Der Präsident. - Als nächster Punkt folgt die Aussprache über sechs Entschließungsanträge zur Todesstrafe in Nigeria(1).
Marios Matsakis, Verfasser. − Herr Präsident! Das Rechtssystem in Nigeria steckt voller Unzulänglichkeiten, Versäumnisse und Korruption. Zu diesem ohnehin schon furchtbaren Zustand sind in einem Drittel der nigerianischen Staaten anachronistische islamische Scharia-Gerichte für die strafrechtliche Rechtsprechung zuständig. Derartige religiöse, von grausamen Fanatikern geführte Gerichte terrorisieren die Bevölkerung seit Jahr und Tag mit der Verhängung von Todesstrafen, Auspeitschungen und Amputationen.
Wir in Europa verurteilen solche anachronistischen religiösen Gerichte selbstverständlich, doch wie ist es dahingehend in der islamischen Welt bestellt? Warum übernehmen islamische Politiker und islamische Staaten, von denen einige global und regional sehr mächtig und einflussreich sind und mit denen wir zum Teil Handelspartnerschaften unterhalten, nicht die Verantwortung, das Gesetz der Scharia, die islamischen Gerichte und andere Übel dieser Art nach Kräften zu bekämpfen? Warum verurteilen islamische Religionsführer in einigen der fortschrittlicheren islamischen Länder diesen Missbrauch der islamischen Religion nicht? Meiner Meinung nach liegt das daran, dass sie ein solches Handeln mir ihrem Schweigen bzw. ihren halbherzigen Reaktionen stillschweigend unterstützen, und eine solche Haltung ist in meinen Augen ebenso kriminell wie diejenige derer, die das Gesetz der Scharia tatsächlich sprechen.
Die Botschaft unserer Empörung über diesen Aspekt des islamischen Fundamentalismus muss all jene in der islamischen Welt erreichen, die sich eigentlich dafür einsetzen sollten, die Dinge zum Besseren zu wenden, dies aber leider nicht tun.
Paulo Casaca, Verfasser. – (PT) Herr Präsident! Ich habe das Gefühl, dass der Fall Nigeria, auch wenn er sicher nicht mit dem, was in Somalia geschieht, vergleichbar ist, ernsthaft Gefahr läuft, sich in eine ähnliche Richtung zu entwickeln. Wie bereits gesagt wurde, wird in einem Drittel des Landes die Scharia angewendet, und die Menschenrechtslage hat sich deutlich verschlechtert.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass wir, bevor wir über religiöse Führer, besonders islamische religiöse Führer, sprechen oder diese verurteilen, wissen müssen, dass unsere grundlegende Rolle darin besteht, den Dialog mit den muslimischen Führern, die diese fanatische Sichtweise nicht teilen, aufrechtzuerhalten und zu verstärken.
Ich versichere Ihnen, es gibt eine Menge solcher Führer, und viele davon kenne ich persönlich. Das Problem besteht darin, dass die europäischen Institutionen, anstatt mit dem Land und dem Islam, der dieselben Werte und Ansichten teilt wie wir, zu kommunizieren, genau das Gegenteil tun. Die europäischen Institutionen scheinen mehr darum besorgt zu sein, die fanatischsten und schlimmsten Missetäter zu besänftigen, diejenigen, die die Menschenrechte aller Muslime zur Schlachtbank führen, denn die Muslime sind – das müssen wir begreifen – die Hauptopfer dieser Situation. Sie sind unsere Hauptverbündeten. Sie sind diejenigen, mit denen wir zusammenarbeiten müssen. Sie sind diejenigen, mit denen wir Sozialisten diese Herausforderungen sicher werden angehen können.
Ryszard Czarnecki, Verfasser. − (PL) Herr Präsident! Diese Debatte ist sicher in einiger Hinsicht eine Debatte über die Todesstrafe als solche, aber ich möchte nicht, dass sie in diese Richtung geht, denn im Grunde sollten wir vielmehr über diese spezifische Situation sprechen.
Wir alle kennen die Berichte, aus denen hervorgeht, dass die Tatsache, dass jüngst weniger Todesurteile verhängt wurden, nicht gleichzeitig die Verbrechensrate des Landes gesenkt hat. Das verleitet die Befürworter der Todesstrafe, weiterhin für sie zu plädieren. Tatsache ist jedoch, dass im vergangenen Jahr nur 7 von 53 Ländern der Afrikanischen Union Todesurteile vollstreckt haben, wohingegen die Todesstrafe in 13 Ländern ausgesetzt wurde und in weiteren 22 Ländern ganz einfach nicht angewendet wird.
Ich denke, Nigeria sollte diesen Schritt wagen, vielleicht unter dem Druck der Europäischen Union. Wir könnten auf die Tatsache verweisen, dass die Todesstrafe auch an sehr jungen und jungen Menschen vollstreckt wird. Von diesen gibt es sehr viele, mindestens 40 in Nigeria. Diese Situation ist besonders schockierend, wenn diese jungen Menschen auf ihre Hinrichtung warten.
Diese Frage führt selbstverständlich noch sehr viel weiter. Es handelt sich um ein Land, in dem es sehr einfach ist, jemanden zum Tode zu verurteilen, vor allem in Anbetracht dessen, dass ein Viertel der Regionen von Nigeria der Scharia unterliegt, einem islamischen, muslimischen Gesetz, das die Amputation von Händen und Füßen und Auspeitschungen vorsieht. Diese Situation ist inakzeptabel. Wir müssen dazu Stellung nehmen.
Michael Gahler, Verfasser. – (DE) Herr Präsident! Nigeria ist eines der größten und politisch und wirtschaftlich wichtigsten Länder in Afrika. Deswegen ist es für uns auch ein bedeutender Partner. Wir müssen leider feststellen, dass die rechtsstaatliche Situation dort stark zu wünschen übrig lässt, insbesondere im Bereich der Justiz. In dieser Debatte haben wir uns auf die Todesstrafe konzentriert. Wir haben in Nigeria sehr viele Menschen, die in der Todeszelle sitzen. Ein Viertel all derer wartet schon fünf Jahre auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens, 6 % warten schon seit 20 Jahren. Das sind natürlich Zustände, die so nicht akzeptabel sind, und deswegen rufen wir die Europäische Kommission auf, den nigerianischen Behörden auf dem Weg zu mehr Rechtsstaatlichkeit behilflich zu sein und dort Empfehlungen zu geben. Es gibt auch nigerianische Empfehlungen von Kommissionen, die vom Präsidenten eingesetzt worden sind, die in eine richtige Richtung zeigen. Aber ich glaube, das muss politisch stärker gefördert werden.
Ewa Tomaszewska, im Namen der UEN-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Die Verurteilung zum Tode aufgrund von Armut ist in Nigeria eine Realität. Ich appelliere an die nigerianischen Behörden, ein Moratorium über Hinrichtungen zu verhängen und die Todesstrafen in Haftstrafen umzuwandeln.
Hunderte von zum Tode Verurteilten können sich einen fairen Prozess nicht leisten. Sie werden auf Grundlage von unter Folter erpressten Geständnissen ohne die Möglichkeit, auf einen qualifizierten rechtlichen Beistand zurückzugreifen, ohne Chance darauf, Akten, die vor fünf oder fünfzehn Jahren verloren gegangen sind, aufzufinden, verurteilt und warten unter unmenschlichen Bedingungen auf ihre Hinrichtung. Aus den Fenstern ihrer Zellen haben sie häufig freien Blick auf die Exekutionsplätze. Etwa 40 der zum Tode Verurteilten sind Jugendliche. Zum Zeitpunkt der ihnen zur Last gelegten Verbrechen waren sie häufig gerade einmal 13 bis 17 Jahre alt. Berufungen dauern durchschnittlich fünf Jahre, können sich aber auch über 20 Jahre hinziehen. 41 Prozent der Verurteilten haben keine Berufung eingelegt. Ihre Fallakten sind verloren gegangen oder sie wissen nicht, wie sie die Berufungsunterlagen selbst ausfüllen sollen; einen Rechtsanwalt können sie sich nicht leisten. Folter ist laut nigerianischem Recht verboten. Geständnisse, die unter Folter erzwungen werden, werden nicht anerkannt. Und dennoch foltert die Polizei. Gerichtsverfahren sind langwierig. Die Geständnisse von Folteropfern sind häufig der einzige Beweis in einem Fall. Ein fairer Prozess ist für arme Menschen quasi unerreichbar.
Erik Meijer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (NL) Herr Präsident! Die Todesstrafe ist an sich schon eine furchtbare Angelegenheit. Anstatt zu versuchen, diejenigen, die ihre Mitbürger oder die Gesellschaft als Ganzes geschädigt haben, dabei zu unterstützen, sich künftig zu bessern, wird dadurch Rache geübt, die Verurteilten sterben zu lassen. Eine solche Entscheidung, die bisweilen sogar auf Justizirrtümern beruht, ist unwiderruflich. Noch furchtbarer ist die Strafe, wenn es sich nicht um außergewöhnliche Verbrechen handelt. In Nigeria liegt die Ursache eher in einer mangelhaften Organisation der Justiz in Kombination mit administrativem Chaos.
Darüber hinaus geht es oft um hartnäckige, primitiv-fundamentalistische Ansichten in den nördlichen Bundesstaaten, in denen davon ausgegangen wird, dass der Mensch von Gott beauftragt wurde, seine sündigen Mitmenschen zu beseitigen. Anders als in Somalia, um dessen Auswüchse es im vorangehenden Tagesordnungspunkt ging, ist Nigeria ein funktionierender Staat. Ein Staat voller voneinander unabhängiger Bundesstaaten, die von einer zentralen Behörde koordiniert werden, die oft infolge eines Putsches in den Händen des Militärs liegt. Die Lage in Nigeria zeigt sich momentan ohne Diktatur und ohne die gewaltsamen Konflikte der Vergangenheit besser. Einige Regionen im Norden wie Iran, Teile von Somalia und der Nordwesten von Pakistan hingegen bilden die Region des rechtlichen Mittelalters. Es geht dabei auch um eine Form der Klassenjustiz. Bei den Verurteilten handelt es sich oft um arme Menschen ohne rechtlichen Beistand. Wir müssen alles daran setzen, diese Menschen aus diesem Chaos, dieser Willkür und diesem Fanatismus zu befreien.
Laima Liucija Andrikienė (PPE-DE). - (LT) Die Hauptbotschaft, die das Europäische Parlament heute an die nigerianischen Staats- und die Regionalregierungen richtet, besteht in der Forderung, die Hinrichtungen unverzüglich zu stoppen, ein Moratorium über die Todesstrafe zu erklären und die Todesstrafe abzuschaffen.
137 der 192 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben die Todesstrafe abgeschafft. Und selbst unter den 53 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union ist Nigeria einer der wenigen, in denen die Todesstrafe noch immer vollstreckt wird.
Sowohl die in Nigeria tätige National Study Group als auch die Präsidialkommission selbst haben empfohlen, die Todesstrafe abzuschaffen, da die Verbrechensrate dadurch nicht gesenkt wird.
Ich appelliere an den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten und fordere sie auf, alle verfügbaren Maßnahmen und Kontakte zu den Institutionen der staatlichen nigerianischen Behörden zu nutzen, wenn wir die Ermordung von Menschen, vor allem Minderjährigen, im Namen des Gesetzes in Nigeria stoppen wollen.
Zdzisław Zbigniew Podkański (UEN). - (PL) Herr Präsident! Die Todesstrafe hat schon immer Überlegungen und viele Fragen aufgeworfen. Erstens, steht einer Person das Recht zu, über das Leben einer anderen Person zu entscheiden? Zweitens, darf diese Entscheidung getroffen werden, wenn ein Geständnis unter Folter erzwungen wurde? Sollten junge, minderjährige Straftätige hingerichtet werden oder sollten sie Bildung erfahren? Es können viele solcher Fragen gestellt werden, aber die Antwort ist immer dieselbe: Dieses Recht steht niemandem zu. Die Menschen haben es sich selbst zugestanden. Aber deshalb können es die Menschen auch wieder abschaffen, darauf verzichten und diese Handlungen nicht mehr begehen. Ich wende mich mit diesen Worten nicht nur an die nigerianischen Behörden, aber auch an all jene, die sich als Herren über Tod und Leben von anderen Menschen betrachten.
Siim Kallas, Vizepräsident der Kommission. − Herr Präsident! Seit seiner Unabhängigkeit hat Nigeria nur drei Zeiträume ziviler Herrschaft, aber 29 Jahre militärischer Herrschaft erlebt.
Vor neun Jahren machte Nigeria einen Schritt in Richtung Demokratie und kehrte zu einer Zivilregierung zurück, auch wenn seitdem alle Wahlen wegen Unregelmäßigkeiten, Betrugs und Gewalt stark kritisiert wurden. Die Wahlen im April 2007 hätten ein gutes Beispiel für andere Länder sein können, aber die Chance wurde vertan, und die neue Regierung nahm ihre Amtsgeschäfte unter Zweifeln an ihrer Legitimität auf. In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Bedeutung eines stabilen Nigerias für Afrika ist es notwendig, eine geeignete Strategie zu finden, um die dortige Regierung in einen konstruktiven Dialog über die Menschenrechte zu involvieren.
Die Kommission teilt vollkommen die von den Abgeordneten geäußerten Besorgnisse im Zusammenhang mit dem Thema der Todesstrafe und stimmt in der Notwendigkeit überein, bis zur endgültigen Abschaffung der Todesstrafe unmittelbar alle Hinrichtungen auszusetzen.
Gleichzeitig muss man aber auch einräumen, dass sich die Lage der Menschenrechte in Nigeria seit der Wiedereinführung einer Zivilregierung im Allgemeinen verbessert hat. So wurden einige Schritte unternommen, um im Land eine Debatte über den Nutzen der Todesstrafe als Abschreckung vor schweren Verbrechen anzustoßen. Mehrere Häftlinge in der Todeszelle wurden dieses Jahr begnadigt, und Nigeria hat sich zu einer Intensivierung des hochrangigen politischen Dialogs mit der EU verpflichtet, in dem unter anderem das Thema der Menschenrechte behandelt werden soll.
Die Kommission hat einen wichtigen Beitrag zur Aufnahme dieses Prozesses geleistet, der zu einer globalen politischen Strategie der EU gegenüber Nigeria führen kann und der bereits zu einer wichtigen Ministertroika und einer umfassenden gemeinsamen Mitteilung geführt hat.
Im Rahmen dieses Dialogs wird es möglich sein, konstruktiv über die Problematik der Menschenrechte zu diskutieren und eine Reihe von Zusammenarbeitsmaßnahmen in entscheidenden Bereichen wie Frieden und Sicherheit, verantwortungsvolle Staatsführung und Menschenrechte zu ergreifen. Unter den avisierten Zusammenarbeitsmaßnahmen befinden sich unter anderem: Unterstützung zur Verbesserung der Ermittlungskapazitäten der nigerianischen Polizei; Zugang zu Justiz und Unterstützung bei der Reform des Strafvollzugs; Unterstützung bei der Korruptionsbekämpfung; Unterstützung für den demokratischen Prozess und Unterstützung für die Bundesbehörden im Umgang mit Menschenhandel, unerlaubten Betäubungsmitteln, Menschenrechten und gefälschten Medikamenten.
Damit diese Maßnahmen zum Erfolg führen, müssen sie der Zivilgesellschaft und den einfachen Bürgern bekannt gegeben werden. Die Kommission wird basierend auf einer Kombination aus Unterstützung der örtlichen Massenmedien und kultureller Initiativen eine Strategie erarbeiten, um sensible Zusammenarbeitsinitiativen zu unterstützen und pädagogische Botschaften über die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, die Grundwerte der Demokratie, verantwortliche Staatsführung, Umweltschutz und so weiter unter der Bevölkerung zu verbreiten.
Der Präsident. - Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet am Ende der Aussprachen statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)
Sebastian Valentin Bodu (PPE-DE), schriftlich. – (RO) Das Thema der Menschenrechte fordert immer noch unsere Aufmerksamkeit, selbst wenn sich die Welt Wirtschaftskrisen stellen muss. Armut und das Fehlen von politischen und wirtschaftlichen Perspektiven führen immer zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Menschen. Die Achtung der Menschenrechte steht auf der Liste der dringenden Probleme weiter unten, und uns fällt es leicht, dass wir angesichts unserer eigenen wirtschaftlichen Probleme die Tatsache übersehen, dass es auf der Welt immer noch Orte gibt, an denen gegen Menschen die Todesstrafe verhängt wird. Ich beziehe mich in diesem Fall auf Nigeria, ein Land mit einer Bevölkerung von 140 Millionen Menschen, in dem laut Amnesty International seit Februar dieses Jahres 725 Männer und 11 Frauen auf ihre Hinrichtung warten, weil sie Straftaten wie bewaffneten Raubüberfall, Totschlag oder Landesverrat begangen haben. Außerdem weisen alarmierende Berichte darauf hin, dass viele von ihnen kein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren hatten und Beweise sogar unter Folter erzwungen wurden. Diese Menschen werden für Taten gehängt werden, die sie vielleicht gar nicht begangen haben, denn in Nigeria genießen die Armen absolut keinen Schutz seitens der Justiz, und das obwohl wir von einem Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs sprechen. Es liegt in der Pflicht der internationalen Gemeinschaft, alle erforderlichen Bemühungen zu unternehmen, damit die nigerianische Regierung unmittelbar die Aussetzung aller Hinrichtungen anordnet und alle Todesurteile in Haftstrafen umwandelt.