GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
22.9.2008
- –Giles Chichester und Urszula Gacek im Namen der PPE-DE-Fraktion
- –Hannes Swoboda und Robert Goebbels im Namen der PSE-Fraktion
- –Wolf Klinz, Sophia in 't Veld und Anne Laperrouze im Namen der ALDE-Fraktion
- –Andrzej Tomasz Zapałowski, Zbigniew Krzysztof Kuźmiuk, Eugenijus Maldeikis, Adam Bielan, Ewa Tomaszewska und Mieczysław Edmund Janowski im Namen der UEN-Fraktion
- –PPE-DE (B6‑0428/2008)
- –ALDE (B6‑0431/2008)
- –PSE (B6‑0436/2008)
- –UEN (B6‑0445/2008)
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Steuerung der Energiepreisentwicklung
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine Entschließungen zur Abhängigkeit vom Öl vom 29. September 2005 (P6-TA (2005)361) und zur Krise im Fischereisektor infolge des Anstiegs des Dieselkraftstoffpreises vom 19. Juni 2008 (P6-TA (2008)308),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission über Maßnahmen gegen die steigenden Ölpreise (KOM (2008)348 endg.),
– in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 19./20. Juni 2008,
– unter Hinweis auf die Vereinbarung des informellen Rates Wirtschaft und Finanzen vom 12./13. September 2008,
– gestützt auf Artikel 108 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Ölpreise in diesem Sommer real so stark wie nie zuvor angestiegen sind, die Preise für andere Energieprodukte ebenfalls gestiegen sind und die Treibstoffpreise für die Verbraucher dem Trend des Rohölpreises gefolgt sind; in der Erwägung, dass der schwache Dollar zum Anstieg der Ölpreise beigetragen hat,
B. in der Erwägung, dass die Ölpreise Schätzungen zufolge mittel- bis langfristig hoch bleiben werden und dass sich dies negativ auf die Inflation und das Wachstum der Wirtschaft in der EU auswirkt,
C. in der Erwägung, dass das höhere Preisniveau die Kaufkraft der EU-Bürger aushöhlt, wobei die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen sowie die energieintensiven Industriezweige am stärksten unter den Folgen zu leiden haben,
D. in der Erwägung, dass der sprunghafte Anstieg der Energiepreise von einer ganzen Reihe komplexer Faktoren beeinflusst wird: strukturelle Verlagerungen von Ölangebot und -nachfrage, schrumpfende Zahl und Größe neuer Ölfelder, begrenzte Ausweitung der Ölförderung, geopolitische Faktoren, weniger Investitionen in technologischen Fortschritt, höhere Investitionskosten und Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in den wichtigsten Ölförderländern, in der Erwägung, dass bei einigen Erdöl produzierenden Ländern eine Tendenz zur Instrumentalisierung ihrer Rohstoffquellen für politische Zwecke besteht,
E. in der Erwägung, dass mehr Transparenz und Zuverlässigkeit und eine häufigere Veröffentlichung von Daten über die kommerziellen Ölvorräte für ein reibungsloses Funktionieren der Ölmärkte wichtig sind,
F. in der Erwägung, dass die Investoren wegen der derzeitigen finanziellen Turbulenzen nach alternativen Investitionen gesucht haben und dass dies kurzfristig zu einer verstärkten Volatilität der Preise beigetragen hat,
G. in der Erwägung, dass die Wirtschaft der EU nach wie vor stark von Ölimporten abhängig ist und dass potenzielle neue Ölfelder größtenteils „unkonventionelle Lagerstätten“ sind, deren Erschließung höhere Investitionen erfordert,
H. in der Erwägung, dass eine gemeinsame europäische Energieaußenpolitik, die sich auf Solidarität und Diversifizierung des Angebots stützt, Synergien schaffen würde, durch die die Energieversorgung der EU sichergestellt und die Stärke, außenpolitische Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der EU als globaler Akteur erhöht würden,
1. betont, dass ohne einen gemeinsam abgestimmten Richtungswechsel in der Energiepolitik und beim Energieverbrauch der Energiebedarf in der EU in den kommenden Jahrzehnten weiterhin steigen wird; ist besorgt über den Anstieg der Energiepreise, vor allem wegen der negativen Auswirkungen, die auch die Erreichung der Ziele der Lissabon-Strategie behindern, auf die Weltwirtschaft und die Verbraucher,
2. unterstreicht, dass Maßnahmen getroffen werden müssen, die es der Wirtschaft der EU ermöglichen, weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben und sich an das neue Energiepreisumfeld anzupassen;
3. fordert ein starkes politisches Engagement für konkrete Maßnahmen zur Senkung der Nachfrage nach Energie, die Förderung erneuerbarer Energieträger und von Energieeffizienz, eine weitere Diversifizierung der Energieversorgung und die Verringerung der Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen; hält diesen Übergang für die bestmögliche Antwort auf höhere Energiepreise und für die Erhöhung der Stabilität auf den Energiemärkten, die Bereitstellung langfristiger Kostenvorteile für die Verbraucher sowie für die Erfüllung der Ziele des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen zu Klimaänderungen und des dazugehörigen Kyoto-Protokolls; ist davon überzeugt, dass auf diese strategischen Maßnahmen zwangsläufig umfangreiche finanzielle Zusagen für die Forschung und Entwicklung folgen müssen;
4. ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten kurzfristige gezielte Maßnahmen ergreifen sollten, um die negativen Auswirkungen auf die ärmsten Haushalte abzumildern; betont jedoch, dass Maßnahmen, die einen Anstieg der Inflationsrate bewirken, vermieden werden sollten, weil sie die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen beeinträchtigen und durch höhere Ölpreise zunichte gemacht werden können;
5. bekräftigt seinen Standpunkt aus der ersten Lesung zur Änderung der Richtlinien 2003/54/EG (Bericht Morgan) und 2003/55/EG (Bericht LaRussa); ist der Auffassung, dass die Kommission eine Mitteilung zur Bekämpfung von Energiearmut in der Europäischen Union vorlegen sollte; fordert die Mitgliedstaaten auf, nationale Definitionen der Energiearmut vorzulegen und nationale Aktionspläne zur Ausmerzung der Energiearmut auszuarbeiten; fordert die Kommission auf, die von den Mitgliedstaaten vorgelegten Daten zu überwachen und zu koordinieren und zusätzlich sicherzustellen, dass Universaldienste und öffentliche Dienstleistungen gewährleistet sind;
6. fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass die vorgeschlagene Energieverbrauchercharta rechtlich bindend ist und die Verbraucherrechte klar ausweist; fordert die nationalen Regulierungsbehörden auf, die ihnen zu Gebote stehenden Befugnisse zur Unterstützung der Verbraucher einsetzen;
7. nimmt das Fallen des Rohölpreises auf 100 Dollar pro Barrel in den letzten Wochen zur Kenntnis, durch das der Trend stetig steigender Ölpreise durchbrochen wurde; stellt jedoch mit Sorge fest, dass die Verbraucher nach wie vor höhere Energiepreise zahlen und die Abwärtsbewegung der Rohölpreise nicht überall voll auf sie durchschlägt; fordert die Kommission auf, die Preisentwicklungen insbesondere im Hinblick auf die Frage, wie Preissteigerungen oder -senkungen auf die Verbraucher wirken, zu beobachten;
8. fordert die Kommission auf, für die Einhaltung der in der EU geltenden Wettbewerbsregeln zu sorgen und sich dabei besonders auf die Untersuchung und Bekämpfung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen im Erdgas- und Stromsektor sowie bei der Ölraffinierung und dem Vertrieb an die Verbrauchsstellen zu konzentrieren;
9. fordert die Kommission auf, die Verbindung von Öl- und Gaspreisen in langfristigen Gaslieferverträgen zu untersuchen und angemessene politische Antworten vorzulegen;
10. befürwortet Maßnahmen, die zur Förderung des Anpassungsprozesses energieintensiver Industriezweige und Dienstleistungen mit dem Ziel größerer Energieeffizienz beitragen; fordert die Kommission jedoch auf, die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu überwachen und im Falle einer Wettbewerbsverzerrung geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen;
11. betont zudem, dass die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und parallel durchgeführte Energiesparmaßnahmen, darunter auch Anreize zur Verbesserung der Energieeffizienz der Haushalte, die Abhängigkeit Europas von Energieeinfuhren und somit die mit diesen Einfuhren verbundenen politischen und wirtschaftlichen Risiken verringern;
12. fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass Energieeinsparungen, Energieeffizienz und erneuerbare Energiequellen bei der Entwicklung zukünftiger energiepolitischer Maßnahmen der EU, insbesondere im Hinblick auf die anstehende Überprüfung der Energiestrategie vorrangig behandelt werden;
13. ist der Auffassung, dass die EIB eine bedeutendere Rolle bei der Bereitstellung von Mitteln für Energieeffizienz, erneuerbare Energieträger und F&E spielen sollte, und dies mit besonderem Schwerpunkt auf KMU;
14. weist auf die gestiegenen Energiesteuereinnahmen hin, zu denen es infolge der jüngsten Ölpreiserhöhungen gekommen ist; betont die Bedeutung einer angemessenen Steuerpolitik als Mittel zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen bei gleichzeitiger Bekämpfung des Klimawandels und Schaffung von Anreizen für Investitionen in Energieeffizienz, erneuerbare Energieträger und umweltfreundliche Produkte;
15. fordert die Kommission auf, ihren Vorschlag für eine Richtlinie über Energiesteuern vorzulegen, nachdem sie sorgfältig geprüft hat, welche Auswirkungen die steuerlichen Maßnahmen auf die Inflation, auf neue Investitionen und auf den Übergang zu einer energieeffizienten EU-Wirtschaft mit geringem CO2-Ausstoß haben könnten;
16. hält mehr Transparenz und zuverlässigere Daten über die Ölmärkte und die Ölvorräte für überaus wichtig; misst der Erweiterung des Wissensstands über die Preisentwicklung bei Ölprodukten große Bedeutung bei; fordert eine rechtzeitige Überarbeitung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Erdölnotvorräte;
17. betont, dass die EU in der Energiepolitik mit einer Stimme sprechen sollte; bekräftigt die Bedeutung einer gemeinsamen Energiepolitik der EU und des Engagements für die Europäische Nachbarschaftspolitik; ist in diesem Zusammenhang überzeugt, dass die EU beim Energiedialog mit den wichtigsten Öl- und Gaslieferanten die Führung übernehmen sollte; begrüßt den Gedanken eines hochrangigen Gipfeltreffens von Öl und Gas produzierenden Ländern, durch das größere Preisstabilität, mehr Planbarkeit bei den Lieferungen und die Bezahlung der Verkäufe in Euro erreicht werden sollen;
18. fordert die Unternehmen in der EU auf, stärker vorausschauend zu handeln, das heißt, sich durch weitere Investitionen im Hinblick auf Know-how und ingenieurtechnische Kompetenzen bei neuen Technologien die Spitzenposition zu sichern, um ihre Schlüsselrolle als Partner der wichtigsten Erdölförderländer zu behaupten; stellt fest, dass Investitionen insbesondere für die Entwicklung der Raffinerie- und Erschließungskapazitäten vonnöten sind, damit die steigende Nachfrage gedeckt werden kann;
19. stellt fest, dass die großen Ölgesellschaften stärker in die Pflicht genommen werden sollten, damit mehr Privatinvestitionen in der Energieindustrie in Energiesparprogramme, Technologien zur Nutzung alternativer Energieträger und entsprechende F&E-Vorhaben fließen;
20. fordert die Mitgliedstaaten auf, die in Reaktion auf den Anstieg der Energiepreise erarbeiteten politischen Maßnahmen aufeinander abzustimmen; fordert die Kommission auf, eine Analyse vorzulegen, die sich auf die politischen Maßnahmen stützt, die sich in den Mitgliedstaaten bewährt haben, wenn es darum ging, auf die durch die hohen Energiepreise bedingten Herausforderungen zu reagieren;
21. fordert den Rat auf, schnellstmöglich eine Einigung auf wesentliche nächste Schritte hin zu einem vollständig liberalisierten Energiebinnenmarkt zu erzielen, da dieser zu geringerer Anfälligkeit der EU bei den Energiepreisen und größerer Versorgungssicherheit beitragen wird; bekräftigt in diesem Zusammenhang seine ausdrückliche Unterstützung für die Vollendung des EU-Energiebinnenmarkts;
22. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.