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Plenardebatten
Dienstag, 14. Dezember 2010 - Straßburg Ausgabe im ABl.

13. Fragestunde mit Anfragen an den Präsidenten der Kommission
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  Der Präsident. – Der nächste Punkt ist die Fragestunde mit Anfragen an den Präsidenten der Kommission. Ich möchte Präsident Barroso zu unserer monatlichen Fragestunde begrüßen. Wir sind bereit, Fragen entgegen zu nehmen. Die Regeln sind die gleichen wie immer: eine Minute für eine Frage, eine Minute für eine Antwort und, für den Fall, dass einer der Fraktionsvorsitzenden eine zusätzliche Frage stellen möchte, sind eine weitere Frage und eine weitere Antwort von je 30 Sekunden möglich.

 
  
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  Ioannis Kasoulides, im Namen der PPE-Fraktion. – Im Namen von Herrn Daul, dem Vorsitzenden unserer Fraktion, möchte ich die folgende Frage stellen. Die EPP-Fraktion möchte Ihre Meinung zu den gegenwärtigen Anstrengungen, die direkten Verhandlungen über die Beilegung der Palästinenserfrage wieder aufzunehmen, hören. Die Vereinigten Staaten haben die Bemühungen aufgegeben, Israel davon zu überzeugen, das Siedlungsmoratorium in Ostjerusalem und im Westjordanland zu verlängern, vermutlich, weil es aussichtslos war.

Welche Anstrengungen müssen unabhängig davon von der EU unternommen werden, oder gemeinsam mit dem Nahost-Quartett, um die Verhandlungen auf den Weg zu bringen? Wie sollte man, mit Blick auf die gegenwärtigen Entwicklungen, die wiederholt geäußerte der Bereitschaft der EU sehen, einen unabhängigen Palästinenserstaat anzuerkennen, wenn dies angemessen ist?

Wie wird die humanitäre Situation im Gazastreifen nach der Entscheidung Israels im Juni 2010 bewertet, die Abriegelung der Grenzübergänge zu lockern, und den Bemühungen, Gilad Shalit zu befreien?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Wie Sie wissen, setzt sich die Europäische Union sehr für die Wiederaufnahme direkter Gespräche ein. Gestern hat der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ die europäische Position dargestellt und bedauert, dass Israel nicht in der Lage war, einen erneuten Stopp des Siedlungsbaus zu akzeptieren, wie es die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und das Nahostquartett wünschten.

Ich möchte hinzufügen, dass die Situation enttäuschend ist, besonders, weil die Schaffung von Bedingungen für eine Zweistaatenlösung nicht nur im Interesse der Palästinenser, der Region und gesamten internationalen Gemeinschaft ist, sondern auch, weil ich glaube, dass dies im eigenen Interesse Israels ist.

Was die Verhandlungen angeht, hat der Rat „Auswärtige Angelegenheiten“ gestern auch beschlossen, die Abstimmung mit dem Nahostquartett und den Vereinigten Staaten zu intensivieren. Der Sonderbeauftragte Senator Mitchell wird sich in Kürze mit Catherine Ashton treffen, um mit ihr über die aktuelle Lage zu sprechen. Die Europäische Union wird ihre volle Unterstützung des Friedensprozesses und ihre volle Verpflichtung in der Region zum Ausdruck bringen. Ich glaube, dass das Nahostquartett wiederbelebt werden kann, wenn die Europäische Union sehr eng mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeitet.

Die Hohe Vertreterin, Frau Ashton, steht mit den zentralen Akteuren in der Region in Kontakt, und wir freuen uns auch auf das Treffen der Arabischen Liga in dieser Woche. Wir müssen Verhandlungen eine neue Chance geben – neuen Schwung – denn Stillstand darf keine Option sein. Ich bin überzeugt, dass mit den Vereinigten Staaten der Weg vorwärts gefunden werden kann.

 
  
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  Ioannis Kasoulides, im Namen der PPE-Fraktion. – Ich möchte noch einmal nach der humanitären Situation im Gazastreifen nach der Öffnung der Grenzen fragen und danach, was mit Corporal Gilad Shalit passiert.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Die Situation in Gaza ist nicht vertretbar. Wirtschaftliche Erholung ist dringend erforderlich, aber leider sehen wir keine grundlegende Änderung der Politik in Gaza, um welche die Europäische Union in den letzten Monaten gebeten hat.

Darum hat die Europäische Union letzten Montag, auf eine Bitte von Premierminister Fayyad hin, ein dreigleisiges Vorgehen beschlossen, um Exporte aus Gaza zu fördern. Ich habe Premierminister Fayyad kürzlich empfangen, und wir haben darüber gesprochen. Gaza sollte als ein sehr wichtiger Bestandteil beim palästinensischen Staatsaufbau gesehen werden.

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der S&D-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Barroso! Am Donnerstag und Freitag tagt der Europäische Rat. Ich möchte Sie Folgendes fragen:

Erstens: Sind Sie der Auffassung, dass die Einführung von Euro-Anleihen, so genannten Eurobonds, zur Stabilisierung des Euro beitragen kann?

Zweitens: Teilen Sie die Auffassung der Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass Eurobonds nicht nötig sind?

Drittens: Was gedenken Sie für den Fall, dass Sie anderer Meinung sind als Frau Merkel, dass Sie also für Eurobonds sind, am kommenden Donnerstag im Rat zu tun?

Viertens: Sind Sie mit dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Herrn Premierminister und Finanzminister Juncker, in Kontakt, und werden Sie ihn als Kommissionspräsident unterstützen?

Fünftens: Werden Sie dem Parlament für den Fall, dass es nicht zu Eurobonds kommen sollte, unmittelbar danach vortragen, in welcher Form Sie als Kommission auf einen eventuellen Nichtbeschluss reagieren wollen?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Eurobonds sind ein interessanter Vorschlag. In der Tat dachte die Kommission bereits 2008 in unserem Dokument „EMU@10“, zum zehnjährigen Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion, darüber nach. Wir haben aber zwischenzeitlich, mit Blick auf die Bewältigung der Krise, die EFSF und das ESFS geschaffen. Diese Instrumente sind noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn nötig, können sie viel schneller als andere Alternativen verbessert und angepasst werden, so interessant diese auch sein mögen. Ich denke, gegenwärtig müssen wir uns eine einfache Frage stellen: Kann die Krise am besten mit Instrumenten bewältigt werden, über die Einigkeit besteht oder indem eine neue Debatte, bei der keine Einigkeit besteht, begonnen wird? Wie ihre Frage vermuten lässt, besteht in der Tat keine Einigkeit über die Vorschläge, die Premierminister Juncker kürzlich gemacht hat.

Ich denke, die Antwort liegt heute auf der Hand. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was im Euroraum Einigkeit schaffen kann, denn, wenn diese Einigkeit nicht besteht, werden die Märkte dies als nachteilig für den Euroraum erachten. Lassen Sie uns nicht für die Zukunft die sehr interessante Idee von Eurobonds zunichtemachen, sondern konzentrieren wir uns zu diesem Zeitpunkt auf das, was wir schnell und entschieden tun können.

 
  
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  Martin Schulz, im Namen der S&D-Fraktion. – Herr Präsident! Sie haben mit der Ihnen eigenen Diplomatie geantwortet, Herr Barroso, das will ich Ihnen aber nicht durchgehen lassen. Ich frage Sie deshalb sehr präzise: Herr Premierminister Juncker hat in seiner Funktion als Vorsitzender der Euro-Gruppe angekündigt, dass er eine Initiative im Europäischen Rat für die Einführung von Eurobonds ergreifen will. Werden Sie ihn dabei unterstützen? Und könnte es sein, dass Sie den Versuch unternehmen, Frau Merkel und Herrn Sarkozy zu überzeugen, dass sie sich der Mehrheit der Euro-Staaten anschließen, oder werden Sie, wenn Frau Merkel und Herr Sarkozy sagen „Wir wollen das nicht“, sagen „Okay, weil zwei Nein sagen, geben wir den Gedanken auf?“

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich werde Ihnen eine sehr offene Antwort geben. Ich glaube nicht, dass zu diesem Zeitpunkt die geringste Möglichkeit einer Einigung über Eurobonds besteht.

Mehrere Mitgliedstaaten sind bezüglich dieses Vorschlags zögerlich. Daher denke ich, dass wir daran arbeiten sollten, mit den bestehenden Instrumenten die größtmögliche Einigkeit zu erzielen. Ich habe Ihnen sehr ehrlich gesagt – und besonders Herrn Martin Schulz – dass ich die Idee interessant und attraktiv fand. In der Tat hat die Kommission zuvor mehrere Vorschläge gemacht – zur Zeit einer meiner verehrten Vorgänger –, aber zu dieser Zeit sind die Bedingungen für eine Einigung nicht gegeben.

 
  
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  Guy Verhofstadt, im Namen der ALDE-Fraktion. – Ich habe eine spezifische Frage, aber ich möchte sagen, Herr Barroso, dass Sie bei der Kommission das Initiativrecht haben. Sie können einen Vorschlag zu Eurobonds machen, und das war es, was Herr Schulz fragte. Okay, Sie machen also von diesem Recht keinen Gebrauch, und das ist zu diesem Zeitpunkt ein Problem bei diesem Thema.

Ich habe eine spezifische Frage zur Entlastung im Jahr 2009. Es gibt eine Zuverlässigkeitserklärung von einem Generaldirektor der Regionalpolitik, der sagt – und ich zitiere ihn –, dass der Generaldirektion bei 38 von 79 Programmen die glaubwürdige Zuverlässigkeit der Rechtmäßigkeit und der Regelmäßigkeit bei den zugrundeliegenden Transaktionen in Bezug auf die Rückerstattungen von gemeldeten Ausgaben im Jahr 2009 fehlt. Das lässt die Frage danach aufkommen, wer in der Lage ist, glaubwürdige Zuverlässigkeit zu bieten. Die Erklärung besagt des Weiteren über die verbliebenen 41 Programme, dass signifikante Defizite zu einem frühen Zeitpunkt, vor jeglicher Rückerstattung im Jahr 2009 ausgemacht wurden.

Meine Frage an Sie lautet unter der Annahme, dass Sie die politische Verantwortung für diese Erklärung mit all ihren Konsequenzen übernehmen: Welche Maßnahmen werden Sie gegenüber den Mitgliedstaaten ergreifen?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Um Ihren Kommentar zu beantworten, Herr Verhofstadt, lassen Sie mich zuerst darauf hinweisen, dass die Kommission bereits von ihrem Initiativrecht Gebrauch gemacht hat. Sie werden sich daran erinnern, dass Olli Rehn und ich, als wir diesen Mechanismus starteten, die Möglichkeit von gemeinsamen Garantien ins Gespräch brachten, was mehr oder weniger in die Richtung der Eurobonds ging. Der Vorschlag wurde von den Mitgliedstaaten klar abgelehnt.

Wir könnten jetzt neue Vorschläge einbringen, aber zu diesem Zeitpunkt halte ich es nicht für verantwortlich, wieder neue formale Vorschläge zu machen, während wir uns in solch einer kritischen Situation befinden. Das wird den Euroraum und die Europäische Union nur teilen. Aber die Kommission hat bereits Vorschläge gemacht. Sie waren auf dem Tisch und wurden abgelehnt. Das ist die Realität.

Im Hinblick auf die finanzielle Vorausschau habe ich mich bereits verpflichtet, einen neuen Vorschlag für eine besondere Form des Eurobonds einzubringen – EU-Projektbonds – und obwohl ich schon einige negative Kommentare aus einigen Hauptstädten bekommen habe, hoffe ich immer noch, dass diese EU-Projektbonds Realität werden.

Was Ihre Frage betrifft, denke ich, wir müssen mehr Mitgliedstaaten fragen. Wie Sie wissen, sind nur vier oder fünf Mitgliedstaaten bereit, ihre Zuverlässigkeitserklärung zu geben. Es ist wahr, was unser Generaldirektor sagte: Wie Sie erwähnten, verfügt die Kommission manchmal nicht über alle erforderlichen Instrumente, um frühestmöglich mit den Mitgliedstaaten in Kontakt zu treten, wenn es darum geht, wie Gelder der Europäischen Union auf nationaler Ebene verwendet werden.

 
  
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  José Bové, im Namen der Verts/ALE-Fraktion.(FR) Herr Präsident, Herr Barroso, vor einem Jahr sagten Sie mir, dass GVO Ihre erste Amtszeit verunreinigt hätten und dass Sie das Thema an die Mitgliedstaaten zurückgeben wollten.

Vor einigen Tagen wurden 1 200 000 Unterschriften von europäischen Bürgerinnen und Bürgern gesammelt, die einen unabhängigen Expertenbericht zu GVO wünschen. Vor einigen Tagen wies der Rat „Umwelt“ den Vorschlag von Kommissar Dalli wieder mit großer Mehrheit zurück. Die Meinungen der Rechtberater des Rats und des Parlaments waren auch negativ. Letztlich waren Sie Zeuge des Skandals bei der EFSA mit der Banati-Affäre und den Fragen des Gremiums. Außerdem hat die EFSA selbst entschieden, neue Bewertungsleitlinien zu erstellen.

Ich würde daher gerne wissen, ob sie gewillt sind, alle neuen Genehmigungen und alle Genehmigungserneuerungen, wie MON 810, aufzuhalten, bis die neuen EFSA-Regelungen in Kraft getreten sind. Die neuen Bewertungen und Genehmigungserneuerungen sollten gemäß den neuen Regeln durchgeführt werden.

Und sind Sie gewillt, die Diskussion erneut zu starten, damit wir eine unabhängige Bewertung bekommen können?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission.(FR) Herr Präsident, was die Initiative betrifft, wissen Sie, dass dieses neue System noch nicht in Kraft getreten ist. Wir verfolgen aber natürlich alle Bürgerinitiativen zu diesem Thema mit großem Interesse. In der Tat traf sich der verantwortliche Kommissar mit den Unterstützern dieser Initiative, obwohl ihr noch nicht formal zugestimmt wurde.

Was die aktuelle Frage angeht, werden wir weiterhin die gegenwärtigen Rechtsvorschriften anwenden. Wir haben keine bessere Alternative zur EFSA. Dies ist eine unabhängige Behörde, welche eingerichtet wurde, um Stellungnahmen vorzulegen. Die Behörde sammelt Fachinformationen zu diesem Thema, und natürlich müssen wir uns an die Meinungen halten, die sie vertritt. Wir werden uns daher bei diesem Thema weiterhin an das Gemeinschaftsrecht halten. Die Kommission kann nicht über die Aussetzung von Gemeinschaftsrecht entscheiden.

Ich habe Ihnen schon sehr offen gesagt, dass ich nicht glücklich über die derzeitigen Regeln zu GVO in Europa bin. Ich bin nicht glücklich, weil ich nicht denke, dass sie eindeutig genug sind. Es ist jedoch ein System an das ich mich halten muss.

 
  
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  José Bové, im Namen der Verts/ALE-Fraktion.(FR) Vielen Dank für Ihre Antwort. Aber die EFSA hat bereits neue Leitlinien, die viel strenger sind, eingeführt. Sind Sie gewillt, zuzustimmen, dass alle neuen Genehmigungen, die in dieser letzten Zeit erteilt wurden und das Thema MON 810 in Anbetracht dieser neuen Leitlinien überprüft werden sollten?

Wir können heute keine Bewertungen akzeptieren, die auf der Grundlage alter Regeln vorgenommen wurden. Daher stelle ich Ihnen diese sehr präzise Frage und ich wünsche, dass Sie diese ganze Debatte von Grund auf neu beginnen, anstatt bis 2012 zu warten. Richtlinie 2001/18/EG wird 2012 aktualisiert: Der Vorgang muss vorangebracht werden.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission.(FR) Wie immer berücksichtigen wir Vorschläge und Empfehlungen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), einer unabhängigen Behörde in Parma. Wenn die Behörde eine neue Leitlinie vorlegt, werden wir sie sehr aufmerksam studieren.

Das ist alles, was ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt sagen kann. Der Rechtsrahmen bezüglich der Genehmigung von GVO wurde jedoch noch nicht geändert. Daher muss ich mich an das gegenwärtige System halten, bis es geändert wurde, aber wir werden bereit sein, alle neuen Leitlinien zu berücksichtigen und sie sehr sorgsam studieren.

 
  
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  Michał Tomasz Kamiński, im Namen der ECR-Fraktion.(PL) Herr Präsident, Gazprom und das Nord Stream-Konsortium bauen seit dem 9. April die sogenannte Nördliche Gaspipeline. Ich möchte keinen Schwerpunkt auf die Umweltfragen zu diesem Projekt legen, denn das Haus hat sie bereits debattiert. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nur auf einen Punkt lenken: Die verlegte Pipeline erschwert großen Schiffen signifikant das Erreichen des polnischen Hafens Świnoujście. Dieser Hafen ist bietet vielen Polen in Westpolen Arbeit. Dies ist eine Region, die von einer Arbeitslosenquote betroffen ist, die oft ziemlich hoch ist. Polen hat auf diesen Punkt in bilateralen Gesprächen hingewiesen, aber ich habe den Eindruck, dass wir es hier auch mit Problemen im Zusammenhang mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun haben. Der Hafen von Rostock liegt gleich nebenan, hinter der deutschen Grenze. Ich hoffe, er wird schnell wachsen, aber ich möchte, dass alle Häfen in Europa gleich behandelt werden, damit sie wirklich miteinander im Wettbewerb stehen und damit die technischen Lösungen eines Mitgliedstaats nicht die Entwicklung eines Hafens in einem anderen Mitgliedstaat beeinträchtigen.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich weiß, dass es einmal Sorgen gab, dass der Zugang zu den betroffenen polnischen Häfen eingeschränkt werden würde. Laut der Informationen, die der Kommission vorliegen, nahm das deutsche Bergamt Stralsund jedoch eine Anforderung für die Genehmigung des Nord Stream-Unternehmens auf, eine überarbeitete Risikoanalyse für einen Abschnitt der Pipeline in deutschem Territorium vorzubereiten. Das passierte, da zu dem Zeitpunkt von polnischer Seite Pläne vorgelegt wurden, beide Häfen für Schiffe anzupassen, die eine größere Wassertiefe für größeren Tiefgang benötigen. Aufgrund dieser Analyse wird die Pipeline über etwa 20 Kilometer einen halben Meter tief im Meeresboden verlegt.

Außerdem führte die Analyse der geplanten Route der deutschen AWZ zu der Entscheidung, über eine Strecke von 12 Kilometern eine alternative Strecke zu wählen. Die endgültige Genehmigung wurde im Februar dieses Jahres vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie erteilt.

Laut der Information von den deutschen Behörden und dem Bauträger wurden beide genannten Maßnahmen ergriffen, um nach dem Bau der Pipeline ungehinderten Zugang zu den polnischen Häfen sicherzustellen. Es tut mir leid, dass dies sehr technisch ist, aber es sind die besten Informationen, die wir haben.

 
  
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  Michał Tomasz Kamiński, im Namen der ECR-Fraktion.(PL) Herr Barroso, Sie haben viele Male bewiesen, dass Sie Mitgliedstaaten fair behandeln. Ich hoffe, dass die Europäische Kommission mein Land in dieser Angelegenheit ähnlich fair behandeln wird. Ich möchte Sie nur auf die Tatsache aufmerksam machen, dass Sie selbst zugegeben haben, dass Sie vor allem auf Daten angewiesen sind, die von deutscher Seite vorgelegt wurden. Ich möchte an die Europäische Kommission appellieren, auch den Rat unabhängiger Experten zu diesem Thema anzunehmen, obwohl ich weiterhin betone, dass ich großes Vertrauen in Ihre faire Behandlung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union habe.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Kamiński. Die Kommission verfolgt das Thema Nord Stream in der Tat sehr aufmerksam. Wir sind uns der Schwierigkeiten in dieser Angelegenheit im Hinblick auf die Umwelt und im Hinblick auf andere Ansichten bewusst und wir werden sie daher sehr sorgsam verfolgen.

 
  
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  Lothar Bisky, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Herr Barroso, Sie haben auf die Fragen von Herrn Schulz geantwortet, dass das mit den Euro-Anleihen wohl doch nicht funktionieren wird. Zuvor wurde uns mitgeteilt, dass aus der Finanztransaktionssteuer nichts wird, andere Dinge sind auch nichts geworden. Wir befinden uns im dritten Jahr nach der Finanzkrise. Und jetzt frage ich, ob Sie der Aufstockung des Euro-Rettungsschirms zustimmen könnten – das wäre ja eine weitere Maßnahme –, oder ob wir damit zu rechnen haben, dass zum Wochenende wieder eine Menge Vorschläge von Ihnen und von anderen abgelehnt wird. Meine Frage ist: Wie teuer ist dieses Zögern, zumal das ja viel Geld kostet?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Eine Sache, die wir den europäischen Staats- und Regierungschefs mitteilen müssen, ist die folgende: Wenn wir uns diese Woche treffen – weil der Kommissionspräsident auch als ein Mitglied des Europäischen Rats anwesend ist – werden wir nicht nur miteinander reden oder Strategien oder die Wirtschaft ansprechen, sondern wir werden die Märkte ansprechen.

Dies sind sehr empfindliche Angelegenheiten, bei denen wir eine etwas zurückhaltend bei unseren Kommentaren sein müssen.

Weil ich verpflichtet bin, Ihnen allen gegenüber transparent zu sein, habe ich bereits sehr ehrlich auf die Frage von Herrn Schulz geantwortet. Wir haben einige interessante Vorschläge zu Eurobonds gesehen. Ich denke, wir sollten den Vorschlag nicht grundsätzlich ablehnen, aber es ist offensichtlich, dass es zu diesem Zeitpunkt keine Übereinstimmung gibt. Ich werde nicht ausführen, was für mich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich ein Punkt ist, bei dem Uneinigkeit besteht. Wir haben jetzt Instrumente, über die Einigkeit bestand. Damit können wir arbeiten, um zu versuchen, einheitliche, robuste Maßnahmen zu finden, mit denen der Euroraum und die Europäische Union geschützt werden können.

 
  
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  Lothar Bisky, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident! Herr Barroso, nur eine kurze Nachfrage: Gibt es weitere Instrumente, die noch in der Diskussion sind? Ich fühle mich hier etwas schlecht informiert. Es muss etwas getan werden, und wir sind wohl einer Meinung, dass die zur Verfügung stehenden Instrumente auch eingesetzt werden sollen.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Wir diskutieren viele Themen und viele mögliche alternative Instrumente. Die letzte Eurogruppe begutachtete unterschiedliche Optionen und unterschiedliche Ideen und die Kommission steht mit allen beteiligten Parteien in Kontakt.

Ich selbst und Olli Rehn haben nicht nur die Mitgliedstaaten konsultiert, sondern auch den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, den Exekutivdirektor des IWF und andere sehr wichtige Akteure in diesem Bereich, aber ich denke nicht, das es ratsam ist, sehr wichtige Ankündigungen zu machen, denen keine konkreten Konsequenzen folgen, wie es manchmal in der Vergangenheit geschah.

Das nächste Mal müssen wir genau das Gegenteil tun und wirkliche Lösungen vorlegen, wenn wir bereit sind. Daher arbeitet die Kommission aktiv mit allen Mitgliedstaaten und mit anderen Institutionen zusammen, um möglichst bald eine Umfassende Antwort zu präsentieren.

 
  
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  Nigel Farage, im Namen der EFD-Fraktion. – Herr Barroso, der jüngste Wirbel um WikiLeaks hat gemischte Gefühle hervorgerufen. Einige Menschen sagen, dass Transparenz gut ist und andere sagen, dass die bekannt gewordenen Informationen die internationale Diplomatie beschädigen würden. Ich fand jedoch die Bemerkungen über Sie in WikiLeaks sehr amüsant. Dort wurde Ihre Reise nach Russland erwähnt sowie die Tatsache, dass Sie ignoriert und ausgeschlossen wurden und dass Sie aus Sicht der russischen Führung nichts weiter als ein verherrlichter internationaler Staatsdiener sind.

Erinnern Sie sich, Herr Barroso: Wir haben dies zuvor hier diskutiert. Ich habe es Ihnen immer wieder gesagt, dass Sie nicht direkt von den Menschen gewählt wurden und dass Sie daher nicht wirklich legitimiert sind. Genießen Sie aufgrund der Tatsache, dass Sie nicht gewählt wurden, so wenig Respekt auf internationaler Ebene? Und ist das auch der Grund, warum die Menschen in Europa Sie und die ganze Kommission immer mehr verachten?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich hätte nicht von Ihnen erwartet, Herr Farage, dass Sie gemeinsame Sache mit den Russen machen – denn genau das lassen Sie vermuten, indem Sie ihnen zustimmen! Offen gesagt, ich wurde von diesem Parlament in geheimer Abstimmung gewählt und daher denke ich, dass ich den Respekt dieses Parlaments und aller Mitglieder des Parlaments verdiene.

(Beifall)

Die Europäische Union mit 27 Demokratien hat eine besondere Art, einen Präsidenten der Kommission zu wählen, weil wir eben kein Staat sind. Ich bin mir sicher, Sie wären nicht für einen geeinten europäischen Staat. Da wir kein geeinter Staat sind, wird der Präsident der Europäischen Union nicht direkt gewählt. Wir haben gar keinen; wir haben einen Präsidenten der Kommission. Ob es Ihnen gefällt oder nicht – mir gefällt es besser als Ihnen – aber ich bin in der Tat von diesem Parlament gewählt worden, und es gibt einen Präsidenten des Europäischen Rats, der von den Staats- und Regierungschefs bestimmt wurde!

Auf diese Weise sind wir organisiert, und ich denke, es ist eine demokratische Art, die Vielfalt der Europäischen Union zu behandeln. Ich hoffe, dass zumindest die Mitglieder des Europäischen Parlaments die Institutionen respektieren, die wir in der Europäischen Union haben, selbst, wenn andere das nicht tun.

 
  
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  Nigel Farage, im Namen der EFD-Fraktion. – Nun gut, Herr Barroso, das hat mir viel Freude bereitet! Dass Sie aufstehen können und mit der Tatsache prahlen können, dass Sie in geheimer Wahl gewählt wurden und dass Sie das irgendwie demokratisch legitimiert, ist das bizarrste Konzept, dem ich in meinem ganzen Leben begegnet bin.

Tatsache ist, dass die Kommission das alleinige Recht hat, die Art von Rechtsvorschriften vorzuschlagen, welche die Wirtschaften Europas auf diese Weise beschädigen. Gibt es irgendwelche Umstände, unter denen Ihrer Meinung nach die Menschen Europas ein Referendum haben sollten, damit sie diese Angelegenheiten selbst entscheiden können?

(Zwischenrufe von mehreren Parlamentariern im Plenarsaal)

 
  
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  Der Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es tut mir leid; wir berücksichtigen keine Bemerkungen aus dem Plenarsaal. Wir würden gerne fortfahren.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Die Wahl im Parlament war eine offene Wahl. Aber viele Menschen denken, dass die freisten Wahlen solche sind, in denen jeder Wähler – oder jeder Parlamentarier – Entscheidungen geheim treffen kann. In totalitären Systemen sind geheime Abstimmungen normalerweise nicht erlaubt, weil eben die individuellen Freiheiten unterdrückt werden. Das ist mein erster Punkt.

Zweitens, was Referenden angeht, erlaubt konstitutionelle und demokratische Theorie Referenden genauso wie repräsentative Demokratie. Übrigens ist Großbritannien wahrscheinlich der Staat, der das Meiste für die repräsentative Demokratie getan hat. Repräsentative Demokratie ist eine absolut legitime Art, in einer Demokratie Entscheidungen zu treffen. Die Rolle von Parlamenten, seien es nationale Parlamente oder das Europäische Parlament, ist in der Demokratie von immenser Bedeutung. Ich persönlich glaube, dass einige Bemerkungen, die sich gegen die repräsentative Demokratie aussprechen, keine wahrhaft demokratische Gesinnung widerspiegeln, wenn sie so negativ geäußert werden.

 
  
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  Andrew Henry William Brons (NI). – China weist in seiner Handelsbilanz mit der EU einen großen Überschuss auf. Europas Überschuss bei Dienstleistungen ist zu klein, um dies auszugleichen. China erreicht seinen Handelsüberschuss durch einen künstlich niedrigen Wert seiner Währung, durch unterdrückte Lohnsätze, wodurch Importe nach China nicht bezahlbar sind und wodurch Exportpreise deutlich niedriger sind als europäische Preise, und drittens, indem internationale Patentrechte ignoriert werden, damit chinesische Firmen von Forschung und Entwicklung profitieren können, die sie selbst nicht durchgeführt haben.

China sammelt mit hohem Tempo ausländische Devisenreserven an und Kontrolle über weltweit seltene Ressourcen. Europäische Staaten werden die willigen Opfer eines rücksichtslosen weltweiten Wettbewerbers, der über die Mittel verfügt, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Europäische Staaten müssen individuell – das würde ich bevorzugen – oder gemeinsam unsere Industrien schützen.

Warum lässt es die Kommission zu, dass Unternehmen und Arbeitnehmer der EU unter unfairem Wettbewerb Chinas leiden?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass wir viel erfolgreicher sein werden, wenn wir es gemeinsam machen und nicht jeder für sich.

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass unsere einzelnen Mitgliedstaaten ausreichend mächtig sind, um China irgendwelche Maßnahmen aufzuerlegen. Gemeinsam kann die Europäische Union China entgegentreten und das ist es, was wir tun. Wie Sie wissen, sind wir für freien Handel, aber wir sind auch für fairen Handel. Wenn wir der Meinung waren, dass es z. B. Beweise für Dumping gab, haben wir Anti-Dumping-Maßnahmen gegen China ergriffen. Es war nicht einfach, denn einige Mitgliedstaaten sprachen sich dagegen aus, aber wie ergriffen die Maßnahmen. Jedes Mal, wenn wir die chinesische Führung treffen, diskutieren wir geistiges Eigentum und die Notwendigkeit, dass sie einige grundlegende Prinzipien beachten, damit wir offenen Wirtschaftsverkehr mit ihnen erhalten können. Das ist genau unsere Agenda: den Chinesen positiv entgegenzutreten, und dabei standfest bei unseren Handelsinteressen zu bleiben.

Das wurde übrigens auf dem letzten Gipfel ziemlich klar ausgedrückt.

 
  
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  Andrew Henry William Brons (NI). – Sie sagten, dass Sie an fairen Wirtschaftsverkehr glauben, aber fair ist nicht verfügbar. Was wir haben, ist verzerrter Handel zum Vorteil Chinas.

Wird die Kommission erfolgreich sein, China dazu zu bewegen, seine Subventionen zu beenden, somit seiner Währung Wertzuwachs zu erlauben und internationale Urheberrechte zu achten, welche offensichtlich etwa 5 % des chinesischen BIPs ausmachen? Wird es am Ende nicht erforderlich sein, chinesische Importe ganz zu blockieren?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Es ist klar, dass die Kommission erfolgreich sein wird, wenn sie die volle Unterstützung der Mitgliedstaaten hat. Wir tun das, und wir sind zu allererst sehr der Gegenseitigkeit verpflichtet. Das Konzept der Gegenseitigkeit bedeutet, dass wir die Märkte offen halten möchten. Wir glauben, dass es in unserem Interesse ist. Die Europäische Union ist bei weitem der größte Exporteur der Welt – größer als China – und daher ist es wichtig, dass wir die Märkte offen halten. Wir glauben aber auch, dass unsere Partner grundlegende Regeln beachten müssen.

Was die Wechselkurse angeht, war die Europäische Union, wie Sie wissen, auf dem G20-Treffen an vorderster Front, als es darum ging, dieses Thema konstruktiv und kooperativ zu behandeln, denn wir glauben, dass die Angelegenheit diskutiert werden sollte, wenn wir die Probleme von großen Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft ansprechen.

 
  
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  Der Präsident. – Wir kommen jetzt zum zweiten Teil der Fragestunde, der Catch-the-Eye-Phase. Das Thema ist WikiLeaks und Computer- und Netzwerksicherheit.

 
  
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  Carlos Coelho (PPE).(PT) Herr Präsident, Herr Barroso, ich werde Sie nicht bitten, die Probleme der Diplomatie der Vereinigten Staaten anzusprechen, oder auf die Vor- und Nachteile von Computernetzwerken einzugehen oder auf Informationsfreiheit, oder auf die beschämenden Forderungen nach dem Tod von Julian Assange. Ich möchte sagen, dass wir keine Informationen, die an die Öffentlichkeit geraten, ignorieren dürfen.

Ich habe den Vorsitzenden des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und die Vorsitzende des Unterausschusses Menschenrechte gefragt, ob wir die Untersuchung – ich hatte die Ehre, sie zu leiten –, die das Parlament im Jahr 2007 über die Aktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes CIA in Europa durchgeführt hat, noch einmal begutachten können. Ich habe Ihnen damals Tribut gezollt: Die Kommission unter Herrn Barroso war kooperativ und hilfreich und agierte mit großer Transparenz; ganz im Gegensatz zum Rat, welcher Informationen nicht bereitstellte und dem Parlament gegenüber log. Die Frage, die ich Ihnen stellen möchte, ist sehr einfach: Ist die Kommission unter Herrn Barroso bereit, wieder vollkommen offen mit dem Europäischen Parlament zusammenzuarbeiten?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Die Europäische Kommission – ich fühle mich geehrt, ihr vorzusitzen – kooperiert immer vollkommen transparent mit dem Europäischen Parlament, und wir werden das auch in der Zukunft immer tun. Ich habe daran nicht die geringsten Zweifel, und danke Ihnen für Ihre Worte über die Kommission, der ich vorsitze. Ich glaube, dass es für uns wichtig ist, die höchsten Standards und Prinzipien der Transparenz zu beachten sowie gerechte institutionelle Kooperation bei allen Beziehungen zwischen der Kommission und dem Parlament.

 
  
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  Edit Herczog (S&D). – Ich möchte dieselbe Frage stellen. Europäer sind heutzutage vom Computer abhängig, und wir wollen von ihm abhängig sein, aber unter der Voraussetzung, dass wir uns im Internet sicher und geschützt fühlen. Es muss eine Priorität der Kommission sein, Vorschläge zur Sicherheit von 500 Millionen europäischen Bürgerinnen und Bürgern vorzulegen. Was sind Ihre gemeinsamen Pläne bezüglich der Wahrung von Sicherheit und Privatsphäre, um weder das eine noch das andere zu neutralisieren?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Einige dieser Angelegenheiten fallen in die nationale Verantwortung, aber in den Bereichen, die in unseren Verantwortungsbereich fallen, haben wir kürzlich einige Verbesserungen vorgeschlagen. Was die Rechtsvorschriften zum Zugang zu Dokumenten betrifft, haben wir einige Vorschläge von Kommissar Malmström vorgelegt und sie werden jetzt von Ihnen begutachtet. Wir haben auch Vorschläge zur Computer- und Netzwerksicherheit gemacht, denn – wie Sie zu Recht sagten – werden wir immer abhängiger vom Computer.

Es ist sehr wichtig, dass wir im digitalen Raum Freiheit haben, aber das muss natürlich verantwortliche Freiheit sein, in der wichtige Rechte, wie das Recht auf Privatsphäre, geschützt werden. Datenschutz ist daher auch eine Frage von Grundrechten, und wir glauben, dass die Kommission verantwortungsvolle Vorschläge mit einem angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit – die ist nicht verhandelbar – und der verantwortungsvollen Nutzung des Internets vorgelegt hat.

 
  
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  Graham Watson (ALDE). – Der Präsident der Kommission hat zu WikiLeaks übertriebene Antworten gegeben. Kann ich Ihn zu etwas befragen, wobei WikiLeaks noch nichts über seine Ansichten gesagt hat?

Herr Präsident, Sie haben Fragen zur Ausgabe von Eurobonds zur Finanzierung der laufenden Ausgaben von Regierungen beantwortet. Ich verstehe und teile einige der geäußerten Sorgen bei diesen Maßnahmen. Aber erkennen Sie nicht das Kreditaufnahmepotenzial, das sich aus einem guten Management des Euros ergibt?

Da Herr Oettinger uns sagt, dass er in einem Zeitraum von 10 Jahren 1000 Mrd. EUR für Investitionen in die Energieinfrastruktur benötigt – das sind 100 Mrd. EUR im Jahr, die helfen sollen, die zweifache Herausforderung von Klimawandel und Sicherheit der Energieversorgung zu bewältigen – und weil die Bewältigung für die Europäische Investitionsbank sehr ambitioniert wäre, frage ich Sie: Könnten Sie nicht Vorschläge für die Ausgabe von Eurobonds zur Finanzierung von Investitionen in die Infrastruktur machen, anstatt zur Finanzierung von laufenden Ausgaben der Regierungen?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Herr Watson, ich bin nicht für einen Informationsaustausch nach der Art von WikiLeaks hierher gekommen! Sie kennen schon meine Meinung zu diesem Thema. In meiner Ansprache zur Lage der Union erwähnte ich, dass ich Vorschläge zu Eurobonds machen werde, welche die Form von speziellen Projektbonds für die Infrastruktur annehmen. Diese wären nicht für weitere Schulden der Mitgliedstaaten oder für die Deckung von ausufernden Schulden gedacht, denn wir haben ein Problem mit ausufernden Schulden in Europa. Sie wären speziell für die Finanzierung wichtiger Infrastrukturprojekte gedacht – wie Sie ganz richtig sagten, mit der Unterstützung der Europäischen Investitionsbank.

Das betrifft zu einem Großteil die Agenda und unsere finanzielle Vorausschau. Im Juni werden wir zu diesem Thema einige konkrete Vorschläge unterbreiten. Lassen Sie uns versuchen, den erforderlichen Konsens aufzubauen, denn ich denke, dass dies eine der Möglichkeiten ist, unser gegenwärtiges Problem zu behandeln. Es bestehen sehr wichtige Einschränkungen bei den Haushaltsplänen unserer Mitgliedstaaten und gleichzeitig benötigen wir die Finanzierung für einige wirklich europäische Projekte.

 
  
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  Raül Romeva i Rueda (Verts/ALE).(ES) Herr Barroso, worüber ich mir Sorgen mache, ist der Inhalt. Mir scheint, als ob wir versuchen, den Überbringer der Nachricht zu erschießen anstatt zu versuchen, zum Kern des Problems zu kommen. Das wichtige Thema bei WikiLeaks ist der Inhalt, und sie haben gezeigt, dass er der Wahrheit entspricht.

Jahrelang haben Sie und andere Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, wie Miguel Moratinos, den Großteil der Inhalte von WikiLeaks abgestritten. Sie haben abgestritten, dass es eine geheime Absprache Europas mit gewissen illegalen Praktiken der Vereinigten Staaten gab.

Wir wissen jetzt, dass das wahr ist, dass es passierte, und wir warten immer noch auf eine Antwort von vielen Außenministern und vor allem von Ihnen. Ich glaube, dass es entscheidend ist, dass Sie eine Erklärung zum Inhalt geben.

Danach habe ich eine weitere Frage zur Kampagne gegen Julian Assange. Ich halte es für wirklich wichtig, dass wir die Risiken berücksichtigen, der sich diese Person gegenwärtig gegenübersieht. Wir können nicht vergessen, dass er etwas Notwendiges getan hat; er hat uns nämlich die Wahrheit präsentiert.

Ich und alle Mitglieder des Parlaments hoffen, dass Sie das auch verstehen werden: Damit Sie Erklärungen geben können – entweder hier oder in einem Ausschuss den wir reaktivieren sollten, um die wirkliche Wahrheit zu ermitteln.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission.(PT) Was den Inhalt angeht, beziehen sich alle Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangten, auf die Aktivitäten von Mitgliedstaaten und nicht auf die der Europäischen Kommission. Die Mitgliedstaaten müssen alle Erklärungen abgeben, und ich bin zuversichtlich, dass sie das tun werden, da es sich bei ihnen um demokratische Staaten handelt. Ich weiß, dass in einigen Mitgliedstaaten Initiativen ergriffen wurden, um die Öffentlichkeit über bestimmte Vorgänge zu informieren, die ihnen vorgeworfen werden.

Was die Arbeit der Kommission angeht, erinnerte uns der Herr Abgeordnete Coelho vor kurzem daran, dass die Kommission alles in ihrer Macht stehende getan hat, um das Parlament und die europäische Öffentlichkeit mit möglichst umfassenden Informationen zu versorgen. Zu Julian Assange möchte ich mich nicht äußern. Er wurde wegen krimineller Handlungen von einem Mitgliedstaat – Schweden – angeklagt. Schweden ist eine Demokratie und hat einen europäischen Haftbefehl gegen ihn erlassen, der gegenwärtig von den britischen Justizbehörden geprüft wird. Die Kommission kann sich dazu eindeutig nicht äußern. Es bleibt nur zu sagen, was offensichtlich ist: Jeder Angeklagte ist unschuldig, bis er für schuldig erklärt wurde.

 
  
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  Georgios Papanikolaou (PPE).(EL) Herr Präsident, im Internet findet gegenwärtig ein wirklicher Krieg statt. Laut der Presse haben in den letzten Tagen tausende Hacker über das Internet Angriffe auf Unternehmen gestartet, die versucht haben, WikiLeaks aus dem Internet zu entfernen oder es finanziell zu unterminieren, indem sie den Spendenfluss kappten.

Unternehmen wie MasterCard, Visa und PayPal waren von DDOS-Angriffen aus dem Internet betroffen; tausende von Computern versuchten, sich gleichzeitig mit derselben Website zu verbinden, was zu einer Überlastung und einem Zusammenbruch führte.

Wir erkennen alle, dass das allgemein Probleme für Überweisungen der Öffentlichkeit auslöst. Die Frage ist klar formuliert: Sind wir der Ansicht – auf europäischer Ebene – dass wir ein zuverlässiges Sicherheitsnetz zum Schutz der Online-Überweisungen der Öffentlichkeit haben, wenn das passiert?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich glaube, wir sind nicht vollkommen darauf vorbereitet, und deswegen hat die Kommission kürzlich Vorschläge zur Bekämpfung dieser Art von Angriffen über das Internet gemacht.

Es war Kommissar Malmströms Initiative, und jetzt dehnen sich diese Vorschläge auf alle Arten von Angriffen über das Internet aus. Was die Angriffe über das Internet angeht, die Sie erwähnten, möcht ich Ihnen sagen, dass das amerikanische Außenministerium bestreitet, PayPal, Visa oder MasterCard irgendwelche direkten Anweisungen gegeben zu haben. Daher kann ich zu Entscheidungen von Unternehmen, WikiLeaks Dienstleistungen anzubieten – oder auch nicht anzubieten – nichts sagen. Die Kommission ist gegen jede Art von Angriffen über das Internet von der einen oder anderen Seite in diesem kontroversen Fall.

 
  
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  Ana Gomes (S&D).(PT) Herr Präsident, die Veröffentlichung von geheimem Schriftverkehr amerikanischer Diplomaten durch WikiLeaks und anerkannte internationale Medien ist nur aufgrund eines kolossalen Versagens innerhalb des US-Sicherheitssystems, infolge exzessiver Ausdehnung der Zugriffsberechtigungen im Außenministerium und im Verteidigungsministerium möglich.

Welche Konsequenzen wird dieses Versagen Ihrer Meinung nach auf die transatlantische Beziehung haben, besonders auf dem Gebiet der Teilung von Diplomaten- und Geheimdienstinformationen? Und welche Lehren werden gezogen, um die Sicherheit der innereuropäischen Kommunikationsnetzwerke zu stärken und das Funktionieren des Europäischen Auswärtigen Dienstes, inklusive des Netzwerks Correspondence Européenne zu stärken und um den Schutz vor Angriffen aus dem Internet zu stärken?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Zuerst glauben wir, dass das, was in den Vereinigten Staaten passierte, in praktisch jedem Sicherheitssystem passieren kann. Kein Sicherheitssystem ist vollkommen immun gegen die Möglichkeit, dass eine Person das Gesetz bricht.

Es ist wahr, dass innerhalb des Systems der Vereinigten Staaten laut erhaltener Informationen hunderttausende individuelle Mitarbeiter Zugang zu sehr geheimen Informationen haben, aber es ist auch wahr, dass in Systemen, die Freiheit schätzen, was auch bei europäischen Systemen der Fall ist, 100-prozentige Sicherheit nicht möglich ist. Daher ist es unser Ziel, mit unseren Partnern und Freunden in den Vereinigten Staaten zusammen zu arbeiten, um die Sicherheit zu stärken; aber immer auch mit Blick auf die Grundrechte. Außerdem glauben wird, dass es wichtig ist, einen guten Ausgleich zwischen diesen zwei Vorkehrungen zu finden, wie ich es vor einiger Zeit sagte.

Es ist wahr, dass besonders aufgrund terroristischer Aktivität der Bedarf für den Austausch einiger extrem sensibler Informationen besteht. Gleichzeitig sollten wir das entsprechend unserer Vorsichtsstandards und unserer allgemeinen Standards tun und dabei das Prinzip des fairen Ausgleichs beachten.

 
  
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  Sonia Alfano (ALDE).(IT) Wie die Aussagen der Regierungsvertreter von zahlreichen Staaten zeigen, hat der außerordentliche Eifer, mit dem gegen Julian Assange ermittelt wird, eindeutig das Ziel, ihn und WikiLeaks zu bestrafen, weil sie einige streng geheime Informationen ans Licht gebracht haben – z. B. die Sorgen der amerikanische Außenministerin Hillary Clinton, welche die amerikanischen Botschaften in Rom und Moskau um Informationen zu persönlichen Investitionen von Herrn Berlusconi und Herrn Putin bat, welche die Außen- oder Wirtschaftspolitik ihrer jeweiligen Länder beeinflussen könnten. Herr Berlusconi wird als Putins Sprecher in Europa bezeichnet.

Es ist offensichtlich, dass das, was hier passiert, eine nie da gewesene Bestrafung und Verfolgung eines Mannes und einer Organisation ist, deren einziges Verbrechen es ist, dass sie die Welt auf einige Grauzonen aufmerksam gemacht haben, die Regierungen in eine unbequeme Situation versetzen. Daher ist es unsere Pflicht, die Freiheit von WikiLeaks zu schützen und Julian Assange eine faire Behandlung zu garantieren, der für seine Verbrechen bezahlen soll, falls diese in einer fairen Verhandlung bewiesen werden.

Ich rufe daher die Kommission auf, ihre Sicht der WikiLeaks-Affäre bekannt zu geben und zu erklären, wie sie die Situation überwachen möchte, damit diese Affäre nicht genutzt wird, um Informationsfreiheit einzuschränken und Einschränkungen im Internet einzuführen. Das Internet hat sich wieder einmal als ein außergewöhnlich mächtiges demokratisches Instrument erwiesen, weswegen es geschützt werden muss.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Wie ich zuvor sagte, kann ich nichts zu einzelnen Fällen oder strafrechtlichen Beschuldigungen sagen.

Gegen Herrn Assange wurde von der schwedischen Justiz Anklage erhoben. Dies wird jetzt von der britischen Justiz geprüft. Schweden und das Vereinigte Königreich respektieren die Rechtsstaatlichkeit. Wir müssen den Verlauf des normalen Verfahrens zulassen. Ich kann und sollte dazu nichts sagen, weil ich eben großen Respekt für die Unschuldsvermutung und die individuellen Rechte jedes Einzelnen habe. Daher kann ich dazu nichts sagen.

Was die anderen Kommentare angeht, die Sie zu einigen Dingen bei WikiLeaks gemacht haben, denke ich nicht, dass es richtig ist, wenn ich mich dazu äußere. Die Kommentare werden Diplomaten der Vereinigten Staaten zugeschrieben und fallen daher in deren Verantwortung. Ich kann dazu nichts sagen. Ich kann Sie nur über unsere Position informieren, welche nicht identisch mit der Position der Vereinigten Staaten ist. Unsere Position – die europäische Position – in der Angelegenheit, über die Sie uns fragten, ist klar. Wir müssen nichts zu einzelnen Informationslecks sagen, egal, ob die Informationen von WikiLeaks oder woanders her kommen.

 
  
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  Takis Hadjigeorgiou (GUE/NGL).(EL) Herr Präsident, ich denke, dass wir das Wesentliche immer noch nicht begreifen. Ich denke aufgrund Ihrer Aussagen, dass zumindest Sie das Wesentliche nicht verstehen. Zuerst bin ich absolut verblüfft – und ich möchte wissen, ob Sie genauso verblüfft sind – über das unglaubliche Schweigen der europäischen Organe zu dieser Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Leider sind die Verteidiger der freien Meinungsäußerung alle nicht anwesend. Sie sind verschwunden.

Meine Frage lautet: Denken Sie, dass dies genutzt wird, um die Einfachheit der Datenübertragung zu unterdrücken? Wir alle fordern lauthals das Recht der Chinesen und Kubaner auf Zugang zum Internet – und das zu Recht; aber was können und sollten wir jetzt tun, wo dieses Recht in der Tat unterdrückt wird? Was kann und sollte die Kommission tun?

Meine Frage ist sehr spezifisch: Was werden Sie tun, um sicherzustellen, dass die europäische Öffentlichkeit Zugriff auf die Website von WikiLeaks hat?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Zuerst ist der inhaltliche Aspekt, den wir angesprochen haben, dass die Freiheit der Meinungsäußerung in all ihren Formen nicht nur ein grundsätzliches Menschenrecht ist, sondern ein Eckpfeiler von allen demokratischen Gesellschaften. Das ist nicht verhandelbar.

Gleichzeitig ist es auch klar, dass es Informationen gibt, seien sie privater, geschäftlicher oder rechtlicher Natur, die aufgrund ihrer Eigenschaften sensibel sind, und nicht für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich sein können. Datenschutz ist auch in den Grundrechten verankert. Alle unsere Mitgliedstaaten haben Regeln, die Daten und einige Arten von sensiblen Informationen zum Wohle der Öffentlichkeit schützen, und das ist unsere Haltung zur Freiheit der Meinungsäußerung und zum Datenschutz.

Was die Anschuldigungen gegen eine einzelne Person betrifft, bin ich kein Tribunal. Außerdem soll die Kommission keine Bemerkungen zu einzelnen Anschuldigungen gegen einzelne Personen machen, denn die Kommission ist kein Tribunal und sollte dies auch nicht sein. Außerdem stellt sie keine Vermutungen zur Schuld einzelner Personen an.

 
  
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  Tunne Kelam (PPE). – Das neue Konzept der NATO fordert zur Koordination nationaler Cyber-Defence-Kapazitäten auf, um alle NATO-Organe unter einer zentralisierten Cyber-Defense zu vereinigen. Wie sehen Sie die Rolle der Europäischen Kommission bei einer besseren Koordination unserer nationalen Cyber-Defense-Systeme, die sich auf unterschiedlichen Stufen befinden, sowie bei der Zusammenarbeit mit der NATO? Wird Baronin Ashton z. B. einige Themen der Computer- und Netzwerksicherheit ansprechen, die in den Bereich der Verteidigungspolitik gehören? Benötigen Sie mehr gemeinsame Forschung der EU, um auf Cyber-Herausforderungen eine umfassende Antwort auf europäischer Ebene zu definieren?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Das liegt im Grunde genommen nicht im Kompetenzbereich der Kommission, sondern in Baronin Ashtons Kompetenzbereich als Hohe Vertreterin. Sie entwickelt diese Art von Maßnahmen mit unseren wichtigsten Partnern. Auf dem letzten Gipfel mit Präsident Obama setzten wir unsere Zusammenarbeit bei der Computer- und Netzwerksicherheit auf die Tagesordnung.

Das ist nicht nur eine wichtige Angelegenheit für die NATO, sondern auch für unsere bilateralen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten. Wir arbeiten daran. Wir glauben, dass es ernste Bedrohungen für die Sicherheit im Cyberspace gibt. Einige Mitgliedstaaten – ich denke, auch Ihr Land – war bereits Ziel von Cyber-Angriffen. Ich glaube, das ist eine bedeutende Sorge. Wir müssen das auch auf europäischer Ebene ansprechen, aber dies ist eine Angelegenheit, in der Mitgliedstaaten eine gewisse Verantwortung tragen. Die Hohe Vertreterin bemüht sich, einen einheitlichen Ansatz zu Problemen bei der Computer- und Netzwerksicherheit zu erarbeiten. Ich unterstütze diese Anstrengungen im vollen Umfang.

 
  
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  Derek Vaughan (S&D). – Es gab besonders bei diesem Thema viel öffentliche Aufmerksamkeit in ganz Europa. Was die Menschen unter anderem besorgt, ist die Frage, was dies für die Zukunft der Computer- und Netzwerksicherheit in der ganzen EU bedeuten wird. Ich glaube nicht, dass viele Menschen übermäßig besorgt über die hier beteiligte Person sind. Was uns besorgt, ist die Art und Weise, wie sich dies auf ganz Europa auswirken wird. Ich glaube einfach, dass es wichtig ist, dass die EU hierbei eine Strategie haben sollte.

Ich möcht die Kommission drängen, so viele Partner wie möglich an diesen Diskussion zu beteiligen; nicht nur auf Ebene der Mitgliedstaaten, sondern auch auf anderen Regierungsebenen in der ganzen EU, damit z. B. Computer- und Netzwerksicherheit auch bei regionalen und lokalen Regierungen eine bedeutende Rolle spielt.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich stimme den von Ihnen geäußerten Sorgen voll zu. Das ist genau der Weg, den wir gehen möchten.

Vor gar nicht langer Zeit wurde die Europäische Union Zeuge von Cyber-Angriffen gegen öffentliche und private Organisationen in Estland im Jahr 2007 und Lettland im Jahr 2008. Täglich finden tausende von Cyber-Angriffen auf Institutionen der Europäischen Union und andere öffentliche Behörden statt.

Die Kommission reagierte kürzlich auf diese alarmierende Situation, indem sie am 30. September einen Vorschlag für eine Richtlinie zu Angriffen auf Informationssysteme machte, welche den betreffenden Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2005 außer Kraft setzt. Das übergeordnete Ziel dieser Richtlinie ist die Bekämpfung großangelegter Angriffe, welche in der Europäischen Union ihren Ursprung haben und/oder welche sich gegen die Europäische Union richten.

Wir sind bei diesen Sorgen sehr aufmerksam, und wir glauben, dass der Vorschlag für eine Richtlinie ein guter ist. Sie bestraft die Nutzer von Werkzeugen wie Botnets für die Durchführung einer strafbaren Handlung und führt schärfere Sanktionen für die Durchführung der strafbaren Handlungen ein. Sie führt eine Verpflichtung für Mitgliedstaaten ein, auf dringende Anfragen aus dem öffentlichen und privaten Sektor über das sieben Tage die Woche, rund um die Uhr verfügbare Netzwerk von Kontaktpunkten innerhalb von acht Stunden nach dem Erhalt der Anfrage zu reagieren, und es führt eine Überwachungspflicht für Mitgliedstaaten ein, was das Sammeln und die Bereitstellung von Daten über Cyber-Angriffe – dazu gehört die Anzahl von Strafverfolgungs- und Vorstrafenberichten – vereinfacht.

 
  
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  Mario Borghezio (EFD).(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Reaktionen bezüglich Herrn Assanges Fall und seiner Inhaftierung aufgrund seiner Auffassung von Freiheit erinnern an die von Pontius-Pilatus.

Ich möchte, dass wir drei Punkte berücksichtigen:

1. Dies ist ein Fall von fumus persecutionis, denn die Anschuldigungen sind sehr schwach. 2. Die Vereinigten Staaten üben Druck auf ein europäisches Land aus, jemanden auszuweisen, obwohl sie noch nicht die rechtlichen Grundlagen für diese Anfrage bestimmt haben. 3. Die europäischen Bankkonten eines Bürgers wurden geschlossen, was bedeutet, dass er in Europa keine finanzielle Hilfe von seinen Unterstützern bekommen kann.

Außerdem bestätigen alle Statistiken, dass die europäische Öffentlichkeit für diese Prinzipien von Freiheit ist, dass sie Freiheit im Internet wünscht, dass sie sich für Freiheit ausspricht; trotz der Zweifel und der Probleme, die infolge dieser Initiative auftraten, die ich persönlich nicht in vollem Umfang unterstütze.

Dennoch möchten wir, dass Präsident Barroso sagt, wo die Grenzen sind und worauf der Schutz der Menschenrechte und der Freiheit der Meinungsäußerung wirklich und ehrlich basiert. Betrachten wir hier ein virtuelles Guantánamo? Sind wir von einer orwellschen totalen Zensur des Internets bedroht? Das ist die Gefahr, und wir brauchen in dieser Angelegenheit Antworten.

Es ist auch wichtig, die Haftbedingungen von Herrn Assange zu überwachen, weil in Italien nicht einmal Mitglieder der Mafia vollkommen isoliert inhaftiert werden.

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich kann Ihnen einige rechtliche Informationen zu diesem Fall geben; natürlich ohne von vornherein über die Position zu urteilen, denn ich bin kein Tribunal und kann darüber keine Entscheidungen treffen.

Zunächst wurde Herr Assange von den britischen Behörden auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls in Gewahrsam genommen. Die schwedische Staatsanwaltschaft stellte eine Anzeigenotiz in für Herrn Assange im schwedischen System, im Schengensystem und über Interpol aus, und das war die Basis aufgrund derer ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt wurde.

Laut Artikel 28 des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl darf nun eine Person, die aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurde, nicht ohne die Zustimmung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat, an einen Drittstaat ausgeliefert werden. Das bedeutet, dass die zuständige britische Behörde, die entscheiden muss, ob er an Schweden ausgeliefert wird oder nicht, auch vor seiner Auslieferung an einen Drittstaat ihre Zustimmung geben müsste, weil Herr Assange im Vereinigten Königreich in Gewahrsam genommen wurde.

Das ist die beste Erklärung, die ich Ihnen zu den rechtlichen Aspekten geben kann, aber ich kann keine Vermutungen zu der Schuld oder Unschuld der betreffenden Person geben.

 
  
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  Sarah Ludford (ALDE). – Präsident Barroso, Sie haben zahlreiche Erklärungen gegeben, unter anderem die Erklärung an diesem Nachmittag über die Art und Weise, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit beachten, aber die Untersuchung zur außerordentlichen Überstellung, wobei Herr Coelho den Vorsitz hatte und ich die Vize-Vorsitzende war, lieferte glaubhafte Beweise, dass etwa ein Dutzend EU-Staaten und andere europäische Staaten im Kampf gegen den Terror bei Menschenrechtsverletzungen konspirierten, dazu gehören Verschleppung und Folter. Ich befürchte offen gesagt, dass Sie Herrn Coelho eine ziemlich verwirrende Antwort gaben.

Wir glaubten, dass die Kommission und der Rat Artikel 6 des Vertrags nicht beachtet haben, und wir drängten sie, die Wahrheit über das ans Licht zu bringen, was passiert ist und, wenn erforderlich, gemäß Artikel 7 Maßnahmen zu ergreifen, was Sanktionen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen bedeutet. Es gab offen gesagt kein Ergebnis. Daher muss sich die EU den Vorwurf der Heuchelei gefallen lassen. Was werden Sie jetzt unternehmen, um die volle politische und rechtliche Verantwortung für geheime Absprachen Europas bei Menschenrechtsverletzungen im Namen des sogenannten Krieges gegen den Terror zu bekommen?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Zunächst hat die Kommission immer die Grundrechte respektiert, und ich weise jede Art der Kritik zurück, laut der die Kommission in irgendeine Art von Verletzung der Grundrechte verwickelt ist. Das stimmt nicht. Die Kommission hat eine vollkommen weiße Weste in dieser Angelegenheit, und wir sind bereit, in allen diesen Angelegenheiten absolut transparent mit dem Parlament zusammen zu arbeiten.

Es gibt einige Angelegenheiten, die in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen, und sie müssen ihre Pflicht erfüllen. Die Kommission kann die Mitgliedstaaten nicht ersetzen. Wir haben einen Vertrag, wir haben eine Verantwortung, wir haben Pflichten, und wir haben Rechte. Die Kommission hat in den eben von Ihnen erwähnten Angelegenheiten mit diesem Parlament so zusammen gearbeitet, wie es das wünschte – und vollkommen transparent.

 
  
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  Franz Obermayr (NI). - Herr Präsident! Die Internet-Plattform Wikileaks publiziert – vereinfacht gesagt – Geheiminformationen, und das ist naturgemäß immer sehr unangenehm für die Beteiligten. Es ist auch festzustellen, dass bisher kein rechtsstaatliches Verfahren gegen Wikileaks stattgefunden hat. In der Zwischenzeit tobt ein regelrechter Cyberkrieg. Einerseits werden Wikileaks-Server angegriffen, andererseits gibt es Befürworter von Wikileaks, die Webserver von Visa und von MasterCard bombardieren, so dass diese zusammenbrechen.

Meine Fragen, Herr Präsident: Wird die Kommission gegen solche Stellvertreterkriege vorgehen? Sie haben bereits die Aktivitäten von Frau Kommissarin Malmström erwähnt. Gibt es da bereits ein Zeitraster, gibt es bereits Vorstellungen? Plant die Kommission – und da möchte ich bitte eine klare Antwort und nicht Ausreden mit Details und Gerichtshofbegründungen – konkret, gegen Wikileaks vorzugehen, um wieder einmal bei dem sensiblen Thema des Datentransfers als Erfüllungsgehilfe der USA aufzutreten und sich als solcher zu verhalten?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Zunächst einmal planen wir keine Maßnahmen irgendeiner Art gegen WikiLeaks.

Zweitens, werden die Richtlinien, die wir vorgelegt haben, jetzt mit dem Parlament diskutiert werden. Wir haben Vorschläge vorgelegt, um die Computer- und Netzwerksicherheit zu erhöhen.

Mit Blick auf einige Themen, von denen Sie wünschen, dass ich sie im Detail anspreche, denke ich, dass es besser wäre, wenn Sie eine Erklärung von Experten bekommen würden. Es tut mir leid, ich kann Ihnen in einer Minute keine genauen Antworten geben, aber meine Mitarbeiter stehen Ihnen zur Verfügung und wenn Sie es wünschen, werden Sie Ihnen die Einzelheiten über unsere Sichtweise bei diesem wichtigen Thema geben. Aber das ist eigentlich keine Angelegenheit der Kommission. Das ist etwas, das in den Vereinigten Staaten passiert ist und das Auswirkungen auf die Weltgemeinschaft hatte, die das Internet nutzt und es ist eine sehr ernste und wichtige Angelegenheit. Ich unterschätze nicht die Bedeutung davon, aber wir müssen uns klar darüber sein, wo unser Verantwortungsbereich liegt.

Ich biete an, die Abgeordneten, die dies wünschen, auf eine organisierte Weise umfassend über die technischen Maßnahmen zu informieren, die wir auf europäischer Ebene ergreifen können.

 
  
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  Petru Constantin Luhan (PPE).(RO) Herr Präsident, ich möchte Ihnen eine Frage zu den jüngsten Ereignissen stellen, welche die Angriffe, betreffen, die Hacker auf Visa, MasterCard und PayPal durchführten, um deren finanztechnische Operationen zu sabotieren und finanziellen Schaden zu verursachen.

Waren die vertraulichen Kundendaten sicher oder verwundbar, als diese Cyber-Angriffe stattfanden und ziemlich ernste technische Probleme verursachten? Das ist meine erste Frage. Während diese Angriffe andauern, die aus ideologischen Gründen oder aus Spaß am Hacken durchgeführt werden, besteht die Möglichkeit, dass Hacker, die nur an finanziellen Gewinnen interessiert sind, auch in dieses System gelangen werden. Ich möcht gerne wissen, ob diese finanziellen und persönlichen Informationen betroffen waren und welche Methoden und Täter hierbei involviert waren und ob Sie die Situation gegenwärtig unter Kontrolle haben. Ich würde auch gerne wissen, ob die Vereinigten Staaten und internationale Behörden sich auch mit diesem Problem beschäftigen?

 
  
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  José Manuel Barroso, Präsident der Kommission. – Ich habe keine direkten Informationen über die Lecks und in wie weit auf vertrauliche Informationen oder private Daten zugegriffen wurde. Es tut mir leid, aber ich habe die Information selbst nicht – ich habe mit dem Fall nichts zu tun.

Es ist wahr, dass diese Angelegenheit sehr wichtige Fragen bezüglich der Sicherheit aufgeworfen hat. Wir haben an einigen dieser Probleme schon vor dem Fall WikiLeaks gearbeitet, und ich habe Ihnen von einigen Initiativen der Kommission berichtet. Ich bin sicher, dass auf der anderen Seite des Atlantiks auch Sorgen bestehen. Daher denke ich, wir sollten bei der Erhöhung der Computer- und Netzwerksicherheit zusammenarbeiten, aber dabei immer die Grundrechte beachten – denn die Freiheit der Meinungsäußerung ist für uns in der Europäischen Union ein heiliges Recht – und wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass Datenschutz und Privatsphäre auch Grundrechte sind.

Wir müssen die richtige Balance finden, und daher müssen wir bei allen unseren Initiativen diese beiden Prinzipen beachten, welche manchmal schwer miteinander vereinbar sind, die aber dennoch sehr wichtig sind.

 
  
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  Der Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir hatten 21 Namen auf der Liste, aber nur 14 von Ihnen konnten das Wort ergreifen. Es tut mir sehr leid, aber die Namen wurden entsprechend der Reihenfolge auf der Liste berücksichtigt.

Damit ist die Fragestunde beendet.

 
  
  

VORSITZ: Gianni PITTELLA
Vizepräsident

 
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