Stärkung der Demokratie, der Medienfreiheit und des Medienpluralismus in der EU (Aussprache)
Tiemo Wölken, Berichterstatter. – Herr Präsident, sehr geehrte Frau Kommissarin Jourová! Ein kritischer Blogbeitrag, ein harscher Tweet, ein offener Brief an die Regierung, die Veröffentlichung von Artikeln nach einer intensiven Recherche. All das klingt nach harmlosen Tätigkeiten, wie sie Tag für Tag millionenfach vorgenommen werden.
Allerdings können all diese simplen Handlungen dramatische Folgen haben. Immer mehr Journalistinnen und Journalisten, NGOs und Aktivisten sehen sich Klagen ausgesetzt, alleine weil sie öffentliche Kritik über Skandale ans Licht bringen. Dabei geht es bei diesen Klagen nicht darum, sich rechtmäßig zu verteidigen, sondern mächtige Einzelpersonen und Organisationen führen strategische Klagen, um Kritikerinnen loszuwerden.
Unsere Gerichte, die zum Schutz berechtigter Interessen geschaffen wurden, werden vermehrt von ebendiesen mächtigen Einzelpersonen und Organisationen missbraucht. Und diese Strategic Lawsuits Against Public Participation sind ein Schlag ins Gesicht der Beklagten und werden daher eben auch SLAPP-Klagen genannt.
Ich spreche hier wirklich nicht von wenigen SLAPP-Klagen. SLAPP-Klagen werden immer mehr und häufiger in der Europäischen Union eingesetzt. Das schwedische Medienunternehmen Realtid Media wurde infolge von Berichterstattungen wiederholt mit Klagen bedroht. Die polnischen Aktivistinnen und Aktivisten vom Atlas of Hate werden zurzeit von gleich mehreren Regierungen vor Gericht gezerrt. Im deutschen Bundesland Hessen sehen sich Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen, immer häufiger Klagen ausgesetzt.
Was haben all diese Fälle gemeinsam? Erstens: Opfer von SLAPP-Klagen machen schlichtweg ihren Job. Zweitens: Die Kläger wollen die Beklagten gar nicht besiegen. Es geht nicht darum, zu gewinnen. Das Verfahren wird nur eingeleitet, um die Opfer in teure, komplizierte, langwierige und nervenaufreibende Verfahren zu zwingen. Gleichzeitig sollen andere Kritikerinnen und Kritiker abgeschreckt werden.
Doch damit nicht genug: SLAPP-Klagen haben nicht nur Auswirkungen auf die Opfer, sondern auch auf deren Familien. Daphne Caruana Galizia sah sich zum Zeitpunkt ihrer Ermordung gleich 47 Klagen ausgesetzt, und ihre Kinder sehen sich denselben Klagen als Rechtsnachfolger noch immer ausgesetzt.
All diese Beispiele verdeutlichen, dass wir in der EU dringend handeln müssen. Niemand, wirklich niemand darf durch strategische Klagen mundtot gemacht werden. Diejenigen, die öffentliche Kritik üben, die Recherchen veröffentlichen, müssen sich sicher sein können, nicht Vergeltungsmaßnahmen, Einschüchterungen und Bedrohungen ausgesetzt zu sein.
Demokratie lebt vom Diskurs der unterschiedlichen Meinungen. Da, wo der Diskurs strategisch unmöglich gemacht wird, steht die Demokratie vor dem Aus. Für unsere EU‑weiten einheitlichen Vorschläge haben wir die Rückendeckung von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftlerinnen, Richterinnen, Anwälten und den Opfern von SLAPP-Klagen.
Wir wollen Maßnahmen mit Gesetzescharakter. Dazu gehört eine Überarbeitung der internationalen anwendbaren Privatrechtsregeln, um Klagetourismus zu vermeiden. Wir wollen eine verbindliche Richtlinie mit Mindeststandards zum Schutz vor SLAPP-Klagen mit einer EU‑weiten Definition. Gleichzeitig benötigen wir aber auch ergänzende, nichtlegislative Maßnahmen, zum Beispiel einen Fonds zur Unterstützung der Opfer von SLAPP-Klagen, sodass Anwaltskosten übernommen werden können oder auch die psychologische Betreuung organisiert werden kann.
Natürlich müssen wir Richterinnen und Anwälte aktiv darin schulen, SLAPP-Klagen zu erkennen. Denn trotz der enormen Anzahl der Klagen wird das Phänomen noch nicht ausreichend genug wahrgenommen.
Deswegen: Statt Personen, die auf Missstände hinweisen, einzuschüchtern, müssen wir ihnen den Rücken stärken. Nicht die SLAPP‑Opfer gehören vor Gericht, sondern diejenigen, die unser Rechtssystem missbrauchen, müssen für ihre Einschüchterung zur Verantwortung gezogen werden, und deswegen brauchen wir diese Initiative.