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Verfahren : 2010/2996(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : B7-0156/2011

Eingereichte Texte :

B7-0156/2011

Aussprachen :

PV 08/03/2011 - 14
CRE 08/03/2011 - 14

Abstimmungen :

PV 09/03/2011 - 10.1
CRE 09/03/2011 - 10.1
Erklärungen zur Abstimmung
Erklärungen zur Abstimmung
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P7_TA(2011)0090

Ausführliche Sitzungsberichte
Dienstag, 8. März 2011 - Straßburg Ausgabe im ABl.

14. Fortschrittsbericht 2010 über die Türkei (Aussprache)
Video der Beiträge
Protokoll
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  Die Präsidentin. – Beim nächsten Punkt handelt es sich um die Erklärungen der Kommission und des Rates zum Fortschrittsbericht 2010 zur Türkei.

 
  
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  Enikő Győri, Amtierender Ratspräsident.(HU) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich sagen, es ist mir eine große Freude, dass Sie so viel Interesse für das Thema der Erweiterung zeigen. Obwohl sowohl die beiden Mitgliedstaaten als auch die Beitrittskandidaten vor bemerkenswerten Herausforderungen stehen, glaube ich, dass der Erweiterungsprozess kontinuierlich und konsequent auf der Grundlage der erreichten Leistung weitergeführt werden muss. Um dies zu erreichen, müssen beide Parteien weiterhin dazu entschlossen sein. In Kenntnis der Aktivitäten des Europäischen Parlaments ist es klar, dass dies das Forum ist, in dem sich alle Teilnehmer der Bedeutung unserer Beziehungen zur Türkei bewusst sind.

Es handelt sich um seit vielen Jahren bestehende Beziehungen, die durch den Kandidatenstatus des Landes noch enger geworden sind. Gleichzeitigt ist die Türkei auch ein wichtiger regionaler Akteur und spielt eine entscheidende Rolle in vielen bedeutenden Bereichen, wie etwa der Energiesicherheit und der regionalen Sicherheit sowie bei der Förderung des Dialogs zwischen Zivilisationen. In der Zwischenzeit unterstreichen die dramatischen internationalen Ereignisse in unserer direkten Nachbarschaft sogar noch mehr das Ausmaß der Bedeutung der Türkei in den zuvor erwähnten Bereichen. Beitrittsverhandlungen mit diesem Land werden im Einklang mit den relevanten Schlussfolgerungen des Europäischen Rates und des Rates sowie des Verhandlungsrahmens geführt. Trotz der Verhandlungen, die sich im fortgeschrittenen Stadium befinden und immer komplexer werden, hat sich der ungarische Ratsvorsitz verpflichtet, bei all jenen Kapitel Fortschritte zu erzielen, bei denen Fortschritte möglich sind. Die Arbeit schreitet sogar jetzt voran und im Mittelpunkt steht zurzeit Kapitel 8, die Wettbewerbspolitik.

Ich vertraue darauf, dass unsere türkischen Partner mit ihren Bemühungen fortfahren werden und dass wir bald Resultate sehen können. In den im Dezember angenommenen Schlussfolgerungen hat der Rat die kontinuierliche Verpflichtung der Türkei zum Verhandlungsprozess und ebenso ihr politisches Reformprogramm begrüßt. Das von der Türkei 2010 angenommene konstitutionelle Reformpaket stellt einen weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar, da dieses Paket mehrere Prioritäten der Beitrittspartnerschaft in den Bereichen Justiz, Grundrechte und öffentliche Verwaltung abdeckt. Die allerwichtigste Aufgabe im Moment besteht darin, sicherzustellen, dass die Reformen im Einklang mit den europäischen Normen und durch Konsultationen mit der größtmöglichen Anzahl von Teilnehmern durchgeführt werden, das heißt, allen politischen Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft.

Es ist klar, dass der Arbeit an den politischen Kriterien immer noch äußerste Wichtigkeit beigemessen wird. Ernste Anstrengungen sind in vielen Bereichen erforderlich, wie das in den Schlussfolgerungen des Rates am 14. Dezember 2010, im Entschließungsentwurf des Europäisches Parlaments und im Fortschrittsbericht der Kommission für 2010 unterstrichen wurde.

Lassen Sie mich einige dieser Bereiche hervorheben: Die Türkei muss die Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten weiter verbessern, insbesondere die Freiheit der Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit, sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Praxis. Auch müssen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um volle Übereinstimmung mit den Kopenhagener Kriterien in Bezug auf Eigentumsrechte, Gewerkschaftsrechte, die Rechte für Angehörige von Minderheiten, die Rechte von Frauen und Kindern, die Bekämpfung der Diskriminierung, die Gleichstellung der Geschlechter und die Bekämpfung der Folter und der unmenschlichen Behandlung, neben anderen Bereichen, sicherzustellen.

In Bezug auf die Freiheit der Meinungsäußerung gibt es in den Bereichen der Beschränkung der Pressefreiheit, des ungenügenden Schutzes der Rechte der Journalisten sowie des häufigen und weitgehenden Verbots von Websites Grund zur Beunruhigung, was auch im Entschließungsentwurf des Parlaments hervorgehoben wird. Lassen Sie mich an dieser Stelle auf die Vorkommnisse der jüngsten Tage hinweisen. Am 3. März haben die türkischen Polizeikräfte ein Reihe von Journalisten verhaftet. Wir müssen diese Fälle sehr genau beobachten und die türkischen Behörden ständig an die Wichtigkeit der kontinuierlichen Durchsetzung der Freiheiten erinnern.

In Bezug auf die Religionsfreiheit muss die Türkei sowohl die rechtlichen wie auch die praktischen Bedingungen herstellen, damit sie ausgeübt werden kann. Um den religiösen Pluralismus im Einklang mit europäischen Normen zu gewährleisten, ist eine umfassende rechtliche Lösung erforderlich. In ähnlicher Weise ist der Ratsvorsitz über die große Anzahl von Nachrichten über Folterungen und unmenschliche Behandlung und besonders den Missbrauch besorgt, der außerhalb offizieller Haftanstalten begangen wird. Um die Verletzung von Menschenrechten zu verhindern, muss die rigorose Umsetzung des Gesetzes zur Regelung des Umfangs der Aktivitäten und Machtbefugnisse der Polizei, das zuletzt 2007 geändert wurde, überwacht werden. Wie im Entschließungsentwurf des Europäischen Parlaments hervorgehoben wird, stellen die Bestätigung des UN-Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und die Bekämpfung der Straffreiheit in dieser Hinsicht entscheidende Schritte dar.

In Bezug auf die türkisch-kurdischen Beziehungen und das Problem der südöstlichen Territorien hoffen wir, dass die Umsetzung und die Weiterführung des Prozesses der demokratischen Öffnung bald die erhofften Ergebnisse bringen und letztendlich zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung der Region führen wird. Lassen Sie mich auch daran erinnern, dass der Rat die Terrorakte, die auf dem Gebiet der Türkei begangen wurden, aufs Schärfste verurteilt. Es muss ebenfalls betont werden, dass die Kurdische Arbeiterpartei immer noch auf der EU-Liste der Terrorgruppen erscheint.

Und jetzt weiter zu den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Ich stelle mit tiefer Besorgnis fest, dass sich die Türkei trotz wiederholter Bitten weiterhin weigert, ihren Verpflichtungen gegenüber der vollständigen und nicht-diskriminierenden Umsetzung des Zusatzprotokolls ihres Assoziierungsabkommens nachzukommen. Das ist ein wesentlicher Punkt, und aus diesem Grund hält der Rat seine Maßnahmen von 2006 aufrecht, die andererseits, wie wir alle wissen, eine deutliche Wirkung auf das Tempo der Beitrittsverhandlungen haben.

Der Rat überwacht und überprüft weiterhin genauestens jeden Erfolg, der erzielt wird. In ähnlicher Weise gibt es keine Fortschritte in der Normalisierung der Beziehungen zwischen Zypern und der Türkei. Der Rat erwartet die aktive Unterstützung der Türkei bei den laufenden Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen über die gerechte, umfassende und durchführbare Lösung der Zypern-Frage im Einklang mit den entsprechenden Entschließungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und unter Achtung der Grundprinzipien, welche die Grundlagen der EU repräsentieren. Die Verpflichtung und der Beitrag der Türkei sind in der Tat für eine solche umfassende Lösung unabdingbar.

Darüber hinaus möchte ich betonen, dass die Türkei eine klare Verpflichtung zu guten nachbarschaftlichen Beziehungen und einer friedlichen Beilegung von Streitfällen eingehen muss. Die Türkei ist ein Hauptursprungs- und Transitland illegaler Immigration in die EU und wir begrüßen daher die Tatsache, dass die Verhandlungen für ein Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei abgeschlossen wurden. Der Rat sieht der baldigsten Unterzeichnung des Abkommens und seiner erfolgreichen Umsetzung mit Interesse entgegen Wir sind uns alle bewusst, dass dies bei der jüngsten Sitzung des Rates Justiz und Inneres erfolgt ist, und wir erwarten jetzt, dass die Türkei den Vertrag unterzeichnet. Bis das geschieht, betont der Rat erneut die Pflicht, die bestehenden bilateralen Rückübernahmeabkommen vollständig und ordnungsgemäß umzusetzen.

Im Zusammenhang mit der Zollunion zwischen der EU und der Türkei möchte ich feststellen, dass für die Türkei die Zeit gekommen ist, endlich die große Anzahl von Verpflichtungen zu erfüllen, derer sie sich bis jetzt entzogen hat. Zu diesen zählen die technischen und verwaltungstechnischen Handelsbarrieren, die Registrierungspflichten, die Einfuhrlizenzen, staatliche Beihilfen, die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und andere unterschiedliche Behandlungen und Bestimmungen. Das sind alles Aspekte, die dringend angesprochen werden müssen. Außerdem muss die Türkei alle Beschränkungen aufheben, die den Handel und Verkehr zwischen EU-Mitgliedstaaten und der Türkei beeinträchtigen. Vielen Dank für Ihre Geduld. ich werde nun gerne Ihre Fragen beantworten.

 
  
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  Štefan Füle, Mitglied der Kommission. – Frau Präsidentin! Ich möchte dem Parlament und insbesondere Frau Oomen-Ruijten für ihren Bericht über die Türkei danken. Diese Aussprache und Ihre Entschließung kommen zu einer wichtigen Zeit für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, und der Entschließungsentwurf unterstreicht eine Reihe von äußerst wichtigen Themen für die Kommission.

Die Kommission engagiert sich weiterhin für den Beitrittsprozess der Türkei. Der Erweiterungsprozess ist ein Schlüsselfaktor für politische und wirtschaftliche Reformen in diesem Land. Es herrscht ein enges Verhältnis zwischen der EU und der Türkei. Die Türkei braucht die Europäische Union, und die Europäische Union braucht die Türkei – diese Ausgewogenheit hat sich nicht geändert. Die Europäische Union ist ein zentraler Akteur für die Türkei und wird es bleiben.

Das Verhältnis basiert auf einer starken wirtschaftlichen Integration: 40 % des Außenhandels der Türkei geht in die EU und 80 % der ausländischen direkten Investitionen in der Türkei kommen aus der EU. Die Europäische Union trägt durch Technologietransfers wirksam zur Modernisierung der Türkei, der Beteiligung der Türkei am Bildungssystem und Forschungsprogrammen der EU und unserer finanziellen Heranführungshilfe bei.

Gleichzeitig haben sich die Beitrittsverhandlungen verlangsamt. Darüber hinaus erfordern die Verhandlungskapitel, deren Eröffnung die Türkei unter den gegenwärtigen Umständen anstreben kann, wesentliche Reformen und Anpassungen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich umso mehr den vor kurzem erzielten Fortschritt, insbesondere bezüglich des Wettbewerbskapitels. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Kapitel bald eröffnen können, vorausgesetzt die Türkei erfüllt die letzten ausstehenden Bedingungen.

Offensichtlich hat die Zypern-Frage einen großen Einfluss auf diese Verhandlungen. Positive Schritte bei der Umsetzung des Zusatzprotokolls des Abkommens von Ankara oder bei den Schlichtungsgesprächen hätten eine positive Wirkung auf die Beitrittsverhandlungen.

Lassen Sie mich zu den Reformen in der Türkei kommen. Ich begrüße die Verfassungsreform des letzten Jahres und die darauffolgenden legislativen Änderungen als einen Schritt in die richtige Richtung. Bei der Gestaltung der Gesetze keinen Fehler zu machen, ist sehr wichtig. Allerdings werden nur eine objektive und unparteiische Umsetzung der neuen Gesetze den Erfolg der Verfassungsreform sicherstellen. Die Türkei sollte mit der Verfassungsreform fortfahren. Das Verfahren sollte so inklusiv und transparent wie möglich sein, unter aktiver Beteiligung der verschiedenen politischen Parteien, Organisationen der Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und der breiten Bevölkerung.

Die Kommission verfolgt die jüngsten, gegen Journalisten gerichteten Aktionen mit Besorgnis. Die Unabhängigkeit und Freiheit der Presse ist für die Demokratie von entscheidender Bedeutung. In ihrem Fortschrittsbericht für 2010 hat die Kommission bereits die hohe Anzahl von Gerichtsprozessen gegen Journalisten und den unangemessenen Druck auf die Medien hervorgehoben, welche dieses Grundrecht in der Praxis unterminieren. Zur Pressefreiheit gehört, dass Meinungsverschiedenheiten und entgegengesetzte Perspektiven gehört und – noch wichtiger – toleriert werden müssen. Pressefreiheit bedeutet die Garantie eines öffentlichen Raums für freie Debatten, einschließlich im Internet. Der Entschließungsentwurf des Europäischen Parlaments unterstreicht diese Punkte zu Recht.

In Bezug auf die Religionsfreiheit begrüßen wir die Initiativen, die zugunsten der nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften in der Türkei getroffen wurden. Allerdings sind weitere und systematische Anstrengungen notwendig, um die Probleme der Nicht-Muslime und Aleviten anzusprechen.

Ich möchte jetzt etwas zum Thema Migration sagen. Vor zwei Wochen hat der Rat das Rückübernahmeabkommen der EU mit der Türkei bestätigt. Dieses Abkommen ist für die EU-Mitgliedstaaten von Vorteil, da die Türkei ein wichtiges Transitland für die Migrationsströme in die EU ist. Die Entwicklung des Rückübernahmeabkommens eröffnet auch zum ersten Mal neue und konkrete Perspektiven für die zukünftige Zusammenarbeit mit der Türkei im Bereich der Visum- und Migrationsstrategien, mit Blick auf die Verbesserung der Freizügigkeit und der Kontakte zwischen unseren Bürgern und Unternehmen.

Die Türkei und die Europäische Union haben ein gemeinsames Interesse, eng auf diesem Gebiet zusammen zu arbeiten. Es gibt viele gute Gründe für die Verbesserung der Reisemöglichkeiten der türkischen Bürger, Unternehmer und Studenten nach Europa: damit sie sich mehr mit europäischen Standards vertraut machen können; um den Handel zwischen der EU und der Türkei zum Vorteil von Unternehmen sowohl der Europäischen Union als auch der Türkei zu vergrößern und um unserer Zusammenarbeit mit der Türkei einen dringend benötigten Impuls zu geben. Frau Präsidentin! Ich versichere Ihnen, dass sich das Europäische Parlament in angemessener Weise sowohl für das Thema des Rückübernahmeabkommens als auch den Dialog über die Visaregelungen im Einklang mit den Vertragsbedingungen einsetzen wird.

Die Beziehungen zur Türkei müssen auch in einem erweiterten Kontext gesehen werden. Die aktive Außenpolitik der Türkei ist ein potenzieller Pluspunkt für die Europäische Union, vorausgesetzt. sie wird im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses der Türkei entwickelt. Die Europäische Union ist bereit, ihren bestehenden Dialog mit der Türkei über außenpolitische Fragen von gemeinsamem Interesse zu intensivieren.

Wenn wir heute über die Türkei sprechen, dürfen wir die bedeutenden Entwicklungen in ihrer erweiterten Region nicht ignorieren. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten haben die Stabilität, den Wohlstand und die Demokratie der Türkei aufgezeigt. Die Bürgerinnen und Bürger in diesen Ländern betrachten die Türkei genauso wie die Europäische Union, nämlich als nachahmungswürdiges Vorbild. Sie beobachten, wie die Türkei Standards und Werte unterstützt, für die sie jetzt selbst kämpfen, und die mit Europa verbunden sind.

Um es deutlich zu sagen: Obwohl sie für andere beispielhaft ist, hat die Türkei noch eine ganze Menge zu tun. Viele dieser Herausforderungen für die Zukunft sind in Ihrem Bericht umrissen. Dies ist die Gelegenheit für die Türkei, der vollständigen Umsetzung der politischen Kriterien der Europäischen Union sogar noch näher zu kommen. Die Regierung trägt eine sehr wichtige Verantwortung, eine derartige privilegierte Position beizubehalten und zum Vorteil ihrer Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die gesamte Region, mit gutem Beispiel voranzugehen.

 
  
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  Ria Oomen-Ruijten, im Namen der PPE-Fraktion.(NL) Frau Präsidentin, Frau Győri, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Diese Aussprache und der Bericht über die Türkei kommen drei Monate vor den Parlamentswahlen in der Türkei. Mehr als in früheren Jahren habe ich daher mein Bestes getan, um sicherzustellen, dass der Ton dieser Berichte sehr objektiv und konstruktiv ist. Die 22 Kompromissänderungsanträge für die Abstimmung im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten sind der Beweis dafür. Auf der Grundlage der Entwicklungen während der letzten Jahre wollen wir als Parlament unsere Prioritäten für das neue türkische Parlament und für die nächste Regierung vorstellen. Es gibt meines Erachtens sechs Prioritäten:

Zunächst tragen die Regierung und die Opposition eine große Verantwortung, einen Kompromiss und Konsens für weitere Reformen anzustreben. Die Opposition und auch die Regierung haben angedeutet, dass sie eine umfassende Verfassungsreform abschließen wollen, und ich erwarte, dass dies geschieht.

Zweitens ist die gegenseitige Kontrolle von Verfassungsorganen eines Staates (Checks and Balances) die Grundlage für jedes demokratische System. Weitere Schritte müssen unternommen werden, um das unabhängige und unparteiische Justizsystem, die Überwachungsfunktion des Parlaments und insbesondere die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsäußerung zu stärken. Ich bin ganz besonders über die Pressefreiheit besorgt, aber ich komme darauf noch zurück.

Drittens, die Minderheitenrechte. Ich beglückwünsche die Türkei zu den symbolischen Schritten und zum Dialog, den die Regierung ausdrücklich gesucht hat. Aber der Dialog allein ist nicht genug. Die Menschen im Südosten des Landes, die Aleviten und die christlichen Minderheiten, erwarten konkrete Schritte. Insbesondere die Erklärung zu Mor Gabriel zeigt, dass es noch eine Menge Arbeit gibt, und ich vermute, dass es der türkischen Regierung schaden würde, wenn dieser Fall erneut vom Gerichtshof gelöst werden müsste. Darum muss etwas zur Herstellung einer demokratischen Öffnung getan werden.

Viertens, die Frauenrechte. Viel wurde in den letzten Jahren getan, aber Gesetze allein reichen nicht aus. Ich habe Frauenhäuser besucht. Ich habe mit türkischen Frauenorganisationen gesprochen. Es ist klar, dass Anstrengungen sowohl von der türkischen Regierung als auch vom Parlament auf nationaler und lokaler Ebene unternommen wurden, aber die Dinge scheinen steckenzubleiben, sobald sie die Polizei und die Gerichte erreichen. Das muss sich ändern. Gesetze sind gut und schön, aber die Durchsetzung ist ebenso wichtig. Am heutigen hundertsten Internationalen Frauentag möchte ich mich erneut für eine bessere Vertretung der Frauen im türkischen Parlament aussprechen. Die Dinge müssen sich in dieser Hinsicht bei den kommenden Wahlen ändern.

Fünftens ist meines Erachtens das Protokoll von Ankara von entscheidender Bedeutung. Hier liegt die Verantwortung bei der Türkei. Ganz besonders dadurch werden die Kapitelverhandlungen blockiert: lassen Sie mich das wiederholen.

Sechstens, Außenpolitik. Wir Europäer sind dafür, dass die Türkei eine aktive Rolle in der Region spielt. Allerdings möchte ich betonen, dass die Türkei nur dann in dieser Hinsicht eine Brückenfunktion haben kann, wenn die Pfeiler dieser Brücke fest auf der europäischen Seite des Bosporus verankert bleiben. Frau Ashton wird in diesem Punkt ebenfalls eine sehr aktive Zusammenarbeit mit der Türkei anstreben müssen, und zwar aktiver, als dies bis jetzt geschehen ist. Und nebenbei bemerkt, das sind nicht nur meine Prioritäten. Alles, was ich erwähnt habe, wurde bereits innerhalb der türkischen Gesellschaft diskutiert. Es kommt jetzt auf die Politiker an, diese Debatte in einen Konsens und einen Kompromiss umzuwandeln.

Ganz kurz noch zwei weitere Problembereiche. Wir sind über die Erklärung der PKK beunruhigt, dass sie den Waffenstillstand beenden will. Die Kommission hat darüber gesprochen. Die Pressefreiheit: Letzten Freitag habe ich einen offenen Brief erhalten. Lassen Sie mich noch einmal sagen, dass jeder, der die Freiheit der Meinungsäußerung in einem bestimmten Land beschränkt, die Kultur dieses Landes angreift. Eine freie und tolerante Debatte ist für jedes Land von entscheidender Bedeutung.

 
  
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  Richard Howitt, im Namen der S&D-Fraktion. – Frau Präsidentin! Die weitere Konsolidierung der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte in der Türkei, die zur vollen Mitgliedschaft in unserer Europäischen Union führen sollte, wird sogar noch wichtiger, da die arabischen Staaten und die Staaten des Nahen Ostens gleich hinter den Grenzen Europas eine Krise erleben. Wir sollten die Tatsache begrüßen, dass der Reformprozess in der Türkei neue Impulse erhalten hat, und wir sollten, eingedenk der Kontroversen beim Referendum vom letzten September, eine Plattform für eine zukünftige grundlegende Verfassungsreform mit Unterstützung aller Parteien fordern.

Ich unterstütze diesbezüglich besonders die Arbeit von Kommissar Füle und seine kompromisslosen Worte heute Nachmittag zur Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere deshalb, da ich zusammen mit anderen Europäischen Abgeordneten daran gehindert worden war, als Rechtsbeobachter bei den KCK-Fällen am Gericht von Diyarbakir zu fungieren. Aber ich fordere den Herrn Kommissar auch auf, In der Visumfrage Fortschritte zu erzielen, insbesondere für Geschäftsleute, und die Türkei zur Einhaltung ihrer Versprechen hinsichtlich des Entwurfs des Gewerkschaftsgesetzes zu bewegen.

Unsere sozialistische und demokratische Fraktion glaubt, dass die Beitrittsgespräche nicht von einem Zugunfall, sondern vom Tod durch Erwürgen bedroht sind. In 8 Monaten wurde kein neues Kapitel eröffnet; das ist die längste Zeitspanne, seit die Gespräche begonnen haben. Wir werden morgen nicht deshalb für die Eröffnung der Kapitel über die Grundrechte und das Justizsystem und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stimmen, weil wir in diesen Fragen eine schwache, sondern weil wir eine starke Stellung einnehmen wollen. Wir tun das nicht, weil wir den Druck auf allen Seiten ändern wollen, um eine Versöhnung in der Frage der Insel Zypern herbeizuführen.

Genauso wie der Reformprozess für die Türkei neue Impulse benötigt, ist dies auch bei ihren Beitrittsverhandlungen mit der Union notwendig.

 
  
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  Alexander Graf Lambsdorff, im Namen der ALDE-Fraktion. – Frau Präsidentin! Der Kommissar hat es ja eben sehr deutlich gesagt: Die Türkei und die Europäische Union brauchen einander, wir sind wichtige Nachbarn füreinander, wir sind Verbündete in der NATO, viele türkischstämmige Menschen wohnen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir müssen einen respektvollen Umgang miteinander pflegen. Ich bin sehr für eine Visaerleichterung für Geschäftsleute und Studenten, genau so, wie Sie das gesagt haben. Ich bin sehr dafür, dass man die Türkei viel enger an die Strukturen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik heranführt. Ich würde mir wünschen, dass Zypern seine Blockade hier aufgibt. Wenn wir nach Nordafrika schauen, ist die Türkei ein Modell für viele Länder in der Region. Ja, das ist eigentlich alles sehr gut.

Und dann schauen wir auf den Beitrittsprozess. Dann stellen wir fest, dass zahlreiche Kapitel blockiert sind. Neue Kapitel zu eröffnen ist ausgesprochen schwierig. Es sind gerade einmal drei Kapitel übrig, das Kapitel Wettbewerb nähert sich der Öffnung. Und dann, wenn die letzten Kapitel geöffnet sind? Herrscht dann Sprachlosigkeit zwischen der Türkei und der Europäischen Union? Das kann ja wohl nicht sein! Deswegen müssen wir sehr gut überlegen, wie wir mit dem Beitrittsprozess weitermachen, ob wir dieses Verfahren, wie wir es heute hier haben, also dass das Parlament den Fortschrittsbericht der Kommission mit einer Entschließung kommentiert, noch so aufrechterhalten können oder nicht.

Unser Bericht 2010 ist kritisch, sehr kritisch, aber er ist kritisch-konstruktiv. Angesprochen werden die Grundrechte – gerade für Liberale ganz klar: Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Freiheit des Ausdrucks, der Versammlung, Studentendemonstrationen, Gewerkschaftsrechte, die Religionsfreiheit. Seit Jahren mahnen wir Verbesserungen in der Religionsfreiheit an, da passiert einfach viel zu wenig! Die Verhaftung von Ahmet Şık und Nedim Şener, die Beeinträchtigung der Arbeit der politischen Stiftungen in der Türkei – all das macht uns große Sorgen. Das ist das erste Kopenhagener Kriterium! Das ist wirklich zentral, das ist das politische Kriterium. Wenn die Türkei bei ihrer inneren demokratischen Verfassung keine Fortschritte macht, dann sehe ich ganz unabhängig von der Blockade im Rat an der einen oder anderen Stelle noch echte Probleme.

Diplomatisch: Wir brauchen die Türkei, wir brauchen einander. Demokratisch: Es ist noch wirklich viel zu tun, gerade in der Türkei.

 
  
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  Hélène Flautre, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (FR) Frau Präsidentin, ich möchte diese Gelegenheit nützen, um Frau Oomen-Ruijten für ihre Bemühungen zu danken, außergewöhnlich detaillierte Unterlagen bereitzustellen und einen Bericht nach bestem Wissen und Gewissen mit der Absicht zu erstellen, klare politische Botschaften zu vermitteln, insbesondere am Vorabend der Wahlen zur Legislative in der Türkei, und ich stelle fest, dass ich ihre Arbeit unterstütze.

Dieser Bericht betont – im Gegensatz zu Ihnen, Herr Minister, aber das ist verständlich – die Freiheit der Meinungsäußerung und die Medienfreiheit. Leider ist dies offensichtlich äußerst wichtig, und die gegenwärtigen Ereignisse erinnern uns daran, nämlich die jüngsten Festnahmen der Journalisten Nedim Şener und Ahmet Şik im Zusammenhang mit den Nachforschungen bezüglich Ergenekon und Sledgehammer. Ich habe einen Änderungsantrag zu diesem Thema vorgelegt und möchte Sie einladen, diese Arbeit zu unterstützen, um es unserem Parlament zu ermöglichen, in dieser entscheidenden Frage der Pressefreiheit besonders wachsam zu sein, da diese auch auf die Frage der Unabhängigkeit des Justizsystems und die Ausarbeitung der neuen Verfassung Einfluss hat.

Ich möchte Ihnen allerdings die folgende politische Frage stellen: Wenn wir den Würgegriff im Beitrittsprozess und den Stillstand bei den Kapitelverhandlungen beobachten, die solch entscheidende Bedeutung haben, wenn wir bei den Fragen der grundlegenden Freiheiten, der Unabhängigkeit des Justizsystems und der neuen Verfassung Fortschritte erzielen wollen, stimmt es dann nicht, dass unsere Entscheidung und die des Rates, mit der Schließung der Kapitel eine Strafe zu verhängen und es unmöglich zu machen, die Kapitel zu eröffnen und abzuschließen, heute absolut kontraproduktive Faktoren sind?

Es ergibt für die Europäische Union keinen Sinn, sich um eines der wichtigsten Druckmittel für Maßnahmen in der Türkei zu bringen, das heißt Verhandlungen – insbesondere hinsichtlich der Kapitel 22, 23 und 24 – und ich möchte den Rat auffordern, diese Situation erneut zu untersuchen, da es heute offensichtlich so aussieht, als ob der Beitrittsprozess durch diese Sanktionen als Geisel genommen wurde, was am Ende nur dann Wirkung zeigen wird, wenn der Beitrittsprozess ein aktuelles Thema bleibt. Nun kann jeder sehen, dass dem nicht so ist. Wir befinden uns daher in einer äußerst besorgniserregenden politischen Situation, gerade zu einer Zeit, wenn die Türkei von allen Ländern südlich des Mittelmeerraums als eine Quelle der Inspiration für ihren eigenen Übergang zur Demokratie angesehen wird.

Ich stelle keine Forderung für eine Entscheidung über den Beitritt der Türkei. Ich fordere, dass die Entscheidungen, die wir auf allen Ebenen fällen, in absoluter Weise die Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Seriosität und Loyalität unseres Verhandlungsprozesses widerspiegeln. Heute ist dies deutlich in Frage gestellt.

 
  
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  Geoffrey Van Orden, im Namen der ECR-Fraktion. – Frau Präsidentin! Ich sehe, dass es unterschiedliche Ansichten zum Beitritt der Türkei sowohl zwischen den Fraktionen als auch innerhalb der Fraktionen in diesem Parlament gibt, einschließlich meiner eigenen Fraktion. Persönlich habe ich die Bestrebungen der Türkei in Richtung Europa immer unterstützt. Natürlich gibt es Bedenken, aber ich würde sagen, dass es angesichts der turbulenten Ereignisse, die wir jetzt in Nordafrika und im Nahen Osten miterleben, und vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Bedrohung durch islamischen Terrorismus für uns noch nie wichtiger war, der Türkei ein positives Signal zu vermitteln, dass sie im Verband der europäischen Demokratien willkommen ist.

Ich möchte auch insbesondere unsere griechisch-zypriotischen und griechischen Freunde auffordern, ihre unilaterale Haltung gegenüber dem Zypern-Problem aufzugeben, objektiver zu sein und eine umfassende Lösung mit den Türken zu erreichen, bevor es zu spät ist. Wir kritisieren die Türkei wegen des Zusatzprotokolls – wir haben das Gleiche erneut heute Nachmittag vom amtierenden Präsidenten gehört – aber vom Scheitern der Umsetzung des Beschlusses des EU-Rates vom 26. April 2004 haben wir nichts gehört.

Die Türkei ist ein Kernmitglied der Atlantischen Allianz, eine Demokratie mit einer entscheidenden Rolle an der Schnittstelle zwischen Ost und West und ein Land, das sich sehr schnell verändert und eine Wachstumsrate hat, die es auf eine Stufe mit den weltweit führenden Staaten stellt. Lassen Sie uns jetzt handeln! Wir dürfen die Türkei in dieser Phase nicht verlieren!

 
  
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  Takis Hadjigeorgiou, im Namen der GUE/NGL-Fraktion.(EL) Frau Präsidentin! Ich möchte mich eines Kommentars zu Herrn Van Ordens Argumenten enthalten, erstens, weil ich meine Zeit nicht aufbrauchen will und zweitens, weil er – und das nicht zum ersten Mal – hinsichtlich Zypern den Täter mit dem Opfer verwechselt hat. Wir sind für den Beitritt der Türkei, wenn das der Wille ihrer Bürgerinnen und Bürger ist, und vorausgesetzt, dass sie alle Beitrittsbedingungen erfüllt.

Damit dies geschehen kann, muss die Türkei eine echte politische Lösung für die kurdische Frage finden und mehr als hundert kurdische Bürgermeister und Stadträte freilassen, die in ihren Kerkern festgehalten werden, und sie muss sich bemühen, die Rechtsstaatlichkeit einzuführen, den armenischen Genozid anerkennen und ihre Probleme mit Griechenland, insbesondere im ägäischen Raum, lösen.

In Bezug auf Zypern muss sie damit aufhören, sich hinter den Ereignissen von 2004 zu verstecken. Wir haben jetzt bereits 2011. Sie muss unverzüglich die Stadt Famagusta an ihre Einwohner übergeben – es handelt sich hier um eine europäische Stadt mit einer europäischen Geschichte, die mehrere tausend Jahre zurückgeht, eine Stadt, die für fast vier Jahrzehnte dem Zahn der Zeit ausgesetzt war – und sie muss unverzüglich damit beginnen, ihre Besatzungstruppen von Zypern abzuziehen.

Abschließend möchte ich Sie, Herr Van Orden, an die Proteste türkischer Zyprioten erinnern, die verlangten, dass ihnen die Türkei in ihren eigenen Angelegenheiten ein Mitspracherecht gibt. Stattdessen hat Eroglu dazu aufgerufen, die Demonstranten vor Gericht zu stellen. Die Türkei muss die Wünsche der türkischen Zyprioten achten, indem sie eine Volkszählung in den besetzten Gebieten erlaubt und der Kolonisierung ein Ende setzt und sicherstellt, dass die Namen der Städte und Dörfer so in den Landkarten genannt werden, wie es für Jahrtausende der Fall war.

 
  
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  Nikolaos Salavrakos, im Namen der EFD-Fraktion.(EL) Frau Präsidentin! Meine Glückwünsche an Frau Oomen-Ruijten zu dem Text, den sie präsentiert hat, und der ein sehr ausgewogenes und zutreffendes Bild der Situation in der Türkei zeigt. Ich schätze insbesondere den Standpunkt von Herrn Füle. Die Botschaft, die der Bericht von Frau Oomen vermittelt, ist, dass die Türkei ihre Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union vollständig erfüllen muss, um der Union beitreten zu können. Wenn sie der Europäischen Union nicht beitreten will, dann sollte sie das sagen, denn für ein großes Land wie die Türkei bin ich dagegen, dass man sich in dieser Frage hin- und her bewegt und darüber nur in diplomatischer Hinsicht spricht. Allerdings verhält sich die Türkei trotz der klaren Botschaft von Europa widersprüchlich. Es scheint fast so, als ob es zwischen der politischen Führung und dem Militärregime ein Problem gibt. Zur gleichen Zeit demonstriert sie ihren Nachbarn gegenüber einmal gute Absichten und macht dann aus der Ägäis wieder ein „Sieb“, indem türkische Flugzeuge und Schiffe täglich griechische Land- und Luftgrenzen überschreiten und verletzen.

Wir respektieren die Türkei und die türkische Bevölkerung, aber wir denken, dass es höchste Zeit ist, dass die Türkei ihren Nachbarn und der im Vertrag von Rom ausgedrückten europäischen Idee etwas Respekt zollt.

 
  
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  Barry Madlener (NI).(NL) Frau Präsidentin! Wir sprechen hier über die Türkei, aber Ministerpräsident Erdoğan würde lieber eine türkisch-arabische Union sehen. Die Türkei ist ein enger Freund des Diktators Ahmadinejad. Die Türkei will nicht länger ein säkulares Land sein. Die Türkei besetzt auch weiterhin Nord-Zypern und ist nicht mehr länger ein Freund Israels. Stattdessen hat sie sich für die die muslimische Bruderschaft Hamas entschieden. Die Türkei konzentriert sich immer mehr auf die islamische Welt.

Meine Damen und Herren, wann werden wir diese Farce aufgeben? Europa will die Türkei nicht, und die Türkei will Europa nicht. Herr Sarkozy hat das bereits gesagt. Frau Merkel hat dies bereits gesagt, und die Mehrheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger wollen die Türkei auch nicht als Mitglied der Europäischen Union. Die Türkei demütigt sich seit Jahren im Austausch für Geld von der Europäischen Union und dem Versprechen der EU-Mitgliedschaft. Jedoch gibt es für eine rückständige islamische Kultur keinen Platz in Europa. Ministerpräsident Erdoğan, sind Sie ein richtiger Mann oder ein unterwürfiger Feigling? Wie lange werden Sie das türkische Volk noch demütigen? Wählen Sie den ehrbaren Ausweg und hören Sie damit auf.

 
  
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  Ioannis Kasoulides (PPE). – Frau Präsidentin! Diejenigen, die den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union unterstützen, oder einige von ihnen in diesem Parlament fühlen sich verpflichtet, Änderungsanträge gegen Zypern zu unterstützen. Die Türkei hat bald keine Kapitel mehr, und der Beitrittsprozess ist in Gefahr, festzufahren. Vierzehn Kapitel sind eingefroren, weil sich die Türkei hartnäckig weigert, das Protokoll von Ankara zu verlängern.

Ein erfolgreiches Ergebnis der gegenwärtigen Verhandlungen zur Lösung der Besetzung Zyperns wird automatisch 14 Kapitel zugänglich machen. Ban-Ki-Moon hat alle internationalen Akteure aufgefordert, ihre Bemühungen auf eine solche Lösung zu konzentrieren. Eine Abstimmung zugunsten der Änderungsanträge, wie den über direkten Handel vom 26. April in einem geteilten Zypern, der in einem vereinten Land jedoch unnötig ist, fördert Unnachgiebigkeit, das Scheitern der Bemühungen für eine Lösung und setzt das Einfrieren von Kapiteln weiter fort. Auf Zypern herumzuhacken, hilft der Türkei überhaupt nicht.

 
  
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  Raimon Obiols (S&D).(ES) Frau Präsidentin! Ich denke, es wird morgen deutlich werden, dass die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament versucht hat den breitest möglichen Konsens im Parlament zu finden, weil wir eine weitgehend einheitliche Vorgehensweise in allen Institutionen der Union wünschen.

Seit Jahren ist dieser Verhandlungsprozess nützlich, um politische und wirtschaftliche Reformen in der Türkei voranzutreiben: Er hat seine Widersprüche, Rückschläge und Fortschritte gehabt, aber insgesamt ist er hilfreich gewesen. Nun könnte der Augenblick der Wahrheit sein, und was uns daran erinnert, sind die Änderungen, die zurzeit im Mittelmeerraum vor sich gehen.

Bei seinem jüngsten Auftreten vor dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten hat Kommissar Füle einen neuen Realismus gefordert, der eine ausschließlich kurzfristige Vision vermeidet. Dieser neue Realismus ist genau das, was wir im Verhandlungsprozess mit der Türkei benötigen: Äußerste Vorsicht, aber auch das Engagement und die Seriosität, die erforderlich ist, um zu vermeiden, dass neue Impulse und die Glaubwürdigkeit verloren gehen und es zu extremen Unterstellungen kommt; und deutlich festzustellen, dass Vereinbarungen und Verpflichtungen eingehalten werden müssen. Dass dies ein entschiedenes Vorgehen von allen Beteiligten erfordert.-

Hoffentlich werden wir im nächsten Bericht feststellen, dass in diesem Verhandlungsprozess ein weiterer Schritt nach vorn gemacht wurde.

 
  
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  Graham Watson (ALDE). – Frau Präsidentin! Menschen in islamischen Ländern tun heute etwas, was der 1950 erfolgten Absetzung der Einparteien-Diktatur durch das türkische Volk sehr ähnlich ist. Genauso wie die Türkei wird Ägypten möglicherweise erst erkennen, dass es viel schwieriger ist, den „tiefen Staat“ zu stürzen, und darum sind der Ergenkon-Fall und ähnliche Untersuchungen so wichtig.

Die Liberalen in diesem Haus wünschen Herrn Erdoğan und seiner Regierung alles Gute bei der Schaffung einer wahren Demokratie und ihrer Verankerung in unserem europäischen Club demokratischer Nationen. Die Zollunion ist ein großer Erfolg, und die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union kann ebenso erfolgreich sein.

Wir bedauern die Stagnation des Beitrittsprozesses, und obwohl die Türkei ein Teil der Schuld trifft, ist das unredliche Verhalten bestimmter Mitgliedstaaten – wie das durch die WikiLeaks bekannt wurde – eine Blamage für unsere Union. Herr Sarkozy vertritt nicht mehr Europa, wenn er über die Türkei spricht und genauso wenig, wenn er über seine Union für den Mittelmeerraum spricht. Sein Besuch in Ankara war agitatorisch, und es ist schade, dass die deutschen Christdemokraten nicht Max Fischers Rat annehmen und sich selbst im Spiegel betrachten, denn die AKP ist heute das Spiegelbild der deutschen CDU von 1950 – nicht christlich demokratisch, sondern islamisch demokratisch – und dies ist ganz sicher der Grund, warum der Herr Kommissar sagt, dass er die Frustrationen der Türkei versteht und teilt.

Dieser Bericht ist ehrlich – für manche zu ehrlich. Die Türkei hat viel zu erreichen, aber wir haben viel zu verlieren, wenn wir islamische Demokratien wie die Türkei und Indonesien nicht willkommen heißen und nicht mit ihnen zusammen arbeiten.

 
  
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  Paweł Robert Kowal (ECR).(PL) Frau Präsidentin! Ich möchte der Berichterstatterin zu ihrem interessanten und ausgeglichenen Bericht gratulieren, obwohl ich hinsichtlich bestimmter Angelegenheiten meine Zweifel habe. Ich bezweifle zum Beispiel, ob größeres Gewicht auf eine Intensivierung des Engagements der Türkei im südlichen Kaukasus gelegt werden soll.

Es handelt sich hierbei um eine Region, für die besonders feinfühlige und ausgewogene Strategien erforderlich sind. Es sollte jedoch gesagt werden, dass die Änderung der Einstellung gegenüber den Bemühungen der Türkei am meisten zählt. Alles, was ein Resultat der Umsetzung des Assoziierungsabkommens ist, welches als guter Auftakt für die Erweiterung der Kooperation der Türkei mit der Europäischen Union gelten kann, sollte in der Hoffnung betrachtet werden, dass es eine Gelegenheit für die Zukunft darstellt, und dass die Türen zu Europa auch für die Türkei offen stehen.

Das sollte heute in diesem Parlament ganz deutlich gesagt werden, insbesondere da wir erwarten, dass die Konsultationen und die Kooperation bei den Ereignissen in Nordafrika sich möglicherweise als zentraler Aspekt der guten Zusammenarbeit mit der Türkei herausstellen können. Unser grundlegendes Ziel für heute muss darin bestehen, den Wert der Türkei als Partner für die EU in Energiefragen und als politischer Partner für die EU in der Zukunft aufzuzeigen.

 
  
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  Charalampos Angourakis (GUE/NGL) . – (EL) Frau Präsidentin! Die Rezession hat sich verschlimmert, und das hat dem Kampf zwischen den imperialistischen Zentren um die Kontrolle der Märkte und der Energiequellen und die für deren Übertragung benutzten Kanäle neue Impulse gegeben.

Die Entwicklung in Libyen, die jüngste Entdeckung von Öl im Mittelmeerraum und die Reibungen, die dies bereits verursacht hat, sind der Beweis dafür. Zugleich verstärken die NATO und die Europäische Union ihre Interventionen in diesem Gebiet. Die Türkei versucht andererseits ihre strategische Position in einem Gebiet zu verbessern, das reif für Konflikte ist, und in dem der Widerstand eskaliert. Die jüngste Verfassungsreform war diesem Zweck sehr dienlich, was mit großer Begeisterung von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten begrüßt wurde. Allerdings setzt die Türkei zur gleichen Zeit die Besetzung von Nord-Zypern, ihre Verstöße in der Ägäis und ihre unverhohlene Missachtung der grundlegenden Menschenrechte und demokratischen Freiheiten fort. Die Arbeiter in der Türkei wissen, dass durch die Europäische Union nichts Positives zu gewinnen ist, weil grundlegende Rechte der Arbeiter und der Menschen in der Europäischen Union entzogen werden, und weil die Europäische Union wie in der Vergangenheit auch weiterhin eine Reihe von reaktionären Regierungsformen in diesem Gebiet unterstützt.

 
  
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  Lorenzo Fontana (EFD).(IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn die Frage der Türkei eine ausschließlich wirtschaftliche Angelegenheit wäre, dann gäbe es meinem Verständnis nach wahrscheinlich kein Problem. Jedoch gibt es tatsächlich ernste Probleme, da die Türkei-Frage ganz klar nicht nur eine wirtschaftliche ist.

Insbesondere möchten wir die Frage der religiösen Toleranz hervorheben, die leider in der Türkei nicht existiert, nicht nur, weil wir die Ermordungen einiger Priester anführen könnten, einschließlich italienischer wie Monsignor Luigi Padovese und Don Andrea Santoro, sondern auch, weil die türkischen Delegierten kürzlich bei einer Sitzung des Europäischen Rates gegen einen Antrag gestimmt haben, der die weltweiten Angriffe gegen Christen verurteilt.

Wir finden das erstaunlich und wundern uns, wie wir ein Land akzeptieren können, das die Religionsfreiheit nicht als einen Grundwert ansieht. Wir wundern uns außerdem, warum Herr Erdoğans Stellvertreter, Herr Babacan, überhaupt sagen konnte, dass die Europäische Union ein „christlicher Club“ ist. Was erwartete er denn vorzufinden? Denkt er, abgesehen davon, denn nicht, dass das Problem vielleicht nicht der „europäische christliche Club“ ist, sondern das Nichtvorhandensein von religiösen Rechten in der Türkei?

 
  
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  Andreas Mölzer (NI). - Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Ein türkisches Sprichwort lautet: „Der Spiegel des Menschen sind seine Taten, Worte bedeuten nicht viel.“ Aber genau von schönen, leeren Worthülsen haben sich die Türkeibefürworter täuschen lassen. Der Fortschrittsbericht 2010 ist in Wirklichkeit so etwas wie ein Mängelbericht und er belegt, dass die Türkei alles ist, aber mit Sicherheit nicht europareif. Grundrechte bestehen oft nur auf dem Papier, die Meinungsfreiheit ist erheblich eingeschränkt und die jüngst erfolgte Verhaftung von Journalisten bestätigt dies natürlich. Auch hat sich an der Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten wie etwa der Kurden und der Christen nichts geändert. Heuchlerisch wirft Premierminister Erdoğan europäischen Staaten Islamophobie vor, obgleich Muslime hier bekanntlich ihre Religion frei ausüben können, ganz im Gegensatz zu den Christen in der Türkei. Die Enteignung des Klosters Mor Gabriel bezeugt dies einmal mehr. Entgegen allen Lippenbekenntnissen treibt die Regierung Erdoğan die Islamisierung voran. Wir wissen das.

Wie Türken die EU wirklich sehen, zeigt auch die jüngste Umfrage, laut der zwar ein EU-Beitritt befürwortet wird, gleichzeitig den Europäern aber größtes Misstrauen entgegengebracht wird. Wir sollten die Beitrittsverhandlungen ehestmöglich abbrechen!

 
  
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  Elmar Brok (PPE). - Frau Präsidentin, Herr Kommissar, Frau Ratspräsidentin! Herr Watson, Ihre historischen Vergleiche sind so falsch, wie sie nur sein können. Man sollte die AKP nicht mit der Partei vergleichen, die in Deutschland nach der Hitlerzeit die Demokratie in der Regierung und die Rechtsstaatlichkeit aufgebaut hat. Dies ist wirklich erschreckend, zumal das in den Fünfzigerjahren in Zusammenarbeit und in der Koalition mit den Liberalen geschehen ist!

Ich bin dafür, dass die Türkei eng an die Europäische Union angebunden wird. Die Türkei ist für uns strategisch wichtig, aber nicht um jeden Preis: Erstens können wir die Bedingungen für den Beitritt nicht aufheben, wozu Meinungsfreiheit, eine unabhängige Justiz, Minderheitenrechte und Religionsfreiheit gehören. Das ist in den Berichten der Kommission wie auch von Frau Oomen-Ruijten deutlich dargestellt. Zweitens darf die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union nicht aufs Spiel gesetzt werden. Dafür müssen wir andere Methoden finden. Drittens liegt es an der Türkei, dass dieser Prozess nicht behindert wird, dass sie beispielsweise im Bereich des Ankara-Protokolls endlich einmal ihre Zusagen einhält.

Die Türkei ist doch in der Lage, deutlich zu machen, dass Integration innerhalb der Europäischen Union möglich ist. Wenn aber Herr Erdoğan in einer Rede in Deutschland sagt, dass Türken mit deutscher Staatsangehörigkeit in erster Linie eine Loyalitätspflicht gegenüber der Türkei haben, dann haben wir ein ernsthaftes Problem, was Integration angeht! Dies ist Ausdruck einer bestimmten Denkweise, die damit geschaffen wird.

Deshalb bin ich der Auffassung, dass die Türkei gegenwärtig noch nicht reif ist, aber dass die Türkei eingeladen ist, im Rahmen der Berlin-Plus-Vereinbarungen und in anderen Fragen konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten, um so engere Bindungen zu schaffen. Das Beispiel Mor Gabriel gehört in diese Frage mit hinein.

(Der Redner ist damit einverstanden, eine Frage nach dem Verfahren der „blauen Karte“ zu beantworten (Artikel 149 Absatz 8 GO).)

 
  
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  Graham Watson (ALDE). - Frau Präsidentin! Lieber Herr Brok, es wohnen ungefähr zwei oder drei Millionen Deutsche und Briten in Südspanien. Was sagen diese Leute, wenn die spanische Regierung verlangt, dass ihre Kinder Spanisch lernen, bevor sie Deutsch oder Englisch lernen? Sie sind natürlich dagegen. Man kann in Deutschland nicht sagen, ihr sollt zuerst Deutsch lernen! Natürlich sollen sie beide Sprachen lernen, aber Deutschland hat noch viel zu tun, wenn es eine echte Integrationspolitik betreiben will.

 
  
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  Elmar Brok (PPE). - Frau Präsidentin, Herr Kollege Watson! Diejenigen, die in Deutschland leben und wieder in ihre Heimat zurückkehren möchten, haben natürlich ihre nationale Sprache als erste Sprache. Diejenigen, die aber die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen und dauerhaft in Deutschland bleiben wollen, müssen zuerst Deutsch lernen, damit sie an den Schulen eine Chance haben, eine Ausbildung zu bekommen und auf diese Weise beruflichen Erfolg zu haben und sich zu integrieren. Da ist die Sprachenfrage die erste Frage. Wir müssen zwischen Leuten, die als Gäste im Urlaub für die Winterzeit da sind, und Menschen, die dauerhaft hierbleiben wollen, unterscheiden. Das ist die Unterscheidung im Hinblick auf die Integration. Sie können nicht Mallorca-Urlauber mit denjenigen vergleichen, die dauerhaft mit der entsprechenden Staatsangehörigkeit in einem Land bleiben wollen.

 
  
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  Maria Eleni Koppa (S&D).(EL) Frau Präsidentin, Herr Kommissar! Der Prozess des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union ist auch weiterhin sowohl für Europa als auch für die Türkei selbst von strategischer Bedeutung. Dieser Prozess ist ein Maßstab für die Glaubwürdigkeit Europas und die Absichten der Türkei, die notwendigen demokratischen Reformen durchzuführen. Allerdings wird die von der Regierung erklärte Absicht, demokratische Änderungen umzusetzen, durch die Tatsachen widerlegt. Wir haben die aufeinanderfolgenden Verhaftungen von Journalisten während der vergangenen Tage mit Besorgnis verfolgt. Am 20. Februar wurde der Journalist Nedim Şener, der für seine Kritik der Vorgehensweise der Polizei bei der Untersuchung des Mordes an dem armenischen Journalisten Hrant Dink bekannt ist, mit sechs seiner Kollegen verhaftet. Sie wurden alle wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingekerkert, und damit erhöht sich die Zahl der inhaftierten Journalisten auf mehr als einhundert. Was sich letztendlich als reales „Delikt“ in diesen Fällen herausstellt, ist die Kritik an der Erdoğan-Regierung und nicht irgendwelche kriminellen Aktivitäten.

Die Union hat die Bemühungen der Regierung unterstützt, den Parastaat zu beseitigen. Das kann allerdings nicht als ein Alibi benutzt werden, um persönliche Freiheiten zu beschränken, insbesondere die Meinungsfreiheit. Ich fordere Kommissar Füle auf, uns mitzuteilen, wie die Kommission auf diese Ereignisse reagieren will.

 
  
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  Andrew Duff (ALDE). – Frau Präsidentin! Ich bedaure außerordentlich, dass der türkische Beitrittsprozess festgefahren ist. Die Türkei hat nicht die Fortschritte gemacht, die wir haben wollten, Zypern bleibt ein hartnäckiges Problem, Frankreich und Deutschland setzen sich der Mitgliedschaft der Türkei kategorisch entgegen, und es gibt ganz offensichtlich große Vorurteile gegen die Türkei in diesem Parlament.

Wir stehen vor einer gewaltigen strategischen Krise. Europa verliert die Türkei, und die Türkei verliert Europa. Wir müssen uns 2011 zu einer grundlegenden neuen Partnerschaft verpflichten, die auf einer radikalen Neubeurteilung darüber basiert, wo die wahren Interessen beider Parteien liegen.

 
  
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  Evžen Tošenovský (ECR). (CS) Frau Präsidentin! Der Bericht über die Fortschritte der Türkei im Jahr 2010 ist sicherlich einer der komplexesten, die wir hier diskutiert haben. Trotz der Komplexität sollten wir uns nicht von historisch bedingten Vorurteilen beeinflussen lassen. Die jüngsten Vorkommnisse in der Türkei stellen zweifellos Aspekte dar, die aus der Perspektive europäischer demokratischer Prinzipien inakzeptabel sind. Wir müssen unsere Verhandlungen mit der Türkei gerade deshalb intensivieren. Die Türkei ist in Bezug auf die komplexe Region des Nahen Ostens für Europa von grundlegender geopolitischer Bedeutung. Diese Position darf natürlich nicht missbraucht werden. Wenn wir aber einen offenen und prinzipientreuen Dialog mit der Türkei pflegen, kann das zu einem verbesserten Verständnis der demokratischen Regeln führen. Die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei während der letzten Jahre war wirklich bemerkenswert, und ihre Industrie wird mehr und mehr zu einem bedeutenden Partner europäischer Unternehmen in vielen Sektoren. Daher ist es wichtig, dass diese wirtschaftlichen Beziehungen mit entsprechenden politischen Beziehungen zur Europäischen Union gepaart werden, und das mit einer klaren Perspektive für die Zukunft. Wenn die Türkei ein echtes Interesse daran hat, der EU beizutreten, kann sie nicht solche Schritte setzen, wie wir sie unlängst gesehen haben. ich unterstütze aus vielen Gründen ausdrücklich die Fortsetzung des Annäherungsprozesses der Türkei an die EU.

 
  
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  Philip Claeys (NI).(NL) Frau Präsidentin! Wir müssen aufhören, den Begriff „Fortschrittsbericht“ zu verwenden, wenn wir über die Verhandlungen mit der Türkei sprechen. Es ist eine Fehlbezeichnung, weil die Türkei keine entscheidenden Fortschritte in Bezug auf die Erfüllung der Kriterien für den Beitritt zur EU gemacht hat.

Das Zypern-Dossier ist vollkommen festgefahren, weil die Türken sich weigern, ihren Verpflichtungen nachzukommen und weil sie die illegale militärische Besetzung des Nordens der Insel weiter fortsetzen. Keine Fortschritte sind auch auf dem Gebiet der demokratischen Rechte erzielt worden. Menschen werden wegen der Äußerung ihrer Meinungen verfolgt, Websites werden blockiert und Christen und andere Nichtmuslime werden auf jede vorstellbare Weise unterminiert. Wenn Abgeordnete dieses Parlaments diesbezüglich immer wieder Fragen stellen, antwortet die Kommission, dass sie die Situation in der Türkei genauestens und mit Besorgnis verfolgt. Allerdings hat sie keine spezifischen Maßnahmen ergriffen, und die Verhandlungen scheinen sehr langsam und ohne absehbares Ende weiterzugehen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Befürworter des Beitritts der Türkei in der Kommission in Privatgesprächen in ihren eigenen Mitgliedstaaten und im Parlament zugeben, dass die ganze Idee eine Katastrophe ist. Wir sollten deshalb aufhören, uns selbst und die Öffentlichkeit in Europa und die Türken zu belügen, und lassen Sie uns endlich die Verhandlungen mit der Türkei abbrechen.

 
  
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  Elisabeth Jeggle (PPE). - Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Beim aktuellen Fortschrittsbericht zur Türkei stimme ich einer ehrlichen und daher einer kritischen Einschätzung der Beitrittsverhandlungen zu. Seit der Aufnahme der Verhandlungen wurden viele Versprechungen gemacht, aber wirklich nur wenige konkrete Fortschritte erzielt. Gerade auch angesichts der starken islamischen Prägung des Landes müssen alle christlichen und anderen nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften über gleichwertige Rechte verfügen, das heißt, die Freiheit haben, die eigene Religion auszuüben, ohne dabei diskriminiert zu werden. Das ist für mich ein wesentliches Element. Die Türkei muss sich dazu verpflichten, Staat und Religion strikt zu trennen und nicht-islamische Religionen zu akzeptieren. Das Kloster Mor Gabriel zeigt beispielhaft das Problem.

Ich möchte hierbei deutlich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in die Pflicht nehmen, die Einhaltung der universellen Menschenrechte und insbesondere der Religionsfreiheit in allen Verhandlungen mit der Türkei vehement einzufordern.

 
  
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  Wolfgang Kreissl-Dörfler (S&D). - Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir verhandeln mit der Türkei über den Beitritt zur EU und über nichts anderes – und diesen Beitritt will ich auch! Ja, ich begrüße die Reformen, die die türkische Regierung im letzten Jahr angegangen ist. Aber die Türkei muss auch endlich ihre Verpflichtungen einhalten und das Ankara-Protokoll umsetzen, damit die Verhandlungen weitergehen können, und sie darf nicht immer nur einseitig die EU oder Zypern für den Stillstand verantwortlich machen, wie Sie, Herr Erdoğan, das so gerne tun.

Den Verhaftungen kritischer Journalisten muss endlich ein Ende gesetzt werden! Ahmet Şık, Nedim Şener und andere müssen vor der Willkür der Justiz geschützt werden. Auch das sind Voraussetzungen, um Kapitel 23 eröffnen zu können. Dazu, Herr Erdoğan, sollten Sie klare Worte finden und nicht wie in Düsseldorf gegen die Integration Ihrer Landsleute polemisieren und Ihre pantürkische Weltsicht verbreiten! Das erwarten wir von Ihnen! Keine Frage, auch die EU muss ihren Teil zum Erfolg der Verhandlungen beitragen und aufnahmefähig werden. Beide Seiten haben ihre Hausaufgaben zu machen. Aber eines ist klar: Der Ball liegt nun in Ihrem Spielfeld, jetzt sind Sie am Zug.

 
  
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  Metin Kazak (ALDE). – Frau Präsidentin! Ich bin mir bewusst, dass dieser Bericht sehr umstritten ist und dass die Erzielung eines Kompromisses in diesem Parlament manchmal sehr schwierig sein kann, aber wir sollten doch versuchen, unsere Debatten objektiv zu halten und auf Fakten basieren lassen.

Erinnern wir uns zunächst daran, dass das Abkommen von Ankara die vier Freiheiten der Freizügigkeit und die Zollunion zwischen der Türkei und der EU geschaffen hat. Außerdem haben mehrere EuGH-Urteile sowie bestehende Visumbestimmungen für andere Kandidatenländer bewiesen, dass die Erleichterung der Visumbestimmungen für türkische Bürgerinnen und Bürger. insbesondere Geschäftsleute und Studenten, in diesem Bericht ganz deutlich unterstützt werden sollte.

Zweitens sollten wir neue Impulse für die festgefahrene Situation in Zypern fordern. Die Umsetzung des Ratsbeschlusses vom 26. April 2004 würde einen großen Ansporn für die Türkei darstellen, das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei umzusetzen. Davon würden beide Seiten nicht nur wirtschaftlich und politisch profitieren, sondern es würde den Einwohnern der Insel auch freien Handel ermöglichen und die gegenwärtigen Doppelstandards in der EU eliminieren. Es ist an der Zeit, zu zeigen, dass das Europäische Parlament etwas bewegen kann.

 
  
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  Peter van Dalen (ECR).(NL) Frau Präsidentin! Der Beitritt der Türkei zu Europa wäre einer der größten Fehler in der Geschichte überhaupt. Wir hätten ein Land mit 80 Millionen Einwohnern, das sich uns anschließt und Anspruch auf den europäischen Haushalt, die europäische Entscheidungsfindung und die europäische Außenpolitik erhebt. Wohin das führen wird, kann aus den Beziehungen der Türkei zur Hamas, zur Hisbollah und zum Iran ersehen werden.

Der Beitritt der Türkei hätte auch eine nachteilige Auswirkung auf die Integration. Wir können dies bereits jetzt beobachten. Ministerpräsident Erdoğan hat unlängst gefordert, dass türkische Migranten in Deutschland zuallererst Türkisch lernen sollten. Mir scheint es aber Sinn zu machen, dass man die Erlernung der deutschen Sprache zur Priorität machen sollte, wenn man in Deutschland lebt.

Herr Erdoğans Agenda ist die einer islamischen Partei, und das Gleichgewicht würde sich in diesem Punkt ebenfalls verschieben, wenn die Türkei der EU beiträte. Wir müssten uns mit Millionen von Menschen auseinandersetzen, die leider nicht mit den jüdisch-christlichen Grundlagen Europas vertraut sind und versuchen würden, sie zu ändern. Wir sollten sicherstellen, dass der Fortschrittsbericht 2010 der letzte ist. Wir sollten mit diesen sinnlosen Verhandlungen aufhören! Andererseits würde eine privilegierte Partnerschaft das Beste beider Welten zusammenführen.

 
  
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  Emine Bozkurt (S&D).(NL) Frau Präsidentin! Fortschritt und gegenseitiges Vertrauen wird sich nur dann entwickeln, wenn sowohl die Türkei als auch die Europäische Union ihren jeweiligen Verpflichtungen nachgekommen sind. Die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel wird genau zu der neuen Dynamik führen, die wir im Hinblick auf die Menschenrechte und die Justiz sehen wollen.

Die Pressefreiheit ist ein Hauptanliegen. Der Schutz dieser Freiheit, die schwierige Zeiten erlebt hat, ist ein kostbares Gut. In einer Demokratie spielt die Presse eine wichtige Rolle, und zwar diejenigen, die die Macht ausüben, zu kontrollieren. Offensichtlich hat die Türkei selbst eine große Bringschuld, die Rechtsvorschriften der EU umzusetzen, aber Europa trägt ebenfalls Verantwortung, wie etwa bezüglich der Erfüllung der Verpflichtungen im Assoziierungsabkommen zur Freizügigkeit von Personen und der Schlussfolgerungen des Rates vom April 2004 zum Thema Zypern.

Und zuletzt möchte ich an diesem hundertsten Internationalen Frauentag einige Überlegungen zu den Rechten der Frauen in der Türkei anstellen. Es hat viele Verbesserungen im rechtlichen Bereich gegeben, aber ich fordere die türkische Regierung auf, ihr absolut Möglichstes zu tun, diese Rechtsvorschriften ordnungsgemäß umzusetzen und – angesichts der bevorstehenden Wahlen – auf die Aufforderung des Parlaments zu reagieren, die Quoten der Anzahl der Frauen in Schlüsselpositionen zu erhöhen.

 
  
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  Konrad Szymański (ECR).(PL) Frau Präsidentin! Ich denke es ist offensichtlich, dass die Türkei hinsichtlich unserer eigenen Politik für diese Region in Bezug auf den Kaukasus sowie den Nahen Osten ungeheure Vorteile bieten wird. Durch die neue und ungewöhnlich aktive türkische Politik für die Region stellt sich offensichtlich die Frage, ob es eine türkische Politik unter europäischer Flagge geben wird oder ob sie in Wirklichkeit eine europäische Politik mit Unterstützung der Türkei sein wird. Es ist in jedem Fall eine wertvolle Perspektive.

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass diese Zusammenarbeit so rasch wie möglich auf eine viel pragmatischere Basis gestellt werden sollte, und dass sich monatelang hinziehende Diskussionen zur Mitgliedschaft für beide Seiten – vollkommen unnötigerweise – frustrierend sind. Es gibt viele Gründe, warum sie so lange gedauert haben, und die Aussichten für ihren Abschluss sind zurzeit nicht besonders gut. Heute möchte ich meinen Dank für den von Frau Oomen-Ruijten vorgelegten Bericht ausdrücken, der wie gewöhnlich ein sehr ausgewogenes Dokument ist. Insbesondere bin ich dafür dankbar, dass Fragen hinsichtlich der Religionsfreiheit der Christen in der Türkei so gut behandelt wurden. Das Thema ist jedoch weiterhin problematisch und hat mit der Rechtspersönlichkeit der christlichen Gemeinschaft zu tun, der Rückerstattung von Eigentum und den Möglichkeiten der Schulung des Klerus. Das dürfen wir nicht vergessen.-

 
  
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  Jarosław Leszek Wałęsa (PPE).(PL) Frau Präsidentin! Ich möchte zunächst Frau Oomen-Ruijten danken, die wieder einmal einen sehr umfassenden Bericht zum Fortschritt der Türkei erstellt hat. Jedes Jahr nimmt die Europäische Kommission ein „Erweiterungspaket“ an, und wir entwerfen einen Bericht, der den Fortschritt in Richtung Beitritt zur Europäischen Union beurteilt, der von jedem Kandidatenland auf der Grundlage dieses Pakets während der letzten 12 Monate erzielt wurde. In der Einschätzung der Kommission erfüllt die Türkei die politischen Kriterien ausreichend. Jüngste Verfassungsreformen haben Möglichkeiten für Verbesserungen in vielen Bereichen eröffnet, wie etwa im Justizbereich und hinsichtlich der Grundrechte. Das Paket der Änderungsanträge zur Verfassung, welches durch das Referendum letztes Jahr angenommen wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber dem Entwurf und der Annahme dieser Reformen ging kein Konsultationsverfahren unter Einbeziehung der politischen Parteien und der Zivilgesellschaft voraus. Es muss sehr begrüßt werden, dass die Reform eine Basis für die Ernennung eines Ombudsmanns und die Einsetzung einer nationalen Menschenrechtsinstitution schafft.

Es wird jetzt von zentraler Bedeutung sein, sicherzustellen, dass diese neuen Vorschläge in transparenter Form sowie auf der Basis der demokratischen Vorgehensweisen im Einklang mit europäischen Standards umgesetzt werden. Leider überschatten die Beziehungen der Türkei zu ihren Nachbarländern ständig den Verhandlungsprozess. Ich bin überzeugt, dass ein Zeichen des guten Willens durch die Türkei eine günstige Atmosphäre für die Verhandlungen über Zypern schaffen kann und diese Verhandlungen unterstützt; und wenn das Land einen spürbaren Beitrag zu einer umfassenden Lösung leistet, wird die Türkei einen freundlicheren Empfang auf europäischer und internationaler Ebene erhalten. Vielen Dank.

 
  
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  Kyriakos Mavronikolas (S&D).(EL) Frau Präsidentin! Ich möchte insbesondere zur Zypernfrage Stellung nehmen, wie sie in Frau Oomen-Ruijtens Entschließungsantrag präsentiert wird. Ein Jahr später wird die Kolonisation weiter fortgesetzt, die Besatzungstruppen sind weiterhin in Zypern und nicht nur das; seit fast einem Monat beobachten wir, wie die türkischen Zyprioten gegen die Präsenz der türkischen Truppen und gegen die wirtschaftliche Situation im besetzten Gebiet protestieren, die durch die Anwesenheit der türkischen Besatzungstruppen verursacht wird.

Wie hat der türkische Ministerpräsident darauf reagiert? Indem er sagte, dass sie nicht zum Vorteil der türkischen Zyprioten in Zypern ist, sondern zur Wahrung der strategischen Interessen der Türkei.

Die ethischen Werte und Prinzipien der Europäischen Union werden es nicht gestatten, Zypern auf dem Altar des Fortschritts der Türkei in Richtung Beitritt zu opfern, und ich muss, wie ein sozialistischer Kollege, der das Parlament soeben daran erinnert hat, sagen – und dabei stehen mir die Haare zu Berge – dass nicht Zypern in die Türkei einmarschiert ist; die Türkei ist in Zypern einmarschiert. Das dürfen wir nicht vergessen.

(Beifall)

 
  
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  James Elles (ECR). – Frau Präsidentin! Ich möchte mich jenen anschließen, die die Berichterstatterin zu einem sehr umfassenden und ausgewogenen Bericht beglückwünscht haben, aber ich schließe mich denen an, die bereits erwähnt haben, dass er keinen Fortschritt zeigt: Er sollte eher ein Situationsbericht sein.

Um zu unterstreichen, dass es sich hier um einen Katalog mit sehr wenig Fortschritt hinsichtlich der zentralen Diskussionspunkte handelt, hat sie in Absatz 40 sehr gewissenhaft aufgeführt, dass die türkischen Truppen von Zypern abgezogen werden müssen. In Absatz 47 bedauert sie, wie das andere Redner auch getan haben, dass die Türkei das Zusatzprotokoll nicht umgesetzt hat; und dann, wie das andere nicht erwähnt haben, weist sie auf die Blockierung der strategischen Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU über die Berlin-plus-Vereinbarungen hinaus hin.

Ich glaube es ist sehr wichtig, dass die Union bei keinen der Themen nachgibt und keine weiteren Verhandlungskapitel eröffnet, bis wir sehen, dass die Türkei guten Willen zeigt, an dieser Diskussion teilzunehmen. Oder vielleicht werden wir uns am Ende, wenn wir diesen ganzen Prozess betrachten, vielleicht fragen, ob es tatsächlich Führungsspitzen auf beiden Seiten gibt, die dies abschließen können, oder ob es bloß eine Idee des 20. Jahrhunderts war, die im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr macht.

 
  
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  Georgios Koumoutsakos (PPE).(EL) Frau Präsidentin, Herr Minister, Herr Kommissar! Die Türkei ist ein großes Land von strategischer Bedeutung, aber ist sie für Europa bereit? Nein, noch nicht. Ist Europa für die Türkei bereit? Nein, noch nicht. Hat die Türkei ihre Beitrittshoffnungen aufgegeben? Nein, noch nicht. Drei Fragen und drei Antworten, Herr Kommissar, die ganz realistisch den kritischen Wendepunkt bestimmen, an dem die Türkei auf ihrem Weg zum Beitritt angekommen ist. Sie fassen auch das komplizierte Verhältnis zwischen der Türkei und Europa zusammen. Aus historischen, politischen und kulturellen Gründen hat sich dieses Verhältnis immer zwischen Vertrauen und Verdacht, zwischen Anziehung und Abstoßung hin- und her bewegt. Der politische Ausdruck dieser Realität ist die lange und schmerzhafte Reise der Türkei in Richtung Beitritt.

Trotz des bemerkenswerten Fortschritts, den die Türkei macht, gibt sie immer noch Grund zur Besorgnis im Bereich der Menschenrechte. Sie feilscht mit der Europäischen Union noch immer um jede kleine Verpflichtung. Sie weigert sich, die Beziehungen zu einem Mitgliedstaat, der Republik Zypern, zu normalisieren. Sie gibt die Kriegsdrohung gegen einen anderen Mitgliedstaat, Griechenland, nicht auf und lehnt es ab, das Seerechtsübereinkommen anzuerkennen und umzusetzen.

Vor kurzem hat die Arroganz der türkischen Führung sogar die türkischen Zyprioten verärgert. Für seinen Teil vermittelt Europa noch immer ambivalente Botschaften über den Beitritt, die nichts zu einer Lösung beitragen. Wir brauchen daher einen klareren Standpunkt. Nur die vollständige Einhaltung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen durch die Türkei kann und – was nur fair ist – muss sie in Richtung Beitritt führen. Aber wenn wir fair sein sollen, dann müssen wir der Türkei gegenüber auch streng sein.

Abschließend beglückwünsche ich Frau Oomen-Ruijten zu ihrem Bericht, für den ich stimmen werde, und ich fordere meine Kolleginnen und Kollegen auf, das Gleiche zu tun.

 
  
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  Michael Cashman (S&D). – Frau Präsidentin! Ich erhebe mich stolzen Hauptes und begrüße die von der Türkei bezüglich ihres EU-Beitritts erzielten Fortschritte. Ich setze mich seit langer Zeit für den Beitritt der Türkei ein. Es ist im Interesse der EU und in der Tat auch im Interesse der Türkei. Wir können eine enge, populistische Sichtweise wählen, oder wir können Führungskraft und Vision beweisen. Diese Führungskraft und Vision besteht darin, die Türkei in die EU zu bringen, wo sie hingehört.

Es hat einige positive Entwicklungen gegeben, aber gleichermaßen muss noch viel getan werden. Ich werde einige konstruktive Vorschläge machen. Es muss mehr unternommen werden, um Diskriminierung zu bekämpfen und Gleichheit auf der Basis von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Glauben, Alter oder sexueller Neigung zu fördern. Das sollte durch das Gesetz garantiert sein. Daher fordere ich die türkischen Behörden auf, den Hinweis zur Geschlechtsidentität wieder in den Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichheit aufzunehmen.

Die Zeit läuft uns davon. Ich könnte zu diesem Thema sehr lange sprechen. Es lohnt sich, daran zu denken, dass die Türkei ein modernes, säkulares Land ist und dass in der Türkei Frauen das Wahlrecht viel früher erhielten als die Frauen in einigen anderen Teilen der EU – das sollten wir nicht vergessen, wenn wir auf einhundert Jahre Feminismus zurückblicken.

 
  
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  Miroslav Mikolášik (PPE). (SK) Frau Präsidentin! Die Umwandlung der Türkei in eine echte pluralistische Demokratie, die auf dem Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten basiert, scheint auch weiterhin eine Herausforderung zu sein.

Die Türkei hat im Vergleich zum Vorjahr keinen bedeutenden Fortschritt bei der Umsetzung von Reformen und bei der Erfüllung der Kriterien von Kopenhagen erzielt, deren Einhaltung eine wesentliche Vorbedingung der Mitgliedschaft in der EU ist. Es gibt weiterhin Unzulänglichkeiten im Bereich der Justiz, wo das Recht auf ein faires und rasches Gerichtsverfahren noch immer nicht gewährleistet ist, im Bereich der Minderheitenrechte und der Rechte der Frauen und auch bei den Fragen der Religionsfreiheit, der Freiheit der Meinungsäußerung, einer freien Presse und der Bekämpfung der Korruption. Das Nichtvorhandensein der Religionsfreiheit ist ganz besonders offensichtlich.

Die Türkei muss die Koordination ihrer Außenpolitik mit der EU-Außenpolitik verbessern und damit zeigen, dass sie gemeinsame Werte und Interessen mit der EU hat. Ein spezielles Beispiel könnte die Unterstützung der Bemühungen der EU sein, Irans Erwerb von Atomwaffen zu verhindern und auch die Unterzeichnung des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, welche die Türkei offensichtlich immer wieder hinausschiebt. Ich erwarte ebenso von der Türkei, sich viel aktiver bei der Lösung der Zypern-Frage zu beteiligen – wie wir auf Slowakisch sagen – durch das Abziehen ihrer militärischen Truppen aus diesem besetzten Gebiet.

 
  
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  Franz Obermayr (NI). - Frau Präsidentin! Herzlichen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben, eine Frage zu stellen, aber es ist leider ein bisschen zu spät. Herr Cashman hat, wie Sie gesehen haben, bereits den Saal verlassen. Ich hätte ein paar wichtige Fragen an Herrn Cashman gehabt und würde darum bitten, dass einem Mitglied, wenn es die Möglichkeit nutzt, eine Frage nach dem Verfahren mit der blauen Karte zu stellen, sofort das Wort erteilt wird. Andernfalls kann es vorkommen, dass das Mitglied, an das die Frage gerichtet ist, den Saal verlässt, wie wir es gerade erlebt haben. Aber ich habe vielleicht noch die Möglichkeit, nach dem Catch-the-eye-Verfahren zu Wort zu kommen, und bedanke mich im Voraus dafür.

 
  
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  Eleni Theocharous (PPE).(EL) Frau Präsidentin, Herr Minister, Herr Kommissar! Wie Frau Oomen-Ruijten in ihrem Bericht ganz richtig festgestellt hat, kann die Türkei der Europäischen Union solange nicht beitreten, solange die Zypernfrage nicht gelöst ist, bis die Besetzung beendet worden ist und die Armee Zypern verlässt; die Türkei selbst zieht diese Schlinge um den Beitrittsprozess immer fester zu. Aus diesem Grund, Herr Kommissar, sollte jeder, der der Türkei helfen will, zuhören, was die türkischen Zyprioten sagen, die gegenwärtig demonstrieren, und zwar nicht für direkten Handel oder seine Umsetzung, wie wir heute durch den vom 26. April datierten Entschluss erfahren haben, sondern dafür, dass Zypern von der Besetzung befreit wird, und dafür, dass sie persönlich davon befreit und gerettet werden. Ich glaube nicht, Herr Kommissar, dass die Türkei auf dem Weg der Zerstörung Zyperns beitreten kann, und jeder, der der Türkei helfen will, muss damit aufhören, über Zypern herzuziehen. Es handelt sich um ein grundlegendes Element, das wir alle respektieren müssen, wenn die Zypern-Frage nicht gelöst wird, wird das für die Europäische Union selbst katastrophal sein.

 
  
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  Mario Mauro (PPE).(IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass die ausgezeichnete, einzigartige Arbeit, die von Frau Oomen-Ruijten geleistet wurde, zu einer Diskussion unter uns geführt hat, die allerdings noch immer von einer starken Dosis Heuchelei begleitet wird, wenn wir über das Thema Türkei sprechen.

Es gelingt uns zurzeit nicht, diese Heuchelei zu überwinden, aber vielleicht könnten wir damit besser umgehen, wenn wir ein paar allgemeine Hintergrundfaktoren berücksichtigen würden. Zuerst müssen wir die Tatsache akzeptieren, dass wir ganz und gar versagt haben, oder vielleicht haben wir es nie wirklich versucht, eine echte Strategie für die Länder an den Südküsten des Mittelmeerraums zu entwickeln. Die Türkeifrage ist eng damit verknüpft.

Als uns vor einigen Tagen unsere Mission nach Tunesien führte, wurde uns von der einzigen islamischen Partei, alNahda, mitgeteilt, dass Tayyip Erdoğans AKP für sie eine Inspiration war, und so blicken die Menschen in gewisser Hinsicht auf die Türkei, um eine Fassade gegenüber Europa zu haben, aber sie wissen nicht, ob die gegenüberliegende Fassade, Europa, willens ist, dass zu berücksichtigen.-

Wir müssen uns fragen, was sich im Hinblick auf die Türkei zu tun lohnt: Lohnt es sich, ganz ehrlich zu sein und sich in die Richtung einer privilegierter Partnerschaft zu bewegen, die den gesamten Mittelmeerraum einbezieht, oder ist es lohnenswert, mit der Absicht weiterzumachen, Zeit zu gewinnen, und unsere Entscheidung für unbestimmte Zeit zu verschieben, sodass die Türken zuletzt selbst mit großem Stolz ein für alle Mal „Nein“ sagen werden und dadurch die Situation im Mittelmeerraum noch komplizierter wird?

Ich denke dass wir es sind, die entscheiden sollten, und wir sollten darauf warten, dass andere eine Entscheidung fällen. Wir haben spezielle Verpflichtungen und wir müssen diese in ihrer Gesamtheit übernehmen. Wir müssen den Mut haben, „Ja“ oder „Nein“ zu sagen, und dann werden wir sehen, dass diese Situation einen positiven Ausgang haben wird.

 
  
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  Andrey Kovatchev (PPE).(BG) Frau Präsidentin! Ich beglückwünsche Frau Omen-Ruijten zu der hervorragenden Arbeit, die sie geleistet hat. Wir betrachten die Türkei als einen wichtigen Euro-Atlantik-Partner. Daher bin ich ganz sicher, dass wir uns trotz unserer Widersprüche alle darüber einig sind, dass wir eine reformierte, demokratische, säkulare und europäische Türkei brauchen.

Ich fühle mich persönlich sehr unbehaglich bei dem Gedanken, dass die Innen- und Außenpolitik der Türkei eine islamische Färbung annehmen könnte. Wir können feststellen, dass ein Teil des politischen Establishment der Türkei offensichtlich kein Verlangen hat, das Prinzip der strengen Trennung zwischen Religion und Politik einzuhalten, wie es von Atatürk überliefert wurde.

Europa muss der Türkei helfen, die innere Spaltung in der türkischen Gesellschaft zu überwinden, und die Verbesserung der Situation der Minderheiten und der Beziehungen zu den Nachbarstaaten gehören dazu. Wir dürfen natürlich mit dem anklagenden Finger nicht nur auf die Türkei zeigen. Ihre Nachbarn müssen ebenso ihren Schritt in diese Richtung tun.

ich erwarte, dass wir in allen Fragen allgemeinen Interesses partnerschaftlich zusammenarbeiten, insbesondere in Bezug auf die Kooperation innerhalb der NATO und bezüglich der Energieinfrastruktur. Schließlich hoffe und erwarte ich, dass die Türkei so rasch wie möglich das erwartete Rückübernahmeabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnet, und zwar unverzüglich und ohne zusätzliche Auflagen.

 
  
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  Monika Flašíková Beňová (S&D). (SK) Frau Präsidentin! Der mögliche Beitritt der Türkei zur EU würde große wirtschaftliche, politische und kulturelle Konsequenzen haben, wie sie die EU noch nie zuvor bei irgendeiner Erweiterung erlebt hat. Trotz der Unterschiede im Vergleich mit der Kultur, der Tradition und den Werten Europas ist die Türkei kein fundamentalistisches Land, und Religion ist ein freier Ausdruck jeder einzelnen Person.

Es ist nicht möglich, der Türkei einen Versuch zu verwehren, die Kriterien für den Beitritt zur EU zu erfüllen, obwohl es erstrebenswert ist, intensivere Maßnahmen zu ergreifen, um die Streitigkeiten zwischen türkischen Zyprioten und Griechen beizulegen. Eine Lösung der Zypern-Frage könnte dann auch mehr Stabilität, Wohlstand und Sicherheit in den Mittelmeerraum bringen und dabei helfen, den EU-Beitrittsprozess der Türkei etwas zu beschleunigen.

Allerdings möchte ich eines zum Schluss sagen. Wir sind hier, meine Damen und Herren, genauso wie unsere Kolleginnen und Kollegen in der Kommission und im Rat, um ehrlich zu sein, und wenn wir bestätigen, dass die Türkei nach und nach die Kriterien erfüllt, dann dürfen wir nicht im Voraus von einer privilegierte Partnerschaft sprechen. Es wäre besser, der Türkei direkt zu sagen, dass sie trotz Erfüllung aller Kriterien keine Vollmitgliedschaft der EU erreichen wird. Meiner Meinung nach wäre das von unserer Seite her ehrlich.

 
  
  

VORSITZ: Roberta ANGELILLI
Vizepräsidentin-

 
  
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  Jelko Kacin (ALDE).(SL) Frau Präsidentin, Frau Győri, Herr Kommissar! Die dramatischen und tief greifenden politischen Veränderungen, die wir gesehen haben, sind eine Erinnerung daran, dass wir uns der Gefährdung der Energieversorgung und unserer Energieabhängigkeit bewusster werden, während ein Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt voranschreitet.

Die Türkei ist unser wertvollstes, deutlichstes und überzeugendstes Beispiel für eine funktionierende Demokratie in der arabischen Welt und natürlich ein Beispiel für eine florierende Wirtschaft. Dennoch sind sowohl die Europäische Union als auch die Türkei immer noch Geisel in der ungelösten Zypernfrage. Einige wichtige Kapitel bleiben für die Türkei geschlossen. Heute müssen wir die Dringlichkeit unterstreichen, dass das Kapitel Energie so schnell wie möglich freigegeben wird; und wir müssen eine kraftvolle Botschaft an unsere zyprischen Freunde in Nikosia richten, dass die Eröffnung dieses Kapitels nicht nur für uns, sondern auch für Zypern und die Türkei von Vorteil wäre. Die Blockierung dieses Kapitels wirkt sich auf Zypern, auf die Türkei und die gesamte Europäische Union nachteilig aus und ist der Stabilität der Region und der Weltmärkte abträglich.

Hinzu kommt, dass wir in der Europäischen Union durch die Eröffnung dieses Kapitels in diesem Jahr mit unserem Handeln Kompetenz beweisen würden, und unsere Fähigkeit und Effizienz, die Herausforderungen und Stolperfallen der Vergangenheit und der Zukunft zu erkennen. Sollten wir darin scheitern, dieses Kapitel zu öffnen, werden wir weiterhin bloß machtlose und erfolglose Zuschauer bleiben.

 
  
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  Charles Tannock (ECR). – Frau Präsidentin! Die Dynamik der Türkei auf dem Weg zu einem EU-Beitritt gerät weiter ins Stocken. Ein Grund dafür ist natürlich die Nichteinhaltung der Zusatzprotokolle zum Ankara-Abkommen und die Nichtanerkennung und anhaltende Besetzung Zyperns.

Die Weigerung der türkischen Regierung, ihre Häfen und Flughäfen für den Handel mit der Republik Zypern zu öffnen, ist nicht hinnehmbar, aber ich möchte auch erwähnen, dass sie sich durchaus konstruktiver an ihr Nachbarland Armenien annähern könnte, einschließlich der Wiedereröffnung der türkisch-armenischen Grenze und der Anerkennung des vorsätzlichen Massenmords an den Armeniern im Jahre 1915. Des Weiteren könnte die kaum getarnte politische Unterstützung der Türkei für den Iran die Bemühungen der EU behindern, die islamistische Theokratie in Teheran vom Bau einer Atombombe abzuhalten, und das ist zutiefst bedauerlich.

Ich bin auch besorgt über die zunehmende Feindseligkeit Israel gegenüber, unserem Verbündeten, was der Vorfall der Gaza-Flottille und die offiziell veröffentlichten Untersuchungsergebnisse der Türkei bezeugen. Die Türkei hält weiterhin ohne triftigen Grund das griechisch-orthodoxe Kloster in Halki geschlossen, und versagt dessen altsyrischen Christen deren vollständige Gemeinschaftsrechte. Es gibt meines Erachtens keinen Zweifel daran, dass die Türkei ihre Bemühungen jetzt verdoppeln muss, sollte sie weitere Fortschritte in Richtung der EU und ihrer Werte anstreben.

 
  
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  Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL).(EL) Frau Präsidentin! Von allen Problemen, mit denen sich die Türkei auf ihrem Weg zum Beitritt konfrontiert sieht – wie bereits dankenswerterweise im Bericht von Frau Oomen-Ruijten dargelegt – wie z. B. das Kurdenproblem, das Armenierproblem, die Pressefreiheit und die notwendige Achtung der Frauenrechte, ist das Zypernproblem das konkreteste.

Ein Bewerberland kann nicht EU-Territorium besetzt halten Sollte die Türkei ihren Weg zum Beitritt weiter fortsetzen wollen, muss sie ihre Truppen aus Zypern abziehen und die Besetzung türkischer und griechischer Zyprer beenden.

 
  
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  Jaroslav Paška (EFD). (SK) Frau Präsidentin! Ich würde gern mit einem Applaus für die Bemühungen der türkischen Regierung beginnen, ihre politischen Strukturen einem europäischen Wertesystem anzunähern. Andererseits ist es unmöglich, anhaltende Probleme auf dem Gebiet der Achtung der Menschenrechte zu ignorieren, insbesondere was die Rechte von Minderheiten und Frauen, und die Unterdrückung der Religionsfreiheit anbelangt.

Als das ernsthafteste Problem erscheint allerdings die Tatsache, dass die Türkei noch immer fast 50 % des Gebiets eines unserer Mitgliedsstaaten, nämlich Zyperns, besetzt hält. Die EU ist daher indirekt in einen militärischen Konflikt mit der Türkei involviert. Dieser Konflikt hat viele Einwohner Zyperns ihr Zuhause gekostet und bietet bisher keine Hoffnung auf eine Lösung dieser ungesetzlichen Sachlage.

Aus diesem Grund denke ich, dass der Dialog zwischen Brüssel und Istanbul mehr Offenheit erfordert, damit unsere türkischen Freunde verstehen können, dass der Weg zur EU ausschließlich über unumgängliche Kriterien führt. Sollten unsere türkischen Freunde nicht bereit sein, die anspruchsvollen Kriterien der EU zu erfüllen, wäre es angemessen, dies ehrlich zuzugeben und eine vernünftige Alternative für unsere gemeinsame Koexistenz vorzubringen.

 
  
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  Andrew Henry William Brons (NI). Frau Präsidentin! Der Bericht ist eher eine Untertreibung. Ich zitiere: „Wesentliche Bemühungen hinsichtlich der Grundrechte sind erforderlich.“ Der Autor, Orhan Pamuk, entging nur aufgrund seines internationalen Rufes einer Strafverfolgung für seine ketzerische Sichtweise der türkischen Geschichte. Das Gesetz ist noch immer vorhanden. Sollte die EU etwa die Unterdrückung einer häretischen akademischen Anschauung in einem Mitgliedsstaat tolerieren?

Etwas später sagt der Bericht, dass es keinen Fortschritt hinsichtlich einer Normalisierung der Beziehungen zu Zypern gibt. Im Klartext bedeutet dies, dass die Türkei noch immer den Nordteil jenes Landes mit Waffengewalt besetzt hält, wobei sie griechische Zyprer enteignete und deren Gotteshäuser und Begräbnisstätten entweihte und plünderte. Es sollten keinerlei Beziehungen zur Türkei unterhalten werden, ganz zu schweigen von Verhandlungen für ihre EU-Mitgliedschaft, bis sie bedingungslos ihre Truppen abzieht, Eigentum zurückerstattet und Schäden behebt.

 
  
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  Štefan Füle, Mitglied der Kommission. – Frau Präsidentin! Dies war in der Tat eine gute und nützliche Debatte, die zahlreiche Meinungen und Sichtweisen widerspiegelte.

Allerdings werden wir nur dann einen Großteil der von einigen unter Ihnen erwähnten Frustrationen vermeiden und vorankommen können, wenn – wie viele von Ihnen unterstrichen haben – die Türkei tatsächlich alle relevanten Beitrittsverpflichtungen erfüllt und wir engagiert und ernsthaft bleiben.

Ich stimme ebenfalls mit denjenigen überein, die recht deutlich äußern, dass das Vorantreiben des Zusatzprotokolls zum Ankara-Abkommen und die Erzielung von Fortschritten bezüglich einer umfassenden Lösung in der Zypernfrage Dynamik für die Beitrittsverhandlungen schaffen würden.

Des Weiteren stimme ich mit denjenigen überein, die darauf hinwiesen, dass die Spielregeln nicht inmitten des Spiels verändert werden sollten. Doch lassen Sie es mich ganz klar formulieren. Was mich betrifft, ist dies kein Spiel. Für mich geht es hier um einen ernsthaften Prozess. Ich bin überzeugt, dass die meisten Bürger der EU und der Türkei am Ende dieses Prozesses die Vorteile einer neuen und modernen Türkei, die der Europäischen Union angehört, deutlich erkennen werden.

Meine zweite Anmerkung wäre, dass der diesjährige Bericht in der Tat sehr ausgewogen ist. Was ich sehr schätze, und was dem Berichterstatter zu einem großen Teil gelang, ist – entsprechend der heutigen Debatte – die Notwendigkeit eines Gesamtüberblickes zu berücksichtigen und diesem Hause nicht einfach nur eine Liste von Vorfällen und Problemen zu präsentieren.

Mein dritter Punkt ist, dass ich ebenfalls mit denjenigen übereinstimme, die absolut die Meinung vertreten, dass der Schlüssel zu einer Anzahl von Kapiteln in der Hand unserer türkischen Partner liegt.

Ich gehöre zu denen, die gerne einige Kapitel wie z. B. das Kapitel 15 über Energie und insbesondere das Kapitel 23 über die Justiz und Grundrechte aufgeschlagen würden. Dies ist sehr wichtig, insbesondere Kapitel 23. Meiner Meinung nach läge es sowohl im Interesse der Türkei als auch der Europäischen Union, an einer Erfolgsbilanz in Bezug auf diese wichtigen Angelegenheiten zu arbeiten.

Es hieß, dass 14 Kapitel wegen des Ankara-Protokolls eingefroren wurden. Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung dazu: Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen den Kapiteln, die unilateral eingefroren wurden und solchen, die auf Empfehlung der Kommission eingefroren wurden, aufgrund der Unverbindlichkeit der Türkei gegenüber der Zollunion, und welchen dann von den Mitgliedstaaten per Konsens zugestimmt wurde. Kapitel 23 und 15 gehören zu den unilateral eingefrorenen Kapiteln.

Lassen Sie mich als letzten Punkt auch noch einen Sachverhalt ansprechen, der uns in diesen Tagen sehr stark beschäftigt, nämlich die Situation der Medienfreiheit in der Türkei. Letzten Donnerstag gab ich eine deutliche Erklärung ab, um absolut sicherstellen, dass eine Botschaft an unsere türkischen Kollegen ausgesandt wird, dass das türkische Recht entsprechend der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die freie Meinungsäußerung nicht ausreichend garantiert, und um absolut deutlich zu machen, dass die Türkei dringend ihre rechtlichen Rahmenbedingungen abändern muss, um die Ausübung der Pressefreiheit sowohl in der Praxis, als auch in wesentlichem Umfang zu verbessern.

Ich habe diesen Sachverhalt vergangenen Freitag, sehr stark übereinstimmend mit den Formulierungen von Herrn Davutoğlu, dem türkischen Minister für Auswärtige Angelegenheiten, angesprochen. Erlauben Sie mir aber auch die folgende Anmerkung: Meiner Meinung nach ist es wichtig, nicht vor einem kritischen Kommentar zurückzuschrecken, wo wir Probleme sehen. Im Gegenteil, es ist wichtig, der Türkei dabei zu helfen, die Gesetzgebung in eine solche Form und Ordnung zu bringen, dass sie der oben erwähnten Konvention entspricht.

Derzeit denke ich darüber nach, wie man sowohl den Europarat als auch die OECD in diesen Prozess mit einbeziehen kann, und ich werde dieses Haus über die Ergebnisse dieser Beratungen und die von mir empfohlene weitere Vorgehensweise auf dem Laufenden halten.

 
  
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  Enikő Győri, amtierende Präsidentin des Rates. –(HU) Frau Präsidentin, Herr Kommissar, meine Damen und Herren! Vielen Dank für diese exzellente Debatte. Eine Vielzahl von Argumenten, sowohl pro als auch kontra, sind bezüglich der Vorbereitung der Türkei und dem gesamten Beitrittsprozess vorgebracht worden. Auch dies deutet auf die Vielschichtigkeit der Situation hin und darauf, wie schwierig die Aufgabe von Frau Oomen-Ruijten war. Ich glaube, dass sie hervorragende Arbeit geleistet hat, indem sie einen Bericht erstellt hat, der die Schwierigkeit einer Beurteilung der Situation und der Vorbereitung der Türkei sehr gut widerspiegelt.

Es gibt jedoch Punkte, mit denen wir übereinstimmen, und meiner Meinung nach hat diese Debatte dies ebenfalls widergespiegelt. Ich glaube, dass es sich hier nicht nur um eine Übereinstimmung zwischen den Parteien handelt, sondern auch auf Seiten der Kommission und des Rates. Der erste dieser Punkte ist, dass wir eine europäische Türkei benötigen und es liegt in unserem Interesse, bei diesem Prozess behilflich zu sein. Wir sprechen hier von einem strategischen Partner. Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, ein Land mit einem kleinen Gebiet innerhalb Europas als unseren Freund zu haben. Auch besteht außerdem kein Zweifel, dass dies ein auf Bedingungen basierender Prozess ist, und dass die Türkei alle von ihr eingegangenen Verpflichtungen erfüllen muss. Um sicherzustellen, dass wir Fortschritte in den Verhandlungen machen können, muss sie die von uns formulierten Maßstäbe und Erwartungen erfüllen. Des Weiteren muss sich die Türkei zweifelsohne um gute nachbarschaftliche Beziehungen bemühen. Diese Angelegenheit ist in keiner der Beitrittsverhandlungen in Frage zu stellen.

Wir konnten auch feststellen, dass eine Debatte darüber gibt, wie viel Fortschritt es bisher gegeben und wie viele Aufgaben die Türkei erfüllt hat. Ich glaube, dass wir die Errungenschaften der Verfassungsreform nicht in Frage stellen können, und dass es zum Beispiel auch einen Fortschritt – wenn auch nur teilweise – im Bereich der Minderheitenpolitik gegeben hat. Niemand hat die Tatsache in Frage gestellt, dass es noch einen sehr weiten Weg zurückzulegen gibt. Es ist ausreichend, sich noch einmal auf die Sachverhalte der Pressefreiheit, der Situation von Frauen oder der Arbeitsweise des Justizsystems zu beziehen. Bei der Überlegung, wie den Beitrittsverhandlungen neues Leben eingehaucht werden kann, sollten wir unseren Handlungsspielraum untersuchen. Wie von Herrn Kommissar Füle erwähnt wurde, gibt es in der Tat 13 Kapitel, die aufgeschlagen bleiben, und wir waren lediglich in der Lage, eines abzuschließen, während 16, bei denen derzeit keinerlei Fortschritt möglich ist, eingefroren wurden. De factokönnen wir an drei Kapiteln arbeiten, nämlich an den Kapiteln Wettbewerb, öffentliche Auftragswesen sowie Sozialpolitik und Beschäftigung. Das von allen am besten vorbereitete Kapitel ist das über Wettbewerb, und es ist auch während der belgischen Präsidentschaft viel getan worden, damit wir dieses Kapitel aufschlagen können. Auch die Kommission arbeitet mit unserer großen Unterstützung sehr hart daran, dieses Kapitel zumindest während der ungarischen Ratspräsidentschaft aufschlagen zu können. Wiederum muss die Türkei zu diesem Zweck noch eine sehr große Zahl von Bedingungen erfüllen. Ich vertraue darauf, dass es in dieser Angelegenheit Fortschritte geben wird, und ich möchte wirklich nicht, dass wir noch monatelang nicht in der Lage sind, ein weiteres Kapitel aufzuschlagen.

Viele haben danach gefragt oder darauf hingewiesen, dass man einen Fortschritt bei in Sachen Visa begrüßen würde. Lassen Sie mich offen zu Ihnen sein. Die ungarische Präsidentschaft würde die Kommission ermutigen, den Dialog einzuleiten, jedoch wissen wir alle, dass bei der Ratssitzung die Lage diesbezüglich nicht völlig eindeutig war, und zahlreiche Mitgliedstaaten haben ihren Zweifeln Ausdruck verliehen. Ich glaube, wie auch die ungarische Präsidentschaft, dass es in unserem Interesse läge, den Dialog in Gang zu bringen. Es gab mehrere Bezugnahmen auf die Religionsfreiheit und die Verfolgung von Christen. Der Rat wurde dafür kritisiert, sich nicht zu diesem Thema geäußert zu haben. Obgleich dies in den Zuständigkeitsbereich von Baroness Ashton als Vorsitzende des Rates Auswärtige Angelegenheiten fällt, möchte ich Ihnen mitteilen, dass diese Angelegenheit zur Tagesordnung des Rates Auswärtige Angelegenheiten im Januar hinzugefügt wurde. Zu der Zeit gab es zwar keine Einigung, aber der Rat Auswärtige Angelegenheiten vom Februar hat eine Entschließung angenommen, in der die Verfolgung aller religiöser Minderheiten, und besonders der Christen, verurteilt wurde. Also hat der Rat diese Angelegenheit sehr wohl aufgegriffen.

Und zuletzt gestatten Sie mir bitte, auch uns allen eine Frage zu stellen, denn wir haben ja darüber gesprochen, was die Türkei unternommen hat, ob sie genug getan hat und ob sie angemessen auf einen EU-Beitritt hinarbeitet. Lassen Sie uns allerdings auch über alles nachdenken, was von uns abhängt. Und wenn wir ehrlich sind, werden wir sehen, dass sich Europa nicht gerade in einer Phase der Integration befindet. Wir blicken auf das Geschehen in Nordafrika, aber wenn wir den Blick darauf richten, was in der Europäischen Union oder in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geschieht, werden Sie feststellen, dass die Türkei zwar eines der fünf Kandidatenländer ist, dass es aber noch vier andere gibt. Inwieweit können wir diese Prozesse unterstützen? Inwieweit sind wir darauf vorbereitet, die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien abzuschließen? Inwieweit sind wir darauf vorbereitet, Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum aufzunehmen? Inwieweit sind wir darauf vorbereitet, die am stärksten schicksalsbelastete Gemeinschaft Europas, die Roma, aufzuwerten? Die Integration steht in einer Vielzahl von Zusammenhängen auf der Tagesordnung.

Europa hat sich jetzt etwas nach innen orientiert. Lassen Sie mich dies mit ganzer Offenheit sagen. Es gibt so etwas wie eine Erweiterungsmüdigkeit. Wir müssen uns mit unseren eigenen öffentlichen Meinungen beschäftigen, damit, wie offen wir bezüglich dieser Angelegenheiten sind. Ich denke, wir sollten vielleicht etwas längerfristiger denken. Wenn wir die langfristigen Interessen der Europäischen Union in Betracht ziehen, nämlich ihre Attraktivität sowohl für die EU-Bürger als auch für unsere unmittelbaren Nachbarn zu bewahren – sie es die Türkei oder alle nordafrikanischen Länder –, dann denke ich, dass wir selbst zu einem integrationsbereiteren Europa zurückfinden sollten, selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass dies unter keinen Umständen bedingungslos gelten kann und dass wir bei der Arbeit, die von allen Mitgliedstaaten erwartet wird, keine Einsparungen machen dürfen. Meiner Meinung nach wäre für die Europäische Union ein sehr schwerwiegender Augenblick gekommen, sollte die Türkei das Interesse an ihr verlieren.

 
  
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  Ria Oomen-Ruijten (PPE). Frau Präsidentin! Zuerst möchte ich noch einmal sagen, dass ich – und wir – den Bericht sehr sorgfältig erstellt haben. Die Bemerkung zur Anwendung der Geschäftsordnung, die ich machen möchte, ist folgende: Ich möchte die Kollegen bitten, keine neuen Änderungsvorschläge zu präsentieren. Wenn wir nämlich eine nicht polarisierte Debatte darüber führen wollen, wenn wir ein breites Engagement seitens des gesamten Plenums wollen,...

(Die Präsidentin unterbricht den Redner)

 
  
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  Die Präsidentin. – Ich habe einen Entschließungsantrag(1) gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung erhalten.

Die Aussprache wird geschlossen.

Die Abstimmung findet am Mittwoch, den 9. März 2011 statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 149)

 
  
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  Cristian Silviu Buşoi (ALDE), schriftlich.(RO)Ich begrüße die Schritte, die bisher von der Türkei unternommen wurden, möchte aber hervorheben, dass immer noch wesentliche Fortschritte zu leisten sind. Es müssen spezifische Maßnahmen unternommen werden in Bereichen wie Pressefreiheit, Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft, Dialog zwischen den politischen Parteien und insbesondere die Anerkennung Zyperns, das ein EU-Mitgliedstaat ist. Dieser Konflikt wirft einen breiten Schatten auf die Beitrittsverhandlungen der Türkei. Aus diesem Grunde muss die Türkei angemessene Entschlossenheit beweisen, die Auseinandersetzung zu lösen.

Allerdings glaube ich, dass die Beitrittsverhandlungen der Türkei fortschreiten müssen, um Reformen in diesem Land zu fördern, wobei wir nicht vergessen sollten, dass die Türkei eine Vorbildfunktion für die arabischen Länder hat. Die Türkei würde dabei helfen, Stabilität in den unbeständigen Regionen jenseits ihrer Ost- und Südgrenze zu verbreiten.

Erwähnenswert ist außerdem, wie bedeutend die Türkei für die Europäische Union ist, da sie eine Schlüsselrolle im Energiesektor innehat. Die Integration der Türkei in die Europäische Union kann für beide Seiten gewinnbringend sein, kurzfristig, mittelfristig und vor allem langfristig.

 
  
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  Ioan Enciu (S&D), schriftlich.(RO) Ich möchte den bedeutenden Fortschritt der Türkei hinsichtlich ihres Beitritts zur Europäischen Union begrüßen. Ich denke, dass dieses Land seine uneingeschränkte Entschlossenheit bewiesen hat, alle Kriterien für eine EU-Mitgliedschaft zu erfüllen, wobei unsere Rolle darin liegt, es dabei zu unterstützen. Viele meiner Kollegen Abgeordneten haben heute die Debatte über die Grundrechte aufgegriffen. Ich würde jedoch gerne wissen, warum dieser Bericht nicht den Rat auffordert, Verhandlungen über das Kapitel Justiz und Grundrechte einzuleiten. Dieses Kapitel wird durch den Rat blockiert, obwohl es das bedeutendste ist, wenn es um die Frage nach der Erfüllung der demokratischen Standards der EU durch die Türkei geht. Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, morgen müssen für die Änderung abstimmen, die verlangt, dass dieses Kapitel freigegeben wird. Anderenfalls wird das Europäische Parlament negative Signale an die Türkei senden, die unsere Glaubwürdigkeit beeinträchtigen.

 
  
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  Jaromír Kohlíček (GUE/NGL), schriftlich. (CS) Wir sind noch zwei Jahre von einem bedeutenden Jubiläum entfernt. Dieses Jahr ist es 48 Jahre her, dass die Türkei ein EU-Beitrittskandidat wurde. Es steht außer Frage, dass seitdem vieles geschehen ist. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, einhergehend mit der Öffnung von EU-Märkten, hat sicherlich eine Rolle gespielt. Dennoch hat das Land immer noch Probleme mit zahlreichen Faktoren, die auf die Schaffung des modernen türkischen Staates zurückgehen. Der Vertrag von 1924 erklärt deutlich, dass Bürger, die sich zum islamischen Glauben bekennen, Türken sind, während Bürger, die sich zu einem anderen Glauben bekennen, als griechische Katholiken angesehen werden. Der Vertrag erkennt keine anderen ethnischen Gruppen an. Was im Jahr 1924 fortschrittlich war, nämlich die Anerkennung der Tatsache, dass jemand einer anderen Religion als dem Islam angehören könnte, hat heute eine ganz andere Bedeutung. In der Türkei ist es keineswegs eine einfache Angelegenheit, eine andere ethnische Zugehörigkeit als die türkische anzugeben, ob es sich um die kurdische, die tscherkessische oder irgendeine andere der Nationalitäten handelt, die seit vielen Jahren eindeutig in der Türkei existiert haben, deren Anerkennung im realen Leben aber, einschließlich der Förderung ethnischer Rechte, noch eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Die Schlüsselprobleme der problematischen Lage der Verhandlungen liegen zurzeit in dem Scheitern, für die Besetzung Zyperns eine Lösung zu finden, in der Untätigkeit hinsichtlich der UN-Resolution über Famagusta und in dem Scheitern, die „Aufgaben“ zu erfüllen, die aus früheren Berichten hervorgehen. Die eingeschränkte Rolle der Armee ist positiv, jedoch nur, wenn säkulare Kräfte an der Macht bleiben. Sollte dies nicht der Fall sein, könnte es die Stabilität der gesamten Region bedrohen.

 
  
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  Cristian Dan Preda (PPE), schriftlich.(RO) Ich begrüße die Anstrengungen, die von meiner Kollegin, Ria Oomen-Ruijten beim Entwurf dieses Berichtes unternommen worden sind, behalte mir aber das Recht vor, nicht mit seinem gesamten Inhalt übereinzustimmen. Erstens denke ich, dass Beitrittsverhandlungen für den Fall derjenigen Kapitel aufgenommen werden sollten, für die die technischen Vorbereitungen bereits abgeschlossen worden sind. Es gibt einen einfachen Grund dafür. Dies könnte uns ermöglichen, einen Dialog mit der Türkei zu führen, der sie dazu zwingen würde, den Acquis communautaire anzunehmen. Während wir den von der Türkei gemachten Fortschritt bei der Erfüllung der technischen Kriterien für die Eröffnung der Verhandlungen über das Thema Wettbewerb anerkennen, müssen wir der Regierung in Ankara ebenso mitteilen, dass zusätzliche Anstrengungen auf diesem Gebiet erforderlich sind. Ich bin auch der Ansicht, dass eine Eröffnung der Verhandlungen über das Kapitel Justiz und Grundrechte den idealen Rahmen bieten kann, um die Türkei zu ermutigen, den Weg der Reform auf diesem Gebiet fortzusetzen, was meines Erachtens unser gemeinsames Ziel ist. Ich denke auch, dass wir den Rat auffordern sollten, den Dialog mit der Türkei über Außenpolitik zu intensivieren, da insbesondere im Rahmen der jüngsten Ereignisse in Nordafrika, dieses Land als ein Verbündeter fungieren kann, der Demokratisierung und Entwicklung in der Region fördert.

 
  
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  Czesław Adam Siekierski (PPE), schriftlich.(PL)Jedes Jahr diskutieren wir über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. In der Regel sind die angesprochenen Probleme dieselben: Die Türkei unternimmt ein gewisses Maß an Anstrengungen, um EU-Anforderungen zu erfüllen, doch der Fortschritt ist nie zufriedenstellend genug, um eine klare Angabe eines ungefähren Beitrittsdatums oder eine Aussage darüber zu machen, ob das Land de facto jemals der EU beitreten wird. Die Veränderungen, die bereits vorgenommen wurden, sind ein Gewinn, doch das Versagen der EU, einen klaren Standpunkt zu einem Beitritt der Türkei einzunehmen, ist für die türkische Regierung und die Bürger des Landes enttäuschend. Wir können natürlich nicht fordern, dass die Mitgliedstaaten eine einheitliche Stellung zu dieser Angelegenheit einnehmen, doch unsere Unentschiedenheit bedeutet, dass es der EU anscheinend an Glaubwürdigkeit mangelt. Die Unterstützung einer EU-Mitgliedschaft nimmt bei der türkischen Bevölkerung derzeit ab. Das Land könnte sich nach neuen Verbündeten umschauen und sich vom Westen abwenden, was nachteilig für Europa wäre. Die Türkei ist unser strategischer Partner in wirtschaftlicher und regionaler Hinsicht sowie im Energiesektor. Außerdem stellt die Türkei eine bedeutende Militärmacht mit Schlüsselfunktion im Nahen Osten dar. Die Problembereiche sind immer dieselben: Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten, die Rechte der Frauen und nationaler Minderheiten, Rechtsstaatlichkeit, Justizreform, Korruption, Presse- und Redefreiheit – und sie bleiben immer noch weit hinter europäischen Standards zurück, ungeachtet der unternommenen Anstrengungen. Ob der Verhandlungsprozess beschleunigt werden kann, hängt davon ab, wie schnell und wie effizient die Türkei die ihr auferlegten Bedingungen erfüllen kann, sowie von der Form der Mitgliedschaft, die die EU dem Land vorschlägt.

 
  
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  Joanna Katarzyna Skrzydlewska (PPE), schriftlich.(PL) Es besteht kein Zweifel daran, dass die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union eine strittige Angelegenheit ist, bei der viele den Beitritt ablehnen, aber auch viele ihn unterstützen. Es kann allerdings auch kein Zweifel daran bestehen, dass zahlreiche demokratische Reformen als Teil des Europäisierungsprozesses in der Türkei durchgeführt worden sind, was dazu führte, dass der Verhandlungsrahmen für den Beitritt der Türkei am 3. Oktober 2005 vereinbart wurde. Die Eröffnung der Verhandlungen kann nicht allein für die Türkei als Erfolg angesehen werden, sondern auch für Europe, da das Hauptmotiv für die Türkei, Reformen durchzuführen, in ihren europäischen Bestrebungen lag. Während wir den bedeutenden Fortschritt seitens der Türkei bis heute anerkennen, sollte dennoch daran erinnert werden, dass es viele Probleme gibt, die ihre Integration in die EU behindern. Vor allem beinhalten diese eine Verfassungsreform, Pressefreiheit, Frauenrechte und den Schutz nationaler Minderheiten. Ein moderner demokratischer Staat muss auf dem Prinzip der Gewaltenteilung und eines Gleichgewichts zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative beruhen, auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie, insbesondere, auf der freien Meinungsäußerung und einem Gesetzesrahmen, der die Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter garantiert. Ich habe die Ankündigung der türkischen Regierung und Opposition begrüßt, dass sie bereit sind, Reformen durchzuführen, um die Türkei in eine eigenständige pluralistische Demokratie umzuwandeln, und ich hoffe, dass alle politischen Parteien und die ganze Gesellschaft in den gesamten verfassungsbildenden Prozess einbezogen werden.

 
  
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  Zbigniew Ziobro (ECR), schriftlich.(PL)Die Türkei spielt eine strategische Rolle als stabilisierende Macht in der Region des Kaukasus und des Nahen Ostens. Sie stellt auch eine wesentliche Komponente des Planes zur Diversifizierung der europäischen Kraftstoffversorgung dar. Ankaras politische Strategien können eine Vorbildfunktion für arabische Länder in der Region einnehmen. Die Europäische Union sollte daher fortfahren, eine aktive Haltung bei der Bildung positiver Beziehungen mit der Türkei einzunehmen, unter anderem durch die Erhöhung der Finanzierung für gemeinsame strategische Energieinvestitionen wie die Gaspipeline Nabucco, und durch eine stärkere Unterstützung für die Entwicklung von Handelsbeziehungen. Brüssel muss zeigen, dass es den in den letzten Jahren von Ankara unternommenen Fortschritt auf dem Weg zu einer Integration in die Europäische Union anerkennt. Dennoch erfordern viele Angelegenheiten immer noch, dass die EU Druck auf die Türkei ausübt, und ein weiterer Fortschritt in den Verhandlungen ist ausgeschlossen, bis diese gelöst worden sind. Ich brauche nur die Versöhnung und Wiedervereinigung von Zypern zu erwähnen, die Übernahme der Verantwortlichkeit seitens Ankaras für den Völkermord an den Armeniern und eine weitere Entwicklung des demokratischen Systems.

 
  

(1)Siehe Sitzungsprotokolle

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