Index 
 Zurück 
 Vor 
 Vollständiger Text 
Verfahren : 2008/2071(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : A6-0054/2009

Eingereichte Texte :

A6-0054/2009

Aussprachen :

PV 23/03/2009 - 24
CRE 23/03/2009 - 24

Abstimmungen :

PV 24/03/2009 - 4.16
CRE 24/03/2009 - 4.16
Erklärungen zur Abstimmung
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P6_TA(2009)0161

Ausführliche Sitzungsberichte
Montag, 23. März 2009 - Straßburg Ausgabe im ABl.

24. Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union (kurze Darstellung)
Video der Beiträge
Protokoll
MPphoto
 
 

  Der Präsident. – Der nächste Tagesordnungspunkt umfasst den Bericht (A6-0054/2009) von Cristina Muscardini im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter über die Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union (2008/2071(INI)).

 
  
MPphoto
 

  Cristiana Muscardini, Berichterstatterin. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich denke, es trifft sich gut, dass Kommissar Michel heute an unserer Debatte teilnimmt. Wie wir wissen, legt er immer großen Wert auf Fragen der Menschenrechte und beschäftigt sich mit den in Afrika stattfindenden Tragödien. In der Tat gibt uns die Anwesenheit von Louis Michel Hoffnung, dass sich die Kommission in ernsthafter Weise einem Problem zuwendet, das heute nicht nur 28 afrikanische Länder und verschiedene Länder des Nahen und Mittleren Ostens sowie angrenzende Regionen betrifft sondern mittlerweile auch zu einem bedrückenden Problem innerhalb der Europäischen Union geworden ist.

Die massenhafte Einwanderung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat, hat diese Tragödie in die Länder der EU gebracht. Zehntausende Mädchen und junger Frauen sind jeden Tag der Gefahr ausgesetzt, Opfer einer schrecklichen Praktik zu werden, die ihnen nicht nur irreversible physische Verletzungen zufügt sondern auch äußerst schwerwiegenden psychischen Schaden bereitet. Aus diesem Grund – und obgleich das Parlament in den vergangenen Jahren diese Praktiken bereits mehrfach verurteilt und über das DAPHNE-Programm 14 Projekte zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung gefördert hat – finden wir uns heute erneut in der Diskussion über dieses Thema wieder, weil das Phänomen leider nicht weniger bedeutsam geworden ist sondern sich weiter ausbreitet.

Wir müssen den Mut aufbringen, entschlossener und geeignetere Präventivmaßnahmen in Gestalt kultureller Aufklärungskampagnen zu ergreifen, die den Migrantenfrauen aber auch den Vätern dieser Mädchen zu verstehen geben, dass das Praktizieren eines Stammesritus, der nichts mit Religion zu tun hat, nicht dazu geeignet ist, die Integration oder das künftige Leben ihrer Töchter zu erleichtern.

Stellen Sie sich einmal ein Mädchen vor, das eine französische, italienische oder belgische Schule besucht und plötzlich - nachdem es sich mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern angefreundet hat - brutal aus der Normalität gerissen wird und ein wahres Trauma über sich ergehen lassen muss, von dem es sich sein Leben lang nicht mehr erholen wird. Dieses Mädchen ist nicht nur physisch verstümmelt, es ist ihm auch unmöglich, wieder normale Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen. Dieses Mädchen fühlt sich herabgesetzt und gebrandmarkt – aber wir möchten in unserer Gesellschaft keine Menschen, die gebrandmarkt sind. Wir möchten Menschen, die zusammenarbeiten können zum Wohl eines besseren, bürgernaheren Europa – egal welcher Religion sie angehören, welche Hautfarbe sie haben oder woher sie kommen.

Aus diesem Grund, Herr Präsident, Kommissar Michel, streben wir als Parlament es an – und ich möchte hier allen meinen Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses danken, die an der Erstellung dieses Berichts mitgewirkt haben – dass die Gesetze aller Mitgliedstaaten in dem Sinne harmonisiert werden, dass die weibliche Genitalverstümmelung als Straftatbestand eingestuft wird. Wir sind gegen lediglich abmildernde Vorschläge wie das sogenannte „Pricking“. Wir wollen, dass Frauen wirklich gleichberechtigt sind mit Männern. Wir wollen keine Initiationsriten, sondern echte Integration. Wir wollen, dass die NRO in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit zu leisten; wir wollen eine Präventionspolitik, die Interessensverbände von Migrantenfrauen einbezieht; wir wollen, dass jeder bestraft wird, der junge Frauen verstümmeln will und sie in eine perverse Spirale von Verzweiflung und Marginalisierung stürzt.

Der Bericht deckt eine Vielzahl von Themenbereichen ab und ich denke die Parlamentskolleginnen und -kollegen hatten die Gelegenheit zu dessen Studium und Bewertung. Ich glaube, jeder sollte sich hinter diesen Aufruf für ein entschlossenes Europa stellen, das die Macht seiner drei Institutionen mobilisiert, um solche scheußlichen Verbrechen, die die Menschenrechte verletzen, zu bekämpfen.

 
  
MPphoto
 

  Louis Michel, Mitglied der Kommission.(FR) Herr Präsident, ich möchte sowohl in meinem eigenen Namen als auch im Namen meines Kollegen Frau Muscardini für ihre Rede danken, denn ich glaube, sie hat mit deutlichen Worten ausgesprochen, was sowohl eine Tragödie als auch ein Skandal ist. Ich möchte Cristiana Muscardini wirklich für ihren ausgezeichneten Bericht zu diesem großen Problem des Kampfes gegen die Genitalverstümmelung von Frauen in der Europäischen Union danken.

Die Europäische Kommission hat sich sowohl innerhalb der Union als auch im Dialog mit Drittländern deutlich gegen die inakzeptable Natur traditioneller Praktiken ausgesprochen, die in ernsthafter Weise das Grundrecht von Frauen und Mädchen auf körperliche und mentale Unversehrtheit untergraben. Daher gehen wir natürlich uneingeschränkt konform mit den Aussagen des Berichts. Wir sind der Ansicht, dass sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union entschlossen handeln sollten. Ich würde sagen, es müssten sehr viel energischere Maßnahmen ergriffen werden, um diesen Praktiken ein Ende zu bereiten – sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch in den entsprechenden Drittländern, denn es ist absolut nicht hinnehmbar und ziemlich unglaublich, dass so etwas in der Europäischen Union immer noch geschieht. Wir müssen außerdem auch im Rahmen all der politischen Dialoge, die wir mit Drittländern unterhalten, sicherstellen, dass Letztere unsere Position in vollem Umfang verstehen. Ich möchte an dieser Stelle für einen Moment von meinem Text abweichen, um zu sagen: Ich kann Ihnen versichern, dass diese Angelegenheit bei all unseren politischen Dialogen, die wir mit Entwicklungsländern unterhalten, stets mit auf der Tagesordnung steht.

Erst vor kurzem erhielt ich einen Anruf von Präsident Compaoré von Burkina Faso, in dem er mir mitteilte, dass es aktuelle Bemühungen in seinem Land gebe, die besagten Praktiken gesetzlich zu verbieten, was allerdings nicht einfach sei. Es muss dabei allerdings gesagt werden, dass in dem Land offensichtlich einige Clans und Stämme diese Praktik immer noch fortführen, und dass dies ein ziemlich heikles Thema ist im Land. Präsident Compaoré zeigte aber wirklich den Willen, in diesem Bereich voranzukommen – und dies ist glaube ich wichtig.

Wie Sie vielleicht ebenfalls wissen, stellt die Kommission regelmäßig EU-Mittel zur Unterstützung von Projekten in Europa und Drittländern zur Verfügung, die sich um die Opfer der weiblichen Genitalverstümmelung sowie die entsprechend gefährdeten Mädchen kümmern und die in der Präventionsarbeit und Bekämpfung dieser Praktiken engagiert sind.

In Europa ist unser Hauptinstrument das DAPHNE-III-Programm, das europäische Nichtregierungsorganisationen sowie lokale und regionale öffentliche Einrichtungen und Behörden bei ihrem Kampf gegen die Genitalverstümmelung bei Frauen unterstützt. Seit seinem Start im Jahr 1997 hat DAPHNE 14 speziell auf diesen Zweck ausgerichtete Hilfsprojekte mit einer Gesamtfördersumme von 2,4 Millionen Euro kofinanziert. Die DAPHNE-Projekte haben es uns ermöglicht, Bildungsmaßnahmen in den entsprechenden Gemeinschaften sowie Unterstützungsprogramme umzusetzen, Problembewusstseinskampagnen durchzuführen, nationale Gesetzgebungen zu analysieren, Informationen und Statistiken zu sammeln, Instrumente zu entwickeln, Handlungsempfehlungen für den Gebrauch durch die Akteure vor Ort aufzustellen, und Politikorientierungen für europäische und nationale Entscheidungsträger zu empfehlen.

Wir sind selbstverständlich entschlossen, unsere Unterstützung für solche Maßnahmen aufrechtzuerhalten und uns weiterhin mit dem Problem innerhalb der Europäischen Union auseinanderzusetzen, nicht nur im Zusammenhang mit der Gewaltprävention und der Opferhilfe sondern auch im Rahmen der Bereiche Einwanderung, Asyl und Strafrecht.

An dieser Stelle möchte ich abermals kurz von meinem Text abschweifen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich etwas schockiert bin von einer gewissen Feigheit, die unsere Regierungen und einige Politiker an den Tag legen, die dieses Phänomen als Teil einer Kultur ansehen, die man nicht in Frage stellen darf. Es tut mir leid, aber das Mindeste, was wir von Menschen erwarten sollten, die nach Europa kommen, ist, dass sie sich an die geltenden Regeln halten. Ich glaube nicht, dass man Recht mit zweierlei Maß messen kann. Dies beeinträchtigt die Fähigkeit eines europäischen Landes zur Aufnahme von Neuankömmlingen in keiner Weise, das Gegenteil ist der Fall. Dies ist eine Diskussion, die ich in der Vergangenheit in meinem eigenen Land erlebt habe. Ich muss sagen, ich bin schockiert, dass es einige Leute mit der Ausrede, die Kultur der Migranten respektieren zu wollen, im Wesentlichen ablehnen, diese Handlungsweisen unter Strafe zu stellen. Ich denke, wenn wir dieses Problem zumindest innerhalb Europas lösen möchten, müssen wir zu dem Punkt kommen, an dem wir solche Praktiken unter Strafe stellen. Wir müssen dieses Maß an politischem Mut aufbringen, und ich bin nicht der Ansicht, dass es die Fähigkeit eines Landes zur Aufnahme von Neuankömmlingen beeinträchtigen würde, wenn wir sagten: „Das ist unsere Verfassung, das sind unsere Regeln, dieses sind unsere menschlichen Werte, und jeder muss sich daran halten. Wer sich nicht an diese Regeln hält, stellt sich außerhalb des Gesetzes und wird bestraft.“ Damit ende ich meinen Exkurs, aber ich bin froh, diese Dinge einmal ausgesprochen zu haben, denn ich teile voll und ganz ihre Empörung diesbezüglich.

Im Rahmen ihrer externen Hilfen an Drittländer praktiziert die Kommission weiterhin eine dreidimensionale Politik. Erstens macht sie das Thema Emanzipation der Frau, deren Menschenrechte und körperliche Unversehrtheit zu einem integralen Bestandteil jeden politischen und strategischen Dialogs mit den entsprechenden Partnerregierungen.

Zweitens unterstützt die Kommission Aktionen, die sich für eine verbesserte nationale Gesetzgebung einsetzen und die der Erarbeitung nationaler politischer Programme dienen, die auf die Förderung und den Schutz der Frauenrechte und die Ächtung sämtlicher schädlichen Praktiken abzielen.

Drittens unterstützt die Kommission Initiativen, die auf die Ausweitung des Aktionsradius politischer Führungspersönlichkeiten abzielen, und fördert Problembewusstseinskampagnen in allen Bereichen der Gesellschaft. Das über mehrere Jahre laufende Programm von Den Haag, welches die verschiedenen Aktionen abdeckt, die zur Weiterentwicklung des Themenbereichs Freiheit, Sicherheit und Recht durchgeführt werden, läuft 2010 aus. Im Frühjahr 2009 werden wir in einer Mitteilung das neue Stockholmer Programm 2010-2014 vorstellen. Ich kann Ihnen versichern, dass dieses Programm einen deutlichen Schwerpunkt auf den Aspekt Grundrechteschutz und Opferschutz legen wird – einschließlich der Förderung und des Schutzes der Rechte von Kindern und Frauen.

Obgleich die Kommission bislang noch keine spezielle Strategie zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen erarbeitet hat, sind wir entschlossen, unsere Unterstützung für Maßnahmen zu deren Verhinderung fortzusetzen. Wir beabsichtigen zudem, dieses Problem im Rahmen der Innen- und Außenpolitik der EU immer wieder zur Sprache zu bringen.

 
  
MPphoto
 

  Der Präsident. – Die Darstellung ist geschlossen.

Die Abstimmung erfolgt am Dienstag, den 24. März 2009.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
MPphoto
 
 

  Véronique Mathieu (PPE-DE), schriftlich.(FR) Jedes Jahr erleiden in Europa 180 000 Migrantenfrauen eine Genitalverstümmelung oder sind der Gefahr einer Genitalverstümmelung ausgesetzt. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass diese Verstümmelungen eine Verletzung der Menschenrechte darstellen, die schwerwiegende physische und psychische Konsequenzen hat. Solche Praktiken können nicht mit kulturellen oder religiösen Traditionen gerechtfertigt werden. Um sie zu stoppen, müssen die Mitgliedstaaten anhand entsprechender Verbote ihrem Strafrecht Geltung verschaffen und dafür sorgen, dass die Verstümmelungspraxis als Straftat eingestuft wird. Gleichzeitig müssen die tatsächlichen und potenziellen Opfer die Möglichkeit haben, rechtliche und medizinische Hilfe zu erhalten.

Die EU muss ihre Unterstützung für diejenigen NRO aufstocken, die bemerkenswerte Arbeit vor Ort in den Bereichen Prävention und Hilfe leisten. Gezielte Information und Bildungskampagnen auf nationaler und europäischer Ebene würde die mit diesen Praktiken verbundenen Tabus brechen und die gefährdeten Familien könnten über die strafrechtlichen Folgen solcher Verstümmelungen aufgeklärt werden. Es ist daher wichtig für die EU, dieses Problem durch die Festlegung gemeinsamer präventiver Schritte zum Verbot der Verstümmelungspraxis in der EU anzugehen und das Verbot in sämtlichen Kooperationsabkommen mit entsprechenden Drittländern zu thematisieren. Genitalverstümmelung ist ein soziales Problem, das uns alle betrifft.

 
Rechtlicher Hinweis - Datenschutzbestimmungen