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Ausführliche Sitzungsberichte
Montag, 9. Mai 2016 - Straßburg

2. Erklärung des Präsidenten zum 9. Mai
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Protokoll
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  Der Präsident. – Meine Damen und Herren! Am 9. Mai – das ist der Europatag – hat Robert Schuman mit seiner berühmten Schuman-Deklaration den Grundstein zur Bildung der heutigen Europäischen Union gelegt. Meines Wissens nach gab es noch nie den Zusammenhang, dass an einem solchen Tag das Europäische Parlament auch gleichzeitig zu seiner Sitzung hier in Straßburg zusammentritt. Deshalb begrüße ich Sie alle recht herzlich zunächst einmal zu unserer kleinen feierlichen Eröffnungssitzung an diesem Schuman-Tag – einem Tag, der die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl als Anfang unserer offensichtlich ja auch technologisch immer noch verbesserungswürdigen Europäischen Union sah. Nachdem aber nun der technologische Fortschritt Einzug bei uns gehalten hat, beginnen wir mit den Damen und Herren des Orchesters der Stadt Straßburg, die uns eine kleine musikalische Einleitung geben. Bitte sehr!

(Das Orchester spielt.)

(Beifall)

Vielen Dank, meine Damen und meine Herren des Konservatoriums von Straßburg, für diese wunderbare Einführung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 9. Mai 1950 hat Robert Schuman folgende beiden Sätze gesagt:

 
  
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   "La paix mondiale ne saurait être sauvegardée sans des efforts créateurs à la mesure des dangers qui la menacent. L'Europe ne se fera pas d'un coup, ni dans une construction d'ensemble: elle se fera par des réalisations concrètes créant d'abord une solidarité de fait."

 
  
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   Heute durchlebt Europa stürmische Zeiten. Vielleicht steht es sogar vor einer – wenn nicht sogar entscheidenden – Zerreißprobe. Und mehr denn je braucht es mutige Bürgerinnen und Bürger, die sich zur europäischen Einigung bekennen, braucht es Menschen, die uns wachrütteln und daran erinnern, was wirklich wichtig ist. Einige von denen will ich gleich zitieren. Einige, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist: Frieden, Solidarität und gegenseitiger Respekt.

Wichtig ist es, Frieden, Solidarität und gegenseitigen Respekt zu vertiefen. Wichtig ist, nicht das zu vertiefen, was uns trennt, sondern zu vertiefen, was uns eint.

Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, für dieses Europa zu kämpfen. Wir dürfen uns nicht von den Gegnern der europäischen Einigung leiten lassen. Wir können mit Mut und Zuversicht und mit Weitsicht unsere Europäische Union weiter voranbringen.

Ich hatte am vergangenen Freitag die Chance, im Vatikan Papst Franziskus zuzuhören, als er die Frage stellte: Was ist mit Europa geschehen, dem Europa des Humanismus, diesem Champion der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit Dir, Europa, geschehen – hat der Papst gefragt –, dieser Heimat der Dichter, der Philosophen, der Künstler, der Musiker, der Männer und Frauen der Wissenschaft?

Was ist mit Europa geschehen, dieser Mutter der Völker und Nationen, der Mutter großer Männer und Frauen, die den Mut hatten, aufzustehen und selbst bereit waren, ihr Leben zu opfern und hinzugeben, wenn es darum ging, die Würde ihrer Schwestern und Brüder zu verteidigen?

Der Papst hat gesagt, wir sollten uns – Ihr solltet euch – den Gründungsvätern Europas wieder zuwenden. Die waren bereit, alternative, neue, innovative Wege zu beschreiten in einer Welt, die, als sie dies taten, zutiefst verschreckt war vom Terror der Kriege. Sie taten das nicht alleine, weil sie irgendeine Idee von Europa hatten, sondern weil sie es wagten, etwas Neues, ein neues Modell des Friedens und der Kooperation dem Modell der Zerstörung und der Gewalt, in dem sie gelebt hatten und aufgewachsen waren, entgegenzusetzen.

Meine Damen und Herren! Es ist an der Zeit, für dieses Europa zu kämpfen. Wir dürfen uns nicht von den Gegnern Europas leiten lassen, auch nicht verleiten lassen. Wir können und wir müssen mit Mut und Zuversicht und mit Weitsicht unsere Europäische Union voranbringen.

Am 26. November 2014 hat ein großartiger Mann, Doktor Denis Mukwege, hier in diesem Haus Folgendes gesagt:

In einer Welt der Umkehrung der Werte, wo die Gewalt alltäglich und banal wird, wo sie Formen annimmt, die man nie für möglich gehalten hat, heißt dem zu widerstehen, Dissident zu werden.

Denis Mukwege hat uns gesagt: Die Menschenrechte konstituieren nicht alleine die fundamentalen Werte der Europäischen Union, sondern sie sind auch ein Gegenstand, der uns ermutigt und der Sie ermutigen sollte, in Ihren auswärtigen Beziehungen die Menschenrechte als Instrument zu sehen, mit dem Sie Frieden und Entwicklung in andere Teile der Welt, mit dem Sie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in andere Teile der Welt bringen können.

Und er hat hier seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht – dieser großartige Arzt, der von uns mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet wurde –, dass die Europäische Union für ihn die Hoffnung ist, die dabei helfen kann, Menschenwürde und Menschenrechte auch in seine Heimat zu bringen, und sie sind wichtiger als irgendwelche wirtschaftlichen oder finanziellen Sorgen.

Und am 3. Februar 2016 hat der nigerianische Staatspräsidenten Buhari uns hier gesagt: Euer Problem ist die Verteilung des Reichtums, unsere Probleme sind Armut, Seuche und technische Unterentwicklung. Warum vergessen wir das eigentlich immer so schnell?

All das, was diese Männer anstreben, für ihre Völker oder für seine Patienten, haben wir an jedem Tag wie selbstverständlich. Und deshalb ist es an der Zeit, für dieses Europa zu kämpfen. Wir dürfen uns nicht von den Gegnern Europas einschüchtern lassen! Wir müssen mit Mut und Zuversicht und mit Weitsicht die Europäische Union voranbringen.

Der portugiesische Staatspräsident, Herr Rebelo de Sousa, hat am 13. April – ich zitiere ihn in der Originalversion – hier in diesem Hause gesagt:

 
  
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   I belong to a generation for which Europe – and European integration into Europe – was a dream inseparable from social justice, democracy and human rights. The Europe that I dream of, the one that has triumphed so many times over barbarism and totalitarianism, will also overcome the threats of religious fanaticism and terrorism.’

 
  
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   Dieser Mann, ein ausgewiesener und profunder Befürworter der europäischen Integration, der diese Sätze hier in diesem Hause gesagt hat, ist mit überwältigender Mehrheit im ersten Wahlgang in seinem Land zum Staatspräsidenten gewählt worden – ein Zeichen dafür, dass Demokratie nicht heißt, gegen Europa zu sein, sondern dass man mit einem klaren Bekenntnis für Europa Wahlen gewinnen kann! Wir können mit Mut und müssen mit Mut und Zuversicht und mit der Weitsicht solcher Männer für unser Europa kämpfen!

Es ist an der Zeit, meine Damen und Herren, dies zu tun.

Und deshalb: Toomas Ilves, der Staatspräsident von Estland, hat, als er am 2. Februar zu uns gesprochen hat, Folgendes gesagt:

 
  
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   ‘Be it migration, the euro or even military aggression, not to mention the challenge of technological change, solutions that revert to the nation state will bring us back to a pre-World War II era, an era where short-termism and beggaring thy neighbour leads inevitably to a tit-for-tat and a loss for all; back to an era where, once again, might makes right, and what that leads to we have seen too many times in Europe’s history.’

 
  
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   Der Staatspräsident eines Landes, das die kommunistische Diktatur abschütteln konnte durch den Aufstand der Bürgerinnen und Bürger und das die Europäische Union aufgenommen hat, um Stabilität, Sicherheit und Frieden in der Gemeinschaft der Völker und Staaten auch für sein Land, für Estland, zu sichern. Der Rückfall in die Nationalstaatlichkeit – sagt uns der Repräsentant dieses kleinen, seine Freiheit erst vor kurzem wieder gewinnenden Landes –, der Rückfall in die nationale Denkweise führt uns in die Vorkriegszeit des Zweiten Weltkriegs.

Ich finde, er hat Recht. Deshalb lohnt es sich, für die europäische Integration zu kämpfen, an diesem Schuman-Tag, wo Europa ganz ohne Zweifel bedroht ist und der europäische Geist nicht selbstverständlich Unterstützung findet, wo ich persönlich aber fest davon überzeugt bin, dass die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Europa nach wie vor die Kooperation von Staaten und Nationen über Grenzen hinweg für den besten Weg hält. In dieser Zeit, in der wir eine Solidaritätskrise durchleben, in der unsere gemeinsame Wertebasis ins Wanken geraten ist, gilt es, den Weckruf dieser Männer und Frauen, den Weckruf auch von Robert Schuman, dass Europa sich nicht an einem Tag baut und dass es aufgebaut ist auf der Solidarität der Tat, ernst zu nehmen. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist an der Zeit, für Europa zu kämpfen!

Alle Europäerinnen und Europäer, die an dieses Modell der transnationalen Demokratie als das beste Modell für die Sicherung von Zusammenhalt und Frieden glauben, sind aufgerufen, aufzustehen und nicht länger zu schweigen und sich zu unserem Europa zu bekennen.

(Beifall)

(Das Orchester spielt.)

(Das Parlament erhebt sich und spendet dem Orchester Beifall.)

 
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