GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
13.4.2005
- –Pasqualina Napoletano, Martine Roure und Giovanni Claudio Fava im Namen der PSE-Fraktion
- –Lapo Pistelli, Sarah Ludford und Alexander Nuno Alvaro im Namen der ALDE-Fraktion
- –Monica Frassoni und Hélène Flautre im Namen der Verts/ALE-Fraktion
- –Giusto Catania, Fausto Bertinotti, Marco Rizzo, Roberto Musacchio, Umberto Guidoni, Luisa Morgantini und Vittorio Emanuele Agnoletto im Namen der GUE/NGL-Fraktion
- –Verts/ALE (B6‑0251/05)
- –ALDE (B6‑0254/05)
- –GUE/NGL (B6‑0262/05)
- –PSE (B6-0263/05)
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Lampedusa
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, insbesondere deren Artikel 14,
– gestützt auf die Genfer Konvention von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, insbesondere deren Artikel 33 Absatz 1, dem gemäß eine ordnungsgemäße Prüfung im Einzelfall erforderlich und eine Zurückweisung untersagt ist,
– gestützt auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere Artikel 4 des Protokolls Nr. 4, wonach Kollektivausweisungen von Ausländern nicht zulässig sind,
– gestützt auf die Erklärung von Barcelona sowie das am 28. November 1995 im Rahmen dieser Konferenz angenommene Arbeitsprogramm, das auf die Förderung des Schutzes der Grundrechte im Mittelmeerraum abzielt,
– gestützt auf die Grundrechtecharta der Europäischen Union, insbesondere deren Artikel 18 zum Asylrecht,
– gestützt auf Artikel 6 EUV sowie Artikel 63 EGV,
– gestützt auf die schriftlichen Anfragen E-2616/04 und E-0545/05,
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Lampedusa mitten in der Meerenge von Sizilien liegt und eine kleine Insel von 20 Quadratkilometern ist, die von 5.500 Menschen bewohnt wird und deren Kapazität, die zahlreichen Immigranten und Asylbewerber aufzunehmen und zu beherbergen, die regelmäßig, oft unter verzweifelten Umständen, an ihrer Küste landen, offenkundig begrenzt ist,
B. besorgt über die von den italienischen Behörden von Oktober 2004 bis März 2005 von der italienischen Insel Lampedusa nach Libyen durchgeführten Kollektivausweisungen von Migranten,
C. in der Erwägung, dass seitens des UNHCR die Ausweisung von 180 Personen am 17. März kritisiert und erklärt wurde, dass bei weitem nicht feststeht, dass Italien die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hat, um zu gewährleisten, dass keine Flüchtlinge in gutem Glauben nach Libyen ausgewiesen werden, das keinesfalls als sicheres Asylland betrachtet werden kann, sowie in der Erwägung, dass seitens des UNHCR zutiefst die mangelnde Transparenz von Seiten der italienischen wie der libyschen Behörden bedauert wird,
D. besorgt über die Weigerung der italienischen Behörden, dem UNHCR am 15. März 2005 Zugang zum Abschiebelager auf Lampedusa zu gewähren, wogegen Informationen des UNHCR zufolge die italienischen Behörden diesen Zugang libyschen Beamten gestatteten,
E. tief besorgt über das Schicksal Hunderter Asylbewerber, die nach Libyen zurückgebracht wurden, da dieses Land nicht zu den Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention gehört, kein Asylsystem hat, keine echte Garantie der Flüchtlingsrechte bietet sowie willkürliche Festnahmen, Inhaftierungen und Ausweisungen vornimmt, sowie in der Erwägung, dass die ausgewiesenen Personen im Allgemeinen in Handschellen verbracht werden und ihren Bestimmungsort nicht kennen,
F. beunruhigt über die Behandlung und die miserablen Lebensbedingungen der in den Lagern in Libyen festgehaltenen Personen sowie die jüngst erfolgten massiven Rückführungen von Ausländern aus Libyen in ihr Herkunftsland unter Bedingungen, die weder ihre Würde noch ihr Überleben gewährleisten, sowie in Kenntnis der Informationen libyscher Quellen, wonach infolge dieser Ausweisungen 106 Todesfälle zu verzeichnen seien,
G. in Erwägung des inhaltlich noch geheimen bilateralen Abkommens zwischen Italien und Libyen, wonach den libyschen Behörden die Überwachung der Migrantenströme übertragen und das Land verpflichtet würde, die von Italien zurückgewiesenen Personen wieder aufzunehmen,
H. besorgt über das Fehlen von Gesetzen zum Asylrecht in Italien,
I. in Erwägung des Ersuchens vom 6. April 2005 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an Italien, im Anschluss an den Klageantrag Nr. 11593/05 einer Gruppe von ausgewiesenen Migranten Auskünfte über die Lage auf Lampedusa zu erteilen,
1. fordert die italienischen Behörden und alle Mitgliedstaaten auf, von Kollektivausweisungen von Asylbewerbern und „inkriminierten Migranten“ nach Libyen sowie in andere Länder abzusehen sowie die individuelle Prüfung der Asylanträge und die Achtung des Grundsatzes der „Nicht-Zurückweisung“ zu gewährleisten;
2. vertritt die Auffassung, dass die Kollektivausweisungen von Migranten seitens der italienischen Behörden nach Libyen, darunter auch diejenige vom 17. März 2005, eine Verletzung des Grundsatzes der „Nicht-Zurückweisung“ sind und dass die italienischen Behörden ihre internationalen Verpflichtungen versäumt haben, indem sie nicht sichergestellt haben, dass das Leben der Menschen, die sie ausweisen, in ihrem Herkunftsland nicht bedroht ist;
3. ersucht die italienischen Behörden, dem UNHCR freien Zugang zum Abschiebelager auf Lampedusa und zu den dort festgehaltenen Personen zu gewähren, die internationalen Schutzes bedürfen könnten;
4. ersucht die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge, gemäß Artikel 6 EUV und 63 EGV über die Achtung des Asylrechts in der Europäischen Union zu wachen, für die Einstellung der Kollektivausweisungen zu sorgen und von Italien sowie den anderen Mitgliedstaaten zu verlangen, dass sie ihre Verpflichtungen gemäß dem Recht der Union einhalten;
5. verweist auf die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Einwanderungs- und Asylpolitik, die sich auf die Öffnung legaler Einwanderungswege und die Festlegung gemeinsamer Normen zum Schutz der Grundrechte der Einwanderer und der Asylbewerber in der gesamten Europäischen Union stützt, wie 1999 in Tampere vom Europäischen Rat vorgegeben und durch das Programm von Den Haag bestätigt;
6. bekräftigt seine tiefgreifenden Vorbehalte gegen das Konzept des kleinsten gemeinsamen Nenners im Entwurf einer Richtlinie des Rates zu den Asylverfahren und fordert die Mitgliedstaaten auf, eine rasche Umsetzung der Richtlinie über die Anerkennung und den Status von Flüchtlingen (2004/83/EG) sicherzustellen;
7. fordert die Kommission auf, einen offenen Dialog über dieses Thema zu führen und dabei auch öffentlich über das Ergebnis ihrer technischen Mission vom November/Dezember 2004 nach Libyen im Zusammenhang mit der illegalen Einwanderung zu berichten;
8. fordert Libyen auf, internationale Beobachter zuzulassen, den willkürlichen Ausweisungen und Festnahmen von Migranten ein Ende zu setzen, die Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge zu ratifizieren sowie das Mandat des UNHCR anzuerkennen, und verlangt somit, dass jegliches Rückübernahmeabkommen mit Libyen veröffentlicht wird;
9. fordert die Entsendung einer Delegation von Mitgliedern der zuständigen Ausschüsse in das Flüchtlingszentrum auf Lampedusa sowie nach Libyen, um das Ausmaß des Problems zu beurteilen und sich bezüglich der Legitimität der Maßnahmen der italienischen und libyschen Behörden Gewißheit zu verschaffen;
10. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Regierung Libyens, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem UNHCR zu übermitteln.