Antwort von Herrn De Gucht im Namen der Kommission
31.5.2011
1. Die Frage der unerlaubten Herstellung urheberrechtlich geschützter Waren und der Auswirkungen von Durchsetzungsmaßnahmen in Entwicklungsländern kann weder nur durch die Schlussfolgerungen aus der von den Abgeordneten erwähnten Studie zusammengefasst noch durch das Übereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie allein gelöst werden. Das Problem ist komplex und es gibt zahlreiche Studien zu diesem Thema, in denen ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden. In einer kürzlich veröffentlichten Studie der OECD (Policy Complements to the Strengthening of intellectual property rights (IPR) in Developing Countries) wurde zum Beispiel „der allgemein positive Zusammenhang zwischen der Reform der Rechte des geistigen Eigentums und Handel, ausländischen Direktinvestitionen (ADI), Technologietransfer und Innovation“ unterstrichen und der Schluss gezogen, dass sich die „Reform der Rechte des geistigen Eigentums“ tendenziell ökonomisch positiv auswirken wird. Reformen, die den Patentschutz betreffen, brachten in der Regel am meisten, aber auch die Ergebnisse der Urheberrechtsreform waren durchaus positiv und aussagekräftig. In einer weiteren OECD-Studie (The Economic Impact of Counterfeiting and Piracy)[1] wird konkreter auf die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von Produkt- und Markenpiraterie eingegangen und betont, dass „das Ausmaß und die Folgen von Produkt- und Markenpiraterie eine derartige Bedeutung haben, dass sie ein starkes und nachhaltiges Handeln von Regierungen, Wirtschaft und Verbrauchern erforderlich machen. In dieser Hinsicht ist eine wirksamere Durchsetzung der Rechte von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die öffentliche Unterstützung, die es im Kampf gegen die Produkt- und Markenpiraterie aufzubauen gilt“. In derselben Studie wird ferner gefordert, dass „die Regierungen einen verstärkten Rechts- und Regulierungsrahmen in Betracht ziehen, die Durchsetzung intensivieren und die Beurteilung von Maßnahmen, Programmen und Praktiken ausbauen sollen.“
Andererseits stehen die Entwicklungsländer nicht unbedingt im Mittelpunkt des ACTA, zumindest nicht bis der Mitgliederkreis erweitert wird. Dies liegt nicht an den in der Studie zur „Medienpiraterie“ angeführten Gründen, sondern daran, dass die Bestimmungen des ACTA nur für die Parteien des Übereinkommens bindend sind, unter denen sich derzeit nur zwei Entwicklungsländer (Mexiko und Marokko) befinden. Aus diesem Grund wird das ACTA zumindest kurz- und mittelfristig nur sehr geringe Auswirkungen auf die Pirateriebekämpfungsmaßnahmen von Entwicklungsländern haben.
2. Die Beurteilung der Auswirkungen eines internationalen Abkommens wie des ACTA ist ein langfristiges Unterfangen und die Kommission beschäftigt sich im Vorfeld der Unterzeichnung und des Inkrafttretens noch mit keinerlei Alternativen.
Im Übrigen hat die Kommission im Jahr 2004 eine „Strategie für die Durchsetzung von Rechten an geistigem Eigentum in Drittländern“[2] verabschiedet. Diese Strategie sah mehrere Möglichkeiten für den Umgang mit RGE-Verletzungen in Drittländern vor, die sowohl auf der Ebene der Gesetzgebung (multilaterale, plurilaterale (z. B. ACTA) und bilaterale Übereinkommen) als auch im nicht legislativen Bereich (Dialoge über das geistige Eigentum, einschlägige technische Hilfe etc.) angesiedelt sind. Die Strategie wird momentan anhand einer aktuellen Studie[3] und anderer dafür herangezogener Quellen überprüft, unter anderem im Wege einer öffentlichen Konsultation (die die breiter angelegte Studie aus dem Jahr 2010[4] in Bezug auf die EU‑Handelspolitik ergänzen wird). Diese Überprüfung soll gegen Ende des Jahres 2011 zur Verabschiedung einer neuen Mitteilung der Kommission führen.
3. Der internationale Rahmen für die Entschädigung von Künstlern für die Online-Nutzung ihrer durch Urheberrechte und verwandte Schutzrechte geschützten Werke wurde durch die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Jahr 1996 eingeführt. Hierbei wurden die „Internet-Verträge“, der Urheberrechtsvertrag und der Vertrag über Darbietungen und Tonträger beschlossen. Die Europäische Kommission hat in ihrer digitalen Agenda anerkannt, dass die weiterhin bestehende Fragmentierung im digitalen Binnenmarkt sowie die derzeitigen Praktiken bei der Verwaltung von Rechten und der Vergabe von Genehmigungen für Verbraucher Hindernisse beim Zugriff auf digitale Inhalte schaffen könnten. Aus diesem Grund sieht die digitale Agenda für Europa ein konkretes Maßnahmenpaket vor, mit dem die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen legalen Angebots von digitalen Inhalten gefördert werden soll. Diese Maßnahmen beinhalten unter anderem einen Entwurf einer Rechtsvorschrift über Vereinfachungen bei grenzüberschreitenden Genehmigungen und für 2012 einen Bericht über weitere Maßnahmen, die es den EU‑Bürgern erlauben, das Potenzial des digitalen Binnenmarktes voll auszuschöpfen und besseren Zugriff auf Inhalte zu erhalten.
4. Die Rechte des geistigen Eigentums und ihre Durchsetzung erfordern eine sorgfältige Balance zwischen den Interessen der Rechteinhaber einerseits und den Konsumenten von Unterhaltungsprodukten andererseits, während gleichzeitig auch das allgemeine öffentliche Interesse berücksichtigt werden muss. Die staatlichen Behörden sind ständig gefordert, dieses Gleichgewicht unter den sich laufend ändernden technologischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten über einen längeren Zeitraum nachhaltig aufrechtzuerhalten.
In einem solchen Zusammenhang ist es von vorrangiger Bedeutung bei den Konsumenten digitaler Inhalte dafür zu werben, dass künstlerische Werke auch in einer vom Internet geprägten Welt geschützt werden müssen. Zusätzlich zu den Bemühungen auf nationaler Ebene wird die EU‑Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie eine wichtige Rolle bei diesem Bewusstseinsbildungsprozess spielen.
- [1] http://www.oecd.org/document/50/0,3746,en_2649_34173_39542514_1_1_1_1,00.html
- [2] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2005:129:0003:0016:DE:PDF
- [3] http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2010/november/tradoc_147053.pdf
- [4] http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2010/september/tradoc_146556.pdf
ABl. C 309 E vom 21/10/2011