Der Präsident. − Ich habe sechs Anträge für(1) eine Entschließlung zur Ermordung von Menschenrechtsanwälten in Russland erhalten (Artikel 122).
Heidi Hautala, Verfasserin. − (FI) Herr Präsident, wir sollten hier wirklich unsere Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsaktivisten richten, die vor Kurzem im Nordkaukasus ermordet wurden, und zu ihrem Gedenken eine Kerze entzünden. Wir müssen uns daran erinnern, dass Natalia Estemirova, Zarema Sadulayeva, Alik Dzhabrailov und viele andere, die gelitten und ihr Leben bei der Verteidigung der Menschenrechte verloren haben, die Unterstützung von uns allen verdienen. Unglücklicherweise waren wir nicht in der Lage, sie ausreichend zu unterstützen, als sie noch am Leben waren.
Es ist beunruhigend, dass Russland bisher nicht in der Lage war, strafrechtliche Ermittlungen durchzuführen, die gründlich genug waren, um diese Morde aufzuklären und die Schuldigen vor Gericht zu stellen. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Europäische Union mit Russland zu diesem Thema einen offiziellen Austausch hatte. Ganz offensichtlich sind unsere Bemühungen jedoch nicht ausreichend, und wir werden uns ernsthaft damit auseinandersetzen müssen, wie wir in Russland für Rechtsstaatlichkeit sorgen und dieses Thema sehr viel mehr in den Vordergrund stellen können, wenn wir das neue Partnerschafts- und Zusammenarbeitsabkommen mit diesem Land verhandeln.
Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir Menschenrechtsaktivisten in Russland besser als bisher unterstützen können. Wir sollten erörtern, ob wir gefährdeten Personen Schutz anbieten können, und ob die EU-Institutionen kurzfristig Visen für sie bereitstellen können, damit sie aus Russland fliehen können, wo sie und ihr Leben in Gefahr sind. Nach Ansicht der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz ist es wichtig, dass das Europäische Parlament über eine Einrichtung verfügt, das Informationen über die Situation von Menschenrechtsaktivisten, deren Leben in Gefahr ist, verbreitet und sich bemüht, ihnen in Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen zu helfen. Wir können soviel tun. Anna Politkovskaya hat einmal gesagt, dass der Westen so viel tun könnte, aber nur so wenig tut.
(Beifall)
Véronique De Keyser, Verfasserin. − (FR) Herr Präsident, ich werde die kurze Zeit, die mir zur Verfügung steht, nutzen, um die Position meiner Gruppe, welche die gemeinsame Erklärung nicht unterzeichnet und eine eigene Entschließung vorgelegt hat, zu verdeutlichen.
Ich möchte Ihnen zuerst sagen, dass wir der gemeinsamen Entschließung in Bezug auf Natalia Estemirova, Zarema Sadulayeva und Alik Dzhabrailov in vollem Umfang zustimmen.
Wir sind über diese neuerlichen Attentate entsetzt, die tatsächlich nur ein Beispiel für die Ermordung von Menschenrechtsaktivisten in Tschetschenien sind.
In unserer Entschließung verlangen wir genau das gleiche wie in der gemeinsamen Entschließung: Wir verurteilen den Angriff, wir verlangen eine Untersuchung und wir geben unserer Sorge über die Verschlechterung der Menschenrechtssituation für Militante in Russland Ausdruck.
Unsere Position weicht jedoch hinsichtlich der zusätzlichen Bezugnahme auf alle Verteidiger der Menschenrechte und der Situation in der Nordkaukasusregion im Allgemeinen von der gemeinsamen Entschließung ab. Wir sind der Ansicht, dass es andere Gelegenheiten geben wird, bei denen diese Dinge zur Sprache gebracht werden können - was ich auch zu tun beabsichtige - insbesondere im Rahmen der Entschließung, die dem Gipfel zwischen der Europäischen Union und Russland vorausgeht. Wir möchten, dass diese Agenda über Menschenrechtsaktivisten und den Schutz dieser Aktivisten einen Teil dieser Entschließung bildet, aber auch Bestandteil all unserer zukünftigen Verhandlungen mit Russland ist.
Daher ist das Problem in diesem Fall lediglich der richtige Ort und die richtige Zeit. Es handelt sich um einen politischen Sachverhalt, der politisch behandelt werden muss, und nicht nur hier, wo wir es mit Dringlichkeitsfällen zu tun haben. Daher haben wir uns entschieden, diese Unterscheidung zu treffen; was die Substanz des Problems angeht, sind wir mit den anderen Fraktionen jedoch völlig einer Meinung.
Renate Weber, Verfasserin. − Herr Präsident, erlauben Sie mir bitte, dem Parlament einige Fakten vorzutragen. Erst im Januar dieses Jahres wurde Stanislav Markelov, der Menschenrechtsanwalt, der die ermordete Journalistin Anna Politkovskaya vertrat, am hellen Nachmittag in der Innenstadt von Moskau niedergeschossen. Bei demselben Vorfall wurde Anastasia Baburova, eine Journalistin, die versuchte, ihn zu schützen, ebenfalls niedergeschossen und starb.
Im Juli wurde Natalia Estemirova, eine bekannte russische Menschenrechtsaktivistin und Journalistin in Inguschetien tot aufgefunden, nachdem sie im benachbarten Tschetschenien von bewaffneten Männern entführt worden war. Weniger als einen Monat später wurden eine andere Aktivistin einer Nichtregierungsorganisation, Zarema Sadulayeva, und ihr Ehemann entführt und getötet.
Im August wurde der Journalist Malik Akhmedilov kurz nach Verlassen seiner Wohnung in Dagestan erschossen. Sechs herausragende Journalisten und Menschenrechtsaktivisten wurden in weniger als acht Monaten getötet.
Diese Entführungen und Morde sind lediglich die Spitze des Eisbergs in Bezug auf die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Russland, wo unabhängige Stimmen, darunter Rechtsanwälte, Journalisten und andere Aktivisten, einer Zunahme von Gewaltakten, Drohungen und ungerechtfertigter Strafverfolgung ausgesetzt sind.
Die Menschenrechtsverletzungen in Russland, insbesondere im Nordkaukasus, können nicht länger ignoriert werden. Wir dürfen nicht so naiv sein, zu glauben, dass das übermächtige Russland mit einem der stärksten Geheimdienste der Welt nicht in der Lage ist, die Täter zu finden und vor Gericht zu stellen.
Wir alle müssen, unabhängig von unserer politischen Überzeugung, einsehen, dass die Straffreiheit bei Angriffen auf Menschenrechtsverteidiger zu mehr Gewalt und einer wachsenden Kultur der Gesetzlosigkeit beitragen wird. Die russischen Behörden müssen die körperliche Unversehrtheit und die Bewegungs- und Redefreiheit von Menschenrechtsverteidigern gemäß der Erklärung der Vereinten Nationen über Menschenrechtsverteidiger gewährleisten.
Bernd Posselt, Verfasser. − Herr Präsident! Unser früherer Alterspräsident Otto von Habsburg wurde einmal gefragt, ob er bedauere, dass er nicht Kaiser, sondern Europaabgeordneter ist. Er hat gesagt: Nein, denn wenn ich Kaiser wäre, müsste ich einen Esel Exzellenz nennen, und so kann ich einen Esel einen Esel nennen. An diese Geschichte muss ich denken, wenn es um Fragen der Menschenrechte geht.
Wir sind kein diplomatisches Gremium, wir sind ein politisch-parlamentarisches Gremium. Wir können die Wahrheit sagen. Es gibt ein Sprichwort, das sagt: Der Fisch fängt vom Kopf an zu stinken. Es ist eben nicht so – und ich danke der Kollegin Weber, dass sie das so klar angesprochen hat –, dass diese Zwischenfälle und Ermordungen im Kaukasus irgendwelche Zufälle oder das Wirken irgendwelcher dunklen Mächte sind, sondern seit der Machtergreifung von Herrn Putin, die mit dem Thema Tschetschenien zusammenhängt, mit den mysteriösen Explosion von Häusern in Moskau, ist seit vielen Jahren eine Blutspur da, die immer wieder nach Tschetschenien führt und unschuldige Menschen trifft: die Zivilbevölkerung und vor allem auch Menschenrechtsaktivisten, die sich wie die Genannten – und viele haben wir ja persönlich gekannt – nicht nur für die Menschenrechte der Tschetschenen einsetzen, sondern für ein demokratisches Russland, für die Völkerverständigung zwischen Tschetschenen und Russen und für den Frieden im Kaukasus. Diese Menschen werden wirklich einer nach dem anderen ermordet.
Deshalb, liebe Kollegin De Keyser, war es notwendig, eine Dringlichkeitsdebatte abzuhalten. Wir machen uns doch lächerlich, wenn eine Frau, die hier im Haus Preise erhalten hat, die uns aufgrund ihres Engagements für die Menschenrechte in Straßburg besucht hat, vor unseren Augen ermordet wird und wir das Thema auf irgendeine spätere Debatte vertagen.
Man schaut in Russland ganz genau, ob wir in der Lage sind, sofort zu reagieren. Und wir müssen sofort reagieren, indem wir klar sagen: Schluss mit dem Morden, Schluss mit der Verletzung der Menschenrechte, Freiheit für Tschetschenien und für Russland, aber vor allem Schluss mit den systematischen Menschenrechtsverletzungen und Morden vor mysteriösem Hintergrund!
Tomasz Piotr Poręba (ECR) , Verfasser. – (PL) Das Thema der Menschenrechtsverletzungen in Russland ist erneut auf der Tagesordnung des Europäischen Parlaments.
Neben der systematischen Verfolgung religiöser und ethnischer Minderheiten kommt es regelmäßig zur Ermordung von Menschenrechtsaktivisten. Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen riskieren in Russland bei der Ausübung ihrer Tätigkeit jeden Tag ihr Leben. Drohungen, Entführungen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Morde werden zum Alltag. Die Tatsache, dass die russischen Behörden in diesen Verbrechen nicht aktiv ermitteln, dass keine Ergebnisse erzielt werden und die Täter auf freiem Fuß bleiben, zeigt nicht nur die absolute Wirkungslosigkeit der Maßnahmen der Behörden, sondern auch deren stillschweigende Zustimmung und Gleichgültigkeit.
Die Wahrung der Menschenrechte sollte ein Schlüsselthema bei den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland sein. Es ist unsere Pflicht, zu verlangen, dass Russland dafür sorgt, dass ordnungsgemäße und effektive Ermittlungen durchgeführt werden, dass die Täter bestraft werden und dass diesen fürchterlichen Morden ein Ende gesetzt wird.
Cornelia Ernst, Verfasserin. − Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich als Parlamentsneuling hier zunächst feststellen, dass Menschenrechtsfragen auch für meine Partei, die deutsche Linke, eine riesengroße Rolle spielen, und dass es uns darum geht, tatsächlich jede Verletzung der Menschenrechte zu verurteilen – und zwar unabhängig davon, wo und von wem sie begangen wurde. Das hat nichts mit Einmischung in nationale Angelegenheiten zu tun!
Ich bin seit Jahren wirklich beunruhigt und empört darüber, dass wiederholt Menschenrechtsaktivisten getötet werden, die sich mit der Situation in Tschetschenien beschäftigen. Natalja Estemirowa, Stanislaw Markelow, Sarema Sadulajewa, das sind Beispiele dafür, die einen wirklich erschüttern müssen. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir uns hier damit beschäftigen.
Ich bin beunruhigt, dass Fälle wie der Mord an Anna Politkowskaja nicht aufgeklärt werden. Wenn dieser Prozess jetzt wieder aufgerollt wird, hoffe ich wirklich inständig, dass die Schuldigen gefunden und gefasst werden, weil sonst neue Bluttaten drohen und dies zu einem Freibrief für solche Taten wird. Was wir erwarten ist schlicht, dass diese Morde sofort und uneingeschränkt aufgeklärt werden, dass das wirklich schonungslos angegangen wird, dass Russland nicht länger wartet, sondern sich den Kampf um die Wahrung der Menschenrechte auf die eigene Fahne schreibt. Es kann nicht sein, dass die Wahrung der Menschenrechte Menschen gewissermaßen zum Todesurteil führt. Ich glaube auch, dass der kommende EU-Russland-Gipfel sich dringend mit diesen Fragen beschäftigen muss, und zwar nicht unter ferner liefen, sondern tatsächlich an gebührender Stelle.
Ich persönlich erwarte auch hier einen ehrlichen Umgang mit Menschenrechtsfragen. Ich wünschte, dass wir so etwas nicht am Donnerstagnachmittag behandeln, und ich glaube, dieses Thema sollte uns auch dann berühren, wenn es um Wirtschaft und Handel geht. Da spielen solche Fragen häufig nur eine untergeordnete Rolle. Das wollen wir ändern, und das wollte ich auch hier sagen!
Filip Kaczmarek, im Namen der PPE-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, in einem Land mit einer hohen Kriminalitätsrate könnte man die Theorie vorbringen, dass der Tod von Menschenrechtsaktivisten Zufall sei. Er ist zufällig weil, allgemein gesagt, viele Menschen in diesen Ländern einem Verbrechen zum Opfer fallen. Heute, am 17. September, möchte ich Sie an einen traurigen Jahrestag erinnern, nämlich den 70. Jahrestag der sowjetischen Invasion Polens. Nach dieser Invasion erschossen die sowjetischen Truppen mindestens 21 768 polnische Staatsbürger. Wieso erwähne ich diese Tatsache? Ich tue dies, weil die Russen jetzt behaupten, dies sei ein gewöhnliches Verbrechen gewesen, auf die gleiche Weise, wie die Morde an Menschenrechtsaktivisten "gewöhnliche Verbrechen" sind.
Das Ausmaß, in dem Menschenrechtsaktivisten in Russland ermordet werden, ist so groß, dass es absolut fahrlässig ist, dieses Phänomen als die Folge von "gewöhnlichen Verbrechen" zu interpretieren. Die Theorie, dass diese Morde "zufällig" sind, ist unhaltbar. Die systematische Art dieser Tötungen bedeutet, dass es etwas in dem politischen und sozialen Klima Russlands gibt, dass diese häufigen Tötungen verursacht hat. Die moralische Krise in diesem Land, eine Tendenz zur Bagatellisierung des Todes, Entmenschlichung, Relativismus und verschwindende Werte sind für die Tatsache verantwortlich, dass dieses Problem nicht ernst genommen wird. Ich bin der Ansicht, dass unsere Entschließung ausgewogen ist und den Russen bei der Lösung dieses Problems helfen wird.
Justas Vincas Paleckis, im Namen der S&D-Fraktion. – (LT) Die sozialdemokratische Fraktion kann den jüngsten Morden an Menschenrechtsaktivisten in Russland nicht gleichgültig gegenüberstehen. Der Tod von Anna Politkovskaya, Natalya Estemirova, Zarema Sadulayeva und Andrei Kulagin darf nicht bedeutungslos bleiben. Wir verurteilen die für diese barbarischen Akte verantwortlichen Täter und die Tatsache, dass in manchen Regionen Russlands eine Atmosphäre der Straffreiheit herrscht und politische Morde nicht untersucht werden, aufs Schärfste.
Der russische Präsident Dmitry Medvedev hat versprochen, dass die Mörder gefunden und bestraft werden. Seine Reaktion war stärker als die des vorherigen Präsidenten, aber bisher sind dies nur Worte. Die Zeit wird zeigen, ob die russischen Behörden in der Lage sind, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, die für die Bürger des Landes und die internationale Gemeinschaft so wichtig sind. Unserer Ansicht nach hat die Bewertung der russischen Maßnahmen im Nordkaukasus in der vorgeschlagenen Entschließung den Anwendungsbereich der Entschließung überschritten, weswegen die Sozialdemokraten beschlossen haben, ein eigenes Dokument zu verabschieden. Die Sozialdemokraten sind davon überzeugt, dass sich die Menschenrechtssituation in Russland wirklich verbessern würde, wenn die Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland intensiviert würden. Das Europäische Parlament, die Staatsduma sowie Organisationen für Bürger-, Sozial- und Menschenrechte in der EU und Russland sollten einen aktiven Beitrag zu diesen Konsultationen leisten. Wir betonen, dass der Schutz der Menschenrechte bei dem nächsten Treffen der Führer der EU und Russlands ausführlich erörtert werden muss. Dieses Thema wird zu einem festen Bestandteil der neuen Vereinbarung zwischen der EU und Russland.
Laima Liucija Andrikienė (PPE). - (LT) Diese Debatte und die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Morden an Menschenrechtsaktivisten in Russland sind gerade jetzt wichtig, da wir einen Bericht nach dem anderen über die Morde an den Menschenrechtsverteidigern Natalya Estemirova, Alik Jabrailov, Zarema Sadulayeva und anderen in Russland hören. Die Europäische Union kann der brutalen Tötung von Menschenrechtsaktivisten nicht gleichgültig gegenüberstehen. Wir müssen in unseren Beziehungen zu Russland unterstreichen, dass die Ermittlungen zu diesen Morden zu lange dauern und in der Regel abgeschlossen werden, ohne dass ein Schuldiger gefunden wird. Diese inakzeptable Vorgehensweise wird in Russland zur Norm, insbesondere bei Verbrechen in Tschetschenien, wo die Straffreiheit gedeiht. Zu unseren Grundwerten gehört die Wahrung der Menschenrechte, der Menschenwürde und des menschlichen Lebens, und keine pragmatischen Interessen können über diesen Werten stehen. Ich bin der Ansicht, dass es für den russischen Präsidenten eine Sache der Ehre sein sollte, dafür zu sorgen, dass alles getan wird, um die Entführungs- und Mordfälle im Zusammenhang mit Menschenrechtsverteidigern lückenlos aufzuklären und die Schuldigen vor Gericht zu bringen.
Tunne Kelam (PPE). - Herr Präsident, die Menschenrechtssituation in Russland hat sich verschlechtert. Wir fordern jetzt die russischen Behörden auf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern zu gewährleisten. Wir wissen, dass es entscheidend an dem Willen mangelt, "alles" zu tun. Es ist machbar, da der Kreml entscheidenden Einfluss auf die Machtstrukturen und die Justiz in Russland hat. Aus diesem Grund gibt das Versagen der russischen Justiz beim Schutz von Menschenrechtsverteidigern Anlass zur Annahme einer Mitwisserschaft des Regimes in Bezug auf diese Verbrechen.
Unsere Nachricht sollte sich heute an die EU-Regierungen und die Kommission richten. Solange der Kreml davon ausgeht, dass die Sorge über das Schicksal von Menschenrechtsverteidigern auf der Ebene von Erklärungen bleibt und keine Konsequenzen für die Wirtschaftsbeziehungen hat, können Herr Putin und Herr Medvedev schlussfolgern, dass die EU aus dem unverhohlenen Mord an Anna Politkovskaya keine Lehren gezogen hat.
Bogusław Sonik (PPE). – (PL) Wir diskutieren die Menschenrechtsverletzungen in Russland in der Tat an einem Tag von großem Symbolwert. Genau vor 70 Jahren, am 17. September 1939 besetzte die Rote Armee - gemeinsam mit Hitler - ein Drittel Polens, das zu diesem Zeitpunkt gegen die deutsche Invasion kämpfte. Die Truppen Stalins ermordeten tausende von Polen und hunderttausende wurden in sowjetische Arbeitslager verschleppt. In Katyń wurden auf Befehl Stalins tausende von polnischen Offizieren ermordet. Für uns wird der 17. September für immer ein Tag der Schande für das stalinistische Russland bleiben.
Das Russland von heute ist nicht mutig genug, um dieser schrecklichen Wahrheit ins Auge zu sehen. Seine gegenwärtige Regierung gibt unglaubhafte Rechtfertigungen über die damalige Allianz mit Hitler ab. Bis zum heutigen Tage weigert sich Moskau, Zugang zu den Archiven des Massakers von Katyń zu gewähren.
Es gibt in der Geschichte vieler Länder schreckliche Ereignisse. Es ist ein Maßstab für die Reife einer Nation, ob sie in der Lage ist, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und das zu verurteilen, was in ihrer Geschichte verurteilt werden muss. Das Deutschland von heute ist ein Beispiel für eine solche Haltung. Erst dann wird die Vergangenheit aufhören, eine Bürde für das Russland von heute zu sein und es ihm ermöglichen, erhobenen Hauptes in die Gemeinschaft freier und demokratischer Nationen einzutreten. Erst dann wird Russland ein für alle Mal in der Lage sein, sich von der schweren Bürde der stalinistischen Vergangenheit zu befreien, und aufzuhören, seine eigenen Bürger zu bekämpfen, die gegenwärtig ihr Leben riskieren, um fundamentale Freiheiten und Menschenrechte zu verteidigen.
Wir ehren die Opfer dieser Morde. Wir werden Euch alle in Erinnerung behalten.
Rui Tavares (GUE/NGL). – (PT) Guten Tag, meine Damen und Herren. Der Mord an Natalia Estemirova hat in diesem Parlament große Trauer ausgelöst, da wir von ihrer Entführung an eben dem Tag unterrichtet wurden, an dem wir uns hier erstmals versammelt haben, und nur wenige Stunden später von ihrer Ermordung erfuhren. Ein solches Ereignis bewegt jeden, ganz gleich, wo auf der Welt er sich befindet. Wie meine Kollegin Frau Ernst bereits sagte, bin ich der festen Überzeugung, dass die Linke die Menschenrechte und Menschenrechtsverteidiger überall verteidigen muss, unabhängig davon, in welchem Land sie sich befinden.
Diese Angriffe, dieser Ansturm auf Menschenrechtsaktivisten in Russland hat sehr beunruhigende Auswirkungen gehabt. Sie dienen der Einschüchterung und werden sicher auf all diejenigen, die Menschenrechte in Russland verteidigen möchten, äußerst traumatisch wirken. Sie sind daher die erste Welle einer Offensive, die später zu einer Verschlechterung der gesamten Menschenrechtssituation führen wird, ganz zu schweigen von den Menschenrechten der Aktivisten selbst.
Die Auswirkungen dieser Morde sind daher unvorhersehbar und Besorgnis erregend. Ohne schnelle und effektive juristische Ermittlungen und ohne eine Garantie für die Sicherheit der Menschenrechtsaktivisten kann die Situation in der Tat äußerst Besorgnis erregend werden. Daher ist es mir eine große Freude, für diese Entschließung zu stimmen und ihre Appelle an die russischen Behörden zum Schutz der Menschenrechtsaktivisten zu unterstützen.
Ich komme aus Portugal, vom anderen Ende Europas, und nächste Woche werde ich nach Russland gehen. Morgen werde ich zur russischen Botschaft gehen, um mein Visum zu erhalten. Ich bin der Überzeugung, dass die Beziehungen zwischen Europa und Russland von größter Bedeutung sind, und dass Europa Russland einiges schuldig ist. Europa schuldet Russland vor allem Aufrichtigkeit und Klarheit in Bezug auf den Schutz der Menschenrechte und Freiheiten unserer russischen Mitbürger Europas.
Eija-Riitta Korhola (PPE). - (FI) Herr Präsident, Ihre Sprache ist so schön, dass ich mich entschieden habe, zu versuchen, Ihnen auf Ungarisch zu danken: köszönöm. Herr Tavares, ich möchte auf Ihre Kommentare antworten. Die Arbeit für die Menschenrechte ist nicht nur ein Anliegen der Linken; sie betrifft auch uns in der rechten Mitte, und ich hoffe, dass uns dies zu einer Zusammenarbeit ermutigen wird. Frau Ernst hat etwas absolut Richtiges gesagt. Wir diskutieren dies hier, während die meisten Abgeordneten im Plenum schon auf dem Weg nach Hause sind, und wir müssen zusammenarbeiten, um dies zu einer politischen Priorität zu machen.
Ich war einst ein Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, und als der Unterausschuss für Menschenrechte eingerichtet wurde, war ich auch dort Mitglied. Als ich Änderungsvorschläge vorlegte, reichte ich diese beim Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten ein, und meine Kollegen fragten, wieso ich dort immer noch Änderungsvorschläge für Menschenrechte vorlege, da wir doch den Unterausschuss für Menschenrechte dafür hätten. Damals dachte ich, dass etwas nicht stimmen konnte, wenn unser Unterausschuss für Menschenrechte zu einem Ghetto werden oder Menschenrechte einer solchen Organisation vorbehalten sein sollten. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass dies nicht mit den Menschenrechten geschieht.
Kristian Vigenin (S&D). - (BG) Herr Präsident, Frau Kommissarin, der Redebeitrag von Herrn Posselt hat mich verärgert. Ich möchte unterstreichen, dass die Leistungen von Frau De Keyser bei der Verteidigung der Menschenrechte in einer Diskussion dieser Art nicht in Frage gestellt werden können. Sie hat sich als eine Schlüsselfigur bei der Arbeit mit diesem Thema in diesem Parlament erwiesen.
Ich werde es unter keinen Umständen zulassen und ich glaube nicht, dass es richtig ist, wenn wir das Engagement der S&D-Fraktion für den Schutz der Menschenrechte in Frage stellen, weil wir dies ebenfalls getan haben, als Ihre Fraktion, Herr Posselt, versucht hat, die Verbrechen in Guantanamo und die Behandlung von Gefangenen im Irak durch US-Truppen zu bagatellisieren.
Was die Menschenrechte in Russland angeht, so gibt es hier tatsächlich ein ernstes Problem, das wir anerkennen, und die Entschließung, die wir vorlegen, ist hart und einschneidend genug. Wir sind jedoch der Ansicht, dass sich das Parlament auf die Sachverhalte konzentrieren muss und nicht einfach jedes Mal eine lange Liste der Probleme bei unseren Beziehungen mit Russland vorlegen muss, wenn diese dort drüben keine Auswirkungen haben.
Was wir in dieser Hinsicht unternehmen, ist die Entsendung einer Delegation der S&D-Fraktion zu Gesprächen in Moskau nächste Woche, wo genau dieser Sachverhalt angesprochen werden wird. Benutzen Sie nicht menschenrechtliche Notsituationen wie diese, um eine lange Liste von Sachverhalten zu produzieren. Dies ist nicht der Zweck der heutigen Debatte.
Miroslav Mikolášik (PPE). – (SK) Ich möchte meine Trauer und tiefe Beunruhigung über die Ereignisse, die im Juni dieses Jahres in der russischen Föderation stattgefunden haben, zum Ausdruck bringen. Ich bin erschüttert über die brutalen Morde an russischen Aktivisten wie Natalia Estemirova, Andrei Kulagin und anderen, die sich für die Menschenrechte eingesetzt haben und für Wahrheit und Gerechtigkeit eingetreten sind. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Mörder zu fassen und zu bestrafen. Ich begrüße und unterstütze die Maßnahmen, die erforderlich sind, um diese Morde aufzuklären.
Es kam im August 2008 während des Konflikts zwischen Russland und Georgien außerdem zu einem Bruch internationaler Abkommen, als russische Streitkräfte bewohnte Gebiete angriffen und die Zivilbevölkerung nicht vor einer Verletzung ihrer Rechte durch Kämpfer aus Südossetien schützte, in einem Territorium, das de facto unter russische Kontrolle kam. Die russische Regierung muss unmissverständlich feststellen, dass Menschenrechtsverletzungen nicht toleriert werden.
Charles Tannock (ECR). - Herr Präsident, in Russland entwickelt sich eine Kultur der Straffreiheit in Bezug auf die Misshandlung von Menschenrechtsaktivisten. Journalisten, die es wagen, die offizielle Sicht der Dinge in Frage zu stellen, werden schikaniert; ethnische Minderheiten haben unverhältnismäßig stark unter Gewaltverbrechen zu leiden, die ungeklärt zu bleiben scheinen; Kämpfer für größere Freiheiten werden im besten Fall an den Rand gedrängt, im schlimmsten Fall mit Gewalt zum Schweigen gebracht.
Es ist schwierig, herauszufinden, wovon genau die Bedrohung von Menschenrechtsverteidigern in Russland ausgeht, aber wir sehen immer wieder, wie mutwillige Misshandlungen ungestraft bleiben und die Behörden eine nachlässige Vorgehensweise an den Tag legen.
Russland hat sich an den unklaren Standpunkt der EU gewöhnt. Er wurde durch die Art und Weise deutlich, wie die Union auf die Schikanierung der Ukraine durch Russland oder die russische Invasion und Besetzung von souveränem georgischem Staatsgebiet letzten Sommer reagiert hat.
Natürlich stehen wichtige strategische Fragen auf dem Spiel, wenn es um gute Beziehungen zwischen der EU und Russland geht, aber wir können nicht zulassen, dass diese Fragen unsere Verpflichtung, für Grundfreiheiten und gemeinsame europäische Werte einzutreten, zunichte machen, Freiheiten und Werte, an denen das russische Volk ebenfalls in Frieden und Sicherheit teilhaben sollte.
Krisztina Morvai (NI). – (HU) Ich beschäftige mich beruflich seit 25 Jahren mit dem Schutz der Menschenrechte. Daher empfinde ich, insbesondere als Anwältin, tiefes Mitgefühl, wenn ich an meine Kollegen denke, die ihr Leben in Verbindung mit diesem ganz wunderbaren Beruf verloren haben. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ihren Familien und Angehörigen mein aufrichtiges Mitgefühl ausdrücken.
Was kann in einer solchen Zeit die richtige Vorgehensweise sein? Es muss verlangt werden, dass die zuständigen staatlichen Behörden eine sofortige, gründliche Untersuchung durchführen. Ich wünsche mir, dass dieses Parlament über das Selbstvertrauen und die moralische Autorität verfügen würde, dies zu tun. Ich fürchte aber, dass dies nicht der Fall ist. Warum? Weil solche Forderungen nur an Staaten außerhalb der Europäischen Union gestellt werden. Es sieht jedoch ganz anders aus, wenn grobe Menschenrechtsverletzungen durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen werden, wie es in meinem Land, in Ungarn, geschehen ist, als Menschen in die Augen geschossen wurde, während einer Massenversammlung mit mehreren tausend Menschen, die von der Partei des Mannes veranstaltet wurde, der gegenwärtig den Vorsitz dieser Sitzung führt, Vizepräsident Pál Schmitt, um dem Jahrestag der Revolution von 1956 und dem Kampf für die Freiheit zu gedenken. Dieses Parlament hat in diesem Fall und bezüglich der seither bestehenden Krisensituation keine Untersuchung durchgeführt.
Ich fürchte, dass, solange dies nicht erfolgt und solange jemand, der ein Mitglied der Regierung war, die zugelassen hat, dass auf Menschen geschossen wurde, Vize-Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres sein kann, wir kein wirkliches Vertrauen zu und moralische Autorität in einem anderen Land haben können, um zu verlangen, dass diese Art von Untersuchung in einem Land außerhalb der Europäischen Union durchgeführt wird. Ich möchte Sie daher bitten, eine sofortige Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen in Ungarn vorzuschlagen und zu fordern. Ich danke Ihnen.
Cristian Dan Preda (PPE). – (RO) Ich möchte als Erstes sagen, dass ich darüber enttäuscht bin, dass das Parlament bei der Diskussion der Molkereikrise voll besetzt war, und dass jetzt, wenn es um Menschenrechte geht, nicht mehr als 40 von uns im Saal geblieben sind. Es ist schade, dass dies der Stand der Dinge ist. Ich sage nicht, dass die Molkereikrise nicht wichtig ist, aber ein Problem wie die Menschenrechte ist für jeden von uns von entscheidender politischer Bedeutung.
Ich möchte auch sagen, dass ich die Vorstellung völlig inakzeptabel finde, dass in diesem Jahr, in dem, wie wohl bekannt ist, viele Länder in Mittel- und Osteuropa den 20. Jahrestag des Zusammenbruchs des Kommunismus feiern, eine Macht direkt vor unserer Haustüre, die der Urheber dieser kommunistischen Regime war, eine solche Gleichgültigkeit gegenüber an Menschenrechtsaktivisten verübten Verbrechen an den Tag legt. Ich glaube, dass der Bruch mit dem Totalitarismus von jedem einzelnen von uns deutlich bestätigt werden muss.
Meglena Kuneva, Mitglied der Kommission. − Herr Präsident, die heutige Debatte über die Situation von Menschenrechtsverteidigern in Russland findet zu einem angemessenen Zeitpunkt statt. Die jüngste Welle von Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger hat die ernsten Gefahren, die diese im Rahmen ihrer Arbeit auf sich nehmen, ins Rampenlicht gerückt. Viele haben für die Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen den höchsten Preis bezahlt. Wir würdigen all diejenigen, die ihr Leben verloren haben, und diejenigen, die unter diesen Bedingungen ihre Arbeit fortsetzen.
Ein Großteil der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger hat im Nordkaukasus stattgefunden, vor dem Hintergrund wachsender Instabilität. Der Kommission sind viele von ihnen bekannt. Es handelt sich um hochangesehene Partner bei der Durchführung von Menschenrechtsprojekten. Unschuldige Zivilisten, Polizisten und Regierungsbeamte haben in den anhaltenden Kämpfen in der Region ihr Leben verloren.
Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger ist nicht auf den Nordkaukasus beschränkt. Es gibt Berichte über Aktivisten, Rechtsanwälte und unabhängige Journalisten in der gesamten russischen Föderation, die Gewalt, Schikanen und Einschüchterung ausgesetzt sind. Die EU muss sich auch weiterhin gegen diese Gewalt aussprechen und darauf bestehen, dass Russland die Verpflichtungen erfüllt, die es als Mitglied der Vereinten Nationen, der OSZE und des Europarats auf sich genommen hat.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Angriffe und der gewaltsame Tod von Zivilgesellschaftsaktivisten ordnungsgemäß untersucht und die Täter umgehend ermittelt und bestraft werden. Allein die effektive und gesetzliche Verfolgung dieser Morde kann eine Auflösung dieses Klimas der Angst und Straffreiheit bewirken.
Präsident Medvedev hat sich gegen das ausgesprochen, was er als den in Russland vorherrschenden "legalen Nihilismus" bezeichnet hat. Die EU steht bereit, um Russland bei seiner weiteren Reform des Justizsystems zu unterstützen. Die EU schätzt die Möglichkeit sehr, die ihr zur Diskussion ihrer Bedenken bezüglich der Menschenrechte mit den russischen Behörden zur Verfügung steht. Wir begrüßen die offenere Einstellung, die Präsident Medvedev gegenüber Diskussionen mit der EU zu diesen Themen gezeigt hat.
Der nächste EU-Russland-Gipfel ist eine weitere Möglichkeit, diese Diskussionen fortzusetzen. Er muss durch einen Austausch unter Experten ergänzt werden. Die regelmäßigen Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und Russland stellen eine Möglichkeit dar, den Umfang dieser Diskussionen und die Zahl der Gesprächspartner, mit denen wir über Menschrechte reden, zu erweitern.
Die Sicherheit von Menschenrechtsverteidigern muss an erster Stelle stehen. Wir fordern die russischen Behörden dringend auf, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass diejenigen, die sich mit der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen befassen, dies ohne Furcht vor Gewalt oder Einschüchterung tun können.
Der Präsident. – Die Aussprache wird ausgeschlossen.
Die Stimmabgabe findet am Ende der Aussprache statt.