3. Aussprache über Fälle von Verletzungen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit (Bekanntgabe der eingereichten Entschließungsanträge): siehe Protokoll
Der Präsident. – Der nächste Punkt auf der Tagesordnung ist die Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission, Baroness Ashton.
Auch Kommissar De Gucht wird noch Gehör finden, aber zunächst wird Baroness Ashton das Wort ergreifen. Ich freue mich sehr, sie zu begrüßen, da ich bereits an anderer Stelle intensiv mit ihr zusammengearbeitet habe, und ich wünsche ihr alles Gute für ihre neue Tätigkeit.
Catherine Ashton, -Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission. – Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihre freundlichen Worte. Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich habe diese Aussprache angeregt, um das Parlament über die aktuelle Situation in Haiti nach dem furchtbaren Erdbeben am 12. Januar zu informieren. Es sind katastrophale Verluste und ein immens hoher Schaden zu beklagen. Bis zu drei Millionen Menschen sind von der Tragödie betroffen und die Zahl der Todesopfer steigt weiterhin an.
Wir haben es hier mit einer überwältigenden humanitären und politischen Katastrophe zu tun. Unsere unmittelbare Aufmerksamkeit gilt der Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der haitianischen Führung, um das Leid der Bevölkerung in Haiti zu lindern. Unser Engagement für den Wiederaufbau des Landes ist langfristiger Natur. Auch viele europäische Bürgerinnen und Bürger haben ihr Leben verloren und ca. 1 000 Personen gelten weiterhin als vermisst.
Die EU hat schnell reagiert, und zwar nicht mit dem Ziel, sich einen Platz in den Schlagzeilen zu sichern, sondern in dem ausschließlichen Bestreben, den bedürftigen Menschen Hilfe zu bringen. Auf Anraten der Vereinten Nationen haben wir dem Bedürfnis, sofort nach Haiti zu reisen, nicht nachgegeben. Dies hätte lediglich die Aufmerksamkeit und knappen Mittel von den Soforthilfemaßnahmen abgelenkt. Natürlich werden wir uns, sobald es angemessen ist, nach Haiti begeben und ich bin mit Kommissar De Gucht übereingekommen, dass er diese Woche nach Haiti reisen wird, um im Namen der EU unser Beileid zu bekunden und zu bekräftigen, dass wir der Bevölkerung zur Seite stehen werden. Er wird die Gelegenheit ebenfalls nutzen, unsere bisherigen Hilfsbemühungen einer Bewertung zu unterziehen und mit den Vereinten Nationen und unseren Leuten vor Ort den dringendsten Bedarf in den nächsten Wochen und Monaten zu besprechen.
In der Zwischenzeit werden wir in unseren, in sämtliche Richtungen gehenden Bemühungen zu humanitären, politischen und sicherheitstechnischen Fragen nicht nachlassen. Ich habe in den letzten Tagen ständig mit Außenministerin Clinton, mit der Führung der Vereinten Nationen, mit den Außenministern der EU und mit Kanada in Verbindung gestanden – Letzterem obliegt die Leitung der Gruppe der „Freunde von Haiti“. All dies diente dazu, eine effektive und koordinierte internationale Reaktion zu gewährleisten. Diese Woche werde ich in die Vereinigten Staaten reisen, um mit der Administration der Vereinigten Staaten, mit dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen und weiteren Personen dieses und weitere Themen in New York aufzugreifen.
Die UN hat um dringende finanzielle Hilfe gebeten – 575 Mio. USD –, sowie um Logistikunterstützung bei dem Transport der humanitären Hilfe. Gestern hat das Generalsekretariat der Vereinten Nationen um eine Verstärkung der Polizei- und militärischen Einheiten auch im Rahmen der UN-Friedensmission ersucht.
Um dazu beizutragen, unsere Reaktion in Gang zu setzen und zu koordinieren, habe ich mich gestern an den spanischen EU-Ratsvorsitz mit der Bitte gewandt, einen außerordentlichen Rat (Auswärtige Angelegenheiten) einzuberufen. Zum ersten Mal seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon werden die Bemühungen der Kommission und des Generalsekretariat des Rates, sowie die der Mitgliedstaaten jetzt in einem globalen Ansatz unter meiner Gesamtkoordinierung zusammengeführt. Das ist ein bahnbrechender Schritt.
Die gestrige Ratstagung hat sich als produktiv erwiesen. Alle stimmten der Notwendigkeit einer schnellen Reaktion und engen Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen zu. Was die finanzielle Unterstützung anbelangt, kam der Rat zu folgenden Schlussfolgerungen. Die vorläufige Mittelbindung der Kommission von 30 Mio. EUR für unmittelbare humanitäre Hilfe, zusätzlich zu den 92 Mio. EUR, zu denen sich Mitgliedstaaten vorläufig verpflichtet haben, wurde begrüßt.
Die vorläufige Mittelbindung der Kommission von 100 Mio. EUR für frühzeitige, nicht humanitäre Hilfsmaßnahmen, beispielsweise zu Sanierungs- und Wiederaufbauzwecken, wurde begrüßt und der vorläufige Hinweis der Kommission, es stünden 200 Mio. EUR für längerfristige Reaktionen zur Verfügung, wurde zur Kenntnis genommen.
Es wurde eine zum gegebenen Zeitpunkt und nach einer vollständigen Bewertung des nach dem Notfall vorhandenen Bedarfs stattfindende internationale Konferenz über Haiti gefordert.
Alles in allem war die Reaktion innerhalb des kurzen Zeitraums überwältigend. Auch die Dominikanische Republik wird gezielte Unterstützung erhalten. Die Beschaffung ausreichender Geldsummen ist derzeit ein geringeres Problem, als diese den Menschen, die sie benötigen, tatsächlich zugute kommen zu lassen. Wir müssen sicherstellen, dass die Mittel zielgerichtet für einen nachhaltigen, politischen und physischen Wiederaufbau eingesetzt wird. Bezüglich der Bitte des Generalsekretariats der Vereinten Nationen um Unterstützung für den Transport der humanitären Hilfe und weitere Polizeieinheiten, hat der Rat mich gebeten festzustellen, welche Beiträge von Mitgliedstaaten kommen können und Vorschläge für die Inanspruchnahme zu unterbreiten. Ich arbeite daran.
Um weitere Schritte zu unternehmen, haben wir unmittelbar nach der Ratstagung eine Sitzung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees einberufen. Frühzeitige Hinweise auf Beiträge von Mitgliedstaaten gibt es schon jetzt, einschließlich einer möglichen Mitwirkung der Europäischen Gendarmerietruppe („European Gendarmerie Force“). In den kommenden Tagen wird die Arbeit in den Vorbereitungsgruppen des Rates weitergehen, und zwar mit der Maßgabe einer schnellen, gezielten Reaktion.
Am nächsten Montag wird wieder ein Rat (Auswärtige Angelegenheiten) stattfinden. Wir werden das Thema Haiti nicht aus den Augen verlieren und zusätzliche Initiativen in Betracht ziehen.
Die Außenpolitik der EU unter den neuen Gegebenheiten des Vertrags von Lissabon steht auf dem Prüfstand. Die haitianische Bevölkerung – ebenso wie unsere Bevölkerung – erwartet eine rasche, wirkungsvolle und koordinierte Reaktion. Diese wird unserer Meinung nach erbracht.
Ich freue mich darauf, in dieser Angelegenheit mit dem Parlament zusammenzuarbeiten und ich bin froh darüber, heute hier zu sein, um Ihnen diese Informationen zu überbringen und ihre Ansichten zu hören.
Karel De Gucht, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident, zunächst möchte ich die im Hinblick auf die humanitären Folgen, aber auch auf die Auswirkungen für das Land insgesamt beispiellose Natur dieser Katastrophe hervorheben.
Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die grundlegenden Funktionen und Kapazitäten dieses sich in einer chronisch schwachen Verfassung befindenden Landes sind schwer beschädigt worden. Auch die internationale Gemeinschaft hat es hart getroffen. Immer noch gelten Personal der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen (NRO) sowie unsere eigenen Bediensteten der Kommission als vermisst, und dies erklärt auch die Schwierigkeiten bei der Organisation von Hilfe vor Ort. Man muss verstehen, dass das nicht auf mangelnde Kompetenz zurückzuführen, sondern die Gemeinschaft der Helfer selbst in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Die Hilfsoperationen laufen nicht so schnell, wie man sich es wünschen würde, und doch ist ersichtlich, dass sich die Situation stündlich verbessert.
Anders ausgedrückt, geht es nicht nur darum, Menschenleben zu retten. Wir müssen vielmehr das Land als Ganzes retten. Darum hat die Hohe Vertreterin, Cathy Ashton, diese außerordentliche Ratstagung gefordert, welche sich als ein sehr nützliches Instrument für den Umgang mit dem Problem erwiesen hat. Ich möchte nur ganz kurz auf vier wesentliche Herausforderungen näher eingehen.
Als erstes müssen wir uns natürlich mit dem humanitären Bedarf befassen. Dieser ist gewaltig und betrifft hauptsächlich die notärztliche Versorgung der Verletzten, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung – auf Grund der Gefahr beispielsweise von Cholera –, Nahrungsmittel und Unterkünfte. Am meisten fehlt es an chirurgischen Behandlungen, medizinischer Grundversorgung und Medikamenten, Wasseraufbereitungssets, Nahrungsmittelhilfe, Notunterkünften und Logistikunterstützung. Such- und Rettungskapazitäten sind in ausreichender Menge vorhanden.
Bei den organisatorischen Koordinierungsbemühungen liegt das Hauptaugenmerk auf dem Abschluss der Bedarfsbewertung, um ein besseres Bild des genauen Bedarfs im Einzelnen zu zeichnen und die Transportlogistik zu organisieren. Damit wird man sich auch innerhalb der Gemeinschaftsorgane beschäftigen.
Schließlich müssen wir die Koordinierung internationaler Hilfsanstrengungen bewerkstelligen. In solchen Umständen ist das immer sehr schwierig. Ich möchte betonen, dass nur Stunden nach dem Erdbeben umgehend Teams des Europäischen Amtes für humanitäre Hilfen (ECHO) und des Beobachtungs- und Informationszentrums der Kommission (MIC) in den Einsatz geschickt worden sind. Seitdem arbeiten sie dort, um bei der Bedarfsbewertung und Koordinierung der Hilfe Unterstützung zu leisten. Wir arbeiten mit Teams des Büros zur Koordinierung der humanitären Hilfe OCHA, einer Organisation der Vereinten Nationen, zusammen und stehen in ständigem Kontakt mit John Holmes, dem UN-Koordinator für humanitäre Hilfe.
Zweitens geht es darum, die grundlegenden staatlichen Kompetenzen aufzubauen bzw. wiederherzustellen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Dieses Land muss wieder funktionieren, nicht nur in physischer Hinsicht – die meisten Gebäude gibt es ja nicht mehr –, sondern auch mit einer großen Anzahl als vermisst geltender hoher Beamter und schwer angeschlagenen staatlichen Strukturen.
Der Rat begrüßt den Umstand, dass wir als dringlichste Maßnahme ein EU-Expertenteam mit der besonderen Aufgabe entsenden werden, den primären Bedarfs des haitianischen Staates und der Zivilverwaltung festzustellen, um hier technische Hilfe zu leisten. Unser diplomatisches und für die Zusammenarbeit zuständiges Personal vor Ort ist natürlich am besten dazu in der Lage, seine Kapazitäten sind jedoch überstrapaziert. Dies ist ein Punkt, der in den kommenden Tagen immer größere Bedeutung erlangen wird. Als Europäische Union und Europäische Kommission könnten wir zusammen mit dem Rat eine führende Rolle bei der physischen Wiederherstellung der staatlichen Institutionen spielen, auch was die Menschen angeht.
Der dritte Punkt ist selbstverständlich der Plan zum Wiederaufbau des Landes, hier müssen wir unseren Blick auf die Zeit nach der unmittelbaren Nothilfephase richten. In wenigen Wochen werden viele derzeit im Einsatz befindliche Notfallteams und dort stationierte Mittel das Land wieder verlassen haben und es droht die Gefahr – was sehr typisch bei dieser Art von Katastrophe ist – einer zweiten Unglückswelle, wenn wir unsere Hilfe und Unterstützung nicht aufrechterhalten.
Wir müssen unverzüglich umfangreiche, koordinierte, mittel- und langfristige gemeinsame Reaktionspläne der EU für diese Krise aufstellen. Unsere Dienste arbeiten daran. Sie sollten so ausgelegt werden, dass eine angemessene Arbeitstrennung zwischen den Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten gewährleistet und ein Soforthilfe, Rehabilitation und Entwicklung verknüpfender Ansatz sichergestellt ist, zusammen mit einem nachhaltigen und nahtlosen Übergang zwischen Soforthilfe und der weiteren Hilfe nach dem Katastrophenfall.
Wir haben sämtliche Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, sich nach Kräften in diese Bemühungen einzubringen und all unsere Zusagen im Hinblick auf die Koordinierung und Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen in die Tat umzusetzen. Die Zeit ist gekommen, in der die Substanz unserer Zusagen auf die Probe gestellt werden wird und sich als gehaltvoll erweisen muss, wenn uns Erfolg beschieden sein soll.
Als letzter Punkt ist da noch die finanzielle Reaktion. Laut den Ausführungen der Hohen Vertreterin wird die Europäische Union hier einen wichtigen Beitrag leisten, zunächst im Rahmen humanitärer Hilfe – 30 Mio. EUR, von denen ein Großteil – genauer gesagt 22 Mio. EUR – ganz neue Mittel ausmachen, die zusätzlich zu den bereits bestehenden humanitären Zusagen, die wir Haiti gegenüber abgegeben haben, fließen. Die Hilfe für den beginnenden Wiederaufbau – der nicht zu der humanitären Hilfe zählt, und was ich vorhin über die staatlichen Institutionen gesagt habe, fällt natürlich unter diesen Rettungsschirm – beläuft sich auf 100 Mio. EUR, wobei hier ein 50:50-Verhältnis zwischen umgeleiteten und neuen Mitteln vorliegt, und für die langfristige Wiederaufbauhilfe gibt es derzeit einen anfänglichen Betrag von 200 Mio. EUR.
Wir werden abwarten müssen, wo wir stehen. Im Moment ist von Summen in der Größenordnung von 10 Mrd. USD die Rede. Das erscheint mir sehr hoch und kann in jedem Fall nicht mit dem Haushaltsplan der Kommission abgedeckt werden. Wir müssen die Geberkonferenz abwarten und mit den Mitgliedstaaten darüber sprechen, wie wir uns an höheren Beträgen letztendlich beteiligen werden. Das ist jedenfalls das EU-weite Paket, das jetzt zusätzlich zu all den bereits von den Mitgliedstaaten erbrachten und zukünftig zu erbringenden Beiträgen geschnürt worden ist.
Wie Ihnen die Hohe Vertreterin gesagt hat, werde ich morgen früh in die Region reisen – nach Haiti und auch in die Dominikanische Republik –, um mit den Behörden zu sprechen, auch über die Bemühungen im Zusammenhang mit dem Versuch, die staatlichen Institutionen wieder aufzubauen. Der Präsident und wichtige Nichtregierungsorganisationen sind vor Ort. Ich werde mich ebenfalls in die Dominikanische Republik begeben. Es ist wichtig für uns, auch mit den Behörden dort zusammenzutreffen, da sie die Nachbarn sind. Es ist bereits absehbar, dass die Situation früher oder später eine Überlastung an der Grenze zur Folge haben wird, daher werde ich auch mit den Behörden der Dominikanischen Republik zusammenkommen.
Das ist alles, was ich im Moment zu sagen habe. Bei meiner Rückkehr werde ich am Montag Nachmittag dem Entwicklungsausschuss Bericht erstatten.
Gay Mitchell, im Namen der PPE-Fraktion. – Herr Präsident, sicherlich möchte das Parlament dem als vermisst geltenden UN- und EU-Personal sowie allen Menschen, die derzeit in Haiti vermisst werden und leiden, gedenken.
Darüber hinaus bin ich froh, dass Kommissar De Gucht dorthin reisen und dem Entwicklungsausschuss bei seiner Rückkehr am Montag Bericht erstatten wird. Das ist eine sehr willkommene Entwicklung. Um es mit seinen eigenen Worten zu sagen: die Natur dieses Ereignisses war beispiellos und meiner Meinung nach ist diese Einschätzung in einem solchen Land nur recht und billig, und deswegen – dies sage ich nur so nebenbei – bin ich wirklich der Ansicht, dass die Europäische Union mehr Profil zeigen muss.
Da wir jetzt eine Hohe Vertreterin haben, die Vizepräsidentin der Kommission ist, muss diese Person bei Themen dieser Art stärker präsent sein.
Die Europäische Union ist mit 60 % aller Hilfsspenden der weltweit größte Geber und wahrscheinlich stehen wir auch bei der humanitären Hilfe an der Spitze. Während jedoch US-Krankenhausschiffe gezeigt werden, ist alles, was man von der EU zu Gesicht bekommt, Mitgliedstaaten, die von Belgien, Irland und Großbritannien oder sonst woher dorthin reisen. Es müsste eine sichtbare EU-Präsenz geben. Warum keine Gefechtsverbände? Warum nicht einige im Turnus abgestellte stehende Verbände, die für einen Einsatz vor Ort bereit wären, wenn so etwas passiert?
Als letzten Punkt möchte ich hier anführen, dass das, was in Haiti geschehen ist, auf Armut zurückzuführen ist, und wir sollten Haiti nicht vergessen, wenn diese schreckliche Tragödie abklingt und von den Fernsehschirmen verschwindet. Es ist an der Zeit, ein für allemal etwas gegen die in Haiti bestehende Armutssituation zu unternehmen.
Linda McAvan, im Namen der S&D-Fraktion. – Herr Präsident, in Gedanken sind wir heute bei den von der Tragödie betroffenen Menschen in Haiti und ich bin mir sicher, dass alle Abgeordneten ihre Beileidsbekundungen an die haitianische Bevölkerung übermitteln möchten. Es ist eine Tragödie, aber wie Gay Mitchell bereits gesagt hat, findet diese Tragödie in einem Land statt, in dem 75 % der Menschen bereits unterhalb der Armutsgrenze leben. Wenn wir nach vorne in die Zukunft sehen, dürfen wir diesen Punkt wirklich nicht vernachlässigen.
Die Öffentlichkeit hat in großartiger Weise auf die Herausforderung, Haiti zu helfen, reagiert. Allein im Vereinigten Königreich wurden in nur wenigen Tagen 30 Mio. GBP an Spenden zusammengebracht – von der Bevölkerung, inmitten der Finanzkrise –, also wissen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger bei unseren Bemühungen, Gelder für Haiti zusammenzubekommen, hinter uns stehen.
Hohe Vertreterin, ich möchte Ihnen für Ihre Arbeit, die darin bestand, eine schnelle EU-Reaktion in dieser Sache in die Wege zu leiten, danken. Damals bei dem Tsunami haben wir gelernt, dass eine gute Koordinierung in Wirklichkeit genauso wichtig ist wie der tatsächliche Einsatz von Geldern. Es geht nicht darum, welche Flagge auf der Hilfsleistung prangt, sondern darum, dass die Hilfe ankommt, und zwar in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen.
Unter dem Aspekt der Langfristigkeit begrüße ich, dass es eine internationale Konferenz über Haiti geben wird. Meiner Ansicht nach müssen wir uns mit der gesamten Situation in Haiti beschäftigen, mit den ausstehenden Schulden des Landes und ich hoffe, dass die Schuldenprobleme Haitis bei dieser internationalen Konferenz auf der Tagesordnung stehen werden. Haiti schuldet seinen internationalen Gläubigern 890 Mio. USD und ein großer Teil davon stellt eine Forderung des internationalen Währungsfonds IMF dar. Der IMF hat Haiti einen 100 Mio. USD schweren Kredit gegeben. Können wir diesen in eine Zuwendung umwandeln? Es macht keinen Sinn, das Land für weitere 100 Jahre in Armut versinken zu lassen. Daher hoffe ich, dass Sie dies auf die Tagesordnung des IMF-Treffens setzen werden.
Weiterhin hoffe ich, dass wir uns auch mit anderen Fragen beschäftigen werden und ich gebe Ihnen recht darin, dass das Thema der Grenze zur Dominikanischen Republik gleichermaßen wichtig ist. Vielen Dank also noch einmal für Ihre Bemühungen und ich hoffe, dass das gesamte Parlament fleißig daran arbeiten wird, eine gut koordinierte Leistung zu erarbeiten.
Liam Aylward, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, ich erlaube mir, der Hohen Vertreterin, Baroness Ashton, zu Beginn alles Gute angesichts der vielen, im Rahmen ihres Mandats an sie herangetragenen Herausforderungen zu wünschen. Sie weiß selbst genau, und die Vereinten Nationen haben dies auch festgestellt, dass die Situation in Haiti die schlimmste humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten darstellt, denn die Anzahl der vermissten Personen, Opfer und Todesfälle steigt weiterhin an.
Das menschliche Leid dieser Tragödie ist unermesslich. Obwohl die Soforthilfe einzutreffen beginnt, wissen wir um die erheblichen Probleme, vor denen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bei ihren Bemühungen, denjenigen Hilfe zu bringen, die sie am meisten benötigen, gestellt sehen.
Laut Feststellung der Nichtregierungsorganisationen vor Ort stellen wachsende sicherheitstechnische, logistische und bürokratische Probleme einen Hinderungsgrund für Hilfsmaßnahmen dar und verschlimmern die katastrophale Situation zusätzlich. Für die Haitianer entscheiden diese Probleme über Leben und Tod.
Um alle losen Enden aufzunehmen, damit das Leid und Chaos gemindert werden kann, sind eine klare Führung und koordinierte Hilfe erforderlich. Nichtregierungsorganisationen, staatliche Stellen, internationale Organisationen und lokale Gebietskörperschaften müssen zusammenarbeiten, um den Bedürftigen in allen Bereichen Notfallhilfe zuteil werden zu lassen.
Es steht außer Frage, dass das Land sofort umfangreiche, internationale Unterstützung benötigt. Die Reaktion der europäischen Bürgerinnen und Bürger und ihre rekordverdächtige Großzügigkeit und Solidarität waren überwältigend. Die gestrige Ankündigung von über 420 Mio. EUR an humanitärer Hilfe für Haiti seitens der Europäischen Union zeugt von Führungskraft und Engagement, die Bereitstellung dieser Hilfe muss jedoch koordiniert und effektiv erfolgen.
Das ausgewiesene Ziel der Europäischen Union ist die Konsolidierung und Stärkung der globalen Soforthilfemaßnahmen. Ich hoffe, dass Sie, Frau Ashton, und Kommissar De Gucht bei Ihren jeweiligen Besuchen in den USA, Haiti und an anderen Orten im weiteren Verlauf der Woche eisern auf dieses Ziel hinarbeiten.
Einer langfristigen Entwicklung der ärmsten Nation in der westlichen Hemisphäre muss Vorrang gegeben werden. Die Zuwendung von 200 Mio. EUR an Hilfsmitteln der Europäischen Union als langfristige Wiederaufbauhilfe für Haiti ist ein vielversprechender Anfang, aber wenn die Kameras abgebaut sind und sich die weltweite Aufmerksamkeit wieder auf etwas anderes richtet, muss die Europäische Union als globaler Führer seiner Verantwortung gerecht werden und entsprechend handeln.
Eva Joly, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Hohe Vertreterin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, das Ausmaß dieser neuerlichen humanitären Krise in Haiti ist vermutlich größer als in allen bisherigen Fällen, um so mehr zweifle ich an der Möglichkeit, die richtigen Worte zu finden, um über die Opfer zu reden, um zu den Überlebenden zu sprechen und den Familien die Hand zu reichen, um ihnen zu sagen, wie sehr wir ihren Schmerz teilen und uns unserer Verantwortung bewusst sind.
Egal wie stark das Erdbeben war, es allein erklärt nicht den Umfang der Schäden. Letztere sind auch mit der chronischen Armut, unter der Haiti seit Jahren leidet, verknüpft. Bis jetzt ist die internationale Gemeinschaft unfähig gewesen, dort etwas zu verändern. Schlimmer noch, indem wir Haiti Strategien aufgezwungen haben, um deren Scheitern wir jetzt wissen, wurde von den internationalen Institutionen, Europa und seinen Partnern die Brüchigkeit des sozialen Gewebes, der Wirtschaft und Institutionen dort noch erhöht.
In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts war Haiti, was die Nahrungsmittel betraf, fast autark. Das Land produzierte 90 % der selbst benötigten landwirtschaftlichen Produkte. Heute importiert es mehr als die Hälfte. Dies muss zweifelsohne nachteilige Auswirkungen auf die lokale Produktion gehabt haben. Haiti war vor diesem Erdbeben ein mittelloses Land, da man ihm die ihm zustehenden Mittel entzogen hatte.
Daher müssen wir Haiti zunächst soviel Unterstützung wie möglich zukommen lassen, um mit den Notsituationen fertig zu werden. Man muss aus diesem Blickwinkel schlicht und ergreifend beanstanden, dass es sehr schwierig gewesen ist, die internationale Hilfe auf den Weg zu bringen. In Zukunft müssen wir unsere Verfahren optimieren. Vor allem müssen wir uns jedoch der Tatsache bewusst sein, dass die langfristige Entwicklungshilfe nicht greifen wird, wenn wir die unserer Meinung nach richtigen Prioritäten vorgeben, obwohl alle vor Ort uns sagen, dass wir falsch liegen. Wir müssen so verfahren, dass wir unsere eigenen Methoden in Frage stellen, und das wird erst funktionieren, wenn wir die Mittel erhöhen, die wir für die langfristige Entwicklungsstrategien beiseite legen. Die Europäische Union hat die Höhe der Hilfsmittel, die sie für Haiti bereitstellen wird, bekannt gegeben und die Mitgliedstaaten haben das Gleiche getan. Wir sprechen hier über 130 Mio. EUR kurzfristiger Hilfe und 200 Mio. EUR für den langfristigen Bedarf.
Ich möchte diese Zahlen mit anderen Zahlen vergleichen, mit den 155 Mrd. USD, welche die Banken in der City und Wall Street sich anschicken, an ein paar Tausend in den Banken arbeitenden Personen zu zahlen. Das führt uns zu der Frage des Entwicklungsmodells, welches wir auf globaler Ebene fördern möchten.
Dringende humanitäre Hilfe ist notwendig, aber sie allein ist nicht genug. Sie darf unter keinen Umständen ein Ersatz für Entwicklungshilfe sein, die wiederum von den Ländern, die davon profitieren sollen, nicht als eine auferlegte Verpflichtung erfahren werden darf. Der erste Weg, Ländern in großen Schwierigkeiten zu helfen, ist sie weiterhin zu respektieren, es ihnen zu ermöglichen, Nutzen aus ihren eigenen Ressourcen zu ziehen. Wir müssen Haitis Schulden streichen und unsere Schuld gegenüber dem Land begleichen.
Herr Präsident, Hohe Vertreterin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, es ist unsere Pflicht gegenüber den Opfern von Haiti, ihnen dabei zu helfen, ein bereits vor der Naturkatastrophe, die ihm dann vollständig den Rest gegeben hat, verwüstetes Land wiederaufzubauen.
(Beifall)
Nirj Deva, im Namen der ECR-Fraktion. – Herr Präsident, in der Stunde ihres Leids sind wir mit unseren Gefühlen und Gedanken bei den Menschen in Haiti. Ich spreche Baroness Ashton und Karel De Gucht mein Lob für das aus, was ihren Aussagen nach bereits unternommen worden ist und gerade getan wird. Es steht außer Frage, dass Geldmittel bereitgestellt werden. Ich war bei dem Tsunami, der Sri Lanka und dann später Indonesien traf. Ich war Zeuge von Erdbeben in der Türkei. Ich habe gesehen, was in China passiert ist. Jedes Mal, wenn solche Dinge passieren, erwischt es uns kalt, und zwar nicht was die Wasserreinigungstabletten, Zelte oder sauberes Wasser angeht, sondern in Bezug auf die Infrastruktur. „Oh“, sagen wir, „die Infrastruktur ist zerstört“. Natürlich ist sie zerstört. Wir müssen in der Lage sein, sehr rasch eine behelfsmäßige Infrastruktur einzurichten.
Wie kann das bewerkstelligt werden? Wie wäre es mit einem Flugzeugträger? Der verfügt über Strom, Kernkraft, Generatoren zur Wasserreinigung und Hubschrauber. Könnten wir einen kurzfristig einsatzbereiten, globalen Rettungsdienst organisieren, der in der Lage ist, Behelfshäfen, Übergangsunterkünfte und die ganze zerstörte Infrastruktur zur Verfügung zu stellen? Wir müssen neu darüber nachdenken, wie man unmittelbar nach einer Katastrophe Leben retten kann.
Patrick Le Hyaric, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Frau Vizepräsidentin und Hohe Vertreterin, Herr Kommissar, ich möchte noch einmal zum Ausdruck bringen, dass wir zutiefst bestürzt darüber sind, was die haitianische Bevölkerung, die Kinder in Haiti erdulden müssen.
Seit nunmehr sieben Tagen leben und überleben sie in einer absoluten Hölle. Zwar ist die Flut der weltweiten Solidarität bewegend, sie muss aber noch gefestigt und besser koordiniert werden, und zwar zu dem alleinigen Zweck, dem haitianischen Volk zu helfen, das unter Durst leidet, hungert, obdachlos ist und keinen Zugang zu einer grundlegenden medizinischen Versorgung hat. Wir ziehen den Hut vor allen Männern und Frauen dort.
Die Europäische Union hat beschlossen, einige anfängliche Mittel freizugeben. Dabei können wir es jedoch nicht belassen. Die Hilfe der Europäischen Union muss erheblich erhöht werden und das globale Bankensystem muss dabei mitziehen. Vordringlich müssen Lebensmittelüberschüsse aus Europa an die Bevölkerung von Haiti verschifft werden.
Lassen Sie uns offen reden. Unser Kontinent steht tief in der Schuld der Haitianer und hat die Pflicht, eine Wiedergutmachung für die vielen Jahre der Herrschaft und Plünderung zu leisten. Die Art, in der diese Insel, die Perle der Karibik, von internationalen Finanzinstitutionen kontrolliert worden ist, die ihr mit grausamen Schulden und ebenso grausamen Zinsen auf diese Schulden die Luft abgedrückt haben, erteilt uns eine Lektion, die wir verinnerlichen müssen.
Unser Parlament sollte sich für eine sofortige und bedingungslose Streichung der gesamten Schulden aussprechen. Unsere Fraktion erwartet von der in Kürze in Montreal stattfindenden Konferenz das Ergreifen wirkungsvoller Maßnahmen zur Vorbereitung einer internationalen Konferenz über die Wiederherstellung, den Wiederaufbau und die nachhaltige Entwicklung von Haiti mit der Bevölkerung von Haiti.
Dieser Wiederaufbau muss unter die Schirmherrschaft der Vereinten Nationen gestellt werden, damit das haitianische Volk seine wirtschaftliche und politische Souveränität wiedererlangen kann. Haiti darf nicht die Trophäe in einem Kampf um die Vorherrschaft zwischen Großmächten sein. Obwohl wir die Hilfsanstrengungen der Vereinigten Staaten begrüßen, müssen wir also wachsam sein und verhindern, dass die führenden Politiker Nordamerikas diese schreckliche Katastrophe zum Vorwand nehmen, um die Insel zu besetzen, sie zu verwalten und dort Militärbasen zu errichten.
Europa muss hier mit gutem Beispiel vorangehen. Es darf nur ein Ziel geben, eine einzige Sorge: die Menschen, die Kinder in Haiti.
Fiorello Provera, im Namen der EFD-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte meiner tiefempfundenen Solidarität mit all denen, die diese Naturkatastrophe getroffen hat, Ausdruck verleihen.
In Situationen wie diesen mit einer weitgehenden Zerstörung der Gebäude und Infrastruktur und Tausenden von Todesfällen ist es fast unmöglich, ohne ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung und Sicherheit wirksame Hilfe zu leisten. Alle Hilfsbemühungen sind ohne eine enge Zusammenarbeit bei der Beschaffung des notwendigen Materials und der geordneten Verteilung der Hilfe schwierig. Es ist von entscheidender Bedeutung, sich darüber klar zu sein, was wer wann benötigt.
Ein weiterer, zu bedenkender Punkt ist, dass zu oft schon die Großzügigkeit öffentlicher und privater Geber missbraucht worden ist und große Geldsummen nicht zu denjenigen gelangt sind, die sie wirklich benötigten. Daher ist ein genaues Kontrollsystem erforderlich, um zu verhindern, dass Geld veruntreut oder gestohlen wird, insbesondere in schwachen Ländern mit einer hohen Korruptionsrate und geringer staatlicher Steuerung. Europa sollte hier seine eigene Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Ich hoffe, es ist dabei erfolgreich.
Nick Griffin (NI). – Herr Präsident, die grauenvolle Situation in Haiti ist schockierend. Es ist nur menschlich, Mitleid mit den unschuldigen Opfern der Naturkatastrophe dort zu haben.
Wir alle hier werden gut bezahlt und können es uns leisten, zu spenden. Ich werde meine Teilnahmevergütung für die heutige Sitzung spenden, wenn alle britischen Abgeordneten dasselbe tun. Unsere Wählerinnen und Wähler können sich jedoch wegen der Steuerlast diese Großzügigkeit nicht leisten.
Die Globalisierung hat unsere Industrien kaputt gemacht. Die Banken haben unsere Wirtschaften ruiniert. Der EU-Amtsschimmel erstickt unsere Unternehmer und die betrügerische Kohlendioxydsteuer stürzt Millionen in tödliche Brennstoffarmut.
Die Zahl der Todesopfer in Haiti ist erschreckend, aber in diesem Winter werden allein in Großbritannien mehr als 50 000 Rentner auf Grund der Kälte und Heizkosten einen vorzeitigen Tod erleiden.
Europaweit wird sich die Zahl der Todesopfer auf Hunderttausende belaufen, aber weil diese Wahrheit die politische Elite beschämt und weil sie die unbequeme Wahrheit einer globalen Abkühlung hervorhebt, wird dieser Skandal genauso still und leise begraben werden, wie unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger den Tod erleiden.
Hunderttausende unserer eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürger sterben auf Grund der Nachlässigkeit von Regierungen und der Kältesteuern der EU, trotzdem halten Sie daran fest, das Geld anderer Leute mit vollen Händen für eine Katastrophe in einem hinteren Winkel der Welt, der nicht in unseren Zuständigkeitsbereich fällt, auszugeben. Das ist kein Mitgefühl: diese Heuchelei stinkt zum Himmel.
Ich weiß, dass unser christliches Erbe hier Unbehagen hervorruft, aber wie immer offenbart sich in der Bibel eine ewige Wahrheit, welche die meisten hier lieber übersehen würden – im ersten Buch Timotheus, Kapitel 5, Vers 8: „So aber jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide.“
Michèle Striffler (PPE). – (FR) Herr Präsident, Hohe Vertreterin, wie bereits gesagt wurde, hat die Katastrophe auf Grund der Intensität des Erbebens, zweifelsohne eines der stärksten in der Geschichte, einen extremen Verlauf genommen und daher befürchten wir eine erschreckend hohe Zahl an Todesopfern.
Dennoch freuen mich die schnelle Reaktion der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten, sowie die von ihnen gegebenen Zusagen, um ein gewaltiges Hilfspaket in Höhe von 429 Mio. EUR für die Anstrengungen zur Bereitstellung humanitärer Nothilfe und den Wiederaufbau von Haiti zu schnüren. Bedauerlich ist aber, dass die Europäer nicht koordiniert gehandelt haben und die Maßnahmen der Europäischen Union nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen werden. Dies steht im krassen Gegensatz zu der Effizienz der US-Hilfsmaschinerie und lässt uns übersehen, dass die Europäische Union der weltweit größte Geber auf dem Gebiet der humanitären Hilfe und Entwicklungshilfe ist.
Die Europäische Union hat ebenfalls das Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz aktiviert. Durch diese Maßnahme werden die Hilfsangebote der Mitgliedstaaten koordiniert und sie ist derzeit das Schaltzentrum unseres Krisenreaktionssystems. Die jüngsten Ereignisse bestätigen die Notwendigkeit einer Verbesserung der Reaktion auf Krisen seitens der Europäischen Union. Eine genaue Planung mit Zivilschutzmöglichkeiten stellt hier die wesentliche Grundlage dar, und aus diesem Grund möchte ich Sie an Herrn Barniers Vorschlag aus dem Jahr 2006 über die Bildung einer europäischen Katastropheneinsatztruppe erinnern; der Vorschlag liegt in der Schublade und muss nur noch umgesetzt werden.
Darüber hinaus hat sich der Präsident des Europäischen Rates, Herr Van Rompuy, heute für eine Schnelleinsatztruppe ausgesprochen. Die Vereinigten Staaten haben innerhalb von Tagen eine leitende Funktion bei den Rettungs- und Koordinierungsmaßnahmen eingenommen. Hinsichtlich der zentralen und globalen Koordinierung ist es wichtig, sich die Rolle des Büros der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe, OCHA, in Erinnerung zu rufen, das am ehesten dazu geeignet ist, diese Koordinierung zu leisten.
Verstehen Sie das nicht falsch, hier geht es nicht darum, welche Nation im Vordergrund steht. Eine gute Organisation bedeutet auch eine Zeit- und Geldersparnis und meiner Ansicht nach haben die europäischen Bürgerinnen und Bürger das Recht zu wissen, was die Europäische Union tut.
Patrice Tirolien (S&D). – (FR) Herr Präsident, ist Haiti zur Glücklosigkeit verdammt?
Seit seiner Unabhängigkeit ist es wechselweise von Naturkatastrophen und politischen Desastern heimgesucht worden und heute sehen wir uns hier mit einer Tragödie historischen Ausmaßes konfrontiert. Es gibt Tote, Verletzte, unzählige zerstörte Gebäude und wir stehen vor den Ruinen der nationalen politischen Strukturen und den Strukturen der Zusammenarbeit.
Wir müssen uns diesem Schicksal entgegenstemmen. Die Europäische Union muss sich an den eng miteinander verknüpften Nothilfe- und Wiederaufbauanstrengungen beteiligen. Das schulden wir unseren mannigfaltigen Verbindungen zu Haiti, Verbindungen, die in erster Linie historisch begründet sind: Haiti galt als die am stärksten florierende aller ehemaligen Kolonien; zweitens in diplomatischer Hinsicht: laut dem Cotonou-Abkommen ist die Insel ein privilegierter Partner; und schließlich in geografischer Hinsicht, denn auf Grund der Gebiete in äußerster Randlage ist Haiti ein Nachbar der Europäischen Union.
Darüber hinaus stellt die Krise in Haiti eine erste Bewährungsprobe für den neuen Europäischen Auswärtigen Dienst dar, den Sie leiten, Frau Ashton. Bisher war alles schlüssig. Die Katastrophe führt uns ebenfalls die Herausforderungen und die von uns vorzunehmenden Verbesserungen an dieser Organisation vor Augen, denn mal abgesehen von der Solidaritätsbewegung auf unserem Kontinent wirft die US-Reaktion Fragen über unsere Mobilisierungsmöglichkeiten auf.
Daher dürfen die bemerkenswerten Anstrengungen zugunsten einer Koordinierung auf europäischer Ebene, die Beiträge der Mitgliedstaaten nämlich, nicht die Probleme bei den Diskussionen über den Einsatz der Europäischen Gendarmerietruppe verdecken. Obwohl es wichtig ist, dass die Ausgaben der Europäischen Union von den Vereinten Nationen gesteuert werden, führen die Schwierigkeiten zu dem Schluss, dass die Europäische Union sich eine eigene autonome, integrierte Struktur schaffen muss, einschließlich der Mittel, um mit so komplexen Aufgaben wie einem humanitären Notfall fertig zu werden.
Schließlich bedeutet die Wiederaufbauphase eine immense Herausforderung. Es mangelt nicht an Aufgaben politischer, administrativer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Natur. Möglicherweise stellt dies das Jahr 0 einer neuen Ära für Haiti dar. Das ist eine wichtige politische Herausforderung für ein Europa, welches sich in diesem Prozess in einer sichtbaren Führungsrolle behaupten muss.
Charles Goerens (ALDE). – (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren, jeden Abend erinnern uns die 8-Uhr-Nachrichten an das unaussprechliche Leid in Haiti.
Dieses Leid findet vielleicht lediglich seine Entsprechung in dem nahezu weltweiten Mitgefühl, welches den Menschen entgegengebracht wird. Mit Sicherheit ist dieses Mitgefühl spontan und ehrlich gemeint, aber es ist kurzlebig. In zwei Wochen wird der Moment der Wahrheit kommen, sobald die Medien die Entscheidung getroffen haben, sich auf andere Ereignisse zu konzentrieren. Wenn der Stab nicht übergeben wird, laufen die Haitianer erneut Gefahr, sich selbst und ihrem eigenen Schicksal überlassen zu bleiben.
In einem Land, in dem von Grund auf alles zu tun bleibt, angefangen bei der Sanierung und dem Wiederaufbau, ist es wichtig, die Vorgehensweise so abzustimmen, dass die unterschiedlichen Phasen in eine echte Entwicklung münden. Der Europäischen Union steht hier ein umfangreiches Sortiment an Instrumenten, gepaart mit handfester Erfahrung in diesem Bereich, zur Verfügung. Daher stellen die Herausforderungen, denen sich die bitterarme haitianische Gesellschaft gegenüber sieht, auch einen Moment der Wahrheit für die Europäische Union dar.
In den kommenden Tagen und Monaten werden wir erfolgreich und zielgerichtet handeln müssen. Dies ist der wichtigste Faktor mit Blick auf eine Erholung, sobald wir die Bedingungen für Sicherheit und öffentlichen Ordnung wiederhergestellt haben, die entscheidend für jegliche Art koordinierter Handlung in einem Land sind, wo alles durch das Erdbeben zerstört worden ist, einschließlich der institutionellen Strukturen.
Daher halte ich es für sinnvoll, einen wesentlichen Punkt hervorzuheben: die Erholung, der Wiederaufbau des haitianischen Staates, muss das Werk der Haitianer selbst sein. Wir reden hier über ihre Entwicklung. Hilfe können wir ihnen im Rahmen einer Partnerschaft leisten. Europa täte gut daran, das in den zu diesem Thema geplanten internationalen Konferenzen zu bekräftigen.
Ja zu Partnerschaft, nein zu Bevormundung und Neokolonialismus!
Edvard Kožušník (ECR). – (CS) Jeder von uns wird sicherlich der Ansicht zustimmen, dass wir es hier mit einer der größten Katastrophen in dieser Region in den letzten 200 Jahren zu tun haben. Und im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion der Europäischen Konservativen, sowie im Namen meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Tschechischen Republik, möchte ich unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl angesichts der vielen Opfer und leidenden Menschen übermitteln. Nichtsdestotrotz und ungeachtet dieser Tragödie gibt es Anzeichen, dass die Europäische Union auch nach der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon noch unkoordiniert und unfähig zu promptem Handeln ist. Ich fühle mich entfernt an einen vierköpfigen Drachen erinnert. Wir haben einen Präsidenten, den Premierminister des den Vorsitz innehabenden Landes, den Präsidenten der Kommission und designierte Kommissionsmitglieder. Meine Damen und Herren, meiner persönlichen Meinung nach müssen wir uns in diesem speziellen Fall eingestehen, dass die Europäische Union kalt erwischt worden ist. Diejenigen, die hellwach gewesen sind, sind die Bürgerinnen und Bürger in den einzelnen Mitgliedstaaten, die tagtäglich Bedarfsartikel und finanzielle Hilfe bereitgestellt haben.
Ilda Figueiredo (GUE/NGL). – (PT) Herr Präsident, wir schließen uns der restlichen Welt an und bringen unsere Anteilnahme und unser Bedauern angesichts der Tragödie, welche das haitianische Volk heimgesucht hat, zum Ausdruck, zudem möchten wir es unserer hundertprozentigen Solidarität versichern. Wir müssen jedoch einige Punkte herausstellen, die unserer Meinung nach von entscheidender Bedeutung sind.
Den Anfang sollten wir damit machen, jeden bzw. jedes Land anzuprangern, das versucht, durch eine Rückkehr zum Neokolonialismus aus dieser Katastrophe Profit zu schlagen. Diese Haltung scheint hinter dem Einsatz Tausender bewaffneter nordamerikanischer Truppen zu stehen, trotz der Tatsache, das die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt und Opfer von Ausbeutung durch multinationale Unternehmung und die Einmischung externer Stellen, insbesondere durch die Vereinigten Staaten, bleibt.
Aktuell muss all die humanitäre Hilfe, Zusammenarbeit und Unterstützung beim Wiederaufbau, welche die Menschen in Haiti auf Grund ihrer Würde und ihres Muts verdienen, geleistet werden. Wir sollten nicht vergessen, dass Haiti der Ort ist, wo 400 000 von den Europäern versklavte und verkaufte Afrikaner sich gegen die Sklaverei aufgelehnt und die erste große soziale Revolution auf dem amerikanischen Kontinent herbeigeführt haben.
Die Leistung koordinierter Hilfe ist als eine vordringliche Angelegenheit zu sehen, dabei sollte aber nicht neokolonialistischen Versuchungen nachgegeben werden.
Roberta Angelilli (PPE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, in Haiti spielt sich eine gewaltige, von der Natur aber auch durch das Fehlen eines Staates, der dieser Bezeichnung würdig wäre, verursachte Tragödie ab. Letzterer ist nicht einmal ansatzweise fähig, Herr der Katastrophe und der humanitären Notlage zu werden, und außerstande, Hilfe für die jetzt skrupellosen Machenschaften ausgesetzte Zivilbevölkerung zu organisieren.
Das Rote Kreuz hat eine Warnung ausgesprochen. Auf der am 25. Januar stattfindenden Konferenz in Montreal muss die EU mit einer Stimme sprechen und die koordinierte Organisation der humanitären Maßnahmen unter einer Leitung fordern; andernfalls drohen Chaos und die Verschwendung von Hilfsmitteln, einschließlich der gewaltigen und wertvollen Summen, welche die Kommission heute genannt hat, sowie der von den Mitgliedstaaten bereitgestellten Mittel.
Baroness Ashton, es sollten außergewöhnliche Anstrengungen für die Kinder unternommen werden, vor allem für die Waisen, welche am dringlichsten der Hilfe bedürfen, auch auf dem Wege der psychologischen Unterstützung; ansonsten werden sie zu Armut und Ausbeutung verdammt sein. Wir sollten ebenfalls sicherstellen, dass die internationale Gemeinschaft nicht lediglich bereit ist, die Adoptionsverfahren zu vereinfachen. Das würde nur zu einer Form der legalen Deportation von Kindern führen und ist nicht das, was Haiti braucht.
Der italienische Außenminister, Herr Frattini, hat Recht mit seinem Vorschlag, Gebäude und Kinderheime zu bauen, um eine würdevolle Kindheit und Jugend im eigenen Land zu ermöglichen und befristete Reisen ins Ausland im Rahmen eines Urlaubs bzw. hauptsächlich zu Ausbildungszwecken zu erleichtern. Zum Schluss möchte ich noch eine Frage stellen: sind wir auf internationaler Ebene bereit, Haitis Schulden zu verringern oder ganz zu streichen?
Corina Creţu (S&D). – (RO) Praktisch die ganze Welt zeigt in diesem Ausblick Solidarität und Mitleid mit den Opfern des katastrophalen Erdbebens in Haiti und hebt wieder einmal die Notwendigkeit hervor, unverzüglich und in koordinierter Form auf solche Situationen zu reagieren. Die Schadensbegrenzung hängt nun davon ab, wie effektiv die Maßnahmen sind. Wie hier bereits hier erwähnt wurde, ist die Art und Weise, in der internationale Agenturen und Organisationen zusammen mit der Abteilung für humanitäre Hilfe der EU gehandelt haben, beispielhaft - nicht zu vergessen auch die jeweiligen Gesten der Mitgliedstaaten.
Meiner Ansicht nach muss eine auf operativer Basis arbeitende Schnelleinsatztruppe der Europäischen Union gebildet werden, da uns die Situation in Haiti die Erfordernis vor Augen führt, zusätzlich zu der von den Überlebenden benötigten Hilfe die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Sicherlich gibt es derzeit viele Proteststimmen, welche die Anklage erheben, die angebliche Absicht bestünde darin, unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe eine militärische Besatzung durchzuführen. In einer Situation, wo sich die UN-Kräfte jedoch als unzureichend erweisen bzw. von den Ereignissen überrollt wurden, sollte sich die Europäische Union weiter einbringen, insbesondere, da sie in der Region ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit genießt.
Meiner Ansicht nach müssen wir als Europäische Union uns auf einen umfassenden Wiederaufbauprozess in Haiti einstellen, bei dem auch gleichzeitig die Stabilität der staatlichen Strukturen zu stärken ist. Natürlich ist es sehr wichtig, Mitgefühl gegenüber den Einwohnern des Landes zu zeigen, welche diese schwierige Prüfung zu meistern haben. Dazu gehört es auch, spezielle Lösungen für die Vereinfachung der Verfahren zur Adoption von Kindern, die durch diese Katastrophe zu Waisen geworden sind, zu finden und der leidgeprüften Bevölkerung konkrete Hilfe anzubieten.
Paweł Robert Kowal (ECR). – (PL) Herr Präsident, Frau Ashton, es werden uns Ansichten aus verschiedenen Ecken des Parlaments zu Gehör gebracht, aber eine Angelegenheit, ein Thema ist ihnen allen gemein: die Reaktion der Europäischen Union, die politische Reaktion, war nicht ausreichend, und sie war nicht gut koordiniert. Meiner Meinung nach sollten wir den Wohltätigkeitsorganisationen dafür danken, dass sie so spontan und wie immer bestimmt die Verantwortung für die Notlage übernommen haben.
Weiterhin sollten wir darüber nachdenken, was besser gemacht werden könnte. Ich habe in der Tat nur eine Frage an Frau Ashton: Das ist die erste Situation dieser Art, mit der sie in ihrer neuen Position konfrontiert worden sind. Welchen Hauptschluss ziehen Sie aus diesem Ereignis und aus den Fehlern, über die wir hier alle sprechen? Und noch wichtiger, was kann zukünftig geändert werden? Ich glaube, dass dies die wichtigste Frage ist, über die wir nachdenken sollten und es fällt größtenteils uns zu, das in Angriff zu nehmen.
Philippe Juvin (PPE). – (FR) Herr Präsident, Frau Ashton, es reicht! Es reicht wirklich. Bei jeder Katastrophe ist es dasselbe, die Franzosen schicken ein Flugzeug und Hilfe, die Belgier, die Italiener, die Deutschen, alle tun dasselbe und immer tun sie es unabhängig voneinander; es ist immer wieder dieselbe Geschichte. Vor Ort gleichen sich die Szenarien: keine Koordinierung, verpasste Chancen für die Opfer und fehlende Organisation.
Wann wird damit Schluss sein? Wann wird die Kommission endlich handeln? Erzählen Sie uns nicht, dass es schwierig ist, denn die Projekte sind bereits ausgearbeitet. Wir müssen sie nur umsetzen. Im Jahr 2006 hat Herr Barnier den Aufbau einer europäischen Katastrophenschutztruppe vorgeschlagen, an der sich die Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis beteiligen sollten, ohne auf die theoretische Einstimmigkeit der 27 Staaten zu warten. Dies sollte durch das Zusammenziehen vorhandener nationaler Katastrophenschutzeinheiten, durch deren gemeinsame Weiterbildung unter Anwendung gemeinsamer Rettungstechniken, gemeinsamer Kommunikationsmethoden und einer gemeinsamen Kommandostelle erfolgen.
Es ist ganz einfach, Frau Ashton: stellen Sie so etwas mit denjenigen, die dahinter stehen, auf die Beine! Die anderen werden schon zu uns stoßen, wenn sie erkennen, dass das die Zukunft ist. Nach dem Tsunami wurden Zusagen gemacht und doch ist heute noch nichts geschehen.
Ich sage dies nicht leichthin; die Untätigkeit der Kommission ist kriminell. Frau Ashton, warum ist Europa dazu verurteilt, seine Fehler zu wiederholen? Frau Ashton, keiner stellt ihren guten Willen in Frage, aber kündigen Sie hier und heute den Aufbau dieser europäischen Koordinierungstruppe an. Das Parlament wird hinter Ihnen stehen. Wenn Sie Unterstützung benötigen, wir sind hier, um Ihnen zu helfen. Aber hören Sie um Himmels willen auf, uns etwas über Koordinierung zu erzählen; sorgen Sie dafür, dass es diese Koordinierung gibt! Warten Sie nicht auf die nächste Katastrophe!
Michael Cashman (S&D). – Herr Präsident, es gibt Leute, die handeln, und welche, die reden. Daher möchte ich den Rat, die Kommission und die Hohe Vertreterin zu ihrem Handeln beglückwünschen. Die Ereignisse waren in keiner Weise voraussehbar. Wir stehen vor einer Situation, die unvorstellbar war.
Ich habe hier gesessen und zugehört, wie auf Kosten der Hohen Vertreterin, der Mitgliedstaaten und der Kommission auf billige Art und Weise politisch gepunktet wurde, und zwar durch die Meinung, dass irgendwie, nur weil es eine amerikanische Hand ist, die jemanden aus den Trümmern zieht und ein Leben rettet, diese Hand weggestoßen und „Nein zu Neokolonialismus“ gesagt werden sollte und, dass irgendwie, indem Haiti selbst angegriffen genommen wird, das Leben der dort leidenden Menschen verbessert werden soll. Sie sollten sich was schämen.
Es ist wichtig sicherzustellen, dass wir uns abstimmen. Übergeben wir die Koordinierung den Amerikanern – wenn dies Leben rettet, dann rettet es eben Leben. Zur Hölle mit der politischen Rhetorik.
Glückwunsch zu der zugesagten Geldsumme. Glückwunsch, Baroness Ashton, dass Sie auf den großen Auftritt verzichtet und nicht den Luftraum blockiert haben, um nach Haiti zu gelangen, nur um dort zu sein und dies jedermann zu zeigen. Was hätte man davon? Rein gar nichts. Daher sollten wir mit einer Portion Wut im Bauch stellvertretend für die Menschen, die Rettung wollen, mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Wir sollten die Vereinten Nationen gehörig aufrütteln, damit diese Hilfe bereitstellen, und damit aufhören, billigen politischen Siegen hinterherzujagen.
(Beifall)
Róża, Gräfin von Thun Und Hohenstein (PPE). – (PL) Herr Präsident, ich möchte mich Herrn Juvin anschließen – die humanitäre Hilfe ist nicht gut koordiniert. Ich möchte nicht nur über humanitäre Hilfe reden, sondern auch über dass, was man unter technischer, struktureller, bzw. Entwicklungshilfe versteht. Die Katastrophe war zwar nicht voraussehbar, aber wir wussten, in was für einen erbärmlichen Zustand sich Haiti befindet, und nun wurde das Land obendrein noch von diesem Unglück getroffen. Wir wussten seit langem um die schlechte Lage in Haiti und das unzureichende Funktionieren seiner Strukturen. Wir wissen auch, dass wenn sie besser funktioniert und wir vor dem Erdbeben eine leistungsfähigere Hilfe und technische Zusammenarbeit mit Haiti organisiert hätten, die Strukturen nicht so leicht zusammengebrochen wären und infolgedessen ein effizienterer Einsatz unserer Hilfe möglich gewesen wäre und viele Tausende Menschen hätten gerettet werden können – dies war jedoch nicht der Fall.
Beabsichtigt Frau Ashton als Hohe Vertreterin und Mitglied des Rates, besondere Maßnahmen im Rahmen eines genauen Zeitplans zu ergreifen, um die technische Zusammenarbeit verschiedener europäischer Länder zu koordinieren, damit die Drittländer, denen wir Hilfe zuteil werden lassen, diese Hilfe wirklich sinnvoll einsetzen? Wird es eine Art Austausch empfehlenswerter Verfahren zwischen Ländern mit umfangreicher Erfahrung geben, in denen die technische Zusammenarbeit sehr gut funktioniert, und Ländern, die erst am Anfang stehen, diese technische Zusammenarbeit zu nutzen? Werden wir zu einer brauchbaren, gemeinsamen, starken europäischen Strategie gelangen, die sich Drittländer wirklich zunutze machen, damit von unserer Seite nicht planlos und hektisch humanitäre Hilfe geleistet wird, wenn sich Hunderttausende von Menschen unerwartet in einer tragischen Situation wiederfinden?
David-Maria Sassoli (S&D). – (IT) Herr Präsident, Hohe Vertreterin, meine Damen und Herren, die gewaltige Tragödie, die Haiti überrollt hat, erfordert eine umgehende Reaktion und es sind viele Hilfs- und Rettungsmaßnahmen von einzelnen Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht worden, auch wenn ein nicht unbeträchtlicher Wettbewerb zwischen den europäischen Ländern herrscht.
Das neue Europa mit seiner Hohen Vertreterin sollte in der Lage sein, eigene Hilfe zu den leidenden Menschen zu bringen. Im Übrigen hat das Erdbeben das ärmste Land in der westlichen Hemisphäre heimgesucht, wo 80 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und 54 % in absoluter Armut leben.
Inmitten dieser Notlage gibt jedoch noch eine weitere: die Notlage der Kinder, der schwächsten Bevölkerungsgruppe, die ohne Familie, ohne Schutz und ohne Staat dastehen. Daher möchte ich an die Hohe Vertreterin für die Außenpolitik appellieren, Maßnahmen mit dem Ziel, haitianischen Kindern bis zu 10 Jahren die Möglichkeit zu geben, von europäischen Ländern aufgenommen und versorgt zu werden, zu prüfen.
Lady Ashton, Europa kann diese Kinder aufnehmen und ihnen angemessene Lebensbedingungen bieten; damit meine ich für einen begrenzten Zeitraum, bis die Bedingungen entsprechend sind, dass sie in ihr eigenes Land zurückkehren können. All dies könnte organisiert werden, all dies könnte leicht von den europäischen Ländern geleistet werden und es wäre eine angemessene Reaktion auf die Notwendigkeit, Solidarität zu zeigen, aber auch, um zu verhindern, dass auf Kosten der Kinder spekulative und illegale Maßnahmen ergriffen werden. Wir reden hier über Kinder, das kostbarste Gut, das wir haben und in Haiti schützen sollten.
Laima Liucija Andrikienė (PPE). – Herr Präsident, in den letzten Tagen gab es eine Reihe von Beschwerden über die ineffiziente und langsame Reaktion auf die Krise in Haiti.
Viele verweisen auf die wachsende Unsicherheit, die steigende Verzweiflung unter denen, die das Erdbeben überlebt haben und den skandalösen Mangel an Nahrung und Kleidung.
Es stimmt, dass es diese Probleme gibt und wir müssen sie so schnell wie möglich lösen. Wir sollten jedoch das Eingreifen unterschiedlicher internationaler Akteure – von Regierungen bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einzelpersonen weltweit – begrüßen.
Die Europäische Union gehört sicherlich zu denjenigen, die ihrer rückhaltlosen Solidarität mit dem haitianischen Volk Ausdruck verliehen haben. Sogar heute haben wieder viele die angeblich langsame Reaktion der EU auf die Krise kritisiert, aber bei der EU geht es nicht nur um in Brüssel getroffene Entscheidungen. Nationale Regierungen haben bereits Tausende Männer und Frauen entsandt, um den Haitianern zu helfen und Millionen Euro an Mitteln bereitgestellt.
Die Rolle der EU sollte sich eher auf eine mittel- und langfristige Hilfe konzentrieren, sowie auf den Wiederaufbau der haitianischen Städte und Dörfer, ihrer Infrastruktur, Schulen und Krankenhäuser abzielen.
Die EU kann sicherlich das Forum, den Schirm für die Verteilung und Koordinierung der mittel- und langfristigen Hilfe Europas darstellen.
Das kürzlich von der Kommission und den Mitgliedstaaten abgegebene Versprechen, fast 500 Mio. EUR an Mitteln einer Verwendung zuzuführen, ist zweifelsohne ein großer und bedeutender Schritt in diese Richtung und wir alle sollten dahinter stehen.
Enrique Guerrero Salom (S&D). – (ES) Als erstes möchte ich dem so hart von dieser Katastrophe getroffenen haitianischen Volk meine Beileidsbezeugungen und Solidarität übermitteln.
Wir in der Europäischen Union sind keine Militärmacht und haben auch keine diesbezüglichen Ambitionen. Trotzdem stellen wir auf Grund unseres sozialen Modells eine Größe in der Welt dar. Auch wegen unserer Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe sind wir eine Macht, mit der zu rechnen ist, und darauf sind wir stolz.
Heute bildet Haiti, bzw. zumindest die über das Land hereingebrochene Katastrophe eine Herausforderung für die durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen, neuen Institutionen. Im Moment ist humanitäre Hilfe gefragt, aber sehr bald wird die Zeit für den Wiederaufbau, die Förderung von Entwicklung und die angebotene Unterstützung in den Bereichen Regierbarkeit und Institutionalität gekommen sein. Dann müssen wir den Erwartungen des haitianischen Volks einstimmig begegnen. Wir müssen reagieren, indem wir die Aufgaben der Hohen Vertreterin mit den Aufgaben der Kommissare für Entwicklung und humanitäre Hilfe verknüpfen.
Warum? Warum sollten wir alle an einem Strang ziehen? Um von den Staaten geleistete Hilfe wirksamer zu koordinieren, um sicherzustellen, dass unsere Hilfe effektiver ist, um mit einer europäischen Stimme zu sprechen, die weltweit erkennbar ist und um den Erwartungen der Welt an uns in Zeiten wie diesen gerecht zu werden: die Leistung von Unterstützung in dieser humanitären Krise und die Förderung von Entwicklung. Was heute in Haiti geschieht, könnte schon morgen eine weitere Katastrophe sein und übermorgen jeden anderen Winkel der Erde treffen.
Jim Higgins (PPE). – Herr Präsident, eines der ärmsten Länder der Welt, Opfer einer unfähigen Regierung, Opfer von Diktatur und Korruption wurde in nur 15 Sekunden verwüstet. Fünfzigtausend Menschen sind tot, Tausende noch vermisst und drei Millionen obdachlos.
Die Reaktion der Vereinigten Staaten war lobenswert, die der Vereinten Nationen im Vergleich etwas weniger, aber ich muss allem, was gesagt wurde, zustimmen. Dies ist kein politischer Schachzug, Herr Cashman: unsere Reaktion war weniger als angemessen. Wir sind im Windschatten der Vereinigten Staaten geblieben.
Die logistischen Schwierigkeiten werden überwunden werden – sauberes Wasser, Medikamente, Nahrung und Unterkünfte – all dies wird zu gegebener Zeit kommen. Was Haiti jedoch braucht, um sich aus dieser Katastrophe herauszukämpfen, ist eine richtig funktionierende Demokratie mit einer Wirtschaft, die ihr Volk erhalten kann. Ihre Erholung muss über die Jahre und nicht nur in den Wochen und Monaten nach dieser Krise gemessen werden.
Wie bereits immer wieder gesagt wurde, wird Letztere von den Fernsehschirmen verschwinden. Sie wird innerhalb der nächsten zwei oder drei Wochen vom Thema Nummer Eins zum Thema Nummer Drei werden und dann ganz fort sein. Aber darin liegt die wahre Herausforderung, denn im Jahr 2008 ist Haiti von zwei verheerenden Wirbelstürmen heimgesucht worden. Die Folge waren Armut und Verzweiflung. Die führenden Politiker der Welt versprachen in dieser Phase 600 Mio. EUR. Tatsächlich kamen nur 40 Mio. EUR an.
Wir benötigen einen ganz neuen Anfang, das Wiederaufleben, die Neuentstehung und Neuentwicklung von Haiti. Dies muss in angemessener Art und Weise begleitet und gesteuert werden, vor allen Dingen muss aber eine klare und umsetzbare Strategie festgelegt werden, damit Haiti zu dem stolzen, unabhängigen und demokratischen Gebilde werden kann, das es ein sollte. Jetzt und in der Vergangenheit ist es das nicht gewesen, und dies hat auch zu der aktuellen Katastrophe geführt.
Roberto Gualtieri (S&D). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die beispiellose humanitäre Katastrophe in Haiti hat uns tief getroffen und die Europäische Union hat die Pflicht, nach besten Kräften zu den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft beizutragen und alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente einzusetzen.
Was die finanziellen Mittel angeht, so sind in den letzten Tagen und Stunden bedeutende Fortschritte erzielt worden. Stärker nachgedacht werden muss über die anderen Aspekte der Reaktion Europas auf die Krise, wir sollten jedoch aufhören, uns Sorgen über unser Image zu machen und uns statt dessen auf das Wesentliche konzentrieren, wie die Hohe Vertreterin ganz richtig gesagt hat.
Die zentrale Rolle der Friedensmission MINUSTAH sowohl im Hinblick auf den Zivilschutz als auch auf die Sicherheit ist nun deutlich hervorgetreten und macht eine autonome Mission der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) unmöglich, aber die koordinierende Funktion der EU bei der Unterstützung der UN-Mission bleibt ein Schlüsselfaktor.
Was diesen Punkt anbelangt, möchte ich Herrn Juvin daran erinnern, dass so eine Koordinierung existiert und das Beobachtungs- und Informationszentrum sie in dem Bereich Zivilschutz und das Lagezentrum in dem Bereich Sicherheit leistet und es bleibt zu hoffen, dass diese Arbeit in dem Einsatz der Europäischen Gendarmerietruppe münden wird, so wie es ausdrücklich von den Vereinten Nationen gewünscht worden ist.
Es wäre angebracht, von der Hohen Vertreterin und von der Kommission darüber aufgeklärt zu werden, wie das Beobachtungs- und Informationszentrum und das Lagezentrum angesichts solcher schwierigen Aufgaben und Prüfungen in der Praxis reagieren, wie ihre Koordinierung funktioniert und ob ihre Instrumente und Mittel angemessen sind.
Dies wird uns auch später nützlich sein, wenn wir die Angemessenheit dieser Instrumente und die Möglichkeiten des konsularischen Schutzes überdenken müssen, aber jetzt ist nicht die Zeit für solche Debatten. Jetzt ist es an der Zeit zu handeln und Zusagen zu machen, und wir unterstützen voll und ganz die von der Hohen Vertreterin getroffenen Maßnahmen.
VORSITZ HERR LAMBRINIDIS Vizepräsident
Milan Zver (PPE). – (SL) Auch ich möchte mein Mitgefühl für die Ereignisse in Haiti zum Ausdruck bringen und der Europäischen Kommission und den europäischen Institutionen auch für ihre relativ angemessene Reaktion danken.
Dennoch frage auch ich mich wie einige meiner Kolleginnen und Kollegen, ob unsere Antwort schnell genug gewesen ist. Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn Frau Ashton, Vizepräsidentin der Kommission, den Schauplatz der tragischen Ereignisse persönlich besuchen würde, da sich das aus verschiedenen Gründen als wichtig erweisen könnte.
Ich widerspreche denjenigen von Ihnen, die argumentieren, dass die Präsenz von Soldaten und sonstigem Strafverfolgunspersonal den Beginn eines kolonialen Ansatzes unsererseits gegenüber Haiti ankündigen könnte. Meiner Ansicht nach sind derartige Gespräche weder fair noch angemessen.
Wichtig ist jedoch, dass wir bei der nächsten internationalen Konferenz zu Haiti langfristige Maßnahmen für die Wiedereinsetzung der staatlichen Institutionen annehmen, um ihnen die Wiederaufnahme ihrer Arbeit zu ermöglichen. Hier beziehe ich mich insbesondere auf die Gesundheits- und Bildungspolitik. Nur solche politischen Maßnahmen und nur die Entwicklung in diesen Bereichen und Institutionen können Haiti zu einem stabileren Land als bisher ausformen.
María Muñiz De Urquiza (S&D). – (ES) Herr Präsident, ich möchte die Bedeutung der Europäischen Union für die Übernahme einer Vorreiterrolle hervorheben: nicht nur unverzügliche humanitäre Soforthilfe, sondern auch eine langfristige Zusammenarbeit für den Wiederaufbau des Landes. Wir müssen mit den örtlichen Behörden und mit der Regierung von Haiti zusammenarbeiten, da das Land immer noch zu instabil ist, wobei wir es nicht noch schwächer machen dürfen, indem die internationalen Organisationen den Platz seiner Behörden einnehmen. Wir müssen auch mit den örtlichen Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten.
Ich erkenne die schnelle Reaktion der spanischen Präsidentschaft an, und zwar sowohl im Hinblick auf die Koordinierung der Hilfe als auch hinsichtlich der Bereitstellung der Hilfsgüter, die Spanien bereits im Land und in der Region hatte, für die Europäische Union, da Spanien nicht nur in Lateinamerika, sondern auch speziell in Haiti das führende europäische Geberland ist.
Marielle De Sarnez (ALDE). – (FR) Herr Präsident, Frau Ashton, bei der Politik geht es vor allem um Zeichen, und daher denke ich, Sie sollten nicht hier, sondern in Haiti sein; daher meine ich, Sie sollten nicht in die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern nach Haiti reisen.
Ich glaube - und ich sage das mit großer Traurigkeit - dass Sie die Größenordnung des Ereignisses, dieser furchtbaren Tragödie nicht richtig eingeschätzt haben, und wenn wir uns dies vor Augen halten, ist Europa noch nie so abwesend gewesen. Wir sind die größten Geber, und dennoch existieren wir nicht.
Mein zweiter Eindruck ist, je mehr wir benennen, je mehr Funktionen und Titel wir einrichten, desto weniger existieren wir, und dies sollte uns dazu veranlassen, uns selbst einige Fragen zu stellen. Wie viele Katastrophen muss es geben, bevor die Führer der Europäischen Union endlich ihrer Verantwortung gerecht werden? Der Bericht von Herrn Barnier liegt seit 2006 vor. Worauf warten wir im Hinblick auf seine Annahme? Worauf warten wir im Hinblick auf seine Anwendung?
James Nicholson (ECR). – Herr Präsident, ich denke, dass all unsere Gedanken zum Ausdruck gebracht wurden und sie zu denjenigen getragen werden müssen, die ihr Leben verloren haben: zu den Angehörigen der Vereinten Nationen, den Menschen von Haiti selbst und zu den Menschen, die leiden, obgleich sie immer noch am Leben sind.
Was wir brauchen sind zuverlässige, gemeinsame und koordinierte Maßnahmen, und nichts - aber auch gar nichts - sollte dem im Weg stehen. Kann ich sagen, dass ich das Engagement, das wir in Europa für die Menschen von Haiti gezeigt haben, begrüße? Ich hoffe, dass wir das zu Ende führen, denn ich war berührt - und es ist schon richtig - was passiert in zwei Wochen, wenn es in den Medien und Nachrichten keine Berichterstattung mehr über sie gibt? Was werden diese Menschen dann tun?
Ja, es gibt die offensichtliche Notwendigkeit, Haiti sowohl kurz- als auch langfristig wieder aufzubauen, aber am wichtigsten ist jetzt, die Hilfe an die Notleidenden vor Ort gerecht zu verteilen, an die Menschen, die leiden. Ich muss sagen, dass ich mit den vorherigen Anmerkungen von Herrn Cashman gänzlich einverstanden bin. Dies ist zu wichtig für politische Polemik.
Luis Yáñez-Barnuevo García (S&D). – (ES) Gestatten sie mir zu Beginn, der Hohen Vertreterin, dem Rat, der Kommission und der wechselnden Ratspräsidentschaft der Europäischen Union zur Schnelligkeit und Koordinierung der Maßnahmen von Beginn an zu gratulieren.
Möglicherweise haben sie sich nicht der großen Medienaufmerksamkeit durch die 10 000 auf der Insel angekommenen US-Marinesoldaten erfreut. Es wurden meiner Ansicht nach unverzüglich wirksame Maßnahmen eingeleitet, und ich habe eine Menge Erfahrung. Ich möchte eine Sache erwähnen, die in der Aussprache nicht angesprochen wurde: 50 % der Überlebenden, die während der ersten 78 Stunden aus dem Schutt geborgen wurden, sind durch Teams aus Europa und den Mitgliedstaaten gerettet worden.
Frédérique Ries (ALDE). – (FR) Herr Präsident, wie Frau Joly bereits gesagt hat, gibt es Umstände, unter denen Worte und Zeichen alle Bedeutung verlieren und sarkastisch werden: zwei Mio. Flüchtlinge - wie wir gehört haben - möglicherweise mehr, mehr als 200 000 Tote, ein Land, das vernichtet worden ist, eine Hauptstadt, die nahezu von der Landkarte ausradiert wurde.
Die Dringlichkeit ist jetzt, die letzten Überlebenden auszugraben, die Toten beizusetzen, die Lebenden zu verpflegen, Wasser zu verteilen, zu behandeln, zu operieren und wiederaufzubauen. Jedes Land ist schnell, sehr schnell mit seinen Hilfsmitteln, seiner Ausstattung, seinen Hunden, seinen Einsatzkräften und seinen Spenden abgereist. Es ist eine immense, enorme Anstrengung, aber es ist eine nationale Anstrengung.
Europa muss jetzt unbedingt in Gang kommen und dieser Idee, die einige von uns, viele von uns hier im Europäischen Parlament und andernorts jahrelang verteidigt haben, Substanz verleihen. Nämlich der Idee der Einführung eines Europäischen Zivilen Friedenskorps, von Grün- oder Weißhelmen - die Farbe ist von geringer Bedeutung - Menschen, Ressourcen und gemeinsamen Strategien.
EU-FAST, die Initiative, die von Herrn Verhofstadt im Jahr 2003 lanciert oder EuropeAid, die von Herrn Barnier im Jahr 2006 eingeführt wurde - die Urheberschaft spielt letztendlich keine Rolle - die Idee dahinter ist, in der Lage zu sein, schnell zu handeln und gemeinsam bereitzustehen.
Liisa Jaakonsaari (S&D). – (FI) Herr Präsident, ich finde es eigenartig, dass Personen hier von Präsenz gesprochen und die Motive der Vereinigten Staaten von Amerika in Zweifel gezogen haben, denn gerade jetzt ist Hilfe erforderlich. Ich denke, besonders tragisch ist, dass in den Ruinen derzeit Menschen sind, die immer noch gerettet werden könnten. Alles, was getan werden kann, um die Situation zu verbessern, sollte getan werden.
Als vor einiger Zeit die Krisenmanagementkräfte zur Stärkung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich ihrer Verteidigungspolitik eingerichtet wurden, wurde mir hier in Finnland als Grund dafür genannt, dass diese Kräfte auch bei Naturkatastrophen eingesetzt würden, und dass sie helfen könnten, wenn derartige Katastrophen irgendwo in der Welt einschließlich natürlich Europas auftreten. Nun jedoch haben die Krisenmanagementkräfte in den verschiedenen Teilen Europas, in denen sie stationiert sind, nichts zu tun. Sie haben nichts zu tun. Glücklicherweise gibt es keine Krisen in Europa, und daher haben sie nichts zu tun. Was hält diese Krisenmanagementkräfte davon ab, für Krisen wie diese eingesetzt zu werden, wenn Hilfe angefordert wird?
Zigmantas Balčytis (S&D). – (LT) Heute haben wir es nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wahrscheinlich mit der größten Tragödie zu tun, die jemals stattgefunden hat. Und wir müssen die Position der Hohen Vertreter verstehen, wenn sie gleich zu Beginn ihres Amtsantritts eine ziemlich komplizierte Aufgabe zu lösen haben, mit der sie wahrscheinlich niemals zuvor konfrontiert worden sind. Ja, es ist wahr, heute sehen wir einige Schwachpunkte, und in Zukunft benötigen wir besser vorbereitete Sicherheitskräfte der Europäischen Union, die an Rettungsmaßnahmen teilnehmen könnten. Ich denke, der größte Beitrag wäre heute, dass das aktuell für die Überweisung an die Republik von Haiti erwähnte Geld so bald wie möglich eingesetzt und in den Wiederaufbau der Infrastruktur investiert werden sollte - wie der Präsident von Haiti erwähnte. Und es kann möglicherweise für die Beseitigung einiger der eingestürzten Häuser, die heute in den Straßen liegen, genutzt werden.
Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik/ Vizepräsidentin der Kommission. – Herr Präsident, als ich anfing, wollte ich in dieses Parlament kommen, um die Standpunkte zu hören. Ich berücksichtige und verstehe die Frustration, die die Damen und Herren Abgeordneten verspüren, dass es Aspekte gibt, die besser gesteuert werden könnten.
Die Abgeordneten stellten einige Fragen zur Präsenz und Koordinierung. Es ist besteht kein Zweifel, dass - weil Amerika näher ist, weil es die Kapazität hat, Hilfskräfte und -güter sehr schnell zu mobilisieren - demnach die Bilder, die Sie auf Ihrem Fernsehschirm sehen, aus Amerika sind. Die Tastache, dass wir eng mit den Vereinigten Staaten von Amerika zusammengearbeitet haben, ist auch entscheidend für unsere zukünftige Arbeit.
Und es besteht auch kein Zweifel daran, dass - da ich in der Nacht mit der Mitteilung über das Erdbeben geweckt wurde - wir unsere Einsatzkräfte so schnell wie möglich mobilisiert haben. Einundzwanzig Mitgliedstaaten sind mobilisiert worden, um zu reagieren. Wir haben mit dem Rat und der Kommission, die zum allerersten Mal zusammengetroffen sind, Maßnahmen eingeleitet, und ich möchte Ihnen sagen, dass es nur acht Tage her ist, seit ich hier bei meiner Anhörung vor Ihnen stand.
Einundzwanzig Mitgliedstaaten mit 11 Rettungsteams, fünf Feldlazaretten, sechs modernen Krankenstationen, 40 medizinischen Teams, sechs Wasseraufbereitungsanlagen; wir haben diese so schnell wie wir konnten entsandt, und ich möchte den Mitgliedstaaten für die Arbeit, die sie leisten, höchste Anerkennung zollen. Dabei möchte ich natürlich nicht die Beamten vergessen, die Tag und Nacht gearbeitet haben und weiterhin alles tun werden, um gemeinsam Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
Ich habe die Frage, in welchen Bereichen ich mich am besten einbringen kann, direkt zu Beginn an die Vereinten Nationen vor Ort und an den Generalsekretär Ban Ki-Moon weitergeleitet. Es gab keinen Zweifel daran, dass ich nichts anderes vor Ort beitragen konnte, als kostbaren Raum einzunehmen, als die Flugzeuge über dem Flugplatz kreisten und derzeit wegen des Zustands des Flugplatzes nicht landen konnten. Ich bin keine Ärztin. Ich bin kein Feuerwehrmann. Meine Aufgabe bestand darin, die Koordinierung voranzubringen, mit den Freunden von der Haiti-Gruppe zu reden, mich mit den Vereinigten Staaten von Amerika abzustimmen, um sicherzustellen, dass wir vor Ort alles Menschenmögliche unternehmen.
Auch möchte ich wie die Damen und Herren Abgeordneten den Nichtregierungsorganisationen und den Menschen vor Ort höchste Anerkennung zollen. Die Verwüstung vor Ort betrifft auch in großem Ausmaß die Vereinten Nationen, die viele ihrer leitenden Beamten verloren haben, sowie die NRO, die nicht im Stande gewesen sind, so schnell zu reagieren, wie es erforderlich gewesen wäre, weil Mitarbeiter von ihnen gestorben sind.
Das hat es sehr schwierig gemacht, da wir Menschen gesehen haben, die dringend Hilfe benötigten und sich gefragt haben, wo die Hilfe bleibt. Die Hilfe unter diesen Umständen bereitzustellen, ist außerordentlich schwierig gewesen, und Menschen haben unermüdlich gearbeitet, um diese sicherzustellen. Mittlerweile hat sich die Situation etwas entspannt, die Hilfe gelangt nach draußen, aber unterschätzen Sie bitte nicht, wie schwierig die Umstände vor Ort gewesen sind.
Hat es gut funktioniert? Ja. Bin ich zufrieden? Nein. Als ich meine erste Woche in diesem Ressort begann, habe ich Ihnen sehr deutlich gesagt: Ich höre, was Sie sagen. Ich höre den Ärger und die Enttäuschung. Ich verstehe es. Und Sie kritisieren mich zu Recht, dass es nicht so gut ist, wie es sein könnte. Sie haben Recht. Es sollte und muss immer besser werden.
Was ich tun muss, ist, zur Kenntnis zu nehmen, was geschehen ist, und eine Lehre daraus ziehen, um sicherzustellen, dass wir in der Zukunft mehr tun werden, um an einem Strang zu ziehen. Aber ich möchte damit in keinster Weise die großartige Arbeit, die bisher geleistet wurde und weiterhin Stunde für Stunde und Tag für Tag getan wird, diskreditieren.
Langfristig gesehen haben die Damen und Herren Abgeordneten völlig Recht. Wenn die Kameras fort sind, müssen wir dort sein. Wir müssen dort Präsenz zeigen, wir müssen dort sein, um die Unterstützung, die wir leisten können, bereitzustellen. Ich teile die Ansicht, dass auch Schuldenfragen erörtert werden müssen. Ich teile die Ansicht, dass die Arbeit, die getan werden muss, zusammen mit der haitianischen Bevölkerung und mit gebührender Achtung vor ihr geleistet werden muss. Ich teile die Ansicht, dass es wichtig ist, die Infrastruktur wiederaufzubauen, und ich denke, dass wir gewährleisten müssen, dass die Rolle der Vereinten Nationen gebührend berücksichtigt wird und dass wir sicherstellen, dass sie ihrer Rolle gerecht wird.
Deshalb werde ich nicht nur in die Vereinigten Staaten von Amerika fahren, um Außenministerin Clinton zu besuchen, sondern auch zu den Vereinten Nationen, um mit dem Generalsekretär und den Hauptakteuren darüber zu sprechen, was wir jetzt tun können, um in der Zukunft gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Denn das wird, wie Sie sagen, von großer Bedeutung sein. -
Lassen Sie mich mit einigen Worten zur Situation des Landes zum Schluss kommen. Wie die Damen und Herren Abgeordneten gesagt haben, ist dies ein Land, in dem über 70 % der Bevölkerung bereits unterhalb der Armutsgrenze lebt. Wie ebenfalls bereits erwähnt wurde, ist es sehr wichtig, dass die Kinder, insbesondere die Waisenkinder, angemessen versorgt werden. Ferner wird auch in den nächsten Jahren Unterstützung erforderlich sein, um das verwüstete Land wiederaufzubauen.
Lassen Sie mich Ihnen ein wenig von der derzeitigen Infrastruktur berichten. Die Krankenhäuser, die Stromversorgung, die Trinkwasserversorgung, die Seehäfen und die Flughäfen sind schwer beschädigt worden. Die wichtigsten öffentlichen Gebäude, der Präsidentenpalast, das Parlament, das Finanz- und Justizministerium, das Ministerium für Planung, das Gesundheits- und Innenministerium sind vollständig zerstört. Zahlreiche hohe Regierungsbeamte werden vermisst. Die haitianische Regierung ist handlungsunfähig. Haiti ist bereits, wie Sie sagten, eines der ärmsten Länder der Welt, und weil wir diese Infrastruktur wieder aufbauen müssen, teile ich Ihr Engagament, sicherzustellen, dass wir dies tun werden.
(Beifall)
Karel De Gucht, Mitglied der Kommission. – (FR) Herr Präsident, zunächst möchte ich Herrn Le Hyaric, der die Verschiffung von Nahrungsmittelüberschüssen nach Haiti fordert, sagen, dass dies nicht der Ansatz der Europäischen Union ist - aus dem einfachen Grund, weil es die Kommission vorzieht, diese Erzeugnisse in der Region zu kaufen. Als Erstes werden wir sehen, ob wir sie in der Region kaufen können, anstatt unsere Überschüsse nach Haiti zu transportieren.
Mitglied der Kommission. − Lassen Sie mich zweitens im Hinblick auf den ganzen Sachverhalt der Koordinierung und des Katastrophenschutzes kurz drei Dinge ansprechen.
Zunächst ist der Katastrophenschutz eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und alle Koordinierungsinitiativen müssen auf dieser Grundlage aufbauen. Dies wurde auch durch den Barnier-Bericht vorgeschlagen, aber bislang haben wir keine Schlußfolgerungen gezogen. Es unterliegt der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und nicht der Kommission.
Zweitens hat die EU-Koordinierung des Katastrophenschutzes seit dem Tsunami im Jahr 2004 an Bedeutung gewonnen und ist viel effizienter geworden. Virtuelle Übungen können im Gegensatz zu Naturkatastrophen bedauerlicherweise natürlich niemals in ausreichendem Maße die Effektivität unserer Zusammenarbeit testen. In dieser Krise fordern Nichtmitgliedstaaten das MIC Beobachtungs- und Informationszentrum dazu auf, zu prüfen, wie sie mit EU-Einrichtungen zu den Hilfsmaßnahmen beitragen können.
Lassen Sie uns drittens nicht vergessen, dass in der zweiten Barroso-Kommission die humanitäre Hilfe und der Katastrophenschutz unter einem Kommissar vereint wurde, was, wie ich meine, eine große Leistung ist. Zusätzlich haben wir jetzt auch eine Hohe Vertreterin mit einer doppelten Funktion. Was wir in der Vergangenheit bei den Koordinierungsmaßnahmen beobachten konnten, ist, dass es zum Beispiel nicht innerhalb der Kommission Mängel gibt - ich werde gleich darauf zurückkommen - sondern dass es bisweilen Abstimmungsprobleme zwischen den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten sowie zwischen der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat gibt. Die Idee hinter der doppelten Funktion eben ist, dass der Rat und die Kommission besser zusammenarbeiten können, und wie ich meine, hat sich in dieser Krise gezeigt, dass dies tatsächlich ein großer Fortschritt ist. -
Abschließend möchte ich auch sagen, dass ich ein wenig traurig darüber bin, was einige Redner geäußert haben. Natürlich kann ich als Kommissar nicht traurig sein, ich muss lediglich Notiz davon nehmen. Aber es zollt all unseren Einsatzkräften, die vor Ort und in Brüssel von der ersten Stunde an Tag und Nacht und am Wochenende völlig klaglos, und ohne um irgendeine Vergütung zu bitten, gearbeitet haben, keine ausreichende Anerkennung. Sie haben sehr hart gearbeitet, und sie waren auch innerhalb von Stunden an Ort und Stelle aktiv, obgleich auch ihre Einrichtungen schwer getroffen waren.
Bedenken Sie demnach bitte, dass es sich hierbei um eine Katastrophe großen nicht vorhersehbaren Ausmaßes handelt, auf die man nur reagieren kann, wenn sie stattfindet, und bei der entscheidend ist, dass man innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums Hilfe organisieren kann. Ich denke, dass die Kommission dies unter Beweis gestellt hat. Die Mitgliedstaaten haben unsere Maßnahmen in großem Umfang unterstützt, und ich denke, wir sollten auch etwas kritisch im Hinblick auf diese Leistungen sein.
Der Präsident. – Die Aussprache wird geschlossen.
Die Abstimmung findet während der Februar-Tagung statt.
Schriftliche Äußerungen (Artikel 149)
Maria Da Graça Carvalho (PPE), schriftlich. – (PT) Ich möchte meine Solidarität mit den vom Erdbeben betroffenen Menschen von Haiti zum Ausdruck bringen, das das Land am 12. Januar ereilt hat, und ich begrüße die durch die EU gemachten Hilfszusagen. Die Europäische Union ist der weltweit größte Träger von humanitärer und Entwicklungshilfe. Wenige Stunden nach der Katastrophe hat die EU 3 Mio. EUR für die ersten Hilfsmaßnahmen bereitgestellt. Eine Summe von 134 Mio. EUR wurde für die Erstrehabilitation und den Wiederaufbau bereitgestellt. 200 Mio. EUR sind zusätzlich zu den 92 Mio. EUR, die von verschiedenen EU-Ländern gespendet wurden, für die langfristige Rehabilitation zurückgestellt worden. Diese sich auf 429 Mio. EUR belaufenden Beträge können in Abhängigkeit von der Bedarfsanalyse weiter erhöht werden. Ich möchte der Europäischen Kommission zur ihrer Koordinierung der Hilfe gratulieren, aber ich bin enttäuscht darüber, dass die Europäische Union vor Ort nicht präsent genug gewesen ist. Dies schadet dem Ruf der EU im Hinblick auf die internationale öffentliche Meinung und steht im Gegensatz zum Ansehen der Vereinigten Staaten von Amerika, die 91,6 Mio. EUR gespendet haben. Während dieser Krise hat es einen eindeutigen Bedarf an ärztlicher Versorgung gegeben, daher fordere ich eine Erhöhung der Zahl von Ärzten und medizinisch-technischen Assistenten und eine größere logistische Unterstützung.
Gaston Franco (PPE), schriftlich. – (FR) Ich bin überrascht über die Abwesenheit der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik am Schauplatz der Naturkatastrophe in Haiti. Trotz des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon hat die Europäische Union immer noch Schwierigkeiten, ihr Gesicht auf der internationalen Bühne zu zeigen, und das ist überaus bedauerlich. Es scheint mir, dass das europäische Krisenreaktionssystem zu inhomogen, zu komplex und nicht effizient genug ist. Was genau deckt im Hinblick auf die Rehabilitation von Haiti (wofür 100 Mio. EUR vorgesehen sind) und den Wiederaufbau des Landes (200 Mio. EUR) der EEF (Europäischer Entwicklungsfonds) und das Stabilitätsinstrument ab? Um darüber hinaus auf das Ersuchen der Vereinten Nationen um Hilfen in den Bereichen Logistik und Sicherheit zu reagieren, muss die Europäische Union meiner Ansicht nach in der Lage sein, alle Instrumente, die der Vertrag von Lissabon vorsieht, einschließlich einer militärischen Reaktion, einzusetzen. Ich fordere die rasche Einrichtung eines europäischen Katastrophenschutzes, wie von Herrn Barnier im Jahr 2006 mit dem Ziel ausgearbeitet, zu einer europäische Reaktion zu gelangen, die geplant, wirklich koordiniert und effektiv ist. Die jüngsten Äußerungen von Herrn Van Rompuy sind vom Grundsatz her zu befürworten. Er hat sich für die Bildung einer humanitären Schnelleingreiftruppe eingesetzt. Was sieht dieses Projekt genaus aus und wann wird es ins Leben gerufen?
Filip Kaczmarek (PPE), schriftlich. – (PL) Meine Damen und Herren, die uns aus Haiti erreichenden Berichte sind schockierend. Es ist eine der schrecklichsten Katastrophen, die sich bisher ereignet haben. Wir können jedoch bereits gewisse Schlußfolgerungen daraus ziehen, die für die Zukunft von Nutzen sein können. Es ist klar geworden, dass die Mechanismen zur Koordinierung humanitärer Hilfe nicht die effizientesten sind. Die Hilfe für die Bevölkerung hätte effektiver sein können, wenn die Spender der humanitären Hilfe bessere Mittel zur Koordinierung ihrer Arbeit hätten einsetzen können. Die Verbesserung der Zusammenarbeit ist nicht nur eine Angelegenheit für die Europäische Union, denn ein Fortschritt in diesem Bereich erfordert konstruktive Analysen und Maßnahmen seitens aller größeren Geberländer. In Situationen wie der heutigen in Haiti sind Schnelligkeit, Angemessenheit und Flexibilität von großer Bedeutung. Heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu beraten, wer zum Beispiel den Flughafen in der Hauptstadt von Haiti kontrollieren sollte. Das ist natürlich wichtig, aber Entscheidungen zur Umsetzung spezifischer Lösungen sollten zu einem anderen Zeitpunkt erfolgen. Jetzt müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um uns auf das wichtigste Ziel zu konzentrieren - auf die Rettung menschlichen Lebens.
Alan Kelly (S&D), schriftlich. – Uns allen zeigt das jüngste Erdbeben in Haiti, wie anfällig das Leben auf dieser Erde sein kann. Uns alle haben die Bilder und Geschichten, die uns in den letzten Tagen über die Medien erreichten, berührt. Die Reaktion der Weltgemeinschaft auf diese Naturkatastrophe war unglaublich, und ich erwähne all diejenigen lobend, die die Hilfsmaßnahmen unterstützen oder die Hilfsmaßnahmen von zu Hause aus finanziell unterstützen. Es wird für die Bevölkerung von Haiti Generationen dauern, um sich vollständig von einem Ereignis zu erholen, was sich hoffentlich nur einmal im Leben ereignet. Es ist wichtig, dass sich dieses Parlament gegenüber diesen Menschen solidarisch zeigt. Es wäre meine Hoffnung, dass die Europäische Union eine führende Rolle dabei spielte, diesen Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu geben. Auf die kurzfristige Katastrophenhilfe muss längerfristige Hilfe folgen, um die zukünftigen Generationen dabei zu unterstützen, sich von diesem überaus entsetzlichen Martyrium zu erholen. Die Art und Weise, wie die Abgeordneten dieses Parlaments über alle politischen Fraktionen hinweg bislang reagiert haben, ist äußerst ermutigend. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen, um alles in meiner Macht Stehende für die Bevölkerung von Haiti zu tun. Die EU sollte ein gutes Beispiel der Wohlhabenden abgeben, die immer willens sind, den im Vergleich zu uns Benachteiligten eine Hand zu reichen.
Joanna Katarzyna Skrzydlewska (PPE), schriftlich. – (PL) Herr Präsident, täglich erreichen uns die tragischen Nachrichten über das katastrophale Erdbeben in Haiti. Diese Nachrichten machen deutlich, dass Haiti in ein totales Chaos geraten ist, und wenn es ohne Hilfe bleibt, kommt es mit den Auswirkungen dieser furchtbaren Tragödie nicht zurecht. Die gesamte internationale Gemeinschaft einschließlich der Europäischen Union ist dazu verpflichtet, den Opfern dieser Katastrophe, die vollständig lebensnotwendiger Güter beraubt sind, Hilfe zu leisten. Deshalb möchte ich eindringlich die zuständigen Institutionen der Europäischen Union aufrufen, um sofortige und effektive Maßnahmen zu treffen, damit so schnell wie möglich die erforderliche Hilfe und Unterstützung für die Erdbebenopfer in Haiti entsandt werden kann.
Der Präsident. Der nächste Tagesordnungspunkt ist die Stellungnahme der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission zur Lage im Iran.
Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission. – Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, dies ist eine wichtige Gelegenheit, um die Situation im Iran anzusprechen.
Die Europäische Union wünscht normale Beziehungen zum Iran, und unsere Bemühungen in der Atomfrage gehören dazu. Vor diesem Hintergrund werde ich die Rolle meines Vorgängers Javier Solana als Hohe Vertreterin in den internationalen Gesprächen mit dem Iran fortsetzen.
Der Iran ist ein wichtiges Land mit einer lange zurückreichenden Geschichte und reichen Kultur sowie einer bemerkenswert talentierten Bevölkerung. Die Filme und Bücher aus dem Iran sind beeindruckend, das Bildungsniveau von Frauen ist sehr hoch, es werden öffentliche Debatten geführt und die Jugend ist sehr dynamisch und aktiv. In verschiedener Hinsicht weist die iranische Gesellschaft Merkmale einer freien Gesellschaft auf. Die Bedrohung der Gesellschaft hat sich in den Unruhen widergespiegelt, die auf das gefolgt sind, was viele im Iran im vergangenen Jahr als Wahlfälschungen gesehen haben. Das ist natürlich eine Angelegenheit der iranischen Bevölkerung. Unsere Sorge ist, dass internationale Normen im Hinblick auf bürgerliche und politische Rechte nicht eingehalten werden.
In dieser Hinsicht bin ich tief besorgt über die Berichte zur brutalen Unterdrückung von Demonstrationen und willkürlichen Verhaftungen in Teheran und anderen iranischen Städten während der jüngsten Ashura-Gedenkfeiern Ende Dezember. Der Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten, die versuchen, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit auszuüben, ist nicht akzeptierbar. Dies sind allgemeine Menschenrechte, die geachtet werden müssen, und diejenigen, die wegen der friedlichen Ausübung dieser Rechte inhaftiert wurden, sollten freigelassen werden.
Ich nehme auch mit tiefer Besorgnis zur Kenntnis, dass viele Festnahmen auf Menschenrechtsaktivisten und Journalisten abzuzielen scheinen, und vielen Inhaftierten der Zugang zu rechtlicher Vertretung und zum Kontakt mit ihren Familien verwehrt wird. Iran muss seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen und festgenommene Personen in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen gerecht behandeln.
Eine weiterer jüngster Vorfall ist die Inhaftierung von weiteren 12 Mitgliedern der Religionsgemeinschaft der Baha'i. Diesen Personen muss ein offener und fairer Prozess in Übereinstimmung mit internationalen Normen garantiert werden.
Die EU hat keine Gelegenheit ausgelassen, die iranische Regierung darum zu bitten, diese internationalen Verpflichtungen, die sie freiwillig eingegangen ist, einzuhalten. Wir äußern uns öffentlich und nutzen sonstige diplomatische Wege. Wir arbeiten über die Vereinten Nationen: die UN-Generalversammlung hat eine Entschließung angenommen, die die Lage erst im vergangenen Monat verurteilt hat. Wir werden auch die bevorstehende Überprüfung Irans, die im frühen Februar vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf vorgenommen wird, unserer Arbeit zu Grunde legen.
Bezüglich der Atomfrage bedauern wir, dass Teheran das letzte Treffen zwischen Javier Solana und dem Chefverhandler Jalili am 1. Oktober in Genf nicht weiterverfolgt hat. Wir hatten alle angenommen, dass das Treffen positiv verlaufen war. Aber faktisch hat Iran jetzt einen von der IAEO (Internationale Atomenergie-Organisation) vorgeschlagenen Entwurf eines Abkommens zurückgewiesen und die Fortsetzung von Gesprächen zur Atomfrage abgelehnt.
Die EU und ihre Verhandlungspartner sind alle gewillt, eine diplomatische Lösung für die iranische Atomfrage zu finden, und in dieser Hinsicht müssen wir den zweigleisigen Ansatz weiterhin verfolgen. Wir brauchen vonseiten Teherans eine Bereitschaft zu ernsthaften Gesprächen.
Unser Ziel bleibt es, Vertrauen dahingehend aufzubauen, dass das Atomprogramm ausschließlich für friedliche Zwecke vorgesehen ist. Das Misstrauen wurde durch die Ankündigung, dass der Iran, ohne die IAEO rechtzeitig darüber zu informieren, eine weitere Anreicherungsanlage gebaut hat, weiter verstärkt. Außerdem kooperiert der Iran weiterhin nicht in vollem Umfang mit der IAEO und hält seine internationalen Verpflichtungen nicht ein.
Es ist entscheidend, dass die EU und die internationale Gemeinschaft vereint hinter den Verhandlungsbemühungen stehen, einschließlich einer Unterstützung dieser Anstrengungen mittels geeigneter Maßnahmen. Die größtmögliche Einigkeit ist der Schlüssel, wenn wir unser Ziel erreichen wollen.
Wenn der Iran einen konstruktiveren Weg zur Atomfrage und zur regionalen Stabilität im Allgemeinen einschlägt, könnte er eine wichtige Rolle im Mittleren Osten und in der Golfregion spielen. Dies würde den Platz, der ihm zukommt und seine stolze Geschichte widerspiegeln.
Abschließend möchte ich sagen, dass die vom Iran gestellten Herausforderungen in meinem Ressort sehr schwer wiegen. Dies ist ein Land, welches über ein enormes Potenzial verfügt - und unsere Bereitschaft, uns konstruktiv auf den Iran einzulassen, ist immer wieder gezeigt worden. Ich werde weiterhin dafür plädieren. Ich hoffe aufrichtig, dass ich während meines Mandats zu diesem Parlament mit einem besseren Bild der Beziehungen zum Iran zurückkehren werde.
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-Fraktion. – (ES) Baroness Ashton, Sie haben ganz Recht, besorgt zu sein, denn die Situation in Afghanistan ist besonders unter Menschenrechtsgesichtspunkten sehr ernst. Ich beziehe mich insbesondere auf die bürgerlichen Rechte und politischen Freiheiten, wo wir wirklich ein unglaubliches Versagen erleben: die willkürliche Ausübung von Gewalt, Inhaftierungen in großer Anzahl von Mitgliedern der Opposition, Ermordungen, Hinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, die von ihrer Arbeit abgehalten werden und die Untergrabung der Pressefreiheit. Einer Delegation des Europäischen Parlaments wurde sogar die Einreise verboten.
Herr Präsident, angesichts der gegenwärtigen Umstände frage ich mich, ob der Besuch des Landes zu diesem Zeitpunkt nicht hinterfragt werden kann.
Ihre Äußerungen zur Atomfront, Baroness Ashton, waren sehr klar und auch sehr unverblümt. Iran stellt trotz der Warnungen der internationalen Gemeinschaft weiterhin angereichertes Uran her. Es hat die ausgestreckte Hand, die ihm durch Präsident Obama dargeboten wurde, zurückgewiesen und den jüngsten von der Sechsergruppe, einschließlich Russlands und Frankreichs, vorgeschlagenen Plan abgelehnt.
Meine Frage, Baroness Ashton, ist sehr einfach: Glauben Sie, dass unsere Geduld mit diesem Land bereits erschöpft ist? Glauben Sie, wir sollten jetzt damit weitermachen, schlagkräftigere Maßnahmen anzuwenden oder erachten Sie stattdessen einen vorsichtigen Ansatz für den besten Weg, mit dem iranischen Regime zu verhandeln?
Ich möchte Ihnen sagen, dass ich Ihre Erklärung zugunsten der Verteidigung der Menschenrechte in diesem Land aufrichtig begrüße. Die Verletzungen sind sehr schwerschwiegend, und ich glaube, Herr Präsident, dass das Parlament die Menschenrechtssituation in dem Land vorbehaltlos verurteilen muss. Ich hoffe, dass es dazu in der Lage sein wird, indem es der Entschließung zu dieser Frage zustimmt. Das Parlament muss weiterhin konsequent, sehr konsequent in seiner unermüdlichen Verteidigung der Freiheit fortfahren.
Roberto Gualtieri, im Namen der S&D-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, in Anbetracht der Entwicklungen der Situation im Iran kann man eigentlich nur tiefe Besorgnis äußern. Diese Besorgnis bezieht sich auf die zunehmenden Verstöße gegen politische und bürgerliche Rechte, die wir mit aller Entschiedenheit verurteilen, sowie auf die Pflichtverletzungen, die sich aus Irans Mitgliedschaft im Atomwaffensperrvertrag ergeben, und für die das Land sogar selbst feststellt, dass es keine Zweifel säen möchte.
Wir stellen weder das Recht des Iran auf eine friedliche Entwicklung der Atomenergie in Frage, noch unterschätzen wir die wichtige Rolle, die der Iran auf einer regionalen Ebene spielen kann, wir bestreiten auch sein legitimes Sicherheitsbedürfnis nicht oder die Notwendigkeit der Schaffung eines zuverlässigen Systems regionaler Sicherheit, das alle Atomkraftwerke in dem Gebiet einbezieht. Gerade deshalb verstehen wir die Gründe für die Nichteinhaltung des Antrags der Internationalen Atomenergiebehörde nicht, das Uran im Ausland anzureichern, und wir bedauern diese Entscheidung.
In Anbetracht dieser Situation obliegt es dem Sicherheitsrat, die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und die Möglichkeit neuer Sanktionen zu bestimmen, die auf die Nichtverbreitung ausgerichtet und als Instrument vorgesehen sein sollten, den Weg durch den schwierigen, aber unvermeidlichen Dialog zu unterstützen, aber nicht das Regime niederzuschlagen.
Im Hinblick auf dieses Vorgehen sollte die Europäische Union dazu beitragen, zur richtigen Zeit und durch die richtige Herangehensweise Ideen für mögliche technische Maßnahmen zur Ergänzung der UN-Sanktionen zu vermitteln und gleichzeitig ihre Bereitschaft zu Austausch und Dialog zu bekräftigen, die gerade in schwierigen Zeiten nie verloren gehen sollten.
Wir unterstützen in vollem Umfang die Maßnahmen der Europäischen Union und der Hohen Vertreterin in Übereinstimmung mit dem Ansatz, der in der Rede der Hohen Vertreterin klar dargelegt wurde.
Marietje Schaake, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, im vergangenen Sommer wurde ich in das Europäische Parlament gewählt, weil ich Kritik an meiner eigenen Regierung geäußert hatte. Eine junge Frau im Iran, die das gleiche getan hätte, wäre seitdem wahrscheinlich ermordet, inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt worden.
Dank der neuen Medien haben wir alle die Clips über die brutale Weise gesehen, mit der das iranische Regime hart gegen friedliche Demonstranten für Demokratie und Freiheit vorgeht. Die jüngsten Inhaftierungen von Menschenrechtsberichterstattern durch den Nachrichtendienst der Revolutionsgarden zeigt, dass das iranische Regime ein erhöhtes Interesse daran hat, das Land abzuriegeln. Auf ihre Berichte hatten sich internationale Journalisten verlassen.
Gestern war Martin-Luther-King-Tag. Wir gedenken eines Mannes, der auch friedlich durch die Strassen marschierte und sagte: ,,Es wird eine Zeit kommen, wo die Ruhe trügerisch ist." Hohe Vertreterin, diese Zeit ist längst gekommen.
Präsident Barack Obama hat seinen Urlaub über Weihnachten unterbrochen, um sich gegen noch mehr brutale Anschläge auf Bürger nach dem Ashura-Fest auszusprechen. Bei der vorgeschlagenen zweigleisigen die Atomfrage und die Menschenrechte ausgleichenden Vorgehensweise gegenüber dem Iran betonen die Vereinigten Staaten von Amerika zunehmend die Menschenrechte. Europa sollte hier eine stärkere Vorreiterposition einnehmen - nicht nur, wenn es sich über seine politischen Maßnahmen im Klaren ist.
Die Katastrophe in Haiti ist eine furchtbare Tragödie, und ich freue mich, dass Sie Maßnahmen ergreifen. Jedoch ist der vom Menschen verursachten Katastrophe, die im Iran anhält, bislang noch nicht mittels Führung und Koordinierung von der europäischen Seite begegnet worden. Im vergangenen Monat sollte eine Delegation dieses Parlaments den Iran besuchen, aber das Regime wollte nicht, dass wir mit unseren eigenen Augen die Schwächung und Spaltung des Regimes sehen. Es ist höchste Zeit, dass Europa eine Haltung im Hinblick auf den Iran einnimmt, und die Welt wartet.
Ist das gegenwärtige Regime des Iran, welches seine Legitimität verloren hat und intern gespalten ist, ein glaubwürdiger Akteur in Verhandlungen? Welche Maßnahmen schlagen Sie in der die Regierung betreffenden Atomfrage vor, ohne der Bevölkerung zu schaden? Sind Sie bereit, in Europa eine „Notfall“-Runde zum Iran einzuberufen?
Um sicherzustellen, dass die Menschenrechte Europas Priorität bleiben - wie werden Sie das EU-Instrument für die Menschenrechte einsetzen? Ich glaube, wir müssen die Bürger, die Zivilgesellschaft und die Journalisten unterstützen. Das durch den tschechischen Ratsvorsitz vorgeschlagene ,,Shelter City"-Programm könnte ein nützliches Instrument für die Unterstützung bedrohter Iraner in Europa sein.
In den Anhörungen mit Kommissarin Kroes habe ich sie gefragt, ob sie bereit ist, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet zu einem Bestandteil von Europas Außenpolitik zu machen. Ich frage Sie das gleiche.
Barbara Lochbihler, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrte Vizepräsidentin Baroness Ashton! Das Europäische Parlament hat sich intensiv mit den innen- und außenpolitischen Entwicklungen im Iran beschäftigt. Die Iran-Delegation hat einen Dialog mit Vertretern der Regierung und der Zivilgesellschaft geführt und sich auf eine Delegationsreise Anfang des Monats vorbereitet, die leider kurzfristig abgesagt wurde.
Gerade die Unzufriedenheit mit den gefälschten Wahlen und die stetige Zunahme von staatlicher Repression und Gewalt hat Vertreter der iranischen Zivilgesellschaft dazu gebracht sich auch an das Europäische Parlament zu wenden. Sie suchen bei ihrem mutigen Einsatz für die Gewährung demokratischer Freiheiten unsere Unterstützung und appellieren an uns, die eigenen grundlegenden Werte ernstzunehmen. Die Proteste sind vielfältig und dauern an. Die iranische Regierung ist aufgefordert, politische Antworten auf diese ungelösten Fragen zu geben, doch stattdessen beobachten wir eine Zunahme schwerster Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Vergewaltigungen von Inhaftierten, erfahren wir von Tötungen von Demonstranten, finden unfaire Gerichtsprozesse statt.
Viele Iraner und Iranerinnen erwarten von uns, dass wir nicht nur die Außenpolitik und das Nuklearprogramm im Auge haben, sondern hinsehen und handeln, wenn es um die politischen Verhältnisse im Iran geht. Es ist zu begrüßen, dass Länder wie Spanien und Irland bereit sind, verfolgten Menschenrechtsverteidigern unbürokratisch Visa zu erteilen und ihnen so aus akuter Gefahr zu helfen. Andere Mitgliedstaaten sollten diesem Beispiel folgen, und auch die Kommission ist gefragt, hier politisch Verfolgten schnell zu helfen.
Wir können von außen nur begrenzt aktiv werden. Entscheidende Veränderungen müssen aus dem Land selbst kommen. Wir müssen allerdings die Kommunikationskanäle nach außen offenhalten. Dabei ist es auf das Schärfste zu kritisieren, dass ausländische Firmen wie Siemens und Nokia mit ihrer Technologie dazu beitragen, die Zensur zu ermöglichen und zu verbessern.
Da die Verhandlungen zum Nukleardossier nicht zur Einigung geführt haben, wird zunehmend über die Verhängung von Sanktionen diskutiert. Ungeklärt ist jedoch, welche Sanktionen den gewünschten Einfluss auf die politische Führung haben. Führen die Sanktionen zu einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse von vielen, wie z. B. die Sanktionierung von Benzin, dann verfehlen sie ihr Ziel und eröffnen der Regierung die Möglichkeit, das sogenannte feindliche Ausland für die zunehmende wirtschaftliche Not verantwortlich zu machen.
Es ist also von großer Bedeutung, gezielte und intelligente Sanktionen eventuell auch gegenüber Einzelpersonen zu entwickeln. So kann z. B. der Rat einzelne Verantwortliche für die Repressionsmaßnahmen der letzten Monate auf den Index setzen. In der Iranpolitik der EU ist es entscheidend, dass eine double track Politik gemacht wird und dass daran festgehalten wird. Wir müssen trotz der Zurückweisungen den politischen Dialog suchen. Eine Isolation des Iran würde weder den Menschen dort noch den Nachbarn in der Region helfen.
Charles Tannock, im Namen der ECR-Fraktion. – Herr Präsident, die Rücksichtslosigkeit von Präsident Ahmadinejad hinsichtlich der Entwicklung von Atomwaffen stellt meiner Ansicht nach heute die gravierendste Bedrohung für den Weltfrieden dar.
Nur mittels einer geeinten und koordinierten Vorgehensweise wird die EU-Diplomatie eventuell erfolgreich sein. Erneute Sanktionen müssen jetzt zielgerichtet und für das Regime in Teheran extrem beeinträchtigend sein. Aber zugleich ist zu berücksichtigen, dass die iranische Bevölkerung und das iranische Regime nicht dasselbe sind.
Seit Ahmadinejad im letzten Jahr die Präsidentschaftswahlen gestohlen hat, haben wir viele Dissidenten und mutige junge Protestanten auf die Straße gehen sehen. Diese Menschen brauchen unsere Unterstützung, da sie sich mit unseren Werten der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit identifizieren. Tatsächlich ist die Verzweiflung im Iran so groß, dass Oppositionsführer Mir Hossain Musavi, der in der Vergangenheit kaum als Oppositionsführer bekannt war, seine Bereitschaft geäußert hat, sein eigenes Leben für das künftige Wohl seines eigenen Landes zu opfern. Währenddessen werden abscheuliche Menschenrechtsverletzungen unvermindert fortgesetzt, da Jugendliche und Homosexuelle routinemäßig hingerichtet werden.
Wir Abgeordnete in diesem Parlament möchten auf lange Sicht einen demokratischen und freien Iran sehen, der nicht mehr länger den Terrorismus über die Hamas und Hisbollah exportiert und seinen rechtmäßigen Platz in der internationalen Gemeinschaft einnimmt. Die EU sollte ihre Anstrengungen verdoppeln, um diesen Prozess auf jede mögliche Weise voranzutreiben.
Bastiaan Belder, im Namen der EFD-Fraktion. – (NL) Herr Präsident, die Medien haben mich in der vergangenen Woche mit einer heiklen Aussage konfrontiert: Israel, sagen sie, wird seinen Erzfeind Iran früher oder später angreifen. Während diese Debatte in Europa anhält, haben auch die Medien im Iran die militärsche Option gegen Teherans kontroverses Atomprojekt intensiv diskutiert. Alles zionistische Lügen und Übertreibungen, war das Urteil der konservativen Zeitung Kayan zu der behaupteten atomaren Bedrohung. Mittlerweile gibt es keinen Zweifel, dass das Atomprogramm der Islamischen Republik Iran eine ernste Sicherheitsbedrohung darstellt - in erster Linie für Israel, aber auch für die gesamte Region. Ich hoffe daher immer noch, dass die internationale Gemeinschaft dies nicht länger nur erkennt, sondern in dieser Hinsicht tatsächlich Maßnahmen ergreifen wird. Meiner Ansicht nach müssen in diesem Zusammenhang alle Optionen erörtert werden. Ein System effektiver Sanktionen, zu dem die deutsche Bundeskanzlerin Frau Merkel gestern noch aufgerufen hat, wird auf alle Fälle bedeuten, dass der jüdische Staat in Zukunft überhaupt keine einseitigen Maßnahmen treffen muss.
Das führt mich zu einer entscheidenden Frage an den Rat und an Sie, Hohe Vertreterin. Gibt es tatsächlich eine europäische Grundlage für die rigorose Straffung der Sanktionen gegenüber dem iranischen Regime? Die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen einigen prominenten EU-Mitgliedstaaten - ich muss keine Namen aufzählen, da auch Sie wissen, wer diese sind - und der Islamischen Republik Iran könnten in Bezug auf die ernste Behandlung der Atomfrage immer größere Hindernisse darstellen. In den letzten Wochen hatte die Zeitung The Wall Street Journal eine Reihe sarkastischer Stellungnahmen dazu verfasst, was praktisch eine Anklageschrift gegenüber Europa darstellt. Kurz gesagt, Baroness Ashton, gibt es eine Grundlage für die Straffung effektiver Sanktionen gegenüber der Islamischen Republik Iran? Ich erwarte Ihre Antwort.
Franz Obermayr (NI). - Herr Präsident! Gerade die jüngsten Ereignisse haben deutlich gemacht, dass der Umgang mit bürgerlichen Freiheiten im Iran aus europäischer Sicht klare Defizite aufweist. Das Todesurteil gegen die kürzlich verurteilten Demonstranten ist ein Zeichen dafür, wie unterschiedlich Grundrechte und ihre Einhaltung im besagten Land gehandhabt werden. Es ist dennoch auch wichtig zu betonen, dass die Außenpolitik der EU nicht einseitig gewichtet werden darf, denn oft werden bei wirtschaftlich und geostrategisch wichtigen Partnern – wie vielleicht China oder Saudi-Arabien – gerne beide Augen zugedrückt, obwohl auch dort gravierende Abweichungen von unseren europäischen Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bestehen.
Als Mitglied der Iran-Delegation ist es mir daher ein besonderes Anliegen, dass die verschobene Reise in den Iran so bald wie möglich nachgeholt wird, um so auch die bilaterale Kommunikation mit der EU zu verbessern und dadurch im Dialog zur Entschärfung der dramatischen Situation im Iran auch einen Beitrag leisten zu können.
Lena Kolarska-Bobińska (PPE). – (PL) Herr Präsident, Baroness Ashton, die innenpolitische Lage im Iran verschlechtert sich von Tag zu Tag und von Woche zu Woche dramatisch. Die Menschenrechte werden vor unseren Augen brutal verletzt, und wir sehen einen Terror, mit dem wir über Jahrzehnte hinweg nicht mehr konfrontiert wurden. Durch eine beispiellose Welle staatlicher Repressionen versucht man diejenigen zum Schweigen zu bringen, die im Iran für demokratische Reformen kämpfen. In dem Kampf gegen seine Bürger setzt die Regierung auch speziell ausgebildete, bewaffnete junge Menschen der Basij-Miliz ein.
Das Europäische Parlament muss den exzessiven Einsatz von Gewalt und die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung verurteilen. Der Einsatz der Todesstrafe gegen die Opposition ist gleichermaßen inakzeptabel, einschließlich des Vorwands der Straftat des „Moharebeh“, des Krieges gegen Gott. Daher benötigt die Europäische Union einen neuen Ansatz im Hinblick auf die Lage im Iran. Die Hohe Vertreterin der Europäischen Union, Catherine Ashton, sollte eine überzeugende und deutliche Botschaft an die Bürger des Irans senden, die unseren Wunsch nach Verteidigung der Menschenrechte bekräftigt.
Die Frage der Atomwaffe ist extrem wichtig. Wir sollten jedoch mit der Verteidigung von Wertvorstellungen nicht deshalb aufhören, um einfach einen taktischen Vorteil in Verhandlungen zu erzielen. In den Gesprächen mit dem Iran dürfen wir die Rechtsstaatlichkeit, die freie Meinungsäußerung oder das Recht auf Information nicht marginalisieren. Diese Werte dürfen nicht so behandelt werden, als seien sie von geringerer Bedeutung.
Ich stamme aus Polen, wo vor über 20 Jahren im Jahr 1989 die Tyrannei der Demokratie gewichen ist. Dies ist Dank der gewaltfreien Aktionen der oppositionellen Solidarność-Bewegung und dem friedlichen Dialog zwischen der Regierung und der Bevölkerung geschehen. Ich sehe keinen besseren Weg für die Bevölkerung des Iran.
Ana Gomes (S&D). – (PT) Die iranische Frage ist eine der wichtigsten Fragen in der modernen internationalen Politik. Es muss alles getan werden, um dem iranischen Regime, was für den Frieden und die Sicherheit im Nahen Osten derartig abträglich war, den Zugang zu Atomwaffen zu verwehren.
Jedoch darf sich die Rolle der Europäischen Union in ihren Beziehungen mit dem Iran nicht in der Atomfrage erschöpfen. Seit den manipulierten Wahlen im Juni sind wir Augenzeugen einer Volksbewegung gegen das repressive, reaktionäre und demokratiefeindliche iranische Regime geworden.
Europa muss den universellen Wert der Menschenrechte, für die viele Menschen in den Straßen von Teheran ihr Leben riskieren, weiterhin konsequent stärken. Ohne das souveräne Recht der Bevölkerung infrage zu stellen, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden, ist es geboten, dass die Europäische Union Schritte unternimmt, um diejenigen zu ermutigen, die für die Freiheit und Demokratie im Iran kämpfen. Es gibt nichts Effektiveres als freie und alternative Informationskanäle für den Kampf gegen die Zensur, die eine Domäne aller repressiven Regimes ist.
Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass Euronews in Kürze persische Programme ausstrahlt, was durch die Europäische Kommission initiiert wurde.
Wir erwarten auch, dass Baroness Ashton als die neue Hohe Vertreterin kreative Initiativen voranbringen wird, die zu einer größeren politischen Transparenz im Iran beitragen werden, und dass sie die Empfehlungen all derjenigen berücksichtigt, die für ein freies Iran kämpfen, einschließlich aller Exiliraner.
Darüber hinaus sollten durch diese Sorge über die politische Zukunft des Iran alle neuen Sanktionen gelenkt werden, über die im Kontext der Nuklearfrage entschieden wird. Wie der iranische Intellektuelle Akbar Ganji hier im Parlament darlegte, ist es ein Gebot, Wirtschaftssanktionen, die die Bevölkerung und insbesondere die iranische Mittelklasse als Basis der Opposition treffen, zu vermeiden.
Nichts kann mehr für die Sicherheit im Nahen Osten, in Europa und der Welt tun, als eine iranische Demokratie, die durch die Iraner initiiert wird. Die Europäische Union muss dies zu einem ihrer Ziele machen.
Frédérique Ries (ALDE). – (FR) Herr Präsident, der Iran geht seit dem Jahr 1979 wegen dieses Regimes zweifellos durch die schwerwiegendste Krise in seiner Geschichte. Ein Regime, das immun gegen jegliche Veränderungen ist und unter dessen Herrschaft gezielte Morde an Oppositionellen, Durchsuchungen und Inhaftierungen sowohl friedlicher Demonstranten als auch von Journalisten seit der Wahlfarce des 12. Juni 2009 zugenommen haben.
Zu Beginn der Aussprache erwähnte Frau Ashton die in dieser Hinsicht verheerenden Berichte der Nichtregierungsorganisationen, ohne dass die Justizparodie erwähnt wurde, die der Französin Clotilde Reiss und der Minderheit der Baha'i zuteil wurde - von denen seit vergangenem Montag sieben Angehörige in Teheran vor Gericht gestanden haben. Sie riskieren lebenslange Inhaftierung oder Schlimmeres, nur weil sich ihre Religion von der Religion der Machthaber unterscheidet.
Der Bericht ist hart, die Präsidentschaftswahlen haben nichts verändert, oder vielmehr doch: sie haben das iranische Regime noch mehr radikalisiert, wenn dies möglich ist; es gibt auch eine Radikalisierung im Außenverhältnis, mit der Kehrtwende der iranischen Behörden zum Entwurf des Atomabkommens, welches im Oktober 2009 in Wien verhandelt wurde.
Wann werden wir nennenswerte - ich sage hier nennenswerte - intelligente und zielgerichtete Sanktionen, wie die von Frau Lochbihler genannten in Erwägung ziehen; Sanktionen, die gegen dieses offen antiwestliche und antisemitische Regime gerichtet sind? Ich weiss, dass dies eine sehr begrenzte Möglichkeit ist, Frau Ashton, aber denken Sie nicht, dass wir hier mehr und Besseres vollbringen müssen, dass wir den jungen, ihre Empörung im Internet proklamierenden jungen Menschen des Iran helfen müssen, dass wir die wiederholten Aufrufe zur Zerstörung des Staates Israel verurteilen müssen und dass wir vor allem diese Zivilgesellschaft und die Opposition, diese demokratische Bewegung unterstützen müssen, die diesem Wahldieb und Präsidenten sowie seinen Milizen trotzt?
Ich bin mir dessen sehr bewusst, dass wir eine Eskalation vermeiden müssen, aber wir müssen auch ein Ausweichen und die Wiederholung des unsererseits in Afghanistan gemachten Fehlers vermeiden, wo Europa Kommandeur Massoud nicht schützen konnte. Es ist unsere Pflicht, die Führer der iranischen Opposition zu unterstützen, damit diese einem vergleichbaren Schicksal entgehen.
Fiorello Provera (EFD). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Situation im Iran verschlechtert sich weiterhin.
Mindestens acht Menschen sind kürzlich getötet worden, das Regime hat die Verhaftung von Frauen - weiblichen Journalisten, Gewerkschaftlern und Intellektuellen - verstärkt; 30 Mütter, die Nachricht von ihren verschwundenen Kindern forderten, wurden inhaftiert, und das Grab der jungen Märtyrerin der Freiheit Neda AghaSoltan wurde wiederholt durch Gewehrkugeln geschändet. Es ist deutlich, dass das Regime beabsichtigt, die Repression zu verstärken und ein Klima des allgemeinen Terrors zu schaffen. -
Zusätzlich zu dieser innenpolitischen Lage demonstriert der Iran einen Mangel an internationaler Zusammenarbeit, indem er den Zutritt der Internationalen Atomenergiebehörde zu den iranischen Standorten der Urananreicherung ablehnt. Dies zeigt deutlich die wahren Absichten des iranischen Atomprogramms; wenn diese ausschließlich friedlich wären, gäbe es keine Notwendigkeit, sie zu verbergen.
Europa sollte daher seine Besorgnis rigoros zum Ausdruck bringen, denn eine militärische Atommacht könnte sich auf die Sicherheit des Kontinents nachteilig auswirken und erhebliche politische Folgen für alle Länder in der Region haben.
Martin Ehrenhauser (NI). - Herr Präsident! Auch wenn der Konflikt im Iran oftmals als ein Machtkampf zwischen dem alten und dem neuen Establishment erscheint, so zeigt sich doch ganz deutlich, dass dieses sehr geschlossene gesellschaftliche System deutliche Risse aufweist. Die Situation im Iran ist sicherlich ein Beweis für die Bedeutung von Demokratie, dass nämlich jeder Bürger seinem politischen Willen Ausdruck verleihen kann.
Die politisch Verantwortlichen im Iran reagieren nun auf diesen legitimen gesellschaftlichen Willen mit staatlichen Repressionen, die bis zur Todesstrafe reichen. Diese Übergriffe auf die Bürger müssen sofort gestoppt werden! Denn mit staatlichen Repressionen wird dieser gesellschaftliche Wille sicherlich nicht aufgehalten. Ganz im Gegenteil. Das beweist auch die lange iranische Geschichte.
Zur kurzfristigen Delegationsreise des Europäischen Parlaments nach Teheran, die von der iranischen Regierung abgesagt wurde, möchte ich nur kurz festhalten, dass diese Reise zu diesem Zeitpunkt sehr wohl wichtig war, um vor allem mit allen Gespräche und Dialoge zu führen, unter anderem und im Speziellen natürlich mit der Bürgergesellschaft und der Zivilgesellschaft vor Ort.
Philippe Juvin (PPE). – (FR) Herr Präsident, die Iraner haben erklärt, dass sie zu einem schrittweisen Austausch von schwach angereichertem Uran gegen Brennstoff bereit seien. Diese Art der Produktion wurde von der Sechsergruppe abgelehnt, obgleich sie sich nicht allzu sehr von dem Vorschlag unterscheidet, den die gleiche Gruppe kurz vorher ausgearbeitet hatte.
Ich unterschätze die Verhandlungsqualitäten der Iraner keineswegs, insbesondere nicht im Hinblick auf die Definierung des schrittweisen Austausches, den sie vorgeschlagen haben. Aber glauben Sie nicht, angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, Frau Ashton, dass diese Ablehnung durch die Sechsergruppe möglicherweise Gegenstand einer klaren gemeinsamen Position der Europäischen Union hätte sein können? Warum haben wir diese Gelegenheit nicht ergriffen?
Ich bitte Sie darum, uns hierzu Ihre Ansichten mitzuteilen. Ich bekenne in der Tat, dass ich sehr verwundert über die Verschwiegenheit Europas in dieser Aussprache bin. Wir haben eine Legitimität, Europa hat eine Legitimität. Lassen Sie uns diese einsetzen, um ein Abkommen auszuhandeln.
María Muñiz De Urquiza (S&D). – (ES) Meine erste Rede in diesem Parlament im Juni vergangenen Jahres war nach der letzten Welle von Hinrichtungen dem Thema Iran gewidmet. Zu dieser Zeit hatte ich die Europäische Union dazu aufgefordert, alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente zum Schutz der Menschenrechte zusammenzuführen.
Nun sehen wir, dass die Repression gegen die religiöse Minderheit der Baha’i, gegen Homosexuelle weiter fortgesetzt wird - und ich rufe insbesondere zur Freilassung von inhaftierten, in einigen Fällen zum Tode verurteilten Homosexuellen auf. Die Repression gegen die Opposition wird weiter fortgesetzt - mit mehr als 2 500 inhaftierten Oppositionellen - die Repression gegen die Pressefreiheit - erst diesen Montag wurde die Zeitung Farhang-e-Ashti dafür geschlossen, dass sie eine Stellungnahme von Herrn Moussavi, dem Oppositionsführer, veröffentlich hatte - und die Repression gegen die kurdische Minderheit hält auch weiterhin an.
Iran bleibt eine große Herausforderung auf der europäischen Tagesordnung, und nicht nur wegen der atomaren Bedrohung: die internationale Gemeinschaft unternimmt bereits Maßnahmen dagegen. Die Herausforderung ist, dass der Iran eine großes Geschick darin besitzt, praktisch alle Bereiche zu beeinflussen, in denen Anstrengungen zur Erzielung einer friedlichen und diplomatischen Lösung im Nahen Osten und auch im Irak und in Afghanistan unternommen werden.
Durch seine repressiven Handlungen zerstört der Iran jede Möglichkeit einer Normalisierung seiner Außenbeziehungen, sodass er durch die Staatengemeinschaft angenommen werden und eine konstruktive Rolle in den internationalen Beziehungen spielen kann.
Das ist die Situation, die wir Sozialisten wünschen, aber sie kann nur erreicht werden, wenn der Iran seinen internationalen Verpflichtungen - angefangen beim Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte - nachkommt. Gemäß den Bestimmungen dieses Pakts muss der Iran politische Parteien, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, die Vereinigungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, etc. anerkennen.
Die Unterstützung und die Solidarität der Europäischen Union, die ich nun im Namen derjenigen verlange, die mehr Rechte fordern und durch das Regime unterdrückt werden, darf nicht fälschlicherweise als Einmischung des Westens verstanden werden. Stattdessen stellt es einen Wunsch für den Iran dar, den erforderlichen Mindestanforderungen zu genügen, um dem Iran Verhandlungen mit dem Rest der Welt zu ermöglichen.
Marco Scurria (PPE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den Veröffentlichungen der Europäischen Union und auf den EU-Websites sagen wir oft, dass die Menschenrechte das Kernstück des europäischen Integrationsprozesses und ein zentraler Aspekt seiner Außenbeziehungen sind.
Die Länder, die politische oder Handelsabkommen mit der Europäischen Union schließen, sind an die Einhaltung dieser Vereinbarungen gebunden. Baroness Ashton, wir sollten uns fragen, ob diese Anforderungen in unseren Beziehungen zum Iran immer noch bestehen, und ob es wirklich Sinn für uns macht, eine Delegation nach Teheran zu entsenden, ohne dass ein Programm mit der iranischen Regierung abgestimmt wird, welches beide Seiten unterstützen. Ein Programm, dass es uns gestatten wird, auch die Argumente und Meinungen der Gegenseite zu hören.
Im Hinblick darauf, was wir tun können, müssen wir jedoch vorsichtig damit sein, auch nur von Sanktionen zu sprechen. Denn die Geschichte zeigt, dass Wirtschafts- und Handelssanktionen häufig Regime gestärkt haben, anstatt sie zu schwächen, und dass sie tatsächlich die Bevölkerung und zudem die Ärmsten getroffen haben. Als wir bestimmte Personen im Rahmen einer Delegation und Aussagen im Hinblick auf die Rechte der Frauen und Minderheiten im Iran hörten, wurde uns gesagt, dass es möglicherweise besser sei, symbolische Sanktionen wie kulturelle durchzuführen.
In den letzten Tagen haben viele Volksvertreter und Intellektuelle in ganz Europa geschrieben, die UNESCO dazu aufzufordern, den Weltphilosophietag nicht in Teheran abzuhalten. Ich meine, dass dies ein auch durch dieses Parlament angenommenes Bekenntnis werden könnte - wenn man bedenkt, dass Neda AghaSoltan Studentin mit einem Abschluß in Philosophie war, und dass dieses Zeichen das Europäische Parlament einen könnte, indem es die UNESCO zur Ergreifung dieser Maßnahme auffordert.
Sergio Gaetano Cofferati (S&D). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, in den vergangenen Wochen konnten wir vonseiten der iranischen Regierung oder des iranischen Regimes sehr schwere Verletzungen der Menschenrechte und grundlegenden demokratischen Freiheiten beobachten.
Demnach ist für dieses Parlament und für Europa diese Angelegenheit nicht länger nur eine Frage der Beziehungen zu einem Land, welches über eine Atompolitk außerhalb der akzeptierten Regeln und spezifische Kontrollmechanismen nachdenkt, die in der Regel von der internationalen Gemeinschaft festgelegt werden. Etwas Neues oder etwas Altes wird noch dringlicher, was sich auf eine noch besorgniserregendere Frage bezieht: die Menschenrechte.
Ich bin davon überzeugt, dass der Iran potenziell eine viel bedeutendere Rolle in seiner Region spielen könnte. Dennoch muss diese neue Welle der Rechtsverletzungen, wie ich glaube, eine Priorität für uns und die Hohe Vertreterin darstellen. The clamp-down by the government has not subdued the voices of democratic dissent. Now it is appropriate for the international community to play an active role and to provide assistance to those who oppose the regime and believe that their fundamental rights must be respected.
Das harte Durchgreifen der Regierung konnte die demokratischen Gegenstimmen nicht zum Schweigen bringen. Nun muss die internationale Gemeinschaft eine aktive Rolle übernehmen und den Regimegegnern, die ihre Grundrechte respektiert wissen wollen, Unterstützung bieten.
Wir sollten daher permanent vor Ort Präsenz zeigen. Die Delegation des Europäischen Parlaments kann durch Festlegung genauer Ziele in den Iran gehen und ihre Solidarität mit den iranischen Demokraten bekunden, aber ganz sicher nicht das rigorose Vorgehen der iranischen Regierung befürworten, nicht einmal unfreiwillig. Ich glaube, hier besteht weiterer Diskussionsbedarf, damit wir unser Ziel erreichen können.
Monica Luisa Macovei (PPE). – Ich habe beschlossen, einen Großteil meiner Zeit diesem Einsatz zu widmen, um die Namen der Personen bekannt zu machen, die Berichten zufolge im Iran inhaftiert sind. Einigen droht die Todesstrafe, weil sie das politische Regime kritisiert oder die Bürgerrechte verteidigt haben.
Ali Mehrnia, Parviz Varmazyari, Majid Rezaii, Alireza Nabavi, Ali Massoumi und Shirin Alavi Holi werden, wie berichtet, gefangen gehalten und ihnen droht die Todesstrafe als „Mohareb“, das heißt „Feinde Gottes“.
Dreiunddreißig Frauen, die zu den Mourning Mothers of Iran, den trauernden Müttern Irans, gehören und deren Kinder während der Gewalttaten nach der Wahl getötet worden waren, verschwunden sind oder inhaftiert wurden, werden schikaniert.
Andere Aktivistinnen und ihre Familien befinden sich in Haft: Atefeh Nabavi, Shabnam Madadzadeh, Mahsa Naderi, Fatemeh Ziaee Azad und Nazila Dashti.
Acht Aktivisten aus dem Komitee der Menschenrechtsbeobachter wurden in Gewahrsam genommen: Saeed Kalanaki, Saeed Jalalifar, Shiva Nazar-Ahari, Kouhyar Goudarzi, Saeed Haeri, Parisa Kakayi und Mehrdad Rahimi. Vier weitere gingen in den Untergrund, nachdem sie vom Geheimdienst vorgeladen wurden: Hesam Misaghi, Saeed Habibi, Navid Khanjani und Sepeher Atefi.
Ebenfalls inhaftiert wurden Mitglieder der Liberal Student and Alumni Association: Mehrdad Bozorg, Ehsan Dolatshah und Sina Shokohi.
Diesen Menschen ist gemeinsam, dass sie über die Lage im Iran berichtet oder ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen haben.
Was werden die Kommission oder der Rat für die Freilassung der aus politischen Gründen Inhaftierten unternehmen? Welche Finanzmittel stellt die Kommission den im Iran tätigen Menschenrechts-NRO zur Verfügung?
George Sabin Cutaş (S&D). – (RO) Ich persönlich glaube, es gibt ein großes Potenzial für enge wirtschaftliche, kulturelle und politische Verbindungen zwischen dem Iran und der Europäischen Union. Leider liegt dieses Potenzial bislang brach. In den Beziehungen zwischen dem Iran und der Europäischen Union treten immer wieder Schwierigkeiten auf, wenn es um heikle Themen wie das iranische Nuklearprogramm oder Menschenrechte geht.
Ich denke, die iranische Seite muss auf den Wunsch der Europäischen Union nach einem Dialog reagieren. Durch die Dialogverweigerung des Irans wird der Ideen- und Wissenstransfer in Bereichen gemeinsamen Interesses eingeschränkt. Ich darf Sie daran erinnern, dass die Europäische Union der wichtigste Handelspartner Irans ist und angesichts des Ziels des Irans, der Welthandelsorganisation beizutreten, könnte eine engere wirtschaftliche Partnerschaft mit der Europäischen Union dem Iran bei seinem Versuch helfen, die Richtlinien der Organisation einzuhalten.
Solange es aber die Iraner an Offenheit für eine Zusammenarbeit fehlen lassen, wird ein konstruktiver Dialog zwischen dem Iran und der Europäischen Union nicht möglich sein.
Salvatore Tatarella (PPE). – (IT) Herr Präsident, Baronin Ashton, meine Damen und Herren. Sie, Baroness, haben uns ein dramatisches Bild der Situation in diesem großen Land gezeichnet, das über eine große Geschichte, eine großartige Kultur und eine bedeutende Zivilisation verfügt.
Regimegegner und die Opposition werden unterdrückt, Bürgerrechte werden erheblich eingeschränkt, Grundfreiheiten werden verletzt, es gibt ein beunruhigendes Nuklearprogramm sowie die Bedrohung Israels und des Friedens.
Leider habe ich nicht verstanden, welche Initiativen Europa umzusetzen beabsichtigt, um dieser Situation ein Ende zu bereiten und Frieden, Freiheit und Bürgerrechte zu verteidigen. Ich hoffe, Sie können in den Schlussdebatten einige Fakten, Initiativen und Standpunkte aufzählen, die ergriffen werden sollten, und vielleicht auch auf den Vorschlag von Herrn Scurria eingehen.
Herr Präsident, was das Parlament betrifft, so bin ich Mitglied einer Delegation, die darum gekämpft hat, von der iranischen Regierung die Erlaubnis zu erlangen, in den Iran zu reisen. Diese Delegation hat die Reise nicht angetreten, um ihrer Protesthaltung Ausdruck zugeben, und zu unserer Schande wurde ihr auch vom Iran der Besuch untersagt.
Ich bin für einen Dialog mit dem Iran, aber das italienische Parlament und die Delegation müssen mit Nachdruck unsere Position in Bezug auf die Verteidigung der bedrohten Freiheit und Rechte darlegen.
Sari Essayah (PPE). – (FI) Herr Präsident, Frau Kommissarin, die derzeitige Regierung Irans verletzt ganz offenkundig Menschenrechte und tritt die Grundrechte seiner Bürger mit Füßen. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Ermordung von acht Personen im Zusammenhang mit dem Aschura-Fest und die Tatsache, dass fünf Oppositionsmitglieder zurzeit auf ihr Todesurteil warten.
Das derzeitige Regime im Iran ist die größte Bedrohung für den Weltfrieden. Es ist ziemlich unverständlich, dass die Weltgemeinschaft aus der Ferne zuschaut, während es der iranischen Regierung erlaubt wird, in aller Ruhe ein militärisches Nuklearprogramm zu entwickeln und die Vorstellungen der Internationalen Atomenergieorganisation außer Acht zu lassen. Den derzeitigen Führern des Landes wird erlaubt, in aller Öffentlichkeit die Zerstörung eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen, nämlich Israels, anzudrohen. Sie unterstützen zudem die im Libanon und in Syrien aktive terroristische Hisbollah-Gruppe.
In gewisser Weise fühlt man sich durch diese Ereignisse an Augenblicke vor 60 Jahren erinnert. Wir müssen nicht darüber nachdenken, was wir hätten anders machen müssen, um den Hass zu verhindern. Wenn wir aber heute wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen, können wir verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt.
Wir müssen so bald wie möglich wirtschaftliche Sanktionen gegen die iranische Regierung verhängen. Da wir die Situation nicht ändern können, wäre es besser, wenn man die iranische Delegation der EU an ihrer Reise hindert, denn sie würde von den Mullahs nur für ihre Propagandazwecke ausgenutzt. Erinnern wir uns: Das Problem in diesem Fall besteht nicht so sehr darin, dass es so viel Böses gibt – es liegt eher daran, dass das Gute verborgen bleibt.
Bogusław Sonik (PPE). – (PL) Herr Präsident, Ende letzten Jahres kam es im Iran zu den größten Oppositionsprotesten seit den Demonstrationen nach der Präsidentschaftswahl im Juni, als der amtierende Präsident zum Sieger erklärt wurde. Bei Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften starben acht Menschen, Hunderte wurden verletzt und Hunderte verhaftet. Studenten, die die Opposition unterstützten, wurden auf dem Universitätscampus angegriffen, woraufhin 88 Universitätsprofessoren einen Aufruf an Ayatollah Ali Khamenei richteten, die Gewalt gegen die Demonstranten einzustellen.
Die Situation im Iran ist alarmierend, und zwar auch in internationaler Hinsicht. Deutschland hat das Ergreifen von Sanktionen gegen die Regierung in Teheran bereits in Betracht gezogen. Kanzlerin Merkel erklärte dazu, dass Iran nicht auf das Angebot des Westens zur Zusammenarbeit bei der Beendigung des Atomprogramms eingegangen ist. Israels Premierminister hat ebenfalls für die Einleitung ernsthafter internationaler Sanktionen gegen den Iran plädiert. Seiner Meinung nach kann ein Regime, das sein eigenes Volk tyrannisiert, kurzfristig zu einer Bedrohung für die ganze Welt werden.
Wir müssen die Souveränität Irans respektieren, aber wir sollten deutlich die Verantwortung der Behörden des Landes für die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte sowie der politischen Rechte hervorheben, und wir sollten auch die Tatsache unterstreichen, dass der Iran zwar das Recht hat, ein eigenes Nuklearprogramm aufzulegen, dass er aber dadurch nicht zu einer Bedrohung der internationalen Sicherheit werden darf. Die Geduld, die die internationale Gemeinschaft durch ihren Dialog mit Teheran gezeigt hat, geht zu Ende. Die Welt darf nicht durch die aggressive und provokative Politik der derzeitigen Führung im Iran zur Geisel werden. Die spanische Ratspräsidentschaft und die EU-Außenberaterin, Frau Ashton, sollten diesbezügliche Gespräche mit Russland aufnehmen, um im Schulterschluss mit Moskau Druck auf den Iran auszuüben.
Arnaud Danjean (PPE). – (FR) Herr Präsident, Frau Ashton, die Ereignisse am Aschura-Fest und die blutige Unterdrückung der jüngsten Demonstrationen im Iran haben gezeigt, dass es ein großer Fehler war, zwischen der Verhärtung des Regimes nach innen und der unbeweglichen Politik nach außen, insbesondere in der iranischen Atomfrage, zu unterscheiden.
Daher erscheint das Ergreifen zusätzlicher Sanktionen unvermeidlich oder gar wünschenswert. Ich würde gern Genaueres über Ihren Standpunkt bezüglich des Zeitablaufs und der Art möglicher Sanktionen wissen, damit wir eine klare Verbindung zwischen den innenpolitischen Ereignissen im Iran und der Atomfrage herstellen können.
Potito Salatto (PPE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte hier keine weiteren Gründe für unsere Missbilligung der iranischen Regierung anführen.
Da bis jetzt aber noch nicht darüber gesprochen wurde, möchte ich nur auf eine der schwerwiegendsten Verletzungen der Bürgerrechte hinweisen, nämlich die der Heranwachsenden. Die iranische Regierung, die zwar die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet hat, fährt dennoch fort, die Todesstrafe über Minderjährige zu verhängen.
Nach dieser Aussprache möchte ich als Erstes Baronin Ashton bitten, sich um die Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie für ganz Europa und das gesamte Europäische Parlament hinsichtlich der Ereignisse im Iran zu kümmern, und zweitens die interparlamentarische Delegation für Beziehungen zum Iran aufzufordern, den Iran davon in Kenntnis zu setzen, dass er seine Linie ändern muss.
Ich habe zusammen mit meinen Freunden, Herrn Scurria und Herrn Tatarella, der Delegation unseren Protest kundgetan: In einer offiziellen Erklärung hatte die Delegation angegeben, dass sie den Iran auf jeden Fall besuchen wollte, trotz der nachdrücklichen Forderung, bei dieser Gelegenheit die Opposition zu treffen und mit ihr reden zu können. Ich würde mir wünschen, dass die Delegation ab sofort einen neuen Ton anschlägt und Beziehungen zu im Exil lebenden Oppositionsvertretern unterhält, nicht zuletzt zu Myriam Rajavi, die als typisches Beispiel für diese Situation dient, um ihnen zu helfen, sie zu unterstützen und mit ihnen zu diskutieren. Statt zu Sanktionen rate ich der Europäischen Union eher zu diesem Vorgehen.
Tunne Kelam (PPE). – Herr Präsident, ich muss Frau Ashton leider sagen, dass unsere Hoffnungen, das iranische Regime von unserer Besorgnis zu überzeugen, wohl vergebens sind.
Tatsächlich haben wir es hier mit einer veralteten Diktatur zu tun. Wir müssen uns auf die Möglichkeit zu einem Wechsel konzentrieren. Das Regime fällt an den Rändern auseinander und das iranische Volk hat seit letztem Juni mutig gezeigt, dass es der trügerischen und aggressiven Gewaltherrschaft nicht vertraut und sie nicht unterstützt. Warum also sollten wir damit fortfahren?
Wir müssen die Zivilbevölkerung und die demokratische Opposition, einschließlich des Nationalen Widerstandsrates, der einzigen Organisation, die ein eindeutiges demokratisches Programm für ein atomwaffenfreies Iran vorgelegt hat, unbedingt unterstützen.
Alexander Alvaro (ALDE). - Herr Präsident! Die Süddeutsche Zeitung von heute berichtet, dass in Teheran am gestrigen Montag die Staatsanwaltschaft für fünf Oppositionelle die Todesstrafe gefordert hat. Es handelt sich bei diesen fünf Oppositionellen laut Amnesty International um den siebzehnjährigen Ali Mehrnia, den 54-jährigen Parviz Varmazyari sowie Majid Rezaii, Alireza Mabavi und Ali Massoumi. Wenn ein Regime, wie das in Teheran, das nicht nur anachronistisch ist, sondern gegen seine eigene Bevölkerung mit der Todessstrafe, mit Steinigungen und anderen Mitteln vorgeht, und wir als Europäische Union nicht die nötigen Schritte unternehmen, dann machen wir uns vor allen Dingen an denjenigen schuldig, die dort eine vernünftige Gesellschaft aufbauen sollen, an den Kindern, die dann unter Bedingungen groß werden, die alles andere sind als das, was wir uns – im Einklang mit dem Kollegen, der leider nicht mehr da ist – für eine zukünftige Gesellschaft wünschen würden. Ich würde mir an dieser Stelle harte und deutliche Worte der Hohen Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik wünschen, und dass wir Sanktionen gegenüber dem Iran nicht nur fordern, sondern auch durchsetzen.
Ulrike Lunacek (Verts/ALE). – Herr Präsident, ich denke, uns allen ist klar, dass das iranische Regime ein diktatorisches und kriminelles Regime ist. Es stellt sich jedoch die Frage: Wie gehen wir damit um?
Ich möchte ganz deutlich meine Unterstützung für die Delegation zum Ausdruck bringen, die im Namen dieses Parlaments in den Iran gefahren wäre. Die Delegation hätte sich einen ganzen Tag lang mit den Mitgliedern der Opposition und Dissidenten getroffen. Das hätte sie gestärkt. Sie wollten das. Daher tut es mir sehr leid, dass der Besuch dieser Delegation nicht stattfinden konnte.
Ich habe eine konkrete Frage an Sie, Baronin Ashton. Mehrere Mitglieder haben hier über Sanktionen gesprochen. Aus meiner Erfahrung als nationales Parlamentsmitglied, das seit vielen Jahren mit vielen Leuten spricht, würde ich wirklich für „smarte Sanktionen“ optieren – zielgerichtet auf beispielsweise bestimmte Mitglieder der Revolutionsgarde, die man auf eine Verbotsliste für Besuche setzt, oder auf andere spezielle Personen.
Ich bin sehr dagegen, Sanktionen gegen ein ganzes Land zu verhängen, weil dadurch möglicherweise die Regierung durch das Anwachsen der Armut gestärkt würde – die Bevölkerung hätte beispielsweise keinen Zugang zu Benzin – und das würde das Regime eher stärken als schwächen.
Struan Stevenson (ECR). – Herr Präsident, ist stimme mit Tunne Kelam und Herrn Alvaro überein. Die Tage des Dialogs mit dem Iran und des Engagements im Iran sind lange vorbei.
Auf den Straßen sterben fast täglich Menschen bei Protesten gegen dieses faschistische Regime. Erst gestern hat, wie Sie gehört haben, ein Scheingericht in Teheran über fünf Demonstranten die Todesstrafe verhängt, die während der Aschura-Unruhen vom 27. Dezember verhaftet worden waren.
Es reicht. Keine Gespräche mehr, keine Beschwichtigungspolitik mehr. Wir brauchen harte Sanktionen. Nur so können wir dem einfachen iranischen Volk zeigen, dass wir seine Proteste unterstützen.
Niki Tzavela (EFD). – (EL) Baronin Ashton, ich war über ihre besonnene Haltung, die von Respekt für ein Land mit der Geschichte und dem Stolz Irans zeugt, sehr erfreut. Iran ist ein Sonderfall und ich bin froh, dass Sie für den diplomatischen Ansatz der „Smart Power“ stehen, nämlich einerseits Sanktionen, andererseits Dialog. Ich möchte Sie dringend bitten, den Dialog fortzusetzen.
Normalerweise sind die Länder, die solche Länder verdammen, sehr weit von der Kultur und der Mentalität der Länder wie Iran, Irak und Afghanistan entfernt. Ich würde vorschlagen, Sie erweitern die Gruppe, die Sie für die Fortsetzung des Dialogs mit dem Iran vorgesehen haben, und nehmen Länder dazu, die traditionell gute Beziehungen zum Iran haben, wie beispielsweise mein Land Griechenland, insbesondere angesichts seiner gegenwärtigen sozialistischen Regierung. Die Region kann keinen weiteren Krieg mehr tragen. Ich gebe hiermit die Angst nicht nur Israels, sondern auch der Emirate, vor dem Nuklearprogramm Irans an Sie weiter. Setzen Sie den Dialog fort und ich denke, wir werden etwas erreichen.
Krisztina Morvai (NI). – (HU) Drei kurze Fragen. Erstens: Der führende iranische Atomwissenschaftler wurde vor Kurzem bei einem brutalen terroristischen Angriff getötet. Welchen Standpunkt vertritt die Europäische Union in diesem Fall? Seltsamerweise ist dieser Zwischenfall heute noch nicht erwähnt worden. Ich bedaure das sehr. Zweitens: Warum ist eigentlich das iranische Nuklearpotenzial ein größeres Problem und gefährlicher für den Frieden als, sagen wir mal, das Israels? Warum beschäftigt sich die EU nicht auch damit? Drittens: Im Jahr 2006 hat die damalige sozialliberale Regierung von Ungarn angeordnet, dass Schüsse auf die friedlich demonstrierende Menge abgegeben werden sollten. 14 Personen erlitten unter anderem Augenverletzungen. Viele von ihnen sind erblindet. Trotz unserer wiederholten Aufforderungen hat die EU es damals und auch jetzt wieder abgelehnt, sich mit diesem Ereignis zu befassen. Wo liegt hier der Unterschied? Genauso wenig beschäftigt sie sich mit den Hunderten von politischen Gefangenen, die in Ungarn im Gefängnis gesessen haben. Selbst heute noch sitzen Dutzende politischer Gefangene in Ungarn im Gefängnis. Vielen Dank, ich erwarte gerne Ihre Antwort.
Mariya Nedelcheva (PPE). – (FR) Herr Präsident, Frau Ashton, der Tod und das Verschwinden der Leiche von Seyed Ali Mousavi, dem Neffen des iranischen Oppositionsführers, ist eines von vielen tragischen Beispielen für die derzeitige Schieflage der Islamischen Republik Iran.
Die Rechtmäßigkeit des iranischen Regimes nach den äußerst dubiosen Wahlen im letzten Juni ist zumindest fragwürdig. Daher besteht unsere Aufgabe darin, die Widerstandsbewegung in der iranischen Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu unterstützen. Frau Ashton, Sie können sich der vollen Unterstützung unseres Parlaments sicher sein, wenn es darum geht, ein derartiges Verhalten zu verurteilen.
Ich möchte betonen, dass das iranische Regime bei seiner fortgesetzten Negierung der Rolle der Opposition nicht in der Lage sein wird, uns davon zu überzeugen, dass es zum Wohle des iranischen Volkes arbeiten will. Das Existenzrecht der Opposition und ihr Recht auf freien Wettbewerb zwischen den Parteien, wodurch die Meinungspluralität der iranischen Gesellschaft zum Ausdruck kommt, sind positive Zeichen, auf die wir lange gewartet haben. Aber wir sind, was den Iran betrifft, weit davon entfernt.
Gewiss, zurzeit glauben viele, dass es allein am iranischen Regime liegt, die Aufrufe der Demonstranten und die Wünsche der internationalen Gemeinschaft zu beachten, um einen demokratischen Wandel herbeizuführen. Europa muss eindeutiges Vorbild für das Rechtsstaatsprinzip sein.
Piotr Borys (PPE). – (PL) Herr Präsident, Frau Ashton, Iran ist ein Schlüsselland, das die Stabilisierung des Friedens auf der ganzen Welt und in Teilen des Mittleren Ostens beeinträchtigt. Natürlich steht es außer Frage, dass wir die Menschenrechte verteidigen und unsere Bedenken gegen die seit mehreren Monaten andauernden Verletzungen der Oppositionsrechte entschlossen äußern müssen. Ich möchte jedoch sagen, dass die Europäische Union vor allem aktiv ein Anti-Atomprogramm auflegen sollte, weil der Iran mit einer Atomwaffe eine riesige Bedrohung für den gesamten Mittleren Osten wäre.
Darüber hinaus wissen wir, dass die Anstiftung zur Revolution im Jemen und die Unterstützung der Hamas im Gaza-Streifen und der Al Kaida in Afghanistan wahrscheinlich auch einen Teil der iranischen Politik inspiriert haben. Diesbezüglich wird hier mehr als alles Andere ein gewisses Gleichgewicht benötigt, und ich glaube, dass Saudi-Arabien auch eine wichtige Rolle spielen sollte. Ich glaube, Frau Ashton sollte hier in einen sehr aktiven Dialog und eintreten und Verantwortung übernehmen.
Paul Rübig (PPE). - Herr Präsident! Ich möchte in diesem Zusammenhang wie immer darauf hinweisen, dass wir in Europa eigentlich nur die Individualschuld kennen und pauschale Verdächtigungen vom Prinzip her ablehnen. Ich bin mir sicher, dass Frau Ashton aus Großbritannien großes Verständnis dafür hat, dass man in derartigen Situationen die Schuldigen vielleicht mit einer Blockade belegen sollte, aber nicht ein ganzes Volk, das mehr oder weniger unschuldig in eine derartige Situation geraten ist. Wir sollten Gespräche suchen. Meine Frage ist: Sehen Sie mögliche Gesprächspartner im Iran, mit denen Sie in Kontakt treten können und mit denen Sie auch eine seriöse, sachliche und politisch korrekte Diskussion führen können?
Andrew Henry William Brons (NI). – Ich bin kein Fürsprecher für das Ayatollah-Regime im Iran oder seiner antidemokratischen Einstellungen. Aber ich möchte zwei Dinge sagen: Das eine ist, dass es sogar in Europa und auch unter den EU-Mitgliedern eine gewaltlose Unterdrückung der Redefreiheit gibt. Außerdem werden die Aktivitäten und Ereignisse im Iran in recht zynischer Weise von den Vereinigten Staaten und ihren Alliierten ausgenutzt, um eine Kriegsbewegung gegen den Iran anzufachen, und ich denke, dass die Reaktion darauf unverhältnismäßig ausfallen wird.
Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission. - Herr Präsident, ich denke, dies war eine extrem wichtige und rechtzeitige Aussprache, erstens, weil wir wiederholt bekannt haben, wie wichtig uns in der Europäischen Union die Menschenrechte sind.
Und tatsächlich verlangen wir bei unserem Dialog mit dem Iran nicht mehr, als dass er die internationalen Vereinbarungen einhält, die er gerne und freiwillig unterzeichnet hat. Und das ist ein grundlegender Bestandteil der Art und Weise, wie wir uns diesen Fragen annähern müssen. Die Mitglieder haben sowohl Einzelpersonen benannt und Ereignisse im Iran beschrieben und so die Themen unterstrichen, die uns die größten Sorgen bereiten.
Andere Mitglieder haben treffend geschlossen, dass, wie Sie, Herr Gualtieri, sagten, der Dialog unvermeidbar sein muss. Es ist sehr wichtig, dass wir weiterhin einen „sinnvollen Dialog“ anbieten. Aber gleichzeitig erkenne ich an, dass mein Vorgänger, Javier Solana, sechs Jahre im Dialog verbracht hat, sechs Jahre weitere Erörterungen angeboten hat. Der Dialog kann daher nicht als Entschuldigung für die Untätigkeit auf Seiten des Irans dienen, sondern muss als ein Mittel angesehen werden, sicherzustellen, dass wir die Stärke dieser Beziehung ausbauen und das erreichen, was für uns wichtig ist.
Und als ein Element dieser Vorgehensweise könnten die Gespräche über die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation, die lange Zeit ins Nichts führten, ein Mittel sein, um die Gespräche und Diskussionen und Unterstützung zu erreichen, die das Regime nach vorne bringen kann.
Viele Mitglieder haben über die Bedeutung von Sanktionen gesprochen, aber ich denke besonders an intelligente, smarte Sanktionen: Wenn wir darüber nachdenken, was als nächstes kommt, und falls wir das dann tun und es auch so machen, nämlich mögliche Sanktionen berücksichtigen, dann ist es für uns alle von entscheidender Bedeutung, sicherzustellen und anzuerkennen, dass sie gezielt und zielgenau sein müssen, damit wir erreichen, was wir wollen, und dass niemand in diesem Haus wünscht, dass das einfache Volk im Iran infolge unserer Handlungen leidet.
Das macht diese Aussprache so wichtig, verlangt aber auch, dass wir Energie und Zeit ins sie investieren. Hohe Beamte der E3+3-Gruppe trafen sich am Samstag in New York, und wir konnten den Dialog zu diesem Thema in Gang bringen, natürlich auch mit Russland.
Wie ich bereits gesagt habe, gibt es keinen Zweifel, dass, auch wenn wir die sinnvolle Beziehung mit dem Iran durch einen Dialog vorwärts bringen möchten, letztendlich, wenn der Iran diesen Dialog ablehnt, sich bei unserer zweigleisigen Politik die Frage nach Sanktionen erhebt, und tatsächlich hat nach diesem Treffen die Erwägung weiterer angemessener Maßnahmen bereits begonnen.
Auch dies wird am Montag im Rat für Auswärtige Angelegenheiten diskutiert und aus diesem Grund war ich so begierig darauf zu erfahren, wie die ehrenwerten Mitglieder darüber denken, da ich mich auch auf diese Gespräche vorbereite.
Was die Delegation betrifft, die in das Land reist, so sind Sie, Frau Lochbihler, tatsächlich die Vorsitzende der Delegation. Es ist sehr wichtig, dass die Reise noch nicht offiziell abgesagt worden ist. Ich denke, es wäre wichtig, darüber nachzudenken, ob wir diesen Weg fortsetzen sollten. Ich hoffe, das Treffen kann bald stattfinden, und zwar wieder in dem Geiste, den Dialog offen zu halten.
Mitte 2010 wird Euronews, nicht zuletzt durch die Aktion dieses Parlaments, mit seinen Übertragungen in Farsi beginnen. Das ist ebenfalls für die Kommunikation wichtig und auch angesichts unserer effizienten Nutzung von Kommunikation und Technologie.
Es ist schwierig, über eine Blockierung des Zugangs nachzudenken, wenn wir gleichzeitig den Zugang zu den Informationen sperren, die die Leute haben möchten, und das ist meiner Meinung nach etwas, an das wir denken sollten.
Und im Hinblick auf unsere zukünftigen Aktionen haben die ehrenwerten Mitglieder deutlich gemacht, was wir ihrer Meinung nach in Betracht ziehen sollen. Wie ich schon sagte, haben die E3+3 diese Optionen schon im Blick. Wir haben den Rat für Auswärtige Angelegenheiten. Ich habe angekündigt, dass wir nach smarten, intelligenten Sanktionen suchen müssen, wenn wir zweigleisig fahren wollen. Ich habe deutlich gemacht und erkläre hiermit nochmals, dass ich offen und bereit bin für diesen Dialog – und ich habe in meiner Eröffnungsrede das Potenzial dieses großen Landes beschrieben –, aber wir setzen ihn in dem Wissen fort, dass dieser Dialog das Ergreifen von Maßnahmen nicht verhindern kann.
Letzten Endes muss ich sagen, dass ich sehr berührt war, als Präsident Obama in seiner Ansprache beim Empfang des Nobelpreises sagte, dass, wenn wir den Nutzen fortgesetzten Engagements betrachten, wir feststellen, dass ‚der Dialog mit unterdrückerischen Regimes nicht dasselbe, befriedigende Gefühl vermittelt wie Empörung. Aber [...] kein unterdrückerisches Regime kann einen neuen Kurs einschlagen, wenn ihm nicht eine Tür offen steht'.
Die Tür steht offen für diesen sinnvollen Dialog, damit wir vorwärts kommen, aber gleichzeitig muss die Doppelspur, die meine Vorgänger gelegt haben, absolut anerkennen und sie bei Bedarf weiterverfolgen.
Präsident. – Liebe Kollegen, diese Gespräche dauern von 15:00 bis 20:00 h, das sind fünf Stunden. Ich schlage vor, wir machen eine fünfminütige Pause, damit die Hohe Vertreterin und alle anderen, die hier im Plenarsaal anwesend waren und auch weiterhin im Plenarsaal bleiben, Luft holen können. Wir machen um 17:35 h weiter, also in fünf Minuten.
Geoffrey Van Orden (ECR). – Herr Präsident, bevor wir jetzt unterbrechen, möchte ich noch eine kurze Information weitergeben. Baronin Ashton, Sie sprachen über die iranische Delegation. Die Delegation sollte vom 8. bis 10. Januar in den Iran reisen, aber der Delegationsbesuch wurde abgesagt. Er wurde übrigens von den iranischen Behörden gestrichen.
Viele von uns drangen darauf, dass der Delegationsbesuch früher abgesagt werden sollte – auch wenn die Vorsitzende der Delegation keinerlei Notiz von uns nahm –, und zwar wegen der Tests mit den Langstreckenraketen, der Schüsse auf Demonstranten und der anderen Unruhen in der Weihnachtszeit. Nur zur Information, darum wurde der Delegationsbesuch abgesagt, und diese Maßnahme hätte wirklich viel früher vom Parlament ergriffen werden sollen.
Präsident. – Mir war nicht bewusst, dass es ein „Informationsstand“-Verfahren gibt. Herrn Van Orden. Ich habe Ihnen erlaubt, fortzufahren, aber im Sinne der Gerechtigkeit allen gegenüber, dies war kein Tagesordnungspunkt.
Die Aussprache wird geschlossen.
Die Abstimmung findet auf der ersten Februar-Tagung in Straßburg statt.
(Die Sitzung wird um 17:30 h unterbrochen und um 17:35 h fortgesetzt)
Die Präsidentin. – Die Sitzung wird wieder aufgenommen.
Der nächste Punkt ist die Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Vizepräsidentin der Kommission über die Situation im Jemen.
Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik bzw. Vizepräsidentin der Kommission. – Frau Präsidentin, wir kennen den Grund, warum der Jemen sich heute auf unserer Tagesordnung befindet. Wir haben die Spur des Attentäters von Detroit von den USA über Europa nach Afrika bis zum Jemen verfolgt. So sind wir ein weiteres Mal daran erinnert worden, dass unsere eigene Sicherheit in Gefahr ist, wenn wir Ländern wie dem Jemen nicht helfen, die damit überfordert sind, die sie betreffenden vielen Herausforderungen gleichzeitig zu bewältigen.
Der Terrorismus, der dabei zwar im direkten Fokus steht, ist aber letztendlich auch nur Teil einer miteinander verknüpften Reihe von Herausforderungen. Da gibt es die Instabilität im Norden des Landes, die durch den bewaffneten Konflikt mit den Huthi-Rebellen verstärkt wird. Es gibt die Auseinandersetzung über Land- und Wasserrechte und die jahrelangen Spannungen mit der Region im Süden, die sich seit der Vereinigung im Jahre 1991 benachteiligt sieht. Der Regierung ist es zwar bis jetzt gelungen, eine allgemeine Stabilität zu erhalten, aber seit die Einnahmen aus dem Ölgeschäft schwinden, bemüht sich der Staat bislang vergeblich, die Kontrolle über Teile des nationalen Territoriums zu bewahren.
Hinzu kommen dann noch Piraterie im Golf von Aden sowie Schmuggel, Migration und Menschenhandel vom Horn von Afrika und nun auch noch ein Anstieg des Dschihad-Terrors. Der Jemen hat ein beträchtliches Bevölkerungswachstum und eine wachsende unzufriedene junge Bevölkerungsschicht. Ein umfassender interner politischer Konsens im Hinblick auf die Zukunft ist deshalb nur schwer möglich.
Bei all diesen Aspekten ist jedoch eins sicher: Keiner von uns kann sich eine beinahe gesetzlose Zone, die sich vom Horn von Afrika bis nach Afghanistan erstreckt, leisten. Dafür würden wir einen hohen Preis zahlen.
Die Europäische Union hat in den letzten 18 Monaten den Jemen als vorrangigen Fall zum Gegenstand ihrer Anti-Terror-Strategie und ihres umfassenden Ansatzes in Bezug auf den Aufbau und die Entwicklung staatlicher Strukturen gemacht. So wurden vom Rat weitreichende Schlussfolgerungen über den Jemen im Oktober angenommen. Wir sind nun darum bemüht, alle unsere wichtigen Akteure um diese Strategie herum zu positionieren. Die Initiative des Vereinigten Königreichs, in der kommenden Woche ein Treffen auf höchster Ebene mit dem und über den Jemen zu organisieren, könnte deshalb nicht passender sein.
Ein Hauptaugenmerk des Treffens wird die Sicherheit sein. Es wird deshalb derzeit ein umfangreiches Paket geschnürt, mit dem die Bemühungen der Regierung tatkräftig unterstützt werden sollen: Schulungen und Ausrüstung für die Strafverfolgung, ein verbessertes gesetzliches Rahmenwerk sowie ein besseres Strafjustizsystem und Maßnahmen in Bezug auf eine Anti-Radikalisierung und Konfliktprävention. Dies wird noch zusätzlich zu den bereits im Rahmen des Entwicklungsprogramms der Kommission in den letzten zwei Jahren zugeteilten 11 Mio. EUR für die Ausbildung der Polizei und Jugendgerichtsbarkeit bereitgestellt.
Die Etablierung der Al-Qaida im Jemen ist ein Symptom tiefer liegender Probleme. Die Verbindung zwischen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sicherheitstechnischen Herausforderungen ist dabei von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Grund brauchen wir einen umfassenden Ansatz. Es ist ebenso unerlässlich, dass der Jemen seine Kapazitäten dahingehend verstärkt, dass den Bedürfnissen der Bevölkerung im ganzen Land Rechnung getragen wird. Die EU wird vorschlagen, ihren für den Zeitraum von 2011-2013 vorgesehenen Entwicklungsfonds um ein Drittel zu erhöhen. Die humanitäre Hilfe von ECHO wird bis zum Jahr 2010 erfolgen. Darüber hinaus stehen wir in einem ständigen Dialog mit der Regierung in Bezug auf die Zugangsprobleme zu den zahlreichen verschleppten Personen.
Keine noch so hohe finanzielle Unterstützung kann jedoch das Engagement und Handeln der eigenen Regierung ersetzen. Das von Präsident Saleh gemachte Bekenntnis zu einem nationalen Dialog mit allen relevanten Akteuren hat das Potenzial, einen neuen nationalen Konsens zu schaffen, falls alle Akteure mit eingeschlossen und ihre Interessen berücksichtig werden. Dieser Dialog sollte von der internationalen Gemeinschaft nachhaltig unterstützt werden. Denn dies ist der einzige nachhaltige Weg nach vorne.
Nicht zuletzt müssen sicherlich auch die regionalen Hauptakteure in die gemeinsamen Bemühungen um die Arbeit mit dem Jemen mit einbezogen werden, allen voran Saudi Arabien. Das Treffen in London bietet eine Chance von unschätzbarem Wert, die Saudis, die Vereinigten Staaten und weitere Länder in einem sinnvollen internationalen Dialog über und mit dem Jemen zusammenzubringen. Ich freue mich auf unsere Debatten.
José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-Fraktion. – (ES) Nach dem eindrucksvollen Stunt, den die Taliban gestern in Afghanistan dargeboten haben, wo, damit wir das nicht vergessen, derzeit 100 000 Truppen für den Frieden kämpfen, und dem vereitelten Terroranschlag in Detroit zu Weihnachten, glaube ich, Baronin Ashton, dass es berechtigt ist, sich zu fragen, ob der Terrorismus heute stärker ist als noch zu Zeiten, als der Frieden durch den barbarischen Akt der einstürzenden Twin Towers in New York angegriffen wurde.
Wir haben gerade eine Debatte über den Iran geführt, wir sehen, was in Afghanistan, in Pakistan, im Mittleren Osten, in Somalia und sogar im Herzen unseres eigenen Kontinents mit dem Anschlägen in Madrid und London passiert. Die sich daraus ergebende Frage, die wir uns alle stellen müssen, denn wir alle müssen versuchen, aus diesem Ereignissen zu lernen, ist, ob wir unsere Sache gut machen.
Es gibt in der Tat einen neuen Faktor, Frau Präsidentin, und zwar, dass wir heute Armeen ohne sichtbare Feinde und Feinde haben, die über keine Armeen verfügen. Direkt nach dem vereitelten Anschlag von Detroit sind von Präsident Obama Maßnahmen ergriffen worden und General Petraeus hat seinen dritten Besuch des Jemens innerhalb kürzester Zeit unternommen. Wir können sehen, dass die Vereinigten Staaten wirtschaftliche Hilfe in Form eines beträchtlichen Pakets mobilisiert und eine Politikstrategie entwickelt haben, die Ergebnisse liefert.
Sie haben uns in Ihrem Beitrag, Baronin Ashton, gerade die konkreten Maßnahmen, die die Europäische Union gedenkt, umzusetzen, dargestellt und Sie haben uns von Summen zu den zusätzlichen 11 Mio. EUR berichtet. Die Geldsumme, die von den Vereinigten Staaten aufgewendet wird, ist von 67 Mio. USD im Jahre 2009 auf 167 Mio. USD im Jahr 2010 gestiegen.
Aus diesem Grund ergibt sich für mich folgende Frage, Baronin Ashton: Glauben Sie, wenn wir konfrontiert mit Terrorismus, Vorstellungen von Außenpolitik, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und -hilfe, Handel – und ich würde sogar noch Kultur und Bevölkerung mit einschließen – alles miteinander vermischen, und dessen müssen wir uns bewusst sein, wenn wir also mit Gefahren und Bedrohungen konfrontiert werden, die uns alle gleichermaßen betreffen, dass dann nicht auch die Reaktion darauf von uns allen zu gleichen Teilen getragen werden sollte?
Sie haben über eine Koordination mit den Vereinigten Staaten gesprochen. Könnten Sie uns etwas über die Bedingungen sagen, unter denen diese Koordination, die so wichtig und notwendig ist, erfolgt?
David-Maria Sassoli, im Namen der S&D-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, Hohe Vertreterin, Damen und Herren, unsere Fraktion ist sehr über die Situation im Jemen beunruhigt, weil davon eine globale Bedrohung ausgeht: Der vereitelte Anschlag auf ein US-Flugzeug, die Drohungen gegen Botschaften im Ausland und die Verschärfung der Angriffe durch Al-Qaida, so wie die jüngsten Anschläge in Afghanistan, müssen sehr ernst genommen werden.
Bedauerlicherweise ist die Situation im Jemen vor Ort wenig hilfreich und wir sollten die Tatsache im Hinterkopf behalten, dass es sich hierbei um eines der ärmsten Länder der Welt handelt, mit ernstzunehmenden Wassermangel, hoher Arbeitslosigkeit und einer Wirtschaft, die extrem vom den Einkünften aus Öl- und Gasexport abhängig ist, und diese Quellen Schätzungen zufolge innerhalb der kommenden zehn Jahre versiegen werden.
Aus diesem Grund glaube ich, dass ein Handeln seitens der Europäischen Union unbedingt erforderlich ist, und zwar in Form einer engen Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, was die humanitäre Hilfe und entwicklungstechnischen Aspekte angehen und mit der Hohen Vertreterin für Außenpolitik in Bezug auf die gemeinsame Sicherheit, die Zusammenarbeit mit den Polizeikräften und den Grenzkontrollen.
Ich muss auch auf unsere Bedenken im Hinblick auf das harte Vorgehen gegen Vertreter der politischen Opposition, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in diesem Land zu sprechen kommen, über das die Hilfsorganisationen, die im Jemen arbeiten, bereits seit langem berichten. Baronin Ashton, ich denke deshalb, dass es von oberster Priorität ist, sicherzustellen, dass die Hilfsorganisationen jemenitisches Gebiet betreten und dort in absoluter Sicherheit arbeiten können.
Ich hoffe ebenso auf ein Bemühen der Europäischen Union, um sicherzustellen, dass der Jemen an den im Jahr 2006 auf der internationalen Geberkonferenz gemachten Zugeständnissen, insbesondere die Beschleunigung des Verfahrens für politische und wirtschaftliche Reformen, um Demokratie und den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern, festhält.
Seit den Anschlägen vom 11. September haben wir gelernt, dass das Absichern von Risikogebieten davon abhängt, wie umfassend wir darauf vorbereitet sind, um auf bessere Lebensbedingungen zu setzen. Baronin Ashton, Demokratie beginnt genau hier, und zwar mit der Fähigkeit, das Gefälle zwischen reichen und den ärmsten Ländern zu überwinden.
Holger Krahmer, im Namen der ALDE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Es scheint mir für die EU allgemein, aber auch für das Parlament im Besonderen ein bisschen symptomatisch zu sein, dass wir reflexartig Diskussionen über Situationen in Ländern führen, deren Situation ja nicht neu ist. Es ist leider so, dass sehr oft Ereignisse über Nacht dazu führen, dass wir uns hier wellenartig in politischen Forderungen ergießen, die ich mitunter etwas fragwürdig finde. Ich glaube, dass es uns nicht gut zu Gesicht steht, wenn uns ein gescheitertes Flugzeugattentat allein zu einer Generaldebatte über den Jemen zu veranlasst. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es uns gut zu Gesicht stehen würde, eine Strategie zu überlegen, wie wir mit dieser Situation umgehen.
Ich glaube auch, dass die Situation im Jemen einer genauen Analyse bedarf, nämlich der, dass es sich um einen gescheiterten Staat handelt, in dem eine Regierung agiert, die große Teile des Landes nicht mehr unter Kontrolle hat. Wir sollten für uns analysieren, welche Risiken für Europa daraus entstehen. Die Risiken scheinen zu sein, dass dort Terroristen ausgebildet werden, und die Risiken scheinen sich auch an der Küste des Jemen aufzutun, wo offensichtlich Piraterie stattfindet. Deswegen ist es an uns – und vielleicht auch an Frau Ashton – zu überlegen, was wir gegen diese Risiken tun können. Für meine Begriffe kann die Frge vor allem sein: Wie können wir der Regierung im Jemen den Rücken stärken, die Kontrolle über das Land zurückzugewinnen und diese Risiken einzudämmen? Alle anderen Diskussionen über einen langfristigen Aufbau des Landes müssen natürlich auch geführt werden. Aber ich glaube nicht, dass es wirklich sinnvoll ist und dass wir ernst genommen werden, wenn wir jetzt einen Forderungskatalog quer durch alle Politikthemen – von der Medienfreiheit über die Rechte der Frau – hier im Parlament anstoßen. Das wird im Jemen nicht zum Ziel führen, sondern wir sollten uns darauf konzentrieren, welche Hilfe wir ganz konkret in der jetzigen Situation leisten können, um ein akutes Problem zu lösen.
Franziska Katharina Brantner, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Ich werde ein wenig mit dem fortfahren, was der vorherige Sprecher bereits angesprochen hat. Der Jemen ist sicherlich keine neue Krise: Die Lage im Land verschlimmert sich seit Jahrzehnten und auf die sich verschlechternde politische Situation ist bereits in der Halbzeitbilanz der Kommission deutlich hingewiesen worden.
Ich denke, dass wir uns wirklich auf den politischen Kontext konzentrieren müssen: Der lange währende Konflikt im Norden zwischen der Regierung und den Huthis, die Unruhen im Süden, die Sie gerade erwähnt haben – und nun auch noch die Ausweitung des Konflikts in der nördlichen Region, der nun auch Saudi Arabien und den Iran betrifft.
Die Frage lautet also: Was genau muss unternommen werden? Es sind jetzt Forderungen nach dem Stabilitätsinstrument für eine Mission der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) laut geworden, um mehr Geld in die Ausbildung von Personen zu investieren, aber ich denke, dass dieser Ansatz nicht ausreichend ist – er ist zumindest keine Antwort auf die Krise, solange wir nicht dem Konzept einer dauerhaften Krise zustimmen.
Ich denke, dass wir auf ein größeres Engagement des Golf-Kooperationsrates und nicht nur Saudi Arabiens im Jemen drängen sollten. Wir brauchen diese Organisation, um die verschiedenen jemenitischen Parteien, die Regierung, die Opposition, die Abtrünnigen im Süden, die Huthis und die regionalen Machthaber in einer Art Friedensprozess zusammenzubringen und ich denke, dass dies beispielsweise durch ein Stabilitätsinstrument unterstützt und finanziert werden sollte – denn das ist doch der eigentliche Zweck eines Stabilitätsinstruments.
Mit einer weiteren GSVP-Mission und einer weiteren Runde mit Ausbildung im Rahmen des Stabilitätsinstruments ohne ein wirklich zielgerichtetes politisches Verfahren werden wir, so denke ich, nicht weiterkommen. Ich möchte Sie wirklich dringend bitten, das Stabilitätsinstrument mehr als ein politisches Frühwarninstrument zur Förderung eines politischen Prozesses zu nutzen und dies entsprechend zu unterstützen und zu finanzieren. Ich denke, dass dies aus meiner Sicht etwas sehr erstrebenswertes wäre.
Und ich möchte noch einen weiteren Punkt hinzufügen: Die Gleichstellung der Geschlechter ist erwähnt worden, und Sie haben sie ebenfalls angesprochen, und ich denke, dass wir sehr darin investieren sollten. Das Bevölkerungswachstum ist in diesen Ländern von größter Wichtigkeit und wir werden, wie wir alle wissen, dieses Problem nicht lösen können, solange wir keine Familienplanung haben - und das bedeutet, Rechte für Frauen.
Ich weiß, dass Sie nicht auf grundlegende Frauenrechte drängen werden, aber ich denke, dass die Gleichstellung der Geschlechter und insbesondere die Familienplanung von entscheidender Bedeutung sind, wenn wir heute überlegen, was zu tun ist, um der Bevölkerung Jemens zu helfen.
Adam Bielan, im Namen der ECR-Fraktion. – (PL) Frau Präsidentin, die ganze Welt hat vor Kurzem noch nach dem Jemen geschaut, nachdem Al-Qaida-Aktivisten sich zu dem, glücklicherweise nicht erfolgreichen Versuch, ein amerikanisches Verkehrsflugzeug zu Weihnachten zu sprengen, bekannt haben. Wir wissen jedoch schon seit langer Zeit, dass der immer schlechter werdende Sicherheitsstandard in dem Land dazu führt, dass Terrorgruppen Zuflucht finden, um von dort aus weitere Aktionen planen und organisieren zu können. Der Terrorismus ist in der Region auch schon viele Jahre vor dem 11. September, einem Tag, an den wir uns alle erinnern, verbreitet gewesen. Da brauchen wir uns nur einmal an den Al-Qaida-Anschlag auf das amerikanische Kriegsschiff, die USS Cole, am 12. Oktober 2000 zu erinnern.
Der Jemen ist ein extrem wichtiges Land, insbesondere auf Grund seiner geografischen Lage. Wir dürfen nicht vergessen, dass 3,5 Millionen Barrel Rohöl, das entspricht 4 % der weltweiten Produktion, jeden Tag durch die 26,5 Kilometer lange Bab el Mandeb-Straße zwischen dem Jemen und Dschibuti transportiert werden. Gleichzeitig ist es aber auch ein Land mit einer sehr komplizierten innenpolitischen Lage. Abgesehen von Al-Qaida, die dort heimisch ist, gibt es außerdem einen ernstzunehmenden Aufstand schiitischer Rebellen in der Provinz Saada im Norden des Landes und ein Ausbruch von Gewalt ausgehend von der Abtrünnigenbewegung im Süden. Wenn wir jetzt dazu auch noch die Auswirkungen der weltweiten Ernährungskrise von vor zwei Jahren, die gegenwärtige Finanzkrise, die weltweit schwindenden Rohöl-Vorkommen, die drei Viertel des Landeseinkommens ausmachen, und schließlich auch die zunehmende ernsthafte Wasserknappheit hinzunehmen, dann erhalten wir das Bild eines in die Knie gezwungenen Landes und damit einer idealen Zielscheibe für Al-Qaida, die angesichts der Probleme in Afghanistan nach einer neuen Basis für sich sucht.
Aus diesem Grund muss, abgesehen von militärischen Maßnahmen in der einen oder anderen Form, die angesichts der Passivität und Hilflosigkeit der lokalen Behörden unvermeidbar zu sein scheinen, die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Europäischen Union, – und hier appelliere ich an Frau Ashton – vor allem sehr aktiv im Prozess des Wiederaufbaus der staatlichen Institutionen sein.
Sabine Lösing, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Frau Präsidentin! In den Medien wird schon für eine dritte Front im Krieg gegen den Terror mobil gemacht. Im Moment jedoch liegen die strategischen Optionen der USA und der EU-Staaten für den Jemen und die Region um das Horn von Afrika noch nicht wirklich offen. Tatsache ist, dass die herrschenden Eliten um Präsident Salih die schiitische Bevölkerung im Norden seit Jahren brutal diskriminieren und unterdrücken und gegen die separatistische Bewegung im Süden im Gebiet der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen einen Krieg führen, der großes Leid über die Bevölkerung bringt. Eine nennenswerte Verbindung der schiitischen Bevölkerung zu al-Qaida ist nicht wirklich nachweisbar und dient damit insbesondere der korrupten und de facto autokratischen Regierung lediglich als Vorwand, um massive Militärhilfen zu erhalten.
Eine Unterstützung dieser Regierung zum Aufbau von Sicherheitskräften sollte unterbleiben – sie gießt nur weiteres Öl ins Feuer. Die Vergabe von Hilfsmitteln muss allen Regionen zugute kommen, ungeachtet religiöser, ethnischer oder politischer Ausrichtung. Ein Aussöhnungsprozess muss unter Einbeziehung der VN sowie aller Akteure vor Ort, auch in den Nachbarstaaten, wie dem Iran, initiiert und gefördert werden. Es darf keine einseitige Unterstützung der Regierung gegen die Aufständischen geben. Die Atalanta-Mission sollte nicht fortgesetzt und ausgeweitet werden, schon gar nicht auf das Gebiet des jemenitischen Festlands, weil damit nur geostrategische Interessen der westlichen Industrieländer bedient würden.
Wir sollten alles daran setzen, dass die EU nicht den völlig falschen Weg der eskalierenden Strategie der USA nun auch im Jemen mitgeht.
Fiorello Provera, im Namen der EFD-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Jemen ist weniger ein neues Grenzland für den Terrorismus, wie es jemand bezeichnet hat, sondern vielmehr ein Land mit einer zerbrechlichen Stabilität.
Die mangelnde Kontrolle der Zentralregierung über das Hoheitsgebiet und die Durchlässigkeit der Grenzen ermöglichen in zunehmendem Maße einen illegalen Grenzverkehr, unkontrollierte Migration, Piraterie und terroristische Aktivitäten. Die Antwort auf die neuen Herausforderungen durch die Al-Qaida im Jemen sollten jedoch nicht nur aus militärischem Druck, sondern auch darin bestehen, die lokalen Behörden darin zu unterstützen, eine bessere Kontrolle über das Hoheitsgebiet zu gewinnen. Ich wiederhole: die lokalen Behörden und nicht nur die Regierung.
Die Stabilität im Jemen sollte jedoch im Hinblick auf nationale und regionale Eigentumsrechte erreicht werden, ohne das Aufbürden von externen und im Voraus erstellten Lösungen, die oftmals im Konflikt mit der tatsächlichen Situation stehen, und deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Dies würde auch ein größeres Engagement des Golf-Kooperationsrates erleichtern, dessen finanzielle Beteiligung an lokalen Projekten von entscheidender Bedeutung wäre. Die Europäische Union sollte mit ihren Partnern – dem Jemen, den G8-Staaten und den Golf-Ländern – zusammenarbeiten und finanzielle und entwicklungstechnische Beiträge leisten, die von der jemenitischen Regierung unterstützt werden.
Und schließlich sollten noch politische Strategien, die sich auf lange Sicht als erfolgreich erweisen, durch eine unmittelbare deutliche Unterstützung der Sicherheit und Kontrolle über das Hoheitsgebiet begleitet werden, ohne die wir den Zusammenbruch des jemenitischen Staates und damit ein enormes Wachstum an Terrorismus in dieser Region riskieren.
Andreas Mölzer (NI). - Frau Präsidentin! Der Jemen ist bekanntlich derzeit ein Tummelplatz für islamische Extremisten, ein bitterarmes Land mit einer wenig effektiven Sicherheitsversorgung, mit hoher Waffendichte, das von Konflikten erschüttert wird und unter akutem Wassermangel leidet. Es ist ein Land, in dem die Regierung angeblich nicht einmal die Hauptstadt vollständig unter Kontrolle hat.
Der Jemen ist nun also ins Rampenlicht der Terrorismusbekämpfung gerückt, und damit einmal mehr ein Land, in dem die Anwesenheit radikaler Islamisten leider aus vergangenen Fehlern der US-Politik resultiert. Das sollte in der Diskussion ganz bewusst in Erinnerung gerufen werden, sowie die CIA-Überflüge, die geheimen Gefängnisse und die katastrophalen Auswirkungen der bisherigen amerikanischen Feldzüge im Nahen und im Mittleren Osten.
Es wäre meines Erachtens naiv, Terrorismus mit Armut gleichzusetzen, wie es verantwortungslos wäre, sich vor den amerikanischen Karren spannen zu lassen und blauäugig zu glauben, dass allein eine Erhöhung der Militärhilfe Jemens Probleme lösen könnte. Denn der diktatorisch regierende Präsident kassiert zwar westliche Militärmillionen, hat aber in der Vergangenheit immer wieder auf Islamisten zurückgegriffen, um Regimegegner mundtot zu machen.
Natürlich kann man nicht tatenlos zusehen, wie dieses Land nun vom bisherigen Rückzugsgebiet der Gotteskrieger zum Operations- und Trainingsbasisgebiet mutiert. Und natürlich muss darüber diskutiert werden, wie man die Entwicklungshilfe verbessern kann, allein schon um einem Teil der Dschihad-Rekruten den Boden zu entziehen.
Letztendlich darf sich die EU aber nicht in die Rolle des US-Zahlmeisters drängen lassen, sondern sie hat eine unparteiische Vermittlerrolle einzunehmen, um einen Dialog anzuregen und den Weg für eine langfristige politische Lösung zu ebnen.
Laima Liucija Andrikienė (PPE). Frau Präsidentin, ich möchte einen kurzen Beitrag leisten und habe zwei Fragen an Baronin Ashton. Es scheint so, als ob sich die EU in einem Dilemma befände. Einerseits müssen wir mehr eindeutige Maßnahmen gegen Terroristen ergreifen, die eine direkte Gefahr für die Sicherheit der europäischen Bevölkerung darstellen. Verschiedene islamistische Extremistengruppen sind im Jemen so aktiv wie nie zuvor und die Al-Qaida sieht den Jemen als eines ihrer wichtigsten Gebiete an, um Angriffe auf westliche Ziele zu planen und Milizen und potenzielle Selbstmordattentäter auszubilden.
Der fehlgeschlagene Anschlag auf das Flugzeug der Northwest Airlines ist das jüngste Beispiel der Gefahr, mit der wir konfrontiert werden. Andererseits sollte man wissen, dass die Behörden im Jemen von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mehr als ein Mal der Folter, unmenschlichen Behandlung und außergerichtlichen Exekutionen beschuldigt wurden. Willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen sind weit verbreitet und diese ungesetzlichen Maßnahmen sind dann mit der Entschuldigung, so den Terrorismus zu bekämpfen, gerechtfertigt worden.
In diesem Zusammenhang, Baronin Ashton, und dabei beziehe ich mich auf die Schlussfolgerungen des Rates über den Jemen, die Frage an Sie, was für eine Art der Unterstützung kann die EU dem Jemen bieten, was den Kampf gegen den Terrorismus angeht? Darüber hinaus ist die EU der Ansicht, dass es keine militärische Lösung für die Krise in diesem Gebiet gibt. Gleichzeitig hat Washington jedoch mit den jemenitischen Behörden ein Abkommen über eine engere militärische Zusammenarbeit unterzeichnet. Aus diesem Grund würde ich gerne Ihre Meinung und die Position der Europäische Union über die Entscheidung der Amerikaner, sich aktiver im Jemen im Kampf gegen Terroristen, insbesondere durch die Unterzeichnung eines Abkommens über militärische Nachrichten und Ausbildung, zu engagieren, wissen.
Richard Howitt (S&D). Frau Präsidentin, ich begrüße die heutige Debatte, die im Vorfeld der Konferenz mit dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten und der von Gordon Brown einberufenen Konferenz in London in der kommenden Woche stattfindet.
Unsere Aufmerksamkeit ist möglicherweise durch den versuchten Flugzeuganschlag geweckt worden. Ich möchte heute jedoch auch die internationale Aufmerksamkeit auf die Bemühungen lenken, die der Befreiung des britischen Ingenieurs Anthony S. und fünf weiteren Geiseln, die in einem lokalen Krankenhaus im Jemen gearbeitet haben und seit Juni letzten Jahres als verschleppt gelten, gilt.
Bei unseren zukünftigen Aktivitäten sollten wir allerdings auch die innenpolitischen Bedürfnisse des Jemen und nicht nur die außenpolitischen Anforderungen berücksichtigen. Wir müssen das Ausmaß der Unterernährung, das die Unterernährung in einigen schwarzafrikanischen Ländern, wie dem Niger zum Beispiel, noch übersteigt, und die Menschenrechtsverletzungen, die von Frau Andrikienė gerade angesprochen wurden, in einem Land bekämpfen, das weltweit an elfter Stelle was die Häufigkeit von Exekutionen, einschließlich der von Kindern, liegt. So dass wir, als internationale Gemeinschaft, nicht darauf warten, dass Terroristen auf dem Vormarsch sind, bevor wir endlich damit anfangen, uns mit Aspekten wie Verwaltungskapazitäten, Regieren und Entwicklung in anfälligen Staaten in unserer Welt zu beschäftigen.
Ich begrüße die heutige Ankündigung der Hohen Vertreterin über Hilfsleistungen und bitte sie, sicherzustellen, dass bei den Treffen in der kommenden Woche die tatsächlichen Versprechen für Hilfszahlungen an den Jemen von allen Teilnehmern zu einer Zeit, wo nach einem verstärkten Aufruf der UN für das Land weniger als 1 % der benötigten Gelder mobilisiert wurden, thematisiert werden. Und ähnlich wie Frau Brantner hoffe ich, dass dem Treffen ein Waffenstillstand folgen wird und vielleicht eine Friedenskonferenz über die letzte Runde im Kampf mit den Huthis im Norden eingeläutet und der Zugang humanitärer Hilfen in das Gebiet sichergestellt werden kann. Und das sichergestellt wird, dass das Landeseinkommen aus dem Ölexport in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zu Gunsten der Bevölkerung des Landes investiert wird. Dass Europa kooperieren soll, wenn es darum geht, langfristige Lösungen für jemenitische Gefangene, die derzeit noch das größte Kontingent in Guantánamo Bay ausmachen, zu finden.
Ich hoffe aber in der Tat auch, dass die Hohe Vertreterin das Potenzial für ein Projekt der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von EU und Golf-Kooperationsrat in Bezug auf Ausbildung im Sicherheitssektor im Jemen, einem Bereich, in dem unser Engagement in so vielen Ländern von entscheidender Bedeutung ist, ausschöpfen wird.
Und letztendlich mögen die Bin Ladens möglicherweise aus dem Dorf Al-Rubat im Jemen kommen, aber es ist das fehlende internationale Engagement, das dazu geführt hat, dass sich so viele junge Menschen der Landesbevölkerung in Namen dieser Familie radikalisiert haben. Deshalb ist ein internationales Engagement nun dringend erforderlich.
Charles Goerens (ALDE). – (FR) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein vereitelter Anschlag reicht aus, um jeden Anschein der Trivialität von der Bekräftigung des Anrechts auf Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu entfernen. Der Schutz unserer Bevölkerung verpflichtet uns vielmehr dazu, permanent nach einem Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit zu suchen.
Das Recht auf Schutz, insbesondere vor einem Terroranschlag, ist in Artikel 188R des Vertrags von Lissabon festgelegt und da vor allem in Artikel 4, der die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten dazu ermächtigt, auf effektive Weise zu handeln. In demselben Artikel wird eindeutig festgelegt, dass der Europäische Rat eine regelmäßige Bewertung der Bedrohungen für Europa vornehmen muss. Ich möchte Frau Ashton bitten, mir zu erläutern, ob und in welchem Umfang die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit dieser Klausel gehandelt haben.
Aus ihrer Sicht der Dinge kann eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ihr erlauben zu behaupten, dass die vom US-amerikanischen Geheimdienst gemachten Fehler, die im Fall des jüngsten Anschlags auf den Flug 253 von Amsterdam nach Detroit ans Licht kamen, in der Europäischen Union nicht hätten passieren können?
Dabei ist in dieser Debatte eine Frage von zentraler Bedeutung: Ist der Name des verdächtigen Terroristen den europäischen Nachrichtendiensten, allen europäischen Nachrichtendiensten, bekannt gewesen? Wenn dies nicht der Fall war, welche Schlussfolgerungen wird sie daraus ziehen wollen? Wird sie der Ansicht sein, dass derzeit das Ausmaß an Zusammenarbeit und Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten ausreichend ist, um diese Art von Fehlern in der Europäischen Union auszuschließen?
Erachtet die Hohe Vertreterin die Leistungsfähigkeit der Geheimdienste der Mitgliedstaaten als ausreichend, um im Sinne der in Artikel 188R festgelegten Solidarität zu kooperieren?
In der Tat haben die Bürgerinnen und Bürger das Recht auf eine fehlerfreie Überwachung der Bedrohung durch den Terrorismus. Sie würden es kaum verstehen, wie auf der einen Seite die Europäische Union fortfährt, mehr und mehr persönliche SWIFT-Daten an die Vereinigten Staaten weiterzugeben und wie auf der anderen Seite dieselbe Europäische Union Defizite im Bereich von Schutz und Nachrichtendienst haben kann.
Geoffrey Van Orden (ECR). Frau Präsidentin, bedauerlicherweise hat der Jemen schon vor langer Zeit die Eigenschaften einer Brutstätte für Terroristen entwickelt und diese Entwicklung ist in den letzten Jahren nicht richtig erkannt worden. Damit sind auf das Engste Konflikte, Gesetzlosigkeit und Korruption verbunden.
Es ist es wert, sich dabei erneut zu vergegenwärtigen, dass der Grund, warum britische Truppen im frühen 19. Jahrhundert bereits im Jemen interveniert haben, der war, der Piraterie im Golf von Aden ein Ende zu bereiten, was ihnen auch über ein Jahrhundert lang erfolgreich gelungen ist. In der jüngeren Vergangenheit hat sich der Jemen natürlich sowohl zu einer Brutstätte des Terrorismus, wo Terroranschläge verübt worden sind, entwickelt, aber er hat auch den Terrorismus in andere Länder exportiert. Terrorgruppen sind Meister darin, die Möglichkeiten gescheiterter Staaten für ihre Zwecke auszunutzen. Wir müssen helfen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Derzeit wird vom Vereinigten Königreich eine unverhältnismäßig große Unterstützung geleistet. Ich hoffe, dass die London-Konferenz andere Länder, einschließlich der Europäischen Union, und, da stimme ich zu, andere Regionalstaaten dazu ermutigen wird, mehr zu tun.
Wir können natürlich nicht darauf hoffen, dass Terrorismus ausgelöscht wird, wo immer er auch auflodert, und das bedeutet auch, dass wir die Sicherheit in unseren eigenen Länder verbessern und mehr effektive Kontrollen an unseren eigenen Grenzen haben müssen. Ich bezweifele, dass die EU diesbezüglich wirklich motiviert ist, so muss also jedes unserer Länder selbst dafür sorgen.
Charalampos Angourakis (GUE/NGL) . – (EL) Frau Präsidentin, das Volk im Jemen ist Opfer eines imperialistischen Konflikts und imperialistischer Intervention. Die imperialistischen Mächte sind, so glaube ich, für die ethnischen, rassischen und religiösen Machtkämpfe in diesem Land verantwortlich. Seit Jahren sind dabei auch immer wieder militärische Streitkräfte zum Einsatz gekommen. Sie untergraben eine friedliche Lösung der Streitigkeiten, damit sie die Energiereserven und Energietransportkanäle in diesem Gebiet kontrollieren können.
Die Entwicklungen in diesem Land sind stets die Ergebnisse der imperialistischen Optionen der NATO-Politik und der Politik der Unterstützung des extrem reaktionären und gegen das Volk agierenden Regimes in diesem Land gewesen. Mit dem immensen Anstieg der finanziellen und militärischen Hilfe durch die Vereinigten Staaten unter dem Vorwand, damit Al-Qaida zu bekämpfen, zusammen mit der Klassifizierung des Jemen als ein Land, dass Terroristen Zuflucht gewährt, der Bombardierung von Gebieten des Landes durch saudisches Militär mit der Unterstützung der USA und die Anwesenheit ausländischer Truppen ist es möglich, dass es zu einer Eskalierung der offenen militärischen imperialistischen Intervention kommen wird. Das ist an dem neuerlichen Ausbruch der Hysterie, der dem versuchten Terroranschlag auf das Delta-Flugzeug gefolgt ist, deutlich geworden. Ich glaube, dass die Völker dergestalt darauf reagieren werden, dass sie den Kampf gegen die gegen sie gerichteten repressiven Maßnahmen und imperialistischen Interventionen noch verstärken werden.
Andrew Henry William Brons (NI). Frau Präsidentin, um es mit den Worten der fiktionalen Lady Bracknell zu sagen: Ein Fehler in der muslimischen Welt zu begehen, ist bedauerlich - aber zwei Fehler zu machen, ist Leichtsinn.
Drei oder mehr Fehler sind Zeichen von Dummheit, Irrsinn oder vorsätzlicher Hetzerei. Der Jemen wird mittlerweile als das neue Afghanistan bezeichnet. So werden dort bereits US-Truppen in beratender Tätigkeit eingesetzt. Wie lange vorher haben sie und ihre Alliierten, einschließlich Großbritannien, Bodentruppen im Kampf gegen Al-Qaida eingesetzt?-
Was sollte der Westen denn nun tatsächlich unternehmen, um diese Gefahr zu bannen? Als Erstes sollte er die Kriege in muslimischen Ländern beenden, in denen westliche Truppen und Zivilisten getötet werden und die zu einer Radikalisierung junger Moslems vor Ort und überall in der Welt führen. Er sollte die Truppen zurück nach Hause holen und dort zur Verstärkung der Sicherheit in der Heimat einsetzen, um unsere Bevölkerungen und die Infrastruktur zu beschützen.
Er sollte eine echte neutrale Politik gegenüber dem Mittleren Osten annehmen und die Partisanen-Politik der USA aufgeben und er sollte die Immigration aus muslimischen Ländern stoppen und radikale Muslime im Westen dazu ermutigen, herauszufinden, ob ein Leben bei ihren eigenen Glaubensgenossen für sie nicht viel zufriedenstellender ist.
Angelika Niebler (PPE). - Frau Präsidentin, verehrte Frau Vizepräsidentin der Kommission, liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Monaten haben sich die Lage der Menschen sowie die gesamte politische und wirtschaftliche Situation im Jemen dramatisch verschlechtert. Wir Europäer müssen daher alles daran setzen, dass sich das Land endlich stabilisiert.
Frau Vizepräsidentin, ich darf Ihnen zurufen: Bitte verhindern Sie, dass Jemen ein zweites Afghanistan wird! Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Aber das schaffen wir nur, wenn wir in diesem Land auch einen Friedensprozess mit unterstützen. Wir müssen Frieden in der Region schaffen, wir müssen die Friedensbemühungen der Regierung unterstützen. Man kann auch die jemenitische Regierung nochmals in die Pflicht nehmen, dass es keine Diskriminierung im Land geben darf – nur dann kann es Frieden geben. Frieden heißt, dass es demokratische Strukturen geben muss, dass Minderheiten ihre Rechte bewahren. Das ist ja unser europäischer Weg, der sich vielleicht auch von anderen Wegen unterscheidet. Ich bitte Sie, in Ihrer neuen Funktion alles daranzusetzen, eben mit uns diesen europäischen Weg zu gehen.
Ohne politische Stabilität hat das Land keine Chance. Wenn politische Stabilität da ist, dann kann auch die Wirtschaft vor Ort gesunden, dann kann man auch eine Wirtschaft aufbauen und den Menschen eine Perspektive geben. Ich bitte Sie, sich dafür stark zu machen. Ich bitte Sie auch, Ihren Einfluss geltend zu machen, dass die Hilfstruppen, die vor Ort sind, humanitäre Hilfe leisten können. Es sind über 130.000 Flüchtlinge aus Somalia im Lande. Es ist eine furchtbare Situation vor Ort. Ich setze alle Hoffnungen in Sie, dass Sie da Ihren Einfluss ausüben. Bitte setzen Sie sich auch ein für die sechs Geiseln, für die europäischen Bürger – einen Briten und fünf deutsche Bürger –, die als Geiseln in Jemen sind. Vielleicht können Sie da auch mithelfen, diese zu befreien. Herzlichen Dank!
Zigmantas Balčytis (S&D). – (LT) Ich stimme mit der Kommission und meinen Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben, dass die Situation im Jemen angespannt ist, überein. Das Land ist durch die endlosen Partisanenkriege und Separatistenkämpfe erschöpft und ausgeblutet und die Bevölkerung leidet unter extremer Armut. Eine solche wirtschaftliche und politische Instabilität hat bereits zur Beunruhigung in den Nachbarländern auf der arabischen Halbinsel geführt und bedroht nicht nur die regionale, sondern auch die globale Sicherheit. Die Schlagzeilen über die jüngste Verschärfung der Aktivitäten von Terrorgruppen sind besorgniserregend. Lassen Sie mich Sie auch an den vereitelten Versuch, ein Flugzeug auf seinem Weg in die USA in die Luft zu sprengen, sowie an die Androhung von Anschlägen auf Botschaften im Jemen erinnern. Die USA hat bereits angekündigt, dass sie der Situation in diesem Land besondere Aufmerksamkeit schenken will. Aus diesem Grund denke ich, dass es, während der Umsetzung einer gemeinsamen Außenpolitik, die Pflicht des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und anderen Institutionen, insbesondere nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, ist, gemeinsame und koordinierte Maßnahmen mit der internationalen Gemeinschaft zu ergreifen.
Ivo Vajgl (ALDE). – (SL) Ich werde hier auf Slowenisch sprechen, deshalb hören Sie sich bitte die Übersetzung an. Der Jemen ist ein Land, das durch religiöse Konflikte und Stammesfehden sowie durch die Fehler vergangener Kolonialherren und durch politische Strategien der US-Außenpolitik erschüttert ist. Wie bereits von einigen unserer Kolleginnen und Kollegen angemerkt wurde, haben wir es hier in erster Linie mit dem Nahen und dem Mittleren Osten zu tun, und damit mit einer instabilen und mit Problemen durchsetzten Region, und in zweiter Linie natürlich auch mit der Ursache für all diese Konflikte, der Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina.
Der Jemen steht stellvertretend für all diese Probleme und wir sollten uns nicht in der Tatsache täuschen, dass wir es hier mit einem lokalen Problem zu tun haben. Der Jemen ringt mit einem Bürgerkrieg, Al-Qaida-Hochburgen, einem schwachen Staat, schlechten Nachrichtendiensten, unzureichender Sicherheit und bewaffneten militärischen Streitkräften. Was dürfen wir von der Konferenz in London erwarten?
Verehrte Hohe Vertreterin, aus meiner Sicht wird die schwierigste Aufgabe darin bestehen, einen ganzheitlichen Ansatz zu formulieren, aber das ist genau das, was es zu tun gilt. Denn nur so können die Probleme im Jemen gelöst werden. Wir brauchen einen wirtschaftlichen und entwicklungstechnischen Ansatz und wir müssen dem Jemen die Art von Beistand anbieten, die ihm helfen wird, die Kompetenz von Staat und Behörden zu auszubilden.
Ich bin jedoch der Meinung, dass der zweite Bericht, den ich von Ihnen, Frau Ashton, hören möchte, davon handelt, dass wir uns in unserem Denken nicht in die Irre führen lassen, – niemand sollte sich in seinem Denken in die Irre führen lassen – dass dies hier nur ein weiterer Punkt oder eine weiteres Problem ist, dass durch militärische Maßnahmen gelöst werden kann. Ich fürchte, dass es viele Anzeichen, insbesondere in der Weltpresse, dafür gibt, dass wir uns für eine neue Front, für eine neue bewaffnete Auseinandersetzung rüsten. Das wäre das Schlimmste, was dem Jemen passieren könnte und das wäre etwas, dass sehr wahrscheinlich die Beziehungen innerhalb der gesamten Region noch mehr vergiften würde. Wir haben genügend Lehren aus den militärischen Abenteuern, die wir vom Nahen und Mittleren Osten bis hin zu Afghanistan und an ein paar weiteren Stellen miterlebt haben, gezogen.
Struan Stevenson (ECR). Frau Präsidentin, wir haben bereits zuvor über die sich verschlechternde Situation der Menschrechte und das brutale Faschistenregime im Iran debattiert. Wir haben während der Debatte gehört, wie die Mullahs den Terrorismus nach Palästina und in den Libanon exportiert haben und wie sie ihre widerwärtige Art des Terrors nun auch in den Jemen exportieren.
Im vergangenen Oktober haben jemenitische Behörden berichtet, dass sie ein mit Waffen aus dem Iran beladenes Schiff sichergestellt haben. Sie haben dabei fünf iranische Ausbilder festgenommen. Die Waffen und die Ausbilder waren für die Huthi-Rebellen bestimmt.
Der Iran ist ein Altmeister darin, Kriege durch Stellvertreter zu führen; er hat dies ebenso in Palästina wie auch im Libanon gemacht. Derzeit ist er bestrebt, eine stellvertretende regionale Auseinandersetzung mit dem von Sunniten dominierten Saudi Arabien zu schüren. Deshalb möchte ich Baronin Ashton sagen, dass, wenn sie sich entschieden mit dem Iran beschäftigen würde, sie damit gleich einen Großteil des Krebstumors entfernen würde, der eine Gefahr für den Mittleren Osten darstellt.
Cristiana Muscardini (PPE). – (IT) Frau Präsidentin, Hohe Vertreterin, meine Damen und Herren, die ernsthafte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise im Jemen ist eng mit der operativen Präsenz der Al-Qaida auf seinem Territorium und der dschihadistischen Vision, die sie motiviert, verbunden.
Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Welt und die Bewältigung der innenpolitischen Konflikte ist durch Schwierigkeiten aufgrund des religiösen Ursprungs des Konflikts zwischen den schiitischen und sunnitischen Minderheiten gekennzeichnet. Wie im Entschließungsantrag auch schon betont wird, sind Hilfe, Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Umsetzung der sozialen Hilfsprogramme von entscheidender Bedeutung. Wir sollten jedoch dabei auch die Risiken hervorheben, die der Westen eingeht, wenn die Sicherheitsprobleme nicht eindeutig und mit Entschlossenheit angegangen werden.
Die Gründe, die Terroristen dazu verleiten, militärische Ausbildungen zu durchlaufen und für märtyrerische Aktionen zu trainieren sind das Ergebnis der dschihadistischen Ideologie, die sich auch auf dem afrikanischen Kontinent immer mehr verbreitet und festsetzt, und dies geschieht zum Teil auch aufgrund der Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit, mit der die internationale Gemeinschaft auf Al-Qaida und ihre Zellen in Somalia und dem Sudan sowie im Jemen reagiert, oder besser gesagt, nicht reagiert hat.
Wir dürfen nicht das Verhältnis von Ursache und Wirkung außer Acht lassen, das zwischen der Anwesenheit von Terroristen im Jemen und der Anzahl der unternommenen Aktivitäten zur Destabilisierung Somalias, die von Al-Qaida-Kräften im Jemen aus kontrolliert werden, besteht. Diese sind wiederum weniger von den Wahhabiten in Saudi Arabien als vielmehr von den Ajatollahs im Iran abhängig, die sie mit Waffen und Geld versorgen. Die Unterstützung für den Jemen kann nicht vom Aspekt der Sicherheit getrennt werden.
Arnaud Danjean (PPE). – (FR) Frau Präsidentin, Frau Ashton, Sie haben gut daran getan, zu betonen, dass der Kernpunkt im Jemen in Bezug auf die Sicherheitspriorität darin besteht, die innenpolitischen Auseinandersetzungen, die in diesem Land herrschen, zu beenden. Wir dürfen nicht die Ursachen mit den Folgen verwechseln und, ohne das Risiko durch Terroristen jetzt schmälern zu wollen, aber der Terrorismus ist nicht die Hauptursache für die Instabilität im Jemen. Terrorismus entsteht, weil es eine Instabilität aufgrund innenpolitischer Konflikte gibt. Von diesem Gesichtspunkt aus sollte die Europäische Union vorrangig die Bemühungen, die derzeit gemacht werden, um im Jemen einen nationalen Dialog mit Präsident Saleh zu initiieren, befürworten und unterstützen.
Auf regionaler Ebene gibt es, woran wir gerade erinnert wurden, Verbindungen zu der Krise in Somalia und der Krise am Horn von Afrika. Es gibt beträchtliche Migrationsströme, aber auch illegalen Waffenhandel und Bewegungen von Dschihad-Kämpfern zwischen dem Jemen und Somalia. Deshalb möchte ich in dieser Hinsicht gerne wissen, wo die Europäische Union bezüglich der Verstärkung der maritimen Überwachungskapazitäten, die auch den Jemen betreffen, steht.
Filip Kaczmarek (PPE). – (PL) Frau Präsidentin, der Jemen ist das ärmste Land in der arabischen Welt. Ich war vor nicht allzu langer Zeit im Jemen und habe dies mit meinen eigenen Augen gesehen. Es besteht kein Zweifel daran, dass Armut die Quelle oder wenigstens ein Faktor für die Verschärfung einiger der vielen Probleme, mit denen sich das Land konfrontiert sieht, ist.
Bedauerlicherweise werden in einer globalisierten Welt die Probleme des Jemen auch zu unseren Problemen. Die innenpolitischen Auseinandersetzungen, auf die im Entschließungsentwurf und im Verlauf dieser Debatte verwiesen wurde, sollten durch politische Mittel beigelegt werden und die an den Auseinandersetzungen beteiligten Parteien sollten die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht achten. Die Europäische Union sollte sich bemühen, eine Eskalation der derzeitigen Krise zu verhindern. Die von uns entrichtete Entwicklungshilfe kann, wenn sie effektiv und vernünftig eingesetzt wird, dabei helfen, eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilisierung zu erreichen.
Die Katastrophe ist jedoch greifbar nah. Der Wassermangel ist bereits erwähnt worden, ebenso die schwindenden Rohölreserven, aber es gibt auch das Problem des Kath-Missbrauchs, einem halluzinogenen Rauschgift, das 90 % der Jemeniten konsumieren und das andere Feldsaaten verdrängt. So hat der Jemen in der Vergangenheit zum Beispiel Kaffee exportiert, was aber nun nicht mehr möglich ist, weil stattdessen dieses Narkotikum angebaut wird.
Die Regierung im Jemen und die internationale Gemeinschaft dürfen nicht nur Überbrückungsmaßnahmen ergreifen, weil es sich um strukturelle Probleme handelt und selbst wenn wir die Al-Qaida im Jemen stoppen können, werden die Probleme jedoch zurückkehren, wenn es uns nicht gelingen wird, die Ursachen dafür zu beheben.
Marietta Giannakou (PPE). – (EL) Frau Präsidentin, wie wir bereits gehört haben und wie es uns bereits bewusst ist, ist die Situation im Jemen aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht sowie unter dem Gesichtspunkt des sozialen Zusammenhalts bedrohlich. Das Land hat kein Wasser, die Ölreserven schwinden und die Bewohner bauen Drogen auf den Feldern an.
Das ist genau der Zustand, in dem sich Afghanistan vor 26 Jahren befand, als wir in diesem Plenarsaal, ich meine natürlich den alten Plenarsaal des Europäischen Parlaments, während der Debatte über den Bericht über Rauschgift Vorkehrungen für die Zukunft Afghanistans getroffen haben. Wenn es jetzt keine entwicklungstechnische Intervention gibt und wenn es der UN nicht gestattet wird, eine dauerhafte Präsenz auf allen Ebenen einzunehmen, dann wird sich der Jemen mit all den ungelösten Problemen sicherlich bald in derselben Situation wiederfinden, in der sich Afghanistan heute befindet.
Es gibt nicht allzu viele Wege, Terrorismus zu bekämpfen und der Weg, den der Westen diesbezüglich eingeschlagen hat, ist sicher keiner davon. Der einzige Weg, diesem Land zu helfen, kein Außenposten von Al-Qaida zu werden, besteht darin, sich mit allen arabischen Ländern, nicht nur mit Saudi Arabien, zu einigen und wir müssen uns natürlich bemühen, dieser Nation dabei zu helfen, die vorherrschende Stammesphilosophie und zivile Auseinandersetzung zu Gunsten demokratischer Rechte aufzugeben.
Cristian Dan Preda (PPE). – (RO) Das vereitelte Bombenattentat am 25. Dezember an Bord des Flugs von Amsterdam nach Detroit diente eigentlich nur dazu, eine wichtige Tatsache deutlich zu machen. Es hat die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Ernsthaftigkeit der Situation im Jemen gelenkt, weil es, wie allgemein bekannt ist, nicht nur einen, sondern gleich drei Konflikte in diesem Land gibt. Abgesehen von dem Kampf mit der Separatistenbewegung im Süden ist die Auseinandersetzung in der Saada-Provinz im Norden durch die vor ungefähr sechs Monaten von Regierungsstreitkräften gegen die schiitischen Huthi-Rebellen in Gang gesetzte Offensive erneut angefacht worden und gegen die Al-Qaida-Stützpunkte sind Luftangriffe geflogen worden.
Die humanitäre Situation ist, und so wurde es auch vom Generalsekretär der Vereinten Nationen am 5. Januar beschrieben, sehr beunruhigend und es besteht das Risiko einer weiteren Verschlimmerung, wenn diese Konflikte nicht beendet werden. Mit Blick auf die internationale Konferenz, die nächste Woche in London stattfinden wird, glaube ich, das die Europäische Union mit einem koordinierten Ansatz auf die Situation reagieren muss, um die Stabilität des Landes sicherzustellen, was wiederum zur internationalen Sicherheit beitragen könnte.
Der Weg zu einem vereinten, stabilen und demokratischem Jemen liegt, aus meiner Sicht, in dem Entwurf eines konsequenten Plans für die Verstärkung von militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung sowie im Kampf gegen den Terrorismus, der durch spezielle Maßnahmen in Bezug auf die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes sichergestellt werden muss. Vielen Dank.
Alf Svensson (PPE). – (SV) Der Jemen ist nicht nur für die Al-Qaida ein sicherer Zufluchtsort. Das ist bei dieser Debatte hier deutlich geworden. Das Land könnte sich sehr leicht zu einem Schlachtfeld für die beiden größten Mächte in der Region entwickeln: Saudi Arabien und der Iran. Die jemenitische Regierung hat wiederholt den Iran beschuldigt, die Bewegung der schiitischen Rebellen zu unterstützen. Dies wird zwar vom Iran geleugnet, aber solche Vorwürfe sind in der Tat auch in den saudischen Medien vermeldet worden.
Der dafür zitierte Beweis umfasst eine Erklärung der jemenitischen Regierung, dass sie im Oktober 2009 eine iranische Waffenlieferung an die Rebellenbewegung unterbunden hat und die Tatsache, dass in den letzten Monaten die staatlichen iranischen Medien sich weitaus intensiver mit dem Kampf der schiitischen Rebellenbewegung und diesbezüglich auch wohlwollender als zuvor darüber geäußert haben. Seit Beginn der Offensive von Seiten Saudi Arabiens am 4. November 2009 sind bereits zweiundachtzig saudische Soldaten in den Auseinandersetzungen mit den Rebellen im Jemen ums Leben gekommen.
Wie bereits erwähnt wurde, ist der Jemen das ärmste Land in der arabischen Welt, aber es befindet sich auch in einer beengten Lage zwischen den beiden größten Mächten der Region - Saudi Arabien und dem Iran. Ich frage mich, ob Frau Ashton dies bestätigen und darüber hinaus eine Analyse der Situation vornehmen kann?
Janusz Władysław Zemke (S&D). – (PL) Frau Präsidentin, ich möchte mich der Bewertung der Situation von Frau Ashton anschließen. Sie haben Recht damit, Frau Ashton, dass, wenn wir die Situation im Jemen verändern wollen, wir sowohl humanitäre als gegebenenfalls auch militärische Maßnahmen brauchen. Wenn dieser Bereich an Maßnahmen ein umfassender ist, so ist außerdem eine Koordinierung erforderlich, weil es nicht nur die Europäische Union ist, die für die Verbesserung der Situation im Jemen verantwortlich ist. Es gibt viele solcher Institutionen. Im Zusammenhang damit möchte ich folgende Frage stellen: Denken Sie, dass die Arbeit der UN und der Europäischen Union in humanitären Angelegenheiten besser koordiniert werden sollte? Im Bereich der militärischen Angelegenheiten und Aufklärung brauchen wir ebenfalls eine bessere Zusammenarbeit mit der NATO und den Nachrichtendiensten, ich denke da insbesondere an die Nachrichtendienste einiger bestimmter Länder. Diese Maßnahmen müssen koordiniert werden, weil sie dann deutlich effektiver sein würden.
Paul Rübig (PPE). - Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Ashton! Meine Frage bezieht sich auf die Kooperationsformen, die wir Ihrer Ansicht nach im Jemen mit der Europäischen Union ausgestalten sollten, z. B. im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen oder vielleicht auch im Bereich der Energie- und Wasserversorgung, weil gerade die Kommunikation und der Aufbau von Verbindungen in Zukunft eine besondere Rolle spielen könnten. Welche Programme hätten hier für Sie Priorität?
Marek Siwiec (S&D). – (PL) Frau Präsidentin, der Präsident des Europäischen Parlaments ist nur knapp daran vorbei gekommen, den Familien von fast 300 Opfern, die in einem Flugzeug von Amsterdam nach Detroit unterwegs waren, sein Beileid auszudrücken. Er hätte das gestern getan. Dies ist jedoch durch Zufall nicht nötig gewesen. Und doch ist dieser dramatische Vorfall nötig gewesen, um die Welt auf das Problem Jemen als neue Quelle des Terrorismus aufmerksam zu machen.
Wir stehen hilflos einer Situation gegenüber, die wir in der Vergangenheit aus Afghanistan kannten. Wir stehen hilflos dem gegenüber, was heute im Jemen passiert und Europa und dieses Gebäude hier sind voll von fehlgeleiteten Stimmen von Menschenrechtsaktivisten, die Mitleid für die Gefangenen von Guantánamo haben. Diese Gefangenen wurden freigelassen und sind nun dabei, neue Anschläge zu organisieren. Noch einmal: Es werden Menschen sterben und wir werden sagen, dass wir machtlos sind.
Ich stehe voll und ganz hinter dem, was von Herrn Zemke gesagt worden ist: Ohne militärische Zusammenarbeit, ohne Zusammenarbeit der Nachrichtendienste und ohne Zusammenarbeit der Institutionen, deren Aufgabe es ist, Terrorismus zu bekämpfen, setzten wir Gesundheit und Leben unserer Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel.
Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission. Frau Präsidentin, dies ist abermals eine wichtige und vielseitige Debatte über ein Gebiet in der Welt, auf das wir seit einigen Jahren einen Schwerpunkt gelegt haben. Ich habe über die Tatsache nachgedacht, dass durch die Kommission über den Zeitraum von 2007 bis 2010 100 Mio. EUR als Unterstützung bereitgestellt wurden und eine ähnliche Summe gleichwohl für die Zukunft vorgesehen ist, für ein Gebiet, über das wir in Bezug auf die Wichtigkeit nachhaltiger und koordinierter Maßnahmen erneut nachgedacht haben, wie viele Mitglieder in ihren Beiträgen deutlich gemacht haben.
Ich denke, dass die Anmerkungen von Frau Salafranca zu Beginn in Bezug darauf, wie wir sicherstellen können, dass unsere Koordination im Hinblick auf Sicherheit und im Hinblick auf ein politisches und wirtschaftliches Zusammenkommen effektiv ist, um sich mit den Sorgen, die diese Nation hat, zu befassen, in zahlreichen Beiträgen aufgenommen und reflektiert worden sind. Von Frau Giannakou ist die Frage nach schwindendem Wasser und schwindendem Öl aufgebracht worden. Ich denke, dass dem Jemen Prognosen zufolge 2015 als erstem Land das Wasser ausgehen wird; eine Tatsache, die wir als reale und wichtige Herausforderung ansehen müssen.
Um dieses Problem zu behandeln, müssen wir nach einem integrierten Ansatz suchen; eine Reihe von Mitgliedern hat die Frage nach der Strategie gestellt, die wir verfolgen sollten. Lassen Sie es mich versuchen zu erläutern und ein paar Kernelemente dieser Strategie hervorheben: Da wären als Erstes die Aspekte Sicherheit und Terrorismusbekämpfung. Da wir uns dem Treffen in London nähern, müssen wir effektiv zusammen daran arbeiten; ein Punkt, der von einigen Mitgliedern gefordert wurde: Wir müssen das Hilfspaket schnüren und uns auf die Arbeit, die wir bereits machen, konzentrieren, wie zum Beispiel die Operation „Atalanta“ vor der Küste Somalias und ihre Bedeutung.
Der Aspekt einer verbesserten Sicherheit im Seeverkehr wird derzeit bearbeitet. Er war Gegenstand einer Diskussion, die ich vor kurzem mit dem spanischen Verteidigungsminister geführt habe, um herauszufinden, was noch getan werden kann, um Maßnahmen zur Sicherheit im Seeverkehr vor dem Hintergrund von Küstenlänge und abzudeckendem Gebiet noch besser zu koordinieren und effektiver zu gestalten.
Ich denke auch, dass wir diesen umfassenden Ansatz, wie wir die verschiedenen Elemente miteinander verbinden und die Nachbarn des Jemen mit einbeziehen, beschrieben haben. Frau Brantner, von Ihnen ist insbesondere der Golf-Kooperationsrat angesprochen worden. Ich stimme dem zu: Ein wichtiger Teil, wie wir uns diesem Gebiet nähern und widmen, ist, mit den Nachbarn aus dieser Region zusammenzuarbeiten, und, noch einmal, das Treffen in London wird, so hoffe ich, die wichtigsten Mitgliedstaaten aus dieser Region, die uns helfen können, zusammenbringen.
Das Treffen in London ist die Gelegenheit, Gedanken auszutauschen und zwar mit den Vereinigten Staaten und mit anderen Ländern. Wir werden mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten. Es ist nicht richtig zu behaupten, dass sich ihr Ansatz auf die Terrorismusbekämpfung beschränkt. Sie unterstützen ebenso und sind sich voll und ganz dessen bewusst, was wir als unseren „Grundursachen“-Ansatz beschreiben; die Mischung von Dingen nämlich, die wir unternehmen müssen, um eine Unterstützung dieses Landes sicherzustellen.
Um diesen speziellen Punkt in Bezug auf die Sicherheit noch zu beantworten: Die informelle Sitzung der Vertreter für EU-Inneres findet dieses Wochenende in Spanien statt. Ich nehme an, dass der amerikanische Amtskollege ebenfalls anwesend sein wird, um über die von den Mitgliedern vorgebrachten Punkte zu diskutieren.
Ich stimme dem Kommentar zu, dass dies allerdings kein Wunschkonzert ist. Wir müssen sehr selektiv vorgehen, wenn es darum geht, was wir glauben, tun zu können, um eine Veränderung herbeizuführen: Dem Jemen dabei zu helfen, die Art von innenpolitischen Dialog zu führen, die nötig ist, um die Bevölkerung zu unterstützen und zu versuchen, einige der Konflikte, die in diesem Land herrschen, zu lösen, wird mindestens so wichtig sein, wie alles andere, das wir machen.
In Bezug auf die Frage nach der richtigen Art von Unterstützung können, so denke ich, auch die Stabilitätsinstrumente in angemessener Weise eingesetzt werden, allerdings kann und wird dies niemals ein Ersatz für den Versuch sein, die Regierung dabei zu unterstützen, den innenpolitischen Dialog herzustellen, den nur die Betreffenden führen können. Die Partner müssen sich im Jemen engagieren, um die Probleme anzugehen, die für dieses Land am drängendsten sind.
Deshalb ist dies für mich eine sehr nützliche Debatte gewesen und ich bin sehr dankbar, weil es mir dabei helfen wird, die Punkte für die Tagesordnung zusammenzustellen, die ich zunächst mit zum Rat für Auswärtige Angelegenheiten nehmen werde, wo wir dann darüber debattieren werden und dann weiter mit nach London, wo ich mich, wie bereits angedeutet, mit der Regierung über alle Elemente, für die wir eine dauerhafte Unterstützung bieten können, um das Land wirtschaftlich zu entwickeln, den Terrorismus zu bekämpfen und auch die Aspekte der Unterstützung durch die Nachbarländer austauschen werde.
Als letzter Punkt muss noch, so denke ich, die Misere der Geiseln zur Sprache gebracht werden, was einige Male auch angesprochen wurde: Sechs Geiseln, eine aus Großbritannien, fünf aus Deutschland einschließlich einiger sehr junger Kinder mit einer deutschen Familie, die als Geiseln genommen wurden. Ich weiß, dass Herr Westerwelle, der deutsche Außenminister, gerade erst im Jemen gewesen ist. Er und ich haben darüber in dieser Woche gesprochen und wir werden mit unseren Gedanken immer bei den Geiseln und ihrem derzeitigen Leid sein. Wir werden all diese Aspekte mit in das Treffen nach London nehmen und, noch einmal, ich bin den Damen und Herren Abgeordneten sehr dankbar dafür, dass sie diese wichtigen Angelegenheiten zur Sprache gebracht haben.
Die Präsidentin. Die Aussprache ist beendet.
Die Stimmabgabe erfolgt während der ersten Sitzungsperiode im Februar.
João Ferreira (GUE/NGL), schriftlich. – (PT) Wir beobachten seit langem die Konzentration geostrategischer Interessen in dem Großraum, der den Mittleren und Nahen Osten, Zentralasien und Nordafrika, einschließlich dem Roten Meer und den Golf von Aden, umfasst und wo der Jemen mit seiner Lage (in der Nähe zu Somalia) von strategischer Bedeutung ist. Diese Interessen werden in immer stärkeren Maße und mit wachsender Aggressivität durch militärische Maßnahmen verteidigt. Die aktuelle Situation im Jemen und das schreckliche Leid, das seine Bevölkerung zu ertragen hat, sollten vor dem Hintergrund dieser Situation analysiert werden. Die wachsende militärische Beteiligung der Vereinigten Staaten und der EU in der Region muss diesbezüglich begriffen und dementsprechend verurteilt werden. Die Bombardierung durch die Vereinigten Staaten einer angeblichen Al-Qaida Terrorbasis mit Marschflugkörpern, der offenbar mehrere Dutzend Zivilisten zum Opfer gefallen sind, war eine brutale und abscheuliche Bestätigung dessen, was wir aufs Schärfste verurteilen. Die echte Lösung dieser komplexen Probleme und Gefahren, die die Menschen in dieser Region bedrohen, müssen durch eine Demilitarisierung, den Respekt für die nationalen Gesetzgebungen und die Souveränität der Bevölkerung sowie durch eine wirkliche Zusammenarbeit, die auf die Lösung der grundlegenden gesellschaftlichen Probleme, die in der Bevölkerung herrschen, abzielt, erreicht werden.
Bogdan Kazimierz Marcinkiewicz (PPE), schriftlich. – (PL) Frau Präsidentin, mit Blick auf das Problem der Sicherheit und der wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung im Jemen, ein Problem, das in jüngster Vergangenheit recht deutlich zu Tage getreten ist, möchte ich als Delegationsmitglied des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zur arabischen Halbinsel meine Bedenken äußern. Der Jemen, der das ärmste Land in der arabischen Welt ist, ist zum Gegenstand des besonderen Interesses terroristischer Gruppen geworden, die, aus dieser Schwäche ihren Vorteil ziehend, das Land zu einem Ausgangspunkt für Terroranschläge weit über die Landesgrenzen hinaus gemacht haben. Beobachtern zufolge läuft der Jemen Gefahr, aufgrund des Aufstands der Schiiten im Norden, der Separatistenbewegung im Süden und der terroristischen Aktivitäten der Al-Qaida zusammenzubrechen.
Aus diesem Grund plädiere ich für eine Verstärkung der bilateralen Beziehungen zum Jemen und für die Entwicklung von Plänen für die effektivsten Methoden, um die Sicherheit und die politische Situation zu verbessern, insbesondere in Verbindung mit der von Gordon Brown organisierten Sondersitzung am 28. Januar in London.
Die Präsidentin. Die nächste Erklärung kommt von der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission über die Situation im Irak.
Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission. Frau Präsidentin, wenn wir heute auf den Irak schauen, dann sehen wir einen wirklichen Fortschritt, selbst wenn das Land nach wie vor eine Vielzahl von Herausforderungen zu bewältigen hat. Ich möchte mich heute jedoch auf Gegenwart und Zukunft des Irak als ein Land mit großem Potenzial und bemerkenswerten Leistungen in den letzten Monaten konzentrieren.
Die Gewalt ist heute auf dem niedrigsten Stand seit 2003. Obwohl wir Zeugen schrecklicher Anschläge auf Regierungsinstitutionen geworden sind, war die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung 2009 weniger als halb so groß wie noch im Jahre 2008. Die interreligiöse Gewalt, ein Hauptproblem der Jahre 2006 und 2007, hat sich deutlich verringert.
Der Irak hat eine neue Verfassung und es sind mehrere Wahlen mit großer Beteiligung und unter großem Risiko durchgeführt worden. Dank der Courage der irakischen Bevölkerung konnten demokratische Institutionen etabliert werden. Die Wahlen in den Provinzen im letzten Jahr sind überall im Irak relativ reibungslos verlaufen. Die nächsten allgemeinen Wahlen am 7. März 2010 können zu einem weiteren entscheidenden Schritt in Richtung einer Konsolidierung der irakischen Demokratie werden.
Für unseren Teil bedeutet dies, dass unsere Arbeit, den Irak zu unterstützen, fortgesetzt werden und sich auf neue Bereiche entsprechend der verbesserten Situation ausdehnen muss.
Die Europäische Union hat seit 2003 mehr als 1 Mrd. EUR in Form von Hilfszahlungen an den Irak bereitgestellt. Diese Gelder sind in die Grundversorgung, auf den Menschen bezogene Entwicklung, Flüchtlinge, verantwortungsbewusste Regierungsführung, den politischen Fortschritt und die Kompetenzsteigerung geflossen, und zwar immer in Übereinstimmung mit den irakischen Prioritäten. Unsere integrierte Mission der Europäischen Union zur Stützung der Rechtsstaatlichkeit im Irak, EUJUST LEX, ist mehrere Male auf Wunsch des Iraks verlängert worden, gleiches gilt für die Schulungen im Irak selbst.
Die EU hat eine führende Rolle im Wahlbeistand übernommen und wir werden dem Irak dabei und in anderen Bereichen so lange weiter helfen, bis die irakischen Institutionen die volle Verantwortung für sich selbst übernehmen können. Da der Fortschritt weitergeht, konzentrieren wir uns in zunehmenden Maße auf das irakische Eigentumsrecht und die langfristige Zukunftsfähigkeit.
Wir vertiefen darüber hinaus unsere Beziehungen zum Irak. Wir haben vor Kurzem erst eine gemeinsame Absichtserklärung über eine Zusammenarbeit im Energiebereich unterzeichnet und wir werden in naher Zukunft ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen abschließen und damit die erste vertragliche Beziehung zwischen der EU und dem Irak besiegeln. Damit werden Angelegenheiten vom politischen Dialog bis hin zu Handel, behördlicher Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe abgedeckt.
Wir wollen einen umfassenderen und eingehenderen Dialog mit dem Irak, in dem auch die Menschenrechte thematisiert werden sollten. Das Parlament zeigt großes Interesse am Irak und wir erwarten für die Zukunft sogar noch eine intensivere Zusammenarbeit des Europäischen Parlaments mit dem Regierenden Rat des Irak.
Natürlich muss der Irak die vielen Herausforderungen meistern. Die bevorstehenden allgemeinen Wahlen sind dabei von entscheidender Bedeutung und sie sollten frei und fair ablaufen. Wir werden sie jedenfalls gemeinsam mit unseren internationalen Partnern sehr genau verfolgen. Die EU wird eine Wahlbeobachtungsmission im Irak einsetzen, um die Wahl zu bewerten und gezielte Empfehlungen zu äußern.
Damen und Herren Abgeordnete, der Irak befindet sich auf einem guten Weg. Ich bin voller Zuversicht, dass er seine neuen Institutionen nutzen wird, um die nötigen Kompromisse für eine nationale Aussöhnung zu finden. Was uns angeht, so werden wir auch weiterhin dem Irak zur Seite stehen und wir werden mit unserer Unterstützung gemeinsam mit der UN und der übrigen internationalen Gemeinschaft fortfahren.
Ich freue mich auf unsere Aussprache.
Esther de Lange, im Namen der PPE-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin, auch ich möchte der Hohen Vertreterin für ihre Worte danken, die ein wenig des dringend benötigten Optimismus verbreitet haben. Und es gibt ja auch wirklich positive Anzeichen. Sie haben unter anderem auf die gesunkene Todesrate durch Anschläge und die bevorstehenden Wahlen verwiesen. Allerdings verheißt, Baronin Ashton, eine erfolgreich verlaufende Wahl weder gleich eine Demokratie, noch einen Rechtsstaat. Oder, um einen großen deutschen Dichter, Schiller, in Ihrer Muttersprache, Baronin, zu zitieren: „The voice of the majority is no proof of justice“. In einer mündigen Demokratie werden nämlich auch die Rechte von Minderheiten anerkannt. Und da habe ich diesbezüglich ernsthafte Bedenken. Ich finde es enttäuschend, dass das Wort „Minderheiten“ in Ihrem Beitrag vor dem Parlament nicht vorgekommen ist.
Warum ich darüber besorgt bin? Human Rights Watch berichtet auch weiterhin, dass nicht-muslimische Minderheiten verfolgt werden. So sind seit 2004 allein auf 65 Kirchen Anschläge verübt worden. Und Christen werden auch weiterhin von lokalen Milizen aus ihren Häusern vertrieben. So ist zum Beispiel vorgestern ein 52 Jahre alter Gemüsehändler und Vater zweier Kinder in Mosul auf offener Straße erschossen worden. Das führt natürlich dazu, dass die christlichen Minderheiten nach wie vor aus dem Irak fliehen. Im Jahr 1991 waren es noch 850 000 an der Zahl, nach dem Golfkrieg waren es 550 000 und während der US-Invasion lag die Ziffer bei nur noch 385 000, von denen 100 000 Binnenvertriebene waren. Die Europäische Union kann angesichts diese Situation nicht weiterhin einfach untätig bleiben. In Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union wird auf Menschenrechte, einschließlich den Rechten von Minderheiten, als buchstäblich einer der Kernwerte der Europäischen Union verwiesen. Wir verlangen den Respekt für Minderheiten von unseren 27 Mitgliedstaaten und es ist unsere Aufgabe, Baronin Ashton, diesen Respekt auch auf internationaler Ebene einzufordern.
Bislang konzentriert sich also der Ansatz der Kommission, so haben Sie es selbst gesagt, in erster Linie auf die allgemeine Unterstützung der Infrastruktur und den Aufbau der Demokratie durch die UN oder auf anderen Wegen. Und Sie haben gesagt, dass wir in Übereinstimmung mit den Prioritäten der Iraker handeln. Ich möchte, dass Sie uns sagen, wie Sie sicherstellen wollen, dass bei der Irak-Politik der Europäischen Union und dem Haushalt für den Irak gefährdete Minderheiten in stärkerem Maße berücksichtigt werden? Das hat vielleicht nicht beim Irak oberste Priorität, aber sicherlich bei uns. Ich würde mich über eine Antwort von Ihnen freuen.
Silvia Costa, im Namen der S&D-Fraktion. – (IT) Frau Präsidentin, Kommissarin Ashton, meine Damen und Herren, ich denke, dass es für das Europäische Parlament sehr wichtig ist, die durch diese Aussprache im Hinblick auf die im März im Irak stattfindenden Wahlen ermöglichte Gelegenheit zu nutzen.
Der politische Prozess im Irak hat sich als sehr wichtig – oder, wie Sie es formuliert habe, als interessant – aber nach wie vor auch als sehr zerbrechlich erwiesen. Aus diesem Grund ist es eben noch wichtiger, alles nur Mögliche zu unternehmen, um die neuen Institutionen des Landes und das politische Gleichgewicht, das sie aufrecht erhält, zu konsolidieren und zu verstärken. Wir glauben, dass dieses Ziel von entscheidender Bedeutung ist, wenn wir wollen, dass der erste große Abzug von US-Truppen im August ohne ernsthafte Folgen für die innenpolitische Situation des Landes vonstatten gehen wird.
Das Zusammenleben von Schiiten, Sunniten und Kurden, das heute in den föderalen Strukturen verankert ist, sollte durch neue Gesetze garantiert und durch einen politischen Konsens, an dem alle Parteien beteiligt sind, gewährleistet werden. An diesem Punkt sind in Bezug auf die jüngste Entscheidung der Wahlkommission, viele Kandidaten und Parteien mit engen Verbindungen zu Sunniten oder Christen nicht zur Wahl zuzulassen und damit eine Schwächung des bereits anfälligen demokratischen Prozesses im Irak zu riskieren, Bedenken geäußert worden – und auch wir würden gerne Ihre Meinung dazu hören.
Trotz der durchgeführten Maßnahmen muss die Europäische Union dieses Wahlverfahren, wie Sie gesagt haben, berücksichtigen, aber sie sollte sich darüber hinaus mehr um die Entwicklung der Beziehungen mit dem Irak bemühen. Durch das EUJUST LEX-Programm der Union sind wir direkt in den Prozess einer Verbesserung der irakischen Gesetzgebung und der demokratischen Institutionen mit einbezogen und wir, die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament, halten es für ein positives Zeichen, dass der Rat sich dazu entschlossen hat, die Mission bis zum 30. August 2010 zu verlängern.
Die EU sollte damit fortfahren, dem Irak durch seine Kooperationsprogramme eine starke Stütze zu sein, und zwar mit dem Ziel, an dem Prozess der Stabilisierung und Entwicklung des Landes teilzunehmen, und nach den Wahlen sollten dann auch die Beziehungen zwischen den Parlamenten vertieft werden. Es darf nicht vergessen werden, dass viele Mitgliedstaaten, einschließlich Italien, mit dem Irak in wichtigen kulturellen Kooperationsprogrammen zusammenarbeiten.
Das politische Gleichgewicht im Irak ist nicht nur für das Land, sondern auch im Hinblick auf die strategische Rolle, die der Irak in der Region mit dem Ziel einer Lösung der bestehenden Konflikte und der Friedenssicherung spielen kann, von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinne bedeutet die Verbesserung der Beziehungen mit der Türkei durch die Regionalregierung Kurdistans ein richtiger Schritt in diese Richtung.
Wie wir jedoch alle wissen, bleibt der Irak ein Land mit sehr ernsthaften Schwierigkeiten, was Sicherheit, Achtung der Demokratie und Menschenrechte sowie die wirtschaftliche Unsicherheit angehen. Und es sind die verletzlichsten Gruppen wie Flüchtlinge, die 10 % der Bevölkerung ausmachen, ethnische Minderheiten, Frauen, religiöse Minderheiten und Kinder, die unter den negativen Folgen dieser Situation zu leiden haben.
Aus diesem Grund müssen wir eine prägnantere Rolle in diesem Bereich spielen, ich komme gerade zum Ende, und zwar zum Teil durch die Unterstützung von lokalen und europäischen NRO, die im Irak tätig sind, und vor diesem Hintergrund können auch Frauen zu strategischen Figuren werden, um einige Probleme der Bevölkerung zu lösen.
Johannes Cornelis van Baalen, im Namen der ALDE-Fraktion. – Frau Präsidentin, Tatsache ist, der Irak ist nicht sicher. Das ist eine Tatsache.
Wenn wir auf den Iran schauen, dann sehen wir ein Land, das versucht, viel mehr Einfluss als nötig durch die schiitische Minderheit im Süden des Irak zu erlangen, und zwar im gesamten Süden. Ich habe nicht gehört, dass die Hohe Vertreterin die Position des Iran angesprochen hat. Der Iran bedroht den Irak. Wie sieht Sie die Rolle der Europäischen Union in Bezug darauf, den Iran dort zu halten, wo er hingehört – im Iran und nicht im Irak?
Mit Blick auf den Norden sehen wir, dass es dort ein großes Problem zwischen der Türkei und dem Irak über Kurdistan gibt. Es kann natürlich als rechtmäßig betrachtet werden, Guerillas im Norden des Irak zu bekämpfen, die eine Gefahr für die Türkei bedeuten, aber das ist nicht der Punkt. Die autonome Region im Norden des Irak, Kurdistan, sollte ein Recht auf eine eigene Entwicklung haben.
Im Hinblick auf die gemeinsame Energie-Absichtserklärung ist dies sehr wichtig, denn der Irak ist eben kein einheitlicher Staat. Wird die Absichtserklärung demzufolge auch mit der kurdischen Regierung abgesprochen werden? Es gibt nämlich derzeit bereits eine Diskussion in Kirkuk darüber, wem die Ölfelder usw. gehören. Wird dieser Umstand berücksichtigt?
Ich möchte ebenso Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass die irakischen Sicherheitskräfte nach wie vor nicht gut ausgebildet sind und immer noch nicht gut funktionieren. Aus diesem Grund sollten wir nicht nur die Rechtsstaatlichkeit unterstützen, sondern wir sollten, falls danach gefragt wird, darauf vorbereitet sein, ihnen zu helfen, indem wir ihre Sicherheitskräfte unterstützen. Es ist ein integrierter Ansatz in Bezug auf Energie, Wirtschaft und Stabilität notwendig. Es ist ebenso ein integrierter Ansatz in Bezug auf die Nachbarländer des Irak notwendig. Würden Sie uns bitte wenigstens einige Informationen über diesen integrierten Ansatz geben? Vielen Dank im Namen der ALDE-Fraktion.
Jill Evans, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Frau Präsidentin, ich möchte der Hohen Vertreterin, Baronin Ashton, für ihre Erklärung danken.
Ich denke, dass es wichtig ist zu erwähnen, dass die Debatte, die wir heute Abend führen, vor dem Hintergrund der Chilcot-Untersuchung im Vereinigten Königreich über den illegalen Krieg im Irak und welche Lehren daraus gezogen werden müssen, stattfindet und es kommt eine Menge an Informationen als Licht, die bestätigen, was viele von uns bereits beim Einmarsch vermutet haben: dass die Gründe für den Krieg ein Regierungswechsel und die Kontrolle der Ressourcen gewesen sind und nicht die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. Und in Bezug auf die langfristige Planung für den Nachkriegsirak werden nun hochrangige Diplomaten und Militäroffiziere in ihren Aussagen zu der Untersuchung mit Worten wie „schlimm“, „voller Fehler“, „beklagenswert dünn“ zitiert, so dass es nicht verwunderlich ist, dass wir nun die schweren Folgen dieser Maßnahme sehen können.
Baronin Ashton hat gesagt, dass ein Fortschritt erzielt wurde, und das ist wohl auch so richtig, aber es gibt nach wie vor ernsthafte Probleme. Es gibt keine Gesetzgebung, mit der die Minderheiten im Irak geschützt werden. Es gibt ein anhaltendes schwerwiegendes Flüchtlingsproblem. Gewerkschafter, Journalisten, Politiker und Menschenrechtsaktivisten sind verschwunden oder getötet worden. Es gibt auch weiterhin Selbstmordattentate. Die irakische Wahlkommission hat, wie mein Kollege bereits angesprochen hat, fast 500 Kandidaten, hauptsächlich sunnitische Politiker, von ihrer Kandidatur bei der Wahl am 7. März ausgeschlossen. Dabei ist diese Gruppe im irakischen Parlament bereits unterrepräsentiert und dies wird deshalb mit Sicherheit zu weiteren Spannungen und einer zunehmenden Instabilität führen.
Der EU-Vorsitz hat im letzten November die irakische Regierung dazu gedrängt, die Todesstrafe auszusetzen und insgesamt abzuschaffen, aber es sind nach wir vor im Irak 900 Menschen zum Tode verurteilt worden und das Urteil der Todesstrafe wird oftmals in unfairen Verfahren, die zum Teil nur Minuten dauern, verhängt.
Die EU trägt die Verantwortung für die Hilfe beim Aufbau einer Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte und im Rahmenwerk für das Engagement im Irak werden drei Prioritäten festgelegt: Die Hilfe beim Aufbau der Grundversorgung wie Gesundheit und Bildung, bei der Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und bei der Unterstützung der Menschenrechtskommission.
Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ist die Grundlage für die zukünftige Arbeit, allerdings müssen wir Sofortmaßnamen fordern, was die Abschaffung der Todesstrafe, den Schutz gefährdeter und ins Visier geratener Gruppen sowie die Stärkung von Demokratie und Menschenrechte angehen.
Struan Stevenson, im Namen der ECR-Fraktion. Frau Präsidentin, Baronin Ashton, die Wahlen im Irak werden weder frei noch fair sein. Vor zehn Tagen ist -Saleh alMutlaq, Führer der „National Dialogue Front“ im Parlament und Mitglied des irakischen Parlaments der letzten vier Jahre, von der so genannten „Justice and Accountability Commission“ vom Parlament ausgeschlossen worden. Er ist ebenso von den bevorstehenden Wahlen ausgeschlossen worden. Ich denke, dass es kein Zufall gewesen ist, dass dieser skandalöse Ausschluss, gemeinsam mit dem Ausschluss von über 500 weiteren weltlichen irakischen Politikern am gleichen Tag verkündet wurde, als -Manouchehr Mottaki, Irans abscheulicher Außenminister, zu Besuch in Bagdad war. - -Saleh alMutlaq galt als ausgesprochener Kritiker der Einmischung des Irans in irakische Angelegenheiten und nun haben die Mullahs auf seinen Wahlausschluss bestanden.
Ich bin erleichtert darüber, dass US-Vizepräsident Joe Biden bereits gegen diesen Ausschluss protestiert hat und ich hoffe, dass Baronin Ashton ihm diesbezüglich folgen wird. Solange Dr. alMutlaq und die anderen Kandidaten nicht wieder rehabilitiert werden, dürfen und können wir die Gesetzmäßigkeit dieser Wahl nicht anerkennen.
Willy Meyer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (ES) Baronin Ashton, es tut mir Leid, aber ich kann Ihren Optimismus nicht teilen. Es ist gut, optimistisch zu sein, aber der derzeitige Stand der Dinge im Irak lässt keinen Optimismus zu.
Als Beweis dafür hat die Kommission entschieden, keine Beobachter dorthin zu entsenden, weil sie ihre Sicherheit nicht gewährleisten kann. Ich denke, dass diese Entscheidung für sich spricht. Sie zeigt deutlich, dass wir, was den Irak angeht – und ich weiß, dass Sie nicht über die Vergangenheit sprechen möchten, wir aber keine andere Wahl haben, als über die Vergangenheit zu reden – es mit einem Land zu tun haben, das durch einen unfairen und auf Lügen gestützten Krieg verwüstet wurde und mehr als 1 Millionen Menschen das Leben gekostet und mehr als 4 Millionen Menschen obdachlos gemacht hat. Denn es gab weder Massenvernichtungswaffen noch Verbindungen zwischen Saddam Hussein und Al-Qaida. Das ist die nackte Wahrheit, die dahinter steckt. Die einzige Sache, die von vornherein gestimmt hat, war das Interesse der nordamerikanischen Ölindustrie, die Kontrolle über die Rohölvorkommen im Irak zu erlangen.
Das ist die nackte Wahrheit. Darüber hinaus kann vernünftigerweise diese Wahrheit mit der Anwesenheit der Besatzungstruppen, die alles verzerrt, nicht aufrechterhalten werden. Es würde mich nicht wundern, wenn zum derzeitigen Augenblick die Entscheidung, die Oppositionsparteien von der Wahl auszuschließen, in eine wahre zivile Konfrontation münden würde. Von einigen europäischen Botschaften wird momentan die Möglichkeit eines Militärputsches, eines tatsächlichen Militärputsches im Irak, nicht ausgeschlossen. Die Aussichten sind deshalb ziemlich finster.
Ich appelliere an Sie, daran zu arbeiten, dass die Besatzungstruppen so schnell wie möglich abgezogen werden. Denn das ist der Faktor, der die gesamte Situation im Irak verzerrt. Aus diesem Grund sollten die Vereinten Nationen die Kontrolle übernehmen und einen Übergang ermöglichen, bei dem die Rückkehr zur Normalität einer Sache, die niemals hätte aufgegeben werden dürfen, das internationales Recht nämlich, sichergestellt ist.
Bastiaan Belder, im Namen der EFD-Fraktion. – (NL) Frau Präsidentin, Hohe Vertreterin, am Weihnachtsabend 2009, als wir also in unseren Weihnachtsferien waren, sind eine Reihe von Kirchen im Irak, in Mesopotamien, geschlossen gewesen. Für diese traurige Situation waren, wie auch im Vorjahr schon, Bombendrohungen verantwortlich. Jedenfalls bleiben die Kirchen, ob mit oder ohne solche Drohungen, oftmals leer, weil immer mehr Christen das Land verlassen. Doch die gegen sie gerichtete Gewalt wächst in zunehmenden Maße, trotz ihrer schrumpfenden Menge. Vor Weihnachten gab es drei tödliche Anschläge in Mosul. Darüber hinaus sind die Christen in der bis dahin für sie als relativ sicher geltenden Stadt Kirkuk einer einfach erbarmungslosen Serie von Entführungen und Tötungen, die zu der Flucht von mehreren hundert christlichen Familien führte, ausgesetzt gewesen.
Während es im Jahre 2003 noch über 1,5 Millionen Christen im Irak gab, haben mehr als die Hälfte von ihnen nunmehr die Flucht vor einer religiösen Säuberung ergriffen, eine religiöse Säuberung, die von islamischen Extremisten durchgeführt wird. Ein irakischer Christ hat gefragt, ob der Europäische Rat, ob die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur stumm dabei zusehen wollen, wie es zu einer Afghanisierung des Iraks komme. Ich würde sehr gerne Ihre Meinung dazu hören, werte Hohe Vertreterin. Doch wie immer die auch lauten mag, ein Mesopotamien ohne seine ursprüngliche christliche Gemeinde wird weder in eine tolerantere Zukunft blicken können, noch wird sich dies auf lange Sicht auf die Sicherheit Europas positiv auswirken.
Elena Băsescu (PPE). – (RO) Die Vorbereitungen für die Präsidentschafts- und legislativen Wahlen am 7. März haben wahnwitzige Aktivitäten mit u. a. der Bildung neuer Koalitionen und Allianzen ausgelöst. So wollen einige der Gegner des irakischen Premierministers alte Allianzen, wie die „Iraqi United Coalition“ beispielsweise, wieder aufleben lassen. Dem gegenüber versucht der Premierminister, nichtkirchliche Gruppen oder unabhängige Kandidaten für die Rechtsstaat-Koalition zu gewinnen.
Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass nach diesen Präsidentschafts- und legislativen Wahlen die Regierung ein Referendum über Kirkuk organisieren muss. Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass sich die Sicherheitssituation im Irak verschlechtern wird, wenn diese Wahlen durch einige irakische Gruppen oder im Falle innenpolitischer Konflikte angefochten werden.
Die Behörden in Bagdad stehen vor folgenden Hauptproblemen: der Verschiebung des Referendums über das mit den Vereinigten Staaten unterzeichnete SOFA-Abkommen und der Abschluss des Öl- und Gasgesetzes, dem Verfall des Ölpreises, die hohe Anzahl an Exekutionen – es gibt derzeit 900 Menschen, gegen die ein Todesurteil verhängt wurde – und der Einsatz von Folter zum Erhalt von Geständnissen. Die allgemeine Verschlechterung der Situation der Menschenrechte gibt der EU Anlass zu großer Sorge. Und dann gibt es da auch noch einen Anstieg in Bezug auf die Korruption. Ein Beispiel, das ich Ihnen dafür gerne geben würde, ist die Verhaftung des ehemaligen irakischen Handelsministers.
Im Hinblick auf die Beziehungen mit dem Irak versucht Rumänien einen Wechsel von einem Beitrag zur militärischen Sicherheit hin zu einem Beitrag im Bereich der zivilen Sicherheit zu vollziehen. Mein Land hat gezeigt, dass es die seinen Partnern gemachten Zusagen einhält, indem es seine militärische Präsenz im Irak so lange beibehält, bis die Mission abgeschlossen ist.
Ana Gomes (S&D). – (PT) Die demokratischen Errungenschaften des irakischen Volkes müssen noch weiter gefestigt und unterstützt werden, Gleiches gilt für die Sicherheitssituation. Es hat in den letzten Monaten eine ermutigende Umgestaltung der Allianzen gegeben, was sehr dazu beigetragen hat, dass die ethnisch-religiösen Spaltungen, die die irakische Politik in den letzten Jahren geprägt haben, überwunden werden konnten. Der Erfolg der neuen kurdischen „Change“-Partei ist ein Beispiel für die Normalisierung des politischen Lebens im Irak. Die jüngste Erklärung der Wahlkommission, dass etwa 500 sunnitische Politiker von einer Kandidatur ausgeschlossen werden, ist jedoch der nationalen Aussöhnung nicht förderlich und könnte den Wahlvorgang gefährden und erneut Auseinandersetzungen hervorrufen. Die Nachrichten über die Anwendung der Todesstrafe sind ebenfalls wenig erfreulich. Baronin Ashton, die europäischen Führer sollten danach streben, die irakischen Behörden von einer entsprechenden Abschaffung zu überzeugen. In diesem Zusammenhang ist die Intensivierung der EULEX-Mission ebenso von Bedeutung.
Derzeit leben 1,5 Millionen Iraker in den benachbarten Ländern. Davon wird es vielen nicht möglich sein, jemals zurückzukehren. Die europäischen Länder, die an dem Einmarsch 2003 beteiligt waren, haben eine besondere Verantwortung und sollten eine größere Anzahl dieser Flüchtlinge aufnehmen. Vor diesem Hintergrund, der Unterstützung Binnenvertriebener, allgemeine Aspekte in Bezug auf Menschenrechte und die Rechte der Frauen im Besonderen sowie dem Kampf gegen die Korruption, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die irakische Regierung das NRO-Gesetz korrigiert, so dass die Gesellschaft sich selbst frei organisieren kann. Es ist dringend notwendig, dass die Europäische Union den Austausch zwischen irakischen und europäischen NRO fördert. Grundvoraussetzung für die Festigung der Demokratie im Irak ist eine Gesellschaft, die bürgerlich, frei und dynamisch ist.
Tomasz Piotr Poręba (ECR). – (PL) Frau Präsidentin, Frau Ashton, trotz des großen Engagements internationaler Streitkräfte und mehreren hundert Toten in der internationalen Koalition, einschließlich 23 polnischen Soldaten, ist die Situation im Irak nach wie vor schlecht. Es ist ein Land, mit dem wir mit terroristischen Anschlägen und der Verfolgung religiöser Minderheiten, einschließlich der christlichen Minderheit, konfrontiert werden, und im Vergleich zur Situation von vor ein paar Jahren noch hat in dem Land doch ein gewisser Fortschritt stattgefunden. Nichtsdestotrotz erreichen uns immer noch Nachrichten über Terroranschläge, die nicht nur den Irak, sondern den gesamten Mittleren Osten destabilisieren. Ziel der Terroristen und den Förderern des internationalen Terrors ist es, den Irak zu destabilisieren. Es gibt viele Hinweise, die auf die Tatsache verweisen, dass der Iran für die Förderung des Terrors verantwortlich ist.
Wie lautet Ihre Meinung, Frau Ashton, als Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, bezüglich der Rolle des Iran und seiner Einmischung in die irakischen Angelegenheiten? Ich möchte Sie dazu ermuntern, eine eindeutigere Stellung zu beziehen und mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu erzielen, die den Iran beeinflussen und ihn nötigen, damit aufzuhören, sich in die innenpolitischen Angelegenheiten des Irak einzumischen. Meiner Meinung nach wird nämlich nur dann die Möglichkeit der Entstehung eines relativ hohen Grads an Stabilität in der Region gegeben sein.
Jean-Luc Mélenchon (GUE/NGL). – (FR) Frau Präsidentin, Hohe Vertreterin, wir teilen weder Ihren Optimismus in Bezug auf die Situation im Irak, noch in Bezug auf die Koalition, da sie mit Blindheit geschlagen ist. Es ist in den Irak einmarschiert worden und er wurde auf der Grundlage einer absichtlichen Falschinformation über die Präsenz von Massenvernichtungswaffen besetzt.
Als Ergebnis daraus sind 17 der 27 Mitgliedstaaten der EU in den Angriff und die Besetzung des Iraks hineingezerrt worden. Das Land ist bis auf die Ruinen zerstört, sein Erbe ist geplündert und die Bevölkerung ist tief entzweit. Religiöser Fanatismus führt nun dort zur Rekrutierung zahlreicher Reserven an Kämpfern. Und die iranische Tyrannei kann sich dort ungehindert einmischen. Wahlen finden unter bedauernswerten und unfairen Bedingungen statt.
Was gedenken Sie und was gedenken wir zu tun, um diese Länder, die gelogen haben und die morgen mit dem Jemen oder mit jeder anderen Nation so verfahren könnten, zur Rechenschaft zu ziehen? Welche Maßnahmen beabsichtigen Sie zu ergreifen, um die Besatzer zu verurteilen, die nicht-konventionelle chemische und radioaktive Waffen und angereicherte Urangranaten eingesetzt haben, deren Folgen für zukünftige Generationen allgemein bekannt sind? Wie können wir sicherstellen, dass diese Waffen nicht auch in Afghanistan eingesetzt werden, wenn wir bereits die Augen vor der Situation im Irak verschlossen haben?
Fiorello Provera (EFD). – (IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir begrüßen aufrichtig die bevorstehenden Wahlen im Irak, weil sie einen weiteren Schritt in Richtung Demokratie bedeuten. Sie werden weder fair noch frei sein, aber wir müssen uns eben in kleinen Schritten nach vorne arbeiten.
Der Wiederaufbau des Irak in wirtschaftlicher, handelspolitischer, kultureller und finanzieller Hinsicht sowie die Gewährleistung seiner Sicherheit sind die grundlegenden Voraussetzungen für die Entwicklung der Demokratie, aber wir müssen dabei auch die Stärkung der landeseigenen Institutionen fördern. Das friedliche Nebeneinander der verschiedenen im Irak lebenden ethnischen und religiösen Gruppen kann durch eine Umstrukturierung der Institutionen, zusammen mit der Umsetzung eines föderalen Konzepts, einem Föderalismus, der den verschiedenen Regionen innerhalb des Rahmenvertrags eines Einheitsstaates eine breite Autonomie gewährt, herbeigeführt werden. Die Erfahrung des irakischen Kurdistans könnte dabei eine nützliche Orientierung sein.
Ich möchte deshalb die Meinung von Baronin Aston, der Hohen Vertreterin, über diesen institutionellen Aspekt des Landes wissen.
Alf Svensson (PPE). – (SV) Natürlich gibt es genug Reden über Gewalt und schreckliches Grauen, wenn über den Irak diskutiert wird, es ist jedoch unbestreitbar, dass derzeit in dem Land ein Demokratisierungsprozess stattfindet.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass 3 912 Frauen bei den lokalen Wahlen im Irak im letzten Jahr mehr oder weniger für die Wahl offen standen. Das entspricht grob einer Quote von zehn Frauen für einen Sitz. Und das muss wiederum als positives Zeichen gewertet werden, insbesondere in einem arabischen Land. Es hat in uns auch ein wenig Hoffnung für die aufkommenden Parlamentswahlen am 7. März geweckt, insbesondere durch die Tatsache, dass auch die Sunniten an den regionalen Wahlen teilgenommen haben. Wie jedoch bereits erwähnt wurde, sind 14 sunnitischen Parteien und mehreren hundert Personen die Erlaubnis für die Teilnahme an den Wahlen durch eine Kommission der Regierung verweigert worden. Davon betroffen sind auch der Verteidigungsminister Abdul Qadir al-Obeidi und Saleh al-Mutlaq, der Führer der von Sunniten geführten Partei „Iraqi Front for National Dialogue“.
Die irakischen Parlamentswahlen sind natürlich von größter Bedeutung für die zukünftige Demokratisierung des Iraks, insbesondere im Hinblick auf den ethnischen und religiösen Zusammenhalt im Land. Ich möchte auch betonen, dass wir uns klar äußern müssen, was die Behandlung der ethnischen und religiösen Minderheiten im Irak angeht. Wie ich bereits erwähnt habe, werden die irakischen Parlamentswahlen dafür ausschlaggebend sein, wie wir den Irak in der nahen Zukunft betrachten werden. Was glaubt die Hohe Vertreterin der EU, Baronin Ashton, kann die EU tun, um die bevorstehenden Parlamentswahlen im Irak inklusiver und demokratischer zu gestalten?
Zigmantas Balčytis (S&D). – (LT) In den letzten Jahren hat die EU ihre Beziehungen und ihren Einfluss in den Ländern des Nahen Ostens intensiv verstärkt. Die Europäische Union hat gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft dem Irak immer sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt und hat sowohl die Umstrukturierung des Iraks sowie die Friedenssicherung und Sicherheitseinsätze unterstützt. Momentan kämpfen nach wie vor verschiedene Gruppen um die Macht im Land, was die bereits begonnene Umsetzung von Reformen in verschiedenen Bereichen im Land erschwert. Die Tatsache, dass 14 Parteien von der Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen ausgeschlossen wurden, gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. Der Irak hat sich für den Weg in die Demokratie entschieden und aus diesem Grund müssen sowohl die Europäische Union als auch andere Staaten verlangen und gegebenenfalls auch dabei helfen, dass die auf internationaler Ebene eingegangenen Verpflichtungen eingehalten und Menschrechte und Freiheit geachtet werden. Ich glaube, dass der Irak für eine enge Zusammenarbeit mit der Europäischen Union bereit ist. Die am Montag unterzeichnete gemeinsame Absichtserklärung zwischen der EU und dem Irak auf dem Gebiet der Energiezusammenarbeit macht den Willen deutlich, eine langfristige Beziehung, von der beide profitieren, zu entwickeln. Aus energiepolitischer Sicht ist der Irak zwar für die Europäische Union sehr wichtig, aber die Sicherstellung der Energieversorgung ist auch unweigerlich mit der wirtschaftlichen und politischen Stabilität in dem Land verbunden, die in jüngster Zeit gefehlt hat. Es handelt sich dabei natürlich um einen langfristigen Prozess, aber ich glaube auch, dass die Europäische Union, die Hohe Vertreterin und die internationale Gemeinschaft Mittel und Lösungen anbieten müssen, um die Prinzipien der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit zu Eckpfeilern der zukünftigen irakischen Politik zu machen.
Ryszard Czarnecki (ECR). – (PL) Frau Präsidentin, Frau Ashton, ich möchte sagen, dass, wenn ich den Beitrag von Frau Ashton in einem Satz zusammenfassen wollte, es sich um einen offiziellen Optimismus gehandelt hat. Ich denke jedoch, dass Europa und unsere Wählerinnen und Wähler etwas Konkreteres erwarten und sie erwarten die Wahrheit. Politiker zeigen nicht nur mit dem, was sie sagen, wer sie sind, sondern auch dadurch, was sie nicht sagen, und ich habe in Ihrem Beitrag, Frau Ashton, nichts darüber gehört, was einen bedeutenden Teil der europäischen öffentliche Meinung, einschließlich der Meinung in meinem Land, schockiert hat. Ich denke da zum Beispiel an die planmäßige Verfolgung von Minderheiten im Irak, einschließlich - und ich betone dies noch einmal - der Christen. Das ist eine Tatsache, der wir uns sicher sein können.
Ich denke, dass mein Kollege Herr Poręba Recht damit hatte, was er vor einem Moment über die Einmischung des Irans in die Angelegenheiten des Iraks gesagt hat. Gilt aber nicht das Gleiche auch für die irakischen Behörden und ihr skandalöses Eingreifen im Camp Ashraf, wo sich iranische Flüchtlinge aufhalten? Tun die irakischen Behörden nicht genau dasselbe? Ich habe den Eindruck, dass dies einmal sehr klar gesagt werden muss, insbesondere weil die irakischen Behörden finanzielle Unterstützung von der Europäischen Union erhalten, die dann oftmals auf sehr unsachgemäße Weise verwendet wird, wie für den Einsatz im Camp Ashraf beispielsweise.
Bogusław Sonik (PPE). – (PL) Frau Präsidentin, ich denke, dass der Irak als Beispiel dafür gelten kann, dass für die Zerstörung einer Diktatur, der Tausende Regierungsgegner durch chemische Waffen zum Opfer fielen, manchmal auch der Einsatz von Streitkräften notwendig ist. Diese Entscheidungen sind schwierig. Aus diesem Grund möchte ich Sie, während wir heute hier über den Irak sprechen, an die Tausende Soldaten aus den Vereinigten Staaten, Italien, Polen und anderen Ländern, die im Irak gefallen sind, sowie an ihre Familien erinnern. Sie sind in dem Glauben dorthin gegangen, einer guten Sache zu dienen und der Irak ist heute, wie wir hier hören, auf dem Weg, eine Demokratie zu werden.
Ich weiß, dass wir alle heute an Sie, Frau Ashton, appellieren, aktiver zu werden, aber wir wollen, dass die Europäische Union insgesamt aktiv ist. Reisen Sie bitte deshalb in den Irak und präsentieren Sie uns eine Bewertung der Situation, so dass die Hilfe, die die Europäische Union sendet, an dieselben Bedingungen geknüpft wird, die hier erwähnt wurden, insbesondere was den Schutz der Minderheiten betrifft.
Janusz Władysław Zemke (S&D). – (PL) Frau Präsidentin, es scheint gerade so, dass ausschließlich Polen sprechen, aber wir verfügen schließlich auch über die Erfahrung in Bezug auf die Teilnahme Polens und polnischer Soldaten bei der Wiederherstellung der Sicherheit im Irak.
Ich bin ebenso wie Sie, Frau Ashton, der Meinung, dass sich die Situation im Irak im Vergleich zu früher glücklicherweise etwas verbessert hat, aber es handelt sich nach wie vor um einen sehr instabilen Zustand. Neben den von der Union ergriffenen diversen Maßnahmen möchte ich noch zwei weitere spezielle Maßnahmen vorschlagen, weil ich glaube, dass sie noch fehlen. Die erste Angelegenheit betrifft etwas, das heute noch nicht angesprochen worden ist: Ich denke, dass es für die Entwicklung und die Stabilisierung des Iraks extrem wichtig ist, ein Ausbildungsprogramm für junge Iraker in Europa einzuführen, weil es im Irak immer noch einen Mangel an Ärzten, Ingenieuren und Fachkräften auf dem Gebiet der Bewässerung gibt. Ich denke, dass wir dem Irak in diesem Bereich sehr helfen könnten. Die zweite Angelegenheit betrifft den Schutz von Kulturschätzen, die sich im Irak befinden. Ich denke, dass sich die EU ganz besonders am Wiederaufbau von Babylon beteiligen sollte. Dies ist ein Schatz, der von allen Menschen in der Welt geschützt werden sollte.
Paul Rübig (PPE). - Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Ashton! Meine Frage bezieht sich auf das memorandum of understanding, das im Energiebereich unterzeichnet wurde: Glauben Sie, dass es möglich ist, gemeinsam mit Herrn Oettinger oder mit Herrn De Gucht hier eine Weiterentwicklung zu erreichen? Ich glaube, dass gerade der wirtschaftliche Aufbau im Irak mehr Stabilität bringen könnte. Wenn man die Beziehungen im Energiebereich verbessern würde, nämlich auf der einen Seite mit mehr Lieferungen europäischen equipments zur besseren Nutzung der dortigen Energiereserven und auf der anderen Seite, indem wir zum Ausgleich Energie von dort einkaufen, wäre das für beide Seiten eine Win-win-Situation. Hier wäre eine Initiative in den nächsten Wochen sehr sinnvoll.
Catherine Ashton, -Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission. Ich möchte mich bei Ihnen allen erneut für eine wichtige und interessante Debatte bedanken. Ich möchte nun noch versuchen, einige der eindeutigen Aspekte, die die Damen und Herren Abgeordneten am meisten beschäftigt haben, festzuhalten.
Ich möchte dabei damit beginnen, die Bedeutung, die die Mitglieder dem Aspekt der Minderheiten zuschreiben, anzuerkennen. Wie die Mitglieder wissen werden, besteht ein fundamentaler Teil unserer Arbeit in den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen in der Tat darin, sicherzustellen, dass die Menschenrechte im Mittelpunkt unserer Abkommen stehen. Wir hoffen, dass es uns bald möglich sein wird, dieses Abkommen mit dem Irak abzuschließen und ich akzeptiere und verspreche sicherzustellen, dass im Rahmen dessen, was wir tun, die Angelegenheiten in Bezug auf die Minderheiten verstanden werden. Dies ist zweifellos von großer Bedeutung.
Ich teile ebenfalls das von zahlreichen Damen und Herren Abgeordneten vorgebrachte Ziel in Bezug auf das Thema Todesstrafe. Es ist in der Tat unser Ziel, ihre Abschaffung herbeizuführen, und zwar aus all jenen Gründen, die von den Damen und Herren Abgeordneten sehr richtig aufgeführt worden sind.
Ich stimme ebenso mit Ihnen überein, dass wir die politischen Prozesse konsolidieren und verstärken müssen, was insgesamt von großer Bedeutung für alles, was wir tun, sein wird, und dass wir insbesondere sicherstellen müssen, dass wir mit den bevorstehenden Wahlen eine klare Vorstellung davon haben, was wir tatsächlich erreichen wollen. Ich kann die von einigen Damen und Herren Abgeordneten, einschließlich Herrn Costa und Herrn Stevenson, vorgebrachten Bedenken in Bezug auf die Angelegenheit, dass der Wahlausschuss Kandidaten von der Wahlteilnahme ausgeschlossen hat, nachvollziehen.
Die Prüfung der Kandidaten ist stets Teil des vor den Wahlen stattfindenden Verfahrens gewesen. Es gibt derzeit ein Berufungsverfahren, von dem ich hoffe, dass es seinen ordnungsgemäßen Gang nehmen wird. Ich sollte vielleicht auch noch erwähnen, dass wir beabsichtigen, unsere EU-Mission nächste Woche, und damit sechs Wochen vor dem Wahltermin, loszuschicken, und dass uns dies ermöglichen wird, das gesamte Verfahren, das vor den eigentlichen Wahlen stattfindet und großes Interesse erregt, aus erster Hand und unmittelbar zu verfolgen. Wir hoffen, dass die irakischen Behörden ein inklusives Wahlverfahren gewährleisten werden, und zwar aus all den Gründen, die von den Damen und Herren Abgeordneten in ihren Beiträgen absolut deutlich gemacht worden sind.
Darüber hinaus ist von einigen Mitgliedern auch der Punkt in Bezug auf die gemeinsame Absichtserklärung über Energie und ihre Wichtigkeit und Bedeutung angesprochen worden. Es steht für uns bei dem, was wir tun, fest, dass der Irak ein Einheitsstaat ist, und dass unsere gesamte Zusammenarbeit mit der Regierung von ganz Irak stattfindet. Wir unterstützen den Irak voll und ganz dabei, ein vereinigter und souveräner Staat zu bleiben. Es wird innerhalb dieses Bereiches besonders wichtig sein, die Zusammenarbeit zu intensivieren – und ich habe gehört, was insbesondere von Herrn Rübig gesagt wurde, der erklärt hat, dass es nötig ist, weiter über den Ausbau dieser Zusammenarbeit nachzudenken. Ich werde das an das designierte Kommissionsmitglied weitergeben.
Ich bin mir auch der Tatsache bewusst, wenn ich sage, dass es ein Problem bezüglich der Sicherheitsfrage gibt, dass die Angelegenheit Kirkuk dabei sehr wichtig ist, ebenso wie die anderen umstrittenen Grenzen. Ich habe dies bereits als eine der größten Herausforderungen, die der Irak sich derzeit stellen muss, beschrieben. Ich bin der entschiedenen Ansicht, dass der Irak diese Angelegenheiten für sich alleine klären muss. Der Irak muss diese Angelegenheiten abhandeln. Ich bin jedoch sehr daran interessiert, die „United Nations Assistance Mission for Iraq“ (Hilfsmission der Vereinten Nationen im Irak) zu unterstützen, die große Anstrengungen unternommen haben, um einen Dialog und einen Prozess möglich zu machen und in Gang zu bringen. Um jedoch zurückhaltend zu bleiben, gehe ich nicht davon aus, dass in dieser besonderen Phase vor den Wahlen noch ein Dialog auf einem entscheidenden Niveau stattfinden wird.
Und nun auch noch ein wenig zu der Zusammenarbeit in Bezug auf die Energie. Wir sehen dies als Teil der Entwicklung einer umfassenden und integrierten Energiepolitik für den Iran an. Es geht dabei um die Versorgung und die Sicherheit der Versorgung zwischen dem Irak und der Europäischen Union und es sollte natürlich auch die Entwicklung erneuerbarer Energien, allen voran Sonnen- und Windenergie, sowie die Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz im Irak selbst mit einbezogen werden. Ich hoffe ebenso wie Sie, dass es in den kommenden Monaten und Jahren auch zu einer Zusammenarbeit auf technologischer, wissenschaftlicher und industrieller Ebene kommen wird. Das war sehr richtig beobachtet.
Kommen wir nun zu dem Punkt der kürzlichen Absage an die Entsendung einer Delegation, der von Herrn Meyer in Bezug auf die Bedenken, was die Sicherheit in der Zukunft angeht, angesprochen wurde. Wir wollen eine Verbesserung des Umfelds, wie ich erläutert habe, sehen, um die Entsendung einer Wahlbeobachtermission mit teilnehmenden Abgeordneten zu genehmigen. Das wird zweifelsohne für die Damen und Herren Abgeordneten bei dem bevorstehenden Wahlvorgang von enormer Bedeutung sein und, worauf ich bereits aufmerksam gemacht habe, werden wir schon demnächst Leute dorthin schicken.
Von den Damen und Herren Abgeordneten ist auch die Frage eines Truppenabzugs aufgebracht worden. Präsident Obama hat natürlich den Rückzug aller Kampftruppen für August 2010 angekündigt, was allerdings in der Praxis bedeutet, dass mit dem Rückzug bereits kurz nach den nationalen Wahlen begonnen wird. Und das ist wiederum wichtig und von entscheidender Bedeutung. Ich habe erklärt, dass wir die Wahlbeobachtungsmission demnächst entsenden werden, die uns hoffentlich dabei helfen wird, mit den Aspekten umzugehen, die von den Damen und Herren Abgeordneten in diesem Zusammenhang vorgetragen wurden.
In Bezug auf Camp Ashraf haben wir den Irak ständig und wiederholt daran erinnert, dass dieses komplexe Thema in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Recht, und natürlich ohne Gewalt, gehandhabt werden muss.
Um nun zu meinem Ausgangspunkt zurückzukommen, ich bin optimistisch, was den Irak angeht. Es gibt große Herausforderungen und die Damen und Herren Abgeordneten tun Recht daran, uns an diese großen Herausforderungen zu erinnern. Wir können mit den bevorstehenden Wahlen und der Möglichkeit einer intensiveren Zusammenarbeit jedoch auch eine Gelegenheit für die Europäische Union mit ihrem Wertesystem und den Dingen, die uns vor allem am Herzen liegen, sehen: Menschenrechte, die Rechte von Minderheiten, der Aspekt der Todesstrafe, die Entwicklung einer intensiven Zusammenarbeit in Bezug auf die Energiesicherheit und -versorgung, einer engeren Zusammenarbeit mit der Regierung, ohne dabei jedoch unsere Erwartungen aufzugeben – Erwartungen an die Zukunft des Iraks, die friedlich und demokratisch sein wird. Wir müssen sicherstellen, dass wir konsequent auf dieses Ende hinarbeiten.
Die Aussprache ist beendet.
Die Stimmabgabe findet während der nächsten Sitzungsperiode im Februar in Straßburg statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 149)
Jaromír Kohlíček (GUE/NGL), schriftich. – (CS) Mir sind nur einige wenige Länder in der Nähe von Europa bekannt, denen es gelungen ist, ihren Demokratisierungsprozess über mehrere Jahrzehnte hinweg auf die lange Bank zu schieben. Der Irak, wo Einheiten von EU-Ländern bedauerlicherweise ebenfalls ihre Spuren hinterlassen haben, ist mit Sicherheit eines davon. Derzeit liegt einer der weltlichsten Staaten in der islamischen Welt in Schutt und Asche, einschließlich seiner drei Gemeinschaften, die sich dauerhaft bekriegen. Was von der Vergangenheit übrig geblieben ist, sind die Erinnerungen an ein relativ gutes Ausbildungs- und Gesundheitssystem und eine vergleichsweise fortschrittliche Infrastruktur. Dies ist das einzige Land in der Region, in dem die kurdische Minderheit autonom sein konnte, obwohl das Land von keinem idealen demokratischen Regime regiert wurde. Im Großen und Ganzen lautet die Frage doch, welches Land in der Region von einem wirklich demokratischen Regime regiert wird? Die Tatsache, dass der irakische Staat nach dem Einmarsch der US-Armee vollständig zerstört wurde, kennzeichnet, zusammen mit der teilweisen Vernichtung der Infrastruktur seiner Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme, einen gewaltigen Schritt rückwärts. Und dies kann keinesfalls unter dem Deckmantel der so genannten demokratischen Wahlen vertuscht werden. Die fortgesetzten Bemühungen, die Aufmerksamkeit von aktuellen Problemen durch inszenierte Gerichtsverhandlungen mit prominenten Darstellern aus Saddam Husseins Regierungskreisen abzulenken, ist naiv. Nur Personen, die absolut keine Ahnung von der Situation haben, können so zu der Überzeugung kommen, dass sie auf diese Weise verbessert werden kann. Der einzig positive Aspekt in der derzeitigen Phase ist die Tatsache, dass sowohl die US-Verwaltung als auch die irakische Regierung erkannt haben, dass es ohne gute Beziehungen zum Iran keine Verbesserung geben wird.
Artur Zasada (PPE), schriftlich. – (PL) Ich bin über den optimistischen Ton in dem Beitrag von Frau Ashton erfreut, aber ich möchte bei meiner Bewertung der Situation im Irak doch etwas vorsichtiger sein. Trotz vieler Anzeichen ist das Land nach wie vor intern instabil und es kann sicher nicht gesagt werden, dass Demokratie dort bislang Wurzeln schlagen konnte. Wir können nicht von der Stabilisierung eines Landes sprechen, wenn innerhalb seiner Grenzen 1,8-1,9 Millionen Bewohner vertrieben wurden, während eine weitere Million das Land komplett verlassen hat und die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge leben müssen, sind extrem schlecht.
Es ist von grundlegender Bedeutung, die derzeit angewandten Methoden für die Versorgung der Flüchtlinge in Syrien und Jordanien und die vertriebenen Bewohner im Irak durch ausländische Hilfen zu überdenken. Diese Hilfe muss für eine ausreichend lange Zeit zur Verfügung stehen. Wie lange? Das wissen wir immer noch nicht. Ein Doktor hört jedoch auch nicht nach den ersten Anzeichen einer Besserung mit seiner Behandlung auf, und deshalb dürfen wir uns auch nicht von allzu optimistischen Prognosen in die Irre führen lassen.
(Die Sitzung wird um 19.25 Uhr unterbrochen und um 21.00 Uhr wieder aufgenommen)
VORSITZ Edward McMILLAN-SCOTT Vizepräsident
8. Zweite Überprüfung des AKP-EG-Partnerschaftsabkommens (Cotonou-Abkommen) (Aussprache)
Präsident. – Als nächster Punkt folgt der Bericht von Eva Joly, der im Namen des Entwicklungsausschusses zur zweiten Überprüfung des AKP-EG-Partnerschaftsabkommen („Cotonou-Abkommen”) (2009/2165(INI)) (A7-0086/2009) verfasst wurde.
Eva Joly, Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, die Überprüfung des Cotonou-Abkommens bietet uns Gelegenheit, Lehren aus den gegenwärtigen Krisen zu ziehen, einschließlich der Wirtschafts- und Finanzkrise, der sozialen oder der Ernährungskrise, dem Klimawandel, den Herausforderungen im Energiebereich und dem Fortbestehen extremer Armut.
Das vorherrschende Wirtschaftsmodell, das des ungezügelten freien Markt, und unsere Lebensweisen haben nicht nur ihre Grenzen aufgezeigt, sondern sind die eigentlichen Verursacher dieser beispielslosen multidimensionalen Krisen. Wir müssen daher all unsere Strategien einer radikalen Reform unterwerfen.
Der Ihnen heute vorgelegte Bericht, der von den Mitgliedern des Entwicklungsausschusses einstimmig angenommen wurde, erscheint mir als ein erster Schritt in Richtung dieser erforderlichen Überarbeitung.
Das zu beachtende Hauptanliegen ist die Kohärenz. Die Handels-, Fischerei- und Landwirtschaftspolitik der Europäischen Union muss kohärent und auf eine Art gestaltet werden, dass nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung sowie ein akzeptabler Lebensstandard und ein angemessenes Einkommensniveau allgemein gewährleistet sind.
Ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen, dass dies heute nicht der Fall ist. Indem die Europäische Union den Handel zum Selbstzweck macht und ihn nicht etwa als Mittel für ihre Entwicklungspolitik einsetzt, opfert sie die Bevölkerungen der Entwicklungsländern dem Profit ihrer multinationalen Unternehmen. Die Verhandlungen zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) lösen daher zu Recht Kontroversen zwischen den Regierungen der AKP-Staaten, den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft aus, die diese als eine Gefahr für ihre Volkswirtschaften ansehen.
Dabei stellt die Landwirtschaft eine der wichtigsten Problemstellungen dar, die bei der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten weiterhin äußerst stark vernachlässigt wird. Obwohl die ländlichen Gebiete und der Sektor mehr als 60% der Bevölkerung und der Beschäftigung darstellen, ist ihr Anteil am europäischen Fonds für AKP-Staaten so gut wie nicht vorhanden.
Das muss sich unbedingt ändern. Wie können wir Armut beseitigen, wenn wir die Lebensmittelsouveränität nicht zu einem Schwerpunkt machen? Die Landwirtschaft muss im Mittelpunkt der Entwicklungsstrategien der Europäischen Union stehen. Es ist einfach wesentlich, die Entwicklungsländer und die einheimischen Bauern bei der Gewährleistung ihrer Lebensmittelsouveränität zu unterstützen. Dies gilt umso mehr, da heute die Lebensmittelsouveränität, wie die demokratische Legitimierung der Regierungen in diesen Ländern, durch ein neues und besonders beunruhigendes Phänomen bedroht ist: dem Erwerb von Ackerflächen durch ausländische Investoren infolge des Anstiegs der Nahrungsmittelpreise im Jahr 2007.
China, Saudi Arabien und sogar Katar besitzen heute Tausende Hektar in Entwicklungsländern. Die Europäische Union und die AKP-Staaten müssen dieses Problem, das zu gewaltsamen Konflikten und Hungerunruhen führen könnte, in Angriff nehmen, indem insbesondere der Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Land und Wasser als grundlegendes und unanfechtbares Recht der einheimischen Bevölkerung anerkannt wird.
Ein weiteres Thema, das mir sehr Herzen liegt, sind die Steuerparadiese. Die damit verbundenen Auswirkungen sind bereits für entwickelte Länder sehr von Nachteil, für die Wirtschaften und die politischen Institutionen von Entwicklungsländern sind sie jedoch weitaus schlimmer. Es wird vermutet, dass die dadurch ausgelöste illegale Kapitalflucht etwa zehnmal so hoch ist wie die offizielle Entwicklungshilfe.
Diesem Ausbluten Einhalt zu gebieten ist eine Frage der Kohärenz und der Glaubwürdigkeit. Ein erster Schritt könnte die Unterzeichnung einer bindenden Vereinbarung sein, die multinationale Unternehmen zwingt, automatisch über ihre Gewinne und die in den einzelnen AKP-Staaten ihrer Tätigkeit gezahlten Steuern zu informieren, um somit die von Entwicklungsländern erlittenen Verluste und den Missbrauch einzuschränken.
Letztlich möchte ich diese Aussprache zum Anlass nehmen, um erneut auf das Demokratiedefizit dieser Überprüfung hinzuweisen, zu der unsere Parlamente nicht angehört wurden. Die Rolle der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU muss jedoch gestärkt werden.
Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, ich hoffe, dass die Verhandlungspartner die ihnen gebotene Gelegenheit nutzen werden, um hinsichtlich dieser Partnerschaft die erforderlichen Änderungen vorzunehmen und sie zu einem Erfolg werden zu lassen, der in erster Linie den Bevölkerungen in den AKP-Staaten zugute kommen wird.
Vital Moreira, Berichterstatter für die Stellungnahme des Ausschusses für internationalen Handel. – (PT) Herr Kommissar, meine Damen und Herren, der Ausschuss für internationalen Handel, dessen Präsident zu sein ich die Ehre habe, hat sich aus zwei Gründen zur Abgabe einer Stellungnahme zur laufenden Überprüfung des Cotonou-Abkommens entschieden.
Erstens ist der Handel ein Hauptbestandteil der Beziehungen zwischen den Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) und der Europäischen Union. Zweitens hat das Cotonou-Abkommen zu den neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen geführt, die für Handelsabkommen von wesentlicher Bedeutung sind.
Aus diesen Gründen haben wir uns zur Teilnahme daran und zum Einbringen eines Berichtes entschieden, dessen Berichterstatter ich bin.
Wir haben uns in diesem Bericht mit zwei Themen befasst: erstens die Beachtung der Einzelheiten der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und den in diesem Rahmen eingerichteten parlamentarischen Überwachungsinstitutionen, wie das Cariforum, und zum Zweiten die Nutzung von Synergien unter Berücksichtigung der Autonomie beider Institutionen. In anderen Worten die Synergien innerhalb der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung (PPV) berücksichtigen, die sich zwischen der Europäischen Union, den AKP-Staaten und den neuen interparlamentarischen Institutionen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ergeben.
Karel De Gucht, Mitglied der Kommission. – Herr Präsident, ich schätze sehr das Interesse, dass Sie der zweiten Überprüfung des Cotonou-Abkommens entgegenbringen. Zudem habe ich mit großem Interesse den Bericht des Entwicklungsausschusses gelesen, der eine scharfsinnige Analyse der gegenwärtigen Herausforderungen liefert. Während des gesamten Verfahrens ist es uns ein wichtiges Anliegen, das Parlament laufend zu informieren. Diesem Anliegen sind wir in den vergangenen Monaten nachgekommen.
Die Verhandlungen haben an Dynamik gewonnen und gehen nun in die letzte Phase. Das nächste gemeinsame Treffen der Botschafter wird den Wert dieser Diskussionen belegen. Unser Ziel ist ein außerordentliches gemeinsames Treffen auf Ministerebene, um gemäß dem Cotonou-Abkommen die Verhandlungen im März abzuschließen.
Ich möchte Ihnen nun einige Überlegungen zu dem Bericht mitteilen. Vor allem hat sich der Bericht bereits als hilfreich erwiesen, um einige Positionen der EU aufrechterhalten zu können. Ich möchte nur einige Beispiele nennen: Ihre Stellung zur Stärkung der nationalen AKP-Parlamente, zum Internationalen Strafgerichtshof und zu anderen Menschenrechtsfragen haben unsere Verhandlungsposition gestärkt. Wie Sie sind auch wir davon überzeugt, dass dem Klimawandel und der Lebensmittelsicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, was sich im endgültigen Ergebnis wiederspiegeln wird.
Ich möchte verstärkt auf vier Themenbereiche eingehen und mit der Wichtigkeit der parlamentarischen Dimension beginnen, die in der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung enthalten ist und der im Bericht eine große Bedeutung beigemessen wird. Die Kommission hat sich dazu verpflichtet, die parlamentarische Dimension im Cotonou-Abkommen zu stärken. Unsere Absicht ist es also nicht, die PPV zu schwächen. Vielmehr muss der von der Kommission eingebrachte Vorschlag im breiteren Kontext wachsender parlamentarischer Kontrollfunktionen gesehen werden, wobei der Blick insbesondere auf bestehende und zukünftige Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und EEF-Programme (Programme des Europäischen Entwicklungsfonds) gerichtet werden sollte. Wir sollten ein Höchstmaß an Synergie zwischen WPA und den Cotonou-Institutionen, einschließlich zwischen regionalen Sitzungen der PPV und den parlamentarischen Organen der WPA, sicherstellen. In diesem entstehenden Rahmen würde es sinnvoll sein, die Plenarsitzungen der PPV zahlenmäßig zu reduzieren. Da die Kommission jedoch der Ansicht ist, dass diese Angelegenheit mit denjenigen abgestimmt werden muss, die am stärksten davon betroffen sind, ist sie bereit, ihren Standpunkt zu überdenken. Zudem möchten wir vom Parlament mehr darüber erfahren, wie es die Rolle und die Funktionsweise der PPA in einem sich politisch und institutionell wandelnden Umfeld beurteilt.
Der Abschluss von WPA verlangt nicht nur, dass Synergieeffekte zwischen dem Abkommen und den Cotonou-Institutionen sichergestellt werden, sondern auch eine Aktualisierung der Cotonou-Handelsbestimmungen, da das Cotonou-Handelssystem überholt ist. Wir haben mit AKP-Partnern vereinbart, dass wir die Verhandlungen für regionale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen weiterführen werden. In diesem Kontext möchte ich als Entwicklungskommissar verstärkt darauf hinweisen, dass es, wie im Berichtsentwurf vorgeschlagen, weder politisch wünschenswert noch rechtlich durchführbar ist, unilaterale Handelssysteme der EU wie APS (Allgemeines Präferenzsystem) oder APS+ in das Cotonou-Abkommen einzugliedern, da diese von selbstständig umzusetzenden EU-Schemen abhängen. Die Kommission begrüßt hingegen die Forderung, im Rahmen von Cotonou das Augenmerk verstärkt auf den Handel und die Entwicklungsfragen allgemein zu richten und den Handel besonders zu fördern.
In Ihrem Bericht weisen Sie besorgt daraufhin, dass der Abschluss von WPA und eine zunehmende Regionalisierung die Kohärenz der AKP Gruppe untergraben könnten. Die Kommission ist der Ansicht, dass eine regionale Unterscheidung innerhalb des Rahmenwerks von Cotonou eher eine Chance als eine Gefahr darstellt. Regionale Integration ist für die Entwicklung von AKP-Staaten von entscheidender Bedeutung, und wir müssen diese Tatsache im Cotonou-Abkommen berücksichtigen, um die eigenen Bemühungen der Staaten hinsichtlich dieses Ziels besser zu unterstützen. Dies kommt keinesfalls einer Spaltung der AKP Gruppe gleich, wovon auch unsere AKP-Partner weitestgehend überzeugt sind.
Ich möchte mich nun kurz zu den sektorbezogenen Politiken äußern, auf die Sie in Ihrem Bericht verstärkt hinweisen. Wir teilen mit Ihnen die Überzeugung hinsichtlich der Bedeutung des Klimawandels und der erneuerbaren Energien, die in der vorliegenden Überprüfung bereits berücksichtigt wurden. Wir werden auch bei der regionalen Dimension auf Lebensmittelsicherheit eingehen.
Sie heben des Weiteren die Bedeutung von verantwortungsvoller Regierungsführung in steuerlichen Belangen und im Finanzbereich hervor. Verantwortungsvolle Regierungsführung ist einer der wesentlichen Grundsätze des Cotonou-Abkommens. Aufbauend auf Artikel 9 des Cotonou-Abkommens arbeitet die Kommission gegenwärtig eine neue Politik zum verantwortlichen Handeln im Steuerbereich im Kontext von Entwicklungszusammenarbeit aus. Wir versuchen auch im Rahmen der laufenden Überprüfung, uns mit diesen Aspekten zu befassen. Daher kann ich bestätigen, dass wir wie Sie das Ziel verfolgen, gerechte, effektive und wachstumsfördernde Steuersysteme und leistungsfähige Steuerbehörden zu schaffen und zudem Entwicklungsländer verstärkt an internationalen Steuerverfahren zu beteiligen.
Abschließend nehme ich Ihr Bedauern darüber zur Kenntnis, dass sich die Kommission vor Beginn des Überprüfungsverfahrens nicht mit einem breiteren Spektrum an Akteuren beraten hat – Absätze 2 und 8 – , und ich stimme völlig mit Ihnen darin überein, dass für die Zukunft der AKP-EU-Beziehungen nach 2020 ein umfassender Konsultationsprozess erforderlich ist, möglicherweise in der Form eines Grünbuchs. Wir werden die Ergebnisse der laufenden Überprüfung als Grundlage dafür, als eine Form der Lernerfahrung, bewerten.
Cristian Dan Preda, im Namen der PPE-Fraktion. – (RO) Ich möchte zunächst Frau Joly für die Erstellung dieses Berichts beglückwünschen. Die darin behandelten Themenbereiche sind extrem wichtig um sicherzustellen, dass das Cotonou-Abkommen weiterhin die Grundlage für eine tragfähige Partnerschaft mit den AKP-Staaten bildet und, vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen, mit denen diese Staaten konfrontiert sind, zudem ein geeignetes Instrument bleibt.
Die Verhandlungen erfolgen in einem schwierigen Klima, das, wie wir alle wissen, von Komplexität geprägt ist. Einerseits sind die AKP-Staaten nicht nur durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern auch durch die fehlende Lebensmittelsicherheit und die Auswirkungen des Klimawandels stark in Mitleidenschaft gezogen. Andererseits sind alle Verhandlungsparteien mit einer Herausforderung institutioneller Art konfrontiert, die erforderlich macht, dass adäquat über die fortschreitende Regionalisierung der Beziehungen zwischen den AKP-Staaten und der Europäischen Union nachgedacht wird. Es muss von nun an gewährleistet sein, dass der überprüfte Text alle für eine Kooperation erforderlichen Elemente enthält, die einer effektiven Entwicklung förderlich sind und somit zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele in den AKP-Staaten beitragen können.
Ich möchte zudem betonen, dass ich fünf Änderungsanträge im Namen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) eingebracht habe. Meiner Ansicht nach werden diese Anträge ein fein nuancierteres Lesen einiger der in diesem Bericht enthaltenen Vorschläge ermöglichen. Beispielsweise ist es für uns in Absatz 29 wichtig, auf dem Konzept des Eigentums an Ackerflächen zu bestehen.
Darüber hinaus vertrete ich die Ansicht, dass ein Mechanismus, der transnationale Gesellschaften zur Offenlegung ihrer Gewinne verpflichtet, auf internationaler Ebene eingerichtet werden muss. In Absatz 25 sollte eindeutig darauf hingewiesen werden, dass die Frage der Lebensmittelsicherheit als Teil der EU-Entwicklungspolitik in kohärenter Weise angegangen werden muss. Abschließend spiegelt der Standpunkt in Absatz 31 zu Rückübernahmeabkommen mit Drittländern nicht die Vorstellungen der PPE-Fraktion in dieser Angelegenheit wieder.
Harlem Désir, im Namen der S&D-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, auch ich möchte Frau Joly zu ihrer Arbeit, zum Bericht und zudem dafür gratulieren, dass sie die Beiträge der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament berücksichtigt hat. Obwohl wir erneut Änderungsanträge eingebracht haben, erkennen wir unseren Beitrag in der von ihr vorgelegten Entschließung.
Für unsere Fraktion stellt die Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten eine historische Verpflichtung dar, die all ihre spezifischen Merkmale beibehalten muss, welche selbst zum Zweck einer Übereinstimmung mit bestimmten Regelwerken wie dem der WTO nicht verwässert werden dürfen. Es ist uns ein großes Anliegen, dass im Rahmen dieser Partnerschaft vor allem die Kohärenz aller Strategien der Europäischen Union – Handelspolitik, Finanzpolitik – bewahrt wird, die Zielsetzungen im Bereich Entwicklung, aber auch für die Förderung von Frieden, Sicherheit, Demokratie und Menschenrechten in den AKP-Staaten verfolgen.
Es geht nicht darum, diesen Ländern ein System aufzuzwingen, sondern mit ihnen bei der Förderung ihrer unbedingt nachhaltigen Entwicklung zusammenzuarbeiten. Aus dieser Perspektive ist es sehr wichtig, dass wir für die Überprüfung neue Elemente aus den vergangenen fünf Jahren berücksichtigen können: den Kampf gegen Klimawandel, den Technologietransfer, Unterstützung bei der Entwicklung erneuerbarer Energien, den Kampf gegen die Nahrungsmittelkrise und folglich bei unserer Kooperation ein verstärktes Augenmerk auf Landwirtschaft und Lebensmittelsouveräntität, den Kampf gegen die Deregulierung der Finanzmärkte, verantwortungsvolle Regierungsführung im Finanzbereich und den Kampf gegen Steuerparadiese. Es ist für uns ersichtlich, dass wir zu all diesen Punkten einen Beitrag geleistet haben.
Ich möchte zwei Aspekte gesondert betrachten. Handel: Mit der Implementierung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens sind einige Bestimmungen des Cotonou-Abkommens überholt. Es ist uns jedoch ein Anliegen, dass in diesem Abkommen weiterhin der Hinweis darauf enthalten ist, dass die Handelsbestimmungen und die Handelssysteme, die die AKP-Staaten begünstigten, nicht weniger vorteilhaft sind als diejenigen, die bisher für diese Länder Gültigkeit hatten. Unserer Ansicht nach sollte das APS, die Interim-WPA und all diese Bestimmungen in die Überprüfung des Cotonou-Abkommens aufgenommen werden.
Abschließend ist es uns in Bezug auf das Thema Auswanderung ein Anliegen – unsere Kollegen in der Fraktion werden dies betonen –, dass tatsächlich darauf hingewiesen wird, dass die Abkommen zur Migration die Rechte von Migranten wahren und dass Transitregelungen mit Ländern nicht zu akzeptieren sind, die die Achtung der Menschenrechte nicht gewährleisten.
Louis Michel, im Namen der ALDE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, ich möchte Frau Joly ebenfalls zu der Genauigkeit und der Sorgfältigkeit ihres Berichts und der darin enthaltenen angemessenen Analysen beglückwünschen.
Die zweite Überprüfung des Cotonou-Abkommens muss den Besitzstand (Acquis)des Lomé-Abkommens steigern und gleichzeitig die Einheit, die Kohäsion und die Solidarität zwischen den AKP-Staaten festigen. Das Abkommen muss natürlich die Gewährleistung erbringen, dass diese Länder in der Lage sein werden, die Kontrolle über ihre Entwicklungspolitik zu übernehmen.
Folglich sollte die Programmierung, die erneute Überprüfung und Überwachung des Abkommens auch ein Vorrecht für die Parlamente unserer Partnerländer sein. Dies stellt eine große Herausforderung dar. Doch meiner Ansicht müssen wir uns insbesondere bemühen, diese Parlamente zu bestärken. Dieser Erwartung müssen wir auch gegenüber den Behörden unserer Partnerländer deutlich Ausdruck verleihen. Wie allseits bekannt sein dürfte, gehen bestimmte Regierungen bei der Förderung der parlamentarischen Debatten in ihren Ländern nur sehr zögerlich vor.
Ich stelle insbesondere die Forderung, dass die demokratische Kontrolle und die Rolle der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU gestärkt werden, indem namentlich Bestimmungen in das Cotonou-Abkommen eingebracht werden, die der PPV den Erhalt von nationalen und regionalen Strategiepapieren und die Auseinandersetzung damit ermöglichen. Meiner Ansicht nach sollten in Zukunft auch die nationalen und regionalen Parlamente systematischer bei der Ausarbeitung regionaler und nationaler Strategiepapiere konsultiert werden.
Ich möchte mich kurz zur Arbeitsorganisation der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung äußern: Wir sollten an zwei Sitzungsperioden festhalten. Die Reduzierung auf eine Sitzungsperiode würde ein extrem negatives Signal an unsere Partner sein. Regionale Treffen sollten vielleicht so organisiert werden, dass sie zeitlich enger beieinander liegen. Ich werde hierzu dem Präsidium der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung am 25. Januar einige konkrete Vorschläge machen.
Aus Gründen der Kohärenz und Effektivität bestehe ich darauf, dass sich die mit der Überwachung der WPA beauftragten parlamentarischen Gremien aus Mitgliedern der PPV zusammensetzen, um deren Entwicklungsdimension besser zu gewährleisten. Darüber hinaus begrüße ich Ihre Aussagen, Herr Kommissar, da Sie als nächster Handelskommissar sehr deutlich Stellung zu dieser Erklärung genommen haben. Ich stelle Ihre Aufrichtigkeit keinesfalls in Zweifel, wenn Sie sich dafür aussprechen, dass Sie diesen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen eine Entwicklungsdimension verleihen wollen.
Schließlich sollte bei der Überprüfung des Cotonou-Abkommens den AKP-Staaten verstärkt Hilfe und Finanzierung gewährt werden, um sie bei der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen.
Nirj Deva, im Namen der ECR-Fraktion. – Herr Präsident, es will einfach kein Ende nehmen. Ständig reden wir von einer Linderung der Armut. Dies ist der 10. EEF. Wir haben an die 350 Mrd. EUR in die sogenannte Armutsbekämpfung gepumpt und wissen doch, dass sich die Armutssituation verschlimmert hat.
Wie kommt es, dass in unseren AKP-Staaten Strategien und Programme vorhanden sind, die uns in unserer eigenen europäischen Geschichte niemals zur Verfügung standen? Die Provinzen Brüssel oder Brabant sind nicht reicher geworden und haben die Armut nicht durch die Maßnahmen ausgemerzt, die wir in den AKP-Staaten versuchen anzuwenden. In Europa wurde Wohlstand durch die Schaffung von Wohlstand erreicht. Wie schaffen wir Wohlstand in den AKP-Staaten?
Frau Joly hat interessanterweise erkannt, dass es eine Kapitalflucht gibt. Ihren Worten zufolge verlässt die achtfache Summe dessen, was wir diesen Ländern zukommen lassen, das Land. Warum wird dieses Kapital nicht in diesen Ländern verwandt? Warum schaffen wir nicht die Voraussetzungen dafür, dass Kapital zur Schaffung von Beschäftigung und Wohlstand im Land bleibt? Bevor diese Fragen nicht beantwortet sind, verschwenden wir das Geld der Steuerzahler, ohne auch nur einer Person zu Wohlstand verholfen zu haben.
Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Meine Fraktion unterstützt den Bericht von Eva Joly. Wir fordern, dass u.a. folgende Probleme berücksichtigt werden: Die Aufnahme der Folgen des Klimawandels und der notwendigen Anpassungsmaßnahmen für die AKP-Staaten, die Sorge von AKP-Staaten, dass durch regionale Verhandlungen der EU mit Gruppen von AKP-Staaten die Solidarität innerhalb der AKP-Gemeinschaft unterminiert wird, und die Möglichkeit, auf der Basis des Cotonou-Abkommens notwendige Investitionen im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen und der öffentlichen Infrastruktur mit IB-Krediten zu unterstützen. Wir widersprechen zugleich der Aufnahme von Quoten für die Rückführung von Migranten aus der EU in die AKP-Staaten im Rahmen dieser Verhandlungen.
Bei der ersten Revision des Cotonou-Abkommens wurde die politische Dimension aufgenommen, jetzt geht es um die parlamentarische Dimension, deshalb ist es für uns nicht nachvollziehbar, die Sitzung der AKP-Versammlung auf eine Tagung im Jahr zu reduzieren.
Krisztina Morvai (NI). – (HU) Ich war geschockt, als während einer Ernährungskonferenz die afrikanische Delegation ein Schild hochhielt, auf dem geschrieben stand: Do not feed Africa. Wir sollten uns darüber klar werden, dass Afrika keine Hilfe, sondern Selbstbestimmung bei der Nahrungsmittelversorgung braucht. Erstaunlicherweise haben die afrikanische Bevölkerung und die afrikanischen Bauern die gleichen Interessen wie die postkommunistischen Bauern und Bevölkerungsteile Osteuropas oder, um einen noch extremeren Vergleich anzustellen, wie die französischen Bauern und die französische Bevölkerung: Die einheimischen Bauern benötigen Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl der anzubauenden Produkte, bei der Anbauart und dem Verkauf ihrer Produktion auf dem lokalen Markt. Und für die einheimische Bevölkerung ist es wichtig, sich durch lokal angebaute gesunde Nahrungsmittel von guter Qualität ernähren zu können. Die Vorstellungen eines liberalisierten globalen freien Marktes einerseits und der Selbstbestimmung bei der Nahrungsmittelversorgung andererseits gehören zu zwei verschiedenen Systemen der Logik. Wir sollten in diesem Zusammenhang dem Thema der Selbstbestimmung in der Nahrungsmittelversorgung entschiedener den Vorzug geben.
Filip Kaczmarek (PPE). – (PL) Herr Präsident, Herr Kommissar, die zweite Überprüfung des Cotonou-Abkommens erfolgt zu einem sehr vorteilhaften Zeitpunkt, da sie eine Analyse der Abkommensbestimmungen angesichts einer sich rasch wandelnden Realität ermöglicht. Seit der vorhergehenden Überarbeitung 2005 ist viel passiert: Krisen in den Bereichen Wirtschaft, Nahrungsmittelversorgung, Energie und Finanzen und die Veränderungen, die sich aus Klimaverhandlungen und deren Auswirkungen auf Entwicklungsländern ergeben haben.
Was jedoch die Mitglieder des Europäischen Parlaments interessieren sollte, ist die Rolle der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung und mögliche Versuche, deren Häufigkeit und Bedeutung zu reduzieren. Ich bin sehr erfreut über die Erklärung des Kommissars, dass die Europäische Kommission in dieser Hinsicht keine Absichten verfolgt. Dies ist wichtig, denn weder das Europäische Parlament, noch die Paritätische Parlamentarische Versammlung noch die Parlamente der AKP-Staaten waren am Entscheidungsprozess beteiligt, der die Modifikationen des Abkommens herbeiführte.
Eine weitere wichtige Angelegenheit ist die Regionalisierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten und insbesondere die Beschaffenheit dieser Regionalisierung. Ich bin nicht gegen Regionalisierung, doch vertrete ich die Auffassung, dass regionale Treffen der Paritätischen Versammlung nicht Plenarsitzungen ersetzen sollten. Im Übrigen würde es wahrscheinlich eher den Gegebenheiten entsprechen, wenn Entscheidungen zu Strukturen und Arbeitsweisen der Paritätischen Versammlung von der Versammlung selbst und nicht von den am Abkommen beteiligten Parteien getroffen würden.
Ich pflichte dem Wunsch im Bericht bei, die nationalen Parlamente stärken zu wollen. Herr Michel hatte dies angesprochen. In Zukunft würden wir es begrüßen, dass alle Vertreter der AKP-Staaten, die an der Arbeit der Paritätischen Versammlung beteiligt sind, Mitglieder ihrer eigenen Parlamente und nicht Vertreter ihrer Regierungen sind.
Ebenso wichtig ist es, dass den nationalen Parlamenten der AKP-Staaten die Gelegenheit eingeräumt wird, eine bedeutende Rolle bei der Entwicklungszusammenarbeit, der Vorbereitung und Implementierung von Programmen und der Überwachung und Bewertung von getroffenen Maßnahmen zu spielen. Hieraus leitete sich auch die Notwendigkeit eines Zugangs zu Strategiepapieren ab. Darüber hinaus stimme ich natürlich zu, dass Funktionen sich nicht überlagern sollten und dass Komplementarität und Synergie zwischen den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung ein sehr hoher Stellenwert zukommt.
Véronique De Keyser (S&D). – (FR) Herr Präsident, Artikel 13 des Cotonou-Abkommens wurde seit 2000 nicht überprüft, dabei behandelt er ein sehr sensibles Thema, nämlich den Dialog zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten in Bezug auf Immigration, gerechte Behandlung von Immigranten, den Grundsatz der Nichtzurückweisung, die der Immigration zugrundeliegenden Ursachen und schließlich den Kampf gegen illegale Einwanderung und Rückübernahme. Die Europäische Union hat sich insbesondere mit den beiden letzten Aspekten befasst.
Infolge des schmerzlichen Fehlens einer gemeinsamen Immigrationspolitik, die den von Europa verfochtenen Werten gerecht wird, besteht die Gefahr, dass der Aspekt der Repression und der Fahndung nach illegalen Immigranten in der geplanten Überprüfung von Artikel 13 verstärkt wird. Das tragische Beispiel des bilateralen Abkommens zwischen Italien und Libyen, das unannehmbare humanitäre Situationen heraufbeschworen hat, scheint dem Eifer derjenigen nicht geschadet zu haben, die eine Verschärfung von Artikel 13 fordern, um den Abschnitt über den Kampf gegen illegale Einwanderung mehr Nachdruck zu verleihen.
In einigen Regionen – ich denke dabei an Kalabrien – wird nun offen und rücksichtslos Jagd auf illegale Immigranten gemacht. Anstatt die durch die gegenwärtige Krise ausgelösten Ängsten zur Grundlage unseres Handels zu machen, müssen wir die Synergie aufzeigen, die sich zwischen Immigration und Entwicklung ergeben kann.
Während die AKP-Staaten Unterstützung benötigen, um ihre Wirtschaft in Gang zu bringen, sind wir zur Bewältigung unserer Krise auf Einwanderung angewiesen. Unser Schwerpunkt sollte daher auf legaler Einwanderung und Mobilität liegen. Nur so können wir uns gegen das Klima des Hasses schützen, das schleichend in unseren Ländern Fuß fasst.
Niccolò Rinaldi (ALDE). – (IT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, als Liberaldemokraten möchten wir die Überprüfung des Cotonou-Abkommens dazu nutzen, eine Vorstellung von Modernität zu bekräftigen, die auch die Zustimmung der AKP-Staaten hat. Mit Modernität meine ich vor allem die Durchsetzung von Strategien, die ein Mehr an Freiheit fordern und ermöglichen.
In erster Linie sollte diese Freiheit eine Freiheit von Bürokratie sein, die in den AKP-Staaten immer mehr um sich greift und das Wirtschaftswachstum ständig behindert. Diese Freiheit soll insbesondere für Studenten die Möglichkeit bereitstellen, im Ausland studieren zu können, und meiner Ansicht nach sollten wir die im Rahmen der Überprüfung gebotene Gelegenheit nutzen, um ein ehrgeiziges Programm für Studienstipendium auf den Weg zu bringen. Diese Freiheit sollte durch die Verbreitung neuer IT-Technologien gestützt werden, so dass vor allem das Internet zu einer Bereicherung werden kann, die einem möglichst breiten Publikum zugänglich ist.
Abschließend sollte sie den Arbeitnehmern Freizügigkeit gewähren, um auf diese Weise die folgenschweren Interferenzen beheben zu können, auf die Frau De Keyser mit ihrem Beitrag zu bilateralen Abkommen hingewiesen hat. Cotonou hat als direktes Nachfolgeabkommen von Lomé und Yaoundé eine lange Geschichte. Zu einer Zeit war es wegweisend und wird, wenn es neue Herausforderungen angehen kann, erneut einen wichtigen Stellenwert haben.
Mariya Nedelcheva (PPE). – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, zunächst möchte ich Frau Joly zur ihrem qualitativ hochwertigen Bericht beglückwünschen.
Die Überprüfung des Cotonou-Abkommens sollte in der Tat eine Gelegenheit sein, um Bilanz zu ziehen und auf Grundlage der Erfahrungen Lösungsvorschläge einzubringen, um die Umsetzung, die Arbeitsweise und den Einfluss des Abkommens zu verbessern. In dieser Hinsicht ist die eindeutige Festlegung von Prioritäten von extremer Wichtigkeit.
Ich möchte auf drei Punkte näher eingehen. Zunächst müssen wir die Inhalte des politischen Dialogs klarer herausstellen. Wir dürfen die Festigung des Friedens und die Vermeidung und Beilegung von Konflikten nicht aus den Augen verlieren. Doch bestehende Instrumente einsatzbereit zu machen und Verweise auf den Kampf gegen Handel mit Kleinwaffen und Drogen hinzuzufügen stellen Herausforderungen dar, die, sobald sie bewältigt wurden, in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht einen positiven Beitrag leisten werden.
Zweitens ist der Abschluss flexibler und ausgewogener Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die die regionale Entwicklung angemessen berücksichtigen, von enormer Bedeutung, Die Schlüsselsektoren wie Landwirtschaft, erneuerbare Energie und die Beschäftigung junger Menschen sollten vermehrt Beachtung finden. Ein regelmäßiger Dialog mit der örtlichen Bevölkerung wird eine erforderliche und realistische Anpassung ermöglichen.
Schließlich ist das institutionelle Rahmenwerk von wesentlicher Bedeutung. Es ist unbedingt notwendig, eine größere Kohäsion zwischen den verschiedenen Pfeilern des Abkommens herzustellen. Eine Verstärkung der Kompetenzen der PPV und der nationalen Parlamente wird automatisch zu einer verbesserten demokratischen Kontrolle und vor allem zu mehr Transparenz führen.
Als Schlussfolgerung müssen alle neuen oder überholten Instrumente die wesentlichen Grundsätze und den Geist des Abkommens wahren, und insbesondere dürfen wir das zentrale Ziel, nämlich die Armutsbeseitigung, nicht aus den Augen verlieren, während wir gleichzeitig einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung und progressiven Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft leisten.
Michael Cashman (S&D). – Herr Präsident, in der Kürze liegt die Würze. Herzlichen Glückwunsch, Frau Joly; herzlichen Glückwunsch, Herr Kommissar. Das Parlament setzt bei diesen Verhandlungen den Schwerpunkt auf die Stärkung der nicht verhandelbaren Menschenrechtsklauseln und Sanktionen bei Nichtbeachtung dieser Klauseln unter anderem hinsichtlich Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Überzeugungen, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung und von an AIDS- und HIV-infizierten Menschen.
Wie mir gesagt wurde, Herr Kommissar, haben sich einige Mitgliedstaaten gegen diesen Änderungsantrag ausgesprochen, für das Parlament ist er jedoch von wesentlicher Bedeutung. Wie Sie wissen, werden Menschenrechte viel zu häufig untergraben, wobei diese Missachtung in erster Linie auf parteipolitische Vorteile zurückgeht. Die Verteidigung von Grundrechten bildet den Mittelpunkt der Europäischen Union und sollte daher auch im Mittelpunkt und Zentrum unserer Beziehungen zu allen AKP-Staaten stehen.
Herr Kommissar, dies ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass Sie mit Ihrem jetzigen Portfolio vor uns stehen. Daher möchte ich Ihnen im Namen des Parlaments herzlich danken. Sie haben die Menschenrechte und die EU-Grundwerte eisern verteidigt, und ich wünsche Ihnen für Ihr neues Portfolio alles Gute. Vielen Dank.
Maria Da Graça Carvalho (PPE). – (PT) Die überarbeitete Fassung des Cotonou-Abkommens enthält Schlüsselthemen für nachhaltige Entwicklung und eine allmähliche Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft. Themenbereiche wie Klimawandel, Sicherheit der Energieversorgung, Weiterbildung und Ausbildung sind wesentlich für die Entwicklung in diesen Ländern.
Gleichzeitig kann die Erderwärmung eine Chance darstellen. Die Gelder für erneuerbare Energie, über die diese Länder verfügen, sind von entscheidender Bedeutung für ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung und ermöglichen ihnen, sich energiepolitisch einem Status der Unabhängigkeit anzunähern, um auf diese Weise der globalen Krise entgegenwirken zu können.
Investitionen in Bildung und Weiterbildung sind ebenso wichtig, um Armut, Arbeitslosigkeit, Emigration und die Abwanderung hochqualifizierter Kräfte zu bekämpfen, und werden zum Aufbau der Wirtschaft in diesen Ländern beitragen.
Abschließend möchte ich speziell auf die kleinen Inselstaaten hinweisen, die besonders gefährdet und anfällig sind. In Anbetracht dessen sollte bei der Umsetzung des Cotonou-Abkommens die Mauritius-Strategie und der Barbados-Aktionsplan Berücksichtigung finden, im Rahmen derer verschiedene Maßnahmen erarbeitet wurden, um die sich entwickelnden Inselstaaten bei der Herbeiführung nachhaltiger Entwicklung zu unterstützen.
Diogo Feio (PPE). – (PT) Herr Präsident, das Parlament wurde einberufen, um über die zweite Überprüfung des Cotonou-Abkommens zu entscheiden.
Bitte lassen Sie mich jedoch auf die Schwierigkeiten eingehen, mit denen Haiti gegenwärtig zu kämpfen hat. Die Lage erfordert internationale Solidarität, Maßnahmen und Beachtung. Meine Gedanken sind bei denjenigen, die ihr Leben verloren haben, und denen, die eine wirklich hoffnungslose Situation durchleben müssen.
Im Hinblick auf das hier behandelte Thema ist uns allen bekannt, dass Cotonou auf die Schaffung eines Rahmenwerks für Kooperation ausgerichtet ist, das eine gemeinsame AKP-EU-Antwort auf Globalisierung darstellt, einen Beitrag zu Frieden und Sicherheit leisten und einer demokratischen politischen Atmosphäre förderlich sein wird.
Mit der Überprüfung 2005 wurden einige Schritte in die richtige Richtung unternommen. Es bleibt jedoch noch viel zu tun. Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, die Klimafrage und die gestiegenen Kosten für Nahrung und Energie begründen eine neue überprüfte Fassung.
Ich werde nicht länger dafür stimmen, dass die Europäische Union den Umfang der Hilfeleistungen für die AKP-Staaten aufrechterhält – und möglicherweise erhöht. Ich bin auch der Meinung, dass die nationalen Parlamente dieser Länder in das Überprüfungsverfahren des Abkommens sowohl heute, als auch in Zukunft miteinbezogen werden müssen, und ich weise erneut darauf hin, dass die Länder dazu aufgefordert werden müssen.
Mario Mauro (PPE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine Zielsetzung, die in der zweiten Überprüfung des Partnerschaftsabkommen enthalten sein sollte, ist mit Sicherheit die Förderung einer Kultur der Verantwortung. Ohne die Hilfe von Organisationen der Zivilgesellschaft, nichtstaatlichen Akteuren und ohne die Parlamente wird dies nur sehr schwer zu verwirklichen sein. Ich glaube nicht daran, dass eine Schaffung von Strategien möglich ist, die den wirklichen Bedürfnissen der betreffenden Gemeinschaften voll gerecht werden.
Ein zweiter Schlüsselfaktor ist die humanitäre Hilfe. Die Hilfe in Höhe von 300 Mrd. US-Dollar, die über die letzten 40 Jahre geleistet wurde, zeigte keinerlei Wirkung, wenn in Betracht gezogen wird, dass das Wachstum des afrikanischen Kontinents in diesem Zeitraum weniger als 0,2% jährlich betrug.
Das ist ein apokalyptisches Szenario, das die internationale Gemeinschaft beginnen muss zu verstehen. Die Gemeinschaft muss endlich die Frage der Entwicklungsländer als ein Problem angehen, das wirklich das unsrige ist, ein Problem, das uns, den Alltag unserer Gemeinschaften betrifft und das auf Tagesbasis zusammen mit den örtlichen Institutionen, die endlos nach einem Schimmer von Legitimität suchen, angegangen werden muss.
Abschließend möchte ich betonen, dass mit Investitionen in Humankapital versucht wird nachzuvollziehen, dass die größte Ressource für den Aufschwung diejenigen darstellen, die die schwierigen Situationen durchleben. Sie tragen die Verantwortung dafür, den Kontinent aus dem Abgrund zu ziehen. Wir hingegen müssen den Problemen dieser Länder zu einem eindeutigen Zweck unsere Aufmerksamkeit schenken, nämlich dass das Gemeinwohl nicht nur für die AKP-Staaten, sondern auch für uns und für die Zukunft unserer Bürger von Interesse ist.
Wir sollten auf die Menschen anstatt auf das Geld schauen, auf den Inhalt anstatt auf Ankündigungen. So können wir unsere Strategien bestmöglich einsetzen.
Zuzana Roithová (PPE). – (CS) Herr Kommissar, meine Damen und Herren, ich habe wiederholt die Tatsache kritisiert, dass die nationalen Parlamente und die Nichtregierungsorganisationen in den Entwicklungsländern nicht an der Entscheidungsfindung für Entwicklungshilfe beteiligt sind und dass sie keinen Zugang zu strategischen Dokumenten haben. Dies muss im Rahmen der neuen Überprüfung des Cotonou-Abkommens korrigiert werden. Die neue Vereinbarung sollte zudem Verpflichtungen der Regierungen und Parlamente enthalten, funktionierende Steuersysteme in ihren Ländern einzurichten. Dies ist für beide Vertragsparteien von Bedeutung. Schließlich benötigen die AKP-Staaten ihre eigene standardmäßige Steuerverwaltung, d. h. einplanbare Steuereinkommen für ihre eigenen Entwicklungsziele. Der Union wird dies wiederum bei ihrem Kampf gegen den Missbrauch von Steuerparadiesen, gegen Steuerflucht und gegen die illegale Kapitalflucht helfen.
Als Abgeordnete stellvertretend zuständig für Menschenrechte fordere ich, dass internationale Verträge auch Menschenrechtsklauseln enthalten, und dies nicht nur für die afrikanischen Länder und die Länder in der Karibik und im Pazifischen Raum. Leider muss ich feststellen, dass der Bericht von Frau Joly, der ansonsten ein guter Bericht ist, eine solche Forderung nicht enthält. Ich bitte die Kommission und den spanischen Ratsvorsitz dringend, dies zu ändern.
Rareş-Lucian Niculescu (PPE). – (RO) In dem Bericht, den wir heute erörtert haben, werden viele Probleme angesprochen, die mit der Lebensmittelsicherheit in den AKP-Staaten verbunden sind. Für meine Begriffe können wir nicht über dieses Thema sprechen, ohne die Realitäten der europäischen Landwirtschaft zu berücksichtigen.
Die Europäische Union kann und sollte sogar eine regulierende Rolle auf den globalen Märkten spielen. Wenn Europa seine landwirtschaftlichen Erträge reduziert, würden die steigenden Nahrungsmittelimporte erheblich zu einem weltweiten Anstieg der Nahrungsmittelpreise beitragen. Aus diesem Grund muss die Nahrungsmittelproduktion der Europäischen Union zugunsten der Europäer, aber auch zugunsten der Bürger in den AKP-Staaten und anderen Ländern konstant gehalten werden.
Ich denke daher, dass diese mit der Lebensmittelsicherheit in den armen Ländern verbundenen Aspekte auch eng mit der Zukunft der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik verknüpft sind.
Isabelle Durant (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, ich möchte auch meine Unterstützung für den sehr guten Bericht, den meine Kollegin Frau Joly erstellt hat, zum Ausdruck bringen. Das AKP-EU-Partnerschaftsabkommen ist notwendiger denn je, und die Tragödie in Haiti zeigt auf, wie unverzichtbar das AKP-EU-Partnerschaftsabkommen ist und dass es in jedem Fall gestärkt werden muss.
Es ist ungewöhnlich, über all dies mit einem Kommissar zu sprechen, der heute für Entwicklung zuständig ist, aber morgen für den Handel verantwortlich sein wird. Und genau aus diesem Grund möchte ich Ihnen drei Vorschläge unterbreiten.
Als erstes sollten wir, wie andere Redner vor mir bereits ansprachen, in Bezug auf die parlamentarische Kontrolle und die Versammlung weiterhin an zwei jährlichen Treffen festhalten und diese nicht auf ein Treffen reduzieren.
Zweitens, warum sollte das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen im Fall der AKP-Staaten nicht der Kontrolle des Parlaments unterworfen werden, anstatt einer rigorosen kommerziellen Logik zu folgen, so dass Parlamente auch hier in die Kontrolle über die Auswirkungen des Wirtschaftspartnerschaftsabkommen auf die Bevölkerung und die Verfechtung ihrer Interessen in diesem Rahmenwerk miteinbezogen und verantwortlich gemacht werden können?
João Ferreira (GUE/NGL). – (PT) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, die Überprüfung des Cotonou-Abkommens sollte einen Wechsel in der Politik der Europäischen Union für Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe herbeiführen. Die Politik sollte auf echte Zusammenarbeit und Solidarität ausgerichtet sein und dazu beitragen, die autonome und souveräne Entwicklung der AKP-Staaten zu fördern.
Bestehende Myriadmechanismen sind gegenwärtig dafür verantwortlich, dass viele dieser Länder weiterhin der Beherrschung und Unterwerfung unterworfen sind. Eine Schlüsselrolle bei der Herstellung solcher Beziehungen ist, dass diese Länder unter den Auslandsschulden, die mehrfach zurückgezahlt wurden und trotzdem weiter ansteigen, ersticken.
Der von der Europäischen Union ausgehende Druck, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu implementieren – im Wesentlichen Freihandelsabkommen –, hat zu einer Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Prioritäten des Europäischen Entwicklungsfonds geführt, die überdacht werden müssen, und ist bezeichnend für den Weg, der nun beschritten wird. Die Länder sollen auf diesem Weg dazu gedrängt werden, sich neuen Beziehungen zu unterwerfen, die auf Abhängigkeit und den Interessen multinationaler Unternehmen gründen. Die dadurch entstehende Übernutzung ihrer Ressourcen dient den Interessen, die von ihren Bürgern nicht geteilt werden.
Die Implementierung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen darf nicht Voraussetzung für Entwicklungshilfe sein. Den Sorgen und Einwänden der AKP-Staaten wie auch den von ihnen festgelegten Prioritäten müssen Beachtung finden.
Franz Obermayr (NI). - Herr Präsident! Ich sage es gleich vorweg: Punkt 31 des vorliegenden Entwurfs zur zweiten Überprüfung halte ich nicht für sinnvoll. Auch ich bin dagegen, dass durch die verschiedenen Rückübernahmeabkommen für Migranten eine Art Stafettenlauf entsteht, bei dem die Betroffenen von einem Land zum anderen weitergereicht werden. Es besteht hier sicherlich ein Bedarf, solche Kettenabkommen international besser zu regeln. Noch wichtiger allerdings scheint es mir, dass es erst gar nicht zu einer derartigen Situation kommt. Daher halte ich die Idee, die zirkulären Visa für Menschen aus den AKP-Ländern zu erleichtern, für den falschen Weg. Unterstützen wir daher die Selbsthilfe, fördern wir Selbstversorgung, machen wir aus Almosenbeziehern Produzenten mit Selbstwertgefühl! Dann wird sicherlich auch die soziale Emigration, die Flucht aus sozialer Armut, zu stoppen sein.
Georgios Papanikolaou (PPE). – (EL) Herr Präsident, heute Nachmittag wurde die folgenschwere, unvorstellbare Katastrophe in Haiti erörtert, und wie Europa den Opfern helfen kann. Die Aussprache sollte uns daran erinnern – und dies ist auch der Grund dafür, dass ich während dieser Abendsitzung das Wort ergreife –, dass wir uns Abkommen mit Ländern, die mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben und die besonders durch Naturkatastrophen gefährdet sind, wie die Tragödie in Haiti bewiesen hat, auf völlig andere Weise als anderen von der Europäischen Union eingegangenen Wirtschaftsabkommen annähern sollten. Wir reden hier über Länder, die Armut, Mittellosigkeit und Krankheiten ausgeliefert sind. Wir reden über Länder, in denen der Begriff humanitäre Krise zur Regel zu werden droht.
Aus diesem Grund liegt es in unserer Verantwortung, ist es unsere Pflicht, unsere Überzeugung und stellt es den Grundstein der Europäischen Union dar, das menschliche Leben über alles zu stellen und technischen oder wirtschaftlichen Dimensionen einen untergeordneten Platz einzuräumen. Wir müssen daher für all das, was wir heute erörtert haben, die Bürokratie, die technischen Fragen, schnellstmöglichst eine Lösung finden.
Hans-Peter Martin (NI). - Herr Präsident! Wenn man an die Karibik denkt, hat man zwei Bilder vor Augen: Die gegenwärtige Großkatastrophe in Haiti, und, wenn man sich seit vielen Jahren mit diesem Parlament beschäftigt hat, auch die badenden EU-Parlamentarier bei den Sitzungen von AKP-EU.
Man könnte nach dieser langen Debatte, in der wichtige Dinge gesagt wurden, vielleicht doch auch ein sehr konkretes Zeichen setzen und in Anbetracht der Situation in Haiti auf die nächsten ein, zwei opulenten Sitzungen von AKP-EU in eben diesen Gegenden verzichten und den Reinerlös daraus tatsächlich den Opfern zugute kommen lassen. Das ist nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein, aber es hätte Symbolkraft. Und es würde zeigen, dass wir hier die vielen schönen Reden, die gehalten werden, in der Praxis auch ernst meinen.
Crescenzio Rivellini (PPE). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die AKP-Versammlung ist besonders in diesem politisch kritischen Augenblick von Bedeutung, in dem die Globalisierung die Welt mehr oder weniger gespalten hat in Länder, die Produkte produzieren, und Länder, die Ideen produzieren. Dies führt zu einer Migration von Arbeitnehmern und natürlich auch von Gütern.
Im Mittelpunkt dieses Prozesses steht das Mittelmeer, der wahre Dreh- und Angelpunkt zwischen Europa und den AKP-Staaten. Die Cotonou-Regeln müssen daher an diese neue Situation angepasst werden und – auf Gesuch des Präsidenten der Republik Italien, Giorgio Napolitano, der offiziell diesen Vorschlag unterstützt – schlage ich vor, dass eine dezentralisierte Dienststelle oder ein festes jährliches Zusammenkommen der AKP-Versammlung in der europäischen Stadt eingerichtet wird, in der die größte Anzahl verschiedener Völker zusammenlebt, die am meisten auf das Mittelmeer ausgerichtet ist und zudem in geografischer Nähe zu den AKP-Staaten liegt: Neapel.
Ich wiederhole daher die Empfehlung – auch auf Gesuch des Präsidenten der Republik Italien –, diesen Vorschlag im Rahmen der neuen Abkommen zu diskutieren. Zudem bietet dies den Vorteil, Europa seinen Bürgern und der Bevölkerung von Süditalien näher zu bringen, das im Hinblick auf die Mittelmeerländer Europas wahre logistische Plattform ist.
Janusz Wojciechowski (ECR). – (PL) Herr Präsident, ich habe mir erlaubt, um das Wort zu bitten, nachdem ich der Rede von Herrn Niculescu zugehört habe, und möchte den von ihm eingebrachten Gedanken – nämlich dass wir bei unseren Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern, einschließlich den AKP-Staaten, nicht die Lebensmittelsicherheit der europäischen Gesellschaft aus den Augen verlieren sollten – meine volle Unterstützung aussprechen. Hinsichtlich den AKP-Staaten können wir uns die Reform des Zuckermarktes in Erinnerung rufen, die unter dem noblen Motto der Unterstützung für diese Länder umgesetzt wurde, die in Wirklichkeit jedoch die Lage in der Europäischen Union für unsere Landwirte und Verbraucher erheblich verschlechtert hat und auch für die AKP-Staaten keine große Hilfe war. Wir sollten stets die Lebensmittelsicherheit und unsere Gesellschaft im Auge behalten, die auf diese Sicherheit angewiesen ist.
Karel De Gucht, Mitglied der Kommission. – Zunächst einmal sind wir generell nicht dagegen, dass die APS und APS+ in das Cotonou-Abkommen aufgenommen werden. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass APS und APS+ unilateral und Cotonou vertragsrechtlich ist. Mir erscheint es daher als sehr schwierig, diese in das Cotonou-Abkommen zu integrieren; vielleicht können wir jedoch Formulierungen finden, um die Beziehung verbindlicher zu gestalten.
(FR) Demokratische Kontrolle: Zahlreiche Redner haben gefordert, dass auch weiterhin jährlich zwei Plenarsitzungen abgehalten werden. Die Kommission ist bereit, ihren diesbezüglichen Standpunkt zu überdenken. Nichtsdestotrotz könnte jedoch vereinbart werden, dass die regionalen Treffen zeitlich weitgehend mit einer oder zwei Plenarsitzungen zusammenfallen, da mir ansonsten die Zahl der Sitzungen des Europäischen Parlaments zusammen mit denen der anderen Institutionen als entsetzlich groß erscheint. Ich stimme also prinzipiell dem Gedanken zu, zwei Plenarsitzungen abzuhalten; diese sollten jedoch zeitlich näher an den regionalen Treffen liegen.
Zahlreiche Redner haben auch die Art der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen angesprochen. Wir haben uns auf diesen Begriff geeignet, sollten aber eigentlich von Entwicklungspartnerschaftsabkommen sprechen. Meiner Ansicht nach würde das auch die Diskussionen mit den AKP-Staaten erleichtern und könnte die Aussprache ein wenig offener gestalten. In jedem Fall werde ich mein Möglichstes tun, damit dieses Abkommen ein Erfolg wird und ich bei den Sitzungen der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung anwesend bin, wenn das Europäisches Parlament zu einem bestimmten Zeitpunkt einer neuen Kommission zustimmen sollte, der ich als Mitglied angehöre.
Einige Fragen wurden in Bezug auf steuerliche Belange gestellt. Ich bin auf diesen Punkt bereits in meiner Einführung eingegangen und vertrete die Überzeugung, dass dies unbedingt zu einem wichtigen Thema in unseren Diskussionen mit den AKP-Staaten, aber auch unter uns werden muss. Denn wenn wir die Sache ernsthaft betrachten – und ich weiß, dass dies auch für den spanischen Ratsvorsitz ein sehr großes Anliegen darstellt –, wenn wir wirklich etwas tun wollen, müssen wir den Mut haben, mit unseren Gesellschaften in die der Entwicklungsländer zu intervenieren. Das Problem entsteht nicht nur dort, sondern seine Ursachen sind insbesondere, wenn nicht sogar in erster Linie, in der Beziehung zwischen Europa und seinen eigenen Gesellschaften und Industrien in den Entwicklungsländern zu suchen. Es handelt sich hierbei um einen laufenden Prozess und meiner Kenntnis nach wird auch der spanische Ratsvorsitz Initiativen diesbezüglich ergreifen.
Migration.
Unter Beachtung von Artikel 13 wünschen beide Seiten, den Aspekt Migration zu aktualisieren. Zum Artikel 13 hat die Kommission einen ausgewogenen und kohärenten Vorschlag eingebracht, der sich auf drei Pfeiler der Zusammenarbeit in den Bereichen Migration und Entwicklung, legale Migration und illegale Migration und Rückübernahme stützt. Die in dem Bericht vorgebrachten Aspekte werden eingehend berücksichtigt. Alle Gebiete müssen gleichermaßen in Betracht gezogen werden. Die Verhandlungen laufen, und vorausgesetzt, dass das Gleichgewicht zwischen den drei Pfeilern gehalten wird, sind wir zuversichtlich, dass ein Abkommen erzielt werden kann.
Herr Cashman äußerte sich hinsichtlich Diskriminierung. Herr Cashman ist derzeit nicht anwesend, doch ich denke, er hat vollkommen Recht. Die sexuelle Orientierung gehörte zu den von der Kommission vorgeschlagenen Elementen, der wir einen hohen Stellenwert einräumen. Sie sollten sich jedoch wie die Kommission darüber im Klaren sein, dass in bestimmten AKP-Staaten Homosexualität gesetzlich verboten ist. Kürzlich haben wir gegenüber dem burundischen Präsidenten und auch dem ugandischen Präsidenten Einsprüche eingelegt, weil sie diskriminierende Gesetze eingebracht haben. Es handelt sich hierbei jedoch um ein sehr sensibles Thema, und ich denke, Sie müssen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt damit auseinandersetzen. Entweder bestehen Sie darauf, dass der Text sehr eindeutig ist, was wahrscheinlich dazu führen wird, dass ein Abkommen nicht erzielt werden kann: Das ist die eine Möglichkeit. Oder es gibt die andere Möglichkeit, dass wir einen Jargon verwenden, der weniger spezifisch ist. Der UN-Jargon ist allgemeiner gehalten, würde jedoch den Themenbereich sexuelle Orientierung abdecken. Diese Frage sollte im Verlauf der Verhandlungen tiefgehender erörtert werden. Ich denke, ich habe auf die meisten Punkte geantwortet, auch wenn dies dazu geführt hat, dass ich zu lange gesprochen habe.
Eva Joly, Berichterstatterin. – (FR) Herr Präsident, Herr Kommissar, meine Damen und Herren, seit dem Inkrafttreten des Cotonou-Abkommens ist die Armut nicht zurückgegangen. Unsere Entwicklungsmission ist also fehlgeschlagen. Nach der zweiten Überprüfung muss sich etwas verändern.
Ich freue mich über den recht breiten Konsens, der in Bezug auf die von mir eingebrachten Maßnahmen herrscht. Meiner Ansicht nach ist eine der Maßnahmen, die wir zur Beseitigung der Armut nutzen können, eine echte Bekämpfung der Steuerparadiese. Dieses Instrument sollten wir weitgehend einsetzen, um zu tun, was in unserer Macht steht. Innerhalb der Europäischen Union und der AKP-Region können wir multinationale Unternehmen zwingen, ihre Einnahmen und ihre zu zahlenden Steuerabgaben für die einzelnen Ländern offenzulegen.
Dies wird auch auf internationaler Ebene gefordert. Es werden jedoch noch viele Jahre ins Land gehen, bevor dieser Forderung auf internationaler Ebene entsprochen wird. Daher sollten wir die Möglichkeiten, die uns mit diesem Abkommen gegeben sind, nutzen, um die Vorschrift in Europa durchzusetzen. Ich fordere Sie daher auf, den eingebrachten Änderungsantrag zu Absatz 16 abzulehnen und ihn in seiner ursprünglichen Fassung beizubehalten, was uns dazu auffordern wird, vor der eigenen Tür zu kehren.
In diesem Zusammenhang können wir zudem unsere eigene Investmentbank drängen, Maßnahmen in Bezug auf Steuerparadiese zu ergreifen. Wir sollten Investitionen des Europäischen Entwicklungsfonds in Unternehmen untersagen, die keine Gewinne in Ländern machen, in denen sie unternehmerisch tätig sind, sondern es vorziehen, Gewinne in Steuerparadiesen zu machen.
Dies war beispielsweise der Fall in Sambia, wo erhebliche Investitionen – ich glaube in Höhe von 46 Mio. US-Dollar – in der Mopani Kupfermine getätigt wurden. Die Lebensbedingungen der sambianischen Bevölkerung wurden hierdurch nicht verbessert. Vielmehr wurde die Lebensqualität der Aktionäre gesteigert, denen diese Hilfeleistung zugute kam. Dies war also völlig kontraproduktiv. Es liegt jedoch in unserem Einflussbereich, das Mandat unserer Bank zu ändern. Lassen Sie uns daher tun, was in unserer Macht steht, und nichts auf Morgen verschieben. Lassen Sie uns Maßnahmen hierzu ergreifen.
Außerdem gibt es Grundsätze, denen wir uns auch weiterhin vollständig verschreiben sollten: Menschen- und Migrantenrechte, und zudem empfehle ich Ihnen, meine vorgeschlagene Formulierung von Artikel 31 beizubehalten und nicht die Proteste gegen bilaterale Abkommen zu unterdrücken, die in Wirklichkeit ein Outsourcing von Migrationsströmen darstellen.
(Beifall)
Präsident. – Die Aussprache wird geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen statt (Mittwoch, 20. Januar 2010).
Schriftsätze (Artikel 149)
Corina Creţu (S&D), schriftlich. – (RO) Die zweite Überprüfung des Cotonou-Abkommens gibt Gelegenheit, die offengelassenen Bereiche in Bezug auf unsachgemäße oder unwirksame Änderungen zu bewerten, und entsprechend den Entwicklungen des Globalisierungsprozesses, Korrekturen beim Abkommen vorzunehmen. Es gibt zahlreiche Herausforderungen, die durch die wirtschaftlichen und sozialen Ereignisse ausgelöst wurden, wie beispielsweise die Wirtschafts- und Finanzkrise und die bewaffneten Konflikte. Zudem stellen sich Herausforderungen, die auf die negative Entwicklung des Gesundheitszustands der Bevölkerung zurückzuführen sind, worauf die steigende Anzahl der Personen, die mit übertragbaren Krankheiten (TB, AIDS, Malaria) infiziert sind, und die steigende Zahl der Opfer der Gewalt oder Naturkatastrophen hinweist. Zudem gibt es die durch den Klimawandel verursachten Herausforderungen, die schwieriger zu kontrollieren sind. All diese Herausforderungen machen es immer dringlicher, die Völker in den Entwicklungsländern gegenüber Systemmängeln im sozialen Bereich widerstandsfähiger zu machen. Voraussetzung dafür ist, dass das Angebot an Entwicklungshilfe vermehrt auf Schlüsselelemente in den staatlichen Gesundheits- und Bildungssystemen ausgerichtet wird. Ich bin demzufolge der Ansicht, dass eine deutlichere Hervorhebung dieser Aspekte durch die Konsolidierung von Titel I – Entwicklungsstrategien – in Teil 3 des Abkommens von entscheidender Bedeutung ist.
Martin Kastler (PPE), schriftlich. – (DE)Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich werde für den Bericht stimmen, da meiner Ansicht nach eine Vertiefung der Kooperation zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten im Rahmen der Partnerschaftsabkommen wichtig ist. Daneben möchte ich darauf hinweisen, dass der Bericht die Formulierung „Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit” enthält. Was bedeutet jedoch dieser Satz? Bedeutet die Formulierung in erster Linie, dass die körperliche und geistige Gesundheit von Menschen in allen Bereichen der menschlichen Sexualität und Reproduktion, beispielsweise durch Bekämpfung sexueller Gewalt und Genitalverstümmelung, gewährleistet werden soll? Bedeutet die Formulierung zweitens einen Zugang zu Informationen über die sogenannte Familienplanung? Oder, drittens, beinhaltet sie auch Abtreibung? In der Vergangenheit haben die Kommission und der Rat als Antwort auf Fragen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments deutlich darauf hingewiesen, dass die „sexuelle und reproduktive Gesundheit” die Abtreibung nicht miteinschließt. Ich vertrete genau diesen Standpunkt. Aus diesem Grunde halte ich die Festlegung für wichtig, dass der Begriff „die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen” nicht im Kontext von Abtreibung anzuwenden ist, und schlage daher vor, dem Text des Abkommens eine Klärung hinzuzufügen.
Siiri Oviir (ALDE), schriftlich. – (ET) Derzeit läuft die zweite Überprüfung des im Jahr 2000 unterzeichneten Cotonou-Abkommens, und im Rahmen dieser Überprüfung wird darauf abgezielt, eine Reihe von Änderungen in das Abkommen aufzunehmen, Änderungen, die uns dabei unterstützen sollen, die in dem Abkommen festgelegten Zielsetzungen zu erreichen: die Beseitigung von Armut, wirtschaftliche Entwicklung und die stufenweise Integration der Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean in die Weltwirtschaft. Es ist anzumerken, dass es seit der letzten Überprüfung des Cotonou-Abkommens im Jahr 2005 viele neue Entwicklungen der weltweiten Lage gab (z. B. die Finanzkrise, Klimawandel, steigende Nahrungsmittel- und Energiepreise etc.), die alle die Länder in Afrika, im karaibischen Raum und im Pazifik unmittelbar betreffen. Ich stimme der Ansicht der Berichterstatterin zu, dass all diese Entwicklungen der weltweiten Lage die Erreichung der Zielsetzung des Cotonou-Abkommens und der Millennium-Entwicklungsziele bis zum Jahr 2015 schwierig gestalten werden, wenn sie beim Überprüfungsverfahren des Abkommens nicht angemessen berücksichtigt werden. Wie allseits bekannt, haben die EU und die AKP-Staaten Einigungen in Bereichen und bei Artikeln erzielt, die im Cotonou-Abkommen überprüft werden und in denen das Vorhergehende teilweise Berücksichtigung findet. Leider ist beunruhigend, dass das Europäische Parlament, die Parlamentarische Versammlung AKP-EU und die Parlamente der Mitgliedstaaten und der AKP-Staaten nicht in den Prozess der angemessenen Entscheidungsfindung miteinbezogen wurden, was die Transparenz und die Glaubwürdigkeit der Überprüfung des Abkommens wesentlich beeinträchtigt. Meiner Ansicht nach sollte zur Erhöhung der demokratischen Legitimität und der Eigenverantwortung die Rolle des Europäischen Parlaments, der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU und der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und der AKP-Staaten im Rahmen der Abkommensüberprüfung gestärkt werden.
9. Verfahrensrechte bei Strafverfahren (Aussprache)
Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über
- die mündliche Anfrage zu Verfahrensrechten in Strafverfahren von Baroness Sarah Ludford, Elena Oana Antonescu, Carmen Romero López, Heidi Hautala und Rui Tavares im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres an den Rat (O-0155/2009 - B7-0343/2009),
- die mündliche Anfrage zu Verfahrensrechten in Strafverfahren von Sarah Ludford, Elena Oana Antonescu, Carmen Romero López, Heidi Hautala und Rui Tavares im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres an die Kommission (O-0156/2009 - B7-0344/2009).
Sarah Ludford, Verfasserin. – Herr Präsident, ich erkenne offen und voll an, dass diese beiden mündlichen Anfragen, die am 1. Dezember letzten Jahres eingebracht wurden, von den Ereignissen überholt wurden. Trotzdem ist diese Aussprache wichtig um anzuerkennen, dass das Thema Verfahrensrechte, das leider über viele Jahre keine Beachtung fand, wieder ganz oben auf der Tagesordnung steht, und um verstärkt auf die Dringlichkeit und Vorrangstellung dieses Programms hinzuweisen.
In den letzten zehn Jahren hat das Europäische Parlament ständig beanstandet, dass den Verfahrensgarantien und den Rechten Beklagter nicht die gleiche Beachtung - geschweige denn Maßnahmen - eingeräumt wurde, wie sie im Vergleich auf die Steigerung der Schnelligkeit und Effizienz von Ermittlungen und Strafverfolgungen verwandt wurde. Man hatte sich für Letzteres ausgesprochen, um somit mehr Straftäter festnehmen zu können. Diejenigen, die den Europäischen Haftbefehl generell ablehnen, entschuldigen die Verbrecher der Mafia und flüchtige Straftäter, die Vergewaltiger und Terroristen. Es geht jedoch hierbei um Ausgewogenheit und der Schaffung eines „erweiterten Europäischen Haftbefehls” (European Arrest Warrrant plus), um durch Verfahrensgarantien, die vereinfachte grenzübergreifende Strafverfolgungen begleiten, Gerechtigkeit auf allen Gebieten zu gewährleisten. Gegner des Europäischen Haftbefehls sprechen sich natürlich auch gegen jegliche EU-Maßnahmen im Bereich Rechte aus; sie wünschen lediglich einen „eingeschränkten Europäischen Haftbefehl” (European Arrest Warrant minus).
Bei der Anwendung des Europäischen Haftbefehls ohne eigene Verfahrensgarantien ist es jedoch in einigen Fällen zu Rechtsverweigerungen gekommen, da die gegenseitige Anerkennung nicht auf einer soliden Basis gegenseitigen Vertrauens gründete. Einer dieser Fälle betrifft einen meiner eigenen Wähler Andrew Symeou. Andrew ist seit sechs Monaten in Griechenland in Untersuchungshaft und wartet auf sein Verfahren wegen Totschlags. Die Anklage basiert anscheinend auf einer Personenverwechslung, und wie ich leider sagen muss, auf polizeilicher Brutalität gegen Zeugen, und ich denke, der Europäische Haftbefehl wurde missbraucht. Als der Europäische Haftbefehl 2002 beschlossen wurde, geschah dies von allen Seiten unter der Voraussetzung, dass auf diese Maßnahme für EU-Bürger, die sich in anderen Mitgliedstaaten vor Gericht verantworten müssen und inhaftiert sind, umgehend Maßnahmen folgen würden, die diesen Bürgern das Recht auf gerechte Verfahren gewährleisten und sie vor Fehlurteilen schützen würden. Dieses Versprechen wurde von den Mitgliedstaaten gebrochen, die den Vorschlag der Kommission im Jahr 2004 ablehnten, dessen Gegenstand ein angemessen breiter Rahmenbeschluss zu Verfahrensrechten war. Heute ist eine Teillösung das Beste, was wir erreichen können. Ich bin dankbar darüber, dass dieses Thema vom schwedischen Ratsvorsitz erneut auf den Weg gebracht wurde; es handelt sich hierbei jedoch lediglich um einen Fahrplan, der auf einem mehrstufigen Konzept aufbaut.
Wir müssen das Glas als halbvoll erachten und optimistisch bleiben. Trotzdem bedauere ich und halte es für besorgniserregend, dass der Rat nur zugesagt hat, die Euro-Kaution in Erwägung zu ziehen, diesbezüglich jedoch keine Gesetze erlassen will. Das hätte nämlich Andrew Symeou, dem als Ausländer ausdrücklich jegliche Kaution verweigert wurde, helfen können. Derzeit sind Richter angehalten, die Urteile und gerichtlichen Beschlüsse in anderen Mitgliedstaaten ohne Prüfung der Tatbestände durchzusetzen, und sie werden zunehmend Gegenstand der Kritik und des öffentlichen Unmutes werden, wenn es europaweit keine Übereinstimmung in Bezug auf minimale Verfahrensgarantien und Rechte auf Verteidigung im Rahmen krimineller Ermittlungen und Strafverfolgungen gibt. Nicht nur einzelne Bürger fürchten sich vor unzureichenden Rechtsgarantien; das Fehlen verhindert auch die Zusammenarbeit von Richtern sowie von Polizei und Strafverfolgern.
Obwohl die Kommission in keinster Weise damit einverstanden ist, vertrete ich die Auffassung, dass die Gewährleistung der Menschenrechte bei Europäischen Haftbefehlen eine ausdrückliche Auslieferungsbedingung darstellen sollte. Dank der Liberaldemokraten spricht sich das britische Ausführungsgesetz zur Umsetzung der Maßnahme dafür aus, dass das Gericht zufriedenstellend davon ausgehen müssen kann, dass keine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz von Menschenrechten (EMRK) vorliegt. Rätselhaft bleibt, dass sich britische Gerichte anscheinend nur sehr zögerlich auf diese Klausel berufen, um Auslieferungen zu verhindern. Wenn nun alle Mitgliedstaaten ihren im Rahmen der EMRK entstehenden Verpflichtungen nachkommen würden, wären EU-Maßnahmen vielleicht nicht erforderlich. Das Problem besteht nicht in einem Mangel an Normen, sondern in der fehlenden praktischen Durchsetzung, weshalb sich viele Mitgliedstaaten vor dem Straßburger Gerichtshof verantworten müssen. In Anbetracht dessen, dass der Vertrag über die Europäische Union und nun der AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) die EU-Staaten zur Achtung der EMRK verpflichtet, ist dies beschämend und inakzeptabel. Daher ist zur Durchsetzung ein EU-Mechanismus erforderlich, der von nun an durch die Zuständigkeit der Kommission bei Verstößen und die Aufsicht des Europäischen Gerichtshofs bereitgestellt wird. EU-Maßnahmen müssen sowohl mit der EMRK übereinstimmen und dieser nicht zuwiderlaufen oder sie untergraben, und ihr gleichzeitig einen Mehrwert hinzufügen, indem die praktische Umsetzung gestärkt wird.
Ich hoffe, dass die Kommission und der Rat zustimmen, dass der Standard von Richtlinien zur Gewährleistung von Grundrechten hoch sein sollte. Die Initiative der Mitgliedstaaten zu Dolmetschleistungen und Übersetzungen, die den Text hervorgebracht hat, der vom Rat im letzten Oktober verabschiedet wurde, ist weniger ehrgeizig als der Text der Kommission und bedarf Verbesserungen. Wir sind daher besorgt darüber, dass die erste Maßnahme nicht den höchsten Standards entspricht. Hoffentlich werden wir ehrgeiziger sein und für die nächsten Etappen einen Präzedenzfall schaffen, indem Verfahrensrechte eingeführt werden, denen nach dem Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen Maßnahmen wie Rechtsberatung, Recht auf Unterrichtung, Recht auf Kommunikation mit Konsularbehörden etc. folgen. Aus diesem Grund bitte ich den Rat und die Kommission um die Zusicherung, dass die Maßnahmen in diesem Fahrplan schnell genug umgesetzt werden, um die Dynamik, die zum effektiven Erzielen von gerechten, längst überfälligen Verhandlungsrechten führt, aufrechtzuerhalten.
Diego López Garrido, amtierender Präsident des Rates. – (ES) Ich bin sehr erfreut darüber, dass diese Anfrage von der Baroness Ludford, die gerade gesprochen hat, Frau Antonescu, Frau Romero, Frau Hautala und Herrn Tavares eingebracht wurde, da wir mit den Verfahrensgarantien in Strafverfahren tatsächlich einer Angelegenheit von vordringlicher Bedeutung gegenüberstehen. Ich möchte zu diesem Thema sagen, dass wir dieser Angelegenheit, auf die Sie uns aufmerksam gemacht haben, einen erhöhten Stellenwert einräumen möchten und zudem einer Harmonisierung auf europäischer Ebene zustimmen.
Bei Ihrer Anfrage wiesen Sie eingangs darauf hin, dass der schwedische Ratsvorsitz deutliche Fortschritte erzielt hat. Der schwedische Ratsvorsitz hat effektiv auf diesem Gebiet Wesentliches erreicht. Im Oktober beschloss der Rat allgemeine Leitlinien zum Text über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, und einen Monat später, im November, verabschiedete der Rat einen Plan, um, nachdem Baroness Ludford zum Handeln aufgefordert hatte, weitere Maßnahmen hinsichtlich Verfahrensgarantien voranzutreiben. Einige wurden bereits von Ihnen genannt, Baroness Ludford, wie beispielsweise das Recht auf Belehrung über die Rechte einer Person – die Wiederholung ist beabsichtigt – und Verpflichtungen bei Strafverfahren hinsichtlich Hilfe, Rechtsbeistand, Kommunikation mit Angehörigen und Konsularbehörden oder in Bezug auf besondere zu bestimmende Garantien und Schutz für schutzbedürftige Beschuldigte. Dies hat der Rat während des schwedischen Ratsvorsitzes geleistet.
An diesem Punkt könnten Sie sagen: Dies ist alles schön und gut, aber gibt es irgendwelche Vereinbarungen mit dem Europäischen Parlament, damit diese Arbeit weiterhin als eine Priorität behandelt wird? Und wir können Ihnen darauf antworten: Ja, die Weiterführung dieses Ansatzes ist eine Priorität. Wie? Mittels welcher Initiativen?
Zunächst wird der spanische Ratsvorsitz versuchen, in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament die Verabschiedung der Richtlinie über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, die von 13 Mitgliedstaaten vorgeschlagen wurde, sicherzustellen. Es war nicht möglich, mit dem von der Kommission eingebrachten Vorschlag weiterzuverfahren, und 13 Mitgliedstaaten haben diese Initiative ersetzt. Wir wünschen uns natürlich eine Annahme dieser Initiative in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament. Daneben hoffen wir, dass die Kommission die geeigneten Initiativen für die übrigen Aspekte der Verfahrensgarantien auf den Weg bringen wird. Es ist uns ein großes Anliegen, dass dies schnellstmöglichst geschieht, so dass wir das Annahmeverfahren, wieder in Verbindung mit dem Rat und dem Parlament, einleiten können.
Abschließend möchte ich Ihnen mitteilen, dass der spanische Ratsvorsitz, zusammen mit der Kommission und der Europäischen Rechtsakademie, die Veranstaltung eines Seminars in Madrid im kommenden März plant, das unter dem Thema der gemeinschaftlichen Normen bei Verfahrensgarantien stehen soll. Dies zeigt, Baroness Ludford, dass wir Ihnen und all denjenigen aus vollem Herzen zustimmen, die diese Anfrage unterstützt haben, die sich auf den dringenden Regulierungsbedarf in diesen Fragen, deren europaweiten Harmonisierung und natürlich darauf bezog, dass das Parlament jederzeit laufend über die Arbeitsfortschritte informiert werden muss.
Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. – (FR) Danke für diese Anfrage. Sie wissen, welchen hohen Stellenwert ich diesen Verfahrensgarantien einräume. Seit vielen Jahren hat sich die Kommission dafür stark gemacht, dass die konkrete Anwendung gemeinschaftlicher Mindestvorschriften in Verbindung mit dem Verteidigungsrecht in allen europäischen Strafverfahren sichergestellt ist. Dies ist für die justizielle Zusammenarbeit erforderlich und stellt eine Bedingung für das grundlegende gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten dar. Die Kommission hat unermüdlich darauf hingewirkt, dass europäische Rechtsvorschriften in diesem Bereich verabschiedet werden. Darüber hinaus wurde der Fahrplan dank des schwedischen Ratsvorsitzes am 30. November 2009 vom Rat angenommen. Dies ist ein fundamentaler Schritt, um europäische Rechtsvorschriften im Bereich prozessualer Mindeststandards zu schaffen. Die Mitgliedstaaten haben durch die Vereinbarung dem Geltungsbereich der Gesetzgebung und der Erfordernis zugestimmt, dass sie in voller Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament vorrangig verabschiedet werden muss. Wie Sie habe ich die Rede von Herrn López Garrido angehört, der sehr gut erklärt hat, dass auch der spanische Ratsvorsitz zu diesem Wunsch tendiert und diese ersten Maßnahmen, die eine Reihe von Mindestgarantien bieten, anzunehmen bereit ist.
Das mehrstufige Konzept des Fahrplans erscheint uns letztlich ein guter Lösungsansatz zu sein. Mit diesem Konzept werden wir unser geplantes Ziel erreichen können. Das mehrstufige Konzept ermöglicht nicht nur eine tiefgehendere Analyse der einzelnen Rechte im Rahmen des Gesetzgebungsvorschlags, sondern auch, dass in den Verhandlungen jedes Recht individuell geprüft werden kann. Somit können sektorübergreifende Schachereien vermieden werden, die zuweilen kennzeichnend für zu breit angelegte Gesetzestexte sind und Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, sich der Verhandlungen zu bemächtigen, um sich in einem ganz bestimmten Punkt einen Vorteil zu sichern. Ich bin mir sicher, Frau Ludford, dass die neue Kommission sich darum bemühen wird, schnellstmöglichst alle im Fahrplan vorgesehenen Gesetzesvorschläge einzubringen und bei der ersten Gelegenheit auf deren Annahme hinwirken wird.
Die Kommission hat, was das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen als erste Bestimmung des Fahrplans betrifft, die von mehreren Mitgliedstaaten vorgebrachte Initiative zur Kenntnis genommen. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Initiative der von der Kommission im Juli 2009 eingebrachte Vorschlag und die Verhandlungen zugrunde liegen, die während der zweiten Jahreshälfte 2009 im Rat geführt wurden. Die Initiative der Mitgliedstaaten stimmt jedoch nicht in allen Punkten mit der Europäischen Menschenrechtskonvention oder mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überein.
Der vorhergehende Vorschlag der Kommission, der das Dolmetschen bei Treffen zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger zwingend vorschrieb, deckt sich nicht in allen Punkten mit der Initiative der Mitgliedstaaten, die ein Recht auf Kommunikation nur vor Polizeibehörden und im Gerichtsprozess einräumt. Darüber hinaus enthielt der vorhergehende Vorschlag der Kommission ein Recht auf Übersetzung, das viel umfassendere Bestimmungen vorsah.
Natürlich sind in diesem Bereich weiterhin Bemühungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat erforderlich, und ich denke, dass wir hinsichtlich Verfahrensrechten einen anspruchsvollen Text ausarbeiten werden. Zur Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums ist dies von grundlegender Bedeutung. Darüber hinaus werden wir die Übereinstimmung des Textes mit den in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Normen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie der Charta der Grundrechte sicherstellen. Ich bin daher überzeugt, dass wir mit Maßnahmen des Parlaments in dieser Angelegenheit rechnen können, und nehme nochmals zur Kenntnis, dass uns auch der spanische Ratsvorsitz unterstützen wird.
Elena Oana Antonescu, im Namen der PPE-Fraktion. – (RO) Obwohl im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen Fortschritte erzielt wurden, wurde nur sehr wenig hinsichtlich der Gewährleistung und Sicherstellung von Rechten von Verdächtigten und Beschuldigten erreicht.
Die Bedeutung gemeinsamer Normen ist eine grundlegende Voraussetzung für das gegenseitige Vertrauen zwischen den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten. Die fehlende Ausgewogenheit zwischen den Rechten von Verdächtigten und Beschuldigten einerseits und den zur Strafverfolgung zur Verfügung stehenden Instrumenten andererseits könnte das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen gefährden. Einen sehr wichtigen Schritt stellt demzufolge die Initiative dar, die im Juli 2009 vom schwedischen Ratsvorsitz auf den Weg gebracht wurde, um einen Fahrplan zur Festigung von Verfahrensrechten für verdächtigte und beschuldigte Personen einzubringen.
In Bezug auf das Recht auf Übersetzungs- und Dolmetschleistungen sind im Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember in Kraft getreten ist, neue institutionelle Rahmenbedingungen enthalten. Der im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres schwebende Vorschlag für einen Rahmenbeschluss musste zur Weiterführung der Bemühungen zu diesem Vorgang in einen Richtlinienvorschlag umgewandelt werden.
Für uns standen der Zeitplan und der Anwendungsbereich der zukünftigen Initiativen zu Verfahrensrechten im Mittelpunkt. Daher entschlossen wir uns, diese Anfragen der Kommission und dem Rat vorzulegen. Kurz nach ihrer Vorlage im Dezember reichten 13 Mitgliedstaaten, einschließlich Rumänien, eine Initiative für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats ein. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Verlauf des gesamten Verfahrens Verbesserungen des Textes erzielen können, sowohl in Bezug auf seinen Anwendungsbereich wie auch bei der Gewährleistung der Integrität der Verfahren und der Qualität von Übersetzungs- und Dolmetschleistungen.
Die sonstigen im Fahrplan vorgesehenen Maßnahmen verfolgen unserer Ansicht nach den Zweck, den Zugang zu Rechten wie auch zu Rechtsberatung und -beistand sicherzustellen, besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächtigte oder Beschuldigte festzulegen und ihnen Informationen zu ihren Rechten und den verbundenen Kosten bereitzustellen. Wir wünschen uns ein eindeutiges Engagement seitens des Rats und der Kommission, damit Vorschläge für eine Verordnung baldmöglichst eingereicht werden.
Die gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede erfordern die dringende Annahme gemeinsamer Standards.
Carmen Romero López, im Namen der S&D-Fraktion. – (ES) Ich möchten den spanischen Ratsvorsitz willkommen heißen und gleichzeitig verstärkt darauf hinweisen, dass dies die erste Initiative zu Verfahrensrechten darstellt. Wir hatten dieses Thema bereits erörtert, es hängt jedoch seit dem Ende des schwedischen Ratsvorsitzes in der Schwebe.
Der Entwurf zu dieser Initiative liegt dem Parlament vor und die erste Aussprache hat bereits stattgefunden. Daher handelt es sich nach unserer Ansicht um eine relevante Anfrage, die aufgrund der Wichtigkeit dieses Themas weiterhin von Belang sein wird. Verbesserungen sind auf diesem Gebiet sicherlich möglich, und wir hoffen darauf, dass, während die Initiative die verschiedenen Etappen durchläuft, Fortschritte erzielt werden können.
Wie Herr Barrot aufzeigte, war der Vorschlag der Kommission sicherlich von mehr Ehrgeiz geprägt. Daher ist eine Verbesserung des dem Parlament vorliegenden Textes erforderlich. Dies ist natürlich kein neuer Text, denn trotz des Widerstands der Mitgliedstaaten wurde er bereits vom Parlament und der Kommission erörtert.
Der schwedische Ratsvorsitz hat mit seinem Fahrplan versucht, das Verfahren wieder in Gang zu bringen, doch trotz dieser Bemühungen ist die Lage für die Mitgliedstaaten weiterhin schwierig. Seit dem Vertrag von Lissabon hat sich die Lage deutlich verändert, da nun das Parlament die Beschlüsse fasst. Daher sollte die Kommission und der Rat die Verfahrensrechte im Rahmen des heutigen neuen Szenarios erneut prüfen.
Wir möchten, dass diese Verfahrensrechte als Paket erachtet werden. Eine Anerkennung des Rechts auf Übersetzungsleistungen ist nur unter Einbeziehung des Rechts auf Rechtsbeistand oder des Rechts auf Information möglich. Daher sollten die Pläne der Kommission, die darauf abzielen, diese Rechte Jahr für Jahr erneut vorzulegen, unserer Ansicht nach schnell umgesetzt werden, damit dieses Thema baldmöglichst behandelt werden kann.
Zwar heben Anti-Terror-Gesetze die Garantien auf, doch wenn wir einen Raum der Gerechtigkeit und Freiheit schaffen wollen, müssen wir auf unsere Werte vertrauen, damit wir sie in das Europäische Projekt übertragen können.
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, dieses Haus schlug die Schaffung des Europäischen Haftbefehls am 6. September 2001 vor. Unser Vorschlag würde weiterhin in einer Schublade verstauben, wenn es nicht fünf Tage später zu den Ereignissen in New York gekommen wäre. Herr Bin Laden trug dazu bei, dass der EHB Wirklichkeit wurde, und ich hatte die Ehre, die Maßnahme durch das Haus zu lenken.
Zu jener Zeit bestand das Haus darauf, dass die Maßnahme von Mindestverfahrensgarantien in gerichtlichen Strafverfahren begleitet sein müsste. Die Kommission, die ihre Vorschläge 2002 einbrachte, verpflichtete sich, für schnelle Maßnahmen zu sorgen. Daher meine Frage, warum dieses Projekt bis vor Kurzem noch im Posteingangskorb des Rates hängen geblieben war? Warum ist die Kommission nicht für eine Annahme all ihrer Vorschläge ins Feld gezogen, anstatt eine gesonderte Verabschiedung der einzelnen Vorschläge zu akzeptieren?-
Der Europäische Haftbefehl hat das Auslieferungsverfahren ersetzt. Er hat die für Übergabe benötigte Zeit erheblich reduziert. Er hat den direkten Kontakt zwischen den Justizbehörden der Mitgliedstaaten gefördert. Er hat Entscheidungen, die auf politischen Zweckmäßigkeiten gründeten, in dem Maße ausgeschlossen, dass Mitgliedstaaten ihre eigenen Staatsangehörigen übergeben.
Der Europäische Haftbefehl hat die Förderung der Rechtsstaatlichkeit auf unserem Kontinent erheblich vorangetrieben. Während er jedoch auf gegenseitigem Vertrauen gründet, gibt es zahlreiche Fälle, in denen dieses Vertrauen von unseren Bürgern infrage gestellt wird.
Zwei meiner Wähler befinden sich gegenwärtig in Ungarn in Untersuchungshaft. Obwohl ihre Auslieferung vor über einem Jahr beantragt wurde und sie sich seit über zwei Monate dort aufhielten, wurde bisher keine Anklage erhoben und ihre Verhandlung findet vielleicht erst in vielen Monaten statt. Einer der beiden hat seinen Arbeitsplatz verloren und damit die Haupteinkommensquelle für seine Familie. Beiden ist der Kontakt zu Angehörigen verwehrt. Dabei könnten beide hinsichtlich der Verbrechen, derer sie beschuldigt werden, unschuldig sein.
Solche Fälle bringen die europäische justizielle Zusammenarbeit in Verruf. Sie sind eine Schande für die Untätigkeit der Regierungen im Rat. Die Verfasser dieser mündlichen Anfrage haben Recht: Europas Aufmerksamkeit ist in dieser Angelegenheit dringend gefordert.
(Die Rednerin erklärt sich damit einverstanden, auf eine „Blue-Card“-Frage gemäß Artikel 149 Absatz 8 zu antworten)
Präsident. – Ich danke Ihnen, Herr Watson. Ich wollte Sie als den „Paten” des Europäischen Haftbefehls bezeichnen, hatte jedoch Befürchtungen, dass dies missverstanden werden könnte.
William (The Earl of) Dartmouth (EFD). – Herr Watson, Sie nannten Bin Laden und den 11. September als Rechtfertigungen, die den Weg für die Annahme des Europäischen Haftbefehls geebnet hätten. Möchten Sie damit die Behauptung aufstellen, dass der Europäische Haftbefehl lediglich gegen Terroristen und Mörder und im Fall schwerwiegender Gewaltverbrechen zur Anwendung kommen soll?
Graham Watson, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident, wenn Sie gestatten, ich habe Herrn Bin Laden nicht als Rechtfertigung angegeben. Ich habe lediglich gesagt, dass er zur Beschleunigung unseres Verfahrens beitrug. Der Europäische Haftbefehl sollte keinesfalls nur terroristische Verbrechen abdecken: Er wurde geschaffen, um alle schweren Straftaten abzudecken. Diejenigen, die sich gegen seine Anwendung aussprechen, sind effektiv diejenigen, die die Rechtsstaatlichkeit auf unserem Kontinent und den Schutz, den der Europäische Haftbefehl unseren Bürgern gewährt, ablehnen.
Heidi Hautala, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FI) Herr Präsident, Herr Watson hat vollkommen Recht mit seiner Aussage, dass das Europäische Parlament von Anfang an darauf bestanden hat, dass der Europäische Haftbefehl mit eindeutigen Mindeststandards für Strafverfahren ausgestattet werden muss. Heute werden die Probleme deutlich sichtbar, mit denen zahlreiche Mitgliedstaaten konfrontiert sind, weil dem Europäischen Haftbefehl ein festes Fundament fehlt. Dieses tragfähige Fundament fehlt indes, da davon ausgegangen wurde, dass die Mitgliedstaaten auf die Rechtssysteme der anderen Staaten vertrauen könnten, dass die Rechtsstaatlichkeit und Normen für gerechte Verfahren in den verschiedenen Mitgliedstaaten eine Realität sind.
Wie einige Redner vor mir, könnte auch ich Ihnen davon berichten, dass dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist und, wie mein Kollege gerade vorbrachte, wie dringend der Handlungsbedarf der Kommission diesbezüglich ist. Es ist erforderlich, ein umfassendes System einzurichten, in dem Mindestverfahrensrechte vorangebracht werden. Meiner Überzeugung nach wird uns der Vertrag von Lissabon dies ermöglichen, da das Europäische Parlament nun zusammen mit dem Rat über alle Zuständigkeiten eines Gesetzgebers verfügt, und es war sehr erfreulich, Herrn Barrot sagen zu hören, dass er in Bezug auf die Partnerschaft zwischen der Kommission und dem Parlament zuversichtlich ist. Die Kommission und das Parlament müssen nun eine Achse der Macht bilden, die die Wiederstände der Mitgliedstaaten bricht, die in dieser Angelegenheit nicht zu Fortschritten bereit waren.
Ich versprach Ihnen davon zu berichten, was passiert, wenn die Rechtsstaatlichkeit, entgegen dem System des Europäischen Haftbefehls, nicht beachtet wird. In Finnland wurde vor Kurzem ein tschetschenisches Paar, Hadižat and Malik Gataev, festgenommen. Sie kamen aus Litauen, wo sie über Jahre ein Waisenheim für Kinder leiteten, die dem Krieg in Tschetschenien zum Opfer gefallen waren. Wie sich zeigt, hatte die Sicherheitspolizei in Tschetschenien ihre Aktivität unter dem Vorwand unterbunden, dass es in der Familie in unerheblichem Ausmaß zu Gewalt gekommen ist. Hierbei ging es vielleicht hauptsächlich um familiäre Probleme, die in Wirklichkeit nichts mit beispielsweise ernsten Übergriffen zu tun hatten. Nun ist dieses Paar in Finnland. Sie haben Asyl beantragt und Litauen fordert ihre Auslieferung. Der Fall wird nächsten Monat vor dem Landgericht in Helsinki verhandelt.
Wie soll man in dieser Situation nun verfahren angesichts des Grundgedankens, dass Finnland in diesem Fall auf die Tatsache vertrauen sollte, dass dieses Paar in Litauen einen gerechten Prozess haben wird? Viele sehr stichhaltige Beweise sprechen dagegen, und ich würde sagen, dass es unzählige Beispiele von alltäglichen Fällen wie diesem gibt, in denen der Europäische Haftbefehl nichts bewirken konnte. Wir müssen in dieser Angelegenheit Fortschritte erzielen, da es ansonsten für uns völlig unmöglich sein wird, das Vertrauen zwischen Mitgliedstaaten aufzubauen, das für die Verpflichtung zu justizieller Zusammenarbeit unbedingt erforderlich ist.
Janusz Wojciechowski, im Namen der ECR-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, wie Frau Hautala möchte auch ich ein Beispiel anführen. Ein junger Mann aus Polen wurde in Großbritannien zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Vergewaltigung verurteilt. Das Gerichtsverfahren, das sich auf Indizienbeweise stützte, stand unter dem Einfluss einer breit angelegten Verleumdungskampagne in der Presse und entsprach nach Meinung einiger Beobachter in keinster Weise den polnischen Normen eines gerechten Verfahrens. Der Mann sitzt seine lebenslange Haft nun in einem Gefängnis in Polen ab, obwohl das polnische Gesetz keine lebenslange Freiheitsstrafe für Vergewaltigung, sondern nur für Mord vorsieht – Vergewaltigung wird mit einer Gefängnisstrafe von höchstens 12 Jahren geahndet. Daher liegt nun die folgende Situation vor: Jemand sitzt in einem polnischen Gefängnis und ist zu einer Haftstrafe verurteilt, die nicht den Grundsätzen des polnischen Rechts entspricht.
Ich führe dieses Beispiel zur Veranschaulichung des Problems an sowie als Argument für den dringenden Bedarf, sowohl im Bereich von Strafprozessen als auch, meiner Ansicht nach, im Bereich der Regeln für den Strafvollzug, bestimmte allgemeine Standards aufzustellen. Grund hierfür ist, dass wir immer häufiger mit Situationen konfrontiert sind, in denen die Urheber von Verbrechen in einem Land verurteilt werden und in einem anderen ihre Strafe abbüßen. Ich unterstütze daher den Vorschlag für Standards und eine Richtlinie.
Rui Tavares, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (PT) Herr Präsident, die Europäische Union braucht zwei Beine zum Gehen: eins sind die Mitgliedstaaten und das andere deren Bürger, die von ihren gewählten Abgeordneten in diesem Haus vertreten werden.
Es kommt aber häufig vor, dass die Mitgliedstaaten, nachdem sie ihre Probleme gelöst haben, ihre Rechtssysteme abschotten. Nachdem sie ihren politischen Systemen die Kommunikation ermöglicht haben, vergessen sie, sich um alles Übrige zu kümmern und ihr Fundamente zu legen, indem sie unter den Bürgern der Europäischen Union eine Basis des Vertrauens schaffen. Dies ist ein solcher Fall.
Das europäische Mandat beschleunigt eindeutig den Prozess und erleichtert die Verfahren der Rechtssysteme innerhalb der Europäischen Union. Andere Rechte indes, wie das Recht auf Übersetzungen und Dolmetschleistungen (zu dem wir zu unserer Freude und Ehre mit Kollegen wie Frau Ludford zusammenarbeiten konnten) sind grundlegend, wenn europäische Bürger in ihren Beziehungen zu den Rechtssystemen anderer Mitgliedstaaten Vertrauen haben sollen.
Mit Freude schließe ich mich meinen Kollegen hinsichtlich der Forderung an, dass die Kommission und der Rat sich bei der Erstellung von Texten sputen sollten, die diesen Prozess über das Mitenscheidungsverfahren für andere Verfahrensrechte in Strafverfahren voranbringen.
William (The Earl of) Dartmouth, im Namen der EFD-Fraktion. – Ich ergreife heute Abend das Wort, da, wie bereits erwähnt wurde, zwei Wähler – Michael Turner und Jason McGoldrick – in der Einheit 2 des Zentralgefägnisses von Budapest in Ungarn inhaftiert sind. Sie sind seit dem 3. November in Haft und warten auf ihr Gerichtsverfahren. Bisher gibt es noch kein Datum für die Verhandlung. Die Haftbedingungen sind eine Belastung. Sie sind getrennt und haben keinerlei Kontakt zueinander. Sie teilen sich eine Zelle mit drei anderen Häftlingen. Sie müssen 23 Stunden am Tag in ihren Zellen bleiben. Pro Woche dürfen sie drei Telefongespräche führen und einmal duschen. Ihr Besuchsrecht ist auf einen Besuch der Angehörigen pro Monat beschränkt.
Kurz, sie sind isoliert. Die Sprachbarriere verschlimmert die Isolation. Sie werden eines Wirtschaftsverbrechens beschuldigt. Sie sind also weder Mörder noch Terroristen. Und sie befinden sich allein wegen des Europäischen Haftbefehls im Gefängnis.
Der Europäische Haftbefehl hat auf einen Schlag den Schutz vor Verhaftung zunichte gemacht, der in Großbritannien über Tausende von Jahren aufgebaut wurde. Herr Watson, Sie können natürlich gerne den Kopf schütteln. Besser wäre es jedoch, wenn Sie sich entschuldigen würden. Personenverwechslung und Identitätsdiebstahl bedeuten, dass das, was Jason und Michael wiederfahren ist, nun jedem britischen Bürger jederzeit passieren kann.
Die Labour-Partei, die Liberaldemokraten und die konservative Partei haben alle für den Europäischen Haftbefehl gestimmt. Um Zola erneut zu zitieren „J’accuse – Ich klage die Parteien des politischen Establishments in Großbritannien an: Durch ihre Befürwortung des Europäischen Haftbefehls haben sie in Großbritannien jeden der Gefahr der willkürlichen Verhaftung ausgesetzt.
Krisztina Morvai (NI). – (HU) Als ungarische Strafverteidigerin sollte ich mich schämen, denn heute haben hier im EU-Parlament zwei meiner Kollegen, die ansonsten zwei andere politische Ansichten vertreten, in Bezug auf die fehlenden Verfahrensgarantien in Strafverfahren zweimal Ungarn als offenkundigstes Beispiel angeführt. Obwohl ich mich dafür schäme, muss ich ihnen zustimmen, denn auch ich habe ähnliche Erfahrungen machen müssen. Ich möchte diese beiden Kollegen und Sie alle, die Sie als die wenigen Abgeordneten weiterhin bei der Aussprache über dieses wichtige Thema anwesend sind, bitten, folgendes in Erwägung zu ziehen: Wenn solch schwerwiegende Gesetzesverletzungen in Fällen von Ausländern, die politisch gesehen von recht geringer Bedeutung für den ungarischen Staat und die ungarische Regierung sind, bekannt geworden sind, wie muss dann das Schicksal derer aussehen, die in die Opposition gegen die ungarische Regierung gehen, weil sie vielleicht politisch eine andere Richtung als die Regierung vertreten?
Derzeit sind 15 Personen in Untersuchungshaft, da sie versucht haben, gegen die korrupten Geschäfte der ungarischen Regierung Stellung zu beziehen. Als Vergeltungsmaßnahme wurden Strafverfahren wegen Terrorismus gegen sie angestrebt, die auf fadenscheinigen Gründen beruhen. Bis zum heutigen Tage wurde nicht ein einziges Beweisstück vorgelegt. Die Behörden fühlen sich nicht verpflichtet, Beweise zu erbringen. Sie sind unter den gleichen bereits genannten Bedingungen in Gewahrsam, das heißt abgeschnitten von ihren Familien, von der Öffentlichkeit und der Presse. Bitte, lassen Sie uns gemeinsam etwas unternehmen, um eine Normalisierung der Lage in Ungarn herbeizuführen und es unmöglich zu machen, dass die fehlenden Verfahrensgarantien in Strafverfahren insbesondere zu politischen Zwecken missbraucht wird. Ungarn muss solche Garantien einführen.
Carlos Coelho (PPE). – (PT) Herr Präsident, Herr López Garrido wird nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ich meine ersten Worte an den Vizepräsidenten Herrn Barrot richte. Ich weiß nicht, ob wir vor der Amtseinführung der neuen Kommission die Gelegenheit haben werden, ihn hier im Parlament zu sehen. Ich möchte ihm daher für alle Fälle für seine Bemühungen, seine Intelligenz und seine außerordentlich gute Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament auf dem Gebiet Justiz und Inneres danken.
Ich möchte mich denjenigen anschließen, die dieses Thema für sehr wichtig halten. Wir möchten nicht nur ein sicheres Europa gestalten. Wir wollen auch ein gerechtes Europa schaffen. Daher ist jede Initiative, die sich auf Verfahrensrechte auswirkt, von grundlegender Bedeutung.
Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Opfer und die Achtung der Rechte von Bürgern zu unterstützen, die vor Gericht gebracht werden. Diese Botschaft enthält zwei sehr deutliche Appelle, von denen sich einer an den Rat richtet, der von Herrn Watson aufgefordert wurde und dies in seiner Rede viel besser in Worte gefasst hat als ich.
Es ist absurd, dass wir uns nach acht Jahren immer noch in dieser Phase des Prozesses befinden und lediglich bestimmte Rechtsarten in Erwägung ziehen. Wir müssen effizienter und schneller werden. Dies ist eine Aufgabe des Rats und des Parlaments, und Kommissar Barrot sollte auch auf seinen Kollegen, den nächsten Kommissar und die nächste Kommission einwirken.
Die Kommission muss in allen übrigen Bereichen, die mit Verfahrensrechten zusammenhängen, und nicht nur in denen, die einen Bezug auf Sprache und Übersetzung haben, die Initiative ergreifen.
Monika Flašíková Beňová (S&D). – (SK) Die Frage der grundlegenden Verfahrensrechte in Strafverfahren ist eines der Schlüsselthemen, das im Bereich Justiz und Inneres auf Resonanz treffen sollte.
Im Grunde werden in dem Entwurf eines Rahmenbeschlusses eine Reihe grundlegender Verfahrensrechte in Strafverfahren festgelegt, wozu insbesondere das Recht auf Rechtsberatung, das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung, das Recht auf besondere Beachtung sensibler Bereiche und das Recht auf Kommunikation und Zusammenarbeit mit Konsularbehörden gehören. Die Auflistung von Grundrechten dient lediglich als Veranschaulichung, weil es Aufgabe der Europäischen Union ist zu gewährleisten, dass Mitgliedstaaten, auch im Hinblick auf ihre Mitgliedschaft im Europarat und auf dessen Konvention, einem größtmöglichen Spektrum an Grundrechten Achtung schenken.
Wir sollten darauf hinwirken, dass solche Mittel zur Steuerung von Verfahrensbeziehungen in Strafsachen gefördert werden, um somit die vorerwähnten Rechte allen an Strafverfahren Beteiligten zu gewähren, ungeachtet, ob es sich dabei um Opfer und Geschädigte oder Täter handelt. Auf diesem Weg soll ein gerechtes und demokratisches Urteil erzielt werden, das vollständig dem Zweck verhängter Strafen entspricht, der nicht nur die Repression, sondern auch die Resozialisierung und Erziehung ist.
Gerard Batten (EFD). – Der Ausschuss fordert den Rat auf, sich weiterhin um die Einführung gemeinsamer europäischer Verfahrensrechte in Strafverfahren zu bemühen. Ein bestehendes gemeinsames Verfahren in der Form des Europäischen Haftbefehls hat den Jahrhunderte währenden Schutz gegen ungerechtfertigte Verhaftung und Inhaftierung, der der englischen Bevölkerung zugute kam, aufgehoben. Hierbei handelt es sich nicht um ein akademisches Argument. Der EHB (Europäische Haftbefehl) zerstört das Leben Unschuldiger. Mein Wähler Andrew Symeou ist nur einer der wachsenden Anzahl an Personen, die ausgeliefert werden, ohne dass ein englisches Gericht von Rechts wegen die Möglichkeit hätte, den gegen sie vorgebrachten Anscheinsbeweis zu prüfen und eine ungerechtfertigte Auslieferung zu verhindern. Auslieferung ist nun zu einer rein bürokratischen Formalität geworden. Herr Symeou ist seit sechs Monate in dem berüchtigten Korydallos Gefängnis inhaftiert, ohne die Möglichkeit auf eine Freilassung gegen Kaution oder Aussicht auf ein Gerichtsverfahren zu haben. Der politische Zynismus der britischen Liberaldemokraten ist einfach unfassbar. Heute vergießen sie in London Krokodilstränen über das Schicksal von Herrn Seymeou, obwohl sie selbst für die gemeinsamen Verfahren verantwortlich waren, die zu dieser Situation geführt haben, und sich in diesem Haus für eine Ausweitung derselben Rechtsvorschriften einsetzen. Die gemeinsamen Verfahren setzen die europäischen Rechtsnormen herab, anstatt sie zu verstärken.
Ich möchte einen Vorschlag machen. Wenn höhere Standards in europäischen Strafverfahren gewünscht sind, sollten Habeas Corpus, das Schwurgerichtsverfahren und die wichtigsten Bestimmungen der Magna Carta und der Bill of Rights von 1689 als die gemeinsamen europäischen Normen verabschiedet werden.
Georgios Papanikolaou (PPE). – (EL) Herr Präsident, es ist von wesentlicher Bedeutung, dass wir die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Verfahrensrechte während der Rechtsanwendung so weit wie möglich vorantreiben. Der Schlüsselbegriff hierbei ist das Konzept des Vertrauens. Wir fordern, dass europäische Bürger, die den Rechtsweg beschreiten, darauf vertrauen können, dass ihre Grundrechte geschützt werden. Zudem ist es uns ein Anliegen, dass zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre Zusammenarbeit und der endgültigen Rechtssprechung für jede zur Rechenschaft gezogene Person Vertrauen herrscht. Schließlich müssen wir alle hinsichtlich der Rechtssprechung Vertrauen haben. Solange wir ungeachtet unserer Überzeugungen die gemeinsamen Referenzrahmen auf europäischer Ebene nicht voranbringen können, wird es zuweilen zu strafbaren Handlungen aufgrund der Ausnutzung von Gesetzeslücken kommen, und auf lange Sicht werden wir gerade wegen der fehlenden Referenzrahmen nicht die Rechtssprechung begründen können, die wir anstreben.
Diego López Garrido, amtierender Präsident des Rates. – (ES) Nach Anhörung der Beiträge möchte ich meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass viele Abgeordnete aus sehr verschiedenen Fraktionen der Erfordernis einer Harmonisierung der Verfahrensgarantien auf europäischer Ebene und der Ausarbeitung einer echten europäischen Gesetzgebung zu Verfahrensgarantien zustimmen.
Alle Redner und alle parlamentarischen Fraktionen sind sich darüber einig, dass eine echte europäische Gesetzgebung für Verfahrensgarantien erforderlich ist. Dies veranschaulicht die Bedeutung und Erfordernis des europäischen Integrationsprozesses und die Bedeutung eines Europas der Bürger, eines europäischen Rechtsraums und der Implementierung des Vertrags von Lissabon. Dieser Gegenstand, der für das Programm des spanischen Ratsvorsitzes den Schwerpunkt für die nächsten sechs Monate bildet, wurde in allen Ausführungen, die ich gehört habe, unterstützt, wobei eine Vielzahl von Argumenten und verschiedene Betrachtungsweisen angeführt wurden. Es handelt sich hierbei um die Erfordernis, die Harmonisierung von Verfahrensgarantien voranzubringen.
Ich möchte zudem den von Frau Flašíková Beňová vorgebrachten Punkt aufnehmen, der meiner Ansicht nach sehr wichtig ist und sich darauf bezieht, dass dieser Schritt insbesondere zu einer Zeit unternommen werden muss, in der die Europäische Union kurz davor steht, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie im Vertrag von Lissabon niedergelegt, zu unterzeichnen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, Herr Präsident, dass der Rat und der spanische Ratsvorsitz sich um eine Implementierung dieser Verfahrensgarantien bemühen werden. Dabei wird die Umsetzung im Rahmen der Richtlinien erfolgen, die die Europäische Kommission zu gegebener Zeit vorlegen wird, wie auch basierend auf der Richtlinie, die bereits in Bearbeitung ist und die, soweit ich mich erinnern kann, auf eine Initiative von 13 Mitgliedstaaten zurückgeht.
Ich möchte noch eine letzte Bemerkung zum Europäischen Haftbefehl machen. Bisher wurde der Europäische Haftbefehl lediglich kritisiert. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass der Europäische Haftbefehl ein grundlegendes Beispiel für die Europäische Union und die Zusammenarbeit gegen das organisierte Verbrechen in der Europäischen Union darstellt. Ich habe das Recht, dies an die große Glocke zu hängen, da ich aus einem Land wie Spanien komme, das weiterhin unter Terrorismus leidet und für das der Europäische Haftbefehl eine wichtige Waffe im Kampf gegen den Terrorismus darstellt.
Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. – (FR) Herr Präsident, der Minister hat Recht, und Herr Coelho drückte dies sehr passend mit den Worten aus: „ein Europa der Sicherheit, ein Europa der Gerechtigkeit”. Ja, Herr Watson, der Europäische Haftbefehl hat sich bisher als ein sehr effektives und sehr brauchbares Instrument erwiesen, selbst wenn wir gleichzeitig den europäischen Rechtsraum auf den Weg und in Gang bringen müssen. Dies ist der Bereich, in dem wir uns um ein Europa der Gerechtigkeit bemühen müssen, damit hinsichtlich der Art der Rechtssprechung in ganz Europa echtes Vertrauen herrscht.
Diesbezüglich möchte ich nochmals den Verfassern der Anfrage danken und ihnen erneut zusagen, dass die Kommission, basierend auf dem Text, der den allgemeinen Ansatz des Rates vom 23. Oktober 2009 wiederspiegelt, mit Hilfe des Europäischen Parlaments und des spanischen Ratsvorsitzes gewährleisten wird, dass dieser Text qualitativ hochwertiger sein wird als der gegenwärtige. Hinzufügen möchte ich, dass wir natürlich darauf achten werden, dass alle erforderlichen Gesetzesvorschläge in gegebener Zeit formuliert werden, so dass die Mitgliedstaaten keine Initiativen einbringen müssen.
Die Kommission arbeitet bereits an dem Vorschlag für eine Rechtsbelehrung und wird sich darum bemühen, dass alle im Fahrplan vorgesehenen Maßnahmen schnellstmöglichst verabschiedet werden. Die Durchsetzung der einzelnen Maßnahmen wird auf ein Jahr geschätzt, was jedoch lediglich als Hinweis gedacht ist. Der Kommission wird gerne einen schnelleren Gang einlegen, wenn die Verhandlungen dies erlauben. Das versteht sich fast von selbst.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Ansichten geändert haben und dass wir mit dem mehrjährigen Stockholmer Programm in der Verpflichtung stehen, in diesem Bereich Ergebnisse zu erzielen. Darüber hinaus muss ich sagen, dass ich, seit ich in diesem Amt bin, alles Erdenkliche getan habe, um das Thema Verfahrensgarantien voranzutreiben und, obwohl unsere Wahl auf ein mehrstufiges Konzept gefallen ist, bin ich sicher, dass wir nun auf dem besten Weg sind. Ich möchte dem Europäischen Parlament und dem spanischen Ratsvorsitz danken und bin überzeugt, dass im Jahr 2010 bedeutende Fortschritte für ein Europa der Gerechtigkeit erzielt werden.
Präsident. – Vielen Dank, Herr Kommissar. Ich bin mir sicher, dass viele außerhalb dieses Plenarsaals den Aussagen von Carlos Coelho zustimmen und Ihnen für Ihr Engagement und Ihren Einsatz als Kommissar über diese Amtsperiode danken würden. Wir danken Ihnen sehr.
Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Aussprache über
– die mündliche Anfrage zur Verhütung des Menschenhandels von Anna Hedh im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Edit Bauer im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter an den Rat (O-0148/2009 - B7-0341/2009), und
– die mündliche Anfrage zur Verhütung des Menschenhandels von Anna Hedh im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Edit Bauer im Namen des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter an die Kommission (O-0149/2009 - B70342/2009),-
Anna Hedh, Verfasserin. – (SV) Wie wir alle wissen, ist der Menschenhandel eine der schwersten und schändlichsten Straftaten der Welt. Aus diesem Grund bin ich sehr enttäuscht darüber, dass die Aussprache zu diesem wichtigen Thema am heutigen Abend so spät vor einem leeren Plenarsaal ohne Hörerschaft und ohne Journalisten stattfindet.
Im Jahr 1850 wurde die Sklaverei in ganz Europa offiziell abgeschafft. Trotzdem leiden fast 200 Jahre später Hundertausende von Menschen in Europa unter der modernen Form der Sklaverei, dem Menschenhandel. Dem Europäischen Parlament und den anderen Gemeinschaftsorganen kommt eine große Verantwortung bei der Bekämpfung und der Abschaffung der modernen Sklaverei zu, die verschiedene Formen annehmen kann, wie beispielsweise Zwangsarbeit, sexuelle Ausbeutung, Organhandel, Adoption und Bettelei.
Ich freue mich daher, dass wir diese bedeutende Frage heute Abend erörtern. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen für die bisherige gute Zusammenarbeit zu danken und meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass wir gemeinsam endlich in der Lage sein werden, eine gemeinsame Entschließung zu erzielen. Zudem hoffe ich, dass die neue Kommission baldmöglichst eine Richtlinie zum Menschenhandel vorlegen wird, die ein stärkeres und umfassenderes Vorgehen als der Vorschlag beinhaltet, den die vorherige Kommission eingebracht hat, der aber an sich ein guter Vorschlag war.
Um das Problem des Menschenhandels angehen zu können, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der alle betroffenen Politiken miteinbezieht, das heißt nicht nur das Strafrecht, sondern auch Migration. Zudem sind die Festlegung angemessener Sanktionen erforderlich, die die Schwere dieser Straftat wiederspiegeln und all denjenigen wirklich schaden, die sich am Menschenhandel bereichern. Es muss gewährleistet werden, dass die Hilfe und der Opferschutz verbessert werden, dass die Situation minderjähriger Opfer gebührend Berücksichtigung findet und die Gemeinschaftsorgane untereinander abgestimmter zusammenarbeiten.
Um jedoch das Problem des Menschenhandels konkret in Angriff zu nehmen, müssen alle Mitgliedstaaten erhebliche Anstrengungen bezüglich präventiver Maßnahmen unternehmen, was im Wesentlichen bedeutet, dass die in unseren Ländern bestehende Nachfrage nach Diensten, die von den Opfern des Menschenhandels erbracht werden, reduziert wird. Kann eine Verringerung der Nachfrage erreicht werden, wird auch das Angebot an Diensten zurückgehen.
Abschließend richte ich den folgenden Appell an den Rat, die Kommission, das Europäische Parlament, die Mitgliedstaaten und die anderen Gemeinschaftsorgane: Lassen Sie uns dem Menschenhandel in Europa, der eine moderne Form der Sklaverei ist, gemeinsam ein Ende setzen.
Edit Bauer, Verfasserin. – (HU)Nichts weist deutlicher auf die Schwere des Problems des Menschenhandel hin als die Tatsache, dass sogar in Europa Hundertausende von Menschen jedes Jahr dem Menschenhandel zum Opfer fallen. Wahrscheinlich ist diese Angabe so unglaublich, dass die Dolmetscher die Zahl mit Hundert anstatt mit Hunderttausend übersetzt haben. Dies entspricht zudem mehr oder weniger der landläufigen Meinung. Es herrscht allgemein die Auffassung, dass es sich beim Menschenhandel um ein Randproblem handelt, wobei sowohl die Konsequenzen als auch die Bedeutung des Phänomens an sich unterschätzt werden. Europa ist verpflichtet, den Kampf gegen den Menschenhandel auszuweiten. Ich möchte diesbezüglich auf zwei Aspekte eingehen. Der erste ist der Opferschutz und der zweite die Beseitigung der Nachfrage. Was den Opferschutz betrifft, existiert eine Rechtsvorschrift der Europäischen Gemeinschaft, die die Kommission bis 2009 einer Neubewertung unterziehen wollte. Trotz der Tatsache, dass diese Richtlinie 2004/81 einer Aktualisierung bedarf, wurde die Neubewertung leider bis zum heutigen Tage nicht durchgeführt. Währenddessen wird der Größteil der Opfer als am Verbrechen mitschuldig erachtet und somit erneut viktimisiert. Es ist zudem allseits bekannt, dass es ohne die Hilfe der Opfer unmöglich ist, an die kriminellen Banden heranzukommen. Dies bestätigt auch der Verwaltungsrat von Europol.
Ich möchte auf das Gesetzgebungsverfahren in einer anderen Angelegenheit hinweisen, nämlich der Beseitigung der Nachfrage. Der Menschhandel verfügt über einen eigenen Markt. Wie auch an anderen Märkten gilt hier das Gesetz des Angebots und der Nachfrage. Für gewöhnlich befassen wir uns mit der Angebotsseite und vergessen oder wollen dabei mehr oder weniger nicht auf die Nachfrage eingehen. Doch so lange wir die Nachfrage nicht beseitigen konnten, dürften unsere Bemühungen im Kampf gegen den Menschenhandel vergeblich sein. Ich möchte zusätzlich darauf hinweisen, wie wichtig politische Koordinierung ist. Wir mussten feststellen, dass innerhalb der Kommission bestimmte GD (Generaldirektionen) ihre Strategien nicht ausreichend koordinieren und der Informationsfluss zwischen ihnen daher unzulänglich bleibt. Auch in dieser Hinsicht ist unser Handeln gefragt.
Diego López Garrido, amtierender Präsident des Rates. – (ES) Frau Hedh, Frau Bauer, meine Zustimmung hinsichtlich der Initiative, der Anfrage und der Erörterung, die Sie heute Abend vor diesem Haus angestoßen haben, könnte nicht größer sein. Meiner Ansicht nach stellt der Menschenhandel die größte Geißel der Menschheit dar und ist daher eine der großen Herausforderungen, die wir angehen müssen, die wir gemeinsam angehen müssen. Zudem veranschaulicht er die Bedeutung, die der Koordinierung unserer Bemühungen auf europäischer Ebene und außerhalb von Europa zukommt, um diese Geißel auszumerzen.
Bei Ihrer Anfrage haben Sie sich zunächst gefragt, ob sich der Ansatz der Europäischen Union auf die Menschenrechte konzentrieren sollte, ganzheitlich sein und die Rückführung, das Leben in der Gesellschaft und die soziale Wiedereingliederung zum Schwerpunkt haben sollte. Die Antwort darauf lautet, ja. Wir sind in jeder Beziehung der Ansicht, dass dies die richtige Vorgehensweise ist. Wir stimmen auch der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit der Schärfe der Verurteilung zu – auch diesen Punkt sprachen Sie in Ihrer Anfrage an – und der Notwendigkeit von zusätzlichen Maßnahmen für den Opferschutz. Sie wiesen darauf hin und betonten – und ich stimme völlig mit Ihnen überein –, dass bei unserem Kampf gegen den Handel mit Menschen dem Opferschutz eine wesentliche Bedeutung zukommt, und dass es völlig irrelevant ist, ob ein schutzloses Oper oder Kind in die Ausbeutung eingewilligt hat. Bei der Bestrafung dieses ausbeuterischen Handeln muss dies irrelevant sein.
Auch Ihr Überlegung zum Thema der Nachfrage ist wichtig und wir müssen uns mit diesem äußerst wichtigen Gedanken befassen. Entsprechendes gilt für die gerichtliche Zuständigkeit.
Im zweiten Teil Ihrer Anfrage halten wir die Koordinierung von Informationen für unbedingt notwendig. Wir stimmen daher dem Vorschlag in dieser Anfrage zu, der uns als höchst angemessen erscheint.
Sie stellen zudem die Frage nach präventiven Maßnahmen. Zu diesem Thema kann ich sagen, dass die Europäische Union an derartigen präventiven Maßnahmen arbeitet. Bereits im Jahr 2005 verabschiedete der Rat einen diesbezüglichen Plan, der einer wirksamen Implementierung bedarf. Wie Sie wissen, ist der Menschenhandel Teil zahlreicher Abkommen zwischen der Europäischen Union und Drittländern, wie beispielsweise der Strategischen Partnerschaft EU-Afrika. Zudem gehört er zu den Prioritäten der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem westlichen Balkan. Ich sollte auch darauf hinweisen, dass der Unterstützung bei der Weiterbildung und Sensibilisierung von Personen, die mit Opfern in Kontakt kommen können, eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Menschenhandel zukommt. Zu diesen Personen gehören beispielsweise Grenzpolizisten und Polizei- und Sicherheitsbeamte in Drittländern.
Abschließend möchte ich betonen, dass der spanische Ratsvorsitz in dieser Richtung tätig werden und sich insbesondere mit der Frage der Kinder befassen wird, die von diesem Handel betroffen sind. Dies ist einer der vorrangigen Schwerpunkte des spanischen Ratsvorsitzes. Neben anderen Initiativen haben wir die Kommission aufgefordert, einen Maßnahmenplan für Minderjährige, die ohne Begleitung in die Europäische Union einreisen, bis zu Beginn 2010 vorzulegen.
Schließlich, Herr Präsident, fordert der spanische Ratsvorsitz während seiner Amtsperiode, während der kommenden sechs Monate zu einer sofortigen Aussprache auf, deren Gegenstand eine Richtlinie zum Kampf gegen den Menschhandel ist, und ich bin mir sicher, dass die neue Kommission diese unverzüglich vorlegen wird. Sobald die Kommission ihren Entwurf ausgearbeitet hat, wird der spanische Ratsvorsitz seine Erörterungen im Rat und mit dem Parlament aufnehmen. Erachten Sie dies als ein sichtbares Zeichen unserer Entschlossenheit im Kampf gegen diese, wie es die vorhergehenden Redner treffend beschrieben, moderne Form der Sklaverei.
Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. – (FR) Herr Präsident, der Minister hat gerade erklärt, dass der Menschenhandel eine Form der Sklaverei ist. Ich möchte Frau Hedh und Frau Bauer vielmals dafür danken, dass sie diese Anfrage eingebracht haben.
Wir müssen einen ganzheitlichen, multidisziplinären Ansatz entwickeln, der nicht auf Repression begrenzt ist, sondern die internationale Zusammenarbeit mit Drittländern miteinschließt. Dieser ganzheitliche Ansatz wurde von der Kommission infolge des im März 2009 veröffentlichen Vorschlags für einen Rahmenbeschluss angenommen. Der Rahmenbeschluss basiert auf der Konvention des Europarates gegen Menschenhandel von 2005, geht aber darüber hinaus.
Natürlich werden wir, wie der Minister bereits sagte, die neue Rechtsgrundlage des Vertrags von Lissabon nutzen, um schnellstmöglichst einen Vorschlag für eine Richtlinie vorzulegen, der die Diskussionen berücksichtigen wird, die vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags stattgefunden haben. Wir hoffen, dass wir mit dem neuen Vorschlag für eine Richtlinie ein anspruchsvolles Niveau beibehalten können.
Wir vertreten die Überzeugung, dass dem Europäischen Parlament in diesem Rahmen eine zentrale Rolle zukommen sollte und dass sein Engagement äußerst wichtig ist, um die europäischen rechtlichen Rahmenbedingungen für Maßnahmen, die der Bekämpfung des Menschenhandels dienen, weiter zu stärken. Ich möchte Ihnen daher einige Informationen als Antwort auf die Inhalte der Anfrage zur Verfügung stellen.
Erstens: Sanktionen Der Menschenhandel stellt eine sehr schwere strafbare Handlung dar und muss dementsprechend geahndet werden. Das Strafmaß muss sehr hoch sein und die Harmonisierung von Höchststrafen muss weiter vorangetrieben werden. Bei den Höchststrafen gibt es zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede, die von drei bis zwanzig Jahren für leichtere Vergehen und von zehn Jahren bis lebenslangen Freiheitsstrafen für erschwerende Umstände reichen.
Obwohl ich einräumen muss, dass die Art der Urteilssprechung sich von einem Mitgliedstaat zum nächsten unterscheiden kann, ist eine so große Diskrepanz zwischen den Strafmaßnahmen in einem europäischen Kontext nicht zu vertreten. Wir werden in dem neuen Vorschlag daher sehr schwere Strafen vorsehen.
Ich möchte mich nun zur Opferhilfe und zum Opferschutz äußern. Die Hilfe, der Schutz und die Unterstützung, die Opfern des Menschenhandels insbesondere hinsichtlich Unterkunft, medizinischer und psychologischer Betreuung, Beratung, Information, Dolmetschleistungen und rechtlicher Vertretung gewährt werden, sind alle von entscheidender Bedeutung.
Da dies vom spanischen Ratsvorsitz gefordert wird, werden wir zudem spezifische Maßnahmen und vor allem Schutzmaßnahmen für Kinder, die dem Menschenhandel zum Opfer gefallen sind, vorsehen. Das System für Rechtsbeistand und Rechtsvertretung sollte insbesondere für Kinder kostenlos sein.
Schließlich wird die Kommission im Verlauf 2010 ihren ersten Bericht zur Implementierung der Richtlinie in Bezug auf Aufenthaltstitel veröffentlichen, die von Drittländern für Staatsangehörige ausgestellt werden, die Opfer des Menschenhandels sind und mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Dem Bericht zufolge werden wir überprüfen, ob eine Änderung der Richtlinie zweckmäßig ist.
Was die Maßnahmen zur Eindämmung der Nachfrage betrifft, beabsichtigt die Kommission zudem, in ihren zukünftigen Vorschlag für eine Richtlinie eine Klausel aufzunehmen, die Mitgliedstaaten zur Ergreifung von Initiativen auf diesem Gebiet verpflichtet und sie gleichzeitig anhält, die Inanspruchnahme sexueller oder Arbeitsdienste unter Strafe zu stellen, wenn der Nutzer darüber in Kenntnis ist, dass die Person Opfer des Menschenhandels war oder ist.
In Bezug auf die Gerichtsbarkeit müssen wir die Kapazität jedes Mitgliedstaats erhöhen, damit nicht nur die eigenen Staatsangehörigen, sondern auch Menschen verfolgt werden können, die sich gewöhnlich auf dem betreffenden Staatsgebiet aufhalten und die im Ausland des Menschenhandels für schuldig erklärt wurden. Diesem kommt bei der Bekämpfung des Phänomens der sogenannten neuen Mafia eine wesentliche Bedeutung zu. Bei diesen Kartellen handelt es sich um verbrecherische Organisationen, die sich aus Individuen verschiedener Nationalitäten zusammensetzen und die das Zentrum ihrer verbrecherischen Interessen, und somit auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt, in einem Land der Europäischen Union ansiedeln.
Nun möchte ich über die Datenerfassung sprechen. Die Kommission hat erhebliche Investitionen in die Entwicklung gemeinsamer Indikatoren für Datenerfassung getätigt. Wir müssen der Europäischen Union zuverlässige und vergleichbare Statistiken bereitstellen. Zahlreiche wichtige Projekte wurden umgesetzt, und die Ergebnisse dieser Initiativen müssen in angemessener Weise nachverfolgt werden, so dass ein gemeinsames Indikatorenmodell mit Eurostat, mit den Agenturen der Europäischen Union, Europol, Eurojust, Frontex und der Agentur für Grundrechte entwickelt werden kann.
Abschließend komme ich zur Prävention. Uns steht ein Finanzprogramm mit dem Titel „Kriminalprävention und Kriminalbekämpfung” zur Verfügung, dem 2010 ein zielgerichteter Aufruf zur Bekämpfung des Menschenhandels hinzugefügt wird. Zudem sind im Stockholmer Programm spezifische Aktionen vorgesehen, deren allgemeine Leitlinien vom Rat für Justiz und Inneres verabschiedet wurden und die Maßnahmen zur Festigung der Kooperation mit Drittländern betreffen.
Eine umfassendere Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels nimmt also Gestalt an. Wie ich bereits andeutete, wird die Kommission in Kürze einen Richtlinienvorschlag einbringen, und ich freue mich sehr, dass der spanische Ratsvorsitz seinerseits eine Aussprache angekündigt hat, die Ihnen die Möglichkeit geben wird, den Vorschlag der Kommission zu bereichern. Wie es mir scheint, kommt der Vorschlag zur rechten Zeit, denn das Phänomen ist leider weit von einem Rückgang entfernt, sondern nimmt in unseren Mitgliedstaaten sogar weiter zu. Es ist an der Zeit zu handeln und schlagkräftig zu reagieren.
Roberta Angelilli, im Namen der PPE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, zunächst möchte ich Frau Hedh und Frau Bauer für ihre Initiative danken.
Wie jeder bereits gesagt hat, ist der Menschenhandel eine extrem schwere Straftat, die mit sexueller Ausbeutung und illegaler Beschäftigung verbunden ist. Diese Verbrechen werden von skrupellosen Personen begangen, die ihre Opfer unter Einsatz von Gewalt oder Täuschung, durch das Versprechen auf einen anständigen, gutbezahlten Arbeitsplatz oder durch Drohungen anwerben, die nicht nur gegen die Opfer, sondern auch gegen deren Kinder und Angehörige gerichtet sind.
Leider, wie sooft, sind in erster Linie Frauen und Kinder in Mitleidenschaft gezogen. Schätzungen zufolge gibt es weltweit fast drei Millionen Opfer, von denen fast 90% Frauen und Kinder sind. 2008 führte das Europäische Parlament mit der ersten europäischen Kinderrechtsstrategie aus, dass der Handel mit Kindern viele verbrecherische Ziele verfolgt: Organhandel, illegale Adoption, Prostitution, illegale Beschäftigung, Zwangsehen, Ausbeutung von Straßenbettelei und Sextourismus, um nur einige zu nennen.
In dem Dokument wurde der Menschenhandel als eine echte Geißel innerhalb der Europäischen Union beschrieben, und es wurde ausgeführt, dass die Bekämpfung des Menschenhandels und der Ausbeutung für die zukünftige Agenda der Europäischen Union zu einer Priorität werden muss, in erster Linie durch die Verabschiedung aller dringend erforderlichen Legislativmaßnahmen, um den vollständigen Schutz von und die Bereitstellung der Hilfeleistungen für Opfer zu gewährleisten. Das neue Stockholmer Programm befasst sich ebenfalls mit dem Handel und der Ausbeutung von Minderjährigen.
Als Schlussfolgerung und angesichts dieser abendlichen Aussprache hoffen wir darauf, dass die Kommission und der Rat an ihren Verpflichtungen festhalten werden, und dass die Kommission den neuen Richtlinienvorschlag ausarbeiten wird, den wir im Nachfolgenden sehr gründlich prüfen werden.
Claude Moraes, im Namen der S&D-Fraktion. – Herr Präsident, trotz ihrer Redezeit zu dieser späten Stunde besteht der Erfolg von Frau Hedh und Frau Bauer darin, heute Abend vor dieses Haus getreten zu sein und zu hören, wie der scheidende Kommissar Herr Barrot und der neue spanische Ratsvorsitz Ausdrücke wie „entschlossen” und für den Kommissar „ehrgeizig” nutzen. Das Warten auf diese Worte bis zu dieser späten Nachtzeit hat sich gelohnt, denn heute sind viele Menschen in diesem Plenarsaal anwesend, einschließlich der Verfasserinnen, die die Komplexität dieses brutalen modernen Phänomens nachvollziehen können und gleichzeitig wissen, dass von der EU seitens ihrer Bürger erwartet wird, diese moderne Geißel anzugehen.
Herr Barrot sprach über den Bedarf an neuen Rechtsvorschriften. Wir hoffen darauf, dass uns der Vorschlag der Kommission sehr bald vorliegen wird. Heute Morgen, bei der Anhörung der designierten Kommissarin Frau Malmström, erhielten wir ebenfalls eine positive Antwort auf unseren Vorschlag, einen EU-Koordinator zur Bekämpfung des Menschenhandels zu ernennen.
Beginnt man, die einzelnen Puzzleteile zusammenzusetzen, zeigt sich, dass zumindest etwas in Gang gesetzt wurde. Doch allein der von Anna Hedh beschriebene Umfang des Problems weist darauf hin, dass unseren Worten Taten folgen müssen. Da es sich beim Menschenhandlung um ein so vielschichtiges Phänomen handelt, das viele verschiedene Bereiche wie Zwangsarbeit, organisiertes Verbrechen, sexuelle Ausbeutung und Kindesmissbrauch berührt, muss unsere Antwort mehrgleisig und ganzheitlich ausgerichtet sein. Herr Barrot führte viele der Dinge auf, deren Umsetzung wir für erforderlich halten, und wenn diese als Paket gebündelt in der gesamten EU realisiert werden, verfügen wir über eine entschlossene Politik, die die EU-Bürger als einen Aktionsplan erachten werden. Die EU-Bürger wissen zwar gegenwärtig um die Geißel des Menschenhandels, sie sehen jedoch nicht den ganzheitlichen Ansatz und können nicht nachvollziehen, wie die EU als Ganzes vorgehen wird.
Ich freue mich sehr darüber, dass die designierte Kommissarin Malmström heute ihr Engagement betont hat, sehr bald einen neuen Gesetzesvorschlag einbringen zu wollen, und ich bin auch sehr erfreut darüber, dass sich der spanische Ratsvorsitz nicht nur für die Bekämpfung des Menschenhandels, sondern auch verbundener Themen wie Gewalt gegen Frauen deutlich ausgesprochen hat. Es ist wichtig, dass sie zusammengefasst werden, um in diesem Vorschlag echte Entschlossenheit und Betroffenheit zu zeigen. Obwohl es spät ist, müssen unseren Worten nun Taten folgen. Die Verfasserinnen jedenfalls haben für uns heute eine große Leistung vollbracht.
Nadja Hirsch, im Namen der ALDE-Fraktion. – Herr Präsident! Zuerst möchte ich mich bei den Berichterstatterinnen für ihr Engagement und die gute Zusammenarbeit bedanken, denn es handelt sich hier wirklich um ein wichtiges Thema. Wie wir schon gesagt haben, Menschenhandel ist vielleicht sogar die schwerste Form eines Verbrechens. Die Zahlen von Europol, die in der Anfrage genannt werden, zeigen, dass hier keinerlei Verbesserung zu verzeichnen ist, im Gegenteil. Gerade in dem Bereich Zwangsarbeit gehen die Zahlen nach oben, Frauenhandel bleibt gleich. Hier zeigt sich also ganz deutlich, dass wir einen dringenden und vor allem sehr konsequenten Handlungsbedarf haben.
Damit er auch Erfolg haben wird, muss vor allem ein integrativer Ansatz in den verschiedensten Bereichen gewählt werden. Ein ganz wesentlicher Punkt ist, vor allem das Bewusstsein – auch der Bevölkerung innerhalb Europas – dafür zu schärfen, dass Menschenhandel mitten in Europa in jedem Land stattfindet. Hier müssen wir vor allem auf Aufklärungsarbeit setzen, wie wir es z. B. in Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft gemacht hatten, um das Problem der Zwangsprostitution vor Augen zu führen und zu zeigen, dass das wirklich vor Ort passiert, und diese Diskussion auch in der Bevölkerung anzuregen, damit eine Sensibilität da ist, um den Opfern zu helfen.
Mein zweiter Punkt ist Opferschutz. Gerade wenn Menschen aus dieser dramatischen Situation herausgeholt werden, muss auch in den Mitgliedstaaten eine medizinische und psychologische Betreuung gewährleistet werden, um diese Menschen zu unterstützen, eventuell zurück in ihr Land zu kommen oder über Asyl oder ähnliches hier Möglichkeiten zu eröffnen, eine neue Heimat zu finden und ein neues Leben zu beginnen
Judith Sargentini, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (NL) In einer niederländischen Zeitung erschien heute ein Artikel über eine Spargelbäuerin, die festgenommen wurde, weil sie im Verdacht stand, Menschenhandel zu betreiben und rumänische Zwangsarbeiter, also europäische Bürger, zu beschäftigen. Menschenhandel wird nicht nur mit Bürgern aus Ländern außerhalb der Union betrieben, sondern auch mit Bürgern aus den Mitgliedstaaten. Eine gut integrierte Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels kann sich nicht auf die Festnahme von Menschhändlern wie diesen beschränken und lediglich energisch gegen diejenigen vorgehen, die solche Verbrechen begehen, sondern in ihrem Mittelpunkt müssen vor allem die Opfer stehen. Ihre Rechte und ihre Zukunft müssen höchste Priorität haben. Opfer des Menschenhandels sollten niemals den Eindruck gewinnen, dass sie alleine sind oder im Stich gelassen werden. Wir müssen sie auf verschiedenste Weise unterstützen: in rechtlicher, medizinischer, sozialer Hinsicht, in den Gemeinschaften und auf finanzielle Art. Des Weiteren sollten wir ihnen wahrscheinlich auch Entschädigungsleistungen zukommen lassen. Diese Opfer in die Lage zu versetzen, ihre Rechte wahrzunehmen und die Möglichkeiten, die ihnen unsere Gesetzgebung bietet, zu nutzen, ist für jede neue Richtlinie von entscheidender Bedeutung. Ich habe in dieser Hinsicht von Herrn López Garrido und Herrn Barrot Gutes gehört.
Der Kommissar sagte zudem, dass diejenigen, die die Dienste von Menschen in Anspruch nehmen, die verkauft wurden, mit härteren Strafmaßnahmen rechnen müssen. Für meine Begriffe sind härtere Sanktionen für derartige Handlungen sicherlich nicht falsch, aber ich frage mich, wie wir den Opfern helfen können, wenn wir ihre Funktion, ihre Arbeit – denn obwohl es Sklavenarbeit ist, handelt es sich um Arbeit – weiter kriminalisieren. Wie kann es den Opfern helfen, Angst davor haben zu müssen, dass die von ihnen zu einem Zeitpunkt verrichtete Arbeit weiter kriminalisiert wird? Ich würde eine Antwort auf diese Frage begrüßen.
Im Buch der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz wird den Opfern des Menschenhandels ein Aufenthaltstitel zugestanden, wobei es sich unter bestimmten Umständen um ein ständiges Aufenthaltsrecht handeln kann. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die Opfer nicht befürchten müssen, in ihr Land zurückgeschickt zu werden, wo alles begann. Zudem soll sichergestellt werden, dass sie gegen die Menschhändler aussagen können, während sie mit Gewissheit davon ausgehen können, dass ihr Aufenthalt im Land gesichert ist. Grund hierfür ist, dass nicht das geringste Risiko bestehen darf, dass jemand ausgeliefert wird und dann erneut dem Menschenhändler in die Hände fällt. Ihre neue Rahmenrichtlinie, Herr Kommissar, Herr amtierender Präsident des Rates, muss die Stärkung der Opfer zum Ziel haben. Sie muss ihnen Rechte und eine neue Zukunft geben. Das ist mein Anliegen.
Zbigniew Ziobro, im Namen der ECR-Fraktion. – (PL) Herr Präsident, es ist extrem beschämend, dass das moderne Europa, indem Freiheit herrscht und die Menschenrechte geachtet werden, für so viele Menschen zu einem Ort der Unterdrückung und des Missbrauchs wird. Umso schockierender ist es, dass dies häufig Frauen und Kinder trifft, die besonders gefährdet und äußerst hilflos sind.
Als Justizminister und Generalstaatsanwalt in Polen habe ich zahlreiche Ermittlungen überwacht, aus denen hervorging, dass solche Dinge in Europa geschehen, dass sie über die Grenzen bestimmter Länder hinausgehen und zuweilen sehr grausam sind. Das Hauptziel des Menschenhandels ist die sexuelle Ausbeutung oder erzwungene Sklavenarbeit. Um diesen Phänomenen wirksam vorzubeugen und sie auszumerzen, ist es sehr wichtig, dass es in bestimmten EU-Mitgliedstaaten professionelle Vollstreckungsbehörden gibt, die idealerweise zentral geleitet werden und ein entschiedenes und effektives Vorgehen sowie eine gute internationale Zusammenarbeit gewährleisten. Den Institutionen der Europäischen Union sollte dabei eine zentrale Rolle insbesondere hinsichtlich des letzten Punktes zukommen.
Darüber hinaus gibt es zwei weitere Aspekte. Mit dem Wissen, dass Menschenhandel häufig das Werk organisierter verbrecherischer Banden ist, sollten einzelne Länder ausreichend harte Sanktionen für solch schwere Straftaten garantieren, um die Täter abzuschrecken und zu isolieren. Dazu sollten auch Sanktionen in Form von Beschlagnahmen von Vermögenswerten gehören, die die wirtschaftlichen Gründe ihrer Aktivität treffen würden.
Cornelia Ernst, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Der Menschenhandel ist in der Tat eine Geißel der Gegenwart und wird durch Armut und Unwissenheit genährt. Die schlimmste Form ist der Handel mit Kindern, sehr oft verbunden mit sexuellem Missbrauch. Wir sind als Fraktion der GUE/NGL der Auffassung, dass für die Kommission dringender Handlungsbedarf besteht. Eine der wichtigsten Voraussetzungen zur erfolgreichen Bekämpfung von Menschenhandel ist, dass die Rechte der Opfer gestärkt werden. Nur wenn das gelingt – und nicht allein durch Strafmaßnahmen –, kann der Menschhandel überhaupt bekämpft werden. Dazu brauchen wir sehr klare Regelungen, dass im Zusammenhang mit Menschenhandel keine Sanktionen gegen Opfer von Menschenhandel verhängt werden. Diese Opfer brauchen z. B. wirksamen Schutz und Unterstützung vor, während, aber auch nach Strafverfahren, in denen sie als Zeugen aussagen. Das muss ausdrücklich auch für die Bedenkphase im Vorfeld gelten und auch, wenn Zeugenaussagen zurückgenommen werden. Langfristig angelegte Zeugenschutzprogramme sind dringend erforderlich.
Was mir auch wichtig ist: Allen Opfern von Menschenhandel muss kostenlose Beratung zur Verfügung gestellt werden, nicht nur Kindern. Und bei Kinder ist es notwendig – um darauf zurückzukommen –, dass der Einsatz von Kinderanwälten ermöglicht wird. Es muss zwingende Vorgaben zur Verstärkung der Prävention geben, z. B. durch Schulungen für Anwälte, Polizisten, Richter und Berater. Ich freue mich, dass der spanische Vorsitz sich dem widmen möchte!
Mario Borghezio, im Namen der EFD-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, heute habe ich während der Anhörung der designierten Kommissarin eine sehr gezielte Verpflichtung zur Bekämpfung des Menschenhandels vernommen.
Es war erfreulich, in diesem Haus eine einstimmige Meinung zu hören. An derselben Einstimmigkeit mangelte es vor vielen Jahren, als einige Personen – meiner Selbst inbegriffen – von diesen Plätzen aus verstärkt auf die Gefahren hinwiesen, die eine massive illegale Immigration verursachen würde. Unter anderem gehören dazu ein erheblicher Auftrieb für verbrecherische Organisationen, die diese Arbeitskräfte ausnutzen, sowie die Risiken des Menschenhandels und selbst Organhandel. Heute wurde jeder über dieses Phänomen in Kenntnis gesetzt, und wir können dieses einhellige Engagement nur begrüßen.
Trotzdem sollten wir uns darüber bewusst werden, dass die Ursache die gleiche geblieben ist. Die Ursache, die Herkunft, der Nährboden für diesen Handel hat nur einen Namen, oder eine Hauptbezeichnung, eine Hauptursache: das Ausmaß an illegaler Einwanderung und die Rolle, die hiesige, europäische und auch außereuropäische verbrecherische Organisationen dabei spielen. Heutzutage wird der Menschenhandel nämlich problemlos von Organisationen außerhalb Europas betrieben.
Dies sollte unser Ausgangspunkt sein. Wir sollten in unsere Reflexionen miteinbeziehen, dass dieses extrem schwere und beschämende Phänomen eine Unterart oder Begleiterscheinung von massiver illegaler Immigration ist, die nicht ausreichend kontrolliert wurde. Europa sollte den Mut besitzen, das Kind beim rechten Namen zu nennen.
Georgios Papanikolaou (PPE). – (EL) Herr Präsident, ich möchte meinerseits auch die Verfasserinnen dieser sehr wichtigen Anfrage beglückwünschen. Wir leben in einer modernen Zeit, in der man erwarten dürfen sollte, dass der Menschenhandel in unserer Gesellschaft ausgemerzt wurde. Leider wird dies durch die Zahlen widerlegt. Als Beispiel: Schätzungen zufolge sollen über 1 800 000 Kinder und Jugendliche weltweit dem Menschenhandel jährlich zum Opfer fallen. Gemäß UN-Angaben gibt es in der Europäischen Union 270 000 Opfer. Allein in Griechenland ist die geschätzte Zahl derjenigen, die dem Menschenhandels für Prostitution zum Opfer gefallen sind, auf 40 000 pro Jahr gestiegen. Dies bezieht Frauen und Kinder mit ein, schließt jedoch andere Formen des Menschenhandels aus.
Die zwei grundlegenden Parameter, auf die ich verstärkt eingehen möchte, ohne die Bedeutung anderer Parameter unterzubewerten, sind: Als Erstes ist der europäische institutionelle Rahmen für die Bekämpfung dieses grenzübergreifenden Verbrechens, das durch illegale Immigration verschärft wird, – wie bereits zu Recht gesagt wurde – unzureichend. Aus diesem Grund muss der Einsatz erhöht werden und auf einen ganzheitlichen Ansatz abzielen. Der von uns erwarteten Richtlinie kommt innerhalb dieses Rahmenwerks, wie bereits richtig gesagt wurde, eine sehr hohe Bedeutung zu.
Zweitens wurde eine spezifische Lücke beim Opferschutz ausgemacht, die insbesondere die Hilfestrukturen betrifft. Daher ist es notwendig – und ich freue mich, dies vom spanischen Ratsvorsitz zu hören –, dass Ressourcen und Infrastrukturen bereit gestellt werden, um alle bestehenden Infrastrukturen zu verbessern und neue Infrastrukturen zu schaffen und natürlich um die Personalkräfte zur Verfügung zu stellen, die für solche Unterstützungsleistungen angemessene Schulungen erteilen können.
Diese moderne Form des Sklavenhandels kann und darf es in einer Europäischen Union nicht geben, die auf den Grundsätzen der Achtung der Menschenrechte und der menschlichen Würde aufbaut.
Silvia Costa (S&D). – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte meiner großen Befriedigung darüber Ausdruck verleihen, dass wir heute ein Thema wie dieses im Rahmen einer Anfrage angehen und möchte den Verfasserinnen herzlichst dafür danken. Zudem möchte ich mich für das hohe Maß an Zusammenarbeit bedanken, das zwischen allen politischen Parteien und den zwei Ausschüssen sichtbar wurde.
Zudem bin ich sehr über die äußerst wichtigen Verpflichtungen erfreut, für die sich die Kommission und auch der spanische Ratsvorsitz ausgesprochen haben, und ich hoffe sehr, dass in Kürze die neue Richtlinie entlang der Linie entworfen wird, die im Wesentlichen einen breiten Konsens fand.
Wie allseits bekannt sein dürfte, ist die Analyse des Zahlenmaterials in diesem Bereich sehr komplex. Kurz gefasst handelt es sich jedoch um fast 300 000 Personen, die zu 79% aus Frauen und zum einem großen Anteil aus Minderjährigen bestehen, die jedes Jahr in unserem zivilisierten Europa verkauft werden. Leider musste in den vergangenen Jahren ein weiterer Anstieg verzeichnet werden. Auch aus diesem Grund müssen angesichts der neuen Zuständigkeitsbereiche der Europäischen Union weitreichende Fortschritte erzielt, und auch angesichts dessen, was bereits im Stockholmer Programm angenommen wurde, Innovationen eingebracht werden.
Es war ein wichtiger Schritt nach vorn, als wir auf EU-Ebene die Bestimmung verabschiedeten – die beispielsweise in Italien seit 1998 in Kraft ist –, nach der für Opfer humanitäre Aufenthaltstitel ausgegeben werden können. Zudem sind jedoch Fortschritte hinsichtlich der Absicherung von Opfern in Bezug auf Schutz, soziale und berufliche Wiedereingliederung, die Möglichkeit, einem Kundenbestand vorzubeugen – worüber wir sehr ernsthaft nachdenken müssen –, und weitere tiefgreifende und wirksame Strafmaßnahmen erforderlich, die, wie Sie bereits sagten, Herr Kommissar, auf EU-Ebene harmonisiert werden müssen.
Insbesondere fordern wir, dass angesichts des hohen Ausmaßes an Erpressung, das mit diesen Sachverhalten einhergeht, die Zustimmung von Opfern zu ihrer Ausbeutung als irrelevant erachtet wird.
Ich werde meine Rede beenden, möchte jedoch nur kurz Folgendes hinzufügen: Nicht nur der spezielle Schutz von Minderjährigen ist gefragt, sondern vor allem auch Unterstützungsprogramme für Personen, die nach Europa kommen und bereits zuvor auf ihren immer länger und immer tragischer werdenden Reisen, die sie hinter sich gebracht haben, bevor sie unsere Küsten und unsere Staatsgebiete erreichen, Opfer des Menschenhandels geworden sind.
Antonyia Parvanova (ALDE). – (BG)Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch ich möchte den Berichterstatterinnen, der Kommission und dem spanischen Ratsvorsitz zu ihrem Mut gratulieren, der uns endlich in die Lage versetzt, eine tragfähige Lösung für dieses Problem zu finden. Es ist äußerst wichtig für uns, dass darüber nachgedacht wird, auf Ebene der Europäischen Union eine dauerhafte Politik in Bezug auf den Menschenhandel festzulegen. Eine solche Politik wird zu einem koordinierteren Vorgehen beitragen und die Wirkung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Rechtsdurchsetzung und dem Schutz und der Unterstützung, die den Opfern dieser Art des Menschenhandels bereitgestellt werden, erhöhen.
Die Ernennung eines EU-Koordinators für die Bekämpfung des Menschenhandels, der unter der direkten Aufsicht des Kommissars für Justiz, Grundrechte und Unionsbürgerschaft steht, wird gewährleisten, dass bei der Bekämpfung dieser schweren Straftat alle Mitgliedstaaten einen einzigen, kohärenten politischen Ansatz verfolgen. Aufgabe des Koordinators wird es sein, die Probleme und Ursachen von Menschenhandel einzugrenzen, präventive Maßnahmen zu implementieren, Strategien, einschließlich aktiver Kooperation und Absprache mit zivilgesellschaftlichen Vertretungen, auf europäischer Ebene zu entwickeln und durchzusetzen sowie die Organisation von Informationskampagnen und die Einführung von Maßnahmen, um den Schutz für und die Bereitstellung von Hilfemaßnahmen für Opfer zu erhöhen und sie auch bei ihrem Wiedereingliederungsprozess zu begleiten.
Um dieses weltweite, länderübergreifende Problem erfolgreich bekämpfen zu können, ist auf europäischer Ebene eine koordinierte Strategie erforderlich, die den Mitgliedstaaten bei ihren gemeinsamen Bemühungen zur effektiven Eindämmung des Menschenhandels Geleit und Unterstützung bietet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Marina Yannakoudakis (ECR). – Jemand, der das Eigentum eines Dritten und ein unter einem dominierenden Einfluss stehendes schutzloses Opfer ist – es sei Ihnen verziehen, wenn Sie dies für die Definition des Menschenhandels halten. Denn tatsächlich ist es die Begriffsbestimmung der Sklaverei.
Der Menschenhandel ist die heutige Sklaverei. Der Handel mit Menschen, ob Frauen, Männer oder Kinder, stellt eine strafbare Handlung dar, die in allen Mitgliedstaaten zunimmt. Extreme Armut, das Auseinanderbrechen von Familien und häusliche Gewalt sind einige der grundlegenden Ursachen des Menschenhandels. Wir gehen davon aus, dass es im Vereinigten Königreich 5 000 Opfer gibt, von denen 330 Kinder sind.
Die EKR-Fraktion begrüßt diese Aussprache. Nationale Regierungen, Strafverfolgungs- und Grenzkontrollbehörden müssen zusammenarbeiten. Unterstützungsmechanismen für Opfer müssen verstärkt werden. Initiativen müssen energisch sein, von den Mitgliedstaaten ausgehen und von der EU unterstützt werden.
Eva-Britt Svensson (GUE/NGL). – (SV) Wenn keine Nachfrage danach bestünde, Menschen als billige Arbeitskräfte auszubeuten, wenn es keine Nachfrage nach Organen gäbe, wenn es keine Nachfrage nach dem Kauf sexueller Dienstleistungen gäbe – dann, in einer solchen Welt gäbe es auch keinen Handel mit Menschen.
Bei der Bekämpfung des Menschenhandels ist die Nachfrage ein Schlüsselbegriff. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass in vielen Teilen der Welt die Menschen in Armut und unter inhumanen Bedingungen leben müssen, was dazu führt, dass sie leicht denjenigen zum Opfer fallen können, die Menschen kaufen und verkaufen.
Daher müssen nicht nur Anstrengungen unternommen werden, um die Nachfrage zu reduzieren, sondern natürlich auch präventive Maßnahmen in Form von verbesserten Lebensbedingungen für viele Menschen in den Teilen der Welt, in denen die Opfer angeworben werden.
Zusammen mit der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke möchte ich Frau Hedh und Frau Bauer und ihren Kollegen im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter danken. Ich wünsche mir jedoch auch einige differenzierte Vorschläge dazu, wie wir die Opfer des Menschenhandels unterstützen können. Die Opfer der Zwangsarbeit benötigen andere Maßnahmen und Unterstützungsleistungen als diejenigen, die Opfer des Sexhandels sind.
Teresa Jiménez-Becerril Barrio (PPE). – (ES) Laut eines Berichts der Vereinten Nationen gab es 2009 innerhalb der Europäischen Union 270 000 Opfer des Menschenhandels. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen müssen wir gewährleisten, dass die Aktion der Europäischen Union in erster Linie auf dem Opferschutz gründet, wobei ein besonderes Augenmerk der Situation von Frauen und Kindern als den schutzbedürftigsten Personen gelten muss.
Wir können nicht weiter dabeistehen und gleichgültig diesem Schauspiel zusehen, dieser Begleiterscheinung der sexuellen Ausbeutung, die sich vor unseren Augen abspielt. Aus diesem Grund unterstütze ich in allen Punkten die Forderungen des Parlaments, dass die Opferhilfe nicht an Bedingungen geknüpft sein sollte und konsequentere Methoden und härtere Strafmaßnahmen angenommen werden müssen, wie Herr Barrot uns gerade sagte.
Ich möchte den spanischen Ratsvorsitz, die Europäische Kommission und den Rat auffordern, alle ihnen zur Verfügung stehenden europäischen Rechtsvorschriften bestehender als auch künftiger Gesetzgebung einzusetzen, um die Opfer des Menschenhandels zu schützen. Meiner Ansicht nach wird das eingebrachte europäische Opferschutzprogramm, das ich während der Aussprachen zum Stockholmer Programm persönlich vom spanischen Ratsvorsitz eingefordert habe und das nun endlich verwirklicht wurde, ein wirksames Instrument sein, um solche Verbrechen zu bekämpfen. Ich hoffe darauf, dass sich der spanische Ratsvorsitz, wie zuvor, fest zu der Gewährleistung verpflichtet, dass dieses System den Opfern besondere Schutzmaßnahmen bietet, die eine EU-weite Wirkung haben werden.
Ich hoffe, dass wir, die wir dafür verantwortlich sind, Maßnahmen gegen die schlimmsten Probleme in unserer Gesellschaft zu ergreifen, konkret und nachdrücklich auf dieses extrem gravierende Problem des Menschenhandels reagieren und dass unsere Worte keine leeren Versprechungen sein werden. Das sind wir den Opfern schuldig.
Monika Flašíková Beňová (S&D). – (SK) Zunächst möchte ich meinen Kolleginnen im Parlament, Frau Hedh und Frau Bauer, meine Wertschätzung aussprechen, denn trotz des begrenzten Raums, der ihnen zur Verfügung stand, haben sie dieses Thema sehr umfassend behandelt.
Ich unterstütze die Anfrage und möchte einige sachliche Feststellungen und Anmerkungen hinzufügen. Der Normalbürger hat für gewöhnlich keine Vorstellung davon, in welchem Ausmaß der Menschenhandel betrieben wird. Dabei liegt er beim weltweiten illegalen Handel gemessen an den Einnahmen an dritter Stelle. Die Tatsache, dass in den meisten Fällen Frauen und Kinder betroffen sind, macht dieses enorme Geschäft noch unmenschlicher. Wir müssend darauf umfassend und gezielt antworten. Unser Kampf muss gleichermaßen wirksam auf alle drei Seiten des Menschenhandels gerichtet sein – er muss auf das Angebot und die Nachfrage sowie auf die Menschenhändler selbst abzielen. Ein Angebot besteht insbesondere dort, wo inhumane Lebensbedingungen, Armut und deren Feminisierung, Arbeitslosigkeit, Gewalt gegen Frauen, allgemeine Unterdrückung und Instabilität herrschen, die verzweifelte Menschen hervorbringen. Es muss daher alles in unserer Macht stehende unternommen werden, um den Menschen, die dem verbrecherischen Handel innerhalb und außerhalb der Union zum Opfer fallen, dabei zu helfen, ein menschenwürdigeres Leben zu führen.
Für die Nachfrageseite sind strenge Sanktionen gefordert. Diejenigen, die von der Ausbeutung hoffnungsloser und manipulierter Menschen innerhalb der Schattenwirtschaft profitieren, dürfen nicht unbestraft bleiben. Diejenigen, die solche Dienste bereitstellen und diejenigen, die diese bewusst nachfragen, sollten auch geahndet werden.
Schließlich verdienen die Betreiber von Menschenhandel eine exemplarische Strafe – das organisierte Verbrechen in diesem Bereich muss für Organisationen wie EUROJUST, EUROPOL und FRONTEX ein vorrangiges Ziel darstellen.
Cecilia Wikström (ALDE). – (SV) Wie viele in diesem Haus bereits betonten, wurde die Sklaverei noch nicht abgeschafft. Die moderne Sklaverei, die die Form des Sexhandels annimmt, ist genau hier und jetzt eine Realität. Die Körper von Frauen, Mädchen und Jungen werden verkauft wie Stücke Fleisch, genau wie jede andere Ware, und das pausenlos.
Menschen werden ihrer grundlegendsten Menschenrechte beraubt und werden in unseren verschiedenen Mitgliedstaaten zu den Sklaven unserer Zeit. Dies sollte als das größte Scheitern und das größte Defizit Europas angesehen werden, auf das mit einer Einschränkung und Beseitigung von sowohl Angebot als auch Nachfrage reagiert werden muss.
In meinem Heimatland Schweden trat vor zehn Jahren ein Gesetz in Kraft, nach dem der Kauf von Sex illegal ist. Dieses Gesetz ist wichtig, denn dadurch macht die Gesellschaft deutlich, dass Menschen keine Ware sind. Der Sklavenhandel nach Amerika wurde 1807 als illegal erklärt, doch er wird mitten im Herzen unseres Europas weiter betrieben. Es ist an der Zeit, dass er in den finsteren Tiefen der Geschichte begraben wird. Es liegt heute in unserer Verantwortung, alles Erdenkliche dagegen zu unternehmen, und ich möchte den Verfasserinnen Frau Hedh und Frau Bauer für ihre ausgezeichnete Arbeit danken, die uns allen zugute kommt.
Ryszard Czarnecki (ECR). – (PL) Herr Präsident, vor einigen Minuten hat die Vertreterin der Grünen Partei sehr zu Recht betont, dass es sich bei dieser Angelegenheit – Menschenhandel oder der Verkauf von Menschen – nicht um ein externes Problem handelt, das von der Europäischen Union importiert wird. Der Menschenhandel ist auch ein internes Problem. Auch Bürger meines Heimatlandes werden an zahlreiche Mitgliedstaaten der Europäischen Union verkauft. Dies ist ein sehr bedeutendes und gravierendes Problem. Ich vertrete die Überzeugung, dass diesbezüglich ein konsequentes und gemeinsames Vorgehen erforderlich ist, das nicht nur von den Gemeinschaftsorganen, sondern auch von jedem einzelnen Mitgliedstaat ausgehen muss. Ich möchte an diesem Ort an einen Zwischenfall erinnern, der sich vor ein paar Jahren ereignet hat: Die italienische Polizei und Behörde hatte in Reaktion auf verschiedene Informationen, die ihr aus Polen zugegangen waren, Fällen von Menschenhandel ein Ende gesetzt, in denen polnische Arbeitskräfte illegal in Italien beschäftig wurden. Auch dies ist Menschenhandel, was nicht verschwiegen werden sollte.
Zuzana Roithová (PPE). – (CS) Meine Damen und Herren, jedes Jahr werden über eine Million Menschen als Sklaven ausgebeutet, von denen 90% für sexuelle Dienstleistungen missbraucht werden. Lediglich 3 000 Opfer habe Hilfe erhalten und, obwohl es sich EU-weit um eine strafbare Handlung handelt, wurden nur 1 500 Fälle vor Gericht gebracht. Untersuchungen zufolge übersteigen die Profite aus Menschenhandel die Gewinne, die mit Drogenschmuggel und Drogenhandel erzielt werden. Diese Art von organisiertem Verbrechen hat mit der Erweiterung der Union nach Osten zugenommen. Und trotzdem verfügen wir nicht über eine gemeinsame Strategie und es gibt keine Koordinierung der Maßnahmen, die von den verschiedenen Institutionen unternommen werden. Die Mitgliedstaaten sollten sich nicht der Harmonisierung ihrer Rechtsvorschriften widersetzen, obwohl dies nicht in den Verträgen verankert wurde.
Ich bitte daher den spanischen Ratsvorsitz, die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten über die gemeinsamen Festlegungen von Strafen und Sanktionen zu einem Abschluss zu führen. Ich möchte betonen, dass die neue von uns erwartete Richtlinie auch effizienter gegen die Nachfrage nach illegalen sexuellen Dienstleistungen vorgehen sollte. Es ist erschreckend, dass insbesondere der Missbrauch von Kindern zugenommen hat. Für Kinder liegt die Zahl bei fast 20%. Was zudem fehlt, ist eine wirksame Prävention und Unterrichtung von sowohl Kinder als auch Eltern. Wissen Sie, dass lediglich 4% der Eltern, deren Kinder missbraucht wurden, zugeben, dass ihre Kinder über das Internet zu Treffen gelockt wurden? Im Jahr 2008 wurden 1 500 Websites entdeckt, die den sexuellen Missbrauch von Kinder darstellten. Wir sind den Bürgern der Europäischen Union ohne Frage eine neue, koordinierte Vorgehensweise und eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften schuldig, um die Nachfrage und natürlich den Menschenhandel selbst zu bekämpfen. Ich fordere die Kommission daher dringend auf, dem Europäischen Parlament in möglichst kurzer Zeit einen umfassenden Gesetzesentwurf für die wirksamere Bekämpfung des Menschenhandels vorzulegen.
Britta Thomsen (S&D). – (DA) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte den Verfasserinnen für diese wichtige Initiative danken, da die EU bei der Prävention und Bekämpfung des Menschenhandels vor einer enormen Herausforderung steht. Der Menschenhandel ist ein rasch wachsendes lukratives Geschäft, dessen Attraktivität darauf zurückzuführen ist, dass die Strafen im Vergleich zu anderen einnahmeträchtigen Formen des organisierten Verbrechens wie Drogen- und Waffenhandel milder ausfallen. Folglich müssen wir gegen diejenigen energisch vorgehen, die hinter diesen Machenschaften stecken.
Bei den Opfern des Menschenhandels handelt es um die am meisten gefährdetsten und schutzlosesten Personen, und sie brauchen unseren Schutz. Wir dürfen sie nicht zurück in die Arme der Menschenhändler treiben, sondern müssen ihnen einen Aufenthaltstitel gewähren. Darüber hinaus muss unser Augenmerk auf der Nachfrage nach den Diensten liegen, die von verkauften Menschen erbracht werden, und es müssen eine Vielzahl von Maßnahmen umgesetzt werden, zu denen unter anderem die Kriminalisierung des Kaufs von Prostitution und die Verhängung höherer Sanktionen gegen Menschen gehören, die Zwangsarbeiter ausnutzen. Ich freue mich daher, dass die Kommission die Kriminalisierung des Missbrauchs von gehandelten Menschen in Erwägung zieht.
Vilija Blinkevičiūtė (S&D). – (LT) Kürzliche Geschehnisse in Litauen, bei denen eine organisierte Bande verhaftet wurde, die vom Menschenhandel profitiert hatte, zeigen erneut auf, dass dieses Verbrechen ein weitverbreitetes Phänomen ist, das sich mit der Wirtschafts- und Finanzkrise weiter verschärft hat. Rund 90% der Opfer des Menschenhandels sind aktuell Frauen und Kinder, von denen der Größteil zu Opfern werden, weil sie unter Armut leiden und Wege und Mittel suchen, um überleben zu können. Menschenhandel ist ein widerwärtiges Verbrechen und eine extreme Demütigung der menschlichen Würde. Es gibt nichts Schlimmeres, als in die Sklaverei verkauft zu werden. Es ist daher äußerst wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit Drittländern weiter gefestigt wird, um den Dialog mit Nichtregierungsorganisationen zu ermöglichen und die Kommission aufzufordern, das Amt eines europäischen Koordinators in dieser Angelegenheit einzurichten. Zudem muss die Sicherheit von Opfern des Menschenhandels und ihre vollständige Integration gewährleistet werden. Die Komplizen, Organisatoren und Sponsoren dieses furchtbaren Verbrechens müssen zur Verantwortung gezogen werden.
Miroslav Mikolášik (PPE). – (SK) Ich möchte den Verfasserinnen dieser Anfrage Frau Hedh und Frau Bauer gratulieren. Der Menschenhandel stellt eine der einträglichsten Formen des internationalen organisierten Verbrechens dar. Einer Vielzahl von Berichten und Quellen zufolge wird sein Ausmaß weltweit auf 700 000 bis 2 Millionen Personen geschätzt, wobei andere Zahlen noch darüber hinausgehen. In der Europäischen Union fallen allein 300 000 bis 500 000 Personen dem Menschenhandel zum Opfer.
Die geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen scheinen unzureichend. Eine baldige Verabschiedung wirksamer Maßnahmen, um die Prävention und Repression des Menschhandels zu stärken, hat daher meine volle Unterstützung. Härtere Strafen sollten sowohl für die direkten Täter, zu denen auch juristische Personen gehören, als auch für die Nutzer dieser von Opfern erbrachten Dienste verhängt werden. Andererseits bin ich fest davon überzeugt, dass ein hohes Schutzniveau zusammen mit gerechter und angemessener Entschädigung für die Opfer bereitgestellt werden muss, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie sich befinden oder das Verbrechen begangen wurde. Der Schutz, die Unterstützung und die Hilfeleistungen, die beigebracht werden, dürfen nicht zu einer sekundären Viktimisierung führen. Zudem sollten den Bestimmungen hinsichtlich Minderjährigen, die aufgrund ihrer Verwundbarkeit und Leichtgläubigkeit leicht zu Opfern werden, besondere Beachtung geschenkt werden.
Ich möchte abschließend hinzufügen, dass der Menschenhandel häufig zum Zweck der Organentnahme betrieben wird.
Karin Kadenbach (S&D). - Herr Präsident! Es ist ganz wesentlich, dass wir das Thema Menschenhandel heute hier behandeln, weil dies ein Thema ist, das nach wie vor tabuisiert wird und weil leider in unserer sehr hoch entwickelten Gesellschaft gerade Frauen sehr häufig Opfer dieses Menschenhandels werden. Ich denke vor allem an den Bereich der Prostitution, aber auch an Kinder. Das wollen wir sehr häufig nicht sehen. Für eine gelungene Aktion gegen diesen Menschenhandel brauchen wir im Vorfeld die Aufklärung, die Sensibilisierung, und wir werden später auch Geld benötigen. Das sollten wir von Anfang an in die Überlegungen mit hineinnehmen, denn es kann nicht nur Ziel sein, die Täter dingfest zu machen und einer gerechten Strafe zuzuführen, sondern wir müssen auch danach trachten, dass Opferschutz so gelebt wird, dass die Opfer nicht ein zweites Mal Opfer werden, sondern dass wir auch die Geldmittel haben, um sie resozialisieren zu können. Dass wir Kindern die Traumatisierungen, die sie erfahren haben, nehmen, und dass wir die Frauen in erster Linie in unsere Arbeitswelt, in eine legale Arbeitswelt, integrieren.
Catherine Bearder (ALDE). – Herr Präsident, europäische Maßnahmen zu diesem Problem sind seit Langem überfällig. Ich war daher sehr erfreut, die Ausführungen von Herrn López Garrido zu Kindern, die des Kommissars und heute Morgen die der designierten Kommissarin Malmström zu hören, die beabsichtigt, eine neue Richtlinie auf diesem Gebiet als eine Priorität voranzubringen.
Ich möchte den Rat und die Kommission dringend bitten, sich um die Unterstützungsprogramme für Opfer zu kümmern, wobei den speziellen Bedürfnissen verkaufter Kinder, deren Anforderungen erheblich von denen verkaufter Erwachsener abweichen, besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte. Im Vereinigten Königreich wurden allein im vergangenen Jahr 325 Kinder identifiziert, die vermutlich Opfer des Menschenhandels geworden sind. Bei vielen handelte es sich um britische Bürger, die innerhalb Großbritanniens verkauft wurden und nicht etwa aus externen Quellen, wenn ich mir diesen Ausdruck erlauben darf, stammen.
Selbst in meiner Region gab es Kinder, die verkauft wurden. Doch selbst nach einer Registrierung bei den Sozialeinrichtungen mussten wir feststellen, dass viele verkaufte Kinder einfach verschwanden, weil sie weiterhin unter dem Einfluss ihrer Händler stehen. Für sie ist es ein Leichtes, erneut mit diesen Kindern Handel zu treiben. Dieses Phänomen ist in der gesamten EU verbreitet und muss unterbunden werden. Verkaufte Menschen haben keine Stimme und sind schutzbedürftig. Sie vertrauen darauf, dass die Europäische Union sich für sie stark macht, diesem grausamen Verbrechen ein Ende setzt und für sie Sorge trägt.
Franz Obermayr (NI). - Herr Präsident! Bettelei, Prostitution, Diebstahl, Einbruch – zu solchen und ähnlichen üblen Tätigkeiten werden Menschen – vor allem Frauen und Kinder – durch Menschenhändler und Schlepperbanden genötigt. Es handelt sich dabei um schwer überwachbare Kriminalität mit einer hohen Dunkelziffer. An dieser Stelle möchte ich auch festhalten, dass mein Heimatland Österreich als beliebtes Transit- aber auch Zielland davon besonders betroffen ist. Wir müssen daher zur Kenntnis nehmen, dass die große Mehrheit der Schlepperbanden vom ost- bzw. südosteuropäischen Raum aus in Richtung Mitteleuropa agiert, dass die Opfer nicht nur in Drittländern rekrutiert werden, sondern auch aus den Mitgliedstaaten selbst kommen. Fakt ist, dass wir auch eine Steigerung dieser Vorfälle zu verzeichnen haben und die Kontrolle unserer Außengrenze kaum funktioniert.
Angesichts dieser Entwicklung und der überprüfbaren Tatsache, dass oft in Bussen eingereist wird – ein Tourismus der Kriminalität –, stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, neben dem Erstellen von Berichten durch Europol, Frontex etc. unter diesen Umständen in den betroffenen Grenzregionen die Grenzkontrollen wiedereinzuführen und Schengen notfalls befristet auszusetzen.
Anna Záborská (PPE). – (SK) Ich gratuliere den Verfasserinnen zu der eingebrachten Anfrage und Ihnen, Herr Kommissar, zu Ihrer Antwort.
Ich möchte verstärkt auf eines der vielen Themen eingehen, die mit dieser Problematik verbunden sind. Im Entwurf der Entschließung wird ausgeführt, dass Kinder besonders anfällig sind und daher stärker Gefahr laufen, Opfer des Menschenhandels zu werden. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass 79% der identifizierten Opfer des Menschenhandels Frauen und Mädchen sind. Es wird jedoch nicht erwähnt, dass Eltern eine vorrangige Rolle beim Schutz von Kindern vor dem Menschenhandel zukommt. Eltern wissen häufig nicht einmal, welchen Gefahren ihre Kinder ausgesetzt sind, oder interessieren sich in keiner Weise dafür, wie ihre Kinder die Freizeit verbringen. Im Rahmen der Prävention habe ich wiederholt eine europaweite Kampagne vorgeschlagen mit dem Slogan: „Wissen Sie, wo sich Ihr Kind gerade aufhält?” („Do you know where your child is now?”) Diese Kampagne soll Eltern auf die Gefahren aufmerksam machen, denen ihre Kinder ausgesetzt sind. Meine feste Überzeugung ist, dass wir Kinder nur vor dem Menschenhandel schützen können, wenn wir mit Eltern zusammenarbeiten. Leider werden Eltern in diesem Entschließungsentwurf mit keinem Wort erwähnt.
Artur Zasada (PPE). – (PL) Herr Präsident, im Rahmen der heutigen Aussprache ist es notwendig, das Augenmerk auf drei besonders zu beachtende Fragen zu richten. Es werden zu wenige Verbrecher vor Gericht gestellt. Trotz der zahlenmäßigen Zunahme von Gerichtsverfahren in Bezug auf Menschenhandel ist ihre Anzahl weitaus geringer als die Zahl der begangenen Verbrechen.
Die Opfer erhalten nicht in angemessenem Umfang Unterstützung, Schutz oder Entschädigung. Unter Berücksichtigung des geschätzten Ausmaßes des Menschenhandels in Europa muss festgehalten werden, dass nur einige Länder Maßnahmen ergriffen haben, die als wirkliche Reaktion darauf angesehen werden können.
Drittens wird die Lage nicht ausreichend überwacht. Diese Problematik betrifft ganz offensichtlich nicht nur die Europäische Union. Daher ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Union noch enger mit den jeweiligen internationalen Organisationen zusammenarbeitet, um einen neuen Standard im Kampf gegen dieses schrecklich gefährliche Phänomen aufzustellen.
Diego López Garrido, amtierender Präsident des Rates. – (ES) Ich denke, dass mit dieser ausgedehnten Aussprache verstärkt darauf hingewiesen werden konnte, dass wir mit einer erheblichen Problematik konfrontiert sind, die uns vor eine große Herausforderung stellt. Ich bin erfreut darüber, dass diese Aussprache genau an dem Tag stattfindet, an dem ich zum ersten Mal vor dem Europäischen Parlament spreche, was zweifellos eine Ehre ist. Ich bin froh, dass dies im Rahmen dieser zwei wichtigen Aussprachen geschehen ist, die heute Abend in diesem bedeutenden und mächtigen Parlament stattgefunden haben.
Meiner Ansicht nach reicht es nicht aus, lediglich auf diese weitreichende Problematik zu verweisen oder darüber nachzudenken. Stattdessen müssen wir sie mit aller Macht angehen, denn es handelt sich hierbei um ein sehr gravierendes Problem und der Feind, dem wir gegenüber stehen, ist sehr stark. Eine große politische Bereitschaft ist daher erforderlich, um dieses Problem bewältigen zu können. Heute Abend in diesem Haus wurde dieser große politische Wille zum Ausdruck gebracht. Und wie! Ich kann Ihnen zusichern, dass der spanische Ratsvorsitz seine Mittel einsetzen wird, um zusammen mit allen anderen europäischen Institutionen dieses Problem in Angriff zu nehmen.
Zudem können wir wohl sagen, dass diese Problematik aus europäischer Perspektive angegangen werden muss. Sie haben sehr deutlich darauf hingewiesen, wie sich die Lage in Europa darstellt. Frau Hirsch machte sehr deutlich darauf aufmerksam, und Herr Papanikolaou und Frau Parvanova sprachen über den grenzübergreifenden Aspekt der Angelegenheit. Es geschieht in Europa, weshalb wir es von Europa aus angehen müssen. Es wurde viele Male wiederholt und auch ich weise erneut darauf hin, dass es wichtig ist, dass die Kommission schnellstmöglichst eine Richtlinie einbringt, um das Problem unter diesem Gesichtspunkt anzugehen. Ich glaube, Frau Roithová hat dies in ihrer Rede auf eine sehr einfache Formel gebracht.
Die drei Hauptaspekte, die wir in der Verordnung, die Europa ausgeben wird, und in der Arbeit, die Europa ausführen wird, abdecken und hervorheben müssen, sind die folgenden: Der erste Aspekt ist der Opferschutz. Der Opferschutz ist ein zentraler Aspekt und wurde in diesem Haus heute Abend am meisten diskutiert. Die Verfasserinnen der Anfrage, Frau Sargentini, Frau Ernst, Frau Thomsen und andere Redner haben auf die Bedeutung des Opferschutzes hingewiesen, der sich in erster Linie auf Frauen und Kinder – den schutzbedürftigsten Personen – beziehen muss. Frau Jiménez-Becerril Barrio, Frau Kadenbach und Frau Bearder haben wortgewandt der Erfordernis Ausdruck verliehen, ein Opferschutzprogramm einzuführen, das ein wesentliches Instrument und für den spanischen Ratsvorsitz eine Priorität darstellt.
Der Opferschutz steht also an erster Stelle. Zweitens müssen wir die Menschenhändler unermüdlich verfolgen und mit drakonischen Strafen belegen. Und drittens muss das Thema der Nachfrage nach diesen Dienstleistungen berücksichtigt werden. Die Inangriffnahme dieses Aspekt wird sich schwierig gestalten, doch er ist Teil des Problems und muss daher als einer der drei Hauptaspekte miteingeschlossen werden, auf denen meiner Ansicht nach ein globaler Ansatz basieren muss. Wie ich zuvor ausführte, meine Damen und Herren, engagiert sich der spanische Ratsvorsitz auch in Zukunft mit allen Mitteln für ein Thema wie diesem, das von solch übergeordneter Bedeutung ist.
Jacques Barrot, Vizepräsident der Kommission. – (FR) Herr Präsident, für meine Begriffe hat diese Aussprache erheblich dazu beigetragen, die Vorbereitung der zukünftigen Richtlinie zu klären, und ich kann natürlich dem Minister bestätigen, dass die Kommission beabsichtigt, diese im Frühling vorzustellen.
Ich möchte mich den Ausführungen von Herr Moraes mit den Worten anschließen, dass wir die modernsten Mittel im Kampf gegen diese Geißel einsetzen müssen, die häufig auch unter Verwendung der modernsten Methoden betrieben wird, und dass wir gegen alle Formen von Ausbeutung massiv vorgehen müssen.
Herr Minister, Sie sprachen diesbezüglich von drei Pfeilern: den Opfern, der Härte der Sanktionen und der Problematik der Nachfrage. Ich möchte verstärkt auf das Thema der Opfer und des Opferschutzes hinweisen, da wir in unserem Rahmenbeschluss bereits bedingungslose Unterstützung für alle Opfer, Straffreiheit und Anspruch auf Rechtshilfe ausgehandelt haben. Darüber hinaus wollen wir uns in der zukünftigen Richtlinie mit Unterkunft, medizinischer und psychologischer Behandlung, Beratung und Information in einer Sprache, die von dem Opfer verstanden wird, und alle anderen Arten von zusätzlichen Unterstützungsleistungen befassen.
Als Antwort auf Frau Záborská möchte ich hinzufügen, dass, soweit dies Kinder als Opfer des Menschenhandels betrifft, sich die Kommission mit Fragen in Verbindung mit dem Vorbeugen dieser Geißel sowie mit dem Schutz, der Rückführung und der Wiedereingliederung dieser Kinder in einem Aktionsplan befassen wird, dessen Thema die Situation von Minderjährigen ohne Begleitung sein wird. Übrigens, Herr Minister, hat sich auch der spanische Ratsvorsitz deutlich hierfür ausgesprochen.
Dieser Aktionsplan wird daher nach seiner Vorlage vom Kollegium im Frühjahr 2010 verabschiedet und kann dann im Weiteren vom Rat und dem Europäischen Parlament überprüft werden. In diesem Aktionsplan werden zahlreiche Aktionsbereiche ermittelt, um die wichtigsten Herausforderungen anzugehen, vor die uns dieses Phänomen stellt. Betroffen sind Minderjährige ohne Begleitung, die aus verschiedenen Gründen in die Europäische Union einreisen, wobei das Leitprinzip das beste Interesse des Kindes sein wird.
Frau Záborská hat aber ebenfalls Recht: Die Familien müssen verstärkt in die Aufsicht miteinbezogen werden, vor allem bei der Nutzung des Internets, das Kinder neuen Gefahren aussetzt.
Genau wie Sie sagten, Herr Minister, besteht im Europäischen Parlament ein politischer Wille. Ich denke, die Kommission hat bereits gute Vorarbeit in Bezug auf diesen Richtlinienentwurf geleistet. In Kürze wird sie ihn einbringen, und ich möchte dem Europäischen Parlament dafür danken, dass es nicht nur seine volle Unterstützung anbietet, sondern auch eine ganze Reihe von sehr interessanten Gedanken, die in dieser Aussprache sichtbar geworden sind. Ich möchte nochmals allen Rednern danken. Ich bin davon überzeugt, dass dem Europäischen Parlament eine entscheidende Rolle beim Kampf gegen diese verherrende Geißel zukommt.
Präsident. – Die Aussprache ist beendet.
Die Stimmabgabe findet in der Sitzungsperiode im Februar I statt.
Schriftliche Erklärungen (Artikel 149)
Liam Aylward (ALDE), schriftlich. – (GA) Diejenigen, die am Menschenhandel beteiligt sind, machen keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen oder Kindern, solange sie aus dem Handel mit ihnen Gewinne schlagen können. Kinder sind häufig am meisten in Gefahr. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind von Kinderarbeit gegenwärtig rund 218 Millionen Kinder betroffen. Es ist jedoch unmöglich, dies präzise zu beziffern, da diese Kinder für Prostitution, Sklaverei, Zwangsarbeit und so weiter genutzt werden, Bereiche also, für die keine genauen Zahlen vorliegen. Die EU muss den Menschenhandel im Arbeitsmarkt dringend angehen. Ich halte es für ermutigend, dass diese Frage eine Priorität des spanischen Ratsvorsitzes darstellt, und ich hoffe, dass die Mitglieder des Rates zusammenarbeiten werden, um Themen in Bezug auf Menschenhandel und Kinderarbeit in den Mittelpunkt der EU-Gesetzgebung zu rücken, und vor allem, um diese Fragen im Rahmen von Handelsabkommen zu behandeln. Aufgrund ihrer wichtigen Rolle in Angelegenheiten des Welthandels und ihrer Verpflichtung für den Schutz von Menschenrechten, steht die EU in der Verantwortung, den Menschenhandel und die Kinderarbeit zu bekämpfen.
Nessa Childers (S&D), schriftlich. – Der Handel mit Menschen ist überall auf der Welt beklagenswert. Aufgrund unseres hohen Maßes an interner Kooperation und Ressourcen ist er jedoch besonders skandalös in der Europäischen Union. Der Handel mit jungen Frauen für deren Ausbeutung im Sexhandel ist in erster Linie ein Relikt der fragmentarischen Vergangenheit Europas und muss zu einem Aspekt der europäischen Geschichte werden. In dieser Hinsicht muss sich die Union über die fünfjährige Amtszeit der neuen Kommission verpflichten, die Grenzsicherheit zu erhöhen und nationale Regierungen zu ersuchen, verstärkt im Kampf gegen den Sexhandel aktiv zu werden, insbesondere, wenn dies junge Frauen betrifft, die in einem anderen Land gekauft wurden. Es gibt in den meisten Ländern Gesetze, sie werden jedoch nicht durchgesetzt.
Vasilica Viorica Dăncilă (S&D), schriftlich. – (RO) Das Tempo, mit dem diese Aussprache so kurz nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon initiiert wurde, ist nicht nur aus Perspektive der Gesetzgebung günstig, sondern zudem eine absolute Notwendigkeit, die von einer Situation bestimmt wird, die sich durch die Wirtschaftskrise weiter verschärft hat. Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde Zukunftsaussichten für junge Leute, der Mangel an präzisen Informationen über die verbundenen Gefahren und das Fehlen von grundlegender Aufklärung gehören zu den Faktoren, die erheblich zur Gefährdung der potenziellen Opfer beitragen. Meiner Ansicht nach ist eine schonungslose Kampagne erforderlich, insbesondere unter Minderjährigen aus benachteiligten Gebieten und Gruppen, um die Effizienz präventiver Maßnahmen zu steigern. Der Handel mit Frauen kann nicht gesondert bekämpft werden, ohne dass energische Maßnahmen zur Bekämpfung krimineller Aktivitäten und Netzwerke erwogen werden, die den Handel, der in den Regionen des Balkans und des Mittelmeers sehr ausgeprägt ist, kontrollieren. Ich möchte unterstreichen, dass Maßnahmen erforderlich sind, um die Höhe der Nachfrage nach Prostitution als größtes Folgeproblem zu reduzieren, indem Strafmaßnahmen für Kunden verabschiedet werden. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass für die Programme zur Bekämpfung des Menschenhandels vermehrt finanzielle Mittel erforderlich sind. Ich fordere die Annahme rigoroser Strafgesetze und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den zuständigen europäischen Institutionen: Europol, Frontex und Eurojust.
Kinga Göncz (S&D), schriftlich. – (HU)Obwohl zwei europäische Rechtsakte gegenwärtig in Kraft sind, die sich mit dem Menschenhandel und dessen Opfern befassen, erachten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union diese Personen in der Praxis häufig als illegale Einwanderer. Es ist sehr wichtig, hier einen Unterschied zu machen. Illegale Einwanderer sind häufig gezwungen, ihr Heimatland aufgrund finanzieller oder sozialer Umstände zu verlassen, und betreten das europäische Gebiet illegal als Ergebnis ihrer eigenen Entscheidung. Die vom Menschenhandel betroffenen Personen haben diesbezüglich keine freie, informierte Entscheidung getroffen. Sie müssen ausschließlich als Opfer behandelt werden.
Die EU-Mitgliedstaaten müssen den Opfern angemessenen Schutz bieten. Ihnen sollte nicht nur rechtlicher und körperlicher Schutz gewährt werden, sondern zudem medizinische und psychologische Hilfe, soziale Wiedereingliederung, und denjenigen, die mit den Behörden zusammenarbeiten, sollte über die Dauer der Ermittlung des Menschenrechtsverfahren Aufenthaltstitel gewährt werden. Darüber hinaus sollte die Kommission unbedingt im Rahmen von Informationskampagnen dazu beitragen, dass all diejenigen, die gefährdet sein können, über ihre Rechte, Möglichkeiten und die Gefahren, die in der EU und in Drittländern bestehen, in Kenntnis gesetzt werden, und die Kommission sollte alles in ihrer Macht stehende tun, um die ordnungsgemäße Übertragung und Implementierung der betreffenden europäischen Rechtsvorschriften durch die Mitgliedstaaten sicherzustellen. Angesichts der Tatsache, dass der Menschenhandel in den Zuständigkeitsbereich mehrerer Kommissare fällt, wie unter anderem der Kommissare für Justiz, Freiheit und Sicherheit, für Außenbeziehungen und für Beschäftigung, für Soziales und Chancengleichheit, wäre es angebracht, die Ernennung eines Koordinators der Portfolios in Erwägung zu ziehen, der eine effektive Verbindung darstellen könnte, um die angemessene Handhabung dieses Problems sicherzustellen.
Zita Gurmai (S&D), schriftlich. – Frauen und Kinder sind die Hauptopfer des Menschenhandels. Bei der Formulierung eines neuen Rahmenbeschlusses durch den Rat müssen Frauen und Kinder im Mittelpunkt der Aktion stehen. Aus diesem Grund stimme ich mit den Ansichten überein, die die Erfassung von Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt in der gesamten Europäischen Union und so bald wie möglich fordern. Der Opferschutz ist ein Kostenpunkt. Daher sollte das Geld, mit dem Leben gerettete werden kann, klug eingesetzt werden. Wir sollten im Hinterkopf behalten, dass wir ohne verlässliche und vergleichbare Daten nicht in der Lage sein werden, Ressourcen in Bezug auf Ort und Art des Einsatzes angemessen festlegen können. Außerdem müssen wir uns darüber bewusst sein, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten und insbesondere in unterschiedlichen Kulturen das Problem anders gehandhabt wird. Manche Mitgliedstaaten verfügen über einen gut organisierten und allgemein zugänglichen Opferschutz, wie beispielsweise in Spanien. In anderen Mitgliedstaaten ist der Opferschutz jedoch ein sehr untergeordnetes Thema. Es ist daher nicht nur eine angemessene Festlegung von Ressourcen erforderlich, sondern wir müssen auch praktische und statistische Lösungsansätze (die wenigstens einem europäischen Mindeststandard entsprechen) ausarbeiten, um die Latenz des Problems anzugehen und, wo dies angebracht ist, darüber zu informieren.
Jim Higgins (PPE), schriftlich. – Seit Langem gibt es das Problem des Menschenhandels in unserer Gesellschaft, doch anstatt dieses Thema anzugehen, sind die Mitgliedstaaten zu einem Symbol für unser individuelles und kollektives Scheitern bei der Bewältigung dieser Ausbeutung und Erniedrigung von Frauen geworden. Während die Freizügigkeit dem Menschhandel in Folge des Wegfalls von Grenzkontrollen förderlich ist, könnte man annehmen, dass dieses Problem durch polizeiliche Zusammenarbeit andererseits bewältigt werden könnte. Es wird jedoch deutlich, dass der politische Wille fehlt. Die „Konvention des Europarats gegen Menschenhandel” wurde im Mai 2005 lediglich von neun Ländern ratifiziert. Obwohl zwei Drittel der Frauen, die zum Zweck der Prostitution gehandelt werden, aus Osteuropa kommen, haben Länder wie die Tschechische Republik und Estland die Konvention nicht unterzeichnet. Neben dem nicht vorhandenen politischen Willen mangelt es auch an polizeilicher Bereitschaft. Die Anzahl der Verurteilungen im Rahmen dieser Problematik ist lächerlich gering, denn die Polizei erachtet Menschenhandel nicht als ein Verbrechen.
Marian-Jean Marinescu (PPE), schriftlich. – (RO) Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge gab es 2009 rund 270 000 Opfer in der Europäischen Union. Die Europäische Union muss sich in sehr naher Zukunft diesbezüglich verpflichten und Rechtsinstrumente entwickeln, die sowohl die Prävention von und den Kampf gegen den Menschenhandel sowie den Schutz der Rechte von Opfern des Menschenhandels abdecken. In Bezug auf zukünftige europäische Gesetzgebung muss die Höhe der Strafmaßnahmen gegen Menschenhändler überprüft werden, so dass die Rechtsvorschriften der Schwere des Verbrechens entsprechen. Zu den Bereichen, die verstärkt werden müssen, gehören die internationale justizielle Zusammenarbeit, Kooperation zwischen allen Agenturen zum Schutz von Minderjährigen und all denjenigen, die sich für Menschenrechte einsetzen, die Entwicklung spezifischer Entschädigungsfonds und effektiver Opferschutz. Ferner sollten meiner Ansicht nach Eurojust, Europol und Frontex stärker in die Bekämpfung des Menschenhandels und den Opferschutz sowie die Datenerfassung und die Erstellung von Statistiken zu diesem Phänomen miteinbezogen werden.
11. Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll