische Parlament hinsichtlich der Agrarpolitik der EU keine Mitentscheidungsbefugnisse hat. Andernfalls würde die EU in die Falle des Protektionismus und der hohen Subventionen für all die unterschiedlichen Gruppen in der Agrarindustrie tappen.
Jean-Marie Le Pen (NI), schriftlich. – (FR) Vor dem großen Haushaltswendepunkt 2013, der das Ende der GAP durch die schleichende Renationalisierung anzeigen könnte, versuchen die Mitgliedstaaten, sich nach der verdeckten Reform von 2003 auf eine erneute Reform der GAP zu verständigen.
Erklärtes Ziel der Kommission ist es, sich noch stärker an den Markt anzupassen, indem direkte Beihilfen zu Gunsten der Umweltpolitik und der ländlichen Entwicklung gekürzt werden.
Die Reform wird leider den Herausforderungen nicht gerecht, die Europa im Agrarbereich bewältigen muss: Die Ernährung von neun Milliarden Menschen im Jahr 2050, begrenzte landwirtschaftliche Flächen, die Abhängigkeit von Preisen, die der Spekulation mit landwirtschaftlichen Rohstoffen unterliegen, und so weiter.
In diesem schwankenden und unsicheren Umfeld müssen wir die Ausnahme für die Landwirtschaft bei der WTO insofern verteidigen, als die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie nicht irgendwelche Branchen sind, sondern eine Produktion, die nicht verlagert werden kann und das Ergebnis des Wissens und der Genialität von Generationen von Landwirten darstellt.
Was, wenn der Gesundheitscheck der GAP nur der erste Schritt in Richtung einer kompletten Liberalisierung der GAP ohne Regulierung und ohne Sicherheitsnetz wäre?
Wir müssen wachsam bleiben und in dieser Frage alle Liberalisierungsbewegungen verurteilen, was jedoch nicht bedeutet, nicht zu handeln.
Astrid Lulling (PPE-DE), schriftlich. − (DE) Ich bin nicht glücklich, aber einigermaßen zufrieden mit dem Resultat des Kompromisses des Agrarausschusses. Wir konnten den größten Schaden, der sich für unsere Bauern aus den unheilvollen Vorschlägen der EU-Kommission ergäbe, abwenden, wenn die Direktzahlungen zwischen 2009 und 2013, nicht um 13 % gekürzt werden. Diese Direktzahlungen, die für unsere Landwirte lebenswichtig sind, dürften höchstens um 1 % 2009 und 2010 und 2 % 2011 und 2012 gekürzt werden.
Wenn diese Gelder nun in den Milchfonds fließen, den wir vorschlagen, um zum Beispiel Grünlandprämien an die Milchbauern auszubezahlen, dann würde die Kürzung der Direkteinkommen weniger weh tun. Der Milchpreis ist wieder rückläufig, nicht aber die Produktionskosten, die zum Beispiel für Dünger um 40 % gestiegen sind. Leider ist die Kommissarin schon wieder auf den Barrikaden gegen den Milchfonds.
Auch wenn wir diese Direktzahlungen für Bauern, die bis zu 5 000 Euro jährlich oder sogar bis zu 10 000 Euro erhalten, nicht kürzen, was in Anträgen verlangt wird, die über den Kompromiss des Agrarausschusses hinausgehen, spielt das für luxemburger Landwirte keine große Rolle, da nur Nebenerwerbsbetriebe unter 10 000 Euro liegen. Priorität hat, dass die Kürzungen möglichst niedrig ausfallen. Ansonsten gibt es für hauptberufliche Bauern keine Zukunft in Luxemburg. Und das ist unzumutbar!
David Martin (PSE), schriftlich. − Ich unterstütze eine Erhöhung der Milchquoten um 2 % über vier Jahre, denn ich glaube, diese 2 % werden für die weichste Landung vor der Abschaffung der Milchquotenregelung im Jahr 2015 sorgen.
Dimitrios Papadimoulis (GUE/NGL), schriftlich. − (EL) Ich habe gegen den Bericht von Luis Manuel Capoulas Santos über die neuen Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik gestimmt, weil die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft meiner Auffassung nach nicht auf europäischer Ebene gewährleistet werden kann. Der Agrarsektor muss in der Tat finanziert werden, um die Nachhaltigkeit des Sektors und die Ernährungssicherheit in Europa zu gewährleisten. Allerdings sollte die Finanzierung aus dem Gemeinschaftshaushalt stammen, und sie darf kleine und mittelgroße Betriebe nicht dadurch benachteiligen, dass beispielsweise Untergrenzen für Beihilfen beschlossen werden. Für die Zahlung von Unterstützung sollte hingegen das Kriterium der persönlichen Arbeit Vorrang haben, und bei der Unterstützung sollte eine Obergrenze pro Betrieb festgelegt werden.
Das von der Kommission vorgeschlagene Krisenmanagement-System ist jedoch unzureichend. Es wäre sinnvoller, einen öffentlichen Sicherheitsfonds einzurichten, der auf Gemeinschaftsfinanzierung basiert und dessen Zweck in der Vermeidung von Krisen und Pflanzenkrankheiten und der Gewährleistung eines Mindesteinkommens für die Landwirte besteht. Und schließlich enthält der Bericht keinen Vorschlag zur Einrichtung von Mechanismen zur Bewältigung des Klimawandels, der sich direkt auf die europäischen Landwirte auswirkt.
Neil Parish (PPE-DE), schriftlich. − Die konservativen Abgeordneten haben gegen diesen Bericht gestimmt, weil er einen Schritt in die falsche Richtung darstellt. Wir halten es für unbedingt erforderlich, dass der bei der Reform 2003 eingeleitete Prozess der Entkoppelung auf alle Sektoren ausgeweitet wird, damit Landwirte das produzieren können, was der Markt verlangt, und wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen erreichen können. Dieser Bericht stellt sich der Entkoppelung entgegen und versucht sogar, bereits getroffene Entscheidungen rückgängig zu machen, vor allem die Einbeziehung der Tabakregelung in die Betriebsprämienregelung. Nach dem Bericht würden produktionsgebundene Tabakbeihilfen bis 2012 verlängert, was wir auf keinen Fall akzeptieren können.
Der Bericht bietet zudem zu große Flexibilität bei der Anwendung von Artikel 68. Wir fürchten, dass dies den Markt verzerren und gekoppelte Zahlungen durch die Hintertür zulassen wird und darüber hinaus von der WTO angefochten werden könnte. Und schließlich werden durch die Ausnahme der ersten 10 000 Euro von der Modulation in Verbindung mit einer sehr geringen obligatorischen EU-Modulation einfach nicht genügend Einnahmen für eine kraftvolle Politik zur ländlichen Entwicklung erzielt, und die britischen Landwirte werden hierdurch unverhältnismäßig stark belastet.
Luís Queiró (PPE-DE), schriftlich. − (PT) Die Aussprache über den Gesundheitscheck der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) war eine ausgezeichnete Gelegenheit, eine eingehende Diskussion ihrer Reform anzustoßen, die 2013 erfolgen muss. Um dies erfolgreich zu bewältigen, müssen wir vorsichtig vorgehen und das Augenmerk sowohl auf die Wettbewerbsfähigkeit als auch auf die ökologischen und sozialen Aspekte, die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherheit richten.
Die zwischen den großen Fraktionen erreichte Einigung, die wirklich auf die Entschlossenheit des Berichterstatters Luis Manuel Capoulas Santos zurückzuführen ist, bietet bereits einige Lösungen und Ansätze, deren der Rat sich hoffentlich annehmen wird. Auch wenn dies gegenwärtig kein Gebiet der Mitentscheidung ist, hat das Parlament in diesem Sinne gearbeitet, und diesen Umstand sollten die Regierungen nutzen.
Ich habe wegen der Bedeutung des erreichten Ergebnisses im Hinblick auf den Gemeinschaftsbeitrag zu den Versicherungsprämien und wegen der Beibehaltung geringerer Beihilfen, die in Ländern wie Portugal äußerst wichtig sind, für das Paket gestimmt. Das gilt auch für die ausgewogene Lösung für die Modulation bei der Unterstützung der ländlichen Entwicklung. Bei den Milchquoten haben wir leider kein Ergebnis erreicht, das möglichen Schaden für die Erzeuger in Regionen wie Nord- und Zentral-Portugal und den Azoren vermeidet.
Carl Schlyter (Verts/ALE), schriftlich. − (SV) Ich stimme für die Ablehnung dieses Berichts und dafür, den Bericht an den Ausschuss zurückzuverweisen, da er die von der Kommission vorgeschlagenen Reformen weiter geschwächt hat, die ohnehin nicht weit genug gingen und zu langsam waren.
Olle Schmidt (ALDE), schriftlich. − (SV) Die enorme Höhe der Beihilfen, die die EU ihrer einheimischen Landwirtschaft gewährt, ist unmoralisch und direkt schädlich. Diese Beihilfen schaden dem weltweiten Wettbewerb, der bekanntlich eine Voraussetzung für den Wohlstand ist. Sie rechtfertigen die Reformen, die im Agrarsektor notwendig sind, und beschränken die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher.
Der von der Kommission erarbeitete Vorschlag ist für weitere Liberalisierungsmaßnahmen entsprechend den Reformen von 2003 wichtig. Darum kann ich nicht für jene Berichte von Herrn Santos stimmen, die zum Großen Teil eine Verwässerung des Kommissionsvorschlags bedeuten würden.
Marek Siwiec (PSE), schriftlich. − Heute hat eine wichtige Abstimmung stattgefunden. Sie war für alle Landwirte in der Europäischen Union wichtig. Allerdings gibt es landwirtschaftliche Betriebe, die weniger stark sind als andere, weil sie noch keine Zeit zur Anpassung an die Agrarstrukturen der Europäischen Union hatten. Sie haben alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, um nachhaltige landwirtschaftliche Betriebe aufzubauen, nachdem sie nach 1989 die Möglichkeit dazu hatten.
Bei diesen Betrieben handelt es sich nicht um große Erzeuger, wie wir sie aus Frankreich und Deutschland kennen; sie sind immer noch klein. Aber für mein Land, Polen, sind sie äußerst wichtig. Wir brauchen sie, wenn wir einen ländlichen Raum haben wollen, wo die Menschen in Zukunft gern leben und arbeiten wollen. Und deshalb brauchen sie unsere besondere Unterstützung. Darum habe ich heute dafür gestimmt, den kleinen Erzeugern, d. h. in Polen, zu helfen, um zu zeigen, dass sie jetzt und in Zukunft auf unsere und auf meine Unterstützung zählen können.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE), schriftlich. – (RO) Ich habe für den Bericht zu Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe als Teil der GAP gestimmt. Ich unterstütze die Gemeinsame Agrarpolitik.
Die Europäische Union muss den Landwirten durch die Gewährung von Direktzahlungen und die Entwicklung der ländlichen Infrastruktur helfen. Die EU muss in die Landwirtschaft investieren, zumal sich eine weltweite Ernährungskrise abzeichnet. Ich habe den Änderungsantrag 23 befürwortet, der die Notwendigkeit anerkennt, auf Gemeinschaftsebene den stark rückläufigen Schafsektor zu unterstützen.
Ich glaube auch, dass die Mitgliedstaaten befugt sein sollten, zusätzlich 5 % ihrer Obergrenzen zu nutzen, um Landwirte oder Erzeugergemeinschaften in Form von finanziellen Beiträgen zu Ausgaben im Zusammenhang mit Versicherungsprämien zu unterstützen. Besondere Aufmerksamkeit muss den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben gewidmet werden. Daher habe ich den Änderungsantrag 211 unterstützt, der eine Abweichung von der zusätzlichen Kürzung bei direkt geleisteten Direktzahlungen im Fall von Genossenschaften oder Gemeinschaften von Landwirten einführt und Beihilfen zur Verteilung an ihre Mitglieder zentralisiert. Ich habe für die Änderungsanträge 114 und 118 gestimmt, die den Mitgliedstaaten erlauben, bis zu 15 % ihrer nationalen Obergrenzen für die Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe zu verwenden, um die spezifischen Nachteile von Betrieben im Milchsektor sowie Erzeugern von Rind- und Kalbfleisch, Lammfleisch und Ziegenfleisch auszugleichen.
Georgios Toussas (GUE/NGL), schriftlich. − (EL) Die Regelungen für die Anwendung des „Gesundheitschecks“ der GAP sind ein entscheidender Schritt für die Kontrolle der Agrarproduktion durch monopolistische Konzerne zur Steigerung ihrer Gewinne. Gleichzeitig ebnen sie den Weg für einen massiven Angriff auf bereits geschwächte kleine und mittelgroße Unternehmen im Jahr 2013.
Die Großunternehmen üben Druck aus, damit die GAP umfassender und schneller reformiert und an die WTO-Regeln angepasst wird, sodass die Multis noch mehr Land ansammeln, ihre Herrschaft über die Produktion und Vermarktung von Nahrungsmitteln konsolidieren und ihre Stellung im internationalen Wettbewerb ausbauen können.
Die Folgen der GAP sind bei kleinen und mittelgroßen Landwirtschaftsbetrieben bereits spürbar, insbesondere nach der Entkoppelung der Beihilfen von der Produktion im Rahmen der Reform 2003: landwirtschaftliche Betriebe werden aufgegeben, die Bevölkerung auf dem Land nimmt ab, es kommt zu Rodungen, ländliche Gebiete werden aufgegeben und die Umwelt geschädigt.
Sie wirken sich auch auf die Arbeitskräfte aus, die mit untragbaren höheren Preisen für Nahrungsmittel und erhöhten Risiken für die öffentliche Gesundheit konfrontiert sind, welche das Ergebnis gefährlicher Stoffe, zweifelhafter Rohstoffe und Produktionsmethoden sind.
Wir sind grundsätzlich gegen die vorgeschlagenen Regelungen, die den landfeindlichen Charakter der GAP deutlich machen. Wir rufen die Inhaber der kleinen und mittelgroßen landwirtschaftlichen Betriebe auf, sich mit den Arbeitern im gemeinsamen Kampf gegen die landfeindliche Politik der EU und des Kapitals zu vereinen.
(Schriftliche Erklärung gekürzt gemäß Artikel 163 der Geschäftsordnung)
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0401/2008)
Sylwester Chruszcz (NI), schriftlich. − (PL) Ich habe heute gegen den Bericht über eine Verordnung des Rates zur Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik gestimmt. Aus meiner Sicht wird die Verordnung den Erwartungen vieler Erzeugergruppen nicht gerecht und verringert nicht die Kluft zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben in den alten und neuen Staaten der Europäischen Union. Ich bedauere sehr, dass die meisten Abgeordneten des Europäischen Parlaments nicht die Probleme erkennen, vor denen die europäische und die polnische Landwirtschaft steht. Hier sind Änderungen erforderlich. Die Tendenz der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Änderungen kann ich jedoch nicht akzeptieren.
Avril Doyle (PPE-DE), schriftlich. − In Bezug auf den Santos-Bericht (A6-0401/2008) zum Gesundheitscheck der GAP, dem ich zugestimmt habe, muss ich klarstellen, dass es einen Aspekt der GAP gibt, nämlich die Subventionen für den Tabakanbau, den ich nicht unterstützen kann und auch niemals unterstützt habe. Tabak ist das pro Hektar am stärksten subventionierte Produkt in der EU.
Seit den frühen 1990er Jahren hat die EU jährlich etwa 1 000 Millionen Euro an Beihilfen für Tabakpflanzer aufgewendet. Trotz des Versuchs, diese Subventionen zu kürzen, werden immer noch viele hundert Millionen Euro Tabakbeihilfen (963 Millionen Euro im Jahr 2002) an die Tabakanbauer ausgeschüttet. Das ist im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Sektoren die bei weitem höchste Stützung und führt zu verzerrten Anreizen und einem hohen Maß an Ineffizienz. Dies hat viel Geld gekostet, die Politik ist aus Handelssicht fehlgeschlagen und sie ist schlecht für das Ansehen der EU, da sie eine peinliche Ambivalenz bei den Gesundheitszielen der EU aufzeigt. Subventionen sollten beim Tabak (nicht jedoch bei den Tabakanbauern) vollständig abgebaut und viel schneller als derzeit geplant in die Unterstützung gesunder Landwirtschaft umgelenkt werden.
Lena Ek (ALDE), schriftlich. − (SV) Der Vorschlag der Kommission, die Milchquoten auslaufen zu lassen, ist mit der Forderung nach einer Überprüfung bereits im Jahr 2010 verwässert worden. Obendrein hat die Mehrheit die Einrichtung eines speziellen Milchfonds durchgedrückt. Dieser Bericht hätte meiner Meinung nach besser ausfallen können, wenn wir eine Reihe von Änderungsanträgen durchgebracht hätten, die auf eine stärkere Marktanpassung abzielen, beispielsweise eine stärkere Erhöhung der Milchquoten. Leider wurde keiner dieser Änderungsanträge angenommen, und deshalb habe ich gegen den Bericht gestimmt.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Wir bedauern, dass unsere Vorschläge abgelehnt wurden. Diese sprachen sich für eine andere Gemeinsame Agrarpolitik aus, die auf der Unterstützung für produzierende landwirtschaftliche Betriebe beruht, um die durch Preisschwankungen bedingte Instabilität in den Produktionssektoren zu bekämpfen, und auf Marktregulierungsmechanismen, die ein würdiges Einkommen für die Inhaber kleiner und mittelgroßer landwirtschaftlicher Betriebe gewährleisten, um den Niedergang der ländlichen Welt und die Wüstenbildung in vielen Regionen zu verhindern.
Wir bedauern auch, dass unser Vorschlag abgelehnt worden ist, der darauf abzielte, die Finanzierung einer öffentlichen Versicherung in den Mitgliedstaaten durch die Europäische Union zu gewährleisten. Ziel war es, Landwirten unter bestimmten Umständen, wie allgemeinen Katastrophen – also Dürren, Stürmen, Hagel, Waldbränden oder Tierseuchen – ein Mindesteinkommen zu sichern.
Wir lehnen die Ankündigung des Endes des Milchquotensystems, die Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik und die anhaltenden Ungerechtigkeiten bei der Zuweisung von Beihilfen ab.
Die beharrliche Verteidigung der Vorschläge der Europäischen Kommission ist selbst mit gewissen Änderungen keine ausreichend stabile Grundlage für die Forderung nach einem anderen Standpunkt des Rates.
Christofer Fjellner (PPE-DE), schriftlich. − (SV) Die Europäische Kommission unternimmt mit ihrem Vorschlag mehrere wichtige Schritte in die richtige Richtung, was die Schaffung eines wettbewerbsfähigeren Agrarsektors durch die weitere Entkoppelung von Beihilfen und die Abschaffung von obligatorischen Flächenstilllegungen, Ausfuhrsubventionen, Milchquoten, Produktionsbeihilfen und Marktstützungen betrifft. Der Vorschlag bedeutet auch, Finanzmittel von Direktbeihilfen für landwirtschaftliche Erzeugung zu der ländlichen Entwicklung zu übertragen, wobei der Schwerpunkt auf den vier vorrangigen Bereichen Klimawandel, erneuerbare Energie, Wasserwirtschaft und biologische Vielfalt liegt. Da das Europäische Parlament weniger Reformen und weniger schnelle Änderungen sehen wollte, haben wir uns entschlossen, den ursprünglichen Vorschlag der Kommission zu unterstützen und gegen die Änderungen des Parlaments zu stimmen.
Duarte Freitas (PPE-DE), schriftlich. – (PT) Obwohl ich zustimme, dass die von der Kommission empfohlenen Änderungen der Gemeinsamen Agrarpolitik notwendig sind, glaube ich, dass der Kommissionsvorschlag in Bezug auf die Milchquoten für weniger wettbewerbsfähige europäische Regionen, die stark vom Milchsektor abhängig sind, sehr schädlich ist.
Darum denke ich, dass der Abbau der Milchquoten durch die Verordnung (EG) Nr. 248/2008 nicht hätte eingeleitet werden sollen und dass dieser Abbau nicht, wie von der Kommission vorgeschlagen und von dem Berichterstatter akzeptiert, fortgesetzt werden sollte.
Der Capoulas-Santos-Bericht enthält insofern ein positives Element, als er fordert, im Jahr 2010 ein Bericht zur Untersuchung des Zustands des Milchmarkts zu erstellen.
Somit habe ich nicht gegen diesen Bericht gestimmt, weil ich die Änderungen hinsichtlich der Zuckerraffinierung auf den Azoren unterstütze, die deren Fortführung in einer Region ohne große wirtschaftliche Alternativen erlauben.
Elisabeth Jeggle (PPE-DE), schriftlich. − (DE) In der heutigen Abstimmung zur Gesundheitsüberprüfung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) habe ich gegen den Bericht zum Milchsektor gestimmt. Ich bin der Meinung, dass es ohne eine Marktanalyse zu keiner weiteren Quotenerhöhung kommen darf. Die Forderung des Parlaments, die Quote, wie von der Kommission vorgeschlagen, schrittweise um 5 mal 1 % zu erhöhen, halte ich für ein völlig falsches Signal.
Ich begrüße allerdings sehr, dass sich das Parlament erneut für den Milchfonds ausgesprochen hat. Mit den eingesparten Mitteln im Agrarhaushalt und speziell im Milchsektor kann man so effizient zur Entlastung und zur Umstrukturierung dieses Sektors beitragen. Darüber hinaus unterstütze ich die Forderung an die Kommission, dem Parlament und dem Rat bis zum 31.12.2010 einen Bericht zum Milchmarkt vorzulegen, um dann über weitere Maßnahmen in Bezug auf die Milchquotenregelung zu diskutieren. Ferner begrüße ich bei der Modulation die Anhebung der Freigrenze von 5 000 Euro auf 10 000 Euro pro Jahr. Damit hat sich das Parlament für eine weitere Unterstützung der kleinen Betriebe stark gemacht, von denen ein Großteil bei uns in Baden-Württemberg und Bayern zu Hause ist.
Neil Parish (PPE-DE), schriftlich. − Konservative Abgeordnete haben Änderungsanträge unterstützt, die Milchquotenerhöhungen um mindestens 2 % pro Jahr vor der Abschaffung der Quotenregelung im Jahr 2015 erlauben, wodurch der Weg für einen liberalisierten, marktorientierten Milchsektor bereitet werden soll. Wir haben diejenigen Änderungsanträge, die auf eine Beschränkung der Quotenanhebung abzielten, nicht unterstützt. Letztlich wurden keine wesentlichen Änderungen in der einen oder anderen Richtung angenommen, was bedeutet, dass der Kommissionsvorschlag praktisch unverändert blieb.
Wenngleich die von der Kommission vorgeschlagenen jährlichen Erhöhungen um 1 % besser sind als gar keine Erhöhung, halten wir dies nach wie vor für einen zu zaghaften Schritt. Wir lehnen auch die Abneigung des Berichts gegen eine Abschaffung bestimmter gekoppelter Zahlungen und Marktstützungsmaßnahmen ab. Folglich haben wir insgesamt gegen den Bericht gestimmt.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE), schriftlich. – (RO) Ich habe für den Bericht zur Änderung der „Verordnung des Rates zur Anpassung der Gemeinsamen Agrarpolitik“ gestimmt. Ich habe den Änderungsantrag 4 unterstützt, der eine Anhebung der Milchquoten um 2 % im Zeitraum 2008 – 2009 und um 1 % für die Wirtschaftsjahre 2009 – 2010 und 2010 – 2011 erlaubt. Dies sorgt für die Elemente, die für eine angemessene Bewertung der Marktlage im Milchsektor erforderlich sind. Ich habe auch befürwortet, dass für die 12 neuen Mitgliedstaaten Anhebungen der Milchquoten möglich sind, sofern die Lage auf dem Milchmarkt dies für das betreffende Wirtschaftsjahr erlaubt. Vor diesem Hintergrund müssen wir gewährleisten, dass rechtzeitig über eine Änderung der Milchquote entschieden wird, nämlich vor Beginn des betreffenden Wirtschaftsjahres (1. April des jeweiligen Jahres).
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0390/2008)
Andreas Mölzer (NI), schriftlich. − (DE) Die Zahlungen aus dem Landwirtschaftsfonds sollen unsere Bauern stützen, um den ökologisch und landwirtschaftlich guten Zustand der landwirtschaftlichen Flächen zu sichern. Während für in der EU produzierte Nahrungsmittel strenge Auflagen gelten, werden Waren zu Schleuderpreisen importiert, die diesen Auflagen nicht unterliegen. Zudem wurden die Milchquoten erhöht und sollen 2015 gar ganz auslaufen, was zu sinkenden Milchpreisen führt und damit die Kleinbauern in arge Bedrängnis bringt. Schließlich erhalten da noch Lebensmittelketten wie Hofer EU-Förderungen, die den Druck auf die heimischen Bauern noch erhöhen, indem sie beispielsweise Milch als Lockware einsetzen.
Leidtragende sind vor allem Kleinbauern in ländlichen Regionen, die von der Milchproduktion abhängig sind und nicht die Möglichkeit haben, diese im großen Stil zu betreiben. Bei gestiegenen Milch- und Lebensmittelpreisen wird der Konsument zur Kasse gebeten, bei den kleinen Erzeugern kommt davon nichts an. Bei Senkungen hingegen bekommt der Bauer das zu spüren. Das muss sich endlich ändern, sonst wird das andauernde massive Bauernsterben dazu führen, dass wir nur noch von Nahrungsmittelimporten abhängig sind. Unsere Bauern sind auf Förderungen angewiesen, deshalb habe ich für den Bericht Santos gestimmt.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE), schriftlich. – (RO) Ich habe für den Bericht über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) gestimmt. Ich habe für den Änderungsantrag 24 gestimmt, der eine Niederlassungsbeihilfe für Junglandwirte in Höhe von 75 000 Euro festlegt. Sie kann in Form einer einmaligen Prämie in Höhe von maximal 50 000 Euro oder in Form einer Zinsvergütung, deren kapitalisierter Wert 50 000 Euro nicht überschreiten darf, gewährt werden. Werden beide Formen der Beihilfe kombiniert, so darf der Gesamtwert 75 000 Euro nicht überschreiten.
Ich habe außerdem für den Änderungsantrag 12 gestimmt, der besagt, dass zur Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung der Programme für die Entwicklung des ländlichen Raums für mehr Flexibilität gesorgt werden sollte, um nicht ausgegebene Mittel aus den Strukturfonds innerhalb ein und desselben Mitgliedstaats für diesen Zweck verwendet werden können.
- Bericht: Luis Manuel Capoulas Santos (A6-0377/2008)
Andreas Mölzer (NI), schriftlich. − (DE) Natürlich ist es wichtig, dass verschiedene Politikbereiche aufeinander abgestimmt werden, aber das darf sich nicht nur auf die Finanzierung beschränken. Man hat in der EU das Gefühl, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Wir fördern den Warentransport kreuz und quer durch Europa und fördern dann Umweltschutzmaßnahmen, um die negativen Auswirkungen abzufedern. Oder denken wir an die Förderung des Tabakanbaus bei gleichzeitigen Maßnahmen, um den Tabakkonsum einzuschränken.
Gleiches gilt auch für die ländlichen Regionen. Auf der einen Seite gibt es hier extra Fördertöpfe, auf der anderen Seite wird dank Maastricht-Vorgaben und grenzenlosem Liberalisierungseifer außerhalb der Ballungszentren jegliche Infrastruktur abgebaut und die ländlichen Regionen werden immer mehr abgeschnitten. Wenn die Postliberalisierung wie angekündigt kommt, ist beispielsweise in Österreich in einem Jahrzehnt außerhalb der Städte das nächste Postamt 20 Kilometer entfernt. Ländliche Regionen entwickeln sich zunehmend zum Altensitz. Senioren würden also durch diese Beschneidung des für sie wichtigen Kontaktmittels immer mehr abgeschnitten. Besonders betroffen von Infrastrukturkahlschlägen sind nicht nur alte, sondern auch sozial benachteiligte und gehbehinderte Personen. In der Hoffnung, dass der vorliegende Bericht einen Grundstock für künftig besser abgestimmte Strategien darstellt und diesen negativen Entwicklungen entgegenwirken kann, habe ich dafür gestimmt.
Dumitru Oprea (PPE-DE), schriftlich. – (RO) Ich habe für den Bericht von Luis Manuel Capoulas Santos gestimmt. Ich habe unter anderem deswegen dafür gestimmt, weil die Landwirtschaft besonders in Krisenzeiten einer der Bereiche ist, denen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.
In Zeiten wie diesen geht der Verbrauch allgemein zurück. Investitionen in die Landwirtschaft müssen daher darauf abzielen, die Betriebskosten zu senken, ohne jedoch die Qualität der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu beeinträchtigen. Ich bin außerdem der Ansicht, dass wir in der nächsten Periode den echten Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse neu überdenken und bestimmen müssen. Andernfalls werden immer mehr Landwirte die Bewirtschaftung des Landes aufgeben, weil sie unter den gegebenen Bedingungen ihre Erzeugnisse nicht mehr zu einem realistischen Preis verkaufen können. Es gibt häufig Fälle, wo die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht einmal die Investition decken. Andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass wir auf dem Agrarsektor alternative Kraftstoffe identifizieren und einsetzen müssen – ein strategischer Bereich für die ganze Welt.
Dieser Bericht ist angesichts der darin angesprochenen Fragen wichtig. Die Landwirtschaft muss zu den Prioritäten der EU zählen.
9. Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten: siehe Protokoll
(Die Sitzung wird um 13.05 Uhr und um 15.00 Uhr wieder aufgenommen.)
VORSITZ: MIGUEL ÁNGEL MARTÍNEZ MARTÍNEZ Vizepräsident
10. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
11. Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung - Einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die gemeinsame Aussprache über folgende Berichte:
- A6-0432/2008 von Ewa Klamt, im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung (KOM(2007)0637 – C6-0011/2008 – 2007/0228(CNS)) und
- A6-0431/2008 von Patrick Gaubert, im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (KOM(2007)0638 – C6-0470/2007 – 2007/0229(CNS)).
Die Dienste des Parlaments haben mich davon unterrichtet, dass der Vater von Frau Klamt verstorben ist und dass sie daher nicht anwesend ist. Wir sprechen Frau Klamt natürlich unser Beileid aus und danken Herrn Weber, dass er in dieser Aussprache die Funktion des Berichterstatters übernimmt.
Manfred Weber, Berichterstatter. – (DE) Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vizepräsident! Es wurde bereits angedeutet, warum ich heute hier sprechen darf, und zwar weil Frau Klamt einen schweren Trauerfall in der Familie hat. Wir sprechen ihr unser Beileid aus.
Ich möchte mich zunächst im Namen der Berichterstatterin für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Sie wissen, dass der Bericht in enger Zusammenarbeit zwischen dem Innenausschuss und dem Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments im Rahmen des Verfahrens der verstärkten Zusammenarbeit erarbeitet wurde. Deswegen ein herzliches Dankeschön an die Kollegen, die dort beteiligt waren, auch an die Schattenberichterstatter im Innenausschuss. Die Berichterstatterin möchte sich auch ausdrücklich bei der französischen Ratspräsidentschaft bedanken, die in den letzten Monaten engen Kontakt gehalten hat. Als Mitglied des gesamteuropäischen Parlaments möchte aber auch ich noch einmal unterstreichen, dass es schöner gewesen wäre, wenn die Einigung auf der Botschafterebene erst nach der Beratung durch das Europäische Parlament erfolgt wäre. Das wäre ein schönes Zeichen der engen Zusammenarbeit gewesen.
Zur Sache. In Bezug auf die hochqualifizierten Arbeitskräfte stehen wir in einem weltweiten Wettbewerb. Die Europäische Union liegt mit einem Anteil von 1,72 % an der Gesamtbeschäftigung deutlich hinter allen Mitbewerbern zurück. Australien, Kanada, die Vereinigten Staaten und sogar die Schweiz haben höhere Quoten an Hochqualifizierten in ihrem Beschäftigungsanteil. Im Wettbewerb um die besten und klügsten Köpfe haben wir derzeit als Europäische Union eine schlechte Ausgangsposition. Wir alle wissen, dass diese Frage für die Zukunft, für die Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaften entscheidend ist.
In acht Kompromissänderungsanträgen konnte sich Ewa Klamt mit den anderen Fraktionen des Parlaments auf wesentliche Kriterien einigen. Der im Innenausschuss abgestimmte Bericht von Ewa Klamt beinhaltet zunächst die für die Zulassung von hochqualifizierten Drittstaatsangehörigen bedeutenden Kriterien. Dabei handelt es sich zunächst um die Definition des Hochqualifizierten. Es geht um die Frage der Löhne, die bezahlt werden. Der Anwendungsbereich der Richtlinie erstreckt sich zum einen auf Personen, die über einen Hochschulabschluss verfügen, und zum anderen auf Personen, die eine vergleichbare, mindestens fünfjährige Berufserfahrung vorweisen können. Die Kommission hatte zunächst eine dreijährige Berufserfahrung vorgeschlagen. Auch beim Gehaltskriterium geht das Europäische Parlament einen Schritt weiter. Die Gehaltsuntergrenze soll das 1,7fache des durchschnittlichen Bruttojahreslohns betragen. Der Rat geht vom 1,5fachen aus. Ich möchte deswegen unterstreichen, dass das Europäische Parlament hier eine höherwertige Definition des Hochqualifizierten einfordert.
Das Nächste ist die Frage des „brain drain“. Eine wichtige Fragestellung. Wie gehen wir mit dieser Herausforderung um? Es soll keine Rekrutierung von Hochqualifizierten aus Drittstaaten geben, die dort dringend benötigt werden. Ein Antrag auf Erteilung einer „blue card“ kann abgelehnt werden, wenn „brain drain“ ein echtes Problem darstellt. Wir müssen andererseits auch ehrlich sehen, dass wir, auch wenn wir „brain drain“ ernst nehmen, im weltweiten Wettbewerb stehen und deswegen die Befristung notwendig ist, die mit der „blue card“ ja vorgesehen ist.
Für die Attraktivität Europas als Zuwanderungsraum für Hochqualifizierte sind natürlich nicht nur Verwaltungsfragen entscheidend. Es geht um kulturelle Fragen, es geht um das Offensein für Zuwanderung, um die besten Köpfe. Aber den europäischen Mehrwert, den wir durch die „blue card“ bekommen, dürfen wir auch nicht vernachlässigen. Erstmals gelingt es uns, ein europaweit einheitliches Zulassungssystem aufzubauen. Das ist ein echter europäischer Mehrwert.
Für uns ist für die morgige Abstimmung noch zusätzlich wichtig, dass wir einen Sonderantrag eingebracht haben, der die Gemeinschaftspräferenz unterstreicht. Das heißt, wenn es für Jobs qualifizierte innereuropäische Kolleginnen und Kollegen gibt, müssen diese einer „blue-card“-Vergabe vorgezogen werden. Wir müssen auch unterstreichen, dass wir uns alle einig waren – und das sollten wir in den Heimatstaaten auch so kommunizieren –, dass wir zwar die Verfahren vereinheitlichen, aber keine europäischen Quoten festlegen wollen, das heißt nicht definieren wollen, wie viel Zuwanderung es geben soll. Das muss und soll in nationaler Kompetenz bleiben. Im Namen der Berichterstatterin darf ich allen Beteiligten nochmals herzlich danken. Ich hoffe, dass wir morgen ein ähnlich gutes Ergebnis bekommen, wie wir es bereits im Innenausschuss hatten.
Patrick Gaubert, Berichterstatter. − (FR) Herr Präsident, liebe Kollegen! Ich freue mich besonders darüber, dass sich unsere heutige legislative Aussprache mit legaler Einwanderung beschäftigt und wir dadurch die Möglichkeit haben, hier eine Diskussion zu führen, die nicht – oder nicht mehr – die Kriminalisierung der illegalen Einwanderung in den Mittelpunkt stellt, sondern die zu Recht die positiven Aspekte und den bedeutenden Beitrag der legalen Einwanderung für unsere europäischen Unternehmen hervorhebt.
Es ist wichtig, die Europäer angesichts der derzeitigen demographischen Entwicklung an den erheblichen Anteil zu erinnern, den die Einwanderung am Wohlstand und der wirtschaftlichen Entwicklung der Europäischen Union hat. Die uns vorliegenden neuesten demographischen Prognosen lassen erhebliche Risiken hinsichtlich der Tragfähigkeit der Renten-, Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme erkennen.
Angesichts dieser Situation hat die Europäische Union eine eindeutige Entscheidung getroffen, nämlich eine gemeinsame Einwanderungspolitik zu verfolgen, die eine legale Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen fördert, welche entsprechend den Bedürfnissen der nationalen Märkte effizient umgesetzt wird. Darum diskutieren wir heute zwei weit reichende, pragmatische Gesetzestexte als Reaktion auf den von unseren Mitgliedstaaten klar definierten Arbeitskräftebedarf.
Durch die gleichzeitige Annahme dieser beiden Texte sendet das Europäische Parlament ein deutliches Signal der Offenheit, das wir unbedingt aufgreifen müssen, um der öffentlichen Meinung, unseren Mitbürgern sowie Drittstaaten zu erklären, welche positiven Schritte wir in Sachen Einwanderung unternehmen. Wir brauchen uns unserer Entscheidungen in dieser Sache nicht zu schämen und brauchen in dieser Frage auch keine Belehrungen durch führende Vertreter von Drittstaaten, die nicht in der Lage sind, eine geeignete Politik zu betreiben, sodass ihre Bevölkerung nicht unter Einsatz ihres Lebens versucht, in Europa bessere Bedingungen zu finden.
Ich möchte mich jetzt auf die Richtlinie über ein einheitliches Verfahren konzentrieren, für die ich der Berichterstatter bin: Erstens schafft der Vorschlag für Bürger aus Drittstaaten, die in einem Mitgliedstaat wohnen wollen, um dort zu arbeiten, ein System der einzigen Anlaufstelle. Er sieht ein einheitliches Antragsverfahren vor, das sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Einwanderer einfacher, kürzer und schneller ist. Hierdurch sollen die bürokratischen Verfahren abgebaut und die administrativen Schritte vereinfacht werden. Darüber hinaus wird durch dieses Verfahren und die kombinierte Erlaubnis die Prüfung der Gültigkeit der Erlaubnis für Verwaltung und Arbeitgeber erleichtert.
Zweitens wird der Richtlinienvorschlag die Gleichbehandlung aller Drittstaatsangehörigen auf bestimmten Gebieten sicherstellen. Die Anerkennung der sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte von Einwanderern, die sich legal im Hoheitsgebiet der Europäischen Union aufhalten, und von Neuankömmlingen wird ihre Integration fördern und somit zu einem besseren sozialen Zusammenhalt beitragen.
Die Gleichbehandlung betrifft Arbeitsbedingungen, Gesundheitswesen, Sicherheit am Arbeitsplatz, allgemeine und berufliche Bildung, Anerkennung von Befähigungsnachweisen, Sozialversicherung und Gesundheitsversorgung, Ausfuhr von gezahlten Renten, Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie Steuervergünstigungen.
Es sind tatsächlich realistische Beschränkungen geplant, doch wir werden dafür sorgen, dass diese nicht über das hinausgehen, was im Rahmen der Blue Card vorgesehen ist. Die Interessen der Einwanderer müssen berücksichtigt und ihre Rechte geschützt werden. In der Tat zeigen die Zahlen, dass die Arbeitslosenquote unter Einwanderern höher ist als unter den Bürgern der Europäischen Union, dass sie häufig in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen sind und die Beherrschung der Sprache des Gastlandes ein wesentliches Hindernis bleibt.
Die beiden von der Kommission vorgeschlagenen Texte, deren gesunden Menschenverstand ich hier loben möchte, entsprechen unserer Vorstellung von Einwanderungspolitik, einer angemessen bestimmten und menschlichen Politik. Ich möchte auch dem Rat und der französischen Präsidentschaft danken, dass sie außerordentlich engagiert und schnell die Voraussetzungen für eine schnelle Annahme dieser beiden sich perfekt ergänzenden Texte geschaffen haben.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident, meine Herren Berichterstatter Manfred Weber und Patrick Gaubert, verehrte Abgeordnete, Herr Vizepräsident der Kommission, lieber Jacques Barrot! Herr Weber, ich möchte Sie bitten, Frau Klamt, die natürlich nicht bei uns sein kann, unser Beileid und unsere Anteilnahme zu übermitteln.
Vor fast vier Jahren, im Januar 2005, kündigte die Europäische Kommission eine wichtige Debatte über die Perspektiven einer proaktiven europäischen Politik im Bereich der Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen an. Es zeigte sich, dass noch zahlreiche Widerstände und Vorbehalte bestanden und erhebliche Anstrengungen notwendig waren, um in dieser Sache zu einem Konsens zu kommen. Patrick Gaubert hat darauf hingewiesen. Er hat auch darauf hingewiesen, wie verblüffend es war festzustellen, wie stark die Meinung sich seitdem gewandelt hat. Die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ist zum ersten Pfeiler der gemeinsamen Einwanderungspolitik geworden, für deren Annahme die Mitgliedstaaten sich entschieden haben, als sie beim Europäischen Rat am 16. Oktober dem Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl zugestimmt haben.
Das Europäische Parlament wird heute im Plenum über die ersten beiden Texte der Gemeinschaft abstimmen, die für den Bereich der Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsame Instrumente einführen. Das erste, die Blue Card, wird hoch qualifizierten Arbeitskräften Zugang zur gesamten Europäischen Union ermöglichen und ihnen verschiedene Rechte sowie Sachleistungen zuerkennen.
Das zweite Instrument, die kombinierte Erlaubnis, verbindet Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis und wird für alle, die eine legale Arbeit in der Europäischen Union aufnehmen wollen, die administrativen Schwierigkeiten deutlich verringern und ihnen in der gesamten Union eine Reihe von Rechten garantieren.
Diese beiden Texte belegen, dass die Union wirklich für die Förderung der legalen Einwanderung eintritt, wie die Berichterstatter aufgezeigt haben, dass sie das Leben von Drittstaatsangehörigen, die sich legal auf unserem Hoheitsgebiet aufhalten, erleichtern möchte – mit einem Wort, dass sie nicht die „Festung Europa“ ist, die einige in ihr gerne sehen möchten.
Ich möchte meinerseits die Arbeit würdigen, die die Berichterstatter bei diesen beiden Vorschlägen geleistet haben. Ihre Arbeit hat, was ich gern betone, eine sehr aktive Zusammenarbeit zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament während dieser ganzen Phase ermöglicht.
Ich werde zunächst auf das Thema Blue Card eingehen. Weniger als ein Jahr nach der Vorlage des Vorschlags der Kommission ist es dem Rat gelungen, einen allgemeinen Ansatz zu erarbeiten. Das war in Anbetracht der Einstimmigkeitsregel keine leichte Aufgabe. Der Rat hat dank der hervorragenden Zusammenarbeit mit Frau Klamt zahlreichen Diskussionspunkten des Europäischen Parlaments Rechnung getragen, sei es bei der Definition der Kartenberechtigten, bei den Abgabebedingungen, bei der Beachtung des ethischen Einstellungsverfahrens und der Möglichkeiten der zirkulären Migration oder beim Ausschluss von Diskriminierung aufgrund des Alters oder bei der notwendigen Flexibilität hinsichtlich der Gültigkeit der Karte.
Es gibt einen Punkt, in dem die Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates deutlich auseinander gehen, und das ist die Frage des Gehaltskriteriums. Der Rat hat eine niedrigere Schwelle akzeptiert, wobei für Branchen, in denen ein Mangel besteht, weitere Abweichungen möglich sind, sodass mehr Menschen die Vorteile der Blue Card in Anspruch nehmen können. Ich hoffe, dass das Europäische Parlament angesichts der vorgelegten Vorschläge in der Lage ist, den Standpunkt des Rates zu akzeptieren und dadurch den Anwendungsbereich dieser Blue Card zu erweitern.
Diese Arbeiten versprechen einen Erfolg, von dem eine dreifache Botschaft an unsere europäischen Mitbürger ausgeht, eine Botschaft der Entschlossenheit Europas, die Möglichkeiten der legalen Einwanderung – vor allem für berufliche Zwecke – zu organisieren. Dies ist eigentlich der erste Text im Rahmen dieser speziellen Zielsetzung. Die Botschaft bezeugt mit diesem Symbol, zu dem die europäische Blue Card werden wird, zudem die Reaktionsfähigkeit der europäischen Integration, die hoch qualifizierten Angehörigen von Drittstaaten und ihren Familienangehörigen echte Mobilität innerhalb Europas ermöglichen wird, entsprechend der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten, die natürlich die Kontrolle über ihren Arbeitsmarkt behalten. Die dritte Botschaft betrifft die Bedeutung, die die Union einer verbesserten Nutzung von Fähigkeiten und Talenten in einer nunmehr globalisierten Welt beimisst, entsprechend den im Rahmen der Strategie von Lissabon unternommenen Bemühungen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit Europas.
Auf diese Weise bringt die Europäische Union den Wunsch nach einer Stärkung ihrer Attraktivität in Einklang mit ihrer Treue zu ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Entwicklung der ärmsten Länder. Der Rat hat dafür gesorgt, dass in die Richtlinie eine ganze Reihe von Bestimmungen zur Verhinderung und Begrenzung des Braindrain aufgenommen wurden. Ich möchte das hier hoch und heilig bestätigen und werde natürlich bei der Beantwortung der verschiedenen Beiträge darauf eingehen, die sicher von Ihnen kommen werden, denn mir ist Ihr völlig legitimes Engagement für eine effektive und gerechte Kooperation mit den insbesondere afrikanischen Herkunftsländern bewusst.
Ich komme jetzt zu der Richtlinie zur Einführung einer kombinierten Erlaubnis, die die Aufenthaltserlaubnis und die Arbeitserlaubnis verschmilzt. Dies ist ebenfalls ein wichtiger Text, der die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen deutlich vereinfacht, und zwar in einem Rahmen, der legal, transparent, sensibel und vorhersehbar ist und die administrativen Verfahren verringert, die allzu häufig die Zuwanderung erschwert, welche für das wirtschaftliche und demographische Gleichgewicht der Union notwendig ist. Vor allem führt dieser Text zum ersten Mal gemeinsame Rechte für alle Arbeitnehmer aus Drittstaaten ein, die legal in der Europäischen Union arbeiten und wohnen.
Angesichts der ersten Aufnahme, die diese Richtlinie fand, kann in naher Zukunft nicht mit wesentlichen Fortschritten gerechnet werden. Die Arbeiten an der Blue Card machten es dennoch möglich, nach und nach in dieser schwierigen Angelegenheit den Boden zu bereiten. Die Präsidentschaft scheut keine Mühen, um bei dem Abschluss dieses Vorschlags möglichst gut voranzukommen, wobei sie natürlich die Standpunkte des Parlaments weitestgehend berücksichtigt.
Die Arbeiten an diesem Text wurden intensiviert, und wir sind zuversichtlich, dass die wichtigsten Elemente bis Ende Dezember stehen. Die erstmalige Prüfung des Vorschlags durch die Minister wird während der Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ am 27. und 28. November erfolgen. Ganz sicher wird ein starkes Signal des Europäischen Parlaments hinsichtlich der Zweckmäßigkeit und des Mehrwerts dieses Textes die Bewegung verstärken, die derzeit Gestalt annimmt und den Weg für die endgültige Annahme dieser Richtlinie bereiten kann, die eindeutig das Leben der Einwanderer erleichtert.
Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. − (FR) Herr Präsident! Auch ich möchte den Berichterstattern, Frau Ewa Klamt – und ich schließe mich dem Mitgefühl an, das Herr Jouyet ihr ausgesprochen hat – und natürlich Herrn Patrick Gaubert meinen herzlichen Dank aussprechen. Ihre Berichte sind von hoher Qualität, und ich danke den beiden Berichterstattern des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, Frau Rumiana Jeleva und Herrn Jan Tadeusz Masiel. Ich danke auch Herrn Manfred Weber, der für Frau Klamt eingesprungen ist.
Die beiden Richtlinienvorschläge sind die ersten einer Reihe, die die Kommission 2005 in ihrem Aktionsplan zur legalen Einwanderung angekündigt hat. Sie sind sowohl für die Einwanderer selbst als auch für unsere Mitgliedstaaten und deren Unternehmen wichtig. Sie zeigen – um die Ausführungen von Patrick Gaubert und das, was Sie, Herr Jouyet, gerade gesagt haben, aufzugreifen – die wahre Bedeutung dieses Pakts zu Einwanderung und Asyl, den die französische Präsidentschaft zu einem guten Ende gebracht hat, und sie beweisen, dass dieser Pakt in der Tat ausgewogen ist und dass er auch den Willen der Europäer zeigt, sich für diese Migrationsströme zu öffnen, die besonders nützlich sein und sich als sehr positiv für die Zukunft unserer europäischen Gesellschaft erweisen können.
Mit diesen beiden Texten können wir somit das Gesicht einer Europäischen Union zeigen, die offen ist und aufgeschlossen gegenüber Drittstaatsangehörigen, die somit legal dort wohnen und dort entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten können – natürlich bei voller Ausübung ihrer Rechte. Sie beweisen auch die Fähigkeit der Europäischen Union, sich auf gemeinsame Instrumente für die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen zu einigen und damit ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Erwartungen einer Gesellschaft, den Rechten der Einwanderer und den Bedürfnissen ihrer Herkunftsländer zu finden.
Ich werde mit dem horizontalen Instrument, der Richtlinie über die kombinierte Erlaubnis und die Rechte von Wanderarbeitnehmern, beginnen. Ich freue mich, dass die Grundzüge des ursprünglichen Vorschlags der Kommission bestätigt wurden, vor allem hinsichtlich des einheitlichen Verfahrens, der kombinierten Erlaubnis für die als Arbeitnehmer zugelassenen Drittstaatsangehörigen sowie hinsichtlich der gemeinsamen Rechte für alle, für alle legal arbeitenden Einwanderer, unabhängig des ursprünglichen Grunds für ihren Aufenthalt.
Es ist von grundlegender Bedeutung, sicherzustellen, dass alle legal arbeitenden Drittstaatsangehörigen in allen Mitgliedstaaten die gleichen Mindestrechte genießen. Das entspricht, wie mir scheint, all den großen europäischen Prinzipien bezüglich der Grundrechte.
Darüber hinaus werden in Ihrem Bericht, Herr Gaubert, neue oder zusätzliche Elemente vorgeschlagen, die die Kommission unterstützen kann. Ich möchte insbesondere drei Änderungsanträge erwähnen: Den Änderungsantrag, der im Fall eines Verzugs der Behörden bei der Prüfung eines Antrags auf Verlängerung eine befristete Aufenthaltsgenehmigung gewährt, die Änderungsanträge zur Stärkung der Verfahrensrechte und schließlich die Änderungsanträge, die die Möglichkeit eines Antrags auf eine kombinierte Erlaubnis vorsehen, wenn man sich bereits rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält.
Die Kommission versteht und teilt den Wunsch des Europäischen Parlaments, in dem Artikel, der die Gleichbehandlung vorsieht, jede Einschränkung zu streichen, und – damit wende ich mich an die Präsidentschaft – ich hoffe natürlich, dass der Rat sich soweit wie möglich für all diese Änderungsanträge offen erweist.
Ich komme jetzt zu dem Richtlinienvorschlag „europäische Blue Card“ in dem Bericht von Frau Klamt, den uns Herr Weber in Erinnerung gerufen hat. Mit dieser europäischen Blue Card soll die Union attraktiver gestaltet werden, sie soll hoch qualifizierte Arbeitnehmer aus Drittstaaten stärker ansprechen können, damit die legale Einwanderung ergänzend zu der Strategie von Lissabon zu einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft beiträgt.
Der vorliegende Bericht unterstützt die Kommission hinsichtlich der dringenden Notwendigkeit, dieses gemeinsame System in Europa einzuführen. Die Kommission stimmt daher gern den Schlussfolgerungen des Berichts zu, allerdings mit einigen Vorbehalten. Zunächst einmal steht die Kommission sicherlich jenen Änderungsanträgen positiv gegenüber, die das System attraktiver gestalten, beispielsweise denjenigen, die alle Einschränkungen bei der Gleichbehandlung und beim Zugang zum Arbeitsmarkt streichen wollen, nachdem man zwei Jahre Inhaber einer Blue Card war. Zweitens die Einbeziehung der Flüchtlinge in die Kategorie der Aufenthaltsberechtigten, die dieses System nutzen können. Diese Begünstigung fehlte in dem ursprünglichen Vorschlag, und sie erscheint uns in jeder Hinsicht – politisch, humanitär und wirtschaftlich – interessant.
Und schließlich die Beibehaltung des Kriteriums der Berufserfahrung bei bestimmten Berufen. Insbesondere auf dem Gebiet der neuen Technologien zählen die Erfahrung und die Fähigkeiten einer Person mehr als irgendwelche Diplome.
Auf der anderen Seite kann die Kommission den Änderungsantrag nicht akzeptieren, der die Erteilung der Blue Card auf Bürger solcher Länder beschränken möchte, mit denen die Union Abkommen geschlossen hat. Ziel dieses Änderungsantrags ist zwar eine Reduzierung negativer Auswirkungen auf Entwicklungsländer, aber nach Einschätzung der Kommission würde dies die Anwendung der Richtlinie am Ende doch übermäßig einschränken. Zudem wäre damit die Gefahr der Diskriminierung hoch qualifizierter Migranten verbunden, die dann die nationalen Systeme nutzen könnten, über die weder die Kommission noch das Parlament irgendeine Kontrolle haben.
Ebenso habe ich Vorbehalte dagegen, eine Abweichung von dem Recht auf zirkuläre Migration zu ermöglichen. Ein Vorbehalt, der ehrlich gesagt mehr eine Ablehnung ist. Die Möglichkeit, für zwei Jahre in das Herkunftsland zurückkehren zu können, ohne die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu verlieren, muss unbedingt gegeben sein, wenn wir beispielsweise den Austausch von Personal an Universitäten oder Krankenhäusern ermöglichen oder das Engagement der Diaspora bei der Entwicklung der Herkunftsländer fördern wollen. Dies würde die zirkuläre Migration einschränken, die unserer Meinung nach aber zunehmen sollte.
Schließlich möchte ich noch etwas zu der offensichtlichen Notwendigkeit sagen, die Lage des Arbeitsmarktes zu berücksichtigen. Wie Manfred Weber schon gesagt hat, haben wir ein Europa mit getrennten Arbeitsmärkten, und jeder Staat muss für sich bestimmen, wie viele Einwanderer er aufnehmen kann. Natürlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass es im Bereich des Arbeitsmarktes Pflicht ist, alle europäischen Bürger der anderen Mitgliedstaaten aufzunehmen.
Zum Abschluss wende ich mich an die Präsidentschaft, an Herrn Jean-Pierre Jouyet, in der Hoffnung, dass die Minister, die sich in der nächsten Woche im Rat treffen, die Änderungsanträge des Europäischen Parlaments – die sicherlich einen Mehrwert bringen – so weit wie möglich nutzen können. Ich hoffe, wir können vor Ende des Jahres zeigen, dass dieses Europa weit davon entfernt ist, sich abzukapseln, und dass es sich für diese Migrationsströme öffnen will, wobei wir immer mehr zu einem mit den Einwanderungsländern abgestimmten Management der Migrationsströme kommen wollen.
(Beifall)
Danutė Budreikaitė, Verfasserin der Stellungnahme des Entwicklungsausschusses. − (LT) Mit dem Blue-Card-Vorschlag ist die Hoffnung verbunden, dass die EU attraktiv für qualifizierte Arbeitnehmer wird, denen Bedingungen geboten werden, unter denen sie zeitlich befristet, gleichzeitig aber langfristig bleiben können. Der Vorschlag erklärt, dass es nicht zu Braindrain, also einer Abwanderung von Intelligenz, kommen würde, sondern eher zu einem Rückfluss – einem Kreislauf. Das ist sehr unwahrscheinlich.
Wie erscheint der Vorschlag im Kontext der Politik der Entwicklungszusammenarbeit?
Bei Einführung der Blue Card werden Entwicklungsländer Fachkräfte verlieren, an deren Ausbildung auch die EU beteiligt war, und zwar vor allem in den empfindlichsten Sektoren, nämlich Bildung und Gesundheit. Der Mangel dieser Fachkräfte wird vielleicht durch Freiwillige aus unseren Ländern ausgeglichen werden müssen.
Überdies beteiligen sich das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark nicht an der Blue Card mit ihrer Ethik, keine Fachkräfte aus sensiblen Sektoren in Entwicklungsländern anzuwerben. In diesem Fall erscheinen Initiativen zur Unterstützung von Entwicklungsländern falsch. Anscheinend überwiegen nach wie vor wirtschaftliche Interessen.
In Wirklichkeit kann die Blue Card zu massiven intellektuellen Verlusten in Entwicklungsländern führen.
Jan Tadeusz Masiel, Verfasser. – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Minister! Die Richtlinie über den Zugang von qualifizierten Drittstaatsangehörigen zur EU ist der erste wertvolle Schritt in Richtung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik der Europäischen Union. Es ist der erste ernsthafte Versuch, die illegale Einwanderung in Europa einzuschränken und die legale Einwanderung zu fördern.
Bei der Ausarbeitung des Blue-Card-Programms waren wir hin- und hergerissen zwischen der Befürchtung, dass es durch Drittstaatsangehörige missbraucht wird, und der Hoffnung, dass die Neuankömmlinge den Bedarf unserer Arbeitsmärkte decken und zur Entwicklung unserer Wirtschaft beitragen werden. Die Blue Card soll Europas Visitenkarte werden und dafür sorgen, dass Europa ein Ort wird, an dem die von unseren kleinen und mittleren Unternehmen benötigten qualifizierten Arbeitnehmer gern arbeiten und leben.
Aus Sicht des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, den ich heute vertrete, war es wichtig sicherzustellen, dass Arbeitnehmer von außerhalb der Europäischen Union nicht schlechter behandelt werden als unsere eigenen Bürger. Aus diesem Grund mussten wir gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit sicherstellen, gewährleisten, dass Familien zusammengeführt werden können und für Zugang zu grundlegenden Sozialleistungen sorgen, um eine schnelle und vollständige Integration der Ankömmlinge zu erreichen. Abschließend möchte ich den Schattenberichterstattern für ihre Unterstützung danken und der französischen Präsidentschaft mitteilen, dass der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten schnell gearbeitet hat, um sie bei der Erreichung ihrer Ziele vor dem Ende ihrer Amtszeit zu unterstützen.
Rumiana Jeleva, Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. − (BG) Ich möchte Herrn Gaubert zu seinem Bericht über die Richtlinie des Rates über eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet der Europäischen Union beglückwünschen. Ich war Verfasserin der Stellungnahme des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zu dieser Richtlinie. Als Abgeordnete für Bulgarien, einem der zehn Mitgliedstaaten, für die Übergangsfristen gelten, bin ich entschieden gegen Beschränkungen des freien Zugangs zum Arbeitsmarkt für einen wesentlichen Teil der europäischen Arbeitskräfte. Daher begrüße ich die Bemühungen der europäischen Institutionen um die Sicherstellung der Gleichbehandlung aller, die sich in der Europäischen Union aufhalten und dort legal arbeiten.
Diese Richtlinie soll als ein horizontales Instrument dienen, wobei zu beachten ist, dass bereits spezielle Richtlinien in Kraft sind bzw. angenommen werden sollen. Ich denke dabei an die Richtlinien über Saisonarbeitnehmer, über langfristig aufenthaltsberechtigte Arbeitnehmer und über „EU Blue Cards“, über die wir heute diskutieren. Bei der Formulierung unseres Standpunkts wurde ich von Kollegen aus unserem Parlamentsausschuss unterstützt, und ich glaube, dass die von uns vorgeschlagenen Texte ausgewogene Rechte für Drittstaatsangehörige festlegen. Erwähnen möchte ich hier das Recht auf Bildung, die Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Zeugnissen, Arbeitsbedingungen, Zugang zu der Sozialversicherung, Steuervergünstigungen und andere Rechte. Diese Richtlinie bietet Drittstaatsangehörigen ein allgemeines Mindestmaß an arbeitsbezogenen Rechten. Folglich dürfen die ihnen gewährten Rechte daher nicht über die Rechte hinausgehen, die im Rahmen von bestimmten Richtlinien garantiert werden. Das ist auch der Grund, weshalb der Vorschlag der Europäischen Kommission bestimmte Bedingungen für die Ausübung dieser Rechte vorsieht. In der endgültigen Fassung des Standpunkts, die dem Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zur Abstimmung vorgelegt wurde, fehlen jedoch diese Bedingungen. Dadurch befinden wir uns in einer Lage, wo es eklatante Diskrepanzen gibt, beispielsweise mit der „EU Blue Card“ oder mit Garantien gemäß anderen speziellen Richtlinien, einschließlich der Richtlinie zu Drittstaatsangehörigen, die langfristig Aufenthaltsberechtigte in der EU sind.
Meine Damen und Herren, in diesen Zeiten der finanziellen und ökonomischen Krise müssen wir realistisch sein. Als Berichterstatterin des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten ersuche ich Sie, die Dinge verantwortungsbewusst zu sehen und für ein schlüssiges und konsistentes Dokument zu stimmen.
Kinga Gál, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (HU) Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir das Wort erteilen. Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem aktuellen Paket von Migrationsrichtlinien debattiert das Parlament heute wichtige und langfristige Berichte und wird diese morgen annehmen.
Derzeit gibt es in der Europäischen Union 27 unterschiedliche Systeme zur Regelung der Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen. Die beiden neuen Richtlinien gewährleisten ein vereinfachtes Verfahren für hoch qualifizierte Arbeitnehmer und schließen die Möglichkeit eines vereinfachten Systems für Einreise und Aufenthalt ein. Wir können uns vorstellen, dass diese beiden Richtlinien ein effektives Kompromiss-System anstelle der heutigen zersplitterten Regelungen einführen können.
Die Berichterstatter für die Europäische Volkspartei haben in dieser Hinsicht eine seriöse und wichtige Arbeit geleistet. Der Bericht über die Beschäftigung von hoch qualifizierten Arbeitnehmern, der inzwischen als der „Blue Card“-Bericht bekannt ist, ist ein guter, ausgewogener Bericht. Die Berichterstatterin Ewa Klamt verdient besonderes Lob. Wir beglückwünschen auch Herrn Gaubert zu seinem Bericht.
Die Volkspartei setzt sich zugleich dafür ein, dass die Bestimmung hinsichtlich der vorrangigen Berücksichtigung von EU-Bürgern ein wichtiger Bestandteil der Richtlinie ist. Diejenigen Abgeordnetenkollegen, die das Prinzip der vorrangigen Berücksichtigung ablehnen und Änderungsanträge mit dem Ziel vorschlagen, diese Prinzip aus dem Bericht zu streichen, möchte ich daher auf die Tatsache aufmerksam machen, dass ich es als ungarische Bürgerin und im Namen der Bürger aller neuen Mitgliedstaaten für unannehmbar halte, das Prinzip, Arbeitskräfte aus Mitgliedstaaten gegenüber Arbeitskräften aus Drittstaaten vorrangig zu berücksichtigen, nicht fest zu verankern.
Dieser Ansatz ist besonders unannehmbar und heuchlerisch angesichts der Tatsache, dass wir als Angehörige der neuen Mitgliedstaaten noch immer – bis heute und wer weiß wie lange noch – in zahlreichen alten Mitgliedstaaten beim Zugang zum Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Es ist eine Schande, dass Europa von unserer Union spricht und dabei die Bürger der neuen Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht immer noch als Bürger zweiter Klasse behandelt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Javier Moreno Sánchez, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident! Ich bitte darum, dass die höllische Zeitmaschine meine ersten Worte nicht berücksichtigt, denn damit möchte ich mich der Beileidsbekundung dieses Hauses an Frau Klamt anschließen und insbesondere die Berichterstatter beglückwünschen.
Ich werde also jetzt beginnen. Ich beglückwünsche die Berichterstatter, weil wir mit diesen beiden Vorschlägen einen qualitativen Schritt hin zu einer gemeinsamen Einwanderungspolitik machen und die legale Migration fördern, die ein Schlüsselelement unseres globalen Ansatzes bildet.
Die gemeinsamen Rechte und die kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für legale Migranten müssen für so viele Arbeitskräfte wie möglich gelten. Daher fordern wir Sozialisten, dass keine Kategorie von Arbeitskräften ausgeschlossen wird.
Die „Blue Card“ bietet Migranten die Chance, sich mit ihren Familien in unseren Ländern niederzulassen und dort zu arbeiten. Sie öffnet eine einzige Tür zu 27 Arbeitsmärkten. Allerdings dürfen nicht ausschließlich Hochqualifizierte durch diese Tür eintreten. Wir erwarten daher, Herr Kommissar, dass die Kommission demnächst ihre Vorschläge bezüglich der anderen Kategorien von Arbeitskräften vorlegt.
Meine Damen und Herren, wir müssen einen Braindrain verhindern. Diese Blue Card darf nicht zu einem Pass werden, der einen Anreiz für wichtige Arbeitskräfte bildet, die Entwicklungsländer zu verlassen. Die PSE-Fraktion möchte, dass wir für jede qualifizierte Fachkraft, die nach Europa kommt, im Herkunftsland die Ausbildung einer neuen Fachkraft finanzieren.
Ein letzter Punkt: Europa muss ein attraktives Ziel nicht nur für Talente von außerhalb der Union sein, sondern auch für unsere eigenen europäischen Talente. 2007 haben fast 300 000 hoch qualifizierte Europäer eine Beschäftigung außerhalb der Union aufgenommen. Wir müssen unser Möglichstes tun, damit diese in dem europäischen Haus bleiben.
Jeanine Hennis-Plasschaert, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident! Wie es aussieht, machen Konservative und Sozialisten bei der Blue Card gemeinsame Sache, was bei meiner Fraktion, ehrlich gesagt, große Verwunderung hervorruft. Die EU versucht jetzt schon eine Weile, ein umfassendes Paket zur Migration zu entwickeln, das Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration wie auch Maßnahmen zur Unterstützung der vorausschauenden Strategie Europas im Hinblick auf die legale Migration einschließt.
Sie erinnern sich vielleicht an die sehr emotionale Aussprache über die Rückführungsrichtlinie. Damals stellte die ALDE-Fraktion fest, dass die Rückführungspolitik nicht isoliert gesehen werden könne, sondern als integraler Bestandteil – und notwendiger Teil – eines Gesamtpakets zur Migration betrachtet werden müsse, und das stimmt immer noch. Heute haben wir endlich Gelegenheit zu einer eindeutigen Botschaft, dass bessere Chancen für legale Migration erforderlich sind, um auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zu reagieren, die dringend qualifizierte Arbeitskräfte braucht.
Dass wir in Sachen legale Migration von der EVP nicht zu viel erwarten konnten, ist zwar bedauerlich, war aber in gewisser Weise absehbar. Dass die SPE ganz allgemein gesehen bei den Blue-Card-Änderungsanträgen problemlos mit der EVP übereinstimmt, lässt mir die Haare zu Berge stehen. Nach der Abstimmung im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres wurde das Programm stark verwässert. Es wurden deutlich viel zu viele Einschränkungen eingeführt, die alles andere als hilfreich sind, wenn es darum geht, die EU für hoch qualifizierte Arbeitnehmer attraktiver zu machen.
Es muss klar sein, dass mit der Blue Card die Absicht verfolgt wird, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der EU zu verbessern. Der Blue-Card-Vorschlag ist kein bequemer Versuch, die Besten herauszupicken und den Rest sich selbst zu überlassen, sodass in Entwicklungsländern ein Braindrain gefördert wird.
Derzeit tendiert die überwiegende Mehrheit der hoch qualifizierten Arbeitnehmer dazu, in die USA, nach Kanada oder nach Australien auszuwandern, aber nicht in die EU. Wenn wir diesen Trend umkehren wollen, müssen wir uns ehrgeizige Ziele stecken. Dieses Haus ist im Begriff, einen Bericht anzunehmen, der einen schon nicht sehr anspruchsvollen Kommissionsvorschlag noch weiter abschwächen würde. Ich möchte klarstellen, dass die ALDE-Fraktion ein ganz starker Befürworter der Blue Card ist. Allerdings sind wir der Meinung, dass der aktuelle Text nicht die dringend benötigten Veränderungen bei der legalen Migration herbeiführt, sondern stattdessen die protektionistische Praxis der Mitgliedstaaten bestätigt.
Wir wissen alle, dass der Rat sehr gut darin ist, ehrgeizige Erklärungen abzugeben, wissen aber auch, dass die effektive Beschlussfassung allzu häufig durch die Unfähigkeit der Mitgliedstaaten behindert wird, im gegenseitigen Interesse wirklich zusammenzuarbeiten, und dass die effektive Beschlussfassung in diesem Bereich durch eine sehr emotionale und verworrene Diskussion über legale Migration untergraben wird, weil es an Entschlossenheit mangelt.
Das Tampere-Programm, das Haager Programm, der französische Pakt zu Einwanderung, das anstehende Stockholmer Programm – letzten Endes geht es immer darum, diese grundlegenden Verpflichtungen in konkrete und wirksame Maßnahmen umzusetzen. Wenn das vorgeschlagene Programm für die EU von Nutzen sein soll, müssen wir Ehrgeiz entwickeln, und darum hoffe ich, dass Sie morgen entsprechend abstimmen werden.
Bogusław Rogalski, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die vorliegenden Daten machen deutlich, dass die Europäische Union, anders als Länder wie die USA, Kanada oder Australien, für qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten gewöhnlich nicht das Ziel der Wahl ist. Von den qualifizierten Migranten aus den Maghreb-Ländern kommen beispielsweise nur 5,5 % in die EU, während die USA oder Kanada rund 54 % aufnehmen. Der Grund sind die sehr unterschiedlichen Zulassungssysteme für Migranten in der EU, die die Bewegung von einem Land in ein anderes enorm erschweren. In lediglich sechs Mitgliedstaaten gibt es spezifische Programme für die Beschäftigung von qualifizierten Migranten.
Es ist daher unbedingt erforderlich, dass wir in der europäischen Zuwanderungspolitik zu einem kohärenteren Ansatz der Mitgliedstaaten kommen, der Integrationsfragen und politische Aspekte berücksichtigt. Wir müssen die Regelungen vereinheitlichen, sodass wir die Migrationsströme sowohl nach als auch innerhalb von Europa steuern und damit qualifizierten Migranten eine bessere Chance geben können.
Jean Lambert, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich möchte den Berichterstattern für ihren positiven Ansatz zu diesen partiellen – aber lang ersehnten – positiveren Maßnahmen zur Zuwanderung und zur Stellung von Drittstaatsangehörigen in der Europäischen Union danken. Ich begrüße auch die positivere Einstellung der Kommission zu bestimmten Änderungsanträgen des Parlaments.
Für meine Fraktion, die Grünen, bestand der Ausgangspunkt darin, Rechte zu haben, die denen von EU-Bürgern möglichst gleichwertig sind – ein gemeinsames Bündel von Rechten –, und das System so offen und so aufnahmefreundlich wie möglich zu gestalten. Ich stimme den Abgeordneten voll und ganz zu, die sagten, es sei ein Skandal, dass es für Unionsbürger derzeit keine Gleichbehandlung gebe, doch ich möchte die Kollegen dringend bitten, nicht genauso vorsichtig vorzugehen wie unsere Mitgliedstaaten und für die Gleichbehandlung unserer eigenen Bürger zu sorgen, indem Drittstaatsangehörige bestraft werden.
Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass die EU Arbeitskräfte unterschiedlicher Qualifikationsebenen braucht. Wir möchten Menschen aus unterschiedlichen Ländern – Indien, Neuseeland, Ghana, China, woher auch immer –, die kommen wollen, um ihre Fähigkeiten einzusetzen und zu entwickeln, und deshalb werden wir den Änderungsantrag 84 nicht unterstützen und gewiss auch nicht den Änderungsantrag 24, in dem die Rede davon ist, die Blue Card nur hoch qualifizierten Zuwanderern aus Ländern zu gewähren, mit denen wir zuvor Partnerschaftsabkommen geschlossen haben. Ich bin nicht sicher, was die Vereinigten Staaten dazu sagen würden.
Wir müssen zwar vorsichtig sein, was bestimmte Sektoren in den ärmsten Ländern der Welt betrifft, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass diese Menschen nicht die Einzigen sind, die ihre Fähigkeiten nicht in der Europäischen Union entwickeln dürfen. Wir müssen zudem darauf achten, dass wir nicht anhand dieses speziellen Vorschlags eine allgemeine Entwicklungspolitik formulieren. Das ist ein globaler Vorschlag. Er gilt für alle potentiellen Länder der Welt. Ja, wir müssen auch die Qualifikationen in unseren Mitgliedstaaten ausbauen, und darum unterstützen wir den Änderungsantrag, der beispielsweise die Antidiskriminierungsgesetze wieder in Erinnerung bringt, die auf ihrer nächsten Stufe hoffentlich ebenfalls ambitioniert sein werden.
Daher werden wir alle Änderungsanträge unterstützen, die die Rechte des Einzelnen schützen, und wir werden gegen diejenigen stimmen, die versuchen, diese Rechte abzuschaffen. Wir begrüßen die Bemühungen, Verfahren zu vereinfachen, aber wir bedauern auch, dass das Parlament nicht ehrgeiziger vorgegangen ist, vor allem bei der Blue Card, und dass es sogar weitere Hindernisse aufgebaut hat. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass wir diesen Vorschlag in der vorliegenden Form unterstützen werden, auch wenn wir die Idee im Grundsatz sicherlich mittragen.
Giusto Catania, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Namen meiner Fraktion möchte auch ich Frau Klamt mein Beileid aussprechen.
Ich möchte gleich auf den Kern der heutigen Aussprache eingehen, da die Europäische Union in Bezug auf die Einwanderung weiterhin eine schizophrene Politik betreibt. Folgendes geschieht in der Politik der Mitgliedstaaten: Sie haben den Pakt zu Einwanderung und Asyl unterzeichnet, in dem ausdrücklich erklärt wird, dass Nullzuwanderung für die Europäische Union schädlich und unrealistisch ist, doch dann stellen wir fest, dass der Innenminister meines Landes für die Schließung der Grenzen für die nächsten zwei Jahre eintritt.
Die Gemeinschaftspolitik zur Einwanderung bleibt schizophren. Herr Gaubert sagt zu Recht, dass wir in Europa vor einer demographischen Krise stehen und mehr Zuwanderung brauchen. Die Kommission hat es uns erklärt: Wir brauchen 50 Millionen Einwanderer bis zum Jahr 2060, aber wir tun nichts, um sie zum Kommen zu ermutigen – wir haben stattdessen vorrangig die Rückführungspolitik harmonisiert.
Heute debattieren wir über eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ausschließlich für jene, die sich bereits auf dem Gebiet der Europäischen Union befinden, und wir schaffen die Blue Card für hoch qualifizierte Arbeitskräfte, was sich mit nur 1,5 % bis 3 % auf die Immigrationsquote in Europa auswirken wird und deshalb im Vergleich zu unserem wirklichen Arbeitskräftebedarf in Europa eine minimale Rolle spielt.
Gegenwärtig gibt es in der Europäischen Union rund 6 Millionen illegale Arbeitskräfte, die vom Arbeitsmarkt bereits absorbiert worden sind und in nicht illegalen Beschäftigungsverhältnissen gehalten werden, weil eine solche Situation natürlich gelegen kommt, um die Arbeitskosten gering zu halten und die Sozialleistungen zu beschneiden.
Wir glauben, dass wir für diese Arbeitskräfte, die vom Arbeitsmarkt bereits absorbiert worden sind, ein Legalisierungsprogramm auf den Weg bringen sollten: Wir glauben, dass die Blue Card ein Fehler ist, da vor der Zuwanderung eine Selektion stattfindet; wir glauben, dass die Definition von hoch qualifizierten Arbeitskräften zu restriktiv ist, und wir glauben, dass die Gemeinschaftspräferenz eine Form von unverhohlener Diskriminierung ist.
Unserer Ansicht nach sollte bei der Einwanderungspolitik ein kompletter Richtungswechsel vollzogen werden. Wir wissen die Tatsache einzuordnen, dass die Blue Card das erste Signal bei der Eröffnung legaler Einwanderungskanäle ist, aber das reicht nicht aus, um die Zustimmung unserer Fraktion sicherzustellen.
Johannes Blokland, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Die Mitgliedstaaten müssen weiterhin selbst über das Einreiserecht von Migranten in ihr Staatsgebiet entscheiden, und solange es in unseren Mitgliedstaaten Menschen ohne Arbeit gibt, habe ich Zweifel an der Notwendigkeit, die legale Zuwanderung zu fördern.
Anders als es behauptet wird, bringt uns der Kommissionsvorschlag einem einfachen Verfahren nicht näher. Neben dem Kommissionsvorschlag bleiben nationale Regelungen für Migranten mit guten Qualifikationen in Kraft, zudem sind zusätzliche Anforderungen möglich. Welchen Mehrwert hat dann eine europäische Verordnung? Damit wird nicht die Frage der Bildungseinrichtungen und der Industrie beantwortet. Sie wollen ein klares System für Arbeitskräfte und Studenten von außerhalb der Europäischen Union, doch dieses wird für noch mehr Bürokratie sorgen, obgleich man weniger versprochen hat. Ich möchte ein System fordern, das die Einwanderungspolitik bei den Mitgliedstaaten belässt. Auf diese Weise kann jeder Mitgliedstaat sein eigenes klares Verfahrenswerk haben. Im EU-Kontext können wir dann vereinbaren, ob Menschen frei reisen und in andere Länder ziehen dürfen.
Carl Lang (NI). – (FR) Herr Präsident, Herr Minister Jouyet, Herr Kommissar Barrot! Ich danke Ihnen aufrichtig. Mit Ihren Ansichten haben Sie mir eben die Argumente für meinen nächsten Wahlkampf im Zusammenhang mit der Einwanderungsfrage geliefert, denn Sie selbst sprechen – ich zitiere – von einer „offenen Europäischen Union, der Öffnung für Einwanderungsströme, den Vorteilen des Zugangs so vieler Menschen wie möglich zur Blue Card, der Anwerbung von Fachkräften und der ungehinderten Einwanderung“.
Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen – das könnte das Motto der europäischen Institutionen in Bezug auf die Einwanderungsfrage sein, während die Menschen in Europa seit 20 Jahren täglich unter dieser Frage und all den sozialen und wirtschaftlichen Folgen im Zusammenhang mit Identität, Sicherheit, Arbeitsplatzunsicherheit, Armut und Arbeitslosigkeit leiden.
Ich höre Verweise auf die Rechte der Einwanderer, aber wer erwähnt die sozialen Rechte der Arbeitnehmer? Wer spricht von den Millionen und Abermillionen Menschen in Europa, die sich in einer schwierigen sozialen Lage befinden, die auf keiner Hierarchiestufe und in keinem Qualifikationsbereich Zugang zu Arbeit haben?
Des Weiteren ist die in Europa verfolgte Einwanderungspolitik in Wahrheit eine nationale Desintegrationspolitik, die durch übermäßige Vergemeinschaftung einen faden Beigeschmack bekommen hat. Die von Ihnen vorgeschlagene Blue Card ist nichts anderes als eine Einladung an Millionen neuer Einwanderer aus der ganzen Welt. Eine solche Politik sollte nicht betrieben werden. Vielmehr brauchen wir eine Politik zur Rückführung der Einwanderer in ihre Länder, eine Politik der nationalen und gemeinschaftlichen Präferenz, eine Politik des nationalen und gemeinschaftlichen Schutzes.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass Sie mit dem Abzug der Eliten aus den Entwicklungsländern die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern verhindern werden. Diese Völker und diese Länder brauchen Kapital und Fachkräfte. Sie rauben ihnen beides.
Carlos Coelho (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident, Herr Jouyet, Herr Barrot, meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner bin ich ganz klar gegen eine Festung Europa und unterstütze daher eine aktive Politik zur Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen.
Der einzige Weg zur Erreichung einer ausgewogenen Einwanderungspolitik ist eine konsequente Bekämpfung der illegalen und eine mutige Regulierung der legalen Einwanderung. In diesem Zusammenhang billigen wir die Richtlinie über die „Blue Card“.
Allerdings wollen wir die Einwanderung nicht nur auf hoch qualifizierte Leute beschränken und damit die Tür für alle anderen Einwanderer mit geringerer Qualifikation zuschlagen. In den kommenden Jahren werden beide Kategorien für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Europas von entscheidender Bedeutung sein. In diesem Zusammenhang sprechen wir von vielen Millionen Menschen.
Daher unterstütze ich auch den Vorschlag für eine Richtlinie, die die Einführung eines einheitlichen Bewerbungsverfahrens zum Erhalt einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis vorsieht. Neben den klaren Vorteilen der Vereinfachung, des Bürokratieabbaus und der leichteren Kontrolle ihres Status ermöglicht diese Richtlinie die Anerkennung einheitlicher Rechte für Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund, die ihren Wohnsitz auf dem Gebiet der Union haben. Mit Ausnahme der saisonalen und hoch qualifizierten Arbeitnehmer, für die spezielle Richtlinien gelten, werden alle Einwanderer in den Genuss einer Reihe von Arbeitsrechten kommen, die denen der Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates entsprechen.
Diese Gleichbehandlung im gesamten Gemeinschaftsgebiet dürfte dazu beitragen, der Ausbeutung von Arbeitskräften entgegenzuwirken und die Integration dieser Arbeitnehmer zu verbessern, was letztendlich zu einer stärkeren sozialen Kohäsion führen wird.
Ich stimme dem zu, was Ewa Klamt gesagt hat: Es ist sinnvoll, ein einheitliches System zur Aufnahme hoch qualifizierter Arbeitskräfte zu schaffen, anstatt mit 27 unterschiedlichen Systemen zu arbeiten. Ich schließe mich den von Frau Klamt vorgelegten Vorschlägen zur Verschärfung der Aufnahmebedingungen und zur stärkeren Verhinderung der Abwanderung von Fachkräften an.
Herr Präsident, wenngleich ich die Anstrengungen von Frau Klamt und Herrn Gaubert begrüße, möchte ich zum Schluss mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die Meinung dieses Parlaments wieder einmal nicht wirklich zu zählen scheint. Alles deutet darauf hin, dass vom Rat bereits eine politische Entscheidung getroffen wurde, ohne die Abstimmung im Parlament abzuwarten, was ich bedaure.
Wolfgang Kreissl-Dörfler, (PSE). – (DE) Herr Präsident! Lassen Sie mich zuerst der Kollegin Klamt mein herzliches und tiefes Beileid aussprechen und ihr zu diesem Bericht gratulieren.
Ja, wir brauchen auf unseren Arbeitsmärkten Hochqualifizierte aus Drittstaaten, auch weil wir hier zu wenig in Aus- und Weiterbildung investiert und zu viele Fachkräfte in die Arbeitslosigkeit geschickt haben, die jetzt auf dem Markt nicht mehr verfügbar sind. Langfristig muss daher mehr für die Aus- und Weiterbildung im eigenen Hause getan werden, und die Arbeitsmärkte müssen zusätzlich für hoch qualifizierte Zuwanderer geöffnet werden.
Die Blue Card ist ein erster richtiger Schritt, sogar mit einer möglichen „triple win“ Situation. Erstens, Firmen können mittelfristig einen Teil ihrer offenen Stellen mit Fachkräften besetzen und vom neuen internationalen Know-how profitieren. Zweitens: Die Hochqualifizierten und ihre engsten Familienangehörigen erhalten eine Perspektive, die sie in ihrer Heimat möglicherweise so nicht finden würden. Und drittens: Indem sie zeitweise oder danach wieder in ihre Heimat zurückgehen, können sie einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung ihres Herkunftslandes leisten.
Die Sorge, dass es zu einem „brain drain“ kommen kann, ist berechtigt. Daher fordern wir, vor allem im Bildungs- und Gesundheitssektor nicht aktiv in den Herkunftsländern zu werben, die von Abwanderung und mangelnden Arbeits- und Fachkräften betroffen sind. Dennoch, dies ist eine entwicklungspolitische Frage, die wir in diesem Rahmen nicht werden lösen können. Zudem müssen wir bedenken, dass niemand Leibeigener eines Staates ist. So wie auch unsere Bürgerinnen und Bürger ohne allzu große Hürden in anderen Ländern Arbeit suchen oder das Land verlassen können, soll es anderen auch möglich sein, in der EU zu arbeiten.
Für uns gilt dabei natürlich auch gleiches Gehalt für gleiche Arbeit. Natürlich kann man immer wieder etwas verbessern, und das ist auch notwendig. Aber ich halte dies für den ersten Schritt in die absolut richtige Richtung.
VORSITZ: EDWARD McMILLAN-SCOTT Vizepräsident
Gérard Deprez (ALDE). – (FR) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich wie viele andere auch unseren beiden Berichterstattern, Patrick Gaubert und Ewa Klamt, gratulieren und ihr im Namen meiner Fraktion unser Beileid aussprechen.
Herr Jouyet, ich möchte aber auch die französische Präsidentschaft hier einbeziehen, denn zumindest was die Blue Card anbelangt, hat die französische Präsidentschaft ein starkes Engagement gezeigt, das eine politische Einigung auf Ratsebene ermöglicht hat. Ich möchte hinzufügen, dass dies meiner Ansicht nach bei Herrn Gauberts Bericht ein wenig anders gelagert war.
Wie meine Vorredner bereits herausgestellt haben, unternimmt die Europäische Union mit diesen zwei Berichten einen wichtigen Schritt in ihrer Einwanderungspolitik. Wir alle wissen und haben dies in den letzten Jahren oft bedauert, dass der Großteil unserer Zeit und Ressourcen auf die notwendige Bekämpfung der illegalen Einwanderung verwendet wurde. Heute jedoch erkennt die Europäische Union mit diesen beiden Texten die Notwendigkeit und Wichtigkeit einer aktiven legalen Einwanderungspolitik für Wirtschaftsflüchtlinge an. Wir alle wissen nun, dass die legale Wirtschaftsimmigration für den europäischen Kontinent eine Notwendigkeit darstellt und dass die Borniertheit einiger weniger Faschisten unsere Meinung kaum ändern wird.
Durch die Einführung der Verpflichtung für Mitgliedstaaten, eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erteilen, wird mit Patrick Gauberts Bericht auch versucht, das Recht der eingewanderten Arbeitnehmer auf Gleichbehandlung in so vielen Bereichen wie möglich sicherzustellen. Ich möchte meinem Freund Giusto Catania etwas sagen. Giusto, Sie haben einen dummen Fehler gemacht. Diese Erlaubnis gilt nicht nur für Arbeitnehmer, die sich bereits auf dem Gebiet der Europäischen Union aufhalten. Die gleichen Rechte gelten auch für diejenigen, die noch kommen werden, und nicht nur für diejenigen, die bereits hier sind. Es tut mir Leid, aber wenn Sie etwas kritisieren, um Argumente für die Ablehnung eines Berichts zu haben, sollten Sie wirklich versuchen, den Bericht richtig zu lesen.
Der Bericht von Frau Klamt befasst sich mit der Definition der Einwanderungsbedingungen für hoch qualifizierte Kräfte in Europa, und das ist etwas, was wir definitiv brauchen. Da einige meiner Fraktionsmitglieder darauf hingewiesen haben, möchte ich eine letzte Anmerkung in dieser Angelegenheit machen. Es gibt gewisse Punkte, die meine Fraktionsmitglieder und ich bedauern. Das System – ich spreche hier nicht von Grundsätzen – das System ist etwas zu übervorsichtig, manchmal zu protektionistisch, aber im Grunde stellt es einen notwendigen Schritt nach vorn dar, und aus diesem Grund werde ich persönlich und in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres für die beiden Berichte stimmen.
Mario Borghezio (UEN). – (IT) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Jahrelang haben wir zum Thema Einwanderung nun schon durch Pläne untermauerte Aufforderungen gehört, die uns vorgaukeln – was übrigens auch von den Vereinten Nationen behauptet wird – dass die westliche Wirtschaft laufend expandieren muss, und insbesondere haben wir gehört, dass die europäischen Länder behaupten, es gäbe einen Bedarf an zehn oder möglicherweise hundert Millionen neuer Arbeitskräfte in Europa.
Nun, die Finanzkrise macht zum Bedauern aller leider jedem in unserem Land zu schaffen, und selbst die größte unserer Gewerkschaften, die CGL, sagt zumindest über einige ihrer Führungskräfte in Venetien: „Ehrlich gesagt sind die Arbeitsplätze unserer Arbeitnehmer nicht mehr sicher, und wir müssen anfangen, uns ernsthaft damit auseinanderzusetzen“. Die Kommission tut daher gut daran, all diese schönen Märchen aus der Vergangenheit zurückzuweisen und sich mit den 3 % der Einwanderer zu beschäftigen, die uns tatsächlich weiterbringen können, und für deren Aufnahme in die EU es möglicherweise gute Gründe gibt. Europa braucht sicher nach wie vor qualifizierte Einwanderer, und sie können für uns von Nutzen sein, aber es gibt ein großes Hindernis: nämlich das Recht der Heimatländer der Einwanderer darauf, dass ihre besten Köpfe abgeworben werden.
Dieser Vorschlag ist daher an sich gut, doch es fehlt der letzte Schliff, der darin bestünde, die Rückführung dieser Fachkräfte in ihre Länder zu fördern und zu erleichtern, um diese Länder vor den Auswirkungen der Globalisierung zu schützen.
Hélène Flautre (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident! Sechs Monate nach der Abstimmung über die beschämende „Rückführungsrichtlinie“, die international so viel Spott und Kritik geerntet hat, bezweifle ich sehr, dass die Union imstande sein wird, sich durch die Annahme dieser beiden Texte zu der Blue Card und der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis auf internationaler Ebene zu rehabilitieren. Warum? Weil so pompös angekündigt wurde, dass man eine echte europäische Politik für die legale Einwanderung einführen werde, und was wir nun haben, ist ein drittklassiger Status für Arbeitskräfte, der keine soziale Unterstützung umfasst, der Verlust der Aufenthaltserlaubnis, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, ein eingeschränkter Zugang zu Gewerkschaften und eine begrenzte Freizügigkeit. Das ist kein Zeichen für großen Ehrgeiz, und die Union ist weit davon entfernt, mit dieser Blue Card mit den Vereinigten Staaten oder Kanada konkurrieren zu können, wenn man zudem davon ausgeht, dass dies an sich schon ein hehres Ziel ist.
Ist es wirklich zu viel verlangt, echten Sozialschutz und Gleichbehandlung zu gewähren, so wie es auch für nationale Arbeitnehmer der Fall ist? Wollen wir diese Menschen wirklich auf Arbeitskräfte zu reduzieren, die Frondienste leisten? Hätte ihnen die Ratifizierung der UN-Konvention über den Schutz von Einwanderern und ihren Familienangehörigen zu viele Rechte gegeben?
Abschließend frage ich mich – und auch Sie – welche Logik dahinter steckt, Arbeitnehmer aus dem Ausland für die Union gewinnen zu wollen, wenn wir uns gleichzeitig weigern, diejenigen Personen zu legalisieren, die bereits legal auf unserem Territorium arbeiten, aber keine Aufenthaltsgenehmigung haben? Die Union strebt eine Politik zur legalen Einwanderung an, aber nur unter Protest, und es sind die utilitaristische Logik und die von jedem Mitgliedstaat festgelegten Ausnahmen von gleichen Rechten, die durchgesetzt werden sollen. Wann werden wir begreifen – und vor allem akzeptieren – dass die Einwanderung eine Chance, eine Möglichkeit für die menschliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die Entwicklung der Länder im Süden und den interkulturellen Dialog darstellt, den wir uns auch in diesem Jahr wieder auf die Fahne schreiben?
Eva-Britt Svensson (GUE/NGL). – (SV) Herr Präsident! Durch Frontex und ähnliche Einrichtungen werden hochgradig gefährdete Menschen von der EU fern gehalten, und die Union baut Mauern, die von vielen sehr schutzbedürftigen Menschen nur schwer durchbrochen werden können. Gleichzeitig wird nun vorgeschlagen, bestimmten Leuten mithilfe der „Blue Card“ eine besondere Aufnahme zu gewähren. Damit würde es für hoch qualifizierte Arbeitskräfte ein spezielles Aufnahmeverfahren geben, das sehr hohe Anforderungen an den Bildungsstand und die Berufserfahrung der betreffenden Person stellt und ein Mindestgehalt vorsieht, das sich beispielsweise in Schweden auf mindestens 43 000 SEK bzw. 4 300 Euro pro Monat belaufen würde. Normale Arbeitskräfte oder schutzbedürftige Menschen brauchen sich gar nicht erst die Mühe zu machen, während hoch qualifizierte Kräfte – genau die Leute, die Entwicklungsländer brauchen, um ihre Lage im Land selbst verbessern zu können – willkommen sind. Ich für meinen Teil begrüße Offenheit und Einwanderung, jedoch unter der Voraussetzung, dass niemand aufgrund seines Herkunftslandes oder seines Bildungsstands diskriminiert wird.
Gerard Batten (IND/DEM). – Herr Präsident! Die Europäische Union zieht es vor, noch mehr Migranten in die EU zu holen, anstatt zu versuchen, das Problem der Europäer zu lösen, die in den Mitgliedstaaten bereits arbeitslos sind. Erfolgreiche Bewerber für die so genannte Blue Card, denen es gestattet wird, in einen Mitgliedstaat einzuwandern, erhalten nach 18 Monaten die Erlaubnis, in einen anderen Mitgliedstaat zu ziehen. Diese Erlaubnis erstreckt sich auch auf ihre Familie und Angehörigen. Dies ist Teil der sich abzeichnenden gemeinsamen Einwanderungspolitik der Europäischen Union, mit der sie bestimmen wird, wer zu welchen Bedingungen in die Mitgliedstaaten einwandern darf.
Großbritannien fordert ein Opt-out aus dieser Politik, aber die Königin hat ihre Zustimmung zum Vertrag von Lissabon gegeben, und wir haben gute Aussichten auf dessen vollständige Ratifizierung durch die anderen Mitgliedstaaten. Wenn der Vertrag von Lissabon erst von allen ratifiziert ist, wird das Opt-out Großbritanniens wertlos sein, und es ist so gut wie sicher, dass wir gezwungen werden, diese Richtlinie einzuhalten.
Roberto Fiore (NI). - (IT) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, es ist ein strategischer Fehler der Europäischen Union, zu glauben, wir müssten qualifizierte Fachkräfte aus anderen Ländern und Kontinenten in die EU holen, wo es doch die Aufgabe unserer Institutionen, Schulen und Universitäten sein sollte, hoch qualifizierte Arbeitskräfte in Übereinstimmung mit einem neuen strategischen Ansatz auszubilden. Uns fehlt also eine Vision zu der Zukunft Europas, und deshalb denkt keiner daran, wer in den kommenden zehn oder fünfzehn Jahren die Leitung unserer großen Fabriken oder Unternehmen übernehmen sollte.
Wir sollten auch erwähnen, dass dies mit Sicherheit eine Kürzung der Sozialleistungen für diejenigen mit sich bringen wird, die in Italien und anderen europäischen Ländern solche Aufgaben übernehmen. Es wird Lohndumping geben, denn dies ist typisch für eine bestimmte Einwanderungspolitik. Zudem ist es in diesen durch den Zusammenbruch des Finanzsystems verursachten schweren Krisenzeiten unvorstellbar, dass wir zusätzlich zu unseren eigenen Arbeitslosen das Problem der Arbeitslosen von außerhalb der EU haben werden, die aufgrund der gegebenen Umstände ein Problem für unsere öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen werden.
Dumitru Oprea (PPE-DE) . – (RO) „Europa ist keine Festung“, sagte Herr Jouyet. Das stimmt tatsächlich, denn die zwei Berichte, mit denen wir uns heute Nachmittag befasst haben, sind ein Beweis für die Offenheit Europas und dafür, dass der Globalisierungsprozess akzeptiert und gefördert wird. Meines Erachtens wird die europäische Arbeitserlaubnis die gesamte Bandbreite der Probleme im Zusammenhang mit der illegalen Einwanderung lösen, mit der Europa konfrontiert ist. Die USA haben dies mit der in der Vergangenheit eingeführten Green Card gezeigt.
Europa muss beweisen, dass es für Offenheit eintritt, umso mehr angesichts der Tatsache, dass laut Bericht nur 5,5 % der Einwanderer in die Europäische Union wollten, während 50 % der hoch qualifizierten Einwanderer die USA oder Kanada bevorzugten. Warum sind wir kein attraktives Ziel? Warum gibt es eine große Diskrepanz zwischen den Gehältern hier und denen in den USA und Kanada, wodurch die fehlende Attraktivität noch eklatanter zu Tage tritt?
Angesichts der derzeitigen Krise ist dies eine Geste des Fair Play, eine normale Geste von Seiten Europas, die im Hinblick auf die Offenheit gegenüber Arbeitskräften aus Drittländern ausgewogen sein muss. Allerdings muss diese Politik im Hinblick auf die europäischen Karten logisch umgesetzt werden, damit es nicht zu einem ernsten Ungleichgewicht kommt und keine wesentlichen Probleme in den Ländern verursacht werden, aus denen die Fachkräfte ursprünglich stammen.
Claudio Fava (PSE). - (IT) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Fraktion ist mit diesen zwei Vorschlägen ziemlich zufrieden. Der Umstand, dass wir ziemlich, aber nicht hundertprozentig zufrieden sind, zeigt sich an den zahlreichen Änderungsanträgen, mit denen wir versucht haben, zur Verbesserung dieser Texte beizutragen. Wir sind auch deshalb nur ziemlich zufrieden, weil es an Ehrgeiz gemangelt hat. Unseres Erachtens hätte man mehr tun und bessere Ergebnisse erzielen können.
Es gibt Anzeichen für eine Öffnung und ein zivilisiertes Verhalten, denen – selbst während der Aussprache in diesem Parlament – rasch Zeichen der Unnachgiebigkeit, insbesondere von Seiten des Rates, und eines erheblichen Protektionismus folgen. Dies gilt auch für die Blue Card: Es gibt bei einigen zentralen Grundsätzen Widerstand, beispielsweise im Hinblick auf den unantastbaren und natürlichen Grundsatz „gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“. Aber selbst hier haben wir gewisse Schwierigkeiten angetroffen.
Unserer Ansicht nach ist es entscheidend, den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz, den Gedanken, dass es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten gibt, zu überwinden – denn gerade deshalb müssen wir von dem Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz Gebrauch machen. Wir denken, dass der Verweis auf den Arbeitsmarkt wichtig ist, doch der Arbeitsmarkt kann nicht das einzige und oberste Prinzip sein. Es gibt andere wichtige Grundsätze wie die politische und die soziale Kultur, die Teil der Einwanderungspolitik sein sollten. Legale Einwanderung bedeutet gleiche Würde und Chancen. Andernfalls kehren wir zur selektiven, parteiischen und diskriminierenden Einwanderung zurück. Das möchten wir gerne vermeiden.
Auch aus diesem Grund unterstütze ich im Namen meiner Fraktion den Vorschlag von Herrn Moreno an die Kommission: Lassen Sie uns versuchen, eine Blue Card auszuarbeiten, die nicht ausschließlich für die 3 % der hoch qualifizierten Einwanderer erhältlich ist, sondern eine, die spezifische Rechtsinstrumente sucht, mit denen der Markt für Einwanderer geöffnet wird. Einwanderung sollte Eingliederung bedeuten. Wenn sie selektiv wird, ist sie keine positive Politik mehr.
Athanasios Pafilis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Die Vorschläge für eine Richtlinie und die zwei Berichte stellen die allgemeine Einwanderungspolitik der Europäischen Union dar, deren Ziel es ist, billige Arbeitskräfte für das europäische Kapital zu beschaffen, um dessen Gewinne zu steigern.
Die Richtlinie über die Ausstellung der Blue Card, einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für hoch qualifizierte Einwanderer für die Europäische Union, erlaubt das Abwerben des intellektuellen Potenzials aus ärmeren Ländern, damit die europäischen Monopole eine bessere Position im globalen Wettbewerb erreichen können, insbesondere im Hinblick auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie bietet den Karteninhabern keine besonderen Rechte oder Vorteile, denn es muss bereits ein Arbeitsvertrag vorliegen. Zudem werden ihre Gehälter institutionell niedriger sein.
Die zweite Richtlinie und der Bericht über eine Standardaufenthalts- und Arbeitserlaubnis geht in dieselbe Richtung. Nur diejenigen, deren Beschäftigung gesichert ist, werden imstande sein, in die Europäische Union zu kommen und eine Erlaubnis zu erhalten. Daher hängen Einwanderer von der Willkür ihrer Arbeitgeber ab. Eine Kündigung wird gleichbedeutend sein mit einer Abschiebung. Für illegale Einwanderer gibt es weitergehende Maßnahmen, den Europäischen Einwanderungspakt, der eine 18-monatige Inhaftierung, Abschiebung und ein 5-jähriges Einreiseverbot vorsieht.
Die gesamte Politik der Europäischen Union legalisiert die harsche und unzivilisierte Ausbeutung von Einwanderern und Arbeitskräften insgesamt in der Europäischen Union.
Wir unterstützen den Kampf der Einwanderer für gleiche Arbeits- und soziale Rechte, den Kampf zur Verteidigung und für den Ausbau der Arbeitnehmerrechte in der gesamten Europäischen Union.
Hélène Goudin (IND/DEM). – (SV) Eines der Argumente, warum die EU kein attraktives Einwanderungsziel für qualifizierte Arbeitnehmer ist, ist die Tatsache, dass es in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Einreise- und Aufenthaltsregelungen gibt. Die erklärenden Ausführungen zu diesem Bericht gehen noch weiter, indem angeführt wird, dass die unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten sogar zu einem Wettbewerb der Mitgliedstaaten untereinander führen. Dies wird als negativ bewertet. Ich behaupte, dass genau dieser Punkt – die Tatsache, dass das System nicht in ein einheitliches Format gepresst worden, bei dem verschiedene Lösungen nicht mehr miteinander konkurrieren – Europa erfolgreich gemacht hat.
Wir können sehen, dass manche Länder erfolgreicher waren als andere. Schweden ist zum Beispiel eines davon. Schweden hat unter anderem in Bildung und Sprachunterricht investiert, was Schweden zu einem der konkurrenzfähigsten Länder gemacht hat, mit Unternehmen wie Ericsson, Volvo und Ikea. Das Problem der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit in vielen Mitgliedstaaten ergibt sich jedoch vielmehr aus dem Umstand, dass die Union von Protektionismus und Subventionen für Industriezweige durchdrungen ist, die weit davon entfernt sind, wettbewerbsfähig zu sein. Wir haben uns für die Lebenserhaltung entschieden, nicht für eine Konzentration auf strukturelle Änderungen.
Luca Romagnoli (NI). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hier haben wir eine weitere absurde Initiative der EU: Mit Einführung der Blue Card wird die Einwanderung von Arbeitskräften aus Drittländern gefördert, die fälschlicherweise als hoch qualifiziert bezeichnet werden.
Der Berichterstatterin zufolge wird dies dazu beitragen, dem demografischen Rückgang entgegenzuwirken. Sie sagt, dass „zum Beispiel in Deutschland ein Bedarf an 95 000 Ingenieuren besteht“. Wenn sie gut bezahlt würden, bin ich mir sicher, dass wir mehrere tausend aus Italien schicken könnten. Mit dieser absurden Initiative wird nicht nur qualifiziertes Personal aus Entwicklungsländern abgeworben, sie ignoriert zudem die Arbeitslosigkeit, unter der qualifizierte Leute in Europa leiden, wie auch die berechtigten Ängste unserer jungen Akademiker und Absolventen von Fortbildungskursen. Statt ihren Einstieg in das Berufsleben zu erleichtern, ihre Fähigkeiten für Studium und Forschung zu fördern und sicherzustellen, dass sie eine Zukunft mit Arbeit und beruflicher Qualifikation haben, schaffen wir einen weiteren Grund für Zweifel, Wettbewerb und unbestrittene Ausbeutung.
Die Grenze zwischen Dummheit und Verbrechen menschlichen Handelns ist häufig eine Grauzone, und mir scheint, dass die EU uns heute ein weiteres Beispiel dafür liefert.
Simon Busuttil (PPE-DE). – (MT) Ich begrüße den Bericht von Ewa Klamt und Patrick Gaubert über die Blue Card und das einheitliche Antragsverfahren. Dies ist das erste Mal, dass wir an einer Politik zur legalen Einwanderung arbeiten. Diese Berichte sind daher äußerst relevant, denn mit ihnen können wir die zukünftige Politik zu diesem wirklich wichtigen Thema ausarbeiten. Des Weiteren gibt diese Lösung Einwanderern erstmals eine Rechtsgrundlage an die Hand, mit der sie in die Europäische Union einreisen können, um bei uns zu arbeiten.
Allerdings müssen wir dies in den Kontext unserer klaren Politik setzen. Nach meinem Verständnis muss die Einwanderungspolitik, an der wir uns ausrichten müssen, auf dem Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union basieren, die vollständige Kontrolle über die Anzahl der Arbeitnehmer zu behalten, denen die Aufnahme gewährt wird. Wie zuvor erwähnt wurde, müssen wir uns an den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz halten, nach dem den Bürgern der Europäischen Union Vorrang vor Einwanderern aus Drittländern gegeben wird.
Ich denke, dass wir auf dieser Basis nicht nur eine Politik über die legale Einwanderung gestalten können, die sich mit der Vergabe der Blue Card für hoch qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt, sondern im Anschluss daran auch mit der Arbeit an anderen Vorschlägen beginnen können, die die Kommission meines Wissens in den kommenden Monaten im Hinblick auf die Möglichkeit einer Beschäftigung geringer qualifizierter Arbeitnehmer vorlegen wird.
Unsere heutigen Entscheidungen müssen auch im Kontext unserer Politik über illegale und nicht legale Einwanderung betrachtet werden. Ich sage dies aus folgendem Grund: Wenn es uns nicht gelingt, eine glaubhafte Einwanderungspolitik zu verfolgen, können wir von unseren Bürgern nicht erwarten, dass sie uns bei der Öffnung unserer Märkte für legale Einwanderer vertrauen. Meiner Ansicht nach ergänzt sich beides und sollten parallel zueinander erfolgen. Andernfalls werden wir nicht in der Lage sein, Fortschritte zu machen. Im Bereich der Politik zur illegalen Einwanderung gibt es eine Reihe offener Fragen, mit denen wir uns noch befassen müssen, darunter das Gesetz über Sanktionen gegen Arbeitgeber, die illegal Bürger aus Drittländern oder gar illegale Einwanderer beschäftigen. Wir müssen an diesem Gesetz arbeiten, wenn wir diese Arbeitgeber angemessen bestrafen wollen, da dies darüber hinaus eine abschreckende Wirkung auf den Zustrom illegaler Einwanderer haben wird.
Es gibt einen weiteren Vorschlag, dessen Vorlage in den kommenden Wochen die Europäische Kommission bereits angekündigt hat. Er bezieht sich auf die Revision des Dubliner Übereinkommens über die Verantwortung, die die Länder übernehmen müssen, wenn sie Asylanträge von Einwanderern bearbeiten, die sich bereits auf ihrem Gebiet aufhalten. Wir erwarten die Vorlage dieses Vorschlags mit Spannung.
Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Rechtsgrundlage dieser Vorschläge von dem unterscheiden würde, was wir heute haben, wenn der Vertrag von Lissabon heute in Kraft gewesen wäre. Der Vertrag von Lissabon hätte der Europäischen Union neue Impulse gegeben, um eine Lösung im Bereich der Einwanderung zu finden. Ich denke, dass diejenigen, die den Vertrag von Lissabon ablehnen, keinen Grund zur Freude darüber haben, dass die aktuelle europäische Einwanderungspolitik nicht so gut ist wie sie sein sollte.
Martine Roure (PSE). – (FR) Herr Präsident! Auf europäischer Ebene brauchen wir wirksame Einwanderungsinstrumente, und unsere Welt braucht Schutzmaßnahmen, die denjenigen, die leiden, bereits in einem frühen Stadium Unterstützung bieten.
Die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen und Europa im Besonderen sind bedauerlicherweise unvorbereitet, obwohl wir in einem Jahrhundert leben, in dem die Globalisierung unweigerlich Migrationsströme mit sich bringen wird. Wir müssen diese Realität bei all unseren Prognosen berücksichtigen.
Was die Blue Card anbelangt, so müssen wir in der Lage sein, Einwanderer, die hier arbeiten wollen, aufzunehmen und dabei sicherstellen, dass wir keine Länder plündern, indem wir die für ihre Entwicklung benötigten Leute abwerben. Aus diesem Grund möchten wir bei der Ausbildung hoch qualifizierter Arbeitskräfte in Schlüsselsektoren ihrer Herkunftsländer behilflich sein, und wir müssen eine zirkuläre Migration fördern.
Ich möchte mit meiner kurzen Rede zum Schluss kommen, indem ich Sie daran erinnere, dass wir unsere europäische Solidarität auf die Entwicklungsländer ausweiten müssen. Wenn wir von der Durchführbarkeit sprechen – und die Fähigkeit, auf die derzeitige Finanzkrise zu reagieren, stellt diese unter Beweis – so verfügen wir über die materiellen Mittel, wenn wir den politischen Willen dazu haben.
Hubert Pirker (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident, Herr Kommissar, Vertreter des Rates! Wenn wir hier unter den Kollegen die Diskussion verfolgen, so vermerken wir Polarisierungen. Die Rechte fürchtet sich vor massenhafter illegaler Zuwanderung. Herr Romagnoli ist nicht mehr da, um die Diskussion weiterzuverfolgen. Die Linke macht sich Sorgen, dass Illegale nicht beschäftigt werden können. Wir wollen beides nicht, weder massenhafte illegale Einwanderung, noch die Beschäftigung von Illegalen und damit die Legalisierung Illegaler. Das, was wir mit der Blue Card tatsächlich erreichen wollen, ist ein Schritt in Richtung einer gesteuerten Zuwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften in einzelne Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Mit dieser Blue Card und mit diesen einheitlichen Regelungen für einen Aufenthalt und für eine Arbeitsbewilligung schaffen wir genau dieses Instrument, das es den Mitgliedstaaten erlaubt, dann zu reagieren, dann hoch qualifizierte Mitarbeiter in das Land zu holen, wenn in den einzelnen Mitgliedstaaten tatsächlich Bedarf an diesen Arbeitskräften besteht. Das, was wir damit auch schaffen, sind einheitliche Regeln für die Ausgabe dieser Blue Card. Einheitliche Regeln europaweit auch für die Kontrolle. Ich freue mich, dass der Rat meinen Vorschlag in die Durchführungsbestimmungen aufgenommen hat, nämlich diese Blue Card auch mit dem Staat – mit dem Signet des Staates –, der die Blue Card ausgestellt hat und für den die Arbeitsbewilligung und die Aufenthaltsgenehmigung gelten, zu kennzeichnen. Für Österreich kann ich also sagen: Es gibt so etwas wie eine rot-weiß-rote Blue Card, und bei den anderen Staaten ist es ähnlich.
Als positiv erachte ich auch den Anreiz, dass nach drei Jahren eine Arbeit in anderen Mitgliedstaaten aufgenommen werden kann, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind und sofern Bedarf besteht. Wichtig ist auch die Regelung, dass nämlich die Blue Card dann erlischt, wenn ein Bedarf offensichtlich nicht mehr gegeben ist, und das zeigt sich daran, dass eine durchgehende Arbeitslosigkeit von mehr als sechs Monaten gegeben ist. Dann sieht man nämlich, dass der Bedarf offensichtlich nicht mehr da ist, und dann erlischt die Gültigkeit dieser Blue Card. Hier möchte ich an den Rat den Vorschlag richten, dass bei den nationalen Behörden eine Meldepflicht eingerichtet wird, wenn eine derartige Arbeitslosigkeit beginnt. Ansonsten wäre eine Kontrolle der sechs Monate nicht mehr gegeben.
Abschließend möchte ich sagen: Diese Blue Card ist ein Instrument für die Mitgliedstaaten, bei Bedarf flexibel zu reagieren. Diese Blue Card ist für die Europäische Union eine Chance, als Wirtschaftsstandort attraktiv zu sein und als Wirtschaftsstandort attraktiv zu bleiben. Sie ist ein Anreiz für die Spitzenkräfte, nicht in die USA, nach Kanada oder Australien zu gehen, sondern die Europäische Union als Lebens- und Arbeitsort für sich – zumindest für eine gewisse Zeit – auszuwählen. Ich glaube, mit dieser Blue Card ist uns ein guter Schritt in Richtung einer gesteuerten Zuwanderung nach den Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Bedürfnissen der Mitgliedstaaten gelungen.
Stavros Lambrinidis (PSE). – (EL) Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission! Seit nun über einem Jahrzehnt hat es keine maßgebliche Aussprache darüber gegeben, wie die Mitgliedstaaten enger zusammenarbeiten können, um Europa zu einem attraktiveren Ziel für legale Einwanderer zu machen, die unsere Gemeinschaft braucht, und um einen menschenwürdigeren Ort für diejenigen zu schaffen, die bereits bei uns leben.
Die kürzlich verabschiedete „Rückführungsrichtlinie“, die, wie wir wissen, viele arme Einwanderer wie gemeine Kriminelle behandelt, ist bezeichnend für die fast schon monomanische Art und Weise, in der sich Europa auf eine auf Kontrollen basierende Einwanderungspolitik konzentriert.
Der eigentliche Grund hierfür lautet: Die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben es noch nicht geschafft, erstens wirksame Integrationsprogramme für Einwanderer umzusetzen und zweitens, einen Großteil der Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die unvermeidliche Zunahme der multikulturellen Gesellschaften eine wünschenswerte Entwicklung ist, die unser wirtschaftliches und soziales Wachstum fördert.
In diesem Rahmen kann man die Legislativinitiativen, über die wir heute sprechen, nur begrüßen. Dies ist vielleicht die erste ernsthafte Bemühung zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Politik zur legalen Einwanderung, wenngleich einige Vorschläge relativ zaghaft ausgefallen sind und es Probleme gibt, von denen wir einige in Form von Änderungsanträgen angegangen sind, darunter – wie viele zu Recht gesagt haben – das Risiko, dass armen Ländern ihre qualifizierten Fachkräfte entzogen werden.
Gleichzeitig jedoch betreffen diese Einzelregelungen lediglich eine kleine Anzahl von Menschen, die man als privilegierte legale Einwanderer bezeichnen könnte. Jetzt sind mutige Legislativinitiativen gefragt, um europäische Regelungen zur legalen Beschäftigung und für die Millionen anderer Zuwanderer einzuführen, die unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften brauchen.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident, Herr Vizepräsident, Herr amtierender Ratsvorsitzender! Die Europäische Union gilt bei hoch qualifizierten Arbeitskräften aus Drittländern nach wie vor als unattraktives Einwanderungsziel, während ungelernte Einwanderer zu Tausenden hereinströmen. Aus diesem Grund braucht die europäische Einwanderungspolitik einen breiten und konsequenten allgemeinen Ansatz für Frieden und Sicherheit, die europäische Entwicklungspolitik sowie Integration und Beschäftigung.
Der Legislativvorschlag stellt eine Anstrengung zur Festlegung gemeinsamer Kriterien für ein Schnelleinwanderungsverfahren für hoch qualifizierte Immigranten dar. Wir brauchen gemeinsame einheitliche Definitionen für den Zugang zu 27 Arbeitsmärkten.
Jeder erkennt die Tatsache an, dass die Europäische Union die Möglichkeit haben muss, auf langfristiger Basis qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern einzusetzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Allerdings müssen die Voraussetzungen hierfür geschaffen werden. Als Mitglied des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten sollte die erste Voraussetzung meines Erachtens die Anerkennung des Hochschulstudiums hoch qualifizierter Personen oder einer dreijährigen Berufserfahrung sein.
Die Entwicklungspolitik muss die Verfügbarkeit von Arbeitskräften aus Drittländern gewährleisten. Die Berichterstatterin, der ich wegen des tragischen Vorfalls mein Mitgefühl aussprechen möchte, betont, dass die Einwanderung zum Zweck der Beschäftigung hoch qualifizierter Kräfte keine langfristige Lösung für die wirtschaftlichen und demografischen Probleme darstellt, da die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen gewöhnlich negative Auswirkungen auf die nationalen Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten hat.
Das Subsidiaritätsprinzip muss solange gelten, bis wir einheitliche soziale Systeme und ein einheitliches Arbeitsrecht haben. Das Europäische Parlament empfiehlt daher eine strikte Einhaltung des Grundsatzes der Gemeinschaftspräferenz. Die Mitgliedstaaten müssen die Anzahl der Einwanderer aus Drittländern festlegen, die im Rahmen der nationalen Souveränität aufgenommen werden, und sie müssen auch das Recht haben, eine Nullquote festzulegen.
Blue Cards sollten, selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt werden, nur im Ermessen jedes einzelnen Mitgliedstaates mit europäischem Mehrwert in Form eines Rechts auf Umzug nach einem zweijährigen legalen Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat ausgestellt werden.
Karin Jöns (PSE). – (DE) Herr Präsident! Um die illegale Einwanderung in den Griff zu bekommen, um den Herausforderungen des demografischen Wandels Rechnung zu tragen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und um gleichzeitig ein Höchstmaß an sozialem Frieden zu sichern, brauchen wir heute dringender denn je eine gemeinsame Zuwanderungspolitik. Hierin besteht in diesem Hause auch Einigkeit. Deshalb gilt mein Dank an dieser Stelle allen vier Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit.
Aber für meine Fraktion muss eine gemeinsame Zuwanderungspolitik alle Migrantinnen und Migranten einschließen, sonst greift sie wirklich zu kurz. Das heißt, der Gleichbehandlungsgrundsatz muss uneingeschränkt für alle gelten, wenn es um Arbeitnehmerrechte geht, wenn es um den Zugang zu Bildung geht und wenn es um den Zugang zu Systemen der sozialen Sicherheit geht. Deshalb bitte ich Sie herzlich, morgen den Änderungsanträgen meiner Fraktion zuzustimmen. Die Rahmenrichtlinie muss auch für Saisonarbeiter, für Flüchtlinge oder für Personen, die vorübergehenden Schutz beantragt haben, gelten.
Was die Blue Card betrifft, bitte ich das Abstimmungsergebnis des federführenden Ausschusses morgen dahingehend zu korrigieren, dass der europäische Arbeitsmarkt nicht nur für Migrantinnen und Migranten aus Ländern, mit denen wir bereits Partnerschaftsabkommen haben, offenstehen darf. Eine solche Einschränkung darf es nicht geben. Es freut mich zu hören, dass die Kommission diese Ansicht teilt.
Zum Schluss noch ein Wort an den Rat. Ich fordere Sie aus gegebenem Anlass auf, mit Nachdruck beide Richtlinien gemeinsam zu verabschieden. Wenn wir es mit der Gleichbehandlung ernst meinen, können wir Gleichbehandlungsgrundsätze doch nicht zunächst nur für Hochqualifizierte und irgendwann später vielleicht auch für andere Migrantinnen und Migranten verabschieden.
Inger Segelström (PSE). – (SV) Herr Präsident! Ich möchte zu Beginn der Berichterstatterin Frau Klamt und den Schattenberichterstattern für den interessanten Bericht danken. Als skandinavischer Sozialdemokrat habe ich auf Ihre Unterstützung gehofft, damit Tarifverträge auch für die Blue Card der EU gelten. Ich halte dies für notwendig, aber es erschreckt mich auch nicht besonders, wenn dies nicht umgesetzt wird. Allerdings hätte das Parlament hier die Führung übernehmen sollen.
Gut ist nun die klare Festlegung, dass es für Arbeitgeber strafbar ist, gegen die Regeln zu verstoßen und nicht zu prüfen, ob sie illegale Arbeitnehmer beschäftigen. Gleichzeitig müssen sie zu niedrige Löhne und Gehälter bzw. ähnliche Leistungen gegebenenfalls rückwirkend erstatten. Es ist auch gut, dass die Bürger von Drittländern während des betreffenden Zeitraums in ihre Heimatländer zurückkehren und anschließend wieder in die EU einreisen können. Dies zeigt, dass wir die Sorgen der Drittländer in Bezug auf die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte ernst nehmen. Ebenfalls zufrieden bin ich mit der Entscheidung, dass die Mitgliedstaaten die nationalen und regionalen Arbeitsmärkte berücksichtigen müssen, weshalb ich sie unterstütze. Das zeigt, dass diejenigen, die bereits in unseren Mitgliedstaaten leben und arbeitslos sind, bei der Stellenvergabe an erster Stelle stehen werden. Dies ist bei der derzeit steigenden Arbeitslosigkeit infolge der Kreditklemme besonders wichtig, vor allem auch deshalb, weil Fremdenfeindlichkeit in vielen unserer Mitgliedstaaten eine Gefahr für die Demokratie darstellt.
Roselyne Lefrançois (PSE). – (FR) Herr Präsident! Ich möchte zunächst der Berichterstatterin und den Schattenberichterstattern für ihre hervorragende Zusammenarbeit danken. Diese Richtlinie ist der erste wichtige Text zur legalen Einwanderung. Er zielt darauf ab, die Einwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern in die EU zu fördern, von denen die große Mehrheit derzeit lieber in die Vereinigten Staaten oder nach Kanada geht. Dank der Blue Card werden diese Arbeitskräfte nun in den Genuss zahlreicher Rechte für sich und ihre Familien kommen.
Natürlich laufen wir Gefahr, beschuldigt zu werden, den Gedanken der selektiven Einwanderung zu unterstützen, doch ich möchte herausstellen, dass es der Rat ist, der sich systematisch gegen eine horizontale Richtlinie stellt, die für alle Einwanderer gilt. Die Kommission hatte daher, wenn sie die Hoffnung nicht aufgeben wollte, auf dem Gebiet der legalen Einwanderung ein wenig voranzukommen, keine andere Wahl, als mit hoch qualifizierten Arbeitskräften zu beginnen, denn sie wusste, dass es leichter sein würde, die Zustimmung der Mitgliedstaaten dazu zu erhalten. Selbstverständlich bedaure ich diese sektorielle Herangehensweise, aber wir von der SPE-Fraktion haben schon so lange die rein repressive Natur der europäischen Einwanderungspolitik angeprangert und eine Politik zur legalen Einwanderung gefordert, die ihren Namen verdient, dass ich es für wichtig halte, diesen ersten Schritt abzusegnen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass andere Texte bereits in Vorbereitung sind, zum Beispiel über Saisonarbeiter und Praktikanten.
Emine Bozkurt (PSE). – (NL) Herr Präsident! Wir haben endlich einen wichtigen Schritt gemacht. Europa ist sich über die Bedingungen für ein einheitliches System zur Anwerbung von Spitzenkräften einig. Dies ist der Mehrwert, den die Karte bietet. Dieser Schritt ist notwendig, wenngleich er meines Erachtens nur der erste ist. Sobald wir mit der Blue Card ein wenig Erfahrung gesammelt haben, müssen wir in der nächsten Amtszeit weitere Schritte in Angriff nehmen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in turbulenten Zeiten leben. Infolge der Finanzkrise kann es kurzfristig durchaus zu Entlassungen kommen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass das Blue-Card-System, wie es im Bericht von Frau Klamt beschrieben ist, Raum für die Politik der nationalen Mitgliedstaaten lässt. Die Mitgliedstaaten müssen imstande sein, zu entscheiden, wie viele Einwanderer mit guten Qualifikationen benötigt werden und sich in ihren Ländern einsetzen lassen, ohne in den Drittländern eine Abwanderung von hoch qualifizierten Arbeitskräften in sensiblen Sektoren wie dem Gesundheitswesen auszulösen. Wir sollten aber auch nach vorn blicken. Europa braucht dringend Migranten mit guten Qualifikationen. Aus diesem Grund ist die beste Lösung die einfachste Regelung für die Blue Card, mit der Talente angeworben werden können. Ich denke, diese Lösung ist – teils dank der Änderungsanträge der SPE-Fraktion – im vorgelegten Vorschlag enthalten. Dementsprechend ist es für Menschen, die sich bereits legal in der EU aufhalten, wichtig, nicht erst in ihre Heimatländer zurückkehren zu müssen, um eine Blue Card für einen EU-Mitgliedstaat zu beantragen, wenn sie die anderen Voraussetzungen erfüllen.
Harald Ettl (PSE). – (DE) Herr Präsident! Die Europäische Union hat innerhalb der nächsten 20 Jahre mehr Bedarf an Topfachkräften aus Drittländern. Andere Staaten schöpfen seit Jahren ungleich stärker aus diesem Potential. Das Reglement, das sich die EU dazu gibt, ist ausgewogen und soll einem „brain drain“ aus Drittländern vorbeugen. Den jeweiligen Bedarf bestimmen die Mitgliedstaaten. Das klingt alles sehr vernünftig, nur – und das ist jetzt die andere Seite – mit der Finanz- und Wirtschaftskrise schrammen wir an einer Rezession entlang.
Die Arbeitslosigkeit wird europaweit ansteigen, und schon jetzt wollen einige Mitgliedstaaten selbst bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union weiter auf die Bremse steigen. Wäre es in so einer Situation, in der wir auch die Industriepolitik aufgrund der Umweltfrage umstellen müssen, nicht sinnvoller, auf mehr und bessere Ausbildungsprogramme für Topkräfte mit hohem Innovationspotential zu setzen? Wir müssen alle unsere Kräfte auf diese Frage konzentrieren, anstatt Topkräfte aus Drittländern abzuwerben. Das alleine wird à la longue für unsere Zukunft zu wenig sein.
Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Herr Präsident! Wir erinnern uns alle daran, dass im Herbst 2006 in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union Arbeitslager aufgedeckt wurden. In diesen Lagern arbeiteten illegale Einwanderer unter demütigenden Bedingungen Seite an Seite mit Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
Diese Situation brachte unsere Arbeit am Einwanderungspaket voran, und heute sprechen wir über einige Elemente davon. Ich denke, wir gehen in die richtige Richtung. Der Vorschlag sieht zivilisiertere Arbeitsbedingungen vor und vereinfacht die Regelungen zur Beschäftigung und zum Aufenthalt legaler Einwanderer. Als polnische Frau möchte ich zudem meine Solidarität mit den Bürgern aus Drittstaaten unterstreichen, die legal in der Europäischen Union leben. Wir dürfen sie nicht diskriminieren.
Ich denke auch nicht, dass die Blue Card die wirtschaftlichen Interessen der Bürger der neuen Mitgliedstaaten gefährdet oder zu einem Wettbewerb führt. Fakt ist, dass uns nun die meisten europäischen Arbeitsmärkte offen stehen, und wie wir wissen, enden alle Übergangszeiträume, bevor die Blue Card in Kraft tritt.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). - (LT) Herr Minister, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die Welt öffnet sich mehr und mehr, nicht nur Europa. Moderne Technologien und die Globalisierung machen dies möglich, und eine Bekämpfung dieser Realität ist kontraproduktiv.
Ich gratuliere Frankreich, das während seiner Präsidentschaft die wichtigen Initiativen ergriffen hat, über die wir heute sprechen.
Das Interesse der Europäischen Union ist eindeutig: Uns fehlen Arbeitskräfte und hoch qualifizierte Experten. Wir brauchen sie, weil unsere Bürger von Ihrem Recht Gebrauch machen, ihre Länder zu verlassen, anderswo zu leben und zu arbeiten – an einen Ort, der ihnen besser gefällt.
Die legale Einwanderung in die EU ist eine völlig akzeptable Lösung für dieses Problem. Sie ist auch unsere Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung und auf das Ziel der EU, wettbewerbsfähiger zu werden.
Ich stimme zu, dass die Vorschläge untereinander und mit anderen Rechtsakten koordiniert werden müssen, doch es besteht kein Zweifel, dass wir diese Probleme lösen mussten, und ich gratuliere nochmals beiden Berichterstattern und dem Land, das derzeit den Vorsitz führt.
Daciana Octavia Sârbu (PSE). – (RO) Der Entschließungsentwurf, mit dem die Einführung der Blue Card für hoch qualifizierte Einwanderer angestrebt wird, soll hoch qualifizierte Experten von außerhalb der Europäischen Union anwerben, wobei diesen Einwanderern die Chance gegeben wird, sich legal in der Europäischen Union niederzulassen und hier zu arbeiten. Diese Initiative ist in einer Situation von Vorteil, in der man voraussehen kann, dass in den kommenden 20 Jahren das Risiko besteht, dass 20 Millionen Arbeitsplätze unbesetzt bleiben.
Allerdings möchte ich Sie daran erinnern, dass die Bürger aus Rumänien und Bulgarien nach wie vor nur einen beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und befürchten, dass einige Länder die Übergangsphase um weitere drei Jahre verlängern werden. Deshalb ist es vor diesem Hintergrund entscheidend, dass wir nicht auch noch zur Diskriminierung europäischer Bürger beitragen.
Marek Aleksander Czarnecki (ALDE). – (PL) Herr Präsident! Der demografische Wandel in der Europäischen Union und die alternde Bevölkerung sind Umstände, die einen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften aus Drittländern schaffen. Die Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ist eine Herausforderung, der sich die Europäische Union in einer sich schnell globalisierenden Welt stellen muss. Ich bin der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten einen integrierten und kohärenten Ansatz im Hinblick auf die europäische Einwanderungspolitik erarbeiten müssen.
Ingenieurwesen und Computertechnik sind Bereiche, denen im Kontext von Entwicklung und Beschäftigung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Die Annahme von Gemeinschaftsverordnungen ist erforderlich, wenn wir der illegalen Einwanderung einen Riegel vorschieben wollen. Ich stimme der Berichterstatterin und dem Berater, Herrn Masiel, zu und unterstütze die Einführung des europäischen Blue-Card-Programms für qualifizierte Einwanderer, mit der die Beschäftigung von Fachkräften aus Drittländern erleichtert werden soll.
Tomáš Zatloukal (PPE-DE). – (CS) Die Freizügigkeit von Personen aus Drittländern auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt in einer globalisierten Welt, die von einem scharfen wirtschaftlichen Wettbewerb geprägt ist, für Europa ein großes Problem dar. Wir beschließen gemeinsame europäische Regelungen, die den Umgang mit Einwanderungsströmen nach Europa und die Begrenzung der illegalen Einwanderung ermöglichen. Es ist richtig, den Kommissionsvorschlag zu begrüßen, der eine Beschleunigung des Aufnahmeverfahrens für Arbeitskräfte und bessere Aufenthaltsbedingungen für diese vorsieht, um die Attraktivität der EU für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern zu steigern. Der entscheidende Faktor ist nicht nur ein schnelles Aufnahmeverfahren für Arbeitskräfte ohne bürokratische Hindernisse, sondern auch gemeinsame und einheitliche Zugangsvoraussetzungen für alle 27 Arbeitsmärkte. Während wir über beide Berichte sprechen, muss erwähnt werden, dass es innerhalb der EU nach wie vor Hindernisse bezüglich der Beschäftigung von Menschen aus den neuen Mitgliedsländern gibt.
Toomas Savi (ALDE). – Herr Präsident! Die Blue Card der Europäischen Union ist aus Sicht der Entwicklungsländer eine äußerst geschätzte Initiative. Da die Blue Card der EU von den Mitgliedstaaten ausgestellt wird, kann man darauf spekulieren, dass ein Mitgliedstaat nach Prüfung seines jeweiligen Arbeitsmarkts viel zu häufig zu dem Schluss kommen könnte, dass seine Situation eine Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte nicht zulässt, oder dass die öffentliche Ordnung eines Mitgliedstaates eine vollständige Umsetzung der Blue-Card-Politik der EU verhindert. Ich befürchte, dass einige Mitgliedstaaten den Zweck der Blue Card der EU untergraben werden.
Die Blue Card der EU ist nicht nur dazu geschaffen worden, den Arbeitnehmerbedarf der Mitgliedstaaten zu decken, sondern auch, um „Brain Circulation“ zu ermöglichen. In gewisser Weise ist dies eine unterstützende Maßnahme der EU-Politik für Entwicklungszusammenarbeit, da die Blue-Card-Arbeitnehmer irgendwann mit der gesammelten Erfahrung in ihre Herkunftsländer zurückkehren wollen, was für den Fortschritt entscheidend ist.
Nicolae Vlad Popa (PPE-DE). – (RO) Ich denke, dass es für die Europäische Union äußerst wichtig ist, für hoch qualifizierte Arbeitnehmer attraktiver zu werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass der Großteil der Einwanderer derzeit keine Berufsausbildung hat. Für diese Arbeitskräfte muss es günstige Bedingungen, ein harmonisiertes System für die Regulierung der Einwanderung und Freizügigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten sowie Löhne und Gehälter geben, die ihrer Qualifikation entsprechen.
Des Weiteren muss die europäische Blue Card als Möglichkeit gesehen werden, die illegale Einwanderung einzudämmen, als Teil des Pakts für Einwanderung und Asyl und als Teil der Lösung des Problems des Arbeitskräftemangels, unter dem die Europäische Union in den kommenden Jahrzehnten leiden wird.
Ich möchte unterstreichen, dass Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten nicht schlechter gestellt werden dürfen als Menschen aus Drittländern. Es kann nicht angehen, dass einige Mitgliedstaaten ihre Arbeitsmärkte für Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten verschließen, aber andererseits Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern Stellen anbieten, die hohe Qualifikationen erfordern.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). - (PL) Die demografischen Probleme und die Alterung der europäischen Bevölkerung sind nicht die einzigen Gründe dafür, warum die Blue Card als von der EU kontrolliertes Instrument eingeführt werden sollte. Der EU-Erweiterung folgte eine starke Abwanderungswelle von Fachkräften aus den neuen Mitgliedstaaten. Die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte stellt heute das größte Problem für Arbeitgeber dar, denn dadurch werden Investitionen zurückgehalten und so die wirtschaftliche Entwicklung gebremst.
Wenn unsere Unternehmen auf ihren Heimatmärkten keine qualifizierten Arbeitnehmer finden können, werden sie im Wettbewerb mit China unterliegen. Die polnischen Arbeitgeber wünschen sich eine breitere Öffnung des Arbeitsmarkts. Sie sind bereit, Arbeitskräfte aus Ländern wie der Ukraine und Belarus zu beschäftigen. Gleichzeitig sollten wir daran denken, dass alle Sozialleistungen innerhalb der EU konsistent sein müssen. Auch müssen wir bedenken, dass einige derjenigen, die im Rahmen des Blue-Card-Programms zu uns kommen werden, in ihre Herkunftsländer zurückkehren und ihre Erfahrungen, die sie in der EU gesammelt haben, mitnehmen werden. Wir müssen gleichzeitig daran arbeiten, Bildung und Weiterentwicklung für Fachkräfte zu verstärken, die auf den Arbeitsmärkten in unseren Mitgliedstaaten benötigt werden.
Janusz Onyszkiewicz (ALDE). – (PL) Herr Präsident! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf zwei Gefahren lenken, die sich im Verlauf der Aussprache und in den vorgeschlagenen Regelungen herauskristallisiert haben.
Erstens sind die Anforderungen an Bürger aus Drittländern, die hier eine Arbeitsstelle antreten wollen, viel zu hoch. Die Anforderung, mindestens zwei von fünf Jahren Berufserfahrung in einer Führungsposition gesammelt zu haben, erscheint mir definitiv zu hoch. Im Fall einer Krankenschwester oder eines IT-Experten ist dies nicht erforderlich, damit sie in unseren Unternehmen in einer nützlichen Funktion eingesetzt werden können.
Die zweite Gefahr ist der Versuch, einen einheitlichen Mindestlohn für die Arbeitnehmer festzulegen. Diese Regelung macht mit Sicherheit das Grundprinzip zunichte, das wirklich gelten sollte: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sie könnte nämlich dazu führen, dass Leute, die in die EU einwandern, mehr verdienen als Arbeitnehmer, die bereits hier sind.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident! Diese facettenreiche Aussprache spricht für die Qualität der vorgelegten Berichte. Ich möchte den Berichterstattern und den Verfassern der Stellungnahmen, Herrn Masiel, Frau Jeleva und Frau Panayotopoulos nochmals danken und sagen, dass dies, wie unsere Aussprachen gezeigt haben, in der Tat ein großer Schritt in Richtung einer Einigung über die legale Einwanderung ist. Vor vier Jahren wollte niemand etwas über Gemeinschaftsinstrumente hören. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir in ein paar Jahren imstande sein werden, weitere Fortschritte zu erzielen.
Ich gratuliere auch der Kommission über Herrn Barrot, der diese Aussprache anregen konnte und dafür gesorgt hat, dass unsere Ziele in diesem Bereich schnell höher gesteckt wurden. Auch der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hat gute Arbeit geleistet. Herr Deprez fand die richtigen Worte, sorgte für die nötige Ausgewogenheit und war die Stimme der Vernunft. Er unterstützt ein offenes Europa, und ich begrüße das. Mit ein oder zwei Abstrichen möchte auch Frau Roure, dass Europa auf das Jahrhundert der Migrationsströme vorbereitet ist. Genau das versuchen wir zu erreichen. Wie Frau Lefrançois herausgestellt hat, sind diese zwei Texte erst der Anfang und noch nicht das Ende, und sie lassen Raum für zirkuläre Migrationen.
Zur Frage der Gemeinschaftspräferenz, die von Frau Grabowska und Frau Gál sowie insbesondere von den Herren Fava und Catania angesprochen worden ist, möchte ich darauf hinweisen, dass die Blue Card nicht vor 2011 eingeführt werden wird. Zu diesem Zeitpunkt werden die Übergangsbestimmungen in den Beitrittsverträgen ausgelaufen sein. Zudem gewährt die Blue Card einen Status, der nicht mit dem der EU-Bürger vergleichbar ist. Des Weiteren sind wir bereit und willens, den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz, der in den Beitrittsverträgen verankert ist, in den Text zu integrieren.
Was die zahlreichen Anmerkungen zum Thema Brain Drain – insbesondere die von Herrn Kreissl-Dörfler und Herrn Borghezio, Frau Budreikaitė, Herrn Moreno, Frau Lambert und Frau Roure – anbelangt, so denke ich, dass das Europäische Parlament seine berechtigten Bedenken darüber zum Ausdruck gebracht hat, die Blue Card mit Schutzmaßnahmen zu versehen, um aus dem Brain Drain einen Brain Gain zu machen, und mir scheint, dass es drei Hauptmöglichkeiten gibt, um dieses Ziel zu erreichen.
Erstens hat die Richtlinie in keiner Weise Vorrang vor europäischen Verträgen oder Verträgen zwischen bestimmten Mitgliedstaaten und den Herkunftsländern, die Listen über Berufe erstellen, die nicht abgeworben werden dürfen, um in Sektoren, die unter einem Arbeitskräftemangel leiden, eine ethische Anwerbung zu gewährleisten. Zweitens muss den Mitgliedstaaten Verantwortung im Zusammenhang mit der Einzelfalluntersuchung zugestanden werden. Sie müssen in der Lage sein, einen Blue-Card-Antrag abzulehnen, um eine ethische Einstellung von Arbeitskräften sicherzustellen. Abschließend muss die Richtlinie die zirkuläre Migration hoch qualifizierter Arbeitskräfte fördern können und natürlich, wie bereits erwähnt worden ist, die Anforderungen bezüglich der Ausbildung im Herkunftsland unterstreichen.
Andererseits scheint es mir nicht erforderlich zu sein, die Ausstellung von Blue Cards systematisch zu verhindern, wenn kein Vertrag mit dem Herkunftsland besteht. Wie schon Herr Barrot dargelegt hat, denke auch ich, dass dies eine Diskriminierung zur Folge hätte und somit eher Anträge an die nationalen Systeme gestellt würden, weshalb es besser ist, auf Einzelfallbasis zu verhandeln.
Kommen wir nun zur Unterscheidung zwischen hoch qualifizierten und ungelernten Arbeitskräften – ein Thema, das vor allem von Herrn Busuttil und Frau Lefrançois sowie von Frau Lambert angesprochen worden ist. Ich denke, hier müssen wir schrittweise vorangehen. Derzeit gibt es bedauerlicherweise keinen Konsens im Hinblick auf eine legale Einwanderung auf Gemeinschaftsebene in allen Arbeitsmarktsegmenten. Dennoch kommen wir voran, denn es gibt in der Europäischen Union einheitliche Rechte für alle Arbeitnehmer aus Drittländern, und wir müssen mit den hoch qualifizierten, saisonalen und entsandten Arbeitnehmern und mit den Auszubildenden beginnen. Das Stockholm-Programm kann uns dabei behilflich sein, Fortschritte zu erzielen.
Im Gegensatz zu dem, was von Frau Flautre und anderen Rednern gesagt worden ist, beinhalten die durch die Blue Card garantierten Rechte keine Beschränkungen in Bezug auf die Versammlungsfreiheit oder die Arbeitnehmerrechte. Das Gegenteil ist der Fall, und diese Blue Card wird das einzige Instrument sein, das es Migranten ermöglicht, ein Recht auf Freizügigkeit zur Erbringung qualifizierter Arbeit in der Europäischen Union auszuüben, was die nationalen Systeme derzeit nicht vorsehen. Das ist der wesentliche Vorteil dieses Textes.
Ich möchte auch auf Herrn Pirkers Frage in Bezug auf die Frist eingehen, nach der diese Rechte im Fall der Arbeitslosigkeit verfallen. Es ist richtig, dass es eine Dreimonatsfrist gibt. Die Präsidentschaft der Europäischen Union hätte sich eine längere Frist als die vorgeschlagene gewünscht, doch in diesem Punkt wurde kein Konsens erreicht. Es gab sogar einige Mitgliedstaaten, die es gerne gesehen hätten, wenn es überhaupt keine solche Frist geben würde – was eindeutig nicht dem Wunsch der Präsidentschaft entsprach.
Zum Schluss möchte ich Herrn Favas Frage beantworten. Erwägung 16 des Ratstextes beinhaltet das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für Arbeitnehmer aus Drittländern und Bürger der Gemeinschaft. Dieser ist mit Artikel 15(1) desselben Textes umgesetzt.
Jacques Barrot, Mitglied der Kommission. − (FR) Herr Präsident! Ich werde mich darauf beschränken, die Anmerkungen von Herrn Jouyet zu ergänzen, die heute Nachmittag meiner Meinung nach unser gemeinsames Interesse an Ihrer Arbeit gut zum Ausdruck bringen. Ich möchte allen Rednern und den Berichterstattern danken, die gute Arbeit geleistet haben.
Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass der Richtlinienentwurf die Gemeinschaftspräferenz voll unterstützt. Darüber hinaus ist diese Gemeinschaftspräferenz in den Beitrittsverträgen zur Europäischen Union verankert, und diese Verträge sehen Folgendes vor: Wenn ein Mitgliedstaat die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, die Bürger eines anderen Mitgliedstaates sind, vorübergehend einschränkt, muss er ihnen bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt anderen Arbeitnehmern aus Drittländern gegenüber den Vorzug geben. Ich sage dies den Bürgern aus anderen Mitgliedstaaten, denn darauf muss hingewiesen werden.
Als Nächstes muss ich denen antworten, die aufgrund der Gefahren eines Brain Drain besorgt sind. Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Vorschlag eine Klausel über ethisches Anwerben empfiehlt, um eine aktive Werbung von Mitgliedstaaten in Entwicklungsländern zu beschränken oder gar zu untersagen, die bereits jetzt unter einem starken Brain Drain leiden.
In diesem Vorschlag ist auch die Möglichkeit für einen Mitgliedstaat vorgesehen, Blue-Card-Anträge aufgrund von Erwägungen zur ethischen Anwerbung abzulehnen. Wir haben Maßnahmen vorgesehen, um die zirkuläre Migration zu erleichtern. Zudem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission jährlich Statistiken über die Anwendung der Richtlinie vorzulegen, damit die Kommission die Auswirkung dieser Gesetzgebung überwachen kann.
Es ist richtig, dass wir eine aktive Anwerbung in Ländern vermeiden müssen, die unter einem akuten Arbeitskräftemangel leiden, insbesondere im Gesundheitssektor in Afrika, doch all dies wird durch den Aufbau von Partnerschaften mit den Herkunftsländern gelöst werden.
Drittens möchte ich gerne sagen, dass auf diesen Text weitere Vorschläge der Kommission folgen werden. Im März nächsten Jahres werde ich einen Text über die legale Einwanderung für saisonale Arbeitnehmer, bezahlte Auszubildende und Beschäftigte plurinationaler oder multinationaler Konzernen vorlegen, die versetzt werden können. Auch hier wird dies, wie Frau Lefrançois sagte, nur der Anfang sein, und wir müssen weiter an einem umfassenden Rahmen für die legale Einwanderung arbeiten.
Ich möchte ebenfalls kurz wiederholen, was Herr Jouyet so gut ausgedrückt hat: Es besteht ein sehr konkreter Wunsch, allen Einwanderern und Neuankömmlingen in der Europäischen Union die gleichen Rechte zu geben, was – ich betone dies nochmals – auch das Ideal unserer europäischen Gemeinschaft widerspiegelt.
In jedem Fall habe ich zahlreiche Kommentare und Anmerkungen zur Kenntnis genommen. In den kommenden Monaten werden wir weitere Diskussionen über diese Einwanderungsthematik haben. In der Tat denke ich, dass wir uns daran gewöhnen müssen, uns sachlich, objektiv und einem Sinn für Gerechtigkeit mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Zudem müssen wir erkennen, dass wir auf Einwanderung angewiesen sind, aber auf eine Einwanderung, die in einen Rechtsrahmen eingebettet ist, der für alle zuverlässig und gerecht ist.
Manfred Weber, Berichterstatter. – (DE) Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst zum Ausdruck bringen, dass ich Ewa Klamt die guten Wünsche und auch die Anteilnahme gerne überbringen werde. Ich bedanke mich für die Debatte und möchte drei Punkte unterstreichen.
Ich möchte zuerst die teilweise nationalistischen Töne, die wir heute vernommen haben, zurückweisen. Diese haben in diesem Haus ganz sicher keine Mehrheit und sollten auf das Schärfste zurückgewiesen werden.
Zweitens möchte ich natürlich auf die Frage der legalen Zuwanderung hinweisen, die wir für die Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaften brauchen, aber auch auf die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung, die zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Bürger in Europa erwarten von uns beides: offen sein für Zuwanderung, die sinnvoll und richtig ist, aber auch Kampf gegen illegale Zuwanderung.
Und drittens: Ja, man hätte sich bei der Frage der „blue card“ erwarten können, aber ich sage auch, dass dies ein guter erster Schritt ist, den wir gehen, um weltweit mit einem gemeinsamen Label aufzutreten. Ich sage daher, lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam gehen, dann sind wir einen Schritt weiter. Lassen Sie uns morgen die Gesetzgebung entsprechend abstimmen!
Patrick Gaubert, Berichterstatter. − (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe so einiges gehört... und ich beginne mit einigen Worten zur Aussprache. Die Aussprache war recht interessant. Ich möchte niemanden namentlich nennen, aber ich möchte darauf hinweisen, dass die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und Europäischer Demokraten in Bezug auf die Menschenrechte keine Lektionen braucht. Die PPE-DE-Fraktion freut sich, dass Europa imstande ist, eine Einigung über gemeinsame Instrumente zum Umgang mit Migrationsströmen zu erreichen, und dass Europa seine Türen nicht verschließt.
Wir haben eine Einwanderungspolitik, die sowohl menschlich als auch entschlossen ist; menschlich, weil sie die beschämenden Lebensbedingungen illegaler Einwanderer, die in unseren Ländern leben, ablehnt – wir tun alles, was in unserer Macht steht, um zu verhindern, dass sich Männer und Frauen auf Boote begeben und dabei ihr Leben riskieren – und entschlossen, weil sie Menschenhändler und Schlepper verurteilt.
In Bezug auf die Blue Card und die einheitlichen Beantragung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sage ich unserem Freund Herrn Catania, dass wir die Elite und auch die anderen in unseren Ländern brauchen. Wenn wir schon beim Thema sind, die legalen Zuwanderer werden die gleichen Rechte haben wie die Bürger unserer Gemeinschaft, nicht mehr und nicht weniger.
Europa braucht sich im Hinblick auf seine Einwanderungspolitik nicht vor anderen zu verstecken. Europa betrachtet Zuwanderer weder als Gauner oder Kriminelle noch als Bedrohung unserer Sicherheit oder unserer Arbeitnehmer. Es sind Männer, Frauen und Kinder aus Fleisch und Blut, die sich in unserem Territorium ein besseres Leben erhoffen, weil sie zu Hause nichts haben.
Unser gemeinsames Ziel besteht darin, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen, selbst wenn dies bedeutet, sie dazu zu ermutigen, in ihren Heimatländern zu bleiben. Unsere Einwanderungspolitik ist menschenwürdig, offen und vielleicht auf Sicherheitsaspekte ausgerichtet, doch wir können sowohl im Hinblick auf die Zuwanderer als auch auf uns selbst stolz darauf sein – genauso wie wir morgen, wenn wir über diese zwei Berichte über die europäische Einwanderungspolitik abstimmen, stolz sein können.
Der Präsident. − Ich möchte Frau Klamt meine persönliche Anteilnahme zum unerwarteten Verlust ihres Vaters letzte Woche aussprechen. Ich habe sie getroffen, kurz nachdem sie die Nachricht erhalten hatte. Sie hat mein volles Mitgefühl.
Die gemeinsame Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt am Donnerstag, den 20. November.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Cristian Silviu Buşoi (ALDE), schriftlich. – (RO) Zunächst einmal begrüße ich sowohl die Initiative der Kommission als auch die Haltung der Berichterstatterin, denn meines Erachtens haben wir beim Thema Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte erhebliche Fortschritte erzielt, was für die Ziele von Lissabon unerlässlich ist.
Allerdings muss die EU meines Erachtens nicht nur für hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern, sondern auch für junge Europäer attraktiv sein. Wenn man bedenkt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Spiel steht, wollen wir auch keinen Brain Drain zu Gunsten der USA oder Kanada und zum Nachteil der EU sehen. Dementsprechend muss die derzeit laufende Initiative durch eine Politik zur Förderung junger Europäer konsolidiert werden.
Zudem müssen wir diese Maßnahme mit besonderer Sorgfalt und Verantwortung umsetzen, wobei wir die personelle Lage in bestimmten Bereichen in den Herkunftsländern der Migranten berücksichtigen müssen, um den Fachkräftemangel, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitswesen, nicht noch zu verschärfen.
Abschließend unterstütze ich die Haltung von Frau Klamt im Hinblick auf die Anwendung der Gemeinschaftspräferenz im Einstellungsprozess sowie die Bevorzugung von Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten, die im Hinblick auf den Zugang zum Arbeitsmarkt noch immer Beschränkungen unterliegen. Wenn diese Beschränkungen aufrechterhalten werden müssen, scheint mir die Bevorzugung eine Mindestvoraussetzung zu sein, um sicherzustellen, dass sich die Bürger aus diesen Ländern nicht als Europäer zweiter Klasse fühlen.
Corina Creţu (PSE), schriftlich. – (RO) Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Regelungen lenken, die möglicherweise diskriminierend wirken. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie bitten, hinsichtlich des Zugangs zum EU-Arbeitsmarkt die Bevorzugung von Bürgern aus den neuen Mitgliedstaaten der EU vor Zuwanderern aus Drittländern zu erwägen.
Die „Blue Card"-Initiative ist vorteilhaft, denn sie wird das Problem des Mangels an hoch qualifizierten Arbeitskräften teilweise lösen, und sie kann eine wichtige Rolle bei der Begrenzung der illegalen Zuwanderung spielen. Allerdings gibt es auch Regelungen, die die Bürger aus den Ländern benachteiligen, die erst kürzlich der Europäischen Union beigetreten sind. Angesichts dessen, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt in den meisten EU-Mitgliedstaaten für Rumänen noch entweder ganz oder in bestimmten Bereichen beschränkt ist, halte ich es für notwendig, die Mitgliedstaaten dazu zu zwingen, Blue-Card-Anträge für diejenigen Sektoren abzulehnen, in denen der Zugang für Arbeitnehmer aus den Ländern, die kürzlich der EU beigetreten sind, noch durch die aktuellen Übergangsregelungen beschränkt ist. Den Einwohnern von EU-Mitgliedstaaten muss Vorrang vor den Menschen aus Drittländern gegeben werden, selbst wenn diese Mitgliedstaaten erst vor kurzem beigetreten sind.
Des Weiteren möchte ich vor der Gefahr eines Brain Drains aus Entwicklungsländern warnen, der den Schlüsselsektoren in diesen Ländern, beispielsweise Gesundheit, Bildung und Forschung, schaden und einen Bumerangeffekt mit komplexen Auswirkungen auf globaler Ebene auslösen wird.
Pedro Guerreiro (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Was die Festlegung der „Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung“ in der EU (die „Blue Card“) und die Einführung einer „einheitlichen Beantragung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis“ anbelangt, denken wir, auch in Bezug auf andere Besorgnis erregende Aspekte, dass diese Initiativen im Kontext einer allgemeinen Einwanderungspolitik der EU betrachtet werden müssen.
Mit anderen Worten, sie machen nur Sinn und ihr voller Umfang kommt nur voll zum Tragen, wenn sie in die anderen Säulen dieser Politik integriert werden, die im „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“ bestätigt werden. Diese Säulen sind: Kriminalisierung von Einwanderern, Auffangzentren, die „Rückführungsrichtlinie“, Grenzkontrollen, Schaffung von Frontex und „Rückführungsabkommen“ als Klausel von „Kooperationsverträgen“.
Durch die Schaffung einer Diskriminierung der Zuwanderer untereinander wird mit dieser „Blue Card“ versucht, auf die neoliberalen Ziele der „Lissabon-Strategie“ und den Bedarf an Arbeitskräften in der EU zu reagieren (der mithilfe von Quoten festgelegt wird), wodurch Zuwanderer auf „Arbeitskräfte“ reduziert werden, die Plünderung von Fachkräften aus Drittländern – insbesondere der am besten Qualifizierten – gefördert wird und in der EU gefährliche zentralisierte Systeme für die Speicherung und Erhebung von Daten über Zuwanderer eingeführt werden.
Anders ausgedrückt, die „Blue Card“ und das einheitliche Verfahren“ bilden eine Säule der unmenschlichen Einwanderungspolitik der EU, die Zuwanderer kriminalisiert, vertreibt, ausbeutet oder ausschließt.
Magda Kósáné Kovács (PSE), schriftlich. – (HU) Die Zuwanderung ist schon seit Langem eines der wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Themen in der Europäischen Union. In einem alternden Europa stimmt jeder zu, dass wir mehr Arbeitnehmer brauchen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren und auszubauen.
Die Förderung der Zuwanderung als gemeinsame Reaktion bedarf nicht nur einer Regelung durch die EU, sondern auch einer fairen Strategie, die in gleichem Maße auf nachhaltige Entwicklung und soziales Gleichgewicht setzt.
Der Bericht von Frau Klamt über die europäische Blue Card ist begrüßenswert, denn er beinhaltet akzeptable Beschäftigungsbedingungen für hoch qualifizierte Arbeitnehmer aus Drittländern, die sowohl ihre familiäre Situation als auch ihre mögliche vorübergehende Heimreise berücksichtigen. Ganz besonders freue ich mich jedoch darüber, dass wir diese Angelegenheit zusammen mit dem Gaubert-Bericht über die einheitliche Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis angehen, sodass wir sogar verhindern können, dass Europa seine Türen nur für hoch qualifizierte Arbeitskräfte öffnet.
Um des internen sozialen Gleichgewichts der EU willen müssen wir das Ausmaß durchdenken, in dem sich eine Finanz- und Wirtschaftskrise wie die derzeitige auf die Interessen Europas auswirkt. Die steigende Arbeitslosigkeit an sich führt zu sozialen Spannungen, weshalb wir eine weitere Verschärfung der intern bestehenden ethnischen und rassenbezogenen Spannungen durch Zuwanderung verhindern müssen. Dies kann nicht nur einen weitaus größeren Zulauf zur extremen Rechten zur Folge haben, sondern langfristig die Abneigung gegenüber der EU verstärken – obgleich die Europäische Union in der Krise eine ausschließlich stabilisierende Rolle gespielt hat.
Marian-Jean Marinescu (PPE-DE), schriftlich. – (RO) Die Einführung der Blue Card, die die EU aufgrund des Mangels an hoch qualifizierten Arbeitskräften in bestimmten Wirtschaftssektoren braucht, ist ein Schritt nach vorn für die wirtschaftliche Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitnehmer aus Drittländern.
Allerdings kann die Blue Card auch einen Rückschritt darstellen, wenn die Mitgliedstaaten Anträge auf Ausnahmen nicht für diejenigen Sektoren des Arbeitsmarkts ablehnen, in denen der Zugang für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten aufgrund der in den Beitrittsverträgen vorgesehenen Übergangsmaßnahmen beschränkt ist.
I denke, ich muss Sie daran erinnern, dass Großbritannien und Irland bereits den Wunsch geäußert haben, die Arbeitsmarktbeschränkungen für Rumänien und Bulgarien für weitere drei Jahre beizubehalten.
Ich möchte betonen, dass die Anwendung der Politik der Blue-Card-Richtlinie die europäischen Bürger im Vergleich zu Bürgern aus Drittländern benachteiligen würde. Obwohl sich diese Richtlinie auf den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz bezieht, ist es offensichtlich, dass dies nicht auf diejenigen europäischen Bürger angewandt werden kann, die in bestimmten Sektoren des europäischen Arbeitsmarkts Beschränkungen unterliegen.
Ich möchte Sie bitten, für den Änderungsantrag über diese Klarstellung zu stimmen, damit wirtschaftliche Zuwanderer aus Drittländern am Ende nicht Vorrang vor der Freizügigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten der EU haben. Es ist nur logisch, dass sich die neuen Mitgliedstaaten wünschen, sich nicht als EU-Mitglieder zweiter Klasse zu fühlen.
Marianne Mikko (PSE), schriftlich. – (ET) Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Blue Card wird diverse Arbeitsmarkt- und Einwanderungsprobleme lösen. Die Blue Card ist ein so genanntes „Zuckerbrot“ im Kampf gegen illegale Zuwanderung. Durch die Förderung und Erleichterung der legalen Zuwanderung bekämpft Europa nicht nur den Fachkräftemangel, sondern auch den Menschenhandel und die illegale Zuwanderung.
Ich unterstütze den Gedanken, dass die Mitgliedstaaten das Recht haben müssen, zu entscheiden, wie viele Karten sie jährlich ausstellen möchten. Gleichzeitig sollten wir aufgrund der derzeitigen Wirtschaftskrise nicht protektionistisch werden. Wir müssen bereit sein, hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern aufzunehmen. Zudem sollten wir infolge der derzeitigen Rezession nicht die Tür für talentierte Bürger aus Drittländern verschließen.
Wir brauchen eine einheitliche Herangehensweise, um auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben. Das System der Europäischen Union aus 27 unterschiedlichen Erlaubnissen ist ein Hindernis für Talente, die zum Arbeiten nach Europa kommen. Ein einheitliches System kann eine Lösung sein, die dazu beitragen würde, die derzeitige Rezession zu überwinden, ganz zu schweigen von der Verbesserung der heutigen und vor allem der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit.
Sirpa Pietikäinen (PPE-DE), schriftlich. – (FI) Europa braucht sowohl heute als auch in Zukunft höher und geringer qualifizierte Arbeitskräfte von außerhalb der EU-Grenzen. Damit die EU imstande ist, im Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten von Amerika um qualifizierte und ausgebildete Einwanderer zu bestehen, muss die Union als Einwanderungsziel attraktiver werden. Die Erleichterung der Mobilität von Arbeitnehmern aus Drittländern ist für die EU ein Schritt in die richtige Richtung, weshalb ich Frau Klamt für ihren ausgezeichneten Bericht danke. Die Blue Card würde die Mobilität von qualifizierten Arbeitskräften aus Drittländern in der EU verbessern.
Allerdings darf das Ziel, die EU zu einem attraktiveren Arbeitsort zu machen, nicht auf Kosten der Entwicklungsländer erfolgen. Bedauerlicherweise werden durch den Brain Drain häufig die Fähigkeiten und Kenntnisse, welche für die Entwicklung benötigt werden, aus diesen Ländern abgezogen, und wenn die EU die neuen Regelungen beschließt, sollte sie dieses Problem unbedingt berücksichtigen. Zudem bedarf es jedoch einer laufenden aktiven Förderung der höheren Bildung in Europa, auch wenn es einfach ist, qualifizierte und ausgebildete Leute von außerhalb zu bekommen.
Die neuen Regelungen für Zuwanderer dürfen nicht zu einer wesentlichen Ungleichbehandlung von Bürgern aus Drittländern und der EU führen. Die strengen Definitionen des Parlaments im Hinblick auf qualifizierte Arbeitskräfte werden ein Szenario der Ungleichbehandlung schaffen, wenn von den Zuwanderern aus Drittländern unangemessene Anforderungen an ihre Ausbildung und Berufserfahrung gestellt werden.
Der Arbeitskräftemangel bedroht die gesamte Europäische Union, und zwar nicht nur in den hoch qualifizierten Sektoren. Die EU sollte daher das Programm zur Erleichterung der Mobilität der Arbeitskräfte aus Drittländern auf das gesamte Spektrum der Arbeitnehmer ausweiten, anstatt nur die Sahne abzuschöpfen.
Mihaela Popa (PPE-DE), schriftlich. – (RO) Das demografische Defizit und die Alterung der Bevölkerung der Europäischen Union könnten zu einer Gefährdung des Arbeitsmarkts, des Gesundheitswesens und der Rentenversicherung führen.
In dieser Situation wird die Blue Card das Gegenstück zum Green-Card-System der USA darstellen, das sich als echter Erfolg erwiesen hat, bedenkt man, dass sich rund 50 % der hoch qualifizierten Arbeitskräfte entweder für den US-amerikanischen oder den kanadischen Markt entscheiden.
Ich denke, für uns ist ein einheitliches Einwanderungssystem für alle 27 Mitgliedstaaten entscheidend, damit jeder Mitgliedstaat in der Europäischen Union den Mehrwert nutzen kann, den hoch qualifizierte Arbeitskräfte bieten.
Für gleichermaßen wichtig halte ich den Umstand, dass die EU diesen Fachkräften die verdiente Anerkennung zollt, indem sie ihnen faire und nicht diskriminierende Gehälter bietet.
Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich jedoch gerne auf die Tatsache verweisen, dass der Arbeitsmarkt der EU für Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten noch nicht vollständig zugänglich ist. Daher müssen wir sehr darauf achten, dass die von uns ergriffenen Maßnahmen die de-facto-Bürger der Europäischen Union nicht diskriminieren.
Katrin Saks (PSE), schriftlich. – (ET) Es gibt zwei Probleme, die mir im Zusammenhang mit der Blue Card Sorgen bereiten.
Aus europäischer Sicht ist der Zustrom hoch qualifizierter Arbeitskräfte hervorragend. Verglichen mit Amerika, Australien oder Kanada ist die Zahl der Fachkräfte, die zu uns gekommen sind, deutlich geringer. Eine solche „Abwerbung“ steht jedoch mit unserem anderen Grundsatz in Konflikt, der besagt, dass das Migrationsproblem auf globaler Ebene gelöst und die wirtschaftliche Entwicklung von Drittländern unterstützt werden muss, damit die Migration eingedämmt werden kann, insbesondere die illegale Migration. Ob wir es nun zugeben wollen oder nicht, die hoch qualifizierten Arbeitskräfte, von denen wir hier träumen, werden in den Drittländern benötigt, um die dortige Entwicklung zu fördern.
Aus europäischer Sicht wäre es aufgrund des starken Wettbewerbs natürlich günstiger, neue Fachkräfte zu gewinnen – insbesondere, weil die Forschung gezeigt hat, dass ihre Integration in eine neue Gesellschaft ein weitaus einfacherer und schnellerer Prozess ist. Dies spielt keine weniger wichtige Rolle.
Ein weiteres Problem, das ich sehe, ist der Umstand, dass sich im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise und der zunehmenden Arbeitslosigkeit die negative Einstellung zu Migranten noch verstärken dürfte. Zudem befürchte ich eine Migration innerhalb der EU. Ich hoffe jedoch, dass die Unterstützer von Parteien der extremen Rechten daraus keinen Vorteil ziehen und die Beschränkungen, die derzeit für einige Mitgliedstaaten gelten, in naher Zukunft aufgehoben werden. Die EU als Ganzes würde davon profitieren.
Der Präsident. - Als nächster Punkt folgt die Aussprache über:
– die mündliche Anfrage (B6-0482/2008) von Pierre Pribetich im Namen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie an den Rat: Europäische Raumfahrtpolitik: den Weltraum auf den Boden der Tatsachen bringen (O-0111/2008) und
– die mündliche Anfrage (B6-0483/2008) von Pierre Pribetich im Namen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie an die Kommission: Europäische Raumfahrtpolitik: den Weltraum auf den Boden der Tatsachen bringen (O-0112/2008).
Als in Toulouse Geborener freue ich mich, bei dieser Aussprache den Vorsitz zu führen.
Pierre Pribetich , Verfasser. – (FR) Herr Präsident, Herr Vizepräsident, Herr Minister! „Es ist höchste Zeit, die Sterne wieder zum Strahlen zu bringen.“
Ich möchte meine Rede mit diesem Zitat aus einem Gedicht von Guillaume Apollinaire beginnen, um auf die Bedeutung hinzuweisen, die die Wiederaufnahme der Raumfahrtpolitik für das Europäische Parlament hat.
Seit über dreißig Jahren arbeiten die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten nun schon gemeinsam an der Finanzierung, dem Entwurf und der Ausarbeitung der Raumfahrtpolitik. Leider hat diese Politik mit der Zeit ihren Glanz und ihre Strahlkraft verloren.
Es ist richtig, dass die Grundlagen einer europäischen Raumfahrtpolitik 2003 im Rahmenvertrag der EG mit der ESA festgelegt wurden. Es stimmt auch, dass sich der „Weltraumrat“ vom 22. Mai 2007 dem politischen Kontinuum dieses Rahmenvertrags entsprach. Allerdings reicht das von diesem Stern ausgestrahlte Licht nicht aus. Die Unabhängigkeit Europas, seine Rolle auf internationaler Ebene, seine Sicherheit und sein Wohlstand machen diese wichtige Politik zu einer unvergleichlichen Trumpfkarte für eine Industriepolitik, die sowohl Arbeitsplätze schafft als auch das Wachstum fördert; eine ehrgeizige Politik für kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Einfluss, der auf der internationalen Bühne noch verstärkt wird und ein wichtiges Instrument für die Gesellschaft darstellt, um das angestrebte Wissen zu erlangen.
Im institutionellen Dreieck der Union muss das Europäische Parlament im Auftrag der europäischen Bürger eine wichtige und stärkere Rolle bei der Ausarbeitung und Festlegung dieser Politik spielen, um auch sicherzustellen, dass dieses Dreieck nicht zu einem Bermuda-Dreieck wird.
Es ist höchste Zeit, die Sterne wieder zum Strahlen zu bringen. Am 26. September 2008 beteiligte sich der Rat an dieser Versammlung, und wir wollen dieser Politik unseren Stempel aufdrücken. Natürlich erfolgt diese Ansprache hier und jetzt im Namen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie auch in diesem Geist. Um den richtigen Weg einzuschlagen, halte ich es für wesentlich, uns bei der Ausarbeitung dieser Raumfahrtpolitik an die fundamentalen Elemente zu erinnern.
Zunächst ist da die Haushaltsfrage. Wir fordern ab jetzt die Schaffung einer spezifischen Haushaltslinie, die unser Engagement für die europäische Raumfahrtpolitik widerspiegelt und zeigt.
Die Raumfahrtindustrie braucht ausreichend öffentliche Fördermittel zum Ausbau ihrer Kapazitäten im Bereich Forschung und Entwicklung und ganz einfach, um profitabel zu bleiben. Der internationale Wettbewerb ist hart.
Während die Vereinigten Staaten, Russland, Japan und sogar Indien ihr Budget für die Raumfahrtindustrie erheblich aufstocken und zahlreiche öffentliche Aufträge vergeben, suchen wir Europäer noch immer nach einer geeigneten Finanzierung, um unsere ehrgeizigen Ziele zu erreichen - wir müssen also viel Zeit aufholen.
Welche Initiativen kann also die Kommission ergreifen, um die Bedingungen für den Raumfahrtsektor zu verbessern und um nicht nur irgendein Akteur, sondern der Hauptakteur zu sein, der in allen Aspekten der Raumfahrtpolitik von A-Z auf diese wachsende globale Nachfrage reagiert?
Der zweite Punkt ist das Problem der strategischen Optionen für die Anwendungen in Verbindung mit Galileo und EGNOS einerseits und GMES andererseits zur Schaffung einer effizienten Struktur, die eine klare Politikgestaltung ermöglicht, um wiederum die Effizienz aller europäischen Raumfahrtprogramme zu steigern.
Das letzte Thema ist die Erkundung des Weltraums. Wie sieht die langfristige Vision für unsere europäische Raumfahrtpolitik aus, und welchen Zweck verfolgt sie? Die Entdeckung weit entfernter Regionen des Weltraums ist ein Projekt, das mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird und das sowohl langfristiger Visionen als auch Ehrgeiz erfordert
An dieser Stelle fällt mir die Rede von Präsident Kennedy ein, in der er davon sprach, dass das amerikanische Volk an einer neuen Grenze steht, die noch nicht überschritten wurde. Dieser so wichtige Schritt vom 21. Juli 1969 war in der Geschichte der Technologie unserer Zivilisation zweifellos der beste Katalysator für den Fortschritt aller raumfahrtbezogenen Branchen und selbst alltäglicher Industriezweige.
Geben Sie uns diese langfristige Vision im internationalen Kontext. Hier befinden wir uns an einem Meilenstein dieser langen Reise. Europa steht in Bezug auf die Raumfahrtpolitik an einem Scheideweg. Der Weltraum bietet von nun an viel mehr Tätigkeitsbereiche und Anwendungsgebiete. Von der Wissenschaft bis hin zur Verteidigung deckt der Weltraum umfangreiche und vielseitige Tätigkeitsfelder ab, beispielsweise den Umweltschutz oder die Entwicklung von KMU.
Wir sollten uns stärker an die Verbraucher annähern und die Verwendbarkeit und Qualität der gesammelten Daten erhöhen. Zudem sollten wir die die Führung im Raumfahrtmarkt anstreben. Wir schulden es den zukünftigen Generationen, diese europäische Raumfahrtpolitik zu festigen und die wichtigen Entscheidungen zu treffen, um im Raumfahrtbereich ein avantgardistisches und ultramodernes Europa für künftige Generationen aufzustellen.
Der Weltraum ist unsere neue europäische Grenze. Das große Geschichtsbuch liegt mit seinen unzähligen leeren Seiten offen vor uns. Europa darf nicht nur darin vorkommen, es muss der Hauptdarsteller sein. Daher ist es höchste Zeit, die Sterne zum Strahlen zu bringen.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. – (FR) Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission, Herr Verheugen, verehrte Abgeordnete! Herr Pribetich, ihre Ausführungen und Fragen waren sehr sachbezogen, und angesichts des Elans, mit dem Sie diese dargelegt und untermauert haben, wird es für mich sehr schwierig werden, mitzuhalten.
Sie waren deshalb sachbezogen, weil der Weltraum, wie Sie bereits herausgestellt haben, ein wichtiges Instrument für alle europäischen Länder ist. Diese Missionen tragen dazu bei, neues Wissen zu erlangen, sei es im Hinblick auf die Erdbeobachtung, die Ozeanografie oder die Meteorologie per Satellit. Des Weiteren wird das Wachstum durch Satellitentelekommunikation und -navigation gefördert. Diese ist diskret und unumgänglich ein fester Bestandteil unser modernes Leben geworden.
Die Raumfahrt ist ferner, wie Sie bereits angedeutet haben, ein Instrument, das es Europa erlaubt, geschlossen hinter einem gemeinsamen Ziel zu stehen und eine europäische Identität zu entwickeln. In diesem Sinne hat die französische Präsidentschaft im vergangenen Juli mit Frau Valérie Pécresse die erste informelle Sitzung der europäischen Minister für Raumfahrt in Kourou abgehalten, wo sich, wie Sie wissen, der europäische Weltraumbahnhof befindet. Mir ist bekannt, dass das Europäische Parlament bei dieser Veranstaltung von Herrn Rovsing vertreten wurde, wofür ich ihm danke.
Diese Sitzung hat es uns erlaubt, eine gemeinsame Vision für die Raumfahrt Europas festzulegen, welche die drei Hauptakteure der europäischen Raumfahrtpolitik einbezieht: die Union, die Europäische Weltraumorganisation und die Mitgliedstaaten – wobei die stärkeren Verantwortlichkeiten der Union anerkannt werden. Zusammen werden diese drei Akteure Europa auf internationaler Ebene zu einer der wichtigsten Weltraumgroßmächte machen. Dessen sind wir sicher.
Um eine europäische Raumfahrtpolitik zu Gunsten aller Europäer auszuarbeiten, müssen wir zunächst garantieren, dass alle Mitgliedstaaten der Union die Vorteile, die die Aktivitäten im Weltraum mit sich bringen, frei und gleichberechtigt nutzen können. Zweitens müssen wir die bestehenden Koordinierungsmechanismen im Raumfahrtsektor, die europäische Expertise und die Investitionen verstärken, die sowohl von der Gemeinschaft als auch von zwischenstaatlichen und nationalen Geldgebern stammen. Abschließend besteht die Notwendigkeit, die Synergie von Raumfahrtprogrammen für zivile Zwecke und für Verteidigungszwecke zu steigern.
Diesbezüglich werden die Union, die Europäische Weltraumorganisation und die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass wir einen autonomen, realisierbaren und preisgünstigen Zugang zum Weltraum nutzen, was im Hinblick auf unsere größten Partner notwendig ist. Natürlich erfordert dies eine Stärkung der Rolle der Europäischen Union im Bereich der europäischen Raumfahrtpolitik.
Es ist Aufgabe der Union, die Nachfrage nach weltraumgestützten Anwendungen zu bündeln, die Anforderungen der Nutzer zu ermitteln, Prioritäten zu setzen und für eine Kontinuität der Dienstleistungen zu sorgen. Darüber hinaus haben wir auf Ebene der Union Instrumente und Gemeinschaftsfinanzierungsprogramme entwickelt, die die Merkmale des Raumfahrtsektors – insbesondere in Bezug auf die bevorstehende finanzielle Vorausschau – berücksichtigen.
Der „Weltraumrat“ vom 26. September hat es ermöglicht, die zwei Flaggschiffprogramme Galileo EGNOS und GMES in die Erdumlaufbahn zu schießen, wenn ich so sagen darf, und deren Bedeutung zu bestätigen. In Bezug auf Galileo EGNOS kann sich die Europäische Union dazu beglückwünschen, eine erhebliche Zahl an Kooperationsverträgen mit Drittländern wie den Vereinigten Staaten, China, Israel, Südkorea, der Ukraine und Marokko unterzeichnet zu haben.
Derselbe Rat vom 26. September unterstrich die Bedeutung einer stärkeren Koordination zwischen der Kommission, der Europäischen Weltraumorganisation und den Mitgliedstaaten im Bereich Forschung und Entwicklung, insbesondere bei Satellitennavigationssystemen.
Was die GMES-Programme anbelangt, dürften auf den für den 1. und 2. Dezember anberaumten Ratssitzungen die geltenden Leitlinien aufgestellt, die Bedingungen für die Partnerschaft zwischen der Union und den Mitgliedstaaten definiert und die Legislativvorschläge festgelegt werden, die das Programm vor Ende 2009 formalisieren. Ich kann Sie bereits darüber informieren, dass der Rat die Auffassung vertritt, dass die Herangehensweise auf der Grundlage des öffentlichen Guts beibehalten werden muss, damit sich dieses Programm erfolgreich entwickelt. Des Weiteren muss auch eine Datenpolitik zügig eingeführt werden.
Zum Schluss müssen wir uns auf vier Prioritäten konzentrieren, die Herr Pribetich auch schon angesprochen hat: Die Erste betrifft den Weltraum und den Klimawandel insofern, als der Beitrag weltraumgestützter Anwendungen in diesem Bereich einmalig ist. Die Zweite bezieht sich auf den Beitrag weltraumgestützter Aktivitäten zur Lissabon-Strategie. Die Dritte deckt Weltraum und Sicherheit im Hinblick auf die Überwachung und Beaufsichtigung der europäischen Weltrauminfrastrukturen sowie das Problem des Weltraummülls auf europäischer Ebene ab. Die vierte Priorität befasst sich abschließend mit der Erforschung des Weltraums. Diese umfasst politische und globale Fragen, und Europa sollte im Rahmen eines weltweiten Programms handeln.
In dieser Hinsicht muss Europa eine gemeinsame Vision und einen langfristigen strategischen Plan entwickeln und mit anderen Ländern in einem erweiterten Rahmen der internationalen Zusammenarbeit den notwendigen politischen Dialog führen. Diesbezüglich freut sich der Rat sehr, dass die Kommission angekündigt hat, dass sie 2009 eine hochkarätige politische Konferenz über die langfristige weltweite Vision für die Erforschung des Weltraums abhalten wird.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese erneuerte Vision der europäischen Raumfahrtpolitik stellt ein neues Engagement der Mitgliedstaaten dar, ein Engagement, das sich im Interesse des beispiellosen europäischen Ehrgeizes sicherlich auch im Parlament niederschlagen wird.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. − (DE) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Pribetich sehr dankbar, dass er mir die Gelegenheit gibt, einen Beitrag zu einem sehr technischen Thema mit einer Zeile aus einem Gedicht meines französischen Lieblingslyrikers Guillaume Apollinaire zu beginnen: „Il est grand temps de rallumer les étoiles.“ Ich glaube in der Tat, dass die französische Präsidentschaft schon bis jetzt Großes geleistet hat, europäischer Weltraumpolitik den Rang in unserer Arbeit zu geben, der dieser Politik wirklich zukommt.
Wir haben große Fortschritte gemacht in den letzten Jahren, wir haben zum ersten Mal eine europäische Weltraumpolitik – das hatten wir noch gar nie. Wir haben einen Rahmen für eine gemeinsame europäische Politik, in dem die Kommission eine koordinierende Rolle spielt. Wir haben eine große Übereinstimmung erzielt, welche strategische, ökologische und ökonomische Bedeutung die Weltraumpolitik für Europa hat. Niemand widerspricht dem. Ich möchte hier die Sitzung des Weltraumrates Ende Juli im Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana besonders hervorheben, wo wir zum ersten Mal erlebt haben, dass Europa bereit ist für diesen neuen Aufbruch ins All.
Wir haben auch zeigen können, dass die Leistungsfähigkeit der europäischen Raumfahrtindustrie außerordentlich hoch ist. Wenn wir die Mittel, die Europa für Aktivitäten im Weltraum aufwenden kann, etwa mit denen, die unsere amerikanischen Freunde aufwenden, vergleichen, dann stehen wir sehr gut da. Europa ist führend in der Satellitentechnik, Europa ist führend in der Trägertechnik. Wir haben die besten Trägersysteme der Welt. Wir haben mit Kourou eine Infrastruktur, die es auch sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Wir haben mit unserem Beitrag zur internationalen Raumstation, nämlich dem Weltraumlabor, bewiesen, welch hohen Stand die europäische Weltraumtechnik hat. Ich bin auch sehr froh darüber, dass die ESA eine ganze Reihe erfolgreicher Forschungsexpeditionen in unserem Sonnensystem durchgeführt hat, die andere nicht geschafft haben.
Wir haben also überhaupt keinen Grund, uns als Europäer hinter anderen zu verstecken. Wir haben eine exzellente Kooperation zwischen der Europäischen Kommission und der ESA erreicht, die Arbeitsteilung funktioniert vollkommen reibungslos. Vor dem Hintergrund dieser reibungslosen Zusammenarbeit gibt es nicht den geringsten Grund über eine Änderung von Strukturen in diesem Bereich nachzudenken.
Es gibt aber noch Probleme, die wir lösen müssen. Wir verfügen als Europäer über keinen unabhängigen Zugang zum Weltall. Wir können Menschen nicht rauf und auch nicht runtertransportieren. Wir müssen entscheiden, ob wir hier auf Dauer von anderen abhängig sein wollen oder nicht. Ich will Ihnen nicht meine persönliche Meinung verhehlen. Europa braucht einen unabhängigen und sicheren Zugang in das Weltall. Wir werden uns auch in der Tat mit der Frage befassen müssen, was die nächsten großen Missionen in der Erforschung unseres Sonnensystems sind. Meine Meinung ist, dass diese nächsten großen Missionen nur als Aufgaben der gesamten Menschheit angesehen werden können. Wir sollten jeden nationalen oder regionalen Wettlauf vermeiden. Unsere Politik jedenfalls zielt darauf ab, hier zu einem Höchstmaß an Gemeinsamkeit zu kommen. Das wird der Gegenstand der Konferenz sein, über die Herr Minister Jouyet soeben gesprochen hat und die die Kommission im nächsten Jahr veranstaltet.
Damit das jeder versteht: Wir wollen wirklich darüber reden, was die nächste große Aufgabe jenseits der rein technischen Anwendung von weltraumgestützten Technologien ist. Was ist die nächste große Aufgabe, das nächste große Ziel, um den menschlichen Forscherdrang im Weltraum zu befriedigen? Weltraumgestützte Technik ist für unsere heutige Zivilisation, für unsere Sicherheit und für unsere Wirtschaft vollkommen unverzichtbar. Denken Sie nur an die gesamte Kommunikationstechnik oder an die Finanzmärkte. Ohne Satelliten funktioniert heute überhaupt nichts mehr.
Es ist richtig, dass es hier eine starke sicherheitspolitische Komponente gibt. Auch dem entziehen wir uns nicht. Wir haben einen regelmäßigen strukturierten Dialog zwischen dem Rat und der Kommission etablieren können – unter Einbeziehung der europäischen Verteidigungsagentur und des europäischen Satellitenzentrums. Dieser Dialog soll einer besseren Koordinierung zwischen zivilen sowie sicherheits- und verteidigungsbezogenen Weltraumaktivitäten dienen.
Was die ökologische Seite angeht, so ist das System GMES, das sich in der Entwicklungsphase befindet, die europäische Antwort auf die globalen ökologischen Krisen. Dieses System wird uns die Daten und Informationen liefern, die wir brauchen, um vorausschauend agieren und reagieren zu können, wenn Katastrophen eintreten. Insgesamt sind natürlich unsere beiden Flaggschiffprojekte – GMES und Galileo – wichtige Beiträge zur Verwirklichung der Lissabon-Strategie, denn sie sorgen dafür, dass die industrielle und technologische Basis für weltraumgestützte Anwendungen in Europa stark bleibt.
Was GMES angeht, so bin ich sehr froh, Ihnen sagen zu können, dass die Kommission erst vor wenigen Tagen auf meinen Vorschlag hin eine Mitteilung angenommen hat, die sich mit der Organisation der Finanzierung und den Fragen der Zusammenarbeit bei GMES befasst. Der Wettbewerbsfähigkeitsrat wird sich in wenigen Tagen damit befassen. Wir können sagen, GMES befindet sich auf einem guten Weg. Die ersten Demonstrationsprojekte sind angelaufen. Wir werden den Zeitplan einhalten können, soweit ich das sehe. Wir sind mit der ESA im besten Einvernehmen in Bezug auf die weltraumgestützte Infrastruktur von GMES. Die ESA hat bei der Entwicklung der europäischen Satelliten, die wir für dieses System noch brauchen, bereits große Fortschritte gemacht. Es sieht also gut aus.
Allerdings muss eines noch geregelt werden: Wir haben im Gemeinschaftshaushalt auch für GMES nur Forschungsmittel zur Verfügung. Wir haben keine operativen Mittel. Wir werden im nächsten Jahr zum ersten Mal operative Mittel in geringem Umfang brauchen, das ist mit der Haushaltsbehörde bereits geregelt. Aber wir müssen hier eine langfristige Lösung finden, denn eines ist klar: GMES ist kein System, das sich selber finanzieren wird. Es wird Einnahmen geben, aber sie werden die Kosten niemals decken. GMES ist ein Projekt europäischer Infrastruktur. Als solches muss es betrachtet werden, und da müssen wir eine langfristige Finanzierung sicherstellen.
Einen genauen Fahr- und Aktionsplan für die künftige Durchführung der GMES-Initiative werden wir im nächsten Jahr aufstellen. Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Kommission 2009 einen Vorschlag zur Finanzierung der ersten GMES-Einsätze im Jahr 2011 auf der Grundlage einer ausführlichen Folgenabschätzung und einer Kosten-Nutzen-Analyse vorlegen wird.
Über Galileo ist schon gesprochen worden. Ich will hier nur sagen, dass dank der guten Zusammenarbeit zwischen den Institutionen die Programme Galileo und EGNOS jetzt eine solide rechtliche Grundlage haben und operativ werden können. Die Umsetzung von Galileo und EGNOS liegt ebenfalls im Plan, aber es bleibt natürlich abzuwarten, ob die Vorgabe der GNSS-Verordnung, das System Galileo bis zum Jahr 2013 fertig zu stellen, auch von der Industrie eingehalten werden kann. Das wird sich im Verlauf des Bieterverfahrens zeigen.
Ich möchte ausdrücklich an die europäische Raumfahrtindustrie appellieren, die große Chance, die Galileo bietet, tatsächlich zu nutzen und mit uns aufs Engste zusammenzuarbeiten und wirklich alle Kräfte und alle Ressourcen zu mobilisieren! Galileo ist für uns eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste industriepolitische Projekt überhaupt und wir müssen dafür sorgen, dass es reibungslos funktioniert.
Dazu gehören in der Tat auch die Fragen, die in der Entschließung aufgeworfen werden: Die Wettbewerbsfragen, die im Zusammenhang mit internationalen Handelspraktiken und den öffentlichen Beschaffungsmärkten auftreten. Es ist tatsächlich so, dass unterschiedliche internationale Regelungen die Vergabepraktiken im Raumfahrtbereich bestimmen. Diese Praktiken unterscheiden sich je nach dem, ob es sich um Dienstleistungen oder um Waren handelt, vor allem aber auch danach, welche Länder die entsprechenden Abkommen unterzeichnet haben. Die Kommission ist im Rahmen der Auslobung der Galileo-FuS-Phase strikt nach dem Prinzip der Reziprozität vorgegangen, und wir hoffen, dass wir den Verhandlungen mit Drittländern über eine gegenseitige Marktöffnung damit neue Impulse gegeben haben.
Ein letzter Punkt – ich bin sehr dankbar, dass das vom Parlament angesprochen wird: die Frage der Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen an europäischen Raumfahrtaktivitäten. Das liegt mir ganz besonders am Herzen, weil wir in der Tat in der großen Raumfahrt nur einige wenige europäische Akteure haben. Das sind ja nur eine Handvoll europäische Länder, die wirklich im Weltraum präsent sein können. Aber viele andere leisten Beiträge, und ich sehe mit großer Freude, dass sich zunehmend in einer Reihe von Mitgliedsländern gerade auch in neuen Mitgliedsländern eine spezialisierte Raumfahrttechnik entwickelt, kleine und mittlere Unternehmen, die manchmal hoch komplizierte, sehr fortschrittliche Dienstleistungen oder Produkte anbieten. Deshalb ist es wichtig, dass bei großen Projekten sichergestellt wird, dass bei den Aufträgen die kleinen und mittleren Unternehmen mit einem entsprechenden Anteil berücksichtigt werden, der mit 40 % vorgesehen ist, und die Kommission wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um dafür zu sorgen, dass dieser Anteil auch eingehalten wird.
Das ist nicht nur eine rein ökonomische Frage, das ist auch eine hoch politische Frage, weil wir auf diese Art und Weise erreichen, dass europäische Aktivitäten im Weltraum nicht nur als ein Privileg der wenigen großen europäischen Raumfahrtländer gesehen werden, sondern dass es verstanden werden kann als eine Maßnahme, die wir alle 27 betreiben und von der wir auch alle 27 profitieren!
Etelka Barsi-Pataky, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (HU) Danke für das Wort, Herr Präsident! Der Titel unserer Parlamentsentschließung lautet: „Den Weltraum auf den Boden der Tatsachen bringen“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Durchschnittsbürger Europas nutzt täglich 50 Satelliten. Die Nutzung des Weltraums ist fast unbemerkt Teil unseres täglichen Lebens geworden. Nun stellt sich die Frage: Kann sich Europa an diesem Prozess beteiligen und die Nutzung des Weltraums aktiv mitgestalten?
Hierzu ein paar Feststellungen. Der Weltraum ist unser gemeinsames, globales Gut. Daher ist die internationale Zusammenarbeit für Europa überaus wichtig. Allerdings kann Europa nur dann einen bedeutenden Beitrag leisten, wenn seine Autonomie im politischen, technologischen und operativen Sinne gewährleistet ist. Diese Frage ist daher für das Parlament relevant.
Angesichts der weltweiten Finanzkrise, die teilweise bereits zu einer Wirtschaftskrise geführt hat, können wir nun klar erkennen, dass Hightech-Initiativen wie die Nutzung des Weltraums unsere Wettbewerbsfähigkeit erheblich steigern.
Darüber hinaus verlassen wir uns im Hinblick auf unsere Herausforderungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben zunehmend auf die Raumfahrttechnik. Beispiele umfassen ein besseres Verständnis und die Überwachung des Klimawandels, Sicherheit durch Verteidigung, die Vermeidung zunehmender Katastrophen oder die Bereitstellung immer leistungsfähigerer Kommunikations- und Navigationssysteme.
Wie Sie sehen, haben wir es hier mit strategischen Fragen zu tun. Das Europäische Parlament möchte in diesem Prozess eine konstruktive Rolle übernehmen, und zwar in erster Linie durch die Förderung eines strukturierten Dialogs zwischen der EU und den staatlichen Einrichtungen. Unserer Ansicht nach wird dies allen Mitgliedstaaten die Gelegenheit geben, sich zu beteiligen und einen offenen und fairen Zugang zu erhalten.
Galileo, unser gemeinsames europäisches Projekt, war in vielerlei Hinsicht bahnbrechend. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Im Rahmen dieses Projekts wurde das Funktionsmodell des Interinstitutionellen Galileo-Ausschusses gegründet, um eine engere Zusammenarbeit zu ermöglichen, und für größere Projekte waren wir in der Lage, die Verankerung einer gemeinsamen Finanzierung im Gemeinschaftshaushalt sicherzustellen. Das ist jedoch erst der Anfang. Das Galileo-Programm hat, wie Herr Kommissar Verheugen bereits erwähnt hat, die Beteiligung der KMU erreicht, denn inzwischen wissen wir, dass Spin-off-Unternehmen am besten imstande sind, in der Hightech-Welt Großes zu leisten.
Die EVP-Fraktion hat unzählige Vorschläge vorgelegt, die teilweise unsere Industriepolitik betreffen, wo wir noch eine ganze Menge aufzuholen haben, bevor sie als solide Basis dienen kann. Des Weiteren müssen wir unsere Rolle im Bereich Forschung und Entwicklung stärken. Diese Kompetenzen sind übrigens auch für die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wesentlich. Auf diese Weise wird die europäische Raumfahrtpolitik Teil der europäischen Identität werden. Vielen Dank für das Wort.
Silvia-Adriana Ţicău, im Namen der PSE-Fraktion. – (RO) Satellitennavigationssysteme und satellitenbasierte Telekommunikationsnetze, -dienste und -anwendungen sind Instrumente, in die die Europäische Union investieren muss.
Die Forschung ist einer der Grundpfeiler, auf denen die Strategie von Lissabon basiert. Das GALILEO-Programm zählt angesichts seiner möglichen Nutzung für die Verkehrsführung, die Überwachung der Auswirkungen des Klimawandels und das Eingreifen bei Notsituationen und Naturkatastrophen zu den vorrangigen Projekten der europäischen Forschung.
Im vergangenen Jahr gelang es dem Europäischen Parlament zusammen mit der Kommission und dem Rat, Finanzierungsquellen für das GALILEO-Projekt zu finden, welches als eines der strategischen Projekte der Union betrachtet wurde. Ich möchte die Bedeutung der Entwicklung einer weltraumorientierten Industriepolitik unterstreichen.
Des Weiteren möchte ich Sie daran erinnern, dass die GALILEO-Verordnung Maßstäbe für die Einbeziehung von KMU in die europäische weltraumorientierte Industriepolitik setzt. Es ist für Europa an der Zeit, eine gemeinsame Vision und eine strategische Planung für die Weltraumforschung auszuarbeiten.
Anne Laperrouze, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Es scheint, dass wir uns hier alle bezüglich der Tatsache einig sind, dass die Raumfahrtpolitik zu einem wesentlichen Bestandteil der Zukunft unserer Gesellschaft geworden ist.
Wir könnten drei wichtige Argumentationsstränge zusammenfassen: Sicherheit und Verteidigung, Schutz vor Umweltkatastrophen und die Bereitstellung neuer Dienste für menschliche Aktivitäten.
Ja, meine Damen und Herren, als Europäer müssen wir anerkennen, dass der Weltraum eine strategische Verteidigungsdimension annimmt. Mir ist bewusst, dass einige meiner Kollegen dies bestreiten. Ja, die Überwachung des Planeten muss langfristig sichergestellt werden, um seine langsamen, dynamischen Veränderungen zu untersuchen – insbesondere die von Menschen verursachten Veränderungen, die sich negativ auf das globale Klima, Bodenschätze und Artenvielfalt auswirken.
Gleichzeitig benötigen zahlreiche politische Gruppierungen und Wirtschaftszweige Informationen und Prognosen aus Beobachtungssystemen im Weltraum. Daher rührt die Bedeutung der europäischen GMES im globalen GEO-Prozess. Ja, die Raumfahrtpolitik wirkt sich zunehmend auf die wissenschaftliche Forschung, auf technologische Innovationen und zudem auf die Anregung der Vorstellungskraft aus. In dieser Hinsicht nehmen die Programme zur Weltraum- und Planetenerkundung von nun an eine wichtige Rolle ein.
Telefonie und Fernsehen, GPS, aber auch Wettervorhersagen oder gar medizinische Ferndiagnosen haben unseren Lebensstil drastisch geändert. Wir können uns nicht mehr vorstellen, was passieren würde, wenn die Satelliten nicht mehr funktionieren.
Die in den Weltraumtechnologien gewonnenen Erfahrungen – vornehmlich durch den Erfolg der Ariane-Rakete – rechtfertigt an sich schon die Umsetzung einer echten europäischen Raumfahrtpolitik. Um der von uns gewünschten Unabhängigkeit Rechnung zu tragen, ist nicht nur eine verantwortungsvolle Führung, sondern natürlich auch eine gute Finanzierung erforderlich.
Schlussendlich wird die von Europa verfolgte Weltraumpolitik seine Bereitschaft unter Beweis stellen, entweder ein einflussreicher Akteur auf der Weltbühne zu bleiben, der jedoch mehr oder weniger auf eine Partnerrolle reduziert ist, oder ein starkes Europa zu sein, ein globaler Hauptakteur, der imstande ist, die Kernprobleme im Hinblick auf die Zukunft der Menschheit zu lösen.
Patrick Louis, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! In meiner ehemaligen Eigenschaft als Berichterstatter für den Verkehrsausschuss war ich vom Galileo-Projekt begeistert.
Heute stellen wir fest, dass dieses zentrale Projekt aufgrund der Omnipotenz und der technokratischen Trägheit unserer Institutionen festgefahren ist. Jedes Mal, wenn die Union eine freie und variable Zusammenarbeit zwischen den Staaten abgelehnt hat, erstickte sie private Initiativen im Keim, trieb die Kosten in die Höhe und verhinderte die Bildung konkurrierender, kompetenter und kohärenter Konsortien. Umgekehrt wurden die Projekte jedes Mal, wenn sich die Staaten frei zusammengeschlossen haben, ein Erfolg.
Daher besteht hier wie auch andernorts die Rolle unserer Institutionen darin, ergänzend mitzuwirken. Wir wollen zwar alles verwalten, sollten hingegen der Garant von Wenigem sein. Wir sollten eines im Auge behalten: In Weltraumfragen muss Europa vor allen Dingen die Füße auf dem Boden behalten.
Giles Chichester (PPE-DE). – Herr Präsident! Als Kind hatte ich den Ehrgeiz, einer der Pioniere im Weltraum zu sein – vermutlich hatten viele andere Kinder denselben Wunsch – und während meiner Jugend inspirierten mich die Bilder, die wir 1969 vom Mondlandungsprojekt sahen, ganz besonders das Bild der Erde vom Weltraum aus gesehen. Der Weltraum macht inzwischen kaum noch Schlagzeilen, aber er ist aus all den Gründen, die meine Vorredner bereits angeführt haben, äußerst wichtig, und ich begrüße das Engagement der Europäischen Union für eine Raumfahrtpolitik.
Vor einem Jahr besuchte ich das NASA Goddard Center in Washington und vor kurzem die ESA, das Zentrum der Europäischen Weltraumorganisation in Rom, und für mich machen die Bilder, die sie uns von ihrer Arbeit zeigen können, den Weltraum so aufregend wie eh und je. Tatsächlich könnte man sagen, je mehr Menschen diese Bilder sehen, desto eher werden wir es vielleicht schaffen, den Weltraum auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Aber was mir aufs Neue bewusst geworden ist, ist die Bedeutung der Weltraumnutzung für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft sowie die Bedeutung der Satelliten und der Satellitenträger.
Herr Kommissar, ich habe gehört, dass Satellitenbetreiber Bedenken im Hinblick auf die Notwendigkeit haben, internationale Abkommen über die Nutzung von Frequenzen und Satelliten-Footprints einzuhalten. Es bestehen Bedenken dahingehend, dass andere Regionen gegen internationale Vereinbarungen verstoßen werden, wenn ein Verstoß einmal toleriert wird. Mir scheint, dass eine effektive Nutzung des Weltraums entscheidend von der Einhaltung gemeinsam vereinbarter Gesetze und Grundsätze abhängt, daher hoffe ich, dass die Kommission uns und die Betreiber in diesem Punkt beruhigen kann. Wir können auf viele Errungenschaften und Vorhaben im Weltraum stolz sein.
Teresa Riera Madurell (PSE). – (ES) Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Pribetich! Meines Erachtens ist Ihr Vorschlag sehr umfassend und ausgewogen. Aus diesem Grund möchte ich Ihnen dazu gratulieren, mehr Licht ins Dunkel gebracht zu haben, sodass wir die Sterne besser sehen können.
Die Europäische Union muss ohne Frage Verantwortung für die Definition der politischen Ziele Europas auf dem Gebiet der Raumfahrt übernehmen. Sie muss dem europäischen Volk und der europäischen Wirtschaft dienen, und die Europäische Union muss einen unabhängigen und zuverlässigen Zugang zur Raumfahrt gewährleisten.
Ich freue mich auch über die Schlussfolgerungen des Rates vom September, die ein nützliches politisches Engagement zur Ausarbeitung der europäischen Raumfahrtpolitik darstellen.
Die Prioritäten müssen eindeutig auf der rechtzeitigen Umsetzung der Galileo- und EGNOS-Programme und dem GMES-Programm liegen. Diese werden dazu beitragen, die europäische Politik im Hinblick auf Umweltfragen zu bewerten und umzusetzen.
Was die Finanzierung anbelangt, so müssen wir Instrumente finden, die sich für die europäische Raumfahrtpolitik eignen und zusätzlich zu den im Siebten Rahmenprogramm aufgeführten Punkten eine mittel- und langfristige Planung ermöglichen. Die mögliche Aufnahme eines gesonderten Kapitels in den Haushalt wird das Engagement der Europäischen Union für diese Politik zeigen und im Vorgriff auf das Inkrafttreten der Bestimmungen des Vertrags von Lissabon für mehr Klarheit und Transparenz sorgen.
Janusz Onyszkiewicz (ALDE). – (PL) Herr Präsident! Ich freue mich sehr, dass wir unser Weltraumprogramm zusammen mit den Russen entwickeln. Allerdings müssen wir daran denken, dass es noch einen weiteren Partner im Hintergrund gibt, mit dem wir eine Zusammenarbeit anstreben müssen – die Ukraine. Die besten Raketen der Sowjetunion wurden in der Ukraine gebaut. Das Land besitzt auf diesem Gebiet ein enormes Potenzial. Ich denke, wir müssen dies anerkennen und es für unser aller Wohl nutzen.
Mein zweiter Kommentar bezieht sich auf das Galileo-Programm. Wir müssen uns vor Augen halten, dass dieses Programm für unsere militärischen Operationen und Missionen äußerst wichtig sein kann und sollte. Hierbei ist wichtig, dass die Nutzung dieses Systems für militärische Zwecke angemessen geschützt werden muss, um zu gewährleisten, dass andere Programmteilnehmer – ich denke dabei vor allem an China – keine entsprechenden Kenntnisse erlangen und es nicht blockieren können.
Der Präsident. – Bevor wir an den Rat übergeben, möchte ich Sie, meine Damen und Herren, darauf aufmerksam machen, dass drei Abgeordnete dieses Hauses am 5.August, also dem Geburtstag von Neil Armstrong, geboren wurden. Ich selbst gehöre auch dazu, daher weiß ich es. Ich lasse Sie nun darüber nachdenken, während wir die Stellungnahme des Rats hören.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident! Das überrascht mich nicht, und ich freue mich sehr für Sie, Sie haben es verdient!
Herr Präsident, Herr Vizepräsident der Kommission, verehrte Abgeordnete! Ich werde mich sehr kurz fassen, da hierzu bereits viel gesagt worden ist.
Zunächst haben Ihre Reden und Debatten gezeigt, dass Ihr Haus rund um das Thema der europäischen Raumfahrtpolitik mobilisiert ist. Wir suchen nach einem europäischen Projekt, das uns verbindet. Wir suchen nach europäischen Projekten, die ein echter Ansporn sind und sicherstellen, dass neue Generationen europäischer Bürger an diesem einmaligen Abenteuer teilhaben können.
Wir suchen, wie bereits betont worden ist, nach Projekten, die darauf ausgerichtet sind, das tägliche Leben unserer Mitbürger zu verbessern. Wir suchen nach Projekten, deren Zweck darin besteht, die Wettbewerbsfähigkeit auszubauen, verschiedene europäische Industriepartner zusammenzuführen und in diesen Krisenzeiten Aktivitäten zu unterstützen. Wir suchen nach Projekten, die darauf ausgerichtet sind, Forschung, Entwicklung und Innovation zu verbessern. Wir suchen nach Projekten – der Vollständigkeit halber – die die Position Europas stärken und es zu einem globalen und einflussreichen Akteur beim Umgang mit den globalen Herausforderungen machen, die uns bevorstehen, ganz gleich, ob es sich dabei um den Kampf gegen den Klimawandel, Entwicklungsfragen oder das strategische Gleichgewicht mit unseren anderen Partnern handelt.
Ich denke, dass Ihre Aussprache uns deutlich zeigt, dass wir in unseren Anstrengungen auf keinen Fall nachlassen dürfen. Im Gegenteil, wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel und all unsere Kooperationsfähigkeiten auf das symbolträchtigste europäische Projekt konzentrieren: die europäische Raumfahrtpolitik.
Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission. – (DE) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin dankbar für die breite Unterstützung für die europäische Weltraumpolitik, die diese Debatte gezeigt hat, und verbinde das mit dem Wunsch, dass diese breite Unterstützung wirksam werden möge, wenn es darum geht, die finanziellen Grundlagen für eine permanente und nachhaltige europäische Präsenz im Weltraum zu schaffen. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen: Die Konkurrenz schläft auch hier nicht. Andere Regionen in der Welt sind bereits viel weiter, auch mit der Vision, was wir als nächstes machen sollen. Wenn wir nicht in der Lage sind, neue Projekte zu finden und neue Techniken zu entwickeln, dann werden wir unsere führende Stellung bei den heutigen weltraumgestützten Anwendungen nicht halten können, weil dann einfach die wissenschaftliche Grundlage und die Forschungsgrundlage dafür fehlen.
Darum sage ich noch einmal: Ich war sehr dankbar dafür, dass das alles heute sichtbar gemacht worden ist. Wenn wir gemeinsam einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung leisten, dann in dem Sinne, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Geschichte, von der Herr Chichester gesprochen hat, erzählen, nämlich die Geschichte, dass europäische Projekte im Weltraum für uns alle ein großes einigendes Band darstellen können.
Der Präsident. - Die Aussprache ist geschlossen.
13. Konvention über Streumunition: Notwendigkeit des Inkrafttretens vor Ende 2008 (Aussprache)
Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über die mündliche Anfrage an den Rat (B6-0481/2008) über die Notwendigkeit des Inkrafttretens der Konvention über Streumunition vor Ende 2008, die von Frau Beer im Namen der Grünen/EFA-Fraktion, Frau Gomes im Namen der SPE-Fraktion, Frau Neyts-Uyttebroeck und Frau Lynne im Namen der ALDE-Fraktion, Herrn Kristovskis im Namen der Fraktion Union für das Europa der Nationen, Herrn Pflüger und Frau Zimmer im Namen der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke und Herrn Zappalà im Namen der EVP-Fraktion gestellt wurde (O-0110/2008/Rev. 1).
Angelika Beer, Verfasserin. – (DE) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 3. Dezember dieses Jahres wird es in Oslo dazu kommen, dass endlich die Konvention zur Ächtung von Streubomben unterzeichnet werden kann. In Dublin haben 107 Staaten zugestimmt, sie haben versprochen, dass sie unterschreiben werden. Unser Appell heute, zwei Wochen vor dieser Konferenz, ist weltweit: Haltet euch an eure Zusagen! Unterzeichnet, und vor allen Dingen, ratifiziert schnell!
Gerade der Krieg im Kaukasus, der Einsatz von Streubomben sowohl von georgischer als auch von russischer Seite, ist die Aufforderung an uns, keine weitere Zeit zu verlieren. Wir haben Erwartungen an die Europäische Kommission und den Rat. Wir erwarten, dass sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 3.12. der Unterzeichnung anschließen, insbesondere jene europäische Staaten, die bisher noch zweifeln, nämlich Griechenland, Lettland, Polen, Rumänien und die Republik Zypern.
Wir erwarten von der Europäischen Union, dass sie sich auch weiterhin im Rahmen des Waffenübereinkommens der Vereinten Nationen für ein rechtlich verbindliches Verbot von Streubomben einsetzt. Den unglaublichen Vorstoß der USA, Russlands und Chinas auf der letzten Genfer Konferenz, Streumunition im Rahmen der VN-Waffenkonvention zu legalisieren, verurteilen wir hier einhellig.
Wir wollen, dass wir auch zukünftig Synergien und Verknüpfungen des künftigen Übereinkommens von Oslo mit dem Ottawa-Übereinkommen überprüfen, das zur Ächtung aller Landminen abgeschlossen wurde. Mit unserer Entschließung fordern wir die Kommission auf, weitere Mittel – deutlich mehr Mittel – zur Verfügung zu stellen, um Menschen in diesen verseuchten Gebieten zu schützen und diese Streumunition zu räumen. Das gilt für den Libanon, das gilt auch für den Balkan und alle anderen Regionen. Wir haben dort keine zuverlässigen stabilen Finanzmittel. Das kann nicht sein. Wenn wir diesen Kampf ernstnehmen, muss die Kommission dort Finanzierungswege suchen.
Ich will hier für meine Fraktion noch einmal unterstreichen: Unser Ziel bleibt ein rechtsverbindliches Verbot der Anwendung, der Lagerung oder Herstellung dieser absolut inhumanen Waffen, die für Jahrzehnte eine Geißel für die Zivilbevölkerung darstellen.
Ich will auch noch einmal ganz deutlich machen, ihr Einsatz führt in Ländern – auch dort, wo die Europäische Union Polizei und militärische Kräfte im Einsatz hat wie in Afghanistan, Bosnien und im Kongo – genauso zu einer Gefährdung für unsere Mission wie auch für die Menschen selbst.
Ana Maria Gomes, Verfasserin. – (PT) Am 3. Dezember werden die Staatsoberhäupter der 107 Länder, die die Konvention über Streumunition im Mai dieses Jahres angenommen haben, in Oslo zusammenzukommen, um diese zu unterzeichnen. Die Wahl des 3. Dezember ist kein Zufall. An ebendiesem Tag im Jahr 1997 wurde die Konvention über Antipersonenminen in Ottawa zur Unterzeichnung vorgelegt. Diese Instrumente haben nicht nur ihr Unterzeichnungsdatum gemein. Es ist beschämend, dass keine der Konventionen die Unterstützung von Ländern erhalten hat, die einen Großteil der Menschheit repräsentieren, darunter die Vereinigten Staaten, China, Indien, der Irak, Pakistan, Russland und Israel.
Die Konvention von Oslo wurde in Dublin ausgehandelt, und 22 der 107 Unterzeichnerstaaten sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir hoffen, dass Zypern, Polen, Rumänien, Lettland und Griechenland ihre Vorbehalte demnächst aufgeben werden, um es damit der Europäischen Union zu ermöglichen, ihre Ablehnung dieser Waffen, die Menschen willkürlich töten und verstümmeln, durch eine geschlossene Front zum Ausdruck zu bringen.
Diese Waffen sind nicht nur unmoralisch, sie sind für militärische Zwecke zunehmend nutzlos. Die Europäische Verteidigungsagentur selbst erklärt in ihrem „Langfristigen Planungsbericht über die europäische Verteidigungsfähigkeit und die Kapazitätsanforderungen“, dass:
„man sich ernsthaft Gedanken über den künftigen Nutzen von nicht zielgerichteter Munition sowie Streubomben, Minen und anderen Waffen, die wahllos töten, machen muss.“
(PT) Die europäischen Streitkräfte, und nicht nur sie, operieren zunehmend inmitten der Zivilbevölkerung, und ihr Ziel besteht immer weniger darin, einen leicht zu identifizierenden Feind zu vernichten. Demzufolge lässt sich Streumunition nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbaren. Zudem ist ihr Nutzen begrenzt. Das internationale Recht, die moralische Verantwortung und die grundlegende militärische Logik sind sich darin einig, dass diese Waffen schnellstmöglich aus der Welt geschafft werden müssen. Daher ist es wesentlich, die weltweite Ratifizierung der Konvention von Oslo zu gewährleisten.
Annemie Neyts-Uyttebroeck , Verfasserin. − (FR) Herr Präsident, Herr amtierender Ratsvorsitzender! Ich habe diese mündliche Anfrage im Namen meiner Fraktion unterstützt, um unsere Ablehnung von Streubomben und -munition aus Gründen zum Ausdruck zu bringen, die auf der Hand liegen, und auch, um unsere Unterstützung für die Haltung derjenigen Mitgliedstaaten zu zeigen, die die Konvention über ihr Verbot befürworten.
Ich hoffe wie meine Kolleginnen und Kollegen, dass in den kommenden Wochen alle Mitgliedstaaten ohne Ausnahme diese Konvention unterzeichnen und sich daran halten werden, denn wie Sie wissen, hört man, dass einige Länder – darunter auch einige Mitgliedstaaten – entweder unter der Führung der Vereinigten Staaten oder nach deren Vorbild vorhaben, die Konvention zu umgehen, indem sie, wenn ich das so sagen darf, mit der Definition von Streubomben und -munition und deren geringerem Risiko einer unbeabsichtigten Verletzung von Menschen, die mit nicht detonierten Fragmenten in Berührung kommen, spielen.
Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Meine Fraktion hofft, dass dies nicht geschieht. Daher nutze ich die Gelegenheit, um den Rat zu fragen, welche Schritte er unternehmen will, um zu gewährleisten, dass diese Konvention in Kraft tritt.
Schließlich, Herr Minister, um auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen, habe ich gelesen, dass Sie sich in der nahen Zukunft möglicherweise neuen Herausforderungen stellen werden, wie man so sagt. Sollte dies der Fall sein, möchten meine Fraktion und ich Ihnen dafür alles Gute wünschen.
Ģirts Valdis Kristovskis, Verfasser. − (LV) Herr Präsident, sehr geehrte Vertreter der Kommission und der Präsidentschaft! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich in meinem Land während der Zeit vor unserem NATO-Beitritt fast sechs Jahre lang als Verteidigungsminister tätig war. Daher kann ich sagen, dass ich sehr gut verstehe, was es bedeutet, mit Verteidigungsmaßnahmen, den erforderlichen Waffen und Munition für sein Land zu sorgen. Allerdings habe ich in meinem eigenen Namen und im Namen der UEN-Fraktion alle Maßnahmen unterstützt, die das Europäische Parlament ergriffen hat, einschließlich der Frage des Verbots der Streumunition. Meiner Ansicht nach ist hier bereits alles gesagt worden. Allen ist klar, dass diese Waffe nicht zielgerichtet genug ist, und dass sie bisher, wie wir sehen können, hauptsächlich Zivilisten getroffen und Kinder verwundet hat.
Deshalb möchte ich sagen, dass das Europäische Parlament und auch ich glauben, dass die EU-Mitgliedstaaten eine geschlossene Haltung einnehmen und ihre gemeinsamen Kräfte dafür einsetzen sollten, zusammen für ein Verbot dieser Art von Waffen einzutreten. Andererseits möchte ich mich auch für die Einbeziehung dieser Anforderung in bilaterale Gespräche mit Ländern wie Russland, den Vereinigten Staaten von Amerika und China aussprechen, die den größten Anteil dieser Waffen in ihren Beständen haben. Meines Erachtens ist dies äußerst wichtig. Erinnern wir uns nur daran, dass erst vor kurzem während des Kriegs zwischen Georgien und Russland Russland diese Art von Streumunition bedauerlicherweise gegen georgische Zivilisten eingesetzt hat. Dies bestätigt, dass das Argument für die Beibehaltung dieser Munition in unseren Waffenarsenalen, nämlich das Argument, dass sie zur Verteidigung dient, der Kritik nicht standhält. Leider wird dieses Instrument, wie wir sehen, in anderen Ländern als offensive Waffe gegen Zivilisten eingesetzt.
Luisa Morgantini , Verfasserin. − (IT) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Streubomben sind, ganz gleich für welche Zwecke und Absichten, menschenverachtende Massenvernichtungswaffen, wenn es in einem Krieg überhaupt humane Waffen gibt.
In einer Publikation der US-Armee, Field Artillery, steht Folgendes: „Nicht explodierte Minibomben stellen ein Problem für unschuldige Zivilisten und unsere leichten Truppen, unsere abgesessene Infanterie dar, die nach dem Bombardement eines städtischen Gebiets zum Einsatz kommen“, doch nichtsdestotrotz werden sie weiterhin produziert und verwendet, und mit nicht explodierten Fragmenten verseuchte Landstriche sorgen Jahr für Jahr für Todesopfer, wie wir es auch in Georgien wieder beobachten konnten.
In der Konferenz in Oslo zur Bekämpfung des Einsatzes, der Produktion und der Lagerung von Streumunition stellte sich ein junger 24-jähriger Libanese namens Ibrahim vor, dessen Körper von Wunden übersät war und der ein amputiertes Bein hatte. Er sagte: „Ich freue mich, Sie zu sehen. Ich habe überlebt“’. Ich wäre am liebsten gestorben, aber stattdessen habe ich ihn umarmt. Ich besuchte ihn in seinem Dorf im Süden Libanons und sah von israelischen Flugzeugen abgeworfene nicht explodierte Bomben in den Innenhöfen der Häuser, der Schulen, im Gras und unter den Bäumen. Sie warfen über 1 400 000 dieser Bomben ab, erst in den letzten Tagen, nachdem der Waffenstillstand schon erklärt war. Das ist reine Grausamkeit, und ich traf in den Unfallkrankenhäusern Afghanistans viele Kinder, Männer und Frauen mit verstümmelten Körpern. Es gibt weltweit tausende Kinder, die verstümmelt sind, weil sie mit Fragmenten von Streubomben gespielt haben, die sie mit ihren bunten Farben anlockten.
In Dublin verpflichteten sich 109 Länder nach einer 10-tägigen Debatte, das Verbot der tödlichen Waffen zu unterzeichnen, den Opfern Unterstützung zu bieten und finanzielle Mittel für die betroffenen Gebieten bereitzustellen, doch das Abkommen sieht auch vor, dass alle derartigen Waffenbestände innerhalb von acht Jahren vernichtet werden müssen. Sie werden dies sicher nicht tun, solange kein starker Druck von allen Unterzeichnerstaaten der Vereinten Nationen und den Ländern erfolgt, die für die Verbrechen gegen Zivilbevölkerungen verantwortlich sind. Dazu zählen Länder wie Israel, die Vereinigten Staaten, Russland, China, Indien und Pakistan, die in Dublin nicht vertreten waren und das Verbot von Streumunition abgelehnt haben.
Der Verteidigungsminister Robert Gates hat versucht, den Widerstand der USA zu rechtfertigen. Er sagte, Streumunition sei eine wirksame Waffe gegen zahlreiche Ziele unterschiedlicher Art. Die Toten im Irak, in Afghanistan und dem ehemaligen Jugoslawien haben das am eigenen Leib erfahren dürfen. Einmal mehr zeigt Europa seine Sensibilität, indem 22 Mitgliedstaaten die Dubliner Konvention unterzeichnet haben und ihr beigetreten sind, doch es werden konkrete Maßnahmen benötigt.
Am 2. und 3. Dezember wird das Abkommen in Oslo offiziell unterzeichnet, aber seine Ratifizierung steht noch aus. Wir müssen dies rasch tun und jeden Versuch verhindern, das Abkommen zu umgehen, und meines Erachtens muss der Rat wirklich effektive politische und finanzielle Instrumente beschließen, um die Umsetzung des Abkommens zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass es keine derartigen Todesopfer mehr durch solche Vernichtungswaffen gibt.
VORSITZ: LUIGI COCILOVO Vizepräsident
Stefano Zappalà, Verfasser. − (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dies dient lediglich der Information des Ratsvorsitzes, wenn Sie dies als derzeitiger Präsident an Ihren Vorgänger weiterleiten könnten. Zuvor wurde gesagt, dass es hier in diesem Plenum drei Abgeordnete gibt, die am selben Tag Geburtstag haben wie Neil Armstrong. Tatsächlich war ein europäischer Astronaut italienischen Ursprungs zwischen 1994 und 1999 Abgeordneter dieses Hauses; und auch in dieser Wahlperiode haben wir einen europäischen Astronauten unter uns, ebenfalls ein Italiener.
In jedem Fall, um auf die Streumunition zurückzukommen, habe ich mich im Namen meiner Fraktion der Initiative zu diesem Thema angeschlossen, denn ich denke, diese Sache betrifft den Kern der Zivilisation und der Menschlichkeit. Mein Vorredner war Verteidigungsminister in einem der Mitgliedstaaten, und auch ich komme aus dem militärischen Umfeld. Ich denke, dieses Vorhaben zum weltweiten Verbot von Streumunition ist, wie ich bereits erwähnt habe, wirklich eine Angelegenheit, die den Kern der Zivilisation und der Menschlichkeit betrifft.
Warum das so ist? Die Zivilisation und die Menschlichkeit sind zwei der vielen elementaren Grundsätze der Europäischen Union; sie sind Bestandteil der Grundlage unserer Verträge, und deshalb bin ich der Auffassung, dass wir diese Sache nicht einfach nur als Ausgangspunkt verstehen dürfen. Stattdessen sollten wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen, welche Haltung die EU insgesamt in Bezug auf Munition dieser Art einnehmen sollte.
Es ist jedoch klar, was diese Waffen und diese Munition weltweit anrichten. Allen Formen des Krieges sind die Dinge, wie sie nun einmal sind, aber der schwerwiegendste Punkt ist, dass mit dem Ende des Krieges nicht alles vorbei ist. Es geht weiter, denn das Land ist verseucht und wird dies auch bleiben. Bedauerlicherweise kommt hinzu, dass Kriege auch in Ländern stattfinden, die nicht besonders fortschrittlich sind, weshalb auch auf lokaler Ebene Menschen dazu neigen, Gegenstände zu nutzen, die offen herumliegen. Diese verursachen dann den Großteil der Entstellungen, unter denen junge Menschen leiden. Aus der ganzen Welt wurden und werden uns weiterhin viele Filme zugesandt, die die Folgen des Einsatzes dieser Waffen zeigen.
Aus diesem Grund appelliere ich im Namen meiner Fraktion an den Rat und das Europäische Parlament, bei diesem Thema nicht lockerzulassen. Ich hoffe, dass all diese Arbeit zur Ratifizierung dieser Konvention führen wird, die meines Erachtens in der Tat einer der wichtigsten Aspekte der Zivilisation und der Menschlichkeit ist, für den sich die Europäische Union engagieren kann.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident, werte Abgeordnete, Frau Beer, Frau Gomes, Frau Neyts-Uyttebroeck, der ich persönlich für ihre guten Wünsche danke, Frau Morgantini, Herr Kristovskis und Herr Zappalà! Sie haben alle vollkommen Recht: Wie Herr Zappalà sagte, handelt es sich hier um ein Gebot der Zivilisation und der Menschlichkeit.
Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union teilen die humanitären Bedenken im Zusammenhang mit Streumunition. Die Europäische Union unterstützt die Annahme eines internationalen Instruments zum Verbot von Streumunition, die der Zivilbevölkerung einen nicht akzeptablen Schaden zufügt. Eben aus diesem Grund waren alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der Konferenz in Dublin vertreten, entweder als Teilnehmer – wie der Großteil der Mitgliedstaaten – oder als Beobachter. Natürlich ist die Europäische Union das Teilnehmerland; dass muss man in diesem recht komplizierten Satz verstehen.
Was die Entscheidung zur Unterzeichnung oder Ratifikation anbelangt, so ist dies eine souveräne Entscheidung, die jedem Mitgliedstaat obliegt, aber wie Frau Neyts-Uyttebroeck bedaure auch ich, dass bis Dezember nicht alle unterzeichnet haben werden.
Die große Mehrheit der Mitgliedstaaten der Union hat seine Absicht angekündigt, die Konvention in den kommenden Wochen zu unterzeichnen. Dies möchte ich herausstellen und Frau Morgantini beipflichten. Wir müssen praktische Schritte ergreifen, bevor die Konvention in Kraft tritt. In diesem Sinne hat Frankreich, das Land, das ich am besten kenne, im Mai 2008 beschlossen, unverzüglich 90 % seiner Streumunitionsbestände zu vernichten.
Wie Sie jedoch wissen, muss eine Reihe von Mitgliedstaaten noch eine solche Entscheidung treffen. Soweit die französische Präsidentschaft betroffen ist, hat sie im Mai nach der Dubliner Konferenz angekündigt, dass sie die Konvention Anfang Dezember unterzeichnen wird. Die Präsidentschaft möchte die Aufmerksamkeit aller Mitgliedstaaten auf die laufenden Verhandlungen über Streumunition im Kontext des Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können, lenken, das einzige Übereinkommen, an dem sich die größten Militärmächte – die Vereinigten Staaten, Russland, China und Indien, oder Länder wie Georgien – beteiligen wollen, was für die Konvention von Oslo nicht gilt. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Länder keine Absicht zum Ausdruck gebracht haben, diese Konvention zu unterzeichnen.
Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind dieser Konvention beigetreten und fordern die Verabschiedung eines Protokolls über Streumunition. Auch durch die in diesem Bereich eingegangenen Verpflichtungen, und Herr Kristovskis betont dies absolut zu Recht, wird es möglich sein, diesbezüglich Änderungen zu erreichen. Des Weiteren könnten durch diese Streumunition verursachten Todesopfer, wie wir es in Georgien erlebt haben, künftig vermieden werden, wenn die im Rahmen dieses universellen Übereinkommens geführten Verhandlungen erfolgreich sind.
Verehrte Abgeordnete, wie Sie sehen können, ist Streumunition eine Frage, die die Europäische Union zum Handeln zwingt, und sie muss auf internationaler Ebene weiterhin für Druck sorgen, sodass ein universelles Instrument angenommen wird. In jedem Fall wird sich die französische Präsidentschaft mit diesem Ziel im Hinterkopf sehr bemühen, alle ihre Partner zu überzeugen, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.
Charles Tannock, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident! Ich bin kein Pazifist – jeder in diesem Plenum, der mich gut kennt, würde dies bestätigen – aber im Hinblick auf Kriegsführung und Waffenhandel gibt es vieles zu bedauern. Streumunition ist für mich eine der furchtbarsten Arten, Krieg zu führen, der ohnehin nur als allerletztes Mittel eingesetzt werden sollte.
Es gibt viele Beweise, die darauf schließen lassen, dass diese Waffen die Zivilbevölkerung unverhältnismäßig stark treffen, die vor allem im internationalen Völkerrecht geschützt werden muss. Streubomben können sich über ein riesiges Gebiet erstrecken und sehr lange unexplodiert am Boden liegen, wodurch sie eine tödliche Gefahr für Zivilisten darstellen, die lange nach dem Ende eines Konflikts getötet oder verstümmelt werden können.
Auch ihre Lokalisierung und Beseitigung ist kostspielig, und sie können nicht auf dieselbe Weise aufgespürt werden wie ein Minenfeld. Manchmal werden sie von Kindern aufgelesen, die sie für Spielzeuge halten und als Folge Gliedmaßen oder sogar ihr Leben verlieren. Für mich als Vater sehr kleiner Kinder gibt es nur wenige Dinge, die ich abscheulicher finde.
Wenn wir ernsthaft eine Europäische Union der gemeinsamen Werte schaffen und diese Werte mit der ganzen Welt teilen wollen, müssen wir eine geschlossene Haltung zur Förderung eines Verbots dieser schrecklichen und entsetzlichen Waffen einnehmen, die verheerende Auswirkungen auf dem Schlachtfeld haben.
Wir müssen ferner alle verfügbaren diplomatischen Mittel nutzen, um andere davon zu überzeugen, dasselbe zu tun. Wir als Europäisches Parlament, können zu Recht stolz auf unsere Bemühungen sein, die Welt von der Geißel der Antipersonenlandminen zu befreien. Wir müssen mit derselben Energie und demselben Engagement an dieses Thema der Streubomben herangehen, um eine bessere, menschlichere Welt zu schaffen, in der unschuldige Zivilisten nicht unter den Folgen eines bewaffneten Konflikts leiden müssen.
Richard Howitt, im Namen der PSE-Fraktion. – Herr Präsident! Heute appellieren wir an diejenigen EU-Länder, die gegenwärtig nicht vorhaben, die Konvention gegen Streumunition zu unterzeichnen, dies doch noch zu tun. Zypern, Estland, Finnland, Griechenland, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik und Slowenien, zusammen mit den EU-Beitrittskandidaten Serbien und Türkei, bitte schließen Sie sich den anderen EU-Ländern und den über einhundert Staaten weltweit an und unterzeichnen Sie diese Konvention.
Für wen richten wir diesen Appell an Sie? Für Suraj Ghulam Habib aus Herat in Afghanistan, der im Alter von sechs Jahren beide Beine verlor, als er eine Streubombe fand, die er für etwas Essbares hielt. Für ihn ist es nun fast unmöglich, die Schule zu besuchen oder mit seinen Freunden zu spielen, denn er sitzt im Rollstuhl. Für Frau Chanhthava aus dem Bezirk Sepone in Laos, die ein Bein verloren und einen Teil ihrer Sehkraft eingebüßt hat, weil sie versehentlich auf eine Streubombe getreten ist, während sie in den Reisfeldern arbeitete, um Essen für ihre Familie zu beschaffen. Nun muss sie ihre Tochter in dieselben gefährlichen Felder schicken, um Reis zu ernten. Für den 13 Jahre alten georgischen Jungen Beka Giorgishvili, der in diesem Jahr im Haus eines Freundes eines der neuesten Opfer wurde, als er seinem Freund dabei behilflich war, seinen neuen Fahrradreifen aufzupumpen. Beka verlor einen Teil seines Schädels, und die Granatsplitter konnten nicht entfernt werden.
Es ist eine Heuchelei von Seiten der EU-Länder, die russische Aggression gegenüber Georgien zu verurteilen, nicht aber die Mittel dieser Aggression, die Zivilisten über die Maßen schädigen, wo immer Streumunition eingesetzt wird. Auch ist es eine hohle Ausrede für Länder, zu versuchen, die Lagerung von Streubomben als Teil der Einhaltung des Verbots von Landminen zu rechtfertigen, obwohl Streumunition ebenso tödlich ist und sogar noch größere humanitäre Schäden in der Welt angerichtet hat.
Mein eigener Mitgliedstaat, Großbritannien, hat bereits mit der Vernichtung von rund 30 Millionen Sprengkörpern begonnen, seine Exportkontrollbestimmungen geändert und direkt zur Waffenbeseitigung beigetragen, auch von Streumunition in Georgien. Diese Waffen wurden zuerst von deutschen und sowjetischen Streitkräften im Zweiten Weltkrieg in Europa eingesetzt. In Europa werden derzeit schätzungsweise eine Milliarde Minibomben gelagert, und es ist Europa, das die weltweite Führung bei der Vernichtung dieser Bomben übernehmen sollte.
Elizabeth Lynne, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident! Wie bereits viele meiner Vorredner gesagt haben, werden Zivilisten, darunter viele Kinder, Tag für Tag wahllos durch Streubomben getötet oder verletzt. Zahlreiche dieser Kinderopfer erleiden durch Streumunition Behinderungen und müssen den Rest ihres Lebens damit leben. Da schockiert es, dass in mehr als 15 EU-Mitgliedstaaten Streumunition eingelagert wird. Dies ist der erschreckende Beweis dafür, dass mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten nach wie vor diese Waffen produzieren. Meines Erachtens haben diese Länder wie auch diejenigen, die sie eingesetzt haben – darunter auch mein eigenes Land Großbritannien – Blut an ihren Händen.
Ein Verbot der Produktion, des Verkaufs und der Lagerung von Streumunition wird viele Leben retten. Diese Konvention wird darüber hinaus die Bereitstellung dringend benötigter Hilfsmittel gewährleisten, darunter ärztliche Versorgung und Rehabilitationsmaßnahmen für Opfer von Streubomben. Ich appelliere dringend an alle EU-Mitgliedstaaten, diese Konvention zu unterzeichnen und zu ratifizieren und nicht nach einer neuen Definition dafür zu suchen, was genau wir unter Streumunition verstehen, um sich damit aus ihrer Verantwortung zu stehlen, wie es von bestimmten Mitgliedstaaten versucht wird.
Seán Ó Neachtain, im Namen der UEN-Fraktion. – (GA) Herr Präsident! Ich unterstütze ganz klar den Vorschlag, der fordert, dass die Konvention zum Verbot von Streubomben ab Ende dieses Jahres umgesetzt wird.
Alle Regierungen, die die Erklärung von Oslo von 2007 umsetzen, sind dazu bereit, vor Ende 2008 ein Rechtsdokument zu entwerfen, das dem Einsatz von Streubomben ein Ende setzen würde, das ein System zur Förderung der Kooperation und der Hilfe für diejenigen schaffen würde, die bisher vor dieser Art von Angriff geflüchtet sind, und das für die Vernichtung vorhandener Bestände an Streubomben sorgen würde.
Ich bin sehr stolz darauf, dass es in meinem eigenen Land Irland – in Dublin – während einer internationalen Tagung Anfang dieses Jahres zu einer Einigung über dieses Abkommen kam. All diejenigen, die daran teilnahmen, hatten eine sehr klare Vorstellung darüber, was sie auf dieser Tagung erreichen wollten – ein sofortiges Verbot von Streubomben. Wie es meine Kolleginnen und Kollegen bereits getan haben, möchte auch ich die anderen Länder, die bislang noch nicht unterzeichnet haben, dazu auffordern, dies jetzt zu tun.
Wir müssen diese furchtbaren Waffen ein für alle Mal aus der Welt schaffen.
Satu Hassi, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist eine gute Sache, dass die Konvention über Streumunition zu Stande gekommen ist. Es ist äußerst wichtig, dass alle EU-Mitgliedstaaten der Konvention beitreten, auch Finnland, Griechenland und Polen. Andernfalls bieten wir anderen Ländern eine allzu einfache Ausrede dafür, diese unmenschlichen Waffen weiterhin einzusetzen.
Ich bedaure sehr, dass mein eigenes Land Finnland beabsichtigt, die Konvention nicht zu unterzeichnen. Die Rechtfertigung dafür ist, dass Streumunition zu dem Zweck erworben wurde, eine andere menschenverachtende Waffe, die Antipersonenmine, zu ersetzen. Das ist jedoch so, als wolle man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Ende der 1990er Jahre, als die damalige finnische Regierung beschloss, ihre Antipersonenminen zu vernichten, sagte die Armee nicht, dass sie diese durch Streumunition, eine andere Methode zur Tötung von Zivilisten, ersetzen würde.
Die EU und alle EU-Mitgliedstaaten müssen nun in ihrer Ablehnung von Streumunition und einer Beteiligung an militärischen Operationen, in denen diese zum Einsatz kommt, Konsequenz zeigen. Man schätzt, dass ganze 98 % der Opfer von Streubomben Zivilisten sind. Wir verfügen über eine mehr als 20-jährige Erfahrung mit diesen Waffen und wir wissen, dass sie wahllos Zivilisten töten, darunter auch Kinder. Es ist nun an der Zeit, dem ein Ende zu bereiten.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Herr Präsident, verehrte Abgeordnete! Ich muss Ihnen aufrichtig sagen, dass ich wirklich stolz darauf bin, an dieser Aussprache über Streumunition teilgenommen zu haben, und im Namen der Präsidentschaft schließe ich mich all denen an, die die Ratifizierung der Konvention gefordert haben.
Die Europäische Union hat bereits 2007 die Dringlichkeit anerkannt, mit der diese humanitären Bedenken in Bezug auf Streumunition angegangen werden müssen. Mir ist bewusst, dass die Mitgliedstaaten der Union eine aktive Rolle sowohl im Prozess von Oslo als auch im Rahmen des Übereinkommens über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen übernommen haben. Unseres Erachtens verstärken sich dieses Übereinkommen über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen und der Prozess von Oslo gegenseitig, und es ist Ihrem Haus und den Rednern zu verdanken, dass sie uns an die Werte erinnert haben, an die die Europäer glauben. Wir appellieren an alle Mitgliedstaaten, aus den Gründen zu handeln, die Sie – besser als ich – im Verlauf dieser Aussprache in bewegenden Worten dargelegt haben.
Der Präsident. − Ich habe zwei Entschließungsanträge erhalten(1), die gemäß Regel 108(5) der Geschäftsordnung eingebracht wurden.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Proinsias De Rossa (PSE), schriftlich. – Ich appelliere dringend an alle EU-Mitgliedstaaten, die Konvention über Streumunition umgehend zu ratifizieren und umzusetzen. Streumunition verbreitet weltweit unsagbaren und wahllosen Schrecken unter der Zivilbevölkerung, erst kürzlich wieder im Georgienkonflikt.
Die Konvention über Streumunition verbietet den Einsatz, die Produktion, die Einlagerung und den Verkauf von Streumunition. Die Konvention wurde im Mai dieses Jahres von 107 Staaten auf einer Konferenz in Dublin angenommen. Allerdings tritt sie nicht in Kraft, solange sie nicht von mindestens 30 Staaten ratifiziert worden ist.
Ich kann einfach nicht glauben, dass acht EU-Mitgliedstaaten auf absehbare Zeit nicht die Absicht haben, die Konvention zu unterzeichnen. Somit schafft es die EU, das erfolgreichste Friedensprojekt aller Zeiten und eine Gemeinschaft, die auf den Grundsätzen der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit aufgebaut ist, nicht, sich für eine Erweiterung des internationalen humanitären Rechts auszusprechen, damit eine der derzeit heimtückischsten Waffen gegen die Zivilbevölkerung verboten wird.
Ich appelliere an Zypern, Estland, Finnland, Griechenland, Polen, Rumänien, die Slowakische Republik und Slowenien, die Konvention über Streumunition unverzüglich zu ratifizieren und dazu beizutragen, den Einsatz von Streubomben zu unterbinden.
Tunne Kelam (PPE-DE), schriftlich. – Wir müssen bedenken, dass Streumunition zu den Waffen zählt, die den größten Schaden anrichten, da sie keinen Unterschied machen zwischen militärischen und zivilen Zielen.
Heute, im 21. Jahrhundert, darf Kriegsführung nicht länger vom Gedanken der Verwüstung oder des Maximalschadens geleitet werden. Gezielte Angriffe mit minimalen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung darf die einzige Handlungsoption in einer Kriegssituation sein. Aus diesem Grund muss Streumunition klar abgelehnt und verboten werden.
Ich appelliere an die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, insbesondere andere Länder weltweit dazu zu drängen, diese Konvention am 3. Dezember dieses Jahres zu unterzeichnen. Ferner fordere ich die EU und ihre Mitgliedstaaten dazu auf, uns zu der effizienten und schnellstmöglichen Umsetzung dieser Konvention zu verpflichten. Des Weiteren rufe ich die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, sich nicht nur mit den technischen Aspekten der Konvention zu befassen, sondern in den Gebieten ernsthaft Hilfe zu leisten, in denen Streumunition zum Einsatz gekommen ist, die betroffenen Gesellschaften zu unterstützen sowie effektive und maßgeschneiderte Hilfe für diejenigen Zivilisten bereitzustellen, die aufgrund der Streumunition Schaden genommen haben.
Der Präsident. − Als nächster Punkt folgt die Fragestunde (B6-0484/2008). Folgende Anfragen wurden an die Kommission gerichtet.
Erster Teil
Anfrage Nr. 33 von Stavros Arnaoutakis (H-0800/08)
Betrifft: Information der Bürger über EU-Maßnahmen zu ihrem Schutz angesichts der internationalen Finanzkrise
In der Plenartagung des Europäischen Parlaments im März 2008 hat die Kommission als Antwort auf die mündliche Anfrage H-0075/ 08 über die Auswirkungen der internationalen Kreditkrise)(1) mitgeteilt, es sei mit einem Rückgang des Wachstums in der EU um 0,5 Prozentpunkte, einem Anstieg der Inflation sowie einem Außenhandelsdefizit in Höhe von 185 Milliarden Euro für die 27 EU-Staaten zu rechnen. Die Kommission betonte, der beste Weg zur Bewältigung der Krise in der globalen Wirtschaft sei die Fortsetzung der Strukturreformen und der makroökonomischen Politik. Protektionismus sei keine Lösung. Heute wird deutlich, dass die Finanzkrise immer größere Ausmaße annimmt und auch Auswirkungen auf große Konzerne hat.
Hat sich an den Zahlen, die die Kommission damals angegeben hat, etwas geändert? Wie wird die Kommission die europäischen Bürger über die Auswirkungen dieser Krise informieren? Welche konkreten Maßnahmen wird sie zum Schutz der europäischen Bürger ergreifen?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Die Kommission legte am 3. November ihre Herbstprognose vor, die darauf hindeutet, dass die Aussichten für die Wirtschaft düster sind: Das Wirtschaftswachstum dürfte 2009 zu einem Stillstand kommen und in der Europäischen Union nur um magere 0,2 % steigen.
Im Verlauf von 2010 dürfte in den meisten EU-Volkswirtschaften allmählich eine Erholung einsetzen, und das Wachstum wird für die EU insgesamt voraussichtlich bei 1,1 % liegen. Infolge dessen wird in der EU für 2009 mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 7,8 % und für 2010 mit einem weiteren Anstieg gerechnet.
Allerdings erwarten wir für das kommende Jahr einen raschen Rückgang der Inflation in der EU auf 2,4 %, die 2010 voraussichtlich weiter sinkt.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die vor uns liegenden Herausforderungen nicht einfach zu meistern sein werden. Daher arbeitet die Kommission derzeit an einer umfassenden Strategie zum Umgang mit der Finanzkrise und zur Begrenzung des Konjunkturrückgangs. Die Grundlage dieser Strategie ist in der Mitteilung mit dem Titel „From financial crisis to recovery: a European framework for action“ (Aus der Finanzkrise in den Aufschwung: Ein Aktionsrahmen für Europa) dargelegt, die beschreibt, wie die EU die nächsten Phasen der Krise geschlossen und koordiniert angehen sollte.
Die Maßnahmen sollten auf drei Ziele ausgerichtet sein: Erstens, Aufbau einer neuen Finanzmarktarchitektur auf EU-Ebene; zweitens, Umgang mit den Auswirkungen auf die Realwirtschaft und drittens, Koordinierung einer globalen Reaktion auf die Finanzkrise.
Am 26. November wird die Kommission eine stärker detaillierte Version dieses EU-Konjunkturprogramms im Rahmen der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung vorschlagen. Unser Ziel besteht darin, eine Reihe zielgerichteter kurzfristiger Initiativen auf den Weg zu bringen, die dazu beitragen werden, den negativen Auswirkungen auf die breitere Wirtschaft entgegenzuwirken, gleichzeitig jedoch die mittel- bis langfristigen Maßnahmen der Lissabon-Strategie anzupassen, sodass der Krise Rechnung getragen wird.
Stavros Arnaoutakis (PSE). – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Vielen Dank für Ihre Antwort. Was wir allerdings den europäischen Bürgern heute sagen müssen, ist Folgendes: Wir reagieren auf die Kreditklemme und werden der Realwirtschaft mit Finanzspritzen unter die Arme greifen. Die Bürger Europas wünschen sich zudem, dass diese Krise eine Chance für Europa, für dessen Zivilbevölkerung ist.
Nun meine Frage an Sie: Werden öffentliche Investitionen und öffentliche Bauarbeiten in den kommenden Jahren mit Finanzmitteln gefördert?
Reinhard Rack (PPE-DE). – (DE) Frau Vizepräsidentin! Zeitnahe Information setzt rasches Entscheiden voraus. Wir haben insgesamt das Problem, dass im Zuge der Arbeiten der Kommission die Institution des Kollegialorgans im Regelfall sehr lange braucht, um diesen Apparat in Bewegung zu setzen. Gibt es hier für Geschehnisse wie die, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, besondere Regeln? Denn in anderen Fällen dauert es wirklich oft sehr lange, bis die Kommission als Kollegialorgan zu einem Ergebnis kommt.
Danutė Budreikaitė (ALDE). - (LT) Herr Präsident, Frau Wallström! Wie die Erfahrung zeigt, suchen die Mitgliedstaaten selbst einen Weg aus den Folgen der Finanzkrise und der wirtschaftlichen Rezession.
Was halten Sie von den Maßnahmen vor der Krise? Stellen Steuererhöhungen, eine Ausdehnung der Besteuerungsgrundlage und die Umsatzsteuererhöhung in einer so schweren Zeit einen wirksamen Weg aus der Krise dar?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Die wichtigste Frage ist im Moment: Was sind die nächsten Schritte für die Kommission in der kommenden Woche, um den Auswirkungen auf die Realwirtschaft tatsächlich zu begegnen?
Wir werden ein Paket vorlegen, an dem wir zurzeit arbeiten, mit dem wir die verschiedenen Politikbereiche identifizieren, in denen wir unseres Erachtens die Auswirkungen auf die Realwirtschaft kurzfristig abfedern können, während wir an den bestehenden mittelfristigen Reformprioritäten der Strategie von Lissabon festhalten. Das wird der Rahmen sein, innerhalb dem wir tätig werden. Wir hoffen, dass wir Maßnahmen finden können, die zur Steigerung der Nachfrage beitragen; auf der Nachfrageseite wollen wir den Inflationsdruck mindern und die Kaufkraft der Haushalte stärken.
Wir müssen mehr auf dem Arbeitsmarkt tun, und wie Sie sagen, Investitionen tätigen. Wir hoffen, dass dies auch den Themen und Maßnahmen im Rahmen des Energie- und Klimapakets zuträglich sein wird, denn wir werden Mittel für Investitionen benötigen. Wir hoffen, dass dies in dieser schweren Zeit Impulse setzen wird. Auf den Arbeitsmärkten zum Beispiel können Aktivierungsmaßnahmen sehr hilfreich sein.
In Beantwortung der letzten Frage möchte ich sagen, dass wir dafür eintreten, dass die Mitgliedstaaten ihre Maßnahmen koordinieren. Wir halten es für das Schlimmste, wenn jeder eine andere Richtung einschlagen und in seinem Mitgliedstaat nach seinem Gutdünken handeln würde. Wir würden uns eher wünschen, dass sie untereinander so viel wie möglich diskutieren, koordinieren und kooperieren, denn die Auswirkungen werden in der gesamten Wirtschaft Europas zu spüren sein. Wir ziehen koordinierte Maßnahmen vor.
Wie steht es mit der langen Vorlauf- bzw. Vorbereitungszeit? Sie wären überrascht. Wie ich gestern in der Aussprache über die Finanzkrise erwähnt habe, ist es der Kommission erstmals innerhalb von 24 Stunden gelungen, Vorschläge auf den Tisch zu bekommen. Wir müssen auf diese sehr ernste Krise in einer Weise reagieren, dass wir nicht zu lange brauchen, um die diversen Vorschläge auszuarbeiten.
Wir sind alle beauftragt worden oder wollten in unseren jeweiligen Ressorts sehen, wie wir helfen können, wie wir die lange Vorbereitungszeit verkürzen, die Dinge beschleunigen und dabei koordiniert und respektvoll vorgehen können. Wir versuchen, die Vorschläge so schnell wie möglich auf den Tisch zu bekommen, und wir tun alles, was in unserer Macht steht. Dies ist im Moment der Ausgangspunkt für die Kommission.
Der Präsident. − Anfrage Nr. 34 von Boguslaw Sonik (H-0850/08)
Betrifft: Unterschiedlicher zulässiger Blutalkoholspiegel für Fahrzeugführer in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
In vielen Ländern der Europäischen Union, z. B. im Vereinigten Königreich, in Italien, Irland oder Luxemburg, liegt der höchste zulässige Blutalkoholspiegel für Fahrzeugführer bei 0,8 mg/l. In der Slowakei oder in Ungarn, wo das Führen von Fahrzeugen nach dem Genuss selbst der geringsten Alkoholmenge verboten ist, würde das Führen eines Fahrzeugs unter dem Einfluss einer derartigen Menge an Alkohol eine schwere Straftat darstellen. In den Grundsätzen für das Führen von Kraftfahrzeugen, die in Polen im am 20. Juni 1997 in Kraft getretenen Straßenverkehrsrecht (ABl. 108/2005, Pos. 908 mit späteren Änderungen) geregelt sind, ist der höchstzulässige Blutalkoholspiegel für Fahrzeugführer auf 0,2 mg/l festgelegt. Wird der Wert von 0,5 mg/l Alkohol im Blut überschritten, handelt es sich bereits um eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden kann.
Beabsichtigt die Kommission im Kontext der Tendenz zur Vereinheitlichung der in der Europäischen Union gültigen Straßenverkehrsvorschriften, tätig zu werden, um den zulässigen Blutalkoholspiegel für Fahrzeugführer in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu vereinheitlichen?
Antonio Tajani, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Tatsächlich hat die Kommission 1988 eine Richtlinie über den höchsten zulässigen Blutalkoholspiegel für Fahrzeugführer vorgeschlagen, aber da zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission keine Einigung zu Stande kam, musste sich die Kommission damit begnügen, am 17. Januar 2001 eine Empfehlung zur Einführung eines maximalen Blutalkoholspiegels von 0,5 mg/ml in allen Mitgliedstaaten auszusprechen. Heute haben in der Europäischen Union lediglich drei Mitgliedstaaten, Irland, Malta und Großbritannien, höhere Grenzwerte.
Die Empfehlung der Kommission fasste darüber hinaus eine Senkung des zulässigen Blutalkoholspiegels auf 0,2 mg/ml für bestimmte Fahrzeugführerkategorien ins Auge, darunter Fahranfänger, die Gegenstand der ersten Frage sind, die der ehrenwerte Abgeordnete gestellt hat. In der Tat sind Fahranfänger die Hauptopfer der Gefahren im Straßenverkehr, weshalb es entscheidend ist, ihre Risikofaktoren so weit wie möglich zu reduzieren, beispielsweise, indem man den zulässigen Blutalkoholspiegel für diese Kategorie auf wie gesagt maximal 0,2 mg/ml begrenzt. Dies ist mit der als „Nullquote“ bezeichneten Maßnahme verknüpft, die für diese Fahrzeugführerkategorie in der von der Kommission im Oktober 2006 veröffentlichten Mitteilung dargelegt ist. Diese beinhaltet zudem eine Strategie zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verringerung der durch Alkohol verursachten Schäden.
Meine Damen und Herren! Vor diesem Hintergrund glaubt die Kommission leider nicht, dass die politischen Voraussetzungen gegeben sind, um die Verabschiedung eines Gesetzes durch die Mitgliedstaaten zu erlauben, das für eine weitere Harmonisierung des zulässigen Blutalkoholspiegels in der EU sorgen würde. Gleichwohl beabsichtigt die Kommission nicht, in einem Bereich untätig zu bleiben, der nach wie vor eine der Hauptursachen für Verkehrstote in Europa darstellt.
Die Kommission hat zu diesem Thema diverse Maßnahmen ergriffen. In erster Linie drängte die Kommission in Bezug auf Verkehrskontrollen in der Empfehlung vom 6. April 2004 darauf, die Stichproben des Blutalkoholspiegels mithilfe eines effektiven Geräts zur Messung des Alkohols im Blut zu intensivieren, das die Atemluft analysiert. Dieses Gerät sollte vor allem an Orten und zu Zeiten eingesetzt werden, an bzw. in denen regelmäßig ein exzessiver Alkoholkonsum durch Fahrzeugführer beobachtet wird.
Meine Damen und Herren, ich muss auch betonen, dass das Fahren unter Alkoholeinfluss einer der Tatbestände ist, die von dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Erleichterung der grenzübergreifenden Durchsetzung von Verkehrssicherheitsvorschriften abgedeckt werden, der im März dieses Jahres von der Kommission angenommen wurde und derzeit in Rat und im Parlament erörtert wird.
Auf der letzten Tagung des Verkehrsministerrats konnte ich dies den Ministern gegenüber deutlich machen: Angesichts von Todesfällen können wir es uns nicht leisten, uns mit juristischen Spitzfindigkeiten aufzuhalten oder darüber zu diskutieren, ob dieses Thema dem ersten oder dem dritten Pfeiler zuzuordnen ist, denn leider tragen juristische Debatten recht wenig dazu bei, so schwer wiegende Probleme wie Verkehrsunfälle anzugehen und zu lösen.
Ich möchte gerne die Gelegenheit dieser parlamentarischen Verhandlung nutzen, um herauszustellen, dass die vier in der zur Diskussion stehenden Richtlinie aufgeführten Delikte, also Trunkenheit am Steuer, Geschwindigkeitsübertretungen, Fahren ohne angelegten Sicherheitsgurt und Fahren nach der Einnahme von Betäubungsmitteln, für drei von vier Verkehrsunfälle verantwortlich sind. Dies bedeutet, dass von der Europäischen Union viel getan werden kann und muss, daher appelliere ich nochmals an das Parlament, den bereits eingeschlagenen Kurs durch die Abstimmung im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr zu halten.
Herr Präsident, ich komme nun zum Schluss. Um in naher Zukunft konkrete Vorschläge in Bezug auf das Fahren und dem Einfluss psychoaktiver Substanzen ausarbeiten zu können, hat die Kommission im Oktober 2006 ein auf vier Jahre angelegtes Forschungsprojekt gestartet, mit dem unser Wissen auf diesem Gebiet ausgebaut und Lösungen formuliert werden sollen. Hierbei handelt es sich um das DRUID-Projekt, das Ihnen allen ein Begriff ist.
Abschließend sollte die von der Kommission bereitgestellte finanzielle Unterstützung für Aufklärungskampagnen hervorgehoben werden. Dies sind insbesondere die von Jugendlichen für andere Jugendliche durchgeführten Kampagnen, um sie auf die Gefahren des Fahrens unter Alkohol- und Drogeneinfluss aufmerksam zu machen. Ein Beispiel von vielen ist die Kampagne mit der Bezeichnung „Bob“, die in ganz Europa sehr erfolgreich war. Wir sollten uns auch das Engagement der Kommission ins Gedächtnis rufen, die den Formel-1-Weltmeister 2007, Kimi Räikkönen, nach Brüssel einlud, um das Gesicht der Kampagne der Europäischen Union für Straßenverkehrssicherheit zu werden. Auch der Tag der Verkehrssicherheit in Großstädten, der am 10. Oktober in Paris stattfand, ist ein weiteres Zeichen für das enorme Engagement der Europäischen Kommission für Verkehrssicherheit. Ich machte dies während der Debatte über Vertrauen nach meiner Ernennung zum Europäischen Kommissar für Verkehr zu einer meiner Prioritäten.
Meine Damen und Herren, bedauerlicherweise kann nicht mehr getan werden, aber ich hoffe, Ihre mündliche Anfrage umfassend beantwortet zu haben.
Bogusław Sonik (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar! Ich möchte mich für Ihre Antwort bedanken und Sie dazu ermutigen, mutigere Schritte zu unternehmen. Wir müssen eine Richtlinie annehmen und aktualisieren, mit der ein absolutes Alkoholverbot am Steuer eingeführt wird. Wir dürfen uns der Lobby und dem Einfluss der Alkoholhersteller nicht beugen, und wir dürfen keine Angst vor ihnen haben. Wir haben ein Recht auf sichere Straßen, und wir sollten mit den jungen Menschen beginnen. Wir müssen diese Projekte mutig angehen.
Jörg Leichtfried (PSE). – (DE) Herr Vizepräsident! Ich möchte die kurze Gelegenheit für zwei Fragen nutzen. Erstens, Sie haben gesagt, das politische Umfeld für eine derartige Verordnung sei noch nicht ganz gegeben. Meine Frage ist: Wo sind die größten Widerstände? Sind sie bei einzelnen Staaten oder sind sie bei großen Lobbys? Was hindert die Kommission daran, hier etwas zu unternehmen?
Meine zweite Frage: Immer mehr Studien zeigen, dass das Rauchen im Auto sehr gefährlich ist. Einerseits ist es sehr ungesund und andererseits lenkt es ab und macht müde. Meine Frage ist, ob es auch in dieser Richtung Überlegungen der Kommission gibt, auf europäischer Ebene etwas zu unternehmen.
Colm Burke (PPE-DE). – Meine Frage betrifft Irland, wo eine große Anzahl Jugendlicher als alleinige Insassen von Fahrzeugen in tragische Verkehrsunfälle verwickelt gewesen sind.
Ich möchte gerne wissen, ob es in Europa Studien zu diesem Thema gab und ob wir das Programm zur Verkehrserziehung junger Menschen wieder ins Leben rufen könnten. Es muss viel mehr getan werden, und ich möchte Sie bitten, dieses Erziehungsprogramm so schnell wie möglich wieder aufzunehmen.
Antonio Tajani, Vizepräsident der Kommission. − (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielen Dank für die vorgelegten Anfragen, denn diese machen es erst möglich, den Standpunkt der Europäischen Union weiter zu klären.
Herr Leichtfried, Sie haben zu Recht über die politischen Probleme gesprochen, die wir vorgefunden haben. Diese beziehen sich auf die Mitgliedstaaten, doch wir haben mit Bedauern gesehen, dass der Kommissionsvorschlag trotz enormer Anstrengungen abgelehnt wurde. Trotz der fehlenden Einigung mit den Mitgliedstaaten über den Vorschlag für eine Richtlinie haben wir insistiert und werden dies auch künftig tun. Ich wiederhole nun, was ich in der Anhörung gesagt habe, in der ich das Vertrauen der Kommission und des Parlaments gewonnen habe: Ich werden die Verkehrssicherheit weiterhin zu einer meiner Prioritäten machen.
Ich habe vor, auch künftig alle DRUID-Projekte und -Programme – das ist meine Antwort auf die Frage des ehrenwerten Abgeordneten – in Bezug auf das Thema der Bereitstellung von Informationen für junge Menschen und deren Verkehrserziehung zu unterstützen. Dies sollte eine Priorität sein. Es sind nicht die Instrumente, die Unfälle verursachen, wobei es natürlich wichtig ist, dass diese sicher sind. Sichere Straßen sind wichtig, und dieses Parlament hat beschlossen, gemeinsam mit der Kommission bestimmte Entscheidungen in Bezug auf die Infrastruktur zu treffen, doch das Hauptproblem ist die Erziehung derjenigen, die hinter dem Steuer oder auf einem Motorradsattel sitzen.
Wir haben die Pflicht, mit der Verkehrserziehung der jungen Menschen zu beginnen, daher bin ich voll und ganz Ihrer Meinung, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um sicherzustellen, dass die Programme zur Verkehrserziehung junger Menschen in den Schulen stets von der Europäischen Union und der Kommission finanziert werden. Meine Damen und Herren! Nicht zufällig habe ich den früheren Weltmeister, einen jungen Mann, als Zeugen für die Kommission gewählt.
Wir sollten den Kontakt zu jungen Menschen suchen, und zwar durch junge Menschen, die nicht wie ein Familienoberhaupt predigen, sondern erklären können, wo die Gefahren liegen. Wenn er aus der Disko kommt, denkt jeder Jugendliche, ihm könne nichts passieren. Leider ist dies nicht der Fall, und wir müssen mit Schulen und Familien zusammenarbeiten, damit allen jungen Menschen die Gefahren vor Augen geführt werden, denen sie jedes Mal ausgesetzt sind, wenn sie sich ans Steuer setzen, insbesondere dann, wenn sie Alkohol trinken oder Drogen nehmen.
Was das Rauchen angeht, so werde ich die Dienststellen der Kommission anweisen, zu untersuchen, ob es für Raucher tatsächlich zusätzliche Risiken gibt. Ich kann Ihnen da keine Antwort geben, weil ich es vom wissenschaftlichen Standpunkt nicht weiß. Ich werde aber, wie gesagt, die Dienststellen beauftragen, dies zu prüfen.
Ich glaube, dass ich auch Herrn Sonik mit der Bestätigung meines Engagements eine Antwort gegeben habe, und ich denke, dass ich im Namen der Kommission – Vizepräsidentin Wallström ist auch für die Kommunikation zuständig – zusichern kann, dass wir alles tun werden, um den Bürgern, vor allem den jungen Menschen, die noch Fahranfänger sind, Informationen über die Risiken und Gefahren zu übermitteln, denen sie in einem Auto ausgesetzt sind.
Der Präsident. − Anfrage Nr. 35 von Katerina Batzeli (H-0861/08)
Betrifft: Interinstitutionelle Vereinbarung „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“
Am 22. Oktober 2008, unterzeichneten Vertreter des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Rates die in der Geschichte der EU erste politische Erklärung über eine interinstitutionelle Zusammenarbeit im Hinblick auf die Kommunikation über die Prioritäten der EU. Diese Vereinbarung ist von höchster politischer Bedeutung, da damit eine wirksame Lösung für das große demokratische Problem des Informationsdefizits der europäischen Bürger angestrebt wird und sie außerdem – im Vorfeld der Wahlen in der EU – zu einem kritischen Zeitpunkt kommt.
Was werden die Prioritäten und die grundlegenden Botschaften der gemeinsamen Kommunikationspolitik der EU für das kommende Jahr, insbesondere im Vorfeld der Wahlen sein?
Wie wird die Zusammenarbeit zwischen den drei Gemeinschaftsorganen im Hinblick auf die gemeinsame Auswahl der Prioritäten und Ziele der Kommunikationspolitik sowie ihre Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gefördert werden? Wie wird sich insbesondere die Beziehung zwischen der Kommunikationspolitik der Gemeinschaft und der Kommunikationspolitik der Mitgliedstaaten über EU-Themen ausgestalten?
Welche Mittel werden zugewiesen werden, um die neue Kommunikationspolitik der Gemeinschaft durchzuführen, und welche Rolle werden die neuen Kommunikationstechnologien spielen? Welche Rolle wird in diesem Zusammenhang der Vielsprachigkeit zukommen?
Welche Gemeinschaftsmittel werden eingesetzt werden, um Einzelaktionen im Rahmen der neu geschaffenen Kommunikationspolitik zu finanzieren?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Parlament, Kommission und Rat haben ihre Zusammenarbeit zur EU-Kommunikation verstärkt und am 22. Oktober dieses Jahres die politische Erklärung zur Partnerschaft für die Kommunikation in Europa unterzeichnet. Vielen Dank für Ihre intensive Unterstützung bei diesem Thema. Wir haben uns hier erstmals auf einen gemeinsamen Kommunikationsansatz geeinigt.
Kommunikation ist effizienter und effektiver, wenn sie zu besonders wichtigen Themen koordiniert erfolgt. Außerdem erfordert sie ein politisches Bekenntnis sämtlicher Akteure, auch der Mitgliedstaaten. Alle Organe haben die Verantwortung, mit den Bürgern über die Europäische Union zu kommunizieren. Jedoch – und dies möchte ich besonders betonen – respektiert die politische Erklärung auch die individuelle Verantwortung jedes EU-Organs und Mitgliedstaates für die eigenen Kommunikationsstrategie und die eigenen Prioritäten.
Gemeinsame Kommunikationsprioritäten bilden den Kern der politischen Erklärung und werden durch die Interinstitutionelle Gruppe „Information“ (IGI) unter der Leitung von Vertretern jedes Organs vereinbart. Wir haben 2009 bereits vier gemeinsame Prioritäten herausgearbeitet und vereinbart: die europäischen Wahlen, Energie und Klimawandel, den 20. Jahrestag des demokratischen Wandels in Mittel- und Osteuropa und natürlich den Erhalt von Arbeitsplätzen, Wachstum und Solidarität in Europa.
Die Umsetzung wird gemeinsam durch Parlament, Kommission und Rat sowie durch die Mitgliedstaaten sichergestellt. Deshalb möchten wir Synergien mit nationalen, regionalen und lokalen Behörden sowie Vertretern der Zivilgesellschaft entwickeln. Unsere Vertretungen und die Informationsbüros des Parlaments in den Mitgliedstaaten werden mit den nationalen Behörden an gemeinsamen Maßnahmen arbeiten, die an die nationalen Bedingungen angepasst sind. Sofern erforderlich, werden wir entsprechende administrative Vereinbarungen zwischen den Dienststellen auf EU- und nationaler Ebene treffen, und die Maßnahmen werden entsprechend finanziert.
Es versteht sich von selbst, dass unsere Organe und Mitgliedstaaten in ihren Maßnahmen Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt beachten werden. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass die Kommission die Herausforderung der Mehrsprachigkeit sehr aktiv angeht. U. a. wurden unseren Vertretungen in den Mitgliedstaaten Übersetzer zugeteilt, um die Bedürfnisse vor Ort zu erfüllen und dazu beizutragen, dass europäische Angelegenheiten in der jeweiligen Landessprache kommuniziert werden.
Schließlich bietet die Umsetzung der gemeinsamen Kommunikationsprioritäten hervorragende Plattformen für europäische, nationale und regionale Politiker, damit sie vor den Europawahlen mit den Bürgern über EU-Themen diskutieren können. Ich hoffe, dass sich dies positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken wird.
Katerina Batzeli (PSE). – (EL) Vielen Dank, Frau Wallström, für Ihre Antwort. Erstens möchte ich erklären, dass diese interinstitutionelle Vereinbarung vor allem eine einheitliche europäische Kommunikationspolitik einführen soll, die stetig – langsam aber sicher – von allen Organen der Gemeinschaft angenommen werden muss, damit die Bürger einheitliche Informationen erhalten.
Zweitens bitte ich um Klarstellung, wie die neuen vorgeschlagenen Maßnahmen finanziert werden sollen. Werden sie in bestehende Programme integriert? Wird eine neue Linie geschaffen, so dass es ein Informationsbudget gibt? Wie werden sektorielle Programme finanziert? Wird die Kommunikationspolitik separat finanziert oder kofinanziert?
Reinhard Rack (PPE-DE). – (DE) Frau Vizepräsidentin! Papier ist geduldig, aber es zeigt sich zunehmend, dass es nicht sehr informativ ist. In der Informationspolitik sind die elektronischen Medien – Fernsehen und Internet – eigentlich diejenigen, die man bevorzugen muss. Daher meine Frage: Ist dieser Trend auch in der derzeitigen Politik zu sehen? Zweitens: Es hat mich gefreut, dass vor allem die lokalen und regionalen Fernsehanstalten hier eingebunden werden sollen. Das ist vernünftiger, als das Defizit der großen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten abzudecken.
Marian Harkin (ALDE). - Ich freue mich über das, was die Kommissarin gesagt hat, ich teile jedoch auch die Bedenken des letzten Redners. Ich mache mir Sorgen, wie die Botschaft vor Ort übermittelt werden kann, und ich stimme den Aussagen über die elektronischen Medien zu.
Es besteht die reale Gefahr, dass Broschüren und Bücher in den Regalen bleiben. Ich habe dies schon so oft erlebt. Ich möchte folgende Frage stellen: Was wollen Sie tun, damit die Botschaft bei denjenigen ankommt, die daran interessiert sind? Wollen Sie gezielt Interessengruppen ansprechen, oder ist dies nur ein Pauschalansatz?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Vielen Dank für diese wichtigen Nachfragen.
Ich möchte Ihnen sagen, was ich für notwendig halte. Für den Erfolg jeder Kampagne oder Information brauchen wir fünf Elemente.
Erstens müssen wir das Internet und neue Technologien intensiv nutzen. Von der Obama-Kampagne können wir nur träumen. Ich glaube, sie hatten 1,2 Milliarden US-Dollar für ihre Informationskampagne zur Verfügung, doch der entscheidende Faktor war die Art, wie das Internet genutzt wurde. Deshalb müssen wir dies auch tun.
Zweitens müssen wir audiovisuelle Instrumente nutzen: 60 % der Bürger informieren sich vor allem mittels TV und Radio darüber, was auf EU-Ebene passiert.
Drittens müssen wir Multiplikatoren einsetzen, z. B. die Zivilgesellschaft und verschiedene Netzwerke der lokalen Behörden. Deshalb haben wir andere Gesichter und Boten, die den Mehrwert der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene kommunizieren.
Viertens müssen wir mit den „Botschaftern“ zusammenarbeiten, d. h. den Menschen, die bereit sind, für Demokratie einzutreten, und die mehr erreichen können als wir, die Politiker.
Fünftens müssen wir junge Menschen und Frauen erreichen, die tendenziell seltener zur Wahl gehen und weniger Begeisterung für die Europäische Union zeigen. Das haben uns nicht zuletzt die Referenden in Irland und zuvor in Frankreich und den Niederlanden gezeigt.
Diese Dinge sind notwendig.
Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Welches Budget steht uns zur Verfügung? Wir haben etwa 8,5 Millionen Euro in unserem Haushalt für das kommende Jahr identifiziert, die zur Finanzierung zentraler und dezentraler Maßnahmen im Zusammenhang mit den Wahlen im nächsten Jahr bereitstehen. Unsere Vertretungen wurden angewiesen, den Großteil ihrer bescheidenen Kommunikationsbudgets für die Wahlen zum Europäischen Parlament zur Verfügung zu stellen, und sie haben tatsächlich von den dezentralen Geldern, die ihnen zur Verfügung stehen, 60 % dieser Aufgabe zugewiesen. Wir führen jetzt auch Treffen auf technischer Ebene mit unseren Dienststellen im Parlament durch, um die Erfahrungen zu den verschiedenen Maßnahmen in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu vergleichen.
Dieses Jahr haben wir für die Wahlen Maßnahmen über ca. 6,2 Millionen Euro geplant. Wir haben Projekte, die sich an junge Menschen richten, wir haben spezielle Eurobarometer usw. Es stehen auch Gelder für die Kommunikation zu Strukturfonds, Landwirtschaft und Forschung in jedem Politikbereich zur Verfügung, dafür haben wir jedoch keine zusätzlichen Mittel oder Sondermittel vorgesehen. Ich habe alle meine Kollegen beauftragt, die Wahlen in ihre Kommunikationspläne zu integrieren. Sie werden mir berichten, wie dies erfolgt.
Der Haushalt für nächstes Jahr ist noch nicht abgeschlossen, daher gibt es noch die Möglichkeit für zusätzliche Mittel – daran können wir heute arbeiten. Es gibt also keine überschüssigen Mittel, wir müssen jedoch die bereits vorhandenen Kanäle nutzen. Wir werden auch das Europäische Parlament mit all unseren Ressourcen und über unsere üblichen Maßnahmen so gut wir können unterstützen, z. B. mithilfe der Erstellung von audiovisuellen Materialien und Videoclips auf EUtube. Wir werden dafür sorgen, dass all das, was wir täglich tun, dazu beiträgt, Wähler zu mobilisieren und gute und lebhafte Diskussionen zu den Wahlen zum Europäischen Parlament anzuregen.
Zweiter Teil
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 36 von Marie Panayotopoulos-Cassiotou (H-0809/08)
Betrifft: Information der Europäer über die Teilnahme an den Europawahlen
Die in letzter Zeit äußerst instabile Situation der Weltwirtschaft, die eine Bewährungsprobe für die internationalen und europäischen Bankensysteme darstellt, hat zu großer Sorge bei den einfachen europäischen Bürgern geführt, die miterleben mussten, dass keine Lösungen auf EU-Ebene vorgeschlagen wurden und unter diesen kritischen Umständen kein Zeichen europäischer Solidarität wahrzunehmen war.
Welche Maßnahmen und Aktionen schlägt die Kommission zur Information der europäischen Bürger über europäische und nationale Maßnahmen und Lösungen in Zeiten einer Krise und außergewöhnlicher politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen vor? Wie soll die Information vor den Wahlen aussehen und wie sollen die Europäer zur Teilnahme an den Europawahlen bewogen werden, zumal angesichts der ungünstigen Entwicklung in für die EU wichtigen Fragen der internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Ich weiß sehr gut, dass die Finanzkrise und ihre Auswirkung auf die Realwirtschaften für viele Europäer Anlass zu großer Sorge bietet und sich somit auch besonders stark auf die europäischen Wahlen auswirken wird. Es erstaunt daher nicht, dass die meisten Menschen den Wahlkampf auf Wirtschaftsthemen fokussieren möchten, die ihr tägliches Leben betreffen, z. B. Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Inflation und Kaufkraft. Jüngere Meinungsumfragen zeigen auch, dass die Menschen von der EU jetzt Schutz vor der Krise erwarten und sich wünschen, dass die EU für globale Regulierungen sorgt.
Die Kommission trägt den Entwicklungen Rechnung. Am 29. Oktober haben wir ein Rahmenprogramm verabschiedet, das sich sowohl mit der Krise auf den Märkten und einer Vermeidung künftiger Krisen durch Reformen der Economic Governance als auch einer Minimierung der Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Wachstum befasst. Folgevorschläge sind in Vorbereitung und bilden die zentralen strategischen Prioritäten für unser Legislativ- und Arbeitsprogramm für 2009, das wir dem Parlament gestern vorgelegt haben und zu dem eine Aussprache stattfand.
Es ist wichtig, dass Kommission, Parlament und Rat die Notwendigkeit von Maßnahmen anerkannt haben und wir den Erhalt von Arbeitsplätzen, Wachstum und Solidarität als eine der interinstitutionellen Kommunikationsschwerpunkte für das nächste Jahr vorschlagen werden. Dies wird daher eines der Thema sein, an dem EU-Organe und Mitgliedstaaten gemeinsam arbeiten werden, um die EU-Maßnahmen in diesem Bereich zu kommunizieren. Es werden Pläne erarbeitet, wie dies am besten zu tun ist.
Ich habe bereits die Wahlen zum Europäischen Parlament erwähnt, die eine weitere interinstitutionelle Priorität darstellen. Hier sind die Vorbereitungen bereits weiter fortgeschritten, da wir alle bereits seit geraumer Zeit wissen, dass dies eine Priorität sein würde.
Unsere Organe arbeiten bei allen wahlbezogenen Kommunikationsmaßnahmen eng zusammen, und die Kommission wird aktiv zu dem vom Parlament angenommenen Rahmen der Kommunikationsstrategie beitragen. Das Ziel der Kommission besteht darin, die Wahlen stärker in das Bewusstsein der Menschen zu rücken und eine Diskussion zu wesentlichen Themen der EU-Politik anzuregen. Dies wird teilweise durch die Nutzung unserer zentralen Instrumente, z. B. audiovisuelle Medien und das Internet, erreicht und durch zahlreiche dezentrale Maßnahmen ergänzt, die von den Vertretungen in jedem Mitgliedstaat in enger Zusammenarbeit mit den Informationsbüros des Parlaments organisiert werden.
Dies alles soll den Menschen bewusst machen, dass der Wähler die Wahl zwischen verschiedenen politischen Visionen für Europa hat und sich seine Entscheidung auf das Leben unserer Bürger enorm auswirkt.
Marie Panayotopoulos-Cassiotou (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich danke der Vizepräsidentin für ihre Antwort. Ich hoffe, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden, weil zwischen Vorschlag und Umsetzung ziemlich viel Zeit liegt, ein bürokratisches Verfahren durchlaufen wird und ich nicht weiß, ob die Zeit vor den Wahlen reicht, damit die Bürger die Ergebnisse sehen.
Die Finanzierung und die Informationsstrategie können auch zu einem gegenteiligen Ergebnis führen, daher müssen wir besonders darauf achten, dass wir keinen wunden Punkt bei unseren Bürgern treffen. Sie wollen nicht, dass unnötig Geld für die von Ihnen erwähnten Veranstaltungen, Publikationen und dezentralen Maßnahmen verschwendet wird.
Die Aussprache ist auch nicht immer überzeugend. Wir sollten deshalb die uns zur Verfügung stehenden Mittel realistisch einschätzen und ehrlicher zu den Bürgern sein.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Frau Wallström! Glauben Sie, dass sich die Frage der Nähe oder Ferne der Wähler zu den Kandidaten auf die Beteiligung an den europäischen Wahlen auswirken wird? Finden Sie auch, dass ein Staat mit 45 Millionen Einwohnern nur einen Wahlbezirk für die Wahlen zum Europäischen Parlament haben sollte? Was kann die Kommission tun, damit Staaten mit einer größeren Bevölkerungszahl Wahlbezirke haben, die sich näher bei den Menschen befinden?
Gay Mitchell (PPE-DE). – Ich möchte der Vizepräsidentin der Kommission nur sagen, dass wir einen Blick auf die Situation in verschiedenen Ländern werfen sollte: Dänemark, wo jetzt über eine mögliche Einführung des Euro gesprochen wird, Island, wo das Land auseinander gerissen wurde, und Schweden, wo man wieder eindeutig an eine Einführung des Euro denkt.
Wer sagt beispielsweise den Menschen in Irland, dass sie diesem Sturm viel besser als die anderen Länder widerstehen konnten, weil sie den Euro hatten und unter dem Schutz der Europäischen Zentralbank standen? Ist es nicht Zeit, dass wir jetzt für die Europäische Union werben? In dieser Woche haben Mitglieder des Europäischen Parlaments aus Irland in diesem Haus negative Bemerkungen zur Europäischen Union gemacht. Wer macht positive Bemerkungen und streicht die guten Dinge für uns heraus, damit die Menschen die Vorteile der Zugehörigkeit zur Europäischen Union und zum Euro erkennen?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Ich habe versucht, meinen Teil beizutragen, und habe Irland letzte Woche einen Besuch abgestattet. Ich habe versucht zu erklären, was ich für den Mehrwert der europäischen Zusammenarbeit halte. Ich denke, die Diskussion über den Euro und weshalb es für Irland von Vorteil war, den Euro einzuführen, läuft jetzt gerade gut. Sie wirft jedoch die Grundfrage auf, wer für die Europäische Union eintreten wird. Wer wird für die Europäische Union sprechen? Wo liegt die Verantwortung? Wir können nicht erwarten, dass Brüssel dies alles übernimmt. Das muss gemeinsam und partnerschaftlich erfolgen.
Ich glaube übrigens, dass die politischen Kontoversen und Debatten gut sind, weil es verschiedene Versionen, verschiedene Programme usw. gibt. Meiner Meinung nach hilft dies, das Interesse zu wecken, und es ist letztlich auch gut für die Wahlbeteiligung. Natürlich möchten wir eine lebhafte Debatte und eine Diskussion über die europäische Agenda und europäische Themen anregen und fördern. Wir müssen alle für die EU eintreten. Deshalb bin ich stolz und glücklich, dass wir zum ersten Mal einen solchen Rahmen für eine vereinbarte Partnerschaft zur Kommunikation haben. Das hatten wir bisher noch nie.
Wir sollten also gemeinsam die Verantwortung als Befürworter der EU übernehmen und auch auf die Bedenken der Menschen in ganz Europa hören. Wir brauchen Kommunikation, nicht nur Information. Besser zuhören, besser erklären und vor Ort arbeiten – das wiederhole ich immer wieder, wenn es um Kommunikation geht. Die Kampagne wird in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich organisiert, weil sie an die nationalen Gegebenheiten angepasst werden muss. Das versuchen wir gerade. Wir versuchen auch, die Sache so stark wie möglich zu beschleunigen, doch wir müssen auch die Finanzvorschriften und sämtliche Regeln beachten. Wir müssen bei allem, was wir tun, korrekt vorgehen. Wir hatten heute ein Treffen, dem noch weitere folgen werden. Wir werden versuchen, den detaillierten Zeitplan des Parlaments zur Planung der Wahlen zum Europäischen Parlament so genau wie möglich einzuhalten.
Ich denke, dass wir bereits dieses Jahr Gelder bereitstellen und einsetzen können. Zusätzliche Ressourcen würden uns natürlich helfen, noch weitere Maßnahmen im nächsten Jahr zu organisieren. Ich möchte noch einmal wiederholen, dass wir meines Erachtens auf die breitere Nutzung audiovisueller Medien und des Internets achten müssen, damit unsere Kampagne effektiv ist und auch die jungen Menschen erreicht.
Josu Ortuondo Larrea (ALDE). – (ES) Bitte verzeihen Sie, aber ich habe nicht gehört, dass die Vizepräsidentin auf meine Fragen geantwortet hätte.
Der Präsident. − Wir haben die Antwort der Kommission gehört, verfügen jedoch nicht über die Kompetenzen oder die Kenntnisse, um die Substanz der Antwort zu beurteilen.
Anfrage Nr. 37 von Georgios Papastamkos (H-0811/08)
Betrifft: Kommunikationsstrategie der Kommission für das Referendum in Irland
Welche Kommunikationsstrategie haben die Kommission und ihre Mitglieder im Vorfeld des Referendums in Irland verfolgt?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Ich möchte betonen, dass die Europäische Kommission zu dem Vertrag von Lissabon über ihre Vertretungen und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten daran gearbeitet hat, den EU-Bürgern sachliche und objektive Informationen zu bieten. Wir haben diese Arbeit mit Kommunikations-Kits unterstützt, zu denen verschiedene Materialien wie Informationsblätter, Präsentationen und Schlüsselbotschaften gehörten. Wir haben auch Schulungen und Briefings für Kommissare, Mitarbeiter der Vertretungen, Europe-Direct-Informationszentren und andere Informationsmultiplikatoren vorgesehen.
Da uns die Bedeutung des Internets bewusst ist, haben wir eine spezielle Website mit umfassenden Informationen zum Vertrag von Lissabon erstellt, die in den 23 Amtssprachen ins Netz gestellt wurde. Auf dieser Grundlage haben die Vertretungen der Kommission in den Mitgliedstaaten Materialien erarbeitet, die an die lokalen Bedürfnisse angepasst und besser geeignet sind, die Bürger zu informieren. Außerdem haben die Vertretungen, auch die Vertretung in Irland, Kommunikationspläne in enger Zusammenarbeit mit der nationalen Regierung und den Informationsbüros des Europäischen Parlaments in den Mitgliedstaaten erstellt.
Zu den von uns geplanten Maßnahmen gehören Schulungen für Journalisten und Multiplikatoren, die Veröffentlichung von Broschüren und Faltblättern, die Organisation von Diskussionen mit Zivilgesellschaft und lokalen Behörden sowie öffentliche Veranstaltungen in Schulen und Universitäten. So erhalten die Bürger maßgeschneiderte Informationen in ihrer Sprache, die auf ihre realen Anliegen eingehen.
Georgios Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Mein Dank geht an die Vizepräsidentin. Meine Zusatzfrage enthält einen Vorschlag: Frau Vizepräsidentin der Kommission, Sie – und nicht nur Sie, sondern das Kollegium der Kommissionsmitglieder – sollten Irland zu einer für die irische Frage politisch günstigen Zeit besuchen, und das gesamte Kollegium der Kommissionsmitglieder sollte eine Debatte mit den Bürgern von Irland anstoßen und ihre Fragen als Ganzes beantworten.
Sie sollten eine Debatte mit allen interessierten Stellen organisieren, die im Fernsehen übertragen wird, damit die irischen Bürger, die irischen Wähler diese verfolgen können, und an Ort und Stelle auf ihre Ängste und Fragen eingehen.
Armando França (PSE). – (PT) Herr Präsident, Frau Kommissarin! Seit zwei Monaten werden Politik und Medien von der Finanz- und Wirtschaftskrise dominiert. Das Referendum in Irland oder die Schwierigkeiten in der Tschechischen Republik im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lissabon blieben in den Medien fast unbeachtet. Meinen Sie nicht, dass die Informations- und Kommunikationsstrategie der Kommission angesichts der Notwendigkeit und Dringlichkeit des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon sowie als politische Antwort auf die aktuelle Krise jetzt verstärkt werden sollte?
Mairead McGuinness (PPE-DE). – Ich werde mich kurz fassen. Zunächst möchte ich der Kommissarin besonders für ihr Engagement in dieser Frage danken. Als ehemalige Journalistin möchte ich sagen, dass eine Sitzung der Kommission zwar für die Kommission interessant sein kann, wir aber die Menschen nicht zwingen können, diese auch anzuschauen.
Das Problem besteht darin, dass Information ohne Emotion nicht aufgenommen wird, und ich befürchte, Europa ist ziemlich fade und langweilig – Sie natürlich ausgenommen. Das müssen Sie angehen.
Als ehemalige Journalistin kann ich auch sagen – und es ist furchtbar, dass ich dies in der Öffentlichkeit sage –, dass ich häufig hier und bei der Kommission war und die grauen Wände und langweiligen Präsentationen meine europäischen Gene nicht angeregt haben. Sie müssen dieses Problem in Angriff nehmen. Abschließend noch ein Punkt: Wenn die irische Regierung, wie Sie gesagt haben, besser zugehört, besser erklärt und vor Ort gehandelt hätte, dann hätte es ein „Ja“ gegeben.
Der Präsident. − Die Anfragen Nr. 38 bis 41 werden schriftlich beantwortet.
Georgios Papastamkos (PPE-DE). - (EL) Könnte die Frau Vizepräsidentin bitte auf meine Zusatzfragen antworten?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Ich denke, der Herr Präsident hat möglicherweise vergessen, mir Gelegenheit zu geben, auf Ihre speziellen Fragen zu antworten. Natürlich haben wir wichtige Lehren aus dem Ausgang des Referendums gezogen, und ich denke, Sie haben Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass möglicherweise mehr Besuche auf der „Ja“-Seite hätten erfolgen sollen. Wir haben die damaligen Ratschläge befolgt und den Wunsch respektiert, uns nicht in die Debatte in Irland einzumischen. Vielleicht werden uns die Iren jetzt häufiger einladen. Ich habe alle meine Kollegen ermutigt, nach Irland zu gehen und in eine Diskussion mit den Iren zu treten. Ich bin nicht sicher, dass entsprechende Fernsehübertragungen immer überzeugend sind, doch wir wissen das Interesse der Medien zu schätzen.
Wir arbeiten gegenwärtig mit der irischen Regierung an einer Absichtserklärung, in der wir alle Punkte aufgreifen, die erledigt werden müssen – sowohl kurz- als auch längerfristig –, um dafür zu sorgen, dass wir eine bessere politische Bildung erreichen, dass wir mit den Journalisten zusammenarbeiten und dass wir an einige dieser Themen möglicherweise emotionaler herangehen, wobei wir gleichzeitig die in Irland geltenden Gesetze und Vorschriften respektieren.
Wir ziehen unsere Lehren, und ich denke, wir werden Ihren Rat befolgen, vor Ort auf alle Fragen zu antworten – von der Landwirtschaft über die Fischereipolitik bis zum Handel usw. So können wir die Herausforderung meistern. Ich hoffe, dass wir eine gute Diskussion anregen werden. Vielen Dank, dass Sie mir diese Zeit eingeräumt haben.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 49 von Manuel Medina Ortega (H-0797/08)
Betrifft: Innerafrikanische Migrationsbewegungen
Die Anhäufung interner Schwierigkeiten einiger afrikanischer Länder und die Aussichten, nach Europa zu emigrieren, haben zur Migration Zehntausender Bürger aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara in die weiter nördlich gelegenen Länder wie Libyen, Marokko, Mauretanien und Senegal geführt.
Ist sich die Kommission dieser Situation bewusst? Wenn ja, hat sie irgendwelche Maßnahmen in Betracht gezogen, die die elenden Bedingungen, unter denen diese innerafrikanischen Zuwanderer leben, erleichtern und den Druck abschwächen sollen, dem die Länder Nordafrikas durch diese anormale demographische Verschiebung ausgesetzt sind?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Wir kommen jetzt zu einem völlig anderen Politikbereich. Die Kommission ist sich genau der Armut bewusst, die zusammen mit anderen Faktoren wie Instabilität, Klimawandel und Verletzungen der Menschenrechte die Migranten zu einer schwierigen, mitunter tragischen Reise drängt. Die Kommission ist an all diesen Fronten aktiv, vor allem über den politischen Dialog mit diesen Ländern und über den Europäischen Entwicklungsfonds und dessen Ziel, die Armut zu bekämpfen.
Als Antwort auf die tragischen Ereignisse in Ceuta und Melilla und als Teil des globalen Ansatzes, der vom Europäischen Rat Ende 2005 gebilligt wurde, wünschte die Europäische Union einen strukturierten Dialog mit Afrika zu der Verbindung von Migration und Entwicklung im Rahmen des Rabat-Prozesses im Hinblick auf die westafrikanische Migrationsroute, dem in Kürze die Pariser Konferenz am 25. November folgen soll, und zu dem Tripolis-Prozess im Hinblick auf Afrika als Ganzes.
Die Partnerschaft zu Migrationsmobilität und Beschäftigung wurde auf dem EU-Afrika-Gipfel vom Dezember 2007 in Lissabon auf den Weg gebracht. Zugrunde liegt die Idee, dass die Partnerschaft durch eine Verknüpfung mit Beschäftigungsfragen Lösungen für das Problem der Migration finden sollte.
Das Migrationsinformations- und -managementzentrum, das vom Kommissar für Entwicklung und humanitäre Hilfe und dem Präsidenten von Mali, Amadou Toumani Touré, am 6. Oktober in Bamako eingeweiht wurde, ist ein Beispiel für die praktische Umsetzung des integrierten Ansatzes, den die Kommission fördern will. Dieses Beispiel könnte jetzt anderswo in Westafrika kopiert werden.
Was die Lebensbedingungen der Migranten angeht, so ist ein Ziel des Migrations- und Asylprogramms der Schutz der Rechte der Migranten, u. a. durch eine Stärkung der Fähigkeiten von Verwaltungsbehörden und Verantwortlichen in den Transit- oder Zielländern, z. B. den nordafrikanischen Ländern, um die Migranten – insbesondere unter bestimmten Bedingungen – zu unterstützen.
Als Beispiel hat die Europäische Gemeinschaft im Rahmen des Programms kürzlich Mittel für folgende Projekte bereitgestellt: weitere Finanzierung des Büros des Hohen Flüchtlingskommissars in Libyen, das eine Schlüsselrolle bei der Förderung der Rechte von Flüchtlingen und Asylbewerbern spielt; Verbesserung des Schutzes der Lebensbedingungen internationaler Migranten in Nordafrika; Stärkung der Fähigkeiten von Organisationen der Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Förderung der Rechte von Migranten in Nordafrika sowie für ein Programm, das Migranten in Libyen und Marokko ermöglicht, freiwillig unter fairen Bedingungen nach Hause zurückzukehren.
Schließlich nutzt die Kommission das Programm zur Finanzierung zahlreicher Projekte in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, die sich mit der Verhinderung illegaler Einwanderung, der Förderung legaler Migration, der Verbindung zwischen Migration und Entwicklung und dem Schutz von Flüchtlingen und Asylbewerbern befassen.
Manuel Medina Ortega (PSE). – (ES) Frau Vizepräsidentin! Vielen Dank, Sie haben mir viele Informationen zu dem Thema gegeben, das ich angesprochen habe, und ich danke Ihnen für diese ausführlichen Informationen. Ich glaube, dass die neue Etappe der Kommission eine große Rolle spielt. Insbesondere das Projekt von Bamako ist für die Europäische Union im Hinblick auf die Einwanderung von großer Bedeutung. Ich weiß, dass dies gerade erst begonnen hat, daher ist meine Frage möglicherweise verfrüht, ich möchte jedoch die Kommission Folgendes fragen: Glaubt die Kommission, falls das Projekt von Bamako (Mali) gute Ergebnisse im Hinblick auf die Einwanderung bringt, dass diese Erfahrung auf die anderen Länder südlich des Mittelmeers ausgeweitet werden kann?
Colm Burke (PPE-DE). – Herr Präsident! Hinsichtlich der Geschäftsordnung möchte ich nur eine Bemerkung zur letzten Sitzung machen. Es tut mir Leid, dass ich dies jetzt sagen muss, aber bei der letzten Sitzung wurden für drei Fragen – 38, 39 und 40 –, die eng miteinander zusammenhingen, weniger als 15 Minuten eingeräumt.
Es ist bedauerlich, dass sie nicht behandelt wurden – denn ich denke, sie hätten behandelt werden können – und bei der letzten Sitzung dafür nur 15 Minuten gewährt wurden. Ich hatte verstanden, dass 20 Minuten gewährt werden sollten.
Der Präsident. − Ich glaube, Sie haben Recht. Ich werde es vermerken, habe aber im Moment keine andere Möglichkeit.
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Ich lerne bei dieser Arbeit auch immer wieder dazu, beispielsweise, dass ähnliche Projekte – wie das Projekt von Bamako – für andere Länder in Westafrika geplant sind, z. B. den Senegal. So steht dies offenbar bereits auf der Tagesordnung, und die Kommission beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung ähnlicher Projekte in anderen Ländern.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 50 von Luis Yañez-Barnuevo García (H-0799/08)
Betrifft: Beginn eines Dialogs in Kuba
Die Schlussfolgerungen des Rates vom 23. Juni 2008 wurden von den demokratischen Segmenten der kubanischen Gesellschaft sehr gut aufgenommen. Diese schätzen es, dass die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen eine grundlegende Priorität für die EU darstellt und dass sich die EU für die Wahrung der Menschenrechte und für echte Fortschritte auf dem Weg zu einer pluralistischen Demokratie engagiert.
Kann die Kommission im Einklang mit den in den Schlussfolgerungen des Rates eingegangenen Verpflichtungen angeben, ob Mitglieder der Kommission bereits Kontakte zu Vertretern der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition aufgenommen haben? Welche wirksamen Maßnahmen ergreift die Kommission, um den Dialog mit diesen Vertretern zu vertiefen, und auf welche Weise gewährleistet sie, dass Maßnahmen, die zugunsten der Zivilgesellschaft vorgesehen sind (wie Mikroprojekte zur Förderung der Integration und des sozialen Zusammenhalts), nicht durch das Eingreifen offizieller Stellen beeinträchtigt werden?
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Die Kommission unterhält einen regelmäßigen, direkten Kontakt zur Zivilgesellschaft in allen Ländern der Welt, auch in Kuba. Die Rolle der Kommission in Kuba wird von der Zivilgesellschaft und oppositionellen Gruppen geschätzt und unterstützt. Die Delegation der Kommission in Kuba empfängt regelmäßig Vertreter von Zivilgesellschaft und oppositionellen Gruppen, und die Dienststellen der Kommission in Brüssel verfolgen eine Politik der offenen Tür gegenüber Personen und Organisationen, die eine konstruktive Diskussion zu Kuba oder einem anderen Land führen wollen.
Nach den Schlussfolgerungen des Rates vom 23. Juni, die das Ende der 2003 angenommenen diplomatischen Maßnahmen markierten, wurde der politische Dialog zwischen der Europäischen Union und Kuba durch ein Troika-Treffen auf EU-Ministerebene über Kuba in Paris am 16. Oktober 2008 wieder in Gang gesetzt. Der positive Geist bei diesem Treffen ermöglichte eine freie und offene Diskussion zu Themen von gemeinsamem Interesse, z. B. die internationale Finanzkrise, Menschenrechte, die Zusammenarbeit mit Kuba und Reform der Vereinten Nationen.
Die Kommission ist fest davon überzeugt – und der Kommissar für Entwicklung und humanitäre Hilfe hat dies bereits mehrfach erklärt –, dass ein freier und offener Dialog zwischen der EU und Kuba den besten Rahmen für Gespräche über gemeinsame Anliegen bietet, z. B. zu Fragen der Menschenrechte.
Antonio Masip Hidalgo (PSE). – (ES) Im Namen von Herrn Yañez-Barnuevo danke ich Ihnen für Ihre Antwort. Frau Kommissarin, ich muss zu Herrn Michel sagen, dass sein Handeln, seine Worte und Gesten in den direkten Kontakten mit der demokratischen Opposition in Kuba entscheidend sind, wenn es um die Umsetzung der vorrangigen Schlussfolgerungen des Rates, die Eindämmung der Wirkung von Castros schrecklicher Diktatur und das Engagement für die Freiheit geht.
Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. − Ich werde meinem Kollegen natürlich alle Antworten und Reaktionen des Parlaments übermitteln. Ich glaube, er hat Kuba kürzlich besucht, wir hatten bis jetzt jedoch noch keine Gelegenheit, diesen Kontext weiterzuentwickeln. Ich denke, ich kenne ihn gut genug, um anzunehmen, dass dies definitiv in seinem Interesse liegt und dass er offen und bereitwillig zuhören wird. Dies ist natürlich Teil dessen, was wir jetzt zu tun haben. Es liegt definitiv auch im Interesse der Kommission.
Der Präsident. − Die Mitglieder, welche die anderen Fragen gestellt haben, sind nicht anwesend. Daher wird auf die Fragen Nr. 51 bis 58 schriftlich geantwortet.
Anfrage Nr. 43 von Emmanouil Angelakas (H-0810/08)
Betrifft: Steigerung der Attraktivität Europas für Forscher
Den Statistiken zufolge ist der Anteil der Absolventen in den Naturwissenschaften in Europa höher als in den USA und in Japan. Dennoch zeigen einschlägige Untersuchungen, dass es in Europa nicht gelingt, diesen hohen Anteil an Wissenschaftlern und Forschern zu halten und dass viele von ihnen in Drittstaaten abwandern. Dies ist natürlich Grund zu besonderer Sorge, vor allem da Europa gegenwärtig die dynamischste wissensbasierte Wirtschaft der Welt werden will.
Worauf ist das geschilderte Phänomen in erster Linie zurückzuführen? Welche Auswirkungen hat es auf die EU? Verfügt die Kommission über statistische Daten über die Beschäftigung von Wissenschaftlern pro Mitgliedstaat?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Forscher sind das Herz der Schaffung, Übertragung und Nutzung von Wissen. Sie sind der Schlüssel für Europa, um die fünfte Freiheit – den freien Verkehr von Wissen – zu realisieren und damit eine wissensbasierten Wirtschaft zu gestalten.
Die Anzahl von Arbeitskräften für die Forschung spiegelt sich am besten in der Zahl neuer Hochschulabsolventen wider. Der vom Bildungsrat im Jahr 2003 verabschiedete Fixpunkt, die Zahl der Absolventen in den Mitgliedstaaten um 15 % zu erhöhen und das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bis 2010 zu verringern, wurde erreicht. 2006 gab es in der EU-27 in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Technologie etwa 200 000 Absolventen mehr als im Jahr 2000.
Natürlich gehen nicht alle Hochschulabsolventen in die Forschung. Für die Europäische Union besteht ein weiterer Faktor darin, dass der Markt für Forscher in der EU aufgrund des in Europa im Vergleich mit anderen Kontinenten geringeren Anteils von Investitionen in private Forschung verhältnismäßig kleiner ist als der unserer Mitbewerber.
Außerdem gibt es einen starken Wettbewerb um die Gewinnung und Bindung der talentiertesten Forscher. Dies ist vor allem ein Wettbewerb zwischen der Forschung und anderen Wirtschaftssektoren. Es findet aber auch ein Wettbewerb zwischen den Ländern und Regionen der Welt statt – das betrifft vor allem die USA, aber zunehmend auch China und Indien.
Die Europäische Union steht vor dem Problem, dass in Europa demnächst Generationen von Forschern in Rente gehen und keine Aussicht besteht, dass sie komplett ersetzt werden. Die Lage wird sich noch zuspitzen, wenn junge Menschen nicht für die Forschung gewonnen werden. Es geht darum, ob Europa langfristig ein erstklassiger Ort für Forschung und Entwicklung bleiben und sich in dieser Hinsicht weiterentwickeln kann.
Tatsache ist, dass Forscher in Europa immer noch mit ernsten Hindernissen und fehlenden Möglichkeiten zu kämpfen haben. Wenn ich mit Forschern aus ganz Europa spreche, höre ich von unattraktiven Arbeitsbedingungen und Karriereaussichten, einem oftmals prekären Status und kurzfristigen Verträgen. Außerdem werden viele Forscher in ihrer Ausbildung nach wie vor nicht auf eine moderne Wissensgesellschaft vorbereitet. Forscher, die aus dem akademischen Umfeld in die Industrie und umgekehrt wechseln wollen, treffen auf enorme Hürden. Schließlich behindert die strukturelle Fragmentierung des europäischen Arbeitsmarktes für Forscher deren transnationale Mobilität innerhalb der Europäischen Union. Gründe dafür sind vor allem das Fehlen einer offenen, leistungsbasierten Personalbeschaffung, kulturelle Faktoren sowie Probleme hochgradig mobiler Kräfte beispielsweise im Hinblick auf die Sozialversicherung, das Steuerwesen und die Übertragbarkeit zusätzlicher Rentenansprüche.
Deshalb ist es höchste Zeit für Europa, seine Bemühungen zu intensivieren, um zu gewährleisten, dass in den kommenden Jahren genügend Forscher zur Verfügung stehen. Genau deshalb hat die Kommission letztes Jahr im Mai eine europäische Partnerschaft für Forscher vorgeschlagen, eine Partnerschaft mit und zwischen den Mitgliedstaaten, die einen gezielten Rahmen für schnellen Fortschritt in ganz Europa in Schlüsselbereichen bietet und somit für bessere Karrieremöglichkeiten und mehr Mobilität sorgt.
Der Rat hat sich positiv zu dieser Initiative geäußert, und wir gehen jetzt an die Umsetzung, wobei der Schwerpunkt auf nationalen Aktionsplänen und gegenseitigem Lernen liegt. Evidenzbasierte Fortschrittsüberwachung, Datengewinnung zur Mobilität und Berufsverläufen sind ebenfalls vorgesehen. Obwohl wir gegenwärtig nur sehr wenige Daten haben, ist es also unser Ziel, die besseren Statistiken vorzulegen, die der verehrte Abgeordnete wünscht. Wir haben viele andere Daten, jedoch genau diese speziellen Daten nicht.
Die Mitteilung der Kommission zur europäischen Partnerschaft für Forscher wird gegenwärtig in diesem Parlament erörtert. Die Kommission freut sich auf die Stellungnahme des Parlaments, die hoffentlich diese gemeinsamen Bemühungen um die Zukunft der Forschung in Europa verstärken wird.
Emmanouil Angelakas (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich danke dem Herrn Kommissar für seine Antwort. Ich habe eine Zusatzfrage über das Siebte Forschungsrahmenprogramm, für das es ein Paket in Höhe von 54 Millionen Euro gibt. Herr Kommissar, haben Sie jetzt, da das Siebte Forschungsprogramm seit 18 Monaten läuft, Informationen darüber, wie es sich entwickelt, welche Länder eine zufrieden stellende Absorptionsrate aufweisen, was die Hauptprobleme sind und ob die Kommission beabsichtigt, einen Fortschrittsbericht zum Finanzrahmen zu erstellen?
Paul Rübig (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! Die Attraktivität für die Forscher hängt natürlich auch vom Nettoeinkommen ab, das sie bekommen. Gibt es hier gemeinsame Überlegungen mit Kommissar Kovács, einen Vorschlag zu entwickeln, dass Forscher ihr Einkommen steuerfrei bekommen können und dass Spenden, die an Forschungseinrichtungen gegeben werden, auch steuerfrei sind bzw. als Betriebsausgabe geltend gemacht werden könnten? In Amerika gibt es dieses System. Wäre es nicht möglich, hier eine Vergleichsstudie anzustellen, so dass wir auch hier „incentives“ geben können?
Gay Mitchell (PPE-DE). – Ich möchte den Herrn Kommissar fragen, ob er auch wieder auf die Frage ethischer Forschung und ethischer Forscher eingehen wird, wenn er diese Fragen erneut prüft und das Parlament anhört. Es ist ganz eindeutig, dass eine Vernichtung von Embryonen nicht länger erforderlich ist und es viele andere Wege für die Forschung gibt. Werden Sie jetzt anfangen, Ressourcen für diese anderen Wege bereitzustellen, damit wir zu einer wahrhaft ethischen Forschungsbasis innerhalb der Europäischen Union zurückkommen können?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Ich möchte zu Beginn sagen, dass wir natürlich alle Daten und alles, was das Rahmenprogramm betrifft, verfolgen. Die Daten liegen vor, und wir können sie Ihnen zur Verfügung stellen.
Wir haben auch regelmäßige Kontrollberichte, die bis zum Ende des Jahres geplant sind, und außerdem wird es einen Fortschrittsbericht geben – ich denke, Ende Mai 2009. Dieser Fortschrittsbericht ist jedoch noch viel mehr: Er liefert Ideen, wie wir künftig vorgehen sollten. Zur logischen Umsetzung des Rahmenprogramms gehört, dass wir Aktivitäten, Investitionen oder Ausgaben verfolgen.
Zum steuerfreien Einkommen: Ich war immer für die Nutzung von Instrumenten, die Forschung und Entwicklung fördern würden, z. B. steuerfreie Einkommen. Eines der Probleme, mit denen wir in dieser Krise und schwierigen Situation zu tun haben, ist die Frage, wie Forschung und Entwicklung gefördert werden können, damit wir nicht in die gleiche Situation geraten wie die Unternehmen. Weil diese unter Druck sind, würden sie sicher eine Kürzung der Investitionen in Forschung und Entwicklung erwägen.
Dieser Weg ist eine Möglichkeit. Wir müssen uns jedoch auch bewusst sein, dass wir einen flexiblen Wachstums- und Stabilitätspakt haben, den wir einhalten müssen, und berücksichtigen, dass die Situation in den verschiedenen Mitgliedstaaten keinesfalls gleich ist. Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Instrumente und Spielräume, die sie sich in guten Zeiten geschaffen haben, als es der Wirtschaft noch besser ging.
Schließlich haben Sie mich zum ethischen Ansatz gefragt, der bereits in einer anderen Frage zur Sprache kam. Ich denke, wir haben wirklich viel investiert, um ein Abkommen zu erzielen, auf das sich unser ethischer Ansatz zu Wissenschaft und Forschung und der Einsatz unserer Rahmenprogramme gründen sollen. Es ist schwierig, ein Abkommen zu erzielen. Es gibt unterschiedliche Ansichten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, und wir können ziemlich stolz sein, dass wir etwas wie klare ethische Verfahren haben, die in der Realität und der Praxis gezeigt haben, dass sie auf echten ethischen Grundsätzen beruhen.
Bernd Posselt (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! Ich bitte um Verzeihung. Ich bin normalerweise sehr pünktlich. Aber zur Pünktlichkeit gehören immer zwei Seiten, und diese Fragestunde findet verspätet statt. Deshalb war ich in der Fraktionssitzung, und sobald ich auf dem Bildschirm gesehen habe, dass Kommissar Potočnik beginnt, bin ich rüber gerannt und kam in der Sekunde, in der er angefangen hat, herein. Ich bitte Sie, meine Frage 42 großzügigerweise noch aufzurufen, denn ich kam wirklich in der Sekunde ins Plenum, in der Kommissar Potočnik aufgerufen wurde. Sie haben mich vielleicht nicht gesehen. Ich kam da hereingelaufen.
Der Präsident. − Herr Posselt, wir haben schon festgestellt, dass sie gekommen sind, wenngleich auch ein klein wenig verspätet. Natürlich sind Sie an dieser Verspätung nicht schuld, sie ist ja gerechtfertigt. Das Präsidium wollte in der Zwischenzeit die Reihenfolge der Fragen einhalten. Wir werden jedoch versuchen, während dieser Runde auf Ihre Frage einzugehen.
Anfrage Nr. 44 von Seán Ó Neachtain (H-0820/08)
Betrifft: Finanzierungsmaßnahmen für umweltfreundliche Technologien
In der derzeitigen Situation, die durch einen Wirtschaftsabschwung und eine zunehmende Unsicherheit im Bereich der Energieversorgung gekennzeichnet ist, erwarten die Bürger Führungsstärke von der EU. Nun ist es an der Zeit, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten schneller agieren und verstärkte Finanzierungsmaßnahmen für Innovationen und Technologien unterstützen. Es sollte deutlich gemacht werden, dass die EU weltweit die Spitzenposition auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Technologien übernehmen kann, wenn wir nicht zögern, sondern jetzt handeln. Die Herausforderungen des Klimawandels bieten Chancen für Investoren, Forschung und Entwicklung, Unternehmen und Beschäftigung!
Kann die Kommission ihre derzeitigen und künftigen Pläne für Finanzierungsmaßnahmen für Investitionen in umweltfreundliche Technologien im Rahmen des 7. Rahmenprogramms für Forschung und Technologie darlegen?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Die Kommission unterstützt voll und ganz die Analyse, die der verehrte Abgeordnete in seiner mündlichen Anfrage vorgenommen hat.
Wir sind führend bei umweltfreundlichen Technologien und müssen diese Position halten und ausbauen. Dies stärkt auch führende Rolle der EU in den internationalen Foren zum Kampf gegen den Klimawandel. Mit dem Siebten Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung ist die Europäische Union gut gerüstet – und das Parlament hat hierbei eine umfassende Rolle gespielt –, um EU-Fonds für F&E zur Unterstützung der Entwicklung neuer umweltfreundlicher Technologien zu mobilisieren.
Die Kommission bemüht sich sehr, RP7 umfassend zu nutzen. Zwei der bisher angenommenen gemeinsamen Technologieinitiativen zielen voll auf umweltfreundliche Technologien ab: „Clean Sky“ (sauberer Himmel) mit einem Beitrag der Gemeinschaft von 800 Millionen Euro und „Wasserstoff und Brennstoffzellen“ mit einem Beitrag der Europäischen Gemeinschaft von 450 Millionen Euro.
Beim Europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET) erhalten wir starke Unterstützung von Parlament und Rat. Die Kommission hat einen Prozess eingeleitet, der die Effektivität von Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf dem Gebiet der Energieforschung steigern soll. Der SET-Plan gilt für umweltfreundliche Technologien. Er fordert die Umsetzung von sechs neuen vorrangigen europäischen Industrieinitiativen (industriegeführte Programme: Windenergie, Solarenergie, CCS, Netze, Bioenergie und nachhaltige Kernspaltung) sowie die Einrichtung des europäischen Energieforschungsbündnisses (forschungsgeführte Programme).
Das Energieprogramm der Gemeinschaft RP7 ist das Hauptinstrument, das kurzfristig zur Verfügung steht, um die Umsetzung dieser Maßnahmen zu unterstützen. Es ist jedoch sicher mehr erforderlich als nur das Engagement der EU. Deshalb sollte das Gemeinschaftsprogramm als Katalysator für Maßnahmen der Mitgliedstaaten und natürlich des privaten Sektors genutzt werden. Dies erfordert eine Verschiebung des Ansatzes: Anstatt Projekte nur zu kofinanzieren, muss die Umsetzung gemeinsamer Bemühungen über gemeinsame Programme gelenkt und ermöglicht werden.
Aufgrund der Analyse aller Arbeitsprogramme aus den ersten drei Jahren der RP7-Umsetzung schätzt die Kommission ein, dass 37 % der durch F&E-Mittel unterstützten Projekte auf umweltfreundliche Technologien ausgerichtet sind. 40 % des nach den Ausschreibungen von 2007 unter kooperationsspezifischen Programmen festgelegten Budgets dienen ebenfalls der Unterstützung von Erforschung und Entwicklung umweltfreundlicher Technologien.
Um den Beitrag von RP7 zur nachhaltigen Entwicklung im Allgemeinen und zu umweltfreundlichen Technologien im Besondern überwachen zu können, richtet die Kommission ein Überwachungssystem ein, das im ersten Halbjahr nächsten Jahres einsatzfähig sein soll.
In ihrer Mitteilung „From financial crisis to recovery: A European framework for action“ (Von der Finanzkrise zum Wiederaufschwung: ein europäischer Aktionsrahmen), die am 29. Oktober dieses Jahres angenommen wurde, betont die Kommission auch die Rolle von Investitionen in F&E und Bildung sowie die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Europas durch die Steigerung der Umweltfreundlichkeit unserer Wirtschaft.
Allgemein muss festgestellt werden, dass es außer den Mitteln und Maßnahmen im Rahmen des RP7 eine breite Palette politischer Initiativen und unterstützender Programme für Umwelttechnologien in der EU gibt, z. B. den Aktionsplan für Umwelttechnologien, den Plan für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation sowie in neuerer Zeit die Leitmarktinitiative und den Aktionsplan für nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum.
Die Kommission hofft, dass dieser Teil der Antwort den verehrten Abgeordneten davon überzeugt, dass wir uns intensiv bemühen, die RP7-Mittel zu nutzen, um unsere Forschung und unsere Wirtschaft wirklich umweltfreundlicher zu gestalten.
Seán Ó Neachtain (UEN). – (GA) Herr Präsident! Ich möchte dem Herrn Kommissar für diese ausführliche Antwort danken.
Gibt es, was Meeres- und Seeforschung sowie Meerestechnologie und -wissenschaft betrifft, Unterstützung durch das Siebte Rahmenprogramm der Europäischen Union, um Meeresforschung und -technologie im Rahmen dieses Programms auszubauen?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Die Antwort lautet natürlich „Ja“. Wir haben erst gestern im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie diese spezielle Maßnahme für Meeres- und Seeverkehrsangelegenheiten diskutiert. Wir möchten in diesem Bereich noch mehr Fortschritte machen, da die Situation extrem komplex ist. Der gesamte Bereich der Ozeane ist extrem komplex, doch unser Leben, die Art, wie wir leben, beeinflusst auch hier das Ökosystem. Dies verdient besondere Aufmerksamkeit, und zwar in Form einer Neuorganisation des Forschungssystems in diesem Bereich: Meeres- und Seeverkehrsforscher müssen zusammengebracht und die Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf andere Art und Weise als bisher kombiniert werden. Dies ist eine neue Denkweise, die man im Kontext der von mir bereits erwähnten gemeinsamen Programme als „Pilotdenke“ bezeichnen könnte. Sicherlich werden wir künftig unsere Aufmerksamkeit auch darauf richten.
Der Präsident. − Meine Damen und Herren! Wir müssen versuchen, die Folgen aus der Umstellung der Fragestunde abzufangen, indem wir versuchen, allen gerecht zu werden und jedem die Möglichkeit zu geben, seine Fragen zu stellen. Wir werden deshalb versuchen, alle noch ausstehenden Fragen abzuhandeln. Wenn jedoch der Kommissar eine Antwort gegeben hat, kann ich das Wort nur dem Abgeordneten erteilen, der die Frage gestellt hat. Wir werden keine weiteren Redewünsche akzeptieren, weil es sonst schwierig wäre, zu einem Schluss zu kommen.
Avril Doyle (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich weiß, dass ich gerade erst gekommen bin, habe jedoch die Sitzung bei einem sehr wichtigen Gruppentreffen auf dem Bildschirm verfolgt und frage mich jetzt, warum wir nicht der Reihe nach vorgehen. Ich kann wirklich nicht lange bleiben. Ich bin genau zu dem Zeitpunkt gekommen, als meine Frage geplant war, und jetzt stellen Sie die Reihenfolge um. Ich bitte Sie dringend, die Reihenfolge einzuhalten, Herr Präsident.
Der Präsident. − Frau Doyle, ich ändere die Reihenfolge nicht. Es kam leider zu einem Vorkommnis, an dem Herr Posselt keine Schuld trug. Weil es eine Fragerunde gab, bei der die Zeit für die Kommissionsmitglieder geändert wurde, kam Herr Posselt 30 Sekunden zu spät. Deshalb komme ich jetzt auf die Frage von Herrn Posselt zurück, und unmittelbar danach behandeln wir die Frage von Frau Doyle.
Anfrage Nr. 42 von Bernd Posselt (H-0795/08)
Betrifft: Klonen
Die Kommission führt derzeit eine Grundsatzdebatte über das Klonen. Welchem Ziel dient diese Debatte, und was sind die wesentlichsten Grundlagen, auf denen diese Debatte aufbaut?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Dies ist natürlich ein schwieriges und komplexes Gebiet. Die Aussprache in der Kommission zum Klonen bezieht sich auf die Nutzung einer Technologie, die als somatischer Zellkerntransfer (SZKT) bezeichnet wird, wobei insbesondere auf die Züchtung von Nutztieren sowie den Umgang mit Lebensmitteln, die aus solchen geklonten Tieren und deren Nachkommen hergestellt werden, Bezug genommen wird.
Hinsichtlich der Nutzung dieser Klontechnik für Tierhaltung und -zucht in der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion beziehen sich die Fragen insbesondere auf Gesundheit und Wohlergehen der Tiere. Wenn es um die Sicherheit von Lebensmitteln geht, die von geklonten Tieren und ihren Nachkommen stammen, beziehen sich die Fragen vor allem auf mögliche Gefahren für die menschliche Gesundheit und das Recht der Verbraucher auf entsprechende Informationen.
Die Aussprache bezieht sich nicht auf die Nutzung der SZKT-Technologie in der Forschung. Die Kommission verfolgt die Entwicklung des SZKT seit 1996, als das erste geklonte Säugetier, das Schaf Dolly, geboren wurde. 1997 bat die Kommission den Beraterausschuss für ethische Fragen im Zusammenhang mit der Biotechnologie um eine Stellungnahme zur Ethik beim Klonen.
2004 finanzierte die Kommission das Projekt „Öffentliches Klonen“ unter dem Sechsten Rahmenprogramm. Dadurch konnte eine EU-weite Debatte angestoßen werden, die eine erste Möglichkeit für Vorgespräche mit Akademikern und Zivilgesellschaft über ethische, rechtliche und andere gesellschaftliche Aspekte beim Klonen von Nutztieren bot. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Öffentlichkeit nicht gut über die Verwendung und die Implikationen des Klonens informiert ist. Die GFS veröffentlichte 2007 in Nature Biotechnology eine Studie über die Aussichten für die künftige kommerzielle Verwendung der Klontechnologie. Die Studie bot eine Übersicht über den weltweiten Stand der kommerziellen Anwendungen des Klonens von Tieren und über künftige Produkte einschließlich des geschätzten Termins der Markteinführung. Die Schlussfolgerung lautete, dass geklonte Tiere voraussichtlich nicht vor 2010 auf den EU-Markt gelangen werden und dass Fortpflanzungsmaterialien – Samen – von geklonten Tieren die ersten Produkte sein könnten, die in den Handel kommen.
In den letzten Jahren erfuhr die Kommission, dass die Technologie des somatischen Zellkerntransfers für die Fortpflanzung von Nutztieren kurz vor der gewerblichen Nutzung stehe, besonders in Drittländern, vor allem den USA. Auf Grundlage der abschließenden Risikobewertung kam ein Bericht von Forschern der US-Arzneimittelbehörde im Januar 2008 zu dem Schluss, dass der Verzehr von Lebensmitteln aus geklonten Tieren und deren Nachkommen sicher sei, sofern die Lebensmittel von gesunden Tieren stammen – dies ist ein Grundprinzip der Lebensmittelsicherheit. Nur gesunde Tiere gelangen in die Lebensmittelkette.
Um sich auf eine informierte politische Debatte vorzubereiten, beauftragte die Kommission im Jahre 2007 die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit einer Bewertung der tatsächlichen und potenziellen Risiken im Zusammenhang mit dem Einsatz dieser Technologie in der Lebensmittelproduktion und bat die Europäische Gruppe für Ethik (EGE) um eine Stellungnahme zu den ethischen Aspekten des Klonens von Tieren für die Lebensmittelversorgung. Die Gruppe legte ihre Stellungnahme im Januar 2008 vor, die Behörde ihre Bewertung im Juli 2008. Laut EFSA gibt es „nach aktuellem Wissensstand ... keine Hinweise auf Unterschiede bei der Lebensmittelsicherheit zwischen Lebensmitteln, die von gesunden geklonten [Tieren] und ihren Nachkommen [stammen], und solchen, die von gesunden konventionell gezüchteten Tieren stammen“. Was den allgemeinen Gesundheitszustand von Klonen betrifft, so gibt es laut Bewertung der EFSA keine Anzeichen von Beeinträchtigungen bei sexuell erzeugten Nachkommen von Rinder- oder Schweineklonen. Klone und ihre Nachkommen wurden jedoch noch nicht über ihre gesamte natürliche Lebenszeit untersucht.
Gegenwärtig sieht die EGE keine überzeugenden Argumente, um die Herstellung von Lebensmitteln aus Klonen und deren Nachkommen zu rechtfertigen.
Die Kommission hat zudem eine Eurobarometer-Umfrage über die Einstellung der Europäer zum Klonen von Tieren in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse lagen im Oktober 2008 vor. Die Studie zeigte, dass 58 % der Befragten gegen das Klonen zum Zwecke der Lebensmittelherstellung waren.
Die Kommission prüft jetzt genau diese verschiedenen Elemente, um eine informelle politische Debatte zum Einsatz des somatischen Zellkerntransfers für die Fortpflanzung von Nutztieren und die Lebensmittelherstellung vorzubereiten. Sollte es für notwendig erachtet werden, den Rechtsrahmen weiterzuentwickeln, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die neuen Bestimmungen natürlich mit dem EG-Vertrag und den Regeln der WTO in Einklang stehen müssten.
Bernd Posselt (PPE-DE). – (DE) Herr Präsident! Ich danke dem Präsidenten für seine Großzügigkeit und dem Kommissar für seine gute Antwort. Nur eine Frage: Kann die Kommission definitiv ausschließen, dass das Klonen von Menschen – egal in welcher Form – Bestandteil dieser Strategie ist oder wird?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Unter den derzeit geltenden Regeln ist dies ausgeschlossen. Diese Regeln erlauben keinesfalls Forschungstätigkeiten, die das Klonen von Menschen zum Ziel hätten.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 45 von Avril Doyle (H-0827/08)
Betrifft: Europäischer Forschungsrat
Am 27./28. Februar 2007 wurde der Europäische Forschungsrat (EFR) auf der Auftaktkonferenz in Berlin, die vom deutschen EU-Ratsvorsitz veranstaltet wurde, offiziell gegründet. Eines der Ziele dieses Rates ist die „ganzheitliche Förderung von wissenschaftlich angeregter Forschung oder von Bottom-up-Forschungsarbeiten an den Grenzen des Wissens“.
Was genau ist unter wissenschaftlich angeregter Forschung oder Bottom-up-Forschungsarbeiten an den Grenzen des Wissens zu verstehen? Welche Fortschritte konnten bislang in diesem Bereich erzielt werden?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Hier werde ich mich kurz fassen. Der „wissenschaftlich angeregte“ Ansatz des Europäischen Forschungsrats bedeutet, dass Projekte an den Grenzen des Wissens, die von Forschern zu Themen ihrer Wahl auf beliebigen Wissenschaftsgebieten durchgeführt werden, unterstützt werden. Sie haben also Wahlfreiheit.
Mit Unterstützung der „Grenzforschung“ legt der Europäische Forschungsrat den besonderen Schwerpunkt auf interdisziplinäre Projekte und Pionierforschung.
Bisher – und jetzt spreche ich über die Fortschritte – gab es zwei Ausschreibungen des Europäischen Forschungsrats, und die Forschungsgemeinschaft Europas hat mit großer Begeisterung darauf reagiert. Als Reaktion auf die Ausschreibung zu den Starting Independent Investigators Grants reichten Nachwuchsforscher letztes Jahr ganze 9 167 Vorschläge ein, und auf die Ausschreibung zu den Advanced Investigators Grants gingen dieses Jahr über 2 000 Vorschläge ein. Diese große Teilnahme zeigt die Attraktivität des Europäischen Forschungsrats und bestätigt, dass Finanzmittel für die Grenzforschung auf Bottom-up-Basis einem dringenden Bedürfnis in Europa entsprechen.
Die Kommission ist davon überzeugt, dass solche Investitionen in die Grenzforschung langfristig erheblich zu einer Verbesserung unserer wissensbasierten Gesellschaft und einer Stärkung unserer Innovationsfähigkeit in der Forschung beitragen werden.
Avril Doyle (PPE-DE). – Könnte die Kommission angesichts des Ziels der französischen Präsidentschaft, bis Ende 2009 einen Gestaltungsprozess für den Europäischen Forschungsraum (EFR) aufzubauen, darlegen, welche Maßnahmen sie in Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten und Parlament durchführen will, um Bewertungsmethoden für die Wissenschaftspolitik auf den Weg zu bringen, mit denen tatsachengestützte politische Optionen für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in der EU gewährleistet werden sollen?
Welcher Fortschritt wird durch die Bekanntgabe der „Vision 2020“ für den Europäischen Forschungsraum, den die französische Präsidentschaft, der Rat und die Kommission vereinbart haben, im gesamten Gestaltungsbereich hier im EFR erzielt?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Diese Frage geht, ehrlich gesagt, ziemlich weit. Wir glauben, es ist wichtig, dass wir uns mit den Mitgliedstaaten zur „Vision 2020“ einig sind, da dies spätere Debatten darüber, was wir in Europa tun wollen, sicher abkürzen würde. Wir sollten nicht immer nur wiederholen, wohin wir gehen – darum geht es. Natürlich beginnt die Debatte nicht erst jetzt – die Idee wurde mit einem Grünbuch im Jahre 2000 eingeführt. Ich denke, dies ist sehr positiv, insbesondere angesichts der neuen, geänderten Realitäten, unter denen wir leben.
Struktur und Gestaltung des EFR sind außerordentlich wichtig, deshalb müssen wir geduldig sein. Natürlich werden wir nicht erfolgreich sein, wenn die Mitgliedstaaten nicht die Führung übernehmen. Wenn wir über den Europäischen Forschungsraum sprechen und diesen fördern, dann sprechen wir nicht hauptsächlich über die Erhöhung der Finanzmittel auf europäischer Ebene, sondern eher darüber, wie wir alle besser zusammenarbeiten können – etwas, das in den Grundlagen des institutionellen Rahmens einiger unserer stärksten Wettbewerber verankert ist, z. B. in den USA, an denen wir uns messen möchten. Deshalb streben wir das freiwillige Engagement der Mitgliedstaaten an, sodass wir mehr und besser als bisher zusammenarbeiten können.
Was die Methoden der Wissenschaftspolitik angeht, so sind diese Gegenstand der Diskussion, auf die wir uns konzentrieren. Ich denke, dass diese Frage auf jeden Fall noch behandelt werden muss, kann aber jetzt nicht näher darauf eingehen. Ich weiß, dass der Ansatz des EFR im Grunde genommen eine der Entwicklungen ist, die Europa gegenwärtig am meisten braucht.
Der Präsident. −
Anfrage Nr. 46 von Gay Mitchell (H-0833/08)
Betrifft: Ethische Überprüfung der Finanzhilfen für Forschung im Rahmen des Siebten Forschungsrahmenprogramms
In den Regeln für das Verfahren zur Einreichung von Vorschlägen und die damit verbundenen Verfahren zur Bewertung, Auswahl und Gewährung von Finanzhilfen (KOM(2008)4617) im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung (RP7 – 1982/2006/EG(2)) wurde klar festgelegt, dass keine Finanzhilfen für Forschungstätigkeiten gewährt werden, die mit der Vernichtung von Embryonen verbunden sind. Ist die Kommission davon überzeugt, dass die ethische Überprüfung der geplanten Vorhaben hinsichtlich der Umsetzung dieser Politik erfolgreich war?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Die ethische Prüfung der Forschung, die unter dem Siebten Rahmenprogramm gefördert wird, ist ein System, das den Schutz der Grundrechte und die Einhaltung ethischer Grundsätze garantiert.
Im Falle der Forschung unter Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen besteht das Verfahren aus fünf Schritten, darunter die wissenschaftliche Bewertung, die ethische Prüfung, die Genehmigung der beantragten Forschung durch den nationalen/lokalen Ethikausschuss sowie das Einreichen der Vorschläge bei einem Regelungsausschuss, damit wir dann über die Projekte auf Einzelfallbasis entscheiden.
Im Juli 2007 legte die Europäische Gruppe für Ethik der Kommission auch eine Stellungnahme zu ethischen Prüfungen von Forschungsprojekten des Siebten Rahmenprogramms ab, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden.
Unter Einhaltung der oben aufgeführten Schritte ist die Kommission der Meinung, dass die eingeführten ethischen Prüfmechanismen die entsprechenden EG-Bestimmungen erfolgreich umgesetzt haben. Insbesondere wurden angesichts der Tatsache, dass sämtliche Forschungsaktivitäten aus der Gemeinschaftsförderung ausgeschlossen sind, welche die Vernichtung menschlicher Embryonen umfassen, unter dem Siebten Rahmenprogramm keine Forschungsanträge in diesem Bereich gefördert.
Bei der ethischen Prüfung soll sichergestellt werden, dass keine EU-Mittel für Forschungsaktivitäten bereitgestellt werden, welche die Vernichtung menschlicher Embryonen umfassen. In diesem Sinne ist sie ein fester Bestandteil der vollständigen Umsetzung des Rahmenprogramms.
Gay Mitchell (PPE-DE). – Würde der Herr Kommissar dem Parlament bitte sagen, ob das Rahmenprogramm zur Durchführung von Forschungen an menschlichen Embryonen verwendet werden kann, die bereits vor Forschungsbeginn vernichtet wurden, oder ist dies nur Wortklauberei?
Ich kehre zu meiner Frage zurück, die ich bereits zuvor gestellt habe, und bitte um mehr Einzelheiten. Wird der Herr Kommissar dafür sorgen, dass alles getan wird, um bei der Art von Forschung auf dem Laufenden zu bleiben, die nicht die gleichen ethischen Fragen aufwirft und u. U. zu den gleichen oder besseren Ergebnissen führt?
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mir geht es genau um das Gegenteil dessen, was Herrn Mitchell am Herzen liegt. Forschung an bereits gewonnen Zelllinien ist sicherlich zulässig. Das Problem besteht meiner Ansicht nach darin, dass die Hindernisse trotzdem so groß sind, dass diese Art der Forschung bestraft wird – aus Gründen, die auf den ersten Blick ethischer Natur scheinen, dies in Wirklichkeit aber nicht sind.
Gay Mitchell (PPE-DE). - Herr Präsident! Sie haben vorhin gesagt, Sie würden Nachfragen an den Kommissar nur vom Fragesteller zulassen. Jetzt können sich aber andere offiziell äußern. Warum stellen sie zu diesen Themen nicht selbst Fragen? Sie müssen jetzt konsequent bleiben, Herr Präsident.
Sie haben gesagt, Sie würden nur dem Fragesteller Nachfragen gestatten, und jetzt erlauben Sie einem Herrn, bei meiner Frage nachzufassen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich viel länger zu meinem Anliegen gesprochen.
Unethische Forschung ist völlig unnötig ...
(Der Präsident unterbricht den Redner.)
Der Präsident. − Herr Mitchell, wenn ich einem Abgeordneten das Wort für 30 Sekunden gebe, weiß ich nicht, ob er eine Frage stellen oder einen Kommentar zu den Fragen abgeben wird, die bereits gestellt wurden. In jedem Fall hatten Sie durch den Beitrag von Herrn Cappato die Möglichkeit, sich noch einmal zu äußern. Ich glaube, dass wir alle zufrieden sein können. Ich danke Herrn Potočnik für seine Geduld und gebe ihm das Wort für seine abschließende Antwort.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Sie haben gesehen, wie schwierig diese Debatte ist, wenn es um ethische Fragen geht. Genau das ist Europa, und so sieht es aus.
Genauer gesagt ist die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen unter den Bedingungen erlaubt, auf die wir uns geeinigt und für die wir im Europäischen Parlament und im Rat gestimmt haben. Wir hatten eine sehr ausführliche und tiefgründige Debatte, und das verwendete Verfahren basiert – so kann ich sagen – auf einem echten ethischen Ansatz.
Ich habe einführend erklärt, welche Schritte wir unternommen haben und wie die Entscheidung getroffen wird. Erst einmal brauchen wir eine wissenschaftliche Bewertung. Dann nehmen wir eine ethische Bewertung auf Ebene der Europäischen Union vor und anschließend eine ethische Bewertung auf Ebene jedes einzelnen Mitgliedstaates. Wenn ein Mitgliedstaat gegen die Förderung von etwas in seinem Land ist, fördern wir das Projekt nicht. Anschließend geht das Projekt an den Ausschuss, wo durch die Mitgliedstaaten eine Entscheidung auf Einzelprojektbasis erfolgt.
Wenn wir die wissenschaftliche Bewertung vornehmen, lautet die erste Frage: Ist es möglich, dies mit einem anderen Ansatz zu erzielen? Nur wenn die Antwort „nein“ lautet, fahren wir in der erwähnten Richtung fort.
Normalerweise glaubt die überwiegende Mehrheit der Forscher, dass eine Kombination genutzt werden sollte. Wenn Sie jedoch die Struktur in unseren Programmen betrachten, werden Sie feststellen, dass die überwiegende Mehrheit der Programme, die wir finanzieren, mit der Forschung an adulten Stammzellen im Zusammenhang steht. Das ist ganz klar. Deshalb bemühen wir uns, die Regeln zu befolgen, für die wir hier gestimmt und auf die wir uns geeinigt haben und die unseres Erachtens in der Praxis funktionieren.
Colm Burke (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich war heute Abend um 18:15 Uhr für diese Fragen hier. Meine Frage war die Nr. 3 in einer Sitzung. Es waren dafür 15 Minuten vorgesehen. 35 Minuten waren für diese Sitzung vorgesehen. Ich denke, es ist ein unfaires System, wenn die Frage eines Abgeordneten, der rechtzeitig hier ist, nicht behandelt wird, und ich bin extrem enttäuscht. Ich möchte meiner Verärgerung Ausdruck geben.
Es ist außerordentlich frustrierend, hier hereinzukommen, pünktlich zu sein, und dann festzustellen, dass die Fragen übergangen werden, um anderen Rednern den Vorzug zu geben. Ich finde das sehr ärgerlich.
Der Präsident. − Herr Burke, ich verstehe, dass Sie frustriert sind, aber der Zeitrahmen, der heute Abend für jede Fragengruppe vorgesehen war, wurde eingehalten. Wenn es dann unglücklicherweise passiert, dass einige Fragen in einem Block doch nicht behandelt werden, hängt dies leider nicht vom Präsidenten ab, sondern ist einfach Pech, wogegen ich nichts machen kann. Die einzige Möglichkeit, die ich hatte – wie Sie gut nachprüfen können – war, die Zeit für die letzte Fragengruppe dank der Verfügbarkeit und dem Entgegenkommen der Kommission um einige Minuten zu verlängern. Es wurde jedoch keine Zeit von den anderen Fragengruppen abgezogen.
Die Anfragen, die aus Zeitgründen nicht behandelt wurden, werden schriftlich beantwortet (siehe Anlage).
(Die Sitzung wird um 19.50 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen.)
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgen die Erklärungen von Rat und Kommission über demographische Trends und deren wirtschaftliche und soziale Auswirkungen.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Frau Präsidentin! Da wir leider heute einen Teil des Abends gemeinsam verbringen müssen, werde ich im Namen des Rates und auch im Namen von Kommissar Potočnik versuchen, die Absichten des Rates zu demographischen Trends und deren wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zusammenzufassen.
Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die alternde Bevölkerung, mit anderen Worten, der wachsende Anteil älterer Menschen, ist hauptsächlich das Ergebnis des wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Fortschritts, der den Europäern ein langes Leben mit einem Maß an Komfort und Sicherheit beschert, das in der Geschichte beispiellos ist. Dies ist jedoch auch eine der größten Herausforderungen für die Union in den kommenden Jahren.
Diese Alterung ist das Ergebnis von vier Faktoren. Der erste Faktor ist die niedrige Geburtenrate pro Frau. Der Durchschnitt in der Union beträgt 1,5 Kinder. Dies liegt weit unter der Reproduktionsrate, die etwas mehr als 2-2,1 betragen müsste, um die Bevölkerungszahl zu stabilisieren.
Der zweite Faktor ist die in den letzten Jahrzehnten nach dem „Babyboom“ der Nachkriegsjahre gesunkene Fruchtbarkeit. Das bedeutet, dass diese „Babyboomer“ heute dazu führen, dass die Gruppe der 45- bis 65-Jährigen vergleichsweise groß ist.
Die Lebenserwartung bei der Geburt ist seit 1960 um acht Jahre gestiegen – das ist der dritte Faktor – und sie könnte bis 2050 um weitere fünf Jahre ansteigen, möglicherweise sogar noch mehr.
Der vierte und letzte Faktor besteht darin, dass es in Europa, wie Sie wissen, immer mehr Zuwanderer aus anderen Ländern gibt. Im Jahr 2004 wurden 1,8 Millionen Einwanderer verzeichnet, mehr als in den Vereinigten Staaten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, jedoch gleicht diese Einwanderungsrate die Folgen geringer Fruchtbarkeit und gestiegener Lebenserwartung nur teilweise aus.
Wir befinden uns deshalb in einer Situation, in welcher sich der Grad der Abhängigkeit, mit anderen Worten, die Zahl der über 65-Jährigen im Vergleich zu der Zahl der Menschen zwischen 15 und 64 Jahren verdoppeln und bis 2050 auf über 50 % steigen wird. In der Union, in der früher vier Menschen im erwerbsfähigen Alter auf eine Person über 65 Jahre kamen, wird diese Zahl somit auf nur zwei sinken.
Angesichts dieser Faktoren wird der demographische Wandel, den ich gerade beschrieben habe, von einem tief greifenden sozialen Wandel begleitet, der die Familienstrukturen betrifft. Dies alles führt zu einer wachsenden Zahl älterer Menschen, die allein leben, und sehr alter Menschen, die von anderen abhängig sind.
Wie Sie wissen, gehören die meisten dieser Themen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Dies gilt für die Familienpolitik, die Sozialversicherungssysteme und zum großen Teil für die Steuerpolitik. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen ist der Rat der Meinung, dass die Strategie von Lissabon und die offene Koordinierungsmethode den Rahmen bilden, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten in diesem Bereich aktiv werden sollten, und die meisten Mitgliedstaaten stimmen zu, dass keine neue Strukturen geschaffen werden sollten.
Für den Rat besteht ein wichtiges Leitprinzip darin, dass zusätzlich zu einer stärkeren Ausgewogenheit von Berufs- und Privatleben intensiver versucht werden sollte, die Rollen von Mann und Frau im Haushalt besser zu verteilen und mehr hochwertige Infrastrukturen für die Betreuung von Kindern und anderen pflegebedürftigen Menschen zu bieten.
In einer alternden Gesellschaft wird der Beitrag der jungen Menschen immer wichtiger. Wir müssen unsere Bemühungen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit intensivieren und die Zahl der Schulabbrecher senken. Investitionen in unsere Kinder müssen oberste Priorität haben, wenn wir die Zukunftsaussichten der jungen Menschen verbessern wollen.
Wir müssen auch feststellen, dass für Europa der Ruhestand ein größeres Problem darstellt als die Alterung, obwohl diese Trends beunruhigend sind und es ohne gesunde Staatsfinanzen unmöglich sein wird, alle Folgen der demographischen Alterung abzufangen.
Das heißt, wir müssen genau auf die Zukunftsfähigkeit der Ruhestandsregelungen achten und die laufenden Reformen fortsetzen, um diese Regelungen zu modernisieren und nachhaltig zu gestalten, was der aktuellen Strategie innerhalb der Union entspricht. Es wäre auch sinnvoll, ältere Arbeitnehmer zu ermutigen, weiterzuarbeiten, und insbesondere sinnvolle Anreize zu schaffen.
Der Rat ist sich all dieser Herausforderungen vollkommen bewusst und hat die Empfehlungen des Ausschusses für Sozialschutz zu Aspekten des demographischen Wandels in Europa und den daraus resultierenden Herausforderungen angenommen. Zudem hat der Rat am 30. Mai die Schlussfolgerungen zu Strategien verabschiedet, die den Bedürfnissen der Familien entsprechen, und eine Reihe von Initiativen auf den Weg gebracht, um die Familienpolitik zu unterstützen.
In diesem Kontext fand am 18. September ein informelles Treffen statt, das von der französischen Präsidentschaft unter Einbeziehung der Familienminister organisiert wurde. Auf diesem Treffen ging es in den Diskussionen hauptsächlich um die Kinderbetreuung als Möglichkeit für die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen Arbeit und Familienleben sowie den Schutz von Kindern im Internet.
Fazit: Der Rat fordert die Kommission auf, das erste Forum zur künftigen demographischen Struktur in Europa, das am 30. und 31. Oktober in Brüssel stattfand, als Ausgangspunkt für einen strukturierten und dauerhaften Dialog in und zwischen den Mitgliedstaaten zu sehen und so zu handeln, dass die Kommission die zuständigen Organe unterstützen kann, um die besten Strategien für eine Antwort auf diesen demographischen Wandel zu finden.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Ich brauche vielleicht etwas länger, aber ich verspreche, dies in der zweiten Antwort wieder auszugleichen.
Die Forderung des Parlaments nach einer Erklärung des Rates und der Kommission zu demographischen Trends kommt genau zur richtigen Zeit. Am Freitag dieser Woche werden die Dienststellen der Kommission ihren zweiten Demographiebericht vorlegen – rechtzeitig für das Europäische Demographieforum am 24. und 25. November.
Die Europäische Union erlebt gegenwärtig einen enormen demographischen Wandel. In allen Mitgliedstaaten zeigt sich, dass infolge des wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt und die Fruchtbarkeitsziffern sinken. Heute leben die Europäer länger und gesünder als ihre Vorfahren, und wir können davon ausgehen, dass die Lebenserwartung künftig noch steigen wird.
Diese Alterung der Bevölkerung Europas ist kein abstraktes Szenario mehr, das in weiter Ferne liegt. Der Babyboom begann vor 60 Jahren, und die ersten Babyboomer erreichen jetzt das Rentenalter. Deshalb ist die demographische Entwicklung der Europäischen Union an einen Wendepunkt gekommen. Von jetzt an wird die Zahl der Menschen, die 60 Jahre oder älter sind, in den nächsten 25 Jahren jährlich um zwei Millionen steigen.
Unterdessen sinkt der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter rapide, und diese Tendenz wird noch ca. sechs Jahre anhalten. Heute kommen in den 27 Mitgliedstaaten vier Personen im erwerbsfähigen Alter – zwischen 15 und 64 – auf eine Person ab 65 Jahren. Im Jahr 2060 wird das Verhältnis 2:1 betragen.
Einige sehen die Alterung als Bedrohung und malen ein düsteres Bild des Konflikts zwischen den Generationen. Der demographische Wandel muss jedoch keine Bedrohung sein, wenn wir die Chancen betrachten, die er bietet. Länger und gesünder zu leben kann bedeuten, länger aktiv zu bleiben. Die meisten der Babyboomer sind gebildeter und besser ausgebildet als die früheren Jahrgänge. Sie sind heute immer noch fit und gesund.
Ich bin davon überzeugt, dass der demographische Wandel die Chance einer größeren Solidarität der Generationen bietet. Ich erwarte jedoch nicht, dass dies von selbst geschieht. Die Gesellschaft muss die Fähigkeiten aller Generationen besser nutzen und jedem die Chance bieten, sein volles Potenzial zu entwickeln. Das bedeutet eine Modernisierung unserer Sozialpolitik – im Einklang mit der neuen Sozialagenda, welche die Kommission im Juli verabschiedet hat. Die neue Sozialagenda bestimmte die alternde Gesellschaft Europas als Aktionsschwerpunkt und empfahl verschiedene politische Antworten. Wir wollen den Mitgliedstaaten helfen, ihre Möglichkeiten optimal zu nutzen und mit den Auswirkungen einer alternden Gesellschaft effektiv umzugehen.
Die Ansätze und Empfehlungen in der Mitteilung der Kommission von 2006 „The demographic future of Europe: From challenge to opportunity“ (Die demographische Zukunft Europas: Von der Herausforderung zur Chance) sind immer noch gültig. Diese Mitteilung drückte das Vertrauen in die Fähigkeit Europas aus, sich an den demographischen Wandel anzupassen. Sie hebt jedoch auch die Notwendigkeit hervor, in fünf Schlüsselbereichen tätig zu werden: Förderung der demographischen Erneuerung in Europa durch Schaffung von Voraussetzungen, unter denen sich unsere Mitbürger ihren Kinderwunsch erfüllen können, insbesondere durch Unterstützung der Bemühungen, Arbeit, Familie und Privatleben in Einklang zu bringen; Förderung der Beschäftigung in Europa durch Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, um das Gleichgewicht von arbeitender und nicht arbeitender Bevölkerung zu verbessern; Förderung eines produktiveren und dynamischeren Europas durch die Optimierung der Fähigkeiten in jeder Altersstufe; Aufnahme und Integration von Migranten in Europa durch Anwerbung gelernter und ungelernter Arbeitskräfte aus dem Ausland und Förderung ihrer Integration, um den Arbeitskräftemangel abzufedern; Gewährleistung der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen durch die Konsolidierung der Haushalte und durch Reformen der sozialen Sicherungssysteme, um in Zukunft eine geeignete soziale Sicherung und öffentliche Dienste zu garantieren.
Die Strategie von Lissabon umfasst bereits die wichtigsten dieser politischen Antworten, konzentriert sich jedoch weniger auf eine langfristige Perspektive als die demographische Debatte. Deshalb hat die Kommission zusätzliche Werkzeuge in Form von Zweijahresberichten zur demographischen Lage in Europa und zwei jährlichen Demographieforen vorgeschlagen.
Im Bericht von 2008 wird der Schwerpunkt auf dem Potenzial der Babyboom-Jahrgänge liegen. Eine wachsende Zahl der 60- und 70-Jährigen wird wahrscheinlich bereit sein, weiterhin aktiv am sozialen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen.
Die Beschäftigungsquoten älterer Menschen sind in den letzten Jahren gestiegen und kehren den ehemaligen Trend hin zu einem immer früheren Ruhestand um. Es muss jedoch noch mehr getan werden: Wenn sie das Alter von 60 erreichen, gehen nur 40 % der Männer und 30 % der Frauen noch einer Erwerbstätigkeit nach. Die meisten Menschen in dieser Altersgruppe sind jedoch noch fit und in der Lage, einen Beitrag zu Wirtschaft und Gesellschaft zu leisten. Die alternden Babyboomer können auch als informelle Betreuer und in Ehrenämtern einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Ihr Beitrag muss anerkannt und durch öffentliche Strategien unterstützt werden. Es muss unbedingt gewährleistet werden, dass die wachsende Zahl älterer Menschen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben führen kann.
Ein Schlüsselziel der Demographieforen ist die Förderung des gegenseitigen Lernens unter den Mitgliedstaaten auf Grundlage bewährter Methoden. Das nächste Europäische Demographieforum, das am 24. und 25. November in Brüssel stattfinden soll, wird den Schwerpunkt auf Familienpolitik und aktives Altern legen. Es wird zudem Gelegenheit bieten, Bilanz zu ziehen, wie gut die Mitgliedstaaten auf den demographischen Wandel vorbereitet sind, und die wichtigsten Möglichkeiten für weitere Maßnahmen herauszuarbeiten.
Anfang nächsten Jahres wird die Kommission, basierend auf den neuen Bevölkerungsprognosen von Eurostat, eine Aktualisierung der Folgen des demographischen Wandels für künftige Staatsausgaben vorstellen, insbesondere im Bereich Altersversorgung, Gesundheitswesen und Langzeitpflege.
Abschließend möchte ich betonen, dass es in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten liegt, die richtigen Strategien in Hinblick auf den demographischen Wandel umzusetzen. Der demographische Wandel ist jedoch eine Herausforderung für uns alle. Die Mitgliedstaaten können viel von ihren jeweiligen Erfolgen und Misserfolgen lernen, die sie bei der Reaktion auf den demographischen Wandel erzielt haben. Deshalb regt die Kommission eine europaweite Debatte über den demographischen Wandel an und bietet eine Plattform für Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen.
John Bowis, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Die beiden Eröffnungsreden haben die lange Lebenszeit zu Recht als wichtigste demographische Änderung hervorgehoben. Das bedeutet natürlich, dass die Menschen länger leben und zumeist gesünder sind, in späteren Jahren jedoch dann körperliche oder geistige Gebrechen auftreten.
Dies hat zu einem enormen Anstieg neurodegenerativer Erkrankungen geführt, und die Kosten dafür sind gewaltig. Medikamente gegen die Parkinson-Krankheit kosten in vielen Ländern mehr als Medikamente gegen Krebs. Laut Forschungsprognosen in Großbritannien wird die Zahl der Menschen mit Demenz bis 2051 um 154 % steigen.
Langzeitpflege kommt nun später auf uns zu. Früher war das meist der Fall, wenn die Menschen über 70 waren. Jetzt sind die Menschen dann über 80 und zunehmend bereits über 90 Jahre alt. Die Langzeitpflege bedeutet jedoch immer höhere Kosten für Einzelpersonen und Familien, die auf ihre Ersparnisse zurückgreifen müssen.
Die Herausforderung besteht darin, ein langes Leben als Lohn und nicht als Bestrafung zu sehen. Wir müssen daher im Hinblick auf das Altern umdenken von der Frage „Wie erbringen wir Pflegeleistungen?“ zu der Frage „Wie fördern wir ein gesundes Alter?“. Das bedeutet natürlich eine gesündere Lebensweise bereits in jüngeren Jahren – Verzicht auf Tabak und Drogen, maßvoller Alkoholkonsum, gesundes Essen, körperliche Betätigung, aber auch Stressmanagement.
Ein flexibles Arbeitsleben bedeutet Zeit für Freizeit und Familie. Es bedeutet die Vorbereitung auf ein Leben nach der Erwerbstätigkeit mit flexiblem Ruhestandsalter und gestaffeltem Eintritt in den Ruhestand, wie ich es in den Niederlanden gesehen habe. Es bedeutet bessere soziale Unterstützung auf neue und innovative Art und Weise und mehr häusliche Dienste, damit die Menschen länger in ihrem eigenen Zuhause bleiben können. Wir brauchen Dienstleistungen und Instrumente, die dem geänderten Bedarf entsprechen.
Als meine Mutter 80 wurde, brauchte sie ein Faxgerät zur Kommunikation. Mit 90 brauchte sie einen Treppenlift. Mit 100 brauchte sie Anregung, da ihr Hör- und Sehvermögen sowie ihre Mobilität abgenommen hatten. Sie war jedoch noch geistig fit und brauchte Schutz und Anregung, wenn sie eine echte Lebensqualität haben sollte.
Jan Andersson, im Namen der PSE-Fraktion. – (SV) Frau Präsidentin! Der Trend hin zu immer weniger Erwerbstätigen und immer mehr älteren Menschen könnte als dramatisch beschrieben werden, gleichzeitig ist jedoch die Tatsache, dass wir heute länger gesünder sind, eine positive Entwicklung.
Dies bringt jedoch auch viele Herausforderungen mit sich. Ich möchte einige davon beschreiben. Heutzutage werden weniger Kinder geboren als früher. Allerdings ist die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Wir können sehen, dass die Ergebnisse in den Mitgliedstaaten besser sind, in denen ein System eingerichtet wurde, das es Eltern erlaubt, Berufsleben und Elternschaft vereinbaren können, und zwar sowohl den Frauen als auch den Männer in einer Familie. Wir müssen in dieser Hinsicht voneinander lernen.
Obwohl unsere Bevölkerung altert, geht der langfristige Trend hin zu einer Verkürzung des Arbeitslebens. Das ist erstens darauf zurückzuführen, dass die Menschen jetzt später ins Berufsleben eintreten, und zweitens – mit Ausnahme der letzten Jahre, in denen die Entwicklung positiver war – darauf, dass die Lebensarbeitszeit kürzer geworden ist. Wir müssen etwas an beiden Seiten unternehmen, um das Arbeitsleben zu verlängern, und vor allem müssen wir für die Zeit vor dem Eintritt in den Ruhestand flexible Lösungen anbieten.
Wir haben heute über die „Blue Card“ diskutiert. Wir müssen jedoch dafür sorgen, dass jeder, der aus einem anderen Teil der Welt gekommen ist, in dem gegenwärtig eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht, integriert wird und Zutritt zur Arbeitswelt erhält, auch Menschen mit Behinderungen und anderen Problemen. All dies muss im Rahmen des Lissabon-Prozesses erfolgen, damit wir diese Herausforderungen langfristig meistern können.
Marian Harkin, im Namen der ALDE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Es gibt viele Fragen, die sich aus der Diskussion heute Abend ergeben, ich möchte jedoch nur einen Punkt aufgreifen: Pflege und Betreuer.
Wenn wir das Glück haben, lange zu leben, brauchen wir wahrscheinlich Pflege, und obwohl es Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt, wird es sich vermutlich großenteils um informelle Pflege handeln.
Betreuer bilden die Grundlage formeller und sozialer Pflege und ist ein unverzichtbarer Teil der Langzeitpflege. Wenn von Betreuern erwartet wird, dass sie Pflegeleistungen erbringen – was der Fall ist –, müssen ihre Bedürfnisse fester Bestandteil der Strategieentwicklung in Bezug auf Gesundheitswesen und Sozialfürsorge sein.
In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass auf der Website der Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucher, DG SANCO, ein kurzer Abschnitt für Betreuer eingerichtet wurde, und ich habe keinen Zweifel daran, dass dies ein Ergebnis des Antrags der Interessengruppe der Betreuer an die DG SANCO zu ihrem Jahresarbeitsprogramm ist.
Es genügt aber nicht, wenn Betreuer nur erwähnt werden. Wir glauben, es ist Zeit, einen neuen Sozialvertrag für die Pflege zu entwerfen, der deutlich über die traditionelle Sicht eines Vertrags zwischen dem Staat und dem Einzelnen hinausgeht und der ein neues Engagement auch von Arbeitgebern, lokalen Trägern und Kommunen fordert. Das jüngste Urteil des EuGH zur Diskriminierung durch Assoziation weist den Weg.
Pflege kann nicht allein in der Verantwortung der informellen Betreuer oder des Mitgliedstaates liegen. Das informelle Pflegesystem wird ohne angemessene Unterstützung zusammenbrechen, während bei einem ausschließlich staatlich basierten Ansatz die Kosten einfach zu hoch sind. Deshalb brauchen wir diesen breiter angelegten Sozialvertrag.
Schließlich gibt es ca. 100 Millionen Menschen in der gesamten EU, die Betreuungsleistungen erbringen. Sie arbeiten ohne oder für zu geringe Bezahlung und werden in vielen Fällen nicht adäquat unterstützt. Ich begrüße die Erwähnung auf der Website der DG SANCO, dies ist jedoch nur ein erster Schritt. Es handelt sich hier insgesamt um ein europäisches Thema, und die Maßnahmen müssen zwischen den Mitgliedstaaten koordiniert werden.
Die Politik im Hinblick auf Betreuer sollte Gegenstand der Arbeit der DG SANCO sowie der Generaldirektion Beschäftigung und Soziales sein.
Guntars Krasts, im Namen der UEN-Fraktion. – (LV) Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin. Die europäische Bevölkerung wird älter. Wenn dieser Trend weiter anhält, könnte das organische Bevölkerungswachstum sogar negativ werden. In vielen Mitgliedstaaten ist dies bereits der Fall. Die Zahl der Erwerbstätigen sinkt im Verhältnis zur Zahl der Menschen im Ruhestand in allen Mitgliedstaaten. Eine geringe Geburtenrate in Verbindung mit einer höheren Lebenserwartung und Einwanderung verstärken den Druck auf Renten, Gesundheitsschutz und Sozialleistungen. Es gibt jedoch auch einige Mitgliedstaaten, die dem negativen demographischen Trend in Europa entgegenwirken konnten.
In diesen Ländern wurde ein Gleichgewicht zwischen Privat- und Arbeitsleben erzielt. Dadurch können Eltern ihre Kinder großziehen, ohne dafür ihre Karriere opfern zu müssen, und die entsprechenden wirtschaftlichen und Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Zweifellos müssen die Mitgliedstaaten die meisten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lösungen finden, um der Alterung ihrer Bevölkerung entgegenzuwirken. Es gibt jedoch auch Aufgaben, die auf Ebene der Europäischen Union angegangen werden sollten. Der Arbeitsmarkt der EU besitzt immer noch enorme Reserven. Wir müssen dafür sorgen, dass es auf dem Binnenmarkt keine Hemmnisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gibt. Auch wenn sich diese Aufgabe kompliziert gestaltet – wir müssen zur Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte zurückkehren und die angenommene Dienstleistungsrichtlinie überprüfen. Die Umsetzung dieser beiden Grundfreiheiten würde helfen, die durch den demographischen Prozess entstandenen finanziellen Defizite auszugleichen. Natürlich darf es auch keine Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Alter geben. Ich danke Ihnen.
Jean Lambert, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Es ist interessant, dass wir oft die sinkende Geburtenrate usw. als Problem ansehen. Dies ist nicht notwendigerweise der Fall, wenn wir beginnen, den übermäßigen Wohlstand, den wir auf Ebene der Europäischen Union besitzen, teilweise mit Menschen aus anderen Ländern zu teilen, wenn wir uns mit technischen Innovationen und der Frage befassen, wie wir die Produktivität steigern können und eventuell sogar weniger der wertlosen Güter produzieren, die zurzeit unser Leben und unseren Planeten überschwemmen.
Es geht natürlich auch darum, das Arbeitskräftepotenzial bestmöglich zu nutzen. Deshalb sind die Antidiskriminierungsrichtlinien auf dem Gebiet der Beschäftigung entscheidend, und deshalb ist es unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten diese Richtlinien adäquat umsetzen. Sie sollten auch auf die Hindernisse für den gestaffelten Eintritt in den Ruhestand nicht außer Acht lassen – Fragen wie: Welche Auswirkungen hat eine Verkürzung der Arbeitszeit auf die Rentenzahlungen, auf das Leben und den Zugang zu Sozialleistungen?
Wir sollten auch nicht vergessen, was in der gegenwärtigen Finanzkrise im Hinblick auf zahlreiche unserer Vorstellungen in diesem Bereich passiert. Weil man die Antidiskriminierungsvorschriften nicht richtig anwendet, werden wahrscheinlich mehr ältere Arbeitnehmer entlassen, von denen viele vielleicht niemals wieder eine Arbeit finden und unter den entsprechenden Folgen zu leiden haben.
Andere haben umso größere Schwierigkeiten beim Eintritt in das Arbeitsleben oder beim Aufbau von Rentenansprüchen – all das sind Probleme, die entstehen, wenn man eine Zeitlang nicht arbeitet. Da ist die Frage der Unzufriedenheit unter den Jugendlichen, die keine Arbeit finden, für die es immer schwieriger wird, und natürlich sind da die Probleme, vor denen viele Menschen stehen werden, wenn ihre private oder berufliche Vorsorge nicht die Leistungen erbringen kann, die sie erwartet haben.
Deshalb müssen wir die demographische Situation auch im Kontext der aktuellen Krise betrachten und sehen, wie wir dies für eine bessere Ausbildung nutzen können. Wir sollten dies als Weg nutzen, den Menschen zu helfen, ihre Fähigkeiten zu verbessern, um vielleicht auf eine körperlich weniger anspruchsvolle Arbeit umzusteigen – wir haben bereits seit geraumer Zeit gesagt, dass dies notwendig sei. Wir sollten prüfen, wie wir Menschen, die dazu in ihrer Jugend keine Möglichkeit hatten, zu höheren Bildungsabschlüssen führen können.
Wir können uns jetzt mit einigen der problematischen Faktoren auseinandersetzen und uns wirklich mit Lösungen befassen, um die demographische Lage angehen werden.
Pedro Guerreiro, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Unserer Meinung nach sollte diese Aussprache nicht den Titel „Demographische Tendenzen – wirtschaftliche und soziale Auswirkungen“ tragen, sondern „Wirtschafts- und Sozialpolitik und ihre Auswirkungen auf demographische Tendenzen“ heißen.
Die Prognosen hinsichtlich der demographischen Tendenz für ein Land oder eine Region dürfen nicht von den in diesem Land oder dieser Region verfolgten Strategien abgekoppelt werden, denn diese politischen Ansätze bestimmen und bedingen die demographische Entwicklung.
So basieren beispielsweise die Prognosen über 50 Jahre auf Annahmen, die erläutert werden sollten, z. B. den ökonomischen Strategien, welche die entsprechenden Szenarien bestimmen. Mit anderen Worten, was wir angesichts der erstellten Prognosen heute diskutieren sollten, sind die Folgen für die demographische Entwicklung, die aus Arbeitslosigkeit, zunehmender Arbeitsplatzunsicherheit, Deregulierung der Arbeitszeit sowie einer Geldpolitik entstehen, die auf Mäßigung und Abwertung von Löhnen und Gehältern ausgerichtet ist. Was wir heute diskutieren sollten, sind die Folgen der Zinspolitik der Europäischen Union für Tausende und Abertausende Familien, die Hypotheken aufgenommen haben, um Häuser zu kaufen, die Folgen der Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienste sowie die Folgen niedriger Renten für die Unabhängigkeit und Lebensqualität von Millionen Rentnern. Was wir diskutieren sollten, sind politische Ansätze, welche die Zentralisierung und Konzentration von Reichtum fördern und zunehmend zu sozialer Ungleichheit führen.
Es geht gegenwärtig im Wesentlichen um die Einhaltung oder Nichteinhaltung von Menschenrechten, z. B. dem Recht auf Ernährung, Beschäftigung, angemessene Entlohnung, Wohnung, Gesundheit, Bildung und Freizeit.
Kathy Sinnott, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – Frau Präsidentin! Wir stehen in Europa vor einer Krise, für die wir keine Lösung finden werden, bis wir begreifen, dass wir diese Krise selbst gemacht haben.
In der EU töten wir jedes Jahr mehr als eineinhalb Millionen ungeborene Leben. Wir zerstören unsere Zukunft, und dann wundern wir uns, warum wir eine Krise haben. Wir reden über ein Fruchtbarkeitsproblem, aber dies ist gar kein Fruchtbarkeitsproblem – es ist die Weigerung, Millionen von empfangenen Babys auf die Welt kommen zu lassen. Solange wir hier nicht ehrlich sind, kann es keine Lösung geben. Die Lösung liegt darin, das Leben zu achten und die Familie zu unterstützen, damit dieses Leben ein Umfeld vorfindet, in dem es gedeihen kann. Mit diesen Schritten können wir beginnen, die Herausforderung einer verzerrten demographischen Entwicklung in Angriff zu nehmen. Eine Verbesserung ist nicht über Nacht möglich, aber jetzt können wir die Katastrophe noch abwenden.
Wir sollten uns den Fall Japans vor Augen führen. Vor zwanzig Jahren war Japan die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt – und eine der Fortschrittlichsten. 2007 hatte die Bevölkerungszahl in Japan ihren Spitzenwert erreicht, seither ist sie rückläufig. 1995, zwölf Jahre vor dem Abschwung, trat Japan in eine Deflation ein, da die negative demographische Entwicklung bereits anfing, ihren Tribut zu fordern. Das Land hat sich davon nie erholt. Japan ist Europa dabei 20 Jahre voraus, es war den europäischen Ländern aber auch bei der Legalisierung der Abtreibung 20 Jahre voraus. Wir werden den Gipfel 2025 erreichen – bis dahin sind es nur noch 17 Jahre. Ich frage mich, ob die Deflation, die bei uns jetzt, im Jahre 2008, einsetzt, von Dauer ist und die Bankenkrise durch eine demographische Krise ersetzt wird, die uns begleiten wird, bis wir lernen, das Leben wieder zu achten.
Philip Claeys (NI). – (NL) Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass Rat und Kommission eine Erklärung über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der aktuellen demographischen Trends abgeben. Viele Politiker haben die schlechte Angewohnheit, nur kurzfristig zu denken und eine langfristige Politik zu vernachlässigen. Die demographische Herausforderung, vor der wir stehen, ist langfristig ein entscheidendes Problem, das auch langfristige Lösungen erfordert. Die durchschnittliche Geburtenrate pro Frau liegt in der Europäischen Union bei 1,5 – dies ist zu niedrig, um die jetzigen Generationen zu ersetzen. Auch da liegt das Problem. Eine Option wäre, kurzfristig eine einfache Lösung zu suchen, indem wir für eine noch stärkere Einwanderung aus Ländern außerhalb Europas plädieren. Zwar mag dies theoretisch als gute Idee erscheinen, doch die tägliche Realität in unseren großen Städten zeigt, dass die laxe Einwanderungspolitik der letzten 30 Jahre komplett gescheitert ist. Die Arbeitslosenzahl in Europa beträgt 20 Millionen, und die Kommission möchte immer noch mehr Einwanderer nach Europa holen. Darf ich darauf hinweisen, dass die Arbeitslosenquote unter nichteuropäischen Einwanderern bedeutend höher liegt als unter der einheimischen Bevölkerung in den Mitgliedstaaten?
Aus Zeitmangel kann ich nicht auf die sozialen Probleme eingehen, z. B. die sozialen Verwerfungen, die durch die massive Einwanderung verursacht werden. Was wir brauchen, ist eine Politik in den Mitgliedstaaten, die junge europäische Familien in ihrem Kinderwunsch unterstützt. In den Mitgliedstaaten sind steuerpolitische Maßnahmen erforderlich, die es attraktiver machen, Kinder zu haben. Die Kinderbetreuung muss verbessert und ausgebaut werden. Wir sollten auch wagen, die Einführung eines Erziehungsgeldes für den zu Hause bleibenden Elternteil in Erwägung zu ziehen, der den größten Teil seiner Zeit für die Kindererziehung aufwendet.
Othmar Karas (PPE-DE). – (DE) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich begrüße die Debatte, weil sie Bewusstsein schafft und nicht Angst macht. Wir müssen Taten setzen, jetzt und nicht erst morgen.
Der demografische Wandel hat seine Ursachen, Folgen und Herausforderungen. Die sinkende Bevölkerungszahl, Personen im Erwerbsleben werden weniger, wir leben länger. Die Kinder, die in diesen Minuten auf die Welt kommen, haben die Chance, 100 Jahre alt zu werden. Jedes zweite Kind wird das auch werden. Die Menschen werden älter und die Kinder leider weniger. Die Alters- und damit Bevölkerungsstruktur ändert sich dramatisch. Neue Infrastrukturanforderungen, neue Anforderungen an öffentliche Dienstleistungen, an wirtschaftliche, bildungspolitische und soziale Angebote stehen uns ins Haus und sind gefordert. Wir sind ein alternder Kontinent. Jean-Claude Juncker hat einmal gesagt: Wenn wir unsere Sozial-, Pensions- und Gesundheitssysteme nicht rasch nachhaltig sanieren und zukunftsfit machen, werden wir vom Gewinner zum Verlierer der Globalisierung werden.
Was ist zu tun? Viel! Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich sicherstellen. Menschen nicht mehr aus dem Erwerbsleben drängen. Neue Formen der Pflege, der Kinderbetreuung, der mobilen Dienste, wie Essen auf Rädern, sind gefordert. Die Finanzierung der Pflege muss in allen Mitgliedstaaten aus der Sozialhilfe herausgelöst und zur solidarischen Verantwortung werden. Wir haben eine bildungspolitische Herausforderung. Wir sollten als Ziel haben, der kinder- und menschenfreundlichste Kontinent der Welt zu werden. Die Anrechnung der Kindererziehungszeiten, der Pflege – 80 % der Pflegenden sind Familienangehörige. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es gibt viel zu tun. Die Ursachen für unsere Probleme sind vielfältig.
Françoise Castex (PSE). – (FR) Frau Präsidentin, Herr Minister! Ich möchte mich kurz äußern: Der Hemmschuh bei der Meisterung dieser demographischen Herausforderung besteht darin, dass die Zahl der Erwerbstätigen zurückgeht. Hierzu zwei Zahlen: 2010 wird es 217 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter geben, im Jahre 2050 werden es jedoch nur noch 180 Millionen sein – ein Defizit von fast 36 Millionen Menschen.
Müssen wir einen Arbeitskräftemangel befürchten? Müssen wir ein Ungleichgewicht zwischen der erwerbstätigen und der nicht erwerbstätigen Bevölkerung befürchten?
Wir schlagen zwei Lösungen für dieses Problem vor, mit denen ein optimales Arbeitskräftemanagement erzielt werden soll. Erstens: Vollbeschäftigung. Wir müssen Vollbeschäftigung anstreben. Es gibt gegenwärtig angesichts der Unterbeschäftigung von jungen Menschen, Frauen, Menschen über 55 Jahren und gering qualifizierten Personen sehr gute Möglichkeiten. Wir sehen gerade, wie ein enormes Potenzial verschwendet wird. Wenn wir den Beschäftigungsgrad bei Frauen und Menschen im Alter zwischen 55 und 65 bis 2050 so weit anheben, bis dass er dem Spitzenwert in Europa entspricht, könnten wir diesen Arbeitskräftemangel kompensieren.
Schließlich: lebenslange Bildung und Fortbildung. Wir möchten auf eine optimale Länge des Erwerbslebens hinarbeiten. Es ist inakzeptabel, dass ein Arbeiter, ein Projektmanager, ein 50 Jahre alter Manager kaum andere berufliche Aussichten hat als die Stagnation. Hier geht es um die soziale Verantwortung unserer Firmen.
(Der Präsident unterbricht die Rednerin.)
Marco Cappato (ALDE). – (IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die Weltbevölkerung hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte verdoppelt, mit verheerenden Folgen für unseren Planeten. Deshalb ist die Tatsache, dass der Trend in Europa wenigstens teilweise anders ist, positiv zu sehen.
Es gibt natürlich Probleme im Hinblick auf Sozialleistungen, doch die Antwort darauf lautet nicht, die Menschen zu ermutigen, mehr Kinder zu bekommen, sondern eher, das Rentenalter anzuheben, die Diskriminierung von älteren Menschen in Ländern wie Italien zu bekämpfen, wo die negativen Anreize für eine Fortführung der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Rentenalters so hoch sind, dass die Altersversorgung kein Recht, sondern eine Pflicht ist.
Auf globaler Ebene appelliere ich besonders an die Präsidentschaft, etwas zu unternehmen, damit die neue Konferenz der Vereinten Nationen zu Bevölkerungsfragen einberufen wird, die seit Jahren blockiert wird, weil Staaten wie der Vatikanstaat und diejenigen Druck ausüben, die verantwortungsvolle Regelungen zu Informationen über Sex und Familienplanung fürchten.
Ewa Tomaszewska (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Die demographischen Trends für Europa sind nunmehr seit über einem Dutzend Jahren äußerst alarmierend. Die Reproduktionsrate beträgt 2,16. In Polen beträgt die Geburtenrate 1,2. Gleichzeitig führen der medizinische Fortschritt und eine gesündere Lebensweise dazu, dass die Menschen länger leben. Europa wird immer älter, stirbt aber auch aus. Im Jahr 2030 wird das Verhältnis der erwerbstätigen zur nicht erwerbstätigen Bevölkerung 1:2 betragen.
Eine familienfeindliche soziökonomische Politik, die Propagierung von Familienmodellen mit wenigen Kindern oder kinderlosen Ehen durch die Medien sowie eine Politik, die zum Zusammenbruch der Familie beiträgt, sind wichtige Ursachen der negativen demographischen Veränderungen in Europa. Die bedeutendsten Folgen sind ein Arbeitskräftemangel auf dem Arbeitsmarkt, der die wirtschaftliche Entwicklung bedroht, ein dramatischer Effizienzverlust des Rentensystems und gestiegene Gesundheitskosten aufgrund der speziellen Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft.
Irena Belohorská (NI). – (SK) Ich begrüße die Aussprache zu diesen Themen und glaube, dass sie jetzt, wo wir gleichzeitig eine Finanz- und eine Wirtschaftskrise bewältigen müssen, besonders wichtig ist. Demographische Trends zeigen, dass die Bevölkerung aufgrund der Kombination aus verbesserter Gesundheitsversorgung und sinkenden Geburtenraten altert. Wir müssen uns deshalb auf diese Gegebenheiten einstellen und in den entsprechenden Bereichen Vorkehrungen treffen.
Im sozialen Bereich wird es relativ schwierig sein, die Renten zu sichern. Im Gesundheitsbereich müssen wir an Behandlungsmöglichkeiten denken, vor allem für Krankheiten im höheren Lebensalter. Wir wissen beispielsweise, dass bis zu zwei Drittel der Krebserkrankungen im Alter über 60 auftreten.
Die Nachhaltigkeit des Sozialsystems erfordert mehr, bessere und besser angepasste Beschäftigungsbedingungen für ältere Menschen. Dies betrifft vor allem Frauen über 55 und Männer im Alter von 55 bis 64 Jahren. Der Bevölkerungsrückgang kann durch die Einwanderung junger Menschen aus Drittländern abgefangen werden, wir müssen jedoch vor allem versuchen, Bedingungen zu schaffen, damit die jungen, gebildeten Bevölkerungsschichten nicht mehr in die USA abwandern.
Angesichts der abnehmenden reproduktiven Gesundheit junger Frauen sollten wir die künstliche Fortpflanzung unterstützen. Viele junge Familien können diese nicht bezahlen. Meines Erachtens werden wir nicht in der Lage sein, die Strategie von Lissabon zu erfüllen. Wir sollten zumindest versuchen, die Idee einer europäischen Allianz zur Unterstützung von Familien wiederzubeleben, entweder über Steuervergünstigungen oder über bessere Einrichtungen für Kinder im Vorschulalter. Der Mutterschutz sollte voll und nicht nur mit einem Minimalsatz bezahlt werden.
Gabriela Creţu (PSE). – (RO) Herr Minister! Bitte entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen widerspreche, aber wir haben mehrere Probleme, nicht nur eines. Wir haben nicht nur demographische Probleme, sondern auch politische, soziale und ethische. Wir sagen, dass wir eine höhere Geburtenrate möchten, doch 30 % der bereits geborenen Kinder leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Folgen für die Zukunft sind schlechte Bildung, schlechte Arbeitsplätze, geringere Produktivität und geringe Beitragsleistungen.
Die Position des Rates zur Arbeitszeitrichtlinie widerspricht eklatant der Absicht, ein Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben zu erzielen. Unfruchtbarkeit wird von der WHO als Krankheit anerkannt, von vielen Mitgliedstaaten jedoch nicht. Deshalb übernehmen die Krankenkassen die Behandlungskosten nicht. Für einen einzigen Versuch einer IVF müsste in Rumänien ein Durchschnittsverdiener den gesamten Verdienst von neun Monaten aufwenden. Für eine Empfängnis sind 3 bis 4 Versuche nötig, und dann dauert es noch neun Monate, bis das Kind geboren wird.
Liebe Kollegen! Die effektivste Lösung wäre, eine konsistente Politik der Staaten zu fördern und dafür zu sorgen, dass die abgegebenen Erklärungen und die verabschiedeten Maßnahmen auch übereinstimmen.
Samuli Pohjamo (ALDE). – (FI) Frau Präsidentin! Die Herausforderungen der demographischen Trends scheinen besonders groß in den dünn besiedelten Gebieten des Nordens. Durch die Migration verlassen junge und gebildete Menschen eine Region, wobei die alternde Bevölkerung im Verhältnis zum Rest schnell zunimmt. Dies führt zu gestiegenen Kosten für Sozial- und Gesundheitsleistungen – ein Problem, das durch die großen Entfernungen noch verschärft wird. Jedoch haben neue Technologien und Innovationen neue Dienste hervorgebracht, die der alternden Bevölkerung helfen und in der gesamten Union genutzt werden können.
Ein anderer Weg, Herausforderungen in Chancen umzuwandeln, ist eine effektive Regionalpolitik. Mit einer effektiven Regionalpolitik kann man die Möglichkeiten der verschiedenen Gebiete nutzen, neue Arbeitsplätze schaffen und zusätzlichen Wert für Europa als Ganzes schaffen. Gleichzeitig können die Bevölkerungstrends zum Positiven verändert werden.
Jan Cremers (PSE). – (NL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, Herr Jouyet, meine Damen und Herren! Als wir im Frühjahr in diesem Haus über die Auswirkungen der demographischen Entwicklungen diskutiert haben, hatte uns die aktuelle Wirtschaftskrise noch nicht mit voller Wucht getroffen. Diese Krise wird den Druck auf unsere Sozialsysteme erhöhen. Infolge des erwarteten Anstiegs der Arbeitslosigkeit kann der Arbeitsmarkt kurzfristig möglicherweise eine gewisse Entspannung verzeichnen. Langfristig löst dies jedoch das spezifische Problem einer alternden Bevölkerung nicht.
Wenn ein zunehmend schlechtes Wirtschaftsklima immer mehr Druck auf die älteren Arbeitnehmer ausübt, früher in den Ruhestand zu gehen, dann verfallen wir in alte Fehler. Der Schwerpunkt sollte jetzt und in Zukunft auf flexiblen Rentenvereinbarungen auf freiwilliger Basis liegen. Dies sollte kombiniert werden mit einer Arbeitsorganisation, die eine längere Lebensarbeitszeit zu einer echten Option werden lässt. Die Finanzkrise hat erneut gezeigt, warum wir sorgsam mit den Rentenkassen umgehen müssen. Der Tragfähigkeit des Rentensystems, das in Einklang mit der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung steht und langfristig auf risikoarmen Investitionsstrategien basiert, sollte hohe Priorität eingeräumt werden. Zudem sollte die Europäische Kommission ihre Aufmerksamkeit auf die Regulierung und Überwachung paneuropäischer Rentenversicherungen lenken.
Miroslav Mikolášik (PPE-DE). – (SK) Der veränderte Lebensstil der jüngeren Generation sieht so aus, dass jeder nach Abschluss des Studiums einige Jahre reisen und anschließend seine Karriere aufbauen möchte. Die jungen Menschen, auch die jungen Frauen, sind dann schon über 30, und die meisten von ihnen bekommen nur ein Kind. Eine Familie wird heute als negative Belastung gesehen, und außerdem sind die jungen Männer nicht in der Lage, den Frauen die Ehe und Sicherheit zu versprechen.
Die Zahl der Abtreibungen hat eine Rekordhöhe erreicht, und ein großer Teil der Frauen nimmt hormonelle Kontrazeptiva, sodass die Zahl der Frauen, die physiologisch tatsächlich in der Lage sind, schwanger zu werden, sehr gering ist. Der Fruchtbarkeitsindex in den europäischen Ländern schwankt zwischen 1,1 und 1,3. Nur Frankreich, das Familien seit langem finanziell unterstützt, hat einen Index von fast 2. Ein europäischer Kongress zu Familienfragen, der kürzlich an der Universität von Ružomberok stattfand ...
Mairead McGuinness (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Es sieht so aus, als würden wir alle länger leben, könnten uns aber an immer weniger Enkelkindern erfreuen. Ich nehme an, die Gründe hierfür sind sehr komplex und vielfältig. Ich denke, Kinder werden als „Problem“ betrachtet – das hören Sie, wenn Sie mit kinderlosen Menschen sprechen. Wir sprechen auch eher über ein „Kinderbetreuungsproblem“ als über eine „Lösung“.
Ältere Menschen haben ebenfalls das Gefühl, dass sie anderen zur Last fallen, und machen sich Sorgen, wer sie im höheren Alter betreuen wird. Ich denke, dass diejenigen unter uns, die jetzt in den mittleren Jahren sind, ihr bevorstehendes Schicksal fürchten, weil es in Zukunft noch weniger Menschen geben wird, die unsere Renten zahlen und sich um uns kümmern, wenn auch wir dazu nicht mehr in der Lage sind.
Die Rolle von Betreuern in der Gesellschaft ist, wie Marian Harkin zu Recht herausgestellt hat, völlig unterbewertet, und das muss sich ändern. Wenn ich die heutige Aussprache verfolge, dann frage ich mich – im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise –, ob die Kommission auf diese Frage eine Antwort hat und sieht, dass sich dieses Problem des demographischen Trends angesichts der jetzigen Lage noch verschlimmern könnte. Das wäre bedauerlich.
Silvia-Adriana Ţicău (PSE). – (RO) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Die Europäische Union muss auf die demographischen Herausforderungen vorbereitet sein. Ein soziales Europa muss in der Lage sein, die Erwartungen seiner Bürger zu erfüllen, indem es ihnen hochwertige Bildung, ein effizientes und zugängliches Gesundheitssystem und Arbeitsplätze bietet, die ein angemessenes Leben ermöglichen und eine angemessene Rente garantieren.
Die Bevölkerung der EU wird immer älter. Gleichzeitig gibt es, abgesehen von Irland und Frankreich, einige Mitgliedstaaten, in denen die Geburtenrate gestiegen ist und die auf diesem Gebiet dank spezieller politischer Ansätze gute Ergebnisse erzielt haben. Obwohl die Kindersterblichkeit auf Ebene der Gemeinschaft auf 4,7 pro tausend Einwohner gesunken ist, gibt es immer noch einige Mitgliedstaaten, in denen diese Zahl 12 pro tausend Einwohner beträgt.
Europa muss in Gesundheit, Bildung und Sozialleistungen investieren. Die Garantie gut bezahlter Arbeitsplätze bedeutet ein angemessenes Leben für die Arbeitnehmer, gewährleistet jedoch auch die für die Rentenzahlung erforderlichen Ressourcen. Das Rentensystem basiert auf der Solidarität zwischen den Generationen.
Toomas Savi (ALDE). – Frau Präsidentin! Die Europäische Union ist eine alternde Gesellschaft. Viele Menschen in der EU möchten lieber beruflich vorankommen, anstatt sich auf das Familienleben zu konzentrieren, bis es für sie zu spät ist, Kinder zu bekommen.
Ich bin kürzlich Großvater geworden und ein leidenschaftlicher Unterstützter einer Maßnahme zur Familienplanung in Estland, die es einem Elternteil ermöglicht, 18 Monate nach Geburt des Kindes zu Hause zu bleiben, wobei ihm soziale Leistungen garantiert sind, die mehr oder weniger seinem Gehalt entsprechen, das er vor der Geburt erhalten hat – das Elterngeld.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen ähnlichen Ansatz in der gesamten EU verfolgen sollten, wenn wir unsere Kinder nicht mit unangemessen hohen Steuern belasten wollen. In Estland beispielsweise hat eine solche Politik die Nation aus einem scheinbar nicht zu stoppenden Rückgang der Bevölkerungszahl herausgeführt.
Avril Doyle (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Die wichtigste Aufgabe eines Bürgers ist die Erziehung der nächsten Generation. Ohne die jungen Frauen von heute, egal, ob verheiratet oder Single, belehren zu wollen – wir müssen für alle Frauen, die zu Hause bleiben und ein zweites oder drittes Kind bekommen möchten, wieder die Möglichkeit einräumen, sich frei zu entscheiden. Wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht gezwungen sind, aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen weiter arbeiten zu gehen.
Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen, die zu Hause bleiben, volle Renten oder eine Elternrente bzw. eine Mütterrente erhalten, damit sie im Alter finanziell abgesichert sind und angemessen vom Staat dafür entlohnt werden, dass sie die wichtigste Aufgabe für uns alle übernehmen: die Erziehung der nächsten Generation.
Ein anderer Punkt ist, dass die meisten von uns heute im Durchschnitt mehr gesunde Jahre haben. Deshalb muss das obligatorische Rentenalter – das traditionelle Rentenalter – von 65 Jahren überprüft werden, und dies sollte bald geschehen. Im Durchschnitt sind die Frauen jetzt schon weit in den Dreißigern, wenn sie ihr erstes Kind bekommen. Wir müssen diese Situation so schnell wie möglich überprüfen.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Wir wissen alle, dass die europäische Gesellschaft altert, aber wissen wir auch alle, welche Folgen dies für unsere Wirtschaft und unseren Arbeitsmarkt haben wird? In einer Ära der Globalisierung haben demographische Probleme eine viel größere Tragweite. Aus diesem Grund braucht die Europäische Union integrierte Maßnahmen auf vielen Ebenen.
Einerseits müssen wir garantieren, dass die Ziele der Strategie von Lissabon erreicht werden: Wir brauchen mehr Arbeitsplätze, wir brauchen mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt, und wir müssen dem Trend hin zu einem vorzeitigen Ruhestand Einhalt gebieten. Wir müssen auch stärkeres Gewicht auf Ausbildung legen, vor allem in den Bereichen Ingenieurwesen und Informationstechnologie, die für eine wissensbasierte Wirtschaft ausschlaggebend sind. Zudem ist es äußerst wichtig, die lebenslange Bildung zu fördern und die Arbeitnehmer darauf vorzubereiten, neue Herausforderungen anzunehmen.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Frau Präsidentin! Ich werde versuchen, Ihren Rat einzuhalten. Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Die Aussprache war sehr fruchtbar, und aus den verschiedenen Wortmeldungen geht eindeutig hervor, dass es viele Ansatzpunkte gibt, um diese demographische Herausforderung zu meistern.
Verschiedene Vorgehensweisen können sich gegenseitig ergänzen, wie ich im Folgenden beschreiben werde. In gewissem Maße stimmt es, dass wir den Beschäftigungsgrad erhöhen müssen, es stimmt weiterhin, dass wir Einwanderer brauchen, um dieses demographische Defizit auszugleichen, und es ist auch wichtig, dass die Einwanderung kontrolliert und organisiert erfolgt. Es stimmt auch, dass wir eine Familienpolitik brauchen und die vorhandene Geburtenrate unterstützen müssen. Es gibt einen Pflegebedarf für ältere Menschen, und der Umgang mit ihnen muss verbessert werden. In diesem Kontext müssen wir auch genau auf die Entwicklung der Bildungsinfrastruktur, die Kinderbetreuung und die Verminderung der Abhängigkeit im Alter achten.
Wie mehrere Redner gesagt haben, müssen wir unsere Stärken in Betracht ziehen, vor allem neue Informationstechnologien, Forschung und Entwicklung und die Flexibilität, die sie im Hinblick auf medizinische Dienste und Gesundheitsleistungen bieten. Zudem müssen wir alles in Betracht ziehen, was zur Unterstützung der pränatalen Diagnostik, der Früherziehung und der öffentlichen Kinderbetreuung getan werden kann. Es gibt deshalb verschiedene Herausforderungen, wir besitzen jedoch schon heute die Ressourcen, um dieses demographische Defizit anzugehen.
Wie in der Aussprache betont wurde, müssen wir bereit sein, die Folgen des demographischen Wandels zu überwachen. Wir müssen die Funktionsfähigkeit unserer Sozialversicherungs- und Rentensysteme überwachen, die eines der Hauptmerkmale des europäischen Solidaritätsmodells darstellen. Trotz der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise müssen wir langfristige Maßnahmen ergreifen, um die Funktionsfähigkeit dieser Systeme sicherzustellen, und wir müssen auch die zukünftigen Auswirkungen dieses demographischen Wandels auf verschiedene Aspekte der Organisation der Arbeitswelt berücksichtigen. Herr Cappato hat diesen Punkt an einem speziellen Beispiel illustriert, und dies völlig zu Recht.
Abschließend glaube ich, dass – wie Kommissar Potočnik zweifellos zustimmen wird – Kommission, Parlament und Rat den Dialog im Geiste der heutigen Aussprachen fortsetzen müssen. Europa steht zweifellos vor einer langfristigen Herausforderung, und wir müssen vorausschauend handeln, uns selbst organisieren und dürfen nicht zulassen, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise uns davon abhält, Maßnahmen zu ergreifen und eine Reform anzustoßen.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Wir haben heute eine klare Botschaft gehört, dass wir vor einer sehr ernsten Herausforderung stehen – dem Altern der Gesellschaft.
Das 21. Jahrhundert ist in vielerlei Hinsicht eine Ära der Unsicherheit, und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Wir alle müssen alles unternehmen, was möglich ist. Wie bereits erwähnt wurde, sollte ein langes Leben Lohn und keine Bestrafung sein. Es wurde auch schon erwähnt, dass es konsequent wäre, im Kontext der Lissabon-Agenda zu handeln, und ich stimme dem zu. Wir können die Lissabon-Agenda ganz einfach als Schritt in Richtung einer wissensbasierten Gesellschaft und als Maßnahme für Nachhaltigkeit verstehen, sei es in Bezug auf Sozialschutz, Umwelt oder Wirtschaft. Was wir aus dieser Krise gelernt haben, ist, dass selbst Gewinne eindeutig nachhaltig sein müssen.
Daher darf die gegenwärtige Finanzkrise unsere Aufmerksamkeit nicht von den Problemen ablenken, die wir in den letzten Jahren geduldig diskutiert haben, auch nicht von dem Problem, über das wir heute sprechen. Hierbei handelt es sich nur um ein zusätzliches Problem. Wenn wir uns damit befasst haben, müssen wir aus der Finanzkrise mit einer Struktur heraustreten, die für alle Herausforderungen des 21. Jahrhunderts geeignet ist. Deshalb ist es in diesem Kontext wichtig, dass wir uns aller möglichen Aspekte der Nachhaltigkeit bewusst sind – Nachhaltigkeit für den Planeten, auf dem wir leben, zwischen den Lebewesen auf dem Planeten, zwischen uns Menschen und zwischen den Generationen – dies ist im Grunde genommen die Quintessenz der demographischen Frage, die wir heute diskutieren.
Unsere Politik muss sich definitiv damit befassen. Das Demographieforum am 24. und 25. November – das ich in meiner Eröffnungsrede erwähnt habe – bietet dafür sicherlich eine gute Gelegenheit. Wir sollten natürlich den Dialog zwischen Rat, Mitgliedstaaten, Parlament und Kommission fortsetzen. Ihre heutigen Diskussionen beweisen, dass die Aussprache genau zur richtigen Zeit kommt. Ich möchte Ihnen im Namen der Kommission für Ihre Wortmeldungen danken. Alles, was Sie angesprochen haben, ist außerordentlich wichtig – Förderung einer demographischen Erneuerung, Vereinbarung von Familie und Berufsleben, die Fragen der Betreuer, Mobilität und Antidiskriminierung sowie andere politische Ansätze. All dies ist wichtig, wenn wir über dieses Problem sprechen.
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
17. Zukunft der Sozialversicherungssysteme und Renten: Finanzierung und Trend zur individuellen Absicherung (kurze Darstellung)
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgt der Bericht (A6-0409/2008) von Frau Stauner im Namen des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten über die Zukunft der Sozialversicherungssysteme und Renten: Finanzierung und Trend zur individuellen Absicherung (2007/2290(INI)).
Gabriele Stauner, Berichterstatterin. – (DE) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Initiativbericht zum Thema Zukunft der Systeme der sozialen Sicherheit und der Renten ist aufgrund der Aktualität und Vielschichtigkeit eine faszinierende Aufgabe. Er birgt aber die große Gefahr, zu einem überdimensionalen Wunschzettel und Forderungskatalog aller billig und gerecht Denkenden auszuarten.
Dieser Versuchung sind wir nicht erlegen, wie der relativ knappe, sehr technische und allzu blumige Formulierungen vermeidende Text schon auf den ersten Blick zeigt. Ich bedanke mich deshalb bei allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere den Schattenberichterstattern und Frau Lulling als Verfasserin der Stellungnahme des Frauenausschusses für die insoweit geübte Disziplin.
Es war mein Bestreben, einen Bericht abzuliefern, der für alle Entscheidungsträger und Interessierte sowohl eine Darstellung der Entwicklungen in den nächsten 30 bis 40 Jahren bietet, als auch für einzelne Sozialbereiche Denkanstöße und Handlungsempfehlungen gibt. Die Systeme der sozialen Sicherheit und der Renten sind in den Mitgliedstaaten traditionell unterschiedlich ausgestaltet, gewachsen und finanziert, weshalb sich auch eine Harmonisierung auf EU-Ebene verbietet.
Gleichwohl befinden sich alle aufgrund der demografischen Entwicklung und der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt infolge der Globalisierung in Schwierigkeiten. Reformen durchführen, heißt deshalb in jedem Fall das Gebot der Stunde. Ein „weiter so“ verträgt nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen keines der bestehenden Systeme. Das ist die erste wichtige Erkenntnis.
Wie die Reformen in den einzelnen Mitgliedstaaten aussehen sollen, ist natürlich je nach Struktur verschieden. Notwendig sind u. a. nach unseren Vorstellungen bei allen Systemen erstens, bessere und mehr Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, damit die Erwerbsquote gehalten werden kann und gesellschaftliche und soziale Probleme nicht durch zu große Zuwanderung von Arbeitskräften verstärkt werden.
Zweitens: Trotz Zulassung von sogenannten atypischen Arbeitsverhältnissen müssen wir am klassischen unbefristeten Vollarbeitsverhältnis festhalten, weil nur dieses Stabilität der Lebensverhältnisse und der Sozialversicherungssysteme gewährleistet.
Drittens: Neben der finanziellen Absicherung der Sozialausgaben durch Umlage und kapitalgedeckte Mischformen müssen wir die Sozialinvestitionen in den Vordergrund rücken.
Viertens: Arbeitsproduktivität und Innovationsfähigkeit müssen gesteigert werden, denn wir haben in Europa im Wesentlichen nur das Humankapital.
Fünftens: Qualitativ hohe und für alle zugängliche Gesundheitsversorgung muss sichergestellt werden, wobei medizinischer Fortschritt und sinkende Beiträge eine Grundversorgung für jedermann garantieren müssen.
Sechstens: Frauen müssen durch besondere Maßnahmen vor ihren spezifischen Risiken und gerade vor Altersarmut geschützt bzw. privilegiert werden, z. B. durch Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten in der Rentenversicherung.
Kernpunkt aller Bemühungen ist und kann auch in Zukunft nur die Solidarität zwischen den Generationen und gesellschaftlichen Gruppen sein. Das gilt vor allem in einer sich durch die Globalisierung wandelnden Welt, die zunehmend entpersonalisiert und anonymisiert. Solidarität und Subsidiarität sind die Grundprinzipien des europäischen Sozialmodells. In diesem Sinne muss die Globalisierung sozial gestaltet werden, damit qualifizierte und anpassungsfähige Arbeitnehmer sich und ihren Familien den Lebensunterhalt in Würde verdienen, im Krankheitsfall gute Behandlung erfahren und im Alter finanziell abgesichert sind.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Obwohl er vor Ausbruch der derzeitigen Turbulenzen auf unseren Finanzmärkten und vor den Anzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs erstellt wurde, kommt dieser Bericht bemerkenswerterweise genau zum richtigen Zeitpunkt, und er ist auch wichtig. Ich möchte der Berichterstatterin zu ihrer soliden Arbeit gratulieren.
Der Bericht hebt die langfristigen soziodemographischen und wirtschaftlichen Veränderungen hervor, die die Modernisierung und Reform unserer sozialen Sicherungssysteme antreiben. Er unterstreicht die Bedeutung unserer gemeinsamen Werte auf dem Gebiet der sozialen Sicherung. Er zeigt auch, wie damit unsere Renten- und Gesundheitssysteme zukunftsfähig gestaltet werden können.
Mehr Menschen, die mehr und länger arbeiten – dies ist der Schlüssel für die langfristige Angemessenheit und Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherung. Gleichzeitig ist dies eine Win-Win-Strategie. Der Bericht verknüpft zukunftsfähigen, angemessenen Sozialschutz mit der Strategie von Lissabon und unserer Verpflichtung zur Gewährleistung von zukunftsfähigen öffentlichen Finanzen. Die von der Kommission vorgeschlagene erneuerte Sozialagenda verleiht dieser Verbindung Substanz, indem sie im Hinblick auf die künftige Sozialpolitik und die künftigen Prioritäten einen breiten, holistischen Ansatz unterstützt.
Ich begrüße, dass die Förderung der vollständigen Integration der Frauen in unsere Arbeitsmärkte und der Kampf gegen alle Formen von Diskriminierung hervorgehoben werden, damit jedermann einen Anspruch auf angemessenen Sozialschutz und vor allem auf Rentenansprüche erwerben kann.
Der Bericht betont die Notwendigkeit, die Umstellung auf kapitalgedeckte Rentensysteme in vielen Mitgliedstaaten mit einem soliden nationalen und EU-weiten Rechtsrahmen zu kombinieren, um eine effektive Kontrolle und genaue Überwachung der Ergebnisse für die Bürger zu gewährleisten.
Diese Botschaft kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Der Zugang zu hochwertiger medizinischer Versorgung und Vorsorge ist ein Grundpfeiler der Sozialmodelle der EU. Dies ist ein Ziel, das an sich zu erreichen ist, und zudem eine notwendige Voraussetzung für ein produktives Arbeitskräftepotenzial in einer Phase der schnellen Alterung der Bevölkerung.
Die Kommission teilt Ihre Bedenken hinsichtlich der Ungleichheiten im Gesundheitswesen und der Notwendigkeit, eine hochwertige Gesundheitsversorgung für alle zu garantieren, die von der gesamten Bevölkerung solidarisch finanziert wird. Diese Punkte werden in einer Kommissionsmitteilung zu Ungleichheiten im Gesundheitswesen im nächsten Jahr aufgegriffen.
Der Bericht ist ein dringender Appell an uns alle, uns nicht nur weiterhin für unsere Grundziele – Zugang für alle, Solidarität, Angemessenheit und Nachhaltigkeit – einzusetzen, sondern auch für deren Stärkung durch Modernisierung.
Die Kommission wird eine umfassende Stellungnahme zur Finanzkrise und zum Abschwung der Realwirtschaft in einer Mitteilung abgeben, die am 26. November veröffentlicht werden soll.
Sie wird auch die konstruktive soziale und wirtschaftliche Rolle des Sozialschutzes im gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und Integration für 2009 darlegen.
Ich kann Ihnen versichern, dass die Kommission bereit ist, sich in enger Zusammenarbeit mit dem Parlament noch einmal mit den verschiedenen Punkten dieses Berichts zu beschäftigen.
Die Präsidentin. - Dieser Tagesordnungspunkt ist nun abgeschlossen.
Die Abstimmung erfolgt am Donnerstag, den 20. November 2008.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Bogusław Rogalski (UEN), schriftlich. – (PL) Leider sind Bevölkerungsalterung und -schwund für Europa unausweichlich. Laut Aussagen von Demographen wird die Geburtenrate den Generationsersatz nicht gewährleisten, wogegen die durchschnittliche Lebenserwartung steigt. Die niedrige Geburtenrate hängt zusammen mit der Schwierigkeit, Berufs- und Familienleben in Einklang zu bringen – wir haben zu wenig Krippen und Kindergärten, und es gibt keine wirtschaftliche Unterstützung für Familien. Ende 2030 wird das Verhältnis der erwerbstätigen zur nicht erwerbstätigen Bevölkerung 2:1 betragen.
Die Folgen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung über Einwanderung abzufedern, ist nur eine mögliche Lösung. Dies führt auch zu einer stärkeren ethnischen, kulturellen und religiösen Vielfalt. Deshalb müssen wir den Beschäftigungsgrad unter behinderten und älteren Menschen (durch Ausbildung und Umschulung) erhöhen. Der Eintritt in den Ruhestand muss durch die Einführung von freiwilligem Ausscheiden, Arbeitsplatzwechsel und Nutzung neuer Technologien ebenfalls flexibler gestaltet werden.
Die Mitgliedstaaten müssen zudem eine ausgewogene Finanzpolitik verfolgen, welche die Steuerlast gerecht unter Arbeitnehmern, Verbrauchern und Unternehmen aufteilen.
Demographische Veränderungen werden einen wesentlichen Einfluss auf die Staatsausgaben für Renten und Pensionen haben, der durch eine teilweise private Vorsorge abgemildert werden kann. Die Gesundheitsausgaben werden ebenfalls steigen.
Unter diesen Umständen ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung der Mitgliedstaaten und deren Versorgung mit angemessenen Sozialleistungen eine Aufgabe, die unmittelbare Maßnahmen auf diversen gesellschaftlichen und Regierungsebenen erfordert.
18. HIV/Aids - Früherkennung und Behandlung im Frühstadium (Aussprache)
Die Präsidentin. - Auf der Tagesordnung stehen jetzt die Erklärungen des Rates und der Kommission zu HIV/AIDS: Früherkennung und Behandlung im Frühstadium.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar Potočnik, meine Damen und Herren! Fünfundzwanzig Jahre sind seit der Entdeckung des HIV vergangen. Heute, nachdem die Epidemie inzwischen mehr als 25 Millionen Menschenleben gefordert hat, ist es von größter Bedeutung, dass die Europäische Union ihr Engagement für den Kampf gegen die globale HIV/AIDS-Pandemie erneut bekräftigt.
Ein universeller Zugang zu Vorbeugung, Tests, Behandlung im Frühstadium und entsprechender Unterstützung ist wesentlich, und das Europäische Parlament, Ihr Haus, hat dies in seiner Entschließung vom 24. April 2007 betont. Die Entwicklungsgeschwindigkeit muss dringend erhöht werden, zudem muss die Umsetzung von Vorbeugung, Information, Erziehungs- und Aufklärungskampagnen verstärkt und in Forschung und Entwicklung neuer Präventiv- und Teststrategien investiert werden, die regelmäßig an Änderungen der Natur der Pandemie anzupassen sind.
Dabei ist oberstes Gebot, dass Tests und Behandlung so früh wie möglich erfolgen und antiretrovirale Medikamente zu einem erschwinglichen Preis bereitgestellt werden. Wenn die Diagnose zu spät gestellt wird oder das Immunsystem durch die Krankheit zu stark geschädigt ist, besteht für die Patienten in den ersten vier Jahren nach der Diagnose ein erhöhtes Sterberisiko.
Für eine frühzeitigere Erkennung müssen neue Strategien und Werkzeuge verwendet werden, z. B. Schnelltests. Es wäre nützlich, Tests auf breiterer Basis anzubieten – das Einverständnis der Patienten natürlich vorausgesetzt. Hier sollte man daran denken, dass diese Schnelltests auch ohne medizinisches Labor durchgeführt und die Ergebnisse den Patienten relativ schnell mitgeteilt werden können.
Um Menschen mit HIV/AIDS zu ermutigen, sich eher testen zu lassen, müssen unbedingt auch diskriminierende Barrieren überwunden werden. Die Angst vor Stigmatisierung im Fall eines positiven Ergebnisses kann Patienten von einem frühzeitigen Test abhalten. Aus diesem Grund muss sich die Europäische Union eindeutig und immer wieder gegen alle Formen von Diskriminierung von Menschen mit HIV überall in der Welt aussprechen.
Diese feste Überzeugung wird vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und von Bernard Kouchner geteilt, die die Vereinten Nationen auf dieses Problem hingewiesen haben. HIV muss als übertragbare, aber nicht ansteckende Krankheit behandelt werden, und alle Beschränkungen des Zugangs, der Reise- und Wohnsitzfreiheit für HIV-positive Menschen wegen ihres HIV-Status sind kontraproduktiv. Solche Praktiken halten die Patienten davon ab, sich einem Screening zu unterziehen und behandeln zu lassen. Dies ist gefährlich für den Einzelnen und die Gesellschaft.
Abschließend möchte ich zwei Bemerkungen machen. Erstens lautet unser gemeinsames Ziel wie folgt: Menschen, die HIV-positiv getestet wurden, müssen hochwertige Behandlung erhalten – unabhängig von Herkunft, Nationalität, Meinung, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion oder anderen Faktoren.
Die zweite Bemerkung lautet: In diesem Zusammenhang ist die internationale Koordination wesentlich, um diese Pandemie zu besiegen. Ich möchte das Programm EuroHIV würdigen, das seit 1984 WHO, UNAIDS und das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten mit entscheidenden Informationen über HIV/AIDS versorgt. Um Prävention, Screening und Behandlung im Frühstadium allen zu ermöglichen, damit Menschen mit der Krankheit nicht länger stigmatisiert oder diskriminiert werden und damit die Länder des Südens vollständigen Zugang zu Medikamenten haben, muss die Zusammenarbeit zwischen UN-Agenturen und regionalen Einrichtungen verstärkt werden.
Die Europäische Union muss mehr denn je in diesen Kampf einbezogen werden.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Da wir uns dem Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember 2008 nähern, möchte ich den verehrten Abgeordneten und Herrn Minister Jouyet sagen, dass diese Plenarsitzung eine gute Möglichkeit bietet, über einige bedeutende Errungenschaften im Kampf gegen HIV/AIDS nachzudenken und den Blick auf die großen Herausforderungen zu richten, die vor uns liegen.
Der diesjährige Nobelpreis für Medizin wurde zwei europäischen Forschern des Pasteur-Instituts verliehen – Frau Professor Françoise Barré-Sinoussi und Herrn Professor Luc Montagnier, denen es 1983 als Ersten gelang, das Humane Immunodefizienz-Virus zu isolieren.
Diese bahnbrechende Entdeckung ebnete den Weg für viele wichtige Entwicklungen und Diagnosen sowie für die Behandlung von HIV-Infektionen und ermöglichte uns, die Pathogenese von HIV-Infektionen und deren verheerende Folgen besser zu verstehen.
Jedoch jetzt, 25 Jahre später, haben wir immer noch kein Heilmittel gegen HIV/AIDS, und noch immer kommt es Jahr für Jahr weltweit zu Millionen Neuinfektionen, darunter zehntausende Neuinfektionen in Europa.
Wie kann das sein? Es ist genau bekannt, wie einer HIV-Übertragung wirksam vorgebeugt werden kann.
Erfolgreiche Kampagnen in den 1980er und den frühen 1990er Jahren haben gezeigt, dass Bewusstsein und Wissen wesentliche Elemente von Präventionsstrategien gegen HIV-Infektionen sind.
Entschlossene politische Führung und zivile Verantwortung sind zwei weitere elementare Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kampf gegen HIV/AIDS – wie auch eine offene und konstruktive Partnerschaft mit den Interessengruppen.
Die heutige Plenarsitzung ist auch ein hervorragender Anlass, unser politisches Engagement erneut zu bekräftigen und Ehrgeiz zu beweisen. Ich möchte hinzufügen, dass ich das Engagement des Europäischen Parlaments sehr schätze, das Thema HIV/AIDS weit oben auf die politische Agenda zu setzen.
Wir hatten kürzlich bei einem Runden Tisch, der von Vizepräsident Miguel-Angel Martínez Martínez und Zita Gurmai organisiert wurde, einen sehr nützlichen Meinungsaustausch zu HIV/AIDS. Es ging dort um die Notwendigkeit von HIV-Tests und einer anschließenden hochmodernen Betreuung und Unterstützung im Frühstadium. Experten schätzen, dass ca. 30 % der Menschen in Europa, die mit HIV infiziert sind, dies nicht wissen. Diese unglaubliche Zahl birgt zwei Gefahren: erstens für die betroffene Person, da sie nicht rechtzeitig behandelt und betreut werden kann, und zweitens für ihre(n) Partner, der oder die möglicherweise infiziert wird.
Was können also wir als Politiker tun, um dieses Problem in Angriff zu nehmen und zu überwinden?
Unsere gemeinsamen humanistischen Kernwerte und ein starkes Bekenntnis zu menschlichen Werten, Solidarität und unsere Einstellung gegen Diskriminierung müssen die Basis aller Strategien im Kampf gegen HIV/AIDS sein und sollten das Fundament für alle entsprechenden Maßnahmen bilden. Die Position und die Antwort Europas sind klar: Wir konzentrieren uns auf Vorbeugung und Aufklärung; wir fördern HIV-Tests und Zugang zu Behandlung und Betreuung für all diejenigen, die dies brauchen; wir kämpfen für bezahlbare Medikamente; wir bekämpfen jedwede Form von Diskriminierung oder Stigmatisierung; wir wollen bewährte Methoden identifizieren und die Zivilgesellschaft unterstützen. In Bereichen, die in unserer politischen Verantwortung liegen, müssen wir die Bedingungen für effektive Maßnahmen vor Ort schaffen, um damit sowohl der Gesellschaft zu dienen als auch den Menschen, die mit HIV und AIDS leben.
Wir dürfen natürlich nicht selbstzufrieden sein. Wir müssen unsere Dynamik beibehalten.
Die EU schaut auch über ihre Grenzen hinaus auf die verheerenden Auswirkungen von HIV/AIDS in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara und anderen Entwicklungsländern, die eine außergewöhnliche Herausforderung für das soziale Wachstum und die soziale Entwicklung darstellen.
Osteuropa und Zentralasien verzeichnen weiterhin den weltweit stärksten Anstieg der Epidemie.
In diesem Zusammenhang bekräftigen wir erneut unser Engagement, die Partnerländer in ihrem Bemühen zu unterstützen, einen universellen Zugang zu Vorbeugung, Behandlung, Betreuung und Unterstützung von HIV-Trägern zu gewährleisten.
Im Namen der Kommission begrüße ich die Entschließung zur Frühdiagnose und zur Behandlung von HIV/AIDS im Frühstadium und unterstütze voll und ganz das Bemühen, Barrieren für Test, Behandlung und Betreuung bei HIV niederzureißen.
Die Kommission ermutigt die Menschen weiterhin, die Möglichkeit von HIV-Tests zu nutzen, und weist die Mitgliedstaaten wiederholt auf die Notwendigkeit hin, Testzentren einzurichten, die internationalen Standards genügen und nach vereinbarten Grundsätzen arbeiten.
Die Kommission entwickelt derzeit ihre zweite Strategie für den Kampf gegen HIV/AIDS in der EU und unseren nächsten Nachbarländern, die sich weiterhin auf Verbeugung konzentrieren und den Schwerpunkt auf die Regionen und Gruppen setzen wird, welche am stärksten von den Epidemien betroffen sind. Was jedoch ein erfolgreicher Präventionsansatz am meisten braucht, ist Offenheit und Toleranz auf politischer und gesellschaftlicher Ebene: Offenheit für die Realitäten unseres heutigen Lebens, Sexualität und Verhaltensweisen; Offenheit für Mittel zur Schadensverringerung; Offenheit für den Kampf gegen Ungleichbehandlung, Diskriminierung und Unterdrückung sowie Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Gewohnheiten.
Angesichts der Herausforderung von HIV/AIDS wird die Kommission ihre Rolle weiterhin uneingeschränkt wahrnehmen. Ich weiß, dass wir in diesem Bemühen auf die Unterstützung des Parlaments zählen können – wir wissen dies sehr zu schätzen.
Lassen Sie uns alle gemeinsam im Schulterschluss mit dem Rat die starke politische Dynamik beibehalten, damit wir alle unserer Verantwortung gerecht werden können.
John Bowis, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Im Vereinigten Königreich leben 80 000 Menschen mit HIV, und, wie der Kommissar bereits gesagt hat, wird jede dritte Erkrankung nicht diagnostiziert. Außerdem ist eine von 360 schwangeren Frauen HIV-positiv. 10 % der Neuinfektionen in Europa sind multiresistente Stämme. Diese Entwicklung geht weiter und steuert bereits die 20 % an, wie wir es in Amerika sehen.
Immer mehr Menschen leben mit multiresistenten TB-Formen und mit AIDS. Das ECDC zeigt, dass sich die Zahl der neuen HIV-Infektionen von 1999 bis 2006 verdoppelt hat. Dabei betreffen 11 % der Fälle junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren. 53 % der Übertragungen erfolgen heterosexuell, großenteils durch Menschen, die aus stark betroffenen Ländern stammen, ein Drittel betrifft jedoch homosexuelle Männer, und, was vielleicht überrascht, weniger als 10 % Drogenabhängige, die Spritzen nutzen.
Hinzu kommt – und ich begrüße ausdrücklich, was der Minister sagte – unsere Stigmatisierung. Ein Stigma ist eine grausame zusätzliche Belastung zum Leid der Krankheit selbst. Was noch schlimmer ist, sie bringt die Menschen dazu, sich zu verstecken, und hält sie davon ab, sich testen und behandeln zu lassen. Die Lösungen liegen in diesen Zahlen, in diesen Fakten. Wie bereits von allen Rednern gesagt wurde, brauchen wir eine Früherkennung. Wir brauchen vertrauliche Tests, wir brauchen Aufklärung, wir brauchen das Verständnis, das sich daraus ergibt und diesem Stigma entgegenwirken kann. Wir brauchen permanente Forschung und Entwicklung, und wir brauchen Betreuung, da tatsächlich weniger Menschen an AIDS sterben, sondern mehr Menschen damit leben.
Zita Gurmai, im Namen der PSE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich war sehr erfreut, dass der Herr Kommissar den Runden Tisch erwähnt hat, zu dem ich mit Miguel-Angel Martínez Martínez eingeladen und bei dem ich gemeinsam mit ihm den Vorsitz geführt habe. Miguel Angel Martínez und Kommissarin Vassiliou nahmen ebenfalls teil und waren sehr engagiert.
AIDS ist eine der schlimmsten Krankheiten unseres Jahrhunderts. Allein innerhalb der Europäischen Union gab es in den letzten 10 Jahren 215 000 HIV-Neuinfektionen. Wie mein geschätzter Kollege bereits erwähnt hat, bleibt laut diesjährigen Schätzungen fast ein Drittel der AIDS-Infektionen undiagnostiziert und stellt eine echte Bedrohung für die Gesundheit der europäischen Bürger dar. Es ist höchste Zeit, konkrete Schritte zu unternehmen. Deshalb haben wir praktische Vorschläge unterbreitet, wie HIV/AIDS effektiv bekämpft werden kann, wenn wir uns auf evidenzbasierte HIV/AIDS-Früherkennung und Behandlung im Frühstadium konzentrieren.
Dies ist nicht nur eine Gesundheitsfrage. Es ist eine strategische Angelegenheit für die künftige Erweiterung der EU und entscheidend für die Nachbarschafts- und Migrationspolitik. Wir sollten die unterschiedlichen EU-Strategien kombinieren, um das Recht jedes europäischen Bürgers auf bessere Gesundheits- und Lebensbedingungen zu betonen – nicht zu vergessen die Rolle der Frauen. Sie sind im Hinblick auf HIV/AIDS die am stärksten gefährdeten Gruppen.
Die Sicherung einer genauen Überwachung der Krankheit ist von höchster Dringlichkeit. Früherkennung und Reduzierung von Hemmnissen für Tests werden als dringende Notwendigkeit betrachtet. Es müssen Schritte unternommen werden, um den Zugang zu kostenlosen und anonymen Tests zu ermöglichen, damit mehr Menschen bereit sind, sich testen zu lassen. In jedem Mitgliedstaat müssen Strategien zur Reduzierung von HIV/AIDS erarbeitet werden, die sich auf die Hochrisikogruppen konzentrieren.
Die Strategie sollte auch Informations- und Aufklärungskampagnen für Vorbeugung, Tests und Behandlung von HIV/AIDS enthalten. Wir müssen begreifen, dass höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung im Hinblick auf effektivere Therapie- und Präventionsinstrumente, z. B. Impfstoffe und Mikrobizide, ausschlaggebend sind, um einen langfristigen Erfolg bei der Bekämpfung von HIV und AIDS zu gewährleisten.
Die Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS muss in der gesamten Europäischen Union effektiv beseitigt werden. Der Kampf gegen HIV/AIDS darf nicht dazu führen, dass HIV-positive Bürger diskriminiert werden und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Die fraktionsübergreifende Entschließung des Europäischen Parlaments nimmt alle Probleme gemeinsam in Angriff. Wir haben ein gemeinsames Ziel, und das erweiterte Europa kann schon bald zum Initiator einer stärkeren internationalen Zusammenarbeit in Sachen evidenzbasierter HIV/AIDS-Früherkennung und Behandlung im Frühstadium werden.
Wenn ein System der Früherkennung und der Behandlung im Frühstadium im Rahmen eines Pilotprogramms funktioniert, dann bin ich überzeugt, dass es als gemeinsames europäisches Instrument für andere gesundheitspolitische Bereiche genutzt werden kann. Ich bin allen meinen Kollegen wirklich dankbar, die diese Initiative unterstützt und daran gearbeitet haben.
Georgs Andrejevs, im Namen der ALDE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Seit ich die Ehre hatte, den Bericht über den Kampf gegen HIV/AIDS in der EU und den Nachbarländern zu verfassen, fühle ich mich diesem Thema mit allen Implikationen und Auswirkungen für Menschen mit HIV stark verpflichtet.
Vor einem Jahr sprachen im Rahmen der Konferenz „HIV in Europa 2007“ die Teilnehmer einen umfassenden Appell aus, Maßnahmen für einen wirksamen Kampf gegen HIV/AIDS in Europa zu ergreifen. Einige Elemente dieses Appells schlagen sich auch in diesem gemeinsamen Entschließungsantrag nieder.
Das Ziel dieser Entschließung ist, einen Beitrag zum Kampf gegen HIV/AIDS auf einer politischen Ebene zu leisten. Daher werden Rat und Kommission aufgerufen, eine umfassende Strategie zu HIV zu formulieren, um die Früherkennung zu fördern, eine Behandlung im Frühstadium sicherzustellen und deren Vorteile allen europäischen Bürgern nahe zu bringen.
Die Entschließung appelliert an die Kommission, bedeutende Ressourcen für diese Strategie bereitzustellen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, Informations- und Aufklärungskampagnen über Vorbeugung, Tests und Behandlung zu intensivieren.
Ich weiß, dass die Kommission eine neue Mitteilung zum Kampf gegen HIV in der EU und den Nachbarländern plant und Kommissarin Vassiliou ihr persönliches Engagement bekräftigt hat, weitere Maßnahmen auf diesem Gebiet zu ergreifen.
Abschließend möchte ich sagen, dass diese Probleme dringend in Angriff genommen werden müssen.
Vittorio Agnoletto, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Als Arzt kämpfe ich seit 21 Jahren gegen AIDS, und jedes Jahr höre ich noch immer die gleichen Debatten.
Vom klinischen Standpunkt ist die Situation sehr eindeutig: Wir haben etwa 30 antiretrovirale Medikamente, die das Leben von Menschen mit HIV verlängern können. Wir haben aber kein Medikament, das das Virus zerstören kann. Deshalb nahm im Westen und in Europa die Sterblichkeit ab und die Zahl der Menschen zu, die mit HIV leben und technisch als „potenzielle Infektionsvektoren“ bezeichnet werden können. Dies bedeutet, dass wir heute ein größeres Risiko als früher haben, mit HIV-Trägern in Kontakt zu kommen, weil die Zahl der HIV-positiven Überlebenden steigt. Was wird angesichts dessen getan? Nichts.
Die meisten europäischen Länder haben seit Jahren keine dauerhaften Präventionskampagnen. Prophylaxe kostet viel, und lassen Sie mich das Kind beim Namen nennen: Prophylaxe kostet viel und ist einer der Hauptwege zur Vermeidung von HIV.
Da rede ich noch nicht von Projekten zur Schadensreduzierung, die vor allem verhindern sollen, dass Drogenabhängige Nadeln gemeinsam benutzen. Wie viele Länder führen auf nationaler Ebene solche Projekte durch? In Italien werden 50 % der bestätigten AIDS-Diagnosen zum selben Zeitpunkt wie die HIV-Diagnosen gestellt. Das heißt, viele Menschen wissen erst, dass sie HIV haben, wenn sie krank sind.
Wo sind die Kampagnen für einen besseren Zugang zu Tests, die kostenlos und anonym sein sollten? Wenn es Diskriminierung gibt, dann ist klar, dass die Menschen versuchen, sich zu verstecken, sich nicht testen lassen – und dies birgt Gefahren für ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer.
Ein letzter Punkt: Heute sprach der Rat erneut von Hilfe für den globalen Süden, ich möchte jedoch gern wissen, was mit den Vorschlägen des Parlaments geschehen ist, als wir über die jüngste Fassung des TRIPS-Abkommens abgestimmt haben, das Kommission und Rat verpflichtet, mehr Mittel für den Kampf gegen AIDS im globalen Süden bereitzustellen und insbesondere technologisch und pharmakologisch zu helfen.
Avril Doyle (PPE-DE). – Frau Präsidentin! 2006 wurden über 86 000 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet und über 13 000 AIDS-Fälle in der europäischen Region der WHO diagnostiziert.
In Westeuropa traten 10 % der Neuinfektionen in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen auf, und 25 % dieser Neuinfizierten waren weiblich. Wie der Kommissar erwähnt hat, war der Hauptübertragungsweg heterosexueller Kontakt.
In Osteuropa war Drogeninjektion der Hauptübertragungsweg. Sehr beunruhigend ist, dass 27 % der Neuinfektionen in der Altersgruppe der 15- bis- 25-Jährigen auftraten und 41 % der Neuinfizierten weiblich waren.
Gegenwärtig wissen 30 % der HIV-infizierten Patienten nicht, dass sie infiziert sind, und mehr als die Hälfte aller HIV-Neuinfektionen gehen auf ihr Konto. Außerdem führt eine späte Diagnose zu dem späten Einsatz einer antiretroviralen Therapie, bei der dann die Wirkung der Medikamente zunehmend begrenzt ist.
Es besteht ein dringender Bedarf an Leitlinien zu HIV-Tests und -Beratung auf europäischer Ebene. Wir brauchen umfassende und flexible Leitlinien zu bewährten Methoden für Erfassung, Tests, Behandlung und Betreuung.
In meinem eigenen Land Irland – obwohl die Daten zu HIV und AIDS hier mit Vorsicht interpretiert werden müssen, da weitaus nicht alle Fälle gemeldet werden und die Meldung mitunter sehr spät erfolgt – beträgt die Gesamtzahl der bis Ende Dezember 2007 gemeldeten AIDS-Fälle fast 1 000. Da jedoch nicht alle Fälle gemeldet werden, ist zu erwarten, dass diese Zahl noch steigt. Die im selben Zeitraum gemeldete kumulative Zahl von HIV-Infektionen betrug 4 780. Präventionsstrategien gehören erneut in die Nachrichten und auf die Titelseiten unserer elektronischen Tageszeitungen. Selbstgefälligkeit hat sich breit gemacht. Die Angst vor einer Infektion ist verschwunden. Wir müssen die Tatsachen beim Namen nennen und dabei offen und tolerant sein. John Bowis hat völlig Recht, wenn er sagt, dass heute zwar immer weniger Menschen an AIDS sterben, jedoch immer mehr Menschen damit leben.
Michael Cashman (PSE). – Frau Präsidentin! Ich möchte die französische Präsidentschaft zu ihrem Engagement im Kampf gegen AIDS und HIV beglückwünschen und auch den Rednern der heutigen Aussprache gratulieren.
Wir führen am späten Abend eine Aussprache zu einem Thema, das gegenwärtig jeden einzelnen von uns in jeder Minute eines jeden Tages betrifft. Als homosexueller Mann hätte ich mir in den 1970er und 1980er Jahren leicht HIV zuziehen können. Ich hatte Glück. Es ist nicht passiert. Ich konnte jedoch beobachten, wie ganze Generationen von einem Virus sowie von Diskriminierung und Stigmatisierung gegeißelt wurden.
Deshalb lautet die Botschaft, die wir heute Abend aussenden müssen, dass wir uns dafür engagieren, eine Behandlung und Frühtests zu ermöglichen, doch vor allem – und ich möchte an die hervorragende Arbeit erinnern, die Herr Bowis als Gesundheitsminister in einer konservativen Regierung geleistet hat –, müssen wir sagen, wenn Ihnen dies passiert, dann ist das, als ob es mir oder meiner Tochter oder meinem Sohn passieren würde. Menschen gehen nur aus einem einzigen Grund nicht zum Frühtest: Angst vor der Diskriminierung, der sie ausgesetzt sein werden, und vor der Stigmatisierung.
Ich erinnere mich daran, dass ich in den frühen 1980er Jahren ein Krankenhaus besucht habe, weil ich versuchen wollte, die Patienten aufzumuntern – was mir nie gelungen ist – und auf einer HIV-Station in einem der Betten einen meiner engen Freunde vorfand. Er konnte mir noch nicht einmal sagen, dass er AIDS hatte und daran starb. Diese Situation gibt es immer noch, nicht nur in unseren Ländern, sondern auch auf anderen Kontinenten. Was auf anderen Kontinenten passiert, betrifft uns direkt, denn wenn wir nicht mit den Hochrisikogruppen in Kontakt treten, werden sie die Botschaft nie hören. Ein Sexarbeiter, der in die EU kommt, ist ebenso gefährdet wie ein Besucher aus der EU in Afrika oder auf einem anderen Kontinent. Deshalb begrüße ich diese Entschließung. Der 1. Dezember 2008 ist der 20. Jahrestag des Welt-AIDS-Tages, es gibt jedoch nur wenig Veränderungen mit Ausnahme der Betroffenen, die immer mehr werden, und der Leben, die verstreichen und zerstört werden. Deshalb beglückwünsche ich das Parlament, die Präsidentschaft und die Kommission sowie alle Redner dazu, dass sie hier sind, um zu signalisieren, dass wir alle gleichermaßen betroffen sind.
Toomas Savi (ALDE). – Frau Präsidentin! Ich musste erkennen, dass HIV-positive Menschen mitunter wie Aussätzige behandelt werden, weil sie nicht wissen, dass sie mit einer Früherkennung und einer Behandlung im Frühstadium viele Jahre lang aktive Mitglieder der Gesellschaft sein können, bevor AIDS ausbricht und die Krankheit beginnt, ihr Leben ernsthaft zu beeinträchtigen.
Solche Vorurteile sind ein Zeichen von Ignoranz. Es ist außerordentlich wichtig, Unterstützung und Verständnis für HIV-Infizierte zu fördern. Dann hätte die Menschen mehr Mut, ihre Virusinfektion frühzeitig diagnostizieren zu lassen, anstatt sich für Fahrlässigkeit zu entscheiden, die eine Gefahr für andere darstellen kann.
Es ist unerlässlich, dass HIV-positive Menschen offen mit ihrer Krankheit umgehen können, ohne Angst vor Diskriminierung haben zu müssen. Damit können wir das Bewusstsein und die Toleranz der Gesellschaft gegenüber HIV und AIDS erhöhen.
Colm Burke (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Die Kapazitäten zur Vorbeugung und Behandlung von HIV sind je nach den jeweiligen sozioökonomischen und geopolitischen Voraussetzungen unterschiedlich. Die Förderung der Früherkennung von HIV-Infektionen sollte Bestandteil aller umfassenden Ansätze zum Kampf gegen AIDS sein.
Selbst in Ländern, in denen die Möglichkeiten einer antiretroviralen Behandlung äußerst begrenzt sind, kann durch die Erkennung und Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten, Tuberkulose und anderen opportunistischen Infektionen bei HIV-infizierten Personen ein enormer Beitrag zur Gesundheit geleistet werden.
In einer kürzlich erschienenen amerikanischen Forschungspublikation wurde festgestellt, dass sich der Zeitraum zwischen der gemeldeten HIV-Diagnose und der Behandlung verlängert hat. Dieser Zeitraum war bei Drogenkonsumenten, die Spritzen nutzen, wesentlich größer als bei anderen Risikogruppen. Damit im Zusammenhang steht das Problem, dass AIDS jetzt zunehmend als behandelbare Krankheit begriffen wird, was die öffentliche Botschaft untergräbt, die häufige Tests und eine sofortige Behandlung von HIV fordert.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Ich danke Michael Cashman für die Leidenschaft, die er in diese Aussprache gebracht hat. Ich bin sehr froh, dass ich geblieben bin, um seine Worte zu hören, und ich hoffe, andere werden sie ebenfalls hören und entsprechend handeln.
Meine Besorgnis bei diesem Thema ist, dass die Angst, die wir in den 1980er Jahren hatten, in Vergessenheit geraten ist und wir unsere Augen daher von der Situation abwenden. Es gibt jedoch eine ganze Generation von Menschen, die nicht in den 1980er Jahren aufgewachsen ist und die Botschaft erneut hören muss.
Die Herausforderung für uns alle besteht darin, zu versuchen, die Öffentlichkeit für Vorbeugung zu sensibilisieren, aber ohne das Stigma, das mitunter damit verbunden ist. Wir müssen das schaffen, denn obwohl Tests unerlässlich sind und eine Behandlung für die Erkrankten lebensnotwendig ist, möchten wir auch verhindern, dass Menschen AIDS bekommen, damit leben und tragisch daran sterben müssen.
Jean-Pierre Jouyet, amtierender Präsident des Rates. − (FR) Frau Präsidentin, Herr Kommissar Potočnik, meine Damen und Herren! Dies ist eine wirklich faszinierende und bisweilen bewegende Aussprache. Ich möchte vor allem Herrn Cashman für seinen bemerkenswerten Bericht danken. Ich weiß, dass er oft Kontakt zu Frau Bachelot hatte, die sich entschuldigt, dass sie heute Abend nicht hier sein kann, und die gesagt hat, dass wir so handeln müssen, als ob wir alle betroffen wären, und mit den Hochrisikogruppen zusammenarbeiten müssen. Herr Savi sagte ebenfalls, dass die Menschen in der Lage sein sollen, offen über ihre Krankheit zu sprechen. Herr Burke hob den Wert von Toleranz und die Bedeutung des gleichberechtigten Zugangs hervor. Frau McGuinness äußerte mit Nachdruck, dass wir nicht vergessen dürfen, was in den 1980er Jahren passiert ist.
Ich möchte auf das zurückkommen, was Herr Bowis gesagt hat – und ich glaube, dies kann ein gemeinsamer Ansatz sein, der voll und ganz unterstützt werden sollte –, nämlich dass heute immer mehr Menschen mit AIDS leben und es eine zunehmende Resistenz gegen antiretrovirale Medikamente gebe. Wir müssen deshalb mit diesen beiden Phänomenen leben und aus den von Ihnen genannten Gründen alle Formen von Diskriminierung noch stärker bekämpfen. Zweitens müssen wir, und dem haben alle zugestimmt, alles in unseren Kräften Stehende für die Früherkennung tun. Frau Gurmai hat vollkommen Recht, wenn sie betont, wie gefährdet Frauen sind und insbesondere die Prävention gefördert werden muss. Frau Doyle sprach davon, dass sich immer mehr junge Menschen mit dem Virus infizieren und mehr Vorbeugung betrieben werden müsse, wobei die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt werden dürfe, und Frau Gurmai stimmte dem zu. Die folgenden Aspekte scheinen mir außerordentlich wichtig zu sein: Transparenz, die Bemerkungen von Herrn Cashman zur Anonymität, kostenlose medizinische Versorgung, bessere Verteilung von Kondomen, gleicher Zugang zu Tests für alle Bevölkerungsgruppen.
Den Bemerkungen von Herrn Agnoletto, dessen Sachkenntnis auf diesem Gebiet hinreichend bekannt ist, entnehme ich, dass retrovirale Medikamente das Leben verlängern, jedoch kein Medikament die Krankheit heilen kann. Das heißt, wir müssen um jeden Preis die Präventivmaßnahmen verbessern. Herr Bowis fügte ebenfalls hinzu, dass es notwendig sei, Forschung und Entwicklung zu verstärken.
Ich glaube, dass dies die Aspekte sind, an denen wir gemeinsam weiterarbeiten sollten, dass wir die erforderlichen Ressourcen besitzen, und ich stimme voll und ganz mit Herrn Andrejevs über den Entschließungsantrag überein, bei dem es um die Entwicklung aller Aspekte einer Behandlung im Frühstadium geht.
Ich glaube, diese Aussprache wird dafür sorgen, dass wir wachsam und aufmerksam bleiben, alle Formen von Diskriminierung bekämpfen, nicht vergessen, was in der Vergangenheit passiert ist, und nicht so tun, als ob sich die Situation wieder normalisiert hätte.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Ich habe entweder Anfang dieser Woche oder letzte Woche an einer Konferenz teilgenommen – manchmal verliere ich etwas das Zeitgefühl, vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Es handelte sich dabei um eine Konferenz zu Krankheiten im Zusammenhang mit Armut. Natürlich gehören HIV und AIDS heute zu den drei großen tödlichen Krankheiten – Malaria und Tuberkulose stehen an zweiter und dritter Stelle.
Jedes Jahr sterben noch immer weltweit fünf Millionen Menschen an diesen drei Krankheiten, das ist, also ob die Bevölkerung Dänemarks jedes Jahr verschwinden würde. Das Problem ist immer noch so eindeutig vorhanden, dass es einfach unmoralisch wäre, ihm nicht genügend Aufmerksamkeit zu schenken.
Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende für Präventivkampagnen tun. Wir müssen hier mehr tun, weil wir das bisher etwas verschlafen haben. Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um eine Früherkennung der Infizierten zu ermöglichen. Wir müssen mehr tun, um ein Heilmittel zu finden, wir müssen mehr für die Betreuung tun. Da ich, wie Ihnen bekannt ist, für die Finanzierung der Forschung in der Kommission verantwortlich bin, kann ich eindeutig zusagen, dass wir auch künftig unsere Mittel dafür einsetzen werden, aktiv nach einem HIV-/AIDS-Impfstoff zu suchen.
Wir haben ein hervorragendes Projekt, das jetzt seit einigen Jahren läuft. Es heißt EDCTP. Dabei handelt es sich um eine Partnerschaft mit den Ländern südlich der Sahara zu klinischen Versuchen. Anfänglich gab es viele Probleme, doch jetzt läuft es wirklich reibungslos, und erst im letzten Jahr, also 2007, gingen wir hier eine Verpflichtung ein; die Mitgliedstaaten arbeiten hier gemeinsam mit der Kommission. Alle Mitgliedstaaten arbeiten gemeinsam mit afrikanischen Mitgliedstaaten an dem Ausbau ihrer Kapazitäten. Allein in einem Jahr stellten sie zwischen 80 Millionen Euro und 90 Millionen Euro bereit, und dieser Betrag verdoppelt sich natürlich, weil wir die andere Hälfte zur Verfügung stellen.
Die Forschung sollte deshalb auch auf diesem Gebiet weitergeführt werden. Genau wie sich meine Kollegin, Kommissarin Vassiliou, auf ihrem Gebiet engagiert, engagiere ich mich auf meinem Gebiet, um die Forschung weiterzuführen.
Eine Sache, die heute noch nicht erwähnt wurde, meines Erachtens aber erwähnt werden sollte, ist die Bedeutung der Nachbarschaftspolitik und der Struktur- und Kohäsionspolitik, weil genau diese Länder in Europa bzw. in unserer Nachbarschaft stark betroffen sind. Sie könnte und sollte ebenfalls für diese Zwecke eingesetzt werden.
Fazit: Wir als Menschen haben ganz einfach die moralische Verpflichtung, zu handeln. Ich bin wirklich sehr froh, dass wir heute eine so starke Übereinstimmung erzielt haben. Unsere Meinung ist einheitlich und sogar leidenschaftlich.
Die Präsidentin. – Ich habe sechs Entschließungsanträge erhalten(1), die gemäß Regel 103(2) der Geschäftsordnung eingebracht wurden.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt am Donnerstag, den 20. November 2008.
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgt der Bericht (A6-0368/2008) von Herrn Parish im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zur Änderung der Verordnung über die einheitliche GMO (KOM(2008)0489 - C6-0314/2008 - 2008/0156(CNS)).
Neil Parish, Berichterstatter. − Frau Präsidentin! Wir sprechen heute Abend über die einheitliche GMO zu Wein. Wir unterstützen sehr stark die Idee, alle Organisationen des gemeinsamen Marktes in einer Organisation zu bündeln. Es liegt uns jedoch am Herzen, dass wir genau identifizieren können, wo sich die Kapitel zu Wein befinden, dass wir einen geeigneten Zugang dazu erhalten und dass in Zukunft, wenn wir uns mit Wein befassen und Mitgliedstaaten sich mit Wein befassen, nicht alle übrigen 20 Kapitel in der gesamten einheitlichen GMO geöffnet werden.
Wir hatten jetzt viele Treffen mit der Kommission, um entsprechende Zusagen zu bekommen. Momentan ist man vermutlich dabei, alle diese GMO zu bündeln. Wir möchten hier sicher sein, dass wir die nötigen Informationen erhalten. Die Branche selbst macht sich natürlich auch Sorgen, ob sie in der Lage sein wird, die Regeln innerhalb der einheitlichen GMO zu identifizieren.
Die Kommission wird uns natürlich sagen, dass dadurch die Bürokratie abgebaut werde. Wir begrüßen dies sehr, möchten jedoch sicher sein, dass dies tatsächlich der Fall ist. Uns wurde gesagt, dass die technischen Organisationen, die Informationen über Wein an die Kommission übermitteln, dieselben wie vorher seien und dass dies jetzt innerhalb der einheitlichen GMO erfolge. Deshalb begrüßen wir diesen Vorschlag – vorausgesetzt, dies ist tatsächlich der Fall und wir können künftig auf ein rechnergestütztes System zurückgreifen und alle Vorschriften identifizieren. Wir müssen jedoch am Ende sicher sein, dass dies tatsächlich für die gesamte Branche von Vorteil ist.
Ich denke, es wird heute Abend Abgeordnete geben, die entsprechende Zusagen von der Kommission einfordern werden. Wir freuen uns auf die Antworten der Kommission. Ich denke übrigens, dass ein Abbau der Bürokratie in der Kommission und in Europa der richtige Weg ist. Worum wir uns jetzt bemühen, sind diese Zusicherungen. Ich begrüße die einheitliche GMO. Ich bin sicher, dass auch andere Abgeordnete dazu Stellung nehmen möchten. Es ist absolut offensichtlich, dass wir darüber jetzt abstimmen müssen, damit das Parlament seine Meinung kundtut und die Kommission diese Sache abschließen kann. Ich empfehle das Thema dem Parlament.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich dem Berichterstatter und Vorsitzenden des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Herrn Parish, sowie den Mitgliedern des Landwirtschaftsausschusses für den Bericht danken.
Ich könnte mich sehr kurz fassen und Ihnen einfach eine Zusicherung geben, ich muss jedoch das verlesen, was ich notiert habe.
Wir haben sehr hart gearbeitet, um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zu vereinfachen. Eine einheitliche gemeinsame Marktorganisation (GMO), die alle landwirtschaftlichen Sektoren abdeckt, ist dabei ein Eckpunkt. Sie ermöglicht eine sektorübergreifende Optimierung der Gesetzgebung unter Berücksichtigung der Spezifikationen einzelner Produkte. Sie hat auch den Umfang der GAP-Gesetzgebung wesentlich reduziert.
Ziel dieses Kommissionsvorschlags ist der Abschluss des Projekts einer einheitlichen GMO durch Einbeziehung des Weinsektors. Ohne Wein bliebe die einheitliche GMO schlichtweg unvollständig. Wir würden bei dem Prozess auf halbem Wege stehen bleiben und viele Vorteile der Projekte einbüßen.
Wir hatten immer vor, den Wein aufzunehmen. Sowohl der ursprüngliche Vorschlag über eine einheitliche GMO als auch die jüngste Weinreform wurden auf dieser Basis konzipiert und angenommen. Ich freue mich zu sagen, dass das Europäische Parlament stets das Projekt der einheitlichen GMO voll unterstützt hat, einschließlich der Einbeziehung von Obst, Gemüse und Wein nach Abschluss der Reformen in diesen Sektoren.
Die einheitliche GMO und ihr Managementausschuss haben bei anderen Sektoren sehr gut gearbeitet, und es gab keine besonderen Punkte zu beanstanden.
Der Vorschlag zur Integration könnte auf den ersten Blick komplex erscheinen. Dies liegt jedoch in der Natur einer Änderung der Gesetzgebung. Nach der Einbeziehung werden konsolidierte Fassungen der einheitlichen GMO zur Verfügung stehen, aus denen die Bestimmungen zu Wein eindeutig ersichtlich sind.
Die Integration der einheitlichen GMO bedeutet keine wesentlichen Änderungen der Strategie, die in der Weinreform verabschiedet wurde. Die Dienststellen meiner Kollegin, Frau Fischer Boel, werden intensiv mit dem Europäischen Parlament und dem Rat zusammenarbeiten, um dies sicherzustellen. Wir haben dies bereits sehr erfolgreich bei der Integration des gleichermaßen komplexen Obst- und Gemüsesektors getan.
Ich bitte Sie deshalb, der Kommission, meiner Kollegin, zu helfen, ihre und unsere Arbeit der Vereinfachung fortzusetzen, und sich zu diesem Vorschlag positiv zu äußern.
Christa Klaß, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (DE) Frau Präsidentin! Herr Kommissar, ich darf sagen, ich bin enttäuscht von Ihren Ausführungen, weil wir aufgrund dessen, was Neil Parish vermittelt hat, mit der Kommission in Gespräche eingetreten sind.
Ich hätte mir konkretere Aussagen erhofft als immer nur die gebetsmühlenartige Wiederholung, dass es einfacher wird. Es wird nicht einfacher. Eine gemeinsame Marktordnung Wein soll als 21. Marktordnung in ein dickes Paket mitaufgenommen werden. Das Ziel einer großen Vereinfachung ganz im Sinne einer Entbürokratisierung kann ich und können auch die Winzer Europas nicht erkennen. Jeder, der künftig etwas zum Weinsektor nachschlagen will, muss in einer dicken Verordnung, der einheitlichen Gemeinsamen Marktordnung mit allen landwirtschaftlichen Produkten in bisher 204 Artikeln und einem doppelt so starken Anhang all diejenigen Stellen heraussuchen, die den Wein betreffen, und zwar verteilt auf 98 Artikel unter 21 Überschriften und den dazugehörigen 10 Anhängen.
Das ist keine Entbürokratisierung, Herr Kommissar, sondern das ist Bürokratie pur! Ich fordere die Kommission auf, die Anwendungen wenigstens technisch zu vereinfachen. Das ist möglich. Junge Kolleginnen wie Anja Weisgerber, sagen, dass das gehen muss. Die Kommission sollte doch bitteschön einmal darüber nachdenken. Eine technische Vereinfachung wäre zum Beispiel ein Suchinstrument auf der Website der Kommission, mit dem dem Einzelnen ermöglicht wird, nur die Teile der einheitlichen GMO herunterzuladen und auszudrucken, die für seine Agrarprodukte relevant sind. Weder die Winzer noch die Milchbauern interessieren sich für die speziellen Regelungen im Bereich Obst und Gemüse oder Hanf – und umgekehrt.
Nutzen wir doch diese technischen Möglichkeiten, um die Dinge zu vereinfachen. Zukünftig besteht bei jeder Änderung eines Agrarbereichs die Möglichkeit, auch in einem anderen Bereich Änderungen vorzunehmen. Das heißt, wenn demnächst eine Anpassung im Milchsektor kommt und deswegen die einheitliche GMO geöffnet wird, müssen alle Landwirte und Winzer aufpassen, dass zu ihrem Bereich nicht noch schnell eine Änderung durchgewunken wird.
Lassen Sie mich bitte noch zwei konkrete Fragen stellen, Frau Präsidentin.
Herr Kommissar, wer wird künftig der Beobachter sein? ...
(Der Präsident unterbricht die Rednerin.)
Rosa Miguélez Ramos, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Die Verordnung über die einheitliche GMO ist seit Dezember 2006 in Kraft. Die Kommission beschreibt sie als wesentlichen Bestandteil der Pläne zur Optimierung und Vereinfachung der gemeinsamen Agrarpolitik.
Diese Erklärung ist für manche, darunter auch für mich, sehr strittig. Ich glaube jedoch nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt oder der richtige Ort dafür ist. Wir hatten bereits früher eine Aussprache dazu, und obwohl die Verordnung erst seit einigen Monaten in Kraft ist, stimmen wir jetzt über einen Änderungsantrag ab.
Heute fügen wir durch Einbeziehung von Verordnung (EG) Nr. 479/2008 zur gemeinsamen Organisation des Weinmarktes sogar noch mehr Seiten hinzu. Diese Verordnung wird durch diesen Vorschlag aufgehoben und ihr Inhalt voll in die Verordnung über die einheitliche GMO integriert.
Dieser Sektor hat uns, auch mir, seine Besorgnis übermittelt, dass die Artikel zur GMO Wein über die verschiedenen Kapitel der Verordnung über die einheitliche GMO verstreut sind, und auf die Gefahr hingewiesen, dass dies die spezielle Art dieses Produkts verwässert.
Wir glauben, dass diese Einbeziehung wirklich unvermeidlich ist, und wir hatten alle die Möglichkeit, das Schreiben des Kommissars an den Vorsitzenden des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Herrn Parish, zu lesen, in dem er ihm versichert, dass diese Legislativmaßnahme die Regeln in diesem Sektor nicht grundsätzlich ändern wird. Dies sollte lediglich eine technische Einfügung sein, die absolut keine Folgen für den Inhalt hat.
Somit kann ich, obwohl ich einige Bedenken verstehe und teile, den Bericht von Herrn Parish nur unterstützen.
Vladimír Železný, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (CS) Frau Präsidentin! Wir stimmen hier über eine Bestimmung ab, nach der die Rechtsvorschriften zum Weinanbau nach dem Schrotflintenprinzip in die Bestimmungen der gemeinsamen Landwirtschaftsorganisation einbezogen werden sollen. Mit anderen Worten: Trotz der ganz speziellen Natur von Wein sollen die entsprechenden Rechtsvorschriften nach dem Zufallsprinzip zwischen Lamm, Getreide, Gans, Obst und Gemüse eingestreut werden. Der Winzerverband der Tschechischen Republik wies darauf hin, dass ein kleiner Erzeuger aus Südmähren, der etwa 2 000 Liter Wein produziert, Probleme mit dem riesigen, undurchdringlichen und weit verstreuten Regelwerk haben wird, das für seinen Wein gilt. Ich wurde um Hilfe gebeten, und zwar nicht nur von unserem Winzerverband, der 20 000 Winzer vertritt, sondern auch von den Winzerverbänden in Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland, die zur Vereinigung europäischer Weinregionen (AREV) gehören. Die Kommission erdreistete sich jedoch, die Augen davor zu verschließen. Die Generaldirektion Landwirtschaft (GD AGRI) behauptete, dass sie nichts davon wisse und dass die Winzer zufrieden seien. Und jetzt hat Kommissarin Boel zugegeben, dass die Winzer nicht zufrieden sind, teilte aber gleichzeitig mit, dass man da nichts machen könne. Man kann jedoch sehr wohl etwas tun, weil wir das Parlament sind. Wir sollten entweder ein transparentes Kapitel zu Wein in der Landwirtschaftsgesetzgebung schaffen oder den Bericht ablehnen. Wir dürfen arroganten Beamten nicht erlauben, das Leben der Winzer zu belasten, die über ihre Steuern dazu beitragen, dass die Besoldung ebendieser Beamten bezahlt werden kann.
Esther Herranz García (PPE-DE). – (ES) Frau Präsidentin! Die Europäische Kommission hat diesen Änderungsantrag zur Verordnung über die einheitliche GMO vorgelegt. Sie behauptet, dadurch werde jetzt der Wein in einer neuen Präsentation erscheinen, die Schreibarbeit und Bürokratie vermeiden solle.
Die Hersteller sagen uns jedoch, dass dadurch mehr Verwirrung gestiftet werde, dass sie mangelnde Rechtssicherheit befürchten und die Grundlage der GMO Wein nicht geändert werde (per Gesetz könnte dies nicht ohne Bestätigung des Parlaments geschehen, nicht einmal für Konsultationszwecke).
In jedem Fall muss gesagt werden, dass die GMO Wein mehr als nur eine Markt-GMO ist. Sie enthält auch andere Auflagen, z. B. die Etikettierung. Wenn also Milch nicht das Gleiche ist wie Gemüse und Gemüse nicht das Gleiche wie Getreide und natürlich Getreide nicht das Gleiche ist wie Wein – warum werfen wir das alles einen Topf, als ob es zwischen diesen Produkte eine Verbindung gäbe?
Ich glaube, dass dieser Vorschlag einige technische Defizite aufweist, die, wie ich bereits sagte, von den Herstellern bemängelt wurden. Ich frage mich, was jetzt passiert, wenn beispielsweise vorgeschlagen wird, einen Teil dieser Verordnung über die einheitliche GMO zu ändern. Stehen damit alle anderen Sektoren zur Disposition? Wird es möglich sein, einen Sektor zu ändern, ohne dass wir uns dessen gewahr werden? Steht damit die Tür für Änderungen aller Sektoren offen, di darin enthalten sind?
Ich glaube, dass wir der Europäischen Kommission nicht das Vertrauen aussprechen können, wenn sie nicht erstens garantiert, dass es eine Suchmaschine geben wird, die – entsprechend der Forderung von Frau Klaß – für Sicherheit, Geschwindigkeit und Vertrauen auf Seiten der Hersteller sorgt, wenn sie die Verordnung durchsuchen, und zweitens, keine Rechtssicherheit garantiert, sodass die enthaltenen GMO nicht ohne weiteres oder gar dauerhaft geändert werden können.
Mit diesem Vorschlag stellt uns die Europäische Kommission vor vollendete Tatsachen – sie kann jedoch nicht sagen, wir hätten sie nicht gewarnt, dass dies ein Fehler ist und keinesfalls Schreibarbeit oder Bürokratie abbauen wird, sondern im Gegenteil mehr Schreibarbeit und Bürokratie verursachen und mehr Rechtsunsicherheit schaffen wird, was die Hersteller am meisten beunruhigt.
Astrid Lulling (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin! Unter dem Vorwand der Vereinfachung hat sich die Europäische Kommission darauf versteift, sämtliche GMO für alle Produkte – von Weizen bis hin zu Hühnern, von Obst und Gemüse bis hin zu Tabak – in einer einheitlichen GMO zusammenzufassen. Das Ergebnis war ein riesiger Wälzer von mehreren hundert Seiten, in denen man die entsprechenden Informationen vergeblich sucht.
Wie bereits gesagt wurde, war der Weinsektor wegen seiner außerordentlich spezifischen Anforderungen Gegenstand einer sehr ausführlichen Verordnung, die sich von der für andere Produkte unterschied und für Klarheit und Transparenz sorgte. Deshalb war klar, dass die GMO Wein separat bleiben sollte.
Heute jedoch scheint es, dass die GMO Wein in diesem dicken Buch verschwindet. Die Kommission möchte davon nicht ablassen, da Wein und Weinprodukte die Letzen sind, die sich bisher noch außerhalb des Wirrwarrs befinden, den die einheitliche GMO darstellt. Wenn es rechtlich unmöglich ist, einen Schritt rückwärts zu gehen, und wir uns dem beugen müssen aus Gründen, die nicht voll ersichtlich sind, Frau Präsidentin, sollten wir zumindest den Vorschlägen von Frau Klaß folgen.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Ich brauche wirklich weniger als eine Minute, denn da ich aus Irland komme, wurde ich nicht von Weinerzeugern beeinflusst.
Ich denke, es besteht ein generelles Problem, wenn man so viele verschiedene Sektoren in einer einheitlichen GMO zusammenfasst. Wir wissen wirklich nicht, ob dies funktioniert, bevor es nicht umgesetzt ist. Ich werde mir deshalb die Bedenken derjenigen anhören, die mehr über den Weinsektor wissen, obwohl mir klar ist, dass wir diesen Prozess fortführen müssen. Ich hoffe, dass wir bessere Zusagen von der Kommission erhalten werden, weil wir auf die Bedenken der Hersteller hören müssen.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Wir nehmen Verordnungen zum Weinmarkt in eine allgemeine, zu einem früheren Zeitpunkt angenommene Verordnung auf, die alle Märkte abdeckt. Wird dies für die Weinhersteller besser sein? Hoffen wir, dass dies wirklich zu einer Vereinfachung und einem Abbau des bisherigen Verwaltungsaufwands für die Landwirte führen wird.
Der heute verabschiedete Gesundheitscheck der gemeinsamen Agrarpolitik soll auch Kontrollen begrenzen und den Verwaltungsaufwand für die Landwirte reduzieren. Die Konsolidierung von Verordnungen für sehr spezielle Märkte in eine einheitliche Verordnung war auch ein strittiger Punkt, der jedoch Zustimmung erzielt hat. Man sollte überdenken, ob wir wirklich den Weinmarkt einbeziehen müssen, einen hochgradig speziellen Markt, der in Bezug auf Herstellung, Verarbeitung und Traditionen nach ganz eigenen Regeln funktioniert.
Christa Klaß (PPE-DE). – (DE) Frau Präsidentin! Sie haben mir eben das Mikro abgestellt, daher nutze ich die Gelegenheit, im Rahmen des „Catch-the-eye“-Verfahrens noch einmal meine Fragen zu formulieren.
Ich wollte die Kommission ganz konkret fragen: Wer achtet künftig auf bestehendes Recht, wenn die Gemeinsame Marktordnung geöffnet wird, und darauf, dass nicht in anderen Bereichen etwas durchgewunken wird, wie beispielsweise, wenn wir über Milch reden, dass dann auch über den Wein etwas durchgewunken wird?
Die zweite ganz konkrete Frage ist: Kann die Kommission die technischen Voraussetzungen für eine Vereinfachung der Handhabung schaffen, via Internet oder durch ein Portal, das man für einen einzelnen Marktbereich abrufen kann, gesondert für Wein und gesondert für Milch, Obst und Gemüse?
Das waren meine Fragen. Dankeschön, Frau Präsidentin!
James Nicholson (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Wir wissen alle sehr gut, dass die Schaffung der einheitlichen Gemeinsamen Marktorganisation ein Versuch ist, die Transparenz zu erhöhen und die Rechtsvorschriften zur Gemeinsamen Agrarpolitik zu rationalisieren und zu vereinfachen. Die meisten Sektoren wurden bereits erfolgreich in die GMO integriert.
Wie Frau McGuinness komme ich nicht aus einem Weinanbaugebiet, deshalb werde ich sehr vorsichtig sein, was ich sage – vielen Dank, Frau Lulling. Ich unterstütze die Ansicht von Herrn Parish, dass der Weinsektor jetzt angepasst werden sollte, und obwohl ich die Bedenken einiger Kollegen verstehe, sollten wir meiner Meinung nach versuchen, diesen technischen Prozess abzuschließen, der letztendlich weniger Bürokratie für die Landwirte bedeutet. Das muss einfach gut sein. Für die Winzer ist es am Ende ein Vorteil.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Zunächst möchte ich mich bei Ihnen allen für Ihre Beiträge zu dieser Aussprache bedanken.
Ich möchte noch einmal wiederholen, wie wichtig dieser Vorschlag für die Vereinfachung der GAP ist.
Ihre Bedenken scheinen denjenigen, die ganz zu Beginn des Projektes der einheitlichen GMO geäußert wurden, sehr ähnlich zu sein. Ich denke jedoch, die Erfahrungen sind ziemlich beruhigend. Die einheitliche GMO funktioniert derzeit wirklich gut.
Die GMO für Wein war, ehrlich gesagt, nie einfach. Im Gegenteil. Wir schlagen daher vor – natürlich nur, soweit das möglich ist – auf der Grundlage eines vorhandenen, sehr komplexen Textes der Weinreform selbst für mehr Klarheit und Glaubwürdigkeit zu sorgen.
Es werden keine wesentlichen Änderungen an der Reform der GMO Wein vorgenommen. Wir sprechen über technische – und nur technische – Anpassungen. Es wird separate Kapitel geben. Es wird Themen geben, die nur für den Weinsektor gelten und an entsprechender Stelle der einheitlichen GMO zu finden sein werden, z. B. zum Erzeugungspotenzial, zu Unterstützungsprogrammen, zur Herkunftsbezeichnung, zu geographischen Angaben und Auszeichnungen, zu Etikettierung und Präsentation oder zu önologischen Verfahren. Es wird aber auch Themen geben, die für Wein und andere Sektoren gemeinsam gelten, z. B. die Bestimmungen zum Handel mit Drittländern oder staatlichen Hilfen. Diese werden zu einer einzigen, einfachen Bestimmung zusammengefasst.
Ich möchte auch hinzufügen, dass die Möglichkeit der Verwendung unserer Suchmaschinen erwähnt wurde. EUR-Lex bietet eine Suchmaschine, mit der alle Bestimmungen aus der einheitlichen GMO extrahiert werden können, in denen der Begriff „Wein“ vorkommt. Natürlich ist es vom technischen Standpunkt in dieser Phase jedoch noch nicht möglich, eine konsolidierte elektronische Version der gesamten GMO Wein zu erstellen, die aus der konsolidierten einheitlichen GMO extrahiert wurde. Dies sollte nach Abschluss des Prozesses jedoch möglich sein.
Ich möchte im Zusammenhang mit den Fragen der verehrten Abgeordneten ebenfalls erwähnen, dass Weinthemen nicht mit Reformen in anderen Sektoren vermischt werden können. Dies ist praktisch einfach nicht möglich. Weshalb sollte beispielsweise ein Vorschlag zum Milchsektor für die politischen Entscheidungsträger im Weinsektor von Interesse sein? In jedem Fall ändert – vom rein rechtlichen Standpunkt – die Integration in eine einheitliche Verordnung die Situation nicht. Wichtig wäre der Inhalt vorgeschlagener Änderungen und nicht der genaue Rechtsrahmen für diesen Vorschlag.
Abschließend denke ich, dass wir den letzten Schritt tun sollten, um die einheitliche GMO abzuschließen. Ich möchte deshalb betonen, dass sich die Kommission mit Nachdruck dafür einsetzt. Doch es geht wirklich um Vereinfachung, um Transparenz und um nichts weiter.
Neil Parish, Berichterstatter. − Frau Präsidentin! Wie sagt man so schön: Probieren geht über Studieren. Deshalb erwarten wir gespannt, was die Kommission wirklich tut, denn wir brauchen das Dokument künftig in elektronischer Form, damit wir darauf zugreifen können.
Die Kommission verspricht, dass sie alles in einer GMO zusammenfassen wird. Das heißt, wenn wir bei Wein nachschauen möchten, können wir dies tun und greifen nicht gleichzeitig auf die GMO Milch zu – dadurch wird die Bürokratie abgebaut. Wir haben heute Abend alle diese Zusicherungen erhalten, und die meisten von uns werden morgen dafür stimmen, eben weil wir diese Zusicherung haben. Wie ich sagte, werden wir sehen, was passiert. Wir nehmen die Zusicherungen der Kommission in dem guten Glauben an, in dem sie heute Abend abgegeben wurden, und freuen uns darauf, künftig gemeinsam an diesen GMO – besser gesagt, der GMO – zu arbeiten.
Die Präsidentin. – Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt am Donnerstag, den 20. November 2008.
Die Präsidentin. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache zu der mündlichen Anfrage an die Kommission (B6-0480/2008) von Herrn Parish im Namen des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zur Lage der Bienenzucht (O-0104/2008).
Neil Parish, Berichterstatter. − Frau Präsidentin! Zuerst möchte ich Astrid Lulling danken, da es hauptsächlich ihrer Initiative zu verdanken ist, dass wir diese Anfrage hier präsentieren. Als Vorsitzender werde ich den Bericht heute Abend vorstellen, weil wir außerordentlich besorgt über die Lage der Bienen sind. Was mit diesen Bienen geschieht, ist sehr wichtig für Europa – und für die gesamte Welt.
In den letzten zwei Jahren ist in den USA ein Drittel der Honigbienen aus unerklärlichen Gründen gestorben. 2007 wurden etwa 800 000 Völker vernichtet. In Kroatien starben fünf Millionen Bienen in weniger als 48 Stunden. Im Vereinigten Königreich geht jeder fünfte Bienenstock zugrunde, und weltweit berichten gewerbliche Imker seit 2006 über Verluste von bis zu 90 %.
Was passiert da, und wie ernst ist dies für uns und die Zukunft der Menschheit? Albert Einstein sagte voraus, dass die Menschen nur noch vier Jahre leben würden, wenn die Bienen von der Erde verschwänden, deshalb müssen wir dies sehr ernst nehmen. Nehmen Sie die Honigbienen – sie sind für die Bestäubung von Pflanzen und Blumen verantwortlich, die ein Drittel aller Lebensmittel liefern, die wir essen. Sie sind die Nummer eins der Natur, wenn es um Bestäubung geht, und ohne sie können wir uns von Sojabohnen, Zwiebeln, Mohrrüben, Brokkoli, Äpfeln, Orangen, Avocados, Pfirsichen und vielen anderen Lebensmitteln verabschieden. Es gäbe keine Erdbeeren mehr. Sie können sich vorstellen, dass Wimbledon ohne Erdbeeren nicht überleben könnte! Wir hätten keine Luzerne, die als Viehfutter verwendet wird. Wir sind deshalb absolut von den Honigbienen abhängig. Natürlich bestäuben sie auch die Baumwolle, sodass wir auch nichts mehr zum Anziehen hätten. Wir müssen diese Angelegenheit wirklich sehr ernst nehmen.
In China beispielsweise gibt es in einigen Regionen praktisch keine Honigbienen mehr, und viele Pflanzen müssen von Hand bestäubt werden. Die 90 Pflanzensorten, die weltweit gewerblich angebaut werden und bestäubt werden müssen, erzielen ca. 30 Milliarden britische Pfund pro Jahr. Bienen tragen über 100 Millionen britische Pfund pro Jahr zur Wirtschaft des Vereinigten Königreichs und ca. 400 Millionen Euro zur europäischen Wirtschaft bei. Sie sehen also ziemlich eindeutig, dass wir hier ein gewaltiges Problem haben.
Deshalb möchte ich die Kommission fragen – und, wenn möglich, möchte ich einen Teil meiner Redezeit Astrid Lulling zur Verfügung stellen, weil sie hier die treibende Kraft war –, ob sie insgesamt mehr Geld für Forschung zur Verfügung stellen kann. Wir haben mit professionellen Imkern und anderen gesprochen, und es ist nicht klar, warum die Bienen sterben – zum Teil deshalb, weil sich ihre Lage in den letzten Jahren immer mehr verschlechtert hat und sie buchstäblich wie die Fliegen sterben. Es gibt auch ein Problem mit den richtigen Chemikalien für die Behandlung von Bienenkrankheiten.
Ich denke, als Kommission müssen Sie nicht nur Geld für die Forschung zur Verfügung stellen, sondern auch das bündeln, was alle Mitgliedstaaten leisten. Es ist entscheidend, dass wir jetzt handeln. Wir können nicht warten, bis alle Bienen ausgestorben sind, weil wir dann vor einem enorm schweren Problem stehen.
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Ich danke Herrn Parish und natürlich auch Frau Lulling für diese mündliche Anfrage und die Entschließung zum Bienenzuchtsektor der EU. Die Kommission ist sich dessen bewusst, dass Bienen für die Ökologie und das Ökosystem der EU eine wichtige Rolle spielen. Die Kommission kennt auch die Berichte, die in verschiedenen Mitgliedstaaten zu den deutlichen Verlusten bei Bienenvölkern verfasst wurden.
Ich möchte genau auf Ihre speziellen Fragen – es gab ja einige – eingehen und ehrlich darlegen, was die Kommission bereits in diesem Sektor tut.
Was die Bienensterblichkeit und die Forschung angeht, so beantragte die Kommission im Februar dieses Jahres bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Untersuchung der Bienensterblichkeit und ihrer Ursachen in der Europäischen Union. Die EFSA sammelte Informationen von den Mitgliedstaaten und will diese jetzt analysieren, um der Kommission ein deutlicheres Bild der epidemiologischen Situation des Zusammenbruchs der Bienenvölker zu vermitteln. Dies wäre die Grundlage für weitere Maßnahmen in diesem Bereich. Außer dieser Maßnahme der EFSA unterstützt die Kommission verschiedene Forschungsprojekte zu Honigbienen in ihrem Forschungsrahmenprogramm – und dieses Engagement wird fortgeführt werden. Wenn es Sie interessiert, kann ich einige davon später erwähnen.
Was ökologische Pollenzonen angeht, so möchte ich trotz der Tatsache, dass es schwierig zu sein scheint, solche Zonen überhaupt einzurichten, daran erinnern, dass für eine effiziente Umsiedlung von Bienenstöcken bereits Finanzhilfe gewährt wird. Diese Maßnahme, die in Verordnung Nr. 1234/2007 des Rates verankert ist, soll das Management der Umsiedlung von Bienenstöcken in der Gemeinschaft unterstützen und für Standorte sorgen, an denen viele Imker während der Blütezeit erreicht werden können. Diese Maßnahme kann auch die Anreicherung einer für die Bienenzucht geeigneten Flora einschließen.
Was Ihre dritte Frage betrifft, so möchte ich daran erinnern, dass die Vermarktung und Genehmigung von Pflanzenschutzprodukten durch Ratsrichtlinie 91/414/EWG geregelt wird. Laut dieser Richtlinie dürfen Pestizide nur verwendet werden, wenn nachgewiesen ist, dass sie kein erhebliches Risiko von unerwünschten Wirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt darstellen. Diese Bewertung schließt auch akute und langfristige Risiken für Honigbienen und ihre Larven ein, und die durchgeführten Tests basieren auf Normen zwischenstaatlicher Organisationen, z. B. der Pflanzenschutz-Organisation für Europa und den Mittelmeerraum, in der 47 Regierungen vertreten sind.
Es muss erwähnt werden, dass die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft risikobasiert sind. Es ist klar, dass Insektizide von Natur aus giftig für Bienen sind. Ihre Verwendung ist dennoch möglich, wenn ihnen die Bienen nicht oder nur zu einem sehr geringen Grad ausgesetzt werden, der keine schädlichen Auswirkungen hat.
Klassische Beispiele von risikomindernden Maßnahmen sind: gut angepasste agrarwissenschaftliche Verfahren, angemessene Häufigkeit und Zeitplanung der Anwendung (z. B. abends nach dem Flug der Honigbiene oder außerhalb der Blütezeit der Pflanze und wenn möglich anderen angrenzenden Unkräutern), direkte Einbringung des Produkts in den Boden, Verwendung in Treibhäusern, in die Bienen nicht hineinkommen, oder Behandlung der Saat in speziellen Einrichtungen.
Was die Qualität der Oberflächenwässer betrifft, so sieht die Wasserrahmenrichtlinie Folgendes vor: Schutz aller Gewässer; Verpflichtung zur Erzielung bzw. Aufrechterhaltung einer guten Wasserqualität für sämtliche Oberflächen- und Grundwässer bis 2015; Verbot der Verschlechterung des Wasserzustands; Verpflichtung zur Einrichtung eines Überwachungssystems; Verpflichtung zur Entwicklung der erforderlichen Pläne und Programme bis Dezember 2009 in umfassender öffentlicher Konsultation mit den Kommunen, Interessenvertretern und Nichtregierungsorganisationen.
Was die Unterstützung für Imkereien betrifft, die sich in Schwierigkeiten befinden, so möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Kommission erfreut ist zu erfahren, dass die Zahl der Bienenstöcke zwischen 2004 und 2007 gestiegen ist – und zwar ohne die Erweiterung.
Was Bienenverluste angeht, so sollten Sie wissen, dass seit 2004 eine neue Maßnahme zur Wiederauffüllung der Bienenstöcke der Liste geeigneter Maßnahmen in den nationalen Bienenzuchtprogrammen hinzugefügt wurde. Deshalb ist es jetzt möglich, Bienenverluste (und Produktionsverluste) durch die Finanzierung von Maßnahmen zur Förderung der Produktion von Königinnen, zum Kauf von Bienenvölkern oder auch zum Kauf von Bienenstöcken auszugleichen.
Ich denke, dass die von Ihnen aufgeworfene Frage natürlich außerordentlich ernst ist und wir sie mit der gleichen Ernsthaftigkeit behandeln müssen.
Astrid Lulling, im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (FR) Frau Präsidentin! Wenn es gefährlich ist, eine Sache aufzuschieben, kann ich auf den gesamten Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung und seinen Vorsitzenden, meinen Kollegen Parish, zählen. Ich danke ihnen für ihre schnelle, effektive Antwort auf meine Initiative einer mündlichen Anfrage an die Europäische Kommission mit Aussprache und Entschließung, auf die Gesundheitskrise der Bienenzucht zu reagieren.
Angesichts dessen, dass die Bienenvölker schwächer werden und eine enorme Sterblichkeit zu verzeichnen ist, müssen sämtliche Faktoren analysiert werden, die zu dieser erhöhten Bienensterblichkeit führen, und ein Maßnahmeplan zur Umkehr dieses katastrophalen Trends vorgeschlagen werden.
Die Kommission hat uns gerade ein umfangreiches Papier verlesen, was bereits getan wurde. Ich muss aber sagen, dass es in den letzten Jahren, seit ich Berichterstatterin zur Lage der Bienenzucht bin – also seit 1994 – enormer Überzeugungsarbeit bedurfte, um die Kommission zum Handeln zu bewegen, obwohl ich mit meinen Kollegen bemüht war, die Aufmerksamkeit der Kommission auf diese alarmierende Situation zu richten, die sehr wohl bekannt ist und perfekt beschrieben wurde, vor allem von meinem Kollegen Parish.
Ich habe nicht die Zeit, all das zu wiederholen oder dem etwas hinzuzufügen. Da jedoch niemand bestreiten kann, dass die Bienensterblichkeit eine tödliche Gefahr für unsere Obst- und Gemüseproduktion ist, die von der Bestäubung abhängt, fordern wir die Kommission auf, energischer zu handeln und mehr Mittel bereitzustellen. Sie muss einen Beitrag zu einer Analyse der Ursachen dieser Bienensterblichkeit leisten und endlich die Forschung und die Bekämpfung der Bienenkrankheit in die europäische Veterinärpolitik einbeziehen.
Sie sollte die erforderlichen Maßnahmen fördern, um die Gefahr unzureichender Bestäubung zu begrenzen und zu beseitigen und eine diversifizierte Lebensmittelproduktion zur Erfüllung der Bedürfnisse von Mensch und Tier zu gewährleisten. Es muss klar sein, dass die Gesundheitskrise der Bienenzucht für das Überleben der Menschen ebenso gefährlich ist wie die Finanzkrise für die Realwirtschaft.
Ich möchte keine Zahlen nennen, außer einer globalen Zahl: Der Wert der Bestäubung für den Pflanzenanbau zur Ernährung der Menschheit wird auf 153 Milliarden Euro geschätzt. Die von uns empfohlenen Lösungen sind viel weniger aufwändig als die Lösungen, die für die Finanzkrise mobilisiert wurden, und selbst wenn wir schließlich die Bestäubungsprämie und Finanzhilfen für Imker einführen müssten, die in Schwierigkeiten sind, um das Überleben der Bienen in Europa zu gewährleisten, so wären das Peanuts im Vergleich zu anderen Haushaltslinien. Wenn Sie eine Milliarde haben, um sie ungeprüft nach Afrika zu senden – wie Sie das vorhaben –, um den Hunger mit all seinen katastrophalen Folgen zu bekämpfen, sollten Sie doch in der Lage sein, rund 60 Millionen Euro locker zu machen, um hier etwas Wichtiges zu leisten.
Frau Präsidentin! Da ich die Funktion der Berichterstatterin habe, könnte ich da noch etwas über die Änderungsanträge sagen? Ich habe die Redezeit von Herrn Parish noch nicht ausgeschöpft ...
(Die Präsidentin unterbricht die Rednerin.)
Rosa Miguélez Ramos, im Namen der PSE-Fraktion. – (ES) Frau Präsidentin! Ich möchte Frau Lulling zu ihrem Engagement gratulieren, dieses Thema, das einigen vielleicht relativ unbedeutend zu sein scheint, auf die Tagesordnung dieses Parlaments zu setzen, wenn es auch schon spät ist.
Bienenzucht ist eine landwirtschaftliche Tätigkeit mit bedeutenden ökonomischen Folgen und Vorteilen für die ländliche Entwicklung und das ökologische Gleichgewicht.
In meinem Land gibt es ca. 27 000 Imker mit über 2 300 000 Bienenstöcken. Deshalb ist mein Land der führende Honigerzeuger in der Europäischen Union.
Spanische Imker stehen wie alle anderen Imker vor Problemen, nicht nur, weil es immer weniger Pollen und Nektar gibt, sondern auch wegen der neuen Krankheiten, die die Bienenstöcke dezimieren. Die Kommission sollte weiter an der Erforschung der Ursachen dieser Krankheiten arbeiten, und in dieser Hinsicht erscheint uns eine haushaltspolitische Anstrengung unverzichtbar.
Ich möchte jedoch hinzufügen, dass Importe – und ich meine Honigimporte – die gleichen Auflagen erfüllen müssen wie unsere Produkte, und es muss eine absolute Garantie für die Verbraucher geben. In dieser Hinsicht ist eine gute Kennzeichnung unserer Produkte entscheidend, und die Kommission spießt dabei eine wichtige Rolle.
Sehr häufige und sehr viele Kontrollen an Grenzprüfstellen müssen dafür sorgen, dass aus Drittländern keine Bienenzuchtprodukte mit Rückständen in die Europäische Union gelangen.
Viele unserer Landwirte bessern mit der Bienenzucht ihr spärliches Einkommen auf. Dies ist auch ein Bereich, in dem viele Frauen arbeiten. Honig nimmt einen wichtigen Platz auf kleinen Messen und Märkten ein, und Imker haben große Anstrengungen unternommen, um ihre Produkte zu diversifizieren und zu kennzeichnen, strengere Hygiene- und Gesundheitsgarantien zu gewährleisten und neue Vertriebskanale zu eröffnen.
Herr Kommissar, wir können einfach nicht zulassen, dass all diese Bemühungen umsonst sind.
Francesco Ferrari, im Namen der ALDE-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Der Bienenzuchtsektor ist nicht nur ein produktiver Bereich mit einer langen Tradition in der Geschichte unserer landwirtschaftlichen Tätigkeit, sondern derzeit ein System, das durch die Fremdbestäubung wesentlich für die Aufrechterhaltung der Produktivität von Bäumen und krautartigen Pflanzen ist.
Ich möchte hervorheben, dass 80 % der Pflanzen nur Früchte tragen, weil der Pollen von den Bienen übertragen wird. Dies gewährleistet auch die genetische Vielfalt der Arten bei der Reproduktion. Es ist klar, dass der Bienenzuchtsektor und seine Imkereien momentan unverzichtbar und der einzige Weg sind, die angestrebte biologische Vielfalt zu erhalten. Die Produkte der Bienenstöcke sind immer häufiger dem Wettbewerb auf dem globalen Markt unter Wettbewerbsbedingungen ausgesetzt, die nicht transparent sind. Es gibt Massenimporte, darunter aus Ländern außerhalb der EU, die keiner Garantie unterliegen. Ihre Qualität kann nicht immer garantiert werden, was teilweise an Pestiziden liegt, die in Europa verboten sind, in anderen Ländern jedoch eingesetzt werden. Aus diesem Grund ist die Etikettierung und Herkunftskennzeichnung auf dem Produkt erforderlich.
Ich glaube, es ist auch wichtig, auf die ernsten Folgen des Virus für die Bienenzüchter hinzuweisen, durch das über 50 % des europäischen Bienenzuchtsektors zerstört wurden. Ich fordere die Europäische Kommission auf, weitere Anstrengungen in der wissenschaftlichen Forschung zu unternehmen, um einen Weg zur Bekämpfung dieser schwerwiegenden Krankheit zu finden, und jede Art der phytosanitären Behandlung während der Blütezeit zu untersagen.
Zdzisław Zbigniew Podkański, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Der natürliche Reichtum nimmt vor unseren Augen ab. Ganze Arten sterben aus, werden durch Parasiten, Krankheiten, Chemikalien und das unverantwortliche Handeln der Menschen dezimiert. In vielen Regionen wurde das ökologische Gleichgewicht zerstört, und es zeigen sich schwere, irreversible Verluste.
Wir sehen mit Besorgnis ein Massensterben von Bienen, deren Stöcke einer nach dem anderen zugrunde gehen. Viele Pflanzenarten, die von der Bestäubung abhängig sind, sterben damit ebenfalls aus. Der Zustand der Bienenzucht bestimmt die Erträge von 84 % der in Europa angebauten Pflanzenarten. Deshalb bestimmen Bienen in hohem Maße die Fülle der Lebensmittel auf unseren Tischen.
Bienen werden durch Krankheiten und Schädlinge dezimiert. Damit können die Imker nicht allein fertig werden. Es sind zusätzliche Mittel erforderlich, um diese Probleme in den Griff zu bekommen und zu untersuchen. Die Imker schaffen es auch nicht allein, ihre Märkte zu schützen und die Wirtschaftlichkeit ihrer Produkte zu gewährleisten. Deshalb müssen wir unseren Binnenmarkt vor dem Zustrom qualitativ schlechteren Honigs aus Drittländern schützen, der oftmals die Hygieneanforderungen nicht erfüllt. Imker müssen zudem Hilfe in Form von Subventionen oder verbilligtem Zucker und groß angelegten Werbekampagnen erhalten.
Insgesamt ist es höchste Zeit für uns, jetzt bienenfleißig zu arbeiten. Als Imker kann ich nur wünschen, dass die Europäische Kommission dem Beispiel der Bienen folgt, damit wir nicht 15 Jahre auf ein vernünftiges Programm warten müssen, um dessen Förderung sich Frau Lulling so nachdrücklich bemüht.
Alyn Smith, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich möchte ebenfalls Frau Lulling Anerkennung zollen für ihre Hartnäckigkeit, mit der sie das Thema vorgetragen und es vor das Parlament gebracht hat. Herr Kommissar! Ich möchte Ihnen auch für eine beeindruckende Liste von Maßnahmen danken, welche die Kommission in dieser wichtigen Angelegenheit ergreift. Ich denke, wir brauchen dringend mehr Mittel und eine bessere Koordinierung. Es besteht die Gefahr, dass verschiedene Teile der Institutionen gute Arbeit leisten, wir diese Arbeit aber nicht immer zusammenführen. Ich denke, dass diese Aussprache hier ein wenig Licht ins Dunkel bringen kann.
Das Thema ist ernst. Früher nahmen die Bergleute Kanarienvögel mit in die Stollen, um sie vor giftigen Gasen zu warnen. Sie taten dies, indem sie starben. Das war schlecht für die Kanarienvögel, aber gut für die Bergleute. Wir fürchten, dass die Bienen Europas uns im Wesentlichen den gleichen Dienst erweisen. Ein Drittel der Lebensmittel der EU – jeder dritte Bissen – ist mit der Bestäubung durch die Bienen verbunden.
Die Dezimierung der Bienen ist katastrophal, und wir müssen Maßnahmen auf europäischer Ebene ergreifen. Wissenschaftler sind sich einig, dass es einen Rückgang gibt. Wir haben bereits gehört, wie ernst dieser ist, doch die Ursache dafür ist uns weniger klar. Liegt es an der Verwendung von Pestiziden? Liegt es an den klimatischen Bedingungen? Liegt es an Parasiten, Milben und andere Krankheiten, die möglicherweise außer Kontrolle geraten sind?
Herr Kommissar! Ich möchte speziell den Bumblebee Conservation Trust an der Universität Stirling in Schottland erwähnen, der hier Pionierarbeit geleistet hat. Es mangelt in Europa nicht an Wissen. Wir müssen es nur zusammenführen. Ich denke, der vorliegende Text enthält eine Reihe konkreter Maßnahmen, die uns in diese Richtung führen würden – vor allem spezielle Flächen für die Bienenzucht, Zonen biologischer Vielfalt, auch an Straßen und Brachland, Forschung zu Pestiziden und Oberflächengewässern sowie mögliche Finanzhilfen.
Wie wir bereits gehört haben – wenn wir eine Milliarde Euro für die Entwicklung in Afrika bereitstellen können, denke ich, dass wir auch Geld für unsere eigene Forschung locker machen können. Die EU muss hier wirklich tätig werden, und ich wage zu behaupten, dass dies einen wirklich kohärenten Plan B darstellt, wohingegen Plan A, die gemeinsame europäische Agrarpolitik, im Hinblick auf Europas Bienen gescheitert ist. Ich glaube, dass sich die bereits laufenden Maßnahmen stärker ergänzen müssen, um des Problems Herr zu werden.
Czesław Adam Siekierski (PPE-DE). – (PL) Frau Präsidentin! Imker und Bienen stehen derzeit vor gewaltigen Problemen und brauchen Hilfe. Der Zahl der Bienenvölker geht dramatisch zurück, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt. Leider ist der Beruf immer weniger einträglich, und damit sinkt das Interesse der jungen Menschen daran. Es gibt verschiedene Themen, mit denen wir uns so schnell wie möglich befassen müssen.
Erstens müssen wir die Forschung zu Parasiten, Krankheiten und Viren weiterentwickeln, die diese fleißigen Insekten dezimieren. Zweitens müssen wir Tests für Honig einführen, der aus Drittländern importiert wird. Alle Produkte müssen die entsprechenden Qualitätsauflagen erfüllen. Zudem muss das Herkunftsland auf dem Etikett angegeben werden. Drittens müssen wir eine Informationskampagne starten, bei der erklärt wird, welchen Nutzen Bienen für die Umwelt und Honig und andere Bienenprodukte für die menschliche Gesundheit haben.
Wegen des Umfangs des Problems müssen wir finanzielle Unterstützung für die vom Untergang bedrohten Imkereien in Betracht ziehen. Die Imkergemeinschaft fordert verbilligten Zucker, mit dem die Bienen gefüttert werden. Angesichts seines hohen Nutzens, den der Bienenzuchtsektor für die Umwelt hat, sollte auch die Einführung eines speziellen Unterstützungssystems für diesen Sektor erwogen werden.
Janusz Wojciechowski (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Ich möchte Frau Lulling gratulieren und ihr für ihren unermüdlichen und leidenschaftlichen Einsatz für die Interessen der europäischen Bienenzuchtbranche danken. Es ist gut, dass wir dieses Problem diskutieren, denn Imker in Europa und der ganzen Welt sind alarmiert und beunruhigt, weil ihnen die Bienen wegsterben.
Die Ursachen dieses Phänomens werden derzeit untersucht. Zu den von den Forschern angenommenen Ursachen zählen die möglichen Auswirkungen der Biotechnologie und insbesondere des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen, welche die Arbeit der Bienen beeinträchtigen könnten.
Deshalb möchte ich der Europäischen Kommission, die den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Europäischen Union genehmigt, folgende Frage stellen: Wie lauten die einschlägigen Testergebnisse, und was weiß man im Allgemeinen über den Einfluss von GVO auf den Zustand der Bienen in Europa?
James Nicholson (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Zuerst möchte ich Astrid zu ihrer Arbeit an diesem Thema beglückwünschen. Soweit ich weiß, befasst sie sich nun schon geraume Zeit mit der Frage der Bienen. Deshalb freue ich mich zu sehen, dass diese Entschließung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung dem Parlament Gelegenheit gegeben hat, über das Problem zu sprechen, vor dem der Bienenzuchtsektor derzeit steht.
Obwohl das Thema viel Aufmerksamkeit und öffentliches Interesse erzeugt hat – vielleicht, weil es in gewisser Weise ein Novum ist –, sind wir uns durchaus dessen bewusst, dass die Probleme, vor denen wir stehen, in Wirklichkeit sehr ernst sind und möglicherweise verheerende Folgen haben könnten.
Ich brauche wohl kaum jemanden an die Bedeutung zu erinnern – dies wurde ja bereits heute Abend betont –, welche Bienen nicht nur für die Herstellung wichtiger Nebenprodukte, z. B. Wachs und Honig, sondern auch für die Bestäubung und die Aufrechterhaltung gesunder Ökosysteme haben.
Ich komme aus der Grafschaft Armagh in Nordirland, die auf der ganzen Insel als „Obstgarten“ bekannt ist. Hier sind Bienen unverzichtbar für die Bestäubung der Apfelbäume, und ich kann sagen, dass sich das Problem hier bereits stark bemerkbar macht. In dieser Hinsicht muss die Kommission dringend ihre Forschung intensivieren, um herauszufinden, was genau einen derart gravierenden Rückgang der Bienenpopulation verursacht, und hoffentlich verschiedene Lösungen vorzulegen. Wenn wir keinen Weg finden, die Bienengesundheit zu verbessern und die Bienensterblichkeit zu reduzieren und dem Sterben und Verschwinden der Bienenvölker Einhalt zu gebieten, wird sich die Lage nur verschlimmern. Dies ist Anlass zu großer Sorge für alle Betroffenen, nicht nur in ganz Europa, sondern sogar in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus.
Ich war kürzlich auf einer Imkerkonferenz in meiner Region von Nordirland und hörte in den zahlreichen Beiträgen an dem Morgen erneut von den Sorgen, welche die Imker angesichts des Verlustes ihrer Bienenstöcke haben, der vor allem in der Winterperiode auftritt. Wir brauchen zusätzliche Mittel für weitere Forschung und Entwicklung, um festzustellen, was der Grund für diese Katastrophe ist, von der die Imker betroffen sind. Wenn wir etwas falsch machen, müssen wir dies dringend herausfinden. Sind es die Pestizide, oder gibt es einen anderen Grund? Es gibt vielleicht viele Theorien und Spekulationen, aber die Wahrheit lautet, dass wir keine Antwort haben. Diese brauchen wir aber, und wir brauchen zusätzliche Unterstützung.
Mairead McGuinness (PPE-DE). – Frau Präsidentin! Wir wissen, wie wichtig Bienen sind. Alle haben darüber gesprochen. Ein Thema ist jedoch in der Debatte noch nicht angesprochen wurden, und zwar ein erheblicher Handel mit kommerziellen Hummelstöcken. Bienen können global fast uneingeschränkt frei fliegen, und, soweit ich weiß, gibt es sehr wenige Regulierungen für den Flug der Bienen, der jedoch geregelt werden müsste. Wir tun das bei anderen Arten und Tierbeständen und wissen, dass dadurch Krankheiten eingedämmt werden können. Beim Flug der Bienen kann die Varroamilbe eingeschleppt werden, wie es in Irland geschehen ist. Jetzt gibt es das Problem des Kleinen Bienenstockkäfers, der für Imker eine verheerende Wirkung hat.
Somit haben wir ein enormes Problem, auf das wir noch keine Antwort wissen. Es gibt mindestens ein halbes Dutzend Gründe, warum diese Dinge passieren. Hier ist dringend Forschung erforderlich. Wir müssen diese Forschung in der gesamten Europäischen Union koordinieren, damit wir Antworten finden. Wir müssen uns auch mit dem Problem der Imker selbst befassen, da sie zunehmend älter werden, und wir brauchen mehr von ihnen, nicht weniger.
Avril Doyle (PPE-DE). - Frau Präsidentin! Wenn Frau Lulling lange genug hier bleibt, damit ich ihr gratulieren kann, würde ich dies sehr gern tun, und zwar für ihr anhaltendes Interesse und ihre Unterstützung für die Bienenzucht, die sie im Europäischen Parlament seit geraumer Zeit zeigt.
Der Rückgang der Bienenpopulationen und die erschreckenden Folgen für die Bestäubung der Pflanzen und die biologische Vielfalt verdienen generell unsere volle Aufmerksamkeit. Wir müssen die Forschung unterstützen und Wissenschaftler weltweit zusammenarbeiten, um die Ursachen herauszufinden. Parasiteninfektionen, Klimawandel, Pestizide – wir können zurzeit nur spekulieren.
25 % unserer Lebensmittel hängen direkt von den Bienen ab, ganz zu schweigen von ihrem Beitrag zur Erhaltung unseres Weidelands. Leider wurde in Irland unser einziges Forschungszentrum auf diesem Gebiet, das sich in Clonroche in der Grafschaft Wexford befand, vor einigen Jahren von der irischen Regierung geschlossen. Deshalb bin ich nicht sicher, ob Irland hier einen Beitrag leisten kann. Wir haben die Wissenschaftler und das Wissen, aber sicherlich nicht die Unterstützung der Regierung. Ich wüsste jetzt gern von der Kommission, wie Europa und die Europäische Union die Forschung unterstützen können und was bereits auf diesem Gebiet getan wird.
Astrid Lulling (PPE-DE). – (FR) Frau Präsidentin! Da Herr Parish bereits gehen musste, bat er mich, unsere Position zu den Änderungsanträgen darzulegen, die uns in letzter Minute erreicht haben.
Der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung hat die Entschließung einstimmig angenommen, mit allen Änderungsanträgen, die ich vollständig berücksichtigt habe. Allerdings macht die Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz, die bei der Diskussion der Entschließung keine glänzenden Beiträge geleistet hat, nun in letzter Minute den Versuch, ihren Ruf durch vier Änderungsanträge wiederherzustellen. Letztere bieten nicht nur nichts Neues, sondern würden auch den Text, der derzeit kohärent und lesbar ist, verworren gestalten.
Änderungsantrag 1 ist auf einen Fehler in der deutschen Übersetzung zurückzuführen, denn Herr Graefe zu Baringdorf schlägt genau das vor, was ich vorgeschlagen habe, aber, wie ich bereits gesagt habe, ist die deutsche Übersetzung meiner Erwägung nicht treffend.
Änderungsantrag 2 ist offensichtlich, Änderungsantrag 3 ist unverständlich und Änderungsantrag 4 besagt das Gleiche wie Absatz 8, der eindeutig eine intensivere Erforschung der Auswirkungen von Pestiziden auf die Bienensterblichkeit fordert. Zudem heißt es dort, dass die Genehmigung solcher Produkte von dieser Forschung abhängig gemacht werden solle, was bereits der Fall ist.
Ich schlage deshalb vor, diese Änderungsanträge abzulehnen, weil sie nichts Neues hinzufügen und einen klar und eindeutig formulierten Text verschandeln würden. Ich bestehe auf einem guten Entwurf, weil diese Entschließung sehr wichtig ist, und wir möchten, dass sie gut formuliert ist. Deshalb möchten wir diese Änderungsanträge ablehnen.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). – (PL) Frau Präsidentin! Die Bienenzuchtdebatte im Europäischen Parlament ist bei den Imkern auf großes Interesse gestoßen. Ich bin selbst Imker und traf in Puławy mit Imkern aus ganz Polen zusammen. Sie baten mich, der Europäischen Kommission nur eine Frage zu stellen und eine definitive Antwort einzuholen: Was können die Imker in den kommenden Jahren erwarten?
Janez Potočnik, Mitglied der Kommission. − Frau Präsidentin! Ich bin der festen Überzeugung, dass dies eine sehr fruchtbare Diskussion mit vielen Ideen war, und zwar nicht nur für meine Kollegen, sondern auch für die Dienststellen der GD AGRI sowie für meine und andere Dienststellen. Außer der GD AGRI arbeiten viele der Generaldirektionen an dem Thema, das wir heute diskutieren: GD SANCO, Generaldirektion Forschung und Generaldirektion Umwelt. Dies ist wirklich ein disziplinübergreifendes Thema. Wenn wir darüber sprechen, wie viele Mittel gegenwärtig dafür bereitgestellt werden, denke ich, dass wir auch auf verschiedene andere Bereiche schauen müssen.
Ich möchte zunächst auf viele Ihrer Fragen eingehen, in denen es darum geht, was wir tun, was sich in der Planung befindet und was wir genau meinen, wenn wir über Forschung im Bienensektor sprechen. Im Sechsten Rahmenprogramm hieß ein spezielles gezieltes Forschungsprojekt zur Priorität von Lebensmittelqualität und -sicherheit „Bees in Europe and Sustainable Honey Production“ (Bienen in Europa und nachhaltige Honigproduktion, BEE SHOP). Daran waren neun europäische Forschergruppen beteiligt, die sich mit Honigbienen befassen und sich auf Honigqualität, Pathologie, Genetik und Verhalten spezialisiert haben. Damit kein Missverständnis entsteht: RP6-Projekte laufen bereits; RP7-Projekte laufen gerade erst an.
Außerdem ermöglichte die Maßnahme zur gezielten Unterstützung „Bee Research and Virology in Europe“ (Bienenforschung und -virologie in Europa, BRAVE) die Organisation von zwei großen multidisziplinären Konferenzen. Hieran nahmen Experten teil, die auf dem Gebiet der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung zu Bienen arbeiten – Experten zu Virologie, Diagnose, Immunologie und Epidemiologie – sowie Experten auf dem Gebiet des internationalen Handels, der Politikformulierung und der Krankheitsrisikobewertung. Am 3. September dieses Jahres wurde eine Ausschreibung im Bereich Ernährung, Landwirtschaft, Fischerei und Biotechnologie zur Erkennung neuer Honigbienenschädlinge und -krankheiten und zum erneuten Auftreten von Krankheitserregern veröffentlicht. Ziel war die Aufdeckung der inneren Mechanismen und Gründe für die erhöhte Honigbienensterblichkeit. Diese ist also mit genau diesem Thema und vielen Ihrer Fragen verknüpft.
Die Umweltaspekte wie die chronische Exposition gegenüber Pestiziden werden ebenfalls berücksichtigt. Das integrierte Projekt ALARM zur Bewertung umfassender Umweltrisiken für die biologische Vielfalt wird ebenfalls unter dem Sechsten Rahmenprogramm gefördert und enthält ein Modul zum Bestäuberverlust. Im Rahmen von ALARM werden Methoden und Protokolle zur Bewertung großer Umweltrisiken entwickelt und getestet, um direkte und indirekte negative Folgen für den Menschen zu minimieren. Die Forschung wird sich auf die Bewertung und Änderungen im Hinblick auf die Struktur der biologischen Vielfalt, Funktion und Dynamik von Ökosystemen konzentrieren – insbesondere werden im Kontext der aktuellen und der künftigen besseren Nutzung der europäischen Agrarflächen auch die Risiken eingeschätzt, die sich aus Klimawandel, Umweltchemikalien, biologischen Angriffen und Bestäuberverlust ergeben. Dies sind alles Initiativen, die bereits laufen.
Ein Punkt, den ich hervorheben möchte – da dieser auch von Ihrem Kollegen angesprochen wurde –, ist, dass in Europa genügend Know-how vorhanden ist. Ich denke, dass wir uns dessen bewusst und auch fair sein müssen. Auf Ebene der Europäischen Union verwenden wir 5 % – ich wiederhole, 5 % – der öffentlichen Mittel für die Forschung. Daher ist es unverzichtbar, dass wir unsere Kräfte bündeln und alles Machbare tun. Die Schaffung des europäischen Forschungsraums, den ich voll unterstütze, entspricht genau dieser Vorstellung – dass wir alle wissen, was wir tun, und das wissenschaftliche Know-how zusammenführen, über das wir bereits in ganz Europa verfügen. Das ist etwas, was heute in Europa sicherlich noch fehlt.
Ich werde dafür sorgen, dass der Kommissar, der für die Forschung verantwortlich ist, Ihre Forderungen nach weiterer Forschung hört – also ich, aber heute bin ich in einer anderen Funktion hier. Eine Sache, die ich ebenfalls erwähnen möchte – weil sie vielleicht in meiner Einführung nicht ganz verstanden wurde –, ist die ist vollständige Einschätzung der EFSA zu Bienensterblichkeit und -überwachung in Europa. Dieser Punkt wurde am 11. August 2008 veröffentlicht, ist also noch neu. Genau die Analyse des Programms wünschen Sie, und ich denke, es ist wichtig, dass wir alle sehen, was vor uns liegt.
Ich möchte auch die Frage des Kollegen zu gentechnisch veränderten Pflanzen beantworten. Die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die gegenwärtig in der Europäischen Union angebaut wird, ist Bt-Mais MON 810. Bt-Mais und Bt-Toxin im Allgemeinen wurden im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf die Bienengesundheit gründlich analysiert. Intensive Fütterungstests, bei denen gesunde Bienen hohen Dosen von Bt-Toxin ausgesetzt werden, haben keine negativen Auswirkungen gezeigt. Insgesamt zeigt die überwältigende Mehrheit der Untersuchungen, dass eine Ernährung mit Bt-Maispollen keine Auswirkungen auf die Bienen hat. Ich kann noch hinzufügen, dass die kürzlich festgestellten massiven Bienenverluste, der so genannte „Colony Collapse Disorder“ (Völkerkollaps, CCD), in Nordamerika und auch in Europa nicht im Zusammenhang mit der Verwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu stehen scheinen, da sie auch aus anderen Regionen gemeldet werden, in denen keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut werden. So wurden die in Süddeutschland festgestellten Bienenverluste eindeutig einer Vergiftung durch das Pestizid Poncho Pro zugeschrieben. Es gibt dafür auch eine lateinische Bezeichnung, die jedoch so kompliziert ist, dass ich sie lieber nicht verlesen möchte.
Fazit: Die Maßnahmen der Kommission werden natürlich fortgesetzt und verstärkt. Sie werden den Imkern helfen, die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu meistern, und sie ermutigen, ihre Tätigkeit fortzusetzen. Ich hoffe auch, das es dadurch wieder mehr Menschen gibt, die diesen Beruf ergreifen, da diese Tätigkeit eine extrem wichtige Rolle spielt, und zwar nicht nur für die biologische Vielfalt der EU, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht.
Was die direkte Verantwortung meiner Kollegin, Kommissarin Fischer Boel, betrifft, so wird sie weiterhin dafür sorgen, dass die nationalen Bienenzuchtprogramme so effizient wie möglich eingesetzt werden. Zunächst müssen jedoch die Mitgliedstaaten ihre Haushaltsmittel angemessen einsetzen. Heute stehen uns jedes Jahr 26,3 Millionen Euro an europäischen Geldern zur Verfügung. Dieser Betrag wird verdoppelt durch Gelder aus den Mitgliedstaaten – wir geben die Summe jedoch nicht aus. Wir geben 80 % dieser Gelder aus. Die Mitgliedstaaten geben nicht alle Mittel aus, die ihnen derzeit zur Verfügung stehen.
Schließlich besteht die beste Lösung, dem Sektor eine Zukunft zu garantieren, darin, den Konsum von Honig aus der EU zu fördern. Seit 2004 steht Honig auf der Liste der Produkte, die auf dem Binnenmarkt gefördert werden können, und es wurden verschiedene Programme verabschiedet.
Meine Antwort war etwas länger, weil ich Ihnen verdeutlichen wollte, dass wir diese Fragen ernst nehmen und dass sie sich – definitiv auch in meinem Bereich – darauf verlassen können, dass wir dies auch weiterhin tun werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ihr langes Ausharren.
Die Präsidentin. – Ich habe einen Entschließungsantrag des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung gemäß Artikel 108 Absatz 5 der Geschäftsordnung erhalten(1).
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung erfolgt am Donnerstag, den 20. November 2008.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Filip Kaczmarek (PPE-DE), schriftlich. – (PL) Bienen sind wichtig für viele verschiedene Kulturen in vielen verschiedenen Teilen der Welt. Ihre Universalität ist kein Zufall. Bienenzucht ist seit Urzeiten ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaft – es gab sie schon vor Beginn der Geschichtsschreibung. In Spanien wurde Honig bereits vor 6 000 Jahren gewonnen.
Heute könnten die Bemühungen der Bienen und der Imker zunichte gemacht werden durch ein Phänomen, das die natürliche Umwelt und indirekt auch die Menschheit betrifft. In Europa gibt es immer noch Menschen, deren Lebensunterhalt von ihrer Arbeit und der ihrer Bienen abhängt. Sie verkaufen den Honig, den sie selbst produziert haben. Wir sollten froh darüber sein. Es wurden auch Versuche unternommen, zur traditionellen Waldbienenzucht zurückzukehren. In Polen wurden diese Versuche von Imkern aus Baschkirien unterstützt, weil sich in unserem Land niemand an die alten Methoden erinnern konnte. Bienenzucht hat eine kulturelle, soziale und wirtschaftliche Bedeutung. Deshalb sollten wir die Bienenzucht in Europa schützen. Leider gibt es viel, wovor man sie schützen muss:
wirtschaftliche Bedrohungen, z. B. unlauterer Wettbewerb durch Drittländer, Gefahren für die Bienengesundheit wie auch biologische Gefahren, z. B. Krankheiten, Parasiten, Umweltverschmutzung und der unbedachte Einsatz von Pestiziden. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sollten den Bienenzuchtsektor unterstützen, der vor großen Herausforderungen steht. Den Imkern allein könnte es schwer fallen, die biologische Vielfalt aufrechtzuerhalten, zu deren Reichtum die Bienen einen so großen Beitrag leisten.