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Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 15. Dezember 2010 - Straßburg Ausgabe im ABl.

Neue Strategie für Afghanistan (Aussprache)
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  Pino Arlacchi, Berichterstatter. Frau Präsidentin, der Bericht, über den wir heute beraten haben, wurde praktisch einstimmig im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten dieses Parlaments angenommen. Er ist das Ergebnis der Arbeit eines Jahres, die von einem von mir geführten Team geleistet wurde und auf ausgiebigen Konsultationen in Kabul und Brüssel basiert.

Dieser Bericht stellt einen Versuch dar, ein Paradoxon zu erklären: Wieso wurde so wenig in Afghanistan erreicht, auch nach neun Jahren des internationalen Einsatzes? Seit 2001 belaufen sich die Kosten der Militäreinsätze innerhalb des Landes auf mehr als 300 Mrd. EUR, und viele Tausend Menschen verloren ihr Leben; außerdem wurden mindestens weitere 40 Mrd. EUR auf ziviler Seite ausgegeben: Insgesamt belaufen sich die Kosten auf das Dreißigfache des afghanischen BIP.

Trotz dieser immensen Anstrengungen ist Afghanistan nach wie vor der größte Rauschgift-Produzent. Es ist immer noch eines der ärmsten Länder der Welt, in dem das Leben – für den Großteil Teil der afghanischen Bevölkerung – kurz, brutal und schlimm ist, wie es auf unserem Kontinent vor fünf Jahrhunderten war. Allein die Müttersterblichkeit fordert in Afghanistan mehr Menschenleben als der Krieg: mehr als 20 000 Fälle jährlich im Vergleich zu 2300. Die Lösung dieses Paradoxons ist nicht einfach. Die Opium-Problematik und die Stärke der Aufständischen müssen berücksichtigt werden, genauso wie der Glaube an die Illusion des schnellen militärischen Sieges, der in den ersten Jahren des internationalen Einsatzes noch vorherrschte. Darüber hinaus wurde die Legitimität der Zentralregierung überschätzt, wie auch die Effektivität der internationalen Hilfeleistungen beim Wiederaufbau des Landes.

Dieser Bericht versucht nicht, all diese Angelegenheiten zu vereinfachen. Er akzeptiert die Herausforderung in ihrem gesamten Ausmaß, und dieses Dokument stellt einen Versuch dar, neue Richtungen für unsere Strategien vorzuschlagen. Der Bericht nähert sich dem Thema von einem europäischen Standpunkt aus. Das bedeutet, dass die Afghanistankrise von einem Blickwinkel aus betrachtet wird, der nicht einfach die amerikanische Perspektive widerspiegelt. Die europäischen Werte und Grundsätze sind von Bedeutung. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie das Afghanistanproblem von den Bürgerinnen und Bürgern Europas betrachtet wird, und diese glauben grundsätzlich nicht an eine militärische Lösung, da wir vor mehr als 65 Jahren die Idee aufgegeben haben, dass Krieg und die Besatzung fremder Länder eine gute Lösung darstellen.

Die Europäische Union wurde auf Grundlage einer Abneigung dem Krieg gegenüber errichtet, und dieser Bericht bringt diese Einstellung zum Ausdruck. Speziell beim Thema Afghanistan unterstützen die Bürgerinnen und Bürger der EU nachdrücklich eine zivile Herangehensweise als Alternative zur Gewaltanwendung. Unsere Herangehensweise ist nicht naiv; sie ist nicht vergleichbar mit der Sanftmut der Venus gegen die Stärke des Mars, wie hier angemerkt wurde. Es geht vielmehr um die Macht der Vernunft und der menschlichen Solidarität, angewendet in einer Krise wie in der Krise Afghanistans, die nicht mit einer grob vereinfachten Lösung und Mentalität bewältigt werden kann.

Dieser Bericht schlägt eine Strategie vor, die die eingeschränkte Verwendung von Zwangsmitteln nicht ausschließt. Der Schutz des afghanischen Volkes vor Terroristen und kriminellen Angriffen ist eine Voraussetzung für die Entwicklung, und dieses Parlament ist der Meinung, dass die Kombination aus friedenserhaltenden Interventionen, multilateraler Diplomatie, Friedensverhandlungen im Inland, wirksamen Mitteln der Verringerung der Armut, der Schaffung demokratischer Institutionen und dem Schutz der Frauenrechte die Grundlage einer neuen, Erfolg versprechenden Strategie für Afghanistan und andere Länder darstellt.

Ich hoffe, dass die hier dargestellte Strategie vom neuen System sorgfältig umgesetzt wird, und ich möchte diese Gelegenheit nutzen, Baroness Ashton dazu einzuladen, diese Bestrebungen gemeinsam mit dem Parlament zu unterstützen.

 
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